Grammatik: Band 1 Formenlehre 9783110184723, 9783110705911

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German Pages 851 [854] Year 2021

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Table of contents :
Inhalt
Geleitwort zur Reihe WSK
1. Vorwort der Bandherausgeber
2. Ausführliche Benutzungsanleitung
3. Die Benutzung von WSK 1 als fachliches Lernwörterbuch
4. Abkürzungsverzeichnisse
5. Verzeichnis der Symbole
6. Übersicht für die phonetische Umschrift
7. Systematische Einführung zur Grammatik
ALPHABETISCHES WÖRTERVERZEICHNIS
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
Z
8. Alphabetisches Verzeichnis sekundärer Quellen
9. Alphabetisches Verzeichnis der Autoren und Autorinnen in WSK 1.1
10. Englisch-Deutsches Register
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Grammatik: Band 1 Formenlehre
 9783110184723, 9783110705911

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Grammatik: Formenlehre

Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (WSK) Dictionaries of Linguistics and Communication Science Herausgegeben von / edited by Stefan J. Schierholz und Herbert Ernst Wiegand †

Band 1.1 / Volume 1.1

Grammatik: Formenlehre Ein Lern- und Konsultationswörterbuch. Mit einer Systematischen Einführung und englischen Übersetzungen Herausgegeben und bearbeitet von / Edited and Compiled by Stefan J. Schierholz und Pál Uzonyi

ISBN 978-3-11-018472-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070591-1 Library of Congress Control Number: 2021946973 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

in Gedenken an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Herbert Ernst Wiegand († Januar 2018)

Inhalt Geleitwort zur Reihe WSK  9 1. Vorwort der Bandherausgeber  11 2. Ausführliche Benutzungsanleitung  17 Vorbemerkung  17 2.1 Zum Textverbund in WSK-Grammatik  17 2.2 Das Wörterverzeichnis: Die Wörterbuchartikel  18 2.2.1 Zugriffsstrukturen  18 2.2.1.1 Hinweise zum direkten externen Zugriff  19 2.2.1.2 Hinweise zum registervermittelten Zugriff  21 2.2.1.3 Hinweise zum Zugriff über die Systematische Einführung  22 2.2.1.4 Hinweise zu den zugriffunterstützenden Kopfzeilen  23 2.2.1.5 Weitere Hinweise auf externe Zugriffsmöglichkeiten  23 2.2.2 Die Struktur der Wörterbuchartikel  23 2.2.2.1 Die Lemmaposition  25 2.2.2.2 Definiensangabe  25 2.2.2.3 Das englische Äquivalent  26 2.2.2.4 Die englische Definiensangabe  26 2.2.2.5 Weiterführende Erklärungen  27 2.2.2.6 Autorenname  29 2.2.2.7 Synonymangaben  29 2.2.2.8 Antonymangaben  30 2.2.2.9 Verweise  30 2.2.2.10 Die Literaturposition  32 3. Die Benutzung von WSK 1 als fachliches Lernwörterbuch  34 4. Abkürzungsverzeichnisse  36 4.1 Abkürzungen  36 4.2 Verzeichnis der Bandnamenabkürzungen in den Verweisangaben  38 4.3 Verzeichnis der Siglen in den Literaturangaben  39 5. Verzeichnis der Symbole  45 6. Übersicht für die phonetische Umschrift  47  7. Systematische Einführung zur Grammatik  49 Alphabetisches Sachregister zur Systematischen Einführung  113 ALPHABETISCHES WÖRTERVERZEICHNIS  119 8. 9. 10.

Alphabetisches Verzeichnis sekundärer Quellen  823 Alphabetisches Verzeichnis der Autoren und Autorinnen in WSK 1.1  824 Englisch-Deutsches Register  826

Geleitwort zur Reihe WSK Die Konzeption für die Fachwörterbuchreihe „Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft“ (= WSK) ist im Jahre 2003, ausgehend von einem 10-seitigen Exposee, das von Herbert Ernst Wiegand stammt, von Stefan J. Schierholz und Herbert Ernst Wiegand gemeinsam entwickelt worden. Ausgangspunkt war die Evaluation der deutschsprachigen Fachwörterbücherlandschaft für den Fachgebietsverbund „Sprach- und Kommunikationswissenschaft“, wobei festgestellt worden ist, dass die fachlexikographische Versorgung in vielen Bereichen (u.a. in der lexikographischen Abdeckung, der äußeren Selektion, dem metalexikographischen Wissenscorpus, der Verweisungspraxis) nicht ausreichend ist. Insbesondere hat sich herausgestellt, dass Fachwörterbuchartikel zur gesamten Terminologie des Fachgebietsverbunds nicht in einem einzigen Fachwörterbuch untergebracht werden können. Sind die beiden Reihenherausgeber im Jahre 2003 noch von 20.000 bis 25.000 Termini im Fachgebietsverbund ausgegangen, so lässt sich im Jahre 2020 auf der Basis der bereits gesammelten Lemmata festhalten, dass über 60.000 fachwörterbuchwürdige Termini vorliegen. In der Konzeption für die WSK ist daher von Anfang an eine Fachwörterbuchreihe geplant worden, die – aus Teilgebietsfachwörterbüchern besteht – eine kompetenzspezifische Trennung der Verantwortlichkeiten vorsieht – eine fachlexikographische Teamarbeit enthält, mit der eine qualitativ und quantitativ hinreichende und ausgewogene lexikographische Versorgung für den Fachgebietsverbund erreicht werden kann – neben dem Deutschen auch das Englische berücksichtigt – den Wörterbuchtyp des Fachlichen Lern- und Konsultationswörterbuchs realisiert, weil es diesen für den Fachgebietsverbund noch nicht gibt. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, sind die WSK-Artikel von Anfang an in einem webbasierten Redaktionssystem von Autoren geschrieben worden, die weltweit von den Bandherausgebern zur Mitarbeit gewonnen worden sind und deren Anzahl bei etwa 1000 liegt. Die Reihenherausgeber haben für den Umfang der Wörterbuchreihe 25 Bände geplant und die Struktur der Reihe nach pragmatischen Erwägungen erstellt. Je Band sind zwei, manchmal drei HerausgeberInnen eingeworben worden, die ihren Band verantworten und den genauen Titel ihres Fachwörterbuchs selbst festgelegt haben. Im Jahre 2012 ist die Konzeption für die WSK-Reihe erweitert worden, indem – die Publikation der von Anfang an geplanten Online-Wörterbücher der Printversion zeitlich vorgezogen worden ist – zwei parallel verlaufende, aber unabhängig voneinander entstehende Teilreihen vorgesehen worden sind, die einmal auf Deutsch, einmal auf Englisch verfasst sind und über die Äquivalente zu den Lemmata miteinander verbunden sind.

Geleitwort zur Reihe WSK 10

Seit 2013 werden die geschriebenen WSK-Artikel in einem WSK-Fachinformationssystem online publiziert, das kontinuierlich mit neuen Artikeln erweitert wird (https://www.degruyter.com/view/db/wsk). Die anvisierte Gesamtzahl an WSK-Bänden (in der online-Version WSK-Fachgebiete genannt) ist durch die englischsprachige Reihe verdoppelt worden. Gleichwohl konnte die Arbeit noch nicht an allen Bänden aufgenommen werden. Seit dem Tod von Herbert Ernst Wiegand Anfang 2018 wird die Reihe von Stefan J. Schierholz allein herausgegeben. Von 2003 bis heute haben an der Vorbereitung, Planung, Wörterbuchartikelprüfung und Herstellung der WSK-Reihe viele Personen aus dem Verlag und der Universität mitgewirkt. Ein besonderer Dank für ihr ausdauerndes Engagement gilt Anke Beck, Johanna Dörsing, Ulrike Engel, Barbara Karlson, Christian Kohl, Ulrike Krauß, Katja Lehming, Kirsten Matthias, Steffi Rudloff, Florian Ruppenstein, Uri Tadmor und Ida Thiemann auf Verlagsseite sowie Michael Mann auf Erlanger Seite. Erlangen, im Juli 2021 Stefan J. Schierholz

1. Vorwort der Bandherausgeber Sounds like a most interesting and valuable project, and I‘m pleased to be asked to participate. It is hopeless for me, I am afraid. Commitments and obligations are much too heavy, stretching far ahead. (Noam Chomsky in einer Antwortmail am 1. September 2006)

WSK 1 ist ein zweibändiges alphabetisches Fachwörterbuch, das aus den Teilfachwörterbüchern WSK 1.1 (Formenlehre) und WSK 1.2 (Syntax) besteht. Es ist im Jahre 2004 von Christa Dürscheid (Zürich) und Stefan Schierholz (Erlangen) als Bandherausgeber begonnen und seit 2016 von Pál Uzonyi (Budapest) und Stefan Schierholz als Bandherausgeber fortgesetzt worden. Die Fachwörterbuchartikel in WSK 1 sind Bestandteil von WSK-online (https://www. degruyter.com/view/db/wsk), das ein fachlexikographisches Online-Informationssystem ist, welches die Fachterminologie aus den in der WSK-Reihe aufgenommenen Fachgebieten enthält und kontinuierlich ausgebaut wird. Die ersten Fachwörterbuchartikel sind im Jahre 2005, die letzten im Jahre 2020 fertiggestellt worden. Die Artikel aus den Anfangsjahren sind im Jahre 2020 nicht überarbeitet oder aktualisiert worden. Wegen der zeitlichen Streckung kann es daher vorkommen, dass Artikeltexte und Literaturangaben nicht aktuell sind, sofern es grundlegende neue Forschungsinhalte oder geänderte Auflagen der Fachliteratur gibt. WSK 1 ist in seiner Printversion in den Fachwörterbuchartikeltexten zweisprachig mit Deutsch und Englisch. Dem als Lemma angesetzten Terminus folgt die deutschsprachige Definiensangabe, die englischsprachige Äquivalentangabe und die englische Definiensangabe, die eine Übersetzung der deutschen Definiensangabe ist. Das Fachwörterbuch gehört – wie auch das WLWF1 – zum Typ des fachlichen Lernund Konsultationswörterbuchs und soll Fragen zum Erwerb, zur Struktur und zur handlungsermöglichenden Funktion von wissenschaftlichem Fachwissen beantworten. Der Erwerb dieses Wissens erfolgt in unterschiedlichen Lehr-, Lern-, Studier- und Handlungssituationen vor allem sprach-, bild- und symbolvermittelt. Jede Art wissenschaftlichen Wissens – wissenschaftstheoretisches, grundlagentheoretisches, theoriespezifisches, methodisches oder anwendungsbezogenes –, das fachlich angemessenes Handeln ermöglicht, ist immer mehr oder weniger zusammenhängendes Wissen für einen bestimmten Bereich. Das wissenschaftliche Wissen, über das eine Person noch nicht verfügt, wird von dieser bei der gestörten Rezeption oder gestörten Produktion wissenschaftlicher Texte sowie bei deren Übersetzung und weiterhin vor der Inangriffnahme bestimmter wissenschaftlicher Aufgaben benötigt. Daher soll WSK 1 die folgenden Aufgaben erfüllen können:

1 Wiegand, Herbert E. et al. [2010–2019] Wörterbuch zur Lexikographie und Wörterbuchforschung. 5 Bde. Berlin [etc.].

1. Vorwort der Bandherausgeber 12

(1) Es soll in konfliktbedingten Konsultationssituationen einfach und schnell benutzbar sein, wenn bei der Arbeit mit wissenschaftlichen Texten aufgrund von fachlichen Wissenslücken aktuelle Kommunikationsstörungen (wie z.B. Textrezeptionsstörungen oder Störungen bei der Übersetzungstätigkeit) auftreten, die zu Suchfragen nach einzelnen wissenschaftlichen Termini führen, so dass man an das fachliche Wissen gelangt, das an diese Termini gebunden ist. (2) Es soll in nichtkonfliktbedingten Benutzungssituationen, die zum Typ der Wissensrecherchesituation gehören, erfolgreich benutzbar sein, und zwar besonders in solchen Recherchesituationen, die während eines Studiums oder während der Einarbeitung in ein weniger vertrautes Teilgebiet in unterschiedlichen Ausprägungen mehrfach auftreten. WSK 1 besitzt daher eine Konsultations- und eine Lernkomponente, die im Wörterbuch als Menge von sich überlappenden Eigenschaften existieren. Die Konsultationskomponente besteht aus denjenigen Eigenschaften, welche die Voraussetzungen dafür bilden, dass das Wörterbuch die unter (1) genannten Aufgaben erfüllen kann. Diese Eigenschaften sind: – eine glattalphabetische Hauptzugriffsstruktur – ein hoher Grad der makrostrukturellen Abdeckung an Fachtermini – eine hohe Parzellierung des Fachwissens in Einzelartikeln, die genaues Detailwissen präsentieren – eine textuelle Struktur der Einzelartikel, die es erlaubt, das Bei- und Ineinander von Sachwissen und gegenstandskonstitutivem Bedeutungswissen angemessen darzustellen – ein artikelinternes Verweisungsangebot, das bei Verständnisschwierigkeiten weiterhilft, die während der Artikellektüre auftreten. Die Lernkomponente besteht aus denjenigen Eigenschaften, welche die Voraussetzungen dafür bilden, dass das Fachwörterbuch die unter (2) genannten Aufgaben erfüllen kann. Diese Eigenschaften sind: – die Aufhebung der Wissensparzellierung in Synopseartikeln – die Rückbindung des in den Artikeln vermittelten Fachwissens an einen in der Systematischen Einführung präsentierten fachlichen Verständnisrahmen – die bidirektionale mediostrukturelle Durchlässigkeit zwischen jedem Paragraphen der Systematischen Einführung und den fachlich zugehörigen Synopse- und Einzelartikeln – die mehrdimensionale Datenakzessivität. Für Benutzer2 ist ein Wechsel von einer konfliktbedingten Konsultationssituation zu einer Wissensrecherchesituation sowie in der umgekehrten Richtung problemlos möglich.

2 In WSK 1 wird in den Umtexten und in den Wörterbuchartikeltexten aus Gründen der besseren Lesbarkeit und aus Platzgründen das generische Maskulinum verwendet und bezeichnet so Personen aller Geschlechter.

13

1. Vorwort der Bandherausgeber

Das charakteristische Profil des Typs der Lern- und Konsultationswörterbücher, wie er in allen WSK-Bänden ausgeprägt ist, wird im Folgenden durch typkonstitutive Eigenschaften der Wörterbuchform vorgestellt: (1) Die Datendistribution ist so gestaltet, dass die lexikographischen Daten auf die Systematische Einführung im Vorspann, auf das Verzeichnis der Termini und auf das Englisch-Deutsche Äquivalentzugriffsregister verteilt werden. Die Systematische Einführung ist nach Paragraphen gegliedert. Am Ende jedes Paragraphen findet sich eine feste Verweisposition, in der auf die Lemmata von Synopseartikeln und ausgewählte Einzelartikel verwiesen wird, die inhaltlich zu dem jeweiligen Paragraphen gehören. Das Englisch-Deutsche Äquivalentzugriffsregister liefert für konsultative Suchfragen anhand englischer Termini das deutsche terminologische Äquivalent und damit die alphabetischen Fundortdaten für den registervermittelten Zugriff auf das jeweilige deutsche Lemma im Wörterverzeichnis. (2) Die textstrukturellen Besonderheiten für die artikelinterne lexikographische Bearbeitung gehen auf eine bestimmte Auffassung über das Verhältnis von terminologiesemantischem Wissen und fachenzyklopädischem Sachwissen zurück, nach der Ersteres als gegenstandskonstitutives fachenzyklopädisches Bedeutungswissen aufgefasst wird und als ein Teil des fachenzyklopädischen Sachwissens gilt; beide Wissensarten sind bei vielen Termini nur tentativ abgrenzbar. Entsprechend wird in jedem Wörterbuchartikel, der kein Verweisartikel ist, erst qua der lexikographischen Fachdefinition ein gegenstandskonstitutives fachenzyklopädisches Bedeutungswissen vermittelt, so dass der Benutzer über einen Gegenstand als Konzept verfügt, zu dem dann anschließend weiteres fachenzyklopädisches Sachwissen in der textuellen Artikelposition für weiterführende Erklärungen mitgeteilt wird. (3) In WSK 1 gibt es einen direkten externen Zugriff auf jedes Lemma als Element der makrostrukturellen Zugriffsstruktur. Dieser wird determiniert durch ein WSK-spezifisches Zugriffsalphabet, das auf dem lateinischen Alphabet des deutschen Schriftsystems beruht und von diesem nur geringfügig abweicht. Weiterhin gibt es einen indirekten externen Zugriff, der vom Englisch-Deutschen Äquivalentzugriffsregister vermittelt wird, so dass es zu jedem Lemma zwei externe Zugriffspfade gibt. (4) Der typspezifische Aspekt der mediostrukturellen Vernetzung ist die bidirektionale Verweisung zwischen den Paragraphen der Systematischen Einführung und den inhaltlich zugehörigen Artikeln und damit das Vorhandensein wörterverzeichnisübergreifender mediostruktureller Netze, welche die wörterverzeichnisinternen mediostrukturellen Artikelnetze ergänzen, die durch die Verweisung von Einzel- auf Synopseartikel bzw. umgekehrt gegeben sind. Die Mediostrukturen sind insgesamt so angelegt, dass eine Konsultationshandlung, mit der auf einen Synopseartikel, einen Einzelartikel, einen Kurzartikel, einen Verweisartikel, das Inhaltsverzeichnis, das englisch-deutsche Register oder auf einen Paragraphen der Systematischen Einführung zugegriffen wird, durch eine Verweisbefolgungshandlung fortgesetzt werden kann, womit dann eine systematische

1. Vorwort der Bandherausgeber 14

Recherche in WSK 1 beginnt. Da WSK 1 zweibändig ist, dessen Teilfachgebiete dem Gegenstandsbereich Grammatik subsumiert sind, liegen in WSK 1 in der Verweisposition eines Wörterbuchartikels nicht nur Verweise auf Kurz-, Einzel- oder Synopseartikel des gleichen Teilbands, sondern auch auf Kurz-, Einzel- oder Synopseartikel des anderen Teilbands vor. Mit diesen Verweisen kann die thematische Verbindung zwischen Termini präsentiert werden, die zu den Teilwissensfeldern Formenlehre oder Syntax innerhalb des Fachgebiets Grammatik gehören. Bandübergreifende Verweise werden auf mit dem Lemma graphemgleiche Termini gesetzt, die in anderen WSKBänden als Lemma angesetzt sind. Dadurch werden die einzelnen Bedeutungen, die ein Terminus innerhalb des Fachgebietsverbunds „Sprach- und Kommunikationswissenschaft“ in einem der Teilfachgebiete hat, transparent, so dass die Informationsfunktion unterstützt wird. Darüber hinaus sind die deutsche und englischsprachige Teilreihe der WSK miteinander verbunden, indem auf die Termini verwiesen wird, die in einem deutschsprachigen Band in der Äquivalentposition stehen und in einem englischsprachigen WSK-Band als Lemma angesetzt sind. Dies gilt auch in umgekehrter Richtung, so dass von einem Äquivalent in einem englischsprachigen WSK-Band auf ein deutsches Lemma in WSK 1 verwiesen wird, wenn beide Termini graphemgleich sind. Der Adressatenkreis des WSK-Bands „Grammatik“ besteht aus (1) den Studierenden der philologischen und im weiteren Sinne linguistischen Fächer im In- und Ausland, die während ihres Studiums deutsche und englische Fachtexte lesen müssen, die zum Fachgebiet Grammatik gehören (2) den Dozenten und Dozentinnen an den Universitäten und Fachhochschulen im Inund Ausland, bei denen die in (1) Genannten studieren bzw. studiert haben (3) den Akademikern, die ein Studium in philologischen und/oder linguistischen Fächern erfolgreich abgeschlossen haben und einen ihren Studienfächern entsprechenden Beruf ausüben. Die wichtigsten Typen von Benutzungssituationen für WSK 1 können in (a) konfliktbedingte Konsultationssituationen und (b) nichtkonfliktbedingte Konsultationssituationen (Wissensrecherchesituationen) unterteilt werden. Unter (a) fallen Konsultationssituationen, in denen ein Benutzer-in-actu eine Suchfrage hat, z.B. eine punktuelle Frage zu einem Terminus. Zu den konsultativen Suchfragen nach den Eigenschaften eines Terminus gehören u.a.: – Was bezeichnet der Terminus X? – Hat der Terminus X mehrere Bedeutungen? – Wie lautet das englischsprachige Äquivalent zu dem Terminus X? – Woher stammt der Terminus X? – Ist der Terminus X mit einem anderen Terminus synonym? Unter (b) fallen u.a. die folgenden Typen von Wörterbuchbenutzungssituationen:

15

1. Vorwort der Bandherausgeber

– – – –

Wissensrecherche für eine Seminar-, Bachelor- oder Masterarbeit Wissensrecherche für einen Dozentenvortrag Orientierungslektüre zu einem Teilgebiet Vorbereitung auf ein Seminar bzw. einen Vortrag oder eine Präsentation im Seminar.

Da in allen Wörterbuchartikeln in diesem Fachwörterbuch mindestens eine Literaturangabe obligatorisch ist, kann WSK 1 auch für eine bibliographische Einstiegsrecherche benutzt werden. Der WSK-Band „Grammatik“ ist polyfunktional konzipiert. Es können drei Wörterbuchfunktionen festgehalten werden, die für unterschiedliche Benutzungssituationen zur Verfügung stehen: – die textrezeptionsunterstützende Wörterbuchfunktion – die spezielle fachbezogene Informationsfunktion – die translationsunterstützende Wörterbuchfunktion. Dieses System der Wörterbuchfunktionen bestimmt maßgeblich die textuelle Gesamtstruktur, die Datendistribution, die Makrostruktur, die mediostrukturelle Vernetzung und die Artikelmikrostrukturen sowie die Wörterbuchbasis. Die Wörterbuchbasis von WSK 1 ist die Menge aller zur Erstellung des Wörterbuchs tatsächlich benutzten Quellen und besteht aus zwei Gruppen, den primären und den sekundären Quellen: – Die primären Quellen sind die ausgewählten einschlägigen Texte aus dem Wörterbuchgegenstandsbereich Grammatik, wie dieser in der Systematischen Einführung für WSK 1 festgelegt ist. Dazu gehören Monographien, insbesondere Grammatikhandbücher, Handbuchartikel, Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden, Tagungsberichte und Rezensionen. Bei der Mehrzahl dieser Quellen handelt es sich um deutsche und englische Texte. – Die sekundären Quellen sind diejenigen fachspezifischen Nachschlagewerke, in denen Termini, die in WSK 1 lexikographisch bearbeitet werden, bereits vorher bearbeitet wurden. Hier sind insbesondere die einschlägigen Fachwörterbücher zur Sprachwissenschaft berücksichtigt. Das fachlexikographische Corpus von WSK 1 besteht aus der Menge aller primären Quellen. Der Aufbau des fachlexikographischen Corpus ist parallel zur Lemmaselektion erfolgt. Die primären Quellen erscheinen als Literaturangaben in den Literaturpositionen am Ende der Wörterbuchartikel, so dass die gesamte Wörterbuchbasis eines WSK-Bandes im jeweiligen Wörterbuch dokumentiert ist. Die benutzten Fachwörterbücher sind im Verzeichnis der sekundären Quellen dokumentiert. Die Herausgeber danken zuerst und ganz besonders Christa Dürscheid (Zürich), die die Grundsteine für WSK 1 gelegt hat, weit über zehn Jahre alle Verantwortlichkeiten beim Anlegen und Aufbau von WSK 1 mit Stefan Schierholz geteilt hat und wichtige fachliche

1. Vorwort der Bandherausgeber 16

Vorentscheidungen zur Gestaltung des Themas Grammatik in WSK 1 mitbestimmt hat. Dann ist vor allem Michael Mann und Nadio Giger zu danken, die in den ersten Jahren unermüdlich an der Weiterentwicklung der beiden WSK-Teilbände mitgewirkt haben. Weiterhin danken wir dem Verlag de Gruyter, der insbesondere in den letzten Jahren intensiv dafür gesorgt hat, dass WSK 1 fertiggestellt werden konnte. Zudem bedanken wir uns bei den studentischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Sandra Beer, Wiebke Blanck, Natalie Dykes, Christian Glockner, Daniel Halbmeier, Daniela Kersten, Maximilian Malter, Grit Regel, Andreas Ritsert, Natalia Rybkina, Stephan Unertl, Nina Weißkopf, Eva Wellnhofer, die alle an WSK 1 mitgewirkt haben. Erlangen und Budapest im Juli 2021 Stefan J. Schierholz und Pál Uzonyi3

3 [email protected], [email protected]

2. Ausführliche Benutzungsanleitung Vorbemerkung WSK 1 ist ein Lern- und Konsultationswörterbuch zum Fachgebiet Grammatik, welches Ihnen unter anderem dabei behilflich ist ― einzelne Termini genau zu verstehen ― einzelne Termini in schriftlichen Texten korrekt zu gebrauchen ― einen deutschen Terminus ins Englische zu übersetzen ― einen englischen Terminus ins Deutsche zu übersetzen ― einen Terminologieausschnitt systematisch zu recherchieren und dabei die zugehörigen Termini zu erlernen. WSK 1 enthält bestimmte Eigenschaften und Teile, die Sie kennen sollten, um die genannten Hilfsfunktionen erfüllen und das Wörterbuch als kundige Benutzer in optimaler Weise nutzen zu können.

2.1 Zum Textverbund in WSK-Grammatik In WSK 1.1 finden Sie unterschiedliche Textsorten, die vor und hinter dem Wörterverzeichnis stehen, verschiedene Funktionen haben, welche in den einzelnen Kapiteln erläutert werden. Nach der Kurzen Benutzungsanleitung, dem Reihen- und Wörterbuchtitel folgen das Inhaltsverzeichnis von WSK 1.1, das Geleitwort des Reihenherausgebers zur Reihe WSK und das Vorwort der Herausgeber von WSK 1 (S. 7–16). Nach der Ausführlichen Benutzungsanleitung und den Hinweisen zur Benutzung von WSK 1 als Lernerwörterbuch stehen mehrere Abkürzungsverzeichnisse: die Abkürzungen, die in den Artikeltexten vorkommen, das Abkürzungsverzeichnis der Fachgebietsnamen, die in den Wörterbuchartikeln in der Verweisposition stehen, das alphabetische Verzeichnis der in den Literaturangaben verwendeten Siglen, das Verzeichnis der Symbole in WSK und eine Übersicht für die phonetische Umschrift. Weiterhin finden Sie vor dem alphabetischen Wörterverzeichnis die Systematische Einführung zum Fachgebiet Grammatik nebst einem alphabetischen Sachregister zu dieser Einführung. Nach dem Wörterverzeichnis stehen das Verzeichnis der sekundären Quellen in WSK 1, das Verzeichnis der Autoren und Autorinnen in WSK 1.1, das Englisch-Deutsche Äquivalentzugriffsregister und auf dem hinteren Vorsatzblatt die Kurze Benutzungsanleitung in Englisch. Die einzelnen Textkonstituenten sind miteinander mediostrukturell verbunden.

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 18

2.2 Das Wörterverzeichnis: Die Wörterbuchartikel Im Wörterverzeichnis von WSK 1.1 treten vier Fachwörterbuchartikeltypen auf: – Synopseartikel – Einzelartikel – Kurzartikel – Verweisartikel. Die Texte in den Synopse- und Einzelartikeln sind partiell kondensiert. Die Artikel unterscheiden sich strukturell geringfügig in der Verweisposition und Literaturposition, weil hier die Zahl der Angaben bei Synopseartikeln größer ist. Zudem haben Synopseartikel einen größeren Umfang und enthalten grundsätzlich einen Verweis auf die Systematische Einführung, während dieser in Einzelartikeln optional ist. In den Kurzartikeln werden keine weiterführenden Erklärungen zum Lemma gemacht. Die Verweisartikel enthalten das Verweislemma, die thematische Verweisbeziehungsangabe, die je nach Thema durch unterschiedliche Rechtspfeile oder ein Identitätszeichen realisiert wird, und die Verweisadressenangabe, mit der das Verweisziel genannt ist. Als Verweislemma können u.a. angesetzt sein: – verschiedene Arten von Mehrworttermini in nichtnatürlicher Reihenfolge (vgl. 2.2.1.1) Adverb, abgeleitetes –

→ abgeleitetes Adverb

die nicht präferierten Synonyme (vgl. 2.2.2.7): Mittelwort ≡ Partizip

Tätigkeitswort



≡ Verb

Mit dem Verweislemma Mittelwort bzw. Tätigkeitswort wird das nichtpräferierte Synonym genannt. In den Artikeln zum Lemma Partizip bzw. Verb steht ein Erklärungstext zum Lemma und in der Synonymposition der jeweiligen Artikel finden Sie Mittelwort bzw. Tätigkeitswort. Kurzformen von Termini: Mit dem Verweislemma wird die Kurzform eines Terminus angesetzt. Verwiesen wird auf den Artikel, mit dessen Lemma die Langform des Terminus genannt wird: DET ≡ Determinans (1)

2.2.1 Zugriffsstrukturen In WSK 1.1 liegen eine glattalphabetische äußere Zugriffsstruktur (vgl. 2.2.1.1) und eine glattalphabetische Registerzugriffsstruktur (vgl. 2.2.1.2) vor, die beide einen Zugriff auf

19

2. Ausführliche Benutzungsanleitung

das Wörterverzeichnis eröffnen. Außerdem gibt es in den Umtexten Verweiskennzeichnungen (z.B. „vgl.“), wenn auf andere Umtexte verwiesen wird. Weiterhin kann auf einzelne Textkonstituenten über das Inhaltsverzeichnis von WSK 1.1, über das alphabetische Sachregister zur Systematischen Einführung (vgl. 2.2.1.3) sowie über die Kopfzeilen im Wörterverzeichnis (vgl. 2.2.1.4) zugegriffen werden.

2.2.1.1 Hinweise zum direkten externen Zugriff WSK 1.1 enthält 1057 Lemmata und 1009 Verweislemmata, die immer am Zeilenanfang stehen und streng alphabetisch nach dem lateinischen Alphabet geordnet sind, so dass Sie eine zugriffsfreundliche Hauptzugriffsstruktur vorfinden. Für das Zugriffsalphabet gelten in Bezug auf die Alphabetisierung folgende Regelungen: – Alle Sonderzeichen (wie z.B. Kommata, Bindestriche, runde Klammern, Zahlen) bleiben unberücksichtigt, aber Leerzeichen schon, so dass z.B. adversativer Konjunktor nach adversative Subjunktion steht. – Zwischen Groß- und Kleinbuchstaben wird nicht unterschieden. Bei Homographen wird das Lemma mit kleingeschriebenem Initial zuerst genannt. – Die deutschen Umlautbuchstaben Ä/ä, Ö/ö und Ü/ü sowie alle anderen Buchstaben mit Diakritika werden wie die zugehörigen Buchstaben ohne Diakritika behandelt. – Unterscheiden sich zwei Zeichenketten nur hinsichtlich der Diakritika, folgt die Zeichenkette mit Diakritika auf diejenige ohne Diakritika. – Der Buchstabe ß wird wie s alphabetisiert; bei ansonsten bestehender Identität der Zeichenketten folgt die Zeichenkette mit ß auf die mit s. Es gelten die Regeln der aktuellen deutschen Rechtschreibung. In der Lemmaposition sind Substantive und Eigennamen mit großem, Adjektive und Verben mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben. Englisch- und französischsprachige Termini sowie Fachtermini aus anderen modernen Sprachen sind gemäß den Orthographieregeln der Quellsprache aufgeführt. Diese Fachtermini werden als Zitatwörter aufgefasst, so dass sie mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben sind. Dies gilt ebenso für fremdsprachliche substantivische Lemmazeichen. Für wenige Termini, die in der Fachliteratur unterschiedlich geschrieben werden, gelten WSK-spezifische Orthographieregeln, z.B. casus obliquus, nicht-paradigmische Fuge, nomen agentis, nomen varians, Statusadverb. Das Lemmazeichen kann ein Einwortterminus (z.B. Plural; Suffix; Verbalabstraktum) oder ein Mehrwortterminus (z.B. absolutes Adverb; direktives Adverb; inferen­ tielles Modalverb) sein. Zu jedem Mehrwortterminus wird in dessen nichtnatürlicher Reihenfolge ein Verweislemma angesetzt (Adverb, absolutes; Adverb, direktives; Modalverb, inferentielles). Dadurch stehen alle Mehrworttermini, deren letzte Konstituente identisch ist, in der Lemmastrecke in nichtnatürlicher Reihenfolge beieinander, so dass eine funktionale Verweisartikelteilstrecke entsteht, wie z.B. in (1), in der 26 Mehrworttermini mit „Adverb“ aufeinander folgen.

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 20

(1)

Adverb, abgeleitetes  → abgeleitetes Adverb Adverb, absolutes  → absolutes Adverb Adverb, adjektivisches  → Adjektivadverb Adverb, autonomes  → autonomes Adverb Adverb, deiktisches  → deiktisches Adverb Adverb, direktives  → direktives Adverb Adverb, diskontinuierliches  → diskontinuierliches Adverb Adverb, faktives  → faktives Adverb Adverb, finales  → Finaladverb Adverb, graduatives  → graduatives Adverb Adverb, instrumentales  → Instrumentaladverb Adverb, interrogatives  → Interrogativadverb Adverb, kausales  → Kausaladverb

Adverb, komitatives  → Komitativadverb Adverb, konditionales  → Konditionaladverb Adverb, konzessives  → Konzessivadverb Adverb, logisches  → logisches Adverb Adverb, lokales  → Lokaladverb Adverb, modales  → Modaladverb Adverb, modifikatives  → modifikatives Adverb Adverb, phorisches  → phorisches Adverb Adverb, relationales  → relationales Adverb Adverb, temporales  → Temporaladverb Adverb, transitives  → transitives Adverb Adverb, unbestimmtes  → Indefinitadverb Adverb, veränderliches  → veränderliches Adverb

14 Mehrworttermini in nichtnatürlicher Reihenfolge haben als Verweiszieladresse den Mehrwortterminus in natürlicher Reihenfolge, der als Lemma angesetzt ist. 12 Mehrworttermini in nichtnatürlicher Reihenfolge haben ein Kompositum als Verweiszieladresse (z.B. Adverb, adjektivisches hat Adjektivadverb; Adverb, finales hat Finaladverb; Adverb, instrumentales hat Instrumentaladverb). Das liegt daran, dass adjektivisches Adverb, finales Adverb und instrumentales Adverb Verweislemmata sind, die als Synonym Adjektivadverb, Finaladverb bzw. Instrumentaladverb haben. Um den Benutzern, die nach Adverb, adjektivisches suchen, ein mehrfaches Nachschlagen (eine Verweisreise) über adjektivisches Adverb bis hin zu Adjektivadverb zu ersparen, wird beim Verweislemma Adverb, adjektivisches das Verweisziel Adjektivadverb angegeben, denn unter diesem Lemma findet man den zugehörigen Artikeltext. Ebenso verhält es sich mit den anderen neun Verweislemmata in (1), Adverb, interrogatives; Adverb, kausales; Adverb, komitatives; Adverb, konditionales; Adverb, konzessives; Adverb, lokales; Adverb, modales; Adverb, temporales; Adverb, unbestimmtes, die als Verweisziel­ adresse nicht den Mehrwortterminus, sondern ein Kompositum haben. Auch anhand von (2) und (3) lässt sich diese Verweispraxis demonstrieren: Fall, dritter verweist auf Dativ, Fall, erster auf Nominativ, Fall, vierter auf Akkusativ, Fall, zweiter auf Genitiv. Da Fall ein Synonym zu Kasus ist, sind auch dritter Fall, erster

21

2. Ausführliche Benutzungsanleitung

Fall, vierter Fall und zweiter Fall Verweislemmata, die auf Dativ, Nominativ, Akkusativ bzw. Genitiv verweisen (3). (2)

Fall  ≡ Kasus Fall, dritter  → Dativ Fall, erster  → Nominativ Fall, vierter  → Akkusativ Fall, zweiter  → Genitiv Fallfügeteil  ≡ Präposition Fallfügteil  ≡ Präposition

(3)

dritter Fall  ≡ Dativ erster Fall  ≡ Nominativ vierter Fall  ≡ Akkusativ zweiter Fall  ≡ Genitiv

Eine funktionale Verweisartikelteilstrecke hilft Ihnen, auf einen Blick erkennen zu können, wie viele und welche Linktypen (bzw. Lemmatypen) berücksichtigt sind, die usuell mit einem Mehrwortterminus gleichen Typs bezeichnet werden. Anhand von (2) kann man einen weiteren Verweistyp in WSK 1 erkennen. Das Verweislemma Fall ist ein Synonym zu Kasus, die Verweislemmata Fallfügeteil und Fallfügteil sind Synonyme zu Präposition. Fall findet man im Wörterbuchartikel zu Kasus in der Synonymenposition, Fallfügeteil und Fallfügteil stehen in der Synonymposition des Wörterbuchartikels zum Lemma Präposition. Auch Mehrworttermini mit Bindestrich können in der nicht-natürlichen Reihenfolge angesetzt sein.

2.2.1.2 Hinweise zum registervermittelten Zugriff Über das englisch-deutsche Register können Sie ebenso auf die Lemmata des Wörterverzeichnisses zugreifen. Möchten Sie z.B. wissen, was der englische Terminus collocationally

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 22

constrained adjective bedeutet, finden Sie im englisch-deutschen Äquivalentzugriffsregister den gleichlautenden Registereingang: collocationally constrained adjective

objektgebundenes Adjektiv

Mittels der verweisvermittelnden Registerangabe objektgebundenes Adjektiv gelangen Sie – auch wenn Sie kein Deutsch können – zum Lemma objektgebundenes Adjektiv und dem zugehörigen Wörterbuchartikel, in dem Sie anhand der deutsch- bzw. englischsprachigen lexikographischen Fachdefinition dann die Bedeutung des Terminus ermitteln können. objektgebundenes Adjektiv

Adjektiv, das in Bezug auf die Substantive, die es modifizieren kann, eingeschränkt bzw. an das vom Substantiv denotierte Objekt gebunden ist. ▲ collocationally constrained adjective: adjective whose collocational properties constrain it as to the noun and type of object it can modify.

2.2.1.3 Hinweise zum Zugriff über die Systematische Einführung Die Systematische Einführung weist zwei äußere Zugriffsstrukturen auf: Im Inhaltsverzeichnis zur Systematischen Einführung kann auf die Paginierungsreihe von WSK 1.1 sowie die Paragraphenkennzeichnungen, deren Elemente jeweils zu Beginn eines Paragraphen stehen, zugegriffen werden (vgl. S. 49). Im alphabetischen Sachregister zur Systematischen Einführung kann seitengenau auf die Paginierungsreihe zugegriffen werden (vgl. S. 113). Es enthält zentrale Termini als Registereingänge, die in der Systematischen Einführung verwendet werden und weist eine Zugriffsstruktur auf, die einen Zugriff von innen aus einem Text des WSK-Bandes kommend sowie von außen kommend ermöglicht. Die Registereinträge des alphabetischen Registers zur Systematischen Einführung haben folgende Form: funktionale Grammatik 61 funktionale Kategorie 62, 83, 94 Futur 62, 76, 106

Wenn Sie in der Systematischen Einführung nach „Futur“ suchen, so finden Sie auf den Seiten 62, 76 und 106 Informationen dazu. Das alphabetische Zugriffsregister unterstützt Ihre Orientierung innerhalb der Systematischen Einführung, die u.a. sowohl bei einer Lektüre der Einführung als auch im Zusammenhang mit Nachschlagehandlungen und wörterbuchinternen Wissensrecherchen erforderlich werden kann.

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

2.2.1.4 Hinweise zu den zugriffunterstützenden Kopfzeilen Über dem Fachwörterverzeichnis finden Sie eine lebende Kolumne, in der auf einer linken Wörterbuchseite links das erste Lemma auf der Seite und rechts die Seitenzahl genannt wird (hier mit dem Beispiellemma affirmatives Adjektiv): affirmatives Adjektiv

148

Auf einer rechten Wörterbuchseite wird links die Seitenzahl und rechts das letzte Lemma auf der Seite genannt (hier mit dem Beispiellemma Affix): 149 Affix

Die Lemmata in der lebenden Kolumne bilden eine äußere Schnellzugriffsstruktur zum Wörterverzeichnis, die von erfahrenen Wörterbuchbenutzern häufig genutzt wird, weil damit Zugriffszeiten deutlich verkürzt werden können.

2.2.1.5 Weitere Hinweise auf externe Zugriffsmöglichkeiten (1) Mit dem Inhaltsverzeichnis wird eine Seitenzahlzugriffsstruktur genannt. Mit den Seitenzahlen können Sie auf die erste Seite der jeweiligen Textkonstituenten des Wörterbuchs zugreifen. Anhand der Inhaltsverzeichniszeile 4.2

Verzeichnis der Bandnamenabkürzungen in den Verweisangaben  38

gelangen Sie z.B. auf die erste Seite des genannten Verzeichnisses, hier Seite 38. (2) Im Alphabetischen Verzeichnis der Siglen, die in den Literaturangaben verwendet werden, werden die Siglen aufgelöst, so dass Sie mit dem Zugriff auf die Siglen die Literaturangaben in den Wörterbuchartikeln vervollständigen können. (3) Das Wörterverzeichnis enthält ein reduziertes Ersatzdaumenregister. Auf jeder Seite steht zu jeder einzelnen Artikelstrecke von A bis Z auf dem Außensteg der jeweilige Anfangsbuchstabe. Unterstützt wird diese Markierung durch ein graues Rechteck, das auch am Vorderschnitt sichtbar ist. Sie können als kundiger Benutzer somit schnell über die Rechtecke auf dem Vorderschnitt auf die gesuchte Artikelstrecke zugreifen, so dass sich Ihre Nachschlagehandlung verkürzt.

2.2.2 Die Struktur der Wörterbuchartikel Die Struktur von Einzel- und Synopseartikeln ist weitgehend gleich: Nach dem Lemmazeichen folgen die deutschsprachige Definiensposition, die Äquivalentposition, die englische Definiensposition, die weiterführende Erklärung, die Position für den oder die Auto-

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 24

rennamen, die Synonymposition, die Antonymposition, die Position für Verweise und die Literaturposition (vgl. Abb. 1 zum Lemma Genus). Genus

Lemmaposition

Merkmalklasse vieler Sprachen bei allen deklinier-

deutsche Definiensangabe

baren Wortarten.

▲ gender: property of many languages in all declin-

englische Äquivalentangabe: englische Definiensangabe

able word classes.

Position für weiterführende Erklärungen

Angabe des Autorennamens Synonym(en)angabe Antonym(en)angabe Verweisposition bandintern Verweisposition WSK 1.2 Verweis auf graphemgleiches Lemma Verweis auf graphemgleiches Äquivalent Literaturposition

Abb. 1: Beispiel für einen Einzelartikel

Mit der nominalen grammatischen Kategorie des Genus (oder Kategorisierung, vgl. z.B. Eisenberg 2006, Bd. 2: 18ff.) werden Substantive im Sinne von lexikalischen Wörtern kategorisiert. Ein bestimmtes Subst. hat ein festgelegtes Genus, wobei das Dt. drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum) hat. Andere nominale Wortarten (Artikelwörter, Adjektive, Pronomen) haben kein Genus als Wortkategorie. Sie sind aber meist nach dem Genus flektierbar und können somit in allen drei Genera vorkommen. In welchem Genus sie stehen, richtet sich nach dem Subst., auf das sie sich beziehen (vgl. kleines Mädchen, das Mädchen, es [Neutrum]; roter Wagen, dieser Wagen, ein Wagen, er [Maskulinum]). Genus ist zwar eine dem Subst. inhärente Kategorie, aber es charakterisiert Sprachen hinsichtlich der Festlegung des Genus in unterschiedlichem Maße. So haben Dt. und Lat. drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum), Frz. hat zwei Genera (Maskulinum, Femininum), Niederl. und die skandinavischen Sprachen (z.B. Dän., Schwed.) ebenfalls zwei Genera [...]

Edyta Błachut ≡ Geschlecht; grammatisches Geschlecht ↔ Sexus → § 9, 15, 16; Differentialgenus; Flexionsmerkmal; Genus­de­ ter­mination; Genusmarkierung; Genusrektion; Genus­ schwan­kung; Merkmal; morphologische Kategorie; unmarkiertes Genus → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; Kongruenz ⇀ Genus (CG-Dt; HistSprw; Sprachphil; Onom) ⇁ gender (CG-Engl; Typol; Media)

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ [...] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ [...]

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

Ein Kurzartikel enthält nach dem Lemmazeichen eine deutschsprachige Definition in der Definiensposition, das englischsprachige Äquivalent zum Terminus, die englischsprachige Definition, Verweise in der Verweisposition, den oder die Autorennamen und mindestens eine Literaturangabe. In einem Polysemieartikel steht nach der Lemmaposition die Polysemieangabe, gekennzeichnet durch eine arabische Ziffer, dann die deutschsprachige Definiensposition sowie die Äquivalentposition und die englische Definiensposition zu der ersten Bedeutung des Lemmas. Danach folgt die zweite Polysemieangabe sowie zu der zweiten Bedeutung des Lemmas die deutschsprachige Definiensposition, die Äquivalentposition und die englische Definiensposition. Es folgen zur ersten Bedeutung die weiterführende Erklärung, die Position für den/die Autorennamen, die Synonymposition, die Antonymposition, die Position für Verweise und die Literaturposition. Danach stehen zur zweiten Bedeutung die weiterführende Erklärung, die Position für den/die Autorennamen, die Synonymposition, die Antonymposition, die Position für Verweise und die Literaturposition. Beispiele für Polysemartikel sind in WSK 1.1 u.a. Aktiv und Determinans. 2.2.2.1 Die Lemmaposition In der Lemmaposition steht das halbfett gesetzte Lemma, das nach links ausgezogen ist. Das mit dem Lemma genannte Lemmazeichen ist ein Einwortterminus oder ein Mehrwortterminus. Substantive werden im Nominativ Singular, Adjektive in ihrer undeklinierten Form und Verben im Infinitiv genannt. – Als Lemma sind Fachtermini wie Adjektiv, Infix, mutatives Verb, Reduplikation, Sprachform, unikales Morphem oder Vollverb angesetzt. – Fachtermini in deutscher Sprache (Eigenschaftswort, Hauptwort, Fürwort), zu denen es ein lateinisches Äquivalent gibt, sind als Verweislemma angesetzt, wenn der lateinische Terminus gebräuchlicher ist. – Ein englischsprachiger Fachterminus ist als Lemma angesetzt, wenn er gebräuchlicher ist als die deutschsprachige Übersetzung (z.B. raising verb statt Anhebungsverb) oder wenn eine deutschsprachige Übersetzung nicht existiert. – Auch Kurzwörter können als Lemma angesetzt sein. – Orthographische Varianten sind nicht als Verweislemma angesetzt (Genetiv nicht zu Genitiv). Eine orthographische Variation zu einem Lemma wird in der Position für weiterführende Erklärungen angegeben.

2.2.2.2 Definiensangabe In der Definiensangabe wird das Definiens der fachlichen Definition genannt, so dass der mit dem Lemma genannte Terminus das Definiendum ist. Der Definitor (z.B. „ist“, „ist ein/e“, „ist der“, „ist die“, „ist das“) ist aufgrund der inneren Textkondensierung getilgt.

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 26

Die Funktion der Definiensangabe besteht darin, Ihnen das fachgegenstandskonstitutive Bedeutungswissen aus der für die lexikographische Fachdefinition gewählten Perspektive zu vermitteln.

2.2.2.3 Das englische Äquivalent Der englischen Äquivalentangabe ist am Zeilenanfang eine Identifizierungsangabe vorangestellt, realisiert durch das Zeichen „▲“. Die Äquivalentangabe wird mit einem Doppelpunkt abgeschlossen. In der Äquivalentposition stehen maximal drei englische Äquivalentangaben. Es wird keine Unterscheidung zwischen britischem und amerikanischem Englisch gemacht. Wenn es für ein deutschsprachiges Lemma zwei Äquivalente gibt, von denen das eine Äquivalent im amerikanischen, das andere im britischen Englisch gebräuchlich ist, so kann dies durch die Sprachenangabe „(brit.)“ bzw. „(amerik.)“ kenntlich gemacht sein. Für die Festlegung des englischen Terminus ist die theoretische Perspektive ausschlaggebend, die für das in der deutschen Definiensposition Geschriebene eingenommen wird. Es wird also angegeben, mit welchem englischsprachigen Terminus man in einem englischsprachigen Text denjenigen Sachverhalt bezeichnen kann, der von dem deutschsprachigen Terminus benannt wird. Dabei kann nur unzureichend berücksichtigt werden, wenn der englischsprachige Terminus in einer theoretischen Auffassung zur englischen Sprache etwas anderes bedeutet. Handelt es sich bei dem Lemma in der Lemmaposition um einen englischsprachigen Terminus (z.B. raising verb), so ist in der englischen Äquivalentposition ebenso die Äquivalentangabe (hier: raising verb) eingetragen. Handelt es sich in der Lemmaposition um ein Lemma, das nicht übersetzbar ist, weil es im Englischen dafür keine Bezeichnung gibt (z.B. Dativ-e), so ist in der Äquivalentposition dieser Terminus in der Form eingetragen, wie er im Englischen benutzt wird, also dative-e. Die in der Äquivalentposition genannten englischen Äquivalente sind im alphabetischen Äquivalentzugriffsregister (vgl. Kap. 10) als Registereingänge aufgeführt.

2.2.2.4 Die englische Definiensangabe In der englischen Definiensposition steht eine englische terminologiesemantische Paraphrase, die eine Übersetzung der deutschen ist. Der Definitor (z.B. „is“, „is a“, „is an“, „is the“) ist aufgrund der inneren Textkondensierung getilgt. Die Übersetzung soll dem englischsprachigen Leser die Möglichkeit geben, das in der deutschen Definiensposition Geschriebene zu verstehen.

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

2.2.2.5 Weiterführende Erklärungen Weiterführende Erklärungen zum Lemma finden Sie in allen Einzel- und Synopseartikeln. Wenn Sie in einem Fachwörterbuchartikel die Definition sowie die englischsprachigen Angaben gelesen haben, verfügen Sie über ein grundlegendes Bedeutungswissen zu dem Terminus, der mit dem Lemmazeichen genannt ist. Mit den weiterführenden Erklärungen kann dieses Wissen vertieft und erweitert werden, weil in Abhängigkeit vom jeweiligen Typ des Terminus – die Theorie- sowie die Szenen- oder Schulenabhängigkeit des Terminus dargelegt werden – der Bezug zu anderen Termini erläutert wird – eine historische Einbettung mit Hinweis auf die Publikation, in welcher der Terminus geprägt wurde, vorgelegt wird – auf andere Gebrauchsweisen hingewiesen wird – das Gewicht des Terminus für die Entwicklung des Fachs erklärt wird – die Gegenstände und Sachverhalte, die der Terminus bezeichnet, mit natürlichsprachlichen Beispielen und/oder Abbildungen veranschaulicht werden – der Angabetext durch eindeutige Quellenangaben mit der Literaturposition vernetzt ist. Besonders mit den Synopseartikeln können Sie ihr Bedeutungswissen so vertiefen und erweitern, dass Sie terminologiesemantische Zusammenhänge und somit auch komplexe Sachzusammenhänge besser verstehen. – Im Angabetext gibt es keine Textkondensierungen, so dass die Syntax den Regeln in der deutschen Standardsprache folgt und somit stets ausformulierte Sätze gebildet sind. Es werden nur diejenigen Abkürzungen verwendet, die in den Abkürzungsverzeichnissen (vgl. Kap. 4) aufgelistet sind. In besonderen Fällen ist innerhalb des Artikeltextes für bestimmte Termini eine Abkürzung eingeführt, indem nach der ersten Nennung des Terminus die Abkürzung in einer runden Klammer und mit einem Gleichheitszeichen eingeleitet, genannt wird. So steht zu Beginn des Artikeltexts zum Lemma motivierte Wortbildung „Im Gegensatz zu Wortbildungskonstruktionen (= WBK) sind (primäre) Simplizia nicht motiviert, sondern […]“. „WBK“ wird im weiteren Verlauf des Artikeltextes als Abkürzung verwendet. – Sprachbeispiele, die in einem eigenen Textblock notiert sind, haben je eine Beispielnummer, die in runden Klammern steht. Werden an einem Sprachbeispiel Modifikationen vorgenommen, die mit einem nachfolgenden Beispiel demonstriert werden sollen, so wird die Satznummer des Ausgangssatzes beibehalten und durch „a“ (danach durch „b“, dann „c“ usw.) verändert (1). (1)



Der Professor läuft sehr langsam.

(1a) Er läuft sehr langsam.

Grammatische Labels werden in eckige Klammern („[ ]“) gesetzt und sind in der Regel durch Tieferstellung gekennzeichnet (2); am Beispielende (3) erfolgt dies nicht, um den Bezug auf den gesamten Beispieltext zu markieren.

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 28 (2) (3)

Ich habe ihn [Akkusativ] getroffen.

Er beklagt sich über seine finanzielle Situation. [pronominaler Medialmarker]



Soll innerhalb eines Sprachbeispiels eine Passage hervorgehoben werden, weil man sich im laufenden Text oder mit einer Labelung darauf bezieht, so ist diese Passage durch Unterstreichung markiert (3). Wird in einem Sprachbeispiel etwas ausgelassen, so werden für die ausgelassenen Zeichen drei Punkte verwendet, die in eckigen Klammern stehen („[…]“). Handelt es sich bei einem Sprachbeispiel um ein Zitat, so ist hinter dem Beispiel die Quelle in runden Klammern stehend angegeben. Zu Beispielen aus literarischen Texten stehen die Quellen in eckigen Klammern. – Sprachbeispiele im laufenden Artikeltext sind in Kursivschrift gesetzt und können innerhalb runder Klammern stehen (4). – Bedeutungsparaphrasierungen sind durch einfache hochgestellte Anführungszeichen (oder auch durch Kursivschrift) gekennzeichnet (4) und können in eckigen Klammern stehen (5).



(4)

Ebenfalls ein AcI-Verb ist lassen, das sowohl die kausative Bedeutung 'veranlassen' (vgl. Peter lässt [NP euch] arbeiten) als auch die permissive Bedeutung 'erlauben, zulassen, sein lassen' haben kann.

(5)

Die frische Ware ist lieferbar. ['Die frische Ware kann geliefert werden.']

Kommentare zu Beispielen oder Textpassagen stehen ebenso in eckigen Klammern (6). (6)

kommen – kommt, komme, kommen [Hinzufügen vom Flexiven]

(7)

[…] nennt Formelemente der Inhaltssubstanz Plereme (griech. pléres 'mit Inhalt füllbar') […]

– Etymologische Angaben zu einem Fachbegriff treten im laufenden Text nur auf, wenn sie unbedingt erforderlich sind (7).

– Die Ausdrücke für semantische Rollen stehen in Kapitälchen (Agens, Patiens). – Abbildungen, z.B. technische Diagramme, Strukturgraphen, Tabellen, Zeichnungen, Wörterbuchartikel, sind im laufenden Artikeltext nach einem Absatz eingebunden und enthalten eine Abbildungsunterschrift. Abbildungsunterschriften sind innerhalb eines Artikels durchnummeriert, so dass im Artikeltext punktgenau darauf verwiesen werden kann. – Eine Ausspracheangabe steht in eckigen Klammern; die Notation der Aussprache erfolgt nach dem IPA (vgl. Kapitel 6). Im Angabetext ist die Ausspracheangabe für das Lemmazeichen dort eingefügt, wo der Terminus zum ersten Mal erwähnt wird. Die Angabe wird bei denjenigen Lemmata gemacht, deren Aussprache nicht eindeutig ist (z.B. inchoative [ˈɪnkoatiːvə] Aktionsart). – Orthographische Varianten eines Lemmas stehen in runden Klammern und werden durch das Kürzel „oV“ eingeleitet. Eine orthographische Variante ist an der Stelle eingefügt, an der das Lemmazeichen zum ersten Mal erwähnt wird (8). (8)

Der Terminus Genitiv (oV: Genetiv; […]) geht [...]

– Angaben zur Morphologie sind ausschließlich bei denjenigen Lemmata vorhanden, deren morphologische Formen unregelmäßig und für Nicht-Experten nicht ermittelbar sind. Handelt es sich dabei z.B. um die unregelmäßige Pluralform eines Lemmas,

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

so ist diese bei der ersten Nennung des Lemmas im Angabetext hinter dieses in runde Klammern eingeleitet durch „Pl.“ gesetzt. Diese Angabe kommt z.B. vor bei Kompositum (Pl. Komposita) oder Pluraletantum (Pl. Pluraliatantum). Für Textpassagen, die einem Autor zugeordnet werden können (bei wörtlichen Übernahmen aus anderen Werken mit Anführungszeichen gekennzeichnet), ist die Quelle angegeben. Die benutzten Quellen sind in der Literaturposition des gleichen Wörterbuchartikels aufgeführt.

2.2.2.6 Autorenname Nach der weiterführenden Erklärung steht in einer neuen Zeile rechtsbündig der Autorenname (bzw. die Autorennamen), indem Vorname und Nachname genannt werden. Diese Positionierung soll deutlich machen, dass die Verantwortung der Autoren für den Text des Fachwörterbuchartikels bei dieser Position endet. Eine Liste aller Autoren, die an WSK 1.1 mitgewirkt haben, findet sich im Nachspann.

2.2.2.7 Synonymangaben Synonymangaben sind fakultativ. Die Synonym(en)position beginnt am Zeilenanfang mit der Identifizierungsangabe, realisiert durch das Identitätszeichen „≡“, und enthält den synonymen Terminus, wie z.B. im Artikel zum Lemma Kardinalzahlwort. ≡ Grundzahlwort

Es werden maximal fünf synonyme Termini genannt, welche dann in der Synonymenposition in alphabetischer Reihenfolge und durch Semikolon getrennt eingetragen sind, wie z.B. im Artikel zum Lemma temporaler Subjunktor. ≡ temporale Konjunktion; temporale Subjunktion

Alle Termini, die in der Synonymangabe eines Einzel- oder Synopseartikels eingetragen sind, sind auch als Verweislemma eines Verweisartikels in WSK 1.1 angesetzt (vgl. oben S. 18). Für die Festlegung eines Terminus als Synonym wird nicht von einem strengen Synonymbegriff ausgegangen; denn unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände (z.B. Autor, der den Terminus verwendet, textueller Zusammenhang, in dem der Terminus benutzt wird, linguistische Schule, in deren Zusammenhang der Terminus gebraucht wird, Ort und Land, in dem der Terminus vorkommt bzw. die jeweilige Publikation erscheint) würde man wahrscheinlich niemals Synonymbeziehungen feststellen können. Synonyme sind in WSK 1.1 also immer Quasisynonyme. Die Synonymangaben helfen Ihnen dabei, die Bedeutung des mit dem Lemma genannten Terminus zu erfassen, und ermöglichen eine Wahl bei der freien Textproduktion und bei der Anfertigung von Übersetzungen.

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 30

2.2.2.8 Antonymangaben Antonymangaben sind fakultativ. In der Antonym(en)position steht zu Anfang die Identifizierungsangabe, realisiert durch den Doppelpfeil „↔“, gefolgt von dem antonymen Terminus zum Lemma, wie z.B. in den jeweiligen Artikeln zu den Lemmata einteilige Konjunktion und kategorienerhaltendes Suffix. ↔ ↔

mehrteilige Konjunktion; paarige Konjunktion kategorienveränderndes Suffix

Es werden maximal drei Antonymangaben gemacht, die in alphabetischer Reihenfolge und durch Semikolon getrennt genannt werden. Die in dieser Position stehenden antonymen Termini sind immer als Lemma in WSK 1.1 angesetzt. Die Antonymangaben unterstützen Sie, die Bedeutung des mit dem Lemma genannten Terminus zu erfassen und einen vertieften Einblick in die terminologiesemantischen Zusammenhänge und somit auch in die Sachzusammenhänge zum Lemma zu erhalten. 2.2.2.9 Verweise In der Verweisposition finden Sie thematische Verweisbeziehungen, die je am Zeilenanfang mit einem Verweissymbol beginnen, welches Ihnen somit bei der Identifizierung der einzelnen Verweispositionen behilflich ist. (a) wörterbuchinterne umtextorientierte Verweise Die erste alphanumerische Verweisadressenangabe wird mit dem Rechtspfeil „→“ eingeleitet und ist „§ X;“, wobei mit „X“ die Paragraphennummer in der Systematischen Einführung genannt wird. Somit werden Sie anhand von „§ X“ zu dem Teil der Systematischen Einführung geführt, der thematisch zu dem als Lemma angesetzten Terminus gehört. Es können auch mehrere Paragraphennummern eingetragen sein (wie z.B. in der Verweisposition zu Kasus; vgl. (9)), aber nicht bei jedem Artikel steht ein Verweis auf die Systematische Einführung. (9) → § 9, 16, 20, 26, 28;

(b) wörterbuchinterne artikelorientierte Verweise In den Einzel-, Synopse- und Kurzartikeln ist diese Position mit mindestens einer Verweisadressenangabe besetzt. Diese ist immer wörterbuchintern und steht hinter dem Verweissymbol („→“) bzw. in der gleichen Zeile hinter der Paragraphennummer. Mit der Außenadressenangabe wird ein Terminus genannt, der als Lemma in einem Einzel-, Synopse- oder Kurzartikel in WSK 1.1 angesetzt ist. Werden mehrere Lemmata genannt, so sind diese in alphabetischer Reihenfolge und je durch ein Semikolon getrennt hintereinander aufgeführt. Im Artikel zu Resultatsplusquamperfekt finden Sie in dieser Verweisposition fünf Termini. → Perfekt; Plusquamperfekt; Präsensperfekt; resultatives Futur II; Resultatsperfekt

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

(c) bandinterne, teilbandexterne artikelorientierte Verweise Der Außenadressenangabe ist als Verweissymbol der Rechtspfeil („→”) vorangestellt. Mit der Außenadressenangabe wird ein Terminus genannt, der als Lemma in einem Einzel-, Synopse- oder Kurzartikel in WSK 1.2 (erkennbar an der Bandnamenabkürzung GramSyntax) angesetzt ist. Werden mehrere Lemmata genannt, so sind diese in alphabetischer Reihenfolge und je durch ein Semikolon getrennt hintereinander aufgeführt. Zum Lemma redeeinleitendes Verb gibt es daher die folgende Verweisposition. → Gram-Syntax: consecutio temporum; direkte Rede; indirekte Rede; indirekter Aufforderungssatz; indirekter Aussagesatz; indirekter Fragesatz

Da die Fachgebiete von WSK 1.1 (Formenlehre) und WSK 1.2 (Syntax) Teilfachgebiete zum Fachgebiet Grammatik (WSK Band 1) bilden, sind Verweisbeziehungen zwischen diesen Teilbänden etabliert. (d) bandexterne artikelorientierte Verweise auf homographe Termini Der Angabe ist am Anfang der Zeile als Verweissymbol der um die untere Pfeilspitze gekappte Pfeil „⇀“ vorangestellt. Es handelt sich um eine Außenadressenangabe, weil der genannte Terminus graphemgleich als Lemma in einem Einzel-, Synopse- oder Kurzartikel eines anderen WSK-Bands aus der deutschen Teilreihe von WSK angesetzt ist. Hinter dem Terminus steht in runden Klammern das Bandkürzel des Fachgebiets, welches in dem jeweiligen WSK-Band der Wörterbuchgegenstand ist (vgl. Abschnitt 4.2). Werden mehrere Lemmata genannt, so sind diese in alphabetischer Reihenfolge und je durch ein Semikolon getrennt hintereinander aufgeführt. Pseudosuffix Suffix, das synchron nicht mehr als solches erkennbar ist oder nur […] ⇀ Pseudosuffix (Wobi) Plural Numerus, dessen Hauptfunktion im Ausdruck der Vielheit von Entitäten besteht. […] ⇀ Plural (HistSprw; CG-Dt; SemPrag)

In der Verweisposition des Artikels zum Lemma Pseudosuffix in WSK 1.1 wird auf den Wörterbuchartikel zu Pseudosuffix verwiesen, der sich im WSK-Band Wortbildung befindet. In der Verweisposition des Artikels zum Lemma Plural in WSK 1.1 wird auf die Wörterbuchartikel zu Plural verwiesen, die sich in den WSK Bänden Historische Sprachwissenschaft, Cognitive Grammar sowie Semantik und Pragmatik befinden. Bei der Ermittlung der Homographen wird nicht zwischen Groß -und Kleinschreibung unterschieden, so dass in der Verweisposition des Lemmas diminutiv (in WSK 1.1) auch der Terminus Diminutiv eingetragen ist, der in drei weiteren WSK-Bänden als Lemma vorkommt. Mit den bandexternen Verweisen wird eine mediostrukturelle Vernetzung der WSKBände erreicht, so dass Sie einen tieferen Einblick in die Terminologie des Fachgebiets-

2. Ausführliche Benutzungsanleitung 32

verbunds Sprach- und Kommunikationswissenschaft erhalten, aber auch die Polysemie derjenigen Termini erkennen können, die in verschiedenen Fachgebieten unterschiedliche Bedeutungen haben. Dies bietet Ihnen ein Studieren, das über die Grenzen des Fachgebiets eines einzelnen WSK-Bandes hinausgeht. (e) bandexterne artikelorientierte Verweise auf die englische Teilreihe der WSK Der Angabe ist am Anfang der Zeile als Verweissymbol der um die obere Pfeilspitze gekappte Pfeil („⇁“) vorangestellt. Es handelt sich um eine Außenadressenangabe, weil der genannte Terminus als Lemma in einem Einzel-, Synopse- oder Kurzartikel eines englischsprachigen WSK-Bands angesetzt ist und graphemgleich in der Äquivalentposition des jeweiligen Artikels in WSK 1.1 steht. Hinter dem Terminus steht in runden Klammern das Bandkürzel des Fachgebiets, das in dem jeweiligen WSK-Band der Wörterbuchgegenstand ist (vgl. Abschnitt 4.2). Werden mehrere Lemmata genannt, so sind diese in alphabetischer Reihenfolge und je durch ein Semikolon getrennt hintereinander aufgeführt. Quantifikativum als selbständige Nominalphrase benutztes Pronomen, das einen Teil eines Denotatbereichs oder den ganzen Denotatbereich bezeichnet. ▲ quantifier: pronoun that is used as a single noun […] ⇁ quantifier (CG-Engl; Typol)

In der Verweisposition des Artikels zum Lemma Quantifikativum wird auf die Wörterbuchartikel zu quantifier verwiesen, die sich in den englischsprachigen WSK Bänden Cognitive Grammar und Language Typology befinden, weil in WSK 1.1 das englischsprachige Äquivalent zu Quantifikativum quantifier ist. Bei der Ermittlung der Homographie wird nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden. Mit dieser thematischen Verweisangabe erfolgt eine Vernetzung der deutsch- und englischsprachigen Fachterminologie. Die Verweisposition mit ihren fünf Verweisangabetypen trägt wesentlich dazu bei, dass WSK 1.1 die ihm zugewiesenen Funktionen auf der Artikelebene auch artikel- und wörterbuchübergreifend erfüllen kann. Dadurch wird eine spezifische Eigenschaft fachwissenschaftlichen Wissens, nämlich theorievermitteltes und damit begrifflich zusammenhängendes Wissen zu sein, fachlexikographisch hervorgehoben.

2.2.2.10 Die Literaturposition Die Literaturposition beginnt am Zeilenanfang mit einer Identifizierungsangabe, die durch das ikonische Zeichen „🕮“, das ein aufgeschlagenes Buch darstellt, realisiert wird. Die einzelnen Literaturangaben sind alphabetisch nach dem Autorennamen geordnet und durch den quadratischen Mittenpunkt „▪“ voneinander getrennt.

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2. Ausführliche Benutzungsanleitung

Die Literaturposition ist vom restlichen Artikelblock durch einen deutlich erkennbaren Textblock abgegrenzt, so dass somit die Gestaltwahrnehmung der Artikelarchitektur unterstützt wird. In den Literaturangaben ist jeder Autorenvorname abgekürzt und die Reihen- und Zeitschriftentitel sind mit einer Sigle aufgeführt. Die Auflösung der Siglen finden Sie im Verzeichnis der Siglen (s. 4.3).

3. Die Benutzung von WSK 1 als fachliches Lernwörterbuch Die bisherigen Hinweise zur Benutzung von WSK 1.1 haben sich auf die Benutzung als Konsultationswörterbuch in konfliktbedingten Situationen bezogen. Sie können das Fachwörterbuch jedoch auch systematisch als Lernwörterbuch benutzen, und zwar als (a) Einführungsbuch und (b) zur Fachwissensrecherche. (a) Wenn Sie sich in das Fachgebiet Grammatik einarbeiten möchten, können Sie die „Systematische Einführung“, die in WSK 1.1 enthalten ist, sich aber auf beide Teilbände von WSK 1 bezieht, systematisch durcharbeiten. Sie profitieren davon, dass die Termini, die in der Einführung verwendet werden, im Fachwörterbuch selbst nachgeschlagen werden können. Zudem wird am Schluss eines jeden Paragraphen auf diejenigen Wörterbuchartikel verwiesen, die geeignet sind, das im jeweiligen Paragraphen vermittelte themenspezifische Wissen zu erweitern und zu vertiefen. Mithilfe der Literaturangaben in den Wörterbuchartikeln kann das Wörterbuch zugleich als bibliographisches Hilfsmittel benutzt werden, das Sie zu weiterer jeweils themenspezifischer Literatur leitet. (b) Wenn Sie bestimmte wissenschaftliche Themen bearbeiten möchten, können Sie wörterbuchintern Fachwissensrecherchen anstellen, indem Sie eine Folge von mehreren Benutzungssituationen, die miteinander verknüpft sind, ausführen. Die Verknüpfung entsteht durch verweis- und angabemotivierte Konsultationshandlungen. Wenn Sie z.B. zum Thema „Struktur“ recherchieren, haben Sie mehrere Möglichkeiten, die Recherche durchzuführen. Die beiden wichtigsten sind die Folgenden: (i) Sie lesen zuerst den § 10 der Systematischen Einführung („Die Strukturen“) und nehmen daraufhin das Verweisangebot am Paragraphenende an (für WSK 1.1 „morphologische Struktur, Segmentierung, Wort“), indem Sie die Wörterbuchartikel zu den empfohlenen drei Lemmata nachschlagen. Sie können aber auch eine Verbindung zu WSK 1.2 knüpfen, indem Sie die weiteren 21 Termini aus WSK 1.2 dort nachschlagen. Dabei können Sie weitere verweismotivierte Konsultationshandlungen ausführen und Ihr Wissen zum Thema „Die Strukturen“ systematisch erweitern und vertiefen sowie bibliographische Daten zusammenstellen, die eine themenspezifisch wörterbuchexterne Fortsetzung der Fachwissensrecherche ermöglichen. (ii) Sie greifen zuerst extern auf das Verweislemma Struktur, morphologische zu und studieren zunächst die sich anschließende funktionale Verweisartikelteilstrecke, die aus zwei Verweisartikeln besteht: Struktur, lexikalische  → lexikalische Struktur Struktur, morphologische  → morphologische Struktur

Sie lesen jetzt den Artikel zu morphologische Struktur und finden in der Verweisposition § 10, so dass Sie den § 10 der Systematischen Einführung lesen. Sie können auch den weiteren Verweisen im Artikel folgen bzw. den Artikel zu lexikalische Struktur lesen.

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3. Die Benutzung von WSK 1 als fachliches Lernwörterbuch

Sie finden in allen Artikeln Literaturangaben, mit deren Hilfe Sie einen breiten und auch vertieften Einblick in das Thema erhalten, so dass Sie sich sehr schnell einarbeiten und somit ihr Wissen für die mündliche oder schriftliche Fachkommunikation einsetzen können. Je nach Interessenlage und Thema können Sie andere Recherchepfade und andere Folgen von Recherchepfaden wählen. Welche Typen von äußeren Zugriffspfaden dabei prinzipiell gewählt werden können, ist in Deutsch auf dem vorderen und in Englisch auf dem hinteren Vorsatzblatt in eine Übersicht gebracht.

4. Abkürzungsverzeichnisse Die Abkürzungsverzeichnisse gliedern sich in das alphabetische Verzeichnis von Abkürzungen, die in den Umtexten und Artikeltexten von WSK vorkommen (4.1), das Verzeichnis der Bandnamenabkürzungen, die in der Verweisposition angegeben werden (4.2) und das alphabetische Verzeichnis der Siglen für die Literaturangaben (4.3).

4.1 Abkürzungen In den WSK-Bänden werden die nachfolgenden allgemeinen Abkürzungen und Sprachennamenabkürzungen verwendet. Sie können auch als Zweitglieder in Komposita vorkommen. Abb. Abbildung Abk. Abkürzung ADJ Adjektiv Adj. Adjektiv ADV Adverb afr. afrikanisch ägypt. ägyptisch ahd. althochdeutsch amerik. amerikanisch alem. alemannisch aengl. altenglisch API Association Phonetique Internationale arab. arabisch ASL American Sign Language Aufl. Auflage Autorenk. Autorenkollektiv AV-Medien audiovisuelle Medien bair. bairisch bayr. bayrisch Bd., Bde. Band, Bände bearb. bearbeitet bulg. bulgarisch bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa chin. chinesisch CP complementizer phrase d.h. das heißt DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DaF Deutsch als Fremdsprache

dän. dänisch DaZ Deutsch als Zweitsprache DET Determinierer DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft Diss. Dissertation DP(n) Determinansphrase(n) dt. deutsch ed. edition ed., eds. editor, editors EDV elektronische Datenverarbeitung engl. englisch erw. erweitert et al. et alii/ et alia etc. et cetera europ. europäisch f., ff. folgend[e] fachspr. fachsprachlich FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung finn. finnisch FR Frankfurter Rundschau fries. friesisch frnhd. frühneuhochdeutsch frz. französisch FU Fremdsprachenunterricht FVG Funktionsverbgefüge g.d.w. genau dann, wenn geb. geboren gegr. gegründet geh. gehoben germ. germanisch

37 GG Generative Grammatik ggf. gegebenenfalls got. gotisch griech. griechisch H. Heft hebr. hebräisch Hg. Herausgeber hist. historisch hist.-vgl. Sprw. historisch-vergleichende Sprachwissenschaft hochdt. hochdeutsch holl. holländisch hrsg. herausgegeben i.A. im Allgemeinen i.e.S. im engeren Sinn i.w.S. im weiteren Sinn ide. indoeuropäisch idg. indogermanisch IDS Institut für Deutsche Sprache Indef.pron. Indefinitpronomen IP inflection phrase IPA International Phonetic Association IPA Internationales Phonetisches Alphabet isl. isländisch ital. italienisch jap. japanisch Jg. Jahrgang Jh(s). Jahrhundert(s) jidd. jiddisch jmd. jemand jmdm. jemandem jmdn. jemanden jmds. jemandes KI Künstliche Intelligenz korr. korrigiert L1 Muttersprache L2 Fremdsprache Lat. Latein, Lateinisch lat. lateinisch LDV Linguistische Datenverarbeitung Ling. Linguistik ling. linguistisch Lit. Literatur Lit.wiss. Literaturwissenschaft luxemb. luxemburgisch m.a.W. mit anderen Worten

4. Abkürzungsverzeichnisse Mannh. Morgen Mannheimer Morgen mdt. mitteldeutsch mengl. mittelenglisch mhd. mittelhochdeutsch Mio. Million MIT Massachusetts Institute of Technology mlat. mittellateinisch Ms., Mss. Manuskript, Manuskripte N Nomen Nat.wiss. Naturwissenschaft[en] n. Chr. nach Christus ndt. niederdeutsch ngriech. neugriechisch nhd. neuhochdeutsch niederl. niederländisch nlat. neulateinisch nordd. norddeutsch nordgerm. nordgermanisch norw. norwegisch NP(n) Nominalphrase(n) o.Ä. oder Ähnliche[s] obdt. oberdeutsch ON Ortsname ostd. ostdeutsch österr. österreichisch ostgerm. ostgermanisch ostmdt. ostmitteldeutsch P Präposition Perf. Perfekt Pers. Person Philos. Philosophie philos. philosophisch Pl. Plural Plq.perf. Plusquamperfekt PN Personenname poln. polnisch port. portugiesisch PP(n) Präpositionalphrase(n) Präp. Präposition Präs. Präsens Prät. Präteritum Pron. Pronomen rätoroman. rätoromanisch refl. reflexiv röm. römisch roman. romanisch rum. rumänisch russ. russisch

4. Abkürzungsverzeichnisse 38 S Satz S. Seite s. siehe s.o. siehe oben s.u. siehe unten sächs. sächsisch schriftspr. schriftsprachlich schwäb. schwäbisch schwed. schwedisch schweiz. schweizerisch SFB Sonderforschungsbereich Sg. Singular slaw. slawisch sog. so genannt, sogenannt SOV Subjekt-Objekt-Verb(-Stellung) span. spanisch spätlat. spätlateinisch spätmhd. spätmittelhochdeutsch Sprw. Sprachwissenschaft sprw. sprachwissenschaftlich standardspr. standardsprachlich sth. stimmhaft stl. stimmlos Subst. Substantiv südd. süddeutsch südwestd. südwestdeutsch SVO Subjekt-Verb-Objekt(-Stellung) SZ Süddeutsche Zeitung

Tab. Tabelle thür. thüringisch tschech. tschechisch türk. türkisch u.Ä. und Ähnliche[s] u.a. unter anderen/m; und andere u.v.a. und viele[s] andere überarb. überarbeitet übers. übersetzt ugs. umgangssprachlich ung. ungarisch urspr. ursprünglich usw. und so weiter V Verb v. Chr. vor Christus verbess. verbessert verm. vermehrt veröff. veröffentlicht vgl. vergleiche VP(n) Verbalphrase(n) vs. versus VSO Verb-Subjekt-Objekt(-Stellung) Wb., Wbb. Wörterbuch, Wörterbücher westd. westdeutsch westgerm. westgermanisch z.B. zum Beispiel z.T. zum Teil

4.2 Verzeichnis der Bandnamenabkürzungen in den Verweisangaben In der Verweisposition werden bei den bandexternen artikelorientierten Verweisen auf homographe Termini und bei den bandexternen artikelorientierten Verweisen auf die englische Teilreihe der WSK die Fachgebiete (WSK-Bandnamen) angegeben. Für diese werden die folgenden Kürzel verwendet. Gram-Formen Gram-Syntax Wobi HistSprw Phon-Dt Schrling TextlingDisk

Grammatik. Formenlehre Grammatik. Syntax Wortbildung Historische Sprachwissenschaft Phonetik und Phonologie Schriftlinguistik Textlinguistik, Stilistik und Diskurslinguistik

Dial QL-Dt Lexik CG-Dt Sprachphil Sprachdid

Dialektologie Quantitative und Formale Linguistik Lexikologie und Phraseologie Cognitive Grammar-Deutsch Sprachphilosophie Sprachdidaktik: Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache

39 Onom Woform Phon-Engl TheoMethods

4. Abkürzungsverzeichnisse Onomastik Word Formation Phonetics and Phonology Theories and Methods in Linguistics

Typol CG-Engl Media

Language Typology Cognitive Grammar-English Media Studies

4.3 Verzeichnis der Siglen in den Literaturangaben In der Literaturposition der Wörterbuchartikel werden Zeitschriftentitel, Reihentitel und Jahrbücher mittels Abkürzungen bzw. Siglen angegeben. Die folgende Übersicht enthält in der ersten Spalte in alphabetischer Reihenfolge die in WSK 1.1 vorkommenden Siglen und in der zweiten Spalte die Zeitschriften- und Reihentitel mit Angabe des Erscheinungsorts. ActAAb ActUniCar ActUniLFG AlNedTsWPsy Analysis ASpran ASprw BGeschDtSprLit-H BGeschSprw BldtPhil BoBS BudBG CaGRAL CahChronos CamStLing CamTbLing CJPhil CL CogniT-onl CognLing CognLingR CognSc Conv CurrStLing DaF DaZ Diachr Dictionaries DiK

Acta Academiae Aboensis. Serie A. Humaniora. Åbo Acta Universitatis Carolinae, Philologica, Monographia. Praha Acta Universitatis Lodziensis. Folia Germanica. Łódź Algemeen Nederlands Tijdschrift voor Wijsbegeerte en Psychologie Analysis. Oxford Arbeiten zur Sprachanalyse. Frankfurt/Main [etc.] Angewandte Sprachwissenschaft. Frankfurt/Main [etc.] Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Halle/Saale Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft. Münster Blätter für deutsche Philosophie. Berlin Bochumer Beiträge zur Semiotik. Aachen Budapester Beiträge zur Germanistik. Budapest Case and Grammatical Relations Across Languages. Amsterdam [etc.] Cahiers Chronos. Amsterdam Cambridge Studies in Linguistics. Cambridge Cambridge Textbooks in Linguistics. Cambridge Canadian Journal of Philosophy. New York, NY Computational linguistics. Cambridge, MA CogniTextes. Tours. Association Française de Linguistique Cognitive (AFLiCo) [OnlineRessource] Cognitive linguistics. Berlin Cognitive Linguistics Research. Berlin [etc.] Cognitive science. New York, NY Convivium. Germanistisches Jahrbuch Polen. Bonn: Deutscher Akademischer Austauschdienst Current Studies in Linguistics. Cambridge, MA Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. Berlin Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler Diachronica. Amsterdam Dictionaries. Journal of the Dictionary Society of North America. Cleveland, OH Deutsch im Kontrast. Tübingen

4. Abkürzungsverzeichnisse 40 Diogenes DP DS EinfTheol EstFilAlem Eurog FidgnomStamm Fokus FoL FoLg FunGrS GBib GermLbs GermLbs-Berlin GL Glotta GMit GöGDissreihe GöppArbG GrdlG GrLSt HEL Hist-filM HistSpr HSK IdgBib IdgF IJL Interface InterfE Interpreting IP JanLing-Maior-H JanLing-Minor-H JBiblicalLit JbIdS JbUG JCognNeuroSc JCompGermLing JCompGermLing JLing JSem KBGL KEinfgL Kod KSL

Diogenes. London Discourse processes. Mahwah, NJ Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie, Analyse und Dokumentation. Berlin Einführungen Theologie. Berlin [etc.] Estudios Filológicos Alemanes. Sevilla Eurogermanistik – europäische Studien zur deutschen Sprache. Tübingen Forschungen im Gebiete der indogermanischen nominalen Stammbildung. Jena FOKUS. Trier Folia Linguistica. Acta Societatis Linguisticae Europaeae. Berlin Foundations of Language. Dordrecht Functional Grammar Series. Berlin [etc.] (vorher: Dordrecht) Germanistische Bibliothek. Heidelberg Germanistische Lehrbuchsammlung. Bern [etc.] Germanistische Lehrbuchsammlung. Berlin Germanistische Linguistik. Hildesheim Glotta. Zeitschrift für griechische und lateinische Sprache. Göttingen Germanistische Mitteilungen. Zeitschrift für Deutsche Sprache, Literatur und Kultur in Wissenschaft und Praxis. Brüssel: Belgischer Germanisten- und Deutschlehrerverband Göteborger Germanistische Dissertationsreihe. Göteborg Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Göppingen Grundlagen der Germanistik. Eine Handbuchreihe. Berlin [etc.] Grazer Linguistische Studien. Graz Histoire, épistémologie, langage. Saint-Denis Historisk-filologiske Meddelelser. Kopenhagen Historische Sprachforschung. Historical Linguistics. Göttingen Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Berlin Indogermanische Bibliothek, Dritte Reihe: Untersuchungen. Heidelberg Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für indogermanische Sprach- und Altertumskunde. Berlin International Journal of Lexicography. Oxford Interface. Brüssel: Vlaamse Economische Hogeschool, Departement Vertalers-Tolken Interface explorations. Berlin [etc.] Interpreting. International Journal of Research and Practice in Interpreting. Amsterdam Institut für Phonetik der Universität Köln, Berichte. Köln Janua Linguarum. Series Maior. The Hague [etc.] Janua Linguarum. Series Minor. The Hague [etc.] Journal of Biblical Literature. Atlanta, GA Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache. Berlin [etc.] (vorher: Düsseldorf) Jahrbuch der ungarischen Germanistik. Budapest: Gesellschaft Ungarischer Germanisten Journal of Cognitive Neuroscience. Cambridge, MA Journal of Comparative Germanic Linguistics. Dordrecht Journal of Comparative Germanic Linguistics. Dordrecht Journal of Linguistics. London Journal of Semantics. An International Journal for the Interdisciplinary Study of the Semantics of Natural Language. Oxford Kopenhagener Beiträge zur Germanistischen Linguistik. Kopenhagen Kurze Einführungen in die germanistische Linguistik. Heidelberg Kodikas/Code. An international journal of semiotics. Tübingen Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft. Tübingen

41 LA Later LB LecNCSc Lg LGF LgLing LgSc LgUS LgWo LgWo LiLi LINCOM LinD Ling Lingakt LingEx LingI&T LingInqu LingInquMonogr LingPhil LingRev LingTyp Lingua Linguistik-onl Linguistique LinHistGram Lit LR LSt MA Mel

MentLex Mind MITWPLing Morph Mutterspr Neoph NLg&LingT NLgP-B NLgSem

4. Abkürzungsverzeichnisse Linguistische Arbeiten. Tübingen Laterality. Hove Linguistische Berichte. Braunschweig Lecture Notes in Computer Science. Berlin [etc.] Language. Journal of the Linguistic Society of America. Baltimore, MD Lunder germanistische Forschungen. Malmö Language and Linguistics. Amsterdam Language Sciences. Oxford Language Universals Series. Tübingen Languages of the World: Materials. München Languages of the World: Materials. München Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Stuttgart LINCOM Studies in Theoretical Linguistics. Unterschleißheim [etc.] Lingua. Deutsch. Budapest: Universität für Wirtschaftswissenschaften. Zentrum für Sprachforschung und -lehre Linguistics. An Interdisciplinary Journal of the Language Sciences. Berlin [etc.] Linguistik aktuell. Amsterdam Linguistik fürs Examen. Wiesbaden Linguistik – Impulse & Tendenzen. Berlin Linguistic Inquiry. Cambridge, MA Linguistic Inquiry Monographs. Cambridge, MA Linguistics and Philosophy. A Journal of Natural Language Syntax, Semantics, Logic, Pragmatics and Processing. Dordrecht The Linguistic Review. Berlin Linguistic Typology. Berlin Lingua. International Review of General Linguistics. Amsterdam Linguistik online. Frankfurt/Oder: Universität Frankfurt/Oder, Kulturwissenschaftliche Fakultät [Online-Ressource] La Linguistique. Revue de la Société Internationale de Linguistique Fonctionnelle. Journal of the International Society for Functional Linguistics. Paris Lingua Historica Grammatica. Berlin Lituanus. The Lithuanian Quarterly. Brooklyn, NY Linguistische Reihe. München Linguistische Studien, Reihe A. Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Sprachwissenschaft Le Moyen – Age. Revue d’histoire et de philologie. Paris Mélanges. Centre de Recherches et d’ Applications Pedagogiques en Langues. Nancy: Université Nancy II, Centre de Recherches et d’ Applications Pedagogiques en Langues (C.R.A.P.E.L.) The Mental Lexicon. Amsterdam [etc.] Mind. A Quarterly Review of Philosophy. Oxford MIT Working Papers in Linguistics. Cambridge, MA: Massachussetts Institute of Technology (MIT), Department of Linguistics Morphology. Dordrecht [etc.] Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Berlin Neophilologica. Katowice: Uniwersytet Sląski Natural Language and Linguistic Theory. Dordrecht [etc.] Natural Language Processing. Berlin [etc.] Natural language semantics. Dordrecht

4. Abkürzungsverzeichnisse 42 NphMit OBST On Orbis PädR PAmEthnSo Paragrana PAristSoc PBerkLingSo PCLS Ph Phonology PLabPhon PLingCP Poet-A Poetics PosBG Prob PStGerm PsyRev PsyRundschau PzLing QUlatPhMa RArh Recherche RegBSL-B RGL RLing Romania RSprG RTTheo S&P SchIDS SchLing SciAm ScrOr SdG SG SkGrgermD-A SkGrgermD-B SlovgermSt SlYb Sprachdienst

Neuphilologische Mitteilungen. Bulletin de la Société Néophilologique de Helsinki. Helsinki Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie. Osnabrück: Universität Osnabrück Onoma. Bibliographical and Information bulletin. International Committee of Onomastic Sciences. Bulletin d’information et de bibliographie. Louvain Orbis. Bulletin international de documentation Linguistique. Louvain Pädagogische Revue. Zürich Publications of the American Ethnological Society. New York, NY Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Berlin Proceedings of the Aristotelian Society. London Proceedings of the Annual Meeting of the Berkeley Linguistics Society. Berkeley, CA Proceedings of the Chicago Linguistic Society. Chicago, IL Philologia. Sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Hamburg Phonology. Cambridge Papers in Laboratory Phonology. Cambridge Prague Linguistic Circle Papers. Travaux du Cercle Linguistique de Prague nouvelle série. Amsterdam Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft. Amsterdam Poetics. International Review for the Theory of Literature. The Hague Posener Beiträge zur Germanistik. Frankfurt/Main Probus. International Journal of Latin und Romance Linguistics. Berlin Pécser Studien zur Germanistik. Wien Psychological Review. Washington, DC: American Psychological Association Psychologische Rundschau. Göttingen Papiere zur Linguistik. Tübingen Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters. Stuttgart Romanistische Arbeitshefte. Tübingen La Recherche. Paris Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Frankfurt/Main [etc.] Reihe Germanistische Linguistik. Tübingen Rivista di linguistica. Italian Journal of Linguistics. Pisa [etc.] Romania. Revue Trimestrielle Consacrée à l’étude des Langues et des Littératures Romanes. Paris Reihe Sprache und Gesellschaft. Berlin Research in text theory. Berlin [etc.] Sprache und Pragmatik. Arbeitsberichte. Lund: Germanistisches Institut der Universität Schriften des Instituts für Deutsche Sprache. Berlin Schriften zur Linguistik. Braunschweig Scientific American. New York, NY: Scientific American Incorporation ScriptOralia. Tübingen Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. Düsseldorf Sprache und Geschichte. Stuttgart Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, A: Hauptreihe. Tübingen Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, B: Ergänzungsreihe. Tübingen Slovenske germanistične študije. Ljubljana Slavonic year-book. American series. Menasha, WI Der Sprachdienst. Wiesbaden

43 Sprache Sprachpflege sprechen StbiblioSprw StDG StDiversLing StDtSp StGerm StGermP StGram StIactSocLing StL StLg StLgCompS StLing StLingGerm StNLg&LingT StPragm StTheoLing StTyp Style SuGL SuoTiT SynSem Syntax SynthLgLib System TBL TCLing-C TCLing-P Text TheoLing TLingStM TypStLg Übers Univ UTB UTexBull Verba Verbum VIdSpLit WF WI WLg Word Wort

4. Abkürzungsverzeichnisse Die Sprache. Zeitschrift für Sprachwissenschaft. Wien Sprachpflege. Zeitschrift für gutes Deutsch. Leipzig sprechen. Heidelberg Studienbibliographien Sprachwissenschaft. Heidelberg Studien zur Deutschen Grammatik. Tübingen Studies in Diversity Linguistics. Berlin Studien zur deutschen Sprache. Tübingen Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis. Wien Studia Germanica Posnaniensia. Poznan Studia Grammatica. Berlin Studies in interactional sociolinguistics. Cambridge Studia linguistica. A Journal of General Linguistics. Oxford [etc.] Studies in language. Amsterdam Studies in Language Companion Series. Amsterdam Studia Linguistica. Acta Universitatis Wratislaviensis. Bratislava Studia Linguistica Germanica. Berlin Studies in Natural Language and Linguistic Theory. Dordrecht [etc.] Studies in Pragmatics. Amsterdam [etc.] Studien zur theoretischen Linguistik. München Studia Typologica. Berlin Style. DeKalb, IL: Northern Illinois University, Department of English Sprachtheorie und Germanistische Linguistik. Münster [etc.] Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia. Annales Academiae Scientiarum Fennicae. Series B. Helsinki Syntax and Semantics. New York, NY Syntax. Oxford Synthese Language Library. Dordrecht [etc.] System. Oxford Tübinger Beiträge zur Linguistik. Tübingen Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague. Kopenhagen Travaux du Cercle Linguistique de Prague. Prague Text. Berlin Theoretical Linguistics. Berlin Trends in Linguistics. Studies and Monographs. Berlin Typological Studies in Language. Amsterdam [etc.] Übersetzen. München: IG Medien Universitas. Stuttgart Uni-Taschenbücher. Stuttgart University of Texas Bulletin. Austin Verba. Annuario Gallego de Filoloxia. Santiago de Compostela Verbum. Revue de linguistique publiée par l’Université de Nancy II. Nancy Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur. Berlin Wege der Forschung. Darmstadt Word and image. London Women and language. Fairfax, VA.: George Mason University, Communication Department Word. Journal of the International Linguistic Association. New York, NY Das Wort. Germanistisches Jahrbuch. Moskva: Deutscher Akademischer Austauschdienst DAAD

4. Abkürzungsverzeichnisse 44 WPLing-C WüelsprwAr WW ZAA ZASPLing ZDL Zeichen ZfAL ZfdPh ZfG ZfÖGymn ZfPhphKr ZfPhphKr-NF ZfRomPh ZfS ZfvglSprf ZfVölkerpsySprw ZGL ZPSK ZS ZVPolnG

Working papers in linguistics. Columbus, OH: Ohio State University, Department of Linguistics Würzburger elektronische sprachwissenschaftliche Arbeiten. Würzburg Wirkendes Wort. Deutsche Sprache in Forschung und Lehre. Bonn Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik. Tübingen ZAS papers in linguistics. Berlin: Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft, Sprachtypologie und Universalienforschung Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Stuttgart Das Zeichen. Hamburg Zeitschrift für Angewandte Linguistik. Frankfurt/Main [etc.] Zeitschrift für deutsche Philologie. Berlin Zeitschrift für Germanistik. Berlin Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Halle/Saale Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Neue Folge. Halle/Saale Zeitschrift für romanische Philologie. Tübingen Zeitschrift für Semiotik. Tübingen Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen. Berlin Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin Zeitschrift für germanistische Linguistik. Berlin Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung. Berlin Zeitschrift für Sprachwissenschaft. Göttingen Zeitschrift des Verbandes Polnischer Germanisten. Krakau

5. Verzeichnis der Symbole Das Verzeichnis enthält diejenigen Symbole, die in den WSK benutzt werden. Das Verzeichnis ist sachlich gegliedert, nach (a) sprachwissenschaftlichen Symbolen, (b) logischen und mathematischen Symbolen, (c) Symbolen, die als Strukturanzeiger dienen. Nach dem Symbol folgt die Bezeichnung, wobei angegeben wird, wie ein Symbol zu lesen ist bzw. wie dessen Funktion ist. Dahinter steht ein Beispiel. (a) sprachwissenschaftliche Symbole # * / … / ( … ) [ … ]

{ … }

< ... > Ø < > → ↛ ⇒ ā /

Grenzsymbol für Satz, Wort oder Morphem Asterisk für ungrammatische Ausdrücke – rekonstruierte Form Schrägstriche: phonologische Einheit(en) fakultatives Element eckige Klammern für phonetische Einheit(en) – Merkmal – Dominanzrelation – Kommentare zum Inhalt geschweifte Klammern für – morphologische Einheit(en) – alternatives Vorkommen / alternative Regelanwendung spitze Klammern für Wiedergabe der geschriebenen, graph(emat)ischen Form Nullelement / Nullallomorph Kleiner-Zeichen Größer-Zeichen einfacher Pfeil für Konstituenz, Ableitungsregeln – Ableitungen (Wortbildung) einfacher, durchgestrichener Pfeil für fehlerhafte Ableitung doppelter Pfeil für Transformation Makron: langer Vokal Schrägstrich

#Wort#; Ge#tu#e *Peter lügen. idg. *bheu/ʃ/ Wort(e)s [ʃ], [ʤ] [±gespannt]; [-belebt]; [+sth] [V, NP]VP er [deiktisch] {geb} {Singular, Plural}

Pl.: Lehrer + Ø a < b: a entsteht aus b a > b: b entsteht aus a VP → V NP: Konstituente VP wird zerlegt in V und NP Tropen → tropisch groß ↛ *Großheit

A ⇒ B: Konstituente A wird transformiert in B ā, ē, ū usw. a/b sind alternative Ausdrücke

(b) logische und mathematische Symbole

¬, ~, − Negation ∃ Existenzquantor ∀ Allquantor / Alloperator ∩, ∧ Konjunktion ∪, ∨ Disjunktion a → b; a ⊃ b einfach gerichteter Pfeil; Hufeisen ⇔; ↔ bikonditional (auch: Äquivalenz) { … } geschweifte Klammer

es gibt wenigstens ein x, für das gilt ... für alle x gilt ... q ∧ p (zu lesen wie und) q ∨ p (zu lesen wie oder) materiale Implikation; zu lesen: wenn, dann p ⇔ q; zu lesen wie genau dann, wenn Menge

5. Verzeichnis der Symbole 46 ∈ Elementbeziehung + Verkettungszeichen < Kleiner-Zeichen > Größer-Zeichen ≤ Kleiner-Gleich-Zeichen ≥ Größer-Gleich-Zeichen ∞ unendlich (im mathematischen Sinn) ≡ Äquivalenz ≢ Nicht-Äquivalenz, Disjunktion

(c) Strukturanzeiger

≡ ↔ → ⇁ ⇀

 ▲ ▪

x ∈ M1; zu lesen wie: ist Element von ver + bind + en a < b; zu lesen: a kleiner als b a > b; zu lesen: a größer als b a ≤ b; zu lesen: a kleiner oder gleich b a ≥ b; zu lesen: a größer oder gleich b a ≡ b; zu lesen: „genau dann, wenn“ a≢b

Verweisidentifizierungsangabe in der Synonymposition Verweisidentifizierungsangabe in der Antonymposition Verweisidentifizierungsangabe in der Verweisposition Verweisidentifizierungsangabe in der Verweisposition für einen Verweis auf die englischsprachige Teilreihe Verweisidentifizierungsangabe in der Verweisposition für einen Verweis auf die deutschsprachige Teilreihe Verweisidentifizierungsangabe in der Literaturposition Verweisidentifizierungsangabe in der Äquivalentposition Mittenpunkt zur Trennung der Literaturangaben in der Literaturposition

6. Übersicht für die phonetische Umschrift Für die Transkription werden die phonetischen Symbole in Spalte 1 bzw. 4 verwendet, es folgt ein Beispiel in Kursivschrift (Spalte 2 bzw. 5) und in eckigen Klammern die Transkription für das Beispiel (Spalte 3 bzw. 6). a aː ɐ ɐ̯ ã ãː aɪ̯ aʊ̯ b ç d ʤ e eː ɛ ɛː ɛ ̃ ε ̃ː eɪ ə f g h i iː i̯ ɪ j k l l̩ m m̩ n

platt Adler Mutter leer engagieren Balance weil Maut bin mich du Ginger Etappe See Lende Ähre Interieur Satin Aids Lage Fenster gut Hut Rudiment sie Podium Lippe ja kommen Latte Nebel Kamm großem Nest

[plat] ['aːdlɐ] ['mʊtɐ] [leːɐ̯] [ãga'ʒiːrən] [ba'lãːs, ba'lãːsə] [vaɪ̯ l] [maʊ̯t] [bɪn] [mɪç] [duː] ['ʤɪnʤɐ] [e'tapə] [zeː] ['lɛndə] ['ɛːrə] [ɛ ̃te'ri̯ øːɐ̯] [za'tε ̃ː] [eɪdz] ['la:gə] ['fɛnstɐ] [gu:t] [huːt] [rudi’mɛnt] [ziː] ['poːdi̯ ʊm] ['lɪpə] [jaː] ['kɔmən] ['latə] ['neːbl̩ ] [kam] ['groːsm̩] [nɛst]

n̩ ŋ o oː o̯ õ õː ɔ ø øː œ œ̃ ː oʊ ɔɪ̯ p r s ʃ t ts tʃ θ u uː u̯ ʊ v x yː ў ʏ z ʒ

reden lang, hängen Forelle tot Toilette Fondue Fonds Amboss ökonomisch hören Nörgelei Parfum Show heute Pass Rast Fuß Schuss Tee Zahl, Benzin Tscheche Thriller kulant Mut aktuell Rum Vokal, Wasser ach Hüte Nuance Hütte Hase Manege

['reːdn̩] [laŋ, 'hɛŋən] [fo'rɛlə] [toːt] [to̯a'lɛtə] [fõ'dyː] [fõː] ['ambɔs] [øko'noːmɪʃ] ['høːrən] [nœrgə'laɪ̯ ] [par'fœ̃ ː] [ʃoʊ] ['hɔɪ̯ tə] [pas] [rast] [fuːs] [ʃʊs] [teː] [tsa:l, bɛn'tsiːn] ['tʃɛçə] ['θrɪlɐ] [ku'lant] [muːt] [ak'tu̯ɛl] [rʊm] [vo'kaːl, 'vasɐ] [ax] ['hyːtə] ['nўãːs(ə)] ['hʏtə] ['haːzə] [ma'neːʒə]

7. Systematische Einführung zur Grammatik Vorbemerkung  49 1. Was versteht man unter Grammatik?  50 § 1 Der Terminus Grammatik  50 § 2 Historische Ableitung des Terminus  55 § 3 Grammatik im WSK-Band 1  57 2. Möglichkeiten der Typisierung von Grammatiken  58 § 4 Diachrone und synchrone Grammatiken  58 § 5 Präskriptive/normative und deskriptive Grammatiken  59 § 6 Einzelsprachliche, vergleichende und universale Grammatiken  59 § 7 Wissenschaftliche/ linguistische Grammatiken und Gebrauchsgrammatiken  60 3. Grundbegriffe der Grammatik  61 § 8 Form und Funktion  61 § 9 Die Kategorien  61 § 10 Die Strukturen  62 § 11 Die Relationen  64 § 12 Grammatikalität und Akzeptabilität  66 § 13 Regeln  67 § 14 Testverfahren  69 4. Grammatik als System  71 § 15 Das Wort  71 § 16 Flexion  73

§ 17 Satz  78 § 18 Phrase  83 § 19 Syntaktische Funktionen  84 § 20 Valenz  86 § 21 Konstituenten- und Dependenzstruktur  89 5. Grammatik als Theorie  90 § 22 Traditionelle Grammatik  90 § 23 Phrasenstrukturgrammatik  91 § 24 Generative Grammatik  93 § 25 Dependenzgrammatik  96 § 26 Lexical Functional Grammar  97 § 27 Optimalitätstheorie  98 § 28 Kasusgrammatik  100 6. Grammatik als Handbuch  101 § 29 Grammatik, Grammatikographie, Grammatikunterricht  101 7. Grammatik und angrenzende Disziplinen  103 § 30 Die Lautlehre  103 § 31 Die Wortbildung  104 § 32 Die Textgrammatik  105 § 33 Die Pragmatik / Pragmalinguistik  107 § 34 Die Orthographie  108 8. Literatur  110 9. Alphabetisches Sachregister zur Systematischen Einführung  113

Vorbemerkung Die von den beiden Herausgebern verfasste Systematische Einführung in die Grammatik bezieht sich auf beide Teilbände, auf die Formenlehre (WSK 1.1) und die Syntax (WSK 1.2), und ist der zentrale Teil der Lernkomponente dieses Fachwörterbuchs. Die Einführung ist auf der Basis der Wörterbuchartikeltexte in beiden Teilbänden geschrieben. Dabei liegt der inhaltliche Schwerpunkt auf der deutschen Sprache. Am Ende aller 34 Paragraphen findet man Verweisungen auf Wörterbuchartikel, die die Ausführungen in den Paragraphentexten erweitern und vertiefen. In den Artikeln ist die zugehörige Fachliteratur aufgeführt, und es wird auf weitere Artikel verwiesen. Diese Struktur der Wörterbuchtexte und deren Vernetzung ermöglicht systematische wörterbuchinterne Fachwissensrecherchen und das Studium von jeweils zusammenhängenden Ausschnitten der Terminologie zur Grammatik.

7. Systematische Einführung zur Grammatik 50

1. Was versteht man unter Grammatik? § 1 Der Terminus Grammatik In der Sprachwissenschaft wird der Terminus Grammatik in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Eine allgemein akzeptierte Definition kann es schon wegen des theorieabhängigen Begriffs der Grammatik kaum geben. Vor allem in Gebrauchsgrammatiken ist eine Selbstdefinition bzw. Definition des Beschreibungsgegenstands Grammatik eher die Ausnahme. In der linguistischen Fachliteratur finden sich schon eher Grammatikdefinitionen, u.a. solche, die von den Autoren der Grammatikbücher stammen. In der Duden-Grammatik (2016) wird „Grammatik“ als ein Grammatikbuch verstanden, wenn es heißt, dass die Dudengrammatik zur „Vertiefung und Erweiterung des Wissens über das Gegenwartsdeutsche“ beitragen will, indem „systematisch das Sprachsystem, seine Struktur, Bedeutung und Verwendung“ beschrieben werden. Es wird der „heutige Stand des Wissens über Formen und Funktionen der deutschen Standardsprache in einheitlicher und verständlicher Terminologie gebündelt und beschrieben.“ Die Grammatik ist „für den Einsatz an Schulen und Universitäten bestimmt“ und richtet sich „als praktischer Helfer an Nutzer, die sich in ihrem Berufsalltag viel mit der deutschen Sprache beschäftigen oder ein persönliches Interesse an sprachlichen Fragen haben“ (Duden 2016: 5). Der Terminus Grammatik wird nicht eigens definiert; es liegt eine relativ weite Auffassung des Begriffs vor, weil die aufgenommenen Bereiche neben „Phonem und Graphem“, „Intonation“, „Wortbildung“ auch die Formenlehre, die Syntax auf Satzebene, der „Text“ und die „Gesprochene Sprache“ sind (Duden 2016: 7ff.). Lediglich im Kapitel „Grammatik gesprochener Sprache“ findet man Genaueres: „Grammatik beschäftigt sich mit den Einheiten einer Sprache.“ Es seien drei Aufgaben zu bearbeiten; die Beschreibung (a) der grundlegenden Einheiten der Sprache, (b) der Regularitäten des Aufbaus der Einheiten und (c) der Möglichkeiten der Verknüpfung von Einheiten (Duden 2016: 1181). In der Grammatik von Gerhard Helbig und Joachim Buscha (1986; 2013), einem „Handbuch für den Ausländerunterricht“, wird Grammatik nicht definiert, aber beide Autoren problematisieren den Begriff in fachwissenschaftlichen Arbeiten (vgl. u.a. Helbig 1988; 1992; 2001b; Buscha 1995). Helbig (1992) thematisiert die Mehrdeutigkeit des Terminus und gibt eine detaillierte Typologie der Grammatiken als grammatikographische Werke. Grammatik hat demnach grundsätzlich drei Bedeutungen: (1) „das dem Objekt Sprache selbst innewohnende Regelsystem, unabhängig von dessen Erkenntnis/ Beschreibung von der Linguistik und von dessen Beherrschung durch den Sprecher“; (2) „die wissenschaftlich-linguistische Beschreibung des der Sprache innewohnenden Regelsystems“; (3) „das dem Sprecher und Hörer interne Regelsystem, das sich im Kopf des Lernenden beim Spracherwerb herausbildet, auf Grund dessen dieser die betreffende Sprache beherrscht“ (Helbig 1992: 135; Helbig 2001a: 220). Im Weiteren wird aufgrund eines „zweiten Bezugssystems“, das vor allem „das Verhältnis von Grammatik und Lexik(on)“ umfasst, eine andere Bedeutungsdifferenzierung vorgenommen, die zu einer Zweiteilung jeder der oben angegebenen Bedeutungen führt: Grammatik im engeren Sinne bzw.

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1. Was versteht man unter Grammatik?

Grammatik im weiteren Sinne. Erstere „als Lehre von den morphologischen und syntaktischen Regularitäten“ enthält nur Morphologie und Syntax, Letztere „als Abbildung des gesamten Sprachsystems“ umfasst „auch Phonetik/Phonologie, Lexik und Semantik, d.h. alles das, was die Zuordnung von Laut- und Bedeutungsseite betrifft“ (Helbig 1992: 136). Die Einschränkung des Begriffs bei der Grammatik i.e.S. auf Morphologie und Syntax kann sich nicht nur auf den Inhalt der Grammatikbücher (Grammatik (2, s.o.)), sondern auch auf das Regelsystem im Sinne von Grammatik (1) und auf das interne Regelsystem beim Sprecher und Hörer im Sinne von Grammatik (3) beziehen, auch wenn die Wörter Lehre und Abbildung in der Helbig‘schen Definition eher den Bezug zur Grammatik (2) nahelegen. In der benutzungsorientierten Grammatiktypologie von Helbig (1992) werden die einzelnen Typen in Oppositionspaaren vorgeführt: linguistische vs. pädagogische/didaktische Grammatiken (vgl. § 7), Lernergrammatiken vs. Lehrergrammatiken, Grammatiken für den Muttersprachunterricht vs. Grammatiken für den Fremdsprachenunterricht, Resultatsgrammatiken vs. Problemgrammatiken, deskriptive vs. normativpräskriptive Grammatiken (vgl. § 5), konfrontative vs. nichtkonfrontative Grammatiken, Produktionsgrammatiken vs. Rezeptionsgrammatiken. Harald Weinrichs „Textgrammatik der deutschen Sprache“ (Weinrich 1993; 2007) ist sowohl als grammatikographisches Werk wie auch als Beschreibungsobjekt zu definieren. In den einleitenden Bestimmungen versteht der Autor unter Grammatik vornehmlich das Buch. Der erste Satz des Bandes lässt allerdings auch die andere Interpretation zu: „Es ist eine primäre Aufgabe der Linguistik, für die Formen und Strukturen der Grammatik eine klare und einfache Theorie zu entwerfen, [...]“ (Weinrich 1993: 17). Der Terminus Textgrammatik wird u.a. folgendermaßen näher bestimmt: „Diese Grammatik versteht die Phänomene der Sprache von Texten her, da eine natürliche Sprache nur in Texten gebraucht wird. Die Grammatik einer natürlichen Sprache verfolgt daher den Zweck, zum Gebrauch der Sprache in Texten hinzuführen“ (Weinrich 1993: 17). Des Weiteren wird erläutert, dass auch mündliche Texte zum Gegenstand der Textlinguistik gehören und als „grammatisches Denkmodell“ der Dialog diene, weshalb die vorliegende Textgrammatik zugleich eine „Dialoggrammatik“ sei. Bei Peter Eisenberg (1998; 1999; 2013) findet man zwei Komposita mit dem Zweitglied Grammatik: Wortgrammatik und Satzgrammatik als Untertitel der zwei Bände seiner Grammatik. Was den Terminus Grammatik anbetrifft, wird darunter das Werk verstanden, aber der Titel Grundriss der deutschen Grammatik legt die Deutung als 'zu beschreibende Grammatik einer Sprache' nahe. In den Vorworten zu frühen Auflagen heißt es: „Der >Grundriß< stellt sich zwei Aufgaben. Erstens will er die Kernbereiche der deutschen Grammatik [...] darstellen“ (1. Aufl., 1985); „Trägt der Grundriß weiter dazu bei, die Grammatik als so interessant zu erweisen wie sie eigentlich ist, dann hat sich die Mühe gelohnt“ (3. Aufl., 1993; Eisenberg 1994: 9f.). Das erste Kapitel beginnt noch 1999 wie folgt: „Eine Grammatik als Gebrauchsbuch soll Auskunft darüber geben, was richtig und was falsch ist. Eine deutsche Grammatik stellt fest, was zum Deutschen gehört und was nicht“ (Eisenberg 1999: 1). In den weiteren Ausführungen steht Grammatik fast in jedem Fall für die grammatische Beschreibung. Was beschrieben wird, heißt hierbei nicht mehr Gram-

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matik, sondern eine als grammatisch richtig geltende „Sprachausprägung“ (Eisenberg 1999: 1). Zudem soll eine Grammatik „Aussagen über die Struktur einer Sprache […] machen“ (Eisenberg 1999: 3). In der einbändigen Ausgabe ist der Beschreibungsgegenstand auf die Morphosyntax, also Formenlehre plus Syntax, beschränkt, wobei die Beschränkung „allein praktische Gründe“ hat, denn „[k]onzeptionell gehören Lautlehre und Wortbildungslehre unbedingt dazu“ (Eisenberg 1994: 21). Im zweibändigen Werk ab 1998 ist Band 1 der Wortgrammatik gewidmet, die über die vorher aus Platzgründen ausgeklammerten zwei Bereiche Lautlehre und Wortbildung hinaus eine Flexionslehre (unabhängig von der Satzlehre) sowie die Orthographie beinhaltet. Der zweite Band thematisiert die Morphosyntax und „[v]om Inhalt her stellt er eine stark überarbeitete, teilweise neu geschriebene Fassung der letzten einbändigen Ausgabe von 1994 dar“ (Eisenberg 1999: VIII). Auch in der 4. Auflage (Eisenberg 2013a; 2013b) umfasst die Wortgrammatik Phonetik, Phonologie, Flexion, Wortbildung und Orthographie/Graphematik (Band 1), und die Satzgrammatik behandelt die Morphosyntax als Kerngebiet, während die Semantik und die Textgrammatik nicht berücksichtigt werden (Band 2). Die „Grammatik der deutschen Sprache“ (= IDS-Grammatik) (Zifonun et al. 1997) hat als Gegenstand das gegenwärtige Deutsch und beschränkt sich auf die Standardsprache in ihrer schriftlichen und mündlichen Ausprägung, wobei der Schwerpunkt auf der Schriftsprache liegt. Das Deutsche wird formbezogen, aber zugleich funktional-semantisch und funktional-pragmatisch analysiert. Grammatik wird betrachtet „als Systematik der Formen und Mittel sprachlichen Handelns. […] Kommunikative Aufgaben und Zwecke sind letztlich für die Gestalt dieses Systems verantwortlich.“ (Zifonun et al. 1997: 3). Sprachentwicklungsprozesse sind zu berücksichtigen und zu erklären, Form und Funktion sind in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Eine Grammatik soll: – eine Sprache deskriptiv vollständig erfassen – theoretisch gut fundiert und homogen sein – Teilbereiche wohlproportioniert behandeln – universelle Fragestellungen berücksichtigen – nicht normativ sein, sondern die Sprachwirklichkeit zum Gegenstand machen – ein Handbuch zur Problemlösung sein, also eher Resultate anbieten als Lösungswege, Theorien oder Alternativdiskussionen. Diese Grammatik ist eine wissenschaftliche Grammatik, die Lautlehre, Wortlehre und Satzlehre einbezieht und einen systematischen Erklärungsanspruch erhebt. Sie basiert auf den elementaren Funktionen (Sachverhalte entwerfen oder thematisieren) sowie auf den konkreten Formen und Mitteln der Sprache. Die Beschreibung erfolgt grundsätzlich in zwei Richtungen: von den Formen zu den Funktionen und umgekehrt, was von den Autoren als „Doppelperspektivik“ bezeichnet wird. Logik, Semantik und Syntax, aber auch Wort, Form und Aussprache werden als Zusammenhängendes analysiert (vgl. Zifonun et al. 1997: 3ff.). Ulrich Engel schreibt über den Begriff der Grammatik sowohl in seiner Grammatik (Engel (2004; 2009a) als auch in der „Syntax der deutschen Gegenwartssprache“ (Engel

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1. Was versteht man unter Grammatik?

(1994; 2009b). Unter Grammatik versteht er nur das grammatikographische Produkt: „Grammatik gibt es nicht ‚an sichʻ, sie wird von Grammatikern gemacht. [...] Grammatiken sind Menschenwerk, Linguistenwerk“ (Engel 2009b: 17); „Jede geschriebene Grammatik ist nichts als ein System von Hypothesen über die Sprache“ (Engel 2009a: 10). Als potenziellen Gegenstand von Grammatiken erachtet er die Sprache in ihrer Ganzheit, wie sie auf den vorangehenden Seiten desselben Kapitels bestimmt ist, was auch folgendem summierenden Satz zu entnehmen ist: „Grammatik ist Theorie der Sprache“ (Engel 1994: 17) bzw. „[…] eine Grammatik ist nichts als eine Theorie über eine Sprache […]“ (Engel 2009a: 10). Bei Engel (2009a: 10) geht es in der Grammatik „um die allgemeineren Aspekte der Sprachstruktur, um Kategorien und Regeln, die nötig sind, damit man korrekte und sinnvolle Sätze erzeugen und verstehen kann.“ Die Phonetik und Graphematik werden bei Engel ausgeklammert. Bei Elke Hentschel und Harald Weydt (2013: 5) weist die Definition des Terminus Grammatik auf dessen Polysemie hin: „Der Ausdruck Grammatik (von griech. gramma 'Buchstabe') bezeichnet sowohl die interne Struktur einer Sprache als auch ihre Beschreibung“. Als Gegenstandsbereich der grammatischen Beschreibung wird angegeben: „Traditionell bestimmt man ihn als Gesamtheit der morphologischen und syntaktischen Phänomene; zuweilen werden auch die Lautlehre [...] sowie die Graphemik [...] und die Orthographie dazugezählt“ (Hentschel/Weydt 2013: 7). In der vorliegenden Grammatik werden nur die seit der Antike tradierten Kernbereiche Morphologie und Syntax beschrieben, und die Lautlehre, Orthographie, Interpunktion sowie die Grammatik des Textes und des Gesprächs bleiben ausgeklammert. Bezüglich der Lautlehre wird dieses folgendermaßen begründet: In der Lautlehre gehe es „gar nicht um Morpheme, ihre Funktionen“, nur „um den Stoff“ (Hentschel/Weydt 2013: 6), was jedoch nur auf die Phonetik zutrifft, denn in der Phonologie als Teilsystem des sprachlichen Gesamtsystems kommt der Funktion von Lauten eine Schlüsselrolle zu. In der generativen Auffassung kann der Terminus Grammatik die ganze Forschungsrichtung (Generative Grammatik; GG) bezeichnen, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mit Teilgebieten erweitert worden ist, welche zurzeit der Gründung der GG noch nicht mit einbegriffen waren, u.a. die Generative Phonologie und Generative Semantik. Die GG ist eine Sprachtheorie, mit der die sprachliche Kompetenz des Muttersprachlers, d.h. seine Fähigkeit, jederzeit sprachliche Äußerungen zu generieren und auch als grammatisch (richtig) zu beurteilen, modelliert wird (vgl. u.a. Dürscheid 2012: 126). Dies ist für alle Ausprägungen der GG (Standardtheorie, Rektions- und Bindungstheorie, Minimalistisches Programm) nach wie vor gültig. In der GG wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch über eine Universalgrammatik verfügt, deren Prinzipien angeboren sind, so dass im Zuge des Spracherwerbs durch weitere Impulse in kurzer Zeit eine grammatische Kompetenz erworben wird, indem den universellen Prinzipien Parameter der jeweiligen Muttersprache zugeordnet werden. Das Herzstück der Grammatik ist die Syntax, die alle Sätze einer Sprache aus einer begrenzten Menge von Elementen und Regeln erzeugen (generieren) soll. Aus einer Basiskomponente generieren spezielle Ersetzungsregeln, die sog. Phrasenstrukturregeln, Tiefenstrukturen, die dann durch Transformationen – welche je

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nach Stand der Theorie unterschiedlich aussehen – in Oberflächenstrukturen umgeformt werden. In den früheren Versionen der GG kommen Phonologie und Semantik als interpretierende Komponenten hinzu. In der Rektions- und Bindungstheorie (= GB-Theorie) werden Sätze mithilfe von X-bar-Regeln und der Transformation move α generiert. In der Konstruktionsgrammatik hat der Terminus Grammatik gegenüber anderen Begriffsbestimmungen eine größere Extension. Zugleich werden Grammatik und Lexikon als ein Kontinuum angesehen, d.h. nicht als zwei sich ergänzende und voneinander abhängige Säulen. Konstruktionen sind somit nicht nur strukturelle, sondern zugleich auch lexikale Einheiten. Zwischen Wörtern und Phrasen, die diese enthalten, werden sog. Vererbungsrelationen bestimmt. Konstruktionen lassen sich mit anderen Konstruktionen in einem Ausdruck verbinden, wenn sie entsprechende offene Positionen haben. Eine Konstruktionsgrammatik ist eine allgemeine Sprach- und Grammatiktheorie, in der sprachliches Wissen umfassend beschrieben wird. Konstruktionen sind Form-Bedeutungspaare, die gelernt werden, die nicht kompositioneller Natur sind und die häufig im Sprachgebrauch auftreten, so dass sie eine kognitive Einheit bilden. Auf der Formseite stehen syntaktische, morphologische und phonologische Merkmale, auf der Bedeutungsseite semantische, pragmatische und diskurs-funktionale Merkmale. Diese gelten auf keiner Ebene als angeboren, und eine universale (Konstruktions-)Grammatik gibt es nicht. Als Konstruktionsgrammatik gelten mehrere Grammatikmodelle, in denen kognitive, gebrauchsbasierte oder typologische Aspekte dominant sind. Dazu gehören vor allem die „Cognitive Construction Grammar“ (Lakoff 1987; Goldberg 1995; Goldberg/Cassenhisser 2006), die „Cognitive Grammar“ (Langacker 1987a; 1987b; 2008) und die „Radical Construction Grammar“ (Croft 2001). Auf der Basis dieser kleinen Auswahl an unterschiedlichen Auffassungen zur Grammatik kann Folgendes für den Terminus Grammatik zusammengefasst werden: 1. Grammatik ist ein Regelsystem, das dem Objekt Sprache zugrunde liegt und unabhängig von der Beschreibung, aber auch unabhängig von der Beherrschung dieses Systems durch Sprecher oder Hörer existiert. Es gehören vor allem die gesamte Formenbildung und die Syntax, insbesondere auf den Satz bezogen, einer Sprache dazu. 2. Grammatik ist die Abbildung der morphologischen und syntaktischen Regularitäten einer natürlichen Sprache. Formale Aspekte einer natürlichen Sprache stehen im Mittelpunkt, Phonetik, Semantik und Pragmatik sind ausgeklammert. Die morphologischen und syntaktischen Regularitäten sind in einem Regelsystem enthalten. Daher bezieht sich Grammatik hier auf die Beschreibung einer Einzelsprache. 3. Grammatik ist eine Sprachtheorie, die ein Modell zur Abbildung der Kompetenz von Sprechern/Hörern ist. Diese verfügen als Muttersprachler über ein mentales Regelsystem, welches ihnen die Beherrschung der Sprache ermöglicht. Hierbei werden außer Syntax und Morphologie weitere Bereiche wie Lexik, Phonologie und Semantik einbezogen. 4. Grammatik ist ein Buch (gedruckt oder online), welches als Nachschlagewerk, Lehrbuch oder Handbuch vorliegt, in dem die formalen Regularitäten einer natürlichen Sprache möglichst systematisch und in Abhängigkeit bestimmter theoretischer

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Grundannahmen erfasst sind. Das Erstellen dieser Grammatiken fällt in den Bereich der Grammatikographie. Zunehmend liegen auch als Hypertext konzipierte OnlineGrammatiken vor. WSK 1.1: Flexion; Form; Formenlehre; Morphologie; Universalie; Wort WSK 1.2: Cognitive Grammar; Funktion; Generative Grammatik; Grammatik; Grammatikographie; Grammatiktheorie; Konstruktionsgrammatik; Regel; Satz; Satzgrammatik; Schulgrammatik; Sprachsystem; Sprachtheorie; Struktur; Syntax; Text; traditionelle Grammatik

§ 2 Historische Ableitung des Terminus Eine reiche grammatische Tradition lässt sich etwa bis ins 5. Jh. v. Chr. schon in Indien und Griechenland feststellen. Bei den Griechen war Grammatik ein Teilbereich der Philosophie und bezog sich auf den gesamten Bereich der Sprachforschung: Dazu gehörten die Kunst des Schreibens, die Lehre über Logik, Rhetorik und Epistemologie, aber auch das, was heute unter Schulgrammatik oder traditionelle Grammatik fällt. Dieser Terminus hält sich von der Antike bis ins Mittelalter und hin zur Aufklärung. Die indische Grammatik (Pânini, ca. 4. Jh. v. Chr.) hat sich erst im 18./19. Jahrhundert über die nationalen Grenzen hinweg ausgebreitet, als die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft bei der Entwicklung der Sprachgesetze zum Lautwandel ein besonderes Interesse an den Ursprüngen der indoeuropäischen Sprachfamilie und somit am Sanskrit entwickelte. Ursprünglich ist das altgriech. Wort Grammatik die 'Schriftkenntnis' (zu grámma ['Buchstabe'] bzw. grámmata ['Schrift'] bzw. grámmatikos ['die Schrift betreffend']). Als grammatike techne ist es 'die Lehre von den Buchstaben', wird aber auch als die Lehre von den Regeln des Sprachbaus bzw. von einzelnen Ausdrücken einer Sprache gesehen. Im Lateinischen lautet die Bezeichnung ars grammatica ('Sprachlehre' und 'Sprachkunst'), was in der Bezeichnung eine größere Extension vermuten lässt, aber nur treffender ausdrückt, was auch schon vorher gemeint war: eine Sammelbezeichnung für Tätigkeiten, die mit dem Schreiben und Auslegen von Texten zu tun haben. Die erste abendländische Grammatik wurde von Dionysius Thrax (ca. 170–90 v. Chr.) verfasst und enthält eine Wortarteneinteilung, in der Nomen, Verb, Konjunktion, Artikel, Adverb, Partizip, Pronomen und Präposition vorkommen. Die Sprache, hier die griechische, wird nach Kasus, Genus, Numerus, Tempus und Modus untersucht, und es ist festzuhalten, dass sich diese Strukturelemente bis heute in den meisten Grammatiken gehalten haben. Die von den Römern entwickelte lateinische Grammatik basiert auf der Grammatik des Dionysius Thrax und enthält drei Kapitel: (a) Funktion und Ziele der Grammatik, Grammatik als Kunst, richtig zu sprechen und zu schreiben, die Fähigkeit, Dichter zu verstehen, Kenntnisse über Buchstaben und Silben; (b) Teile der Rede: grammatische Kategorien wie Genus, Numerus, Kasus und Tempus und Modus; (c) Stilistik: guter und schlechter Stil, Anweisungen zur Fehlervermeidung, empfehlenswerte rhetorische Figuren.

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Weitere bedeutende Grammatiken wurden im 4. und 5. Jh. n. Chr. von den Gelehrten Donatus und Priscian verfasst. Sie basieren auf der griechisch-lateinischen Grammatik, behalten ihren hohen Status bis ins Mittelalter hinein und sind für viele europäische Länder und Sprachen wegweisend gewesen. Im Mittelalter war Grammatik die erste Kunst des Triviums, welches die ersten grundlegenden Fächer (die redenden Künste) bezeichnet: Grammatik, Rhetorik und Dialektik (auch Stilistik). Der Begriff der Grammatik hat dabei insgesamt eine Bedeutungsverengung dahingehend erfahren, dass vor allem die Summe der Regeln und die Regelmäßigkeiten im korrekten Gebrauch einer Sprache gemeint waren. In der Scholastik (seit dem 13. Jahrhundert) werden die Grammatiken des Donatus und Priscian in ihren Grundzügen übernommen, aber zugleich geht es darum, logische Prinzipien, die der Wirklichkeit entsprechen, zu finden und festzuhalten. Einen wichtigen Schritt in Richtung einer rationalen Grammatik hat dann die Grammatik von Port Royal im Jahre 1660 bewirkt. Sie ist von Antoine Arnauld und Claude Lancelot geschrieben, ist ein Pionierwerk der Sprachphilosophie und stark von René Descartes beeinflusst. Was die grammatische Beschreibung der deutschen Sprache anbelangt, müssen die Leistungen von Johann Christoph Gottsched (1748) und Johann Christoph Adelung (1781) zuerst erwähnt werden, auch wenn sie ihre Werke nicht mit dem Wort Grammatik betitelt haben. Der Gelehrte Gottsched weist im einleitenden Abschnitt (1748: 9f.) auch auf Vorbilder in der Grammatikschreibung hin: „[Nein,] Claius, Schottel, Stieler und Bödicker sind nebst so vielen andern, die in ihre Fußtapfen getreten, diejenigen gewesen, die mir die Bahne gebrochen, indem sie völlige Sprachlehren geschrieben haben“. Dass er mit Sprachlehre die Grammatik meint, stellt sich an mehreren Stellen des Buchs heraus, u.a. auf S. 449, wo der IV. Teil „Tonmessung“ (Prosodie) beginnt: „Nicht alle unsre Sprachlehrer haben diesen vierten Theil der Sprachlehre mit abgehandelt. Vieleicht haben sie geglaubet, daß derselbe mehr zur Dichtkunst, als zur Grammatik gehöre; [...]“. Auch Adelung (1781: 17) gibt Grammatik als Synonym zu Sprachlehre, der Bezeichnung im Titel seines Buchs: „Sprachregeln sind allgemeine Vorschriften, nach welchen die Wörter einer Sprache gebildet, gesprochen, verändert, verbunden und geschrieben werden, und sie zusammen genommen, machen die Grammatik oder Sprachlehre aus, welche es demnach bloß mit der Richtigkeit der Ausdrücke zu thun hat [...]“. Gottsched hat nicht nur sprach- und literaturwissenschaftliche Bücher, sondern auch literarische Werke verfasst. Für ihn war das richtige Deutsch immer die Sprache der hohen Literatur. Demgemäß steht als Untertitel auf dem Titelblatt seiner „Sprachkunst“ (1748): „Nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts“. Das Ergebnis von Adelungs grammatikographischer Tätigkeit ist zunächst eine Sprachlehre „zum Gebrauche der Schulen“ (1781), die nach einem Jahr umgearbeitet und erweitert, in zwei Bänden herausgegeben wird (1782). In der Einleitung der einbändigen Grammatik wird kurz auch die Geschichte der deutschen Sprache thematisiert, darauf folgen Kapitel zu den „Buchstaben“, durch die aber letzten Endes auch die Sprachlaute beschrieben werden. Im ersten Teil geht es außerdem um die Wörter, wobei sich

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die Kapitel zu ihrer „Bildung“ (Ableitung) bei denen zur Flexion befinden, während der „Composition“ ein eigener Abschnitt gewidmet ist. Diesem folgt in demselben Teil der Abschnitt „Von dem Syntaxe oder dem Redesatze“. Der zweite Teil behandelt die Orthographie. Wegen der grammatisch reichlich kommentierten Einträge war auch Adelungs fünfbändiges Wörterbuch (1774ff.) ein großer Beitrag zur zeitgenössischen Erfassung der deutschen Sprache. Die „Deutsche Grammatik“ von Jacob Grimm (1819ff.) ist eine historisch-vergleichende Grammatik und somit eine vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen, in der die Laut- und Formenlehre sowie die Syntax beschrieben werden. Oft zitierte deutsche Grammatiker der darauffolgenden Epochen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sind u.a. Otto Behaghel (1886; 1923ff.), auf dessen „Gesetz der wachsenden Glieder“ im Rahmen der Informationsstruktur von Sätzen immer wieder verwiesen wird; der Junggrammatiker Hermann Paul, der von 1916 bis 1920 eine fünfbändige deutsche Grammatik veröffentlicht hat (Paul 1916ff.) sowie Leo Weisgerber, Begründer der Inhaltbezogenen Grammatik (1949f.). Dieser knappe Überblick berücksichtigt nur eine kleine Auswahl der Arbeiten zur Beschreibung der Grammatik des Deutschen (zu weiteren Einzelheiten vgl. Gardt 1999). WSK 1.1: Wortart; Zeichen WSK 1.2: Grammatik; Grammatikographie; Inhaltbezogene Grammatik; Prädikat; Prädikat-Argument-Struktur; Satzglied; Schulgrammatik; Sprachtheorie; Subjekt; Thema-Rhema-Gliederung; traditionelle Grammatik

§ 3 Grammatik im WSK-Band 1 In WSK-Formenlehre geht es um die Möglichkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Zusammensetzung der kleinsten bedeutungstragenden Elemente zu Wortformen inklusive den Flexionsmöglichkeiten, die sich in Konjugation, Deklination und Komparation ausdrücken. In WSK-Syntax geht es um die auf einem Regelsystem basierende Verknüpfung verschiedener Wortformen zu Wortgruppen und Sätzen. Dabei wird immer wieder eine Verbindung mit den phonologischen und semantischen Strukturen in einer Sprache hergestellt. Die Syntax operiert mit den morphologischen Kategorien und Kategorisierungen der Wortformen (z.B. Numerus, Genus, Kasus, Person), während die Ausbuchstabierung der Kategorienwerte bei den einzelnen Lexemen in der Morphologie geregelt ist (z.B. die Regeln zur Bildung einer Verbform in der 2. Pers. Pl. Präteritum Indikativ Aktiv). Die Aufteilung in Formenlehre und Syntax, die sich in den beiden WSK-Teilbänden, WSK 1.1 und WSK 1.2, niederschlägt, dient einer besseren Übersichtlichkeit zum Gesamtgebiet Grammatik, so dass für den Benutzer eine deutlichere terminologische Zuordnung erfolgt. Dem Zusammenhalt der beiden Teilfachgebiete wird durch eine umfangreiche Verweispraxis zwischen beiden Teilbänden Rechnung getragen.

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Unter Grammatik im engeren Sinne wird hier die Gesamtheit der Formenbildung und Syntax einer natürlichen Sprache verstanden, so dass andere mehr oder weniger systemhafte Bereiche wie Phonologie, Wortbildung, Lexikologie und Textgrammatik nur partiell berücksichtigt sind. Unter Grammatik im weiteren Sinn ist die Abbildung des gesamten Sprachsystems als ein Regelsystem, das neben Morphologie und Syntax auch Phonologie, Semantik, Pragmatik und Textlinguistik umfasst, so dass alle sprachlichen Produktions- und Rezeptionsprozesse berücksichtigt werden. Für WSK 1 liegt die enge Auffassung von Grammatik vor; notwendige Verbindungen in die benachbarten Fachgebiete erfolgen durch die Aufnahme zentraler Termini von dort. Die enge Auffassung favorisiert traditionell eine Trennung von Grammatik und Lexik; gleichwohl werden auch konstruktionsgrammatische Ansätze, in denen Lexik und Grammatik ein Kontinuum bilden, berücksichtigt. In der makrostrukturellen Abdeckung sind die Termini der linguistisch orientierten Grammatiken aufgenommen worden, sprachdidaktische Termini sind nur gelegentlich oder als Verweislemmata angesetzt. WSK 1.1: Flexion; Formenlehre; Wortbildung WSK 1.2: Grammatik; historische Grammatik; Lexikon (2); semantische Rolle; Sprachsystem; Sprachtheorie; Syntax; Text; Textgrammatik; wissenschaftliche Grammatik

2. Möglichkeiten der Typisierung von Grammatiken § 4 Diachrone und synchrone Grammatiken In einer diachronen Grammatik wird die Grammatik einer Sprache in der zeitlich-historischen Veränderung, d.h. als Teil des Sprachwandels dargestellt; in einer synchronen Grammatik werden die Sprache und deren Grammatik zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. die deutsche Sprache der Gegenwart) erfasst. Aus analytischen Gründen ist eine solche Differenzierung möglich und auch sinnvoll, aber es ist zu beachten, dass Diachronie die Abfolge mehrerer synchroner Zustände und Synchronie ein ausgewählter Ausschnitt aus einem diachronen Kontinuum ist. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt nur die diachrone Grammatik als eine wissenschaftliche; heutzutage gibt es mehr synchrone Grammatiken. Das mag auch daran liegen, dass Letztere in angewandten Bereichen wie Sprachdidaktik oder Sprachtechnologie benötigt werden. WSK 1.2: deskriptive Grammatik; Grammatikalisierung; historische Grammatik; Sprachsystem; Sprachwandel; traditionelle Grammatik

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2. Möglichkeiten der Typisierung von Grammatiken

§ 5 Präskriptive/normative und deskriptive Grammatiken In einer präskriptiven bzw. normativen Grammatik wird eine Wertung vorgenommen, indem der Gebrauch in sprachlichen Äußerungen als grammatisch korrekt vs. falsch vorgeschrieben wird. In einer deskriptiven Grammatik wird der vorhandene Sprachgebrauch beschrieben, wobei die Grammatikalität und die grammatische Wohlgeformtheit der sprachlichen Äußerungen wenig oder gar nicht problematisiert werden. Eine Schulgrammatik gilt als präskriptiv, eine wissenschaftliche Grammatik meist als deskriptiv. Allerdings kann die Trennung nicht absolut vorgenommen werden; denn nicht eine Grammatik selbst ist präskriptiv, sondern ihr Gebrauch, und auch deskriptive Grammatiken können präskriptiv verwendet werden. Deskriptiven Grammatiken werden auch theoretische Grammatiken gegenübergestellt, die als solche strenger als rein beschreibende Grammatiken an einem theoretischen Rahmen orientiert sind (vgl. z.B. die Opposition von Beschreibungsadäquatheit und Erklärungsadäquatheit in der Generativen Grammatik) und mit Hilfe zugrundeliegender Regeln Sprachstrukturen erklären wollen. Mit dem in der Linguistik vollzogenen Paradigmenwechsel hin zur empirischen, meist corpusbasierten Linguistik haben die seit Beginn des 21. Jahrhunderts verfügbaren umfangreichen elektronischen Sprachdaten der gesamten grammatischen Deskription neue Impulse gegeben, so dass es mehrfach zu Revisionen der Grenzziehungen zwischen grammatisch korrekten und ungrammatischen Äußerungen in der mündlichen und schriftlichen Sprache gekommen ist. WSK 1.2: deskriptive Grammatik; didaktische Grammatik; pädagogische Grammatik; präskriptive Grammatik; Regel; Schulgrammatik; Sprachnorm; Sprachwissen; Testverfahren; Varietätengrammatik; wissenschaftliche Grammatik

§ 6 Einzelsprachliche, vergleichende und universale Grammatiken In einer einzelsprachlichen Grammatik ist der Gegenstandsbereich die Grammatik einer einzelnen natürlichen Sprache. Dementsprechend gibt es Grammatiken der deutschen, der englischen, der französischen Sprache usf. Vergleichende Grammatiken können mehrere Einzelsprachen in Bezug auf ihre Herkunft und Verwandtschaftsbeziehungen oder in Bezug auf synchrone Perspektiven erfassen. Erstere gehören vornehmlich in den Bereich der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, Letztere sind vor allem kontrastive Grammatiken und grammatische Typologien. In einer Universalgrammatik wird nach Universalien, also nach generellen Eigenschaften aller Sprachen gesucht, z.B. danach, ob Kategorien wie Substantiv und Verb in allen Sprachen der Welt vorkommen. Nach einer Grundannahme der Generativen Grammatik ist die Grammatik als Universalgrammatik angeboren und die generative Linguistik ist bestrebt, diese mental repräsentierte Universalgrammatik zu beschreiben. Im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie wird die Universalgrammatik als eine Theorie der Kompetenz angesehen.

7. Systematische Einführung zur Grammatik 60

WSK 1.1: Universalie WSK 1.2: kontrastive Grammatik; Prinzipien- und Parametertheorie; Sprachsystem; Sprachtypologie; Topologie; Universalgrammatik

§ 7 Wissenschaftliche/linguistische Grammatiken und Gebrauchsgrammatiken Wissenschaftliche bzw. linguistische Grammatiken werden von pädagogischen bzw. didaktischen Grammatiken abgegrenzt. Erstere dienen der wissenschaftlichen Beschreibung des Sprachsystems, Letztere dem Sprachlernen und dem Sprachunterricht. Eine pädagogische Grammatik und eine didaktische Grammatik können dahingehend differenziert werden, dass „pädagogisch“ als Oberbegriff angesehen wird, wobei nur diejenigen pädagogischen Grammatiken auch didaktische Grammatiken sind, die für Lernende geschrieben werden. Nicht-didaktische pädagogische Grammatiken sind für Sprachlehrende bzw. Lehrbuchautoren konzipiert. Auch die Bezeichnung Schulgrammatik wird manchmal im Sinne der didaktischen Grammatik gebraucht, aber eine Schulgrammatik präsentiert im Allgemeinen die Grammatik eingeteilt in Lektionen, die mit Übungen verbunden sind. Während die Termini linguistische Grammatik und wissenschaftliche Grammatik gleichgestellt werden können, muss man zwischen theoretischen und deskriptiven Grammatiken unterscheiden. Eine theoretische Grammatik steht im Rahmen einer konsistenten Sprachtheorie. Das Ziel einer deskriptiven Grammatik hingegen ist, eine möglichst korrekte Beschreibung der sprachlichen Fakten zu erreichen, die auch ohne eine umfassende Sprachtheorie als Grundlage realisierbar ist. Dabei können gewisse Phänomene mit Erklärungen ergänzt werden, aber diese müssen nicht auf einer einzigen Theorie basieren. Didaktische Grammatiken verhalten sich zu Sprachtheorien in ähnlicher Weise, aber die typische didaktische Grammatik ist keine deskriptive, sondern eine präskriptive, normative Grammatik. Das bedeutet, dass nicht-standardsprachliche Formen entweder nicht behandelt werden, oder sie werden mit der Anmerkung, nicht normgerecht zu sein, erwähnt (vgl. § 5). Didaktische Grammatiken, die anders als viele Schulgrammatiken nicht kurs-orientiert sind und die daher keine Progression der Lernschwierigkeitsgrade beinhalten, werden auch Referenzgrammatiken genannt, die als solche systematisierend und umfassend sind und sich gut als Nachschlagewerke eignen. Zumeist sind sie aber in Bezug auf die theoretischen Grundlagen so wie andere Arten der didaktischen Grammatiken Mischgrammatiken. Es gibt Referenzgrammatiken für Fremdsprachenlerner und Muttersprachler, was wiederum als Typenmerkmal gelten kann. Der Terminus Gebrauchsgrammatik kann also komplementär zu wissenschaftliche Grammatik verwendet werden, aber er kann auch ein Synonym zu Referenzgrammatik sein. WSK 1.2: Dependenzgrammatik; didaktische Grammatik; Generative Grammatik; Grammatiko­ graphie; Grammatiktheorie; Grammatikunterricht; Kompetenz; Konstituentenstrukturgrammatik;

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3. Grundbegriffe der Grammatik

kontrastive Grammatik; pädagogische Grammatik; Schulgrammatik; Spracherwerb; Sprachnorm; Sprachtheorie; traditionelle Grammatik

3. Grundbegriffe der Grammatik § 8 Form und Funktion Form und Funktion sind Schlüsselbegriffe der Grammatik. Bereits die Grammatiken der Antike verbinden Formen mit Funktionen, wobei die Beschreibung und Systematisierung von Formen und Kategorien überwiegt. Dabei ist man bestrebt mithilfe der Bezeichnung der Formen auf deren Hauptfunktion hinzuweisen. Bei den Kasus kann der Terminus vocativus den Inhalt der betreffenden Form in den meisten Kontexten, in denen er vorkommt, adäquat ausdrücken (nämlich 'Anrede'). Aber das lateinische Wort accusativus, das das Objekt mit der Situation des Anklagens assoziiert, hat wenig mit der eigentlichen Funktion zu tun. Der Junggrammatiker Hermann Paul versteht unter den Funktionen der Wortarten hauptsächlich ihre potenziellen Satzglied(teil)rollen (vgl. § 19) in Geschichte und Gegenwart. Auch in den strukturalistischen Schulen des angehenden 20. Jahrhunderts geht es vor allem um das Verhältnis zwischen Form und Funktion sprachlicher Kategorien. Der Funktion kommt dabei die Schlüsselrolle in den Grammatikmodellen zu, die sich funktionale Grammatiken nennen. Der Terminus Form kann allgemein die wahrnehmbare Gestalt sprachlicher Zeichen bedeuten, wobei darunter auch komplexe Gebilde wie Phrasen verstanden werden. In einem engeren Sinne kann Form eine morphologische Form in concreto (z.B. die Flexionsformen eines Worts wie gehe, gehst, geht, gegangen) oder als kategoriell bestimmte Abstraktion bezeichnen, wobei verschiedene Grade der Konkretisierung möglich sind. So sind z.B. Präteritum oder Präsens Tempusformen, aber man kann auch von Präsensformen in abstracto sprechen (z.B., ob diese immer synthetische Formen sind). Der Begriff der Funktion ist zwar nicht einheitlich bestimmt, aber auch in aktuellen Grammatiken geht es dabei meistens um die Satzglieder. Darüber hinaus existieren als semantische Funktionen die thematischen Rollen sowie in informationsstrukturellen Betrachtungen Thema-Rhema-Gliederungen (vgl. § 19). WSK 1.1: Flexionsform; Form; Tempus; Wortart; Zeichen WSK 1.2: Funktion; funktionale Grammatik; Kategorie; Konstituente; Regel; Satzglied; Thema-Rhema-Gliederung; thematische Rolle

§ 9 Die Kategorien Außerhalb der Linguistik ist Kategorie ein Fachwort der Philosophie, und standardsprachlich bedeutet es 'Gruppe, Klasse, Gattung'. In der Sprachwissenschaft hat der Ter-

7. Systematische Einführung zur Grammatik 62

minus mindestens drei Bedeutungen: (a) Wortart; (b) Gruppe von komplementären morphosyntaktischen Merkmalen, z.B. Person, Numerus; (c) morphosyntaktische Merkmale wie z.B. 1. Pers. oder Sg. In der Bedeutung (a) wird Kategorie vornehmlich in der generativen Terminologie annähernd im Sinne von Wortart oder Wortklasse gebraucht (V, N, A, P, Adv, D). Seit der Einführung des Begriffs der funktionalen Kategorie (z.B. Infl, Comp, Det) decken sich die Extensionen von Wortart und Kategorie weniger, denn eine Wortart wie V oder N entspricht nicht einer funktionalen, sondern einer lexikalischen Kategorie. In der grammatikographischen Tradition sind Kategorien (b) meist Oberbegriffe für morphosyntaktische Merkmale von Wortformen (d.h. von syntaktischen Wörtern), die sich als Merkmale einer konkreten Wortform ausschließen. Die 1., 2. und 3. Pers. sind normalerweise nicht gleichzeitig belegt, woraus die Kategorie der Person resultiert. In ähnlicher Weise zählen im Deutschen als Kategorien dieser Art auch Numerus (Sg., Pl.), Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ), Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ), Genus (Femininum, Maskulinum, Neutrum), Tempus (Präsens, Präteritum, und die periphrastischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II), genus verbi (Aktiv, Passiv). Im Sinne von (c) sind nach Eisenberg (2013b) Kategorien die Konkretisierungen wie Präsens oder Präteritum, die Oberbegriffe wie z.B. Tempus oder Modus erhalten, welche somit Kategorisierungen sind. Modus ist demnach eine Kategorisierung, Indikativ oder Konjunktiv sind Kategorien dieser Kategorisierung. WSK 1.1: Adjektiv; Adverb; Artikel; Deklination; Determinator; Genus; Interjektion; Kasus; Konjugation; Konjunktion; Konjunktiv; Modus; Nomen; Numerale; Numerus; Partikel; Person; Präposition; Pronomen; Subjunktor; Substantiv; Verb; Wort; Wortart WSK 1.2: Kategorie; Satzäquivalent

§ 10 Die Strukturen Natürliche Sprachen haben Strukturen, die sich auf den Aufbau sprachlicher Formen beziehen und somit sprachlichen Funktionen gegenübergestellt sind. Man spricht aber auch auf der Inhaltsseite von Strukturen, so u.a. von semantischen Strukturen, funktionalen Strukturen, logischen Strukturen, Informationsstrukturen oder Prädikat-Argument-Strukturen. Die sprachlichen Einheiten unterschiedlicher linguistischer Ebenen haben ihre eigenen inneren Strukturen, lassen sich aber zugleich als konstituierende Teile von höheren Strukturen betrachten. In der Lautlehre werden Silbenstrukturen, phonotaktische und phonologische Strukturen beschrieben, während morphologische Strukturen vor allem Wortstrukturen sind. Wortformen bauen sich aus Morphen auf, die durch verschiedene Klassifikationsmerkmale charakterisiert sind, z.B. Stamm, Präfix, Suffix, Zirkumfix oder frei vs. gebunden oder Derivationsaffix und Flexionsaffix. Wortstrukturen lassen sich auch in Konstituentenstrukturen erfassen, z.B. [[[[Auf]fass]ung]en].

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3. Grundbegriffe der Grammatik

In der Syntax gibt es verschiedene prinzipielle Strukturen. Eine Satzstruktur kann über Konstituenten- oder Dependenzstrukturen erfasst werden (vgl. § 21). Beide Prinzipien sind nur in einer destillierten Form gegensätzlich, da sie auch zahlreiche Ähnlichkeiten und Überlappungen aufweisen. Die als Konstituentenstruktur geltende Phrasenstruktur enthält Elemente und Relationen, die in Dependenzstrukturen integrierbar sind, da man z.B. einen Phrasenkopf leicht in ein Regens und seine Komplemente in Dependentien des Regens konvertieren kann. Die als Dependenzgrammatiken geltenden, meist an der Verbvalenz orientierten Beschreibungen beziehen andererseits häufig auch den Begriff der Phrase mit ein. Die GG behandelt Sätze (und analog dazu auch Lautsegmente und Wörter) auf zwei Ebenen: Zu den Oberflächenstrukturen gibt es entsprechende Tiefenstrukturen, die den Ersteren zugrunde liegen. Es handelt sich dabei nicht um eine Eins-zu-eins-Entsprechung, denn ambige Ketten der Oberfläche (z.B. Sie hat dem Mann mit den Blumen zugewinkt) sind mit verschiedenen Tiefenstrukturen erklärbar (Sie winkt mit den Blumen vs. dem Mann mit den Blumen), bzw. es können aus einer Tiefenstruktur verschiedene Oberflächenvarianten erzeugt werden. Die auch in Schulgrammatiken praktizierte Analyse der Sätze nach Satzgliedern zielt auf die Ermittlung der funktionalen Satzstruktur ab. Diese wird auch in der Lexical Functional Grammar (= LFG) untersucht, indem neben einer c-structure (Konstituentenstruktur im Sinne einer Oberflächenstruktur) und a-structure (Argumentstruktur) eine f-structure (F-Struktur) angenommen wird. Diese ist aus Attribut-Wert-Paaren aufgebaut, wobei die Attribute Subjekt, Prädikat und Objekte sind, während die Werte z.B. Plural 1. Pers. oder 3. Pers. sein können. Unter einer Argumentstruktur kann einerseits eine logisch-semantische PrädikatArgument-Struktur, andererseits eine syntaktische Valenzstruktur verstanden werden. Vornehmlich in generativen Ansätzen ist mit Argument ein vom Kopf selegiertes Komplement gemeint. Nach anderen theoretischen Annahmen liegt die Prädikat-ArgumentStruktur tiefer als die syntaktische Tiefenstruktur. Prädikate sind hierbei logisch-semantische Größen, zu denen eine Anzahl von Argumenten als ihre Bestandteile gehören, so dass Prädikate in diesem Sinne sprachübergreifende Phänomene sind; denn diese Inhalte können in verschiedenen Sprachen als Bedeutungen (Sememe) von lexikalischen Einheiten erscheinen. Ebenso sprachübergreifend sind die semantischen/thematischen Rollen wie Agens, Patiens, Rezipient, die vom jeweiligen Prädikat den einzelnen Argumenten zugewiesen werden. So kann z.B. im Falle der Struktur P(x(z(y))) die Variable P für gleiche Bedeutungen von Lexemen stehen, z.B. im Deutschen lügen, belügen, vorlügen, im Englischen to lie, im Französischen mentir. Dem Argument x wird in jedem Fall die Rolle Agens, dem z Adressat, dem y Thema zugewiesen. Unabhängig von dieser Rollenbesetzung können in der sprachlichen Realisierung syntaktische Valenzpartner der einzelnen Lexeme blockiert (z.B. eine syntaktische Entsprechung von Thema bei belügen), obligatorisch (z.B. alle drei Argumentrealisierungen bei vorlügen) oder fakultativ sein (z.B. Thema bei lügen; Er hat gelogen, dass sie bei ihm war). Die meisten Arten von Strukturen lassen sich graphisch darstellen. Strukturbäume

7. Systematische Einführung zur Grammatik 64

(Baumgraphen, Baumdiagramme) gibt es sowohl für Phrasenstrukturen (Abb. 1) als auch als Stemmata für Dependenzstrukturen (Abb. 2). S

NP

VP

N

D

Der

Linguist

V

zeichnet

NP

D

N

einen

Strukturbaum.

Abb. 1: Phrasenstrukturdiagramm

zeichnet

Linguist

Strukturbaum

der

einen

Abb. 2: Dependenzstemma

WSK 1.1: morphologische Struktur; Segmentierung; Wort WSK 1.2: Dependenzstruktur; F-Struktur; Konnexion; Konstituente; Konstituentenanalyse; Kopf; Lex­ ical Functional Grammar; Nexus; Oberflächenstruktur; Phrase; Phrasenstrukturdiagramm; Prädikat-Argument-Struktur; Regel; Satz; Stemma; Struktur; Strukturbaum; syntaktische Struktur; Testverfahren; Tiefenstruktur; Transformation

§ 11 Die Relationen Die Relationen zwischen sprachlichen Einheiten können in syntagmatische und paradigmatische Beziehungen unterschieden werden. Sowohl für die mündliche Rede als auch für die schriftliche Form des Sprachgebrauchs ist eine Linearität charakteristisch: Phonetische Segmente folgen zeitlich aufeinander und auch Schriftzeichen bilden lineare Ketten, die je nach Sprache von links nach rechts oder umgekehrt, oder aber von oben nach unten geschrieben und gelesen werden. Die sequenzielle Linearität gilt auch für andere Elemente dieser Ketten: für Morphe, Wortformen, Phrasen, Sätze. Die Linie, auf die die Sprachprodukte aufgefädelt sind,

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3. Grundbegriffe der Grammatik

bildet die syntagmatische Achse der Sprache. Das ist nach Saussure (1931: 148) eine Beziehung „in praesentia“, da alle Bestandteile in einer Kette gemeinsam wahrnehmbar sind. Kleinere und größere Teile dieser Ketten können gegen andere sprachliche Einheiten ausgetauscht werden, bzw. – was in der realen Situation der sprachlichen Kommunikation fortwährend geschieht – man wählt die Bestandteile der syntagmatischen Ketten aus einer Menge von Formen und Inhalten aus. Diese auf die syntagmatische senkrecht stehende Achse ist die paradigmatische, deren Elemente von Saussure (1931: 148) als „in absentia“ bezeichnet werden, da sie nicht gleichzeitig in einer syntagmatischen Kette erscheinen. Paradigmen ohne Syntagmen sind jedoch zwecklos, da die meisten Regeln mit Paradigmen operieren, aber verwendet werden, um grammatikalisch korrekte Syntagmen herzustellen. Auch Wortstellungsregeln, die sehr eng mit der Linearität verbunden sind, gehen von abstrakten Stellungsgliedern aus, die für Mengen und Teilmengen von Elementen, also für Paradigmen stehen. So werden in der Abfolgeregel Personalpronomen im Akkusativ steht vor Personalpronomen im Dativ zwei Paradigmen nebeneinander gestellt: mich, dich, ihn, sie, es, uns, euch, sie bzw. mir, dir, ihm, ihnen usf. Phonologische Minimalpaare wie Land : Wand bilden ebenso Paradigmen wie syntaktische Diathesen, z.B. Aktiv vs. Passiv. Die seit der Antike tradierte Bedeutung von Paradigma knüpft jedoch an die Morphologie an, wo es die Aufzählung der flektierten Formen von Wörtern in einer festen Reihenfolge, nach einem Muster bezeichnet. Auch in der Flexionsmorphologie kann Paradigma abstrakter verstanden werden: Es gibt nicht nur ein Paradigma von gehen oder machen, sondern auch ein Paradigma des Verbs, zu dem der gemeinsame Nenner der einzelnen Formen explizit angegeben werden kann, indem die Funktion, die „grammatische Bedeutung“ dieser Formen genannt wird, z.B. im Deutschen 2. Pers. Pl. Aktiv Konjunktiv Präteritum. Derartige Kategorienkombinationen dienen als Etikette leerer Kästchen der Paradigmentabelle, die mit entsprechend flektierten Formen konkreter Wörter ausgefüllt werden können (in diesem Fall für singen: (ihr) sänget). Wenn syntagmatische Relationen auf die Syntax begrenzt werden, sind sie enger gefasst als allgemeine syntagmatische Beziehungen und untrennbar mit paradigmatischen Beziehungen verbunden. Diese Relationen verbinden die syntaktischen Mittel Reihenfolge, Intonation und morphologische Markierung mit den syntaktischen Strukturen. Im Deutschen gibt es laut Eisenberg (1994) vier Relationen dieser Art: Rektion, Kongruenz, Identität, Positionsbezug. Der Terminus Rektion wird in der Linguistik mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet. In der Dependenzgrammatik regiert jedes Regens seine Dependentien, so dass die verschiedenen Dependenzkriterien wie z.B. Valenzbedingtheit und Endozentrik dem Begriff der Rektion subsumiert sind. In der Rektions- und Bindungstheorie wird Rektion anders definiert: Eine lexikalische Kopfkategorie regiert eine Konstituente, wenn beide direkt von demselben Knoten dominiert werden, indem der regierten Konstituente eine thematische Rolle bzw. bei NPn auch ein Kasus zugewiesen wird. In Gebrauchsgrammatiken ist mit Rektion meist die Kasusrektion von Verben, Adjektiven u.a. inklusive Präpositionalkasus gemeint. Bei Eisenberg u.a. ist Rektion wegen der strikten formalen Gegenüberstellung zur Kongruenz als terminologische Neuerung hervorzuheben, die eine

7. Systematische Einführung zur Grammatik 66

Relation zwischen Konstituenten darstellt, bei der die Wortkategorie (Paradigmenkategorie) der einen Konstituente die Form der anderen Konstituente festlegt. Wortkategorien bleiben im Paradigma eines Worts konstant, so dass z.B. der Akkusativ als inhärente Kategorie in allen konjugierten Formen des transitiven Verbs präsent ist, anders als im Deklinationsparadigma des Nomens, das vom Verb regiert wird. Die Verallgemeinerung mithilfe der Wortkategorie führt dazu, dass außer Kasus auch andere Kategorisierungen einbezogen werden können, z.B. das Genus des Substantivs. Zu jedem Substantiv gehört ein Genus als seine Wortkategorie, so dass das Substantiv in der NP die Wörter regiert, für die das Genus eine variable, eine Einheitenkategorisierung ist, z.B. die attributiven Adjektive. Somit ist es nach Eisenberg keine Kongruenzbeziehung. Kongruenz bedeutet laut Eisenberg, dass eine Konstituente bzgl. mindestens einer Einheitenkategorie von einer Einheitenkategorie der anderen Konstituente abhängt. Die betreffende Kategorie ist also bei beiden Konstituenten veränderlich. Dementsprechend gibt es zwischen Adjektiv und Kopfsubstantiv zwei veränderliche Kategorisierungen, nämlich Kasus und Numerus, so dass hier von einer Kongruenz gesprochen werden kann, während bzgl. des Genus Rektion vorliegt. Die Relation der Identität erinnert formal an die Kongruenz, denn es geht auch hier um zwei Konstituenten, die in bestimmten Kategorien übereinstimmen. Da es aber keine endozentrische Beziehung ist, kann man auch nicht sagen, dass die Kategorie der einen Konstituente von der der anderen abhängen würde, wie es bei der Kongruenz der Fall ist. Diese Relation besteht zwischen koordinierten Konstituenten bzw. Komponenten von Konstruktionen mit Apposition. Die vierte syntagmatische Relation heißt Positionsbezug, der bedeutet, dass die Position bestimmter Konstituenten von anderen Konstituenten abhängt. So hängt im Deutschen die Stellung des Finitums u.a. davon ab, ob in dem gleichen Teilsatz ein Wort mit Einleitungsfunktion zu finden ist, weil das Verb in diesem Fall in der letzten Position steht. Die syntaktischen Relationen können auch einen anderen Bezug haben als die oben angegebenen syntagmatischen Relationen der Syntax. In Konstituentengrammatiken meint man damit funktionale Relationen zwischen den Konstituenten, d.h. eine SubjektBeziehung, Objekt-Beziehung usw. bestimmter Konstituenten zu anderen. In anderen, traditionellen linguistischen Kontexten werden diese Elemente unter Satzgliedfunktion (vgl. § 19) oder Satzglied geführt. WSK 1.1: Konjunktion; Paradigma; Transitivität WSK 1.2: Adjunktion; Komplement; Kongruenz; Rektion; Satzglied; semantische Rolle; Syntagma; Theta-Rolle

§ 12 Grammatikalität und Akzeptabilität Grammatikalität ist die Wohlgeformtheit natürlichsprachlicher Ausdrücke bzw. die grammatische Richtigkeit von Wörtern, Phrasen und Sätzen. Was als grammatikalisch angese-

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3. Grundbegriffe der Grammatik

hen wird, ist immer theorieunabhängig. Der Terminus ist in der GG in dem engeren Sinne eingeführt worden, dass Grammatikalität das Charakteristikum derjenigen Sätze ist, die mit den Regeln der GG erzeugt werden. Ein grammatischer Satz ist jedoch nicht in jedem Fall auch semantisch sinnvoll. Solche Sätze exemplifiziert Chomsky mit Colorless green ideas sleep furiously, einem Satz, der den grammatischen Regeln entspricht und somit grammatisch ist. Dennoch würde der Satz wegen seiner Unverständlichkeit von einem kompetenten Sprecher nicht akzeptiert werden. Aus der Grammatikalität einer sprachlichen Form folgt also nicht ihre Akzeptabilität, bei der außer der Grammatik andere Faktoren wie Bedeutung, Stil oder Komplexität zu berücksichtigen sind. Muttersprachler beurteilen die Akzeptabilität der einzelnen Äußerungen nicht einheitlich. Diesbezügliche Unterschiede sind u.a. auf individuelle Faktoren zurückführbar, so z.B. Lebensalter, Bildung, Regiolekt, metasprachliche Kenntnisse der Sprecher. Akzeptabilitätsurteile hängen auch davon ab, was der Sprecher als Norm in seiner Sprache ansieht. Die Sprachnorm befindet sich zwischen dem System der Sprache, das mit seinen Regeln alle grammatisch richtigen Ketten zur Verfügung stellt, und dem Sprachgebrauch, in dem nur ein Teil der großen Menge der möglichen grammatischen Sätze wirklich produziert wird. Die Norm als eine Art Filter lässt nur normgerechte Gebilde durch. WSK 1.2: Akzeptabilität; deskriptive Grammatik; Grammatik; Grammatikalität; Norm; Sprachnorm; Sprachsystem

§ 13 Regeln Teilsysteme des sprachlichen Gesamtsystems gehören zu linguistischen Teilbereichen wie Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikologie oder Textlinguistik. Jedes Teilsystem hat eigene Regeln, die jedoch in einem zusammenhängenden Regelwerk des Sprachsystems betrachtet werden können. Die meisten sprachlichen Regeln legen fest, auf welche Weise sprachliche Einheiten in komplexere Einheiten zusammengefügt werden können. In der Phonologie gibt es demgemäß phonotaktische, in der Morphologie morphotaktische, in der Syntax syntaktische Regeln. Morphologische Regeln müssen auf die formalen Minimaleinheiten plus deren Inhalt Bezug nehmen. In der Formenlehre und der Syntax können Regeln als grammatische Regeln bezeichnet werden. Wenn man von Regeln des Sprachsystems spricht, meint man damit regelhafte Zusammenhänge, die der Sprache innewohnen und somit Naturgesetzen ähnlich sind. Unter Regeln kann man aber auch präskriptive Muster verstehen, wie sie in normativen Grammatiken zu finden sind und dort an Regelungen, aber nicht an Beschreibungen erinnern. Sprachliche Regeln können in kontextfreie und kontextsensitive Regeln unterteilt werden. Der Ausdruck A → w stellt eine kontextfreie Regel dar, deren linke Seite unabhängig vom Kontext immer durch w ersetzt werden kann. Somit ist es zugleich eine Ersetzungsregel, die kontextfrei auch als Phrasenstrukturregel erscheint. In dieser gibt es auf der linken Seite das nichtterminale Symbol, z.B. NP, und auf der rechten Seite stehen

7. Systematische Einführung zur Grammatik 68

die Konstituenten dieser Phrase (z.B. A N), die Phrasen oder aber Kategoriensymbole (wie N oder A) sein können. Somit lautet die Regel NP → A N (lies: Eine Nominalphrase wird expandiert in ein Adjektiv und ein Nomen; (1)). (1)

neue Fahrräder

Kontextsensitive Regeln besagen, womit ein Element in einem bestimmten Kontext zu ersetzen ist, formalisiert als uAv → uxv oder auch als A → x / u_v. Letztere Formel wird in der generativen Phonologie zur prozessualen Darstellung von Alternationen bzw. phonetischen Realisierungen phonologischer („zugrundeliegender“) Segmente verwendet (z.B. /n/ → [m] / [+bilabial] _#). Auch morphotaktische Regeln können kontextsensitiv sein, z.B. wenn ein Allomorph aufgrund des Stammauslauts selegiert wird (etwa Suffixallomorph -et nach einem Verbstamm auf t/d, z.B. reit-et; find-et, aber nicht sing-t). Unter Kontext wird also nicht unbedingt eine Umgebung links und rechts (u_v) verstanden, sondern es kann nur die linke (u_) oder nur die rechte Seite (_v) sein. Kontextsensitive Regeln beschreiben eine Art Vorhersagbarkeit aufgrund der Umgebung und sind zu den Redundanzregeln zu zählen. Die typischen Redundanzregeln sind jedoch nicht syntagmatischer Art, sondern solche, in denen Merkmale eines Merkmalbündels aus anderen in dem gleichen Bündel herleitbar sind und somit explizite Angaben überflüssig werden. Wenn z.B. ein Element des Lexikons die semantischen Merkmale [+weiblich] und [+lebewesen] hat, ist das letztere redundant, weil ausschließlich Lebewesen weiblich (in semantischer Betrachtung) sein können. Im mentalen Lexikon liegen andere Redundanzregeln vor: Laut der lexikalistischen Hypothese werden Derivate mit ihren Basiswörtern durch lexikalische Redundanzregeln verbunden, aber nicht syntagmatisch über Transformationsregeln. Letztere gehören zur transformationalistischen Hypothese. Wegen des hohen Grads an Unvorhersagbarkeit werden Derivate nicht immer neu aus den Bestandteilen zusammengefügt (wie es bei den meisten Phrasen der Fall ist), sondern sie sind vorgefertigte Einheiten im mentalen Lexikon. Somit muss man davon ausgehen, dass der Sprecher/Hörer die Mitglieder einer Wortfamilie als zusammenhängend, aber unregelmäßig motiviert empfindet, so dass ihm der Zugang zu bestimmten Wörtern mit Hilfe anderer erleichtert wird. Diese Vernetzung wird laut der lexikalistischen Hypothese über Redundanzregeln modelliert. In der Entwicklung der GG ist die Zahl an Regeln immer weiter reduziert worden. Während in der ursprünglichen Version Transformationsregeln Oberflächenstrukturen (z.B. Passivsätze aus aktivischen Strukturen) ableiten, bleiben in der Standardtheorie noch die bedeutungserhaltenden Transformationen erhalten und in der Rektions- und Bindungstheorie gibt es nur noch die Bewegungstransformation, bewege-α genannt. Im Minimalistischen Programm der GG spielen Transformationen eine marginale Rolle. WSK 1.2: Generative Grammatik; Generative Transformationsgrammatik; kontextfreie Regel; lexikalistische Hypothese; Minimalistisches Programm; Phrasenstrukturregel; Redundanzregel; Regel; Rektions- und Bindungstheorie; Schulgrammatik; Standardtheorie; Struktur; Strukturanalyse; Testverfahren; Transformation; transformationalistische Hypothese; Wortstellungsregel

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3. Grundbegriffe der Grammatik

§ 14 Testverfahren In der Sprachwissenschaft werden viele linguistische Analysen von sprachlichen Äußerungen mit empirisch fundierten Testverfahren durchgeführt, um Generalisierungen zu erreichen oder sprachtheoretische Zwecke zu rechtfertigen. Diese Verfahren werden meist auf der Ebene der Performanz ausgeführt, um damit tiefer liegende strukturelle oder funktionale Strukturen aufzudecken. In vielen Testverfahren wird mit formalen Veränderungen gearbeitet, durch die Grammatikalität bzw. Akzeptabilität (§ 12) geprüft werden, indem man mit einer Introspektion arbeitet, Informanten befragt oder Corpusdaten auswertet. Die Testverfahren fokussieren u.a. auf (a) die Reihenfolge, (b) die Ersetzbarkeit durch andere Formen, (c) die Weglassbarkeit, (d) prosodische Charakteristika, (e) die Paraphrasierbarkeit, (f) die Erweiterbarkeit sprachlicher Einheiten. Einige andere Tests liegen außerhalb dieser Testverfahren, so u.a. der Folgerungstest oder die Listenprobe. (a) Die Reihenfolge der Einheiten in einem Satz wird beim Permutationstest (auch: Verschiebeprobe, Umstellprobe) verändert. Damit können Phrasen als Satzkonstituenten (Satzglieder) ausgewiesen werden; die Operationen, die diesem Zweck dienen, lassen sich als Konstituententests zusammenfassen. Eine spezifische Art dieser Umformung ist für das Deutsche der Vorfeldtest, der ermittelt, ob die zugleich verschiebbare Wortgruppe ohne weitere Elemente das Vorfeld im Satz besetzen kann. (b) Die Ersetzbarkeit von sprachlichen Einheiten durch Einzelwörter (seltener Wortgruppen) wird über den Substitutionstest (auch: Ersatzprobe, Kommutationstest) geprüft. Mit Hilfe von Anaphern kann man die ersetzbaren Syntagmen als VP, NP u.a. zu Phrasentypen bzw. als Subjekt, Akkusativobjekt, Modaladverbial u.a. zu Satzgliedfunktionen einstufen. Eine Anaphorisierung durch Pronomina geschieht beim Pronominalisierungstest, mit dem man u.a. Objekte von Adverbialen abgrenzen kann. Bei einer Frageprobe sind die eingesetzten Pro-Wörter Interrogativpronomina oder auch Interrogativadverbien, da sich mit Letzteren eine feinere, z.T. semantische Unterteilung der Funktionen erreichen lässt. Außerhalb der Grammatik i.e.S. wird der Kommutationstest u.a. auch in der Phonologie zur Bestimmung von Minimalpaaren verwendet. (c) Wörter oder Wortgruppen können obligatorische Bestandteile eines grammatischen Satzes sein. Die Nicht-Weglassbarkeit (bei Valenzbeziehungen auch Obligatorik, Fixiertheit, Notwendigkeit) lässt sich mit dem Eliminierungstest (auch: Reduktionstest, Abstrichprobe, Weglassprobe) ermitteln. Durch das Weglassen von Elementen kann man einen Satz schrittweise auf ein Satzminimum reduzieren. Dabei lassen sich auch für die Satzsemantik relevante Teile eliminieren; denn zur Erfüllung des Kriteriums der Weglassbarkeit muss lediglich der Rest des Satzes grammatisch bleiben. Vollständige dt. Sätze enthalten mindestens ein Verb, so dass das Verb immer zum Satzminimum gehört. Zu diesem Minimum gehören dann ebenso die obligatorischen Komplemente des Verbs, weil sie die obligatorischen Valenzpartner im Satz sind. Diese strukturelle Notwendigkeit, die mit dem Eliminierungstest ausgewiesen wird, ist also nicht identisch mit der Sinnnotwendigkeit, die für alle von der jeweiligen Verbbedeutung implizierten Argumente cha-

7. Systematische Einführung zur Grammatik 70

rakteristisch ist. Dieses Valenzkriterium heißt Sachverhaltsbeteiligung, welche mit dem Folgerungstest (Implikationstest) geprüft werden kann. (d) Prosodische Charakteristika werden mit Hilfe der Klangprobe auf eventuelle Ambiguitäten von Phrasen oder Sätzen getestet, indem diese mit unterschiedlicher Intonation und/oder Betonung ausgesprochen bzw. transkribiert werden. Hier gibt es anders als bei den anderen Testverfahren keine Umgestaltung der geschriebenen Form der zu testenden Einheiten. (e) Die Paraphrasierbarkeit wird im Paraphrasentest geprüft, indem eine Phrase für eine andere Phrase eingesetzt wird. Das gilt auch für bedeutungserhaltende Umstellungen, zu denen u.a. der Passivtest gezählt wird, bei dem allerdings ein Perspektivwechsel stattfindet. Paraphrasierbarkeit stützt sich einerseits auf die Synonymität, andererseits auf die Grammatikalität des Ergebnisses. Der Anschlusstest dient zur Unterscheidung zwischen Komplementen und Supplementen (Ergänzungen und Angaben, vgl. § 20), indem die zu testende Konstituente x in eine koordinierte Phrase der Form und das x ausgelagert wird (2). (2)

Herr Müller liest die Zeitung in der Badewanne.

(2a) → Herr Müller liest die Zeitung, und das in der Badewanne. Da das Ergebnis synonym zum Ausgangssatz und zudem grammatisch korrekt ist, gilt die ausgelagerte Präpositionalphrase (= PP) als Supplement. (f) Eine Erweiterung wird mit dem Koordinationstest vorgenommen. Hierbei wird der Satzkonstituentenstatus dadurch getestet, dass einer Wortgruppe eine andere mit der gleichen Struktur koordinierend hinzugefügt wird (3). (3)

Kevin hat seiner Mutter eine Mail geschickt.

(3a)

→ Kevin hat seiner Mutter und seinem Bruder eine Mail geschickt.

Die Kette seiner Mutter ist demnach eine Konstituente des Satzes (auch: ein Satzglied). Der Test funktioniert allerdings nicht in jedem Fall zuverlässig, weil auch Konstituententeile oder zugleich mehrere Satzkonstituenten durch gleichstrukturierte syntaktische Einheiten erweiterbar sind ((4), (5)). (4)

Alexander musste das Gerät aus- und einschalten.

(5)

Kevin hat seiner Mutter eine Mail und seinem Bruder einen Einschreibbrief geschickt.

Zur Erweiterung gehört auch die Kontaktprobe, in der durch die unkoordinierte Kontaktstellung zweier gleichstrukturierter Phrasen nachgewiesen wird, dass sie funktional zwei souveräne Konstituenten sind ((6) vs. (7)). (6)

Martin hat viele Jahre viele Zigaretten geraucht.

(7)

*Martin hat viele Zigarren viele Zigaretten geraucht.

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4. Grammatik als System

Ein komplexes Testverfahren beinhaltet der Folgerungstest (vgl. § 20), da hier zunächst eine Anaphorisierung, dann eine Eliminierung und schließlich eine Erweiterung mit und es ist nicht wahr, dass [...] durchzuführen ist (8). (8)

Er isst ein Käsebrot.

Will man klären, ob die Phrase ein Käsebrot Komplement oder Supplement ist, wird zuerst die NP ein Käsebrot mit etwas anaphorisiert (8a). (8a)

Er isst etwas.

Danach wird etwas dem Eliminierungstest unterzogen und als fakultativ erkannt. Anschließend wird der Rest des Satzes Er isst durch das weggelassene Element in der Form und es ist nicht wahr, dass er etwas isst erweitert (8b). (8b)

Er isst und es ist nicht wahr, dass er etwas isst.

Bei der Prüfung, ob (8b) wahr sein kann, ergibt sich, dass er nicht wahr ist, weil man nicht so essen kann, dass man nicht etwas isst (für 'nichts essen' gibt es andere Verben, u.a. fasten). Somit ist das Akkusativobjekt von essen ein Komplement, obwohl es weglassbar ist. Zu einem anderen Ergebnis führt der Test bei dem Satz Er isst mit Mareike, da man auch allein essen kann. Die Listenprobe (Ableseprobe) zählt ebenso zu den Testverfahren, auch wenn die Ausführung dem Nachschlagen in einer Grammatik entspricht oder zumindest nahekommt, indem bekanntes grammatikalisches und vor allem paradigmatisches Wissen einbezogen wird. So kann man auf die Frage, in welchem Kasus ihn steht, als Antwort Akkusativ erhalten, weil ihn im Flexionsparadigma des Pronomens an dieser Stelle zu finden ist. WSK 1.1: Paradigma WSK 1.2: Ellipse; Konstituente; Konstituentenanalyse; Phrase; Regel; Satzglied; Struktur; Strukturanalyse; Syntagma; Testverfahren; Topologie; Valenz; Verbstellung

4. Grammatik als System § 15 Das Wort Der Ausdruck Wort ist nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch als Terminus der Linguistik mehrdeutig. In der Computerlinguistik und den auf Textcorpora basierenden grammatischen Analysen meint man mit Wort beliebige Zeichenketten zwischen zwei Leerzeichen. Diese Einheiten sind Wortvorkommen, Textwörter oder Tokens, während eine Wortform, die wiederholt als Textwort vorkommt, ein Type ist. Falls formgleiche Einheiten funktional und inhaltlich gleich sind, spricht man von Wortformen (oder syntaktischen Wörtern), die in der Linguistik ebenfalls mit dem Terminus Wort bezeichnet

7. Systematische Einführung zur Grammatik 72

werden. Wortformen sind außerdem Formen eines Worts als lexikalische Einheit (lexikalisches Wort), welche bei Flektierbarkeit aus flexivischen Wörtern besteht, die die gleiche lexikalische Bedeutung haben. Ein Wort im System der Sprache wird Lexem genannt, wobei auch das Wort als Element des mentalen Lexikons so bezeichnet wird. Ein Lexem steht in Grammatiken und Wörterbüchern in der Regel in seiner Nennform (auch: Zitierform), z.B. im Deutschen die Infinitivform für Verben, die Nominativ Sg.-Form für Substantive, die Form des Positivs für Adjektive. Wortformen können nicht nur synthetische, sondern auch analytische sein, also solche, die aus mehreren Textwörtern bestehen, jedoch durch flexionsmorphologische Kategorisierungen charakterisierbar sind (z.B. hast gesagt). Eine Zusammenschreibung ist meistens eine orthographische Bestätigung des Wortstatus. Das gilt auch für Komposita, die allerdings in manchen Fällen nicht strikt von entsprechenden Wortverbindungen abgrenzbar sind, was sich auch in der variierenden Schreibweise manifestiert (z.B. wieder aufbauen vs. wiederaufbauen). Eine Getrenntschreibung widerspricht nicht in jedem Fall dem Lexemstatus.1 Außer der Orthographie spielen suprasegmentale Aspekte eine Rolle in der Differenzierung zwischen Wörtern und Wortgruppen (Phrasen), wobei intonatorische Einheiten mit mehr als einem dynamischen (Haupt-)Akzent in der Regel als Wortgruppen zu analysieren sind. Phraseologische Fügungen mit fester Form und Bedeutung können ebenfalls als Einheiten des Lexikons gelten, bestehen aber aus mehreren Wörtern (z.B. der Stein der Weisen). Mit morphologischen Mitteln werden nicht nur die Formen eines Wortes (Formenbildung), sondern auch neue Wörter gebildet (Wortbildung). Die Grenze zwischen flektierter Form und Derivat ist nicht immer eindeutig; so stellen z.B. Partizipien in manchen Sprachen eine schwer bestimmbare Gruppe dar. Die Wörter einer Sprache können aufgrund morphologischer, syntaktischer und/ oder semantischer bzw. pragmatischer Kriterien in Wortarten eingeteilt werden. Eine auch für ausführliche grammatische Beschreibungen geeignete Sortierung ist nur mit Anwendung mehrerer Kriterien möglich. Flektierbare Wörter lassen sich z.B. danach unterscheiden, welchen allgemeinen Flexionsparadigmen einer bestimmten Sprache sie angehören, d.h., nach welchen Kategorisierungen sie flektiert werden. Es gibt im Deutschen Lexeme, in deren Paradigma die Stelle mit den Kategorien 'Nominativ Sg.' (Kategorisierungen: Kasus, Numerus) vorliegt, z.B. Tisch, Buch, oder solche, in deren Paradigma unter anderem auch die Stelle '1. Pers. Sg. Präsens, Aktiv, Indikativ' (Kategorisierungen: Person, Numerus, Tempus, genus verbi, Modus) vorhanden ist, z.B. sehen, faulenzen. Zur gleichen Wortart gehören diejenigen flektierbaren Wörter, deren Paradigmen vollständig oder nahezu vollständig die gleichen Flexionsformen enthalten. Daher sind auch diejenigen Wörter, die über keine Passivform verfügen (z.B. fließen, regnen), Mitglieder der Wortart Verb, sofern sie die übrigen Teilparadigmen des Verbs ausfüllen. Verwendet man ausschließlich morphologische Kriterien, kann nur ein Teil der in traditionellen Grammatiken üblichen Wortarten bestimmt werden. Bei den nicht-flek1 Im Englischen werden die meisten Zusammensetzungen getrennt geschrieben, z.B. word order.

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4. Grammatik als System

tierbaren Wörtern (z.B. und, vielleicht, hier, auf) werden syntaktische Kriterien für die Wortartenbestimmung eingesetzt. Dabei wird festgestellt, in welcher Umgebung, d.h. mit welchen anderen Wörtern und in welchen Strukturen, diese Wörter vorkommen. Einige Wortarten verfügen über Kategorisierungen, die nicht im Flexionsparadigma der Wörter dieser Wortart erscheinen, jedoch die gleiche Kategorie des anderen Worts in einer Phrase festlegen. So ist die Wortart Substantiv mit der Kategorisierung des Genus verbunden, obwohl sich das Substantiv selbst nicht nach dem Genus verändert; es verändern sich aber die mit ihm kongruierenden bzw. von ihm regierten Wortarten wie Determinativ und Adjektiv (z.B. dieser Tag, schönes Wetter, eine wunderbare Welt). Die morphologische grammatische Beschreibung braucht Wortarten, durch die bei konkreten Lexemen der Flexionstyp und innerhalb des Typs auch die konkreten Allomorphe festgelegt sind. Dabei ist es unwesentlich, in welcher syntaktischen Umgebung die einzelnen Wörter vorkommen können. So gehört z.B. eine Verbklassifikation nach den unterschiedlichen Rektionen nicht zum Gegenstandsbereich der Morphologie. Die syntaktische Beschreibung dagegen braucht Bestimmungen, die für jedes Lexem die möglichen Strukturen festlegen. Dabei ist der Flexionstyp des Lexems nicht wesentlich. Semantische Kriterien spielen bei der Wortartenbestimmung in aktuellen Grammatiken eine nachgeordnete Rolle. Dies erfolgt z.B. bei einer Subdifferenzierung der Wortart Partikel, aber auch bei der Unterscheidung von Adverb und Modalwort auf der Basis der jeweils passenden Fragen oder Anaphern. Modalwörter (vielleicht, glücklicherweise, wahrscheinlich) können über eine Entscheidungsfrage identifiziert werden, Adverbien (dort, hier, heute, vormittags, dorthin) mit den inhaltlich passenden Ergänzungsfragen, die mit w-Wörtern (wo?, wann?, wohin?) eingeleitet werden. In der generativen Standardtheorie wird die Zahl der Kategorien, die weitgehend dem Begriff Wortart entsprechen, auf vier reduziert (N, V, A, P), die als komplexe Symbole nur mit N, V und +/– ausgedrückt werden. WSK 1.1: Adverb; Derivation; Flexion; Form; Genus; Klassifikation; Komposition; Morphem; Nomen; Numerale; Partikel; Pronomen; Substantiv; Verb; Wort; Wortart; Wortbildung; Wortfamilie; Wortfeld; Wortform; Zeichen WSK 1.2: Funktion; Kategorie; Kategorisierung; Lexikon (1); Lexikon (2); Referenz

§ 16 Flexion Die Flexion ist die Bildung der Formen flektierbarer Wörter. Mit den Bildungsmöglichkeiten der Wortformen befasst sich die Formenlehre. Formenbildung ist nicht in jedem Fall Flektieren i.e.S., denn sprachtypologisch wird u.a. zwischen flektierenden und agglutinierenden Sprachen unterschieden. Die Formenbildung ist unabhängig vom Sprachtyp ein zur Wortbildung komplementärer Teil der Morphologie. Die kleinsten Einheiten der Morphologie sind die Morphe; die größten komplexen Einheiten, die zum Gegenstand der Morphologie gehören, sind die Wörter. Somit grenzt

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die Morphologie einerseits an die Phonologie, in der Morphe in noch kleinere, nicht bedeutungstragende Segmente (die Phoneme) gegliedert werden, und andererseits an die Syntax, in der es um die Möglichkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Zusammenfügung der Wörter zu Syntagmen (Phrasen) bzw. Sätzen geht. Morphe sind Segmente auf der Ausdrucksseite eines sprachlichen Zeichens, die nicht in kleinere bedeutungstragende Einheiten geteilt werden können. Grammatische Morpheme bezeichnen die Inhaltsseite sprachlicher Zeichen und umfassen in der Regel eine paradigmatische Gruppe von Morphen mit gleicher Bedeutung bzw. Funktion. Unterschiedliche Morphe mit dem Inhalt eines gemeinsamen Morphems sind die Allomorphe dieses Morphems (z.B. gibt es im Deutschen zum Pluralmorphem u.a. die Allomorphe {-s, -e, -en, -n, Ø} zu Auto-s, Tisch-e, Frau-en, Latte-n, Lehrer-Ø). Bei Grund- und Derivationsmorphemen kann außer Bedeutungsgleichheit auch formale Ähnlichkeit hinzukommen. Formvarianten von Morphemen können umgebungsabhängig (z.B. geb, gib, gab, gäb) oder frei (fakultativ) sein (z.B. -s und -es als Genitivsuffix bei vielen Nomina). Je nach Funktion und Position werden verschiedene Typen von Morphemen unterschieden: Der Stamm (auch: das Grundmorphem) ist die nicht-weglassbare Komponente eines Wortes, die in der Regel ein freies Morphem ist und den größten Teil der lexikalischen Bedeutung trägt; in einem Kompositum können mehrere Stammmorpheme vorkommen. Der Verbstamm wird in der Fachliteratur meist als freies Morphem (vgl. u.a. Fleischer/ Barz 2012: 52f.), seltener als gebundenes Morphem (u.a. Bergenholtz/Mugdan 1979: 119) eingestuft. Die Affixe sind mit Ausnahme der Verbpartikeln gebundene Morpheme und lassen sich in mehrere Untergruppen teilen. (a) Ein Präfix ist ein Morphem, das vor dem Stamm steht und zur Wortbildung dient (kennen → verkennen, leeren → entleeren, Gunst → Missgunst). (b) Ein Suffix ist ein Morphem, das an einen Stamm angehängt wird. Neben Ableitungssuffixen (z.B. -ung, -chen, -lich), die der Wortbildung dienen, gibt es formbildende Suffixe, wie die Morphe -er für den Komparativ, -te für das Präteritum oder -st für die Bildung der 2. Pers. Sg. (c) Ein Zirkumfix ist ein diskontinuierliches Morph, dessen Bestandteile links und rechts am Stamm stehen, z.B. be + recht + ig(en) [es gibt weder *berecht noch *rechtigen] oder ge + bund + en [es gibt weder *gebund noch *bunden]. (d) Die im Inneren von Stämmen eingefügten Affixe sind Infixe. Ihre Existenz in den ide. Sprachen ist umstritten. Zwischen Stämmen in Komposita erscheinen auch im Deutschen Fugenelemente, die zwar auch als „Fugeninfixe“ bezeichnet werden können (Zifonun et al. 1997: 267), aber sich wegen des fehlenden Inhalts kaum als Morpheme einstufen lassen und daher Pseudomorpheme genannt werden. (e) Ein Konfix stellt einen Übergang zwischen Affixen und Kompositionsgliedern dar. Es handelt sich um ein entlehntes Morphem, das in der Regel gebunden sind, z.B. inter(Intercity, international, Interview) oder -thek (Bibliothek, Phonothek, Infothek).

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4. Grammatik als System

Die Flexion beinhaltet die Konjugation (die Bildung der Formen von Verben) und die Deklination, die Nomina i.w.S. umfasst (Substantive, Adjektive, Pronomina), aber auch die Determinative. Das Konjugationsparadigma im Deutschen enthält synthetische und analytische Formen. Nach einer engen Auffassung von Flexion gehören zum Flexionsparadigma nur die synthetischen Formen, von den Tempora also nur Präsens und Präteritum, von den genera verbi nur Aktiv. Die finiten analytischen Verbformen bestehen in den Beispielen hättest gelacht, bin gefragt worden und wird erledigt worden sein aus einem konjugierten Hilfsverb (hättest, bin, wird) und einer oder mehreren infiniten Formen (gelacht, gefragt worden, erledigt worden sein). Das Verbalparadigma i.w.S. (inklusive der analytischen Formen) lässt sich durch die Kategorisierungen in Teilparadigmen gliedern. So gibt es in der Kategorisierung genus verbi ein Aktiv- und zwei Passivteilparadigmen, das Vorgangspassiv und das Zustandspassiv. Die Verben lassen sich innerhalb der Wortart in Subklassen einteilen, je nachdem, welche Teilparadigmen sie von den obigen drei ausfüllen: alle drei (z.B. impfen, öffnen, zerbrechen), nur die ersten zwei (z.B. loben, arbeiten, tanzen), oder nur die erste (z.B. kommen, bekommen, gefallen). Die Witterungsimpersonalia und einige andere Verben füllen nicht einmal das durch den Numerus und die Person bestimmte Grundparadigma aus (z.B. regnen nur in der 3. Pers. Sg.), aber nach den anderen Kategorisierungen sind sie veränderbar (z.B. im Tempus). Das Teilparadigma des Infinitivs wird durch zwei Kategorien des Tempus (Präsens und Perfekt) und die Kategorien des genus verbi (Aktiv, Vorgangspassiv, Zustandspassiv) festgelegt. Dementsprechend hat der deutsche Infinitiv sechs Formen. Bei den Partizipien ist nach Aktiv- und Passivformen zu unterscheiden. Die Aktivformen sind das Partizip I (erstes Partizip), z.B. singend, und das Partizip II (zweites Partizip) der intransitiven, perfektiven Verben, z.B. angekommen. Die Passivformen sind die Partizip-II-Formen der transitiven Verben, z.B. gelöst. Die Kategorisierung Tempus hat bei den Partizipien nicht die bei anderen Formen üblichen Kategorien inne (z.B. Präsens, Plusquamperfekt), sondern die relativen Werte Gleichzeitigkeit (Partizip I) und Vorzeitigkeit (Partizip II). Das gilt nur für die Aktivformen; bei Passivformen drückt das Partizip II durativer Verben Gleichzeitigkeit (z.B. der Wagen, von Ochsen geschleppt), bei Verben mit perfektiver Aktionsart Vorzeitigkeit aus (z.B. der Wagen, von der Polizei abgeschleppt). Die sechs Tempora im Deutschen entsprechen nicht sechs verschiedenen Zeitabschnitten der Wirklichkeit. So kann das Präsens sogar alle drei grundlegenden Zeitabschnitte, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, ausdrücken, wie in (9) bis (11). (9)

Siggi sitzt gerade in der Badewanne. [Gegenwart]

(10)

Ich fliege übermorgen nach Casablanca. [Zukunft]

(11)

Gestern ruft mich Uta an und fragt, ob ich mich nicht langweile. [Vergangenheit]

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In der Fachlit. ist die Festlegung auf sechs Tempora umstritten; man kann auch neun oder zwölf Tempora annehmen. Die vier zusammengesetzten Tempusformen Perfekt (Präsensperfekt), Plusquamperfekt (Präteritumperfekt), Futur I, Futur II (Futurperfekt) werden in grammatischen Beschreibungen durch weitere, z.T. auch regional bedingte Fügungen wie Doppelperfekt, Doppelplusquamperfekt, Futur des Präteritums ergänzt. Passivische und aktivische sein + Partizip II-Konstruktionen können als Resultativa oder – mit einigen weiteren Hilfsverben wie bleiben, lassen und haben ergänzt – als Zustandsformen zusammengefasst werden, die in allen Tempora bildbar sind. Eine alternative Behandlung von sein + Partizip II ist die Analyse als Kopulakonstruktion. Die Deklination ist neben der Konjugation der zweite Haupttyp der Flexion. Dekliniert werden Wörter nach Kasus, Numerus und Genus. Die Komparation wird oft nicht zu den Deklinationskategorisierungen gezählt, ebenso wie Person, die bei einigen Pronomina und Determinativen (Artikelwörtern) zum kategoriellen Merkmalbündel gehört. Die sprachhistorisch feststellbaren komplexen Deklinationsmuster haben sich in Sprachen wie Deutsch oder Englisch im Laufe der Zeit weitgehend vereinfacht; einige andere ide. Sprachen haben mehr vom ehemaligen Reichtum an Kategorien behalten, so z.B. fünf oder mehr Kasus in slawischen Sprachen, ebenso die Differenzierung zwischen belebt und unbelebt, aber auch den Numerus Dualis im Obersorbischen. Zur Wortart des Substantivs gehören in der deutschen Sprache Wörter, die nach den Kategorisierungen Numerus und Kasus dekliniert werden können und durch die feste, lexikalische Kategorie (Wortkategorie) des Genus charakterisiert sind, das an der Wortform nicht markiert ist. In der syntaktischen Umgebung des Substantivs können Determinative (z.B. der, die, das oder dieser, diese, dieses), als Attribut verwendete Adjektive (z.B. kleiner, kleine, kleines) und einige Pronomina (z.B. Personalpronomina (er, sie, es) oder Relativpronomina (der, die, das)) das Genus ausdrücken. Von den zwei Kategorien des Numerus, Singular und Plural, ist nur Letzterer markiert, und zwar teils mit morphologischen, teils mit syntaktischen Mitteln. In der Pluralform der meisten Substantive erscheint ein Formativ für den Plural (Suffix, Umlaut oder die Kombination der beiden); es gibt jedoch auch Pluralformen, die formal mit dem Singular identisch sind (z.B. Schüler). Der Plural dieser Substantive kann nur an der Form der Wörter in ihrer Umgebung, also syntaktisch gekennzeichnet werden (Determinativ, Adjektiv, mit dem Subjekt kongruierendes Verb). Die syntaktische Markierung erfolgt ebenfalls mit morphologischen Mitteln, z.B. bekommt das Adjektiv oder das Verb Pluralmorpheme. Die morphologischen Pluralmarkierungen sind aufgrund des Genus und – bei Derivaten – des Ableitungssuffixes teilweise vorhersagbar, aber vor allem bei nichtfemininen Simplizia muss man mit einem hohen Grad an Unvorhersagbarkeit rechnen (z.B. Hunde, Wölfe, Wälder, Hemden). Das deutsche Substantiv hat vier Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, die morphologisch oft nicht markiert sind und deshalb ebenfalls nur durch die syntaktische Struktur ausgedrückt werden. Nur der Genitiv Sg. der meisten starken/gemischten maskulinen und neutralen Substantive wird durch eine Endung markiert (Vaters, Namens). Im Dativ Pl. bekommen die Formen, die nicht auf -n oder -s enden, die Endung -n (Vätern,

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4. Grammatik als System

Kräften). Im Dativ Sg. mancher Substantive kann – meist in Redewendungen oder aus satzrhythmischen Gründen – die Endung -e stehen (zu Buche schlagen, zu Kreuze kriechen, im Haus(e)). Da die sog. schwachen Substantive in allen Kasus mit Ausnahme des Nominativ Sg. eine Endung -(e)n haben, ist nur die Ausgangsform mit einem Nullmorph eindeutig markiert (z.B. der Junge, die übrigen Formen: Jungen). Die adjektivisch deklinierten Substantive haben ebenso wie Adjektive ein schwaches und ein starkes Paradigma. Die Determinative (Artikelwörter, Determinantien) werden nach den Kategorisierungen Numerus, Kasus und Genus dekliniert. Sie knüpfen in der Regel an Substantive an, im heutigen Deutsch immer von vorne (von links); zwischen das Determinativ und das Substantiv, in die sog. Nominalklammer, können noch die dem Substantiv untergeordneten Attribute mit ihren eventuellen Erweiterungen treten, z.B. der mit einem scharfen Messer geschälte Apfel. Die Wahl zwischen den beiden Deklinationsparadigmen des Adjektivs (stark oder schwach) hängt größtenteils vom Determinativ ab. Die Konstruktion mit einem festen Determinativ ergibt das gemischte Deklinationsmuster, in dem nach ein, mein usw. das Adjektiv im Nominativ und Akkusativ Sg. stark, in den anderen Formen schwach dekliniert wird. Einige Determinative verhalten sich in bestimmten Konstruktionen wie Adjektive (die beiden Fehler, dieses eine Buch), einige Adjektive dagegen wie Determinative (folgendes interessante Ergebnis). Die Determinative können in zwei Gruppen eingeteilt werden, je nachdem, ob sich ihre maskuline Form im Nominativ Sg. von der neutralen Form unterscheidet. Die Determinative, bei denen sie unterschiedlich sind, haben gemäß den Genera drei Nominativformen (der/die/das, dieser/diese/dieses); die Determinative, bei denen diese Formen gleich sind, haben nur zwei Nominativformen (eine/ein, meine/mein); nur im Akkusativ gibt es drei verschiedene Formen (einen/eine/ein). In die Wortart Adjektiv gehören Wörter, die nach den Kategorisierungen Genus, Numerus und Kasus dekliniert werden können, und zwar in einer starken und einer schwachen Variante. Die Kategorien der Adjektivdeklination erscheinen nur in attributiver Funktion, d.h. in der Position zwischen dem Determinativ und dem Substantiv. Das gilt auch für Adjektive, die ein Nullmorph haben, z.B. ein lila Kleid tragen (Neutrum, Sg., Akkusativ, starke Deklination). Wörter, die Eigenschaften ausdrücken, aber nur in prädikativer Verwendung vorkommen (z.B. futsch sein, quitt sein), können den Adjektiven zugerechnet werden, werden aber ebenso als Adkopula oder Kopulapartikel davon abgegrenzt. Die meisten Adjektive haben, dank ihrer Bedeutung, eine weitere Kategorisierung, nämlich die Komparation. Eigenschaften, die im konkreten oder übertragenen Sinne gemessen werden können, sind komparierbar. Das trifft z.B. auf klein, schön, lang, traurig, spannend zu. Nicht komparierbar sind z.B. golden, amerikanisch, hiesig, tot, horizontal. Aber auch in nicht flektierbaren Wortarten kann man komparierte Formen finden, z.B. einige Adverbien (oft – öfter(s) – am häufigsten; bald – eher – am ehesten; gern – lieber – am liebsten). Die starken Adjektivendungen, die verwendet werden, wenn vor dem Adjektiv kein

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Determinativ steht, stimmen größtenteils mit den Endungen des bestimmten Artikels und der anderen dreiförmigen Determinative überein, weil beim Fehlen des Determina­ tivs dessen genus-, numerus- und kasusmarkierende Funktion vom Adjektiv selbst übernommen wird. Allein im Genitiv Maskulinum und Neutrum steht anstelle des aufgrund des Artikels erwartbaren -s ein -n. Diese Endung kann damit erklärt werden, dass beim Substantiv die Kasusendung -(e)s den Genitiv markiert und deshalb die starke Adjektivendung nicht erforderlich ist. Somit wird nach dem Prinzip der Monoflexion jede grammatische Bedeutung in einer NP nur einmal markiert. Es gibt jedoch dazu Gegenbeispiele, wenn z.B. die aufeinander folgenden Adjektive alle stark flektiert werden, auch wenn das erste Adjektiv schon eine starke Endung hat. Zu den Adjektiven gehören im Deutschen auch die Ordinalzahlen (z.B. mein erstes Geschenk / das erste Märchenbuch), aber nicht die nicht flektierbaren Kardinalzahlen, die aufgrund der attributiven Funktion vor Substantiven in vielen Grammatiken den Adjektiven zugeordnet werden. Nur wenige Kardinalzahlen haben auch deklinierte Formen (zweier, dreier, vieren). Aus einer semantischen Perspektive könnten weitere Wörter zu einer Wortart Zahlwort (Numerale) gezählt werden, so u.a. die Million, die Zwei, das Drittel, aber wegen ihrer morphosyntaktischen Merkmale gehören sie grammatisch zu den Substantiven. Mit dem Prinzip der Monoflexion hängen einige weitere theoretische Vorschläge bzgl. des Deklinationssystems zusammen: Der Begriff der sog. Gruppenflexion basiert darauf, dass die flektierbaren Wortarten miteinander Phrasen bilden (z.B. Det + Adj + N), die flexionsparadigmatisch eine Einheit sind. Daraus folgt, dass nominale Paradigmen im Deutschen keine Wortparadigmen, sondern Paradigmen zwei- bis dreistelliger Wortgruppen sind. Nicht die einzelnen Wörter, sondern die ganze Phrase steht demnach in einem Kasus und einem Numerus. Formal wird dies aber weniger einheitlich ausgedrückt, zumal auch das Genus als Flexionskategorie einzubeziehen ist und das Substantiv kein Flexiv zum Ausdruck des eigenen Genus besitzt. WSK 1.1: Adjektiv; Affix; Akkusativ; Aktionsart; Aktiv (1); Aktiv (2); Dativ; Deklination; Flexion; Form; Formenlehre; Futur; Genitiv; Genus; Indikativ; Kasus; Komparation; Konjugation; Konjunktiv; Modus; Morph; Morphem; Morphologie; Nominativ; Numerus; Passiv; Perfekt; Person; Plural; Plusquamperfekt; Präsens; Präteritum; Singular; Substantiv; Suffix; Tempus; Verb WSK 1.2: Funktion; Kategorie

§ 17 Satz Der Satz ist im Gegenstandsbereich der Syntax die komplexeste Einheit. Der Terminus Satz kann unter verschiedenen Aspekten definiert werden. Selbst wenn er auf den grammatischen Begriff eingeschränkt wird, finden sich in der Fachlit. unterschiedliche Herangehensweisen. Die Duden-Grammatik (2005: 773f.) gibt drei Bestimmungen des Satzes: „(i) Ein Satz ist eine Einheit, die aus einem finiten Verb und allen vom Verb verlangten Satzgliedern besteht. (ii) Ein Satz ist eine abgeschlossene Einheit, die nach den Regeln der

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4. Grammatik als System

Syntax gebildet worden ist. (iii) Ein Satz ist die größte Einheit, die man mit den Regeln der Syntax erzeugen kann.“ In (i) steht das valenztheoretisch fundierte Herangehen von Verbgrammatiken im Vordergrund. In (ii) ist es ein regelbasiertes Herangehen, wie es u.a. für die GG charakteristisch ist, die anstelle prätheoretischer Definitionen das generative Regelwerk zur Bestimmung des Satzes verwendet: Alles, was sich mit den Regeln der Syntax erzeugen lässt, ist ein Satz, andere Ketten sind es nicht. In (iii) werden Regeln als Basis angegeben; „größte Einheit“ weist auf die Erweiterbarkeit durch Supplemente, Zusammensetzung u.a. hin. Ein Maximum an Umfang lässt sich mit Regeln kaum bestimmen, was in der GG vor allem mit der Rekursivität bestimmter Regeln erklärbar ist. Letztere werden auch als ausreichender Grund dafür genannt, dass die Zahl der durch Regeln erzeugbaren Sätze nicht begrenzt ist. Die GG versteht unter Satz eine grammatische Einheit, die auch im Sinne von Wohlgeformtheit grammatisch ist und entsprechenden Einheiten der Performanz zugrunde liegt. Die kommunikative Funktion des Satzes einbeziehende Grammatiken machen keine ähnlich scharfe Trennung zwischen Sätzen als Konstrukten der langue und solchen als Äußerungen beim Sprachgebrauch. Die IDS-Grammatik legt dem Satz eine kommunikative Minimaleinheit zugrunde, die multidimensional als prosodische Einheit mit terminaler Intonation und zugleich kategorialgrammatischer Struktureinheit zu bestimmen ist, welche als Realisierungsform von Propositionen fungiert. In einem Satz sind alle Wörter durch verschiedene Relationen verbunden. Ein syntagmatisches Verhältnis lässt sich oft an formalen Merkmalen erkennen. Die wichtigsten formalen Reflexe der Verhältnisse sind im Deutschen die Kongruenz, die Rektion und die Wortstellung. Dabei ist der Unterschied zwischen Kongruenz und Rektion nicht immer eindeutig. Wenn zwei Konstituenten in der betreffenden Kategorisierung morphologisch markiert sind, dann kongruiert das Adjektiv mit dem Substantiv im Kasus und Numerus, aber im Genus regiert das Substantiv das Adjektiv, da das Substantiv ein konstantes Genus hat, das an ihm morphologisch nicht markiert ist (vgl. § 11). Anstelle der Termini Wortstellung bzw. Wortfolge wird in der linguistischen Fachlit. häufig Satzgliedstellung verwendet. Folgeregeln beschreiben meistens die Anordnung von Satzgliedern (vgl. § 19), welche auch aus mehreren Wörtern bestehen können. Im Deutschen ist vor allem die Position des finiten Verbs bzw. der restlichen Teile des Verbalkomplexes durch Regeln festgelegt. Demgemäß gibt es eine Erststellung, Zweitstellung und Letztstellung des Finitums. Die Satzklammer teilt die Sätze in die Stellungsfelder Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld. Sätze mit Erststellung sind Stirnsätze, mit Zweitstellung Kernsätze und mit Letztstellung Spannsätze. In der GG wird gewöhnlich die Verbletztstellung als Grundfolge des Satzes im Deutschen angenommen. Andere Forschungsrichtungen bestimmen die für Deklarativsätze charakteristische Zweitstellung als Default-Wert. Für die Endstellung als unmarkierte Variante spricht die strukturelle Eigenschaft, dass im Spannsatz die Komponenten des Verbalkomplexes eine kontinuierliche Phrase bilden, die ohne Bewegungstransformation in Konstituenten zerlegbar ist. In Grammatiken beschreibt man zumeist eine Grundfolge (Grundwortstellung), von der Varianten abgeleitet werden können, die verschiedenen Sprecherintentionen

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(z.B. Frage, Ausruf) oder der Informationsstruktur (z.B. mit Topik, Fokus) gerecht werden. Eine topologische Einteilung der Sätze ergibt die oben genannten Typen Stirnsatz, Kernsatz und Spannsatz. Der Sprecherintention bzw. dem jeweiligen Sprechakt liegen pragmatisch-funktionale Einteilungen zugrunde, aus denen verschiedene Satzmodi, Satztypen oder Satzarten resultieren. Die drei Termini sind nur teilweise synonym, ihre Auslegung variiert in der Fachlit., aber in jedem Fall werden sie mehr oder weniger konsequent mit formal-syntaktischen bzw. prosodischen Merkmalen verbunden. So ist ein Deklarativsatz (Aussagesatz) standardsprachlich in der Regel ein Verbzweitsatz mit terminaler Intonationskontur. Ein Interrogativsatz (Fragesatz) lässt sich als Entscheidungsfragesatz mit Verberststellung und steigender Intonation bzw. als Ergänzungsfragesatz mit einem w-Wort im Vorfeld und fallender Intonation einstufen, sowie weiter in die weniger frequenten Untertypen wie Alternativfragesatz, rhetorische Frage u.a. Ein Imperativsatz (Aufforderungssatz) ist ein Stirnsatz mit terminaler Intonation, ein Exklamativsatz (Ausrufesatz) kann alle drei Verbstellungen aufweisen, ein Wunschsatz ist entweder ein Stirn- oder ein Spannsatz. Unter Satztypen kann man auch Formtypen wie einfacher Satz vs. komplexer (zusammengesetzter) Satz verstehen. Der deutsche einfache Satz enthält genau ein finites Verb. Ein komplexer Satz besteht aus mindestens zwei Teilsätzen mit jeweils einem eigenen Verb bzw. Verbalkomplex. Das Verhältnis zwischen zwei Teilsätzen kann eine Subordination (Unterordnung, Hypotaxe) oder eine Koordination (Nebenordnung, Parataxe) sein. Zwei Teilsätze mit subordinativer Beziehung bilden ein Satzgefüge. Wenn die Teilsätze eines Satzes in einer koordinativen Beziehung zueinander stehen, spricht man von einer Satzverbindung oder Satzreihe. Ein Satz, der mehr als zwei Teilsätze hat und somit potenziell sowohl Unterordnung als auch Nebenordnung aufweist, kann man Satzperiode oder einen mehrfach zusammengesetzten Satz nennen. Was die Komponenten des Satzgefüges anbelangt, findet man in den Grammatiken verschiedene terminologische Vorschläge. Dabei wird oft nur mit den Termini Hauptsatz (HS) und Nebensatz (NS) operiert (12). (12)

[Er sagte mir,]HS [wie er heißt]NS

In (12) ist der NS jedoch Bestandteil des Hauptsatzes. Bezeichnet man den gesamten Satz als Matrixsatz oder Obersatz, in den der NS eingebettet ist, werden die Verhältnisse klarer, so dass man alternativ die Satzstruktur mit den Termini Matrixsatz bzw. Obersatz sowie Untersatz und Obersatzrest erfassen kann (12a). (12a) [[Er sagte mir,]Obersatzrest [wie er heißt]Untersatz]Matrixsatz/Obersatz Mit der Terminologie Matrixsatz/Obersatz vs. eingebetteter Satz /Untersatz lässt sich auch die Struktur von Satzperioden beschreiben, da dort einem NS oftmals nicht ein HS, sondern ein anderer NS übergeordnet ist; andererseits bilden koordinierte Teilsätze nicht unbedingt eine Hauptsatzreihe, weil in der Satzperiode auch Nebensätze koordiniert auftreten können. Je nach Stellung des Nebensatzes/Untersatzes zum Hauptsatz/Ober-

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4. Grammatik als System

satz(rest) wird zwischen Vordersatz (NS vor HS), Zwischensatz (NS im HS) und Nachsatz (NS nach HS) unterschieden. Die Differenzierungsprinzipien zwischen Unterordnung und Nebenordnung sind teils formal, teils funktional. Formale Merkmale sind die Verbstellung, die Fügewörter und die Korrelate. So sind die Teilsätze mit Endstellung des Verbs immer einem anderen Satz untergeordnet. Da die Endstellung die Verwendung eines Einleiteworts voraussetzt, spricht man in diesen Fällen von eingeleiteten Nebensätzen. Das Einleitewort kann eine Subjunktion (Subjunktor), ein Relativpronomen oder ein w-Wort sein. Dementsprechend gibt es auch eine Einteilung der Nebensätze in Konjunktionalsätze (Subjunktorsätze), Relativsätze und (indirekte) Interrogativsätze. Korrelate, die als solche die Satzgliedrolle des Nebensatzes doppeln, kommen nur bei Unterordnung vor. Herkömmlich werden Teilsätze mit bestimmten Satzgliedfunktionen auch dann zu den Nebensätzen gezählt, wenn sie keine Spannsätze sind. Das sind Subjektsätze (13), Objektsätze, Konditionalsätze, Konzessivsätze (14) und Komparativsätze (15). Letztere haben das Einleitewort als, die anderen vier sind uneingeleitet. (13)

Es ist besser, du gehst jetzt zu ihm.

(14)

Ist er auch in einer hohen Position, er kann nicht alle Probleme lösen.

(15)

Allerdings tut er so, als könnte er alles lösen.

Eine Subordinationsbeziehung besteht auch zwischen Infinitivkonstruktion (16) bzw. Partizipialkonstruktion zu ihren jeweiligen Obersätzen. (16)

Sie beschließt, das Boot zu kaufen.

Allerdings entspricht ein Satz mit nur einem Finitum nicht ohne Weiteres der Definition eines komplexen Satzes, sofern man unter einem Verbalkomplex nur ein Syntagma mit einer finiten Form versteht. Ein Übergangstyp zwischen dem einfachen und komplexen Satz ist der sog. zusammengezogene Satz. Er lässt sich auf koordinierte Verbindungen zurückführen, deren Komponenten identische Glieder enthalten. Die Wiederholung wird durch Tilgung vermieden. Wenn die Prädikate zusammenfallen, entsteht ein Satz, der nur ein Prädikat hat, aber als komplexer Satz behandelt werden muss (17). (17)

Jochen kommt mit dem Intercity und Gabi kommt mit dem Fernbus.

In einer Satzreihe stehen Teilsätze meistens nacheinander und nicht ineinander verschachtelt. Es gibt jedoch eingefügte Kommentare, die einen Teilsatz unterbrechen. Nur bei Parenthesen kommt ein Hauptsatz im Inneren eines anderen Hauptsatzes vor. Ein parenthetischer Hauptsatz wird auch Schaltsatz genannt. (18)

Der Kraftstoff – ich habe es heute gehört – wird wieder teurer.

Eine feinere Klassifizierung ergibt sich, wenn die Satzgliedfunktion der Nebensätze als Einteilungskriterium verwendet wird. Demnach spricht man vom Subjektsatz (19),

7. Systematische Einführung zur Grammatik 82

Objektsatz ((20)–(22)), Prädikativsatz (23), Adverbialsatz ((24)–(30)) und Attributsatz (31). (19)

Dass er noch etwas Geld auf seinem Konto hatte, beruhigte ihn.

(20)

Ich wusste, dass du recht hast. [Akkusativobjekt]

(21)

Ich werde beschuldigt, dass ich nicht gerecht war. [Genitivobjekt]

(22)

Ich zweifelte, dass er alles verstanden hat. [Präpositionalobjekt]

(23)

Sie werden, was auch ihre Eltern waren.

(24)

Als wir losgingen, regnete es schon. [Temporalsatz]

(25)

Solange sie erzählte, saßen die Kinder ruhig. [Temporalsatz]

(26)

Du kannst studieren, wo du willst. [Lokalsatz]

(27)

Er spricht so, dass er vor jedem Wort eine Pause macht. [Modalsatz]

(28)

Er lernt jetzt fleißiger, als er im Gymnasium gelernt hat. [Komparativsatz]

(29)

Morgen kann ich nicht kommen, weil ich zum Zahnarzt muss. [Kausalsatz]

(30)

Sie ziehen in die Stadt, damit das Kind in eine bessere Schule geht. [Finalsatz]

(31)

Ich kenne den Mann, der im Wagen sitzt. [Relativsatz]

Bei einer valenzbedingten Einteilung der Funktionen entsprechen den Subjekt-, Objektund Prädikativsätzen sowie einigen Adverbialsätzen verschiedene Arten von Komplementsätzen (Ergänzungssätze, satzförmige Ergänzungen); den meisten Adverbialsätzen entsprechen Supplementsätze (Angabesätze). Außerdem gibt es einige Funktionen, die nur in Satzform eine formale Unterordnung zeigen (z.B. Adversativsatz (32), weiterführender Nebensatz/Relativsatz (33)). Im einfachen Satz kommen keine Satzglieder mit diesen Funktionen vor. (32)

Während er zu Hause noch alles wusste, konnte er bei der Prüfung kaum etwas zum Thema sagen.

(33)

Er war noch immer nicht zu Hause, was die Eltern sehr beunruhigte.

WSK 1.1: Konjunktion; Konjunktor; Passiv; Subjunktor WSK 1.2: Angabesatz; Ellipse; funktionale Satzperspektive; Grammatik; Grammatikalklammer; Grammatiktheorie; Hauptsatz; Infinitivkonstruktion; Komplementsatz; Koordination; Nebensatz; Oberflächenstruktur; Partizipialkonstruktion; Phrase; Relativsatz; Satz; satzförmige Ergänzung; Satzgefüge; Satzglied; Satzklammer; Satzmodus; Satzreihe; Satztyp; Satzverbindung; Stellungsfeldermodell; Struktur; Subordination; Supplementsatz; Syntagma; Syntax; Syntaxtheorie; Tiefenstruktur; Topologie

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4. Grammatik als System

§ 18 Phrase Phrasen sind syntaktische Einheiten und somit in der Satzstruktur meistens Konstituenten von komplexeren Einheiten. Phrasen können unabhängig von der Einheit, deren Konstituente sie sind, analysiert und auf Wohlgeformtheit geprüft werden, wobei nur gesättigte Phrasen als wohlgeformt gelten. Gesättigt ist eine Phrase dann, wenn in ihr alle vom Phrasenkopf geforderten Elemente enthalten sind. Die meisten Phrasen in der deutschen Sprache sind so aufgebaut, dass ihr Kopf auch allein die betreffende Phrase vertreten kann; z.B. kann ein Adjektiv auch allein, ohne Komplement, eine Adjektivphrase darstellen. Aber eine PP ist nur vollständig, wenn neben deren Kopf, der Präposition, mindestens eine weitere, vom Kopf regierte Phrase (meist eine NP) enthalten ist. Eine spezifische Art der Phrase sind Sätze, die sich in mehrere Phrasen zerlegen lassen. Der Terminus Phrase kommt in verschiedenen grammatischen Modellen vor, ebenso wie die sinnverwandten Termini Syntagma oder Wortgruppe. In mehreren generativen (und auch nicht-generativen) Phrasenstrukturgrammatiken ist die Phrase ein zentraler Terminus. In der frühen GG wurden zwar auch exozentrische Phrasen (solche ohne Kopf) angenommen, aber seit Langem herrscht Konsens darüber, dass alle Phrasen endozentrisch sind. Als exozentrisch galt die Phrase S (Satz), bestehend aus den gleichrangigen Phrasen NP und VP. Die X-bar-Syntax und die diese anwendende Prinzipien- und Parametertheorie stellen auch den Satz als Phrase dar, indem eine funktionale Kategorie als Kopf angenommen wird und nicht eine lexikalische Kategorie wie V oder N. Der Kopf des Satzes kann inflection (I) oder (vor allem bei Nebensätzen) ein complementizer (C) sein, wonach der Satz statt S eine IP bzw. CP wird. I symbolisiert die Finitheitsmerkmale des Satzes, die in den Formativen des Verbs stehen. Nach der X-bar-Theorie sind alle Phrasen gleich strukturiert, so dass die NP den funktionalen Kopf Determiner (D) enthält, der aus der NP eine DP macht, wobei eine NP als Komplement von D im Inneren der Phrase erhalten bleibt. In der GG wird mit Phrasenstrukturregeln beschrieben, aus welchen Kategorien und/ oder Phrasen wohlgeformte Phrasen bestehen können. Die Phrase wird nach ihrem Kopf benannt, d.h. die Verbalphrase nach dem Kopf Verb, die Adverbphrase nach dem Kopf Adverb usf., was in der X-bar-Notation konsequent realisiert wird, indem die Kopfkategorie auf jeder Projektionsebene erscheint. Die Phrasenstruktur lässt sich graphisch in einem Strukturbaum darstellen, dessen Knoten Symbole sind (Abb. 3). Die untersten, die (prä)terminalen Symbole (D, N, V, P, N), sind Kategoriensymbole, und über diesen befinden sich Symbole für die Phrasen (NP, VP, PP). Die Phrase, die ihre Konstituenten dominiert (d.h. über ihnen dargestellt ist), wird nach ihrem Kopf benannt, z.B. die PP nach dem Kopf P (für Präposition). Der sog. Mutterknoten (in Abb. 3 z.B. PP) dominiert zwei Konstituenten (P und N), welche daher als Töchter bezeichnet werden. D und N wiederum sind Schwestern, wobei der Kopf diejenige ist, ohne die die Phrase nicht vorkommen kann (in der PP ist es P, in der VP ist V der Kopf).

7. Systematische Einführung zur Grammatik 84 S NP D Diese

VP N Autobahn

V führt

PP P nach

N München.

Abb. 3: Strukturbaum des Satzes Diese Autobahn führt nach München

WSK 1.2: Adjektivphrase; Adverbphrase; Anapher (1); Determinansphrase; Konstituente; Nominalphrase; Phrase; Präpositionalphrase; Satz; Struktur; Syntagma; Testverfahren; Verbalphrase; X-barTheorie

§ 19 Syntaktische Funktionen In Konstituentenstrukturgrammatiken werden syntaktische Funktionen als Relationen zwischen Konstituenten behandelt. So ist in Abb. 3 die NP unter S das Subjekt des Satzes. Dependenzgrammatiken verwenden die einzelnen Satzglieder zu einer funktionalen Unterteilung der Verbdependentien, wobei die konsequente Berücksichtigung der Valenzgebundenheit zu Modifikationen der traditionellen Satzgliedlehre führt: lokale Adverbiale sind Ergänzungen (sog. Situativergänzungen), wenn sie nicht weglassbar sind, z.B. irgendwo wohnen, und sie sind Angaben (Lokalangaben) neben anderen Verben, z.B. irgendwo lesen. Die IDS-Grammatik legt der Systematisierung der Funktionen gleichfalls die Verbvalenz zugrunde. Statt Satzglied wird hier der Terminus primäre Komponente des Satzes verwendet. Zu diesen Komponenten gehört auch der Verbalkomplex. Die restlichen Komponenten sind aufgrund der Valenzbindung Komplemente und Supplemente. Die funktionale Unterteilung erfolgt vornehmlich aufgrund der Leitformen, woraus Komplemente wie Akkusativkomplement, Prädikativkomplement, Situativkomplement u.a. sowie Supplemente wie negatives Satzadverbial, Lokaladverbial, qualifizierender Modifikator u.a. resultieren. Falls in einer Verbgrammatik die traditionelle Einteilung der Satzglieder beibehalten wird, resultiert daraus die parallele Behandlung zweier Systeme, die nicht direkt voneinander ableitbar sind. Adverbialbestimmungen werden daher im Teilsystem der Valenzbindungen mal den freien Angaben, mal den fakultativen oder obligatorischen Aktanten/Ergänzungen des jeweiligen Valenzträgers zugeordnet. Syntaktische Funktionen sind mit semantischen Funktionen verbunden, die den thematischen Rollen entsprechen. Das ist keine Eins-zu-eins-Relation, denn dem Agens (Täter, Urheber einer Handlung) entspricht nicht immer das Subjekt (z.B. in Passivsätzen) und das Subjekt ist nicht immer Agens (etw. gefällt, etw. zerbricht). Ähnlich verhält es sich mit dem Patiens (Objekt, das vom Agens in Zustand oder Lage verändert wird), das nicht immer Akkusativobjekt ist, und mit dem Adressat (Rezipient von Objekten), der nicht zwangsläufig ein Dativobjekt ist.

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4. Grammatik als System

Ein häufig in Grammatiken des Deutschen verwendetes Kriterium zur Bestimmung eines Satzglieds ist dessen freie Beweglichkeit innerhalb eines Satzes, die meist auch die Vorfeldfähigkeit impliziert. Man kann mit dem Permutationstest die Grenzen zwischen den satzgliedfähigen Konstituenten feststellen und ermitteln, welche Wörter sich gemeinsam verschieben lassen und somit ein Satzglied bilden. Die Vorfeldfähigkeit von Konstituenten ist in der Regel ein eindeutiger Beleg für die Festlegung als Satzglied. Ein anderes Verfahren ist die Anaphorisierbarkeit, mit der ein Satzglied aufgrund von Pro-Wörtern über einen Pronominalisierungstest bzw. Substitutionstest identifiziert wird. Auch Fragewörter (wer, wessen, wem, wen oder was, wo, wann, wohin u.a.) gelten als Anaphern, so dass hier die schulgrammatische Analysemethode der Fragenformulierung über die Frageprobe angewendet wird. Je nach Satzglied gibt es auch spezifische Verfahren, z.B. zur Abgrenzung der vorfeldfähigen Modalwörter (vielleicht, glücklicherweise, wahrscheinlich), die nicht anaphorisierbar sind, von den anaphorisierbaren Adverbialen (dort, hier, heute, vormittags). Problematisch sind die nichtfiniten Teile eines Verbalkomplexes als Prädikat, die nicht anaphorisierbar sind und mit dem Finitum eine lexikalische Einheit bilden. Dabei ist es möglich, dass ein Infinitiv oder ein Partizip aus der rechten Satzklammer ins Vorfeld verschoben wird (34). (34)

Gelacht habe ich gar nicht.

Auch der funktionale Status eines Prädikativums ist nicht einheitlich. Das Subjektsprädikativ (35) wird u.a. auch Gleichsetzungsnominativ, Nominalergänzung, Prädikativkomplement genannt. (35)

Mein Freund ist Physiker.

In den meisten Grammatiken wird das Prädikativum als funktionaler Bestandteil des Prädikats angesehen. Dem widerspricht einerseits die Vorfeldfähigkeit, andererseits die Anaphorisierbarkeit dieses Elements. (36)

Ein guter Physiker ist er. → Was ist er?

Einige verschiebbare Elemente sind nicht vorfeldfähig, aber anaphorisierbar bzw. selbst anaphorische Elemente. Dazu gehört das akkusativische es, das seine Stellung im Mittelfeld begrenzt verändern kann, aber nie im Vorfeld steht. (37)

Sie weiß es. – Weiß sie es? – Weiß es Petra? – *Es weiß sie.

Nach dem Kriterium der Dependenzbeziehung gelten nur Dependentien des Prädikats als Satzglied. Die übrigen Elemente sind Satzgliedteile bzw. Attribute. Diese haben auch eine syntaktische Funktion, die aber nicht für die Relation zwischen dem Prädikat und einem seiner Satelliten gilt. Im Sinne dieses Satzgliedbegriffs ist das Prädikat selbst ebenfalls kein Satzglied. Verschiebbar und zugleich attributiv sind die prädikativen Attribute. Sie können Adjektive, Partizipien oder eine Präpositionalgruppe sein.

7. Systematische Einführung zur Grammatik 86

(38)

Tiefst beleidigt verließ er das Zimmer des Direktors.

Es kann zwischen Stellungsgliedern und syntaktischen Funktionsgliedern unterschieden werden, wobei nur Letztere Satzglieder sind. Stellungsglieder sind die Elemente, die sich durch die Verschiebeprobe als beweglich und erststellenfähig erweisen. Die Funktionsglieder hingegen werden auch durch ihre Abhängigkeitsbeziehungen und Substitutionsmöglichkeiten charakterisiert. Demnach ist z.B. das prädikative Attribut ein Stellungsglied, aber aufgrund der Abhängigkeitsstruktur kein Satzglied. Die Satzgliedfunktionen werden nach der Wortart und den morphologischen Merkmalen der Proformen klassifiziert. So ist z.B. ein Satzglied eine Adverbialbestimmung (ein Adverbial), wenn es durch ein Adverb ersetzt werden kann (39), während die PP auf den Wagen in (40) ein Präpositionalobjekt ist, weil hier kein Adverb i.e.S., sondern ein Pronominaladverb (darauf) als Pro-Wort eingesetzt werden muss. (39)

Er stellte die Vase auf den Tisch. → Er stellte die Vase dorthin.

(40)

Sie verzichtete auf den Wagen. → Sie verzichtete darauf.

In Sprachen, die keine morphologisch markierten Kasus haben wie z.B. das Englische, werden Funktionen wie Subjekt und Objekt, geteilt in direktes und indirektes Objekt, durch andere formale Merkmale, in der Regel die Topologie, identifiziert. Die semantische Unterteilung der Adverbiale ist in allen ide. Sprachen mithilfe der Ersatzprobe möglich. WSK 1.1: Akkusativ; Dativ; Form; Genitiv; Nominativ; Passiv WSK 1.2: Adjunktion; Adverbial; adverbiale Bestimmung; Agens; Anapher (1); Angabe; Apposition; Argument; Attribut; Ergänzung; freie Angabe; Funktion; Komplement; Konstituente; Konstituententest; Kopf; Koreferenz; Negation; Objekt; Patiens; Phrase; Prädikat; Prädikativum; Präpositionalobjekt; Proform; Rezipient; Satzglied; semantische Rolle; Stellungsglied; Subjekt; Syntagma; syntaktische Funktion; Testverfahren; Theta-Rolle

§ 20 Valenz Valenz ist die Fähigkeit von bestimmten Wörtern (vor allem Verben, aber auch Adjektiven und Substantiven), eine Anzahl anderer Wörter oder Wortgruppen an sich zu binden. Der Terminus Valenz ist von Lucien Tesnière (1959) aus der Terminologie der Chemie entlehnt worden. Die historische Wurzel der Valenz findet man schon in der prämodistischen Syntax (ca. 800–1000 n. Chr.) und in der modistischen Syntax der Hochscholastik (ca. 1200–1400 n. Chr.). Sehr viel später ist es im 18. Jahrhundert Johann Werner Meiner, der Valenz als eine relationale semantische Eigenschaft von Prädikaten (somit nicht nur von Verben, sondern auch von Adjektiv-Kopula-Konstruktionen) auffasst (vgl. Meiner 1781: 127). Im 19. Jahrhundert wird der Gedanke der Valenz nur in wenigen Grammatiken verfolgt, u.a. bei Christian August Heyse (1816), der zwischen subjektiven Verben, die keine Ergän-

87

4. Grammatik als System

zung fordern, und objektiven Verben, die eine Ergänzung fordern, unterscheidet. Auch bei Franz Kern (1883: 5f.) gibt es grundlegende Gedanken zur Valenz, da Kern das finite Verb als „Satzkeim, die Satzwurzel,“ ansieht, ohne die ein Satz nicht bestehen kann. Bei Karl Bühler (1934: 173) findet man den Begriff der Leerstelle, durch den näher bestimmt wird, welche Wörter einen Satz eröffnen, so dass andere Wörter diese Leerstellen füllen können. Bei Solomon D. Kacnel’son (1948) kommt auch der Terminus „Valenz“ vor, der eine verdeckte Fügungspotenz meint und sich insbesondere auf die syntaktische Valenz bezieht (1948: 32).2 Tesnière vergleicht den Satz mit einem Theaterstück, dessen Handlung durch das Verb ausgedrückt wird. Die Schauspieler sind die actants (Aktanten/Ergänzungen/Komplemente), die Umstände werden durch circonstants (Circumstanten/Angaben/Supplemente) ausgedrückt. In der Valenztheorie sind bis heute einige grundlegende Fragen, z.B. die eindeutige Differenzierung zwischen Ergänzungen und Angaben, nicht vollständig geklärt. Daher wird in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts sogar von einer „Valenzmisere“ gesprochen.3 In der Folge neigen einige Valenztheoretiker dazu, auf die Tesnière'sche Dichotomie von Aktant und Circumstant zu verzichten, und bevorzugen eine völlig oder teilweise kontinuierliche Skala der Valenzbindungsstärke. Dabei bleibt jedoch das monokriteriale Valenzkonzept, das von nur einem Valenzkriterium ausgeht. Dies kann z.B. die Präsupponiertheit (testbar als Assoziiertheit) oder die Beteiligtheit (Sachverhaltsbeteiligung) sein. Anders sind polykriteriale Konzepte aufgebaut, die sich grundsätzlich in zwei Gruppen teilen lassen: (a) die Mitte des 20. Jahrhunderts erscheinenden Ebenenmodelle; (b) die multidimensionalen Modelle aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts In den Ebenenmodellen existiert Valenz auf mehreren Ebenen, die nicht isomorph sind. Die tiefste, sprachübergreifende Ebene ist die der logischen Valenz, auf der Prädikate mit einer Anzahl von Argumenten verbunden sind, die als sinnnotwendige Elemente im Leerstellenplan der Lexeme verankert sind, deren Bedeutung dem betreffenden logischen Prädikat entspricht. Auf der semantischen Ebene werden den Argumenten thematische Rollen (Agens, Rezipient u.a.) zugeordnet, und eine ebenfalls als semantisch zu bezeichnende Ebene stuft die Valenzpartner in Bedeutungsklassen (Person, unbelebt, abstrakt, konkret u.a.) ein, die mit der Bedeutung des Valenzträgers verträglich sind. Auf den höheren, den morphosyntaktischen Ebenen ist festgelegt, welche Argumente bei konkreten Valenzträgerlexemen als obligatorische und welche als fakultative Ergänzungen realisiert werden müssen/können bzw. welche in Oberflächen-Realisierungen blockiert bleiben, z.B. das Argument für den Inhalt der Lüge bei belügen. Multidimensionale Modelle betrachten Valenz als ein Epiphänomen, das verschiedene, voneinander grundsätzlich nicht abhängige Valenzkriterien zusammenfasst, die aber in einigen Fällen Implikationsbeziehungen aufweisen. Zur Bestimmung der Kriterien 2 Vgl. den sehr guten zusammenfassenden Überblick zur Geschichte der Valenzidee in Ágel (2000: 15ff.). 3 Das Wort hat Joachim Jacobs 1986 in einem Typoscript mit dem Titel „Kontra Valenz“ gebraucht – später als Jacobs (1994) publiziert.

7. Systematische Einführung zur Grammatik 88

werden unterschiedliche Valenztests eingesetzt, die in konkreten Fällen verschiedene Einstufungen ergeben können, so dass nach Testanwendung eine Konstituente als Ergänzung (Komplement), nach der Anwendung eines anderen Tests als Angabe (Supplement) ausgewiesen wird. Das Kriterium der Notwendigkeit (Fixiertheit, Obligatorik) wird z.B. mit dem Reduktionstest (Eliminierungstest, Weglassprobe) getestet, der jede weglassbare Konstituente als Supplement einstuft, so z.B. auch das Objekt von essen. Ein anderes Kriterium ist die Sachverhaltsbeteiligung (Beteiligtheit), die mithilfe des Folgerungstests (Implikationstest) ermittelt werden kann. Da aus der Bedeutung von essen ein Objektreferent, d.h. etwas, das gegessen wird, folgt, also sachverhaltskonstitutiv ist, muss das Objekt, das aufgrund des Reduktionstests Angabe sein müsste, nach diesem Kriterium Komplement sein. Für valenzlexikographische bzw. grammatikographische Zwecke wird eine mit einer Hierarchisierung einhergehende Algorithmisierung vorgeschlagen, mit deren Hilfe in jedem Fall eine mehr oder weniger eindeutige Einstufung als Komplement oder Supplement erreicht werden soll. Dieses Verfahren einer Testserie wird u.a. im Valenzwörterbuch VALBU (Schumacher et al. 2004: 26f.) und in der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997: 1043ff.) angewendet. Dabei sind der Reduktionstest, Folgerungstest und Anschlusstest nacheinander ausgeführt, indem die beiden letzten mit dem Output der vorangehenden Tests fortfahren. Zum Kernbereich der Komplemente gehören außer den nicht (oder nur in spezifischen Kontexten) weglassbaren Phrasen diejenigen Konstituenten, die sowohl nach dem Folgerungstest als auch nach dem Anschlusstest uneingeschränkt als Komplement-Kandidaten gelten. Die restlichen Komplemente befinden sich im Randbereich. Ein multidimensionales Modell arbeitet mit gleichrangigen, voneinander unabhängigen Dimensionen, die eine Matrix mit Plus- und Minuswerten ergeben. Hierbei werden auch weitere Begriffe wie Rektion, Konstanz, Kasustransfer (zusammenfassend etwa Formspezifik) sowie Perspektivierung einbezogen. Die Merkmale Sachverhaltskontextualisierung und autonome Kodierung gehen in der Regel mit dem Supplementstatus einher. Eine eindeutige Einstufung wird auch hier erreicht, indem man alle Kombinationen in jedem Fall entweder als Komplement oder als Supplement identifiziert. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, aufgrund der Merkmalkombinationen eine Skalierung vom Komplement zum Supplement vorzunehmen. Die Relevanz von Valenz für die Grammatikographie ist vor allem in der Beschreibung der syntaktischen Grundstrukturen erkennbar. Viele Grammatiken des Deutschen geben eine Anzahl von Satzbauplänen (Satzmodellen, Satzmustern) an, welche die von der Verbvalenz bestimmten Kombinationen der Ergänzungen darstellen. Als höchste Zahl der Ergänzungen (d.h. der quantitativen Valenz, der Wertigkeit) wird in der Regel vier angenommen (z.B. X ['Käufer'] kauft Y ['Objekt'] von Z ['Verkäufer'] für W ['Geld']). Mit den nullwertigen Verben sind es insgesamt fünf Gruppen, die, unterteilt durch die Einbeziehung der Fakultativität, ca. zehn Satzmodelle ergeben.4 Wenn Ergänzungen in 4 Bei Helbig/Buscha (2001: 522ff.) sind es genau zehn, nach denen anschließend weitere rund 20 sekundäre Satzmodelle mit adjektivischen bzw. substantivischen Valenzträgern angeführt werden.

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4. Grammatik als System

den Satzbauplänen auch nach ihren Funktionen (z.B. Subjekt, Akkusativergänzung, Adverbialergänzung) spezifiziert werden, erhöht sich die Zahl um ein Vielfaches. Ohne die Angabe der Fakultativität durch Klammerung soll die Strukturdarstellung laut Engel (1992) Satzmuster, mit den runden Klammern dagegen Satzbauplan genannt werden. Engel listet 49 Satzmuster für das Deutsche auf, in denen aber auch die Adverbialergänzungen unterteilt sind (Direktivergänzung, Situativergänzung u.a.). WSK 1.1: Kasus; Passiv WSK 1.2: Adjektivvalenz; Angabe; Angabesatz; Argument; Ergänzung; Komplement; Lexikon (2); Prädikat-Argument-Struktur; Rektion; Satzmodell; semantische Rolle; Substantivvalenz; Supplementsatz; Testverfahren; Transitivität; Valenz; Valenztheorie; Verbvalenz § 21 Konstituenten- und Dependenzstruktur Die Wörter in einem Satz sind über eine gemeinsame Struktur verbunden, so dass unter den Wörtern ein Zusammenhang besteht, der unmittelbar, aber auch indirekt sein kann. In (41) hängen mit Lied sowohl ein als auch singt zusammen, die Verbindung zu ein ist jedoch enger. Dies wird u.a. dadurch bestätigt, dass ein Lied mit einem einzelnen Wort ersetzt werden kann, wobei singt erhalten bleibt (41a), aber singt und Lied lassen sich nicht durch ein einziges Wort ersetzen. (41)

Der Mann singt ein Lied.

(41a) Der Mann singt etwas. Nicht nur Wortpaare, sondern auch längere Wortgruppen können durch Einzelwörter substituiert werden. Satz (41) – ebenso wie die meisten deutschen Sätze – kann man in zwei Wortgruppen teilen: der Mann und singt ein Lied. Erstere kann man z.B. durch er, letztere z.B. durch singt ersetzen. Diese umfangreichsten Teile des Satzes, die man durch Einzelwörter (die auch Anaphern sein können) ersetzen kann, sind seine unmittelbaren Konstituenten. Die größten Konstituenten lassen sich dann in ihre eigenen unmittelbaren Konstituenten teilen (z.B. der Mann in der und Mann). Die Konstituentenstruktur kann durch eine Klammernotation dargestellt werden (41b). (41b) [[Der Mann] [singt [ein Lied]]]. Die Grammatiken, die Sätze in dieser Weise in Konstituenten zerlegen, werden Konstituenten(struktur)grammatiken genannt. Dazu gehören die meisten Versionen der GG. Die Konstituentenstruktur von konkreten Sätzen lässt sich in der GG mit Ersetzungsregeln ableiten. Die Konstituentenstruktur wird dadurch zu einer Phrasenstruktur bereichert, in der alle Konstituenten eigene Benennungen haben, d.h. nicht nur die kleinsten, die präterminalen Elemente (V, N, P u.a.), sondern auch die Wortgruppen, die Phrasen (z.B. VP, NP, PP), die die präterminalen Elemente enthalten. Mit den Phrasensymbolen können

7. Systematische Einführung zur Grammatik 90

Klammerdarstellungen wie (41c) mit indizierter Klammerung ergänzt bzw. die Knoten entsprechender Strukturbäume bezeichnet werden. (41c) [[DET N]NP [V [DET N]NP]VP]. Die Analyse von Sätzen nach unmittelbaren Konstituenten ist bereits vor der Entstehung der GG von den Strukturalisten (u.a. Wells 1947; Harris 1951) durchgeführt worden, die untersucht haben, welche Paare von benachbarten Wörtern durch Einzelwörter ersetzbar sind. Mit dieser Methode gelangt man schrittweise zu einem Wortpaar, das aus einem Nomen und einem Verb besteht. Das Verfahren funktioniert auch in der entgegengesetzten Richtung, d.h., man geht vom Ganzsatz aus und teilt diesen in immer kleinere Segmente, bis man zu Konstituenten kommt, die nicht weiter teilbar sind. Anstelle eines ersetzenden Einzelworts kann auch dessen Wortart angegeben werden. Dies ergibt beinahe die gleiche Darstellungsweise wie in der GG. Die Topologie, die bereits in der strukturalistischen Analyse nach unmittelbaren Konstituenten sehr wichtig ist, bleibt auch in der generativen Linguistik zentral. In der Dependenzgrammatik heißen die baumartigen Darstellungen Stemmata. Das Verhältnis zwischen zwei Wörtern ist bei Tesnière die dritte Komponente eines ZweiWort-Syntagmas; er nennt dieses Verhältnis Konnexion. In einem herkömmlichen Dependenzstemma (wie bei Tesnière) stehen in konkreten Sätzen als Knoten keine Kategorienoder Phrasensymbole, sondern die Wörter selbst. In verallgemeinernden Darstellungen werden die Wörter durch das Symbol ihrer Kategorie ersetzt. Die Dependenzstruktur basiert vor allem auf dem Dependenzbegriff, nach dem u.a. ein Valenzträger Regens ist, das den Aktanten, die seine Dependenzien sind, immer übergeordnet ist. Dependenz und Konstituenz als zwei mögliche Aspekte der syntaktischen Struktur sind mehrfach verglichen worden, aber die Ergebnisse sind nicht einheitlich. Das mag daran liegen, dass sich diese Aspekte in diversen konkreten Versionen verkörpern, die über reine Dependenzbeziehungen und Konstituenzbeziehungen hinaus verschiedene andere Informationen verarbeiten. Zudem gibt es sowohl unterschiedliche Dependenzbegriffe als auch unterschiedliche Konstituenzbegriffe. WSK 1.2: Dependens; Dependenzgrammatik; Konnexion; Konstituente; Konstituentenanalyse; Kon­ stituentenstrukturgrammatik; Kopf; Phrase; Regens; Rektion; Satz; Stemma; Struktur; Strukturbaum; Valenz

5. Grammatik als Theorie § 22 Traditionelle Grammatik Unter der Bezeichnung traditionelle Grammatik werden vor allem Unterrichtszwecken dienende, lateinischen Vorbildern folgende Gebrauchsgrammatiken geführt. Auch wenn eine traditionelle Grammatik keine konsistente Theorie im Sinne der modernen Linguis-

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5. Grammatik als Theorie

tik enthält, gibt es wegen der langen Tradition eine gewisse Einheitlichkeit, so dass sich verschiedene Theorien kontrastierend auf die traditionelle Grammatik berufen. In der Strukturierung, Begrifflichkeit und Terminologie entdeckt man theoretische Ansätze der antiken Philosophie und Logik (Plato, Dyonysios Thrax), aber die vielerorts im Schulunterricht eingesetzte traditionelle Grammatik hat ihre Ausprägung der praxisorientierten Grammatikographie der letzten Jahrhunderte zu verdanken. Die traditionelle Grammatik konzentriert sich auf das Wort und den Satz, jedoch nicht auf die Phrase oder die Phrasenstruktur. Beim Wort steht die Flexion im Vordergrund, und die Termini der Formenlehre sind vornehmlich Lehnwörter aus dem Lateinischen (z.B. Kasus, Nominativ, Akkusativ, Genus, Plural). Die Einteilung der Wortarten hat sich seit Dyonysios Thrax wenig verändert; es werden die aus dem Griech. ins Lat. übertragenen Termini Nomen, Verb, Partizip, Adverb, Präposition, Konjunktion, Pronomen, Artikel usw. benutzt. Was in späteren Grammatiken des Deutschen hinzukommt, sind das Adjektiv und die Partikel, das Partizip hingegen wird als eine Form des Verbs behandelt. Auch beruht die Einteilung der Wortarten auf sehr heterogenen Kriterien, die sowohl morphologisch als auch syntaktisch und semantisch sind (vgl. § 9). Der Satz wird in der traditionellen Grammatik nach einer traditionellen Satzgliedlehre betrachtet, in der Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbial und Attribut bestimmt werden. In aktuellen Grammatiken wird das Attribut als Satzgliedteil gesehen, und in dependenziell ausgerichteten Grammatiken ist das Prädikat allen Satzgliedern übergeordnet. Es besteht keine grundsätzliche Orientierung an Konstituenten- oder Dependenzstrukturen. Ansatzweise wird die Zusammengehörigkeit von Satzteilen bestimmt, z.B. zwischen Attribut und Bezugswort bzw. zwischen Bestandteilen eines Satzgliedes. Im Vordergrund steht die funktionale Struktur, die durch die Satzglieder festgelegt wird. Da Valenzbeziehungen außer Acht gelassen werden, werden Satzglieder nicht in Ergänzungen/Komplemente und Angaben/Supplemente eingeteilt. Auch bleiben funktionale Aspekte der Kommunikation weitgehend unberücksichtigt. WSK 1.1: Formenlehre; Wortart WSK 1.2: Grammatikographie; Satzglied; Schulgrammatik; Sprachtheorie; Syntax; Testverfahren; traditionelle Grammatik

§ 23 Phrasenstrukturgrammatik Eine Phrasenstrukturgrammatik ist eine Konstituentenstrukturgrammatik, in der komplexe Konstituenten als grundsätzlich endozentrische Phrasen behandelt werden. Kontextfreie Phrasenstrukturregeln, wie sie im Rahmen der amerik. deskriptiven Linguistik etabliert und dann in mehreren, vor allem generativen Forschungsrichtungen weiterhin verwendet werden, sind in erster Linie auf syntaktische Strukturen bezogen (z.B. S → NP VP). Deshalb sind diese Regeln nicht geeignet, ein grammatisches System vollständig zu beschreiben; denn zu diesem gehören auch morphologische Regeln sowie Verknüpfun-

7. Systematische Einführung zur Grammatik 92

gen zwischen Formen und Bedeutungen. In der Generativen Transformationsgrammatik (= GTG) hat man daher zur Vervollständigung der Darstellung der grammatischen Kompetenz des native speaker die syntaktische Komponente mit einer semantischen und einer phonologischen Interpretationskomponente ergänzt. Letztere soll u.a. morphonologischen Realisierungen Rechnung tragen, aber die meisten Regeln der Morphologie verbleiben im Lexikon. In der GTG soll durch – z.T. kontextsensitive – Transformationsregeln, die über Phrasenstrukturen operieren, die unendliche Vielfalt der Satzstrukturen der Oberfläche modelliert werden. Transformationen haben in der Weiterentwicklung der GG Chomskyʻscher Prägung zunehmend an Relevanz verloren und spielen in den jüngeren Modellen der GG und im Minimalistischen Programm seit 1992 (vgl. Chomsky 1995) nur noch eine periphere Rolle. Andere Modelle, die auch zu den Phrasenstrukturgrammatiken zu zählen sind, stellen dem Chomsky-Ansatz Alternativen gegenüber, indem sie gänzlich auf Transformationen verzichten. Die Generalized Phrase Structure Grammar (= GPSG) ist eine merkmalsbasierte Unifikationsgrammatik, die die durch die Phrasenstrukturregeln erzeugten Strukturbäume mit Merkmalsstrukturen verbindet, so dass syntaktische und semantische Charakteristika der Phrasenstrukturen auf einer gemeinsamen Ebene repräsentiert werden können. Es ist somit eine monostratale Grammatik. Statt Strukturen mithilfe von Transformationen voneinander abzuleiten, verwendet man generalisierte Metaregeln, die korrelierende Regeln (z.B. die zur Bildung von aktivischen und die zur Bildung von passivischen Strukturen) miteinander verbinden. Die Head-driven Phrase Structure Grammar (= HPSG) kann als eine Weiterentwicklung der GPSG angesehen werden, die jedoch erhebliche Unterschiede enthält. In der HPSG wird für Wörter und Phrasen der Oberbegriff sign ('Zeichen') eingeführt. Wort und Phrase sind Typen, die Attribute mit ihren Werten haben. Alle Zeichen befinden sich in einem Lexikon i.w.S.; somit erhält das Lexikon der Sprache in der HPSG einen ähnlich hohen Stellenwert wie in der LFG (vgl. § 26). Die in den Lexikoneinträgen der Wörter gespeicherten Angaben zur Subkategorisierung spielen in den Phrasenstrukturen der HPSG eine wichtige Rolle: Mit Wohlgeformtheitsbeschränkungen wird erreicht, dass das Subjekt und (andere) Komplemente eines Kopfes diesen (z.T. semantischen) Subkategorisierungsinformationen des Lexikons entsprechen. Hier findet man eine starke Ähnlichkeit zu Dependenzgrammatiken (vgl. § 25). Die Kategorialgrammatik – sie gilt nicht als Phrasenstrukturgrammatik, ist aber damit verwandt – baut, ausgehend von Funktoren als ungesättigten Kategorien (z.B. Verben), die mit ihren Argumenten (z.B. NPn) vereinigt werden, schrittweise komplexe Strukturen, auch Sätze, auf. Das erinnert an Phrasenstrukturregeln, die nicht von den Wörtern zum Satz (d.h. bottom up), sondern vom Satz zu den terminalen Kategorien (d.h. top down, vgl. S → NP VP, NP → A N) gerichtet sind. In der Kategorialgrammatik kann der Ausgangspunkt der dynamischen Regel z.B. (s\np)/np sein, der einem transitiven Verb wie trinkt entspricht. Die Klammerung zeigt, dass zuerst die Argumentposition /np gefüllt werden muss (z.B. durch Kakao). Der Rest s\np steht somit für die VP trinkt Kakao. Das Element /np befindet sich vor s, die Sättigung ist also eine Rückwärtsapplikation. Wenn

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5. Grammatik als Theorie

als lexikalische Ausfüllung von /np Fritzchen gewählt wird, erhält man s (sentence) als Ergebnis des Prozesses für die Kette Fritzchen trinkt Kakao. Die syntaktischen Kategorien werden mit semantischen Typen charakterisiert, woraus eine zur syntaktischen isomorphe, kompositionelle semantische Struktur (vgl. Frege-Prinzip) resultiert. Zur Kategorie n (Nomen) gehört z.B. der Typ (Entität), zur Kategorie s der Typ (= true/false). WSK 1.2: Frege-Prinzip; Generalized Phrase Structure Grammar; Generative Grammatik; Head-driven Phrase Structure Grammar; Kategorialgrammatik; Kategorie; Konstituentenstrukturgrammatik; Kopf; Nominalphrase; Phrase; Phrasenstrukturgrammatik; Phrasenstrukturregel; Regel; Strukturbaum; Transformation; Unifikationsgrammatik; Verbalphrase

§ 24 Generative Grammatik Als erste Veröffentlichung in der Geschichte der Generativen Grammatik (GG) gilt Noam Chomskys „Syntactic Structures“ (1957). Der phrasenstrukturelle Formalismus der GG wurzelt in der amerik. deskriptiven Linguistik. Neu und seitdem für alle Versionen der GG charakteristisch war die Intention, mittels einer endlichen Menge von (z.T. rekursiven) sprachlichen Regeln und Elementen die unendliche Menge der möglichen Sätze einer Sprache zu erzeugen, wobei das Regelwerk samt Lexikon die Kompetenz des Muttersprachlers, d.h. eine mentale Repräsentation der Grammatik, modelliert. Verschiedene Ausprägungen der GG teilen die Ansicht, dass ein universeller Kern der Sprache angeboren ist. Außer den aufeinanderfolgenden Versionen Chomsky'scher Prägung gelten u.a. die LFG (§ 26), die Optimalitätstheorie (§ 27) und verschiedene Phrasenstrukturgrammatiken (§ 23) als generative Modelle. Die erste Etappe in der Entwicklung der von Chomsky geprägten GG enthält die Generative Transformationsgrammatik (GTG). Zu dieser gehörten außer der 1957 publizierten Grundversion die Standardtheorie (Aspekte-Modell, 1965), die Erweiterte Standardtheorie (EST, 1972) und die Revidierte Erweiterte Standardtheorie (REST, 1973). Transformationen sind Regeln einer Transformationskomponente der Grammatik, die aus den durch die Basiskomponente generierten Tiefenstrukturen Oberflächenstrukturen ableiten. Die Regeln der Basis sind kontextfreie Ersetzungsregeln, welche die Phrasensymbole durch die Symbole ihrer Konstituenten ersetzen. Letztere können wiederum für Phrasen oder für Kategorien stehen (Abb. 4). S NP VP DN NP VP V NP Abb. 4: Ersetzungsregeln (Phrasenstrukturregeln) 

Zur graphischen Darstellung der Phrasenstruktur dienen Baumgraphen, deren unterste Symbole Kategorien wie V, N, D, P, A, Adv sind, die mit Elementen (Wörtern) des Lexikons gefüllt werden, welche als Terminalsymbole dienen (Abb. 5).

7. Systematische Einführung zur Grammatik 94 S NP D

Die

VP N

V

Frau

kauft

NP D eine

N Schutzmaske.

Abb. 5: Baumgraph zur Darstellung der Phrasenstruktur

Die anfangs verhältnismäßig große Anzahl an Transformationsregeln (Negation, Nominalisierung, Passivierung, Reflexivierung, Tilgung u.a.) wird in späteren Versionen der GTG mehr und mehr verringert; so hat man z.B. in der Erweiterten Standardtheorie passivische Strukturen nicht mehr aus aktivischen transformiert, und in der Revidierten Erweiterten Standardtheorie war die Einführung des Begriffs der Spuren, die bei Bewegungstranformationen von Satzelementen koindiziert hinterlassen werden, eine wesentliche Innovation. In dem sich anschließenden Modell der Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981) gibt es nur noch eine Transformation, bezeichnet als move α (bewege-α). Diese Theorie ist auch – vor allem seit Chomsky/Lasnik (1993) – als Prinzipien- und Parametertheorie bekannt. Rektion und Bindung (government and binding, GB) sind zwei der Prinzipien (auch: Teiltheorien), die anderen sind die Grenzknotentheorie, die Theta-Theorie, die Kasustheorie und die Kontrolltheorie. Im Formalismus erfolgt eine gravierende Neuerung, die allerdings bereits von Jackendoff (1977) initiiert worden war. Es handelt sich um das X-bar-Schema (auch als X-bar-Theorie bekannt), nach dem der Kopf der Phrase auf allen Projektionsebenen explizit zum Ausdruck kommt. Der Kopf wird mit 0 indiziert (X0), auf höheren Ebenen mit einem Strich (X'; ursprünglich „bar“ 'Balken': X̅) und auf der höchsten Projektionsebene mit Doppelstrich (X"), später mit dem geläufigen Kürzel P für Phrase (XP). Damit kann auch der Satz als endozentrische Struktur (sprich: als eine Phrase mit Kopf) analysiert werden, was die Widerspruchfreiheit der Theorie entscheidend verbessert. Der Kopf des Satzes ist nicht das Verblexem (wie z.B. in der Valenztheorie das Verb als das höchste Regens, vgl. § 25), sondern die funktionale Kategorie I0 (für inflection, genauer: die Finitheitsmerkmale des Prädikatsverbs). Die Differenzen zwischen der Satzstruktur im X-bar-Modell und der natürlichsprachlichen Realisierung eines Satzes werden durch Bewegungen aufgehoben. Somit können im Modell Deklarativsätze des Deutschen auch die Position des Einleiteworts des Nebensatzes (C0 für complementizer) in Anspruch nehmen, in die das mit I0 vereinigte Verblexem bewegt wird. Für Vorfeldbesetzungen jeder Art steht die linksperiphere Spezifizierer-Position (zugleich Topik-Position) zur Verfügung, woraus für deutsche Verbzweitsätze eine CP als maximale Projektion für das finite Verb in C0 resultiert. Abb. 6 zeigt die Ableitung eines Deklarativsatzes aus der basisgenerierten Nebensatzstruktur, in der mit dem indizierten t (trace 'Spur') die ursprüngliche Position des bewegten Elements, das denselben Index bekommen hat (= koindiziert ist), angezeigt ist. Da nach der X-bar-Theorie alle Phrasen gleich strukturiert

95

5. Grammatik als Theorie

sein müssen, bekommt die NP einen funktionalen Kopf D0, so dass sie in diesem Modell zu einer Determinansphrase (= DP) wird. CP C

DP Diesen Terminusj

C kennti

IP I

DP

I

jeder Germanist VP

ti

V tj

V ti

Abb. 6: X-bar-Darstellung des Satzes Diesen Terminus kennt jeder Germanist

Aus der Oberflächenstruktur erzeugen weitere strukturverändernde Prozesse nicht nur die phonetische Form (PF), die direkt beobachtbare Formseite, sondern auch die logische Form (LF), eine semantisch eindeutige Struktur. Im Aspekte-Modell der GTG war dagegen die Tiefenstruktur die Schnittstelle der semantischen Interpretation, und die Oberflächenstruktur diente als Input für die phonologische Interpretation der syntaktischen Strukturen. In der Nachfolge der Prinzipien- und Parametertheorie steht das Minimalistische Programm (Chomsky 1995), mit dem der Erkenntnis Rechnung getragen werden soll, dass die Komplexität der früheren Modelle kaum mit den angeborenen Fähigkeiten von Kleinkindern vereinbar ist. Daher werden in der Modellierung der Universalgrammatik nur noch zwei strukturbildende Operationen zugelassen: move und merge. Move entspricht ungefähr 'move α' des GB-Formalismus. Merge ist die Vereinigung von Konstituenten. Strukturen werden nach wie vor von anderen abgeleitet, wobei die morphosyntaktischen Merkmale als Auslöser der Derivation in aufeinander folgenden Schritten geprüft werden. Der Einfachheit der Beschreibung sollen auch Ökonomieprinzipien wie das Zauderprinzip und das Schmarotzerprinzip dienen. In der Strukturdarstellung kann die Symbolisierung von Phrasen und Kategorien vermieden werden, indem Kopfwörter und ihre Komplemente/Adjunkte als Knoten einer sog. Bare Phrase Structure verwendet werden (vgl. (42) und Abb. 7, nach Grewendorf 2002: 126ff.). (42)

dass Hans Maria küsste

(42a) {küsste, {Hans, {küsste, {Maria, küsste}}}}

7. Systematische Einführung zur Grammatik 96

küsste

küsste

Hans

Maria

küsste

Abb. 7: Bare Phrase Structure nach dem Minimalistischen Programm

WSK 1.1: Universalie WSK 1.2: Anapher (3); Generative Grammatik; Generative Transformationsgrammatik; Grammatikalität; Kompetenz; Minimalistisches Programm; Oberflächenstruktur; Performanz; Phrase; Prinzipien- und Parametertheorie; Regel; Rektions- und Bindungstheorie; Sprachtheorie; Standardtheorie; Theta-Theorie; Tiefenstruktur; Transformation; Universalgrammatik; X-bar-Theorie § 25 Dependenzgrammatik In der Dependenzgrammatik hängen innerhalb eines Satzes Wörter als Dependentien von anderen Wörtern als Regentien ab. Das Regens regiert ein oder mehrere Dependentien, aber ein Dependens hängt immer von nur einem Regens unmittelbar ab. Ob bei zwei Wörtern a und b, die in einer direkten syntaktischen Abhängigkeitsbeziehung zueinander stehen und nach Tesnière eine Konnexion darstellen, a von b oder b von a abhängt, wird durch Dependenzkriterien bestimmt. Ausgehend von generellen Grundlagen, z.B., dass valenzbedingte Elemente vom Valenzträger, morphologisch bestimmte Wortformen vom bestimmenden Wort, weglassbare Wörter vom nicht weglassbaren Wort abhängen, ergibt sich nicht in jedem Fall die gleiche Dependenzrichtung, so dass der Linguist eine Hierarchie für die Dependenzstruktur des Satzes bestimmen muss. Da in den dependenzgrammatischen Beschreibungen das Primat des Verbs gilt, hängt das Subjekt wegen der Valenz vom Prädikatsverb ab, auch wenn die verbale Wortform bzgl. Pers. und Numerus in vielen Sprachen vom Subjekt bestimmt wird. Dependenzgrammatik ist also in der Regel eine valenzbasierte Verbgrammatik. Bei Tesnière sind die Kriterien, welche die Abhängigkeitsrichtung bestimmen, kategorielle Unterschiede zwischen Wörtern. In seinem System gibt es nur vier Wortarten: Verb, Nomen, Adjektiv, Adverb. Jedes von diesen kann Nukleus, d.h. ein Knoten im Dependenzstemma sein. Funktionswörter (z.B. Auxiliarverben) bilden mit diesen Wörtern zusammen komplexe Nuklei, die ebenso Elemente der Dependenzstruktur sein können wie die Einzelwörter. Vom Verb hängen Nomina als Aktanten, Adverbien als Circum­ stanten ab. Vom Nomen können nur Adjektive, vom Adjektiv nur Adverbien, vom Adverb weitere Adverbien abhängen. Diese Relationen reichen nicht aus, um alle Dependenzstrukturen zu beschreiben, so dass Tesnière u.a. die Operation der Translation einführt, die bestimmte Wortarten in andere überführen kann. So kann z.B. ein Nomen mit Hilfe

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5. Grammatik als Theorie

einer Präposition in ein „Adverb“ (eigentlich Adverbial) umgewandelt werden, damit es einem Verb als Circumstant untergeordnet werden kann. Außer Konnexion und Translation gibt es bei Tesnière die Junktion, die koordinierte Nuklei verbindet. lernt

Udo Abb. 8: Dependenzstemma von Udo lernt

Die Knoten der Stemmata sind Nuklei, mittels derer die Struktur von Wortgruppen nicht direkt wiedergegeben werden kann, aber bereits Tesnière fasst Wörter, die einem gemeinsamen Regens direkt oder indirekt untergeordnet sind, als Nexus zusammen. Dieser kann als dependenzgrammatische Entsprechung des Terminus Phrase in der Konstituentenstrukturgrammatik gesehen werden. Das höchste Regens eines Nexus ist hierbei das Pendant zum Phrasenkopf (vgl. § 18). Die Struktur von Syntagmen wird bei Tesnière von der Wortstellung (Serialisierung) weitgehend getrennt behandelt. Daher ist der dependenziell analysierte Satz allein auf der Basis eines Stemmas meist nicht rekonstruierbar.5 Bereits Hays (1964) hat einen projektiven Formalismus vorgeschlagen, in dem auch die Wortfolge dargestellt ist. Auch für das Deutsche liegen mehrere projektive Darstellungsvorschläge vor, u.a. in Eroms (2000). WSK 1.2: Dependens; Dependenzgrammatik; Dependenzstruktur; Junktion; Konnexion; Nexus; Nukleus; Regens; Rektion; Stemma; Translation; Valenz

§ 26 Lexical Functional Grammar Die LFG ist ein modulares generatives Modell mit einer stark angereicherten lexikalischen Komponente (Bresnan 1982). Die LFG geht wie auch andere generative Theorien davon aus, dass der Sprachkompetenz eine Universelle Grammatik zugrunde liegt. Diese ist hier nur nicht auf einer syntaktischen, sondern auf einer lexikalisch-funktionalen Ebene angesiedelt. Die LFG operiert mit Unifikation und hat keine Transformationsregeln. So werden z.B. passivische Verbformen im Lexikon gespeichert und regelmäßige Zusammenhänge zwischen Aktiv- und Passivformen durch lexikalische Redundanzregeln wiedergegeben; es gibt auch keine Bewegungen im Sinne von 'move α'. LFG verbindet die in generativen Grammatiken geläufige Konstituentenstruktur der Oberfläche (c-structure) mit einer funktionalen Struktur (f-structure, F-Struktur), die z.T. sprachübergreifende Charakteristika aufweist (Abb. 9).

5 So könnte Abb. 8 auch den Fragesatz Lernt Udo? darstellen.

7. Systematische Einführung zur Grammatik 98

PRED SUBJ

‘hoffen, ’ PRED ‘Karl’ CASE NOM

AUF_OBJ

PCASE auf CASE AKK SPEC DEF NUM SG PRED ‘Genesung’ ADJ [PRED ‘baldig’]

Abb. 9: F-Struktur des Satzes Karl hofft auf die baldige Genesung

Der Wert von PRED (predicate, Prädikat) ist immer ein Lexem. Bis auf das oberste PRED stehen die anderen in eckigen Klammern als Attribute von Funktionen, zusammen mit den anderen Attributen, die z.T. grammatische Kategorisierungen (CASE für Kasus, NUM für Numerus usf.) des jeweiligen Lexems angeben. Neben der Kategorisierung steht ihr Wert, eine Kategorie (z.B. AKK für Akkusativ). Das PRED in Zeile 1 ist das regierende Lexem der Phrase, samt seiner funktionalen Valenz. Diese Funktionen erscheinen auch unter dem PRED, rechts von ihnen werden in den Klammern ihre Attribute aufgezählt. Die Funktionen bestimmen teilweise auch die Werte ihrer Attribute (z.B. PCASE auf). Die Strukturebenen werden durch Kongruenzfunktionen verbunden. Außer der Cund F-Struktur spielt die Argumentstruktur eine wichtige Rolle, da sie Prädikate durch die Zuweisung von thematischen Rollen mit F-Strukturen verknüpft. WSK 1.2: F-Struktur; Funktion; Generative Grammatik; Kasus; Lexical Functional Grammar; Lexikon (1); Lexikon (2); Objekt; Prädikat; Prädikat-Argument-Struktur; Redundanzregel; Struktur; Subjekt

§ 27 Optimalitätstheorie Die Optimalitätstheorie (vgl. Prince/Smolensky 1993/2004) ist eindeutig auf die GG bezogen und wird vornehmlich als eine generative Theorie eingestuft. In der Folge wird sie auch von „Vertretern anderer grammatiktheoretischer Schulen“ als ein Modell mit „Meta-Charakter“ (Businger 2012: 157) aufgefasst. In ähnlicher Weise ist die ursprüngliche Domäne Phonologie bald auf andere linguistische Bereiche wie Syntax, Morphologie, aber auch auf Semantik und Pragmatik ausgeweitet worden. In der Optimalitätstheorie werden mögliche Formen und Strukturen einer Sprache nicht durch ein Regelsystem, sondern durch eine Menge von universellen Beschränkungen (constraints) bestimmt. Die Beschränkungen sind aufgrund ihrer sprachspezifischen Gewichtung (ranking) in hierarchische Abfolgen geordnet. Entsprechende Kombinationen dieser Beschränkungen wählen in der Phase der Evaluation die Form aus, die als beste (optimale) Entsprechung einem Input gerecht wird. Dazu ist die vorangehende Phase der Generierung von Output-Kandidaten nötig, von denen ein Kandidat ausgewählt wer-

99

5. Grammatik als Theorie

den soll. Die einzelnen Kandidaten bekommen Strafpunkte, wenn sie Beschränkungen verletzen. Derjenige Kandidat wird als optimal ausgewählt, der die wenigsten Strafpunkte hat, wobei auch der hierarchische Stellenwert der verletzten Beschränkungen in die Evaluation einbezogen wird. Input, Kandidaten, verwendete Beschränkungen, Strafpunkte und Output werden in Form von sog. Tableaus dargestellt. Abb. 10 zeigt die Auswahl der optimalen Silbentrennungsvariante des Wortes Lupe. Zwei Beschränkungen werden verwendet: Onset, die besagt, dass die Silbe einen Konsonanten im Anfangsrand haben muss, und NoCoda, die besagt, dass die Silbe keinen Konsonanten in der Coda (im Endrand) haben kann. Das Ausrufezeichen weist auf eine fatale Verletzung hin, die den betreffenden Kandidaten aus dem weiteren Wettbewerb ausschließt. Die irrelevanten Stellen des Tableaus sind schattiert. Der Output wird mit einem Zeigehand-Symbol gekennzeichnet. Der Input ist die zugrunde liegende phonologische Form /lu:pə/, in den beiden Output-Kandidaten werden Silbengrenzen nach der IPA-Konvention durch Punkte angegeben. /lu:pə/ [lu:.pə] [lu:p.ə]

ONSET

NOCODA

*!

*

Abb. 10: Syllabierung von Lupe

Onset ist eine typische Markiertheitsbeschränkung (markedness constraint), deren Verletzung markierte Formen signalisiert. Es gibt auch sog. Treuebeschränkungen (faithfulness constraints), die den Output mit dem Input vergleichen. Grimshaw (1997) wendet die in der Phonologie bewährte Optimalitätstheorie für syntaktische Analysen an. Ihre Analyse von englisch do-support wird später von Bader/ Schmid (2006) auch auf die deutsche tun-Konstruktion ausgeweitet. Das Verletzungstableau von Grimshaw für Fragesätze, vereinfacht von Businger (2012), enthält folgende Beschränkungen: Lex-Ökon verbietet die Bewegung von lexikalischen Köpfen; Ob-Kopf lässt keine leeren Kopfpositionen zu; Voll-Int bestraft die Verwendung von expletiven Elementen (Abb. 11). Der Input wird explizit nicht angegeben, aber er ist meist aufgrund der Strukturdarstellung der Kandidaten (Phrasenstruktur mit koindizierten Spuren) rekonstruierbar. Kandidaten:

a. [CP What did [VP she say]]

LEX-ÖKON

b. [CP What saidi [VP she ti]] c. [CP What___ [VP she said]]

*!

OB-KOPF

VOLL-INT *

*!

Abb. 11: Tableau zum expletiven do in Fragesätzen (nach Businger 2012: 164).

Im Ranking für das Englische steht die Bewegung eines Verblexems an höchster/erster Stelle, die Verletzung dieser Treuebeschränkung ist fatal. Der Unterschied zum Input ist die veränderte Position des Verbs, die an der Spur t und dem Index i ablesbar ist. Auch Voll-Int (im Original: full interpretation) ist eine Treuebeschränkung, denn das seman-

7. Systematische Einführung zur Grammatik 100

tisch leere Element (do) ist nicht im Input enthalten, es wird hinzugefügt (vgl. Businger 2012: 165). Ob-Kopf soll hingegen eine Markiertheitsbeschränkung sein, die für wohlgeformte Outputs sorgt. Verbbewegung ist der deutschen Sprache nicht fremd, das Pendant von b., Was sagte sie?, ist im Deutschen sogar der optimale Output. In der deutschen Rangordnung der Constraints erhält Lex-Ökon demnach einen tieferen Platz als im Englischen: ObKopf>>Voll-Int>>Lex-Ökon (vgl. Businger 2012: 164). Ein expletives tun nach dem Muster von a. ist wegen der höheren Gewichtung von Voll-Int im Deutschen bei diesen drei Constraints ausgeschlossen. Bader/Schmid (2006) schlagen eine weitere Beschränkung Topik vor, um das expletive tun in wohlgeformten deutschen Sätzen zuzulassen, auch wenn diese keine Fragesätze sind. Topik schreibt vor, dass ein Topik in der ersten Satzposition stehen soll. Expletives tun ist nur dann verwendbar, wenn der Infinitiv des Vollverbs Topik ist. Daher ist u.a. *Was tat sie sagen? (rein formal identisch mit What did she say?) nicht wohlgeformt, während ein Satz wie Tanzen tue ich gern akzeptabel ist. Dem wird so Rechnung getragen, dass Topik im deutschen Ranking an erster Stelle platziert wird: Topik>>Ob-Kopf>>Voll-Int>>Lex-Ökon (vgl. Bu­ singer 2012: 165). WSK 1.1: Morphologie WSK 1.2: Beschränkung; Generative Grammatik; Optimalitätstheorie

§ 28 Kasusgrammatik Charles Fillmore (1968) stellt in seiner Kasusgrammatik kein vollständiges Grammatikmodell vor, sondern eine semantische Theorie, die zum damaligen Zeitpunkt als Erweiterung zur Generativen Transformationsgrammatik (GTG) vorgesehen war. Der zentrale Begriff bei Fillmore ist der Tiefenkasus, dessen funktionaler Aspekt in vielen späteren, generativen wie nicht-generativen Grammatikmodellen durch die Termini semantische Rolle, thematische Rolle, Theta-Rolle, Kasusrolle, semantische Funktion wiederkehrt. Auch Fillmore verwendet in späteren Arbeiten vornehmlich Kasusrolle statt Tiefenkasus. Entsprechend der Terminologie der GTG sind Tiefenkasus in der syntaktischen Tiefenstruktur angesiedelt und liegen den Oberflächenkasus (bei Fillmore „Kasusformen“) wie Nominativ, Akkusativ usf. zugrunde. Die Kasusrollen sind semantische Relationen zwischen dem Prädikat und sonstigen Konstituenten des Satzes (diese sind zumeist auf die Argumente des Prädikats beschränkt). Dem Agens (bei Fillmore ursprünglich Agentive) entspricht in vielen Sprachen meist der Nominativ in Subjektfunktion (z.B. Luciano singt), aber in der passivischen Diathese ist es im Deutschen ein Präpositionalkasus, im Russischen der reine Kasus Instrumental. Der Nominativ andererseits kann außer Agens u.a. auch der Kasusrolle Instrumental entsprechen (z.B. Der Schlüssel öffnet die Tür) bzw. in Passivsätzen dem Patiens (z.B. Der Wettkampf wird verschoben). Kasusrollen als semantische Rollen sind universelle Größen, die auch in Sprachen

101

6. Grammatik als Handbuch

existieren, die die Kategorisierung Kasus nicht kennen. Auch im Englischen kann man kaum von Kasus der Oberfläche sprechen, da nur einige Pronomina in der Funktion des Objekts auch formal-morphologisch markiert sind (he vs. him, they vs. them usw.). Die Kasusmarkierung ist folglich – anders als die Zuordnung der Rollen durch das jeweilige Prädikat – weitgehend sprachspezifisch, zumal sogar zwischen kasusmarkierenden Sprachen große, auch typologisch bedingte Unterschiede bestehen können (vgl. Nominativsprachen vs. Ergativsprachen). Das Inventar der Kasusrollen soll laut Kasusgrammatik durch eine begrenzte Liste beschreibbar sein. Fillmore (1968) gibt sechs Tiefenkasus an: Agentive, Instrumental, Dative, Factitive, Locative und Objective. Diese werden in der Folgezeit umbenannt und ergänzt, was u.a. folgendes Rolleninventar ergibt: Agens, Patiens, Rezipient (Goal), Experiencer, Stimulus, Benefaktiv, Possessor, Instrumental, Lokativ, Direktiv. Primus (1999) versucht die semantischen Relationen mit fünf universalen Basisrollen wiederzugeben: Control ('Kontrolleur'), Cause ('Verursacher'), Move ('Bewegungsträger, physisch Aktiver'), Exper ('Wahrnehmender'), Possess ('Verfüger, Besitzer'). Im FrameNet-Projekt von Fillmore sind die Kasusrollen auf der Basis umfangreicher Corpusdaten sehr differenziert ausgearbeitet worden, so dass in einem komplexen System von Frames etwa 10.000 Frameelemente (differenziert ausformulierte Kasusrollen) existieren (https:// framenet.icsi.berkeley.edu/fndrupal/current_status; letzter Zugriff 31.05.2021). Der FrameNet-Ansatz ist inzwischen auch in der Konstruktionsgrammatik aufgenommen worden und gilt als eine der wichtigsten Grundströmungen konstruktionsgrammatischer ­Ansätze. WSK 1.2: Agens; Argument; Benefaktiv; Experiencer; Goal; Instrumental; Kasus; Kasusgrammatik; Kasusrolle; linking; Lokativ; Objektiv; Patiens; Possessor; Prädikat-Argument-Struktur; Rezipient; semantische Rolle; thematische Relation; Theta-Rolle; Tiefenkasus; Valenz

6. Grammatik als Handbuch § 29 Grammatik, Grammatikographie, Grammatikunterricht Eine der Bedeutungen des Terminus Grammatik (vgl. § 1) ist die 'Beschreibung des Regelsystems einer Sprache'. Eine grammatische Beschreibung kann ausgewählte Teilbereiche oder Einzelerscheinungen erfassen, aber ebenso die Darstellung des Gesamtsystems mit mehr oder weniger Detailliertheit sein. Letzteres findet man in Grammatikbüchern, wobei diese u.a. in linguistische/wissenschaftliche Grammatiken vs. Gebrauchsgrammatiken unterschieden werden können (vgl. § 7). Eine Grammatik als Handbuch im Sinne eines Nachschlagewerks gehört zu den Gebrauchsgrammatiken, zu denen auch eine als Lehrbuch konzipierte Schulgrammatik zu zählen ist. Ausführlichere Nachschlagewerke dieser Art werden auch als Referenzgrammatiken bezeichnet. Traditionell liegen alle diese Grammatiken als gedrucktes Buch vor; jedoch sind auch elektronische Nachschlage-

7. Systematische Einführung zur Grammatik 102

werke zur Grammatik ein Produkt der Grammatikographie. Letztere können in verschiedenen Formaten (.pdf, e-Book, online) für die Benutzung zur Verfügung stehen. Grammatiken als Handbücher dienen dem Erlernen und Gebrauch fremder Sprachen, aber auch dem muttersprachlichen Schulunterricht oder dem normgerechten Gebrauch der Muttersprache in Berufen, für die dieser als grundsätzliche Erwartung gilt (z.B. Journalistik, Rundfunk, Wissenschaften). Grammatische Handbücher müssen das Nachschlagen, die Suche nach Termini, Themen, natürlichsprachlichen Ausdrücken oder konkreten Formen und Strukturen ermöglichen, so dass sie mindestens ein (alphabetisches) Register (z.B. ein Sach- und Wortregister) enthalten müssen. Grammatikbücher, die für Fremdsprachenlernende konzipiert sind, können als Metasprache die Zielsprache verwenden (z.B. Helbig/Buscha 2013) oder eine andere Sprache, die den Adressaten der Grammatik geläufig ist, z.B. Englisch in der Grammatik des Deutschen von Durrell (2002). Bei Benutzern mit einer bestimmten Ausgangssprache kann auch ein kontrastiver Aspekt einbezogen werden, z.B. bei Durrell (2002) auf den Seiten 25, 219ff. oder 285ff. Grammatikhandbücher für Muttersprachler wie für fremdsprachige Benutzer sind normative, präskriptive Werke (z.B. Duden 2016). Der Unterschied folgt aus dem Zweck: Nicht-Muttersprachler beherrschen in der Regel die beschriebene Sprache noch nicht vollständig und lernen diese erst, u.a. mit Hilfe des Grammatikbuchs. Daher muss dieses einfache Regeln explizit vermitteln, und für Anfänger und auch Lerner auf höheren Stufen kann es zweckmäßig sein, Erläuterungen in deren Muttersprache zu geben. Muttersprachler dagegen beherrschen die Sprache und konsultieren das Buch eher bei sprachlichen Zweifelsfällen sowie zur Vergewisserung oder systematischen Übersicht über das Regelwerk. Während in Grammatiken für Fremdsprachenlernende die normwidrigen Formen, die zugleich von Muttersprachlern häufig benutzt werden, aus didaktischen Gründen vermieden werden, können normative Grammatiken für Muttersprachler mehr deskriptiv verfahren, indem sie auch nicht-standardsprachliche Konstruktionen mit entsprechenden Kommentaren versehen (vgl. z.B. Festtagsbezeichnungen als Maskulina: „dieser Gebrauch ist nicht standardsprachlich: Vielleicht treffen wir uns nächsten Pfingsten wieder“; Duden 2016: 181). Eine allmähliche Anpassung der kodifizierten Norm an den Sprachgebrauch lässt sich anhand der Behandlung der Form gewunken in verschiedenen Duden-Auflagen zeigen: In Duden (1984: 143) steht in der Fußnote zu gewinkt: „Das unregelmäßige 2. Partizip gewunken wird heute nur noch mdal. [mundartlich] oder scherzhaft gebraucht“. In Duden (1998: 144) findet man: „[...] gewunken dringt heute, obwohl es hochsprachlich nicht als korrekt gilt, über das Mundartliche hinaus vor“. Duden (2005: 502) gibt gewunken neben gewinkt als standardsprachliche Variante in Klammern an. Andere, in den letzten Jahrzehnten mehrfach aufgelegte, in deutscher Sprache geschriebene Nachschlagewerke zur deutschen Grammatik (u.a. Eisenberg 2013a, 2013b; Engel 2009a; Hentschel/Weydt 2013; Weinrich 2007 – weitere Details zu diesen s. § 1) oder nur zur Syntax (u.a. Dürscheid 2012; Eroms 2000; Pittner/Berman 2015; Engel 2009b) sind schwer danach einzustufen, ob sie für deutsche Muttersprachler oder (auch)

103

7. Grammatik und angrenzende Disziplinen

für Sprecher anderer Sprachen gedacht sind. Fremdsprachige Benutzer müssen zum Verstehen der deutschen Metasprache auf jeden Fall über sehr gute Sprachkenntnisse verfügen. Darüber hinaus gibt es Online-Grammatiken, die nie gedruckt publiziert worden sind und von vornherein als Hypertexte konzipiert waren. Dazu gehört die systematische Grammatik des IDS grammis6. Als Derivat der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) passt sie sich weitgehend der Terminologie der dreibändigen wissenschaftlichen Grammatik an und eignet sich u.a. als Nachschlagewerk für Studierende und Lehrende des Fachs. Die ebenfalls auf grammis vorhandene propädeutische Grammatik ProGr@mm7 gehört ebenso zu den elektronischen Gebrauchsgrammatiken. Sie enthält weniger theoriebedingte Einzelheiten; die zugrunde liegende wissenschaftliche Grammatik ist weiter reduziert und interaktive Übungen dienen der Didaktisierung des vermittelten grammatischen Wissens; außerdem gehört zu ProGr@mm das Modul Kontrastive Sicht8, in dem ausführliche kontrastive Informationen bzgl. der Kontrastsprachen Französisch, Italienisch, Norwegisch, Polnisch und Ungarisch zu finden sind. WSK 1.2: Grammatik; Grammatikographie; Grammatikunterricht; kontrastive Grammatik; Lexikon (1); Lexikon (2); präskriptive Grammatik; Regel; Schulgrammatik; Spracherwerb; Sprachnorm; wissenschaftliche Grammatik

7. Grammatik und angrenzende Disziplinen § 30 Die Lautlehre Einigen Auffassungen zufolge ist die Lautlehre ein Teil der Grammatik (z.B. Eisenberg 1994: 21), aber nach der grammatikographischen Tradition gehören Phonetik und Phonologie nicht zum Kernbereich. Dieser umfasst die Morphologie (meist ohne die Wortbildung und somit auf die Formenlehre i.e.S. beschränkt) und die Syntax (vgl. § 1). Vor allem Phonetik ist kaum mit systemgrammatischen Problemstellungen vereinbar: Die akustische Messphonetik ist mit der Physik, die Artikulations- und Perzeptionsphonetik mit der Humananatomie und -physiologie verwandt. Mit der von der Phonetik bereitgestellten empirischen Basis operiert die Phonologie, deren Aufgabe die Systematisierung auf einer funktionalen Grundlage ist. Da diese Funktion hauptsächlich die Differenzierung zwischen Inhalten ist, zu denen außer lexikalischen Bedeutungen auch grammatische Funktionen gehören, lässt sich die Phonologie leichter als die Phonetik in ein linguistisches Gesamtsystem integrieren. Die Phonologie ist als Folge einer System-Orientierung im Rahmen des europäischen 6 https://grammis.ids-mannheim.de/systematische-grammatik (letzter Zugriff: 15.06.2020). 7 https://grammis.ids-mannheim.de/progr@mm (letzter Zugriff: 15.06.2020). 8 https://grammis.ids-mannheim.de/kontrastive-grammatik (letzter Zugriff: 15.06.2020).

7. Systematische Einführung zur Grammatik 104

Strukturalismus in ihrer klassischen Form erschienen (Trubetzkoy 1939), in der mithilfe von Minimalpaaren und Oppositionen die Distinktivität in den Vordergrund gestellt wird. In der Generativen Phonologie (Chomsky/Halle 1968) spielt das distributionelle Prinzip eine vergleichbar wichtige Rolle. Durch kontextsensitive Regeln werden aus zugrunde liegenden phonologischen Einheiten phonetische Oberflächenrealisierungen abgeleitet. Die Natürlichkeitsphonologie, die statt Ökonomie der Deskription die Natürlichkeit favorisiert, hat ein Pendant in der Natürlichkeitsmorphologie; ebenso hat die ursprünglich für phonologische Beschreibungen entwickelte Optimalitätstheorie (vgl. § 27) heutzutage einen weiteren Skopus. Vor allem zur Beschreibung prosodischer (suprasegmentaler) Merkmale hat man nicht-lineare Phonologien konzipiert (u.a. Clements 1976), die phonologische Merkmale in verschiedenen, nicht isomorphen Schichten darstellen (z.B. autosegmentale Phonologie und metrische Phonologie). WSK 1.1: Akzent; Prosodie; silbenzählend; suprasegmental; Syllabierung; Vollsilbe WSK 1.2: Optimalitätstheorie; terminale Intonation

§ 31 Die Wortbildung Wortbildung als Vorgang ist die Zusammenfügung bereits vorhandener sprachlicher Einheiten zu Wörtern. Die wichtigsten Arten der Wortbildung sind die Derivation (Ableitung durch Affixe (Präfixe, Suffixe, Zirkumfixe, Infixe, Konfixe) bzw. implizit, durch Stammvokalwechsel), die Komposition, Konversion, Kurzwortbildung, Zusammenbildung, Partikelverbbildung, Kontamination und Reduplikation. Als Teil der Linguistik überschneidet sich Wortbildung mit mehreren traditionellen Teilbereichen: In der Morphologie wird die innere Struktur der Wörter erfasst, wobei die Strukturelemente, die Morpheme, teils der Formenbildung, teils der Wortbildung dienen. Deshalb kann Morphologie in die Formenlehre i.e.S. (auch Flexionsmorphologie) und die lexikalische Morphologie (auch Wortbildungsmorphologie, Derivationsmorphologie) geteilt werden. Eine klare Abgrenzung der Bildung von Wortformen zur Bildung von Wörtern ist jedoch nicht immer möglich.9 Nach Fleischer/Barz (2012: 1) soll Wortbildung ebenso wie Flexionsmorphologie und Syntax ein autonomer Teilbereich der Grammatik sein, so dass Wortbildung an die Syntax grenzt. Im Übergangsbereich befinden sich die Relationen zwischen Wortbildungsprodukten und gleichbedeutenden Phrasen (z.B. die Türklinke vs. die Klinke der Tür) oder Fügungen mit schwankendem Status (z.B. kaputtmachen vs. kaputt machen). Eine Überlappung hat die Wortbildung auch mit der Lexikologie; denn paradigma9 Umstritten ist u.a. der Verbform-Status von Partizipien, vor allem in Zustandsformen wie etwas bleibt geschlossen, oder dekliniert, in attributiver Funktion wie beschwörender Blick. Eindeutig Adjektive sind die graduierbaren Wörter mit partizipialer Form, z.B. der spannendere Roman, das geschickteste Mädchen, aber auch die Grenzen zwischen diesen und echten Partizipien als infiniten Verbformen sind fließend (vgl. aufgebracht, verärgert, wütend, empört).

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tische Beziehungen gibt es auch in der Lexik, obwohl diese Paradigmen meist anders zusammengesetzt sind, z.B. durch semantische Relationen. Mit dem Paradigma 'Männchen – Weibchen – Junges' liegt eine Realisierung in den natürlichsprachlichen Ausdrücken Hengst – Stute – Fohlen oder Hahn – Henne – Küken vor. Andere, wortsemantische Paradigmen der Synonymie oder Antonymie sind kaum mit grammatischen Paradigmen der Formenlehre oder Syntax vergleichbar. Das Spezifikum eines Wortbildungsparadigmas ist, dass die meisten Wörter darin eine gemeinsame Basis haben, z.B. 'Ortsname – Adjektiv – Einwohner' für Wien – wienerisch – Wiener (Wiener und Wienerin ist dann ein Paradigma für Movierungen). Die Ableitungsaffixe sind jedoch in diesen Paradigmen nicht immer vorhersagbar, vgl. Tokioter/Tokioer, Hannoveraner, Erlanger, Venezianer. Paradigmenstellen können auch durch Wörter anderer Herkunft blockiert sein, z.B. einbrechen – Einbrecher, rauben – Räuber, aber stehlen – Dieb (statt *Stehler). Zweigliedrige Paradigmen mit einem bestimmten Bedeutungselement des Derivats (z.B. nomen agentis), mit einer bestimmten Wortart der Basis bzw. des Derivats (z.B. Verb bzw. Substantiv) und einem bestimmten formalen Mittel (z.B. das Suffix -er) sind Wortbildungsmodelle (auch Wortbildungsmuster). So sind z.B. die nomina agentis Einbrecher, Lerner, Hausierer, Verteidiger gebildet. Die Gesamtheit der Wortbildungen nach ein und dem gleichen Modell ist eine Wortbildungsreihe, und wenn nur das semantische Merkmal gemeinsam, die formalen Mittel jedoch unterschiedlich sind, spricht man von Wortbildungsgruppen. Bei den nomina agentis gehören z.B. außer -er auch -end, und -ling zu den möglichen Affixen der betreffenden Wortbildungsgruppe (vgl. der/die Studierende, der Flüchtling). Das Gesamtparadigma eines Basismorphems, ohne eine Vorherbestimmung durch Wortbildungsbedeutungen, bildet ein Wortbildungsnest, in dem alle synchronisch motivierten Derivate, Komposita, Kurzwörter usw. mit einem gemeinsamen Stammmorphem enthalten sind (z.B. Tisch, Tischler, auftischen, Tischbein, Stammtisch). Wenn etymologische Zusammenhänge mit verblasster Motivierung ebenfalls einbezogen werden, wird das Nest zu einer Wortfamilie erweitert. In eine Wortfamilie gehören danach sitzen, Gesäß und Sessel, oder lehren und List, oder laden und lästig. WSK 1.1: Affix; Derivation; Komposition; Morphem; Suffix; Wortbildung; Wortfamilie

§ 32 Die Textgrammatik Grammatik i.e.S., bestehend aus Formenlehre und Syntax, überlappt mit der Textlinguistik im Bereich der Textgrammatik. Der Terminus Textgrammatik kann auf mindestens zwei Begriffe bezogen sein: (a) Ausweitung der satzsyntaktischen Beschreibungen auf Ketten von Sätzen und (b) Beschreibung von syntaktischen und morphologischen Phänomenen in einem textfunktionalen Zusammenhang. Im Sinne von (a) sucht man in erster Linie nach einer Textstruktur, deren formalgrammatische Elemente für die Textkohäsion sorgen (de Beaugrande/Dressler 1981). Diese Elemente sind vor allem anaphorische und kataphorische Pro-Wörter mit satz-

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übergreifendem Skopus, außerdem Indikatoren der Informationsstruktur wie Wortstellung oder Determinierungsgrad. Rhematische Ausdrücke kehren in Nachfolgesätzen meistens als Thema mit höherem Determinierungsgrad wieder (z.B. In der Tür stand ein alter Mann. Der Alte … / Er wollte ...). Auch die Übereinstimmung von temporalen oder modalen Kategorien in aufeinanderfolgenden Sätzen trägt zur Textkohäsion bei (z.B. Präteritum/Plusquamperfekt in erzählenden Texten, Konjunktiv in der indirekten/berichteten Rede). Typische syntaktische Mittel sind die Konjunktionen und Konjunktionaladverbien, die als Konnektoren Sätze im Text verbinden. Elliptische Strukturen können als formale Indikatoren des Textzusammenhangs dienen, indem sie meist durch vorher im Text verwendete Formen ergänzt werden (z.B. Sie hatte wieder eine Idee. Diesmal war es endlich eine gute.). Koreferenz kann nicht nur durch Pro-Wörter, sondern auch durch Wiederholen von Lexemen ausgedrückt werden. Der Zusammenhang zwischen Textelementen basiert aber oft nicht auf formalen Mitteln, sondern auf Semantik, Pragmatik und Situationskontext. Diese sorgen neben den Kohäsionsmitteln für die Kohärenz des Gesamttextes. Da sie (u.a. Synonyme, Paraphrasen, Antonyme, Hypero- und Hyponyme, gemeinsame Seme) zur Inhaltsseite gehören, sind sie nur begrenzt als textgrammatische Phänomene zu betrachten. Eine Textgrammatik im Sinne von (b) ist eine Grammatik, die nicht von den einfachen zu den immer komplexeren Einheiten – in der grammatikographischen Tradition nicht weiter als bis zum Satz – gelangen will, sondern vom Text ausgeht, genauer davon, welche Funktionen die weniger komplexen Einheiten (Wörter, Phrasen, Sätze) in konkreten Texten/Gesprächen haben (s. vor allem Weinrich 1993/2007 mit dem Titel Textgrammatik der deutschen Sprache; vgl. oben § 1). In einem solchen System werden z.B. die Tempusformen des Verbs nach einem sog. „Tempus-Register“ in besprechende und erzählende Tempora, nach einer „Tempus-Perspektive“ in Neutral- und Differenz-Per­spektive eingeteilt (Letztere unterteilt in Rück-Perspektive bzw. Voraus-Perspektive), aber die Tempora behalten größtenteils ihre traditionellen Bezeichnungen: Plusquamperfekt, Perfekt, Präteritum, Präsens und Futur, mit dem allerdings nur das Futur I gemeint ist, weil anstelle des Futur II der Terminus Vor-Futur verwendet wird (Weinrich 1993: 197f.). Theorie und Praxis zur Textlinguistik erstrecken sich wesentlich weiter als der Gegenstand einer Textgrammatik. Zur Domäne der Textlinguistik, die erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unter diesem Titel entstanden ist, gehören u.a. auch Textsemantik, Textpragmatik, Stilistik des Textes, Textsortenbestimmung. U.a. wegen der schwer ausführbaren strikten Abgrenzung der schriftlichen gegen die mündliche Kommunikation ist die Grenze zwischen Textlinguistik i.e.S. und Gesprächslinguistik fließend; bereits Weinrich (1993) behauptet, dass seine Textgrammatik zugleich eine Dialoggrammatik sei (vgl. oben § 1). WSK 1.1: Konjunktiv WSK 1.2: Anapher (1); Ellipse; Katapher; Kohärenz; Kohäsion; Koreferenz; Präsupposition; Proform; Pro-Wort; Referenz; Text; Textgrammatik; Thema-Rhema-Gliederung

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§ 33 Die Pragmatik / Pragmalinguistik Die linguistische Pragmatik untersucht sprachliche Äußerungen in den Situationen ihres Gebrauchs. Kommunikationssituationen sind in der Regel charakterisierbar durch Ort, Zeit und Teilnehmer der Kommunikation. Sprachliche, z.T. grammatische Ausdrucksmöglichkeiten dieser Charakteristika gehören zum Phänomen der Deixis. Deiktische Wörter können – und müssen in einigen Situationen sogar – durch Zeichen der Körpersprache begleitet werden (z.B. Nicht dort, sondern dort; Du und du sollt mitkommen). Diese Äußerungen sind ohne Einbeziehung pragmatischer Elemente zu vage. Neben den Typen der situativen Deixis wie Lokaldeixis (hier, dort, rechts, vor uns, da drüben u.a.), Temporaldeixis (jetzt, morgen, unlängst, bald u.a.), Personaldeixis, geteilt in Sprecher- und Hörerdeixis (z.B. ich, mich, du, ihr, euch) und Objektdeixis (das, dieser, die da u.a.) gibt es auch eine soziale Deixis, die bei personaldeiktischen Ausdrücken zwischen vertraulichen und Distanzformen differenziert (du, dir vs. Sie, Ihnen). In der Temporaldeixis können ebenso die Tempusformen des Verbs auf Sprechergegenwart, Vergangenheit und Zukunft referieren. Manche Pro-Wörter, die Deixis ausdrücken können, werden auch anaphorisch gebraucht; bei Pronomina der 3. Pers. ist es sogar der typische Gebrauch (z.B. Rudi wollte nicht mit, weil er viel zu tun hatte). Bei deiktischen Ausdrücken für die 3. Pers. ist oft eine begleitende Geste nötig (z.B. Darf ich vorstellen? Er ist mein Freund, Rudi). Der Gebrauch von Äußerungen wird pragmatisch auch als Sprechakt betrachtet. Ein und dasselbe Konstrukt mit einer wohlgeformten morphologischen und syntaktischen Struktur bzw. mit einer aufgrund der Wort- und Satzsemantik bestimmbaren Bedeutung (Proposition) kann in verschiedenen Sprechakten vorkommen (Äußerungsakt, Lokution) und dementsprechend verschiedene Sprecherintentionen (Illokution) verkörpern und verschiedene (auch nicht intendierte) Folgewirkungen beim Hörer auslösen (Perlokution). Was von den Sprechakten in grammatischen Beschreibungen formal am ehesten darstellbar ist, sind die Satzmodi bzw. die Satzarten. Letztere werden auch formal-grammatisch exakter definiert. Hierbei sind Sprecherintentionen primär in Aussage, Frage, Ausruf, Aufforderung und Wunsch eingeteilt. Eine Unterteilung ist vor allem bei Fragen nötig, da Ergänzungsfragen, Entscheidungsfragen, Alternativfragen formal unterschiedlich sind. Zwischen Sprecherintention und Satzart besteht keine Eins-zu-eins-Beziehung; denn man kann z.B. eine Aufforderung mit einem Fragesatz (43) oder einem Aussagesatz (44) ausdrücken. (43)

Könnten Sie mal das Fenster zumachen?

(44)

Du gehst jetzt sofort schlafen.

Auch der Begriff der Präsupposition ist eng mit der Pragmatik verbunden. Man kann zwar Voraussetzungen in der Logik auch mit Ausklammerung der Sprechsituation behandeln und feststellen, dass eine Präsupposition anders als z.B. eine Implikation in je-

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dem Fall wahr sein muss.10 Aber pragmatisch ist die Präsupposition situationsgebunden, so dass eine Äußerung in verschiedenen Sprechsituationen mit verschiedenen Präsuppositionen verbunden sein kann. Die Äußerung Deutschland soll wieder vereinigt werden geht zeitlich mit einer Situation einher, in der Deutschland nicht vereint war. Seit der Wiedervereinigung 1990 ist diese Präsupposition nicht mehr aktuell, so dass diese Äußerung nicht sinnvoll interpretierbar ist. WSK 1.2: Anapher (2); Deixis; Gebärdensprache; pragmatische Valenz; Präsupposition; Referenz; Sprechakt; Sprechakttheorie

§ 34 Die Orthographie Grammatik als Regelsystem manifestiert sich in der mündlichen sowie der schriftlichen Kommunikation. Grammatikographisch erfasste Regeln operieren meistens mit schriftlichen Formen, so dass Grammatik und Orthographie eng miteinander verbunden sind. Die durch die Formenlehre beschriebene Allomorphie passt sich z.B. der auf dem Ökonomieprinzip basierenden Schreibweise von du liest, du boxt, du sitzt, du schließt usf. an, indem hier das Suffix der 2. Pers. Sg. als -t bestimmt wird (die Schreibung entspricht zugleich auch der phonetischen Realisierung des /sst/ durch [st]). Andererseits gibt es unter den Prinzipien der Orthographie u.a. ein grammatisches Prinzip, nach dem Substantive im Deutschen großgeschrieben werden (die Differenzierung zwischen Wortarten ist eine grammatische Angelegenheit), oder auch ein morphologisches, das die Pluralform von Haus als Häuser (statt gleichlautendes *Heuser) bestimmt. Orthographie enthält verbindliche Regeln der Schreibung und legt diese noch eindrücklicher und eindeutiger fest als eine präskriptive Grammatik Regeln und Formen des grammatisch korrekten Sprachgebrauchs. Zu einer exhaustiven Regulierung der Schriftlichkeit sind außer generellen Regeln auch umfassende Wortlisten erforderlich, die in Rechtschreibwörterbüchern zu finden sind. Entsprechende Daten zur Schreibung enthalten auch die gängigen Textverarbeitungsprogramme. Die Orthographie beruht auf verschiedenen Prinzipien. Das phonologische Prinzip verbindet Phoneme mit ihren graphischen Pendants, den Graphemen. Regelmäßige Entsprechungen der Segmente der beiden Ebenen werden durch Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz erfasst. Das oben angegebene morphologische Prinzip (auch Morphemkonstanzprinzip oder – auf Stammmorpheme beschränkt – Stammprinzip genannt) soll dafür sorgen, dass Morpheme möglichst unabhängig von der phonetischen Realisierung graphisch invariant dargestellt werden. Je nach Phonem-Auffassung kann das orthographische Ignorieren der deutschen Auslautverhärtung auf ein phonologisches oder ein morphologisches Prinzip zurückgeführt werden (im Mhd. schrieb man noch 10 So ist die Präsupposition von Hans wäscht Peters Auto die Aussage Peter hat ein Auto, die aber auch dann wahr bleibt, wenn sie zum negierten Satz Hans wäscht Peters Auto nicht gehört.

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und für Tag und Tages). Eindeutig morphologisch ist es, wenn verschiedene Phoneme wie /a/ und /ɛ/ graphisch durch Umlaut als zusammenhängend dargestellt werden (vgl. Blatt und Blätter statt *Bletter). Das Stammprinzip wird auch auf die Wortbildung bzw. die Wortfamilien (vgl. § 31) ausgeweitet. Ein weiteres Prinzip ist das historische, das an traditionellen Schreibweisen festhält, auch wenn diese den aktuellen Phonem-Graphem-Korrespondenzregeln nicht oder nur eingeschränkt entsprechen. Die Geltung des Prinzips variiert von Sprache zu Sprache, für das Englische oder Französische ist es z.B. eher charakteristisch als für das Deutsche. Wie vielleicht in den meisten Sprachen, ist die Schreibung von Eigennamen auch im Deutschen weitgehend traditionsgebunden (vgl. Brandt, Duisburg, Rothenburg). Aber auch orthographische Formen von Gattungsnamen und Wörtern anderer Wortarten können mit dem historischen Prinzip erklärt werden. Dem d in und entspricht z.B. heute ein [t], das Graphem ist das Erbe von mhd. unde. Das Appellativum Achse enthält ebenso die Phonemkombination /ks/ wie Axt, aber geht auf ahd. ahsa mit einem Frikativ zurück, während Axt vom ahd. ackus mit einem Plosiv stammt; der ahd. Frikativ ist also nicht spurlos verschwunden, da an seiner Stelle jetzt das Graphem steht, das in anderen phonetischen Umgebungen auch heute für Frikative verwendet wird. Die Interpunktion wird als Zeichensetzung von der Orthographie i.e.S. getrennt. Sie ist aber Bestandteil des Regelwerks zur richtigen Schreibung. Auch bei der letzten Rechtschreibreform war die Zeichensetzung eines der fünf neugeregelten Teilgebiete (Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung, Zeichensetzung, Schreibung mit Bindestrich, Groß- und Kleinschreibung; Duden 2006: 9f.). Sie ist enger als die anderen Bereiche mit der Syntax verknüpft. Vor allem bei der Bestimmung von Satzarten sind die Satzschlusszeichen ausschlaggebend. Sie signalisieren die Grenzen zwischen syntaktischen Einheiten, wie es ebenso u.a. Komma, Semikolon, Doppelpunkt, Gedankenstrich u.a. im Satzinnern tun. Die Kommasetzung kann auch zur Unterscheidung zwischen verschiedenen syntaktischen Strukturen dienen wie in (45) und (45a), die laut Grundregel für den Infinitiv mit zu ohne Komma zu schreiben wären. (45)

Er empfahl, ihr zu helfen.

(45a) Er empfahl ihr, zu helfen. Gerade wegen seiner disambiguierenden Funktion ist das Komma bei diesen ambigen Sätzen zugelassen (Duden 2006: 78). WSK 1.1: Getrenntschreibung; Interpunktion; Zusammenschreibung

7. Systematische Einführung zur Grammatik 110

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9. Alphabetisches Sachregister

9. Alphabetisches Sachregister zur Systematischen Einführung Adjektiv 65, 66, 68, 72, 73, 75, 76, 77, 79, 83, 86, 91, 96, 105 Adkopula 77 Adverb 55, 73, 83, 86, 91, 96 Adverbial 86, 91, 97 Adverbialsatz 82 Affix 74 Agens 63, 84, 87, 100, 101 Akkusativ 62, 65, 66, 71, 76, 77, 91, 98, 100 Aktant 87 Aktionsart 75 Aktiv 62, 65, 72, 75, 97 Akzent 72 Akzeptabilität 66, 67, 69 Allomorph 73, 74 analytische Form 75 analytische Wortform 72 Anapher 69, 73, 85, 89 Anaphorisierbarkei 85 Angabe 88 angeboren 59, 93, 95 Anschlusstest 70 Apposition 66 Argument 63, 87, 100 Argumentstruktur 98 Artikel 55, 91 Attribut 63, 76, 85, 86, 91, 98 Attributsatz 82 Bare Phrase Structure 95 Basiskomponente 93 Baumgraph 93 Benefaktiv 101 Beschränkung 52, 98, 100 Circumstant 87 complementizer 83 Dativ 62, 65, 76 Deixis 107 Deklination 57, 75, 76, 77 Dependens 90, 96 Dependenzgrammatik 65, 90, 96 Dependenzstruktur 63, 89, 90, 96 Derivation 95, 104 deskriptive Grammatik 59, 60 deskriptive Linguistik 93 Determinansphrase 83, 95

Determinativ 73, 77 Determinierungsgrad 106 diachrone Grammatik 58 Dialoggrammatik 106 didaktische Grammatik 60 Doppelperfekt 76 Doppelplusquamperfekt 76 einfacher Satz 80 Einheitenkategorie 66 Einleitewort 81 einzelsprachliche Grammatik 59 Eliminierungstest 69 Ellipse 106 endozentrisch 83 endozentrische Phrase 91 endozentrische Struktur 94 Entität 93 Ergänzung 86, 88 Ersetzungsregel 93 Erweiterte Standardtheorie 94 exozentrisch 83 Experiencer 101 fakultative Ergänzung 87 finite Form 81 finites Verb 78 finite Verbform 75 flektierte Form 72 Flexion 52, 57, 73, 75, 76, 91 Flexionsform 61 Flexionsmorphologie 104 Flexionstyp 73 Folgerungstest 70, 71, 88 Form 52, 54, 61, 63, 64, 66, 67, 76, 91, 98 Formenlehre 50, 52, 57, 67, 73, 91, 103, 104, 105, 108 Frageprobe 85 Frege-Prinzip 93 freies Morphem 74 F-Struktur 97 Fugenelement 74 Funktion 52, 53, 55, 61, 65, 74, 78, 79, 98, 100, 101, 103 funktionale Grammatik 61 funktionale Kategorie 62, 83, 94 Futur 62, 76, 106 Gebrauchsgrammatik 60, 90, 101, 103

7. Systematische Einführung zur Grammatik 114 gebundenes Morphem 74 Generalized Phrase Structure Grammar 92 Generative Grammatik 53, 54, 59, 63, 67, 68, 79, 83, 89, 90, 92, 93, 98 Generative Transformationsgrammatik 92, 93, 100 Genitiv 62, 76, 78 Genus 55, 57, 62, 66, 73, 76, 77, 78, 79, 91 genus verbi 72 Getrenntschreibung 72, 109 Gleichzeitigkeit 75 Goal 101 Grammatik 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 67, 71, 90, 91, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 108 Grammatikalität 59, 66, 69, 70 Grammatikbuch 50 Grammatikographie 55, 88, 91, 102 Grammatiktheorie 54 Grammatiktypologie 51 Grammatikunterricht 101 grammatische Regel 67 Grundfolge 79 Grundmorphem 74 Hauptsatz 80, 81 Head-driven Phrase Structure Grammar 92 historisches Prinzip 109 Identität 66 Illokution 107 Infinitiv 75 Infinitivkonstruktion 81 Infix 74 Informationsstruktur 80, 106 Inhaltbezogene Grammatik 57 Instrumental 100, 101 Interpunktion 53, 109 Junktion 97 Kasus 55, 57, 61, 62, 65, 66, 71, 72, 76, 77, 78, 79, 86, 91, 98, 100, 101 Kasusgrammatik 100, 101 Kasusrolle 100 Kategorialgrammatik 92 Kategorie 57, 61, 62, 66, 72, 73, 90, 93, 98 Kategorisierung 57, 62, 66, 73, 75, 77, 79, 98, 101 Klangprobe 70 Kohärenz 106 kommunikative Minimaleinheit 79 Komparation 57, 76, 77 Kompetenz 53, 54, 59, 92, 93 Komplement 63, 70, 71, 83, 84, 88 komplexer Satz 80

Komposition 104 Konfix 74 Kongruenz 65, 66, 79 Konjugation 57, 75, 76 Konjunktion 55, 91, 106 Konjunktiv 62, 106 Konnexion 90, 96, 97 Konstituente 65, 66, 70, 83, 88, 90 Konstituentenstruktur 62, 89 Konstituentenstrukturgrammatik 84, 91, 97 Konstruktionsgrammatik 54, 101 Kontaktprobe 70 kontextfreie Regel 67 kontextsensitive Regel 67, 104 kontrastive Grammatik 59, 103 Konversion 104 Koordination 80 Koordinationstest 70 Kopf 63, 83, 94, 99, 100 Koreferenz 106 Körpersprache 107 Lautlehre 52, 53, 62, 103 Leitform 84 Lexem 72 Lexical Functional Grammar 63, 97 lexikalische Kategorie 62 lexikalische Redundanzregel 97 lexikalistische Hypothese 68 Lexikologie 104 Lexikon 54, 68, 92, 93, 97 linguistische Grammatik 60 Listenprobe 71 logische Form 95 logische Valenz 87 Lokativ 101 Markiertheitsbeschränkung 100 Matrixsatz 80 maximale Projektion 94 merge 95 Minimalistisches Programm 53, 92, 95 Modus 55, 62, 72 Monoflexion 78 Morph 73, 74 Morphem 74, 104 Morphemkonstanzprinzip 108 Morphologie 51, 53, 54, 57, 58, 65, 67, 73, 92, 98, 103, 104 morphologische Struktur 62 move α 54, 94

115 Mutterknoten 83 Nachschlagewerk 101 Natürlichkeitsmorphologie 104 Nebensatz 80, 94 Negation 94 Nennform 72 Nexus 97 Nomen 55, 68, 90, 91, 93, 96 Nominalklammer 77 Nominalphrase 68, 83 Nominativ 62, 72, 76, 77, 100 Norm 67, 102 normative Grammatik 59, 67 Notwendigkeit 88 Nukleus 96 Nullmorph 77 Numerale 78 Numerus 55, 57, 62, 66, 72, 75, 76, 77, 78, 79, 96, 98 Oberflächenstruktur 63, 68, 93, 95 Objekt 61, 66, 84, 86, 88, 91 Objektsatz 82 obligatorische Ergänzung 87 Ökonomieprinzip 95 Optimalitätstheorie 98, 99, 104 Orthographie 52, 53, 57, 72, 108, 109 pädagogische Grammatik 60 Paradigma 65, 66, 72, 77, 105 paradigmatisch 65 Paraphrasentest 70 Parenthese 81 Partikel 73, 91 Partizip 55, 75, 91 Partizipialkonstruktion 81 Passiv 62, 65, 75 Patiens 63, 84, 100, 101 Perfekt 62, 76, 106 Performanz 69, 79 Permutationstest 69 Person 57, 62, 63, 72, 75, 76 Phonetik 51, 52, 53, 103 phonetische Form 95 Phonologie 51, 52, 53, 54, 58, 67, 68, 69, 74, 98, 99, 103 phonologisches Prinzip 108 Phrase 63, 68, 70, 71, 73, 78, 79, 83, 91, 92, 94, 97, 98 Phrasenstruktur 63, 89 Phrasenstrukturgrammatik 83, 91, 92 Phrasenstrukturregel 67, 93

9. Alphabetisches Sachregister Plural 63, 76, 91 Plusquamperfekt 62, 75, 76, 106 Positionsbezug 66 Possessor 101 Prädikat 63, 81, 85, 87, 91, 98, 100, 101 Prädikat-Argument-Struktur 62, 63 prädikatives Attribut 85 Prädikativsatz 82 Prädikativum 85 Präfix 74 Pragmatik 107 Präposition 83, 91, 97 Präpositionalobjekt 86 Präpositionalphrase 83 Präsens 61, 62, 75, 106 präskriptive Grammatik 59, 108 Präsupposition 107 Präteritum 61, 62, 74, 75, 106 primäre Komponente des Satzes 84 Prinzipien- und Parametertheorie 59, 83, 94, 95 Proform 86 Pronomen 91 Pronominalisierungstest 69 Prosodie 56 Pro-Wort 85, 86, 105, 107 ranking 98 Redundanzregel 68 Referenzgrammatik 60, 101 Regel 67, 79, 92 Regelsystem 51, 101, 108 Regens 63, 65, 90, 94, 96, 97 Rektion 65, 66, 79, 88, 94 Rektions- und Bindungstheorie 53, 65, 68, 94 Rekursivität 79 Relation 64 Relativsatz 82 Revidierte Erweiterte Standardtheorie 94 Rezipient 63, 84, 87, 101 Sachverhaltsbeteiligung 87 Satz 54, 67, 69, 78, 79, 80, 81 Satzart 107 Satzbauplan 89 Satzgefüge 80 Satzglied 61, 66, 70, 84, 85, 86, 91 Satzklammer 79, 85 Satzminimum 69 Satzmodus 80, 107 Satzperiode 80 Satzreihe 80, 81

7. Systematische Einführung zur Grammatik 116 Satzschlusszeichen 109 Satztyp 80 Satzverbindung 80 Schaltsatz 81 Schulgrammatik 55, 59, 60, 101 schwach 77 schwache Adjektivdeklination 77 schwaches Substantiv 77 Semantik 54 semantische Rolle 100 semantische Struktur 93 Singular 76 Skopus 106 Spezifizierer 94 Spracherwerb 50 Sprachnorm 67 Sprachsystem 50, 67 Sprachtheorie 53, 54, 60 Sprachtypologie 73 Sprachwandel 58 Sprechakt 80, 107 Sprecherintention 80 Spur 94 Stamm 74 Stammprinzip 109 Standardtheorie 53, 68, 73, 93 starke Adjektivdeklination 77 Stellungsfeld 79 Stellungsglied 86 Stemma 90 Struktur 50, 52, 53, 62, 63, 69, 76, 80, 89, 90, 91, 95, 97, 104, 107 Strukturbaum 83, 84 Subjekt 63, 66, 69, 76, 84, 86, 89, 91, 92, 96 Subjektsatz 81 Subjunktor 81 Subkategorisierung 92 Subordination 80 Substantiv 59, 66, 73, 76, 77, 78, 79, 105 Substitutionstest 69 Suffix 62, 74, 76, 104, 105, 108 Supplement 70, 84, 88 suprasegmental 104 Syllabierung 99 synchrone Grammatik 58 Syntagma 81, 83 syntagmatisch 64 syntaktische Funktion 84, 85 syntaktische Struktur 91

Syntax 50, 51, 52, 53, 54, 57, 58, 63, 65, 66, 67, 74, 78, 86, 98, 102, 103, 104, 105, 109 synthetische Form 75 Teilparadigma 75 Tempus 55, 62, 72, 75, 106 Tempusform 61 terminale Kategorie 92 Testverfahren 69, 70, 71 Text 50, 106 Textgrammatik 51, 52, 58, 105, 106 Textkohäsion 105 Textlinguistik 105, 106 Textwort 71 Thema-Rhema-Gliederung 61 thematische Rolle 61, 63, 65, 84, 87, 100 Theta-Rolle 100 Theta-Theorie 94 Tiefenkasus 100, 101 Tiefenstruktur 63, 93, 95, 100 Topik 100 Topologie 86, 90 traditionelle Grammatik 55, 90 Transformation 54, 93, 94 transformationalistische Hypothese 68 Transformationsregel 92 transitives Verb 66, 75 Translation 96 Treuebeschränkung 99 Typologie 59 Umlaut 76 Unifikation 97 Unifikationsgrammatik 92 Universalgrammatik 53, 59, 95, 97 unmittelbare Konstituente 89 Valenz 86, 87, 88 Valenztheorie 87 Verb 55, 59, 66, 69, 72, 76, 80, 83, 87, 90, 91, 94, 96, 105 Verbalkomplex 79 Verbalphrase 83 Verbgrammatik 96 Verbletztstellung 79 Verbpartikel 74 Verbstamm 74 Verbstellung 81 Verbvalenz 63, 84, 88 vergleichende Grammatik 59 Verletzungstableau 99 Vorfeldfähigkeit 85

117 Vorzeitigkeit 75 weiterführender Nebensatz 82 weiterführender Relativsatz 82 wissenschaftliche Grammatik 52, 59, 60, 103 Wort 52, 56, 71, 73, 89, 90, 91, 92 Wortart 62, 72, 73, 75, 76, 77, 78, 86, 90, 105 Wortbildung 50, 52, 58, 72, 73, 74, 103, 104, 109 Wortbildungsgruppe 105 Wortbildungsmodell 105 Wortbildungsnest 105 Wortbildungsreihe 105 Wortfamilie 68, 105 Wortform 62, 71, 73, 76, 96

9. Alphabetisches Sachregister Wortgruppe 89 Wortkategorie 76 Wortstellung 79, 97 w-Wort 80, 81 X-bar-Syntax 83 X-bar-Theorie 83, 94 Zahlwort 78 Zeichen 61, 74, 92, 107 Zirkumfix 74 zusammengezogener Satz 81 Zusammenschreibung 72, 109 Zustandsform 76

A abgeleitetes Adjektiv

desubstantivische, deverbale, deadjektivische oder de­adverbiale Adjektivwortbildung mittels Affigierung. ▲ derived adjective; adjectival derivative: adjective derived from a noun, verb, adverb or other adjective by means of affixation. Das abgeleitete Adjektiv ist eine explizite Ableitung, da es in der Regel einen klar erkennbaren Klassenanzeiger als Affix aufweist, das zur Identifikation als Adj., meist aber auch zur Modifikation bzw. Transposition des Basislexems dient und auf einen deutlichen strukturellen Unterschied zwischen Wortbildungsmorphem und Flexiv verweist (Erben 2006: 109). (1) ernsthaft ← Ernst (2) ernstlich ← ernst Die Präfix-, Suffix- und Zirkumfixderivationen sowohl mit heimischen als auch mit Lehnaffixen werden in der Fachlit. nach verschiedenen, teils sich überschneidenden semantischen und morphosyntaktischen Kriterien eingeteilt, z.B. bei Donalies (2007: 79–83): (a) Zu den Präfixbildungen zählen Augmentativa (mit erz-, hyper- in erzkonservativ, hyperaktiv) und Negativa oder Falsifikativa (mit un-, a-/an-, de-/des-/dis-, -il-/in-/im- in unfreundlich, anormal, desorganisiert, illegal). (b) Suffixderivate sind z.B. die von Verben abgeleiteten Potenzialia auf -bar, -abel, -sam (versenkbar, akzeptabel, biegsam mit überwiegend passivischer Bedeutung). Die häufigen Adjektivderivate auf -ig, -isch, -lich sind Partitiva (in freudig, stürmisch, glücklich), selten Identitiva (schrottiger Alfa), Vergleiche (milchiges Licht), häufig Diminutiva (bläuliches Licht). Negativa auf -los sind meist von Substantiven, gelegentlich von Verben abgeleitet (charakterlos, reglos). Das einzige adjektivische Zirkumfixderivat ist das von Verben

abgeleitete ge-...-ig (in wenigen lexikalisierten Bildungen wie gehässig, gelehrig, gefügig).

Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Adjektivderivat; adjektivisches Derivat → Adverbialadjektiv; Affigierung; Derivation; deverbales Adjektiv; relationales Adjektiv; Verbaladjektiv

🕮 Donalies, E. [2007] Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

abgeleitetes Adverb

Adverb, das mit Hilfe eines Suffixes von einer anderen Wortart abgeleitet worden ist. ▲ derived adverb: adverb which is derived from another word class by means of a suffix. Neben Adverbien, die aus selbständigen Stammmorphemen bestehen (bald, schon, sehr) oder Zusammensetzungen sind (seitdem, heran, dorthin, derart, allerart, demzufolge), sind Ableitungen mit Suffixen sehr häufig (abends mittelst des Suffixes -s von dem Subst. Abend). Bildungen mit -hand, -mal, -halb, -fach, -maßen (allerhand, hundertmal, außerhalb, zweifach, folgendermaßen) sind dabei als Grenzfälle zwischen Zusammensetzungen und Ableitungen anzusehen, weil das letzte Glied die Funktion eines Suffixes hat, jedoch auch als selbständiges Wort vorkommt, wenn auch meist mit modifizierter Bedeutung. Zu den Grenzfällen gehört auch das Morphem -weise, das jedoch in der Fachlit. allgemein als ein Suffix betrachtet wird. Ableitungen mit -weise sind denominal, d.h. Sub­ stantive bilden die Basis (vgl. teilweise, schrittweise, stufenweise, massenweise, beispielsweise, scharen­

abgeleitetes Verb 120

A

weise). In Ableitungen aus Adjektiven kommt meist ein zusätzliches Fügungsmorphem -er- hinzu (z.B. verständlicherweise, seltsamerweise, sonderbarerweise). Das Suffix ist in der dt. Gegenwartssprache produktiv. Durch das Suffix -s werden Adverbien aus Substantiven, aber auch aus Partizipien abgeleitet. Das Suffix ist nicht mehr produktiv (abends, flugs, allerorts, eilends, zusehends). Aus Positivformen des Adj. oder Adverbs sind bereits, längs, eigens abgeleitet, aus der Komparativform öfter das Adverb öfters. Zahlreicher sind Ableitungen aus Superlativformen (höchstens, spätestens, frühestens, bestens). Es ist möglich, diese Bildungen entweder als Ableitungen aus der Superlativform (am) höchsten etc. mit dem Suffix -s oder auch -ens als ein Morphem zu betrachten. Das Basismorphem der Ableitung kann auch ein Numerale sein (erstens, zweitens, drittens), in dem ggf. ein zusätzliches -t- eingefügt wird. Das Suffix -lich kann als besondere Adverbmarkierung mit Adj. als Basis angesehen werden, so dass es dem engl. -ly bzw. dem frz. -ment nahekommt (neulich, wahrlich, freilich, hoffentlich). Es ist jedoch nicht ein grammatisches Morphem, weil es auf wenige Adverbien beschränkt ist. Das gilt auch für das z.T. veraltete, fakultative oder auch ugs. -e (kalte, stille, gern-e, nah-e, hell-e, sacht-e). Als Morphem ist das Suffix -lings anzusehen, weil es z.B. im Adverb blindlings keine Basis gibt (*blindling). Diese Bildung kann die Art und Weise einer Verbhandlung (rittlings, meuchlings, jählings) oder eine gewisse Stellung oder Lage ausdrücken (rücklings, bäuchlings, vorlings). Mit einer quantitativen Bedeutung sind die Suffixe -er und -lei verbunden (zweierlei, allerlei) und mit einer lokalen bzw. kausalen Bedeutung die Suffixe -wärts und -halber (aufwärts, sicherheitshalber). Kjell-Åke Forsgren

→ absolutes Adverb; Adverb der Art und Weise

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

abgeleitetes Verb

Verb, das mithilfe eines oder mehrerer Wortbildungsmorpheme von einem Verb bzw. einer anderen Wortart abgeleitet ist. ▲ verbal derivative; derived verb: verb derived from a verb or another part of speech by means of one or more derivational morphemes.

Zu den verbalen Ableitungsmorphemen werden sog. gebundene Wortbildungsmorpheme (Affixe) gezählt: (a) (immer unbetonte) Präfixe (be-, ge-, er-, ver-, zer-, ent-, emp-, miss-); (b) Präfixoide, auch Halbpräfixe oder trennbare Präfixe genannt (ab-, vor-, gegenüber- u.a.); (c) Suffixe (-el, -ig, -ier, -isier u.a.), z.B. be-graben, ge-brauchen, er-finden; ab-nehmen, vor-bereiten, gegenüber-stellen; lächel-n; gast-ier-en, standard-isier-en. Bei mehreren Verbalableitungen können der Wurzel- und der Präfixakzent variieren, wodurch das entsprechende Ableitungsmorphem bald die Präfix-, bald die Präfixoidfunktion übernimmt. In einigen Fällen führt die Akzentverlagerung Bedeutungsunterschiede herbei, vgl. um-fáhren vs. úm-fahren, durch-súchen vs. dúrch-suchen, über-sétzen vs.´über-setzen. Ein schwaches Verb kann zugleich Präfix- und Suffixableitung sein, in solchen Fällen spricht man auch von Zirkumfigierung als Ableitungsart bzw. Zirkumfix als Ableitungsmorphem, z.B. be-gnad-ig-en ← Gnade, ver-ewig-en ← ewig. Aus sprachhist. Sicht sind sämtliche schwachen Verben Suffixableitungen. Da aber die einstigen Ableitungssuffixe in Folge der Abschwächung der unbetonten (darunter auch suffixalen) Vokale der Nebensilben bereits im Mhd. zusammengefallen sind, werden heutzutage schwache Verben, die keine speziellen Ableitungsmorpheme haben, nicht mehr zu den (wurzelexternen) Ableitungen, sondern zu den Konversen gezählt, denen am häufigsten der Status von Simplizia oder aber von wurzelinternen (inneren) Ableitungen mit Nullsuffix zugesprochen wird, vgl. landen ← Land, grünen ← grün, muhen ← muh! Michaił L. Kotin

↔ Simplexverb → Ableitungsaffix; be-Verb; Präfixverb; Verb; Zirkumfigierung

🕮 Fleischer, W./ Barz, I. [2007] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 3. Aufl. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 1. Hauptteil: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf ◾ Vater, H. [2002] Einführung in die Sprachwissenschaft. 4. Aufl. München.

Ablativ

indirekter Kasus, der einen räumlichen Ausgangspunkt oder, in grammatikalisierten Verwendungen, einen metaphorisch verstandenen Ursprung wie Ursache oder Urheber ausdrückt.

121 Ablaut ▲ ablative: indirect case expressing a local source or, in more grammaticalized uses, a source in metaphorical terms like cause or originator. Bernadett Modrián-Horváth

→ dativus auctoris; dativus causae; dativus modi; dativus temporis; Kasus

⇀ Ablativ (HistSprw)

🕮 Blake, B.J. [2000] Case. In: Booij, G./ Lehmann, Ch./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1073–1090 ◾ Creissels, D. [2009] Spatial cases. In: Malchukov, A./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of case. Oxford: 609–625 ◾ Dal, I./ Eroms, H.-W. [2014] Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. 4., neu bearb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Keszler, B./ Lengyel, K. [2008] Grammatik der ungarischen Sprache. Hamburg ◾ Meier-Brügger, M. [2002] Indogermanische Sprachwissenschaft. 8., überarb. u. erg. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rubenbauer, H./ Hofmann, J.B./ Heine, R. [1995] Lateinische Grammatik. 12., neubearb. Aufl. Bamberg [etc.].

Ablativ, absoluter

→ ablativus absolutus

ablativus absolutus

Verwendung des lateinischen Kasus Ablativ zur Markierung eines unabhängigen Satzglieds. ▲ absolute ablative: use of the Latin ablative case to mark an independent sentence constituent. In der lat. Grammatik kennzeichnet der absolute Ablativ ein Satzglied im Ablativ, das mit keinem anderen Satzglied syntaktisch verbunden ist. Es besteht aus einem Nomen, mit dem ein Attribut kongruiert, das ein Partizip im Präs. (1) oder im Perf. (2), ein Nomen (3) bzw. ein Adj. (4) sein kann. (1) regnante Romulo ['unter der Regierung von Romulus'] (2) Caesare mortuo ['nach Cäsars Tod'] (3) Cicerone consule ['unter Ciceros Konsulat'] (4) integris viribus ['bei frischen Kräften'] Seltener kann ein Gerundiv als Attribut vorkommen, wie im Ausdruck mutatis mutandis 'mit den notwendigen Änderungen'. Der absolute Ablativ kann durch einen Satz umformuliert werden, in dem das Nomen dem grammatischen Subjekt und das Attribut dem Prädikatsverb bzw. -nomen entspricht. ≡ absoluter Ablativ → Ablativ; casus absolutus; Kasus ⇀ ablativus absolutus (HistSprw)

Giovanni Gobber

🕮 Coleman, R. [1989] The Rise and Fall of Absolute Constructions: a Latin Case History. In: Gualtiero, C. [ed.] Subordination and Other Topics in Latin. Amsterdam [etc.]: 353–374 ◾ Piirainen, I.T. [1969] Die absoluten Kasuskonstruktionen des Deutschen in diachronischer Sicht. In: NphMit LXX: 448–470 ◾ Rubenbauer, H./ Hofmann, J.B./ Heine, R. [1995] Lateinische Grammatik. 12., neubearb. Aufl. Bamberg [etc.] ◾ Ruppel, A. [2013] Absolute Constructions in Early Indo-European. Cambridge.

Ablaut

regelhafter Vokalwechsel in etymologisch verwandten morphologischen Einheiten, der insbesondere in indogermanischen Sprachen vorkommt. ▲ ablaut; apophony; vowel gradation: regular vowel alternation in etymologically related morphological units, in particular in Indo-European languages. Der Ablaut ist ein aus der idg. Grundsprache ererbter, urspr. wenigstens teilweise durch den Wortakzent bedingter Vokalwechsel, der besonders prominent in der Verbstammbildung der germ. Sprachen zu finden ist. In älteren idg. Sprachen weisen morphologische Einheiten häufig mehrere Varianten auf, die sich hinsichtlich der Qualität und/oder der Quantität der auftretenden Vokale – der sog. Ablautstufe – unterscheiden. Ablaut betrifft verschiedene Lexeme einer Wortfamilie wie z.B. lat. tegō 'bedecken', toga 'Toga', tēgula 'Dachziegel', wo die Vokale e, o und ē erscheinen, oder verschiedene Formen eines Lexems wie z.B. altgriech. leípō/léloipa/élipon [1. Pers. Sg. Präs./Perf./Aorist, '(ver)lassen'] mit dem Wechsel e/o/∅. Der Wechsel e/o [e-Stufe vs. o-Stufe] stellt einen Fall von qualitativem Ablaut (Abtönung) dar. Der Wechsel e/ē [Vollstufe (auch: Grund- oder Normalstufe) vs. Dehnstufe] und der Wechsel e/∅ [Vollstufe vs. Schwundstufe (auch: Nullstufe)] stellen Fälle von quantitativem Ablaut (Abstufung) dar. Fünf Stufen eines Suffixes erscheinen in verschiedenen Kasusformen von altgriech. patḗr ['Vater'] und apátōr ['vaterlos'] ((1)–(5)). (1) -ter [e-Stufe, Vollstufe], patéra [Akk.Sg.] (2) -tēr [e-Stufe, Dehnstufe], patḗr [Nom.Sg.] (3) -tr [Schwundstufe], patrós [Gen.Sg.] (4) -tor [o-Stufe, abgetönte Vollstufe], apátora [Akk.Sg.] (5) -tōr [o-Stufe, abgetönte Dehnstufe], apátōr [Nom.Sg.] Derart miteinander wechselnde Vokale bilden

A

Ablautreihe 122

A

eine Ablautreihe. Nach dem betroffenen Element wird zwischen Wurzelablaut, Suffixablaut und Endungsablaut unterschieden. Für eine frühe Phase des Idg. wird eine Korrelation zwischen Ablautstufen und Wortakzent angenommen, wonach die Schwundstufe durch Vokalverlust (Synkope) in unbetonter Position entsteht (3). Im Übrigen sind die phonologischen Entstehungsbedingungen des Ablauts unklar oder umstritten; doch korreliert in Fällen wie (1), (2) vs. (4), (5) auch Abtönung mit der Akzentverteilung (betont/unbetont). Im späteren Idg. ist die Bindung an den Akzent gelöst und die Verteilung der Ablautstufen an morphologische Kategorien gebunden (Morphologisierung), in der Folge aber häufiger durch paradigmatischen Ausgleich beseitigt. Ablaut kann andere morphologische Markierungen redundant begleiten (vgl. (1) vs. (2)) oder (seltener) selbständig morphologisch signifikant werden (vgl. lat. senātus [Nom. Sg.] vs. senātūs [Gen.Sg.; 'Senat'] und eine Affixen vergleichbare funktionale Rolle als morphologischer Exponent übernehmen wie bei den starken Verben der germ. Sprachen (vgl. engl. sing/sang [Präs./Prät., 'singen']). Nach der traditionellen, auf Jacob Grimm zurückgehenden Begriffsbestimmung handelt es sich bei Ablaut um einen nicht durch den segmentalen Kontext bedingten (nicht assimilativen) Vokalwechsel – im Unterschied zum urspr. vokalharmonisch bedingten Umlaut. Mit Bezug auf nicht-idg. Sprachen wird der Terminus insbesondere auf das transfigierende Verfahren in der Morphologie afroasiatischer, speziell semitischer Sprachen angewendet, bei dem wechselnde vokalische Muster über (durch Konsonantengerüste konstituierte) Wurzeln gelegt werden. I.w.S. wird der Terminus unter synchroner Perspektive, vor allem in der englischsprachigen Fachlit. (ablaut, apophony), zur Bezeichnung unterschiedlicher morphologisch signifikanter Vokalwechsel in Sprachen verschiedener Gruppen und Familien (u.a. Athabaskisch, Kartwelisch, Sinotibetisch) verwendet, gelegentlich auch für Konsonantenwechsel. Als Fall von non-konkatenativer Morphologie ist die Behandlung des Ablauts in der synchronen Morphologie problematisch und stellt einen Prüfstein für den Vergleich morphologischer Modelle dar. Bernd Wiese

→ § 31; Ablautreihe; Abstufung; Abtönung; innere Flexion ⇀ Ablaut (Wobi; Phon-Dt; HistSprw)

🕮 Grimm, J. [1819] Deutsche Grammatik. Erster Theil. Göttingen ◾ Meier-Brügger, M./ Fritz, M./ Mayrhofer, M. [2010] Indogermanische Sprachwissenschaft. 9., durchges. u. erg. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rix, H. [1992] Historische Grammatik des Griechischen. Laut- und Formenlehre. 2., korr. Aufl. Darmstadt.

Ablautreihe

geordnete Menge von alternierenden Vokalen in verschiedenen Formen morphologischer Einheiten, die in Ablautbeziehung stehen. ▲ ablaut series: ordered set of alternating vowels appearing in different forms of morphological units related by ablaut. Bei Vokalalternation durch Ablaut zeigen sich wiederkehrende Muster des Wechsels, die nach den lautlichen Umgebungen, in denen die alternierenden Vokale stehen, unterschieden und als Ablautreihen bezeichnet werden. Ablautreihen bilden die Basis für die Klassifikation der starken Verben im Germ., das sich durch die Funktionalisierung des Ablauts als Mittel der verbalen Stammbildung auszeichnet. Altgriech. leípō/léloipa/élipon [1. Pers. Sg. Präs./ Perf./Aorist, '(ver)lassen'] zeigt den idg. Wechsel von e (leip, Vollstufe), o (loip, abgetönte Vollstufe) und ∅ (lip, Schwundstufe). Auf den ablautenden Vokal folgt i̯ , das in der Nullstufe zum Silbenkern wird. Die idg. Reihe ei̯ /oi̯ /i setzt sich germ. als ī/ ai/i und ahd. als ī/ei/i fort. Sie liegt der Stammbildung der 1. Klasse der starken Verben zugrunde; vgl. die vier Stammformen rītu/reit/ritun/geritan [1. Pers. Sg. Präs./1. Pers. Sg. Prät./3. Pers. Pl. Prät./ Part. Prät.] von ahd. rītan 'reiten'. Je nach dem lautlichen Kontext ergeben sich ausgehend von idg. e/o/∅ verschiedene Fortsetzungen. Idg. eu̯/ ou̯/u setzt sich germ. als eu/au/u und ahd. als io, iu/ou/u, o fort und erscheint in der 2. Klasse der starken Verben (ahd. biugu/boug/bugun/gibogan zu biogan 'biegen'). In der 3. Klasse steht der Vokal typischerweise vor Liquid oder Nasal + Konsonant wie bei ahd. bintu/bant/buntun/gibuntan (zu bintan 'binden'); in der Nullstufe (bunt) erscheint ein Epenthesevokal. In der 4. Klasse steht der Vokal typischerweise vor Liquid oder Nasal (ahd. nimu/nam/nāmun/ginoman zu nëman 'nehmen'), in der 5. vor Obstruent (ahd. gibu/gab/gābun/gigëban zu gëban 'geben'). Die 3. Stammform zeigt in der 4. und 5. Klasse Dehnstufe (nāmun, gābun),

123 Ableitungsaffix die 4. Stammform in der 5. Klasse den Vokal der Grundform des Stamms (gigëban wie gëban). Die Ablautreihe der 6. Klasse wird meist auf idg. Wechsel o/ō und a/ā zurückgeführt, die germ. in a/ō (> ahd. a/uo) zusammenfallen (ahd. faru/ fuor/fuorun/gifaran zu faran 'fahren'). Der Vokalwechsel bei starken Verben der 7. Klasse geht wesentlich auf Stammbildung durch Reduplikation zurück. Einen schematischen Überblick über die Vokalwechsel bei den nhd. starken Verben bietet Tabelle 1. Tab. 1: Ablautreihen Klasse Beispiel

Grundform

fin. Prät. Part. Prät.

1.

reiten, steigen



ɪ, iː

2.

gießen, biegen



ɔ, oː

3.

binden, bergen

ɪ, ɛ

a

ʊ, ɔ

4.

sprechen, stehlen

ɛ, eː



ɔ, oː

5.

messen, geben

ɛ, eː





6.

schaffen, fahren

a, aː





7.

fangen, blasen

a, aː

ɪ, iː



Die ältere Unterscheidung zweier Ablautstufen bei den finiten Formen des Prät. ist beseitigt. In der 1. und 2. Klasse existieren (wie bei den schwachen Verben) einheitliche Stämme für das finite Prät. und das Partizip Prät. (z.B. ritt‑, bog‑). Da in der 5., 6. und 7. Klasse auch im Nhd. das Partizip Prät. ohne Vokalwechsel gebildet ist (in der Tabelle: ‚—‘) und die Grundform des Stamms zeigt (ge-mess-en; ge-schaff-en; ge-fang-en), alternieren in der Mehrzahl der Verbklassen die Vokale der Grundform nur noch mit genau einem weiteren Vokal. Wo im Prät. kurze und lange Vokale möglich sind (vgl. reiten/ritt mit steigen/stieg), ergibt sich die Verteilung weitgehend aus vom Ablaut unabhängigen phonotaktischen Gesichtspunkten. Im Partizip Prät. der 3. Klasse steht u vor nd/ nk/ng (gebunden), sonst o (geborgen). Ausschlaggebend für die Klassenzugehörigkeit der starken Verben sind im Nhd. die Stammvokale der Präteritalformen (fin. Prät. und Partizip Prät.). Dagegen variieren die Grundformvokale innerhalb einzelner Klassen, besonders in der 2. Klasse, die Zugänge aus anderen Klassen aufweist (/iː ɪ eː ɛː ɛ yː øː œ aʊ/, biegen, glimmen, heben, gären, fechten, lügen, schwören, löschen, saugen), und in der 7. Klasse (/aː a uː oː ɛ aʊ aɪ/, blasen, fangen, rufen, stoßen, hängen, laufen, hei-

ßen). Entsprechend ihrem Ursprung aus der eStufe erscheinen in den Grundformen der 1. bis 5. Klasse (mit wenigen Ausnahmen) nur vordere Monophthonge oder der Diphthong /ai/ (< mhd. ī), während die Grundformen der 6. Reihe auf /a/ oder /aː/ lauten. Im Vergleich zu älteren Sprachstufen ist, wie Paul (1920: 209–212) herausstellt, ein engerer Zusammenhang zwischen lautlichen Differenzierungen und Funktionsunterschieden entstanden (vgl. Wiese 2008).

→ § 16; Ablaut; starkes Verb; Tempusstamm

Bernd Wiese

🕮 Kienle, R. von [1969] Historische Laut- und Formenlehre des Deutschen. 2. Aufl. Tübingen ◾ Paul, H. [1920] Prinzipien der Sprachgeschichte. 5. Aufl. Halle/Saale ◾ Wiese, B. [2008] Form and function of verbal ablaut in Contemporary Standard German. In: Sackmann, R. [ed.] Explorations in Integrational Lin­ guistics. Amsterdam [etc.]: 97–151.

Ableitung

≡ Derivation ⇀ Ableitung (Gram-Syntax; QL-Dt)

Ableitung, attenuative → Diminutiv

Ableitungsaffix

Affix, das der Ableitung eines neuen Lexems aus einer lexikalischen Basis dient. ▲ derivational affix: affix used for the derivation of a new lexeme from a lexical base. Nach ihrer Position im neuen Lexem werden Ableitungspräfixe und Ableitungssuffixe voneinander unterschieden. Seltener werden auch mit Zirkumfixen wie Ge…e (Ge#tu#e) oder mit Infixen (lat. iugere + -n- → iu#n#gere) neue Lexeme abgeleitet. Aus einer Wortform wie vertretbar lassen sich in zwei Schritten Ableitungsaffixe herauslösen: Basis vertret + Ableitungssuffix -bar → neues Lexem vertretbar; Basis tret + Ableitungspräfix ver- → neues Lexem vertret(en). Im Dt. wird bei der Ableitung mit einem Präfix in der Regel die Wortart beibehalten. Nur Stämme von dt. Präfixverben können auch aus anderen Wortarten abgeleitet werden: be- + grün → begrün(en). Das vergleichbare Muster frz. dé#croch#er (substantivische Basis: croc) erklärt Grevisse (2011: § 170) hingegen als Präfigierung + Stammveränderung + Suffigierung mit Flexions-

A

Ableitungssuffix 124

A

endungen, die sich zu einem Verbmorph zusammenfassen ließen. Daraus folgt, dass Präfigierung im Frz. nie zu einem Wortartwechsel führe (Grevisse 2011: § 172). Ableitungssuffixe und -zirkumfixe vergeben oft eine neue Wortart: verbale Basis vertret + -bar → Adjektiv vertret#bar; verbale Basis vertret + -ung → Substantiv Vertret#ung; adjektivische Basis illegal + -(is)ier(en) → Verb illegal#isieren. Doch auch bei der Ableitung mit einem Suffix kann das neue Lexem dieselbe Wortart haben wie seine Basis: substantivische Basis Nachbar + Ableitungssuffix -schaft → Substantiv Nachbar#schaft. Mit Ableitungsaffixen werden im Dt. Verben, Substantive, Adjektive und Adverbien gebildet.

→ abgeleitetes Verb; Affix; Lexem → Gram-Syntax: Ableitung

Franziska Münzberg

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Grevisse, M./ Goosse, A. [2011] Le bon usage. Grammaire française. 15ème édition revue. Paris [etc.] [Unter: http:// www.lebonusage.com; letzter Zugriff: 14.08.2014].

Ableitungssuffix

Anfügung an einen Wortbildungsstamm, um ein neues Wort abzuleiten. ▲ derivative suffix: attachment to a word formation root which derives a new word. Ableitungssuffixe modifizieren die Bedeutung des Ausgangsworts und legen in rechtsköpfigen Sprachen in der Regel die Wortart des neuen Worts fest. Das dt. Suffix -isch leitet u.a. Adjektive ab, die eine Herkunft bezeichnen, und wird deshalb oft mit Eigennamen verbunden (1). (1) französisch, sächsisch Einige Suffixe verändern auch nur die stilistischen Markierungen (2). Diese bezeichnet An­ drou­tsopoulos (1998: 125) aus sprachkritischer Sicht als „parasitäre Suffixe“. (2) tschüssi Ableitungssuffixe unterliegen Kombinationsbeschränkungen grammatischer, semantischer und/ oder phonologischer Art. So kann -schaft nur mit -lich kombiniert werden (vgl. Altmann/Kemmerling 2000: 113), (3). (3) gewerkschaftlich, hauswirtschaftlich Bei -isch kommt es z.B. zur Tilgung von -e und -en

sowie -el und -er im Auslaut der Ableitungsbasis (vgl. Lohde 2006: 185), (4). (4) Tropen → tropisch Die Grundform des durch das Suffix abgeleiteten Worts kann sich verändern (5). Stammvokalveränderungen werden von einigen Suffixen bewirkt (6). Deadjektivische Nomenderivate mit dem Suffix -e werden in der Regel umgelautet (vgl. Donalies 2005: 31). (5) Name + -lich → namentlich (6) sauer → Säure; lang → Länge Christine Römer

→ Affix; Derivation; kategorienerhaltendes Suffix; kategorienveränderndes Suffix; Suffix; Suffixkombination

⇀ Ableitungssuffix (Wobi)

🕮 Altmann, H./ Kemmerling, S. [2000] Wortbildung fürs Examen (LingEx 2). Opladen ◾ Androutsopoulos, J. [1998] Deutsche Jugendsprache. Frankfurt/Main ◾ Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen.

absolute Komparation ≡ absoluter Komparativ

absoluter Ablativ

≡ ablativus absolutus

absoluter Akkusativ

≡ accusativus absolutus

absoluter Dativ

≡ dativus absolutus

absoluter Deminutionskomparativ ≡ Steigerungsinversion

absoluter Genetiv

≡ genitivus absolutus

absoluter Genitiv

≡ genitivus absolutus

absoluter Kasus

≡ casus absolutus

absoluter Komparativ

Grad im Komparationsparadigma des Adjektivs, der ohne Referenz auf eine explizite Vergleichsgröße die Existenz einer spezifischen und von einer erwarteten Norm abweichenden Eigenschaft signalisiert.

125 ▲ absolute comparative: degree in the comparative paradigm of adjectives which signals that a certain existing property deviates from an expected standard without resorting to explicit comparisons.

Der absolute Komparativ tritt nicht im Rahmen einer Vergleichskonstruktion auf und wirkt anders als der relative Komparativ nicht steigernd hinsichtlich einer durch den Positiv beschriebenen Eigenschaftsausprägung (Albers 2007: 50). Vielmehr schränkt er diese aus Gründen der Höflichkeit oder der geringeren Differenzierung im Vergleich zum Positiv ein bzw. schwächt sie ab (Albers 2007: 23f., 52). (1) eine ältere Dame (2) ein längerer Bericht (3) in jüngerer Zeit (4) eine größere Summe Wie der relative Komparativ wird der absolute Komparativ im Dt. mithilfe des Flexionsmorphems -er gebildet. Marco Coniglio, Svenja Brand ≡ absolute Komparation; Norm-Komparativ ↔ relativer Komparativ → Adjektiv; Komparation; Komparativ; Steigerungsinversion

🕮 Albers, J. [2007] Der absolute Komparativ. Eine empirische Untersuchung zu seiner Bedeutung und kommunikativen Verwendung. Göttingen ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Gvozdanović, J. [2001] Vergleichen und Einordnen. Graduierung im Slavischen. In: Jachnow, H. [Hg.] Quantität und Graduierung in den slavischen Sprachen. Wiesbaden: 559–573 ◾ Leys, O. [2004] Konzepte der Graduierung. In: DS 32: 162–170 ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

absoluter Superlativ

Grad im Komparationsparadigma des Adjektivs oder des Adverbs, der ohne Verwendung von Vergleichen auf die Präsenz einer spezifischen Eigenschaft in höchster Stufe hinweist. ▲ absolute superlative: degree in the comparative paradigm of adjectives or adverbs which signals, without resorting to comparisons, that a certain property is present in the highest degree. Der absolute Superlativ zeigt – wie auch der relative Superlativ – an, dass eine Person oder eine Sache die höchste Stufe einer Eigenschaft aufweist. Im Gegensatz zum relativen Superlativ erweist sich die Erwähnung anderer zu vergleichender Personen oder Sachen im Falle des absoluten Superlativs als nicht notwendig.

absolutes Adjektiv Im Dt. kann er morphologisch mit dem relativen Superlativ identisch sein (1), oder er kann durch andere morphologische und lexikalische Strategien gebildet werden, wie etwa durch die Verwendung von Gradpartikeln (2) oder aber durch Präfigierung (3). (1) Frau Schulz hat hervorragendste Qualitäten bewiesen. (2) Der Schrank hat außerordentlich feine Verzierungen. (3) Der Typ ist hochintelligent. Marco Coniglio, Anna Cardinaletti ≡ Elativ; Norm-Superlativ → Fokuspartikel; Komparation; Superlativ

🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Varnhorn, B. [1993] Adjektive und Komparation. Studien zur Syntax, Semantik und Pragmatik adjektivischer Vergleichskonstrukte (StDG 45). Tübingen ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

absolutes Adjektiv

Adjektiv, das in Bezug auf die Valenzeigenschaften keine Ergänzung fordert. ▲ absolute adjective: adjective which does not need a complement to fulfil a valency requirement. Der Terminus absolutes Adjektiv wird syntaktisch und semantisch verwendet. Syntaktisch bezieht er sich, analog zu den Verben, auf die Beschreibung der Valenzforderung des Adj., semantisch bezieht er sich auf die Subklasse der Adjektive, die Eigenschaften wiedergeben, die nicht auf einem Vergleich beruhen. In der Fachlit. erscheinen in dieser Bedeutung nur z.T. explizit die Termini absolut und relativ, wobei Adjektive wie blau, rot, schön, faul, dumm als absolut klassifiziert werden, da sie sich bei prädikativer Verwendung nur auf ein Satzglied, meist das Subjekt, beziehen, ohne eine Ergänzung zu fordern, z.B. in das Kleid ist blau (Hentschel/Weydt 2003: 217; Duden 1998: § 455). Wohl um der semantischen Bedeutung des Begriffspaars absolut/relativ auszuweichen, wird aber das Adj. in Bezug auf seine Valenz in jüngster Zeit lediglich als mit oder ohne Ergänzung(en) beschrieben, wobei es Unterschiede in der Auffassung dazu gibt, was ein null- bzw. einwertiges Adj. oder was eine Ergänzung ist: Das Witterungsadj. mit Schein- bzw. Pseudosubjekt es wie in es ist kalt wird z.T. als nullwertig, aber auch als einwertig wie beim normalen Subjekt in das Wasser ist kalt interpretiert. Auch wird ein

A

absolutes Adverb 126

A

normales Subjekt oder ein Scheinsubjekt als Ergänzung bezeichnet, z.B. Susanne ist klug, heute ist es kalt (Duden 2005: § 486). Im semantischen Sinn bezeichnet das absolute Adj. Eigenschaften im eigentlichen Sinn, indem es dem Denotat des Subst., auf das es sich bezieht, Eigenschaften zuschreibt, die nicht auf Vergleich beruhen: ein Blatt ist grün an sich, unabhängig von der Farbe anderer Gegenstände (Hentschel/Weydt 2003: 201, 217). Beispiele dafür sind außer den Farbadjektiven (grün) Formadjektive (rund, gerade, eckig) und deverbale Adjektive bzw. Partizipialadjektive (getauft, verheiratet, immatrikuliert). Die absoluten Adjektive sind attributiv und prädikativ verwendbar, außer den deverbalen bzw. Partizipialadjektiven, auch generell komparierbar bzw. graduierbar und schränken als Attribut die Extension des Substantivs ein; z.B. verheirateter Student hat eine eingeschränktere Extension als Student alleine (Eisenberg 2006: 240). Elisabeth Bertol-Raffin

↔ relatives Adjektiv → Farbadjektiv; Formadjektiv; Partizipialadjektiv → Gram-Syntax: einwertiges Adjektiv; nullwertiges Adjektiv; Valenz

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

absolutes Adverb

Adverb, dessen Bedeutung unabhängig von einer Relation zum Sprecher oder vom Ort bzw. von der Zeit des Sprechens ist. ▲ absolute adverb: adverb whose meaning is not dependent on the speaker/writer or on the place or time of speaking/writing. Absolute Adverbien sind autonom und haben keinen Bezug zum Sprecher oder Schreiber bzw. zum Ort und zur Zeit des Sprechens oder Schreibens. Diese Adverbien können temporaler (1) oder lokaler (2) Art sein. (1) Sonntags waren die Geschäfte geschlossen. (2) Zu Tausenden sind die Flüchtlinge unterwegs.

↔ relationales Adverb → abgeleitetes Adverb; Adverb

Jussara Paranhos Zitterbart

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache.

6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Absolutiv

Kasus in Ergativsprachen, der bei intransitiven Verben das Subjekt und bei transitiven Verben das Objekt markiert. ▲ absolutive: case in ergative languages which marks the subject of intransitive verbs, and the object of transitive verbs. Rolf Thieroff

↔ Ergativ → intransitives Verb; Kasus → Gram-Syntax: Agens; Objekt; Patiens; Subjekt ⇀ Absolutiv (HistSprw)

🕮 Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity. Cambridge ◾ Manning, Chr. D. [1996] Ergativity: argument structure and grammatical relations. Stanford, CA ◾ Zwolanek, R. [1987] Merkmale der Ergativkonstruktion und die Hypothese eines indogermanischen Ergativs. Bern [etc.].

Abstoßung ≡ Apokope

abstraktes Pronomen

Pronomen, das sich auf etwas Unbestimmtes oder Nichtvorhandenes bezieht. ▲ abstract pronoun: pronoun that refers to something indefinite or non-existent. Abstrakte Pronomina werden von den Partnerund Verweispronomina unterschieden, die auf Kommunikationsteilnehmer bzw. auf etwas im Text Genanntes hinweisen. Das abstrakte Pron. bezeichnet (a) Größen auf ganz allgemeine Art (Indef.pron.), z.B. alles, etwas, jemand, man; (b) Nullmengen von Größen (negatives Pronomen), z.B. keiner, nichts, niemand, oder verlangt (c) Auskunft über Vorhandensein oder Beschaffenheit von Größen (Interrogativpronomen), z.B. was, wer, was für einer. Janusz Taborek

↔ Partnerpronomen → Indefinitpronomen; Interrogativpronomen; Negationspronomen; Pronomen

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

Abstraktum

Nomen, das sich auf etwas Nichtgegenständliches bezieht.

127 Abstufung ▲ abstract noun: noun that refers to something intangible.

Abstrakta können u.a. Vorgänge (Lernen), Zustände (Ruhe) und Eigenschaften (Weisheit) bezeichnen (Duden 2006: 146). Eine differenziertere Klassifikation wird in Maienborn (2005) basierend auf Asher (1993) diskutiert. Neben Simplizia können auch Abstrakta durch verschiedene Wortbildungsmittel gebildet werden: durch die Derivation aus Adjektiven, Nomina und Verben mit Suffixen wie -heit, -keit, -tum, -erei oder -schaft (Ehrlich-keit, Abenteuer-tum, Lauf-erei, Freundschaft), durch Konversion des Verbstamms (Kauf ← kaufen) oder durch Konversion des Infinitivs (das Kaufen) (Eisenberg 2013: 279ff.). Traditionell wird die Ungebundenheit an Raum und Zeit als Kriterium für Abstraktheit angesehen. Dies ist aber nicht unproblematisch für die sog. abstrakten Einzeldinge, die auch „partikularisierte Eigenschaften“ oder „Tropen“ genannt werden (z.B. Campbell 1990). Beispiele für Tropen sind die Referenten von Nelson Mandelas Freiheit oder Annas Intelligenz. Tropen sind in der Welt verankert und gehen mit konkreten Manifestationen einher. Moltmann (2013) analysiert die Bedeutung von Lexemen wie Ehrlichkeit mithilfe von Tropen. Diese sind konkret, und wenn ihr Träger konkret ist, muss auch das Lexem Ehrlichkeit in diesen Fällen als Konkretum analysiert werden. Die Grenze zwischen Abstrakta und Konkreta ist unscharf. Schierholz (1991) erarbeitet eine wörterbuchbasierte lexikologische Methode zur Bestimmung von Abstrakta, die auf der Bildung von Hyponymketten basiert. Ausgehend von einem bestimmten Lexem wird zunächst dessen Hyperonym bestimmt, von diesem wiederum das entsprechende Hyperonym, von diesem ebenfalls usw. Das Vorkommen dieses Lexems in anderen Hyponymketten wird analysiert. Je öfter das Lexem mit vielen Hyponymen unter sich in verschiedenen anderen Explikationsketten auftaucht, desto höher ist sein Abstraktheitsgrad. Abstrakta bilden keine grammatisch einheitliche Klasse. Prototypische Abstrakta sind nicht zählbar und kommen nur im Sg. vor: Kindheit, Ruhe, Nähe. Somit sind sie den Kontinuativa ähnlich. Die Pluralisierung von Abstrakta verschiebt die Bedeutung ins Konkrete ((1), (2)).

(1) so viel Freiheit [Kontinuativum] (2) so viele Freiheiten [Individuativum] Abstrakta können leicht zwischen Kontinuativund Individuativverwendung wechseln. Diese Flexibilität zeichnet Abstrakta gegenüber Konkreta aus. Mit Kontinuativa teilen Abstrakta auch die Eigenschaft, ohne Artikel verwendbar zu sein (3), (Thiel 2017: 21). (3) Jugend/ Die Jugend bleibt niemandem ewig erhalten. Ljudmila Geist

↔ Konkretum → § 15, 16; generisches Substantiv; Individuativum; Kontinuativum

⇀ Abstraktum (Lexik; CG-Dt) ⇁ abstract noun (CG-Engl; Typol)

🕮 Asher, N. [1993] Reference to Abstract Objects in Discourse. Dordrecht ◾ Campbell, K. [1990] Abstract Particulars. Oxford ◾ Duden [2006] Die Grammatik. 8., überarbeitete Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Maienborn, C. [2005] On the Limits of the Davidsonian Approach: The Case of Copula Sentences. In: TheoLing 31: 275–316 ◾ Moltmann, F. [2013] Abstract Objects and the Semantics of Natural Language. Oxford ◾ Schierholz, S.J. [1991] Lexikologische Analysen zur Abstraktheit, Häufigkeit und Polysemie deutscher Substantive (LA 269). Tübingen ◾ Thiel, A. [2017] Artikel und Abstrakta. Wuppertal.

Abstufung

regelhafter Vokalwechsel in etymologisch verwandten morphologischen Einheiten in indogermanischen Sprachen zwischen Formen mit Kurzvokal und mit Langvokal oder mit Vokalausfall. ▲ quantitative ablaut: regular vowel alternation in etymologically related morphological units in Indo-European languages between forms with short vowels and with long vowels or with vowel elimination. In älteren idg. Sprachen zeigt sich Abstufung (quantitativer Ablaut) (Streitberg 1896: 37) als Wechsel zwischen Formen mit Kurzvokal (Vollstufe) und Langvokal (Dehnstufe) wie in lat. tegō/tēxī (1. Pers. Sg. Präs./Perf., 'bedecken') (e/ēWechsel) oder als Wechsel zwischen Formen mit Kurzvokal (Vollstufe) und mit Vokalausfall (Schwundstufe) wie in sanskrit ás-mi ('bin')/s-ánti ('sind'), aus idg. *és-mi/*s-énti (e/∅-Wechsel). Auch Wechsel zwischen Langvokal in der Vollstufe und Kurzvokal in der Schwundstufe wie in altgriech.

A

Abtönung 128

A

títhēmi/títhemen (1. Pers. Sg./ 1. Pers. Pl. Präs., 'geben') werden im Rahmen der Laryngaltheorie auf e/∅-Wechsel zurückgeführt (Szemerényi 1990: 127–137). Altgriech. patḗr/patéra/patrós (Nom./ Akk./Gen.Sg., 'Vater') zeigt den Wechsel von Dehnstufe (-tēr), Vollstufe (-ter) und Schwundstufe (-tr) bei einem Nominalsuffix. Wie altgriech. leípō/ élipon (1. Pers. Sg. Präs./Aorist, '(ver)lassen') verdeutlicht, wird in der Schwundstufe der zweite Bestandteil eines Diphthongs (i̯ oder u̯) zum Silbenkern (lip). Die entsprechenden Wechsel ei̯ /i und eu̯/u setzen sich germ. bei den starken Verben als ī/i und eu/u fort; vgl. ahd. geritan (Partizip Prät. zu rītan 'reiten') > nhd. geritten. Die ēDehnstufe setzt sich germ. bei den starken Verben als ē > nhd. ā fort (vgl. nhd. nahmen, 3. Pers. Pl. Prät. zu nehmen). Für das Urindogermanische wird eine Korrelation zwischen Ablautstufen und Wortakzent angenommen (Hirt 1900). Nullstufe ergibt sich durch Vokalverlust (Synkope) in unbetonter Position, wie sanskrit ásmi/sánti zeigt; vgl. nhd. ist/sind. Für die Entstehung der Dehnstufe sind unterschiedliche Erklärungen vorgeschlagen worden; bei Fällen wie altgriech. patḗr (mit Stammausgang auf Liquid) kann Ersatzdehnung im frühen Idg. bei Verlust der sigmatischen Nom. Sg.-Endung (-ers > -ēr) angenommen werden (mit weiterer analogischer Ausbreitung), in anderen Fällen Vokalkontraktion (e+e > ē) (Szemerényi 1990: 117–124).

→ Ablaut; Abtönung; Vokalwechsel ⇀ Abstufung (HistSprw)

Bernd Wiese

🕮 Hirt, H. [1900] Der indogermanische Ablaut, vornehmlich in seinem Verhältnis zur Betonung. Straßburg ◾ Streitberg, W. [1896/1974] Urgermanische Grammatik. 4., unveränd. Aufl. Heidelberg ◾ Szemerényi, O. [1990] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 4., durchges. Aufl. Darmstadt.

Abtönung

regelhafter Vokalwechsel in etymologisch verwandten morphologischen Einheiten in indogermanischen Sprachen zwischen Formen mit qualitativ verschiedenen Vokalen. ▲ qualitative ablaut: regular vowel alternation in etymologically related morphological units in Indo-European languages between forms with vowels of different qualities. In älteren idg. Sprachen zeigt sich Abtönung (qualitativer Ablaut) als Wechsel von e mit o wie in

altgriech. patéra (Akk. Sg., 'Vater') / apátora (Akk. Sg., 'vaterlos') oder von ē mit ō wie in patḗr (Nom. Sg., 'Vater') / apátōr (Nom. Sg., 'vaterlos'). Im Nhd. setzt sich e/o-Wechsel in der Ablautreihe der starken Verben der 3. Klasse als Wechsel e/a bzw. i/a fort wie in bergen/barg bzw. binden/band (mit nhd. a < germ. a < idg. o). Die phonologischen Entstehungsbedingungen der Abtönung sind unklar und höchst umstritten. In den gegebenen altgriech. Beispielen und in vielen weiteren Fällen korreliert die Verteilung von unabgetönter und abgetönter Stufe mit der Akzentverteilung. Es ist daher häufig angenommen worden, dass Abtönung ihren Ursprung in unbetonter Position hat bzw. durch Tiefton (bei melodischem oder musikalischem Akzent) bedingt ist. Nach Lehmann (1952: 110) tritt Abtönung als Folge von Akzentverschiebung auf, wenn der betreffende Vokal einen sekundären Tonhöhenakzent behält (vgl. auch Hirt 1900: 156). Dagegen nimmt Szemerényi (1990: 126) an, dass die lautliche Umgebung maßgeblich gewesen sein müsse (also eine Art Umlaut vorläge) und Akzent als Ursache für Abtönung ausscheide. Der Vokalwechsel e/o/∅ bei altgriech. leípō/léloipa/élipon (1. Pers. Sg. Präs./Perf./Aorist, '(ver)lassen') mit Vollstufe auf e (leip), abgetönter Vollstufe auf o (loip) und Schwundstufe (lip [mit Vokalausfall]) kann mit dem Wechsel ē/ō/e in Formen wie altgriech. títhēmi (1. Pers. Sg. Präs., 'setzen', Vollstufe thē), thōmós ('Haufen', abgetönte Vollstufe thō) und thetós (Verbaladjektiv, Schwundstufe the, auf Kurzvokal) verglichen werden. Im Fall von leípō stellt e den ersten Bestandteil eines Diphthongs dar, dessen zweiter Bestandteil in der Schwundstufe (lip) zum Silbenkern wird. Entsprechendes gilt, wenn die Vollstufe auf eu lautet oder wenn dem ablautenden Vokal in der Vollstufe ein Liquid oder Nasal folgt; idg. *kleu-/*klu-, *bhendh-/*bhn̥dh-. Nach einer auf de Saussure (1879) zurückgehenden Analyse können auch Ablautreihen mit langvokalischer Vollstufe wie ē/ō/e auf den gewöhnlichen e/o/∅-Wechsel zurückgeführt werden, der sich in Reihen wie ei̯ /oi̯ /i oder eu̯/ou̯/u zeigt, wenn (analog zu e+i bzw. e+u) eine Verbindung aus Kurzvokal e mit einem später geschwundenen Phonem angenommen wird, aus der die ē-Stufe entstanden wäre. Das postulierte Phonem wird gewöhnlich als H1 (oder h1) notiert und als ‚Laryngal‘ bezeichnet. Die Ablautreihe

129 Abtönungspartikel ē/ō/e ist danach als Fortsetzung von eH1 /oH1 /H1 zu analysieren. In der Laryngaltheorie (Lindemann 1970) werden meist drei Laryngale (H1, H2, H3) angenommen; so können die weiteren für das Idg. angesetzten langvokalischen Ablautreihen (mit Vollstufe ā bzw. ō) auf eH2 /oH2 /H2 bzw. eH3 /oH3 /H3 und damit auf e/o/∅ zurückgeführt werden. (Daher: idg. *dhē‑ 'setzen' = *dheH1‑, *stā- 'stehen' = *steH2‑, *dō‑ 'geben' = *deH3‑.) De Saussures aus der Betrachtung des Ablauts gewonnene Analyse des idg. Vokalismus gilt als bahnbrechend (Beekes 2011: 103, „certainly the most important single discovery in the whole history of Indo-European linguistics“) und hat weitreichende und vieldiskutierte Konsequenzen für die Rekonstruktion des Idg. gehabt; zusammenfassend Szemerényi (1990: 127–137).

→ Ablaut; Abstufung; Vokalwechsel ⇀ Abtönung (HistSprw)

Bernd Wiese

🕮 Beekes, R.S.P. [2011] Comparative Indo-European Linguistics. An Introduction. Rev. and corr. by M. de Vaan. 2nd ed. Amsterdam [etc.] ◾ Hirt, H. [1900] Der indogermanische Ablaut, vornehmlich in seinem Verhältnis zur Betonung. Straßburg ◾ Lehmann, W. [1952] Proto-Indo-European Phonology. Austin, TX ◾ Lindemann, F. [1970] Einführung in die Laryngaltheorie. Berlin ◾ Saussure, F. de [1879] Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-euopéennes. Leipzig [Nachdruck: Cambridge 2009] ◾ Szemerényi, O. [1990] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 4., durchges. Aufl. Darmstadt.

abtönungsfähige Partikel

nicht zum Kernbestand der Abtönungspartikeln gehörender Einstellungsausdruck. ▲ quasi-modal particle; semi-modal particle: not a protopypical but peripheral particle, reflecting a speakers attitude. Abtönungsfähige Partikeln gehören zu den Abtönungspartikeln i.w.S. Im Gegensatz zu den echten Abtönungspartikeln können sie auch an der ersten Stelle des Satzes, d.h. im Vorfeld stehen. Es handelt sich meistens um mehrsilbige Wörter, von denen die meisten keine Homonyme in anderen Wortarten haben. Das Auftreten im Vorfeld ist nicht automatisch mit einem Wortarten- und Funktionswechsel verbunden wie bei den echten Abtönungspartikeln. Als abtönungsfähige Partikeln gelten im Dt. allerdings, eigentlich, immerhin, jedenfalls, überhaupt, schließlich u.a.

(1)

Eva hat ihre Diplomarbeit abgegeben, allerdings eine Woche nach der Abgabefrist.

→ Abtönungspartikel; Modalpartikel

Anna Molnár

🕮 Helbig, G. [1994] Lexikon deutscher Partikeln. 3., durchges. Aufl. Leipzig ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Abtönungspartikel

vorwiegend in der mündlichen Kommunikation, in Dialogen vorkommendes kurzes, unveränderliches Wort, das die Einstellung des Sprechers zum Gesagten signalisiert und auf den Kontext der Äußerung hinweist. ▲ modal particle: short invariable form, dominant in dialogue and discourse, which signifies a speaker’s attitude towards a proposition and to the context of the proposition. Abtönungspartikeln, auch als Modalpartikeln – seltener als illokutive Partikeln – bezeichnet, sind in morphologischer Hinsicht unflektierbar und in semantischer Hinsicht Synsemantika. Ihre Bedeutung ist nur in dem jeweiligen Kontext erschließbar. Sie tragen zu den Wahrheitsbedingungen der Sätze nichts bei, können also aus Sätzen ohne Verlust der sachlichen Informationen weggelassen werden. Syntaktisch gesehen stellen Abtönungspartikeln keine Satzglieder dar, sind also nicht erfragbar und stehen nie im Vor-, sondern immer im Mittelfeld des Satzes. Ihre Satztypendistribution unterliegt Beschränkungen: denn kann z.B. nur in Fragesätzen, aber nur in Ausrufesätzen vorkommen, eben und halt erscheinen nie in Fragesätzen. Abtönungspartikeln erfüllen eine pragmatische Funktion, indem sie auf implizierte Inhalte der Gesprächssituation hinweisen und dabei das Gesagte abtönen – daher auch diese Bezeichnung in der dt. Fachlit. Sie verankern die Äußerung im Kontext: Sie weisen z.B. auf Vorangegangenes, bereits Bekanntes hin (1), signalisieren Sprechereinstellungen zum geäußerten Sachverhalt wie Bestätigung (2), Widerspruch (3), Vermutung (4), Einschränkung (5). (1) Bist du denn völlig gesund? [Vor kurzem warst du noch sehr krank.] (2) Du bist ja klug. (3) Er ist doch ein ausgezeichneter Lehrer. (4) Er kommt wohl erst übermorgen.

A

Abundanzplural 130

A

(5) Du hast schon recht. [Du hast recht, aber das ist nur die eine Seite der Medaille.] Abtönungspartikeln deuten auf bestimmte Annahmen des Sprechers über den Wissensbestand bzw. über das erwartete Verhalten oder die Reaktion des Gesprächpartners hin. (6) Weine nicht, du bist doch kein Kind mehr! [Du meinst, du bist – wie ein Kind – dem Problem noch nicht gewachsen.] Abtönungspartikeln haben auch eine konversationssteuernde Funktion. Sie können den weiteren Verlauf des Gesprächs beeinflussen, z.B. zur Herstellung von Konsens beitragen: (7) Du bist eben ein Erwachsener, du solltest dein Problem allein lösen. [Wir beide wissen, dass du erwachsen bist, im Weiteren können wir von dieser gemeinsamen Grundlage ausgehen.] Abtönungspartikeln haben Homonyme in anderen Wortarten, z.B. Adverbien (wohl, schon) und Konjunktionen (aber, doch). Die meisten Abtönungspartikeln sind im Gegensatz zu ihren Homonymen unbetont, manche aber können sogar als Abtönungspartikeln betont werden. Hist. gesehen sind die Modalpartikeln aus diesen homonymen Spenderlexemen durch Grammatikalisierung hervorgegangen. Als Abtönungspartikeln gelten im Dt.: aber, auch, bloß, denn, doch, eben, einfach, etwa, halt, ja, mal, nur, schon, vielleicht, wohl. Zu den Abtönungspartikeln i.w.S. gehören auch einige erststellenfähige oder abtönungsfähige Partikeln wie allerdings, eigentlich, immerhin, jedenfalls, überhaupt, schließlich u.a. Stilistisch gesehen galten Abtönungspartikeln lange als Flick- und Würzwörter und sind deshalb von der normativen Stilistik abgelehnt worden. Ihre Anerkennung als selbständige grammatische Kategorie erfolgt erst in den 70-er Jahren des 20. Jhs., vorher wurden sie zu den Adverbien gezählt. Anna Molnár ≡ Einstellungspartikel; illokutive Partikel ↔ Adverb; Modalwort → § 33; abtönungsfähige Partikel; Modalpartikel; Synsemantikon ⇀ Abtönungspartikel (SemPrag; HistSprw)

🕮 Helbig, G. [1988] Lexikon deutscher Partikeln. Leipzig [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weydt, H./ Hentschel, E. [1983] Kleines Abtönungswörterbuch. In: Weydt, H. [Hg.] Partikeln und Interaktion. Tübingen: 3–24 ◾ Weydt, H. [Hg. 1977] Aspekte der Modalpartikeln. Studien zur deutschen

Abtönung. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Abundanzplural

Deutungsmöglichkeit des Plurals bei Massennomina zur Bezeichnung einer großen Anzahl von Referenten. ▲ plural of abundance: special kind of meaning of the plural of mass nouns denoting a high number of referents. Der Abundanzplural als spezielle Verwendungsweise des Pl. entsteht z.T. lexemspezifisch durch die Pluralisierung der normalerweise unzählbaren Massennomina (Stoffnamen oder Kollektiva). Das klassische Arab. kann z.B. aus Kollektivnomina einen Abundanzplural bilden (1). (1) baqar [Kollektiv; 'Rindvieh'] − abqaar [Abundanzplural; 'viele Rinder'] Im Dt. ist der Abundanzplural bei einer begrenzten Klasse der Stoffnamen möglich (2). (2) das Wasser des Amazonas [Sg.] − die Wasser des Amazonas [Abundanzplural] Der Abundanzplural wird zusammen mit dem Artenplural auch großer Plural genannt. György Scheibl

→ Kollektivum; Kontinuativum; Massennomen; Plural; Sortenplural

🕮 Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

accusativus absolutus

Kasus, der auf eine Partizipialkonstruktion zurückführbar ist, in der das Partizip den Akkusativ regiert. ▲ absolute accusative: case which occurs in a participial construction where the participle governs the accusative case. In einer Partizipialkonstruktion, die mit dem Partizip habend oder haltend gebildet wird, regiert dieses Partizip den Akkusativ. (1) Den Kopf gesenkt haltend, schrieb er die SMS. Fällt das Partizip weg, bleibt die Rektionsbeziehung weiterhin erhalten, d.h. das Subst. steht im Akkusativ (1a), obwohl das regierende Element an der Oberfläche des Satzes nicht mehr vorhanden ist. (1a) Den Kopf gesenkt, schrieb er die SMS. Die Auffassung, dass ein accusativus absolutus als

131 AcI-Verb verkürzte Partizipialkonstruktion zu interpretieren ist, ist nicht unumstritten. Hentschel/Weydt (2003: 187) zählen auch die adverbialen Akkusative zum accusativus absolutus, da auch für diese gilt, dass der Kasus nicht von einem anderen Element im Satz zugewiesen wird. (2) Den ganzen Tag[Akkusativ] hat es geregnet. Zifonun et al. (1997: 2224f.) argumentieren, dass die Rückführung auf eine Partizipialkonstruktion zwar in den Fällen möglich sei, wo es um die Lokalisierung konkreter Gegenstände geht, aber in anderen Fällen nicht damit zu erklären sei. Sie fassen den accusativus absolutus grundsätzlich als eine Konstruktion auf, die auf eine zweite NP bezogen ist und das Denotat dieser NP auf indirekte Weise charakterisiert. (3) Er sprang, den Schlüssel in der Hand, ins Wasser. Bausewein (1990: 76f.) vertritt die Ansicht, dass ein accusativus absolutus dadurch charakterisiert sei, dass das zweite Glied als Prädikativum zur Akkusativ-NP fungiert. Die Funktion des accusativus absolutus sei es anzuzeigen, dass die Konstruktion als Ganzes syntaktisch untergeordnet ist. Für eine solche Analyse sprechen auch sprachhist. und sprachtypologische Befunde. Dittmer (1980: 71f.) zeigt, dass der accusativus absolutus die ahd. Konstruktion mit absolutem Dativ fortsetzt und für diese wiederum das Lat. das Vorbild war. Auch im Altgriech. tritt der accusativus absolutus auf. Hier steht die Verbindung aus Akkusativ und Partizip als unpersönlicher Ausdruck in der Funktion eines Adverbials. Christa Dürscheid ≡ absoluter Akkusativ → Akkusativ; casus absolutus; Kasus → Gram-Syntax: adverbiale Partizipialkonstruktion; Prädikativum; Rektion; verkürzte Partizipialkonstruktion ⇀ accusativus absolutus (HistSprw)

🕮 Bausewein, K. [1990] Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik (LA 251). Tübingen ◾ Dittmer, E. [1980] Zur Geschichte des absoluten Akkusativs (Nominativs) im Deutschen. In: Dyhr, M./ Hyldgaard-Jensen, K./ Olsen, J. [Hg.] Festschrift für Gunnar Bech. Kopenhagen: 61–83 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kortmann, B. [1988] Freie Adjunkte und absolute Konstruktionen im Englischen und Deutschen. In: PzLing 38/1: 61–89 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

AcI-Verb

finites Verb, dem die Kombination einer NP im Akkusativ mit einem Infinitiv folgt. ▲ aci verb: finite verb that is followed by the combination of an accusative NP with an infinitive. Als AcI-Verb (nach lat. accusativus cum infinitivo; dt.: Akkusativ mit Infinitiv) wird ein finites, transitives Verb bezeichnet, dem eine AcI-Konstruktion folgt. Als AcI-Konstruktion wird die Kombination einer NP im Akkusativ mit einem Infinitiv bezeichnet. Unumstritten ist, dass die NP als logisches Subjekt und der Infinitiv als Prädikat eine Proposition bilden. Dabei weist das AcI-Verb der NP in der AcI-Konstruktion strukturell den Akkusativ-Kasus zu, wie das AcI-Verb sehen in (1). (1) Ich sehe [NP dich] singen. Diese Akkusativmarkierung der NP in der AcIKonstruktion durch das AcI-Verb fällt weg, sobald die Konstruktion in einen finiten Objektnebensatz umgewandelt wird (2). (2) Ich sehe, dass [NP du] singst. Die AcI-Konstruktion bildet eine Proposition und erhält vom AcI-Verb eine Theta-Rolle zugewiesen. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine satzwertige Proposition im syntaktischen Sinne mit einem inkohärenten Infinitiv handelt. Die Frage nach dem syntaktischen Status der AcI-Konstruktion wird mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen beantwortet. Im bisententialen Ansatz des GBModells der GG (vgl. Stechow/Sternefeld 1988: 183–186) wird angenommen, dass der Infinitiv inkohärent ist und das AcI-Verb die AcI-Konstruktion als IP selegiert. Hingegen nimmt Bausewein (1990: 225–227) für das Dt. einen monosententialen Ansatz an, gemäß welchem das AcI-Verb und der kohärente Infinitiv einen Verbalkomplex bilden. In beiden Ansätzen weist das AcI-Verb der NP der AcI-Konstruktion den Akkusativ-Kasus strukturell zu. Ebenso bilden die Akkusativ-NP und der Infinitiv stets eine Proposition, wobei die NP als das logische Subjekt der Proposition vom Infinitiv als Prädikat theta-markiert wird (vgl. für weitere Ansätze zur AcI-Konstruktion auch Stechow/Sternefeld 1988: 406–451). Dt. AcI-Verben sind einerseits die Wahrnehmungsverben (verba sentiendi) hören, fühlen, riechen, sehen, spüren. Diese sind jedoch nur AcI-fähig, wenn sie echte Sinneswahrnehmungen (3), aber nicht intellektuelle Wahrnehmungen wiedergeben (4).

A

additive Konjunktion 132

A

(3) Ich sehe [NP den Zug] ankommen. (4) *Ich sehe [NP deinen Einwand] zutreffen. Die den Wahrnehmungsverben folgende Proposition bezeichnet keinen Zustand (5), sondern einen Vorgang (6). (5) *Ich sehe [NP ihn] krank sein. (6) Ich höre [NP ihn] husten. Weitere AcI-Verben sind im Dt. die Verben heißen (7) und machen (8) als kausative Verben. (7) Der Wirt heißt [NP uns] gehen. (8) Das Gespenst macht [NP uns] zittern. Ebenfalls ein AcI-Verb des Dt. ist lassen, das sowohl die kausative Bedeutung 'veranlassen' (9) als auch die permissive Bedeutung 'erlauben, zulassen, sein lassen' (10) aufweisen kann. (9) Peter lässt [NP euch] arbeiten. (10) Paul lässt [NP euch] gehen/schlafen. Schließlich werden im Dt. auch die Verben finden (11) und haben (12) als AcI-Verben verwendet, etwa in Verbindung mit AcI-Konstruktionen, die „intransitive Infinitive von Positionsverben (z.B. sitzen, stehen, liegen)“ (Bausewein 1990: 209) beinhalten: (11) Wir fanden [NP ihn] in der Sonne liegen. (12) Ich habe [NP den Kaffee] noch auf dem Herd stehen. Dt. AcI-Konstruktionen weisen einen reinen Infinitiv auf. (11) und (12) zeigen zudem, dass innerhalb der AcI-Konstruktion weitere Konstituenten auftreten können. Im Engl. treten AcI-Konstruktionen mit reinem Infinitiv nach Wahrnehmungsverben auf, wie z.B. nach see (13) oder hear (14). (13) I can see [NP her] dance. (14) She can hear [NP him] sing. Zudem finden sich im Engl. AcI-Konstruktionen mit reinem Infinitiv nach Verben mit kausativer Bedeutung, so etwa nach make (vgl. She makes [NPme] smile) oder nach Verben mit permissiver Bedeutung, wie etwa nach let (vgl. They let [NP him] watch TV). Weitere AcI-Verben sind im Engl. unter anderem Verben des Wunsches (z.B. would like), des Erwartens (z.B. expect), Verben der Willensäußerung (z.B. want) oder das verbum dicendi tell (dt. sagen, befehlen). Wie (15) zeigt, folgt diesen eine AcI-Konstruktion mit einer to-Infinitivform. (15) I would like/expect/want/tell [NP her] to smile at me. Das Schwed. kennt AcI-Konstruktionen mit reinem Infinitiv, u.a. nach den verba sentiendi höra

('hören' (16)) und se ('sehen (17)). In (16) und (17) tritt die jeweilige NP in der AcI-Konstruktion als Personalpron. mit Akkusativ-Kasus auf. (16) Jag hörde [NP henne] spela gitarr. ['Ich hörte sieSg. Gitarre spielen.'] (17) Vi såg [NP honom] åka bort. ['Wir sahen ihn weggehen.']

→ Akkusativ; finite Verbform; Infinitiv → Gram-Syntax: Akkusativ mit Infinitiv

Nadio Giger

🕮 Bausewein, K. [1990] Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik (LA 251). Tübingen ◾ Holmes, P./ Hinchliffe, I. [1994] Swedish. A comprehensive grammar. London [etc.] ◾ Quirk, R./ Greenbaum, S./ Leech, G./ Svartvik, J. [1985] A Comprehensive Grammar of the English Language. London ◾ Stechow, A. von/ Sternefeld, W. [1988] Bausteine syntaktischen Wissens. Ein Lehrbuch der generativen Grammatik. Opladen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

additive Konjunktion ≡ additiver Konjunktor

additive Partikel

zur Gruppe der Fokuspartikeln gehörendes Lexem mit der semantischen Eigenschaft, Alternativen zum Ausdruck in seinem Skopus einzuschließen. ▲ additive particle: lexeme belonging to the focus particles with the semantic property of including alternatives to the expression in its scope. Additive Partikeln (auch, besonders, gerade, gleichfalls, noch, selbst, sogar u.a.; engl. also, even, especially, too u.a.) teilen die generellen syntaktischen Eigenschaften der Fokuspartikeln: Sie können in verschiedenen Positionen im Satz auftreten, bilden zusammen mit ihrem Skopus eine syntaktische Konstituente und sind an sich nicht erfragbar. Zusammen mit ihrem Skopus, der je nach Stellung im Satz erheblich variieren kann und durch Akzentuierung hervorgehoben ist, bilden sie den Fokus des Satzes ((1), (2)). (1) Sogar Peter hat gestern ein Glas Wein getrunken. (2) Peter hat gestern sogar ein Glas Wein getrunken. Die grundlegende semantische Leistung der additiven Partikeln besteht darin, dass sie den Bezugsausdruck in ihrem Skopus einer größeren Klasse zuordnen, deren Elemente mit dem Skopusausdruck zwar typengleich, jedoch nicht iden-

133 Adhortativ tisch sind, und für die dieselbe Proposition gilt. In (1) ordnet somit die additive Partikel sogar das in ihrem Skopus stehende Bezugselement Peter einer größeren Gruppe von Personen zu, für die es ebenfalls gilt, dass sie ein Glas Wein getrunken haben. ≡ inklusive Partikel ↔ restriktive Partikel → Fokuspartikel; Partikel

Péter Maitz

🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ König, E. [1991] Gradpartikeln. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 786–803 ◾ König, E. [1991] The Meaning of Focus Particles. A Comparative Perspective. London [etc.] ◾ Pasch, R./ Brauẞe, U./ Breindl, E./ Waẞner, U.H. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren 1: Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 9). Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

additiver Konjunktor

prototypischerweise koordinierende Konjunktion, die die Konnekte unter einem gewissen Aspekt als gleichwertig bzw. als mögliche Alternativen markiert. ▲ additive conjunction: prototypically coordinating connector marking that the connected elements are in some respect equal or constitute alternatives. Neben dem „Universalkonnektor“ und, der den frequentesten aller Konnektoren stellt, zählen die Konjunktoren sowie, sowohl [...] als auch [...] und Adverbkonnektoren wie außerdem, ferner, überdies, obendrein zu den additiven Konjunktoren (Breindl et al. 2014: 397–499). Während Erstere vorzugsweise phrasale Konnekte unterhalb der Satzebene koordinieren, verbinden Letztere ausschließlich Sätze. Wie ist heute weitgehend auf idiomatische Fügungen beschränkt (z.B. in guten wie in schlechten Tagen). Die symmetrische Koordination (im Gegensatz zur asymmetrischen Subordination) spiegelt ikonisch die funktionale Gleichwertigkeit der Konnekte auch auf syntaktischer Ebene. Unter welchem Aspekt die Konnekte gleichwertig sind, ergibt sich entweder inhärent aus ihrer lexikalischen Bedeutung oder aus dem Kontext. (1) Die Kirche und der Staat tragen für die Entwicklung Verantwortung.

(2)

Die Kirche und der benachbarte Schuppen wurden durch den Brand beschädigt. Während und beliebig viele Konnekte verbindet, nimmt sowohl [...] als auch [...] nur zwei Konnekte. Sowie wird besonders in mehrgliedrigen, hierarchisch komplexen Koordinationen verwendet, um die Struktur transparent zu machen. (3) In enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Finanzen wurde die Möglichkeit von speziellen Garantie- und Finanzierungsprogrammen [...] zur Umweltverbesserung und Energieeinsparung sowie Anreize für Haftungsübernahmen von JI- und CDMProjekten überlegt. (Beleg aus https://www. linguee.de; letzter Zugriff: 16.12.2020) Die Wahl des additiven Konjunktors geht auch mit semantischen Unterschieden einher. Sowohl [...] als auch [...] erzwingt in Sätzen, die eine kollektive und eine distributive Lesart erlauben, immer die distributive, wohingegen und beides erlaubt (Breindl et al. 2014: 432). (4) Sowohl Karl als auch Sahra besuchen uns im Sommer. [distributiv] (5) Karl und Sahra besuchen uns im Sommer. [kollektiv und distributiv] Die abstrakte, beiordnende Grundfunktion von und erlaubt eine Weiterinterpretation mittels konversationeller Implikatur zu anderen Relationen, darunter die temporale Sukzession und konsekutive oder konzessive Interpretation. (6) Ich ging in die Oper und sah mir Don Giovanni an. [temporal] (7) Es war heiß und mein Eis schmolz. [konsekutiv] (8) Es ist heiß und Lisa möchte in die Sauna. [konzessiv] Melitta Gillmann ≡ additive Konjunktion; kopulative Konjunktion; kopulativer Konjunktor → Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konjunktor; Konnekt; Konnektor → Gram-Syntax: Koordination

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Lang, E. [1977] Semantik der koordinativen Verknüpfung (StGram 14). Berlin ◾ Lang, E. [1991] Koordinierende Konjunktionen. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 597–623.

Adhortativ

Verbmodus, in dem der Sprecher sich selbst und

A

adhortativer Konjunktiv 134

A

seinen bzw. seine Partner zur gemeinsamen Handlung auffordert. ▲ cohortative: verbal mood in which the speaker calls upon his partner or partners to do something together. Der Adhortativ (auch: Kohortativ) ist ein Modus, in dem eine Aufforderung in der 1. Pers. Pl. bezeichnet wird, und er bildet in den meisten europ. Sprachen kein selbständiges Paradigma, sondern wird mit periphrastischen Mitteln ausgedrückt. Im Dt. wird entweder der Konjunktiv (1) oder die Konstruktion lass(t) + uns + Infinitiv (2) benutzt. (1) Gehen wir! (2) Lasst uns singen! Die Konjunktivmarkierung wird in der Gegenwartssprache oft durch Indikativverwendung neutralisiert (3). (3) Seien/Sind wir vorsichtig! Deshalb, und auch wegen der Formengleichheit der entsprechenden Indikativ- und Konjunktivformen, wird die invertierte Wortstellung als primäres Formmerkmal der Adhortativkonstruktion angesehen (vgl. Altmann 1993: 1024). Vom Imperativ wird der Adhortativ wegen der obligatorischen Personalmarkierung durch den Pronomengebrauch konsequent abgegrenzt (vgl. Zifonun et al. 1997: 1725f.). Im Engl. wird der Adhortativ mit der let’s-Periphrase ausgedrückt (4), wobei die Klitisierung des Pron. verbindlich ist (mit voll realisiertem Pron. wird die Vollverbbedeutung von let assoziiert). (4) Let’s go! In slaw. Sprachen und im Ung. kann der Adhortativ mit Partikeln markiert werden; im Ung. gibt es darüber hinaus auch ein Imperativparadigma in allen Personenformen, so dass der Adhortativ auch mit der entsprechenden Imperativform ausgedrückt werden kann. Der engl. Terminus hortative wird i.A. in einem weiteren Sinne für alle nicht-zweitpersonige Verbformen mit auffordernder Bedeutung benutzt. ≡ adhortativer Konjunktiv; Hortativ → Imperativparadigma; Modus; Verbmodus → Gram-Syntax: Aufforderungsmodus ⇀ Adhortativ (SemPrag)

Attila Péteri

🕮 Altmann, H. [1993] Satzmodus. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 1006–1029 ◾ Matzel, K./ Ulvestad, B. [1978] Zum Adhor-

tativ und Sie-Imperativ. In: Sprw 3/2: 146–183 ◾ Matzel, K./ Ulvestad, B. [1985] Ergänzendes zu zwei früheren Veröffentlichungen. In: Sprw 10/1: 1–6 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

adhortativer Konjunktiv ≡ Adhortativ

Adjektiv

Wortart, deren Mitglieder bestimmte Eigenschaftsbündel aufweisen, z.B. die Flexion nach Kasus, Genus und Numerus, die Möglichkeit zur Komparation, die prädikative, adverbiale und attributive Verwendung. ▲ adjective: part of speech whose members exhibit certain combinations of properties, e.g. inflection for case, gender and number, and the potential to inflect for comparison.

Mit dem Terminus Adjektiv wird eine Wortart bezeichnet, die in vielen europ., aber nicht in allen Sprachen der Welt vorzufinden ist. Wie in der Definition von Wortarten üblich, werden die Klassifikationskriterien, die ein Wort als Adj. auszeichnen, in verschiedenen Ansätzen unterschiedlich gehandhabt. Im Folgenden werden zunächst einige einflussreiche Klassifikationsansätze vorgestellt. Im Weiteren wird das Auftreten der auf diese Weise definierten Wortart in den Sprachen der Welt skizziert. Diejenigen Sprachen, für die eine Wortart Adjektiv plausibel ist, verfügen darüber hinaus über verschiedene syntaktische Verwendungen von Adjektiven, die in den verknüpften Einzelartikeln beschrieben werden. Die Wortart Adjektiv wird nicht in allen Grammatiken als separate Wortart geführt. In den frühesten Darstellungen, etwa bei Dionysius Thrax für das Griech. (vgl. Rauh 2000) bzw. Donatus und Priscian für das Lat. (vgl. Law 2003) wird keine separate Wortart Adjektiv angesetzt, sondern das Adj. gilt als Unterart des Nomens. Dies folgt aus den Klassifikationskriterien dieser frühen Beschreibungen, da das Formeninventar der Adjektive sowohl im Griech. wie im Lat. in Teilen mit dem der Nomina überlappt: wie diese können die Adjektive nach Kasus, Genus und Numerus flektieren. Diese Übereinstimmung mit den Nomina wird auch in vielen aktuellen Darstellungen als gegeben angenommen (vgl. Eisenberg 1999), wiewohl sie sich in manchen Sprachen, wie etwa dem Dt.,

135 Adjektiv in verschiedener Hinsicht als problematisch erweist (vgl. Struckmeier 2007). Die Kongruenz der Adjektive mit nominalen Bezugswörtern im Satz tritt in manchen Sprachen (z.B. Dt.) nur in attributiver Position auf, während in anderen Sprachen auch prädikative Adjektive mit ihren Subjekten in einigen oder allen Kategorien kongruieren können (Frz., Lat.). Attributive dt. Adjektive können nur in veralteter Sprache, etwa in Sprichwörtern, unflektiert bleiben (Gut Ding will Weile haben). Darüber hinaus unterscheidet das Dt. mit der sog. starken (auch: pronominalen), schwachen (auch: nominalen) und gemischten Flexion verschiedene Paradigmen der Kongruenzflexion (vgl. Eisenberg 1999). Treten mehrere Adjektive gleichzeitig in attributiver Funktion auf, so können diese parallel flektieren, müssen dieses jedoch nicht in allen Fällen tun (mit frischem, kühlen Bier oder mit frischem, kühlem Bier). Ausgeschlossen ist aber eine alternierende Flexion (*mit kühlem, frischen, hellem Bier). Spätere Beschreibungen arbeiten die unterschiedlichen Formen von Adjektiven und Nomen klar heraus und führen die Adjektive in einer eigenen Klasse. Adjektive sind so z.B. durch die Fähigkeit zur Komparation gekennzeichnet, die verschiedene Ausprägungsgrade der durch das Adj. bezeichneten Eigenschaft kodiert (Eroms 2000; Hamann 1991; Sasse 1993). Viele europ. Sprachen unterscheiden die Formen Positiv, Komparativ und Superlativ. Das Dt. unterscheidet zur Bildung dieses Formeninventars die regelmäßigen (groß – größer – am größten) von den suppletiven (gut – besser – am besten) Steigerungsformen (Duden 1998). Einige Darstellungen unterscheiden die Elativform (modernste Technik, größte Probleme) von der (formgleichen) Superlativform, da mit ihr zwar ein hoher, nicht jedoch der für den Superlativ nötige höchste Ausprägungsgrad vorliegen muss (vgl. Duden 1998). Einige Adjektive sind nicht steigerbar (z.B. schriftlich, tot, schwanger), weil sie keine graduierbare Eigenschaft ausdrücken (vgl. Duden 1998). Manche Sprachen (Irisch) weisen darüber hinaus Equativformen auf (Hamann 1991). Diese können im Dt. nur syntaktisch repliziert werden (so groß wie). Adjektive drücken semantisch Eigenschaften aus. Anders als Verben sind diese Eigenschaften jedoch selten prozesshafter, sondern vielmehr durativer/stativer Natur (Hamann 1991). Anders

als Nomen kennzeichnen Adjektive jedoch oft keine kriterialen, unveränderlichen Eigenschaften einer Klasse von Referenten, sondern identifizieren zusätzliche, unter Umständen nur vorübergehend gültige Eigenschaften von Referenten (Hamann 1991). Viele adjektivische Eigenschaften sind skalarer Natur und treten dann häufig in Antonympaaren auf (warm – kalt, groß – klein). Syntaktisch sind verschiedene Verwendungsweisen zu unterscheiden, die in den relevanten Einzelartikeln genauer beschrieben werden. So treten Adjektive typischerweise als attributives Adj. auf (der dicke Mann), aber auch als prädikatives Adj. bzw. prädikative Adjektivgruppe, im Dt. mit einem Auxiliar (Der Mann ist dick; Der Mann ist seiner Frau treu). Auch eine Verwendung als adverbiales Adj. ist möglich. Einige wenige Adjektive weisen Restriktionen hinsichtlich dieser unterschiedlichen Verwendungen auf: So können manche Adjektive nur attributiv verwendet werden (heutige, obere, steuerliche, erste), andere nur prädikativ (schuld, quitt, futsch), wieder andere attributiv und adverbial, jedoch nicht prädikativ (täglich, wöchentlich, ungefähr). In modernen Theorieausformungen erscheint es nötig, die Klasse der Eigenschaften von Adjek­ti­ ven dahingehend zu hierarchisieren, dass manche Eigenschaften als kriterial für die Zuordnung eines Worts zu einer Wortart angesehen werden, andere hingegen nicht: Zum einen liegen nicht in allen Verwendungen eines Worts alle oben er­ wähn­ ten Eigenschaften vor, zum anderen erscheint eine solche Klassifikation insofern zir­ ku­ lär, als sie Eigenschaften zur Klassifikation ver­ wendet, die sich prinzipiell erst aus der gram­ma­ti­schen Be­schreibung ergeben können, als deren Werkzeug und Bestandsteil die Wort­ar­ten­klas­si­fikation selbst dient. Mehrere Untermengen relevanter Eigenschaften werden für die Klassifi­ka­tion der Wortart Adjektiv als kriterial angesehen: Morphosyntaktische Klassifikationskriterien wer­ den im Rahmen vieler Grammatiken verwendet, so auch in den oben zitierten Werken. Phonologische und pragmatische Kriterien erlauben es vielfach nicht, allgemeingültige Klassifikationen zu erzeugen (die Geigen geigen, die grünen Grünen grünen). Somit bleiben semantische, syntaktosemantische und syntaktische Klassifikationen als mögliche Alternativen. Givón (1979) definiert Adjektive semantisch: Adjektive kodieren Eigen-

A

Adjektiv 136

A

schaften, die weder die hohe Zeitstabilität nominaler Ausdrücke aufweisen, noch so zeitinstabil sind wie Eigenschaften, die von Verben denotiert werden. Adjektive kodieren mithin Eigenschaften von mittlerer Zeitstabilität. Die heuristische Zuverlässigkeit dieser Klassifikationen wird allerdings verschiedentlich in Frage gestellt (vgl. z.B. Baker 2003). Jackendoff (1977) definiert Wortarten auf der Basis der Argumentstruktureigenschaften ihrer Mitglieder. In dieser Sichtweise sind Adjektive Elemente, die innerhalb ihrer eigenen syntaktischen Projektion weder ein Subjekt noch ein (direktes) Objekt projizieren: Zur Einbindung eines Subjekts wird in vielen Sprachen eine Kopula, zur Einbettung eines Objekts vielfach eine PP bzw. eine oblique Kasusmarkierung verwendet. Eine ähnliche Klassifikation verwendet auch Bresnan (1982). Fraglich ist, ob durch Klassifikationen dieser Art Adjektive zuverlässig von Verben (etwa: intransitiven Partizipialformen) abgegrenzt werden können. Wunderlich (1996) definiert Wortarten auf der Basis struktureller und referentieller Argumente. Adjektive werden als referentiell abhängig beschrieben, da sie über kein eigenes referentielles Argument verfügen. In Bezug auf ihre Valenz sind Adjektive einwertig bzw. realisieren weitere Argumente nur mit obliquen Kasus. Diese Eigenschaft gilt insbesondere auch im Dt., da die Adjektive des Dt. keinen Akkusativ zuweisen. Auch die vermeintlichen Akkusativargumente von Maßadjektiven erweisen sich nicht als Gegenbeispiele ((1)–(3)). (1) Das Brett ist einen Meter lang. (2) *Das Brett ist wen-oder-was lang? (3) Das Brett ist wie lang? Baker (2003) legt für die Klassifikation der Adjektive Kriterien vor, die die Klasse der Adjektive ex negativo von den Nomen und Verben abgrenzt: So weisen die Adjektive keinen referentiellen Index wie die Nomina auf (vgl. Wunderlich 1996; Sasse 1993), und es fehlt der Spezifikator, der als kriterial für die Verben angesehen wird (vgl. ­Jackendoff 1977). Ausgehend von diesen verschiedenen Möglichkeiten der Klassenbildung lassen sich darüber hinaus auch Unterklassen von Verben herausarbeiten: So differenzieren Bartsch/Vennemann (1972) folgende Subklassen: (a) absolute Adjektive: Aus

'X ist ein A N' folgt: 'X ist A', 'X ist ein N' (Peter ist ein toter Mann); (b) relative Adjektive: Aus 'X ist ein A N' folgt: 'X ist ein N' aber nicht: 'X ist A' (Peter ist ein großer Zwerg); (c) Non-standard Adjektive: Aus 'X ist ein A N' folgt weder: 'X ist A', noch 'X ist ein N' (Peter ist ein ehemaliger Priester). Bzgl. der skalaren Adjektive zeigen Bierwisch/ Lang (1987), dass die Maßadjektive eine Unterklasse darstellen, die sich durch semantische Eigenheiten auszeichnet: So sind die Antonympaare asymmetrisch bestückt, was ihre Verwendung in Vergleichskonstruktionen angeht (4). (4) Peter ist halb so groß/ *klein wie Du. Zudem sind für ihre Interpretation Bezugsgrößen nötig, die vom modifizierten Nomen bzw. vom Subjekt beigesteuert werden müssen (5). (5) Peter ist ein großer Zwerg, der Zwerg ist groß. Wechselt die Bezugsgröße, verändert sich auch die Interpretation der Adjektive (6). (6) Peter ist ein großer Elefant, der Elefant ist groß. Die Adjektive werden zudem auch in Bezug auf die Orientierung des Objekts im Raum ausgewertet. Lang (1987) verweist darauf, dass für viele Dimensionsadjektive Antonymgabeln existieren (dickes Mädchen, dicker Baum – schlankes Mädchen, dünner Baum) und bestimmte Kombinationen von Dimensionsadjektiven offenbar systematisch ungeeignet zur Charakterisierung von Objekten sind (lang/breit/hoch – *breit/dick/weit). Nicht alle Sprachen weisen eine eindeutig abgrenzbare, offene Wortart Adjektiv auf: Während manche Sprachen nur über ein geschlossenes Inventar adjektivischer Formen verfügen (Jap., Hausa), verwenden andere Sprachen Verben (Yurok, Bemba) bzw. Nomen (Alamblak) zum Ausdruck der relevanten Eigenschaften (Hamann 1991; Schachter 1985). Volker Struckmeier ≡ Eigenschaftswort; Wiewort → § 9, 16; Adjektivadverb; Adjektivsuffix; Autosemantikon; Beiwort; Hauptwortart; Kopulapartikel; Modalwort; Pseudoadjektiv → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; attributives Adjektiv; einwertiges Adjektiv; mehrwertiges Adjektiv; nullwertiges Adjektiv; prädikatives Adjektiv ⇀ Adjektiv (CG-Dt; Sprachdid; HistSprw; SemPrag) ⇁ adjective (CG-Engl; Typol)

🕮 Baker, M.C. [2003] Lexical categories. Nouns, verbs and adjectives. Cambridge ◾ Bartsch, R./ Vennemann, T. [1972]

137 Semantic Structures. Frankfurt/Main ◾ Bierwisch, M. [1987] Dimensionsadjektive als strukturierender Ausschnitt des Sprachverhaltens. In: Bierwisch, M./ Lang, E. [Hg.] Grammatische und konzeptuelle Aspekte von Dimensionsadjektiven. Berlin: 1–28 ◾ Bresnan, J. [1982] Control and Complementation. In: Bresnan, J. [ed.] The Mental Representation of Grammatical Relations. Cambridge, MA: 282–390 ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Givón, T. [1979] On Understanding Grammar. New York, NY ◾ Hamann, C. [1991] Adjectives. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [eds.] Semantics (HSK 6). Berlin [etc.]: 657–673 ◾ Jackendoff, R. [1977] X-bar Syntax. A Study of Phrase Structure (LingInquMonogr 2). Cambridge, MA ◾ Lang, E. [1987] Gestalt und Lage räumlicher Objekte. Semantische Struktur und kontextuelle Interpretation von Dimensionsadjektiven. In: Bayer, J. [Hg.] Grammatik und Kognition. Psycholinguistische Untersuchungen (LB Sonderheft 1). Opladen: 163–191 ◾ Law, V. [2003] The History of Linguistics in Europe from Plato to 1600. Cambridge ◾ Sasse, H.-J. [1993] Syntactic categories and subcategories. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [eds.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 646–686 ◾ Schachter, P. [1985] Part-of-speech systems. In: Shopen, T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. Cambridge: 3–61 ◾ Struckmeier, V. [2007] Attribute im Deutschen. Zu ihren Eigenschaften und ihrer Position im grammatischen System. Berlin ◾ Wunderlich, D. [1996] Lexical Categories. In: TheoLing 22: 1–48.

Adjektiv, relatives

Adjektiv, dimensionales → dimensionales Adjektiv

Adjektiv, dislozierbares → dislozierbares Adjektiv

Adjektiv, extensionales → extensionales Adjektiv

Adjektiv, intensionales → intensionales Adjektiv

Adjektiv, intersektives → intersektives Adjektiv

Adjektiv, objektgebundenes → objektgebundenes Adjektiv

Adjektiv, polares → polares Adjektiv

Adjektiv, possessives

→ elliptisches Possessivpronomen; prädikatives Possessivpronomen

Adjektiv, abgeleitetes

Adjektiv, privatives

→ abgeleitetes Adjektiv

Adjektiv, absolutes

Adjektiv, prototypisches

→ absolutes Adjektiv

Adjektiv, affirmatives

Adjektiv, qualifikatives

→ affirmatives Adjektiv

Adjektiv, antonymes

Adjektiv, qualifizierendes

Adjektiv, deadverbiales

Adjektiv, quantifikatives

Adjektiv, defektives

Adjektiv, referentielles

Adjektiv, demonstratives

Adjektiv, relationales

Adjektiv, deverbales

Adjektiv, relatives

→ antonymes Adjektiv → Adverbialadjektiv

→ defektives Adjektiv

→ demonstratives Adjektiv → deverbales Adjektiv

→ privatives Adjektiv

→ prototypisches Adjektiv → qualifikatives Adjektiv

→ qualifizierendes Adjektiv → quantifikatives Adjektiv → referentielles Adjektiv → relationales Adjektiv → relatives Adjektiv

A

Adjektiv, restriktives 138

A

Adjektiv, restriktives

Adjektivderivat

Adjektiv, resultatives

Adjektivflexion

→ restriktives Adjektiv

→ resultatives Adjektiv

Adjektiv, skalares → polares Adjektiv

Adjektiv, substantiviertes → substantiviertes Adjektiv

Adjektiv, unflektiertes → unflektiertes Adjektiv

Adjektivadverb

gemäß älteren Grammatiken ein Wort in adverbialer Satzfunktion, das formal mit einem Adjektiv identisch ist. ▲ adjectival adverb: word with the function of an adverb and the form of an adjective according to older grammars. Adjektivische Wörter in adverbialer Funktion (1) werden im Dt. in der Regel der Kategorie Adjektiv zugeordnet. (1) Sie singt schön. In älteren traditionellen, aber auch in wenigen neuen Grammatiken, die die Wortarten vorwiegend nach syntaktischen Kriterien gliedern, wird das Adj. schön als Adverb bezeichnet, wenn es im Satz als Bestimmung eines Verbs vorkommt (1). Im Gegensatz zu Sprachen wie Engl., Frz. und den skandinavischen Sprachen gibt es im heutigen Dt. kein besonderes Morphem, das als Markierung der Adverbialform dient (vgl. engl. -ly, frz. -ment, schwed. -t). Kjell-Åke Forsgren ≡ adjektivisches Adverb → Adjektiv; Adverb; Adverbialadjektiv; Einordnungsadverb → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv

🕮 Bergenholtz, H./ Schaeder, B. [1977] Die Wortarten des Deutschen. Versuch einer syntaktisch orientierten Klassifikation. Stuttgart ◾ Forsgren, K.-Å [2008] Zur Kategorie Adverb als Grenzzonenerscheinung in der deutschen Grammatik des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Matthaios, S./ Kärnä, A. [Hg.] Das Adverb in der Grammatikographie (BGeschSprw 18). Münster: 5–35 ◾ Härd, J.E. [1976] Adjektivadverb oder adverbiales Adjektiv? Ein Beitrag zur Forschungsgeschichte der deutschen Grammatik (ActAAb 54/1). Åbo ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

≡ abgeleitetes Adjektiv

regelhafte morphologische Abwandlung des Adjektivs nach den grammatischen Kategorien Genus, Kasus und Numerus. ▲ adjective inflection: modification of adjectives by means of inflectional morphemes based on the adjective-noun grammatical categories gender, case and number. In der Flexion der dt. (attributiv gebrauchten) Adjektive wird zwischen starker, schwacher und gemischter Deklination unterschieden. Die Form der Endung des Adj. hängt von der Art des vorangehenden Artikels ab sowie von Genus, Kasus und Numerus des Bezugsnomens, die auf das Adj. übertragen werden. Das Adj. wird stark dekliniert, wenn es ohne Artikel beim Subst. steht (klein-es Kind, (mit) klein-en Kindern). Steht das Adj. nach dem bestimmten Artikel oder einer vergleichbar deklinierenden Einheit (z.B. dies-, jed-), so wird es schwach dekliniert (das klein-e Kind, (mit) den/diesen klein-en Kindern). Steht es nach dem unbestimmten Artikel oder einer vergleichbar deklinierenden Einheit (z.B. kein-, mein-), so wird es gemischt dekliniert (ein/kein klein-es Kind, (mit) meinen klein-en Kindern). Allerdings gibt es Schwankungsfälle [stark/schwach]: (a) Geht dem Adj. ein Artikelwort voran, das sich wie ein Adj. verhält (z.B. einige, mehrere, solche), wird das folgende Adj. stark flektiert (solch-es gut-es Buch, vgl. auch: parallele Flexion in Duden 2006: 969ff.), andernfalls auch schwach (solches gut-e Buch); (b) Bei Adjektivreihungen im Dativ Sg. werden Adjektive standardspr. stark (parallel) flektiert (nach lang-em schwer-em Leiden), jedoch kann das zweite Adj. auch schwach flektiert werden (nach langem schwer-en Leiden); (c) Bei Substantivierungen werden Adjektive standardspr. stark (parallel) flektiert (viel-es Neu-es), allerdings mit einer Tendenz zur schwachen Flexionsform (das viel-e Neue, mit viel-em Neuen). Adjektive können zudem kompariert werden. Im attributiven Gebrauch erhalten Komparativ- und Superlativsuffixe entsprechende Deklinationsendungen (schön-st-es Wetter, (mit) den klein-er-en Kindern, mein neu-est-er Wagen). In der Funktion des Prädikatsnomens (Das Wetter

139

adjektivisches Derivat

ist schön-∅) und als Adverbial (Er singt schön-∅) sind im Dt. die Adjektive unflektiert; doch bei komparierbaren Adjektiven in prädikativer Verwendung werden deklinierte Formen mit Endung verwendet (Sein Kind ist das hübsch-est-e). In stärker flektierenden Sprachen wie dem Russ. oder Poln. werden die meisten Adjektive in prädikativer Verwendung mit Flexionsendung gebraucht (z.B. poln. Pogoda jest ładn-a; russ. Pogoda choroš-aja 'das Wetter ist schön'). Im Kontrast zu flektierenden Sprachen stehen isolierende Sprachen wie das Engl., in dem Adjektive auch als Attribute keine Endungen zu sich nehmen (z.B. a green-∅ apple). Edyta Błachut

→ Deklination; flektierende Sprache; Flexion; Flexionsparadigma; Komparation

→ Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; attributives Adjektiv;

grammatisches Merkmal; Kongruenz; prädikatives Adjektiv

🕮 Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Darski, J. [1979] Die Adjektivdeklination im Deutschen. In: Sprw 4: 190–205 ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾ Wegener, H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen.

Adjektivfuge

in adjektivischen Kompositions- und Derivationsstämmen auftretendes Fugenelement. ▲ adjective linking element: linking element occurring in adjectival compound and derivational stems. Im Normalfall kommen adjektivische Erstglieder in ihrer Grundform vor, z.B. Weiß + wein, Billig + flieger, Glücklich + macher. Ausnahmen ergeben sich durch Tilgung des stammauslautenden Schwas (öde vs. Öd-land, vage vs. Vag-heit, müde vs. Müd-igkeit) und – regional – durch Verfugung, z.B. eisig vs. eise + kalt. Adjektivische Erstglieder in Langeweile und Hohelied variieren zwischen relikthaft erhaltener interner Flexion (Zusammenrückung: die lange Weile → die Langeweile; das hohe Lied → das Hohelied) und einer Schwafuge (die Lange + weile neben die Lang + weile; das Hohe + lied). Adjekti-

visch interpretierbare Konfixe enthalten ein vokalisches Fugenelement: ‑o in Agro + biologie oder -i in Agri + kultur. Renata Szczepaniak

→ Fugenelement; Konfix; Nullfuge; Subtraktionsfuge

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1995] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchges. u. erg. Aufl. Tübingen ◾ Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550.

Adjektivglied

syntaktisches Glied, das vom Adjektiv abhängig ist. ▲ constituent of an adjective: constituent governed by an adjective. Als Adjektivglied können sowohl Ergänzungen als auch Attribute, die vom Adj. abhängen, vorkommen. (1) Ich bin sehr stolz auf euch. In (1) sind das Attribut sehr und die Ergänzung auf euch Adjektivglieder, weil sie vom Adj. stolz abhängen, wie das dependenzgrammatische Baum­ diagramm verdeutlicht. bin ich

stolz sehr

auf euch

Abb. 1: Adjektivglieder

Nicht zu den Adjektivgliedern gehören das Subjekt bei prädikativ verwendetem Adj. (in (1) ich) und das Bezugsnomen bei attributiv verwendetem Adj. (2). (2) die schwarze Katze Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: Adjektivergänzung; Attribut; Dependenzgrammatik; Ergänzung

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

adjektivisches Adverb ≡ Adjektivadverb

adjektivisches Derivat ≡ abgeleitetes Adjektiv

A

adjektivisches Pronomen 140

A

adjektivisches Pronomen

≡ Determinativ; Determinativum

Adjektivsuffix

Suffix, das ein Adjektiv ableitet und als solches markiert. ▲ adjectival suffix: suffix which derives an adjective. Im Dt. gibt es zahlreiche produktive und unproduktive heimische Adjektivsuffixe (-bar, -ig, -mäßig, ...) und solche fremder Herkunft (-abel, -al, -iv, ...). Die meisten abgeleiteten Adjektive werden im Dt. mit den Suffixen -ig, -isch und -lich gebildet (Donalies 2007: 81). Im Laufe der Sprachentwicklung kann ein Suffix seinen Wortbildungscharakter verändern. So wurde mit -bar ein Adj. von einem Subst. abgeleitet (fruchtbar), während in der Gegenwartssprache das Adj. meist von Verben abgeleitet wird (tragbar, waschbar). Daneben wird das System der adjektivbildenden Suffixe durch eine große Anzahl von suffixartigen Morphemen ergänzt, z.B. -voll, -leer (Kühnhold et al. 1978: 519).

→ abgeleitetes Adjektiv; Adjektiv; Suffix

Christine Römer

🕮 Agricola, E./ Fleischer, W./ Protze, H. [Hg. 1969] Kleine Enzyklopädie – Deutsche Sprache. Leipzig: Kap. 5.1 ◾ Donalies, E. [2007] Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Kühnhold, I./ Putzer, O./ Wellmann, H. [1978] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 3. Hauptteil: Das Adjektiv (SdG 43). Düsseldorf ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen.

Adkopula

grammatische Wortklasse, die als Komplement zum Kopulaverb auftritt. ▲ adcopula: word class whose primary function is to be the complement of a copular verb. Die Adkopula (Pl. Adkopulas oder Adkopulae) wird meist als Kopulapartikel bezeichnet, ist eine Teilklasse der unflektierbaren Wörter im Dt. (fit, durcheinander, leid, pleite, quitt, schade, schuld) und bildet im Satz verbunden mit einem Kopulaverb das Prädikat. (1) Das ist schade. Einige Adkopulas können wie Adjektive Phrasen bilden. (2) schuld an etwas (sein); etwas leid (sein) Adkopulas können auch eine modifikatorische

Erweiterung erfahren (3), aber nicht attributiv verwendet werden (4). (3) ganz pleite (sein) (4) *der pleite Freund Christine Römer

→ § 16; Kopulapartikel; Kopulaverb → Gram-Syntax: Adkopulaphrase; adverbiales Adjektiv; attributives Adjektiv; prädikatives Adjektiv

🕮 Engel, U. [1994] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Adposition

Sammelbezeichnung für Prä-, Post- und Zirkumpositionen als nicht-flektierende Kategorien, denen die Forderung eines – gegebenenfalls kasusregierten – adjazenten Komplements gemeinsam ist, die sich aber im Hinblick auf ihre Stellung relativ zum Komplement unterscheiden. ▲ adposition: cover term for pre-, post- and circumpositions as uninflected categories that require an adjacent argument – and govern its case – but differ with regard to their position relative to the argument. Adpositionen sind nicht-flektierende Kategorien, die mit Kopfeigenschaften ein adjazent positioniertes Komplement subkategorisieren und ihm einen Rektionskasus zuweisen, wenn es deklinierbar ist. Sie werden im Hinblick auf die linear-syntaktische Stellung der Adposition relativ zum Komplement weiter untergliedert in Präpositionen (Adposition vor Komplement (1)), Postpositionen (Komplement vor Adposition (2)) und Zirkumpositionen (Komplement zwischen diskontinuierlich angeordneten Komponenten einer Adposition (3)). (1) vor dem Spiel (2) der Einfachheit halber (3) um deiner Gesundheit willen Die einzelsprachlich bevorzugte Position von Adpositionen harmoniert mehr oder minder deutlich mit der präferierten Position anderer Kopfelemente in der betreffenden Sprache: Sprachen mit einer Tendenz zu kopfinitialer Wortfolge bilden bevorzugt Präpositionen aus, Sprachen mit einer allgemeinen Tendenz zu kopffinaler Wortfolge bevorzugt Postpositionen. Aus diesem Grund ist das positionelle Verhalten von Adpositionen für syntaxtypologische Untersuchungen

141 Adverb von Einzelsprachen und Sprachfamilien ein wichtiges und häufig diskutiertes Kriterium. Adpositionen, die sowohl als Präposition vor als auch als Postposition nach dem Komplement stehen können, werden als Ambipositionen bezeichnet (4). (4) seinem Chef gegenüber (4a) gegenüber seinem Chef Begriffssystematisch steht die Bezeichnung Ambiposition nicht in einer Reihe mit den Bezeichnungen Prä-, Post- und Zirkumposition, da sie auf einem anderen Klassifikationskriterium basiert (± Stellungsfestigkeit). Sie spiegelt stattdessen eine weitere Form der Subklassenbildung unterhalb der Sammelbezeichnung Adposition wider. Adpositionen werden häufig als eine geschlossene Klasse charakterisiert. Diachron ist das zumindest für Sprachen wie das Dt. nur bedingt zutreffend, da die Klasse kontinuierlich um neue Mitglieder erweitert wird (z.B. aufgrund (von)), während alte Mitglieder wegfallen (z.B. behufs). Zuwachs erfolgt im Dt. vor allem durch die Deund Rekategorisierung von Partizipien, Substantiven, Adjektiven und Adverbien (betreffend, wegen, diesseitig, längs) sowie die Fusion stereotyper Wortverbindungen (z.B. inmitten (von), auf Grund (von)), seltener durch Entlehnung (z.B. pro aus dem Lat., à propos aus dem Frz.). Über Derivation kann im Dt. demgegenüber keine neue Präp. gebildet werden. Dem widersprechen auch Bildungen mit -s, -halb u.ä. nicht, da sie zunächst einmal Adverbien erzeugen, die nur dann als Präp. wahrgenommen werden, wenn die Basis relational ist (vgl. entsprechend seitens gegenüber abends). Bei einigen dieser Bildungen erfolgt ein syntaktischer Ausbau durch von, der bei Komplementen ohne eine distinktive Kasusmarkierung obligatorisch ist und darüber hinaus die intendierte präpositional-relationale Lesart des Adverbs vereindeutigt (vgl. unterhalb von Gipfeln / *unterhalb Gipfeln; unterhalb von schneebedeckten Gipfeln / unterhalb schneebedeckter Gipfel). Terminologisch tritt an die Stelle der Bezeichnung Adposition meist die generisch verwendete Bezeichnung Präposition. So wird die syntaktische Verbindung aus Adposition und Komplement in aller Regel ungeachtet der Position der Adposition als Präpositionalphrase bzw. Präpositionalgruppe bezeichnet. Auch bei den syntaktischen Funktionen wird gewöhnlich in Absehung

der Abfolge von Adposition und Komplement von Präpositionalobjekt und Präpositionalattribut gesprochen. Im Hinblick auf die gegenwartssprachlichen Verhältnisse in den idg. Sprachen kann das als terminologische Orientierung am prototypischen Abfolgemuster gedeutet werden, nicht aber in Bezug auf nicht-idg. Sprachen wie das Türk. oder das Ung. Jörg Bücker

→ Ambiposition; Halbpräposition; komplexe Präposition;

Postposition; Präposition; primäre Präposition; sekundäre Präposition; verbregierte Präposition; verschmolzene Präposition; Wechselpräposition; Zirkumposition → Gram-Syntax: adverbiale Präpositionalgruppe; Präpositionalrektion ⇀ Adposition (CG-Dt) ⇁ adposition (Typol; CG-Engl)

🕮 Breindl, E. [1989] Präpositionalobjekte und Präpositionalobjektsätze im Deutschen (LA 220). Tübingen ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposition. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Hagège, C. [2010] Adpositions. Oxford ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSidUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Schierholz, S.J. [2001] Präpositionalattribute. Syntaktische und semantische Analysen (LA 447). Tübingen.

Adverb

Wortart, zu der nicht-flektierbare Wörter gehören, die als Satzglied oder Satzgliedteil fungieren können. ▲ adverb: part of speech which includes non-inflectable words that are used as immediate constituents of the clause or as parts thereof. Das Adverb (Pl.: Adverbien) ist im Dt. ein nichtdeklinierbares Wort (dort, hier, heute, dorthin, ebenfalls, gern). Wenige Adverbien sind – wie die Adjektive – komparierbar, z.B. gern – lieber – am liebsten; wohl – besser – am besten; oft, öfter, am öftesten. Das Adverb kann mangels einer Deklination nur mit Hilfe syntaktischer Kriterien von anderen Wortarten abgegrenzt werden. Zur Subklassifizierung werden weitgehend semantische Kriterien verwendet, z.B. Raum (hier), Zeit (damals), Grund (deshalb). Die Alleingültig-

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Adverb 142

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keit des syntaktischen Kriteriums bei der Abgrenzung von anderen Wortarten hat zur Folge, dass das Adverb als satzgliedfähige Kategorie in höherem Grade als die flektierbaren Wortarten einen Schnittpunkt zwischen Formenlehre und Syntax bildet. Aus diesem Grunde ist das Adverb auch eine sehr heterogene Kategorie und weniger deutlich abgrenzbar als die flektierbaren Wortarten. Wenn es eine syntaktische Beziehung zum ganzen Satz (Glücklicherweise sitzt der Junge auf dem Stuhl) oder zum finiten Verb hat (Der Junge sitzt dort), nimmt es als Satzglied die Funktion Adverbial ein. Bei Satz- oder Verbbezug kann das Adverbial auch durch eine vollständige PP realisiert sein (1a). Das Adverb wird von einer Wortgruppe normalerweise dadurch abgegrenzt, dass es nur aus einem Wort besteht (1). Die syntaktische Fügungspotenz oder Valenz der Adverbien ist sonst unterschiedlich. (1) Glücklicherweise sitzt der Junge dort. (1a) Zum Glück sitzt der Junge auf dem Stuhl. In Verbindung mit Adj., Subst. und anderen Adverbien können einige Adverbien auch attributive Funktionen erfüllen (2). (2) Das sehr junge Mädchen da spielt ungemein gut Klavier. Wenn das Bezugswort substantivisch ist, steht das Adverb in nachgestellter Position. Adverbien wie da, draußen, heute können ferner adverbial sein (3). Auch in Sätzen wie (4) sind sie als adverbial zu betrachten, weil das Verb sein mit sich befinden, sich aufhalten substituierbar ist. Es ist somit keine Kopula sondern mit einem Vollverb gleichwertig und das Adverb demnach nicht prädikativ. Für andere Adverbien gelten weitere syntaktische Restriktionen. So sind z.B. dorthin, hierher auf attributiven (5) und adverbialen (6), anders, ebenso, so auf adverbialen (7) und prädikativen (8), ebenfalls, einmal, endlich nur auf adverbialen (9) und sehr, überaus, durchaus auf attributiven ((10), (11)) Gebrauch beschränkt. (3) Er sitzt da. (4) Der Stuhl ist draußen. (5) Die Fahrt hierher. (6) Er fährt dorthin. (7) Es verhält sich so. (8) Es ist anders. (9) Sie kommt ebenfalls. (10) Ich bin damit durchaus zufrieden. (11) Er tut es sehr gern.

Im Engl., Frz. und Schwed. werden adverbial verwendete Adjektive gewöhnlich zur Kategorie Adverb gezählt, weil sie durch ein besonderes adverbiales Morphem markiert sind: -ly (Engl.), -ment (Frz.), -t (Schwed.) ((12)–(14)). Folglich heben sie sich, anders als im Dt. (15), von adverbial verwendeten Adjektiven auch morphologisch ab. (12) She is beautiful. – She sings beautifully. (13) Elle est jolie. – Elle chante joliment. (14) Hon är vacker. – Hon sjunger vackert. (15) Sie ist schön. – Sie singt schön. In der dt. traditionellen Grammatik werden bis in die 60er Jahre des letzten Jhs. nach dem Vorbild der lat. Grammatik, in der das Adverb ebenso morphologisch markiert ist (vgl. lat. Adj. fortis, lat. Adverb fortiter), auch adverbial gebrauchte Adjektive als Adverbien bezeichnet. Diese Tradition wird zwar in den beiden vorangehenden Jhn. u.a. von Grammatikern wie Mager (1841/ 1991: 42) und Sütterlin (1923: 99f.) angefochten, bleibt aber bis zum Erscheinen der Duden-Grammatik von 1959 vorherrschend. Anregend wirkte auch der Neuerungsversuch durch Glinz (1952). Besonders in der wissenschaftlichen Grammatik wird die Kategorie Adverb auf Wörter beschränkt, deren Stammmorphem nicht mit einem Adj. identisch ist. Das wesentliche Argument für diese Neuordnung ist eben die fehlende morphologische Markierung im Dt. Das Adj. wird als eine einheitliche Wortart betrachtet, unabhängig davon, ob es sich syntaktisch auf ein Subst. oder ein Verb bezieht. Nur wenige Grammatiken, z.B. Helbig/Buscha (2001: 305ff.), geben syntaktischen Kriterien den Vorrang und ordnen adverbial verwendete Adjektive der Kategorie des Adverbs zu (Helbig/Buscha 2001: 165). Durch die Fähigkeit, als Satzglied oder Gliedteil zu fungieren, unterscheiden sich die Adverbien im Dt. von anderen als Partikeln bezeichneten Wortarten wie Präp. und Konj., mit denen sie aber die Unflektierbarkeit gemeinsam haben. Dadurch nehmen sie eine Zwitterstellung zwischen den Hauptwortarten und Partikeln ein. Sie werden in vielen Grammatiken als eine Untergruppe der letztgenannten betrachtet. Viele Wörter, die in der traditionellen Grammatik als Adverb angesehen werden, haben mit den Pronomina gemeinsame Merkmale. Worauf sich Wörter wie sie oder er beziehen, welchen Referenten sie haben, weiß man erst, wenn die Situa-

143 Adverb tion oder der Kontext bekannt ist. Das trifft auch auf die Adverbien hier, da, dort, daneben u.a. zu. Gleiches gilt für die Pronominal- oder Präpositionaladverbien, z.B. daran, darauf, dazu, worauf, wovon, wozu, die daher auch zur Gruppe der ProWörter gezählt werden. Einige Adverbien, besonders die interrogativen (Frageadverbien), z.B. wie, wo, wann, können als Konjunktion fungieren ((17)–(19)). Diese Adverbien sind sonst kommunikativ begründet und drücken einen Wunsch aus, von einem Hörer eine bestimmte Information zu erhalten ((20)–(22)). (17) Ich weiß nicht, ob/wann er kommt. (18) Ich kann nicht verstehen, dass/wie er es geschafft hat. (19) Frage sie, wo sie wohnt/ ob sie hier wohnt. (20) Wo wohnst du? (21) Wann kommt er? (22) Wohnen Sie hier? Die Adverbien werden üblicherweise nach semantischen Kriterien in Subkategorien geordnet, die aber unterschiedlich sind und häufig Überschneidungen enthalten. Die Vielfalt und die Variation der Subkategorien sind in verschiedenen Grammatiken ungemein groß. Einige Kategorien sind jedoch in den meisten zu finden, so z.B. temporale (oft, immer, jeweils), kausale (deshalb, deswegen, weshalb), lokale (hier, dort, unten), Adverbien der Art und Weise (gern[e], flugs), die zuweilen auch modale Adverbien genannt werden. Diese können weiterhin untergliedert werden in solche des Grades oder der Intensivität (sehr, zu, gar) und der Hervorhebung oder Fokussierung (selbst, sogar). Eine Sonderstellung nimmt eine andere Gruppe der Adverbien ein, die ebenfalls als modal bezeichnet werden. Modal hat hier eine ähnliche Bedeutung wie der grammatische Terminus Modus der Verblehre, d.h., es wird eine Einstellung oder Stellungnahme zur Wahrheit oder Geltung der Aussage oder des Satzinhalts ausgedrückt. Diese Wörter beziehen sich nicht auf ein einzelnes Wort, sondern auf den gesamten Satzinhalt (z.B. vielleicht, sicher, leider). Für diese wird in einigen Grammatiken die Bezeichnung Modalwort, Satzadverb oder Geltungsadverb verwendet. Die Adverbien ja und nein drücken ebenso eine Stellungnahme aus, meist in einer kommunikativen Situation und als Antwort auf eine Frage des ers-

ten Sprechers. Sie können darüber hinaus, wie die Interjektionen, satzäquivalent sein ((23), (24)). (23) Kommt er heute? – Ja/Nein. (24) Nein, heute nicht, aber er kommt morgen. Es gibt verschiedene Wortbildungsformen der Adverbien. Eine Gruppe besteht aus einem einzigen Morphem (z.B. jetzt, schon, heute, oben, dort), andere sind Zusammensetzungen (z.B. hierher, dorthin, sogar) und erstarrte Wortgruppen oder Syntagmen (vor allem, zum Teil, im Übrigen, zum Beispiel), die häufig abgekürzt werden (v.a., z.T., i.Ü., z.B.). Zusammensetzungen mit -her, -hin können in der Umgangssprache diskontinuierlich sein, z.B. hinterher, dorthin ((25), (26)). (25) Er ging hinter mir her. (26) Dort fahren wir morgen hin. Diese sind mit den Verbpartikeln eng verbunden ((irgendwo) herkommen, (sich) hinsetzen). Andere Adverbien sind Ableitungen, z.B. erstens, abends (urspr. Genitivformen), neulich, bestimmt. Einige Suffixe (abends, teilweise, sicherheitshalber, bäuchlings, sicherlich, verschiedentlich) sind im Dt. urspr. Adverbmorpheme. Diese Gruppe ist zahlenmäßig gering und die Suffixe sind nicht mehr produktiv. Das Suffix -lich/-tlich (jährlich, verschiedentlich) kommt nur in Ableitungen von Adjektiven vor. Umgekehrt können auch Adjektive von Adverbien abgeleitet sein, z.B. dort–dortig, hier–hiesig, jeweils–jeweilig. Kjell-Åke Forsgren ≡ Umstandswort ↔ Abtönungspartikel → § 9, 15; Adjektivadverb; Geltungsadverb; Interrogativadverb; Konjunktionaladverb; logisches Adverb; Modaladverb; Modalwort; Partikel; Pro-Adverb; Pronominaladverb; Situationsadverb; Temporaladverb; Wortart; Zahladverb → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; Adverbphrase; prädikatives Adverb ⇀ Adverb (HistSprw; CG-Dt) ⇁ adverb (Typol; CG-Engl)

🕮 Admoni, W.G. [1971] Grundlagen der Grammatiktheorie. Heidelberg ◾ Duden [1959] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Mannheim ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Forsgren, K.-Å [2008] Zur Kategorie Adverb als Grenzzonenerscheinung in der deutschen Grammatik des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Matthaios, S./ Kärnä, A. [Hg.] Das Adverb in der Grammatikographie (BGeschSprw 18). Münster: 5–35 ◾ Glinz, H. [1952] Die innere Form des Deutschen: Eine neue deutsche Grammatik. Bern [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mager, K.W.E. [1841] Die

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Adverb der Art und Weise 144

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grammatischen Kategorien. In: PädR 3: 321–371 ◾ Sütterlin, L. [1923] Die deutsche Sprache der Gegenwart. Ihre Laute, Wörter, Wortformen und Sätze. 5. Aufl. Leipzig ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Adverb der Art und Weise

semantisch bestimmte Teilklasse der Adverbien, die die Qualität eines Geschehensablaufs angeben. ▲ manner adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the quality of an action or sequence of events.

Adverbien der Art und Weise gehören der Klasse der Modaladverbien an und bilden eine heterogene Gruppe. Unter morphologischem Aspekt wird zwischen reinen Adverbien wie gern(e) oder so und Wortbildungsprodukten wie z.B. Ableitungen von Adjektiven mit den Suffixen -lings oder -weise oder Zusammenrückungen wie kurzerhand, nebenbei unterschieden. Adverbien der Art und Weise lassen sich in der Regel mit wie erfragen. Folgende Ausdrücke gehören zur Teilklasse der Adverbien der Art und Weise: anders, barfuß, blindlings, ebenso, flugs, genauso, geradeheraus, gern(e), glattweg, hinterrücks, insgeheim, jählings, kopfüber, rundweg, so, umsonst, unversehens, wie, zusammen und weitere. (1) Petra lacht gerne, ist fröhlich und [...]. (2) Mit zwei bis drei schlechten Spielen erschien die Arbeit für die ganze Saison umsonst. (3) Stundenlang versuchte sie vergebens, mit dem Alten Kontakt aufzunehmen. Jussara Paranhos Zitterbart

→ abgeleitetes Adverb; Adverb; Modaladverb ⇁ manner adverb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Adverb, autonomes → autonomes Adverb

Adverb, deiktisches → deiktisches Adverb

Adverb, direktives → direktives Adverb

Adverb, diskontinuierliches → diskontinuierliches Adverb

Adverb, faktives → faktives Adverb

Adverb, finales → Finaladverb

Adverb, graduatives → graduatives Adverb

Adverb, instrumentales → Instrumentaladverb

Adverb, interrogatives → Interrogativadverb

Adverb, kausales → Kausaladverb

Adverb, komitatives → Komitativadverb

Adverb, konditionales → Konditionaladverb

Adverb, konzessives → Konzessivadverb

Adverb, abgeleitetes

Adverb, logisches

Adverb, absolutes

Adverb, lokales

Adverb, adjektivisches

Adverb, modales

→ abgeleitetes Adverb → absolutes Adverb → Adjektivadverb

→ logisches Adverb → Lokaladverb

→ Modaladverb

145 Adverbialakkusativ

Adverb, modifikatives

Adverbialakkusativ

nicht regierter Akkusativ, der stets an einer Nominalphrase realisiert wird und diese in der syntaktischen Funktion als Adverbial markiert. ▲ adverbial accusative: free, non-governed accusative that is always realised on a noun phrase and which assigns to this noun phrase the syntactic function of an adverbial.

→ modifikatives Adverb

Adverb, phorisches → phorisches Adverb

Adverb, relationales → relationales Adverb

Adverb, temporales → Temporaladverb

Adverb, transitives → transitives Adverb

Adverb, unbestimmtes → Indefinitadverb

Adverb, veränderliches → veränderliches Adverb

Adverbialadjektiv

aus einem Adverb abgeleitetes Adjektiv. ▲ deadverbial adjective: adjective derived from an adverb.

Beim Terminus Adverbialadjektiv handelt es sich um einen nicht passenden Ausdruck für ein deadverbiales Adj. (heutig, dortig), das nur attributiv, aber nicht prädikativ verwendet werden kann, z.B. sein heutiger Entschluss, dagegen *sein Entschluss ist heutig. Semantisch ist das Adverbialadjektiv als Orientierungsadjektiv zu klassifizieren, weil es sich an der zeitlichen oder räumlichen Bezugsgröße des Subst. orientiert, z.B. die dortige Schule – die Schule ist dort. Besonders häufig wird das Adverbialadjektiv mit -ig (dortig), aber auch mit -lich (z.B. nächtlich zu nachts, anfänglich zu anfangs) gebildet (Erben 2006: 110, 124). Ein Adverbialadjektiv ist nicht zu verwechseln mit einem Adjektivadverb. ≡ deadverbiales Adjektiv

Elisabeth Bertol-Raffin

→ abgeleitetes Adjektiv; Adjektivadverb

🕮 Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungs-

lehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin ◾ Lohde, M. [2006] Wort-

bildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen.

Der Adverbialakkusativ kann bei Verben (1), Adjektiven (2) und Adverbien (3) stehen, ohne jedoch von diesen regiert zu sein. (1) Peter saß den ganzen Tag vor dem Fernseher. (2) Der Koffer war 20 Kilogramm schwer. (3) Die Ergebnisse wurden einen Tag vorher bekannt gegeben. Der Adverbialakkusativ ist vom Objektsakkusativ durch das Kriterium der Rektion abgrenzbar. Der unterschiedliche Status beider Akkusative hinsichtlich ihrer Regierbarkeit kann durch verschiedene Testverfahren (u.a. Passivierung, Pronominalisierung, Erfragbarkeit) geprüft werden. Im Gegensatz zum Objektsakkusativ alterniert der Adverbialakkusativ bei der Passivierung nicht mit dem Nominativ. Vielmehr behält er auch in Passivkonstruktionen seinen Kasus und ist somit subjektunfähig. Er ist nicht pronominalisierbar (1a) und wird stets als NP mit einem substantivischen Kern realisiert. (1a) *Peter saß ihn vor dem Fernseher. Ein Adverbialakkusativ kann durch ein hinsichtlich des Kasus unspezifiziertes Element ersetzt werden, z.B. durch ein Adverb ((1b), (2a), (3a)). (1b) Peter saß lange vor dem Fernseher. (2a) Der Koffer war sehr schwer. (3a) Die Ergebnisse wurden lange vorher bekannt gegeben. Auch das Kriterium der Obligatorik kann zur Unterscheidung herangezogen werden: Der Adverbialakkusativ ist weglassbar, der Objektsakkusativ ist hingegen oft obligatorisch. Mit Hilfe der hier angeführten Kriterien und Testverfahren kann in den meisten Fällen zwischen Objektsakkusativ und Adverbialakkusativ unterschieden werden. Unter inhaltlichen Aspekten treten Adverbialakkusative in temporaler Bedeutung auf ((1), (3))

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adverbialbildender Subjunktor 146

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oder drücken ein Maß (z.B. Strecke, Gewicht (2), Höhe u.a.) aus. Said Sahel ≡ adverbiale Akkusativgruppe; adverbialer Akkusativ ↔ Objektsakkusativ → Akkusativ → Gram-Syntax: Adverbial; Adverbialkasus; Nominalphrase; Rektion; syntaktische Funktion

🕮 Bausewein, K. [1990] Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik (LA 251). Tübingen ◾ David, J. [1995] Dauert ein dreistündiger Flug lange oder nicht lange? Überlegungen zur paradigmatischen Definition des Adverbialakkusativs. In: Métrich, R./ Vuillaume, M. [Hg.] Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen (Eurog 7). Tübingen: 13–18 ◾ Salveit, L. [1968] Akkusativ und Dativ in ihren Beziehungen zum Verb. In: Moser, H. [Hg.] Sprachnorm, Sprachpflege, Sprachkritik (SdG 2). Düsseldorf: 251–267.

adverbialbildender Subjunktor

Subjunktor, der einen Satz als Adverbial unterordnet. ▲ adverbial subjunctor: subjunctor whose function is to subordinate a clause as an adverbial. Adverbialbildende Subjunktoren (in (1) das temporale als) leiten abhängige Sätze mit Verbletztstellung ein, betten diese als adverbiale Supplemente in die Obersätze ein und verbinden diese mit den Obersätzen zu komplexen kommunikativen Einheiten. (1) Es regnete, als ich aus dem Haus trat. Die Subjunktoren können nach der Art von Adverbialsätzen, die sie einleiten, subklassifiziert werden. Christine Römer

↔ termbildender Subjunktor → adversativer Subjunktor; finaler Subjunktor; kausaler Subjunktor; Konnektor

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2007] Subjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

adverbiale Akkusativgruppe ≡ Adverbialakkusativ

adverbialer Akkusativ ≡ Adverbialakkusativ

adversative Konjunktion

Konjunktion, die eine adversative Beziehung unter sprachlichen Elementen erstellt.

▲ adversative conjunction: conjunction that makes

an adversative relation between sentences or parts of a sentence. Die adversative Konjunktion stellt eine Beziehung zwischen Wortgruppen und Sätzen oder unter Gliedteilen, Satzgliedern und Sätzen (Helbig/ Buscha 1993: 452) her. Adversative Konjunktionen können in der Regel sowohl in koordinierenden ((1)–(5)) als auch subordinierenden ((6)–(8)) Strukturen vorkommen. (1) Sie sind jung, aber er ist alt. (2) Sie hat den Text gelesen, allein sie hat ihn nicht verstanden. (3) Sie wollte den Pullover kaufen, doch sie hatte das Portemonnaie zu Hause vergessen. (4) Wir blieben hier, jedoch ging er weg. (5) Der Wagen ist nicht groß, sondern sehr klein. (6) Während sie in der Woche täglich arbeitet, hat sie am Wochenende frei. [keine Gleichzeitigkeit an den Teilsätzen] (7) Während der Mann eine fröhliche Person ist, ist seine Frau eher verbittert. [Gegenüberstellung zweier Elemente] (8) Während du im Internet surfst, lese ich ein Buch. [Gleichzeitigkeit und Gegenüberstellung zweier Elemente] Javier Martos

→ adversativer Konjunktor; adversativer Subjunktor; Konjunktion

→ Gram-Syntax: adversative Satzverbindung; Adversativsatz

🕮 Couper-Kuhlen, E./ Kortmann, B. [eds. 2000] Cause, Condition, Concession, Contrast. Cognitive and Discourse Perspectives. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1988] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 11. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Koerfer, A. [1979] Zur konversationellen Funktion von ja aber. Am Beispiel von universitärer Diskurse. In: Weydt, H. [Hg.] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 14–29 ◾ Lötscher, A. [1988] Textgrammatik adversativer, restriktiver und konzessiver Satzverknüpfungspartikeln. In: KBGL 24: 65–97 ◾ Rudolph, E. [1996] Contrast. Adversative and concessive relations and their expressions in English, German, Spanish, Portuguese on sentence and text level (RTTheo 23). Berlin [etc.].

adversative Subjunktion ≡ adversativer Subjunktor

adversativer Konjunktor

koordinierender Konjunktor, der zum Ausdruck bringt, dass die koordinierten Sachverhalte unter einem gewissen Gesichtspunkt kontrastieren.

147 Affigierung ▲ adversative conjunctor: adversative coordinating

conjunction expressing that the connected events contrast. Neben dem frequentesten adversativen Konjunktor aber zählen u.a. allerdings, (je)doch, hingegen und demgegenüber zu den adversativen Konjunktoren. Adversativität kennt unterschiedliche semantische Ausprägungen, von denen hier eine exemplarische Auswahl genannt wird (vgl. Breindl et al. 2014: 521–535). (a) Ein kontrastiver Vergleich kann zwischen den Topiks der beiden verbundenen Teilsätze gezogen werden ((1), (2)). (1) Ihr Badeanzug ist braun gemustert, ihre Haut dagegen sehr weiß. (2) Meine Schwester ist groß, aber ich bin klein. (b) Adversative Satzverbindungen erlauben oft eine konzessive Interpretation. Dabei wird implikatiert, dass zwischen den verbundenen Konnekten eine wenn-dann-Beziehung besteht, in dem spezifischen Fall aber das Gegenteil der erwarteten Folge eintritt (3). (3) Sie richtete ihre Augen gen Himmel, sah aber nur einen weißen Streifen am Horizont. Hier ist impliziert, dass sie findet, was sie sucht, wenn sie die Augen gen Himmel richtet. (c) Beim evaluativen Bewertungsgegensatz werden die Konnekte auf epistemischer Verknüpfungsebene nach Sweetser (1990) verknüpft. Hier wird ein Kontrast zwischen einer positiven und einer negativen Bewertung hergestellt (4). (4) Hamburg ist eine schöne Stadt, aber es regnet leider sehr oft. Melitta Gillmann

→ adversative Konjunktion; adversativer Subjunktor → Gram-Syntax: adversative Satzverbindung; Adversativsatz; Konzessivsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Breindl, E. [2004] Kontrastkonnektoren. Einleitung. In: Blühdorn, H./ Breindl, E./ Waẞner, U.H. [Hg.] Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. Berlin [etc.]: 214–224 ◾ Breindl, E. [2004] Polysemie und Invarianz bei Konnektoren. allerdings und andere Kontrastmarker. In: Pohl, I./ Konerding, K.-P. [Hg.] Stabilität und Flexibilität in der Semantik. Strukturelle, kognitive, pragmatische und historische Perspektiven. Frankfurt/Main: 171–197 ◾ Couper-Kuhlen, E./ Kortmann, B. [eds. 2000] Cause, Condition, Concession, Contrast. Cognitive and Discourse Perspectives. Berlin ◾ Lakoff, R. [1971] If's, and's, and but's about Conjunc-

tion. In: Fillmore, C.J./ Langendoen, D.T. [eds.] Studies in Linguistic Semantics. New York, NY [etc.]: 114–149 ◾ Lötscher, A. [1988] Textgrammatik adversativer, restriktiver und konzessiver Satzverknüpfungspartikeln. In: KBGL 24: 65–97 ◾ Sweetser, E.E. [1990] From etymology to pragmatics. Metaphorical and cultural aspects of semantic structure. Cambridge.

adversativer Subjunktor

subordinierende Konjunktion, die einen Sachverhalt als Gegensatz eines anderen Sachverhalts ausweist. ▲ subordinating adversative conjunction: subordinating conjunction marking that the subordinate event contrasts with the event in the matrix clause. Die adversative Relation wird seltener subordinativ markiert und typischerweise symmetrisch, d.h. koordinativ, ausgedrückt. Zu den adversativen Subjunktoren zählen neben während die Postponierer wogegen und wohingegen. Auch das polyseme während tritt zumeist postponiert auf. In der Vorfeldposition stellt sich eher die temporale Funktion ein. Die entsprechenden Sätze ziehen einen kontrastiven Vergleich zwischen den beiden Satztopiks (1). (1) Paul spricht nur Englisch, während Rita auch Chinesisch und Arabisch kann.

Melitta Gillmann ≡ adversative Subjunktion; konfrontativer Subjunktor → adversative Konjunktion; adversativer Konjunktor; Subjunktor → Gram-Syntax: adversative Satzverbindung; Adversativsatz; Konfrontativsatz; Konzessivsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Breindl, E. [2004] Kontrastkonnektoren. Einleitung. In: Blühdorn, H./ Breindl, E./ Waẞner, U.H. [Hg.] Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. Berlin [etc.]: 214–224 ◾ Lötscher, A. [1988] Textgrammatik adversativer, restriktiver und konzessiver Satzverknüpfungspartikeln. In: KBGL 24: 65–97 ◾ Rudolph, E. [1996] Contrast. Adversative and concessive relations and their expressions in English, German, Spanish, Portuguese on sentence and text level (RTTheo 23). Berlin [etc.].

Affigierung

Bildung eines neuen Lexems oder einer grammatischen Wortform durch das Anfügen eines Affixes. ▲ affixation: derivation of a new lexeme or a word form by the addition of an affix. Als Wortbildungsmuster ist die Affigierung eine Form der Ableitung, genauer: der expliziten Derivation, bei der gebundene Morpheme hinzu-

A

affirmatives Adjektiv 148

A

gefügt werden (im Unterschied zur Konversion). Wenn das Affix vorn angefügt wird, spricht man von Präfigierung (änder[n] + ver- → veränder[n]), wenn es ans Ende der lexikalischen Basis tritt, von Suffigierung (änder[n] + -ung → Änderung). Bei der Zirkumfigierung umschließt ein diskontinuierliches Affix die lexikalische Basis (tu[n] + Ge…e → Ge#tu#e). Auch Wortformen zum selben Lexem können durch Affigierung erzeugt werden. Im Dt. zeigen Flexionssuffixe Kombinationen grammatischer Merkmale an, etwa -e in der NP die Tage den Nominativ oder Akkusativ Pl. Die Suffigierung kann mit anderen Formen der Flexionsmarkierung, wie etwa dem Ablaut oder dem Umlaut, kombiniert werden. So wird in der NP die Gräser der Plural sowohl durch den Umlaut ä als auch durch das Suffix -er gekennzeichnet. Franziska Münzberg

→ Affix; Konversion; Lexem; Präfigierung; Suffigierung ⇁ affixation (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Götze, L./ Hess-Lüttich, E.W.B. [1999] Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. 3., überarb. Aufl. Gütersloh ◾ Lenz, B. [1995] un-Affigierung. Unrealisierbare Argumente, unausweichliche Fragen, nicht unplausible Antworten (StDG 50). Tübingen.

affirmatives Adjektiv

intensionales Adjektiv, das das Denotat des Bezugsnomens bestätigt, indem es ihm Subeigenschaften zuweist. ▲ affirmative adjective: intensional adjective which confirms the referent of the noun which the adjective qualifies by attributing sub-qualities to the meaning of the noun. Ausgehend von den Feststellungen in (1) und (2) kann geschlossen werden, dass (3a) und (3b) zutreffen, nicht aber (3c), weil das Adj. gut nur eine Subeigenschaft von Enricos Opernsängertätigkeit ausdrückt und somit das Denotat von Opernsänger bestätigt. (1) Jeder Opernsänger ist ein Schauspieler. (2) Enrico ist ein guter Opernsänger. (3a) Enrico ist ein Opernsänger. (3b) Enrico ist ein Schauspieler. (3c) Enrico ist ein guter Schauspieler. Die Eigenschaft, ein guter Opernsänger zu sein, ist eine Subeigenschaft zum Denotat von Opernsänger, so wie die Menge der guten Opernsänger

eine Untermenge aller Opernsänger ist. Diese affirmative Bedeutung kommt bei attributiver Verwendung zum Tragen, da sich prädikativ, z.B. in der Opernsänger ist gut, das Adj. gut keineswegs auf die Qualitäten als Opernsänger beziehen muss, sondern damit ganz andere Eigenschaften gemeint sein können. Ein affirmatives Adjektiv liegt dann vor, wenn (a) es intensional ist und (b) z.B. in der NP guter [Adj.] Opernsänger [N] das Denotat von 'Adj.N' auf das Individuum x und das Denotat von 'N' auf dasselbe Individuum x zutrifft. (Zifonun et al. 1997: 2005f.)

→ Adjektiv; intensionales Adjektiv → Gram-Syntax: Bezugsnomen

Elisabeth Bertol-Raffin

🕮 Kamp, H. [1975] Two theories about adjectives. In: Keenan, E.L. [ed.] Formal Semantics of Natural Language. Cambridge: 123–155 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Affix

gebundenes Morphem ohne lexikalische Kernbedeutung, das angefügt an andere Morpheme der Bildung neuer Lexeme oder Wortformen dient. ▲ affix: bound morpheme devoid of lexical core meaning that is attached to other morphemes in order to create new lexemes or new forms of words. Wenn man Wörter Schritt für Schritt in ihre bedeutungstragenden Einzelteile zerlegt, bleiben oft Morpheme übrig, die in geschriebenen Äußerungen nicht als selbständige Wortformen zwischen Leerzeichen stehen könnten. Daher nennt man sie gebundene Morpheme. Als Beispiel soll hier die Zerlegung einer Gelegenheitsbildung dienen (Affixe unterstrichen): (1) Verunsicherungshimbeeren ← Verunsicherungshimbeere + -n (2) Verunsicherungshimbeere ← Verunsicherung [+ -s-] + Himbeere (3) Himbeere ← Him- + Beere (4) Verunsicherung ← verunsicher- + -ung (5) verunsicher ← ver- + unsicher(6) unsicher ← un- + sicher In (1) bis (6) sind -n, -ung, ver- und un- als Affixe markiert, nicht aber die Ableitungsbasis verunsicher- (Infinitiv verunsichern minus Infinitivendung -(e)n). Auch das unikale Morphem Him in Him#beere ist nicht unterstrichen. Nicht jedes gebundene Morphem ist also ein Affix: Mit Affixen lassen sich lange Reihen von Wortformen bilden,

149 Affix und obwohl sie wie alle Morpheme bedeutungstragend sind, tragen sie doch nicht wie etwa verunsicher- den Kern der lexikalischen Bedeutung. Das Fugenelement -s- ist nicht als Affix markiert, weil Fugenelemente oft nicht als bedeutungstragend und damit auch nicht als Morpheme angesehen werden. Affixe können in Wbb. lemmatisiert und wie andere sprachliche Einheiten etwa nach ihrer Semantik, ihrer pragmatischen Verwendung, ihrer Herkunft, ihrer Aussprache usw. beschrieben werden. In der Grammatik werden sie meist nach den folgenden Kriterien eingeteilt: (a) Position innerhalb der neuen Wortform: Vorn werden Präfixe angefügt (treten → ver#treten, Glaube → Un#glaube), am Ende Suffixe (vertret(en) → vertret#bar, vertret(en) → [ihr] vertret#et). Das sind die beiden fürs Dt. wichtigen Affixpositionen. In der Mitte – und zwar nicht zwischen Morphemen, sondern mehr ein- als angefügt – stehen Infixe (die es nach dieser strengen Definition im Dt. nicht gibt), umklammernd Zirkumfixe (tu → Ge#tu#e). (b) Funktion für die neue Wortform: Die Funktion der einen Gruppe von Affixen ist die Wortbildung, genauer: die Ableitung eines neuen Lexems aus einer Basis, die selbst kein Affix sein darf. (7) [Basis] vertret- + [Ableitungssuffix] -ung → Vertretung (8) [Ableitungspräfix] ver- + [Basis] tret- → vertretDas neue Lexem kann zur selben Wortart gehören wie seine Basis (tret(en) → ver#tret(en)) oder zu einer anderen (vertret(en) → Vertret#ung, vertret#bar). Eine andere Bedeutung als die Basis hat es fast immer. Die Wortbildungsaffixe versucht man von Kompositionsbestandteilen abzugrenzen: Kompositionsbestandteile sind Teile von Wortbildungen, die eine lexikalische Kernbedeutung haben und die typischerweise (ggf. in Kombination mit Flexionsmorphemen) auch als freie Wortformen vorkommen können. Schwierig ist die Zuordnung zu einem Wortbildungsverfahren wie Ableitung oder Komposition bei den Verbpartikeln. Sie können in eine Wortform eingebunden sein, aber auch allein im Satz stehen: ab#treten, aber Sie treten ab. Außerdem haben sie oft semantisch ähnliche Homonyme aus anderen Wortarten, z.B. Präpositionen (ab dem ersten Oktober), die als selbstän-

dige Wortformen auftreten. Daher erscheinen die Verbpartikeln aus lexikographischer Sicht eher als Affixe mit einem ganz eigenen Wortbildungsverfahren (Partikelverbbildung, vgl. Duden 2009: 696–704). Aus syntaktischer Perspektive muss die Verbpartikel jedoch zuweilen als eigenständiges Token gezählt werden. Weitere Grenzfälle der Wortbildung sind Konfixe wie mega, bio und Halbaffixe (Affixoide) wie -ähnlich. Nach der hier gewählten Terminologie kann man von den Wortbildungsaffixen eine zweite Gruppe von Affixen unterscheiden. Diese Gruppe von Affixen zeigt grammatische Merkmale an, etwa Tempus, Kasus, Numerus, Person. (9) sag- + -st → sag#st (10) Wald + -(e)s → Wald#es oder Wald#s In agglutinierenden Sprachen steht je ein Affix für genau ein grammatisches Merkmal. In flektierenden Sprachen kann ein einziges Affix für mehrere Merkmale auf einmal stehen (z.B. das Suffix -(e)s in Wald#(e)s für Genitiv + Singular). Ein Affix, das die Flexion anzeigt, nennt man auch Flexionsmorphem, oder man fasst es unter den Oberbegriff Flexiv bzw. Flexem. Es gibt Terminologien (Heringer 2009: 31), nach denen nur Wortbildungsmorpheme, nicht aber Flexive als Affixe gelten. Aber auch wenn Wortbildungs- und Flexionsmorpheme zu den Affixen zählen, bleibt zu entscheiden, wo man innerhalb der Affixe die Grenze zwischen Wortbildungsund Flexionssuffixen zieht. Schwierig ist das etwa bei den Diminutivsuffixen wie -chen und beim Suffix -in für die Movierung etwa von Jäger zu Jägerin (beides trotz der meist sehr ähnlich bleibenden lexikalischen Bedeutung wohl eher Wortbildung) oder bei der Komparation von Adjektiven mit den Suffixen -er für den Komparativ und -(e)st(en) für den Superlativ (trotz lexikalisierter Bildungen wie früher, meist, höchst eher Flexion, wenn auch nicht Deklination). Diskutiert werden auch Suffixe zur Bildung adverbial verwendbarer Formen aus Adjektiven im Engl. (happy → happily; Booij 2000: 362, 366) oder in roman. Sprachen (frz. heureux → heureusement; ital., span. -mente). Zum Frz. bezieht Grevisse (1993: 1375) eine klare Position: Das Suffix -ment sei ein Ableitungsaffix. Zwischen eigenständigen Wortformen und Flexionssuffixen stehen im Grammatikalisierungsprozess Klitika (mer in hammer „haben wir“, wa

A

Affix 150

A

und s in hamwas; s in ans, m in zum; Dammel/ Duke/Nübling/Szczepaniak 2013: 302–308). (c) Verbindet man die beiden Kriterien Position und Funktion, so ergeben sich fürs Dt. zwei Prototypen: Von einem Präfix erwartet man, dass es ein Wortbildungselement ist, also ein Ableitungspräfix. Ein Flexionsaffix ist typischerweise eine Endung, also ein Flexionssuffix. Aus keiner der beiden Aussagen lässt sich ein Umkehrschluss ziehen. Trotzdem gibt es eine allgemeine Faustregel (Eisenberg 2011: 24): Grammatische Funktionen werden von Suffixen getragen. Das gilt nicht nur für Flexionssuffixe. Wortbildungssuffixe zeigen etwa Wortart und ggf. Genus und Flexionsklasse an. Was Ableitungspräfixe jedoch bewirken können, ist eine Veränderung des Valenzrahmens: schlafen (intransitiv) + ver- → verschlafen (mit einer transitiven Variante etw. verschlafen); reden (intransitiv oder mit unbelebtem direktem Objekt wie in Tacheles reden) + be- → jmdn. bereden, etw. zu tun (Duden 2009: 694; Übersicht in Heringer 2009: 91). Nach einer weiteren Faustregel (Booij 2000: 366) stehen Flexionsaffixe an den Rändern der Wortformen. Die dt. Flexionssuffixe stehen also rechts von den Ableitungssuffixen am Ende der Wortform. (d) Ein weiteres Kriterium zur Unterteilung von Affixen ist, mit welchen Wortarten sie verknüpft werden können. Beispiele für Affixe, die man sich synchron oder diachron als Anfügungen an Verbstämme vorstellen kann: (11) -(e)st in bring#st, griff#st, trüg#est [vgl. frz. -s, ital. -i, ngriech. -ς] (12) be- in be#greifen, be#trachten, be#labern (13) -ung in Acht#ung, Abgrenz#ung, Richt#ung (14) -(t)ion in Ratifika#tion, Dilata#tion, Reflex#ion [vgl. engl., frz. -(t)ion, ital. -(z)ione] (15) -er in Gewinn#er, Teil#er, Falt#er [vgl. engl. -er, frz. -eur, ngriech. -ης] (e) Ableitungsaffixe kann man auch nach der (ggf. neuen) Wortart unterteilen, zu der die Ableitung gehört. Auf dieses Kriterium beziehen sich in der Regel Termini wie Verbpräfix / verbales Präfix oder nominales Präfix. Die Beispiele (13), (14), (15) zeigen Suffixe, mit denen sich aus Verbstämmen Substantive bilden lassen. Wenn man das terminologisch fassen will, kann man sie als nominale Suffixe bezeichnen. (f) Wichtig für den Spracherwerb ist, ob ein Ableitungsaffix noch produktiv ist, ob es also gegen-

wärtig spontan zu Gelegenheitsbildungen verwendet wird, die dann ggf. lexikalisiert werden und als Neueinträge im Wb. erscheinen können. Wenn das Adj. pixelig zu Pixel gebildet wird, muss -ig produktiv sein. Beliebte Beispiele für derzeit produktive dt. Affixe sind -bar zur Neubildung von Adjektiven, -ung zur Neubildung von Verbalsubstantiven und ver-, -ier zur Neubildung von Verben. Als kaum noch produktiv gilt etwa -sam in aufmerksam, seltsam. Flexionssuffixe sind grundsätzlich produktiv: Sie werden an neue Lexeme, soweit diese überhaupt flektiert werden, ebenso angefügt wie an alte. (g) Schließlich kann man fragen, ob ein Affix heimisch oder fremd ist. Aus diachroner Sicht ist z.B. -lich in gemütlich heimisch (verwandt: Leiche, Leichnam) und erz- in erzfaul fremd. Synchron betrachtet kann erz- jedoch als heimisch gelten (Duden 2009: 723), obwohl es etymologisch nicht auf Erz 'Metall', sondern auf griech. arch(i)- zurückgeht. Ganz anders als bei der Einteilung von Wortstämmen in heimische und fremde dürfte es bei der Frage nach der Fremdheit von Affixen jedoch selten einen Unterschied machen, ob man nach ihrer Geschichte oder nach ihren heutigen Eigenschaften fragt. So hat das im Dt. eigentlich überaus geläufige und produktive Suffix -ier in falsifizieren, blanchieren wegen seiner Betonung und wegen der langen Reihen von Fremdwörtern, die damit gebildet werden, immer noch den Charakter eines fremden Morphems (Eisenberg 2011: 244). Deutlich fremd, nämlich von lat. Regeln für die Anpassung an die lautliche Umgebung abhängig, ist schließlich die komplementäre Verteilung der Allomorphe in-, im-, irr-, ill- bei inakzeptabel, immateriell, irreversibel, illoyal (Eisenberg 2011: 297). Diese Einteilung der Affixe in heimische und fremde ist nur bei Wortbildungsmorphemen üblich. Bei Flexionsmorphemen dürfte sich das Problem per definitionem nicht stellen, denn was zum Flexionsinventar einer Einzelsprache gehört, gilt als heimisch. Deswegen wird etwa -ed in , als Fehlschreibung zu -(e)t bewertet. Franziska Münzberg

→ § 16, 31; agglutinierender Plural; Flexion; Fugenelement;

gebundenes Morphem; Konfix; Suffix; unikales Morphem; Verbpartikel; Zirkumfix → Gram-Syntax: Ableitung

151 Agglutination

⇀ Affix (Wobi; HistSprw; CG-Dt) ⇁ affix (Typol; CG-Engl)

🕮 Booij, G. [2000] Inflection and derivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 360–369 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2011] Das Fremdwort im Deutschen. Berlin ◾ Grevisse, M. [1993] Le bon usage. Grammaire française. Refondue par André Goosse. 13ème édition revue. Paris [etc.] ◾ Heringer, H.J. [2009] Morphologie. Paderborn ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Affix, aktives → aktives Affix

Affixform

Formseite eines Affixes. ▲ affix form: formal aspects of an affix. Mit dem Terminus Affixform wird in einigen Arbeiten die formale Seite eines Affixes bezeichnet, also die phonologische Sequenz, im Gegensatz zur inhaltlichen in Analogie zu Wort, das ebenfalls die Aspekte Form und Inhalt verbindet. So ist die Bedeutung eines Affixes z.B. 'Plural', während als Form -s, -en oder -er vorkommen. Damit besteht zwischen Affixform und Bedeutung nicht immer eine Eins-zu-eins-Korrelation. Der Begriff findet nicht oft Verwendung.

→ Affix; Morphem

Hilke Elsen

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Agensnominalisierung

deverbale Substantivableitung zur Bezeichnung eines Akteurs, der die im Verbstamm benannte Tätigkeit ausübt. ▲ agent nominalization: deverbal noun denoting somebody or something doing the activity that is expressed by the verb stem. Agensnominalisierungen sind in vielen Sprachen anzutreffen (engl. to swim → swimmer, frz. vendre 'verkaufen' → vendeur 'Verkäufer', span. conducir 'fahren, lenken' → conductor 'Fahrer', finn. opettaa 'lehren, unterrichten' → opettaja 'Lehrer'). Im Dt. werden sie vor allem durch das Suffix -er gebildet (Fahrer, Bäcker, Leser, Verkäufer), das in

einigen Fällen mit -ant, -ner, -ler und -ist konkurriert. Meist werden sowohl Personen als auch Unbelebtes zu den Agensnominalisierungen gezählt; z.T. werden Letztere aber auch als nomina instrumenti bezeichnet. Einige Ableitungen können zugleich auf Personen und auf Unbelebtes referieren (Heizer, Öffner, Sender). Erfolgt die Ableitung von einem transitiven Verb, so kann das Akkusativobjekt des zugrunde liegenden Verbs durch ein Genitivattribut realisiert werden (Er backt das beste Brot dieser Stadt. → Er ist der Bäcker des besten Brotes dieser Stadt.). In der Fachlit. werden manchmal auch Ableitungen, die auf einem Subst. basieren, zu den Agensnominalisierungen gezählt (Glaser, Eisenbahner, Laborant, Maschinist). Dabei handelt es sich vorrangig um Berufsbezeichnungen.

→ Nominalisierung; Verb ⇀ Agensnominalisierung (Wobi) ⇁ agent nominalization (Typol)

Antje Heine

🕮 Donalies, E. [2007] Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

Agglutination

morphologisches Verfahren, in dem verschiedene grammatische Morpheme an einen lexikalischen Stamm gefügt werden. ▲ agglutination: morphological process of attaching several grammatical morphemes to a lexical stem. Das agglutinierende Verfahren ist oft für das gesamte Flexionssystem einzelner Sprachen (z.B. Türk., Finn., Ung.) charakteristisch; allgemein versteht man darunter eine konkatenative Flexionsstrategie. So können mehrere Wortbildungsund/oder Flexionsaffixe aneinandergereiht werden, die einzeln für verschiedene grammatische Bedeutungen stehen (für mehrere Flexionssuffixe im Ung. (1)). (1) ház-ai-tok-at ['Haus-POSS.PL-POSS.2.PERS. PL-AKK'; 'eure Häuser [Akk.]'] In begrenztem Maße ist dieses Verfahren auch im Dt. zu beobachten, etwa im verbalen Bereich bei den Präteritalformen der schwachen Flexion (2) oder im nominalen Bereich bei den Pluralformen (3). (2) kauf-te-∅, kauf-te-st, kauf-te-n [Stamm-Präteritalsuffix-Personalsuffix] (3) Tisch-e-n [Stamm-Pluralsuffix-Dativsuffix]

A

agglutinierender Plural 152

A

Das Maß der Verwendung dieser und anderer morphologischer Strategien (z.B. flektierend, isolierend) ist variierend; im Dt. macht die Agglutination einen eher geringen Anteil aus. Bernadett Modrián-Horváth

→ agglutinierender Plural; flektierende Sprache; Flexion; Kompositionalität

→ Gram-Syntax: grammatische Bedeutung ⇀ Agglutination (HistSprw; Wobi; Onom; QL-Dt)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

agglutinierender Plural

Markierung des Plurals durch ein dem Nomen angefügtes Suffix, das ausschließlich Numerusinformationen trägt. ▲ agglutinative plural: nominal plural marker whose only function is to indicate the number of the noun.

Beim agglutinierenden Plural lässt sich eine eineindeutige Entsprechung zwischen Form und Funktion des Pluralsuffixes beobachten: Der Numerus des Nomens wird ausschließlich durch das Suffix angezeigt, und das Pluralsuffix drückt die anderen grammatischen Kategorien des Nomens wie z.B. Genus oder Kasus nicht aus. Diese Markierungsstrategie ist typischerweise in agglutinierenden Sprachen wie dem Ung. vertreten (1), kann aber auch im Dt. belegt werden (2). Im Gegensatz zum agglutinierenden Plural verschmilzt der Pluralmarker im fusionierenden Pl. die Numerus-, Genus- und Kasusmerkmale des Nomens wie im Lat. (3). (1) kapu-t ['Tor'Akkusativ] (1a) kapu-k ['Tore'Pl.] (1b) kapu-k-at ['Tore'Pl. Akkusativ] (2) Tor-e-n ['Tor'Pl. Dativ] (3) port-am ['Tor'Femininum Akkusativ] (3a) port-ae ['Tore'Femininum] (3b) port-as ['Tore'Femininum Akkusativ] György Scheibl

↔ fusionierender Plural → äußerer Plural; Genus; Kasus; Nomen; Numerus; Plural; Suffix

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Akkusativ

grammatischer Kasus, dessen Hauptfunktion in Nominativ-/Akkusativsprachen die Markierung des direkten Objekts ist, und der auch als Adverbialkasus, als Präpositionalkasus sowie als Kongruenzkasus fungiert. ▲ accusative: grammatical case with the main function of denoting the direct object in nominative-accusative languages, and serving also as an adverbial case, a prepositional case as well as a case for congruence marking. Der Terminus Akkusativ (lat. casus accusativus, 'Anklagefall') geht auf eine Fehlinterpretation des griech. aitiatiké ptósis ('Kasus der Ursache') zurück. Der Akkusativ zeigt ein Bündel verschiedener formaler und funktionaler Aspekte, die nicht als voneinander unabhängige Bedeutungsvarianten zu verstehen sind, sondern vielfach miteinander interagieren. Die Interpretationsdomänen des Akkusativs umfassen vor allem eine Position innerhalb des Kasussystems (die Einheitenkategorie Akkusativ in der Kategorie Kasus), die akkusativisch markierten Formen bzw. Akkusativmarker sowie akkusativische Relationen (vgl. Blake 2000: 1074). In den dt. Grammatiken stehen die formalen Aspekte im Vordergrund. Somit wird der Akkusativ oft als Menge von Wortformen mit akkusativischer morphologischer Markierung gedeutet (z.B. einen, eine, schöne, Mädchen), die isoliert betrachtet formal nicht eindeutig sind und in bestimmten syntaktischen Umgebungen vorkommen (z.B. als direktes Objekt in transitiven Sätzen oder nach bestimmten Präpositionen). Der Akkusativ gehört zu den zentralen, sog. direkten Kasus und kodiert in den Akkusativsprachen häufig einen der zentralen Partizipanten des Satzes, das direkte Objekt, das in Aktivsätzen typischerweise die semantische Rolle des Patiens (Thema) innehat. Damit erfüllt der Akkusativ auch wichtige pragmatische Funktionen bei der auf Diskursebene definierten Transitivität (im Sinne von Hopper/Thompson 1980). Er kommt außerdem als Rektion einiger primärer Präpositionen, als Adverbialkasus und als Kongruenzmarker vor. (a) Formen des Akkusativs Der Akkusativ steht in den Nominativsprachen an der zweiten Stelle der Kasushierarchie, denn

153 Akkusativ er erscheint mit geringerer Wahrscheinlichkeit in morphologisch unmarkierter Form als der Nominativ, ist aber mit größerer Wahrscheinlichkeit unmarkiert als andere oblique Kasus. Im Dt. können Nomina, Artikel, Pronomina und Adjektive kasusmarkiert sein, wobei die nominalen Kategorien nur ein rudimentäres Markierungssystem aufweisen, die pronominale Flexion und Artikelflexion hingegen differenzierter ist. Die Asymmetrie der Markierung zwischen nominaler und pronominaler (i.w.S.) Flexion ist ein verbreitetes Charakteristikum in Sprachen (Iggesen 2009). Die Kasusmarkierung der Nomina im Dt. ist insbesondere in den nominativischen und akkusativischen Formen abgebaut. Der Akkusativ wird an Nomina nur bei der kleinen Gruppe der sog. schwachen Maskulina morphologisch markiert (Bote – Boten), aber auch dieses Paradigma befindet sich im Abbau (den Mensch(en)). Auch bei den übrigen Wortklassen des Dt. kann beobachtet werden, dass allein der Sg. Akkusativ des Maskulinums (z.B. den, einen, welchen) sowie der Personalpronomina (z.B. mich, dich) eine vom Nominativ abweichende Form hat. Die femininen, neutralen und pluralischen Formen sind im Nominativ und Akkusativ (den beiden zentralen Kasus) identisch. Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass die Hauptaktanten des Satzes (Subjekt und Objekt(e)) keiner besonderen Markierung bedürfen, sondern nur einer Unterscheidbarkeit voneinander (vgl. Siewierska/Bakker 2009). Der Kasus ist zugleich eine syntaktische Kategorie. Somit kann die Kasusmarkierung im Dt. durch das Zusammenspiel verschiedener deklinierbarer Wortarten (Artikel, Adj., Pron., Subst.) auf der Phrasenebene verwirklicht werden. Laut Zifonun et al. (1997) funktioniert sie durch die sog. Wortgruppenflexion, durch einen Mechanismus, in dem die Flexionsmerkmale in der Wortgruppe (Phrase) verteilt werden. Eine andere Auffassung vertritt u.a. Ágel (1996), der im Fall der Artikel, der Adjektive und sogar der sog. flektierten Präpositionen (zur Arbeit) von analytischen (bzw. diskontinuierlichen) Substantivflexiven spricht. Dass der Kasus, wie dies in den meisten Arbeiten hervorgehoben wird, (fast) immer zweifelsfrei festzustellen ist, liegt im weitgehend heuristischen System der ergänzenden Markierungen begründet, die mehr Strategien und Tendenzen hinsichtlich der Stellung von Subjekt und direktem

Objekt bedeuten als verbindliche Kodierungstechniken. Zu der Unterscheidbarkeit von Subjekt und Akkusativobjekt tragen folgende Faktoren bei (Eroms 1981: 66f.): die Kasusmorphologie der Nomina; die Flexion der Pronomina; die Artikelmorphologie; die Flexionsmorphologie der Pronomina; die verbale Kongruenz; selektionale Restriktionen, die an die Kasusfunktionen geknüpft sind (1); Serialisierungsregularitäten (Nominativ ist vor Akkusativ zu erwarten; ein Vorfeldverbot gilt allerdings für das schwache Pronomen es im Akkusativ) (2); Intonation (in Zusammenwirkung mit dem Kontext) (3) (NOM = Nominativ; AKK = Akkusativ). (1) Das KindNOM liebt das GuteAKK. (2) Die ReichenNOM kennen die ArmenAKK. (3) FrítzAKK lobt Hans. [Hans: thematisch] (b) Markierung des Akkusativs Der Akkusativ (sowie das direkte Objekt) steht an der zweiten Stelle der Kasus- bzw. Aktantenhierarchie. Die morphologische Unmarkiertheit ist weniger verbreitet als im Fall des Nominativs, aber wahrscheinlicher als bei den anderen obliquen (nicht-nominativischen) Kasus. Die Markierungsmöglichkeiten rangieren von der segmentalen Markierung (adjazent zum Nomen adpositional oder morphologisch: Kasusmarker, oder verbadjazent: durch Kongruenz), über die Wortstellung bis hin zur Akzentuierung. Als Kasusmarkierung im engsten Sinne gelten also die morphologischen Marker am Nomen, im weiteren Sinn auch die adpositionale Markierung. Die alternativen und zusätzlichen Markierungsstrategien der Objektmarkierung zum suffixalen Akkusativ können am direkten Objekt als einziger übereinzelsprachlich gut erfassbarer Funktion dargestellt werden. Zunächst ist eine uneinheitliche Markierung des direkten Objekts möglich (differential object marking; vgl. Bossong 1991), z.B. in roman. und semitischen Sprachen. Im Span. ist das direkte Objekt unmarkiert (4), doch Personen und personenhaft vorgestellte Begriffe, Lebewesen bekommen die Präp. a, besonders beim Vorliegen eines spezifischen Objekts (5). (4) Veo la mesa. ['seh'1. Pers. Sg. Artikel 'Tisch'; 'Ich sehe den Tisch.'] (5) Veo a Juan / a mi perro. ['seh'1. Pers. Sg. Präp. 'Juan' / Präp. Possessivpron. 'Hund'; 'Ich sehe Juan / meinen Hund.']

A

Akkusativ 154

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Eine ähnliche Differenzierung findet sich z.B. auch im Fall der spezifischen bzw. definiten Objekte im Türk. ((6); Blake 2000: 1080). (6) Bir adam gör-dü-m. [indefiniter Artikel 'Mann'NOM 'seh'1. Pers. Sg. Prät.; 'Ich sah einen Mann.'; unspezifisch, indefinit] (6a) Adam-ɩ gör-dü-m ['Mann'AKK 'seh'1. Pers. Sg. Prät.; 'Ich sah den Mann.'; spezifisch, definit] Allgemein repräsentieren nichtspezifische, nicht belebte und vollständig affizierte Objekte den Prototyp der Transitivität (vgl. Hopper/Thompson 1980), weswegen sie tendenziell häufiger unmarkiert bleiben können. Belebte und spezifische Objekte gelten als weniger natürlich und werden deshalb häufiger markiert. Eine alternative Strategie zur Objektmarkierung am Dependens (d.h. am Objekt selber) ist die sog. Kopfmarkierung (vgl. Nichols 1986), die Markierung der Abhängigkeitsbeziehung am regierenden Element, dem Verb, wie z.B. im Abchasischen. Auch eine doppelte Markierung am Kopf und am Dependens ist möglich. In diesem Fall liegt eine Kongruenz zwischen Akkusativobjekt und Verb (oder einem anderen regierenden Element) vor, wie z.B. im Baskischen, im Griech. (vgl. Nichols/Bichel 2013) oder im Ung. bei spezifischen Objekten, die einen höheren Grad an Markiertheit brauchen (7). (7) Lát-om. ['seh'1. Pers. Sg.-Objekt; 'Ich sehe sie/ihn/ es.'] (7a) Lát-om a ház-at. ['seh'1. Pers. Sg.-Objekt-Artikel 'Haus'AKK; 'Ich sehe das Haus.'] (7b) Lát-ok. ['seh'1. Pers. Sg.-Subjectiv; 'Ich sehe. / Ich kann sehen.'] Die Möglichkeit der Aktantenmarkierung am Verb folgt einem der Kasushierarchie ähnlichen Prinzip (vgl. Detges 2001), in dem mit der größten Wahrscheinlichkeit das Subjekt am Verb markiert wird (diese Art der Kongruenz besteht auch im Dt.), dann das direkte Objekt, und schließlich das indirekte Objekt folgt. Bei der Markierung des Objekts (damit des Akkusativs) sind oft positionelle Strategien von Belang. Dass das Subjekt vor dem Objekt steht, ist in unmarkierten Sätzen im Engl. ((8), (9)) oder Frz. ((10), (11)) im Gegensatz zum Dt. eine feste Regel. Aus der Stellung des Subjekts bzw. Objekts kann auf den Kasus der Elemente geschlossen werden. (8) JoanSubjekt saw JohnObjekt. (9) I saw him.

(9a) *Him saw I. / Him I saw. [aber: John Bill hit. – markierter Satz] (10) JeannetteSubjekt a vu JeanObjekt. (11) Je l’ai vu. / Lui, je l‘ai vu. [bei Hervorhebung des Objekts] (11a) *Le j’ai vu. (c) Syntaktische Funktionen des Akkusativs (i) Der Akkusativ als Komplementkasus Die primäre Funktion des Akkusativs ist die Markierung des direkten Objekts. Die Kategorie des direkten Objekts kann am besten mit einer prototypbasierten Annäherung erfasst werden. Es bildet – zusammen mit dem Verb – den Kern des Satzes (García-Miguel 2007) und stellt ein Ziel dar, worauf die Handlung des Agens gerichtet ist. Das prototypische Objekt (Proto-Patiens in Dowty (1991); typisches Objekt bei hoher Transitivität in Hopper/Thompson (1980)) ist nicht belebt, nicht spezifisch, wird von einer telischen Handlung inkrementell, vollständig betroffen und erfährt dadurch eine Veränderung. Sätze mit hoher Transitivität verfügen auch über eine wichtige diskurssteuernde Rolle in narrativen Strukturen. Die vollständige Affiziertheit des Akkusativobjekts gegenüber anderen Strukturen kann systematisch gezeigt werden. Bei manchen Verben des Hinzufügens und des Entfernens sowie an deren Aktionsverben alterniert das Akkusativobjekt mit einem Adverbial. Derartige Strukturen sind z.B. im Engl. ((12), (14), (16)) ohne morphologische Veränderung des Verbs möglich (Moravcsik 1978: 255 f.) und werden im Dt. durch (perfektive) Partikelverben ausgedrückt ((13), (15), (17); vgl. Helbig 1992: 61). (12) John smeared paint on the wall. (13) Johann schmierte Farbe an die Wand. (12a) John smeared the wall with paint. (13a) Johann beschmierte die Wand mit Farbe. (14) John climbed the mountain. (15) Johann erstieg den Berg. (14a) John climbed up the mountain. (15a) Johann stieg auf den Berg. (16) John swam Lake Michigan. (17) Johann durchschwamm den Lake Michigan. (16a) John swam across Lake Michigan. (17a) Johann schwamm über den Lake Michigan. Im Dt. zeigen auch andere denotativ ähnliche Verbpaare (18), seltener Verben mit unterschied-

155 Akkusativ lichen Rektionen (19), die stärkere Involviertheit des Akkusativobjekts. (18) Er unterstützt seine Mutter. Er hilft seiner Mutter. (19) Er ruft ihn/ihm. ['bittet ihn herbei' bzw. 'verlangt mit lauter Stimme nach ihm'] (Beispiel von Dürscheid 1999: 43) Satzpaare mit Pertinenzakkusativ und Pertinenzdativ mögen einen ähnlichen Unterschied an den Tag legen ((20), (21)). (20) Er schneidet mir/mich in die Hand. [auch ganzheitliche Betroffenheit des Patiens möglich] (21) Er schneidet mir/*mich die Haare. [das Patiens ist nur teilweise betroffen] Auch eine Alternierung zwischen Akkusativ und Partitiv (bzw. Kasus mit partitiver Funktion wie z.B. genitivus partitivus) ist bei der Markierung direkter Objekte möglich (z.B. im Finn., (22)). Akkusativisch markierte Objekte sind eher vollständig betroffen, partitiv markierte nur teilweise. Der Partitiv ist dabei auch typisch für die Negation (z.B. im Poln., (23), vgl. Moravcsik 1978: 264; diese beiden Funktionen finden sich auch im älteren Dt., vgl. Dal/Eroms 2014: 19ff.). (22) Minä luen kirja-a. ['ich lese'1. Pers. Sg. 'Buch'Parti; 'Ich lese das Buch.' [im Buch]] tiv (22a) Minä luen kirja-n. ['ich lese'1. Pers. Sg. 'Buch'AKK; 'Ich lese das (ganze) Buch (zu Ende).'] (23) mam czas ['hab'1. Pers. Sg. 'Zeit'; 'ich habe Zeit'] (23a) nie mam czas-u [Negation 'hab'1. Pers. Sg. 'Zeit'Ge; 'ich habe keine Zeit'] nitiv Einen starken Perspektivenwechsel gewährleistet in Akkusativsprachen die Passivdiathese, in der am häufigsten eine Anhebung des Akkusativobjekts zum Subjektsnominativ stattfindet (24). (24) Die Studentin schließt das Fenster. (24a) Das Fenster wird (von der Studentin) geschlossen. Von den weniger prototypischen Verwendungen des Akkusativobjekts sind jene hervorzuheben, die kein Handlungsobjekt bezeichnen. Solche finden sich bei den pseudotransitiven Verben (Mittelverben), die keine Handlung bezeichnen und deren Akkusativobjekt daher nicht als Subjekt eines Passivsatzes erscheinen kann (z.B. haben, bekommen). Auch die sog. inneren Objekte repräsentieren einen Sonderfall des Akkusativobjekts (z.B. ein gutes Spiel spielen). Im Fall der inkorporierten Objekte (z.B. Zeitung

lesen, Auto fahren) verhalten sich die akkusativischen Bestandteile wie trennbare Verbbestandteile (Klammerbildung, fehlende Zugänglichkeit für morphologische und syntaktische Operationen). Es gibt im Dt. auch Satzstrukturen mit zwei Akkusativformen. Dies widerspricht der Auffassung, dass der Kasus – neben der Markierung einer Dependenzbeziehung – auch eine distinktive Funktion haben soll, d.h. die Aufgabe habe, die Partizipanten mit unterschiedlichen semantischen Rollen voneinander zu unterscheiden (vgl. Primus 2011). Einerseits finden sich im Dt. Konstruktionen mit zwei Akkusativkomplementen, etwa lehren, abfragen, bei denen die beiden Akkusative zentrale Partizipanten des Satzes markieren (25). Hier finden sich in der Umgangssprache auch Ausweichstrukturen mit Dativ (den Schülern, (25a)). (25) Der Lehrer hat die Schüler die Vokabeln abgefragt. (25a) Der Lehrer hat den Schülern die Vokabeln abgefragt. Andererseits treten akkusativische Adverbiale auch in Sätzen mit Akkusativkomplementen auf (26). (26) Er schreibt seiner Freundin jeden Tagadverbiaeinen LiebesbriefAkkusativkomplement. ler AKK Der Akkusativ kommt auch als Komplement zur Adkopula (27) bzw. zum Adj. (28) vor (Zifonun et al. 1997: 1293f.). (27) Ich bin ihn los. (28) Wir sind das Gejammer gewohnt. Der adverbiale Akkusativ kann auch die Funktion eines Prädikativkomplements erfüllen, von einem Verb (29) oder von einem Adj. (30) regiert (Zifonun et al. 1997: 1294). In diesen Fällen ist die Funktion des Akkusativs weder eine Gleichsetzung (vgl. Punkt (e)), noch ist er lexikalisch von dem Verb bzw. Adj. gefordert (30), sondern es wird ein Maß, eine Dimension o.Ä. angegeben (vgl. Punkt (b)). (29) Die Sitzung dauert einen Tag. (30) Er ist einen Tag alt und acht Pfund schwer. (ii) Akkusativ als Supplementkasus Der Akkusativ tritt auch in der Rolle eines freien Adverbials (Supplements) auf und gibt ein Maß, eine Menge, eine Entfernung, eine Dauer o.Ä an (31). (31) Er arbeitet den ganzen Tag.

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Akkusativ 156

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(iii) Absoluter Akkusativ Als absoluter, losgelöster Akkusativ wird einerseits jede unregierte Verwendung des Kasus, d.h. auch der adverbiale Akkusativ, betrachtet (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 188f.). In den aktuellen Grammatiken wird darunter jedoch nur eine elliptische Struktur mit einem Partizip (zu dem allerdings ein Rektionsverhältnis besteht) oder einer Präpositionalkonstruktion verstanden, die inhaltlich stets „Beschreibungen von Körperhaltungen (den Kopf gesenkt) oder von Objekten in Relation zu Körperteilen (den Hut in der Hand)“ ausdrückt (Hentschel/Weydt 2003: 188). Die Funktion solcher Strukturen ist immer die eines Modaladverbials (32). (32) Den Hut in der Hand, trat er höflich ins Haus. (iv) Akkusativ bei Präpositionen Der Akkusativ kommt auch als Rektionskasus von (vor allem primären) Präpositionen vor (z.B. durch, gegen, um und bei sog. Wechselpräpositionen wie in, auf, an). Bei (urspr.) lokalen Präpositionen findet ein regelmäßiger Wechsel mit Dativ statt, wobei die Akkusativrektion ein Ziel, die Dativrektion eine Position beschreibt. Der Wechsel von Dativ und Akkusativ tritt auch bei einer Reihe von Verben (aufnehmen in, versinken in, verschwinden hinter, klopfen an, einschließen in u.a.) auf, „die von der Bedeutung her (denotativ) zielgerichtet sind, aber (von der Perspektive – auf das Geschehen – her) entweder ‚zielbetont‛ (mit Dativ) oder ‚richtungsbetont‛ (mit Akkusativ) auftreten können“ (Helbig 1992: 60). (v) Akkusativ als Kongruenzkasus Zu den grundlegenden Funktionen von Kasus, so auch des Akkusativs, gehört die Kennzeichnung von Zusammengehörigkeit. Als Kongruenzkasus ist der Akkusativ im Dt. in den folgenden syntaktischen Funktionen anzutreffen: Als Objektsprädikativ (in Engels Terminologie: Gleichsetzungsakkusativ) kommt der Akkusativ in Strukturen mit zwei Akkusativkomplementen vor (z.B. nennen), die bei der Passivierung beide zum Nominativ werden. Die Verwendung des Objektsprädikativ ist auf wenige Verben des Dt. restringiert (vor allem nennen, heißen, schelten). (33) Er nannte seinen Freund einen Esel. (33a) Sein Freund wurde ein Esel genannt. In unspezifischen Kasusfunktionen, als Teil einer

variabel bezüglichen Adjunktorphrase (nach wie, als), in eher adverbialer bzw. attributiver Funktion ((34), (35)), sowie als Apposition (Zifonun et al. 1997: 1294) ist auch dieser Kasus belegt (35a). (34) Als besonders guten Freund des Hauses begrüßten wir ihn bereits an der Treppe. (35) Den Delphin als besonders possierliches Tier beobachten wir gern. (35a) Wir beobachteten den Delphin, ein besonders possierliches Tier. (vi) Selbständige Verwendung des Akkusativs Diese Verwendung ist vor allem in elliptischen Strukturen zu beobachten (36). Die Ellipsen drücken oft eine Aufforderung oder einen Wunsch aus und können dementsprechend auf solche Sätze zurückgeführt werden (37). (36) Wasser! Guten Tag! Guten Appetit! (37) Geben Sie mir Wasser! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag! Ich wünsche Ihnen guten Appetit! (d) Die Bedeutung des Akkusativs Die Bedeutungen des Akkusativs sind hochgradig abstrakt, seine Verwendungen in den verschiedenen Kontexten sind jedoch nicht beliebig. Allgemein wird dem Akkusativ eine Bedeutung als Zielkasus zugeschrieben. In der lokalistischen Kasustheorie, in der die Kasusbedeutungen auf räumliche Beziehungen zurückgeführt werden, wird der Akkusativ als Kasus betrachtet, der einen Endpunkt, ein Ziel der Bewegung oder Handlung ausdrückt (vgl. Wüllner 1827). Die Präpositionen werden nur als Präzisierung dieser Grundbedeutung angesehen. Die strukturalistischen Auffassungen, die in der Distribution der Kasus Oppositionen zu finden versuchten, bauen teilweise auf lokalistische Voraussetzungen (z.B. Hjelmslev) oder suchen abstraktere Merkmale zur Unterscheidung derselben. Im Rahmen der GG wird den Kasus generell keine Bedeutung zugeschrieben. Statt dessen wird hier von einer lexikalischen oder strukturellen Zuweisung der Kasus an die jeweiligen Phrasen ausgegangen. Der Akkusativ gilt in den meisten Fällen als struktureller Kasus, da er syntaktisch abgeleitet und in Passivtransformationen veränderbar ist. In den Konstruktionsgrammatiken (z.B. Goldberg 1995; Croft 2001) werden sprachliche Ein-

157 Akkusativ heiten, so auch die Kasuskonstruktionen, als Form-Bedeutungspaare angesehen. Hier kommt z.B. der Transitivität als Schema eine allgemeinere Bedeutung zu, die mit der Bedeutung anderer Einheiten im Satz (vor allem Verbbedeutung) kompatibel sein muss, oder deren Kompatibilität metaphorisch hergestellt werden soll (41). (38) Er/Sie seufzte. (39) Sie sagte einen Satz. [transitives Schema] (40) Er seufzte einen tiefen Seufzer der Erleichterung. [‚intransitives‘ Verb mit innerem Objekt, transitives Schema] (41) Sie seufzte einen Satz, der mir weh tat. [‚intransitives‘ Verb mit transitivem Schema] In der Cognitive Grammar wird Kasusbedeutung mit prototypbasierten radialen Polysemstrukturen wiedergegeben. Als Ausgangspunkt gilt hier ebenfalls die lokale Bedeutung 'Ziel', im konkreten Sinn auch Ziel einer Bewegung. Allgemeiner entspricht der Akkusativ auch dem Ziel eines Energietransfers, was seinen Ursprung in der sog. Kraftdynamik (force dynamics, Modellierung der Ereignisse, Modalität u.a. als energetische Interaktion; Talmy 1988; Langacker 1999) findet. Den konkreten Bewegungsaspekt stellt Smiths (1993) Beschreibung des dt. Akkusativs in den Vordergrund. Hier wird die akkusativische Größe generell als landmark (Hintergrundfigur) angesehen, mit dem ein Kontakt hergestellt wird. In Jandas Beschreibung des russ. Akkusativs finden sich bei den Bedeutungen drei miteinander zusammenhängende Bereiche (Janda 2000), die sich auch auf das Dt. anwenden lassen: ein Ziel, ein Endpunkt und eine (dazwischen befindliche) Dimension. Diese Bereiche gelten jeweils z.B. im räumlichen Sinne (in + Akk. als Ziel) oder als Ziel für eine Handlung (42). (42) Nehmen Sie meine Hand! Weiterhin gelten sie bei der Dimension der Entfernung und Dauer (einen Kilometer laufen, eine Stunde schlafen), der Größe und des Ausmaßes (70 Kilogramm wiegen), des Vergleichs (einen Meter höher springen), aber auch der Handlung (Gamba spielen, Fußball spielen) bzw. anderer Tätigkeiten, die im Dt. mit den Präpositionen über (und z.B. den Verben wissen, denken, sprechen) und durch stehen. Beim Bereich 'Endpunkt' sind lokale Konstruktionen wie in den Fluss fallen im Russ. auch temporale Konstruktionen zu finden. Bernadett Modrián-Horváth

≡ vierter Fall; Wenfall → § 16, 19; accusativus absolutus; Adverbialakkusativ; Bezugskasus; Dativ; freier Akkusativ; Genitiv; Kasus; lokalistische Hypothese; Nominativ → Gram-Syntax: Akkusativ mit Infinitiv; Akkusativergänzung; Akkusativobjekt; Cognitive Grammar; doppelter Akkusativ; Gleichsetzungsakkusativ; lokalistische Position ⇀ Akkusativ (CG-Dt; HistSprw)

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Akkusativ, absoluter 158

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Zugriff: 08.08.2017] ◾ Nichols, J. [1986] Head-marking and dependent-marking grammar. In: Lg 62: 56–119 ◾ Primus, B. [2011] Case marking typology. In: Song, J.J. [ed.] The Oxford Handbook of Linguistic Typology. Oxford: 303–321 ◾ Siewierska, A./ Bakker, D. [2009] Case and alternative strategies: Word order and agreement marking. In: Spencer, A./ Malchukov, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 290–303 ◾ Smith, M.B. [1993] Cases as conceptual categories. Evidence from German. In: Geiger, R./ Rudzka-Ostyn, B. [eds.] Conceptualization and mental processing in language. Berlin [etc.]: 531–567 ◾ Talmy, L. [1988] Force dynamics in language and cognition. In: CognSc 2: 49–100 ◾ Wüllner, F. [1827] Die Bedeutung der sprachlichen Casus und Modi. Ein Versuch. Münster ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Akkusativ, absoluter

→ accusativus absolutus

Akkusativ, adverbialer → Adverbialakkusativ

Akkusativ, freier → freier Akkusativ

Akkusativgruppe, adverbiale → Adverbialakkusativ

Akkusativinversionsverb

transitives Verb, das in der Grundwortstellung eine Subjekt-Objekt-Inversion aufweist. ▲ verb of nominative-accusative inversion: transitive verb that shows a subject-object inversion in its basic word order.

Der Terminus bezieht sich auf die topologische Eigenschaft einer Gruppe transitiver Verben mit Experiencer-Objekt, in der Grundwortstellung des Mittelfelds unter bestimmten Umständen das Subjekt nachzustellen, was eine inverse Anordnung im Vergleich zu Tätigkeitsverben mit prototypischer Agens-Patiens-Relation herstellt. Betroffen sind psychische Verben wie interessieren, faszinieren, ärgern: (1) […], dass die Zuschauer[Akkusativ] das Spiel[Nomiinteressiert/ärgert. nativ] Typisch ist auch die Frontstellung des Akkusativs im V2-Satz: (2) Die Zuschauer[Akkusativ] interessiert/ärgert das Spiel[Nominativ]. Bei den betroffenen Verben kommt es zu Konstellationen, in denen ein unbelebtes und damit nicht prototypisches (Stimulus)-Subjekt auf ein beleb-

tes (Experiencer)-Objekt trifft. Die unmarkierte Abfolge folgt hier einer Belebtheitshierarchie: Belebtes Objekt vor unbelebtem Subjekt (Zifonun et al. 1997: 1514f.). Der Begriff des Inversionsverbs gilt insofern nur eingeschränkt, da von einer Voranstellung des Akkusativs in der Grundwortstellung folglich nur im Falle unbelebter grammatischer Subjekte ausgegangen wird. Primus (2004: 392ff.) erklärt die Inversion im Zusammenhang mit der charakteristischen und übereinzelsprachlichen Kasusvarianz bei psychischen Verben. Der kasuell variablen Realisation der semantischen Rollen stehe eine invariante Präferenz für die Voranstellung des Experiencers gegenüber, sofern mit dem Stimulus kein starker kausaler Faktor assoziiert wird. Im Falle kontrollierender Stimuli ist die Grundabfolge entsprechend Stimulus vor Experiencer (3). (3) […], dass die Kinder den alten Mann erschrecken/ärgern. Die sprachhist. verwandte subjektslose/unpersönliche Konstruktion (mich ekelt/reut) geht im Gegenwartsdt. in persönlichen Konstruktionen auf (Wegener 1999: 183ff.). Max Möller

→ Dativinversionsverb; Inversionsverb; transitives Verb → Gram-Syntax: Experiencer; Topologie

🕮 Fanselow, G. [1991] „Ergative“ Verben und die Struktur des deutschen Mittelfelds. In: Hoffmann, L. [Hg. 1992] Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten (JbIdS 1991). Berlin [etc.]: 276–303 ◾ Primus, B. [2004] Protorollen und Verbtyp. Kasusvariation bei psychischen Verben. In: Kailuweit, R./ Hummel, M. [Hg.] Semantische Rollen. Tübingen: 377–401 ◾ Wegener, H. [1999] Zum Bedeutungs- und Konstruktionswandel bei psychischen Verben. In: Wegener, H. [Hg.] Deutsch kontrastiv. Tübingen: 171–210 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Akkusativkonversion

Prozess, bei dem das Akkusativobjekt der Aktivkonstruktion zum Nominativsubjekt der Passivkonstruktion wird. ▲ accusative conversion: process by which the direct object of an active construction is transformed into the subject of a passive construction. Die Akkusativkonversion tritt bei verschiedenen Passivkonstruktionen auf. Beim werden-Passiv wird das Akkusativobjekt der Aktivkonstruktion (1) zum Nominativsubjekt der Passivkonstruktion (1a). Dieser syntaktische Prozess erfolgt auch bei den semantisch markierten Passivvarianten,

159 Aktionsart dem Zustandspassiv (2), bleiben-Passiv (3) und gehören-Passiv (4). (1) Der Arzt verbindet die Wunde. (1a) Die Wunde wird verbunden. (2) Die Wunde ist verbunden. (3) Die Wunde bleibt verbunden. (4) Die Wunde gehört verbunden.

Tamás Kispál

→ Passiv; Passivkonverse → Gram-Syntax: bleiben-Passiv; gehören-Passiv; Vorgangspassiv; Zustandspassiv

🕮 Centre de Recherche en Linguistique Germanique [Hg. 1987] Das Passiv im Deutschen. Tübingen ◾ Helbig, G./ Bu­scha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

Aktionsart

lexikalisch-semantische Kategorie, die die zeitliche und/oder qualitativ-quantitative Verlaufsweise der Handlung bezeichnet. ▲ manner of action; lexical aspect; aktionsart: lexical-semantic category designating the temporal and/or qualitative-quantitative development of the action. Der Terminus Aktionsart ist von Brugmann (1885) geprägt worden; seine Bezeichnung umfasst Inhalte, die heute durch den Terminus Aspektualität abgedeckt werden. In der Germanistik und z.T. auch Slawistik war die Grenzziehung zwischen Aspekt und Aktionsart unscharf. Agrell (1908: 78) unternimmt eine klare terminologische Grenzziehung: „Unter Aktionsart verstehe ich […] nicht die beiden Hauptkategorien des slawischen Zeitwortes, die unvollendete und die vollendete Handlungsform (das Imperfektivum und das Perfektivum) – diese nenne ich Aspekte. Mit dem Ausdruck Aktionsart bezeichne ich […] Bedeutungsfunktionen der Verbalkomposita (sowie einiger Simplizia und Suffixbildungen), die genauer ausdrücken, wie die Handlung vollbracht wird, die Art und Weise ihrer Ausführung markieren“. Er weist auch darauf hin, dass die Bedeutung der Aktionsart aus einer lokalen Bedeutung entstanden ist. Das Präfix kann u.a. nur die Aspektänderung oder die mit einer aktionalen Modifizierung verbundene Aspektänderung bewirken. Im Bereich der Slawistik hat die Untersuchung von Isačenko (1962: 385–418) breite Aufnahme gefunden. Den Aktionsarten schreibt er drei notwendige Merkmale zu: zusätzliche Modifizierung der

Eigenbedeutung eines Ausgangsverbs; formales Ausdrucksmittel (Affixe, Postfix sja); aspektmäßige Unpaarigkeit (neuere Untersuchungen zeigten jedoch, dass es hier Ausnahmen gibt; vgl. Avilova 1976; Kątny 1994). Isačenko unterscheidet vier Hauptgruppen der Aktionsart: (a) Aktionsart mit Phasenbedeutung: die ingressive, evolutive, delimitative und resultative Aktionsart mit weiteren Untergruppen (z.B. perdurative, saturative, kumulative, finitive). Die Beispiele (1)–(6) stammen aus dem Russ. (1) begatʼ ['laufen'] – pobegatʼ ['eine Weile laufen'] (2) nabegatʼsja ['sich satt laufen'; 'sich die Beine nach etwas ablaufen'] (3) petʼ ['singen'] – dopetʼ ['zu Ende singen'] (4) kupitʼ ['kaufen'] – nakupitʼ knig ['viele Bücher kaufen'] (b) Aktionsart mit quantitativer Bedeutung: die attenuative, semelfaktive Aktionsart (5). (5) kolotʼ ['stechen'] – kolʼnutʼ ['einen Stich versetzen'] (c) Aktionsart mit iterativer Bedeutung: die diminutiven und die intensiven Iterativa (6). (6) kapatʼ – ['tropfen'] – pokapyvatʼ ['tröpfeln'] (d) Distributiva: Von den formal markierten Aktionsarten unterscheidet Isačenko den Verbalcharakter, „ein Merkmal der inneren Verbbedeutung“ (1962: 398). Im Dt. gibt es eine weite und eine enge Auffassung zu Aktionsarten. Die enge Auffassung wird von Steinitz (1981) vertreten: Aktionsarten sind eine Verbkategorie (nicht eine Kategorie des Satzes) und „basieren auf der paradigmatischen Distinktion Simplex : morphologische Ableitung“ (Steinitz 1981: 76). Zu den Aktionsarten zählt Steinitz nur einige ingressive und resultative Präfixableitungen (z.B. loslachen, auslernen, sich austoben), Suffixableitungen wie deuteln, plätschern und FVG vom Typ Präp. + substantivierter Infinitiv + Funktionsverb (ins Schwatzen kommen). Eine vergleichbare Auffassung findet man in Zifonun et al. (1997: 1860). Hier wird zwischen „den allgemeineren Verbalcharakteren und den nur auf Präfixverben bezogenen Aktionsarten“ differenziert. „Aktionsarten werden durch Verbalpräfixe gegenüber den Basisverben eingebracht, peripher auch durch das Suffix -(e)l (lächeln, streicheln)“. In der weiten Auffassung werden die Aktionsarten durch die Bedeutung des Verbs selbst,

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Aktionsart 160

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durch Affixe (hauptsächlich Präfixe), syntaktische Konstruktionen und lexikalische Mittel zum Ausdruck gebracht. Als oberstes Gliederungskriterium der Aktionsart gilt das Merkmal grenzbezogen (telisch) vs. nichtgrenzbezogen (atelisch). In vielen Grammatiken und älteren Studien wird die Bezeichnung perfektiv (auch terminativ oder punktuell) und imperfektiv (auch durativ oder kursiv) verwendet, was zu Missverständnissen geführt hat, denn mit den Termini perfektiv vs. imperfektiv wird die binäre Kategorie des Aspekts in den slaw. Sprachen bezeichnet. „Unter Aktionsart eines Verbs versteht man die Verlaufsweise und Abstufung des Geschehens, das vom Verb bezeichnet wird“ (Helbig/Buscha 2001: 62). Unter den perfektiven Verben unterscheiden die Verfasser die ingressiven, egressiven, mutativen und die kausativen Verben (nach der Aktionsart). In der Duden-Grammatik (2006) werden zuerst telische, atelische und neutrale Verben unterschieden. Zugleich wird richtungsweisend festgestellt: „Die Aktionsart eines Verbs ist in vielen Fällen nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern eher als ein Potential aufzufassen, das je nach dem Zusammenhang, in dem das Verb erscheint, die eine oder andere Richtung nehmen kann“ (2006: 416). Einfluss auf deren Bestimmung haben weitere Satzglieder – z.B. essen, trinken sind atelisch, aber ein Kilo Kirschen essen, zwei Glas Wein trinken telisch. Andersson (1972) differenziert zwischen lexematisch grenzbezogenen (telischen), nichtgrenzbezogenen (atelischen) und neutralen Verben (Aktionsart) als oberste Bedeutungsopposition, d.h. auf der höchsten Stufe der Abstraktion. Bei neutralen Verben (z.B. schreiben, bauen) handelt es sich um Verben, die „transitiv wie intransitiv gebraucht werden können“; beim transitiven Gebrauch werden sie als telisch eingestuft, „wenn sie ein effiziertes Objekt nehmen“ (1972: 41). Die Untersuchung erfolgt auf drei Stufen: auf der lexematischen Ebene (Subjekt + Prädikat + eine Ergänzung), auf der rektionellen Ebene II (mit weiteren Ergänzungen, Angaben) und auf prädikatsverbindender Ebene III (vgl. (7)–(9)). (7) den Wagen ziehen [lexematisch atelisch] (8) den Wagen auf den Hof ziehen [telisch] (9) Als er dies erfuhr, freute er sich. Das Verb sich freuen ist lexematisch atelisch, in (9) wird es als telisch gedeutet. Einige grammatische Besonderheiten des Dt.

stehen mit den Aktionsarten in Verbindung (vgl. Helbig/Buscha 1981: 65f.; Zifonun et al. 1997: 1862): – Perfektbildung mit haben und sein (i) Bei intransitiven Verben wird das Perf. bei atelischen (durativen) hauptsächlich mit haben und bei telischen Verben mit sein gebildet, z.B. blühen – er-/verblühen; brennen – abbrennen; bluten – verbluten; glühen – ausglühen; faulen – verfaulen. (ii) Bei Verben der Bewegung ohne Ortsveränderung (atelisch) wird das Perf. mit dem Hilfsverb haben gebildet, bei Verben mit Lage- oder Ortsveränderung (telisch) mit sein: tanzen – durch den Saal tanzen; hinken – über den Platz hinken; schwimmen – auf das andere Ufer schwimmen. – Die attributive Verwendung des Partizips II ist bei den atelischen intransitiven Verben blockiert. Möglich ist sie hingegen bei den telischen Verben: *die geblühte Blume – die verblühte Blume; *der im Fluss geschwommene Junge – der auf das andere Ufer geschwommene Junge. – Beim Perf. und Prät. bewirkt das telische Verb den Vollzug (Abgeschlossenheit) der Handlung, bei den atelischen nur die Vergangenheit. In der engl. Fachlit. wird die Bezeichnung Aktionsart kaum verwendet; stattdessen spricht man von vier Verbklassen, Situationstypen oder Zeitschemata (time schemata), die auf Vendler (1957) zurückgehen und über Merkmalskombination unterschieden werden: (a) states (Zustände: [-dynamisch, -telisch, +durativ]; wissen, lieben, schlafen); (b) activities (Aktivitäten, Prozesse: [+dynamisch, -telisch, +durativ]; Suppe essen, schreiben, Kreise zeichnen, laufen); (c) accomplishments (ausgedehnter Zustandswechsel: [+dynamisch, +telisch, +durativ], einen Kreis zeichnen, die Suppe essen, einen Aufsatz schreiben, ein Haus bauen, zur Post laufen); (d) achievements (Ereignisse, punktueller Zustandswechsel: [+dynamisch, +telisch, -durativ], etwas finden, aufwachen, sterben, entdecken, das Ziel erreichen, eine Grenze überqueren). Die Klassifikation von Vendler bezieht sich nicht nur auf Verben, sondern auch auf VPn (insbesondere bei accomplishments). Die Zuordnung zu den einzelnen Klassen ist kontextabhängig und hängt u.a. vom Typ des Objekts (Individual- und Massennomen, Masseneinheit, Numerale), Direktional-, Iterativ- und Daueradverbial, Zielangabe ab, worauf u.a. Verkuyl (1972) und Krifka (1989)

161 Aktionsart hingewiesen haben. Verkuyl (1972; 1993) unterscheidet zwischen „outer aspect“ (viewpoint oder grammatical aspect) und „inner/telicity“ oder „predicational aspect“. Der letztere Begriff basiert auf der Unterscheidung zwischen telischen (terminativen in seiner Terminologie) und atelischen (durativen) Prädikaten. Ausschlaggebend für die Zuordnung der Situationen zu den telischen oder atelischen ist das Zusammenspiel der aktionalen Bedeutung des Verbs und seiner Argumente (kompositionelle Telizität). Er unterscheidet zwischen spezifischen [+ SQA] und unspezifischen Argumenten/Objekten [- SQA]. Bei den spezifischen quantifizierten Objekten handelt es sich um zählbare Maßeinheiten. Von Verkuyl sind einige Regeln formuliert worden, die für Verben der Konsumption, Kreation sowie der Bewegung gelten – z.B. (a) ein atelisches Verb + [+ SQA] ergibt eine telische VP; (b) ein atelisches Verb + [- SQA] ergibt eine atelische VP. Einige z.T. modifizierte Beispiele aus Verkuyl (1993: 15f.) veranschaulichen dies ((10)–(15)). (10) They ate cheese, sandwiches. (11) They ate three sandwiches. (12) They drank whisky. (13) They drank a litre of whisky. (14) He walked. (15) He walked a kilometre / to the station. Diese Regeln kann man auch auf das Dt. und andere germ. Sprachen beziehen. In den Aspektsprachen wird dies durch den Aspekt ausgedrückt (in Klammern die poln. Entsprechungen: pf = perfektiver Aspekt, ipf = imperfektiver Aspekt): (16) Wein trinken [pićipf wino] (16a) den Wein, ein Glas Wein trinken [wypićpf wino, kieliszek wina] (16b) täglich ein Glas Wein trinken [wypijaćipf codziennie kieliszek wina] (17) Brot essen [jeśćipf chleb] (17a) das Brot essen [zjeśćpf chleb] Massennomina sind nicht-spezifisch. Durch zählbare Maßeinheiten (den bestimmten Artikel, Numeralia, Behälterbezeichnungen) werden sie zu spezifisch quantifizierten. Krifka (1989) knüpft u.a. an Verkuyl (1972) an und sieht einen Zusammenhang zwischen der „Nominalreferenz von Verbargumenten“ und der „Zeitkonstitution von komplexen Verbausdrücken“ (1989: 236). Er unterscheidet zwischen kumulativen (Wein trinken; Birnen essen) und

gequantelten Ereignissen (ein Glas, eine Flasche Wein trinken; eine Birne essen). Seine Einteilung der Substantive in zwei Gruppen entspricht i.A. der von Verkuyl [+/- SQA] (vgl. auch Filip 1999; Sasse 2001; Smith 1991). Andrzej Kątny

→ § 16; Aspektsprache; atelische Aktionsart; delimitative Ak-

tionsart; diminutiv; diminutiv-iterative Aktionsart; egressive Aktionsart; Ereignisverb; ingressives Verb; intensiv-iterative Aktionsart; kursives Verb; mutatives Verb; Phasenaktionsart; telische Aktionsart; verbale Kategorie; Zustandsverb → Gram-Syntax: Aspekt; imperfektiver Aspekt; perfektiver Aspekt ⇀ Aktionsart (Wobi; SemPrag)

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A

Aktionsart, atelische 162

A

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Aktionsart, atelische

Aktionsart, iterative → iterative Aktionsart

Aktionsart, perdurative → perdurative Aktionsart

Aktionsart, perfektive → perfektive Aktionsart

Aktionsart, punktuelle → punktuelle Aktionsart

Aktionsart, resultative → resultative Aktionsart

Aktionsart, telische → telische Aktionsart

Aktionsart, terminative → terminative Aktionsart

→ atelische Aktionsart

Aktionsart, transformative

→ delimitative Aktionsart

Aktiv

Aktionsart, delimitative Aktionsart, diminutiv-iterative → diminutiv-iterative Aktionsart

Aktionsart, durative → durative Aktionsart

Aktionsart, egressive → egressive Aktionsart

Aktionsart, frequentative → iterative Aktionsart

Aktionsart, imperfektive → imperfektive Aktionsart

Aktionsart, inchoative → inchoative Aktionsart

Aktionsart, intensiv-iterative → intensiv-iterative Aktionsart

Aktionsart, intransformative → intransformative Aktionsart

→ transformative Aktionsart

1. in Nominativ-Akkusativ-Sprachen das morphologisch und syntaktisch unmarkierte Verbalgenus, bei dem das Agensargument eines transitiven Verbs als Subjekt und das Patiensargument als direktes Objekt realisiert wird. ▲ active: in nominative-accusative languages, the morphologically and syntactically unmarked voice in which the agent argument of a transitive verb is realized as the subject and the patient argument is realized as the direct object.

2. in Aktiv-Inaktiv- bzw. Aktiv-Stativ-Sprachen der Kasus bzw. Argument-Linker, mit dem das agentive Argument transitiver und intransitiver Verben markiert wird. ▲ active: in active-inactive or active-stative languages, the case marker or argument linker which marks the agent arguments of transitive and intransitive verbs. Zu 1: Das Aktiv ist in Nominativ-Akkusativ-Sprachen eine der Subkategorien des Verbalgenus (genus verbi). Nach dem traditionellen, vom AktivPassiv-Kontrast im Lat. geprägten Verständnis ist das Verbalgenus eine morphologische Kategorie

163 Aktiv des Verbs, durch deren Subkategorien Aktiv und Passiv unterschiedliche Abbildungen der thematischen Rollen eines Verbs auf die syntaktischen Funktionen Subjekt und Objekt kodiert werden. Unter dieser Sichtweise kann das Aktiv in dreierlei Hinsicht als das unmarkierte oder zugrunde liegende Verbalgenus betrachtet werden: (a) die Aktivform ist für jedes Verb verfügbar; (b) sie ist morphologisch weniger komplex als die Passivform; (c) die Realisierung der Verbargumente als Subjekt und Objekt entspricht ihrer semantischen Prominenz (z.B. in der Hierarchie der thematischen Rollen). Die Beispiele aus dem Jap. in (1) und (2) illustrieren die morphologische Unmarkiertheit der Aktivform gegenüber der Passivform und die unterschiedliche Argumentrealisierung im Aktiv- und Passivsatz. Im Aktivsatz (1) gibt es keine morphologische Markierung des Verbalgenus, die Realisierung des Agens im Nominativ (Subjekt) und des Patiens im Akkusativ (direktes Objekt) entspricht der unmarkierten Argumentrealisierung bei transitiven Verben in Nominativ/Akkusativ-Sprachen. Im Passivsatz (2) trägt das Verb eine Passivmarkierung, das Patiens ist als Subjekt realisiert, das Agens als oblique Dativ-NP. Wie die Übersetzung der Beispiele zeigt, steht im Dt. das Verb im Aktiv in der Grundform. Wie im Jap. wird das Agensargument als Subjekt im Nominativ realisiert und das Patiensargument als Objekt im Akkusativ. Das Passiv wird anders als im Jap. periphrastisch gebildet (Hilfsverb werden und Partizip II). Wie im Jap. wird das Patiensargument im Dt. als Subjekt realisiert, das Agensargument dagegen durch eine von-Phrase ((1), (2); Shibatani 2004: 1146). (1) Taroo ga Hanako o korosi-ta [Taro[Nominativ] Hanako[Akkusativ] töt-[Prät.]; 'Taro tötete Hanako.'] (2) Hanako ga Taroo ni korosa-re-ta [Hanako[Taro[Dativ] töt-[Passiv-Prät.]; 'Hanako wurde Nominativ] von Taro getötet.'] (1) und (2) illustrieren, dass der Kontrast zwischen Aktiv und Passiv durch zwei Kriterien definiert ist: die morphologische Form des Verbs sowie die syntaktische Realisierung des Agens- und des Patiensarguments. Eine sprachübergreifende Definition des Aktivs ist allerdings schwierig, da die beiden Kriterien abhängig von den jeweiligen Subkategorien des Verbalgenus in den Einzel-

sprachen (z.B. Aktiv im Kontrast zu Passiv, Medium, Invers) und ihrer Grammatikalisierung unterschiedlich ausgeprägt sind (vgl. Shibatani 2004). Die Eigenschaft, alternative Argu­ment­rea­li­sie­ run­ gen eines Verbs zu kodieren, teilen Aktiv und Passiv mit anderen Diathesen wie Applikativ oder Kausativ. Während bei der Klassifizierung als Verbalgenus die morphologische, paradigmenbildende Eigenschaft im Vordergrund steht, ist für die Klassifizierung als Diathese die Argumentrealisierung relevant. In Sprachen mit Aktiv-Passiv-Systemen lässt sich die Aktivform unter beiden Aspekten als die zugrunde liegende, morphologisch und syntaktisch unmarkierte Verbform betrachten, von der Formen mit anderer Argumentrealisierung durch morphologische bzw. syntaktische Operationen abgeleitet werden können. In Systemen, in denen die Aktivform mit anderen Verbalgenera kontrastiert, sieht das anders aus. In Aktiv/Medium-Systemen verfügen nicht alle Verben über eine zugrunde liegende Aktivform. Obwohl das Medium in Sprachen wie dem Altgriech. ((3)–(7)) oder dem Fula (Niger-Kongo) (vgl. (8)–(12)) wie das Passiv bei transitiven agentiven Verben als argument­reduzierende Diathese fungiert (vgl. Altgriech. (3) und Fula (8)), gibt es neben Verben, die nur im Aktiv auftreten können (activa tantum, vgl. Altgriech. (4), (5) und Fula (9), (10)), auch Basisverben, die nur im Medium auftreten können (media tantum; vgl. Altgriech. (6), (7) und Fula (11), (12)). Klaiman (1991) klassifiziert Aktiv und Medium dementsprechend als basic voice. Diese ist wie das Genus bei Nomen eine inhärente grammatische Eigenschaft des Verbstamms. Jeder Verbstamm ist demnach lexikalisch für eine basic voice spezifiziert, in Aktiv/Passiv-Sprachen für Aktiv, in Aktiv/Medium/(Passiv)-Sprachen für Aktiv oder Medium. Im Unterschied dazu sind derived voices, zu denen das Passiv gehört, immer abgeleitet. Für das Altgriech. folgen Verben mit Aktiv und Medium (3), mit activa tantum ((4), (5)), mit media tantum ((6), (7)). (3a) ksuré-ō[Aktiv]: rasier-[1. Pers. Sg. Aktiv] ['Ich rasiere (jmdn.).'] (3b) ksuréo-mai[Medium]: rasier-[1. Pers. Sg. Medium] ['Ich rasiere mich.'] (4a) nosé-ō[activa tantum] ['Ich bin krank.'] (4b) *noséo-mai

A

Aktiv 164

A

(5a) gelá-ō[activa tantum] ['Ich lache.'] (5b) *geláo-mai (6a) aidéo-mai[media tantum] ['Ich schäme mich.'] (6b) *aidé-ō (7a) ága-mai[media tantum] ['Ich staune, wundere mich.'] (7b) *ága-ō Für Fula folgen Verben mit Aktiv und Medium (8), mit activa tantum ((9), (10)), mit media tantum ((11), (12)). (8a) loot-a[Aktiv]: wasch-[Konjunktiv Aktiv] ['jmdn. waschen'] (8b) loot-o[Medium]: wasch-[Konjunktiv Medium] ['sich waschen'] (9a) mawn-a ['groß werden/sein'] (9b) *mawn-o (10a) hur-a ['schnarchen'] (10b) *hur-o (11a) hiim-o ['erwägen, sich überlegen'] (11b) *hiim-a (12a) sey-o ['glücklich sein'] (12b) *sey-a Im Fula werden die Verbalgenera Aktiv, Passiv und Medium über Flexionssuffixe kodiert, andere Diathesen dagegen durch Derivationssuffixe. In Sprachen, in denen das Verbalgenus durch die Verbflexion kodiert wird, lassen sich Diathesen und Verbalgenus also grammatisch voneinander abgrenzen. Der Sonderstatus der als Verbalgenera grammatikalisierten Formen gegenüber den anderen Diathesen lässt sich tentativ dadurch charakterisieren, dass hier jeweils unterschiedliche semantische Eigenschaften der Partizipanten für die Realisierung als Subjekt relevant sind. Das Aktiv kodiert, dass das semantisch prominenteste Argument als Subjekt realisiert wird (d.h., die syntaktische Realisierung spiegelt die semantische Hierarchie der Argumente), die markierten Verbalgenera kodieren, dass eine Abweichung von der unmarkierten Abbildung vorliegt. Beim Passiv besteht diese Abweichung darin, dass das Agensargument nicht als Subjekt realisiert wird, beim Medium (vereinfacht dargestellt) darin, dass das Subjekt – bezogen auf die semantischen Eigenschaften des individuellen Verbs – untypische Kontrolleigenschaften hat (vgl. Klaiman 1991; Kaufmann 2004). Aus dem Status des Aktivs als zugrunde liegende Diathese bzw. unmarkiertes Verbalgenus ergibt sich, dass für das Aktiv im Gegensatz zum

Passiv traditionell keine spezifische syntaktische Operation/Repräsentation angesetzt wird. Die Argumentrealisierung der Aktivform ergibt sich aus der Anwendung der (theorieabhängig unterschiedlichen) Linkingprinzipien auf die Argumente des Basisverbs. Croft (2001: 285) definiert in seiner Version der Construction Grammar die sprachspezifische Kodierung der grammatischen Relationen Subjekt und (direktes) Objekt auf der Basis der Realisierung des Agens- und Patiensarguments der Aktivform. In lexikalistischen Theorien wie z.B. der Lexical Functional Grammar (LFG) (Bresnan 1982; 2001), der Role and Reference Grammar (RRG) (van Valin 2005), der Conceptual Semantics (Jackendoff 1990) oder der Lexical Compositional Grammar (Joppen/ Wunderlich 1995; Stiebels 2002) ergibt sich die syntaktische Realisierung der Argumente der Aktivform durch generelle Linkingprinzipien aus den semantischen Eigenschaften der Verb-Argumente, während für die Passivform zusätzlich eine Operation auf der Argumentstruktur angenommen wird. In der Generativen Syntax wird parallel dazu angenommen, dass bei transitiven Aktivformen jedem Argument des Verbs eine thematische Rolle und Kasus zugewiesen wird, während Passivformen dem Patiens-Argument keinen Akkusativ zuweisen können, und dadurch die Bewegung des Arguments in die Subjektposition erzwingen. In neueren Analysen im Rahmen der Generativen Syntax wird das Verbalgenus nach einem Vorschlag von Kratzer (1996) im Strukturbaum als funktionaler Kopf repräsentiert. Kratzer (1996) argumentiert aufbauend auf Marantz (1984) dafür, das externe Argument nicht als Argument des Verbstammes zu analysieren, sondern als Argument eines funktionalen Kopfes, den sie als Voice-Kopf identifiziert. Obwohl die Annahme, dass das externe Argument durch einen funktionalen Kopf eingeführt wird, inzwischen weit verbreitet ist, zeigen die uneinheitliche Benennung dieses Kopfes (Voice, AgrS, little v) und die Tatsache, dass er häufig mit den unterschiedlichen thematischen Eigenschaften des externen Arguments bei verschiedenen semantischen Verbklassen in Verbindung gebracht wird, dass der Zusammenhang mit dem grammatischen Phänomen Verbalgenus nicht systematisch hergestellt wird. Ingrid Kaufmann

165 aktivisch ≡ Tatform; Tätigkeitsform ↔ Passiv → § 16; genus verbi; transitives Verb → Gram-Syntax: Argument; Diathese; direktes Objekt; Subjekt; syntaktische Funktion; Verbdiathese ⇀ aktiv (Wobi; CG-Dt)

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Zu 2: Anders als in Nominativ-Akkusativ-Sprachen, in denen die Subjekte transitiver und intransitiver Verben gleich markiert werden (mit dem Nominativ), während das Objekt transitiver Verben im Akkusativ realisiert ist, werden in Aktiv-Sprachen die Argumente intransitiver Verben abhängig von ihren semantischen Eigenschaften unterschiedlich markiert: agentive Argumente intransitiver Verben wie (agentive) Subjekte transitiver Verben mit dem Aktiv, nicht agentive Argumente intransitiver Verben dagegen wie (nichtagentive) Objekte transitiver Verben mit dem Inaktiv/Stativ. Die Kriterien, die die Distribution der Aktiv- und Inaktiv-Markierungen bestimmen (wie Agentivität, Aktionsart, Situationskontrolle) variieren sprachspezifisch (Mithun 1991). Van Valin (1990) verwendet deshalb den semantisch neutralen Begriff split intransitivity, Dixon (1994) den Begriff split-S (S = Subjekt intransitiver Verben) zur Charakterisierung solcher Argumentlinking-Systeme. Ingrid Kaufmann

→ § 16; intransitives Verb; Kasus; transitives Verb

A

→ Gram-Syntax: Argument; Subjekt ⇀ aktiv (Wobi; CG-Dt)

🕮 Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity (CamStLing 69). Cambridge ◾ Mithun, M. [1991] Active/agentive case marking and its motivations. In: Lg 67: 510–546 ◾ Valin, R.D. Jr. van [1990] Parameters of Split Intransitivity. In: Lg 66: 221–260.

aktives Affix

nicht produktives Affix in einer transparenten Ableitung. ▲ active affix: unproductive affix in a transparent derivation. Ein aktives Affix (-ling in Prüfling oder -sam in gemeinsam) ist eine Art Zwischenstufe (vgl. Dammel/Duke/Nübling/Szczepaniak 2013: 80) auf dem Weg vom Lexem (ahd. samo [→ nhd. -sam]; nhd. Riese, hoch, ähnlich) über das Halbaffix oder Affixoid (nhd. Riesen-, hoch-, -ähnlich) und das produktive Affix (ahd. -ahi → nhd. -icht; nhd. -bar, ent-, -ung-; ahd. -ing, nhd. -ling in Unsympathling; -sam in hörsam, vergnügsam) bis hin zum morphologischen Rest (-t in Fahrt; -ing[en] in Reutlingen, Metzingen, Tübingen; -icht in Dickicht, Kehricht, Röhricht). In seiner Definition der aktiven Regularität macht Eisenberg (2006: 217f.) deutlich, dass er Aktivität weniger als eine Eigenschaft des Morphems ansieht denn als eine Eigenschaft des Wortbildungsmusters. So ist -ling in Prüfling, Lehrling nurmehr aktiv, in abwertenden Bildungen wie Seichtling, Unsympathling (vgl. GWDS 1999; Artikeltext zu „-ling“) aber noch schwach produktiv.

→ Affix; Derivation; Produktivität; Suffix

Franziska Münzberg

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ GWDS [1999] = Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim [etc.] ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

aktivisch

die unmarkierte Grundform, die Basisdiathese betreffend, die die agenszentrierte Sachverhaltsdarstellung ausdrückt. ▲ active: concerning the unmarked basic form, i.e. basic diathesis, which expresses the agent-centered presentation of facts.

aktivisch 166

A

Die aktivische (täterzugewandte/agenszentrierte) Sachverhaltsdarstellung wird konträr zur passivischen (täterabgewandten/agensdezentrierten) gesehen. Das Attribut aktivisch wird im Dt. zur Beschreibung zahlreicher sprachlicher Phänomene herangezogen: (a) Es wird auf die Subkategorie des genus verbi, den prototypischen Aktivsatz, der die neutrale, unmarkierte (aktivische) Form des Verbs aufweist und dessen Subjekt mit einem Agens assoziiert ist, bezogen (1). In valenzgrammatischen Arbeiten wird in diesem Zusammenhang von der Grundvalenz/Ausgangsvalenz gesprochen, die sich auf die „Valenz der finiten aktivischen Verbform“ (Welke 2011: 122) bezieht und der zufolge ein Ausgangsvalenzträger als statisches Prädikat angenommen wird, das kategorial (in Passivsätzen) oder konstruktionell (z.B. in Resultativkonstruktionen) zu einem dynamischen Prädikat verändert werden kann (Ágel 2017). (1) Die Mutter[Subjekt, Agens] kocht dem kranken Kind eine feine Suppe. (1a) Dem Kind wird eine feine Suppe[Subjekt, Patiens] gekocht. (1b) Das Kind[Subjekt, Rezipient] bekommt eine feine Suppe gekocht. (b) Es wird auf aktivische Konstruktionen mit passivischer Lesart, zu denen die sog. Passivperiphrasen (auch Passivvarianten) (2), das Medium/ Mediopassiv (3) und das sich-lassen-Medium gezählt werden können, bezogen (4). (2) Das bleibt/steht abzuwarten. (3) Mit einem solchen Netbook arbeitet es sich leicht. (4) Mit einem solchen Netbook lässt (es) sich leicht arbeiten. (c) Es wird auf die haben + zu-Infinitiv-Konstruktion bezogen, die eine Notwendigkeit ausdrückt, und es wird damit vom Modalitätsverb sein + zu-Infinitiv abgegrenzt, welches passivisch interpretiert wird und kontextabhängig eine Notwendigkeit oder Möglichkeit zum Ausdruck bringt ((5) vs. (6)). (5) Er hat das noch heute zu erledigen. ['Er muss das noch heute erledigen.'] (6) Das ist noch heute zu erledigen. ['Das muss/ kann noch heute erledigt werden.'] (d) Es wird auf „unpersönliche aktivische Konstruktionen mit Dativ- oder Akkusativkomplement“ bezogen (Langer 1992: 12) ((7), (8)).

(7) Dem Bäcker graut vor sich. (Langer 1992: 12) (8) Mir ist kalt. (e) Es wird auf attributiv verwendete Partizipformen bezogen, die durch einen Relativsatz im Aktiv paraphrasiert werden können. Dabei wird vielfach davon ausgegangen, dass das Partizip I durchgängig aktivisch ist (9) (kritisch dazu Pakkanen-Kilpiä 2006) und sich nur das Partizip II intransitiver Verben aktivisch interpretieren lässt (10), weil es bei einem Nomen steht, das Subjekt des aktivischen Satzes ist (vgl. Plęs 2009: 224). (9) das lesende Kind → das Kind, das liest (10) eine studierte Frau → eine Frau, die studiert hat (f) Es wird auf das Gerundivum (zu-Partizip, „Modalpartizip“ (Thurmair 2013)) bezogen, das seine aktivische Entsprechung im Modalitätsverb haben hat (11). (11) die zu erfolgende Abstimmung → die Abstimmung hat zu erfolgen (Thurmair 2013: 97) (g) Es wird auf Funktionsverbgefüge (FVG) bezogen, denen eine aktivische (Subjekt ist Agens) und passivische Bedeutung zugeordnet wird, so dass auch von „Gegensatz-Paaren/Paarbildungen“ gesprochen wird (Henini/Jai-Mansouri 2016: 195) ((12), (13)). (12) Man erhebt einen Verdacht. ['Man verdächtigt jmdn.'] (13) Man gerät in Verdacht. ['Man wird verdächtigt.'] (h) Es wird auf verschiedene Suffixableitungen bezogen, bei denen die Motivationsparaphrase aktivisch zu interpretieren ist. Dies ist der Fall z.B. bei deverbalen Adjektiven (aktivisch modal: wenige -bar-Derivate (14), -lich-Bildungen von intransitiven Verben (15), -isch-Derivate verbaler Basen (16), -haft-Derivate verbaler Basen (17)) und deverbalen Substantiven (nomina agentis auf -er (18)). (14) Eltern sind für den Schaden ihrer Kinder haftbar. ['Eltern müssen für den Schaden ihrer Kinder haften.'] (15) ein taugliches Werkzeug ['ein Werkzeug, das taugt/ taugen kann'] (16) zänkisch ['jmd., der wegen Geringfügigkeiten mit anderen streitet/zankt'] (17) naschhaft ['jmd., der gern und oft Süßigkeiten isst/nascht']

167 Akzent (18) Dachdecker ['eine Person, die professionell das Dach deckt']. Petra Szatmári

→ Aktiv (1); genus verbi; Mediopassiv; Passiv; Passivvariante → Gram-Syntax: Agens; Diathese; Verbdiathese

🕮 Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Henini, F./ JaiMansouri, R. [2016] Zu den deutschen Funktionsverben und deren Übersetzung ins Arabische. In: Januschek, F. [Hg.] Transkulturelle Perspektiven auf mehrsprachige Regionen. Fes und Flensburg im Dialog. Hildesheim: 187–212 ◾ Langer, S. [1992] Subjektlose Sätze im Deutschen unter besonderer Berücksichtigung des unpersönlichen Passivs. Eine Untersuchung im Paradigma der Rektions- und Bindungstheorie. [Unter: http:// www.cis.uni-muenchen.de/download/publikationen/magarblanger92.pdf; letzter Zugriff: 26.05.2018] ◾ Pakkanen-Kilpiä, K. [2006] Zum Wesen des deutschen Gerundivs – Eine korpuslinguistische Analyse. In: NphMit 2/2006: 131–167 ◾ Plęs, Ł.M. [2009] Zur Typologisierung der Partizipien im Deutschen und Polnischen. In: ActUniLFG 5: 211–235 ◾ Thurmair, M. [2013] Das Modalpartizip im Deutschen – eine nicht zu vernachlässigende Konstruktion. In: GFL 2: 92–111 ◾ Welke, K. [2011] Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin.

aktuelles Präsens

Verwendungstyp des Präsens zum Ausdruck der Gegenwärtigkeit. ▲ current present tense: present tense referring to a current state or an event in progress. Ein aktuelles Präsens liegt dann vor, wenn die Ereigniszeit des vom Verb ausgedrückten Geschehens mit der Sprechzeit zusammenfällt, so dass das Geschehen aus der Perspektive der/des Sprechenden der Gegenwart zugeordnet werden kann. (1) Peter schläft. In (1) liegt insofern ein aktuelles Präsens vor, als zum Zeitpunkt der Äußerung von (1) gilt, dass Peter schläft. Wie (1) zeigt, kann diese Präsensbedeutung (im Gegensatz zum hist. Präs.) kontextunabhängig, auch ohne die gleichzeitige Verwendung von entsprechenden Temporalangaben (jetzt, gerade usw.) zu Stande kommen. Péter Maitz ↔ futurisches Präsens; generelles Präsens; historisches Präsens → Präsens; Tempus

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg

◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Akut

diakritisches Zeichen, das in erster Linie zur Bezeichnung phonologischer Phänomene wie steigender Tonakzent, Akzentposition und Vokalqualität dient. ▲ acute accent: diacritic used to mark phonetic/ phonological phenomena such as vowel quality or quantity, consonant quality, accent position or rising tone, as well as for semantic disambiguation or emphasis. Der Akut (von lat. acūtus 'spitz') – schon im griech. Alphabet zunächst zur Kennzeichnung des nichtfallenden Tonverlaufs eingeführt – ist in seiner graphischen Funktion ausgeweitet worden. In den vom Lat. abgeleiteten Alphabeten der europ. Nationalsprachen markiert der Akut: (a) den betonten Vokal (u.a. im Span. alegría 'Freude'); (b) die Höhe des betonten Vokals (z.B. im Frz. accent aigu für hohes, gespanntes [e] vs. accent grave für tieferes, ungespanntes [ε]); (c) die Vokallänge (z.B. im Tschech. mléko [mlε:ko] 'Milch'; im Altisl. dóttir 'Tochter'); (d) einen Diphthong (z.B. im Neuisl. dóttir ['douhtir']); (e) die Tonqualität (z.B. im Kroatischen fakultative Anzeige des langen steigenden Tons, z.B. rúka 'Hand'). Sekundäre Verwendungen des Akuts dienen vor allem der semantischen Disambiguierung (z.B. im Span.: Definitartikel el vs. Personalpron. él) und der Emphase (im Dt. Sie ist dié Fußballerin).

→ Akzent → Gram-Syntax: Intonation ⇀ akut (Phon-Dt; Schrling) ⇁ acute accent (Phon-Engl)

Renata Szczepaniak

🕮 Benediktsson, H. [1972] The First Grammatical Treatise. Reykjavik ◾ Pullum, G.K./ Ladusaw, W.A. [1996] Phonetic Symbol Guide. 2nd ed. Chicago, IL [etc.].

Akzent

suprasegmentale Eigenschaft von Silben, Wörtern, Phrasen und Sätzen, die durch intensivere Artikulation erzeugt wird. ▲ accent; stress: suprasegmental property of syllables, words, phrases and sentences that are produced with more intensive articulation. Der Akzent gehört zu den prosodischen Eigenschaften von Silben, Wörtern, Phrasen und Sät-

A

Akzentstelle 168

A

zen. Der phonologische Akzent wird mit Hilfe folgender phonetischer Mittel realisiert: (a) Lautstärke (Schallintensität); (b) Tonhöhe (Grundfrequenz); (c) Lautdauer; (d) artikulatorische Genauigkeit (meist bei den Vokalen). Je nach Nutzung und Gewichtung dieser phonetischen Korrelate werden drei Akzenttypen unterschieden: (a) Der dynamische Akzent (auch expiratorischer oder Druck-/Intensitätsakzent) basiert auf Unterschieden in der Lautstärke/‑intensität (z.B. Wortakzent im Dt.). (b) Der musikalische Akzent (auch: Tonakzent, tonaler Akzent) beruht auf Variation des Tonhöhenverlaufs (z.B. Wortakzent im Schwed., Kroatischen, Chin.; Satzakzent im Dt.) oder der Tonhöhe (z.B. Wortakzent in vielen Bantu-Sprachen). (c) Der quantitative Akzent wird durch die Erhöhung der Lautdauer erzeugt. (d) Der qualitative Akzent wird durch Unterschiede in der artikulatorischen Genauigkeit erzeugt. In der nichtakzentuierten Position kommen zentrale Vokale vor. Je nach Größe der Akzentdomäne unterscheidet man zwischen dem Silben-, Fuß-, Wort-, Phrasenund Satzakzent. Die Akzentstelle in einer größeren Domäne stimmt dabei mit der einer kleineren Domäne überein. Das Wort mit dem prominentesten Akzent trägt zugleich den Satzakzent (1). (1) Héute géhe ich ins KIno. (1a) Héute géhe ICH ins Kíno. (1b) Héute GEhe ich ins Kíno. (1c) HEUte géhe ich ins Kíno. Hinsichtlich der Akzentstelle unterscheidet man zwischen festem (z.B. Initial-, Final- oder Pänultima-) und freiem (beweglichem) Akzent (mit verschiedenen Prädiktabilitätsgraden). Weitere suprasegmentale Eigenschaften sind u.a. Intonation, Quantität, Rhythmus und Pausen. Renata Szczepaniak

→ § 30; Akzentstelle; Prosodie; Wortakzent → Gram-Syntax: Intonation; Satzakzent; syntaktischer Akzent ⇀ Akzent (Wobi; Sprachphil; HistSprw; Dial; Phon-Dt) ⇁ accent (Phon-Engl)

🕮 Dogil, G./ Williams, B. [1999] The phonetic manifestation of word stress. In: Hulst, H. van der [ed.] Word Prosodic Systems of the Languages of Europe. Berlin [etc.]: 605–658 ◾ Nespor, M. [1999] Stress Domains. In: Hulst, H. van der [ed.] Word Prosodic Systems in the Languages of Europe. Berlin [etc.]: 117–159.

Akzentstelle

Position der akzentuierten Silbe im Wort.

▲ stress placement; location of accent: position of the

accented syllable in a word.

Grundsätzlich muss zwischen der Position des Haupt- und Nebenakzents unterschieden werden. Je nach Prädiktabilitätsgrad der Hauptakzentstelle unterscheidet man zwischen: (a) festem Akzent (prädiktabel), der nach einer (einfachen) phonologischen Regel zugewiesen wird. In gewichtsinsensitiven Sprachen dient der Wortrand als Regelbezugspunkt. Je nach Entfernung zum Wortrand unterscheidet man zwischen Initialakzent (Tschech., Lettisch, Finn., Ung.), Postinitialakzent (Dakota), Antepänultimaakzent (Makedonisch), Pänultimaakzent (Poln.) oder Finalakzent (Frz.). In gewichtssensitiven Sprachen ist die Vergabe des Hauptakzents von der Silbenstruktur abhängig, z.B. im Lat. (Pänultimaakzent auf schwerer ́ Silbe wie in amīcus 'Freund', sonst Antepänultima. ánima 'Seele'). Der feste Akzent markiert die Wortgrenzen (deliminative bzw. demarkative Funktion). (b) freiem Akzent (wenig bis nicht prädiktabel), der nach komplexen phonologischen, morphologischen oder lexikalischen Regeln zugewiesen wird. Die Akzentstelle dient zur Unterscheidung von Wortformen (span. báilo 'ich tanze' vs. bailó 'sie hat getanzt'), Wortarten (engl. récord 'Aufzeichnung' vs. recórd 'aufzeichnen') und Lesarten (dt. úmgehen vs. umgéhen) oder ist völlig frei (russ. vodá ['Wasser, Nom. Sg. Fem.'] vs. rýba ['Fisch, Nom. Sg. Fem.']). Der freie Akzent hat damit distinktive Funktion. Der Neben- (auch Sekundär-)Akzent ist entweder morphologisch oder rhythmisch bedingt. Der morphologische Nebenakzent tritt in Komposita auf, wenn der Hauptakzent eines Kompositumsglieds zum Nebenakzent heruntergestuft wird (Háus + àrbeit), und kommt in Affigierungen vor, z.B. wenn das Affix den Hauptakzent an sich zieht (án + zìehen). Der rhythmische Nebenakzent wird nach phonologischen Regeln zugewiesen. In gewichtsinsensitiven Sprachen kommen Nebenakzente in regelmäßigen Abständen vor (z.B. dt. Kòmunìkatión), während in gewichtssensitiven Systemen die Silbenstruktur ausschlaggebend ist (der Nebenakzent kann z.B. auf jede schwere Silbe fallen). Die typologische Zuordnung des dt. Akzents ist schwierig. Er ist eher frei als fest, da es von der Grundtendenz zum Pänultimaakzent (Kohler

169 Allquantor 1995) zahlreiche teils phonologische, teils morphologisch/lexikalische Ausnahmen gibt. So unterliegt der Akzent folgenden phonologischen Beschränkungen (Vennemann 1991): (a) Vollsilbenregel: Nur Vollsilben können akzentuiert werden, z.B. Ebene [ˈe:.bə.nə]. (b) Dreisilbenregel: Nur die drei letzten Vollsilben können akzentuiert werden, z.B. Paradíes, Európa, Kánada. (c) Schwere Pänultima: Der Akzent geht nicht über eine schwere Pänultima, z.B. Veránda, Balaláika. Die Akzentstelle ist nach Eisenberg (1991) auch wortartenspezifisch: Pänultima (Trochäus) bei Substantiven (Segel), Antepänultima (Daktylus) bei Verben (segelte) und Adjektiven (buntere). Lexikalische Differenzierung kommt bei Simplizia (Café vs. Kaffee) und bei Derivaten (úmfahren – umfáhren) vor. Die Akzentstelle kann verschoben werden, z.B. um sog. stress clash (Aufeinandertreffen von zwei Hauptakzentstellen) zu vermeiden, z.B. Pàderbórn vs. Páderbòrner Úni; ánzièhen vs. den Róck ànziéhen. Renata Szczepaniak

→ § 30; Akzent; Silbenstruktur; Wortakzent

🕮 Eisenberg, P. [1991] Syllabische Struktur und Wortakzent. Prinzipien der Prosodik deutscher Wörter. In: ZS 10/1: 37–64 ◾ Hulst, H. van der [1999] Word accent. In: Hulst, H. van der [ed.] Word Prosodic Systems in the Languages of Europe. Berlin [etc.]: 3–115 ◾ Kohler, K.J. [1995] Einführung in die Phonetik des Deutschen. 2., neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Vennemann, T. [1991] Skizze der deutschen Wortprosodie. In: ZS 10: 86–111.

allgemeine Zustandsform

stark generalisierende Form des Zustandspassivs. ▲ general stative form: strongly generalizing form of the stative passive. Nach Helbig/Buscha (2001: 179–181) bezeichnet die allgemeine Zustandsform einen stark adjektivischen Typ des Zustandspassivs im Dt. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Prozessaspekt durch die Tilgung des Kopula-Segments worden stark reduziert wird, vgl. (1) vs. (2). (1) Die Stadt ist von Bergen umgeben (*worden). (2) Die Stadt ist von einer Mauer umgeben worden. In einem Teil solcher Konstruktionen ist die Überführung in ein dynamisches Passiv (d.h. werdenPassiv) nicht möglich, vgl. (3) vs. (4). (3) Im Salat sind Vitamine enthalten.

(4)

*Im Salat werden Vitamine enthalten. Wolfgang Schulze

→ Kopulaverb; Passiv → Gram-Syntax: Vorgangspassiv; Zustandspassiv

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Allomorph

Variante eines Morphems. ▲ allomorph: morpheme variant. Allomorphe sind Formen eines Morphems, die in mindestens zwei unterschiedlichen Kontexten vorkommen und damit bei gemeinsamer Bedeutung bzw. Funktion komplementär verteilt sind. Für grammatische Morpheme ist die einheitliche grammatische Funktion ausschlaggebend, vgl. die Allomorphe des Pluralmorphems in Menschen, Kind-er, Wind-e, Auto-s. Bei Derivation und lexikalischen Morphemen kommt formale Ähnlichkeit hinzu wie bei Schule/schulisch, Haus/ häus-lich, Rad [ra:t] / Rad-es [ra:dəs]. Die Verteilung der Allomorphe ist im Wesentlichen (a) phonologisch bedingt, wenn sie sich aus den lautlichen Eigenschaften des Kontextes herleiten lässt wie bei Rad, bei dem sich die Wahl der Allomorphe daraus ergibt, ob Morphem- und Silbengrenze übereinstimmen ([ra:t]) oder nicht ([ra:dəs]); (b) morphologisch bedingt, wenn sie sich aus den morphologischen Eigenschaften des Kontextes herleiten lässt wie bei den Pluralen (das Morphem Kind verlangt den Pl. -er).

→ Morph; Morphem ⇀ Allomorph (Wobi; Lexik; CG-Dt; Phon-Dt) ⇁ allomorph (CG-Engl; Phon-Engl)

Hilke Elsen

🕮 Dressler, W.U. [2015] Allomorphy. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 500–516 ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Neef, M. [2000] Morphologische und syntaktische Konditionierung. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 473–484 ◾ Neef, M. [2000] Phonologische Konditionierung. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 463–473 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Allquantor

logischer oder natürlichsprachlicher Operator, der ausdrückt, dass eine bestimmte Eigenschaft von

A

alternative Konjunktion 170

A

allen Individuen eines Modells oder einer Diskursdomäne erfüllt wird. ▲ universal quantifier: operator in logic or natural language that expresses the fact that a particular property holds of all individuals in a model or a domain of discourse. Der Allquantor drückt eine abstrakte Eigenschaft von Eigenschaften aus, nämlich die Eigenschaft, auf alle Individuen in der Diskursdomäne zuzutreffen. So drücken der natürlichsprachliche Allquantor alle in (1) und sein prädikatenlogisches Gegenstück in (1a) aus, dass die Eigenschaft, zum Äußerungszeitpunkt zu schlafen, auf alle Individuen in der Diskursdomäne D zutrifft. Der logische Allquantor wird dabei nach Frege (1879) durch das Symbol '∀' repräsentiert. (1) Alle schlafen. (1a) ∀x [schlafen’(x)] Ungeachtet der beobachtbaren semantischen Äquivalenz von (1) und (1a) gibt es zwei wesentliche Unterschiede zwischen natürlichsprachlichen Allquantoren und ihrem prädikatenlogischen Gegenstück. Zunächst verbinden sich natürlichsprachliche Quantoren syntaktisch und semantisch mit dem Denotat ihres NP-Komplements, also einem Mengenausdruck, wie in (2). Dagegen wird der logische Allquantor immer auf eine satzwertige Formel angewandt (2a): (2) [Jeder [NP Student]] schläft. (2a) ∀[student'(x) → schlafen'(x)] Aus den unterschiedlichen Selektionsbedingungen von natürlichsprachlichem und logischem Allquantor ergibt sich der zweite Unterschied: Der Anwendungsbereich (bzw. die Quantifikationsdomäne) von natürlichsprachlichen Allquantoren wird immer durch die Bedeutung eines (üblicherweise overten) NP-Komplements beschränkt. Dagegen ist der logische Allquantor unbeschränkt und quantifiziert notwendig über das gesamte Diskursuniversum (van Eijck 1991: 464). (1) und (2) zeigen, dass das Dt. zwei verschiedene Quantoren mit universeller Kraft hat, nämlich alle und jede/r/s. Außer dem unterschiedlichen Numerus unterscheiden sich die beiden Allquantoren auch in semantischer Hinsicht. Während alle sowohl mit distributiven als auch mit kollektiven Prädikaten kombiniert werden kann, ist jede/r/s inhärent distributiv und kann somit nicht

in Verbindung mit kollektiven Prädikaten auftreten, vgl. (3) und (3a). (3) Alle Studenten lachten / versammelten sich. (3a) Jeder Student lachte / *versammelte sich. Eine analoge Unterscheidung findet sich im Engl. (each/every – all, vgl. Vendler 1962: 147) sowie in einer Vielzahl von anderen Sprachen, vgl. z.B. die Artikel in Matthewson (2008). Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang erwogen, dass es sich nur bei den distributiven Allquantoren um echte Quantoren handelt, während nichtdistributive Quantoren semantisch als adnominale Modifizierer fungieren (Partee 1995: 564). Malte Zimmermann ≡ Universalquantor → Quantor → Gram-Syntax: Existenzoperator; Operator; Quantifikation ⇀ Allquantor (QL-Dt; SemPrag; Sprachphil) ⇁ universal quantifier (Typol)

🕮 Eijck, J. van [1991] Quantification. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [eds.] Semantics (HSK 6). Berlin [etc.]: 459–487 ◾ Frege, G. [1879] Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens. Halle/Saale ◾ Matthewson, L. [2008] Quantification. Universals and Variation. Amsterdam ◾ Partee, B.H. [1995] Quantificational Structures and Compositionality. In: Bach, E./ Jelinek, E./ Kratzer, A./ Partee, B.H. [eds.] Quantification in Natural Languages. Dordrecht: 541–601 ◾ Vendler, Z. [1962] Each and every, any and all. In: Mind 71: 145–160.

alternative Konjunktion ≡ alternativer Konjunktor

alternativer Konjunktor

Konjunktor, der die verbundenen Konnekte als Alternativen ausweist. ▲ alternative conjunctor: conjunctor that links propositions that represent alternatives. Der prototypische alternative Konjunktor des Dt. ist oder. Alternative Konjunktoren gleichen additiven, insofern sie eine symmetrische Beziehung zwischen zwei Sachverhalten (1) oder Entitäten (2) etablieren. (1) Entweder fahre ich mit dem Fahrrad oder ich laufe. (2) Ich nehme entweder das Fahrrad oder das Auto. Auch die durch alternative Konjunktoren verknüpften Elemente sind unter einem gewissen Gesichtspunkt als gleichwertig zu betrachten. Anders als bei den additiven Konjunktoren liegen

171 Analogiebildung diese allerdings nicht faktisch vor, sondern sind als hypothetische Möglichkeiten zu verstehen. Überdies stehen sie in einem Kontrastverhältnis.

Melitta Gillmann ≡ alternative Konjunktion; ausschließende Konjunktion; disjunktive Konjunktion → additiver Konjunktor; adversativer Konjunktor; adversativer Subjunktor

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Mauri, C. [2008] The irreality of alternatives. Towards a typology of disjunction. In: StLg 32/1: 22–55.

Ambiposition

sowohl in Voran- als auch in Nachstellung mögliche Verwendung von bestimmten Adpositionen. ▲ ambiposition: adposition which can be used either as a preposition or as a postposition.

Ambipositionen sind substantivbegleitende unflektierbare Elemente wie Prä- und Postpositionen (Adpositionen), die neben Substantiven, bei gleicher Bedeutung, unterschiedlich positioniert werden können. Im Dt. kommen vor allem die Präpositionen nach, wegen, gemäß, entlang als Ambiposition vor. (1) Nach meiner Meinung hat Sabine richtig gehandelt. (2) Meiner Meinung nach hat Sabine richtig gehandelt. (3) Ich bin wegen des Haartrockners gekommen. (4) Des Haartrockners wegen bin ich hier. (5) Der Wanderer lief den Fluss entlang. (6) Entlang dem Fluss lagen grüne Wiesen. Anna Molnár

→ Adposition; Adverb; Postposition; Präposition

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Analogiebildung

nach einem oder mehreren konkreten Vorbildern gebildetes Wort. ▲ analogy formation: word created based on one or more existing words. Als Analogiebildungen gelten in der Wortbildungslehre für gewöhnlich nur solche Wörter, die nicht kompositionell-regulär aus einzelnen Teilen gebildet sind, sondern als Ganzes (analogholistisch) nach dem Vorbild schon vorhandener

komplexer Wörter. So liegt für Stehauf-Frau die Analyse nahe, dass diese Form analog zu dem konkreten Vorbild Stehaufmännchen gebildet wurde, während z.B. Leser als Kombination aus dem Verbstamm les(en) und dem Derivationssuffix -er analysiert wird (für weitere Beispiele vgl. Fleischer/Barz 2012: 76f.). Nur diesem engen Verständnis von Analogiebildung trägt die obige Definition Rechnung. Das entspricht einem in der moderneren Ling. – spätestens seit dem generativen Paradigmenwechsel nach Noam Chomsky – verbreiteten Gebrauch des Terminus, der auf diese Weise zu einer Restkategorie der morphologischen Theoriebildung degradiert wird, die nur noch das erfassen soll, was sich nicht über die ansonsten angenommenen regulären Wortbildungsprozesse erklären lässt. Einen anderen Stellenwert hat der Terminus in älteren Sprachtheorien. Für Ferdinand de Saussure oder Hermann Paul, die hier ganz in der Tradition von Wilhelm von Humboldt standen, ist die Analogie – und mithin die Analogiebildung – ein zentrales Prinzip der schöpferischen Kraft von Sprache. Insbesondere Paul ([1880] 1975) räumt ihr einen wichtigen Platz ein. Hier umfasst der Begriff der Analogiebildung nicht nur Wortbildungen, sondern auch Flexionsformen sowie syntaktische Schemata. Paul ([1880] 1975: 110) definiert die Analogiebildung allgemein als „Auflösung einer Proportionengleichung“. Die Form senati z.B. lässt sich rekonstruieren als Auflösung einer Gleichung wie animus : animi = senatus : x (Paul ([1880] 1975: 117). Der vielleicht ambitionierteste Versuch einer Rehabilitierung der Analogiebildung – eigentlich: der Analogie überhaupt – für die morphologische Theorie ist die Arbeit von Becker (1990), die an die früheren Einsichten von Grammatikern wie Paul anknüpft. Die Pointe der Studie besteht darin, den vermeintlichen Gegensatz von (singulären) Analogiebildungen und (regulären) Wort- und Formenbildungen aufzuheben. Was als kombinatorisch aufgebaute Flexionsform oder regelhaft gebildetes Wort analysierbar ist, beruht ebenso auf Proportionsgleichungen wie das, was singulär bzw. irregulär erscheint. Morphologische Regeln sind demzufolge nichts anderes als proportionale Analogiebildungen, die sich lediglich in der Größe ihres Beschreibungsradius unterscheiden. Warum sollte z.B. Leser nicht

A

analytische Form 172

A

ebenso als Analogiebildung analysiert werden, nämlich analog zu Schreiber, Fahrer etc. nach Proportionsgleichungen wie schreiben : Schreiber = fahren : Fahrer = lesen : x? Der Unterschied wäre nur, dass die Menge der Vorbilder, auf die sich Sprachteilnehmer für die Bildung solcher deverbalen nomina agentis beziehen können, größer ist als in einem Fall wie Stehauf-Frau. Welche Formen tatsächlich als Vorbilder dien(t)en, ist eine empirisch zu beantwortende Frage. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass der Terminus Analogiebildung heute umstritten ist, denn die Klärung seiner theoretischen Relevanz wirft die Frage auf, wie die morphologische Theorie in der Beschreibung der Formen- und Wortbildung ganz grundsätzlich – zwischen kombinatorisch-syntagmatischen und holistischparadigmatischen Ansätzen als den zwei großen Polen – verfahren sollte (vgl. Eisenberg 2013: 152).

→ Derivation; Wort → Gram-Syntax: Analogie

Karsten Schmidt

🕮 Becker, T. [1990] Analogie und morphologische Theorie. München ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Paul, H. [1975] Prinzipien der Sprachgeschichte. 9., unveränd. Aufl. Studienausgabe. Tübingen.

analytische Form

Form, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die grammatischen Merkmale durch freie Morpheme realisiert werden. ▲ analytic form: form characterized by the fact that grammatical features are realized by free morphemes. Bei einem analytischen Sprachbau werden die einzelnen grammatischen Merkmale durch selbständige Wörter ausgedrückt. Eine solche Sprache unterscheidet sich dabei von einer synthetischen Sprache, in der diese Merkmale morphologisch durch Affixe realisiert werden. Eine typische analytische Sprache ist z.B. das Chin., aber auch das Engl. ist in hohem Grade analytisch. Im verbalen Bereich weist die engl. Sprache eine reiche Auswahl an freien Morphemen auf. Die analytische Form des Engl. in (1) kann in einer synthetischen Sprache wie etwa Lat. durch ein einziges Wort realisiert werden (2).

(1) It will be read. (2) Legetur. Dieses Phänomen lässt sich darüber hinaus anhand der analytischen Bildung des Futurs im Dt. illustrieren (3), im Gegensatz z.B. zu den synthetischen Formen des Ital. (4). (3) Er wird in zwei Stunden kommen. (4) Arriverà fra due ore. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ periphrastische Form ↔ synthetische Form → Affix; analytische Verbform; freies Morphem

🕮 Sapir, E. [1921] Language: An Introduction to the Study of Speech. New York, NY.

analytische Verbform

mehrteilige Verbform, in der bestimmte grammatische Inhalte von dem Vollverb getrennt, durch ein Hilfswort ausgedrückt werden. ▲ periphrastic verbal construction: verbal form containing more than one word in which some grammatical information is carried by an auxiliary element. Bei analytischen Verbformen werden grammatische Kategorien des Verbs – im Dt. Tempus (1), Modus (2) und genus verbi (3) – im Gegensatz zu den synthetischen, eingliedrigen Formen durch eine mehrteilige Konstruktion ausgedrückt, die sich in das jeweilige Wortparadigma eingliedert. (1) aß [synthetische Form, Prät. Indikativ Aktiv] (1a) hat gegessen [analytische Form, Perf. Indikativ Aktiv] (2) äße [synthetische Form, Prät. Konjunktiv Aktiv] (2a) würde essen [analytische Form, Ersatzform für Prät. Konjunktiv Aktiv] (2b) hätte gegessen [analytische Form, Plq.perf. Konjunktiv Aktiv] (3) isst [synthetische Form, Präs. Indikativ Aktiv] (3a) wird gegessen [analytische Form, Präs. Indikativ Passiv] Im Dt. bestehen analytische Konstruktionen typischerweise aus einem finiten Hilfsverb und einem infiniten Vollverb; hinzu können auch weitere infinite Hilfsverben treten (z.B. ist gegessen worden, wird gegessen gewesen sein). In vielen Grammatiken werden analytische Verbformen

173 nicht zu der Flexion i.e.S. gezählt (vgl. Eisenberg 2006), so dass das Flexionsparadigma eines Verbs nur synthetische, das Wortparadigma jedoch auch analytische Verbformen enthält. Der grundsätzliche Unterschied zwischen analytischen Verbformen und anderen syntaktischen Fügungen besteht in der oben gezeigten Paradigmenbildung, in der Grammatikalisiertheit der Struktur und der Nichtkompositionalität der Bedeutung. All diese Eigenschaften sind aber gradueller Natur, so dass die Grenze zwischen analytischen Verbformen und anderen syntaktischen Strukturen nicht einheitlich gezogen werden kann. So wird das Zustandspassiv in den meisten Grammatiken als analytische Verbform betrachtet, aber seltener auch als Kopula-Adjektiv-Kon­ struktion (vgl. Maienborn 2007). Die Zugehörigkeit zu einem (Wort-)paradigma ist keine eindeutige Gegebenheit einer Konstruktion (vgl. Haspelmath 2000; Croft 2000). Von analytischen Formen ist insbesondere die Rede, wenn die betreffenden Konstruktionen eine Lücke im Flexionsparadigma füllen, entweder weil die Kombination von verschiedenen Kategorien nicht synthetisch belegbar ist (z.B. laudātus est für Perf. Indikativ Passiv im Lat., wobei für Präs. Indikativ Passiv und Perf. Indikativ Aktiv jeweils synthetische Formen existieren: laudātur bzw. laudāvīt), oder weil für dieselbe Kategorienkombination sowohl synthetische als auch analytische Formen existieren (eine solche Arbeitsteilung könnte man im Dt. virtuell für die Verteilung von Verben mit einem synthetisch gebildeten Konjunktiv Prät. annehmen, z.B. hätte, fände, und von analytischen Bildungen bei Formensynkretismus und bei veralteten Konjunktivformen, z.B. würde arbeiten/helfen/beginnen statt arbeitete, hülfe/ hälfe, begönne/begänne). Dies nennt Haspelmath (2000) suppletive Periphrase. Von analytischen Verbformen kann außerdem die Rede sein, wenn die Konstruktion eine genuin grammatische Kategorie (z.B. Futurum) ausdrückt, wie etwa das dt. Futur wird kommen. Diese Form wird nach Has­ pelmath auch kategoriale Periphrase genannt. Bernadett Modrián-Horváth ≡ komplexe Verbform; mehrteilige Verbform; periphrastische Verbform; zusammengesetzte Tempusform; zusammengesetzte Verbform ↔ synthetische Verbform → § 15, 16; analytische Form; Flexionsparadigma; Hilfsverb; syntaktisches Paradigma; Vollverb

analytischer Genitiv 🕮 Croft, W. [2000] Lexical and grammatical meaning. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 257–263 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [1992] Das deutsche Passiv aus historischer Sicht. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Syntax – Ansichten und Aussichten. Berlin [etc.]: 225–249 ◾ Haspelmath, M. [2000] Periphrasis. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 654–664 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Maienborn, C. [2007] Das Zustandspassiv. Grammatische Einordnung, Bildungsbeschränkungen, Interpretationsspielraum. In: ZGL 35/1–2: 83–114.

analytischer Genitiv

Präpositionalphrase in der Funktion eines Genitivattributs. ▲ analytic genitive: prepositional phrase functioning as a genitive. Im Dt. wird der analytische Genitiv mit einer von-Phrase gebildet, die als Ersatz für eine NP im Genitiv fungiert (1). Auch andere Konstruktionen, z.B. der dativus possessivus, können ein Genitivattribut ersetzen. (1) der Gründer vom Flohzirkus Anstelle des Genitivs wird in bestimmten Redewendungen (2) immer von + Dativ verwendet. Dies geschieht auch, wenn eine eindeutige genitivische Kasusmarkierung unmöglich ist, z.B. weil die betreffende NP ein unflektiertes Zahlwort ohne Artikel enthält (3), wenn artikellose unbestimmte NPn im Plural auftreten (4) oder wenn Stoffbezeichnungen ohne Attribut vorliegen (5) (Pfeffer/Lorentz 1979: 53f.). (2) der Anfang vom Ende (3) die Mutter von vier Kindern (4) die Sanierung von Biodiversitätsschäden (5) der Preis von Gold Der analytische Genitiv kann nicht als Ersatz für einen genitivus explicativus (6) oder einen genitivus definitivus (7) auftreten. (6) die Nacht des Zorns (6a) *die Nacht vom/von dem Zorn (7) die Pflicht der Duldung (7a) *die Pflicht von der Duldung Bei den übrigen semantischen Arten von Genitivattributen ist eine Ersetzung durch den analytischen Genitiv möglich, wobei Letzterer gewöhnlich für ugs. gehalten wird. Katalin Simon-Horváth

A

analytischer Kasus 174

A

→ dativus possessivus; Genitiv; genitivus definitivus; genitivus explicativus → Gram-Syntax: Genitivattribut; Präpositionalphrase

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Sub­ stantive (RGL 274). Tübingen ◾ Pfeffer, J.A./ Lorentz, J.P. [1979] Der analytische Genitiv mit >von< in Wort und Schrift. In: Muttersp 89: 53–70.

analytischer Kasus ≡ Präpositionalkasus

anaphorisches Pronomen

Pronomen, das eine zurückweisende Funktion ausübt. ▲ anaphoric pronoun: pronoun which refers back to elements which have been mentioned before. Beim anaphorischen Pronomen liegt ein Rückverweis auf ein sprachliches Element – den Antezedenten – vor. Antezedens und Pron. beziehen sich auf dieselbe Entität (Person oder Nicht-Person). Es liegt Koreferenz vor, weil sie hinsichtlich Person, Numerus und Genus korrespondieren (vgl. Eisenberg 2004: 179). Es wird dabei nach links verwiesen (sie in (1)). (1) Maria hat den ganzen Tag gelernt und nun spaziert sie im Park. Als anaphorisches Pronomen kommen vor: (a) die reinen Verweispronomina (er, sie, es), (b) die Demonstrativpronomina (der, die, das); (c) die Possessivpronomina (mein, meine, mein). Die Interpretation der anaphorischen Pronomina findet – im Gegensatz zu den deiktischen Pronomina – unabhängig von der konkreten Äußerungssituation der Sätze statt, in denen sie auftreten. Dabei spielen andere entweder im selben oder in einem zuvor geäußerten Satz vorkommende Elemente eine wichtige Rolle (Eickmann 2008: 17f.). In (1) findet die anaphorische Wechselbeziehung zwischen Antezedens und Pron. innerhalb des Satzes statt, in (2) und (3) geht sie über die Satzgrenze hinaus. (2) Kennst du seine Freundin? – Ja, ich kenne sie. (3) Christian ist Student, er wohnt in Jena. Das Antezedens kann ein Eigenname ((1), (3)), aber auch ein Indefinitum sein (4).

(4) Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Das Antezedens besteht in der Regel aus einem Nomen, mit dem das Pron. in Genus und Numerus korrespondiert. „Bei nicht-femininen Bezeichnungen für weibliche Personen“ kann eine Varianz beim Genus stattfinden (Engel 1996: 82). (5) Das Mädchen öffnete den Schrank. Sie (seltener: es) war an dem Tag sehr glücklich. Auf einige Substantive im Sg., „die eine Vielheit von Lebewesen bezeichnen“, kann man in einigen Fällen durch eine Pluralform Bezug nehmen (Engel 1996: 83). (6) Eine lärmende Kinderschar kam die Treppe heraufgestürmt. Sie waren alle winterlich angezogen. (Engel 1996: 83) In einigen Fällen koreferieren Antezedens und Pron. nicht (7), in anderen (8) kommt gar kein Antezedens vor. (7) Auf der Brücke stand ein Paar. Sie stritten sich heftig. (Eisenberg 2004: 179) (8) Gestern haben sie mein Telefon angezapft. (Zifonun et al. 1997: 547) Dabei spielt für die Deutung der anaphorischen Pronomina das kulturspezifische bzw. gemeinsame Wissen eine wesentliche Rolle (Zifonun et al. 1997: 547). Fabio Mollica

↔ kataphorisches Pronomen → phorisches Adverb; phorisches Pronomen; Pronomen → Gram-Syntax: Anapher (2); Anaphorisierung ⇀ anaphorisches Pronomen (Textling) ⇁ anaphoric pronoun (Typol)

🕮 Eickmann, B. [2008] Die Semantik anaphorischer Pronomen: Deskriptive singuläre Terme und E-type Pronomen. Heidelberg ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Anführungszeichen

Interpunktionszeichen mit der Funktion, Zitate, direkte Rede, Werktitel, uneigentliches Sprechen u.a. zu indizieren. ▲ quotation mark; inverted comma; quote sign: punctuation mark with the function of indicating quotations, direct speech, titles, figurative speech etc.

→ Interpunktion → Gram-Syntax: direkte Rede ⇀ Anführungszeichen (Schrling)

Katharina Siedschlag

175 Anredepronomen 🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Klockow, R. [1980] Linguistik der Gänsefüßchen. Untersuchungen zum Gebrauch der Anführungszeichen im gegenwärtigen Deutsch. Frankfurt/Main.

Anhebungsverb

→ pronominale Anredeform

Anredefall

Anredemodus

≡ Vokativ

Anredeform

Verfahren zur Inklusion des Adressaten eines Sprechakts. ▲ term of address: means of including the addressee of a speech act. Der unmittelbare Sprechaktteilnehmer (Hörer) kann durch unterschiedliche Strategien in den Sprechakt integriert werden: (a) direkt (d.h., der Adressat ist Teil des aktantiellen Bereichs einer Äußerung) unter Verwendung von lexikalischen und/oder morphosyntaktischen Mitteln zur Kodierung der 2. Pers. (z.B. du, ihr) (1). (1) Bist du gestern in der Stadt gewesen? (b) indirekt (d.h., der Adressat ist nicht Teil des aktantiellen Bereichs einer Äußerung) unter Verwendung von meist vokativischen Mitteln (z.B. Name, Personalpron.: He Paul!/ He Du! Der Zug kommt!). Derartige Anredeformen können besonders in Fragen durch Refrainfragen (sog. question tags) verstärkt werden (2). (2) Paul! Du kommst doch mit, nicht wahr? Der Typ der Inklusion des Adressaten kann vielfältig variieren, etwa mittels Honorativa und mittels der (Schein-)Integration der 1. Pers., vgl. im Dt. das Doktor-Wir (3). (3) Wo haben wir heute denn Schmerzen, Frau Müller? Weitergehend bezieht sich die Anredeform auch auf die Art und Weise des Einbringens von Epitheta mit oder ohne Namen ((4)–(6)). (4) Wann nehmen Sie Urlaub, Professor Stein? (5) Doktor! (6) Kommen Sie! Frau Bundeskanzler, was sagen Sie zu […]. Wolfgang Schulze

→ Anredemodus; Anredepronomen; Honorativ; pronominale Anredeform

🕮 Braun, F. [1988] Terms of Address. Problems of Patterns and Usage in Various Languages and Cultures. Berlin [etc.] ◾ Dunkling, L. [1990] A Dictionary of Epithets and Terms of Address. London [etc.].

Anredeform, pronominale

≡ raising verb

→ Gram-Syntax: Epitheton

⇀ Anredeform (Lexik)

Modus der Art und Weise, wie die Appellfunktion einer sprachlichen Äußerung kodiert wird. ▲ mode of address: mode that regulates the way a linguistic expression is directed towards the addressee. Die u.a. soziale Hierarchien, Höflichkeitsebenen und/oder eine emphatische Haltung abbildende Äußerung eines Sprechers gegenüber einem Hörer kann verschiedene modale Färbungen annehmen, die im Explizitheitsgrad und Grad der Direktheit variieren. Explizit wäre etwa das Einbringen eines vokativisch gebrauchten Personalpron. oder Namens (Du, komm mal her!, Hierher, Eva!). Implizit fehlt das vokativische Element. Der Grad der Direktheit kann durch pragmatische Marker abgeschwächt werden (Komm doch mal her!, Bitte, komm her!). Die unmarkierteste Form entspricht dem Imperativ (implizit-direkt, etwa: Komm her!). Wolfgang Schulze

→ Anredeform; Anredepronomen; Imperativ; pronominale Anredeform; Vokativ

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Anredepronomen

Pronomen, das sich auf die angesprochene Person bezieht. ▲ pronoun of address: pronoun that refers to the addressed person. Anredepronomina (Eisenberg 2006: 342) bzw. pronominale Anredeformen sind sprachliche Mittel, die zur Herstellung bzw. Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen dem Sprecher und dem Hörer dienen. Im Dt. sind es die traditionellen Personalpronomina der 2., also angesprochenen, Pers. Sg. (du), die der 2. Pers. Pl., die den Angesprochenen einschließt (ihr) und die sog. Höflichkeitsform (Sie).

A

Antezedens 176

A

Zu den Anredepronomina werden außer den genannten traditionellen Personalpronomina samt ihren Flexionsformen auch Possessivpronomina (dein, euer, Ihr) gezählt. Sie werden syntaktisch im Gegensatz zu den substantivischen Pronomina du, ihr, Sie als Artikelwörter verwendet. Die Untersuchung des Gebrauchs der pronominalen Anredeformen ist besonders aus der Perspektive der Soziologie, der Soziolinguistik und der ling. Pragmatik von Interesse, denn er steht in Zusammenhang mit Gesellschaftsstrukturen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Deshalb variiert das System der Anredepronomina in einzelnen Sprachen und umfasst vor allem in ostasiatischen Sprachen ein größeres Inventar an sprachlichen Formen. So verfügt die thailändische Sprache über 22 Pronomina der 2. Pers., deren Gebrauch jeweils vom Grad der Formalität bzw. der Beziehung des Sprechenden zu dem Angesprochenen abhängt. Janusz Taborek

→ Anredeform; Anredemodus; Partnerpronomen; Personalpronomen; Pronomen

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

Antezedens

vollständige Phrase, auf die ein Pronomen oder eine andere Anapher bezogen wird. ▲ antecedent: full phrase to which a pronoun or other anaphor refers. Durch den Begriff des Antezedens wird die traditionelle Idee ausgedrückt, dass Pronomina (wie sein oder er) und Anaphern (wie sich oder einander) selbst nicht referenzfähig sind und eine vollständige Phrase brauchen, die ihre fehlende Referenz hergibt. Der Begriff ist in der GG (insbesondere in der Rektions- und Bindungstheorie) eine Phrase, die eine leere Kategorie regiert und bindet. In der GG wird die traditionelle Relation zwischen Antezedens und lexikalischem Element auf die Relation zwischen Spur (einer leeren Kategorie) und bewegtem Element ausgeweitet. Das bewegte Element (in aller Regel eine volle Phrase) regiert die Spur(en) der Bewegung und bindet diese im Sinne der Bindungstheorie ((1)–(3)). (1) Siei betrachten [NP Petersj Bilder von *sichi/ ihneni/*ihmj/sichj]

(2) [C0 dass [IP ein Berichti [VP ti über einen Flaschengeist [V0 veröffentlicht wurde]]]] (3) [CP Larsonj [C0 hati [IP tj [VP dem blinden Professor tolle Geschichten erzählt] ti]]] Eine lexikalische Anapher (sich in (1)) muss innerhalb der nächsthöheren NP [regierende Kategorie] gebunden sein. Das bestimmt ihre Referenz durch Peter [Antezedens] und verbietet einen Bezug zum Pron. sie. Letzteres kann jedoch die Referenz eines anderen Pron. (ihnen) bestimmen, weil Pronomina in der regierenden Kategorie frei, d.h. nicht gebunden sein dürfen [Prinzip B der Bindungstheorie]. In (2) steht ein Beispiel für A(rgument)-Bewegung, wo ein Bericht aus seiner Ausgangsposition heraus bewegt wurde. Eine solche Bewegung hinterlässt eine leere Anapher als Spur (ti), die ähnlich wie die lexikalischen Anaphern gebunden werden muss [Prinzip A der Bindungstheorie]. Da neben NP auch IP eine regierende Kategorie darstellt, trifft dies zu. Schließlich zeigt (3) ein Beispiel für w-Bewegung (A’-Bewegung). Die Spur einer solchen Bewegung (tj) darf nicht gebunden sein [Prinzip C der Bindungstheorie]. Dass Antezedens und Spur auch hier zusammengehören, wird im Begriff der Antezedens-Rektion ausgedrückt: Larsonj antezedens-regiert seine Spur tj und sichert somit eine gewisse Kontrolle dieser leeren Kategorie. Imre Szigeti

→ anaphorisches Pronomen; Pronomen → Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (3); Bezugselement; Rektions- und Bindungstheorie; Spur

⇀ Antezedens (Sprachphil; CG-Dt); Antezedens (1) (SemPrag); Antezedens (2) (SemPrag)

⇁ antecedent (CG-Engl)

🕮 Grewendorf, G./ Hamm, F./ Sternefeld, W. [1999] Sprachliches Wissen. 11. Aufl. Frankfurt/Main ◾ Haegeman, L. [1994] Introduction to Government & Binding Theory. 2nd ed. Oxford ◾ Stechow, A. von/ Sternefeld, W. [1988] Bausteine syntaktischen Wissens. Ein Lehrbuch der generativen Grammatik. Opladen.

Antikausativ

Verb, das durch die Intransitivierung eines ursprünglich Kausalität ausdrückenden Transitivums um diese Dimension reduziert wird. ▲ anticausative: verb originally expressing causality from which this dimension has been removed by means of an intransitivization operation. Ein Antikausativ ist das Ergebnis einer Intransitivierungsoperation, bei der ein kausatives Transi-

177 tivum um das Agens-Argument verringert wird, das auch nicht implizit bleibt. Semantisch wird ein spontan eintretendes Geschehen ohne äußere Einwirkung ausgedrückt, so dass Ágel (2017: 418) Antikausativa als „eine Unterklasse der endoaktiven Medialverben“ betrachtet. Eingeschränkt können von-/durch-Phrasen ohne Argumentstatus auftreten ((1), (2); vgl. Zifonun 2003: 72). (1) Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand. (2) Durch den Preisverfall erhöhte sich der Warenabsatz. Hinsichtlich der Verben, die als Antikausativa aufzufassen sind, herrscht kein Konsens. Während z.B. Schäfer (2007: 11f.) morphologisch unmarkierte (‚unmarked anticausatives‘: die Vase zerbrach) und morphologisch markierte (‚(reflexively) marked anticausatives’: das Benzin entzündete sich) Antikausativa unterscheidet (so auch Kurogo 2016; Pitteroff 2014, der ergänzend optional markierte Formen (‚optionally marked anticausatives‘: die Batterie kühlte (sich) ab) hinzufügt), macht Ágel (2007: 68) Antikausativa an der gerichteten Alternation fest, die darauf beruht, dass die kausative Lesart des Verbs die primäre ist, von der das Antikausativum abgeleitet wird (drehen – sich drehen). Ist die primäre Lesart nicht entscheidbar, spricht er von ungerichteter Alternation, die bei den sog. labilen Verben (brechen) auftritt. Nicht in allen Sprachen findet sich eine morphologische Markierung des intransitiven, inchoativen Antikausativs ((3) vs. (4) im Engl.; Pitteroff 2014: 33) (3) Der Tresor öffnete sich. (4) The safe opened. Petra Szatmári ≡ Antikausativum ↔ Kausativum → ergatives Verb; Intransitivierung; mediales Verb; transitives Verb; unakkusativisches Verb → Gram-Syntax: Agens; rezessive Diathese ⇀ Antikausativ (SemPrag) ⇁ anticausative (Typol)

🕮 Ágel, V. [2007] Die Commonsense-Perspektivierung von labilen Verben im Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie rezessiv-kausativer Alternationen. In: Lenk, H.E.H./ Walter, M. [Hg.] Wahlverwandtschaften. Valenzen – Verben – Varietäten. Festschrift für Klaus Welke zum 70. Geburtstag. Hildesheim [etc.]: 65–88. ◾ Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Kurogo, Y. [2016] Aspektuelle Interpretation von antikausativen Verben im Deutschen. In: 獨協大学ドイツ学研究 = Dokkyo Universität Germa-

antonymes Adjektiv nistische Forschungsbeiträge 71: 25–40. [Unter: http://www2. dokkyo.ac.jp/~doky0011/resources/%E3%83%89%E3%82%A4 %E3%83%84%E5%AD%A6%E7%A0%94%E7%A9%B6/71/Doitsugaku_71_Kurogo.pdf; letzter Zugriff: 28.04.2018] ◾ Pitteroff, M. [2014] Non-canonical lassen-middles. Unter: https://elib.unistuttgart.de/handle/11682/5413; letzter Zugriff: 28.04.2018] ◾ Schäfer, F.M. [2007] On the nature of anticausative morphology: External arguments in change-of-state contexts. [Unter: https:// elib.uni-stuttgart.de/bitstream/11682/5262/1/diss_schaefer_ version_3.pdf; letzter Zugriff: 28.04.2018] ◾ Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim.

Antikausativum ≡ Antikausativ

antonymes Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die im antonymen Verhältnis zu anderen Adjektiven stehen. ▲ antonymous adjective: semantically defined subclass of adjectives which stand in an antonymous relation to other adjectives. Antonyme Adjektive gehören zu den allgemeineren semantischen Klassen der absoluten Qualitätsadjektive und der relativen Adjektive. Erstere benennen Eigenschaften wie z.B. schön oder gesund. Sie bilden mit anderen Adjektiven Antonympaare (schön – hässlich; gesund – krank; klug – dumm; gut – schlecht) und stehen im Verhältnis der Kontradiktorität, d.h., sie schließen sich gegenseitig aus: gesund ist nicht krank und krank ist nicht gesund. Relative Adjektive bilden Paare wie alt – jung; groß – klein; dick – dünn; breit – schmal. Die antonymen relativen Adjektive stehen zueinander im logischen Verhältnis der Kontradiktion, d.h., sie sind zwar gegensätzlich, aber widersprechen einander nicht in jedem Fall: alt bedeutet nicht jung, nicht jung muss jedoch nicht alt bedeuten, da zwischen ihnen eine Zone der Durchschnittswerte liegt, für die weder alt noch jung gilt. Jussara Paranhos Zitterbart

→ absolutes Adjektiv; Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

A

Antwortpartikel 178

A

Antwortpartikel

kurzes, unflektierbares Wort, das eine zustimmende oder ablehnende Antwort auf eine Entscheidungsfrage bzw. einen Kurzkommentar zu einem Deklarativ- oder Imperativsatz gibt. ▲ response particle: brief and uninflected word used as an affirmative or declining response to yes/ no-questions, or as a comment on declarative or imperative sentences. Antwortpartikeln wie dt. ja, nein und doch gelten als Reaktionen auf eine Entscheidungsfrage. Sie können auch allein Satzstatus haben ((1), (2)). Aus diesem Grunde werden sie auch zu den sog. Satzäquivalenten gezählt. Sie können aber auch einen längeren Antwortsatz einleiten. In diesem Fall stehen sie immer abgesondert, außerhalb des Satzverbands, meistens am Anfang der Antwort (3). Gerade dieses topologische Verhalten unterscheidet sie von den übrigen Partikeln, die satzintegriert vorkommen. Wegen ihres syntaktischen Verhaltens können Antwortpartikeln nur einem weiten Partikelbegriff subsumiert werden. (1) Gehst du heute zur Vorlesung? – Ja/Nein. (2) Gehst du nicht zur Vorlesung? – Doch. (3) Gehst du heute zur Vorlesung? – Ja, ich will unbedingt hingehen. Antwortpartikeln können auch auf Aussage- oder Aufforderungssätze folgen. In diesem Fall gelten sie als Kurzreaktion auf oder als Kommentar (z.B. Bestätigung, Verstärkung) zu dem im Aussageoder Aufforderungssatz geäußerten Sachverhalt. (4) Ich mache die Tür zu, es zieht. – Ja, in Ordnung. (5) Mach’ bitte die Tür zu! – Ja, gleich. In der Umgangssprache der Gegenwart können auch Elemente wie allerdings, eben, immerhin, genau, klar, logisch, hm-m, okay, sicher, schon, schön als Antwortpartikeln fungieren. In diesen Sätzen gelten die Antwortpartikeln als reduzierte Formen von Sätzen mit dem jeweiligen Element. (6) Du wolltest morgen mit mir ins Kino gehen. – Schon. [vgl.: Ich wollte schon mit dir ins Kino, aber es ist etwas dazwischengekommen.] (7) Ich gehe jetzt nach Hause. – Schön/okay. Anna Molnár ≡ Responsivpartikel → Partikel → Gram-Syntax: Deklarativsatz; Entscheidungsfragesatz; Imperativsatz; Satzäquivalent

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G. [1994] Lexikon deutscher Partikeln. 3., durchges. Aufl. Leipzig ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Anzeigewort ≡ Pronomen

Apokope

Schwund eines unbetonten Vokals am Wortende. ▲ apocope: loss of an unstressed word-final vowel. Die Apokope ist ein phonologischer Prozess der Elision, der zum Schwund eines wortfinalen vokalischen Segments führt. In der dt. Umgangssprache kommt es z.B. bei der 1. Pers. Sg. Präs. vieler Verben zur Apokopierung des auslautenden Schwa. In der Schrift wird das Fehlen der Personalendung meist durch Apostroph angezeigt (1). (1) Ich ruf' dich an! In der generativen Phonologie wird die Apokope als eine Tilgungsregel formuliert. Agnes Kolmer ≡ Abstoßung; Apokopierung ↔ Synkope → Wortform ⇀ Apokope (Wobi; Onom; Dial; HistSprw; Phon-Dt) ⇁ apocope (Phon-Engl)

🕮 Kenstowicz, M. [1994] Phonology in Generative Grammar. Cambridge, MA [etc.] ◾ Lessen Kloeke, W. van [1982] Deutsche Phonologie und Morphologie. Merkmale und Markiertheit. Tübingen ◾ Lindgren, K.B. [1953] Die Apokope des mittelhochdeutschen -e in seinen verschiedenen Funktionen. Helsinki.

Apokopierung ≡ Apokope

Apostroph

Interpunktionszeichen in Form eines Häkchens zur schriftlichen Kennzeichnung von Morphemgrenzen und Auslassungen. ▲ apostrophe: punctuation mark that indicates morpheme boundaries and the omission of letters. Der Apostroph (Pl. Apostrophe) wird zur Kennzeichnung von Auslassungen verwendet, z.B. innerhalb längerer Wörter (K’lautern für Kaiserslautern), bei der Verschriftlichung von gesprochener Sprache (ich mach’ für ich mache; ’s ist für es ist) und aus metrischen Gründen in der Lyrik. Auch bei Klisen zeigt der Apostroph oft die Auslassung von Buchstaben an (z.B. er ist’s für er

179 Applikativ ist es; in’n für in den). Er markiert damit zugleich die Morphemgrenze zwischen Basis und Klitikon, selbst wenn an dieser Stelle keine Substanz verloren geht (s’ist noch nicht viel; sehen’S das?). Im Dt. wird der Apostroph nach Bankhardt (2010) häufiger zur Kennzeichnung von Auslassungen verwendet als zur Markierung von Morphemgrenzen, letztere ist jedoch nach Bunčić (2004) in vielen Sprachen die Hauptfunktion des Apo­ strophs. Sie kann dem Apostroph im Dt. bei Genitivformen von Eigennamen, die auf einen s-Laut enden, zugeschrieben werden (z.B. Carlos’ und Beatrix’ Haus), ebenso im Falle von großgeschriebenen adjektivischen Ableitungen von Eigennamen, bei denen seit der Rechtschreibreform von 1996ff. ein Apostroph vor dem Suffix -sch steht (z.B. Ohm’sches Gesetz) (vgl. Klein 2002: 179f., dort „Stammform-Apostroph“). Außerdem gilt nach dem Wortlaut der Reform die Abtrennung des Genitiv-/Possessiv-s bei Eigennamen durch Apostroph (wie im Engl.) nicht mehr als inkorrekt (z.B. Maria’s Bistro). Nicht durch die Regeln gedeckt, aber dennoch anzutreffen ist auch der Stammform-Apostroph vor dem Pluralmorphem, insbesondere bei Fremdwörtern (z.B. T-Shirt’s) und Abkürzungen (z.B. CD’s) (vgl. Mann 2007). Im Niederl. und im Engl. ist dieser Gebrauch teilweise regelkonform. ≡ Auslassungszeichen → Interpunktion; Morphemgrenze ⇀ Apostroph (Schrling; Textling)

Michael Mann

🕮 Bankhardt, C. [2010] Tütel, Tüpflein, Oberbeistrichlein. Der Apostroph im Deutschen (amades 39). Mannheim ◾ Bunčić, D. [2004] The apostrophe. A neglected and misunderstood reading aid. In: WLg&Lit 7/2: 185–204 ◾ Klein, W.-P. [2002] Der Apostroph in der deutschen Gegenwartssprache. In: ZGL 30: 169–197 ◾ Mann, M. [2007] Der Apostroph in der Diskussion. [Unter: http://www.opus.ub.uni-erlangen.de/opus/volltexte/2009/1240/; letzter Zugriff: 20.07.2012] ◾ Nübling, D. [1992] Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte (ScrOr 42). Tübingen.

Appellativum

semantisch definierte Subklasse von Nomen, die auf eine ganze Klasse von Personen, Tieren, Objekten, Ereignissen oder Phänomenen sowie auch auf die individuellen Mitglieder dieser Klassen referieren können. ▲ appellative noun; common noun; count noun: semantically defined subclass of nouns which can

refer to a whole class of similar persons, animals, objects, events and phenomena as well as to an individual member of this class. Appellativa bilden die größte Subklasse unter den Substantiven und gelten als die prototypischen Vertreter dieser Wortklasse. Die Klassifizierung der Substantive hinsichtlich ihrer Individualität erfolgt unterschiedlich: Helbig/Buscha (2007: 206f.) stellen die Appellativa den Eigennamen gegenüber und unterteilen erstere in Individuativa und Massennomina. Eisenberg (2006: 164f.) stellt Appellativa, Massennomina und Eigennamen nebeneinander. Prinzipiell ist jedoch festzuhalten, dass eine starre Klassifizierung nicht vertretbar ist, da die semantischen Gruppen nicht immer eindeutig voneinander abgrenzbar sind und jedes Subst. je nach Kontext verschiedenen Gruppen zugeordnet werden kann. Die Aktualisierung der entsprechenden Klasse ist kontextabhängig und wird z.T. auch von morphosyntaktischen Eigenheiten bewirkt. So grenzt z.B. unterschiedliches Genus Appellativa (1) von homonymen Eigennamen (2) ab („Hof“ als Stadt in Bayern), und der Gebrauch des Eigennamens mit dem unbestimmten Artikel aktualisiert Eigennamen als Appellativa (3). (1) der schöne Hof (2) das schöne Hof (3) Sie hat sich einen Dalí gekauft. Appellativa treten sowohl im Sg. als auch im Pl. auf. Ferner lassen sich Appellativa nach semantischen Kategorien bzw. Gegensatzpaaren wie: Konkretheit – Abstraktheit, Belebtheit – Unbelebtheit, Bestimmtheit – Unbestimmtheit und Gegliedertheit – Ungegliedertheit spezifizieren. Heidi Flagner ≡ Gattungsname → Eigenname; Massennomen; Nomen; Substantiv ⇀ Appellativum (Lexik; SemPrag)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin.

Applikativ

Valenzerweiterung eines Verbs, bei der ein zusätzliches Objekt hinzugefügt wird. ▲ applicative: valency extension of a verb, in which an additional object is added.

A

Applikativ 180

A

Ein Beispiel für applizierte Argumente ist der Benefaktiv. In (1) wird der Benefaktiv ihr Freund unabhängig von der Valenz des Verbs in einer PP realisiert. In (2) wird der Benefaktiv als ein zusätzliches Argument des Verbs realisiert. Im Dt. stehen applizierte Objekte im Dativ oder Akkusativ. (1) Paula kocht eine Rinderbouillon für ihren Freund. (2) Paula kocht ihrem Freund eine Rinderbouillon. Applizierte Argumente können sprachübergreifend neben der thematischen Rolle Benefaktiv auch die Rolle Lokativ oder Instrument haben. Der Begriff des Applikativs wurde urspr. für valenzerweiterte Konstruktionen in afr., amerik. und austronesischen Sprachen verwendet, in denen die Realisierung eines applizierten Objekts durch ein Morphem am Verb markiert wird, vgl. indonesisch kan, das in (4) die Hinzufügung des Benifizienten signalisiert (Haspelmath 2004: 1134). (3) Orang itu me-masak ikan. [Mann art tr-kochen Fisch; 'Der Mann kochte Fisch.'] (4) Orang itu me-masak-kan perempuan itu ikan. [Mann Art tr-kochen-appl Frau Art Fisch; 'Der Mann kochte Fisch für die Frau.'] Auch im Dt. werden applizierte Objekte in einigen Fällen am Verb durch ein Präfix oder eine Partikel markiert, vgl. das Präfix be- (Eigelb [auf den Kuchen] streichen vs. [den Kuchen] mit Eigelb bestreichen) und die verbale Partikel zu- (den Ball werfen vs. den Ball [dem Kind] zuwerfen). Eine neure Analyse des be-Applikativs an der SyntaxSemantik-Schnittstelle ist von Geist/Hole (2016) vorgeschlagen. Für die Integration von applizierten Argumenten in die syntaktische Struktur nimmt Pylkkänen (2008) zwei funktionale applikative Köpfe an: einen hohen und einen tiefen. Der hohe Applikativkopf nimmt die verbale Projektion als Komplement und führt ein Argument VP-extern ein. Der tiefe Applikativkopf steht unterhalb des Verbs und führt ein Argument VP-intern ein. Der hohe Applikativkopf bezeichnet eine Relation zwischen dem Ereignis und dem Individuum, während der tiefe Applikativkopf eine Relation zwischen zwei Individuen in ihren jeweiligen Teilereignissen bezeichnet. Für Possessor-Dative im Dt. (5) nimmt Pylkkänen die Integration durch

den tiefen Applikativkopf an, benefaktive Dative (6) werden durch den hohen Applikativkopf VPextern eingeführt. (5) Maria trat [PaulDativ] auf den Fuß. (6) Paul kocht [PaulaDativ] eine Rinderbouillon. Die Annahme von tiefen Applikativköpfen ist in vielerlei Hinsicht problematisch (u.a. Bruening 2010; Hole 2014). Hole (2014) schlägt vor, die beiden Applikativköpfe zu unifizieren. So nimmt er an, dass die applizierten freien Dative im Dt., der Pertinenz-Dativ (5) und der benefaktive Dativ (6) durch denselben Applikativkopf oberhalb der VP eingeführt werden. Dieser hohe Applikativkopf hat jedoch eine ähnliche Semantik, wie Pylkkänen sie für den tiefen Applikativkopf annimmt. Die Kernbeobachtung von Hole ist, dass sowohl Pertinenzdative (5) als auch benefaktive Dative (6) den Referenten in der PP obligatorisch binden: In (5a) bindet PaulDativ den Possessor-Referenten von den Fuß, d.h., der Fuß muss Paul gehören. In (6a) bindet das benefaktive Dativargument PaulaDativ den Nutznießer-Referenten in zu ihreri Stärkung, der, wie (6) nahelegt, nicht overt realisiert sein muss. (5a) Maria trat [PaulDativ]i auf deni Fuß. (6a) Paul kocht [PaulaDativ]i eine Rinderbouillon (zu ihreri Stärkung). Durch eine Diathese wird ein Applikativkopf in die Struktur eingeführt. Dieser führt das Dativargument ein und verleiht ihm die Bindereigenschaft. Diese Bindereigenschaft des Applikativkopfes zwingt das applizierte Dativargument zur Bindung einer DP in seinem lokalen Bereich. Der Vorteil der unifizierenden Analyse für Dative von Hole ist, dass sie die Bindungseigenschaften des Applikativkopfs für beide Dativ-Typen erfassen kann. Der Analyse von Pylkkänen, die zwei unterschiedliche Applikativköpfe annimmt, fehlt diese unifizierende Kraft. Ljudmila Geist ≡ Präpositionalform → Dativanhebung; freier Dativ; Präpositionalkasus; Transitivität → Gram-Syntax: obliques Objekt; Valenzerhöhung; Verbdiathese ⇀ Applikativ (Wobi) ⇁ applicative (Typol)

🕮 Bruening, B. [2010] Ditransitive asymmetries and a theory of idiom formation. In: LingInqu 41/4: 519–562. ◾ Geist, L./ Hole D. [2016] Theta-head binding in the locative alternation. In: Bade, N./ Berezovskaya P./ Schöller A. [Hg.] Proceedings of Sinn und

181 Artikel Bedeutung in Tübingen 2015. Tübingen: 270–287 ◾ Haspelmath, M. [2004] Valency change. In: Booij G./ Lehmann Ch./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1130–1145 ◾ Hole, D. [2014] Dativ, Bindung und Diathese (SG 78). Berlin ◾ Pylkkänen, L. [2008] Introducing arguments. Cambridge.

Approximationskomparativ ≡ Steigerungsinversion

Äquivalenzdual

Dual, der zwei gleichrangige Referenten bezeichnet, die ein Paar bilden. ▲ equivalence dual: dual form which denotes objects in pairs. Der Äquivalenzdual gehört zu den arithmetischen Numeri, da er die genaue Anzahl der Referenten angibt und wird zur Bezeichnung von zwei gleichrangigen Referenten, z.B. paarigen Organen eingesetzt. Die Präsenz des Äquivalenzduals setzt nach einer universalen Tendenz auch die Präsenz des Pl. und des Sg. in der jeweiligen Sprache voraus. Das in den idg. Sprachen einst vorhandene Dualsystem ist fast komplett aufgegeben und die Rolle des Dualis wird vom Pl. übernommen. Zu den Sprachen mit einem mehr oder weniger vollständigen Dualsystem gehören Litauisch, Sorbisch, Slowenisch, Poln., Altgriech., Arab. sowie viele australische Sprachen. Ein Beispiel für den Äquivalenzdual im Poln. ist die archaische Form rękoma, der Instrumentalkasus von ręce ('Hände') ((1), (2)). (1) ręce[Nominativ] ['Hände'] (2) rękoma[Instrumental] ['mit den Händen']

↔ arbiträrer Dual → Dualis; Numerus; Plural; Singular

György Scheibl

🕮 Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

arbiträrer Dual

Dual, der zwei beliebige Referenten bezeichnet, die kein Paar bilden. ▲ arbitrary dual: dual which denotes an arbitrary pair of objects. Der arbiträre Dual (oV: Dualis) gehört zu den arithmetischen Numeri, da er die genaue Anzahl der Referenten angibt und zur Bezeichnung von zwei beliebigen Referenten eingesetzt wird. Seine Präsenz setzt nach einer universalen Tendenz

auch die des Pl. und des Sg. in der jeweiligen Sprache voraus. Das in den idg. Sprachen vorhandene Dualsystem ist fast komplett aufgegeben worden und die Rolle des Dualis ist vom Pl. übernommen worden. Zu den Sprachen mit einem mehr oder weniger vollständigen Dualsystem gehören Litauisch, Sorbisch, Slowenisch, Poln., Altgriech. sowie Arab. und viele australische Sprachen (vgl. (1) aus dem Arab.). (1) walad-un ['Junge[Sg.]'; 'ein Junge'] (1a) aulaad ['Junge[Pl.]'; 'Jungen'] (1b) walad-aani ['Junge[Dual]'; 'zwei Jungen']

↔ Äquivalenzdual; Paucalis → Dualis; Numerus; Plural

György Scheibl

🕮 Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Artenplural

≡ Sortenplural

Artikel

morphologisches und/oder lexikalisches Verfahren der semantisch-pragmatischen Markierung von referentiellen Einheiten. ▲ article: morphological and/or lexical means of indexing referential units for semantic or pragmatic values. In vielen Sprachen finden sich Verfahren, referentielle Einheiten (meist Nomina) dahingehend auszuzeichnen, welchen pragmatischen (seltener: semantischen) Stellenwert sie in einem gegebenen Diskurs einnehmen. Zugrunde liegt in der Regel ein Appell an das enzyklopädische und/oder episodische Wissen des Hörers oder ein Rekurs auf das entsprechende Wissen des Sprechers. Die Kerngrößen sind kontextuell gegebenes vs. neu eingeführtes Wissen. Semantisch werden vor allem die Domänen Generik und Spezifik/Individualisierung angesprochen. Die pragmatische Ebene kann mit der Unterscheidung Bestimmtheit/ Unbestimmtheit (definit/indefinit) fortgeführt werden. Abzugrenzen sind Artikelverfahren von rein deiktischen Markierungen, z.B. mittels Demonstrativa: Letztere inkludieren in der Regel räumliche und zeitliche Distanzbestimmungen und können gestisch begleitet werden. Allerdings wirken Demonstrativa analog zum definiten Arti-

A

Artikel, bestimmter 182

A

kel. In vielen Sprachen mit Artikelsystemen fehlt der definite Artikel, wenn die Definitheit durch andere Größen signalisiert wird, etwa durch die Anwesenheit einer possessiven Determination, vgl. Arab. al-bait-u ['das Haus'], aber bait-u 'l-walad-i ['(das) Haus des Jungen']. Analog fehlt im Dt. der definite Artikel etwa bei Nomina, die durch adnominale Possessivpronomina markiert sind, vgl. mein Haus (*das mein Haus). Insofern stellen Artikelverfahren eine Subkategorie der (In-) Definitheitsmarkierung dar. In vielen Sprachen ist deshalb auch die Kopplung von Artikel und adnominaler Deixis unmöglich, vgl. dt. der Hund, dieser Hund, *der dieser Hund (vgl. aber Dakota wičhaša ki he [Mann ART jener; 'der Mann da']. Artikelähnliche Verfahren der Markierung von Definitheit finden sich in einer Reihe von Sprachen, die die Objekt-Funktion in Hinblick auf (In-) Definitheit subkategorisieren, vgl. türk. ev görüyorum ['ich sehe ein Haus'] vs. ev-i görüyorum ['ich sehe das Haus']. Artikelsysteme können weitergehend subkategorisiert werden, wobei vor allem drei Dimensionen zum Tragen kommen: (a) Genus-/Klassenabbildung des oder Genuskongruenz mit dem betreffenden Nomen, z.B. dt. d-er Tisch, d-ie Decke, d-as Bild, im Dyirbal (Australien) ba-yi nguma ['der Vater'], bala-n yabu ['die Mutter'], bala-m mirany ['die Bohne'], bala-∅ yugu ['der Stock']; (b) Numerus-Abbildung bzw. Numeruskongruenz, vgl. dt. d-ie Kind-er; (c) Kasus-Abbildung bzw. Kasuskongruenz, vgl. dt. d-es Hund-es, d-en Hund. Einen Sonderfall stellen Artikelsysteme dar, die Definitheit nach der (räumlichen) Zuordnung zu (Nicht-)Sprechaktteilnehmern erlauben, vgl. Altarmenisch gorc-s ['die Arbeit (bei mir)'], gorcd ['die Arbeit (bei dir)'], gorc-n ['die Arbeit (bei ihm/ihr)']. Analog hierzu kann das postdeterminierende deiktische Verfahren des Dt. betrachtet werden (der Mann hier, die Frau da). Die Abwesenheit eines definiten Artikels (besonders mit semantisch definiten Referenten, etwa Namen) kann eine vokativische Wirkung haben, vgl. dt. Paul! Komm mal! vs. Ich habe den Paul gesehen; das/ein Tischlein vs. Tischlein! Deck dich! Einschlägige Artikelsysteme können die Dimension 'definit/indefinit' (a) nahezu vollständig abbilden (z.B. Dt.), (b) sich auf die Markierung des indefiniten Bereichs beschränken (z.B. Türk.); (c) sich auf die Markierung des definiten Bereichs be-

schränken (z.B. Syrisch). In kategorieller Hinsicht sind definite Artikel häufig, aber nicht notwendigerweise mit dem Paradigma der Demonstrativa verbunden; alternativ können emphatische Marker zum Zuge kommen. Indefinite Artikel entstammen gerne dem Bereich der Numeralia ('eins'), weshalb oftmals nicht-zählbare Massennomina von dieser Markierung ausgeschlossen sind. Alternativ können z.B. ehemalige indefinite Pronomina auftreten. In formaler Hinsicht kann zwischen lexikalischem Artikel und morphologischem Artikel unterschieden werden. Lexikalische Artikel sind durch in der Regel nicht klitische Artikelwörter repräsentiert, die der eigentlichen NP vorangehen oder folgen können (dt. der große Hund, dakota wičhaša ki ['der (ki) Mann']). Morphologische Artikel können präfixal oder suffixal auftreten, vgl. arab. al-madīnatu ['die Stadt'] vs. syrisch 'ab-ō ['der Vater']. Eine Mischform zeigt z.B. das Dän., vgl. mand-en ['der Mann'], aber den gamle mand ['der alte Mann']. Wolfgang Schulze ≡ Begleiter; Geschlechtswort → § 9; Artikelflexion; Artikellosigkeit; definiter Artikel; demonstratives Determinativ; Demonstrativpronomen; Determinans (1); Determinativ; Determinativum; indefiniter Artikel → Gram-Syntax: Definitheit; generische Interpretation; Indefinitheit; spezifische Lesart ⇀ Artikel (HistSprw; CG-Dt; SemPrag) ⇁ article (CG-Engl; Typol)

🕮 Hawkins, J.A. [1978] Definiteness and Indefiniteness. A Study in Reference and Grammaticality Prediction. New Jersey, NJ ◾ Leiss, E. [2000] Artikel und Aspekt. Die grammatischen Muster von Definitheit. Berlin ◾ Roehrs, D. [2009] Demonstratives and Definite Articles as Nominal Auxiliaries. Amsterdam ◾ Vater, H. [1979] Das System der Artikelformen im gegenwärtigen Deutsch. 2. verbess. Aufl. Tübingen.

Artikel, bestimmter → definiter Artikel

Artikel, definiter → definiter Artikel

Artikel, indefiniter → indefiniter Artikel

Artikel, unbestimmter → indefiniter Artikel

183 Artikelwort

Artikelflexion

regelhafte morphologische Abwandlung des Artikels nach den grammatischen Kategorien Genus, Kasus und Numerus. ▲ article inflection: modification of an article by means of inflectional morphemes according to the grammatical categories of gender, case and number.

Die Flexion des Artikels wird als Deklination bezeichnet. Dabei richtet sich die Flexion des Artikels im Dt. nach dem syntaktischen Kontext, denn er steht als Begleiter des Subst. und stimmt mit dem Subst. in Genus, Numerus und Kasus überein. Man spricht hier auch von Kongruenz (Ich suchte überall nach der Fahrkarte ['die Fahrkarte', daher Femininum Sg. Dativ]. Das Flexionsparadigma des dt. Artikels entspricht weitgehend der pronominalen Flexion (z.B. von dieser, jener). Bei Eisenberg (2006) werden in Hinsicht auf das Endungsinventar zwei Artikelgruppen angesetzt, die zwei Flexionsmustern folgen: (a) bestimmter Artikel der/die/das und seine weiteren Flexionsformen d-es, d-em, d-er, d-en usw.; (b) unbestimmter Artikel ein, Negationsartikel kein und Possessivartikel mein, dein, sein und jeweils ihre weiteren Flexionsformen ein-∅, keinem, dein-es usw., die alle in unmarkiertem Genus und Kasus endungslos sind (nur beim Femininum -e im unmarkierten Kasus). In anderen Grammatiken (z.B. Duden 2006: 266) spricht man von adjektivisch flektierten Artikelwörtern; so nach der Ähnlichkeit mit der starken adjektivischen Flexion. In anderen germ. Sprachen, wie dem Engl. oder Niederl., die nahezu alle Flexionsformen aufgegeben haben, findet die Flexion des Artikels nicht mehr statt. In vielen Grammatiken werden auch die attributiv verwendbaren und die Position eines Artikels einnehmenden Pronomina als Artikel (auch: Pronominalartikel, Artikelwörter, Determinatoren) betrachtet (z.B. dieser, mancher, alle). Über Artikel in diesem Sinn verfügen auch die roman. Sprachen (z.B. Frz., Ital.) und sog. artikellose Sprachen (z.B. Poln., Russ.); sie folgen dabei dem Flexionsmuster der Adjektive. Edyta Błachut → Adjektivflexion; Artikel; attribuierende Deklination; Flexion; Flexionsparadigma; grammatische Kongruenz; Pronomen ⇀ Artikelflexion (HistSprw)

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig

neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisen-

berg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./

Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau ◾ Schwarze, C. [1995] Grammatik der italienischen Sprache. 2., verbess. Aufl. Tübingen ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾

Vater, H. [1979] Das System der Artikelformen im gegenwärti-

gen Deutsch. 2. verbess. Aufl. Tübingen ◾ Vater, H. [1991] Determinantien in der DP. In: Olsen, S./ Fanselow, G. [Hg.] DET, COMP und INFL. Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen (LA 263). Tübingen: 15–34 ◾ Wegener,

H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen ◾ Wiese, B. [1996] Iconicity and Syn-

cretism. On Pronominal Inflexion in Modern German. In: Sack-

mann, R. [ed.] Theoretical Linguistics and Grammatical Description. Papers in honour of Hans Heinrich Lieb on the occasion of his 60th birthday. Amsterdam [etc.]: 323–344.

Artikellosigkeit

absolutes oder kontextabhängiges Fehlen eines Artikels. ▲ lack of articles: absolute or contextual absence of an article. Das Fehlen des Artikels kann auf zwei Hauptursachen haben: Einerseits verfügen nicht alle Sprachen über Artikel. In den meisten slawischen Sprachen oder im Lat. (1) gibt es z.B. keine Artikel (1). (1) Cave canem. [dt.: Vorsicht vor dem Hund] Andererseits gibt es Sprachen, in denen der Artikel unter bestimmten Umständen weggelassen wird. Im Dt. entfällt der Artikel in zahlreichen Fällen, so etwa bei Eigennamen (2), bei indefiniten Nomina im Pl. (3) oder bei Massennomina (4). (2) Da kommt Hans. (3) Er isst gerne Eier zum Frühstück. (4) Ich trinke regelmäßig Wasser. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

→ Artikel; Eigenname; Kontinuativum; Massennomen; Nullartikel

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Artikelwort

≡ Determinans (1); Determinativ; Determinativum

A

Artikulation, doppelte 184

A

Artikulation, doppelte

atelische Aktionsart

→ doppelte Artikulation

Aspektsprache

Sprache, in der die grammatische Kategorie des Aspekts im Verbsystem realisiert wird. ▲ aspect language: language with a grammatical category of aspect realised in the verbal system. Khrystyna Lettner

→ Aktionsart; verbale Kategorie → Gram-Syntax: Aspekt; imperfektiver Aspekt; perfektiver Aspekt

🕮 Andersson, S.-G. [1972] Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. Uppsala ◾ Flämig, W. [1965] Zur Funktion des Verbs. III. Aktionsart und Aktionalität. In: DaF 2: 4–12.

Ästheten-Präteritum

hyperkorrekter Gebrauch des Präteritums. ▲ past tense of aesthetes: hypercorrect use of the past tense. Die Sprecher des Dt. wissen, dass die PräteritumPerfekt-Differenz primär ein standardspr. Phänomen ist. Das kann dazu führen, dass Sprecher verstärkt das Prät. gebrauchen, auch an Stellen, an denen standardspr. ein Perf. (Präsensperf.) zu erwarten ist. Das geschieht dann, wenn ihre Sprachgebung primär ugs. geprägt ist. Sie setzen das Prät. entgegen der standardspr. Norm an die Stelle des Perf. in kommunikativen Situationen, in denen sie meinen, der standardspr. Norm entsprechen zu müssen, weil sie annehmen, dass sie mit dem ausschließlichen oder vermehrten Gebrauch des Prät. der standardspr. Norm gerecht werden. Es handelt sich also um eine Art von hyperkorrektem Gebrauch des Prät. Klaus Welke

→ Perfekt; Präteritum

🕮 Abraham, W. [2001] Präteritumschwund und Diskursgrammatik. Präteritumschwund in gesamteuropäischen Bezügen.

Areale Ausbreitung, heterogene Entstehung, Parsing sowie diskursgrammatische

Grundlagen

und

Zusammenhänge.

Amsterdam ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der

deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.]

◾ Lindgren, K.B. [1957] Über den oberdeutschen Präteritumsschwund (SuoTiT 112/1). Helsinki ◾ Weinrich, H. [1994] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Aktionsart von Zustands- und Handlungsverben ohne Grenzbezug. ▲ atelic aktionsart: lexical aspect in verbs expressing states and activities without a reference to boundaries. Bei den atelischen Verben handelt es sich um Verben, die andauernde Handlungen ohne Begrenzung ihrer Dauer oder Zustände bezeichnen. Eine ähnliche Definition gibt Andersson (1972: 34): „Es gibt in der Semantik dieser Verben keine Grenze, der die Handlung zustrebt“. Hierher gehören z.B. folgende Verben: (1) liegen, stehen, hocken, sitzen, hängen (irgendwo), duften, schmecken, scheinen, hungern, lieben, heißen. Außerdem gehören Verben der diminutiven oder diminutiv-iterativen Aktionsart in diese Gruppe (2). (2) frösteln, häkeln, hüsteln, köcheln, kränkeln, lächeln, spötteln, streicheln; blödeln, frömmeln, klügeln, näseln, sächseln, knattern, knistern, wispern u.a. Eine besondere Subklasse stellen folgende Verbgruppen dar: (a) Verben der Bewegung, die mit einer Direktivergänzung zu telischen werden und dann ihr Perfekt obligatorisch mit sein bilden (3); (b) Verben der Konsumtion, die in Verbindung mit einem zählbaren Subst. im Akkusativ ebenfalls in telische Verben umgemünzt werden (4); (c) intransitive Verben oder Verben in intransitiver Verwendung [+atel.] bzw. transitive Verben mit einem effizierten zählbaren Objekt [+tel.] (5). (3) mit dem Bus fahren – nach Berlin fahren; fliegen, schwimmen, fließen, gehen, hinken, hüpfen, humpeln, kriechen, laufen, radeln, reiten, schwimmen, spazieren u.a. (4) Wein trinken – ein Glas Wein trinken; (Brot) essen – eine Scheibe Brot essen (5) schreiben – einen Aufsatz schreiben, lesen – einen Brief lesen, bauen – ein Haus bauen. Die Verbgruppen (3) bis (5) können als atelisch oder telisch in Abhängigkeit von ihren Argumenten oder Eigenschaften dieser Argumente verwendet werden. Der Terminus atelisch findet in den neuesten Grammatiken des Dt. immer mehr Verwendung; sonst werden die Termini durativ, imperfektiv,

185 Atemporalis aterminativ oder nichtgrenzbezogen benutzt. Für die Anglistik ist dagegen die Bezeichnung atelic charakteristisch. Zu den atelischen Prädikatsklassen (Situationstypen, Zeitschemata) gehören states und activities, wobei die Letzteren zu den telischen (accomplishments) hinübertreten können; einige Beispiele aus Comrie (1976: 45) mögen dies veranschaulichen (6). (6) John is singing. [-tel.] (6a) John is singing a song. [+tel.] (6b) John is singing songs. [-tel.] (6c) John is singing five songs. [+tel.] Der Progressiv ist bei activities und accomplishments bildbar, bei states und achievements in der Regel nicht. Die atelischen Verben sind in beiden Sprachen mit Zeitdaueradverbialien kompatibel. Für das Engl. liegen eine Reihe von Testverfahren zur Kompatibilität der einzelnen Situationstypen (Aktionsarten) mit einigen Typen von Adverbialien vor. Andrzej Kątny

↔ telische Aktionsart → Aktionsart; Aspektsprache; imperfektive Aktionsart; kursives Verb; perfektive Aktionsart

→ Gram-Syntax: Aspekt; imperfektiver Aspekt

🕮 Andersson, S.-G. [1972] Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. Uppsala ◾ Comrie, B. [1976] Aspect. Cambridge ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Heinold, S. [2015] Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Ein Studienbuch. Tübingen.

atemporales Präsens ≡ generelles Präsens

Atemporalis

Tempus, durch das das Präsens als grundsätzlich zeitunabhängig bezeichnet wird. ▲ atemporalis: tense that denotes the present tense as basically time-independent. Will man über den einzelnen Bedeutungsvarianten des Präs. eine Invariante, eine Grundbedeutung bilden, so erscheint das Präs. als Atemporalis, als Nicht-Tempus. Denn es bleibt streng genommen nur die Negation von Zeitbezug bei der Bildung einer Invariante übrig, da das Präs. sowohl Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft als auch Zeitlosigkeit (besser: Zeitunabhängigkeit) bedeuten kann. Bereits für Jakobson war das

Präs. eine typisch merkmallose Kategorie. Merkmalkonzepte mit der Aufteilung ‚merkmallos – merkmalhaft (markiert)‘ übergehen jedoch den Umstand, dass die sog. merkmallosen Formen nicht absolut merkmallos sind, sondern kontextuell eine bestimmte Vorzugsbedeutung besitzen. Das Maskulinum der Student z.B. wird per default, wenn sich im Kontext keine weiteren Hinweise finden, als männlicher Student verstanden. Das Präs. besitzt ebenfalls eine Vorzugsbedeutung, nämlich 'Gegenwart'. Auch Tempustheorien, die mit der Charakteristik des Präs. als Atemporalis arbeiten, müssen sich auf die Bedeutung 'Gegenwart' beziehen, wenn sie die Existenz des hist. Präs. erklären wollen, weil sie es als 'Vergegenwärtigung' bzw. 'Verlebendigung' charakterisieren müssten. Wenn also das Präs. tempusneutral wäre, dann dürfte man sich nicht auf eine Konnotation der Vergegenwärtigung beziehen, um das hist. Präs. zu erklären. ‚Zeitunabhängigkeit‘ (Atemporalis) ist nur eine der Bedeutungsvarianten des Präs., z.B.: (1) Ich liebe dich. (2) Zwei mal zwei ist vier. (1) und (2) bedeuten das, was sie sagen, ohne Zeitbezug. Der Terminus Zeitunabhängigkeit ist daher angemessener als die manchmal verwendeten Termini Zeitlosigkeit im Sinne von Ewigkeit oder Allgemeingültigkeit, denn (1) und (2) bedeuten nicht das in (1a) und (2a) Ausgedrückte. (1a) Ich liebe dich zu allen Zeiten. (2a) Zwei mal zwei ist zu allen Zeiten vier. Fasst man Prototyp als Größe auf, die am Anfang einer Entwicklung steht (vgl. Welke 2005), so besteht der einfachste Weg einer Beschreibung darin, die übrigen Präsensbedeutungen aus der Bedeutung 'Gegenwart' abzuleiten. Aus dieser Bedeutung ergibt sich nicht nur eine Brücke zu einer Vergangenheitsbedeutung (zum hist. Präs.), und zwar auf Grund einer metaphorischen Übertragung, sondern auch zu einer Bedeutungsvariante 'Zeitungebundenheit'. Denn mit der Herausbildung eines Tempus erwächst einerseits der Zwang, jede Prädikation mit einem bestimmten Tempus zu verbinden. Wenn man andererseits von Zeit absehen will, ist das Präs. auf Grund seiner Bedeutung 'Gegenwart' das geeignetste Tempus. Für einen Hörer, einen heutigen Hörer oder einen Hörer, der bei Ausbildung des Tempus den Satz (1) das erste Mal hört, wird eine Implika-

A

attenuativ 186

A

tur ergeben, dass der Sprecher nicht meint, dass seine Aussage stets nur in Bezug zur Sprechzeit gültig (wahr) ist (und nur zur, vor oder nach der Sprachzeit gilt). Für heutige Sprecher/Hörer des Dt. ist Zeitungebundenheit allerdings zu einer fest etablierten Bedeutungsvariante geworden. Diese wird nicht aus der Bedeutung 'Gegenwart' durch eine pragmatische Implikatur abgeleitet. Aus der früheren Implikatur ist vielmehr seit Langem eine Bedeutung geworden. Eine solche Implikatur dient aber auch in der Gegenwartssprache noch immer der Auswahl einer bestimmten Bedeutungsvariante, z.B. in (1).

→ Präsens; Tempus; Tempussystem

Klaus Welke

🕮 Jakobson, R. [1966] Zur Struktur des russischen Verbums. In: Hamp, E.P./ Householder, F.W./ Austerlitz, R. [eds.] Readings in Linguistics II. Chicago; IL [etc.]: 22–30 ◾ Vennemann, T. [1987] Tempora und Zeitrelation im Standarddeutschen. In: Sprw 12: 234–249 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

attenuativ

≡ Ordinalzahlwort

Auslassungspunkt

Interpunktionszeichen mit der Funktion, Auslassungen, Fortsetzungen, Verbindungen oder Andeutungen zu indizieren. ▲ suspension point; mark of omission; ellipsis point: punctuation mark with the function of indicating omissions, continuations, links, or suggestions.

→ Interpunktion → Gram-Syntax: Ganzsatz

Katharina Siedschlag

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Meibauer, J. [2007] Syngrapheme als pragmatische Indikatoren: Anführung und Auslassung. In: Döring, S./ Geilfuẞ-Wolfgang, J. [Hg.] Von der Pragmatik zur Grammatik. Leipzig: 21–37.

Auslassungszeichen ≡ Apostroph

Ausrufezeichen

≡ diminutiv ⇀ attenuativ (Wobi)

Interpunktionszeichen, das einen orthographischen Satzschluss markiert und Satzmodi indiziert. ▲ exclamation mark; exclamation point: punctuation mark that marks an orthographic end of a sentence and indicates sentence types.

attenuative Ableitung ≡ Diminutiv

attribuierende Deklination

Flexionsmuster, u.a. in germanischen, slawischen und kaukasischen Sprachen, dem Adjektive bei attributiver Verwendung folgen, insbesondere im Deutschen die schwache Adjektivflexion. ▲ attributive declension: inflectional pattern in Germanic, Slavic and Caucasian languages, among others, that applies to adjectives used attributively, especially the weak adjective declension in German. Bernd Wiese

→ Adjektivflexion; nominale Deklination; schwache Deklination → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

Aufzählungswort

🕮 Brinkmann, H. [1962] Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. Düsseldorf ◾ Darski, J. [1979] Die Adjektivdeklination im Deutschen. In: Sprw 4: 190–205 ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Isačenko, A.V. [1982] Die russische Sprache der Gegenwart. Teil 1: Formenlehre. 4. Aufl. München ◾ Nichols, J. [2011] Ingush Grammar. Berkeley, CA [etc.] ◾ Prokosch, E. [1920] Elementary Russian Grammar. Chicago, IL ◾ Rieẞler, M. [2016] Adjective Attribution (StDiversLing 2). Berlin.

→ Interpunktion; Satzschlusszeichen → Gram-Syntax: Ganzsatz; Satzmodus ⇀ Ausrufezeichen (Schrling)

Katharina Siedschlag

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1989] Syngrapheme an und in Wortformen. Bindestrich und Apostroph im Deutschen. In: Eisenberg, P./ Günther, H. [Hg.] Schriftsystem und Orthographie (RGL 97). Tübingen: 85–110.

Aussagewort ≡ Verb

ausschließende Konjunktion ≡ alternativer Konjunktor

äußerer Plural

Plural, der am Nomen durch ein Affix markiert wird. ▲ sound plural; external plural: plural form which is marked by an affix on the noun. Der äußere Plural belegt die unter den europ.

187 Auxiliar Sprachen häufig vertretene additive Strategie der Pluralmarkierung, in der der Pl. des Nomens durch ein dem Stamm angefügtes Suffix angezeigt wird wie im Falle des Nomens Tür in den Beispielen (1)–(3) aus dem Dt., Engl. und Ung.: (1) Tür-en (2) door-s (3) ajtó-k György Scheibl

↔ gebrochener Plural; Nullplural → agglutinierender Plural; Plural; silbischer Plural; Suffix ⇀ äußerer Plural (HistSprw)

🕮 Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Ausstoßung ≡ Synkope

autonomes Adverb

Adverb, das genügend lexikalische Informationen enthält, um unabhängig von Situation und Kontext verstanden werden zu können. ▲ autonomous adverb: adverb whose lexical information is sufficient for it to be understood independently of situation and context. Pro-Adverbien wie dort, jetzt und Pronominaladverbien wie dabei u.a. sind, wenn sie isoliert vorkommen, nicht verständlich, sondern erst in einer besonderen Gesprächssituation oder in einem Textzusammenhang. Autonome Adverbien wie abends, anders, entzwei, gern, kaum, überall, unterwegs, zeitweise, zuwider können indessen unabhängig von Situation und Kontext verstanden werden.

↔ phorisches Adverb; Pro-Adverb → absolutes Adverb; Adverb

Kjell-Åke Forsgren

🕮 Autorenk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Autorenplural

≡ pluralis auctoris

Autosemantikon

Wort mit einer isolierbaren lexikalischen Bedeutung.

▲ autosemantic word: word with an isolatable lexical

meaning.

Ein Autosemantikon (Pl. Autosemantika) ist lexikalisch-semantisch relativ selbständig, weil es begrifflich alleine etwas kategorisieren bzw. etwas benennen kann. Es hat ohne eine syntaktische Verbindung mit anderen sprachlichen Elementen eine lexikalische Bedeutung. Zu den Autosemantika gehören vor allem Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien. Christine Römer ≡ Autosemantikum; Inhaltswort; Vollwort ↔ Synsemantikon → Adjektiv; Adverb; Funktionswort; Substantiv; Verb ⇀ Autosemantikon (SemPrag) ⇁ autosemantic word (Typol)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Schippan, T. [1992] Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Autosemantikum

≡ Autosemantikon ⇀ Autosemantikum (Lexik)

Aux

≡ Auxiliarkomplex

Auxiliar

Verb mit grammatischer Funktion, das u.a. zur Bildung von Tempus und Diathese verwendet wird. ▲ auxiliary: verb with a grammatical function which is used for the formation of tense and diathesis. Auxiliare kommen in zusammengesetzten Tempora und Passivkonstruktionen vor. Im Dt. gehören haben, sein und werden zu den Auxiliaren ((1), (2)). (1) Sie hat gelächelt. (2) Der Briefträger wird vom Hund verfolgt. Gelegentlich werden auch Modal- und Kopulaverben zu den Auxiliaren gezählt. Auxiliare haben nur eingeschränkt Valenz. Stattdessen transportieren sie den Valenzrahmen des Hauptverbs teilweise in umgeordneter Form weiter. Auxiliare weisen häufig flexionsmorphologische Besonderheiten im Vergleich zu Vollverben auf (z.B. die unregelmäßige Bildung von sein – war – gewesen). Umstritten ist, inwiefern Auxiliare tatsächlich

A

Auxiliarkomplex 188

A

eine eigene Verbklasse konstituieren, oder ob sie als Hauptverben behandelt werden können. ≡ Auxiliarverb; Hilfszeitwort ↔ Kopulaverb → Auxiliarkomplex; Hilfsverb; Passiv → Gram-Syntax: Kopulakonstruktion; Valenz ⇀ Auxiliar (HistSprw) ⇁ auxiliary (Typol)

Björn Rothstein

🕮 Heine, B. [1993] Auxiliaries. Cognitive forces and grammaticalization. Oxford ◾ Palmer, F.R. [1979] Why auxiliaries are not main verbs. In: Lingua 47: 1–25 ◾ Reis, M. [1976] Zum grammatischen Status der Hilfsverben. In: BGeschDtSpLit-T 98: 64–82 ◾ Ross, J.R. [1969] Auxiliaries as main verbs. In: Todd, W. [ed.] Studies in philosophical linguistics 1. Evanston: 77–102 ◾ Warner, A. [1993] English auxiliaries: structure and history. Cambridge.

Auxiliarkomplex

Verbalkategorie, bestehend aus den Merkmalen für Person, Numerus, Modus, Tempus und Aspekt, die u.a. die Auxiliarverben be und have regiert. ▲ auxiliary complex: verbal category consisting of the features person, number, mood, tense and aspect.

Der Auxiliarkomplex (= AUX) ist im Modell der „Aspects of the theory of syntax“ (Chomsky 1965) eine komplexe verbale Kategorie, die die Merkmale Person, Numerus, Modus, Tempus und Aspekt beinhaltet. In der Rektions- und Bindungstheorie wird AUX durch INFL ersetzt, das später in verschiedene Teilphrasen für die einzelnen Merkmale untergliedert wird. In diesem Ansatz, Split-Infl genannt, werden u.a. die Phrasen TP für Tempusmerkmale und AgrsP für Subjektkongruenz vorgeschlagen. Björn Rothstein ≡ Aux → Auxiliar; Modus; Numerus; Person; Tempus → Gram-Syntax: Aspekt; Infl; Split-Infl-Hypothese

🕮 Chomsky, N. [1965] Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, MA ◾ Chomsky, N. [1981] Lectures on Government and Binding. The Pisa Lectures. Berlin ◾ Pollock, J.-Y. [1989] Verb Movement, Universal Grammar, and the Structure of IP. In: Ling­ Inqu 20: 365–424.

Auxiliarverb

≡ Auxiliar ⇀ Auxiliarverb (CG-Dt)

B Basismorphem

(2)

Bedeutung, kombinatorische

→ Adjektiv ⇁ adjective (CG-Engl; Typol)

≡ Grundmorphem

→ kombinatorische Bedeutung

Bedeutung, relationale

Das Kleid ist rot.

🕮 Eichler, W./ Bünting, K.-D. [1996] Deutsche Grammatik. Form, Leistung und Gebrauch der Gegenwartssprache. 6. Aufl. Weinheim.

→ relationale Bedeutung

Beiwort, schmückendes

→ strukturelle Bedeutung

Benennungskasus

Bedeutung, strukturelle Bedingungsadverb ≡ Konditionaladverb

Bedingungsform ≡ Konditional

Befehlsform ≡ Imperativ

Begleiter ≡ Artikel

beiordnende Konjunktion ≡ Konjunktor

Beiwort

inhaltlich orientierte Bezeichnung für das Adjektiv. ▲ adjective; epithet: type of word whose main function is to modify a noun. Die Bezeichnung Beiwort ergibt sich aus der Übersetzung von lat. adiectivum (dt.: Beigefügtes) und hebt in der Benennungsmotivierung die syntaktischen Hauptfunktionen der Verknüpfung mit einem Subst. (1) und einem Verb (2) hervor. (1) Das rote Kleid [...]

Christine Römer

→ epitheton ornans

Verwendung des Nominativs als Nennform eines Substantivs. ▲ naming case: use of the nominative case as the citation form of a noun. In seiner Verwendung als Benennungskasus hat der Nominativ keine Subjektfunktion: er „steht […] außerhalb des syntaktischen Gefüges“ (Hentschel/Weydt 1994: 153). Diese Gebrauchsweise des Nominativs kommt auch in der gesprochenen Sprache vor (1). (1) Sieh nur, ein Reh! Damit verwandt sind emotional beladene Verwendungen des Nominativs (Admoni 1982: 109), z.B. in Ausrufen (2). (2) Mist! Unsinn! Da der Nominativ durch diese Verwendung gekennzeichnet ist, wird der Benennungskasus in der russ. Germanistik auch Benennungsnominativ genannt (Moskalskaja 1983: 159).

→ Nennform; Nominativ → Gram-Syntax: Subjekt; Subjektkasus

Giovanni Gobber

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [1994] Handbuch der deutschen Grammatik. 2. durchges. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Moskalskaja, O.I. [1983] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3., verb. u. erw. Aufl. Moskau.

be-Präfigierung 190

be-Präfigierung

BC

Ableitung eines deutschen oder niederländischen Verbs mithilfe des Präfixes be-. ▲ be-prefixation: derivation of a Dutch or German verb by adding the prefix be-. Die Ableitung niederl. (Booij 2000: 365) und dt. Verben mit be- und anderen Präfixen ist ling. relevant, weil dadurch eine Valenzänderung bewirkt werden kann: (a) (irgendwo) stehen + Präfix ver→ verstehen; (irgendwohin) kommen + be- → etw. bekommen [mit jeweils völlig anderer Lesart]; (b) etw. (aus etw.) nehmen + Präfix ent- → etw. [eine Probe; eine Schlussfolgerung] einer Sache entnehmen [mit einer ähnlichen und einer neuen Lesart]; (c) etw. [Blumen] (auf etw. [den Tisch]) malen + Präfix be- → etw. [den Tisch] (mit etw. [Blumen]) bemalen [mit ähnlicher Lesart]; (d) (in etw.) wohnen + Präfix be- → etw. bewohnen; jmdm. drohen (etw. zu tun) + Präfix be- → jmdn. (damit) bedrohen (etw. zu tun) [jeweils mit ähnlicher Lesart]. Oft handelt es sich bei der Valenzänderung um eine Transitivierung (Booij 2000: 365; Duden 2009: 694), vgl. (d). Dadurch wird auch ein persönliches Passiv möglich, vgl. (1) vs. (1a) sowie (2) vs. (2a). (1) Ihm wird gedroht. (1a) Er wird bedroht. (2) In diesem Haus wird seit 1970 nur noch gewohnt. (2a) Dieses Haus wird seit 1970 nur noch von Musikern bewohnt. Auch sind andere Aktanten als beim Simplex obligatorisch oder wahrscheinlich. In (c) ist bereits das Simplex transitiv, doch findet gleichsam ein Rollentausch statt: Was beim Simplex malen mit dem fakultativen Präpositionalobjekt bezeichnet wird, etwa mit auf den Tisch, erscheint bei bemalen in Gestalt eines Akkusativobjekts (den Tisch). Umgekehrt ist die NP Blumen nicht mehr Akkusativobjekt, sondern sie gehört zum fakultativen Präpositionalobjekt (mit Blumen). Solche Valenzunterschiede bei ähnlicher Lesart werden genutzt, um die Informationsstruktur von Sätzen zu steuern (vgl. Eroms 1986: 68). (3) Sage und schreibe 24 037 500 Blatt DIN-A– 4-Papier haben die städtischen Angestellten 2011 bedruckt oder beschrieben. (Braunschweiger Zeitung, 12.04.2012) (4) Otto beschreibt den Stein mit Sprüchen. In (3) spielt es keine Rolle, was gedruckt oder ge-

schrieben wurde, sondern nur, worauf gedruckt und geschrieben wird: DIN-A–4-Papier. Mit den Simplizia drucken und schreiben hätte sich der Satz so nicht konstruieren lassen, zumal sie nicht dieselbe telische Aktionsart (vgl. „vollschreiben“) haben. In (4) liegt der Fokus auf dem intonatorischen Gipfel des letzten Wortes Sprüchen. Will man eine einfache lineare Progression (Eroms 1986: 91) erreichen, beendet man den vorangehenden Satz mit Otto und stellt die nächste Referenz auf „Sprüche“ als Thema ins Vorfeld des folgenden Satzes: (5) Vor Passaus bekanntestem Stein steht Sprü­ her Otto. Otto beschreibt den Stein mit Sprüchen. Sie sind, so munkelt man, etruskisch. Zum Vergleich eine Version mit dem Simplex schreiben: (5a) Das ist Passaus bekanntester Stein. Auf diesen Stein schreibt Sprüher Otto Sprüche. Sie sind [...].

→ Präfix; Präfixverb; Verb → Gram-Syntax: Ableitung

Franziska Münzberg

🕮 Booij, G. [2000] Inflection and derivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 360–369 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [1986] Funktionale Satzperspektive. Tübingen.

besitzanzeigendes Fürwort ≡ Possessivpronomen

besitzanzeigendes Pronomen ≡ Possessivpronomen

bestimmte Verbform ≡ finite Verbform

bestimmter Artikel ≡ definiter Artikel

bestimmtes Zahladjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine bestimmte Anzahl angeben. ▲ definite numeral adjective; adjective of number: semantically defined subclass of adjectives which indicate a specified number. Bestimmte Zahladjektive geben eine bestimmte Anzahl an, die auch in Ziffern geschrieben werden kann: null, ein, zwanzig, 0, 1, 20 … 999 999.

191 be-Verb Diese werden Grund- oder Kardinalzahlen genannt (höhere Kardinalzahlen wie Million, Billion usw. sind Substantive). Zu den bestimmten Zahladjektiven zählen auch die Ordnungszahlen (Ordinalzahlen) wie erster, zweiter, dritter usw. und Multiplikativa mit dem Suffix -fach wie einfach, zweifach, dreifach usw. (1) Die Bischofskonferenz erklärte, man übe „null Toleranz“, und verabschiedete Leitlinien. (SZ, 15.01.2014: 7) (2) Meist dichte Wolken, teilweise ist es nebligtrüb. Vier bis sieben, im Norden und Osten null bis vier Grad. (SZ, 20.01.2014: 1) (3) Weil Jonas in die Schule kommt, darf er nur bis zum 31. Juli im Kindergarten bleiben, die fünf Wochen ohne Betreuung müssen die Eltern schon mit Urlaub überbrücken. (Hannoversche Allgemeine, 08.05.2015) (4) In der weiblichen Jugendklasse zeigte sich die zweifache deutsche Meisterin Ricarda Bauernfeind von der RSG Ansbach der Konkurrenz nach 14 Kilometern klar überlegen. (Nürnberger Zeitung, 05.05.2015: 24) (5) Neun Menschen soll der eine Mann dort angesteckt haben, […]. (SZ, 12.08.2014: 7) Die bestimmten Zahlwörter können auch zu anderen Wortarten gehören; Zahladjektive werden aufgrund ihrer Syntax als Adjektive betrachtet; denn sie können zwischen Determinativ und Nomen stehen (vgl. (3) die fünf Wochen; (5) der eine Mann). Jussara Paranhos Zitterbart

↔ indefinites Zahladjektiv → Adjektiv; bestimmtes Zahlwort; Kardinalzahlwort; Multiplikativum; Ordinalzahlwort

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich.

bestimmtes Zahlwort

Wort, das eine bestimmte Zahl ausdrückt und unterschiedliche Wortartprägung aufweisen kann. ▲ definite number; definite numeral word: word which expresses an exact number in a different part of speech.

Nach grammatischen Gesichtspunkten werden bestimmte Zahlwörter in Zahladj. (zwei Mädchen, der erste Tag), Zahlpron. (dreierlei/beides gleichzeitig machen), Zahlsubst. (die Hälfte der Studenten, zwei Millionen Besucher), Zahladverb (drit-

tens) und Artikelwort (ein Auge) eingeteilt, wobei sie weiter in folgende Gruppen unterteilt werden können: (a) Kardinalzahlwort (Grundzahlen) (ein, Million, Dutzend); (b) Ordinalzahlwort (erste, drittens); (c) Multiplikativum (doppelt, dreifach); (d) Gattungszahlwort (dreierlei); (e) Bruchzahlwort (Hälfte, zehntel) (vgl. mit ähnlicher Terminologie Duden 2006) . Edyta Błachut

↔ unbestimmtes Zahlwort → Bruchzahlwort; Gattungszahlwort; Multiplikativum;

Numerale; Ordinalzahlwort; Zahladjektiv; Zahladverb; Zahlpronomen → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Bestimmungswort

≡ Determinans (1); Determinans (2) ⇀ Bestimmungswort (Lexik)

Beugung

≡ Deklination; Flexion

Beugung, parallele

→ parallele Deklination; parallele Flexion

be-Verb

Verb, das mithilfe des Präfixes be- abgeleitet ist. ▲ be-verb: verb with the prefix be-. Die Verbalableitungen mit dem Präfix be- bilden eine der produktivsten Gruppen der dt. Derivate. Mit be- werden häufig transitive Verben von transitiven und intransitiven Simplexverben sowie (oft auf dem Weg der Zirkumfigierung) von Sub­ stan­tiven und Adjektiven gebildet, vgl. be-weinen, be-schenken, be-gnad-ig-en, be-obacht-en, be-kräftig-en. Das Präfix be- ist jedoch nicht immer ein Transitivierungsmittel (be-stehen, sich be-finden, sich be-nehmen). Das Präfix be- kann die Bedeutung des ensprechenden Stamms auf verschiedene Art und Weise modifizieren, u.a. kann es Resultativität/Perfektivität (be-steigen), Kompletivität (be-reisen), Kausativität (be-leben), Ornativität (bekleben), Habitualität (be-fliegen) kodieren. Mehrere be-Verben sind im Laufe der Sprachentwick-

BC

Beziehungsadjektiv 192

BC

lung teil- oder vollidiomatisch geworden, d.h., sie haben ihren semantischen Zusammenhang mit der entsprechenden Ableitungsbasis teilweise oder völlig verloren, z.B. begreifen, bestechen, begehen, bekommen. Einige wenige be-Verben sind zu Simplizia geworden, da die ensprechenden Verben ohne Präfix aus der Sprache verschwunden sind (z.B. bedingen, begleiten). Michaił L. Kotin

→ abgeleitetes Verb; Simplex; transitives Verb; Verb; Verbpräfix; Zirkumfigierung

🕮 Erben, J. [1975] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2007] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 3. Aufl. Tübingen ◾ Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 1. Hauptteil: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf.

Beziehungsadjektiv ≡ Relationsadjektiv

Beziehungsfürwort ≡ Relativpronomen

Beziehungspronomen ≡ Relativpronomen

bezügliches Fürwort ≡ Relativpronomen

Bezugsadjektiv

≡ relationales Adjektiv; Relationsadjektiv

Bezugskasus

morphologischer Kasus, der angibt, dass ein Nomen mit einem anderen Teil der Aussage in einem bestimmten Bezug steht. ▲ case of relationship: morphological case indicating that a NP stands in a certain relation to another part of the clause. Nach Jakobson (1936) ist der Akkusativ im Russ. ein Vollkasus, der zugleich ein Bezugskasus ist, weil er – im Gegensatz zum Nominativ – eine Relation zum Ausdruck bringt und darüber hinaus in der Regel auf ein (ausgedrücktes oder hinzugedachtes) Verb angewiesen ist. Auch der Dativ ist, außer einem Randkasus, ein Bezugskasus: er gibt Jakobson zufolge die Betroffenheit der von einer Handlung bezeichneten Größe an (und steht deshalb mit Nominativ und Akkusativ in einer Kor-

relationsbeziehung). Anders als der Vollkasus Akkusativ zeichnet der Dativ diese Größe aber als unabhängig existierend aus (Jakobson 1936: 52). Der Instrumental dagegen ist kein Bezugskasus, d.h., er gibt die „bloße Randstellung“ (Jakobson 1936: 51) an, etwa im Sinne einer Bedingung, Einschränkung oder Betätigung, aber auch metaphorisch. Klaas Willems

→ Akkusativ; Kasusbedeutung; Markiertheitstheorie; Randkasus; Vollkasus

🕮 Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288.

binäres Merkmal

Merkmal eines Objekts, das auf der Kontradiktion zweier zueinander in Opposition stehender Eigenschaften beruht. ▲ binary feature: feature of an object which is based on the contradiction of two opposing properties. Das Verfahren des Prinzips des Binarismus (auch: Alternativprinzip, binäre Opposition) ist eine dichotomische Methode, nach der ein Begriff in zwei Beschreibungterme aufgespalten wird, welche auf der Opposition zweier Einheiten beruhen, die als kontradiktorische Merkmale aufgefasst werden. Die Darstellungsweise von Objekten in einem derartigen Dualsystem, das aus zwei Sorten kontradiktorischer Elemente konstituiert ist, erzeugt Binarität bzw. binäre Merkmale dieser Objekte (lat. binarius 'zwei enthaltend'). Bei der Dichotomie handelt es sich um die klassische Theorie des „unendlichen Urteils“ bzw. des „disjunktiven Urteils“ (S ist entweder P oder Q), die auf den Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten (lat. tertium non datur 'ein Drittes ist nicht vorhanden') hinweist, nach welchem logische Urteile, die bei gleichem Subjekt kontradiktorisch einander entgegengesetzte Prädikate haben (z.B. A = B, A ist nicht = B), weder beide falsch sein können noch die Wahrheit eines dritten Urteils zulassen, so dass eines von beiden wahr sein muss. Der Binarismus der zweiwertigen Logik entsteht durch die Annahme dieser zwei Wahrheitswerte wahr und falsch. Der engl. Philosoph und Staatsmann Francis Bacon (1623: 59–61) beschreibt den Kodierschlüssel omnia per omnia, der nach dem Prinzip des Binarismus aufgebaut ist und großen

193 Bruchzahlwort Einfluss auf wissenschaftliche Methoden ausgeübt hat. Die Aufspaltung einer komplexen Erscheinung in ihre inhärenten, als binär strukturiert und universal gültig angenommenen Merkmale (Jakobson/Halle 1956: 28) erlangt methodologische und theoretische Bedeutung bei der dichotomischen Klassifikation ling. Elemente nach binären Merkmalen. Roman Jakobson, der Prager Schule angehörend, vertritt die Hypothese der Binarität durch die Unterscheidung von Phonemen mit Hilfe distinktiver Merkmale, wobei er auf den Binarismus der Kodierungs-, Dekodierungs- und Analyseprozesse in der Informationstheorie referiert. Jakobson/ Fant/Halle (1969: 9) nehmen an, dass Binarität der konstitutive Grundzug von Kommunikationsprozessen und eine dichotome Skala das oberste Prinzip ling. Strukturen ist. Die explizit logisch kontradiktorisch formulierten ((1)–(3)) sowie die als kontradiktorisch wahrgenommenen distinktiven Merkmale ((4)–(6)) werden bei Jakobson/Halle (1956: 29–31) als oppositionell und damit als binär verstanden. Sie können mit den Werten [+] oder [-] für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Merkmals ausgestattet werden. (1) vocalic/non-vocalic (2) checked/unchecked (3) discontinuous/continuant (4) nasal/oral [nasalized/non-nasalized] (5) compact/diffuse (6) strident/mellow Von Vertretern des Binarismus wird angenommen, dass sich neben dem phonologischen auch das morphologische, syntaktische und semantische System von Sprachen durch eine begrenzte Anzahl binärer Merkmale vollständig und optimal beschreiben lässt. Als auf dem Prinzip des Binarismus basierend können z.B. die Konstituentenanalyse und z.T. die Komponentenanalyse aufgefasst werden. Kritik am ling. Binarismus äußert sich in Vorwürfen wie Verzerrung des Objekts der sprachlichen Realität, mangelnde Kongruenz der Beschreibungssprache mit der sprachlichen Wirklichkeit, Versagen der Theorie bei Sprachen, die ternäre bzw. n-näre Teilungen zulassen, logische Fehler, Willkür, mangelnde Beweise und Subjektivität bei Segmentierungen in der Analyse, geringe Explizität, schwer nach-

prüfbare Widerspruchsfreiheit, Insuffizienz des extensionalen Sprachverständnisses, Ungenauigkeit und Erzeugung von Scheinproblemen (Heringer 1970: 65–69).

→ § 13, 30; Merkmal → Gram-Syntax: Binarität ⇀ binäres Merkmal (Phon-Dt) ⇁ binary feature (Phon-Engl)

Maria Schädler

🕮 Bacon, F. [1623] De dignitate et augmentis scientiarum. In: Mayer, P. [Hg. 1829] De dignitate et augmentis scientiarum libri IX. Nürnberg ◾ Heringer, H.J. [1970] Theorie der deutschen Syntax. München ◾ Jakobson, R./ Fant, G./ Halle, M. [1969] Preliminaries to Speech Analysis. The Distinctive Features and their Correlates. Cambridge, MA [etc.] ◾ Jakobson, R./ Halle, M. [1956] Fundamentals of Language (JanLing-Minor-H 1). Den Haag.

Bindestrich

Wortzeichen mit der Funktion, bestimmte Morphemgrenzen in Komposita oder Derivaten zu indizieren. ▲ hyphen: word punctuation mark with the function of indicating certain morpheme boundaries in compounds or derivatives. Katharina Siedschlag

→ Ergänzungsstrich; Gedankenstrich; Interpunktion; Trennstrich

⇀ Bindestrich (Schrling)

🕮 Bernabei, D. [2003] Der Bindestrich. Vorschlag zur Systematisierung (ASprw 11). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Buchmann, F. [2015] Die Wortzeichen im Deutschen (GBib 56). Heidelberg ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467.

Bindewort

≡ Konjunktion; Konnektor

Binnenflexion

≡ innere Flexion ⇀ Binnenflexion (1) (Wobi); Binnenflexion (2) (Wobi)

Bruchzahlwort

Adjektiv oder Substantiv, das den Teil eines Ganzen bezeichnet. ▲ fractional numeral; fractional number: adjective or noun which denotes the part of a whole. Die Wiedergabe der Bruchzahlen in der Schriftsprache erfolgt in Buchstaben (viertel; zehntel) oder in Ziffern (½, ¾). In semantischer Hinsicht gehören Bruchzahlen zu den bestimmten Zahl-

BC

Bybee-Hierarchie 194

BC

wörtern, d.h., sie drücken eine bestimmte (exakte) Zahl aus. Als (Zahl-)Adj. werden sie nur attributiv verwendet und stehen zumeist vor Maß- und Mengenbezeichnungen (nach drei viertel Stunden). Im sonstigen Gebrauch sind Bruchzahlen Substantive (das erste Drittel des Films). Für die Bruchzahl ½ verwendet man im Dt. das feminine Subst. Hälfte und das Zahladj. halb. Daneben kann halb als unbestimmte Zahlangabe verwendet werden, z.B. Halb Berlin war wegen Bomben evakuiert worden. Edyta Błachut

→ Adjektivflexion; bestimmtes Zahlwort; Kardinalzahlwort;

Numerale; Ordinalzahlwort; Substantivflexion; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Bybee-Hierarchie

Hierarchie, die Vorhersagen über den formalen Fusionsgrad und die Abfolge von Grammemen in Abhängigkeit vom Relevanzgrad einer grammatischen Kategorie für die lexikalische Basis macht. ▲ Bybee Hierarchy: hierarchy according to which the functional relevance of a grammatical element to the lexical root determines its formal fusion with the respective root. Nach Bybee (1985; 1994) bestimmt der Relevanzgrad eines grammatischen Zeichens für seine lexikalische Basis den ausdrucksseitigen Fusionsgrad, d.h., ob es entweder lexikalisch, morphologisch oder syntaktisch realisiert wird. Je relevanter eine grammatische Kategorie für ein Lexem ist, desto näher wird sie am Stamm realisiert, z.B. durch Flexion oder Derivation, wohingegen minderrelevante Kategorien syntaktisch realisiert werden (sog. diagrammatischer Ikonismus). Anhand einer typologischen Studie zur Verbalmorphologie von 50 weder verwandten noch benachbarten Sprachen entwickelt Bybee (1985: Kap. 2) die Relevanzhierarchie in (1). Für die Nominalkategorien wird die Relevanzhierarchie wie in (2) vorgeschlagen (Bybee 1994: 2559; Kürschner 2008, 24f.; Dammel/Gillmann 2014: 188f.). (1) Verbalkategorien: Valenz > Diathese > Aspekt > Tempus > Modus > Numerus > Person

(2) Nominalkategorien: Numerus > Definitheit > Kasus Tempus oder Aspekt sind deshalb für das Verb relevant, weil sie das Verbalereignis selbst (temporal) affizieren, wohingegen Numerus und Person eher Informationen über den Subjektsaktanten liefern. Aufgrund seiner höheren Relevanz tendiert Tempus universell stärker zum fusionierenden oder flexivischen Ausdruck am Verbstamm (vgl. fusionierend: schlug-st, flexivisch: fragte-st). Dagegen werden weniger relevante Kategorien bei flexivischem Ausdruck eher an der Peripherie der Wortform kodiert und sind damit anfälliger für Abbau oder Auslagerung in die Syntax (vgl. ich sage > gesprochensprachlich ich sag'). Mit der Relevanz steigt auch das Ausmaß der Allomorphie einer grammatischen Kategorie (vgl. etwa die hochrelevante Numeruskategorie, die, je nach Theorie, zwischen 5 und 8 Allomorphe umfasst, z.B. -(e)n, -e, -e + Umlaut, Nullmorph, Umlaut, -er + Umlaut, -s). Morphologische Umbauprozesse verlaufen häufig relevanzgesteuert: So ist etwa die Numerusprofilierung, die als Leitmotiv in der dt. Sprachgeschichte gilt (z.B. Wegera 1987), dadurch erklärbar, dass die relevante Kategorie Numerus ausdrucksseitig gestärkt wird bzw. die minderrelevante Kategorie Kasus geschwächt wird (sog. Kasusnivellierung). Melitta Gillmann

→ Fusion; Grammem; Lexem; lexikalische Kategorie; morphologische Kategorie

→ Gram-Syntax: syntaktische Kategorie

🕮 Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Bybee J. L. [1994] Morphological Universals and Change. In: Asher, R.E. [ed.] The Encyclopedia of Language and Linguistics 5. Oxford: 2557–2562 ◾ Dammel, A./ Gillmann, M. [2014] Relevanzgesteuerter Umbau der Substantivflexion im Deutschen. Spiegelt Diachronie Typologie? In: PBB 136/2: 173–229 ◾ Kürschner, S. [2008] Deklinationsklassenwandel. Eine kontrastive Studie zur Entwicklung der Pluralallomorphie im Deutschen, Niederländischen, Schwedischen und Dänischen (StLingGerm 92). Berlin [etc.] ◾ Moser, H./ Stopp, H./ Besch, W. [Hg. 1987] Grammatik des Frühneuhochdeutschen. Bd. III: Flexion der Substantive. Bearb. von K.-P. Wegera. Heidelberg ◾ Nübling, D./ Dammel A. [2004] Relevanzgesteuerter morphologischer Umbau im Frühneuhochdeutschen. In: PBB 126: 177–207 ◾ Schmuck, M. [2013] Relevanzgesteuerter morphologischer Umbau. Die verbalmorphologische Entwicklung des Deutschen, Niederländischen und Schwedischen im Kontrast. Hildesheim [etc.].

C casus absolutus

Kasus, dessen Auftreten im Satz auf eine elliptische Konstruktion zurückführbar ist. ▲ absolute case: case which occurs in a sentence due to an elliptical construction. In elliptischen Partizipialkonstruktionen, in denen die Partizipien habend oder haltend gestrichen wurden, steht das Subst. im Akkusativ und damit in dem Kasus, den diese Partizipien zuweisen würden. (1) Den Hut [Akkusativ] in der Hand haltend, betrat er den Raum. (1a) Den Hut [Akkusativ] in der Hand betrat er den Raum. Da an der Satzoberfläche das kasuszuweisende Element nicht mehr präsent ist, bezeichnet man diesen Kasus als casus absolutus. Neben dem accusativus absolutus (1a) gibt es auch den nominativus absolutus (2a). Dieser lässt sich auf eine elliptische Konstruktion beziehen, in der das Subst. in der Funktion eines Prädikativums steht und deshalb den Nominativ trägt. (2) Peter – er ist mein bester Freund – kommt heute später. (2a) Peter – mein bester Freund – kommt heute später. In den meisten Grammatiken (vgl. Duden 2005: 910f.) wird nur dann von einem casus absolutus gesprochen, wenn das Auftreten des Kasus auf eine elliptische Konstruktion zurückführbar ist. Diese Definition wird auch hier zugrunde gelegt. Dagegen vertreten Zifonun et al. (1997: 2224f.) die Ansicht, dass der casus absolutus keineswegs immer auf eine elliptische Konstruktion zurückzuführen sei. Hentschel/Weydt (2003: 383) sprechen sich dafür aus, dass auch Substantive im Genitiv oder Akkusativ, die in der Funktion eines

Adverbials auftreten (vgl. (3) und (4)), als casus absolutus bezeichnet werden sollten, denn auch hier sei der Kasus nicht von einem anderen Element des Satzes abhängig. (3) Den ganzen Morgen [Akkusativ] las er die Zeitung. (4) Rechter Hand [Genitiv] sehen Sie den Eiffelturm. Auch in anderen Sprachen (Lat., Griech.) kommt eine solche Konstruktion vor. So ist im Altgriech. die Absolutkonstruktion typischerweise eine Verbindung aus Partizip und Genitiv, in unpersönlichen Konstruktionen auch eine Verbindung aus Partizip und Akkusativ. Christa Dürscheid ≡ absoluter Kasus → accusativus absolutus; Kasus → Gram-Syntax: Adverbial; Prädikativum; Rektion

🕮 Dittmer, E. [1980] Zur Geschichte des absoluten Akkusativs (Nominativs) im Deutschen. In: Dyhr, M./ Hyldgaard-Jensen, K./ Olsen, J. [Hg.] Festschrift für Gunnar Bech. Kopenhagen: 61–83 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kortmann, B. [1988] Freie Adjunkte und absolute Konstruktionen im Englischen und Deutschen. In: PzLing 38/1: 61–89 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Circumposition

≡ Zirkumposition

coniugatio periphrastica

≡ periphrastische Konjugation ⇀ coniugatio periphrastica (HistSprw)

D Dativ

grammatischer Kasus, dessen Hauptfunktion die Markierung des indirekten Objekts – im Deutschen des Dativkomplements – ist. ▲ dative: grammatical case which marks the indirect object – in German the dative complement. Der Dativ (lat. cāsus datīvus, 'das Geben betreffend(er Fall)') wird in den Schulgrammatiken auch als „3. Fall“ oder „Wem-Fall“ bezeichnet. Er ist neben dem Nominativ, Akkusativ und Genitiv einer der vier morphologischen Kasus des Dt. Man findet in der Fachlit. sowohl Ansätze, die für eine einheitliche, monofunktionale Analyse der Dative plädieren (z.B. Schöfer 1992 und Wegener 1985), als auch polyfunktionale Ansätze (z.B. Schmid 1988). Der Dativ gehört zusammen mit dem Akkusativ und Genitiv zu den sog. casus obliqui (Butt 2006: 13f.) und kodiert das indirekte Objekt, das wie der Akkusativ niemals die semantische Rolle Agens (prototypisch Nominativ) innehaben kann. Im Unterschied zum Akkusativ kann der Dativ jedoch auch nicht das Patiens kodieren (u.a. Eisenberg 2005: 295; Gunkel et al. 2017: 904). In einer Nominativsprache (vgl. Manning 1996) stellt der Dativ einen markierten Kasus dar. Die Reihenfolge der Kasus im Dt. entspricht ihrer Spezifizierung bzw. Markiertheit: Nominativ > Akkusativ > Dativ > Genitiv. Als Kasusmarker der existierenden Relationen und Funktionen unter den deklinierbaren Wortarten im Satz kommt der Dativ bei Nomina, Artikeln, Pronomina und Adjektiven vor. Er gilt unter den Kasus morphologisch am markiertesten (I) und kann im Satz unterschiedliche syntaktische Funktionen ausüben (II).

(I) Formen und Markierung des Dativs Der Dativ steht an dritter Stelle in der Kasushierarchie, denn er erscheint in morphologisch markierterer Form als Nominativ und Akkusativ. Unter den Kasusmarkern zeigen nur die pronominalen Formen und Artikelformen eine differenzierte Kasusmarkierung, wobei Nomina in der Regel ein rudimentäres Kasussystem aufweisen. Diese Unterschiede in der Markierung bei deklinierbaren Wörtern sind eine verbreitete Erscheinung in Sprachen (Iggesen 2009). Im Vergleich zum Nominativ und Akkusativ, bei denen in vielen Formen (bei Femininum und Neutrum Sg. und bei allen Pluralformen) Kasussynkretismus herrscht, ist der Dativ morphologisch stark markiert. Die Kasusmarkierung erfolgt im Dt. teils morphologisch, teils syntaktisch (Wegener 1985: 45–47): Die morphologische Markierung ist bei maskulinen starken und neutralen Nomina im Pl. am deutlichsten, denn bei ihnen wird der Dativ doppelt gekennzeichnet (den Männern – den Kindern). Teilsynkretismus liegt aufgrund des ähnlichen Klangs zwischen Akkusativ und Dativ beim Sg. Maskulinum (den Mann – dem Mann) und bei der Übereinstimmung zwischen Dativ und Genitiv im Sg. Femininum (der Frau – der Frau) vor. Fakultativ ist das Dativ-Morphem (das sog. Dative) bei maskulinen und neutralen Substantiven im Sg. (dem Mann(e) – dem Kind(e)). Auch die pronominalen Formen verfügen über eine ausgeprägte und differenzierende Kasusmarkierung (wobei der Genitiv am differenziertesten ist): Drei polyfunktionale Formen (uns, euch, ihr) stehen den vier monofunktionalen Formen (mir, dir, ihm, ihr) gegenüber (Wegener 1985: 46). Außerdem besteht die Möglichkeit, bei allen Pronominatypen Dativ-Morpheme hinzuzufügen, damit sie in dieser Funktion vorkommen können

Dativ 198

D

(gib einem/allen/jedem/niemandem dein volles Vertrauen!). Daher schlussfolgert Wegener (1985: 46), dass der Dativ aus morphologischer Sicht sowohl nominal als auch pronominal „als voll verfügbar gelten“ kann. Auf syntaktischer Ebene erfolgt die Kasusmarkie­ rung durch das Zusammenwirken der unterschied­ lichen deklinierbaren Wortarten auf Phra­ sen­ ebene, die nach Zifonun et al. (1997) durch die sog. Wortgruppenflexion stattfindet. (II) Funktionen des Dativs Der Dativ kann verschiedene Satzgliedfunktionen ausüben (Helbig/Buscha 2001: 262f.). (a) Dativ als Komplementkasus Ist er im Valenzrahmen eines Verbs verankert, fungiert er als Dativkomplement (auch indirektes Objekt), das im Satz fakultativ (1) oder obligatorisch (2) vorkommen kann. (1) Ich habe (Frau Müller /ihr) meine neue Adresse aufgeschrieben. (2) Ich habe meiner Schwester /ihr ein Buch gegeben. Nach Zifonun et al. (1997: 1088) denotiert das prototypische Dativkomplement „einen weniger stark involvierten, belebten Sachverhaltsbeteiligten“, in der Regel eine Person. Dativkomplementsätze sind daher kaum belegt (Zifonun et al. 1997: 1089). Bei sein- und werden-Passivkonstruktionen bleibt das Dativkomplement unberührt (3). (3) Ich schenke meiner Schwester /ihr ein Buch. vs. Meiner Schwester /Ihr wird ein Buch von mir geschenkt. Ermöglicht ein Verb das bekommen-Passiv, dann wird das Dativkomplement zum Subjekt des passivischen Satzes (Zifonun et al. 1997: 1090) (4). (4) Ich schenke meiner Schwester /ihr ein Buch. vs. Meine Schwester /Sie bekommt ein Buch geschenkt. Obwohl die Akzeptabilität der Konstruktionen mit dem bekommen-Passiv aufgrund ihrer geringeren Grammatikalisierung häufig nicht eindeutig ist, zeigt die Existenz dieser Passivierungsform nach Eisenberg (2004: 134), „daß der Dativ als struktureller Kasus fungieren kann, dass er aber in der Grammatikalisierungshierarchie nach dem Nom und dem Akk rangiert“. In der Fachlit. werden Dativ-Phrasen in der Regel die semantischen Rollen Rezipient (auch Empfän-

ger), Benefaktiv und Experiencer zugewiesen (Zifonun et al. 1997: 1337–1340) ((5)–(7)). (5) Sie gibt ihm das Buch. [Rezipient] (6) Er hat seiner Mutter ein Buch gekauft. [Benefaktiv] (7) Seiner Großmutter gefallen keine Rosen. [Experiencer] Semantische Rollen können jedoch manchmal nicht strikt voneinander getrennt werden (Zifonun et al. 1997: 1338). Es sind vor allem die Rollen Rezipient bzw. Benefaktiv (auch: Benefizient/ Malefizient) und Possessor, die sich überlappen: In (8) liegt die Interpretation nahe, dass das Kind nicht nur der Possessor, sondern auch der Rezipient und Benefaktiv der Handlung ist. (8) Die Mutter wäscht dem Kind die Hände. Zifonun et al. (1997: 1339) führen aus, dass bei den dreiwertigen Verben der Transaktion und der Mitteilung der Rezipient auch als Benefizient (der Transaktion oder der Informationsvermittlung) oder als Malefizient gesehen werden kann; „Das heißt, die Verben des Gebens und Nehmens (im weiteren Sinne) lassen eine Implikatur von der Rezipienten- auf die Benefaktivrolle zu“ (Zifonun et al. 1997: 1339) (9). (9) Ich habe ihm diese E-Mail aus dem Deutschen ins Italienische übersetzt. Dies führt Langacker (1991: 327) dazu, in seinem action-chain-Modell dem Terminus active experiencer sowohl die prototypische Rolle Experiencer als auch die des Rezipienten, des Benefizienten und des Possessors zu subsumieren. Die größte Gruppe der Dativverben (Eisenberg 2004: 294) sind die dreistelligen „Transaktionsverben“ (Zifonun et al. 1997: 1320) mit dem Satzbauplan Akk – KompDat>, bei denen die geben-Verben eine Untergruppe darstellen. Sie sind dadurch charakterisiert, dass das KompDat alternativ mit einem KompAdv ko-okkurrieren kann (Zifonun et al. 1997: 1320–1323) ((10), (11)). (10) Sie schickten ihm ein Paket zu Weihnachten. (11) Sie schickten ein Paket an ihn zu Weihnachten. Als periphere Erscheinung der dreistelligen Verben mit Dativobjekt gelten dreistellige Verben mit dem Satzbauplan Akk – KompPräp> (12). (12) Sie gratulierte ihr zur Beförderung. Während bei den Transaktionsverben – sowie bei den meisten Dativ-Verben – das Dativkomplement eine personale Belegung der Position

199 Dativ als Selektionsbeschränkung vorsieht, wird die dativische Position bei zweistelligen Verben wie aussetzen, unterziehen, unterwerfen von nicht belebten, ereignisdenotierenden Entitäten besetzt (Zifonun et al. 1997: 1312f.) (13). (13) Sie wollte sich einer unnötigen Gefahr aussetzen. Bei zweistelligen Dativverben wird unterschieden, ob sie ein agentivisches Subjekt enthalten und ob der Dativ eine belebte oder unbelebte Entität bezeichnet. Den Kernbereich der zweistelligen Dativverben stellen nach Eisenberg (2004: 295) agentivische Verben mit einem Rezipienten als zweitem Argument dar (z.B. drohen, danken, helfen), bei denen der Autor folgende Korrelation feststellt: Je größer die Wahl des Dativs ist, desto weniger weist das zweite Komplement prototypische PatiensEigenschaften auf. Solche Verben werden in der Duden-Grammatik (Duden 2005: 404) als relative Intransitiva bezeichnet. Eine Subklasse dieser Gruppe stellen symmetrische Verben wie ähneln und gleichen dar. Nicht-agentivische zweistellige Verben kodieren dagegen entweder den Experiencer (einfallen, imponieren, gefallen) oder den Possessor (gehören, fehlen, entsagen) (Eisenberg 2004: 295; Zifonun et al. 1997: 1307f.). Die Gruppe der einstelligen nicht-agentivischen Dativverben ist im Dt. überschaubar. Dazu gehören Experiencer-Verben mit formalem es, das meist weglassbar ist (Wegener 1985: 270): (14) Mir graut (es). (15) Mir schwindelt (es). Für weitere Klassen von Dativverben vgl. Duden (2005: 400f., 404f.); Eisenberg (294–297); Wegener (1985: 60–68); Zifonun et al. (1997: 1298–1326). (b) Dativ als freier Dativ Der Dativ tritt auch als sog. freier Dativ auf, und zwar als dativus commodi, dativus incommodi, dativus possessivus, dativus iudicantis und dativus ethicus (Wegener 1985; Schmid 1988; Schöfer 1992). Der dativus commodi (16) und seine antonymische Variante, der dativus incommodi (17), bezeichnen die Entität, zu deren Nutzen bzw. Schaden eine Handlung vollzogen wird. (16) Er öffnete ihr die Tür. (17) Dem Kind ist die Porzellanvase auf den Boden gefallen.

Der dativus possessivus (18) bezeichnet ein Besitzverhältnis, eine Teil-von-Relation. (18) Die Mutter wäscht dem Kind die Hände. Der dativus iudicantis (19) gibt die Entität an, für die die Aussage Gültigkeit hat. (19) Ich esse ihr zu viel Schokolade. Der dativus ethicus (20) drückt eine emotionale Einstellung zu einem Sachverhalt aus. (20) Pass mir aber gut auf! Der syntaktische Status der freien Dative (Argument vs. Supplement) ist in der Fachlit. umstritten. Für einen Überblick vgl. Welke (2011: 202– 205); Ekberg (2012). (c) Dativ als Objekt zum Prädikativ Der Dativ kann auch als Objekt zum Prädikativ (Helbig/Buscha 2001: 458f.) vorkommen, d.h. als ein von einem Adj. abhängiges Objekt fungieren, das auch obligatorisch (21) oder fakultativ (22) im Satz auftreten kann. (21) Dieser Terminus ist mir nicht bekannt. (22) Er ist (seinen Kollegen /ihnen) treu. (d) Dativ als Apposition Als Gliedteil kann der Dativ als Apposition fungieren. Dabei wird das Element im Dativ gesetzt, wenn sein Bezugswort auch in diesem Kasus steht (23). (23) Gestern habe ich Frau Müller, meiner ehemaligen Dozentin, eine E-Mail geschrieben. Wie bei Präpositionen (s.u.) kommt der Dativ jedoch in vielen Fällen als morphologisch markierter Kasus auch anstatt des Akkusativs oder des Genitivs (Wegener 1985: 158f.) vor ((24), (25)). (24) Das Attentat auf Carlo Lacerdos, einem Journalisten der Opposition (Wegener 1985: 159) (25) Die Delegierten des Landesausschusses als dem entscheidenden Gremium sind an diese Voten jedoch nicht gebunden. (Wegener 1985: 159) Wird ein Dativ in Appositionsfunktion verwendet, der sich auf ein nicht dativisches Bezugswort bezieht, spricht man von latentem Dativ (Eisenberg 2005: 491). (e) Dativ in adnominaler Funktion Der Dativ kommt in der gesprochenen Sprache in adnominaler Funktion vor und fungiert als Attribut zum Nomen (26). (26) Meinem Vater sein Taschentuch ist schön.

D

Dativ der Begleitung 200

D

Wegener (1985: 157f.) sieht darin eine Spur der alten präspezifizierenden Struktur des Dt. (27). (27) meines Vaters Taschentuch [Schriftsprache] (27a) das Taschentuch meines Vaters [Schriftsprache] (27b) das Taschentuch von meinem Vaters [gesprochene Sprache] (f) Dativ als regierter Kasus von Präpositionen und Postpositionen Der Dativ kann außerdem von Präpositionen und Postpositionen regiert werden. Es handelt sich um den von Präpositionen am häufigsten regierten Kasus (Eisenberg 2004: 191). Präpositionen können entweder nur den Dativ, oder den Dativ und den Akkusativ regieren. Präpositionen bzw. Postpositionen, die nur den Dativ regieren, sind u.a. ab, aus, entsprechend, gegenüber, laut, mit, nach, samt, zu, zufolge, zuliebe (Auflistung in Duden 2005: 618). (28) Er wollte noch zu mir kommen. [Präp.] (29) Er tat es nur ihr zuliebe. [Postposition] Bei Wechselpräpositionen (z.B. auf, hinter, neben, über, zwischen) ist die Kasuswahl (Dativ vs. Akkusativ) meistens mit Unterschieden in der Funktion verbunden. Bei lokalem Gebrauch der Präp. markiert der Dativ die statische Lage (kein zielgerichtetes Geschehen) (30), wobei der Akkusativ ein zielgerichtetes Geschehen (Ortsveränderung/ Bewegung) (31) kennzeichnet (Duden 2005: 615f.): (30) Das Glas steht hinter der Vase. [statisch] (31) Sie stellen das Glas hinter die Vase. [direktiv] In einigen Fällen sind beide Kasus möglich, wobei sich die Perspektive ändert oder ändern kann (Duden 2005: 615f.): (32) Ich habe mich in der neuen Schule gut eingelebt. [Schule als Ort] (33) Ich habe mich in die neue Schule gut eingelebt. [Schule als Institution] Viele Präpositionen mit dem Genitiv regieren vor allem im gesprochenen Dt. auch den Dativ (statt, trotz, während, wegen u.a.). (34) Trotz des schlechten Wetters fuhren wir hin. [Genitiv] (35) Trotz dem schlechten Wetter fuhren wir hin. [Dativ] Bei den Präpositionen entlang, minus und plus betrifft die Kasusschwankung den Akkusativ, Dativ

und Genitiv (Wegener 1985; 157f.; Duden 2005: 620f.). Fabio Mollica ≡ dritter Fall; Wemfall → § 16, 19; Applikativ; Dativanhebung; dativus absolutus; dativus comitativus; dativus comparationis; dativus localis; freier Dativ; Objektsdativ; Pertinenzdativ; Randkasus → Gram-Syntax: Dativattribut; Dativergänzung; Dativpassiv ⇀ Dativ (SemPrag; CG-Dt; HistSprw)

🕮 Butt, M. [2006] Theories of Case (CamTbLing). Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Ekberg, J. [2012] Aspekte des Dativs. Zur Relation zwischen der Dativ-DP und der Ereignisstruktur der Verben in ditransitiven Konstruktionen im Deutschen. Lund ◾ Gunkel, L. et al. [2017] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal (SchIDS 14). Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Iggesen, O.A. [2009] Asymmetry in case marking: nominal vs. pronominal systems. In: Malchukov, A.L./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 246–257. ◾ Manning, Ch.D. [1996] Ergativity, Argument structure and grammatical relations. Dissertations in Linguistics. CLSI Publications: Stanford, CA ◾ Schmid, J. [1988] Untersuchungen zum sogenannten freien Dativ in der Gegenwartssprache und auf Vorstufen des heutigen Deutsch (RegBSL-B: Untersuchungen 35). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Schöfer, G. [1992] Semantische Funktionen des deutschen Dativs. Münster ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Dativ der Begleitung ≡ dativus comitativus

Dativ der Vergleichung ≡ dativus comparationis

Dativ des Zustandsträgers

Bezeichnung für eine Klasse von Verwendungen des Pertinenzdativs, die sich an einem referenzsemantischen Verhältnis zwischen der Dativ-NP und einer weiteren NP im Satz orientiert. ▲ dative of state or condition: subcategory of the dative of possession that is based on a particular referential relation between a dative NP and another NP in the clause, denoting some state or condition. Helbig/Buscha (2001: 263, 464) benutzen den Terminus im Hinblick auf Verwendungen des Dativs bei einer Person, die sich in einem bestimmten Zustand befindet ((1), (2)). (1) Dem Schüler ist diese Zensur ein Trost.

201 Dativanhebung (2) Dieser Erfolg ist dem Jungen eine Freude. In (1) empfindet der Schüler Trost, in (2) hat der Junge Freude. Eine eigene Kategorie des Dativs stellt der Dativ des Zustandsträgers aber nicht dar, und der Terminus ist letztlich entbehrlich. Das gleiche gilt für den verwandten Terminus Trägerdativ zur Bezeichnung der im Dativ kodierten Person, die Träger eines Kleidungsstücks ist ((3), (4)). (3) Dem Jungen rutscht die Hose. (4) Sie bindet ihm den Schlips um. Auch diesem Dativ kommt kein syntaktischer und semantischer Sonderstatus zu; es wäre ebensowenig sinnvoll, die Dativ-NP in Ihm ist ein Kind ins Auto gelaufen als „Fahrerdativ“ oder die Dativ-NP in Es hat uns ins Zelt geregnet als „Bewohnerdativ“ zu bezeichnen. Wie Wegener (1985: 105) zeigt, können solche Dative allenfalls als Varianten des Pertinenzdativs gelten, nicht als eigenständige Kategorien. Die Termini Dativ des Zustandsträgers und Trägerdativ haben sich ohnehin nicht etablieren können.

→ Dativ; Pertinenzdativ → Gram-Syntax: Nominalphrase

Klaas Willems

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen.

Dativ, absoluter

→ dativus absolutus

Dativ, doppelter → doppelter Dativ

Dativ, ethischer → dativus ethicus

Dativ, finaler

→ finaler Dativ

Dativ, freier

→ freier Dativ

Dativ, latenter → latenter Dativ

Dativ, obligatorischer → obligatorischer Dativ

Dativ, possessiver

→ dativus possessivus

Dativanhebung

Valenzveränderung bei Verben des Besitzwechsels, bei der das Possessor- bzw. das Ziel-Argument, das in der Ausgangskonstruktion durch eine Präpositionalphrase ausgedrückt wird, in der abgeleiteten Konstruktion als Dativobjekt realisiert wird. ▲ dative shift: change of valency in verbs of change of possession, where the possessor or goal argument, which is realized in a prepositional phrase in the base construction, is realized as a dative object in the derived construction.

Der Terminus Dativanhebung bezeichnet nach Larson (1988) im Engl. einen transformationellen Zusammenhang zwischen dem sog. präpositionalen Dativ wie to John (1) und Dativobjekten in Doppelobjektkonstruktion wie John (2). (1) Mary gave a book to John. (2) Mary gave John a book. (2a) [VP1 Mary [V1' gavev2 [VP2 Johni [V2’ [V2’ tv2 ti] [a book]]]]] Larson nimmt an, dass in der zugrundeliegenden Struktur von (2), dargestellt in (2a), die PP adjazent zum Verb steht und durch Absorption der kasusmarkierenden Präp. keinen Kasus erhält. Aus Kasusgründen wird sie in die Subjektposition der internen VP2 angehoben. Dativanhebung ist einer Passivoperation ähnlich, weil analog zum Passiv auch hier das ursprüngliche Objekt in die Subjektposition (d.h. Spezifikatorposition einer VP) bewegt wird und das ursprüngliche direkte Objekt analog zu einem passivierten Subjekt als Adjunkt realisiert wird. Die Alternation wie (1) vs. (2) wird Dativ-Alternation genannt (Levin 1993). Die Dativ-Alternation ist im Engl. nicht voll produktiv. Verben wie allow oder cost verlangen die Dativanhebung, während Verben wie distribute oder donate nur die Präpositionalobjektkonstruktion bilden können. Während Larson (1988) die gleiche Bedeutung für Kon­ struk­tionen wie in (1) und (2) annimmt, vertreten Rappaport Hovav/Levin (2008) eine differenziertere Sicht, nach der sich bei manchen Verben die Bedeutung der Präpositionalobjektkonstruktion von der Bedeutung der Doppelobjektkonstruktion unterscheidet: Die Doppelobjektkonstruktion bezeichnet bei allen Verben „caused possession“. Die

D

Dativ-e 202

D

Präpositionalobjektkonstruktion hat bei Verben des Gebens wie give die gleiche Bedeutung, bei Verben des Werfens wie threw kann diese Kon­ struk­tion auch „caused motion“ bezeichnen. Der Bedeutungsunterschied in diesen Fällen spricht gegen einen tranformationellen Zusammenhang zwischen den Konstruktionen im Sinne von Larson (1988). In den syntaktischen Analysen von Harley (2002) oder Bruening (2010) werden für die Konstruktionen wie in (1) und (2) generell zwei separate nicht aufeinander bezogene Strukturen angenommen. Bruening (2010) schlägt vor, dass das Dativobjekt anders als der präpositionale Dativ durch einen leeren Applikativkopf eingeführt wird. Damit wird eine Brücke zu anderen Applikativ-Konstruktionen geschlagen, die als Valenzerweiterung des zugrundeliegenden Verbs dienen. Im Dt. ist die Dativalternation stark eingeschränkt. So erlaubt schicken, aber nicht geben oder erzählen diese Alternation: (3) [...], dass Sophia einen Brief [PP an einen Freund] geschickt hat. (4) [...], dass Sophia [NP einem FreundDativ] einen Brief geschickt hat. (5) ?* [...], dass Sophia eine Geschichte [PP an einen Freund] erzählt hat. (6) [...], dass Sophia einem Freund eine Geschichte erzählt hat. Anders als im Engl. ist im Dt. die Abfolge der Objekte in beiden Konstruktionen nicht strikt, vgl. (3) und (7) bzw. (4) und (8). Die Abfolge „Dativobjekt > Akkusativobjekt“ in (4) kann durch Scrambling des Dativobjekts aus der zugrundeliegenden Abfolge [Akkusativobjekt > Dativobjekt] in (8) erklärt werden (Müller 1999). (7) Sophia schickte [PP an einen Freund] einen Brief. (8) Sophia schickte einen Brief [NP einem FreundDativ] Ljudmila Geist

→ § 20; Applikativ; Dativ; Passiv → Gram-Syntax: Dativobjekt; Doppelobjektkonstruktion; Präpositionalphrase; Verbdiathese

⇁ dative shift (Typol)

🕮 Bruening, B. [2010] Ditransitive asymmetries and a theory of idiom formation. In: LingInq 41/4: 519–562 ◾ Harley, H. [2002] Possession and the double object construction. In: Pica P./ Rooryck J. [eds.] Yearbook of Linguistic Variation. Vol. 2. Amsterdam [etc.]: 31–70 ◾ Larson, R.K. [1988] On the Double Object Con­ struc­tion. In: LingInqu 19: 335–391 ◾ Levin, B. [1993] English Verb Classes and Alternations. Cambridge, MA ◾ Müller, G. [1999]

Optimality, markedness and word order. In: Ling 37/5: 777–818 ◾ Rappaport Hovav, M./ Levin B. [2008] The English Dative Alternation: The Case for Verb Sensitivity. In: JLing 44: 129–167.

Dativ-e

Endung, die bei Maskulina und Neutra, die der starken Substantivflexion zugehören, fakultativ auftreten kann. ▲ dative-e: optional ending that can occur with masculine and neuter nouns belonging to the strong nominal inflection. Der starken Substantivflexion (vgl. Duden 2005: 199–203) zugehörende Maskulina und Neutra können z.T. die Endung -e im Dativ Sg. haben. Diese tritt bei folgenden Bedingungen fakultativ auf (Duden 2005: 210f.): (a) Sie kommt in literarischen oder gehobenen Texten vor ([...] wenn ich [...] in meinem Bette lag, T. Mann, s. Duden 1995: 223). (b) Das Dativ-e kommt häufig bei festen Wendungen vor, wobei es hier keine besondere Stilebene markiert. Bei diesen kann es auch ohne Artikel auftreten (Duden 2005: 211), z.B. im Fall(e), dass; im Sinn(e), im Lauf(e), bei Tag(e), zu Haus(e).

Fabio Mollica ≡ e-Dativ → Dativ; Maskulinum; Neutrum; starke Deklination; starkes Substantiv; Substantivflexion → Gram-Syntax: fakultativ

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Dativinversionsverb

zweistelliges Verb mit Dativ-Objekt, das in der Grundwortstellung eine Subjekt-Objekt-Inversion aufweist. ▲ verb of nominative-dative inversion: dative verb that shows a subject-object inversion in its basic word order. Typische Dativinversionsverben sind ergative Verben wie gelingen, passieren sowie psychische Verben wie gefallen, behagen, deren Status als ergative Verben umstritten ist (zusammenfassend Fanselow 1991). Neben der Nachstellung des grammatischen Subjekts im Mittelfeld (1) ist auch die Topikalisierung des Dativs im V2-Satz typisch (2). (1) [...], dass dem Mädchen[Dativ] die Musik[Nominagefällt. tiv] (2) Dem Mädchen gefällt die Musik.

203

dativus absolutus

Bei den betroffenen Verben handelt es sich um Verben mit einer Experiencer-Rolle im Dativ, denen nicht die prototypische Agens-PatiensStruktur von Tätigkeitsverben zugrunde liegt. Die inverse Wortstellung lässt sich in Fällen unbelebter Subjekte mit einer Belebtheitshierarchie erklären (belebtes (Experiencer-)Objekt vor unbelebtem (Thema/Stimulus-)Subjekt (Zifonun et al. 1997: 1514f.). Der Begriff des Inversionsverbs gilt bei dieser Argumentation nur eingeschränkt, da von einer Voranstellung des Dativs in der Grundwortstellung folglich nur im Falle unbelebter grammatischer Subjekte ausgegangen werden kann. Primus (2004: 392ff.) erklärt die Inversion im Zusammenhang mit der charakteristischen und übereinzelsprachlichen Kasusvarianz bei psychischen Verben. Der kasuell variablen Realisation der semantischen Rollen stehe eine invariante Präferenz für die Voranstellung des Experiencers (also hier des Dativ-Objekts) gegenüber, sofern eine nicht kausative Lesart des psychischen Verbs vorliegt. Zum Phänomen konverser Nominativbzw. Dativkonstruktionen wie mir gefällt vs. ich mag vgl. Wegener (1985: 190ff.). Max Möller

→ Akkusativinversionsverb; ergatives Verb; Inversionsverb → Gram-Syntax: Experiencer; Topologie

🕮 Fanselow, G. [1991] „Ergative“ Verben und die Struktur des deutschen Mittelfelds. In: Hoffmann, L. [Hg. 1992] Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten (JbIdS 1991). Berlin [etc.]: 276–303 ◾ Primus, B. [2004] Protorollen und Verbtyp. Kasusvariation bei psychischen Verben. In: Kailuweit, R./ Hummel, M. [Hg.] Semantische Rollen. Tübingen: 377–401 ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Dativkonversion

Überführung eines Dativ-markierten Aktanten in die Subjekt-Funktion. ▲ dative conversion: attribution of the subject function to a dative marked actant. Nach Dik (1989: 219–228) kann für die meisten Sprachen, die Verfahren der Passivisierung kennen, eine Trennlinie (cut-off point) zwischen Passiv-zugänglichen und Passiv-nichtzugänglichen grammatischen Rollen geschrieben werden. Dabei lautet die Hierarchie in der Regel Agens > Patiens > Adressat > Instrumental > Lokativ. Liegt

die Trennlinie nach dem Bereich des Adressaten, kennt die betreffende Sprache neben dem Patiens-Passiv auch ein Adressaten-Passiv, das im Dt. in der Regel durch das bekommen-Passiv (mit Varianten) ausgedrückt wird. In diesem Fall wird der Dativ-markierte Aktant (Adressat) in die Funktion des Subjekts überführt, entsprechend nominativisch kodiert und über Kongruenz im Verb wieder aufgenommen (1). (1) Ich schenke dir ein Buch → Du bekommst von mir ein Buch geschenkt. Im Dt. können vor allem transitive Konstruktionen mit einer zusätzlichen humanen Rezipienten-Rolle (als Teil der Makro-Rolle 'Adressat') über die Dativkonversion passiviert werden, doch dehnt sich diese Option verstärkt auch auf nichthumane Rezipienten und Dativ-Objekte aus (2). (2) Du bekommst geholfen. Wolfgang Schulze

→ Dativ; Instrumental → Gram-Syntax: Agens; Aktant; Dativpassiv; Instrument; Lokativ; Passivsubjekt; Patiens

🕮 Dik, S.C. [1989] The Theory of Functional Grammar. Part I: The Structure of the Clause. Dordrecht ◾ Helbig, G./ Bu­scha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

dativus absolutus

Dativ, der nicht vom Prädikat des Satzes regiert wird und in einer adverbialen Konstruktion steht, in der die Dativ-NP in der Regel mit einem Partizip verbunden ist. ▲ absolute dative; dative absolute: dative not governed by the predicate of the clause and forming part of an adverbial phrase in which it is usually combined with a participle. Im Altgriech. gibt es absolute Verwendungen des Nominativs, Akkusativs und Genitivs. Absolute Dative, wie in ekkeimenō tō gloutō kai tē pleura diorōmenē (dt. wobei das Gesäß frei bleibt und die Seite sichtbar wird, gesagt von einer Statue), sind jedoch selten. Das Lat. kennt den dativus absolutus nicht; dagegen kommt der ablativus absolutus im Lat. in vielfältigen Funktionen vor. In altkirchenslaw. und got. Übersetzungen von altgriech. Texten entspricht dem altgriech. genitivus absolutus recht oft ein dativus absolutus, wie in altkirchenslaw. večeru byvъšu (dt. als es Abend wurde, feste Wendung) und got. Jah usleiþandin Jesua in skipa […] (dt. Und als Jesus mit dem Schiff

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dativus auctoris 204

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hinüberfuhr […]). Aus dem modernen Russ. ist der dativus absolutus verschwunden. In aengl. und ahd. Quellen (z.B. im Tatian) entspricht dem lat. ablativus absolutus gelegentlich ein dativus absolutus. Auch im Altnord. gibt es, in feierlicher Sprache, Belege des dativus absolutus, z.B. (mit Partizipialkonstruktion) var þetta bref gort […] ok innsiglat oss sjalfum hjáverandum (dt. dieser Brief war erstellt und versiegelt, als wir selber [oss sjalfum] zugegen waren (hjáverandum, das Partizip steht ebenfalls im Dativ)). ≡ absoluter Dativ → ablativus absolutus; Dativ; Partizip → Gram-Syntax: Adverbial; Prädikat

Klaas Willems

🕮 Faarlund, J.T. [2004] The Syntax of Old Norse. Oxford.

dativus auctoris

Dativ, durch den die tätige Person, das Agens, bezeichnet wird, die das logische Subjekt des Satzes darstellt. ▲ dative of agency: dative denoting the agent of the action expressed by the verb which is the logical subject of the clause. Im Lat. steht das Agens in Passivkonstruktionen normalerweise im Ablativ (oft in Kombination mit der Präp. ab). In Gerundivkonstruktionen aber, die eine Verpflichtung ausdrücken, wird der dativus auctoris (auch: dativus actoris, dativus activus, dativus agentis) verwendet, wie z.B. in lat. Hoc tibi faciendum est (dt. Das musst du tun). Den modernen germ. und roman. Sprachen ist ein solcher dativus auctoris unbekannt. Außer bei passiven Verbaladjektiven tritt der dativus auctoris in den klassischen Sprachen auch bei passiven Verben auf, wie in lat. Illa nobis alio tempore explicabuntur (dt. Das wird von uns ein andermal erklärt werden), Meditata mihi sunt omnia mea incommoda (dt. Ich habe alle Nachteile für mich in Erwägung gezogen), altgriech. hōs moi proteron dedēlōtai (dt. wie von mir früher erklärt worden ist). Der dativus auctoris wurde anscheinend durch die sog. ablativische Verwendung des Dativs im Griech. gefestigt; daher auch die alternative Bezeichnung dativus graecus in der lat. Grammatik. Gelegentlich ist die Grenze zum dativus commodi fließend, wie man an dem Personalpron. tibi in Tibi enim consulatus quaerebatur, Metello paternus honos et avitus negle-

gebatur (dt. Du hast ja das Konsulat erstrebt (und es wurde für dich erstrebt!), Metellus hat sich um dieses ehrenvolle Amt, das sein Vater und Großvater bekleidet hatten, nicht bemüht.) erkennen kann. Damit hängt zusammen, dass der dativus auctoris im Lat. häufig weniger die tätige Person als vielmehr den Benefaktiv bezeichnet, so dass sich eine Opposition zwischen einer Konstruktion mit dativus auctoris (haec res mihi probatur, dt. diese Sache wird mir annehmbar gemacht/gefällt mir) und einer Konstruktion mit PP (res a me probatur, dt. eine Sache wird von mir gebilligt) ergibt (Menge 2000: 417).

→ Ablativ; Dativ; dativus commodi → Gram-Syntax: Agens; logisches Subjekt

Klaas Willems

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

dativus causae

Dativ, durch den die Ursache oder der Grund für ein Geschehen bezeichnet wird. ▲ dative of cause; causal dative: dative denoting the cause or motive of the action or event expressed by the verb. Im Altgriech. kommen z.B. Formen wie phóbō (dt. aus Furcht), rhigei (dt. vor Kälte), hybrei (dt. aus Frevelmut) in dieser Funktion vor. Auch im Altkirschenslaw. begegnet der dativus causae, wie z.B. in Raduješi sę sъmrьti družьnij (dt. Freust du dich über den Tod des Freundes?), ähnlich auch im Altnord. Im Lat. entspricht dem dativus causae der ablativus causae oder der genitivus causae.

→ Ablativ; Dativ; genitivus causae

Klaas Willems

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg.

dativus comitativus

Dativ, durch den ein Begleitungsverhältnis oder ein Begleitumstand bezeichnet wird. ▲ dative of accompaniment; comitative dative: dative denoting a relationship of concomitance or accompanying circumstances.

205 Anhand des dativus comitativus werden entweder begleitende Personen oder an einer Handlung beteiligte Dinge und Umstände genannt, wie z.B. in altgriech. Kyros eporeueto pollois stratiōtais (dt. Kyros rückte mit großer Heeresmacht vor), Ou kraugē, alla sigē kai hēsychē prosēsan (dt. Sie rückten nicht mit Geschrei, sondern mit Ruhe und unter Schweigen heran). Dieser Gebrauch begegnet auch in germ. Quellen, z.B. im aengl. comon corðrum miclum (dt. sie kamen in großen Scharen). In der modernen Sprw. wird von einigen Autoren der Komitativ als eine semantische Rolle angenommen. Weil die involvierten semantischen Rollen nicht trennscharf definiert werden können, ist es schwierig, den dativus comitativus vom dativus sociativus, dativus modi und dativus instrumenti zu unterscheiden. Klaas Willems ≡ Dativ der Begleitung → Dativ; dativus instrumenti; dativus modi; dativus sociativus → Gram-Syntax: Komitativ

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford.

dativus commodi

Dativ, durch den in Verbindung mit bestimmten Prädikaten die semantische Rolle des Benefaktiv bezeichnet wird. ▲ dative of advantage; dative of profit: dative denoting the beneficiary of the action or event expressed by the verb. Obwohl sich der dativus commodi (Dativ des Nutzens, Dativ des Nutznießers) z.T. auch syntaktisch begründen lässt, bezeichnet er vor allem eine semantische (Sub-)Kategorie, die u.a. mit dem dativus incommodi, dem dativus ethicus, dem dativus sympatheticus und dem dativus iudicantis die Kategorie des sog. Dativs des Interesses bildet. Die Frage, ob dem dativus commodi eine einheitliche semantische Funktion entspricht, ist umstritten. Es ist nicht sinnvoll, den Terminus dativus commodi (bei negativ bewerteten Vorgängen dativus incommodi) als übergreifende Bezeichnung für jede Dativ-NP zu verwenden, die einen Benefizienten bezeichnet, denn darunter würden dann auch der Dativ vieler regulärer trivalenter Verben, der adverbale Dativ einiger divalenter

dativus commodi Verben (helfen, schmeicheln) sowie in manchen Fällen auch der Pertinenzdativ fallen, wodurch die Bezeichnung dativus commodi unbrauchbar würde. Unter semantischem Blickwinkel bezeichnet der Terminus dativus commodi i.e.S. die Dativ-NP, die bei Verben auftritt, „die bloße Veränderung des Gegenstandes beschreiben, der zum Dativreferenten in einer weiten Haben-Relation steht“ (Wegener 1985: 98), wie z.B. in Er reparierte ihnen das Auto; Er trägt ihr den Koffer. I.w.S. bezeichnet der Terminus auch die Dativ-NP, die bei Verben auftritt, die einen positiven Besitzwechsel, das Erschaffen oder das Beschaffen eines Gegenstands beschreiben, wie z.B. in Er bastelt ihr ein Auto, Sie kauft ihm einen Mantel. Sowohl im engeren als auch im weiteren Verständnis können Subjekt und Dativ-NP koreferenziell sein (vgl. Ich wasche mir den Pullover). Unter syntaktischem Blickwinkel galt der dativus commodi lange Zeit als ein Vertreter der Klasse der sog. freien Dative, die loser mit dem Prädikat verbunden sind als die Dativobjekte regulärer trivalenter Verben und den Dativ regierender divalenter Verben. Letzteres trifft zwar zu, u.a. Wegener (1985) und Eisenberg (2006: 292–299) weisen aber darauf hin, dass der dativus commodi im Gegensatz zu einem freien Dativ ein vollwertiges Dativobjekt darstellt. Ein dativus commodi liegt nicht vor, wenn die Dativ-NP valenzregiert ist, d.h. regelmäßig auf die Valenz des Verbs (bzw. eines Verbäquivalents) zurückgeführt werden kann, wie z.B. in Sie schenken ihm eine Flasche Wein; Er ist mir treu ergeben. Das setzt freilich eine trennscharfe Bestimmung der sog. Grundvalenz eines jeden Verbs voraus. Diverse analytische Substitutionstests (für-Paraphrase, Possessivparaphrase) und Transformationstests (insbesondere Passivierung) ergeben ebenfalls kein einheitliches syntaktisches Bild des dativus commodi. Zu beachten ist ferner, dass viele Verben keine Dativergänzung und damit auch keinen dativus commodi zulassen, was ebenfalls gegen seine Klassifizierung als freier Dativ spricht. Andererseits setzt der dativus commodi nicht so sehr ein bindungsfähiges Verb bzw. eine bestimmte Verbvalenz, sondern vielmehr eine bindungsfähige „Konnexion“ (Willems/Van Pottelberge 1998: 57–61) voraus, die aus einem Syntagma mit

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dativus commodi possessivus 206

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verbalem Kopf und einer abhängigen NP, PP oder Adverbialphrase besteht (Er trägt ihr den Koffer; Sie kauft mir einen Mantel; Es geht mir um das Wohl der Tiere). Insofern stellt auch der dativus commodi, wie der Pertinenzdativ, syntaktisch ein Objekt dar. Im Vergleich zum Pertinenzdativ ist der dativus commodi in der Regel aber nur lose mit dem Prädikat verbunden, was sich in seiner generellen Fakultativität widerspiegelt (vgl. die Grammatikalität von Er reparierte das Auto. Er trägt den Koffer.); der Pertinenzdativ dagegen ist obligatorisch. Außerdem bezeichnet der dativus commodi ein allgemeines Interesse-Verhältnis, wo der Pertinenzdativ für ein spezifisches Pertinenzverhältnis steht. Die Instanz, zu wessen Vorteil etwas geschieht, ist beim dativus commodi in der Regel (so z.B. im Altgriech., Lat., Dt.) belebt, also eine Person oder eine Gruppe von Personen. Im Dt. ist die Grammatikalität von Konstruktionen wie Er setzt dem Auto einen Motor ein und Er baut dem Haus einen Balkon an (Wegener 1985: 95) zweifelhaft. Nach Menge (2000: 410) kann der dativus commodi im Lat. außer von einer VP, z.B. Spolia hostium Iovi Victori cremavit (dt. Er verbrannte die Rüstungen der Feinde für Jupiter Victor, Knobloch (1961ff.: 496)) auch unmittelbar von einer NP abhängen, wie z.B. in Caesar tegimenta galeis milites ex viminibus facere iubet (dt. Caesar befahl den Soldaten, für ihre Helme ['galeis'] Schutzhauben aus Weidenzweigen zu machen), wo man an der Stelle des Dativs einen Genitiv erwarten würde. Weil der Dativreferent im letzten Beispiel jedoch nicht-belebt ist, kann man ihn auch als dativus finalis analysieren. Möglich ist schließlich auch, dass der dativus commodi mit einem dativus finalis kombiniert wird, was eine doppelte Dativkon­ struktion ergibt, wie in lat. Egressae pabulatoribus praesidio legiones (dt. Legionäre, zum Schutz der Verpfleger ['pabulatoribus'] ausgeschickt); meist handelt es sich in solchen Fällen um feste Fügungen wie aliquid alicui voluptati est (dt. etwas ist jmdm. eine Freude). Klaas Willems

↔ dativus incommodi → § 19; Dativ; dativus auctoris; dativus commodi possessivus;

dativus ethicus; dativus finalis; dativus possessivus; dativus sympatheticus; Pertinenzdativ → Gram-Syntax: Benefaktiv

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik.

Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Willems, K./ Pottelberge, J. van [1998] Geschichte und Systematik des adverbalen Dativs im Deutschen (StLingGerm 49). Berlin [etc.].

dativus commodi possessivus

Dativ-Nominalphrase, welche die Person bezeichnet, die das durch eine andere Nominalphrase im Satz Bezeichnete besitzt oder der es zuteil wird. ▲ dative of possession and advantage: particular use of the dative denoting the person who benefits from possessing, or coming into possession of, something expressed by another NP in the clause. Der dativus commodi possessivus ist der Terminologie der lat. Grammatikographie nachempfunden und eine nicht ursprüngliche Bezeichnung. Das Besitzverhältnis bzw. das Zuteilwerden ist im weitesten Sinne zu verstehen, und die andere NP kann etwas Abstraktes oder Konkretes bezeichnen. Sie kann ein Subjektausdruck sein, wie in lat. Menelao fuit suaviloquens iucunditas (dt. Menelaus verfügte über eine süß klingende, angenehme Beredsamkeit) (Menge 2000: 408), oder ein direktes Objekt, wie in Sie putzte ihm die Schuhe. In beiden Fällen ist der Begriff dativus commodi possessivus jedoch problematisch und letztlich entbehrlich: Im lat. Beispiel ist er gar nicht lose mit dem Prädikat verbunden, sondern das Prädikatsnomen des Satzes, das idiomatisch im Dativ steht; in der lat. Grammatik spricht man hier von einem dativus possessivus. Im Hinblick auf das dt. Beispiel stellt der dativus commodi possessivus eine redundante Bezeichnung dar, die sich entweder einfach mit dem dativus commodi oder einem erweiterten Verständnis des sog. Pertinenzdativs deckt. Klaas Willems

↔ dativus incommodi possessivus → Dativ; dativus commodi; dativus possessivus; Pertinenzdativ

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

dativus comparationis

Dativ, durch den das Objekt eines Vergleichs bezeichnet wird.

207 ▲ dative of comparison: dative denoting the object

of a comparison.

Im Unterschied zum dativus mensurae und dativus discriminis nennt der dativus comparationis weder den Maßstab eines Vergleichs noch das Maß des Unterschieds, sondern den verglichenen Gegenstand oder die verglichene Person, wie z.B. in lat. nulla arte cuiquam inferior (dt. in keiner Fertigkeit jmdm. [cuiquam] nachstehend); consubstantialem esse Patri Filium (dt. dass der Sohn mit dem Vater wesensgleich sei); altirisch tressa feraib (dt. stärker als die Männer); got. managaim sparwam batizans (dt. ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge); aengl. fægerre frætwum goldes (dt. schöner als Goldschmuck); altnordisch hann er hverjum manni meiri ok sterkari (dt. er war größer und stärker als irgendjemand [hverjum manni] anders). Nach Behaghel (1923: 651) war der dativus comparationis im Germ. lebendig als Fortsetzung des ide. Ablativs. In den modernen ide. Standardsprachen kommt der dativus comparationis nicht mehr oder kaum noch vor. Auch im modernen Isl. gilt er heute als veraltend, statt vera honum meiri z.B. sagt man in der Regel vera meiri en hann (dt. größer sein als er). Klaas Willems ≡ Dativ der Vergleichung → Dativ; dativus discriminis; dativus mensurae

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford.

dativus discriminis

Dativ, durch den in komparativischen Ausdrücken ein relatives Maß bezeichnet wird. ▲ dative of degree; dative of degree of difference: dative denoting a degree of difference in comparative phrases. Der dativus discriminis stellt eine Subkategorie des dativus mensurae dar. Er bezeichnet das Maß des Unterschieds in Ausdrücken wie altgriech. pollō meizōn (dt. um vieles größer) oder Hysterēse tēs machēs hēmerais pente (dt. Er kam um fünf Tage zu spät zur Schlacht) und isl. tveim árum yngri (dt. zwei Jahre jünger); þrem dögum siðar (dt. drei Tage später). Im Lat. entspricht dem der ablativus discriminis, z.B. paulo post (dt. ein we-

dativus ethicus nig später); aliquanto maior (dt. um ein gut Stück größer). Klaas Willems

→ Dativ; dativus comparationis; dativus mensurae; Komparativ

🕮 Einarsson, S. [1994] Icelandic. Grammar, Texts, Glossary. 11th ed. Baltimore [etc.] ◾ Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg.

dativus ethicus

Dativ, durch den die emotionale Anteilnahme des Sprechers oder des Angesprochenen zum Ausdruck gebracht wird. ▲ ethical dative: dative denoting the emotional involvement of the speaker or addressee. Der dativus ethicus gehört, zusammen mit dem dativus (in)commodi, dativus sympatheticus und dativus iudicantis, zur semantischen Kategorie des sog. Dativs des Interesses. Syntaktisch bildet er zusammen mit dem dativus iudicantis die Klasse der freien Dative, d.h., anders als z.B. der dativus commodi und Pertinenzdativ stellt er kein Dativobjekt dar, weil er nicht durch einen Valenzträger gebunden ist, sondern dem ganzen Satz zugeordnet („satzbezogener Dativ“, Eisenberg 2006: 292f.). Der dativus ethicus ist weder betonbar, erfragbar, relativisierbar, kontrastierbar oder koordinierbar noch erststellenfähig (Wegener 1985: 49ff., 119). Im Dt. ist der dativus ethicus als freier Dativ im Prinzip mit allen Verben bzw. Verb-ArgumentKonnexionen kompatibel. Eine Besonderheit ist aber, dass er auf Personalpronomina der 1. und 2. Pers. (mir, dir, uns, euch) beschränkt ist, wie in Falle mir nicht ins Wasser!; Dass er dir ja nicht zu spät kommt! Beispiele mit ethischem Dativ in der 3. Pers., z.B. Thomas Corneille hat ihm [= Voltaire] von der englischen Geschichte nur wenig gewusst (Behaghel 1923: 629), entsprechen nicht mehr der Norm des Standarddt. Die Tatsache, dass der dativus ethicus in der dt. Standardsprache nur noch in der 1. und 2. Pers. auftritt, weist darauf hin, dass er geradezu familiäre Vertrautheit der Gesprächspartner voraussetzt. In manchen Sprachen ist der dativus ethicus klitisch. Nach Wegener (1989) weist die dt. Gegenwartssprache drei Typen des dativus ethicus auf: den

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dativus finalis 208

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Aufforderungs-Ethicus mir (Sei mir pünktlich zu Hause! Ihr steht mir jetzt endlich auf!), den Ausrufe-Ethicus mir (Der war mir aber betrunken! Na, das ist mir vielleicht ein Laden!) und den AusrufeEthicus dir (Der fährt dir glatt an den Baum! Der verprügelt dir noch den Schiedsrichter!). Im Gegensatz zum dativus commodi und Pertinenzdativ bezeichnet der dativus ethicus keinen an dem im Satz ausgedrückten Sachverhalt direkt Teilnehmenden, sondern „einen nicht vom Sachverhalt, sondern von der Aussage über diesen Sachverhalt Betroffenen“ (Wegener 1985: 114). Seine Funktion ist diskursiv-pragmatischer und expressiver Art, der Sprecher bringt mit dem dativus ethicus „sich selbst oder den Adressaten auf einer kommunikativ-pragmatischen Ebene ins Spiel“ (Eisenberg 2006: 293). Den ethischen Dativ gibt es in verschiedenen ide. Sprachen, außer in Kasussprachen wie dem Dt., Russ., Poln. und Mazedonischen auch im Frz. und vereinzelt im Niederl., die kaum noch Kasusmorphologie aufweisen. Zu beachten ist, dass zwischen den Sprachen übereinstimmende Übersetzungen mit ethischem Dativ nicht immer möglich sind, was auf einzelsprachspezifische distributionelle und Normunterschiede schließen lässt, vgl. etwa poln. Tylko mi nie chodź do Kowalskich (dt. Geh mir ['mi'] ja nicht zu den Kowalskis!), aber Ale ci się dziś Janek wygłupił (dt. Wenn du nur wüsstest, wie Janek sich heute blamiert hat!) (*Wie Janek sich dir ['ci'] heute blamiert hat!); niederl. Wat is me dat nu? (dt. *Was ist mir das jetzt?). Klaas Willems ≡ ethischer Dativ → Dativ; dativus commodi; dativus incommodi; dativus iudicantis; dativus sympatheticus; freier Dativ; Pertinenzdativ → Gram-Syntax: Dativobjekt ⇁ ethical dative (Typol)

🕮 Behaghel, O. [1923] Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. I: Die Wortklassen und Wortformen. A. Nomen. Pronomen. Heidelberg ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Wegener, H. [1989] Eine Modalpartikel besonderer Art: Der Dativus Ethicus. In: Weydt, H. [Hg.] Sprechen mit Partikeln. Berlin [etc.]: 56–73.

dativus finalis

Dativ, durch den der Zweck oder die Zweckrichtung einer Handlung oder Sache bezeichnet wird.

▲ dative of purpose: dative denoting the purpose of some action or thing.

Der dativus finalis (Dativ des Zwecks) wird im Lat. sowohl adnominal (opercula doliis 'Fassdeckel', loca castellis idonea 'ein für ein Kastell geeigneter Platz', receptui signum 'das Signal zum Rückzug') als auch adverbal verwendet; im letzteren Fall sind es in der klassischen Prosa nur etwa zwei Dutzend Substantive, die in den dativus finalis treten können, z.B. auxilio subire 'zu Hilfe kommen', receptui canere 'zum Rückzug blasen', pecunias faenori dare 'Geld auf Zins verleihen'. Vom Dativ des Zwecks wird gelegentlich der Dativ des Ziels (bzw. Dativ der Richtung) unterschieden, der auf wenige feste Fügungen wie manus tendere alicui 'die Hände nach jmdm. ausstrecken' und alicui bellum inferre 'gegen jmdn. Krieg führen' beschränkt ist (Menge 2000: 418f.). Zum dativus finalis kann im Lat. eine weitere Dativ-NP hinzutreten (sog. doppelter Dativ), entweder ein Dativ der Person (dativus [in]commodi), wie in Pausanias venit Atticis auxilio (dt. Pausanias kam den Athenern zu Hilfe), oder ein Dativ der Sache, wie in quod illi tribuebatur ignaviae (dt. was ihm als Feigheit ausgelegt wurde). Auch die meisten doppelten Dativkonstruktionen sind feste Fügungen. Dasselbe gilt für das Isl., das ebenfalls noch eine kleine Anzahl vergleichbarer doppelter Dativkonstruktionen kennt, vgl. Ég lofaði honum bílnum (dt. Ich versprach ihm den [buchstäblich: dem] Wagen); Hann hét mér stuðningi (dt. Er sagte mir [buchstäblich: der] Unterstützung zu). Letztere Konstruktionen sind nicht mit dem als „Dativkrankheit“ (þágufallssýki oder méranir) bezeichneten Phänomen im Isl. zu verwechseln, wobei Subjekte im Akkusativ bei Experiencer-Verben (brauchen, träumen, hungern u.a.) zunehmend in den Dativ treten, z.B. Mig vantar hnif → Mér vantar hnif (dt. Ich brauche ein Messer). Klaas Willems

→ Dativ; dativus commodi; dativus incommodi; doppelter Dativ

→ Gram-Syntax: Experiencer

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Pétursson, M. [1987] Lehrbuch der isländischen Sprache. Mit Übungen und Lösungen. 2., überarb. Aufl. Hamburg.

209

dativus instrumenti

dativus incommodi

Dativ, durch den die semantische Rolle des Malefizienten bezeichnet wird. ▲ dative of disadvantage: dative denoting the malefactive semantic role of the action or event expressed in the clause. Der Unterschied zwischen dem dativus commodi und dativus incommodi besteht darin, dass sich Ersterer auf positiv, Letzterer auf negativ bewertete Vorgänge bezieht. Alles, was ansonsten für den dativus commodi gilt, trifft auch auf den dativus incommodi zu: Es handelt sich um eine semantische Kategorie mit einem schillernden syntaktischen Status, man kann zwischen einer engeren und einer weiteren Definition unterscheiden, der Dativreferent ist generell belebt, der Dativ ist entweder von einer VP oder einer NP abhängig, und in bestimmten Sprachen besteht die Möglichkeit, den dativus incommodi mit einem dativus finalis zu einem doppelten Dativ zu verbinden, vgl. lat. aliquid alicui labori est (dt. etwas bereitet jmdm. Mühe); aliquid alicui crimini dare (dt. jmdm. etwas vorwerfen). Klaas Willems

↔ dativus commodi → Dativ; dativus finalis; dativus incommodi possessivus; dativus possessivus; doppelter Dativ; freier Dativ

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen.

dativus incommodi possessivus

Dativ-NP, welche die Person bezeichnet, der das durch eine andere NP im Satz Bezeichnete abhanden kommt oder gekommen ist. ▲ dative of possession and disadvantage: dative denoting the person who has lost something expressed by another NP in the clause. Der dativus incommodi possessivus ist der Terminologie der lat. Grammatikographie nachempfunden. Das Besitzverhältnis bzw. das Zuteilwerden ist – wie beim dativus commodi possessivus – im weitesten Sinne zu verstehen, und die andere NP kann etwas Abstraktes oder etwas Konkretes bezeichnen. Sie kann ein Subjektausdruck sein, wie in lat. Victis nulla erat spes salutis (dt. Den Besiegten blieb keinerlei Hoffnung auf Rettung) (Menge

2000: 408), oder ein direktes Objekt, wie in Man nimmt ihnen den Vater.

Klaas Willems

↔ dativus commodi possessivus → Dativ; dativus incommodi; dativus possessivus → Gram-Syntax: direktes Objekt

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

dativus instrumentalis ≡ dativus instrumenti

dativus instrumenti

Dativ, durch den die semantische Rolle Instrument bezeichnet wird. ▲ instrumental dative; dative of instrument; dative of means: dative denoting the instrument with which the action expressed by the verb is performed. Hist. betrachtet ist der Dativ in manchen ide. Sprachen das Ergebnis von Kasussynkretismus. So hat der altgriech. Dativ im Wesentlichen die Funktionen der ide. Kasus Dativ, Lokativ und Instrumental übernommen; auch im Got., Aengl., Altnordischen und Isl. kann er als adverbiale Bestimmung des Mittels dienen. Infolgedessen unterscheidet man in diesen Sprachen die Verwendung als dativus instrumenti. Diese Bezeichnung ist allerdings im weitesten Sinne zu verstehen, weil darunter nicht nur Verwendungen verstanden werden, die sich unzweideutig auf die semantische Rolle Instrument beziehen – z.B. altgriech. Etypse paida tē rhabdō (dt. Er schlug das Kind mit dem Stock); logois paideuomen (dt. wir erziehen mit Worten); hippō elaunein (dt. zu Pferd [buchstäblich: mit einem Pferd] reiten); oph­ thalmois (dt. mit den Augen); nēi (dt. zu Schiff) –, sondern auch Verwendungen, die andere semantische oder syntaktische Funktionen realisieren, insbesondere diejenige des inneren Objekts, wie in altgriech. Hōs thanon oiktistō thanatō (dt. So starben sie einen jämmerlichen Tod). Auch in Wulfilas got. Übersetzung des urspr. altgriech. Neuen Testaments ist eine solche Verwendung des Dativs belegt, die allerdings auf Interferenz zurückgehen dürfte, z.B. ak þatainei qiþ waurda (dt. aber sprich nur ein Wort); bnauan handum (dt. mit den Händen zerreiben); gasôþjan hlaibam (dt. mit Broten sättigen); im Ahd., das wie das Aengl. den ursprünglichen Instrumental besser erhalten hat,

D

dativus iudicantis 210

D

ist der dativus instrumenti dagegen selten (Wilmanns 1909: 612f.). Ein altirisches Beispiel des dativus instrumenti ist Benaid a crann oénbéimmim (dt. Er fällt den Baum durch einen Hieb) (Pokorny 1969: 106), ein aengl. on þæt banlease bryd grapode hygewlonc hondum, hrægle þeahte (dt. eine stolze Frau ergriff dieses Ding ohne Knochen mit ihren Händen, bedeckte es mit ihrem Kleid) (Mitchell 1985, I: 574). Bis heute hat sich der dativus instrumenti im Isl. erhalten, sowohl in seiner prototypischen Verwendung zur Bezeichnung eines Mittels oder Instruments, z.B. búinn gulli (dt. mit Gold bedeckt), beita brögðum (dt. Tricks anwenden), als auch in der Funktion des inneren Objekts, z.B. þeir gengu þurrum fótum yfir ána (dt. Sie überquerten den Fluss trockenen Fußes); Hún brosti til hans tindrandi brosi (dt. Sie lächelte ihn mit strahlendem Lächeln an). Die letztgenannte Verwendung lässt sich auch als dativus modi beschreiben. Die erstgenannte Verwendung ist in der isl. Gegenwartssprache veraltend und wird in der Regel durch die Fügung með (mit) + Dativ ersetzt, in Übereinstimmung mit der histor. Tendenz in den germ. Sprachen, adverbiale Verwendungen des reinen Dativs durch PPn zu ersetzen (Kress 1982: 225; Einarsson 1994: 108). Klaas Willems ≡ dativus instrumentalis → Dativ; dativus comitativus; dativus modi; dativus sociativus → Gram-Syntax: inneres Objekt; Instrument; Lokativ; Präpositionalphrase; semantische Rolle

🕮 Einarsson, S. [1994] Icelandic. Grammar, Texts, Glossary. 11th ed. Baltimore [etc.] ◾ Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford ◾ Pokorny, J. [1969] Altirische Grammatik. 2. Aufl. Berlin ◾ Wilmanns, W. [1909] Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Wortbildung. 2. Aufl. Straßburg.

dativus iudicantis

Dativ, durch den die Person bezeichnet wird, die einen Sachverhalt oder Vorgang verstandesmäßig beurteilt oder nach deren Standpunkt oder Urteil die Aussage Geltung hat. ▲ dative of the person judging; dative of reference: dative denoting the person judging a state of affairs expressed in the clause. Der Terminus dativus iudicantis (oV: dativus judicantis) wird sowohl in einem engeren als auch in

einem weiteren Sinne benutzt. In der dt. Sprw. ist es üblich, unter dativus iudicantis nur diejenige Verwendung des Dativs zu verstehen, die zusammen mit dem dativus ethicus die Klasse der freien Dative bildet. Im Dt. tritt der dativus iudicantis in Aussagen über einen Sachverhalt oder Vorgang in Verbindung mit Lexemen auf, die graduierbar sind, und er ist generell durch eine für-Phrase ersetzbar ((1)–(3)). (1) Sie läuft mir zu schnell. (2) Die Realität ist dem Durchschnittsmenschen zu langweilig. (3) Du bewunderst mir das Bild zu auffällig. Wie der dativus ethicus ist der dativus iudicantis zwar immer fakultativ, aber im Unterschied zum ethischen Dativ ist er auf eine bindungsfähige Konnexion im Satz angewiesen und somit im Fourquet’schen Sinne valenzregiert (Willems/van Pottelberge 1998: 57–61). Die Konnexion kann entweder ein Valenzträger (Verb oder Adj.) in Verbindung mit einer Gradpartikel sein, wie zu schnell (laufen), reif genug (sein), oder ein Verbäquivalent wie in Das Gespräch ist mir interessant; Das Leben ist mir einfach langweilig geworden (nicht zu verwechseln mit der festen Fügung Mir ist langweilig [im Sinne von 'Ich langweile mich']. Streicht man in (1) die Gradpartikel, dann wird der Satz ungrammatisch ((1a), auch (4)). (1a) *Er läuft mir schnell. (4) *Die Aprikosen sind ihr nicht reif. Im Gegensatz zum dativus ethicus ist der dativus iudicantis nicht dem ganzen Satz zugeordnet und hat keine diskursiv-pragmatische Funktion. Darüber hinaus ist er betonbar, erfragbar, relativisierbar, kontrastierbar, koordinierbar, nicht auf Personalpronomina der 1. und 2. Pers. beschränkt und in der Regel erststellenfähig (Wegener 1985: 119). I.w.S., ohne syntaktische Restriktionen, bezeichnet der dativus iudicantis (auch: dativus aestimantis, dativus relationis, dativus respectus, Dativ des Standpunkts, Dativ der Relation) in der klassischen Grammatik, von welchem Standpunkt aus eine Sache betrachtet oder ein Sachverhalt beurteilt wird. Sofern anhand des dativus iudicantis angegeben wird, für wen eine bestimmte Aussage Gültigkeit besitzt, erfüllt der dativus iudicantis dann eine ähnliche diskursiv-pragmatische, illokutive Funktion wie der dativus ethicus, weil

211

dativus mensurae

zum Ausdruck gebracht wird, dass die Aussage bloß relative Geltung hat, vgl. altgriech. Gignetai moi bulomenō (dt. Es geschieht mir nach Wunsch); lat. Nemo deo pauper est (dt. Niemand ist vor Gott arm); Plato mihi est unus instar omnium (dt. Für mich gilt Plato allein als allen zusammen ebenbürtig). Im Lat. kann ein solcher dativus iudicantis bei Ortsangaben vom Partizip eines Bewegungsverbs gebildet werden, wie in Caesar Gomphos pervenit, quod est oppidum primum Thessaliae venientibus ab Epiro (dt. Caesar erreichte Gomphoi, die erste Stadt in Thessalien für diejenigen, die von Epirus kommen) (Menge 2000: 416). ≡ dativus relationis

Klaas Willems

→ Dativ; dativus ethicus; dativus mensurae; dativus possessivus; freier Dativ; Gradadverb; Pertinenzdativ

→ Gram-Syntax: Konnexion

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu be-

arb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Willems, K./

Pottelberge, J. van [1998] Geschichte und Systematik des adverbalen Dativs im Deutschen (StLingGerm 49). Berlin [etc.].

dativus localis

Dativ, durch den ein Ort oder eine Richtung auf ein Ziel hin bezeichnet wird. ▲ dative of place; locative dative: dative denoting a location or a direction towards a goal. Der dativus localis bezeichnet im Altgriech. entweder einen Ruhepunkt im Raum, ohne verdeutlichende Präp. nur in der dichterischen Sprache, wie in batheiēs benthesin hylēs (dt. in den Schluchten des tiefen Waldes), oder einen durch einen bekannten Ortsnamen bezeichneten Ort oder auch nur räumliche Nähe, z.B. Delphois, Eleusini, Marathōni (dt. in oder bei Marathon). Ebenso kann der Endpunkt einer Bewegung in Verbindung mit entsprechenden Bewegungsverben, wie in pese pediō (dt. fiel auf den Boden), aspisi keklimenoi (dt. an die Schilde gelehnt) bezeichnet werden. Im letzteren Fall spricht man auch vom dativus terminalis (Dativ des Ziels oder der Richtung), vgl. auch lat. ero meo ire advorsum (dt. meinem Herrn entgegenzugehen), auch mit Sachobjekten, z.B. lat. it clamor caelo (dt. das Geschrei dringt gen

Himmel); weitere Belege finden sich u.a. im Sanskrit und in slaw. Sprachen. Klaas Willems

→ Dativ → Gram-Syntax: lokale Adverbialbestimmung; Richtungsangabe

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg.

dativus mensurae

Dativ, durch den ein Maßstab oder ein Maß bezeichnet wird. ▲ dative of measure: dative denoting a measure or degree. Als adverbialer Dativ ist der dativus mensurae vor allem aus der altgriech. Grammatik bekannt. Dort wird er nicht nur in einem quantitativen Sinne, wie in mikrō oder oligō (dt. nur [um] wenig), sondern auch in einem qualitativen Sinne verwendet, wie in Ta mellonta krinomen tois progegenēmenois (dt. Wir beurteilen die Zukunft nach der Vergangenheit). Beispiele des dativus mensurae finden sich im Germ. u.a. in Wulfilas got. Bibelübersetzung, z.B. ni waihtai bôtida (dt. um nichts gefördert); fidwôr tiguns ainamma wanans (dt. vierzig weniger eins), die z.T. auf Interferenz mit der altgriech. Vorlage zurückzuführen sein dürften, sowie im Aengl., z.B. þrim milum fram Rome byrig (dt. drei Meilen von der Stadt Rom entfernt). Bezeichnet der Dativ das Maß des Unterschieds bei komparativischen Ausdrücken, dann spricht man von einem dativus discriminis. Der dativus mensurae und dativus discriminis dürfen im Dt. nicht mit dem dativus iudicantis verwechselt werden. Letzterer drückt keinen Maßstab, sondern die beurteilende Instanz aus ((1), (2); Helbig/Buscha 2001: 263). (1) Die Zeit vergeht uns (zu) schnell. (2) Er arbeitet mir zu langsam. Klaas Willems

→ Dativ; dativus comparationis; dativus discriminis; dativus iudicantis

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford ◾ Wilmanns, W.

D

dativus modi 212 [1909] Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Wortbildung. 2. Aufl. Straßburg.

dativus modi

D

Dativ, durch den die semantische Rolle der Art und Weise bezeichnet wird. ▲ dative of manner: dative denoting the manner in which an action is carried out or an event takes place. Der dativus modi ist als adverbialer Dativ vor allem aus der altgriech. Grammatik bekannt ((1)– (3)). (1) panti sthenei ['mit aller Gewalt'] (2) tō onti ['in Wirklichkeit, tatsächlich'] (3) komidē ['mit Sorgfalt, gänzlich'] Weil der Unterschied zwischen den semantischen Rollen Art und Weise (Manner), Mittel (Instrument) und Begleiter bzw. Begleitumstände nicht trennscharf ist, kann der dativus modi nicht eindeutig vom dativus instrumenti und dativus sociativus bzw. dativus comitativus abgegrenzt werden. Als loserer Dativ ist der altgriech. dativus modi funktionell mit dem lat. ablativus modi (wie, auf welche Weise?), dem ablativus instrumenti/instrumentalis (womit, wodurch?) und dem ablativus sociativus bzw. comitativus (unter welchen Umständen, womit, mit wem?) vergleichbar. Im Germ. finden sich Beispiele für den dativus modi u.a. im Got., z.B. si wuntun ernustin (dt. sie kehrten um in ernster Stimmung), im Ahd., z.B. sprih mëzworte zi thëmo êwarte (dt. sprich mit gemäßigtem Worte ['rede gemäßigt'] zum Priester) (Wilmanns 1909: 614) und im Aengl., z.B. wordum herigen, modum lufien (dt. mit Worten ehren, mit Gemüt loben) sowie bereits zu Adverbien gewordene Formen wie nede ['notwendigerweise'], unwearnum ['unwiderstehlich'] (Mitchell 1985, I: 590). Klaas Willems

→ Ablativ; Dativ; dativus comitativus; dativus instrumenti; dativus sociativus; Modaladverb

→ Gram-Syntax: Komitativangabe; modale Adverbialbestimmung

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford ◾ Wilmanns, W. [1909] Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Wortbildung. 2. Aufl. Straßburg.

dativus possessivus

Dativ, durch den in bestimmten Konstruktionen die Person bezeichnet wird, der eine Sache zu eigen ist oder zufällt. ▲ dative of possession; possessive dative: dative denoting the person who possesses, or comes into possession of, something expressed by another NP in the clause. Die Bezeichnung dativus possessivus ist in der dt. Sprw. nicht so verbreitet wie in der klassischen, roman. und engl. Sprw., die ihrerseits jedoch nicht den Begriff von Pertinenzdativ haben, der sich z.T. mit dem dativus possessivus überschneidet; für einige Autoren, z.B. Helbig/Buscha (2001); Eisenberg (2006), sind beide Termini synonym. Auch vom dativus (in)commodi lässt sich der dativus possessivus nicht trennscharf abgrenzen. Aber in der Grammatik des Dt. gilt der Dativ in (1) in der Regel als dativus commodi und in (2) als Pertinenzdativ, nicht als dativus possessivus. (1) Er kaufte ihr ein Buch. (2) Es regnete ihm ins Gesicht. Auch ein rein semantisches Verständnis des Terminus dativus possessivus, wonach in (3) ein possessiver Dativ vorläge, ist nicht gebräuchlich. (3) Das Buch gehört mir. In der neueren Fachlit. bezeichnet man mit dem Terminus dativus possessivus in erster Linie die Dativ-NP in sog. „external possessor constructions“, die man den „internal possessor constructions“ mit Possessivpron. oder Genitiv-NP gegenüberstellt. Die Distribution und Idiomatizität des dativus possessivus variieren erheblich je nach Sprache. Obwohl er im Aengl. geläufig war (Mitchell 1985, I: 124–127), kommt der dativus possessivus im modernen Engl. kaum noch vor (vgl. She kissed me on the cheek, nicht aber *He takes me the arm (statt dessen He takes my arm, mit Possessivpron.)), obwohl das Engl. durchaus den dativus (in)commodi kennt ((4), (5)). (4) I baked him a cake. (5) He fixed me a drink. Im Frz. ist der Gebrauch des dativus possessivus in der Regel auf Körperteile (einschließlich körperbezogene Entitäten) und psychische Dispositionen beschränkt ((6), (7)). (6) Il lui a caressé les cheveux ['Er hat ihr/ihm (über) die Haare gestreichelt'].

213 (7) La fuite lui coupa le souffle ['Das Fliehen raubte ihm den Atem']. In Sprachen wie dem Rum., Span., Russ. und Hebr. kann er außer bei unveräußerlichen auch bei einfachen Besitzverhältnissen vorkommen, wie in rum. Miam uitat umbrela (wörtlich dt. Ich habe mir den Regenschirm vergessen). Entsprechend hat der dativus possessivus im Rum. vor allem eine topikalisierende Funktion. In einer Sprache wie dem Niederl. ist der Gebrauch des dativus possessivus dagegen sehr eingeschränkt, außer in festen Wendungen wie iemand het leven redden (dt. jmdm. das Leben retten) kommt er nur dann vor, wenn die Bezeichnung eines Körperteils oder Kleidungsstücks Teil einer lokativen PP ist, wie in Het zweet loopt hem over het voorhoofd (dt. Schweiß lief ihm über die Stirn), oder das Objekt lokativer Partikelverben, wie in Hij rukte hem het masker af (dt. Er riss ihm die Maske vom Kopf). Alle diese Beispiele können durch Konstruktionen mit internal possessor ersetzt werden. In der roman. Sprw. wird der dativus possessivus traditionell dem partitiven Dativ subsumiert (tatsächlich kann ein Besitzverhältnis als ein Verhältnis zwischen einem Teil und einem Ganzen ausgelegt werden) (Melis 1996). Zu dessen Extensionen gehört u.a. der sog. epistemische Dativ, der in Verbindung mit Kognitionsverben vorkommt, wie z.B. im Frz. (vgl. (8) vs. (9)). (8) Je lui trouve beaucoup de charme ['Ich finde, dass er viel Charme hat']. (9) Je le trouve charmant ['Ich finde ihn charmant'] (Van Peteghem 2006). Während im Lat. der genitivus possessivus den Besitzer betont, hebt die Konstruktion mit esse und dativus possessivus den Besitz hervor; dieser kann etwas Abstraktes (10) darstellen oder etwas Konkretes (11). (10) Menelao fuit suaviloquens iucunditas ['Menelaus verfügte über eine süß klingende, angenehme Beredsamkeit']. (11) Hic hortus regi est ['Der Garten gehört dem König']. Auch in anderen Sprachen sind Konstruktionen mit Dativ und Genitiv semantisch nicht identisch, vgl. frz. Paul a lavé leurs mains (dt. Paul hat ihre (beiden) Hände gewaschen) und Paul leur a lavé les mains (dt. Paul hat ihnen die Hände gewaschen); die Konstruktion mit dativus possessivus soll referenziell vager sein als die mit dem Pos-

dativus sociativus sessivpron. (Lamiroy/Delbecque 1998: 35). Neben Beispielen von adverbalem dativus possessivus kommt in einigen Sprachen auch ein adnominaler dativus possessivus vor, z.B. im Sanskrit. Im Hinblick auf moderne germ. Sprachen ist insbesondere auf nominale Possessorkonstruktionen des Typs dem Vater sein Hut hinzuweisen, die im gesprochenen Substandard und in regionalen Dialekten weit verbreitet sind (Wegener 1985: 49; Zifonun 2003). In vielen Sprachen ist die Kasusmarkierung verloren gegangen, so dass eine „vereinfachte Version“ dieser Possessorkonstruktion auftritt (Zifonun 2003: 110), wie z.B. im Niederl. Peter zijn boek (dt. [dem] Peter sein Buch), im Norw. Jan og Maria sine barn (dt. [dem] Hans und [der] Marie ihre Kinder). Im Afrikaans ist diese Konstruktion standardspr.: Jan se bevele (dt. Jans Befehle). Klaas Willems ≡ Possessivdativ; possessiver Dativ → Dativ; dativus commodi; dativus commodi possessivus; dativus incommodi; dativus iudicantis; genitivus partitivus; genitivus possessivus; Pertinenzdativ; Possessivpronomen 🕮 Lamiroy, B./ Delbecque, N. [1998] The possessive dative in Romance and Germanic languages. In: Langendonck, W. van/ Belle, W. van [eds.] The Dative. Vol. 2: Theoretical and Contrastive Studies. Amsterdam: 29–74 ◾ Melis, L. [1996] The Dative in Modern French. In: Belle, W. van/ Langendonck, W. van [eds.] The Dative. Vol. 1: Descriptive Studies. Amsterdam: 39–72 ◾ Mitchell, B. [1985] Old English Syntax. 2 vols. Oxford ◾ Peteghem, M. van [2006] Inaliénabilité et partitivité: Le datif possessif en français, en néerlandais et en roumain. In: Kleiber, G./ Schnedecker, C./ Theissen, A. [eds.] La relation partie-tout. Louvain [etc.]: 351–366 ◾ Zifonun, G. [2003] Dem Vater sein Hut. Der Charme des Substandards und wie wir ihm gerecht werden. In: DS 31: 97–126.

dativus relationis ≡ dativus iudicantis

dativus sociativus

Dativ, durch den ein Gemeinschaftsverhältnis, eine Kooperation oder ein Wechselverhältnis bezeichnet wird. ▲ dative of association: dative denoting a relationship of company, cooperation, correlation, or interdependence. Der Terminus dativus sociativus ist vor allem aus der Gräzistik bekannt. Er wird in der Regel gebraucht, um ein Verhältnis zu bezeichnen, wie es z.B. in Sätzen wie altgriech. Klearchos tois philois

D

dativus sympatheticus 214

D

synekindyneuse (dt. Klearchos ertrug in Gemeinschaft mit den Freunden Gefahren) vorliegt. Der dativus sociativus kann nicht trennscharf vom dativus comitativus, dativus modi und dativus instrumenti unterschieden werden.

du mir eine Freude, wenn du mich über den Irrtum aufklärst).

→ Dativ; dativus comitativus; dativus instrumenti; dativus

🕮 Behaghel, O. [1923] Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. I: Die Wortklassen und Wortformen. A. Nomen. Pronomen. Heidelberg ◾ Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

Klaas Willems

modi → Gram-Syntax: Komitativangabe

🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg.

dativus sympatheticus

Dativ, durch den die Person bezeichnet wird, die an dem durch das Prädikat ausgedrückten Sachverhalt oder Vorgang geistig oder körperlich beteiligt oder dadurch betroffen ist. ▲ sympathetic dative: dative denoting the person who takes part, mentally or physically, in the state of affairs expressed in the clause, or who is affected by it. In der dt. Sprw. hat sich der rein semantisch motivierte Terminus dativus sympatheticus nicht eingebürgert (vgl. noch Behaghel 1923: 633–638). Dafür werden heute in der Regel die Termini dativus commodi oder Pertinenzdativ verwendet, hin und wieder auch der dativus possessivus ((1)–(3)). (1) Das Herz hüpft mir vor Freude. (2) Ihm tut die Wunde weh. (3) Die Haare kleben ihr am Kopf. Gebräuchlich ist der Terminus dagegen in der lat. Grammatik, wo vom dativus sympatheticus traditionell behauptet wird, dass er in bestimmten Konstruktionen andere possessive Ausdrücke (insbesondere den genitivus possessivus) vertritt. Dabei gilt es anzumerken, dass der dativus sympatheticus an Normrestriktionen gebunden ist, weil er in der Regel auf bestimmte Wendungen beschränkt ist, z.B. lat. Versatur mihi ante oculos (statt ante meos oculos) aspectus Cethegi (dt. Vor meinen Augen schwebt der Anblick des Cethegus), oder in Verbindung mit bestimmten Verben auftritt, u.a. dolere und condolescere (Latus ei dicenti condoluit; dt. Ihm fing während der Rede die Seite an zu schmerzen) sowie insbesondere Verben, die ein Wegnehmen zum Ausdruck bringen (Si falsa sunt, me libente eripies mihi hunc errorem; dt. Wenn diese Sachen nicht stimmen, dann machst

Klaas Willems ≡ dativus sympathicus → Dativ; dativus commodi; dativus ethicus; dativus possessivus; genitivus possessivus; Pertinenzdativ

dativus sympathicus

≡ dativus sympatheticus

dativus temporis

Dativ, durch den eine Zeitbestimmung bezeichnet wird. ▲ dative of time; temporal dative: dative denoting the time at which an action or event occurs. Der dativus temporis kommt hist. in mehreren ide. Sprachen vor, im Sanskrit und Altgriech., auch im Got. und Aengl., aber ebenso in nichtide. Sprachen, z.B. in Türksprachen. Viele Belege für den dativus temporis in den ältesten germ. Sprachdenkmälern dürften auf Interferenz und Transferenz zurückzuführen sein; neben dem dativus temporis in den altgriech. Vorlagen muss als Quelle insbesondere auf den ablativus temporis in den lat. Vorlagen hingewiesen werden (z.B. die (dt. tagsüber), horā octavā (dt. zur achten Stunde), paucis diebus (dt. nach wenigen Tagen)), der z.B. im Got. mangels Ablativs durch den Dativ wiedergegeben wurde. Außerdem muss angemerkt werden, dass der dativus temporis in den ide. Sprachen immer in Konkurrenz zu präpositionalen Temporalangaben trat (vgl. Winkler 1896: 69–76). Der dativus temporis kann sowohl einen Zeitpunkt als auch eine Zeitdauer (semantische Rolle Time) bezeichnen, z.B. im Altgriech. tautē tē hēmera (dt. an diesem Tag), tē hysteraia (dt. am Tag darauf); got. himma daga (dt. heute; an diesem Tag), nahtam jah dagam (dt. tags und nachts); aengl. oðrum dagum (dt. an anderen Tagen), healfum monðe (dt. einen halben Monat lang), đara cyninga tidum (dt. zur Zeit dieser Könige). Klaas Willems

→ Ablativ; Dativ → Gram-Syntax: Temporalangabe; temporale Adverbialbestimmung

215 Dativverb 🕮 Knobloch, J. [Hg. 1961–1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Lieferung 7 [1974]. Heidelberg ◾ Lindemann, H./ Färber, H. [2003] Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik. 2. unver. Nachdruck. Heidelberg ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt ◾ Winkler, H. [1896] Germanische Casussyntax. Berlin.

Dativverb

Verb, das in seinem Satzbauplan bzw. in seiner Argumentstruktur ein Dativkomplement enthält. ▲ dative verb: verb which contains a dative complement in its syntactic structure or in its argument structure.

Das Dativverb ist ein Verb, in dessen Valenzrahmen/Argumentstruktur ein Dativkomplement (auch: Dativobjekt / indirektes Objekt) vorgesehen ist. Es kann im Satz je nach Verbvalenz fakultativ (1) oder obligatorisch (2) vorkommen. (1) Ich habe (Frau Müller / ihr) meine neue Adresse aufgeschrieben. (2) Ich habe meiner Schwester / ihr ein Buch gegeben. Dativverben können ein-, zwei- oder dreistellig sein (Wegener 1985: 62f.). Die größte Gruppe der Dativverben (Eisenberg: 2004: 294) sind die dreistelligen „Transaktionsverben“ (Zifonun et al. 1997: 1320) mit dem Satzbauplan Ksub (= Subjekt), Kakk (= Akkusativkomplement), Kdat (= Dativkomplement). Dazu gehören u.a. die Verben des Gebens (geben, schenken, leihen u.a.), des Nehmens (nehmen, stehlen, rauben u.a.), des Mitteilens und des Versprechens (mitteilen, anvertrauen, versprechen u.a.) (Duden 2005: 401). Solche Verben sind in der Fachlit. auch ditransitive Verben ((3), (4)). (3) Er hat seiner Schwester ein Pferd versprochen. (4) Er erzählte ihr die ganze Wahrheit. Bei einigen dieser Valenzträger (schicken, melden, vererben u.a.) kann dem Kdat alternativ ein KADV (= Adverbialkomplement) entsprechen, das durch eine PP ausgedrückt wird (Zifonun et al. 1997: 1320–1323), (5). (5) Sie schickten ihm ein Paket zu Weihnachten. (5a) Sie schickten ein Paket an ihn zu Weihnachten. Als periphere Erscheinung der dreistelligen Verben kann man die Verben mit dem Satzbauplan Ksub, Kdat, Kprp (= Präpositivkomplement) betrachten (6).

(6) Sie gratulierte ihr zur Beförderung. Bei zweistelligen Dativverben wird unterschieden, ob sie ein agentivisches Subjekt enthalten und ob der Dativ eine belebte oder unbelebte Entität bezeichnet. Während bei den Transaktionsverben – sowie bei den meisten Dativverben – das Dativkomplement eine personale Belegung der Position als Selektionsbeschränkung vorsieht, wird die dativische Position bei zweistelligen Verben wie aussetzen, unterziehen, unterwerfen von nicht belebten, ereignisdenotierenden Entitäten besetzt (Zifonun et al. 1997: 1312f.), (7). (7) Sie wollte sich einer unnötigen Gefahr aussetzen. Den Kernbereich der zweistelligen Dativverben stellen nach Eisenberg (2004: 295) agentivische Verben (drohen, danken, helfen u.a.) mit einem Rezipienten als zweitem Argument und folgender Korrelation dar: Je freier die Wahl des Dativs ist, desto weniger weist das zweite Komplement prototypische Patiens-Eigenschaften auf. Solche Verben werden in der Duden-Grammatik (Duden 2005: 404) als relative Intransitiva bezeichnet. Eine Subklasse dieser Gruppe stellen symmetrische Verben wie ähneln und gleichen dar. Nicht-agentivische zweistellige Verben kodieren dagegen entweder den Experiencer (einfallen, imponieren, gefallen) oder den Possessor (gehören, fehlen, entsagen) (Eisenberg 2004: 295; Zifonun et al. 1997: 1307f.). Die Gruppe der einstelligen nicht-agentivischen Dativverben ist im Dt. überschaubar. Dazu gehören ExperiencerVerben mit formalem es, das meist weglassbar ist (Wegener 1985: 270; ((8), (9)). (8) Mir graut (es). (9) Mir schwindelt (es). Für weitere Klassen von Dativverben vgl. Duden (2005: 400f., 404f.); Eisenberg (2004: 294–297); Wegener (1985: 60–68); Zifonun et al. (1997: 1298– 1326). Fabio Mollica

→ § 20; Dativ; ditransitiv → Gram-Syntax: Argumentstruktur; Dativergänzung; dreistelliges Verb; Experiencer; Rezipient; Satzbauplan; Selektionsbeschränkung

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al.

D

deadjektivisches Substantiv 216 [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

deadjektivisches Substantiv

D

von einem Adjektiv abgeleitetes Substantiv. ▲ deadjectival noun: noun derived from an adjective.

Der Übergang von Adjektiven (und Partizipien) in die Wortart der Substantive vollzieht sich (a) sowohl syntaktisch als auch morphologisch oder (b) nur syntaktisch. Die substantivierten Adjektive haben die gleichen Satzgliedfunktionen wie Substantive, sind artikelfähig und können Attribute aufnehmen. Der Unterschied zwischen beiden Typen dieser Ableitungen liegt darin, dass sie im Fall (a) als Substantive behandelt werden (ein Invalide, des Invaliden, die Invaliden [schwache Flexion]; der Gläubiger, des Gläubigers, zwei Gläubiger [starke Flexion]) und im Fall (b) nach einem adjektivischen Flexionsmuster dekliniert werden (ein Verwandter, seine Verwandten; der Neue, den Neuen, Neue). Bei substantivierten Farb- und Sprachadjektiven gibt es neben der Form mit dem Flexiv -e (ins Grüne, des Grünen; das Deutsche, dem Deutschen [adjektivische Flexion]) auch eine Form mit Nullsuffix (dieses Grün, in Grün, aber des Grüns, die Grün(s); das Deutsch, vom heutigen Deutsch, aber seines Deutsch(s)). Endungslos stehen außerdem u.a. formelhafte Substantivierungen ((1), (2)). (1) Groß und Klein ['jedermann'] spielte mit. (2) Ein Junge wollte nicht mitspielen. Die Ableitungen mit Nullsuffix werden auch als lexikalische Substantivierung oder lexikalische Umkategorisierung angesehen (vgl. Duden 2006: 355f.). Edyta Błachut

→ Adjektiv; Adjektivflexion; Derivation; Farbadjektiv; Konversion; Nullsuffix; schwache Deklination; starke Deklination; Substantivflexion; Substantivierung

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Olsen, S. [1988] Das „substantivierte“ Adjektiv im Deutschen und Englischen. Attribuierung vs. syntaktische „Substantivierung“. In: FoL 22: 337–372 ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.].

deadverbiales Adjektiv ≡ Adverbialadjektiv

Debitiv

Modus der Verpflichtung und Notwendigkeit. ▲ necessitative: mode of obligation and necessity. Modus, der anzeigt, dass das Eintreten einer Handlung bzw. eines Ereignisses als notwendig betrachtet wird. Im Gegensatz zu starken Kausativa (have-causation) bleibt die Quelle der Notwendigkeit in der Regel unausgedrückt. Der Debitiv wird oft lexikalisch eingeführt, etwa über Modalverben (z.B. müssen, sollen), kann aber auch durch spezialisierte und oft versteinerte Verbformen angezeigt werden (z.B. frz. il faut). Alternativ kann das eigentliche Verb spezifisch markiert werden (etwa Lettisch man jābūt mājās 'ich muss zu Hause bleiben' (buchstäblich: 'mir ist zu = sein daheim'), Türk. gel-meli-sin 'du musst (-meli-) kommen'). Häufig zu beobachten ist auch die Konstruktion 'finaler Infinitiv + Kopula' (z.B. Kirgisisch erteņ frunzege žönö-mök-püz (gehenINF>DEB–1PL) 'morgen müssen wir nach Frunze gehen', dt. das Buch ist zu schreiben). Wolfgang Schulze

→ Kausativum; Modaladverb; Modalverb; Modus → Gram-Syntax: Modalität ⇀ Debitiv (SemPrag)

🕮 König, E./ Siemund, P. [2007] Speech act distinctions in grammar. In: Shopen, T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. 2nd ed. Cambridge: 276–324 ◾ Palmer, F.R. [2001] Mood and Modality. 2nd ed. Cambridge.

defektives Adjektiv

Adjektiv, das nicht alle Möglichkeiten und Merkmale der Wortart Adjektiv aufweist und somit in seiner Verwendung eingeschränkt ist. ▲ defective adjective: adjective which cannot be used in all forms and positions characteristic of adjectives. Ein defektives Adj. ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht sowohl attributiv, prädikativ, adverbial und als Apposition verwendbar bzw. komparierbar und deklinabel ist (vgl. u.a. Duden 2005: §480ff.; Engel 2004: 336; Hentschel/Weydt 2003: 208ff.). (a) Nur attributiv werden Adjektive verwendet, die die Klasse, die Zeit und den Ort (der obere Rand, der gestrige Tag) oder die Herkunft, den

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definiter Artikel

Stoff (das väterliche Haus, tierische Fette) angeben. Sie können nicht prädikativ stehen (1). (1) *Das Haus ist väterlich. (b) Nicht adverbial gebrauchte Adjektive sind solche, die sich nicht auf ein Geschehen oder Sein beziehen können, wie Adjektive der Wetterlage (attributiv: ein nebliger Tag, prädikativ: der Tag war neblig, adverbial: *die Sonne strahlte neblig). (c) Nicht prädikativ gebraucht sind Adjektive, die eine zeitliche Regelmäßigkeit angeben ((2)–(4)). (2) das wöchentliche Erscheinen der Zeitschrift [attributiv] (3) Die Zeitschrift erscheint wöchentlich. [adverbial] (4) *Das Erscheinen der Zeitschrift ist wöchentlich. [prädikativ] Einige Adjektive, die das Verhalten oder die Tätigkeit des Denotats des Bezugsnomens charakterisieren, sind ähnlich eingeschränkt ((5), (6); in (7) zumindest nicht ohne unfreiwillig komischen Bedeutungsunterschied). (5) Sie ist eine scharfe Kritikerin. [attributiv] (6) Sie kritisiert scharf. [adverbial] (7) *Die Kritikerin ist scharf. [prädikativ] Im Dt. verhalten sich einige wenige präpositionale Verbpartikeln ähnlich wie Prädikatsadjektive ((8), (9)) (Eisenberg 1998: 402). (8) Das Licht ist an/aus. (9) Der Bart ist ab. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Defektivität; Verbpartikel → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; Apposition; attributives Adjektiv; Bezugsnomen; prädikatives Adjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Defektivität

Eigenschaft eines Worts, das nicht alle Flexionsformen hat bzw. nicht in allen syntaktischen Verwendungen auftreten kann. ▲ defectiveness; defectivity: property of a word that

lacks one or more inflectional forms or syntactic uses. Stefan J. Schierholz

→ defektives Adjektiv; Passivfähigkeit; Pluraletantum; Singularetantum; unpersönliches Verb; unvollständiges Paradigma

🕮 Corbett, G. [2007] Canonical Typology, Suppletion, and Possible Words. In: Lg 83/1: 8–42 ◾ Karlsson, F. [2000] Defectivity. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 647–654.

definite Kennzeichnung

Phrase, die durch die Verwendung des definiten Artikels ein einziges Objekt identifiziert. ▲ definite description: phrase that identifies a single object by means of the definite article. In der Sprachphilos. (vgl. Frege 1892; Russell 1905) bezeichnet der Terminus Phrasen wie etwa (1), in der auf einen genau bestimmten Referenten hingewiesen wird. Diese unterscheiden sich deutlich von Ausdrücken, die keinen eindeutigen Bezug haben (2). (1) Der gegenwärtige Präsident von Italien. (2) Ein Präsident von Italien. Besonders problematisch ist in der Sprachphilos. ferner der Status von kennzeichnenden Ausdrücken, die sich auf etwas beziehen, was nicht real existiert (3). (3) Der gegenwärtige König von Frankreich. Da es bekanntlich keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, ist nicht eindeutig festzustellen, ob ein solcher Satz einfach als falsch zu beurteilen ist, oder aber weder als wahr noch als falsch. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

→ definiter Artikel → Gram-Syntax: Referenz ⇀ definite Kennzeichnung (SemPrag)

🕮 Frege, G. [1892] Über Sinn und Bedeutung. In: ZfPhphKrNF 100: 25–50 ◾ Russell, B. [1905] On Denoting. In: Mind 14: 479–493.

definiter Artikel

Artikel, der einen Nominalausdruck begleitet, um dessen Bezug auf ein bestimmtes oder generisches Objekt zu signalisieren. ▲ definite article: article which accompanies a nominal expression in order to signal that the latter refers to a definite or generic object. Definite Artikel sind der, die, das (und deren weitere, deklinierte Formen) im Dt., the im Engl. oder

D

definites Distributivpronomen 218

D

il, la im Ital. Eine durch einen definiten Artikel eingeleitete NP identifiziert ein im Diskurs bestimmtes (1) oder allgemein bekanntes Objekt (2). (1) Ein Polizist klingelte gestern an meiner Tür. Der Mann trug eine komische Uniform. (2) Der Mond scheint heute sehr hell. Der definite Artikel wird auch im Falle einer generischen Lesart verwendet, wie in (3). (3) Die Dinosaurier sind ausgestorben. Ein definiter Artikel wird oft aus syntaktischen Gründen erfordert, wie etwa, um einen casus obliquus zu realisieren (4). (4) Ich ziehe Tee dem Kaffee vor. Einige Sprachen verfügen über keine definiten Artikel, wie etwa das Lat., das überhaupt keine Artikel besitzt. Ferner weisen andere Sprachen definite Artikel auf, die am Nomen suffigiert werden, wie z.B. das Schwed. (5). (5) Ser du bilen? ['Siehst du das Auto?'] Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ bestimmter Artikel ↔ indefiniter Artikel → Artikel; Artikellosigkeit; definite Kennzeichnung → Gram-Syntax: casus obliquus; Determinansphrase; generische Interpretation; Nominalphrase ⇁ definite article (Typol)

🕮 Auwera, J. van der [ed. 1980] The Semantics of Determiners. London ◾ Cardinaletti, A./ Giusti, G. [1996] Problemi di sintassi tedesca. Padova ◾ Vater, H. [Hg. 1986] Zur Syntax der Determinantien (StDG 31). Tübingen.

definites Distributivpronomen

Pronomen, das die beschriebene Teilmenge an Elementen mit der Hintergrundmenge gleichsetzt und dabei Merkmale aufweist, welche die gekennzeichnete Teilmenge näher charakterisieren. ▲ definite distributive pronoun: pronoun that equates the described subset of elements with the total quantity of elements and at the same time displays features which characterize the described subset more closely. Alexander Windeck

↔ indefinites Distributivpronomen → Determinativpronomen; Indefinitpronomen; Pronomen

🕮 Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [1984] Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2., unveränd. Aufl. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Definitionsgenitiv

≡ genitivus definitivus

deiktisches Adverb

Adverb, das wie demonstrative Pronomina die Funktion des Zeigens und Hinweisens hat. ▲ deictic adverb: adverb with a demonstrative function and local or temporal referents. Die sprachliche Zeige- oder Hinweisefunktion ist besonders für die räumliche und zeitliche Orientierung beim Gespräch oder in einem Textzusammenhang von großem Belang. Die Bedeutung deiktischer Adverbien, die diese vor allem mit demonstrativen Pronomina gemeinsam hat, ist entweder lokal oder temporal. Im erstgenannten Fall wird der Ort bzw. die Lage oder die Bewegung im Nah- bzw. Fernbereich angegeben, vgl. hier, hierher bzw. da, dahin, dorthin, hinab, hinüber, (weit) weg, und ein Zeitpunkt, z.B. jetzt, gestern, morgen. In beiden Fällen setzt dies für die Orientierung einen Ausgangspunkt oder eine Origo voraus, die in der Regel die räumliche oder zeitliche Position des Sprechers und ggf. des Hörers oder der Hörer ist. Der Sprecher kann auch eine andere Origo als diese Position wählen. Lokaldeiktische Adverbien können außer dem Nah- oder Fernbereich von der Origo her sowohl zweidimensionale horizontale Raumverhältnisse wie links, rechts, vorne, hinten, hüben, drüben als auch vertikale wie oben, unten, droben, drunten bezeichnen. Wie die Tempusformen des Verbs beziehen sich deiktische Adverbien mit temporaler Bedeutung auf Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft: jetzt, heute, heutzutage, gestern, derzeit, kürzlich, neulich, jüngst, längst, unlängst, morgen, bald, demnächst, sofort u.a. Davon bezeichnen einige wie kürzlich, demnächst einen Nahzeitraum, andere wieder einen Fernzeitraum, so z.B. einst, einmal, damals. Adverbien wie gestern, morgen bezeichnen einen bestimmten oder metrischen, solche wie neulich, längst einen unbestimmten, nicht metrischen Zeitpunkt. Die Origo für die zeitliche Orientierung ist der Zeitpunkt der Aussage oder des Erzählens.

Kjell-Åke Forsgren ≡ Demonstrativadverb → § 33; Adverb; deiktisches Element; deiktisches Pronomen; Demonstrativpronomen; Pro-Adverb → Gram-Syntax: deiktischer Ausdruck; Deixis 🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

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deiktisches Determinativ

Determinativ, das zusammen mit einem Substantiv eine Nominalphrase bildet, dieses Substantiv im gegebenen Wissensrahmen als definit einstuft und dem nominalen Ausdruck das Zeigen in einem Raum zuordnet. ▲ deictic determinative: expression that forms a nominal phrase together with a noun, characterizes this noun as definite, and points to the designated object in a space. Deiktische Determinative sind im Dt. das betonte der/die/das sowie dieser, jener, derjenige, derselbe und solch-. Mit ihnen wird der Redegegenstand einerseits als definit, d.h. als im Wissen des Kommunikationspartners auffindbar markiert. Andererseits wird auf den Redegegenstand in einem Vorstellungsraum gezeigt, wobei dieser Raum nicht unbedingt der konkrete, lokale Raum der aktuellen Wahrnehmung ist, sondern auch ein in der Kommunikation aufgebauter mentaler Raum, ein Wissensbereich und/oder eine Vorstellung sein kann. Gezeigt werden kann auf bereits Erwähntes bzw. auf im gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner aus anderen Gründen Vorhandenes. Durch das Zeigen wird ein spezifisches Verhältnis zwischen dem Sprecher und dem Redegegenstand hergestellt, wodurch der Redegegenstand in den aktuellen Aufmerksamkeitsbereich der Kommunikationspartner einbezogen wird. Die Determinative dieser und jener unterscheiden das Zeigen in der Nähe (unmittelbar Wahrnehmbares, kürzlich Erwähntes etc.) und in der Ferne (entfernt Liegendes, im Phantasiebereich Befindliches etc.). Häufig dienen deiktische Determinative als Antezedens für Relativsätze. Die durch den Relativsatz zu spezifizierenden Redegegenstände werden dadurch zuerst in den aktuellen Aufmerksamkeitsbereich der Kommunikationspartner einbezogen. Derjenige kann nur als Antezedens benutzt werden. (1) Geben Sie mir bitte das Buch da! (2) Man könnte ihm helfen. Dieser Gedanke ist merkwürdigerweise noch niemand eingefallen. (3) Wer gibt? Immer derjenige, der die letzte Runde gewonnen hat! Beispiel (1) stellt eine konkrete lokale Deixis dar, in (2) wird auf das unmittelbar vorhin Gesagte ge-

deiktisches Pronomen zeigt, in (3) wird das Determinativ als Antezedens für den Relativsatz benutzt.

Attila Péteri

→ § 33; Antezedens; deiktisches Element; deiktisches Pro-

nomen; Demonstrativpronomen; Determinativ; Substantiv

→ Gram-Syntax: Deixis; Nominalphrase; Relativsatz

🕮 Brugmann, K. [1904] Die Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen. Leipzig ◾ Gunkel, L. [2007] Demonstrativa als Antezendentien von Relativsätzen. In: DS 35/3: 213– 238 ◾ Roehrs, D. [2009] Demonstratives and Definite Articles as Nominal Auxiliaries. Amsterdam.

deiktisches Element

sprachliche Form mit variabler Referenz, die sich relativ zu den Personen, dem Zeitpunkt und dem Ort der Äußerungssituation ändert und sich nur durch Situationswissen erschließt. ▲ deictic expression: linguistic form with variable reference that changes in relation to speaker or listener, time, and place of utterance, and which requires situational knowledge for an interpretation. Deiktische Elemente werden durch Personalpronomina (ich, du, er, sie, es), Demonstrativpronomina (z.B. dies), den bestimmten Artikel, Ortsadverbien (hier, da), temporale Adverbien (jetzt, gestern, morgen) und Tempus (Bezug auf Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, jeweils relativ zur gegebenen Äußerungszeit) ausgedrückt. Ihr Verständnis setzt eine strukturelle Analyse der Äußerungssituation voraus. Lena Heine

→ definiter Artikel; Demonstrativpronomen; indexikalisches Zeichen; Lokaladverb; Personalpronomen; selbständiges Pronomen; Temporaladverb; Tempus → Gram-Syntax: Deixis; Referenz ⇁ deictic expression (CG-Engl)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena [Nachdruck: Stuttgart 1965] ◾ Diewald, G. [1991] Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen ◾ Klein, W./ Jungbluth, K. [Hg. 2002] Deixis (LiLi 125). Stuttgart.

deiktisches Pronomen

pronominaler Ausdruck für den an einer Äußerungssituation beteiligten Sprecher und Hörer. ▲ deictic pronoun: pronominal expression for the speaker and hearer in a speech event. Die deiktischen Pronomina beziehen sich auf die Personen, die an der Kommunikationssituation beteiligt sind bzw. in diese einbezogen werden. Im Dt. handelt es sich dabei um Pronominalformen der 1. und 2. Pers. (ich, wir, du, ihr) und die

D

Deixis am Phantasma 220

D

pronominale Höflichkeitsform. Die Referenten dieser Formen sind immer – aber ausschließlich über die spezifische Äußerungssituation – eindeutig identifizierbar und definiert. Mit dem Pron. der 1. Pers. nimmt der Sprecher auf sich selbst bzw. die Gruppe, der er sich zurechnet, Bezug. Mit dem Pron. der 2. Pers. referiert der Sprecher auf seine(n) Gesprächspartner als Angesprochene(n), wobei auch nicht anwesende Personen eingeschlossen sein können. Ein besonderer Gebrauch des deiktischen Pron. der 1. Pers. Pl. liegt vor, wenn es in einer Aufforderung oder einer – meist wohlmeinend-herablassenden – Frage gegenüber einer Einzelperson oder einer Gruppe benutzt wird. Abweichend von seiner Anredefunktion kann das Pron. der 2. Pers. Sg. wie ein generalisierendes indefinites Personalpron. gebraucht werden. Zu den deiktischen Pronomina zählen auch die pronominalen Höflichkeitsformen, die bei respektvoller Anrede zum Ausdruck einer gewissen sozialen Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern gebraucht werden. Agnes Kolmer

→ § 33; Adhortativ; deiktisches Determinativ; deiktisches Ele-

ment; Indefinitpronomen; Personalpronomen; Pronomen; selbständiges Pronomen → Gram-Syntax: Deixis; Höflichkeitsform

🕮 Ehlich, K. [1983] Deixis und Anapher. In: Rauh, G. [Hg.] Essays on Deixis. Tübingen: 79–97 ◾ Levinson, S.C. [2005] Pragmatics. 16th ed. Cambridge ◾ Simon, H.J. [2003] Für eine grammatische Kategorie 'Respekt' im Deutschen. Synchronie, Diachronie und Typologie der deutschen Anredepronomina. Tübingen.

Deixis am Phantasma

≡ Vorstellungsraum ⇀ Deixis am Phantasma (SemPrag)

Deklination

Flexion von Lexemen nominaler Wortklassen, insbesondere Substantiven, Adjektiven, Pronomina, Artikeln und Numeralia, nach Kategorien wie Kasus, Numerus und Genus. ▲ declension: inflection of lexemes of nominal word classes, in particular nouns, adjectives, pronouns, articles and numerals, according to categories such as case, number and gender. Deklination ist der traditionelle Terminus zur Bezeichnung der Flexion, insbesondere der Kasusflexion, der Nomina i.w.S., d.h. der flektierbaren „Nichtzeitwörter“ (Sütterlin 1923: 185). Als

ein Haupttyp der Flexion steht die Deklination (Nominalflexion) der Konjugation (Verbflexion) gegenüber, und zudem der Komparation der Adjektive, soweit Letztere nicht zur Derivation (Wortbildung) gezählt wird. Ein Subst., Adj., Pron. usw. deklinieren heißt, seine Flexionsformen in konventionell geordneter Weise aufzuzählen. Die dabei traditionell zugrunde gelegte Reihenfolge der Kasus (im Dt.: Nominativ (= Nom.) – Genitiv (= Gen.) – Dativ (Dat.) – Akkusativ (= Akk.)) geht auf die griech. Antike zurück (Allen/Brink 1980). Die Menge der Flexionsformen eines Lexems bildet sein Flexionsparadigma. Als Deklinationen werden im Besonderen die für flektierende Sprachen wie das Lat. charakteristischen, verschiedenen Flexionstypen (Deklinationsklassen) – Klassen von nominalen Lexemen mit gleicher oder ähnlicher Formenbildung – bezeichnet, so die fünf traditionell angesetzten Deklinationen der lat. Substantive, die nach den klassen- bzw. stammspezifischen Vokalen (Themavokale) benannt (z.B. ā-Deklination, o-Deklination) oder nummeriert werden (1. Deklination, 2. Deklination usw.). Mit Bezug auf das Gegenwartsdt. wird meist die Unterscheidung von starker, schwacher und gemischter Deklination, alternativ von s-Deklination, n-Deklination und Nulldeklination als grundlegend angesehen. Ferner können wortarttypische Deklinationen unterschieden werden (z.B. pronominale vs. nominale Deklination). In Systemen, die eine Differenzierung verschiedener Deklinationen (Deklinationsklassen) aufweisen, sind die Flexionsformen eines gegebenen Lexems i.A. nur herleitbar, wenn seine Deklinationsklassenzugehörigkeit gegeben ist. Vgl. etwa die Ablativ-Sg.-Formen lat. Substantive, die deklinationsklassenabhängig auf -ā, -ō, -e, -ī, -ū oder -ē ausgehen können; in Wbb. wird die Zugehörigkeit zu einer Deklination traditionell angezeigt, indem ausgewählte Formen (Kennformen) bzw. deren Endungen angegeben werden, im Lat. Nom. Sg. und Gen. Sg., z.B. dominus, -i ['Herr']. Für die Substantive des Gegenwartsdt. werden häufig drei Kennformen (Nom. Sg., Gen. Sg., Nom. Pl.) angegeben (Duden 2009: 222, z.B. Hund, der; -[e] s, -e). Mit den Kennformen soll das vollständige Flexionsparadigma ableitbar sein. (a) Deklinationen und Genera stehen vielfach in

221 Deklination enger Korrelation, so dass aus der Deklinationsklassenzugehörigkeit eines Subst. auf sein Genus geschlossen werden, oder umgekehrt, das Genus als ein die Deklinationsklassenzugehörigkeit wesentlich mitbestimmender Faktor angesehen werden kann (vgl. Kramer 2015: 233–244 mit Literaturverweisen). Im Lat. sind die Substantive der 1. und 5. Deklination gewöhnlich Feminina, die der 2. und 4. Deklination Non-Feminina (Maskulina oder Neutra), während die Zugehörigkeit zur 3. Deklination für sich keinen Schluss auf das Genus zulässt (vgl. Rubenbauer/Hofmann 1995: 30–42); die Neutra bilden Subtypen innerhalb der 2., 3. und 4. Deklination, die sich von den Maskulina bzgl. der Nom.-/Akk.-/Vokativ-Bildung unterscheiden. Vereinfacht findet dieses System seine Fortsetzung in modernen roman. Sprachen wie dem Ital. mit der Korrelation von o-Deklination und Maskulinum sowie a-Deklination und Femininum gegenüber der e-Deklination ohne Genuskorrelation (Schwarze 1995: 9–16); vgl. libr-o, Mask. 'Buch'; cas-a, Fem. 'Haus'; sol-e, Mask. 'Sonne' vs. legg-e, Fem. 'Gesetz'. Wie im Ital. bestimmt auch im Russ. die Deklination der Substantive ihr Genus, soweit sie nicht bzgl. Sexus festgelegt sind (und ggf. semantisch determiniertes Genus aufweisen) oder überhaupt undekliniert bleiben (Indeklinabilia) wie z.B. bestimmte Fremdwörter oder Akronyme (Corbett 1991: 34–43). Im Gegenwartsdt. sind Substantive der schwachen Deklination (wie Affe) Maskulina. Im Übrigen – in der starken bzw. gemischten Deklination – ist die produktive Flexion bei den non-femininen Substantiven im Sg. auf den Genitiv (auf ‑(e)s wie in des Mannes, des Hauses) beschränkt, während feminine Substantive im Sg. überhaupt ohne flexivische Differenzierung bleiben (vgl. die Frau, Nom./ Akk. Sg.; der Frau, Dat./Gen. Sg.). Auch die Pluralbildung (auf -(e) und -(e)r, teils mit Umlaut, und auf -(e)n) korreliert im Dt. (wenn auch in nicht eineindeutiger Weise) mit dem Genus (vgl. Wiese 2000); die Kasusmarkierung im Pl. (nur im Dativ, auf -n) ist genusunspezifisch. Zu anderen germ. Sprachen s. Kürschner/Nübling (2011). (b) Deklinationskategorien: Kasus, Numerus, Genus: I.e.S. genommen kann Deklination als Kasusflexion oder (wenn Kasus- und Numeruskennzeichen formal nicht getrennt werden können – bei sog. kumulativer Exponenz) als Kasus-NumerusFlexion verstanden werden. I.w.S. können zur De-

klination alle in einer gegebenen Sprache für die Nominalflexion relevanten Kategorien gezählt werden, im Falle des Dt. Kasus, Numerus und Genus; unterschiedliche Verwendungen des Deklinationsbegriffs mit Bezug auf das Dt. erörtert Pavlov (1995: 11–34 et passim). Das Vorhandensein von Genus impliziert (nach Greenberg 1966: 95, Universal 36) das Vorhandensein von Numerus; das Vorhandensein von Deklinationsklassen impliziert (nach Skalička 1979) kumulative Kasus-Numerus-Flexion. Separative (non-kumulative) Kasus- und Numerusflexion ohne Genus- und ohne Deklinationendifferenzierung findet sich in agglutinierenden Sprachen wie dem Türk.; vgl. Johanson/Csató (1998). Im Gegenwartsdt. überlagern sich ein älteres, ererbtes System kumulativer Kasus-Numerus-Markierung (mit Genusdifferenzierung) an Pronomina, Artikeln und Adjektiven (starke Adjektivflexion) und (in reduzierter Form) an Substantiven (vgl. am Pron.: dies-erNom.Sg.Mask., dies-enAkk.Sg.Mask., dies‑emDat.Sg.Non-Fem., dies‑esGen.Sg.Non-Fem. usw.; am Subst.: Kind-esGen.Sg.Non, Kinder-nDat.Pl.) und ein erst im Dt. entwickeltes Fem. System separativer Numerusmarkierung mit Plural-Suffixen, die in allen Kasus auftreten, vgl. ‑erPl. in Kind‑er (Nom./Akk./Gen. Pl.), Kind‑er-n (Dat. Pl.). Die letztere Form zeigt das gleichzeitige Auftreten des separativen Pluralsuffixes ‑er und der kumulativen Dat.-Pl.-Endung ‑n. (c) Weitere Deklinationskategorien: Häufig flexivisch markierte Kategorien des nominalen Bereichs (und damit ggf. Deklinationskategorien) sind Definitheit und Possessivität. Definitheit anzeigende Affixe (die aus klitisierten Artikeln oder Pronomina entstehen können) existieren z.B. in Sprachen des Balkanbundes (Bulg., Mazedonisch, Rum., Albanisch) und in vielen anderen Sprachen, darunter die festlandskandinavischen Sprachen und semitische Sprachen; vgl. Gunkel (2017). Im Baltischen und in Resten im Slaw. (Serbokroatisch, Slowenisch) findet sich eine Differenzierung von definiter und indefiniter Adjektivflexion, die mit der Differenzierung von starker und schwacher Adjektivdeklination im Germ., insbesondere im Dt., verglichen werden kann (Orr 1982); zum Baltischen dazu Senn (1966: 163–169) und Prauliņš (2012: 66–71), zu den slaw. Sprachen Sussex/Cubberley (2006: 244–266, 310 et passim). Possessormarkierungen (differenziert nach Pers.) an Substantiven (oft formal Verbfle-

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Deklination 222

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xiven ähnlich oder mit diesen identisch und aus klitisierten Personalpronomina entstanden) sind weit verbreitet; vgl. Siewierska (1998); Nichols (2017). Die Kategorien Belebtheit (Belebt–Unbelebt) und Personalität (Person–Nicht-Person) liegen der Unterscheidung von Subgenera in slaw. Sprachen zugrunde, die für die Ausgestaltung der Kasusflexion wesentlich sind. So fällt im Poln. bei unbelebten maskulinen Substantiven (sowie bei den von ihnen abhängigen kongruierenden Formen) der Akk. mit dem Nom. zusammen (wie in Mam ładny dom '[Ich] habe [ein] schönes Haus', mit den Nom.-Akk.-Formen ładny 'schön' und dom 'Haus'), während bei belebten Maskulina (und mit ihnen kongruierenden Formen) der Akk. in der Regel mit dem Genitiv zusammenfällt (wie in Widzę dużego słonia '[Ich] sehe [einen] großen Elefanten', mit den Gen.-Akk.-Formen dużego zu duży 'groß' und słonia zu słoń 'Elefant'). Hier ist Belebtheit eine echte Deklinationskategorie: die grammatischen Klassen Belebt und Unbelebt fallen nicht (genau) mit den semantischen Klassen zusammen, nach denen sie benannt sind. Eine besondere Klasse im poln. Deklinationssystem bilden zudem die Personalmaskulina (Bezeichnungen für männliche Personen); zum System der Subgenera des Poln. siehe Wiese (2017: 1067–1078). Sprachenübergreifend konstituiert Belebtheit einen grundlegenden Faktor, der den Bau grammatischer Systeme und insbesondere von Deklinationssystemen mitbestimmt (Zifonun 2007). (d) Deklinationsab- und -aufbau: Während sich ältere ide. Sprachen typischerweise durch komplexe Deklinationssysteme auszeichnen, zeigen jüngere Sprachstufen häufig eine (unterschiedlich starke) Reduktion von kategorialen und/oder formalen Differenzierungen, etwa die Vereinfachung des Genussystems durch Aufgabe des Neutrums (in roman. und baltischen Sprachen) oder der Maskulinum-Femininum-Unterscheidung (in einer Reihe von germ. Sprachen), des Numerussystems durch Verlust des Dualis – erhalten im Obersorbischen (Faẞke 1981) – und des Kasussystems durch Verringerung der Zahl der Kasus und der Reichweite der Kasusflexion relativ zum Wortartensystem (teils bis zum nahezu vollständigen Verlust der Kasusflexion) u.a. in roman., ebenso in verschiedenen germ. Sprachen (in den festlandskandinavischen Sprachen, im Niederl.

und im Engl.) und zudem im Südslaw., am stärksten durchgedrungen im Mazedonischen und Bulgarischen, während die slaw. Sprachen im Übrigen vergleichsweise stark entfaltete Deklinationssysteme bewahren wie auch die baltischen Sprachen. Radikal abgebaut worden ist die Deklination im Engl. Erstarrte Reste der dreifachen Formendifferenzierung nach Genus, Numerus und Kasus finden sich nur noch im pronominalen Bereich (vgl. he/him/his; she/her; it/its; they/them/ their). Die Substantivflexion ist auf die (weitgehend auf -s vereinheitlichte) Pluralmarkierung beschränkt, während die Kasusflexion nur noch im Possessivmarker (’s), der auf Phrasenebene operiert (sog. possessive case), eine produktive Fortsetzung findet; Artikel und Adjektive sind nicht mehr deklinierbar. Demgegenüber zeigt die Entwicklung von Subgenera im Slaw. die Möglichkeit des Ausbaus älterer Deklinationssysteme; eine Erweiterung des Kasussystems um neue (agglutinativ gebildete) Kasus findet sich im Litauischen (Senn 1966: 92–94) und in neuindoarischen Sprachen (Masica 1993: 230–248). Das Gegenwartsdt. (Wegener 1995; Bittner 2004; Ronneberger-Sibold 2004) weist im Vergleich zu den roman. und zur Mehrzahl der germ. Sprachen einerseits und den slaw. Sprachen andererseits ein Deklinationssystem mittlerer Komplexität auf (Wiese 2017: 1326–1333). Das System der drei Genera ist erhalten; das Kasussystem umfasst vier grammatische Kasus (Nom., Akk., Dat., Gen., mit den primären Funktionen der Kennzeichnung von Subjekt, direktem Objekt, indirektem Objekt und Attribut), die an Pronomina, Artikeln und anderen Substantivbegleitern formal (konsequent im Sg. der Personalpronomina der 1. und 2. Pers. und im Übrigen im Maskulinum Sg.) unterschieden werden, doch kaum am Subst. Die vergleichsweise stark entfaltete Flexion, wie sie sich an Pronomina zeigt (pronominale Deklination), nehmen Adjektive nur an, wenn die entsprechenden morphologischen Markierungen in NPn fehlen. Andernfalls zeigen sie eine reduzierte Formendifferenzierung (schwache Deklination); bei prädikativer Verwendung bleiben sie unflektiert. Partizipien werden nur bei adjektivischem Gebrauch oder bei Substantivierung flektiert. Auch Kardinalnumeralia, die u.a. in slaw. Sprachen sehr komplexe Deklinationsmuster aufweisen können (vgl. z.B. Grappin 1950 zum

223 Deklination Poln.), zeigen im Gegenwartsdt. kaum Formendifferenzierung (ausgenommen einer/eine/eines, mit ausgebautem Flexionsparadigma). Besondere semantische (konkrete) Kasus fehlen – anders als in agglutinierenden Sprachen mit ausgebauten Adverbialkasussystemen, etwa uralischen Sprachen (Abondolo 1998). Adverbiale (lokale oder temporale) Verwendung der grammatischen Kasus hat nur randständige Bedeutung. Die Unterscheidung der ide. Deklinationen (Deklinationsklassen) findet in den verschiedenen Formen der Pluralbildung eine Fortsetzung; im Übrigen ist die Deklinationsklassendifferenzierung weitgehend geschwunden. (e) Gruppenflexion: Wie die Formendifferenzierung in verschiedenen Deklinationssystemen bei den einzelnen Wortarten sehr unterschiedlich ausgebaut sein kann und verschiedene Wortarten unterschiedliche oder aber gleiche bzw. ähnliche morphologische Markierungen aufweisen können, so variiert auch die Verteilung der entsprechenden morphologischen Markierungen innerhalb von NPn in verschiedenen Sprachen erheblich. So wird in pluralischen Artikel + Substantiv-Verbindungen der Pl. im gesprochenen Frz. – anders als im geschriebenen Frz. – gewöhnlich nur am Artikel, dagegen im Engl. und ebenso im Ung. nur am Subst. kenntlich; vgl. frz. les enfants /lezãfã/ 'die Kinder' mit engl. the big citi-esPl. 'die großen Städte' und ung. a magyar lány-okPl. 'die ungarischen Mädchen', mit unflektierten Artikelformen (engl. the; ung. a) und unflektierten Adjektivformen (engl. big 'groß'; ung. magyar 'ungarisch'). Im Dt. kann der Numerus teils am Substantivbegleiter, teils am Subst., teils an beiden, teils nur aus ihrer Kombinatorik kenntlich sein; vgl. dem Besen (Sg.); die Frauen (Pl.); des Mannes (Sg.); der schlauen Affen (Pl.). Wie in letzterem Beispiel können alle Phrasenbestandteile für sich (mehrfach) ambig sein; ggf. liefert erst ihr Zusammenspiel die kategoriale Spezifikation der NP (Pavlov 1995, „Gruppenflexion“); vgl. Durrell (1977). (f) In der antiken Sprachlehre ist der lat. Terminus declinatio ['Abbiegen'] zunächst (bei Varro, 116–27 v. Chr., De lingua Latina VIII 3–7, 14–23 et passim) – ähnlich wie der griech. Terminus πτῶσις ['Fall'] bei Aristoteles (384–322 v. Chr., De interpret. 16b1, 16b17; Poet. 1457a18–23 passim) – nicht auf den nominalen Bereich beschränkt und umfasst zudem sowohl Flexion (bei Varro: decli-

natio naturalis) als auch Wortbildung (bei Varro: declinatio voluntaria); vgl. Taylor (1974). Das aus traditionellen Lateingrammatiken geläufige System von fünf Deklinationen findet sich voll ausgearbeitet bei Priscian in seiner großen Grammatik (Institutiones grammaticae, Buch VI-VII, frühes 6. Jh. n. Chr.) sowie zusammengefasst im Lehrbuch Institutio de nomine et pronomine et verbo, dessen erster Satz lautet: „Omnia nomina, quibus Latina utitur eloquentia, quinque declinationibus flectuntur, quae ordinem acceperunt ab ordine vocalium formantium genetivos.” ['Alle Nomina, deren sich die lateinische Sprache bedient, werden gemäß [einer von] fünf Deklinationen flektiert, deren Reihenfolge sich aus der Reihenfolge der Vokale ergibt, mit denen die Genitive [im Singular] gebildet werden.']. Zur Entwicklung von Varro bis Priscian siehe Taylor (1991). Bernd Wiese ≡ Beugung → § 9, 16; Deklinationsklasse; flektierende Sprache; gemisch­ te Deklination; Genus; Kasus; n-Deklination; nominale Deklination; Nulldeklination; Numerus; pronominale Deklination; schwache Deklination; s-Deklination; starke Deklination ⇀ Deklination (HistSprw; Phon-Dt) ⇁ declension (Typol)

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Deklination, attribuierende 224

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Deklination, attribuierende → attribuierende Deklination

Deklination, gemischte → gemischte Deklination

Deklination, nominale → nominale Deklination

Deklination, parallele → parallele Deklination

Deklination, pronominale → pronominale Deklination

Deklination, schwache → schwache Deklination

Deklination, starke → starke Deklination

Deklinationsart

≡ Deklinationsklasse

Deklinationsklasse

Klasse von deklinierbaren Lexemen, insbesondere von Substantiven und Adjektiven, mit übereinstimmender oder ähnlicher Formenbildung. ▲ declension class; declensional class: class of declinable lexemes, especially of nouns and adjectives, with the same or a similar set of inflectional formations. Während in Sprachen des agglutinierenden Typs wie dem Türk. die Formenbildung aller Substantive (und substantivisch gebrauchten Adjektive) einem relativ einheitlichen Muster folgt, ist für Sprachen des flektierenden (oder: fusionierenden) Typs (mit kumulativer Kasus-NumerusMarkierung) die Existenz mehrerer nominaler Flexionsmuster oder Deklinationsklassen charakteristisch (Skalička 1979). Als prototypisches Beispiel gilt das Lat., für das traditionell fünf Deklinationsklassen (nach traditioneller Terminologie: Deklinationen) angesetzt werden (Meiser 1998). Die Deklinationen (und ihre Varianten) zeigen je besondere Sätze von Kasus-NumerusEndungen; vgl. die Nominativ-/Genitiv-/Dativ-/ Akkusativ-/Ablativ-Sg.-Endungen der 1. Deklination (-a/-ae/-ae/-am/-ā) und der 2. Deklination (-us/-ī/-ō/-um/-ō). Bei gleicher Merkmalsspezifikation weisen Substantive verschiedener Deklinationsklassen regelmäßig unterschiedliche Flexive auf; vgl. die Genitiv-Sg.-Formen capr-ae, lup-ī, mar-is, ict-ūs und di‑ēī zu capra 'Ziege' (1. Dekl.), lupus 'Wolf' (2. Dekl.), mare 'Meer' (3. Dekl.), ictus 'Schlag' (4. Dekl.), diēs 'Tag' (5. Dekl.). Unterschiede in der Formenbildung ergeben sich teils aus dem Vorhandensein deklinationsklassen- bzw. stammspezifischer Vokale (Themavokale), die auch zur Benennung der Deklinationsklassen herangezogen werden (ā-Deklination, o-Deklination usw.), teils aus der Konkurrenz unterschiedlicher Endungsformen; vgl. einerseits -ā, -ō, -ī, -ū, -ē als Ablativ-Sg.-Endungen der 1. bis 5. Deklination, anderseits z.B. Formen mit/ohne Ausgang auf s (sigmatisch/asigmatisch) im Nominativ Sg., wie lupus vs. capra. In Grammatiken des Dt. wird traditionell anhand der unterschiedlichen Ausprägung der Kasusflexion zwischen starker und schwacher (sowie gemischter) Deklination unterschieden; im Übrigen ist für die Deklinationsklassendifferenzierung im Gegenwartsdt. vorrangig die Pluralbildung

225 Deklinationswechsel (auf -e, -er, -en oder -s, teils verbunden mit Umlaut, wie in Hund-e, Männ-er, Frau-en, Auto-s) wesentlich. Vielfach werden Deklinationsklassen anhand von charakteristischen Flexiven bestimmt und benannt (n-Deklination, s-Deklination, Nulldeklination). Annahmen zur Zahl der zu unterscheidenden Deklinationsklassen (und den Unterscheidungskriterien) variieren stark (vgl. Neef 1998; Thieroff 2016). Zur Deklinationsklasseneinteilung des Dt. aus sprachvergleichender Sicht vgl. u.a. Kürschner (2008); Wiese (2012). Die Eigenschaften und der Status von Deklinationsklassen (und allgemeiner von Flexionsklassen) stellen einen zentralen Diskussionsgegenstand in der theoretisch orientierten Fachlit. zur Flexionsmorphologie dar. Bernd Wiese ≡ Deklinationsart; Deklinationstyp → Agglutination; flektierende Sprache; gemischte Deklination; n-Deklination; Nulldeklination; schwache Deklination; s-Deklination; starke Deklination ⇀ Deklinationsklasse (HistSprw) ⇁ declension class (Typol)

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Deklinationsschwankung

nicht regelgeleiteter Wechsel zwischen konkurrierenden Flexionsformen deklinierbarer Lexeme. ▲ vacillation in declension: non-rule-governed vari-

ation between competing inflectional forms of declinable lexemes. Bernd Wiese

→ Deklination; Deklinationsklasse; Deklinationswechsel; gemischte Deklination

🕮 Diez, M. [1917] Analogical tendencies in the German sub­ stantive (UTexBull 1760). Austin, TX ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eichinger, L.M. [2013] Die Entwicklung der Flexion: Gebrauchsverschiebungen, systematischer Wandel und die Stabilität der Grammatik. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung/ Union der deutschen Akademien der Wissenschaften [Hg.] Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 121–170 ◾ Klein, W.P. [Hg. 2003] Sprachliche Zweifelsfälle. Theorie und Empirie. Grammatical uncertainties. Theoretical and empirical aspects. Linguistik-onl 16/4 ◾ Ljungerud, I. [1955] Zur Nominalflexion in der deutschen Literatursprache nach 1900 (LGF 31). Lund [etc.] ◾ Muthmann, G. [1994] Doppelformen in der deutschen Sprache der Gegenwart. Studie zu den Varianten in Aussprache, Schreibung, Wortbildung und Flexion (RGL 145). Tübingen.

Deklinationstyp

≡ Deklinationsklasse

Deklinationswechsel

Übertritt deklinierbarer Lexeme aus einer Flexionsklasse in eine andere, insbesondere bei Substantiven, z.B. im Deutschen aus der schwachen in die starke Deklination. ▲ change of declension: shift of declinable lexemes from one inflectional class to another, in particular with nouns, e.g. from weak to strong declension in German. Bernd Wiese

→ Deklinationsklasse; Deklinationsschwankung; gemischte Deklination; schwache Deklination; starke Deklination

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D

delimitative Aktionsart

Aktionsart des Verbs mit Phasenbedeutung, die eine zeitliche Beschränkung des Geschehens ausdrückt. ▲ delimitative aktionsart: lexical aspect of verbs with a phasic meaning expressing a temporal limitation of the action. Delimitiva bezeichnen Ereignisse mit einer limitierten Dauer (LeBlanc 2006). Im Russ. sind die entsprechenden Verben (in einem „activity predicate“, vgl. Vendler 1957) morphologisch durch das Präfix po- ('ein wenig, etwas, eine Zeitlang') gekennzeichnet, wie bei poguljat’ 'eine Weile spazieren gehen', pospat’ 'etwas schlafen' oder počitat’ 'ein wenig lesen'. Im Baskischen wird die delimitative Bedeutung in der Syntagmenflexion am Nomen mit einem Affix markiert (Haase 2015) und als Kasus angesehen; z.B. arratssalde-ko 'am Nachmittag'.

→ Aktionsart; Phasenaktionsart; Verb → Gram-Syntax: Aspekt

Christine Römer

🕮 Haase, M. [2015] Baskisch – Die exotischste Sprache Europas. In: Schlösser, R. [Hg.] Sprachen im Abseits. München: 107–123 ◾ LeBlanc N. [2006]: Iterativity. Revisiting and re-think­ ing secundary homogeneity in Russian delimitatives. Glossos 7 [Unter: https://slaviccenters.duke.edu/sites/slaviccenters. duke.edu/files/media_items_files/7leblanc.original.pdf; letzter Zugriff: 29.12.2020] ◾ Schwall, U. [1991] Aspektualität. Eine semantisch-funktionelle Kategorie. Tübingen.

Deminutionskomparativ, absoluter → Steigerungsinversion

deminutiv

≡ diminutiv

Deminutiv

≡ Diminutiv

Demonstrativadverb ≡ deiktisches Adverb

demonstratives Adjektiv

Adjektiv, mit dem die Beschaffenheit von jemand oder etwas bezeichnet wird. ▲ adjective with a demonstrative meaning: adjective referring to a quality of an object or person.

Die demonstrativen Adjektive solch und derartig berühren sich mit den adjektivischen Demonstrativpronomina dieser, jener, worauf auch das Schwanken zwischen starker und schwacher Flexion eines auf solch folgenden zusätzlichen Adj. im Pl. hinweist, z.B. solche schöne(n) Blumen. „Die Grenze zwischen Artikelwörtern und Adjektiven ist nicht ganz fest, es zeigt sich Varianz“ (Duden 2005: § 1526). Meist werden sie wie Adjektive flektiert, wobei unflektiertes solch in wenigen bestimmten Fällen im Sg. auch vorkommt, z.B. solch ein Wetter, solch ein herrliches Wetter (Duden 1998: § 474). Der Terminus selbst wird in Duden (1998) verwendet, aber nicht mehr in Duden (2005). Im Engl. wird der Terminus demonstrative adjective für such als Determinans, z.B. such nice people, gegenüber dem demonstrative pronoun, z.B. such is life, verwendet. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Demonstrativpronomen; Determinans (1); Flexion

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

demonstratives Determinativ

Determinativ, das das determinierte Substantiv als definit markiert und eine stark hinweisende Funktion hat. ▲ demonstrative determinative: determinative that marks the determinate noun as definite and has the function of indicating. Attila Péteri

→ Artikel; deiktisches Determinativ; Demonstrativpronomen; Substantiv

🕮 Diessel, H. [1999] Demonstratives. Form, Function, and Gram­ maticalization. Amsterdam ◾ Roehrs, D. [2009] Demonstratives and Definite Articles as Nominal Auxiliaries. Amsterdam.

demonstratives Pronomen ≡ Demonstrativpronomen

Demonstrativpronomen

Pronomen mit hinweisender Funktion. ▲ demonstrative pronoun: pronoun with a referring function. Ein Demonstrativpron. weist deiktisch auf etwas in der Situation Gegebenes (1), anaphorisch auf etwas bereits Erwähntes (2) oder kataphorisch auf etwas später im Text Genanntes (3) hin.

227 Derivation (1)

Diesen Mann kenne ich! [mit einer hinweisenden Geste] (2) Sie entflohen der Kindheit, denn diese hatte ohnehin schon zu lange gedauert. (3) Ich danke jenen, die mich unterstützt haben. Demonstrativpronomina werden attributiv (1) oder substantivisch (2) gebraucht. In neueren Grammatiken des Dt. gibt es daher das substantivische Demonstrativpron. und das demonstrative Artikelwort (Duden 2005; Helbig/Buscha 2005) oder Determinativum (Engel 2004). Zu den substantivischen Demonstrativpronomina der dt. Sprache gehören der, derjenige, derselbe, dieser, jener, ein solcher. Mit den Demonstrativpronomina dieser und jener wird zwischen Nähe und Distanz unterschieden. Die Form dieser weist auf einem Sprecher örtlich näher Liegendes hin und jener auf örtlich ferner Liegendes. Im Text bezieht sich dieser auf das nähere Antezedens, jener auf das textuell weiter entfernte (4). (4) Er hatte zwei Söhne, Fritz und Hans. Dieser [= Hans] arbeitet als Schlosser, jener [= Fritz] studiert Medizin. Mit dem Demonstrativum derselbe, das vorwiegend als Artikelwort gebraucht wird, wird die Identität einer Person oder eines Objekts mit dem zuvor Genannten ausgedrückt. (5) Er spielte den Ball. Im selben Augenblick hörten wir einen Knall. Demonstrativpronomina und demonstrative Artikelwörter sind formgleich bis auf das Demonstrativum der. Die Form der als Demonstrativum weist ein teilweise anderes Deklinationsparadigma als der bestimmte Artikel auf: Es enthält die sog. langen Formen im Genitiv Sg. Neutrum/Maskulinum (dessen), Genitiv Sg. Femininum/ Genitiv Pl. (deren) und Dativ Pl. (denen). Janusz Taborek ≡ demonstratives Pronomen; Demonstrativum; hinweisendes Fürwort; hinweisendes Pronomen → Artikel; demonstratives Adjektiv; Determinativ; Determinativpronomen; Pronomen ⇀ Demonstrativpronomen (Sprachphil) ⇁ demonstrative pronoun (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunter-

richt. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Demonstrativpronomen, vorausweisendes → vorausweisendes Demonstrativpronomen

Demonstrativpronomen, zurückweisendes → zurückweisendes Demonstrativpronomen

Demonstrativum

≡ Demonstrativpronomen ⇀ Demonstrativum (SemPrag)

Derivat, adjektivisches → abgeleitetes Adjektiv

Derivation

Wortbildungstyp, bei dem ein komplexes Wort mithilfe eines Derivationsaffixes oder durch einen Vokalwechsel von einem Autosemantikon abgeleitet wird. ▲ derivation: type of word formation whereby a complex word is derived from a content word by means of a derivational affix or a vowel change. Die Derivation ist neben der Komposition, der Konversion und der Kurzwortbildung einer der vier Haupttypen der Wortbildung im Dt. Man unterscheidet zwischen expliziter (Freund → freund-lich) und impliziter Derivation (sinken → senken; werfen → Wurf) (vgl. Hentschel/Vogel 2009: 71). Bei der expliziten Derivation wird die Wortbildungsbasis durch ein Präfix, ein Infix, ein Suffix oder ein Zirkumfix affigiert. Im modernen Dt. treten keine Ableitungen durch Infixe auf (Hentschel/Weydt 2013: 20). Viele gegenwartssprachlich vollständig grammatikalisierte Affixe lassen sich z.T. hist. auf Autosemantika zurückführen, so z.B. ‑tum (ahd. tuom 'Urteil'), ‑schaft (ahd. scaf 'Beschaffenheit'), ‑lich (ahd. līh 'Körper'), ‑haft (ahd. haft 'behaftet, gebunden'), ‑sam (aus ahd. sama/samo 'das-, derselbe'), ‑heit (ahd. heit 'Art und Weise, Beschaffenheit') (Fleischer/Barz 2012: 59), haben aber ihre autosemantische Bedeutung gegenwartssprachlich verloren und sind damit auch nicht mehr homonym wort- und basenfähig. Andere Affixe wie z.B. die noch homonym als

D

derivationelles Genus 228

D

Verbpartikel sowie als wortfähige Präpositionen auftretenden Präfixe (z.B. durch- (1)) oder Suffixe wie ‑los (arbeit-s-los) sind noch nicht vollends grammatikalisiert, weshalb man hier neben dem derivationellen auch ein kompositionelles Moment annehmen kann. (1) Er durchläuft eine Spezialausbildung. Bei adjektivischen Wortbildungen wie abgas-arm und alkohol-frei geht man meist von reihenbildenden Kompositionalbildungen aus und wertet diese nicht als Derivationen durch die Affixe oder Affixoide ‑arm und ‑frei. Insgesamt ist die Grenzziehung zwischen Derivation und Komposition häufig schwierig und somit fließend (vgl. Motsch 2004: 10ff.; Fleischer/Barz 2012: 300ff.). Sowohl die Präfigierung als auch die Suffigierung sind hoch produktiv. Die Präfigierung hat im Gegensatz zur Suffigierung meist keine Kopffunktion, d.h., das Präfix bestimmt nicht die Wortart (z.B. be-kommen, Un-kraut, ur-alt, aber ge-heim ← Heim). Deshalb wird sie auch als eigener Wortbildungstyp angesehen (vgl. hierzu Eichinger 2000: 146, der diese Ausgliederung der Präfigierung ablehnt). Bei der Suffigierung liegt die Kopffähigkeit der Suffixe im Dt. immer vor. Deshalb löst eine Suffigierung neben einer bloßen Modifikation (rot → rötlich) häufig eine Transposition, eine Derivation mit Wortartwechsel, aus (Subst. Gift → Adj. gift-ig). Suffigierungen lassen sich deshalb nach der Wortbildungsbasis und der Wortart des Wortbildungsprodukts subklassifizieren. Ebenso lassen sich viele Suffixe regelhaft semantischen Funktionsklassen zuweisen, so z.B. das substantivische maskuline und meist Konkreta bildende Suffix ‑er, das sehr häufig nomina agentis (Lehrer), nomina instrumenti (Weck-er) und Zugehörigkeitsbezeichnungen (Niederländ-er) sowie seltener nomina actionis (Seufz-er) und Movierung bei femininen Basen (Witw-er) hervorbringt (wie auch das sehr produktive Movierungssuffix -in bei maskulinen Basen: Lehr-er-in) (vgl. Altmann 2011: 83–90). Bisweilen derivieren Präfigierungen und Suffigierungen gleichzeitig, was als Präfix-SuffixBildung oder Zirkumfigierung (Ge-renn-e) bezeichnet wird. Simmler (1998: 616ff.) zählt auch Bildungen wie ver-arm-en zu den Zirkumfigierungen, andere werten -en hier aber nicht als Wort-

bildungsaffix, sondern als Flexionsmorphem (Fleischer/Barz 2012: 54, 373). Bei der impliziten Derivation im Dt. wird im Gegensatz zur expliziten Derivation kein Sprachmaterial durch Affixe hinzugefügt, und es liegt keine Ausdruckserweiterung vor. Hier entsteht das Derivat (a) durch Vokalwechsel (sinken → senken) oder (b) durch Ablaut (werfen → Wurf). Beide Wortbildungsverfahren sind gegenwartssprachlich nicht mehr produktiv. Im Gegensatz z.B. zu Eisenberg (2006: 295) zählen Fleischer/ Barz (2012: 89) und Eichinger (2000: 73) den Wortbildungstyp (b) nicht zu den impliziten Ableitungen, sondern analysieren diesen als Konversion mit ablautbedingter Stammallomorphie. Die in diesem Artikel als Wortbildungshaupttyp angesehene Konversion (z.B. grün → das Grün) wiederum kann auch als Nullableitung und damit als Derivationssubklasse angesehen werden (z.B. Wellmann 1998: 426). Igor Trost ≡ Ableitung → § 15, 31; Affix; Autosemantikon; Komposition; Konversion; Präfigierung; Suffigierung; Verbpartikel; Vokalwechsel; Wortbildung; Zirkumfigierung ⇀ Derivation (Wobi; CG-Dt; Onom; QL-Dt; Phon-Dt; HistSprw; Lexik) ⇁ derivation (Phon-Engl; CG-Engl; Typol)

🕮 Altmann, H. [2011] Prüfungswissen Wortbildung. 3., durchges. Aufl. Göttingen ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 3. Auflage. Stuttgart ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [2009] Deutsche Morphologie. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin ◾ Wellmann, H. [1998] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. Bd. 4. Mannheim [etc.]: 408–557.

derivationelles Genus

morphologische Markierung des natürlichen Geschlechts bei Personen- und Tierbezeichnungen. ▲ derivative gender: morphological gender assignment of the natural gender of words that refer to a person or an animal. Das derivationelle Genus hat die Funktion, ein natürliches Geschlecht zu markieren. Im Dt. dient dazu vor allem das Suffix -in für die Differenzie-

229 Determinans rung von Personenbezeichnungen, seltener von Tierbezeichnungen, in solche für männliche und weibliche Personen (Lehrer/Lehrerin, Freund/ Freundin) und Tiere (Hund/Hündin). Im Sprachsystem angelegte Beschränkungen für die Movierung auf -in liegen in den Fällen vor, in denen für das weibliche Subst. im Lexikon ein spezielles Lexem vorhanden ist. Dies betrifft vor allem Tierbezeichnungen, z.B. nicht *Hengstin, weil Stute vorliegt (vgl. Duden 2005: 686). Das Movierungssuffix gibt es auch im Pl. (Lehrer/Lehrerinnen, Freunde/ Freundinnen, Hunde/Hündinnen). Weniger produktiv ist das Suffix -(e)rich (Gans/Gänserich, Maus/Mäuserich, Hexe/Hexerich) für Maskulina als abgeleitete Formen. Edyta Błachut

→ Derivation; Genus; Genusdetermination; Geschlechtsspezifikation; Movierung; Movierungssuffix; Sexus

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Plank, F. [1981] Morphologische [Ir-]Regularitäten. Tübingen.

Derivationssuffix

≡ stammbildendes Suffix ⇀ Derivationssuffix (Wobi)

DET

≡ Determinans (1)

Determinans

1. Kategorie von Wörtern, die ein Nomen näher bestimmen. ▲ determiner: category of words that determine a noun.

2. Element einer komplexen syntagmatischen Struktur, das einen anderen Bestandteil semantisch spezifiziert bzw. modifiziert. ▲ determinant: element within a complex syntagmatic structure that semantically specifies or modifies another constituent. Zu 1: Die Wortklasse der Determinantien umfasst eine heterogene Gruppe von Ausdrücken, die ein Nomen bzw. eine Nominalgruppe näher bestimmen. Semantisch bewirkt das Determinans damit die Eingrenzung der Referenz. So können bestimmte Artikel z.B. eine definite Interpretation auslösen, womit das nachfolgende Nomen

als bekannt vorausgesetzt wird, z.B. der (dichte) Wald. Ebenfalls ist eine generische Interpretation möglich: Der Wald ist bedroht. Über die Abgrenzung der Kategorie der Determinantien gibt es keinen Konsens. Als Mitglieder allgemein anerkannt sind definite Artikel und Demonstrativa, umstritten ist dagegen die Zugehörigkeit von indefiniten Artikeln, Possessiva und Quantoren wie z.B. all-, einig-, jed- (vgl. Vater 1986, 1991; Zifonun et al. 1997). Traditionell werden Determinantien als Konstituenten von NPn aufgefasst. In der generativen Syntax hat sich nach Abney (1987) die Ansicht durchgesetzt, dass das Determinans (DET) die Realisierung der funktionalen Kategorie D darstellt, die die grammatischen Merkmale (Genus, Kasus, Numerus, Person) trägt und deren maximale Projektion eine Determinansphrase (DP) ist. Das Determinans besetzt die Kopfposition der DP, die eine NP als Komplement hat (1). (1) [[der]DET[dichte Wald]NP]DP Dabei wird angenommen, dass die Kongruenzmerkmale von D durch Perkolation auf die NP übertragen werden. Im Gegensatz zum Merkmal [Poss] bzw. zum Genitivsuffix ’s realisieren Determinantien die D-Position lexikalisch (vgl. Olsen 1991). Malte Battefeld ≡ Artikelwort; DET; determiner → § 9, 18; Artikel; deiktisches Determinativ; demonstratives Determinativ; Determinativum; Nullartikel; Possessivartikel → Gram-Syntax: Artikelphrase; Determinansphrase; Kongruenz; maximale Projektion; perkolieren ⇀ Determinans (Wobi; Onom; Lexik) ⇁ determiner (CG-Engl; Typol)

🕮 Abney, S. [1987] The English noun phrase in its sentential aspects. Cambridge, MA ◾ Olsen, S. [1991] Die deutsche Nominalphrase als ,Determinansphrase‘. In: Olsen, S./ Fanselow, G. [Hg.] DET, COMP und INFL. Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen (LA 263). Tübingen: 35–56 ◾ Vater, H. [1991] Determinantien in der DP. In: Olsen, S./ Fanselow, G. [Hg.] DET, COMP und INFL. Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen (LA 263). Tübingen: 15–34 ◾ Vater, H. [Hg. 1986] Zur Syntax der Determinantien (StDG 31). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Zu 2: Als Determinans (Pl. Determinantien) wird dasjenige Element eines Satzglieds, einer Phrase oder eines Wortbildungsprodukts bezeichnet, das einen anderen, ihm übergeordneten Bestandteil derselben syntagmatischen Struktur näher bestimmt, z.B. frz. rouge 'rot' in robe rouge 'rotes

D

Determinans, substantivisches 230

D

Kleid' oder groß in Großhandel. Das Determinans spezifiziert die Bedeutung des determinierten Elements (des Determinatums) und kann damit zur Subklassifizierung des Letzteren dienen. Determinantien gelten als optional und verlangen per Definition ein Determinatum. Im europ. Strukturalismus wird das jeweils semantisch untergeordnete Element (le propos, im Gegensatz zu le thème) jedweder syntagmatischer Beziehung als Determinans (frz. déterminant) aufgefasst (vgl. Bally 1932/1965). Bereits bei de Groot (1938/39) findet sich die Übertragung des Begriffspaares Determinans – Determinatum auf die Wortbildung, die systematisch von Marchand (1960) geleistet worden ist. Marchand betrachtet unter strukturell-grammatikalischen Gesichtspunkten kompositionelle Erstglieder sowie Präfixe komplexer Wörter als Determinantien (engl. determinants), z.B. engl. un- in unintelligent 'unintelligent' oder untie 'auf-/losbinden', während er Wortbildungssuffixe immer als Determinata klassifiziert, da sie als morphosyntaktische Köpfe fungierten (vgl. der Mann, das Männchen; dagegen: Gauger 1968). In der neueren Wortbildungsforschung wird der Terminus insbesondere auf das Bestimmungswort im Determinativkompositum angewandt, z.B. Schlafzimmer, flugtüchtig. Da das Determi­ nans grundsätzlich nicht als Kopf dient, hat es keinen Einfluss auf die morphosyntaktischen Eigenschaften des Gesamtkompositums wie Wortart, Genus oder Flexionsklasse. Die Bedeutungsbeziehungen zwischen Determinans und Determi­na­tum sind in Zusammensetzungen vielfältig und prinzipiell vage, vgl. Sonnenaufgang 'Aufgang der Sonne', Sonnenschutz 'Schutz vor der Sonne', stocksteif 'steif wie ein Stock', stocksauer 'sehr sauer' (vgl. Heringer 1984), bei lexikalisierten Komposita kann sie verdunkeln, z.B. Eifersucht. In der sub­ stantivischen Komposition der germ. Sprachen gibt es praktisch keine Beschränkung der lexikalischen Kategorie des Determinans. Auch Komposita (z.B. Vollkornbrot) sowie bereits komplexe Phrasen (z.B. Nachhauseweg, „Wir-schaffen-das“Stimmung) sind zugelassen. Das Determinans ist normalerweise unflektiert, kann aber durch ein Fugenelement zum Kompositionsstamm erweitert sein, z.B. Freiheit-s-strafe, Kirche-n-chor, und steht, abgesehen von Ortsnamen wie z.B. Hamburg-Eimsbüttel, links. Rechtsverzweigte De-

terminantien sind dagegen in roman. Komposita der Regelfall, vgl. frz. tire-bouchon 'Korkenzieher', ital. portalettere 'Briefträger'. Malte Battefeld ≡ Bestimmungswort ↔ Determinatum → § 31; Erstglied; Fugenelement; Komposition; morphologischer Kopf; Präfix → Gram-Syntax: Rechtsköpfigkeit (2); syntagmatische Beziehung ⇀ Determinans (Wobi; Onom; Lexik)

🕮 Bally, C. [1932/1965] Linguistique générale et linguistique française. Quatrième édition revue et corrigée. Bern ◾ Gauger, H.-M. [1968] Determinatum und Determinans im abgeleiteten Wort? In: Brekle, E./ Lipka, L. [Hg.] Wortbildung, Syntax und Morphologie. Festschrift für Hans Marchand. Den Haag [etc.]: 93–108 ◾ Groot, A.W. de [1938/39] Zur Grundlegung der Morphologie und der Syntax. In: AlNedTsWPsy 32: 145–174 ◾ Heringer, H.J. [1984] Wortbildung. Sinn aus dem Chaos. In: DS 12/1984: 1–13 ◾ Marchand, H. [1960] The Categories and Types of Present-day English Word-formation. Wiesbaden.

Determinans, substantivisches → substantivisches Determinans

Determination

1. Verhältnis zwischen den Bestandteilen eines Kompositums, bei dem das eine Glied das andere bestimmt. ▲ determination: relationship between component parts of a compound in which one constituent is determined by the other one. 2. einseitige Abhängigkeit zwischen zwei sprachlichen Elementen. ▲ determination: unilateral dependence between two linguistic units. Zu 1: Komposita sind in den Sprachen der Welt weit verbreitet und können übereinzelsprachlich als lexikalische Einheiten aus zwei oder mehr Bestandteilen definiert werden, welche in anderen Kontexten jeweils als unabhängige Lexeme fungieren können (Bauer 2001: 695). Unter den Komposita sind Determinativkomposita wie z.B. Weltkarte weltweit am häufigsten. Sie bestehen in der Regel aus zwei Konstituenten (binäre Gliederung), von denen die eine die andere bestimmt (vgl. lat. determinare 'begrenzen, festsetzen, bestimmen'). Die bestimmende Einheit – im obigen Beispiel Welt – nennt man Determinans (Bestimmungswort, Modifizierer, engl. modifier) und die bestimmte – im Beispiel Karte

231 Determination – Determinatum (Grundwort, Kopf, engl. head). Das Determinatum legt Wortart, Genus und Flexionsklasse des Kompositums fest und drückt die bezeichnete Größe aus. Man spricht daher auch vom Kopf des Kompositums, wobei der formale und semantische Kopf divergieren können. Übereinzelsprachlich sind Substantive und Adjektive die häufigsten Köpfe, Verben sind weniger häufig, während als Determinantien alle lexikalischen Kategorien (und ausnahmsweise auch weitere Wortarten) möglich sind (Olsen 2015: 366). In den meisten Sprachen bilden die Substantiv-Substantiv-Komposita die größte Untergruppe. Die Reihenfolge der Konstituenten variiert übereinzelsprachlich sowie z.T. auch innerhalb von Einzelsprachen (Bauer 2001). Während Komposita in germ. Sprachen i.A. die Reihenfolge Determinans vor Determinatum zeigen, also rechtsköpfig sind, weisen roman. Sprachen vor allem linksköpfige Komposita auf: frz. timbre-poste 'Briefmarke', span. hombre rana 'Froschmann', ital. vagone letto 'Schlafwagen' (Olsen 2015: 373). Die Bedeutungsbeziehungen zwischen den Konstituenten können sehr verschieden sein, und ihre Zahl ist (zumindest in bestimmten Sprachen) möglicherweise unbegrenzt (Bauer 2001: 702). Dennoch sind einige semantische Beziehungen weit verbreitet: Bauer (2001: 702) nennt Lage (Typen wie furniture store 'Möbelgeschäft', d.h. 'Möbel im Geschäft' bzw. bone cancer 'Knochenkrebs', d.h. 'Krebs im Knochen') und Material/Herkunft (wie sandcastle 'Sandburg', d.h. 'Burg aus Sand') als die zwei häufigsten Typen. Zwischen den Konstituenten können Fugenelemente auftreten (engl. gas-o-meter 'Gasometer', poln. kraj-o-znawstwo 'Land-es-kunde', vgl. auch die dt. Entsprechungen). Für das Dt. sind Substantivkomposita (Komposita mit Subst. als Determinatum) die prototypische Art der Komposita und nach Ortner (1991: 112) sind 7/8 aller Substantivzusammensetzungen Determinativkomposita. In der Regel ist das Zweitglied der Kopf (vgl. Karte in Weltkarte), das Erstglied (Welt) ist dem Zweitglied semantisch und syntaktisch untergeordnet. Es modifiziert lediglich den Kopf, schränkt seine Extension ein: es gilt die Formel ‚AB ist eine Art von B‘ (z.B. ‚eine Weltkarte ist eine Art von Karte‘). Solche Komposita nennt man endozentrisch. In Bildungen wie Rotkäppchen [Possessivkompositum] oder Mauerblümchen [komparativ-exozentrisches Komposi-

tum] wird das Bezeichnete in der Konstruktion nicht ausgedrückt. Sie verweist auf eine außerhalb der Konstruktion stehende Größe, so dass ein exozentrisches Kompositum vorliegt (in dem aber ein Determinationsverhältnis zwischen den Konstituenten besteht, so dass es sich auch hier um Determinativkomposita handelt) (Ortner 1991: 115f.). Zwischen den Determinativ- und Kopulativkomposita (Komposita mit gleichrangigen Konstituenten) gibt es einen Übergangsbereich, in dem Komposita kontextabhängig beide Lesarten zulassen wie z.B. in Maler-Schriftsteller ('ein Schriftsteller, der malt' bzw. 'Person, die sowohl Maler als auch Schriftsteller ist'). Anna Vargyas

→ § 31; Determinans (2); Determinatum; Kompositum; morphologischer Kopf; substantivisches Determinans

→ Gram-Syntax: Rechtsköpfigkeit (2) ⇀ Determination (Wobi; CG-Dt) ⇁ determination (CG-Engl; Typol)

🕮 Bauer, L. [2001] Compounding. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [eds.] Language Typology and Language Universals (HSK 20.1). Berlin [etc.]: 695–707 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Olsen S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [Hg.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 364–386 ◾ Ortner, L. et al. [1991] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.].

Zu 2: Determination ist eine der grundlegenden Dependenzbeziehungen in der Glossematik. Wenn zwischen zwei sprachlichen Einheiten oder Größen die Relation der Determination besteht, setzt das Vorhandensein eines Elements das andere voraus, aber nicht umgekehrt. Eine solche Relation besteht nach Hjelmslev z.B. zwischen Form und Substanz oder zwischen einer Präp. und dem von ihr abhängigen Kasus.

→ Glossem → Gram-Syntax: Dependenz ⇀ Determination (Wobi; CG-Dt) ⇁ determination (CG-Engl; Typol)

Krisztina Molnár

🕮 Albrecht, J. [2000] Europäischer Strukturalismus. 2. Aufl. Tübingen [etc.] ◾ Helbig, G. [1971] Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen Aspekt der Grammatik-Theorie. München ◾ Hjelmslev, L. [1961] Prolegomena to a Theory of Language. Madison, WI.

D

Determinativ 232

Determinativ

D

Ausdruck, der zusammen mit einem Substantiv eine Nominalphrase bildet und den substantivischen Ausdruck in einem Wissensrahmen als definit oder indefinit bestimmt. ▲ determinative: expression that together with a noun forms a nominal phrase and characterizes the nominal expression as definite or indefinite. Mit einem definiten Determinativ (im Dt. der Definitartikel, das possessive oder das deiktische Determinativ) wird der durch das Subst. bezeichnete Gegenstand als dem Hörer in seinem Wissen bereits zugänglich markiert. Indefinite Determinative (im Dt. der Indefinitartikel und das quantifizierende Determinativ) werden hingegen benutzt, wenn der Sprecher davon ausgeht, dass der bezeichnete Gegenstand für den Hörer noch unbekannt bzw. in der Redesituation nicht erschließbar ist. Im Dt. kongruiert das Determinativ mit dem Subst. in Genus, Numerus und Kasus. Die Grenzziehung der Kategorie ist keineswegs eindeutig, weil einige Ausdrücke (z.B. einige, alle) auch als selbständige NP auftreten können. Deshalb wird auch ein zusätzliches morphologisches Kriterium herangezogen: Determinative erzwingen bei mindestens einem Numerus und in mindestens einem Kasus die schwache oder gemischte Flexion des Adj. in der NP. Der häufigste Typ des Determinativs ist der Definitartikel. Sprachen, die diese Kategorie haben, werden auch Artikelsprachen genannt (germ. und roman. Sprachen, auch Bulg. und Ung.). Zu den Sprachen ohne Definitartikel gehören die meisten slaw. Sprachen, Finn., Türk. sowie das klassische Lat. Die Konstituentenstruktur einer mit Determinativ erweiterten NP sowie die einer mit einem Determinativ und einer attributiven Adjektivalphrase erweiterten NP sieht wie folgt aus:

DET

N

DET

N' AP

N

Abb. 1: NP

(1) (2)

Attila Péteri ≡ adjektivisches Pronomen; Artikelwort; Determinator → § 16, 18, 19; Adjektivflexion; Artikel; Determinans (1); Determination (1); Determinativum; Substantiv → Gram-Syntax: Determinansphrase; Nominalphrase

🕮 Grimm, H.J. [1986] Lexikon zum Artikelgebrauch. Leipzig ◾ Hoffmann, L. [2007] Determinativ. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 293–356 ◾ Marillier, J.-F. [2003] Die Deklination der Determinative und Adjektive. Stellungsprinzip vs. Klassenprinzip. In: Baudot, D./ Behr, I. [Hg.] Funktion und Bedeutung. Modelle einer syntaktischen Semantik des Deutschen (Eurog 20). Tübingen: 75–94 ◾ Vater, H. [1984] Determinantien und Quantoren im Deutschen. In: ZS 3: 19–42.

Determinativ, deiktisches → deiktisches Determinativ

Determinativ, demonstratives → demonstratives Determinativ

Determinativ, dislozierbares → dislozierbares Determinativ

Determinativ, indefinites → indefinites Determinativ

Determinativ, interrogatives → interrogatives Determinativ

Determinativ, negatives → negatives Determinativ

Determinativ, possessives → possessives Determinativ

Determinativ, quantifizierendes → quantifizierendes Determinativ

Determinativpronomen

NP

NP

In (1) werden die definiten, in (2) die indefiniten Determinative gezeigt.

das Buch; dieses Buch; mein Buch; welches Buch ein Buch; kein Buch; einige Bücher

Pronomen, das auf das Besprochene verweist. ▲ determinative pronoun: pronoun that refers to something being spoken about. Das Determinativpron. nach Eisenberg (2004: 181f.) ist eine Klasse von Pronomina mit der Funktion des Verweisens auf das Besprochene, d.h. auf die traditionelle 3. Pers. Dem Determinativpron. als syntaktische Kategorie werden das Demon­stra­

233 Determinatum tivpron. (1), Possessivpron. (2) und Indefinitpron. ((3), (4)) subsumiert. (1) Dieser/Jener/Der hat es mir gesagt. (2) Meiner/Deiner/Seiner ist verschwunden. (3) Keiner hat es gesehen. (4) Ich habe alles/nichts gehört. Sie werden den Personalpronomina, die sich auf die drei Personenkategorien beziehen, den Re­la­ tivpronomina und den Fragepronomina gegenübergestellt. Determinativpronomina lassen sich danach subklassifizieren, ob sie Definitheit signalisieren (definit) oder nicht (indefinit). Determinativpronomina werden nur substantivisch gebraucht, im Gegensatz zu Determinativa (Engel 2004: 312), die nicht-substantivisch, d.h. als Artikelwörter vorkommen. Zu den Determinativpronomina zählen auch manche Pronomina, die eine auswählende und begrenzende Funktion haben, z.B. derjenige, der, ebender, derselbe, selbst, selber. Janusz Taborek

→ Demonstrativpronomen; Determinativ; Indefinitpronomen; Personalpronomen; Possessivpronomen; Pronomen; Relativpronomen

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

Determinativum

Funktionswort, das ein Substantiv bestimmt. ▲ determiner: function word whose role is to determine nouns. In der traditionellen Grammatik werden die Artikel als deklinierbare Wortart mit den Unterklassen bestimmter Artikel und unbestimmter Artikel angenommen. Der Status ist allerdings umstritten; denn sie werden auch als Hilfswort des Subst. aufgefasst und daher als Substantivbegleiter bezeichnet (vgl. Heidolph et al. 1981: 541). Auch über die Wörter, die zu den Artikelwörtern gehören, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Neben dem definiten und indefiniten Artikel werden auch Pron. und Partikel dazugezählt: Possessiv-Artikel (unser Haus), Quantifikativ-Artikel (alle Häuser), Demonstrativ-Artikel (dieses Haus), w-Artikel (welches Haus) und Negationsartikel (kein Haus). Gemeinsam ist den Determinativa ihre determinative Funktion, d.h., sie können zusammen mit einem Subst. eine Substantivphrase bilden (das Haus, ein kleines Haus, jenes Haus). Außerdem

haben sie quantifizierenden Charakter, da sie etwas über die Menge der Nomina, die sie kennzeichnen, aussagen. In der GG existiert die funktionale Kategorie Determinator, die der Kopf der Determinansphrase (DP) ist und ihre Merkmale Possessor [POSS] und Agreement [AGR] an das Nomen weiterleitet. Im Dt. werden die [AGR]-Kategorien Genus, Numerus, Person und Kasus morphosyntaktisch angezeigt. Christine Römer ≡ adjektivisches Pronomen; Artikelwort; Determinator ↔ substantivisches Pronomen → Artikel; Determinativ; possessives Determinativ; Pronomen → Gram-Syntax: Determinansphrase; Kongruenz ⇀ Determinativum (Schrling) ⇁ determiner (CG-Engl; Typol)

🕮 Brandt, P./ Dietrich, R.-A./ Schön, G. [2006] Sprachwissenschaft. Ein roter Faden für das Studium der Deutschen Sprache. 2. Aufl. Köln [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin.

Determinator

≡ Determinativ; Determinativum ⇀ Determinator (CG-Dt; SemPrag)

Determinatum

rechte Konstituente eines Kompositums, die vom linksstehenden Element semantisch spezifiziert wird. ▲ determinatum: right element and head of a compound, which is modified by the left element. Die zweite Konstituente in Determinativkomposita (Wörterbuch, Prüfungsordnung, Herrenoberbekleidungsfachgeschäft) fungiert zugleich als Kopf und Kern des Wortbildungsprodukts. Als Kopf legt sie die grammatischen Eigenschaften (Wortart, Genus, Flexionsklasse) des Kompositums fest, als Kern ist sie semantisches Zentrum (zu Wörterbuch: eine Art von 'Buch'). Auf diesen Aspekt ist der Terminus Determinatum bezogen: Das Zweitglied wird im Kompositum durch das Erstglied semantisch modifiziert/spezifiziert, also einer Teilklasse zugewiesen (vgl. Eisenberg 2013: 217). So referiert man mit Wörterbuch, Sparbuch, Kinderbuch, Parteibuch, Taschenbuch, Superbuch jeweils auf ein 'Buch' einer ganz bestimmten Art bzw. in bestimmter Hinsicht. Die Modifikation ist insbesondere bei Substantivkomposita vielfältig

D

determiner 234

D

(vgl. Fleischer/Barz 2012: 141f.). Dabei kann die „Teilklassenbildung“ (Eisenberg 2013: 217) sehr abstrakter Art sein, so dass auch die Zugehörigkeit zur Kategorie modifiziert wird, vgl. Ziegen-/ Rohmilchkäse vs. Analogkäse oder Rind-/Kernleder vs. Kunstleder. Eine determinative Struktur weisen auch die exozentrischen Komposita (Glatzkopf, Rotbart, Löwenzahn u.a.) auf, mit denen synekdochisch (pars pro toto) auf Lebewesen referiert wird (sog. Possessivkomposita): Das Zweitglied -kopf wird vom Erstglied semantisch spezifiziert (Glatzkopf vs. Lockenkopf), der Ausdruck verweist aber nicht auf den Kopf, sondern die gesamte Person, wie es auch bei Simplizia der Fall sein kann (z.B. Glatze 'Skinhead', 'Rechstsradikaler') (vgl. Fleischer/ Barz 2012: 178f.). Jan Seifert ≡ Grundwort ↔ Determinans (2) → Erstglied; exozentrische Zusammensetzung; Komposition; Kompositum; morphologischer Kopf; Simplex; Substantivkompositum → Gram-Syntax: Konstituente; Rechtsköpfigkeit (2) ⇀ Determinatum (Wobi; Lexik; Onom) ⇁ determinatum (Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Schlücker, B. [2012] Die deutsche Kompositionsfreudigkeit. Übersicht und Einführung. In: Gaeta, L./ Schlücker, B. [Hg.] Das Deutsche als kompositionsfreudige Sprache. Strukturelle Eigenschaften und systembezogene Aspekte. Berlin [etc.]: 1–25.

determiner

≡ Determinans (1)

deverbales Adjektiv

von einem Verbstamm abgeleitetes Adjektiv. ▲ deverbal adjective; deverbally derived adjective: adjective derived from a verb by means of affixation. Deverbale Adjektive sind explizite Ableitungen von einem verbalen Basismorphem ((1), (2)). (1) zappelig ← zappeln (2) essbar ← essen Wie bei anderen abgeleiteten Adjektiven finden sich heimische (-sam, -bar, -lich usw.) und Lehnsuffixe (-abel) wie auch lexikalisierte/demotivierte Bildungen mit Suffix oder dem Zirkumfix ge-/-ig (wohnhaft, gehässig) und produktive/motivierte

Bildungen wie jene auf -bar mit Stämmen von transitiven Verben (zählbar, dehnbar) (Erben 2006: 114–118; Lohde 2006: 181–194). Eine semantische Subgruppe sind die Potenzialia auf -bar, -abel, -sam (versenkbar, akzeptabel, biegsam) mit überwiegend passivischer Bedeutung. Gelegentlich von Verben abgeleitet sind auch Negativa auf -los (reglos) (Donalies 2007: 79–83). Die deverbalen Adjektive stehen meist im mittleren Bereich einer Abfolge von attributiven Adjektiven innerhalb der NP (eine weitere zerbrechliche gläserne Figur) (Eisenberg 2006: 417). Elisabeth Bertol-Raffin

→ abgeleitetes Adjektiv; Adjektiv; Grundmorphem; Partizipialadjektiv; prototypisches Adjektiv; Suffix; Zirkumfix

🕮 Donalies, E. [2007] Basiswissen. Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen.

Deverbativum

Wort, das von einem Verb abgeleitet ist. ▲ deverbative; deverbal word: word derived from a verb. Die Basis für ein Deverbativum (Pl. Deverbativa) ist immer ein Verb, aus dem durch explizite Ableitung, d.h. Präfigierung (1), Suffigierung ((2)–(5)) oder Zirkumfigierung ((6), (7)), oder durch implizite Ableitung ((8)–(9)) ein neues Wort gebildet wird. Das Deverbativum als Ergebnis dieses Verfahrens kann ein Subst. ((2), (6), (8)), ein Adj. ((3), (7)) oder wiederum ein Verb ((1), (4), (9)), selten ein Adverb (5) sein. (1) spielen → verspielen (2) fahren → Fahrt; spielen → Spieler; spielen → Spielerei; prüfen → Prüfling; prüfen → Prüfung (3) essen → essbar; bewegen → beweglich; arbeiten → arbeitsam (4) tanzen → tänzeln; brummen → brummeln (5) leihen → leihweise (6) reden → Gerede; treiben → Getriebe (7) ermüden → unermüdlich; aufhalten → unaufhaltsam (8) schießen → Schuss; fliegen → Flug; blicken → Blick (9) trinken → tränken

235

dimensionales Adjektiv

Einige der eingesetzten Wortbildungsmodelle zählen zu den hochproduktiven, so die Bildung de­verbaler Adjektive mit -bar oder die Substantiv­ bildung mit -er. Im Dt. sind die meisten durch Ableitung entstandenen Substantive Deverbativa (vgl. Donalies 2005: 60f.). Michael Mann → abgeleitetes Verb; Derivation; deverbales Adjektiv; Verb; Verbalabstraktum; Wortbildung ⇀ Deverbativum (Wobi; Lexik)

🕮 Donalies, E. [2005] Kombinatorische Begriffsbildung. Teil II: Explizite Substantivderivation. Mannheim ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 1. Hauptteil: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf ◾ Wellmann, H. [1975] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 2. Hauptteil: Das Substantiv (SdG 32). Düsseldorf.

Differentialgenus

variables Genus bei substantivierten Adjektiven und Partizipien insbesondere bei Personenbezeichnungen im Singular, das zum einen durch den Artikel und zum anderen durch die adjektivische Flexion ausgedrückt werden kann. ▲ double gender; multiple gender: different gender of singular nouns formed from adjectives and participles when referring to people which manifests itself by the use of articles or by the adjectival inflection. Differentialgenus liegt insbesondere bei substantivierten Adjektiven (der/die Alte) und Partizipien (der/die Auszubildende, ein Verwandter / eine Verwandte, ich als Angestellte/Angestellter) zur Markierung des jeweiligen natürlichen Geschlechts bei Personenbezeichnungen im Sg. vor, wenn diese Markierung nicht semantisch gegeben (Mann/ Frau) oder morphologisch markiert ist (Student/ Studentin). Im Pl. bestehen keine Genusunterscheidungen (die Alten, alle Auszubildenden, meine Verwandten, einige Angestellte). Außerdem werden Derivate mit dem diminutiven Suffix -i allein durch den Artikel als Maskulinum und Femininum markiert, wenn ihre Basen Appellativa (der/die Schatzi) oder Familiennamen (der/die Schrödi) sind. ≡ gemeinsames Geschlecht

Edyta Błachut

→ Adjektiv; Artikel; Genus; Genusdetermination; Partizip; Personenbezeichnung; Sexus; Singular

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Pusch, L.F. [1980] Das Deutsche als Männersprache – Diagnose und Therapievorschläge. In: LB 69: 59–74 ◾ Pusch, L.F. [1990] Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt/Main.

dimensionales Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die Dimensionen wie Höhe, Breite, Länge benennen. ▲ dimensional adjective: semantically defined subclass of adjectives which express dimensions such as height, width, and length. Dimensionale Adjektive gehören zu der allgemeineren semantischen Klasse der qualifizierenden Adjektive, nämlich der Adjektive, die Eigenschaften benennen wie z.B. gut, alt, schön, hoch, lang. Die Subklasse ist semantisch spezifischer, weil sie verschiedene Maße bzw. Dimensionen benennt wie Höhe, Breite, Länge, Alter, Tiefe. Sie bilden antonyme Paare wie hoch/tief (niedrig); weit/eng; breit/schmal und sind komparierbar. Zusammen mit einer NP im Akkusativ können sie das Maß einer räumlichen oder zeitlichen Erstreckung angeben. (1) Heute schmückt das Gemälde das katholische Gemeindehaus in Ringelheim – einen Meter breit, 80 Zentimeter hoch. (Braunschweiger Zeitung, 25.11.2006) (2) Viele kommen auch, weil ihr Hausarzt gerade auf Urlaub ist oder weil sie keine Lust haben, sich einen ganzen Vormittag lang in eine Ambulanz zu setzen. (Hamburger Morgenpost, 05.05.2014: 54) Der Terminus dimensionales Adjektiv wird nicht einheitlich verwendet. So sind in der Fachlit. auch weitere, weniger enge Auffassungen vertreten, u.a. bei Zifonun et al. (1997) und bei Hentschel/ Weydt (2013). Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adjektiv; affirmatives Adjektiv; antonymes Adjektiv; Dimen-

sionsadverb; extensionales Adjektiv; intensionales Adjektiv; intersektives Adjektiv; polares Adjektiv; privatives Adjektiv; qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: Adjektivergänzung; attributives Adjektiv ⇁ dimensional adjective (Typol)

D

Dimensionsadverb 236

D

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Dimensionsadverb

semantisch definierte Teilklasse der Lokaladverbien, die eine Position nach den Dimensionen der Leiblichkeit angeben. ▲ dimension adverb: semantically defined subclass of positional adverbs which express a position in terms of the dimensions of corporeality. Zu der Teilklasse der Dimensionsadverbien zählen Ausdrücke, die eine Position nach den Dimensionen der Leiblichkeit angeben wie Frontalität (vorne, hinten), Lateralität (rechts, links), Vertikalität (oben, unten) und Interiorität (innen, außen). Die Dimensionsadverbien bilden somit Oppositionspaare, deren Bedeutung durch die Verbindung mit Präpositionen – z.B. von oder nach – spezifiziert werden können. (1) Plötzlich rauschte von hinten ein junger Radfahrer heran. (2) Das Herz schlägt links. (3) Außen kompakt, innen von gewaltiger Großzügigkeit in der Ausstattung. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; dimensionales Adjektiv; Lokaladverb; Präposition

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Diminution

Phänomen der Wortbildungsmorphologie, das die Bildung von Verkleinerungsformen mittels Derivation bewirkt. ▲ diminutive formation: type of word formation which creates diminutives by means of derivation. Der Terminus Diminution (oV: Deminution) stammt von lat. diminuere/deminuere ('verringern', 'vermindern') und bezeichnet eine De­ ri­ va­tion, bei der in den roman., slaw. und germ. Sprachen meist eine Suffigierung die Verkleinerung der Bedeutung des Stamms innerhalb ein und derselben Wortart und Bedeutungskategorie

bewirkt und somit ein Diminutiv entstehen lässt: lat. lib-ellus 'Büchlein' (zu liber); frz. maison-ette 'Häuschen' (zu maison); ital. limoncino, limoncello 'Zitronenlikör' (zu limone); russ. glaz-ok 'Äuglein' (zu glaz); engl. Charlie, Bobby (zu Charles, Bob). Diminutiva können auch mit Genuswechsel (z.B. bei dt. Fischlein (zu Fisch); süddt.-österr. ugs. Hunderl (zu Hund) auftreten. Als Ausgangswortarten kommen nicht nur das Subst., sondern vor allem auch das Adj. und Verb in Betracht: dt. rundlich (zu rund), hüsteln (zu husten). Das Suffix bestimmt die morphologische Kategorie der entsprechenden Bildung: dt. Häuschen [Subst., Neutrum], bläulich [Adj.]. Auch Präfigierung (dt. Mini-kamera) und Reduplikation (frz. fi-fille 'Töchterchen' zu fille 'Tochter') kommen vor. Beim Verb gehört die Diminution zu den Aktionsarten mit quantitativer Bedeutung. Zur Bildung der diminutiven Verben dienen das verbale Suffix -eln (hüsteln, tänzeln, köcheln, tröpfeln, kränkeln) und das Präfix an- (anheben, anbrennen, antrinken, anrosten, anfressen). Wenn emotionale Einstellungen mit affektiver, liebevoller Konnotation durch Diminutivbildungen signalisiert werden, werden diese als Hypokoristika bezeichnet. Manche Diminutiva drücken eher ironische Distanz aus: dt. Bürschchen, Problemchen; frz. mémère ['dicke, meist ältere Frau'] zu mère 'Mutter' (Bakema/Gee­ raerts 2000: 1045–1052; Eisenberg 1/2013: 260f.; Hentschel/Weydt 2013: 181–183). Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Verkleinerung → Derivation; Diminutiv; diminutiv; diminutiv-iterative Aktionsart; Genuswechsel; Präfigierung; Reduplikation; Suffigierung ⇀ Diminution (Wobi; SemPrag)

🕮 Bakema, P./ Geeraerts, D. [2000] Diminution and augmentation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1045–1052 ◾ Donalies, E. [2006] Dem Väterchen sein Megahut. Der Charme der deutschen Diminution und Augmentation und wie wir ihm gerecht werden. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Festschrift für Gisela Zifonun. Tübingen: 33–51 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

diminutiv

Aktionsart, die die Abschwächung der Intensität einer Handlung bezeichnet.

237 Diminutiv ▲ diminutive: aktionsart which expresses the de-

creasing intensity of an action.

Die Bezeichnung stammt von lat. diminuere – 'verringern', 'vermindern'. Die diminutive Aktionsart gehört zu den Aktionsarten mit quantitativer Bedeutung. Zur Bildung der diminutiven Verben dienen das verbale Suffix -eln (hüsteln, tänzeln, köcheln, tröpfeln, kränkeln), das Präfix an- (anheben, anbrennen, antrinken, anrosten, anfressen) und lexikalische Mittel (leicht öffnen, etwas abkühlen, halb geschlossen, die Tür spaltbreit öffnen, ein bisschen ziehen u.a.). Geringe Intensität kann auch durch eine entsprechende Wortwahl gekennzeichnet werden, vgl.: strahlen – leuchten – glühen – glimmen. Glimmen bedeutet 'ohne Flamme schwach brennen, schwach glühen'. So drückt das Verb dank seiner Semantik das abgeschwächte Geschehen aus, im Gegensatz zu strahlen ['große Helligkeit verbreiten'].

Margarita Gaschkowa ≡ attenuativ; deminutiv ↔ intensiv-iterative Aktionsart → Aktionsart; Diminutiv; diminutiv-iterative Aktionsart → Gram-Syntax: Aspekt ⇀ Diminutiv (Lexik; Wobi; HistSprw) ⇁ diminutive (Typol)

🕮 Flämig, W. [1965] Zur Funktion des Verbs. III. Aktionsart und Aktionalität. In: DaF 2: 4–12 ◾ Steinitz, R. [1981] Der Status der Kategorie Aktionsart in der Grammatik (oder: Gibt es Aktionsarten im Deutschen?). Berlin.

Diminutiv

Derivation zur semantischen Verkleinerung der Wortbildungsbasis. ▲ diminutive: derivation that expresses a smaller degree of the root meaning. Die Diminutive gehören im Dt. zur Wortbildung (vgl. Dressler 1994: 132f.). Unter Diminutiven werden sehr häufig nur substantivische Derivationen (z.B. Kind-chen) in Form von Modifikationen, d.h. ohne Wortartwechsel verstanden (z.B. Motsch 2004). Fleischer/Barz (2012: 232, 234f.) erkennen aber auch transponierte substantivische Diminutivbildungen mit adjektivischer und verbaler Basis (z.B. Früh-chen, Nick-erchen zu einnicken) sowie Diminutivsuffixe „mit semantischen Abschattungen“ bei graduierenden Adjektivderivaten (z.B. bläu-lich), diminutiv-iterativen Verbderivaten (z.B. läch-eln) und Grußpartikelderivaten (z.B. ugs. hallö-chen) an. Nach Dressler

(1994: 134) werden in der Erwachsenenkommunikation mit Babys und Kleinkindern sogar Hilfsverben diminuiert (vgl. das Beispiel aus der sog. Ammensprache Is-erl doch gut-i gut-i!). Insgesamt zeichnen sich Diminutive nach Dressler (1994: 139, 142f.) häufig durch nicht-prototypische Wortbildungsregeln wie z.B. die verkehrte Reihenfolge von Flexions- und Wortbildungsaffix (z.B. dumm → Konversion ein Dumm-er → Suffigierung das Dumm-er-chen) aus. Die substantivische Diminutivbildung erfolgt im Dt. vor allem auf dem Wege der Suffigierung durch die genusändernden und meist den Stamm umlautenden Suffixe ‑chen (z.B. Äcker-chen, auch erw. als ‑elchen wie in Blüm-elchen und ‑erchen wie in Pröst-erchen) und ‑lein (z.B. Mönch-lein) sowie das genusbewahrende gesprochenspr. hypokoristische Suffix -i (z.B. Ann-i) (vgl. Motsch 2004: 369ff.; Fleischer/Barz 2012: 231ff.). Die Suffixe ‑chen und ‑lein zeigen in standardspr. Corpora eine Häufigkeitsverteilung von 4 zu 1, die phonologisch, diatopisch und textsortenbedingt ist. Alle drei Diminutivsuffixe sind sehr wortbildungsaktiv. Die übrigen Diminutivsuffixe ‑el (Büschel), oberdt. -le (z.B. usuell Häus-le-bauer) und niederdt. -ke (Stepp-ke) spielen standardspr. nur eine geringe Rolle; ebenso selten sind die fremdsprachlichen Suffixe ‑ine (Viol-ine aus Viola), ‑ette (Oper-ette), -it (Meteor-it) und das synchron unanalysierbare ‑elle (Frikadelle) (Fleischer/Barz 2012: 231ff.). Die Semantik der Diminutive ist nach Fleischer/ Barz (2012: 120, 235) nicht nur Verkleinerung, sondern sie enthält zusätzlich „eine emotionale Konnotation“, die einerseits positiv zu einer „verniedlichenden“ oder „wohlwollend-ironisierenden Bewertung“ z.B. als Koseform führen, andererseits aber auch negativ sein kann, wie z.B. pejorativ Muttersöhnchen. Bei Diminutiven ist aber auch eine Demotivierung der Verkleinerungssemantik möglich, wie z.B. bei Mädchen und Kaninchen. In der Ammensprache und im Dialekt kann die Verkleinerungssemantik ebenfalls entfallen, die emotionale Konnotation bleibt aber (vgl. die Beispiele von Dressler/Barbaresi (1994: 89): Na trink doch ein Wasser-l! und Ah, was für ein köstliches Supp-erl!). Igor Trost ≡ attenuative Ableitung; Deminutiv; Diminutivum; Verkleinerungsbildung; Verkleinerungsform

D

diminutiv-iterative Aktionsart 238

→ § 31; Derivation; Diminution; diminutiv; diminutiv-iterative

D

Aktionsart; Suffigierung; Wortbildung → Gram-Syntax: Modifikation ⇀ Diminutiv (Lexik; Wobi; HistSprw) ⇁ diminutive (Typol)

🕮 Dressler, W. [1994] Diminutivbildung als nicht-prototypische Wortbildungsregel. In: Köpcke, K.M. [Hg.] Funktionale Untersuchungen zur deutschen Nominal- und Verbalmorphologie. Tübingen: 131–148 ◾ Dressler, W.U./ Merlini Barbaresi, L. [1994] Morphopragmatics. Diminutives and intensifiers in Italian, German, and other languages. Berlin ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.].

diminutiv-iterative Aktionsart

Aktionsart für unregelmäßig wiederholtes, abgeschwächtes oder weniger intensives Geschehen. ▲ diminutive-iterative aktionsart; diminutive-iterative manner of action: lexical aspect for an action that is repeated irregularly, or is weakened or less intensive. Im Poln. und Russ. werden Verben dieser Aktionsart mit dem Präfix po- und dem Iterativsuffix -iw/-yw (-iv/-yv im Russ.) abgeleitet. Das Präfix po- bringt die Bedeutung der Abschwächung, der geringen Intensität, die Iterativsuffixe die Bedeutung der Wiederholung ein; z.B. im Poln.: kaszleć 'husten' – pokaszliwać 'hüsteln', kapać 'tropfen' – pokapywać 'tröpfeln', pomiałkiwać 'von Zeit zu Zeit leise miauen', pochrapywać 'leicht schnarchen', pogwizdywać 'vor sich hin pfeifen'. Bei diesen Verben handelt es sich um imperfektiva tantum, d.h. um Verben, die nur im imperfektiven Aspekt (dies bewirken die Iterativsuffixe) auftreten. Bei manchen Verben kann das eine oder andere Merkmal im Vordergrund stehen oder verblasst sein; außerdem können manche Verben, insbesondere auf der Textebene, zusätzlich meliorative Bedeutungsmerkmale (z.B. emotionale Verbundenheit, Verniedlichung) zum Ausdruck bringen. Im Dt. gibt es eine Reihe von Verben, die der diminutiven Aktionsart zugerechnet werden. Sie drücken i.A. die Abschwächung der Intensität der Handlung, mitunter auch die Wiederholung aus. Das sind Ableitungen mit dem Suffix -ln (1), zu denen es Grundverben gibt (vgl. Krämer 1977:

179ff.; Manthe 2013: 82ff.) (z.T. sind die Basisverben in runden Klammern angefügt) (1) äugeln, blinzeln, brummeln, frösteln, häkeln, hüsteln, kippeln (zu kippen), köcheln (zu kochen), kränkeln, kuscheln (zu kuschen), lächeln, liebeln, schrubbeln (zu schrubben), spötteln, streicheln, süffeln (zu saufen), tänzeln, tätscheln, träufeln (zu träufen), tröpfeln, werkeln Das sind außerdem denominale/deadjektivische Verben (2) (2) blödeln (zu blöde), frömmeln, klügeln (zu klug), sticheln, witzeln (zu Witz), zischeln Eine kleine Gruppe stellen zudem die ern-Ableitungen dar (3). (3) knattern, knistern, plappern, wispern Die Wortbildungstypen mit -eln und -ern sind heutzutage schwach produktiv (vgl. Duden 2016: 720). Andrzej Kątny

→ abgeleitetes Verb; Aktionsart; Diminution; diminutiv; iterative Aktionsart

→ Gram-Syntax: imperfektiver Aspekt

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Krämer, P. [1977] Paradigmatische und syntagmatische Beziehungen in der Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. In: GrLSt 6: 177–190 ◾ Manthe, Ch. [2013] Deverbale Verben und Aktionsartlichkeit. Hamburg.

Diminutivum

≡ Diminutiv ⇀ Diminutivum (Wobi)

Dingwort

≡ Substantiv

direkter Kasus ≡ reiner Kasus

Direktionsadverb ≡ Richtungsadverb

direktive Präposition

Subklasse der lokalen Präpositionen, mit denen ein Verhältnis der Richtung oder Ausrichtung zum Ausdruck gebracht wird. ▲ directional preposition: subclass of spatial prepositions denoting a direction or orientation. Traditionell werden im Bereich der Richtungsbezeichnung verschiedene Kasus angenommen.

239 Hjelmslev (1935: 141) unterscheidet Lokativ (zur Bezeichnung des Ortes), Direktiv (Ausrichtung oder Richtung auf einen Orientierungspunkt oder -bereich), (Ad-)Lativ (Bewegung auf etwas oder jmdn. zu), Ablativ (Bewegung von etwas oder jmdm. weg) und Komitativ (Begleitung). Die eine oder andere Bezeichnung taucht gelegentlich in der Beschreibung der Bedeutung von Präpositionen auf, so auch der Terminus direktiv. Orientiert man sich an der Kasustheorie, dann gehören im Dt. zu den direktiven Präpositionen alle lokalen Präpositionen, die zur Bezeichnung einer Ausrichtung auf etwas oder jmdn. verwendet werden, also z.B. zu, auf, hinter, gegen, vor, zwischen, unter, über, in u.a. ((1)–(4)). (1) Das Kind läuft zu seinem Papa. (2) Die Katze wollte auf den Stuhl springen. (3) Ein Wagen fährt vor die Botschaft. (4) Sie drängt sich zwischen die beiden Herren. Aus strukturell-funktioneller Sicht hat keine dieser Präpositionen im Dt. eine direktive Bedeutung, es handelt sich vielmehr um eine Verwendung (einen Redeinhalt) von präpositionalen Bedeutungen, „die sich erst im Kontext des jeweiligen Gebrauchs konkretisieren“ (Hentschel/ Weydt 2003: 276). Im Dt. ist nur die – heute veraltende – Präp. gen (z.B. eine abenteuerliche Fahrt gen Süden) sprachsystematisch als eine direktive Präp. einzustufen (vgl. towards im Engl.). Aus kognitivling. Sicht lassen sich direktive Präpositionen als Extensionen lokaler Präpositionen mit polysemer Bedeutungsstruktur beschreiben, wodurch sich ein Rekurs auf abstraktere grammatische Bedeutungen erübrigt. Der direktiven Verwendung der Präp. entspricht im Dt. nicht durchgängig ein bestimmter Kasus, weil sowohl Präpositionen mit fester Rektion (z.B. zu, nach und gegen) als auch solche mit Rektionswechsel (an, auf, hinter, auf, zwischen, in) in dieser Verwendung vorkommen. Die rektionsvariablen direktiven Präpositionen regieren in der Regel den Akkusativ, in Übereinstimmung mit ihrer Denotierung eines entstehenden Verhältnisses – es sei denn, die Idiomatik der Sprache entscheidet anders darüber (z.B. in die/ der Richtung gehen). Parallel zu den Präpositionen lässt sich der Kasus Direktiv mit Lokalisierungen verbinden, wie es Haspelmath (1993: 4) für das Lesgische tut, in dessen Flexionsmorphologie er keinen reinen Direktivkasus, sondern morphologische Formen

direktives Adverb für den Ad-, Sub-, Post- und Superdirektiv unterscheidet. Eine solche Einteilung lässt sich auch auf direktive Präpositionen übertragen (vgl. an und vor, unter, hinter, auf, über). Zifonun et al. (1997: 2105) fassen den Terminus direktive Präposition anders auf und verstehen darunter eine Subklasse der räumlichen Präpositionen, die in adlative (an, nach) und ablative Einheiten (ab, aus) auseinanderfällt. Ihre Unterscheidung zwischen von sich aus regionenkonstituierenden Präpositionen (u.a. bei, gegenüber, um, durch) und Präpositionen, die selbst keine Region konstituieren (zu, nach), ist problematisch: zum Bahnhof braucht nicht zu implizieren, dass man sich am Schluss am Bahnhof befindet; dem Implikationsverhältnis liegt eine entsprechende Konzeptualisierung des Prädikats, nicht die Bedeutung der Präp. zugrunde (vgl. Sie ist auf dem Weg zum Bahnhof bei einem Autounfall ums Leben gekommen). Klaas Willems

→ direktives Adverb; lokale Präposition; Präposition; Richtungskasus; Wechselpräposition

→ Gram-Syntax: Direktivergänzung; direktives Attribut; Goal; Richtungsangabe

🕮 Guimier, C. [1981] Prepositions. An analytical bibliography. Amsterdam [etc.] ◾ Haspelmath, M. [1993] A Grammar of Lezgian. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hjelmslev, L. [1935–1937/1972] La catégorie des cas (IBAllLing 25). München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

direktives Adverb

semantische Subklasse der Adverbien, durch die die Richtung oder Herkunft angegeben wird. ▲ directive adverb: semantic subclass of adverbs expressing a direction or origin of the verb content. Direktive Adverbien sind u.a. beiseite, daher, dahin, daneben, daraus, dorther, dorthin, durch, einher, fort, geradeaus, her, hin, hinein, herein, hinterher, irgendwohin, nebenher, umher, wohin, aufwärts, heimwärts. Die Richtungsbedeutung dieser Adverbien ist in vielen Fällen denotativ, d.h., sie ist mit der lexikalischen Bedeutung des Adverbs fest verbunden. Das ist z.B. bei dorthin und den meisten Adverbien mit dem Suffix -hin, -her oder -wärts der Fall, aber auch bei fort, geradeaus. Diese Adverbien sind syntaktisch notwendig mit Verben verbunden, die eine Bewegung,

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direktives Verb 240

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sei es konkret oder in übertragener Bedeutung, ausdrücken: Wir begeben uns jetzt dorthin; Gehen Sie geradeaus; Er fuhr fort zu arbeiten. In anderen Fällen entscheidet der Kontext oder aber die Verbbedeutung, ob eine direktive Bedeutung vorliegt oder nicht, vgl. Er legte das Buch beiseite und Er steht beiseite. Im Beispiel Er ging durch den Wald ist durch eine Präposition, in Bitte gehen Sie hier durch dagegen ein direktives Adverb. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; direktive Präposition; diskontinuierliches Adverb; Lokaladverb; Präpositionaladverb; Pronominaladverb

→ Gram-Syntax: Lokalangabe; lokale Adverbialbestimmung

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

direktives Verb

Vertreter einer semantischen Klasse von Verben zum Ausdruck eines direktiven Sprechakts. ▲ directive verb: representative of a semantic class of verbs expressing a directive speech act.

Ein direktives Verb weist eine dreistellige Valenz mit einem Subjekt, einem Akkusativ- oder Dativobjekt sowie einem Infinitivkomplement auf, das anstelle eines dass-Satzes steht. Mit dem Akkusativ- oder Dativobjekt wird dabei das Agens des im Infinitivkomplement (bzw. dass-Satz) ausgedrückten Sachverhalts angegeben, auf den sich der direktive Sprechakt bezieht. Verben mit Akkusativobjekt sind u.a. anregen, auffordern, beauftragen, beschwören, bitten, einladen, hindern, überreden, warnen, zwingen (1). Verben mit Dativobjekt sind z.B. befehlen, empfehlen, erlauben, gestatten, raten, verbieten (2). (1) Robert bittet Clara, die „Waldszenen“ zu spielen. (2) Robert rät Clara, die „Waldszenen“ zu spielen. Thorsten Roelcke ≡ Direktivum → Verb → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; Dativobjekt; dreistelliges Verb; Infinitivkonstruktion; Sprechakt; Valenz 🕮 Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Searle, J.R. [1969] Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language. Cambridge.

Direktivum

≡ direktives Verb

disjunktive Konjunktion ≡ alternativer Konjunktor

diskontinuierliche Konstituente

Konstituente, deren Bestandteile innerhalb des Syntagmas oberflächenstrukturell nicht linear aufeinander folgen. ▲ discontinuous constituent: constituent whose components do not follow each other linearly within the syntagm. Diskontinuierliche Konstituenten kommen durch Bewegung von Teilkonstituenten zustande. Sie werden von mindestens einer Konstituente oder Teilkonstituente unterbrochen. (1) [Gespenster] habe ich [noch keine] gesehen. (2) [Was] hast du [für Gespenster] gesehen? In (1) ist noch keine Gespenster eine Konstituente, in (2) was für Gespenster. Obwohl die Teilkonstituenten nicht linear folgen, werden sie als zusammengehörig analysiert.

Gisella Ferraresi ≡ unterbrochene Konstituente → morphologische Konstituente → Gram-Syntax: diskontinuierliches Element; Konstituentenstruktur; unmittelbare Konstituente ⇁ discontinuous constituent (Typol)

🕮 Baltin, M. [1984] Extraposition Rules and Discontinuous Constituents. In: LingInqu 15: 157–163 ◾ Bunt, H.C./ Horck, A. van [eds. 1996] Discontinuous constituency (NLgP-B 6). Berlin [etc.] ◾ Fanselow, G. [1988] Aufspaltung von NPn und das Problem der ‚freien‘ Wortstellung. In: LB 114: 91–113 ◾ McCawley, J.D. [1982] Parentheticals and Discontinuous Constituent Structure. In: LingInqu 13/1: 91–106 ◾ Staudacher, P. [2000] Partial Movement and Compositionality. In: Bayer, J./ Römer, C. [Hg.] Von der Philologie zur Grammatiktheorie. Tübingen: 191–211.

diskontinuierliches Adverb

zusammengesetztes Adverb, das im Satz trennbar ist. ▲ separable adverb: compound adverb whose elements are separable from each other. Nur wenige Adverbkomposita sind diskontinuierlich, so die direktiven da-, dort-, wo- in Kombinationen mit -her und -hin, ferner einige mit Frageadverb und der Partikel irgend. Die Trennbarkeit ist in der Regel fakultativ und die Wortstellung relativ frei ((1), (2)). (1) Woher kommt er? (1a) Wo kommt er her? (2) Morgen fahren wir mit dem Auto dorthin.

241 Diskurspartikel (2a) Morgen fahren wir dort mit dem Auto hin. (2b) Dort fahren wir morgen mit dem Auto hin. Adverbien wie irgendwo, irgendwann, irgendwie haben außer der mit dem Glied irgend ausgedrückten Unbestimmtheit des Orts, des Zeitpunkts oder der Art und Weise in getrennter Position auch ein semantisches Merkmal der Beliebigkeit. Das Glied irgend ist durch (auch) immer ersetzbar und die Wortfolge beschränkt frei ((3)–(5)). (3) Wo sich Karl irgend in der Welt befindet, kann man ihn leicht erreichen. (3a) Wo sich Karl in der Welt irgend befindet, […]. (3b) Wo sich Karl (auch) immer in der Welt befindet, […]. (4) Wir werden uns ungemein freuen, wann uns Liese irgend / (auch) immer besuchen wird. (4a) […], wann uns irgend Liese / uns (auch) immer Liese besucht. (5) Du musst es fertig bringen, wie du irgend das tun kannst. (5a) […], wie du das irgend / (auch) immer tun kannst. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; direktives Adverb; Indefinitadverb; Interrogativadverb; semantisches Merkmal

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

Diskursmarker

≡ Diskurswort ⇀ Diskursmarker (Lexik; SemPrag)

Diskurspartikel

Ausdruck mit metapragmatischer Funktion, der Äußerungen oder turns einleitet. ▲ discourse particle: expression with a meta-pragmatic function which introduces utterances or turns. Die Diskurspartikeln, auch Diskursmarker genannt, treten in der Sprache eher gesprochen als geschrieben auf (Schiffrin 1987: 41, 49; Imo 2017: 51) und sind optionale, d.h. grammatisch und semantisch nicht-obligatorische Elemente, die Sprecher benutzen können, um ihren Diskurs zu organisieren (Günthner/Imo 2003; Fraser 1990). Diskurspartikeln zeichnen sich durch eine Skopusausweitung aus, die dazu führt, dass

die Funktion sich auf eine größere Einheit als den Satz bezieht (Imo 2017: 51). Diskurspartikeln sind schwer zu kategorisieren, da sie meistens aus anderen grammatischen Kategorien rekrutriert worden sind (Fraser 1990). Es lassen sich für das Dt. drei Gruppen von Diskurspartikeln beschreiben (Günth­ner/Imo 2003; Imo 2017): (a) Diskurspartikeln, die aus koordinierenden oder subordinierenden Konjunktionen rekrutiert wurden (1); (b) ehemalige Adverbien oder Partikeln ((2), Betz 2017: 190); (c) mehr oder weniger feste formelhafte Phrasen, auch Matrixsätze genannt (3). (1) 01 M: Er gibt mir noch die Kassette dazu und dann schön verabschiedet (1.8) aber es war echt wie im film (1.7) (2) 01 S1: .hh meine mutter? (0.4) äh 02 hat immer geSAGT. 03 zu mir. 04 05 es GIBT dinge die man mit seinem ehepartner 06 NIcht besprechen kann. 07 .h [hh 08 S2: [ja:, 09 das gibt es. 10 (0.2) 11 S1: und: (.) 12 ja? 13 => sie finden das RICHtig. 14 => S2: ja_s äh ich finde es nich RICHtig 15 dass es die gibt, 16 aber ich finde es RICHtig (3) 159 P: weil des nich (.) AUFgeräumt worden is sozuSAgen. (.) 160 .hh NU:R, (0.5) 161 .h zu DER Zeit wo die Mutter noch geLEBT hat; 162 (1.0) 163 .hh da war das für SIE vielleicht gar nich so dringend DR↑AN, (.) 164 [.hh das aufzuräumen.] 165 → A: [ja ich mein ich SAG ] jetzt etwas was ich jetzt 166 vielLEICHT- (.) 167 ähm SAG ich jetzt etwas. Alle Diskurspartikeln gehen mit der Funktionsveränderung eines reduzierten semantischen Gehalts einher, da sie einem Grammatikalisierungsprozess unterliegen. Syntaktisch sind Diskurspartikeln schwach oder

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Diskurswort 242

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gar nicht integriert und nehmen das Vor-Vorfeld ein. Sie werden in Initialposition, oft außerhalb der syntaktischen Struktur eines Satzes bzw. nur lose damit verbunden, realisiert. Sie sind häufig von der Einheit, die sie einleiten, auch prosodisch abgetrennt (Imo 2017). Javier Martos

→ § 33; Diskurswort; Konjunktion; Partikel → Gram-Syntax: Diskurs; Grammatikalisierung; Matrixsatz; Skopus; Vor-Vorfeld

⇀ Diskurspartikel (SemPrag; Lexik; CG-Dt) ⇁ discourse particle (CG-Engl)

🕮 Betz, E. [2017] Diskursmarker aus konversationsanalytischer Sicht: Prosodisch integriertes ja am Beginn von responsiven Turns. In: Blühdorn, H./ Deppermann, A./ Helmer, H./ SpranzFogasy, T. [Hg.] Diskursmarker im Deutschen. Reflexionen und Analysen. Göttingen: 183–205 ◾ Fraser, B. [1990] An approach to discourse markers. In: JPragm 14: 12–14 ◾ Imo, W. [2017] Diskursmarker im gesprochenen und geschriebenen Deutsch. In: Blühdorn, H./ Deppermann, A./ Helmer, H./ Spranz-Fogasy, T. [Hg.] Diskursmarker im Deutschen. Reflexionen und Analysen. Göttingen: 49–72 ◾ Schiffrin, D. [1987] Discourse Markers. Cambridge.

Diskurswort

Ausdruck, der überwiegend in der gesprochenen Sprache vorkommt und der Strukturierung und Organisation des Diskurses dient. ▲ discourse marker; discourse particle: word used predominantly in spoken language to segment and organize the discourse. Diskurswörter, die in Anlehnung an die engl. Termini auch als Diskurspartikel oder Diskursmarker bezeichnet werden (wobei Letzteres nicht nur Wörter, sondern auch Formeln umfasst), sind nicht Träger der Proposition, da sie kein Denotat haben. Die Funktionen dieser Ausdrücke bestehen in der Text- und Gesprächsorganisation, in der Verknüpfung von Äußerungen, in der Strukturierung und Gliederung des Diskurses, in der Signalisierung des Sprecherwechsels (turntaking) und in der Hörer- und Themensteuerung. Unterschiedliche Wortarten können in der Funktion von Diskurswörtern auftreten: Interjektionen, Gliederungssignale, Konjunktionen. Die dt. Diskurswörter sind durch eine periphere syntaktische Stellung gekennzeichnet; sie sind selbständigen Syntagmen vor- oder nachgeschaltet. Diese Eigenschaft unterscheidet sie z.B. von den Abtönungspartikeln, deren topologische Stelle das Mittelfeld des dt. Satzes ist.

(1) (2)

Also, die Sache verlief meines Erachtens so. Und dann kommt der junge König auf einem weißen Pferd, ja? (3) Glaubst du, dass er das Spiel gewinnen wird? Obwohl – mir kann’s ja egal sein. (Diewald 2006: 406) (4) Ach, wenn du recht hättest! Also leitet in (1) einen Turn (= Diskursbeitrag) ein und wirkt textkonnektierend. Ja ist in (2) zustimmungsheischend und bereitet den Turn des nächsten Sprechers vor. Das urspr. als Subjunktion fungierende obwohl ist in (3) ein Korrektursignal, mit dem der Sprecher seine vorausgehende Äußerung korrigiert, wobei der nachgestellte Satz als Rechtfertigung dafür gilt. Die Interjektion ach fungiert in (4) als Mittel der Selbstreparatur und deutet auf den Kontrast zwischen Wirklichkeit und Erwartung hin. Abraham bezeichnet auch die Modalpartikeln als discourse particles (vgl. Abraham 1991: 203–252). Dieser Standpunkt ist jedoch mit dem topologischen Kriterium der Diskurswörter nicht vereinbar. Anna Molnár ≡ Diskursmarker → Abtönungspartikel; Diskurspartikel; Gliederungssignal; Interjektion; Modalpartikel; Partikel; Subjunktor → Gram-Syntax: Diskurs; Grammatikalisierung; Topologie ⇁ discourse marker (Typol)

🕮 Abraham, W. [ed. 1991] Discourse particles. Amsterdam [etc.] ◾ Auer, P./ Günthner, S. [2005] Die Entstehung von Diskursmarkern im Deutschen – ein Fall von Grammatikalisierung? In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ De Groodt, S. [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin [etc.]: 335–362 ◾ Diewald, G. [2006] Discourse particles and modal particles as grammatical elements. In: Fischer, K. [ed.] Approaches to Discourse Particles (StPragm 1). Amsterdam [etc.]: 403–425 ◾ Jucker, A.H./ Ziv, Y. [eds. 1998] Discourse Markers. Descriptions and theory. Am­ sterdam [etc.].

dislozierbares Adjektiv

funktional definierte Teilklasse der Adjektive, die aufgrund ihres syntaktischen Verhaltens bestimmbar ist. ▲ separable adjective: subclass of adjectives defined on the basis of their syntactical function. Gemäß der Sprecherintention können manche Adjektive in einer besonderen Weise verwendet werden, womit ein weiterer Höhepunkt im Satz erzeugt werden kann. (1) Blumen hat er wirklich schöne! (2) Schuhe bekommt man dort sehr modische.

243

dislozierbares Element

Durch die Thematisierung im Vorfeld (Blumen/ Schuhe) und die Erwähnung einer Eigenschaft am Mittelfeldende (schöne/modische) bekommt der Satz eine markierte Informationsstruktur. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adjektiv; diskontinuierliche Konstituente; dislozierbares

Determinativ; dislozierbares Element → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; diskontinuierliches Element; Feldergliederung; Nominalphrase; Vorfeldbesetzung

🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

dislozierbares Determinativ

Determinativ, das in der linearen Satzstruktur in eine Position außerhalb seiner Nominalphrase gestellt werden kann. ▲ dislocated determinative: determinative that can be located in the linear sentence structure in a position outside of its nominal phrase. Das negative Determinativ kein sowie bestimmte quantifizierende Determinative (alle, einige, beide) können statt ihrer Grundposition vor dem Bezugswort ((1), (1a)) auch in einer anderen Position im Satz stehen (1b). (1) Ich habe jetzt keine Bücher gekauft. (1a) Keine Bücher habe ich jetzt gekauft. (1b) Bücher habe ich jetzt keine gekauft. Durch diese Wortstellung wird die Negation bzw. die Quantifikation hervorgehoben. Meistens dient sie auch zur expliziten oder impliziten Gegenüberstellung. Wenn alle und beide disloziert werden, wird der Phrasenkopf mit dem Definitartikel kombiniert (2). (2) Am Wettkampf haben alle Mädchen teilgenommen. (2a) Am Wettkampf haben die Mädchen alle teilgenommen. Im Falle der anderen Determinative wird kein Definitartikel benutzt, der Phrasenkopf steht aber im Vorfeld und das Determinativ im Mittelfeld (vgl. (3) und (3a)). (3) Nur einige Jungen interessierten sich für den Wettkampf. (3a) Jungen interessierten sich nur einige für den Wettkampf. Attila Péteri

→ diskontinuierliche Konstituente; dislozierbares Adjektiv; dislozierbares Element; quantifizierendes Determinativ; Quantor

→ Gram-Syntax: diskontinuierliches Element; Nominalphrase

🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Lambrecht, K. [2001] Dislocation. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [eds.] Language Typology and Language Universals (HSK 20.2). Berlin [etc.]: 1050–1079 ◾ Marillier, J.F. [1995] Diskontinuierliche Nominalgruppen. In: Faucher, E./ Métrich, R./ Vuillaume, M. [Hg.] Signans und Signatum: Auf dem Weg zu einer semantischen Grammatik. Festschrift für Paul Valentin zum 60. Geburtstag (Eurog 6). Tübingen: 233–243 ◾ Vater, H. [Hg. 1986] Zur Syntax der Determinantien (StDG 31). Tübingen.

dislozierbares Element

Satellit mit variabler Position, der im Satz nach links oder rechts von seinem Bezugswort getrennt verschoben werden kann. ▲ split construction; floating element: constituent in a variable position which can be separated from another word or phrase that it modifies. Als dislozierte Elemente können die folgenden Attribute vorkommen (Engel 2002: 302): (a) Quantoren und Adjektive: Dabei wird der Nukleus der NP meist nach links verschoben sowie thematisch hervorgehoben, während der Quantor nach rechts, d.h. ins Rhema extrahiert wird. In der Fachlit. wird dieses Phänomen auch als NP-Aufspaltung (Schmidt 2006: 1046), Floating (Eroms/Heringer 2003: 257) oder Split-Konstruktion (split construction) (Fanselow/Ćavar 2002) bezeichnet. Zur Veranschaulichung dieses Phänomens dienen einige Bestandteile von NPn, die in Distanzstellung vorkommen können, wie z.B. Determinative (1), indefinite NPn (2), Possessivdeterminative sowie kein, deren Extraktion morphologische Veränderungen bewirken kann (3), Adjektive (4), Zahladjektive in Verbindung mit Maβ- oder Behälterausdrücken (5) (vgl. Zifonun et al. 1997: 2071; Koller 2006: 876). (1) Touristen habe ich nur einige gesehen. (2) EC-Geldautomaten gibt es mittlerweile 48000 in 15 Ländern. (3) Er hat kein Vermögen → Vermögen hat er keines. (4) Präludien hat Bach schöne geschrieben. (5) Rotwein hat Uli drei Glas getrunken. Wie aus den Beispielen hervorgeht, wird der Kopf der NP immer fokussiert. (b) Präpositivergänzungen: Thematisiert aber auch rhematisiert wird in der Regel der linke Bestandteil der Phrase (6). Diese Art von Aufspal-

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Distanzindikator 244

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tungen wird auch als Floating bezeichnet (Eroms/ Heringer 2003: 257). (6) Sie hat Lust auf Erdbeeren. (6a) Auf Erdbeeren hat sie Lust. (6b) Lust hat sie auf Erdbeeren. (c) Disjunkte: Sie kommen in den meisten Fällen getrennt von ihrem Bezugswort vor. Als solche können Adjektive, als-NPn und Adverbien wie allein, selbst u.a. fungieren (7). (7) Verwirrt blickte der Gast auf. ← Der Gast blickte verwirrt auf. (8) Ich habe es doch selbst gesehen! ← Selbst habe ich es gesehen! Disjunkte bzw. prädikative Attribute (Helbig/Bu­ scha 1996: 554ff.) können sich auf das Subjekt (9) oder das Objekt (10) beziehen. (9) Er kommt gesund an. (10) Er aβ die Mohrrüben roh. (d) Der Pertinenzdativ bzw. der dativus possessivus: In der Fachlit. ist die Frage umstritten, ob der Pertinenzdativ dem Ergänzungsbereich (Eisenberg 2006: 293; Zifonun et al. 1997: 1089) oder dem Attributbereich als „Sonderform eines Attributs zum Nomen“ (Engel 1994: 159) zuzuschreiben ist. Der Pertinenzdativ stellt eine Verbindung zu einem anderen Syntagma her, das einen Körperteil, ein Kleidungsstück oder einen Gegenstand bezeichnet und das die Funktion eines Subjekts (11), eines Objekts (12) oder einer Adverbialbestimmung (13) erfüllt. (11) Der Magen tat dem Kranken weh. (12) Der Arzt operierte dem Kranken den Magen. (13) Er hat seinem Freund in die Augen gesehen. Eine Liste von Satzbauplänen mit einem Pertinenzdativ bietet Duden (1998: 698ff.) an. María José Domínguez Vázquez

→ Adjektiv; dativus possessivus; diskontinuierliche Konstituente; dislozierbares Adjektiv; dislozierbares Determinativ; Pertinenzdativ; Quantor → Gram-Syntax: Attribut; diskontinuierliches Element; Präpositivergänzung; Satellit

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1994] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Eroms, H.-W./ Heringer, H.J. [2003] Dependenz und lineare Ordnung. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 247–263 ◾ Fanselow, G./ Ćavar, D. [2002] Distributed deletion. In: Alexiadou, A. [ed.] Theoretical Approaches to Universals (Lingakt 49). Amsterdam: 65–107 ◾

Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Koller, E. [2006] Wortstellung: textfunktionale Kriterien. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.2). Berlin [etc.]: 873–885 ◾ Schmid, J. [2006] Die „freien“ Dative. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.2). Berlin [etc.]: 951–962 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Distanzindikator

Subklasse von Modalwörtern, mit denen ein Sprecher eine distanzierende Haltung zu einem geäußerten Sachverhalt erkennen lässt. ▲ distance indicator: subclass of modal expressions used by speakers to distance themselves from an expressed proposition. Distanzindikatoren werden hauptsächlich verwendet, wenn Äußerungen Dritter wiedergegeben werden (angeblich, vorgeblich). Sie stehen zusammen mit den Gewissheits- und Hypothesenindikatoren im Zentrum der Modalwörter und geben ebenso wie diese Auskunft über den Grad der Sicherheit einer Aussage. Marijana Kresić

→ Hypothesenindikator; Modalwort → Gram-Syntax: epistemische Modalität; indirekte Rede

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Distribution

Gesamtheit der beobachtbaren Umgebungen eines sprachlichen Elements als Grundlage für seine Klassifizierung. ▲ distribution: totality of contexts of a linguistic element as the basis of its classification. Die Distribution sprachlicher Elemente oder Eigenschaften ist für den amerik. Distributionalismus das grundlegende Kriterium zur Ermittlung wie zur näheren Klassifizierung von sprachlichen Einheiten (vgl. Harris 1954). Es lassen sich vier Distributionstypen unterscheiden. (a) Von gleicher Distribution zweier sprachlicher Elemente spricht man, wenn in Bezug auf (mindestens) zwei voneinander unterschiedenen Umgebungen gilt, dass beide Elemente in beiden Umgebungen vorkommen (vgl. im Dt. die Laute [e] und [i], die beide z.B. in den lautlichen Umgebungen [b_t] oder [f_l] vorkommen können).

245 ditransitiv (b) Kommen zwei Elemente zwar beide in einer bestimmten Umgebung vor, in einer anderen Umgebung aber nur eines der beiden Elemente, so spricht man von inkludierender Distribution (vgl. im Dt. die Verteilung der stimmlosen und stimmhaften Plosive in Bezug auf die Umgebungen Anund Auslaut: Die stimmlosen Plosive erscheinen sowohl im An- als auch im Auslaut, die stimmhaften dagegen nur im Anlaut). (c) Überlappende Distribution liegt vor, wenn es (mindestens) drei voneinander unterschiedene Umgebungen A, B und C gibt, wobei sich zwei gegebene Elemente so verteilen, dass beide in Umgebung B vorkommen, während außerdem das eine Element ausschließlich in Umgebung A und das andere Element ausschließlich in Umgebung C auftritt (vgl. im Dt. die Verteilung der s-Laute: Wortinitial erscheint nur stimmhaftes [z] wie in Sonne oder Sand, wortfinal nur stimmloses [s] wie in Gras oder Fluss, wortmedial erscheinen beide Laute wie in Fliesen vs. fließen). Die Typen in (b) und (c) werden zusammenfassend auch als partiell gleiche Distribution bezeichnet. (d) Man spricht von komplementärer Distribution, wenn zwei Elemente nie in der gleichen Umgebung vorkommen, sich gegenseitig also ausschließen (vgl. im Dt. die Verteilung des Ich- und des Ach-Lautes: Der Ich-Laut erscheint nur nach vorderen Vokalen oder [l, n, r], der Ach-Laut nur nach hinteren Vokalen). Distributionsanalysen lassen sich für alle sprachlichen Beschreibungsebenen durchführen (neben Phonologie auch in Morphologie, Syntax und Semantik). Karsten Schmidt

→ § 15, 30; Klassifikation → Gram-Syntax: deskriptive Grammatik ⇀ Distribution (Wobi; CG-Dt; QL-Dt; Lexik; Phon-Dt; Sprachphil; Textling)

⇁ distribution (CG-Engl; Woform; Phon-Engl; TheoMethods; Media)

🕮 Bloomfield, L. [1926] A set of postulates for the science of language. In: Lg 2: 153–164 ◾ Harris, Z.S. [1954] Distributional structure. In: Word 10: 146–162.

Distributivpronomen, definites → definites Distributivpronomen

Distributivpronomen, indefinites → indefinites Distributivpronomen

Distributivum

Zahlwort, mit dem man eine zahlenmäßig gleiche Verteilung ausdrückt. ▲ distributive number; distributive numeral: numeral that expresses distributive relations. Distributivzahlen werden auch Verteil(ungs)zahlen genannt und werden z.B. im Dt. oder im Poln. durch ein der Kardinalzahl vorangestelltes je bzw. po gebildet (dt. je drei, je zwanzig etc.; poln. po dwa, po dwie, po dwadzieścia etc.), im Engl. durch ein nachgestelltes each (three … each). Im Engl. werden Distributiva außerdem mit den Suffixen -s oder -some aus den Kardinalia gebildet (in twos, in threes; twosome, threesome), oder man verwendet verschiedene feste Wortverbindungen (two at a time, three at a time; in groups of five). Dem Distributivum können auch Ordinalzahlen zugrunde liegen, im Dt. z.B. durch jeder + Ordinalzahl gebildet (jeder dritte Student; jede Fünfte). Edyta Błachut

→ bestimmtes Zahlwort; Kardinalzahlwort; Numerale; Ordinalzahlwort

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Diszessionskomparativ ≡ Steigerungsinversion

ditransitiv

Eigenschaft von Verben, die ein direktes und ein indirektes Objekt haben. ▲ ditransitive: verbs which select a direct and an indirect object. Verben, die ditransitiv sind, fordern ein Akkusativobjekt als Patiens und ein Dativobjekt als Rezipient oder Benefaktiv. Viele dieser dreistelligen Verben sind Transaktionsverben. Dazu gehören die Verben des Gebens und Zeigens (1), die Verben des Nehmens (2), die Verben des Mitteilens und Versprechens (3) und die Verben des Verheimlichens (4). (1) Sie schenkte mir ein Buch. (2) Der Räuber hat ihr den Schmuck gestohlen. (3) Er erzählte uns ein schönes Märchen.

D

Doppelnegation 246 (4)

Das will ich euch nicht verschweigen. Tamás Kispál

D

→ Applikativ; Verb → Gram-Syntax: Benefaktiv; direktes Objekt; ditransitives Verb; dreistelliges Verb; indirektes Objekt; Patiens; Rezipient

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Doppelnegation

≡ doppelte Negation

Doppelperfekt

Perfekt, das um ein zusätzliches gehabt bzw. gewesen syntaktisch erweitert worden ist. ▲ double-perfect: perfect which is syntactically prolonged by an additional gehabt or gewesen. Unter Doppelperf. werden das Doppelperf. im Engeren (präsentisches Doppelperf.) und das Doppelplq.perf. (präteritales Doppelperf.) sowie das marginale futurische Doppelperf. („Doppelfutur“) gefasst. Man kann diese drei Doppelperfektformen als Möglichkeiten ansehen, die analytische Flexion systematisch zu erweitern. Wenn in der Standardsprache eine Perfektform mit dem Präs., Prät. und Futur des Hilfsverbs (hat, hatte, wird haben bzw. ist, war, wird sein) existiert, so sollte es auch die Möglichkeit geben, Perfektformen mit dem Perf., Plq.perf., Futur II des Hilfsverbs (hat gehabt, hatte gehabt, wird gehabt haben bzw. ist gewesen, war gewesen, wird gewesen sein) zu bilden ((1)–(1b)). (1) Er hat ihn gesehen gehabt. / Der See ist zugefroren gewesen. [Doppelperf.] (1a) Er hatte ihn gesehen gehabt. / Der See war zugefroren gewesen. [Doppelplq.perf.] (1b) Er wird ihn gesehen gehabt haben. / Der See wird zugefroren gewesen sein. [Futur Perf.] Oft wird das Doppelperf. jedoch zu global als Erweiterung des standardspr. Tempussystems angesehen und die Differenz zwischen ugs. bzw. dialektalem Doppelperf. und zwischen präsentischem und präteritalem Doppelperf. zu wenig beachtet. Doppelperfektformen, soweit stan­dard­ spr. orientierte Grammatiken sie überhaupt berücksichtigen, werden als Erweiterung des standardspr. Tempussystems der kanonischen sechs Tempora zu einem Tempussystem von entsprechend mehr Tempora angesehen, z.B. von ­Vater

(1991) und Thieroff (1992). Zu fragen bleibt, ob und inwiefern die Sprecher des Dt. die gegebene Möglichkeit der Erweiterung des standardspr. Tempussystems systematisch ausnutzen und welche Rolle Differenzierungen der Varietäten des Dt. spielen. Denn in den Umgangssprachen und in Dialekten (und auch z.B. im österr. Standard) ist die synthetische Vergangenheitsform (das frühere Imperfekt bzw. Prät.) weitgehend durch das analytische Perf. ersetzt worden. Das Perf. der Umgangssprache hat daher seine Bedeutung nicht in Opposition zu einem Prät. und Plq.perf. entwickelt. Es ist ein allgemeines Vergangenheitstempus in Opposition allein zum Präs. Wenn es also in der Umgangssprache nur die Vergangenheitsform Perf. neben dem Präs. gibt, dann steht hier auch nur eine Möglichkeit für ein Doppelperf. bereit: die Perfektform des Hilfsverbs habe gehabt, bin gewesen. Doppelperfekt-Konstruktionen sind ein andauerndes Phänomen des jeweiligen Gegenwartsdt. Die frühesten Belege haben Litvinov/Radčenko (1998) im 15. Jh. gefunden. Auch in Grammatiken werden sie früh registriert. Ölinger (1574: 154, nach Rödel (2007: 27)) bringt die Beispiele (2) und (3). (2) Ich hab geschrieben gehabt. (3) Ich bin komen gewesen. Bildungen dieser Art sind in Dialekten und Umgangssprachen anzutreffen, am häufigsten im süddt. Sprachraum. Jedoch auch in die Standardsprache sind sie als Doppelplq.perf. integriert. Sie sind im Dt. „überall da“ (Litvinov/Radčenko 1998: 31). Litvinov/Radčenko (1998) haben ein Corpus von 426 standardspr. Belegen, vor allem aus Romanen und Erzählungen, zusammengetragen. Rödels Corpus besteht aus diesen Belegen, ergänzt durch eine nicht genannte Zahl von Zeitungsbelegen aus Online-Ausgaben, durch 110 Hörbelege und 180 Internetnachweise (vgl. Rödel 2007: 81). Die Verwendungshäufigkeit ist also begrenzt geblieben. Zusammen mit dem relativen Alter der Formen weist die geringe Häufigkeit auf einen Nischenstatus hin. Das Doppelperf. kann man bereits aus diesem Grunde nur ansatzweise als Tempus ansehen, entsprechend der eingangs erwähnten systematischen Möglichkeit, Perfektformen auszubauen, und zwar unterschiedlich in Standardsprache sowie in Umgangssprachen und Dialekten. In der Fachlit. zum Doppelperf. werden alle

247 Doppelperfekt Formen (sein-Perf., haben-Perf., Doppelperf. und Doppelplq.perf.) in der Tendenz gleich behandelt. Damit wird eine Einheitlichkeit analog zu den kanonischen analytischen Tempora (zu ihrer relativen Einheitlichkeit) unterstellt, die es bei den Doppelperfektformen nicht gibt. Es empfiehlt sich daher, zwischen dem (präsentischen) Doppelperf. und dem (präteritalen) Doppelplq. perf. zu differenzieren und damit zwischen Umgangssprache/Dialekt und Standardsprache. Das Doppelperf. ist vor allem eine Erscheinung der Umgangssprache und des Dialekts, während das Doppelplq.perf. im Wesentlichen eine Erscheinung der Standardsprache ist. Dass das futurische Doppelperf. weitgehend fehlt, erklärt sich aus der unten zu besprechenden syntaktischen Struktur des präsentischen Doppelperf., aus Besonderheiten des präteritalen Doppelperf. (Doppelplq.perf.), aus der Differenz von Standard- und Umgangssprache, u.a. aus dem Fehlen des Futurs in Dialekten und Umgangssprachen, und aus dem Umstand, dass es in der Standardsprache ebenso wenig Bedarf am futurischen Doppelperf. wie am Futur II gibt. Beim Doppelperf. i.e.S., also beim präsentischen Doppelperf., muss man wiederum zwischen haben-Perf. und sein-Perf. unterscheiden. Denn nur beim haben-Doppelperf. handelt es sich um eine potentielle Erweiterung (Erneuerung) des ugs. Tempussystems. Das sog. (präsentische) Doppelperf. mit sein ist eine Subjektsprädikativkonstruktion (Kopula-Konstruktion) mit dem Perf. der Kopula sein. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Tempus ‚Perfekt‛ mit den zwei formalen Varianten (Allomorphen) des haben- und sein-Perfekts. Bei Formen aus einfachem sein + Partizip II gibt es bei einigen Verben eine Lesart als syntaktische Kopulakonstruktion neben einer Lesart als analytische Verbform (Perf., Plq.perf.). (3) Kopulakonstruktion: Der See ist/war zugefroren. ['Der See ist/war im Zustand des Zugefrorenseins'] (3a) Perf.: Der See ist/war zugefroren. ['Das Zufrieren des Sees ist/war vergangen'] Beim sog. Doppelperf. mit sein gibt es dagegen nur die Lesart ‚Kopulakonstruktion‛. Die Bildungen sind akzeptabel, sofern sie wie in (3) zu Verben erfolgen, die die Resultatslesart der Konstruktion, also die Lesart als Kopulakonstruktion aus sein +

Partizip erlauben. Entsprechend kann man vollkommen kompositional auch das Perf., Plq.perf. oder Futur II der Kopula sein bilden, vgl. (4)–(4c). (4) [...], weil der Ast abgebrochen [ist]. (4a) [...], weil der Ast abgebrochen [gewesen ist]. (4b) [...], weil der Ast abgebrochen [gewesen war]. (4c) [...], weil der Ast abgebrochen [gewesen sein wird]. Bildungen mit sein wie (5)–(5c), auch das (vermutlich von Ölinger selbst gebildete) Beispiel (3a), wieder aufgenommen als (5), erscheinen dagegen weniger oder nicht akzeptabel. (5) ?Ich bin gekommen gewesen. (5a) ?Emil ist aufgewacht gewesen. (5b) ?Emil ist gestorben gewesen. (5c) ?Emil ist geflohen gewesen. Anscheinende Doppelperfekt-Formen mit sein sind also syntaktische Konstruktionen, nämlich Kopula-Konstruktionen aus der Kopula sein im Perf. (gewesen sein) + adjektivischem Partizip II. Eine Grammatikalisierung zu einer analytischen morphologischen Form wie beim einfachen seinPerf. hat nicht stattgefunden. Der Ausdruck Doppelperfekt zielt jedoch auf eine morphologische (analytische) Perfektform und ist daher in Bezug auf die Konstruktion sein + Partizip II unangebracht. Im Unterschied zum sein-Doppelperf. sind haben-Doppelperfektformen in der Umgangssprache durchgängig akzeptabel. Man muss jedoch auch hier eine einschränkende Bedingung berücksichtigen: Es muss sich typischerweise um einen Verb-Zweit-Satz (6) handeln, wie er für die Umgangssprache typisch ist, und nicht um einen Nebensatz wie in (6a). (6) Er hat ihn gesehen gehabt. (6a) ?dass er ihn [gesehen [gehabt hat] Daraus kann man schließen, dass es sich auch beim haben-Doppelperf. nicht um eine neue morphologische Verbform handelt, also nicht um ein Perf. des Hilfsverbs, sondern um eine syntaktische Erweiterung der morphologischen Vergangenheitsform haben + Partizip II durch ein zusätzliches gehabt, strukturell darzustellen als (7) und nicht als (7a). (7) Er hat geschlafen + gehabt → Er [[hat geschlafen] gehabt]] (7a) Er geschlafen gehabt hat → Er hati geschlafen [gehabt ... i ]

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Doppelperfekt 248

D

Das haben-Doppelperf. ist nach dieser Interpretation ein haben-Perf. (haben + Partizip II), dem nachträglich ein gehabt hinzugefügt wird und nicht eine Perfektform mit dem Perf. des Hilfsverbs, also keine neue morphologische analytische Verbform. Fast alle Belege weisen nach Rödel (2007: 107) diese Struktur auf. Gestützt wird eine solche Interpretation durch die Beobachtung, dass in der gesprochenen Sprache, die für das Doppelperf. wegen des Zusammenhangs von Umgangssprache und gesprochener Sprache besonders typisch ist, oft eine Sprechpause zu beobachten ist, vgl. Hennig (2000); Ammann (2005); Rödel (2007). Nach dieser Pause wird ein gehabt nachgeschoben, das auf Grund seiner Partizip-Bedeutung Abgeschlossenheit signalisiert. Rödel (2007: 109) verweist auf Wells (1990), der das Partizip als eine Aspektpartikel deutet. Das einfache Perf. ist in der Umgangssprache ein Vergangenheitstempus ohne spezifische PerfektEffekte (aber auch ohne die Imperfekt-Effekte des Prät.), d.h. ohne eine sekundäre Evaluationszeit. Die sekundäre Evaluationszeit ist die Reichenbach’sche (1947) Betrachtzeit (point of reference). Die primäre Evaluationszeit ist die Reichenbach’sche Sprechzeit (point of speech). Die hinzugefügte „Aspektpartikel“ gehabt bietet den Sprechern die Möglichkeit, die in der Umgangssprache nicht vorhandenen Perfekt-Konnotationen der Abgeschlossenheiten, Ganzheitlichkeit und Außenperspektive auf anderen Wegen herzustellen. Entsprechend interpretiert Buchwald (2006) nahezu die Hälfte der Doppelperfekt-Belege, die sie aus Talkshows gewinnt, als „einfache Vergangenheit“, vgl. Rödel (2007: 89), auch Hennig (2000). Auf Grund der aspektualen Bedeutung, die durch das Hinzufügen von gehabt entsteht, entspricht das präsentische Doppelperf. den beiden Hauptbedeutungen des standardspr. Plq.perf. ‚Vorvergangenheit‘ und ‚tiefe Vergangenheit‘. In einem Vergangenheitskontext des einfachen präsentischen Perf. kann das präsentische Doppelperf. also in der Umgangssprache die gleiche Funktion ausüben wie das Präteritum-Perf. (Plq.perf.) im Kontext des Prät. in der Standardsprache. Traditionell wird daher das präsentische Doppelperf. vor allem als Plq.perf.-Ersatz angesehen und ebenfalls in den Kontext des Präteritumschwunds gestellt.

So kann man zum einen aus der Aspektpartikel gehabt in einem Vergangenheitskontext auf Vorvergangenheit schließen (8). (8) Dann, eines Tages, da hat er schon eine ganze Weile hier gearbeitet gehabt […] ist er hin zu Johanna und hat ihr klaren Wein eingeschenkt. (H. Kant nach Rödel 2007: 134) Zum anderen kann bei einem fehlenden Vergangenheitskontext eine Implikatur wie beim Plq. perf. der Standdardsprache (9b) auf eine weiter zurückliegende ‚tiefe Vergangenheit‘ hergestellt werden (9a). (9) Das habe ich mir gedacht. (9a) Das habe ich mir gedacht gehabt. (9b) Das hatte ich mir gedacht. Der Effekt der tiefen Vergangenheit trifft typischerweise u.a. auf Verben des Sagens und Meinens zu. Aus (9) kann man folgern, dass der Denkvorgang unmittelbar zurückliegt und der Sprecher auch jetzt noch so denkt. Aus (9a) kann man schließen, dass der Denkvorgang weiter zurückliegt und dass das Gedachte eventuell jetzt nicht mehr gültig ist. Den gleichen Effekt wie (9a) kann das Plq.perf. (9b) erzielen. Der Terminus Doppelperfekt legt nahe, dass es im Dt. eine weitere analytische, also grammatikalisierte Tempusform ‚Doppelperfekt‛ neben den sechs kanonischen Tempora (der Standdardsprache) gibt. Das trifft aus unterschiedlichen Gründen weder auf die Standardsprache noch auf die Umgangssprache zu. In der Standardprache gibt es kein präsentisches Doppelperf., weil dieses nur eine Erscheinung in Umgangssprachen und Dialekten ist (wenn man den Sonderfall z.B. des österr. gesprochenen Standards ausklammert). In der Standardsprache gibt es dagegen nur ein Doppelplq.perf., das es wiederum in der Umgangssprache und in Dialekten nicht gibt. Wenn man den Terminus Doppelperfekt nur auf die Umgangssprache bezieht, legt er nahe, dass es dort das haben-Doppelperf. als ein drittes Tempus neben dem Präs. und dem Perf. gibt, also ein Perf., bei dem es sich um die Perfektform des Hilfsverbs haben (habe gehabt) handelt. Nach der in diesem Artikel favorisierten Interpretation handelt es sich um eine syntaktische Konstruktion, in der das haben-Perf. durch ein weiteres gehabt erweitert wird. Die Implikatur aus der entstehenden aspektualen Konstruktionsbedeutung entspricht

249 Doppelplusquamperfekt der temporalen Bedeutung des standardspr. Plq.‌perf., ist aber selbst keine Tempusform. Klaus Welke

→ § 16; Doppelplusquamperfekt; haben-Perfekt; Perfekt; Plusquamperfekt; Präteritumschwund; sein-Perfekt; Zustandsform → Gram-Syntax: Kopulakonstruktion; Subjektsprädikativ; Zustandspassiv

🕮 Ammann, A. [2005] Abbau und Anschwemmung: Doppelte Perfektbildungen und Grammatikalisierung im deutschen Tempussystem. In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ De Groodt, S. [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin [etc.]: 251–275 ◾ Buchwald, I. [2006] Zu den temporalen Bedeutungen von Perfekt II und Plusquamperfekt II im gesprochenen Deutsch. In: Heine, A. [Hg.] Deutsch als Fremdsprache – Konturen und Perspektiven eines Faches. Festschrift für Barbara Wotjak zum 65. Geburtstag. München: 40–56 ◾ Dahl, Ö. [1985] Tense and Aspect Systems. Oxford ◾ Ehrich, V. [1992] Hier und jetzt. Studien zur lokalen und temporalen Deixis. Tübingen ◾ Eroms, H.W. [1984] Die doppelten Perfekt- und Plusquamperfektformen im Deutschen. In: Eroms, H.-W. et al. [Hg.] Studia Linguistica et Philologia. Festschrift für Klaus Matzel zum 60. Geburtstag. Heidelberg: 343–351 ◾ Glück, H./ Sauer, W.W. [1997] Gegenwartsdeutsch. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hauser-Suida, U./ Hoppe-Beugel, G. [1972] Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. München [etc.] ◾ Hennig, M. [2000] Tempus und Temporalität in geschriebenen und gesprochenen Texten. Tübingen ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen ◾ Litvinov, V.P./ Radčenko, V. [1998] Doppelte Perfektbildungen in der deutschen Literatursprache. Tübingen ◾ Maienborn, C. [2007] Das Zustandspassiv. Grammatische Einordnung, Bildungsbeschränkungen, Interpretationsspielraum. In: ZGL 35/1– 2: 83–114 ◾ Ölinger, A. [1574] Vnderricht der Hoch Teutschen Spraach. Reprint 1975. Hildesheim ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Rödel, M. [2007] Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen (StDG 74). Tübingen ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Vater, H. [1994] Einführung in die Zeitlinguistik. Hürth-Efferen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin ◾ Wells, C.J. [1990] Deutsch: eine Sprachgeschichte bis 1945. Tübingen.

Doppelplusquamperfekt

Plusquamperfekt, das um ein zusätzliches gehabt bzw. gewesen syntaktisch erweitert worden ist. ▲ double-pluperfect: pluperfect which is syntactically prolonged by an additional gehabt or gewesen. Das Doppelplq.perf. (präteritale Doppelperf.) gehört neben dem Doppelperf. (präsentischem Doppelperf.) und dem äußerst marginalen futurischen Doppelperf. zu der umstrittenen Erscheinung des sog. Doppelperf. Der größere Teil

der Doppelperfekt-Belege bei Litvinov/Radčenko (1998) sind Belege für das Doppelplq.perf. Man kann das Doppelplq.perf. als eine Ausweitung der Flexion des Hilfsverbs haben oder sein ansehen, und zwar beim Plq.perf. vom Prät. hatte/war zum Plq.perf. hatte gehabt / war gewesen. Das Doppelplq.perf. erweist sich bei dieser Interpretation als eine Erweiterung des standardspr. Tempussystems um eine neue Tempusform. Als Tempusform besitzt das Doppelplq.perf. eine formal durch das Perf. des Hilfsverbs gekennzeichnete Bedeutung 'Vor-Vorvergangenheit' (1) im Unterschied zum einfachen Plq.perf., bei dem der semantische Effekt der Vor-Vorvergangheit nur eine (kontextuelle) Implikatur ist (1a). (1) Ich hatte das alles nur vergessen gehabt, dumm und alt, wie ich war. Nun jedoch wußte ich es wieder. (Litvinov/Radčenko 1998: 225) (1a) Ich hatte das alles nur vergessen, dumm und alt, wie ich war. Nun jedoch wußte ich es wieder. Das einfache Plq.perf. ist im Unterschied zum einfachen Perf. eine Konstruktion der Standardsprache und nicht der Umgangssprache bzw. des Dialekts. Auch das Doppelplq.perf. sollte daher im Unterschied zum Doppelperf. nicht eine ugs., sondern eine standardspr. Erscheinung sein. Die beim Doppelperf. zu beobachtende konstruktionelle Differenziertheit setzt sich beim Doppelplq. perf. nicht fort. Es gibt keine Beschränkung des sein-Doppelplq.perf. gegenüber dem haben-Doppelplq.perf., wie beim sein-Doppelperf. gegenüber dem haben-Doppelperf. Auch ist das Doppelplq.perf. nicht wie das Doppelperf. auf die Hauptsatzstruktur beschränkt. Die Besonderheit des einfachen sein-Doppelperf. besteht beim Doppelplq.perf. nur insofern, als einige intransitive perfektive Verben eine Kopulakonstruktion (Subjektsprädikativkonstruktion) mit der Bedeutung 'Nachzustand' des Partizips instantiieren können (2). (2) Kopulakonstruktion: Der See war gestern zugefroren gewesen. ['Der See hat sich gestern im Zustand des Zugefrorenseins befunden'] (2a) Perf.: Der See war gestern zugefroren gewesen. ['Der See war gestern dem Vorgang des Zufrierens unterworfen gewesen'] Das Doppelplq.perf. wird oftmals als eine syste-

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Doppelplusquamperfekt 250

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matische Erweiterung des standardspr. Tempusparadigmas aufgefasst, und zwar als ‚Vor-Vorvergangenheit‛, vgl. Thieroff (1992: 215ff.) mit ausführlichen Literaturverweisen. Die Reihe „Prät. (Vergangenheit) – Plq.perf. (Vor-Vergangenheit)“ setzt sich durch ein drittes Vergangenheitstempus Doppelplq.perf. (Vor-Vor-Vergangenheit) fort, d.h. durch ein Vergangenheitstempus mit einer tertiären Evaluationszeit (einer zweiten Betrachtzeit), (3). (3) Als ich gestern die Wohnung verließ (1.), hatte ich den Gashahn zugedreht (2.), und als ich den Gashahn zugedreht hatte (2.), hatte ich den Zählerstand notiert gehabt (3.). Für diese Reihe spricht, dass das Doppelplq.perf., soweit es sich aus den Belegen bei Litvinov/ Radčenko (1998) erkennen lässt, oft im Kontext eines einfachen Plq.perf. vorkommt, das seinerseits von einem Prät. oder Perf. begleitet ist (4). (4) In dem Augenblick fühlte er sich am linken Arm ergriffen und zugleich einen sehr heftigen Schmerz. Mignon hatte sich versteckt gehabt, hatte ihn angefasst und ihn in den Arm gebissen. Sie fuhr an ihm die Treppe hinunter und verschwand. (Litvinov/ Radčenko 1998: 233) Oft ist allerdings keine Kombination von Prät. und Plq.perf. vorhanden, sondern nur ein Prät. und ein Doppelplq.perf. (5). (5) An einem der ersten Abende kam meine Mutter in die Kaserne, um mich zu besuchen, aber sie mußte über eine Stunde auf mich warten. Ich hatte meinen Tornister nicht vorschriftsmäßig gepackt gehabt und mußte deshalb in meiner freien Zeit zur Strafe Latrinen scheuern. (Litvinov/ Radčenko 1998: 129) Es handelt sich um eine semantische, formal durch die Flexion angezeigte Spezialisierung des Doppelplq.perf. auf etwas, was beim einfachen Plq.perf. two-ways-action-Implikatur genannt wird. In einer allgemeinen Auslegung kann dieser semantische Effekt besagen, dass das Geschehen nicht nur weiter zurück liegt (tiefe Vergangenheit), sondern dass in der Zwischenzeit wahrscheinlich Wesentliches passiert ist. Das Doppelplq.perf. in (5) kann man folglich als formal gestützten Hinweis darauf verstehen, dass es in der Zeit zwischen dem Tornisterpacken und

dem Latrinenscheuern in (5) noch weitere Ereignisse gegeben hat, auf die der Hörer eventuell sogar schließen soll, etwa die Feststellung dieses Tatbestandes bei der Kontrolle und das erneute Tornisterpacken. (6) Er hatte die Spritze vorbereitet gehabt. Rasch nahm er sie und stach sie unter die Haut. (Litvinov/Radčenko 1998: 234) Besonders häufig scheint das Doppelplq.perf. dann eingesetzt zu werden, wenn es um das geht, was Dahl (1985) in Bezug auf das einfache Plq. perf. als eine Variante der two-ways-action-Implikatur beschreibt (7). (7) Die tiefe, dreischübige Kommode, in der er das Spielzeug seiner Kindheit verwahrt gehabt hatte, war schon leer. (Litvinov/ Radčenko 1998: 234) Dahl (1985: 149) versteht diesen Effekt, den auch das einfache Plq.perf. aufweist, als Hinweis auf eine Handlung, „which led to a result which has later been canceled“. Signalisiert wird also, dass der Nachzustand eines vorangehenden Ereignisses wieder aufgehoben wurde, bevor ein folgendes Ereignis eintrat. Für den Goethe-Satz aus Wilhem Meister (4), das einzige Doppelplq.perf., das sich in diesem Roman findet, heißt das: Um den Wilhelm anfassen zu können, hatte Mignon ihr Versteck verlassen, also den Nachzustand des Versteckens aufheben müssen. In diesem Zusammenhang fallen bestimmte Token-Frequenzen im Corpus von Litvinov/ Radčenko (1998) auf. Es handelt sich um die Verben aufgeben (3 mal), sehen (7 mal), vergessen (36 mal), verlieren (7 mal), versprechen (2 mal), verstecken (5 mal), vorbereiten (3 mal), vornehmen (3 mal). Bezogen auf die geringe Gesamtzahl der Belege sind das auffällige Frequenzen einzelner Verben. Die Häufigkeit der Verwendung bestimmter Verben bei einem insgesamt, wie es scheint, begrenzten Vorkommen weist zunächst auf die Marginalität des Doppelplq.perf. hin. Wie bei den meisten Belegen aus dem Corpus von Litvinov/ Radčenko (1998) handelt es sich bis auf sehen um perfektive Verben und deren Nachzustände, „target states“ im Sinne von Parsons (1990). Diese Verben implizieren Nachzustände, die leicht aufhebbar sind. Das gilt auch für den Nachzustand des Nicht-Sehens. Bei sechs der sieben Vorkommen von sehen ist das Verb negiert. Die leichte Aufhebbarkeit gilt insbesondere für kognitive

251

doppelte Negation

Verben wie vergessen, versprechen, vornehmen. Wenn man etwas vergisst, so kann dieser Zustand bis in alle Ewigkeit andauern, aber man kann auch leicht wieder durch irgendetwas an das Vergessene erinnert werden, vgl. (1). Die leichte Aufhebbarkeit des Nachzustands eines Verbs passt zu der speziellen Semantik des Doppelplq.perf.: Aufhebung des Nachzustands eines Ereignisses, bevor ein weiteres Ereignis folgt. Klaus Welke

→ § 16; Doppelperfekt; haben-Perfekt; Perfekt; Plusquamperfekt; Präteritum; sein-Perfekt

→ Gram-Syntax: Kopulakonstruktion; Subjektsprädikativ

🕮 Ammann, A. [2005] Abbau und Anschwemmung: Doppelte Perfektbildungen und Grammatikalisierung im deutschen Tempussystem. In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ De Groodt, S. [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin [etc.]: 251–275 ◾ Buchwald, I. [2006] Zu den temporalen Bedeutungen von Perfekt II und Plusquamperfekt II im gesprochenen Deutsch. In: Heine, A. [Hg.] Deutsch als Fremdsprache – Konturen und Perspektiven eines Faches. Festschrift für Barbara Wotjak zum 65. Geburtstag. München: 40–56 ◾ Dahl, Ö. [1985] Tense and Aspect Systems. Oxford ◾ Ehrich, V. [1992] Hier und jetzt. Studien zur lokalen und temporalen Deixis. Tübingen ◾ Eroms, H.W. [1984] Die doppelten Perfekt- und Plusquamperfektformen im Deutschen. In: Eroms, H.-W. et al. [Hg.] Studia Linguistica et Philologia. Festschrift für Klaus Matzel zum 60. Geburtstag. Heidelberg: 343–351 ◾ Glück, H./ Sauer, W.W. [1997] Gegenwartsdeutsch. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hauser-Suida, U./ Hoppe-Beugel, G. [1972] Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. München [etc.] ◾ Hennig, M. [2000] Tempus und Temporalität in geschriebenen und gesprochenen Texten. Tübingen ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen ◾ Litvinov, V.P./ Radčenko, V. [1998] Doppelte Perfektbildungen in der deutschen Literatursprache. Tübingen ◾ Rödel, M. [2007] Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen (StDG 74). Tübingen ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Vater, H. [1994] Einführung in die Zeitlinguistik. Hürth-Efferen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin ◾ Welke, K. [2009] Das Doppelperfekt in konstruktionsgrammatischer Deutung. In: Eins, W./ Schmöe, F. [Hg.] Wie wir sprechen und schreiben. Festschrift für Helmut Glück zum 60. Geburtstag. Wiesbaden: 75–96.

Doppelpunkt

Interpunktionszeichen, das eine deiktische Orientierung auf die ihm folgende Einheit indiziert und so einen semantischen Zusammenhang zwischen der ihm vorangehenden und der ihm folgenden Einheit herstellt. ▲ colon: punctuation mark that indicates a deictic reference to the following unit, and thus establish-

es a semantic relation between the preceding and following units. ≡ Kolon → Gedankenstrich; Interpunktion → Gram-Syntax: Deixis ⇀ Doppelpunkt (Schrling)

Katharina Siedschlag

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Karhiaho, I. [2003] Der Doppelpunkt im Deutschen: Kontextbedingungen und Funktionen. Göteburg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

doppelte Artikulation

Gliederung der Sprache auf morphematischer und phonematischer Ebene. ▲ double articulation: structure of language on a morphemic and phonemic level. Durch die doppelte Artikulation unterscheidet sich die natürliche Sprache von anderen Kommunikationsmitteln. Die erste Artikulation eines sprachlichen Ausdrucks erfolgt in ihren kleinsten bedeutungstragenden Einheiten. Die Äußerung Ich habe Kopfweh enthält fünf derartige bedeutungstragende Einheiten: ich, hab-, -e, Kopf, Weh. Sie entsprechen Morphemen (in der Terminologie Martinets Monemen). Die zweite Artikulation zerlegt die gewonnenen Einheiten der ersten Gliederung in ihre bedeutungsunterscheidenden Elemente. Für das Element Kopf sind dies die Einheiten k, o, p, f. Sie entsprechen Phonemen. Eilika Fobbe ≡ doppelte Gliederung; zweifache Gliederung → Monem; Morphem; Sprachzeichen ⇁ double articulation (Phon-Engl; TheoMethods; Typol)

🕮 Martinet, A. [1963] Grundzüge der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Stuttgart ◾ Mounin, G. [1973] Sprache. In: Martinet, A. [Hg.] Linguistik. Ein Handbuch. Stuttgart: 117–123.

doppelte Gliederung ≡ doppelte Artikulation

doppelte Negation

gleichzeitiger Gebrauch von zwei Ausdrucksmitteln der Negation. ▲ double negation: simultaneous use of two negative expressions. In der klassischen Logik wird die doppelte Negation entsprechend dem Gesetz der doppelten

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doppelte Verneinung 252

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Negation behandelt: Die Negation eines negierten (Aussage-)Satzes ergibt seine Affirmation (lat.: duplex negatio affirmat). Der doppelt negierte Satz hat demnach denselben Wahrheitswert, wie ein entsprechender affirmativer Satz (1). (1) Niemand ist nicht gekommen. [Alle sind gekommen.] Auch in der modernen dt. Sprache wird beim gleichzeitigen Auftreten von zwei Negationsmitteln die eine Negation durch die andere aufgehoben ((2), (3)). (2) Anna hat nie nichts gewusst. [Anna hat immer etwas gewusst.] (3) Niemand hat das Buch nicht gelesen. [Alle haben das Buch gelesen.] Eine andere Art der doppelten Negation stellt die Litotes dar – eine Stilfigur, mit deren Hilfe ein Sachverhalt mittels der Negation seines Gegenteils beschrieben wird, um dadurch eine vorsichtige Behauptung zu erreichen ((4), (5)). (4) Peter hat das Buch nicht ohne Interesse gelesen. (5) Anna sieht nicht schlecht aus. Die doppelte Negation darf nicht mit der Mehrfachnegation verwechselt werden, bei der es um die negative Kongruenz der Indefinita mit der Prädikatsnegation geht, wie es z.B. in den gegenwärtigen slaw. Sprachen der Fall ist (für das Ukr. in (6)). (6) Ja nikoly nikomu nichoho ne obicjaju. ['Ich verspreche nie jemandem etwas.'] (6a) *Ich nie niemandem nichts nicht verspreche. Diese Negation findet man auch in Süddeutschland, in Österreich und in der Schweiz (7). (7) Ich habe jetzt noch keinen Hunger nicht. Eine besondere Art der doppelten Negation stellen Kombinationen von einem verneinten Hauptsatz und einem mit nicht negierten, mit bis, ehe oder bevor eingeleiteten Nebensatz dar. Hier ist der Nebensatz eher ein Bedingungssatz als ein Temporalsatz (8). (8) Ich sage nichts, bevor ich nicht mit meinem Anwalt gesprochen habe. [Ich sage etwas erst, wenn ich mit meinem Anwalt gesprochen habe.] Alla Paslawska ≡ Doppelnegation; doppelte Verneinung → Mehrfachnegation; Negation; Negationswort → Gram-Syntax: Konditionalsatz

⇀ doppelte Negation (SemPrag)

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2004] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 4., unveränd. Druck der Neubearb. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

doppelte Verneinung ≡ doppelte Negation

doppelter Dativ

Vorkommen zweier Dativ-Nominalphrasen im gleichen Satz. ▲ double dative: co-occurrence of two dative NPs in the same sentence. Während in Sprachen wie dem Lat. der doppelte Dativ häufig auftritt und daher dort als Terminus geprägt worden ist, ist dieses Phänomen im Dt. wenig frequent. In der Fachlit. wird vor allem dem ethischen Dativ die Fähigkeit zugesprochen, zusammen mit anderen Dativen auftreten zu können (Wegener 1989: 9), (1). Jedoch ist das Vorkommen zweier Dative im gleichen Satz auch bei anderen Dativtypen nicht ausgeschlossen (Hole 2014: 324), ((2), (3)). (1) Nun wasch mir dir endlich die Haare! [mir: dativus ethicus; dir: dativus possessivus] (2) Der David hat mir der Claudia schon zu viele Geschenke gegeben. [mir: dativus iudicantis; der Claudia: Dativobjekt] (3) Ich habe der Maria dann ihre Falafel dem Oliver auf den Teller gelegt. [der Maria: dativus possessivus; dem Oliver: dativus commodi/possessivus] Diese Strukturen sind vor allem im Gesprochenen möglich. Da sie aber eine erhebliche kognitive Verarbeitung seitens des Hörers verlangen, sind sie eher selten. Fabio Mollica

→ Dativ; dativus commodi; dativus ethicus; dativus iudicantis; dativus possessivus; freier Dativ

→ Gram-Syntax: Dativobjekt

🕮 Hole, D. [2014] Dativ, Bindung und Diathese (SG 78). Berlin ◾ Wegener, H. [1989] Eine Modalpartikel besonderer Art: Der Dativus Ethicus. In: Weydt, H. [Hg.] Sprechen mit Partikeln. Berlin [etc.]: 56–73.

doppeltes Genus

doppelte Genuszuweisung bei Substantiven.

253 Dualis ▲ double gender: double assignment of the gender

of nouns.

Manche Substantive haben mehr als ein Genus. Helbig/Buscha (2001: 249f.) zufolge werden im Dt. drei Gruppen von Substantiven unterschieden, die mit doppeltem Genus gebraucht werden. (a) Substantive mit gleicher Form, gleicher Bedeutung und verschiedenem Genus (z.B. der/das Filter; auch: schwankendes Genus). Das Schwanken im Genusgebrauch ist z.T. regional bedingt (z.B. das Radio, aber südd., österr., schweiz. auch der Radio), z.T. ist in Fachsprachen ein anderes Genus üblich als in der Allgemeinsprache (z.B. das Virus in der biologischen und medizinischen Fachsprache; der/das Virus in der Allgemein- und der Fachsprache der Informatik). Oft schwanken Lehnwörter im Dt. im Genusgebrauch (vgl. Schulte-Beckhausen 2002). (b) Substantive mit gleicher Form, verschiedener Bedeutung und verschiedenem Genus (Homonyme). Diese können miteinander verwandt sein (vgl. der Kristall ['Stoffform, Mineral'] / das Kristall ['geschliffenes Glas']) oder völlig verschiedene Bedeutung haben (der Leiter ['Vorgesetzter'] / die Leiter ['zum Steigen bestimmt']). (c) Substantive mit ähnlicher Form, verschiedener Bedeutung und verschiedenem Genus (z.B. der Typ ['Eigenart, Gattung'] / die Type ['Drucktype']). Edyta Błachut

→ Artikel; Genus; Genusdetermination; Genusschwankung; Substantiv

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Schulte-Beckhausen, M. [2002] Genusschwankung bei englischen, französischen, italienischen und spanischen Lehnwörtern im Deutschen. Frankfurt/Main [etc.].

dritter Fall ≡ Dativ

Dual

≡ Dualis

Dual, arbiträrer → arbiträrer Dual

duale tantum

Nomen, das nur in einem Numerus, im Dualis, vorkommt. ▲ duale tantum: noun which appears only in dual form. In Sprachen mit einem Dualsystem gibt es häufig Nomina, die ein defektives Numerusparadigma bilden, da sie nur über eine Dualform verfügen, d.h. kein Gegenstück in den anderen Numeri haben. Die Existenz dieser dualia tantum folgt vor allem aus ihrer Semantik, denn sie bezeichnen Referenten, die immer paarweise auftreten, wie in (1) aus dem klassischen Arab. (1) al-waalid-aaniDualis ['die-Eltern'] György Scheibl

→ arbiträrer Dual; Dualis; Dualpronomen; Nomen; Numerus

🕮 Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Dualis

Kategorie eines Numerussystems, welches die Zweizahl, die Zweiheit oder die Paarigkeit von Entitäten formal, semantisch oder syntaktisch ausdrückt. ▲ dual: category of a number system which expresses the duality, the pairing or the coupleness of entities formally, semantically or syntactically. Der Dualis ist neben Singular, Trialis, Paucalis und Plural eine semantische oder syntaktische Numeruskategorie. Die grammatische Kategorie Numerus kann im Rahmen verschiedener Numerussysteme Bedeutungen im Spektrum von Transnumeralität oder Numeralität sowie von diskreter Einheit, diskreter Vielheit, nicht-diskreter Vielheit u.a. ausdrücken (vgl. Biermann 1982: 233–239). Nicht alle Nomina müssen entweder singularisch oder pluralisch sein, sondern „[…] der sogenannte Singular ist ursprünglich Einheit des Begriffs, nicht der Zahl, und kann den Plural bereits implicirt enthalten“ (Tobler 1883: 410f.). Nach Brugmann (1904: 387) ist der Dualis „formantisch“ ein Singular, dessen wesentliche Bildungselemente die Zweizahl/Zweiheit/Paarigkeit von Entitäten markieren. Das Personalpron. kann ein Ausgangspunkt der Numeruskategorie Dualis sein ((1)–(3)). (1) got. wit 'wir beide' [got. weis 'wir'] (2) bair. ös 'ihr' [urspr. 'ihr beide']

D

Dualpronomen 254

D

(3) bair. enk 'euch' [urspr. 'euch beide'] Ebenso ist der Dualis in einigen Sprachen eine grammatische Kategorie des Subst. ((4), (5)), die durch Kongruenz auf andere Wortarten sowie auf das finite Verb übertragen werden kann. (4) sanskrit ahanī 'Tag und Nacht' (5) sanskrit pitārān 'Vater und Mutter' In manchen Sprachen haftet der Dualis somit am Pron. und erstreckt sich nur auf den Einflussbereich des Pronomens (z.B. Sprachen des östlichen Asiens, der Südsee-Inseln, die chaymische Sprache, die tamanakische Sprache, Reste des Dualis in dt. Volksmundarten). Das häufige Vorkommen des Dualis bei Pronomina führt zu der Unterteilung in den inklusiven Dualis ('wir zwei') (1) und den exklusiven Dualis ('ihr zwei') (2). Andere Sprachen schöpfen den Dualis aus der Erscheinung der in der Natur paarweise vorkommenden Objekte (z.B. 'beide Ufer eines Flusses', 'Ober- und Niederägypten', 'Sonne und Mond'), der Gliedmaßen des Körpers (z.B. 'beide Hörner', 'beide Ohren'), so dass in diesen der Dualis unter Umständen nicht über diese Begriffe bzw. nicht über das Nomen hinausreicht (z.B. die totonakische Sprache oder das Quechua). Einige Sprachen durchdringt der Dualis vollständig und erscheint in allen Redeteilen, in welchen er Geltung erhalten kann (z.B. die sanskritischen Sprachen, das Grönländische, die araukanische Sprache, das Lappische) (Humboldt 1828: 14ff.). Im Germ. war der Dualis als eine grammatische Kategorie für natürliche Paarigkeit noch gut ausgeprägt. Das ide. Dualisparadigma wurde später oft durch Pluralformen ersetzt. Ebenso übernahmen ursprüngliche Dualisfomen Pluralfunktion (z.B. bair. ös 'ihr'; bair. enk 'euch'; russ. oči 'Augen'; russ. uši 'Ohren'; russ. pleči 'Schultern'). Lebendig war der Dualis in verschiedenen Ausprägungen zu Humboldts Zeit im Litauischen, Lappischen, Bair. und einigen poln. Volksmundarten, auf den Färöer-Inseln, in Norwegen, Schweden und Deutschland, im Maltesisch-Arab. und Neu-Arab., im Araukanischen, im Malabarischen, im Malaiischen, Tagalischen und Pampangischen, auf Neuseeland und möglicherweise weiteren Inseln im südpazifischen Raum. Eine Unvollständigkeit dieser Erfassung des Vorkommens des Dualis muss angenommen werden (Humboldt 1828: 12). Gegenwärtig wird der Dualis z.B. im Slowenischen und Ober- und

Niedersorbischen sowie als formale Dualrelikte im Bair. gepflegt. Maria Schädler ≡ Dual → Abundanzplural; Äquivalenzdual; arbiträrer Dual; duale tantum; Dualpronomen; Numerus; Numeruskongruenz ⇀ Dualis (HistSprw) ⇁ dual (Typol)

🕮 Biermann, A. [1982] Die grammatische Kategorie Numerus. In: Seiler, H.-J./ Lehmann, C. [Hg.] Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen (LgUS 1). Tübingen: 229–243 ◾ Brugmann, K. [1904] Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen. Straßburg ◾ Fritz, M. [2011] Der Dual im Indogermanischen: Genealogischer und typologischer Vergleich einer grammatischen Kategorie im Wandel (IdgBib 3). Heidelberg ◾ Humboldt, W. von [1828] Ueber den Dualis. Berlin ◾ Tobler, L. [1883] Über den Begriff und besondere Bedeutung des Plurals bei Substantiven. In: ZfVölkerpsySprw 14: 410–434.

Dualpronomen

pronominale Form mit einer morphologischen Differenzierung hinsichtlich der Kategorie Dualis und Referenz auf zwei Entitäten. ▲ dual pronoun: pronominal form that exhibits a morphological differentiation regarding the category dualis and that refers to two entities.

Dualpronomina sind Proformen, die im Bereich der Personalpronomina eine morphologische Differenzierung hinsichtlich der Kategorie Dualis aufweisen. Sie werden gebraucht, um auf zwei Entitäten der außersprachlichen Wirklichkeit zu referieren. Auch in ide. Sprachen gibt es Dualpronomina, vgl. z.B. die Personalpronomina mój 'wir beide' vs. my 'wir' und wój 'ihr beide' vs. wy 'ihr (alle)' im Obersorbischen. Bei den Pronomina ös 'ihr' und enk 'euch' im Bair. handelt es sich um alte Dualformen in Pluralfunktion.

→ Dualis; Personalpronomen → Gram-Syntax: Proform

Agnes Kolmer

🕮 Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Plank, F. [1996] Domains of the dual, in Maltese and in general. In: RLing 8: 123–140.

durative Aktionsart

grundlegende Form der Aktionalität, die einen Vorgang ohne Angaben über Begrenzungen oder Abstufungen in seinem reinen Verlauf darstellt. ▲ durative aktionsart: basic form of lexical aspect describing a process purely in its development without specification of limits or gradation.

255

dynamisches Verb

Die durative Aktionsart kann im Dt. durch spezielle Verben (blühen, arbeiten, schlafen, laufen) ausgedrückt werden. Diese bezeichnen Vorgänge, die eine zeitliche Erstreckung haben (1). (1) Sie singen lustige Lieder. Punktuelle Verben benennen dagegen Vorgänge zu einem bestimmten Zeitpunkt (2). (2) Sie rannten los. In der germanistischen Ling. wird die Unterscheidung von telischer vs. atelischer Aktionsart der Unterscheidung von durativer vs. punktueller bzw. perfektiver Aktionsart vorgezogen (vgl. Duden 2016: 565–569; Krifka 1989). Die durative Aktionsart kann auch durch spezielle Lexeme und Syntagmen, z.B. durative Adverbiale (stets, fortwährend, zeitlebens) in einen Satz eingebracht werden. Auch die grammatische Verbformenbildung kann die durative Markierung vornehmen (3). (3) Sie hat geschlafen. [durativ] (3a) Sie ist eingeschlafen. [perfektiv] Die durative Aktionsart ist mit dem imperfektiven Aspekt (einer grammatischen Kategorie des Verbs in den Aspektsprachen) verwandt; z.B. steht bei russ. Verben der perfektive (vollendete) dem imperfektiven (unvollendeten) Aspekt gegenüber, der bei einem Vorgang das Merkmal 'ganzheitliches, zusammengefasstes Geschehen' unausgedrückt lässt (zum Unterschied von Aspekt und Aktionsart s. Vogel 1996: 163). Zu den durativen Verben zählt man auch die frequentativen (Wiederholung eines Geschehens: streicheln, flattern), die intensiven (Verstärkung eines Geschehens: brüllen, saufen) und die diminutiven (Abschwächung eines Geschehens: lächeln, hüsteln) Verben. Durative Verben sind verträglich mit Angaben wie zwei Stunden lang, seit Langem, aber nicht mit Angaben wie in einer Stunde. Auch bei Zeitspannen-Adverbialen wie in zehn Minuten gibt es Akzeptabilitätsprobleme ((4), vgl. Krifka 1989). (4) Sie las zwei Stunden lang Zeitung. (4a) *Sie las in zehn Minuten Zeitung. Christine Römer

→ Aktionsart; Aspektsprache; atelische Aktionsart; imperfektive Aktionsart; iterative Aktionsart; telische Aktionsart; Verb

→ Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Barz, I. [2016] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 644–774 ◾ Krifka, M. [1989] Nominalreferenz, Zeitkonstitution, Aspekt,

Aktionsart. In: Abraham, W./ Janssen, Th. [Hg.] Tempus, Aspekt, Modus. Tübingen: 227–258 ◾ Vogel, P.M. [1996] Wortarten und Wortartenwechsel. Zu Konversion und verwandten Erscheinungen im Deutschen und in anderen Sprachen. Berlin [etc.].

dynamisches Verb

verbaler Ausdruck, der einen Zustandswechsel oder das Fortdauern bzw. Aufrechterhalten eines Zustands bezeichnet. ▲ dynamic verb: verbal expression that denotes a change of state or the continuation of a state.

Dynamische Verben sind Teil einer Klasse dynamischer verbaler Ausdrücke (Prädikate). Es gibt zwei (überlappende) Gruppen dynamischer Prädikate (z.B. gehört rennen zu beiden): (a) Zustandswechselprädikate, deren Zustandswechsel explizit ist (z.B. eintreten: erst draußen, dann drinnen) oder implizit bleibt (wie der kontinuierliche Ortswechsel in gleiten); (b) Prädikate, die wie bleiben das Fortdauern oder Aufrechterhalten eines Zustands bezeichnen (Comrie 1976), inklusive Positionsverben (sitzen, stehen etc.) und agentiver/volitionaler Prädikate, denen zufolge ein Sachverhalt unter unmittelbarer Kontrolle eines Agens steht (z.B. lauschen; Vendler 1967; Dowty 1979). Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass man das Vorliegen eines Zustandswechsels wie auch das Fortdauern eines Zustands nur durch den Vergleich der Situation zu verschiedenen Zeiten feststellen kann. Dynamische Prädikate sind Prozess- oder Ereignisprädikate. Sie lassen sich durch Tests motivieren (Kompatibilität mit bestimmten Kontexten). Für dynamische Prädikate wird u.a. Kompatibilität mit zwingen, die Inkompatibilität mit Zeitpunktadverbialen (wie um fünf Uhr) und im Engl. die Inkompatibilität mit dem einfachen Präs. als Test angeführt: (1) jmdn. zwingen zu kommen (2) # um fünf Uhr ein Haus bauen (3) # John runs. Diese Urteile gelten für wörtliche Lesarten, die aber z.T. durch aspektuelle Reinterpretation (coercion) wieder akzeptabel werden (durch „#“ angezeigt), z.B. kann für (3) eine habituelle Zustandslesart angenommen werden. Viele dieser Tests sind jedoch problematisch, z.B. für das dynamische hinfallen: Zwingen selegiert eigentlich agentive VP-Komplemente und wäre daher nicht mit dem nicht-agentiven hinfallen kompatibel; dieses Verb kann außerdem von Zeitpunktadver-

D

dynamisches Verb 256

D

bialen modifiziert werden. In Ansätzen mit reifizierten Sachverhalten (spezielle Individuen, die als Argumente in den vom Verb denotierten Relationen auftreten, vgl. Davidson 1967), lassen sich dynamische Prädikate ontologisch von Zustandsprädikaten unterscheiden: Erstere führen „Ereignisse“, Letztere „Zustände“ ein (Krifka 1992), die sich z.B. dadurch unterscheiden, dass Ereignisse anders als Zustände stets räumlich lokalisierbar sind. Formal gesehen sind dynamische Prädikate nicht divisiv: Nicht jeder Teil eines Sachverhalts in der Extension eines Prädikats P fällt ebenfalls unter P. (Dies setzt voraus, dass die Domäne der Sachverhalte nicht atomar ist, d.h., keine kleinsten Elemente hat.) Die fehlende Divisivität erklärt, warum die meisten dynamischen Prädikate nicht mit Zeitpunktadverbialen kompatibel sind: Selbst minimale Sachverhalte in der Extension dieser Prädikate sind zu groß, als dass ihre Laufzeit in die durch diese Adverbiale bezeichnete Zeit passen würde (ausgenommen Prädikate wie aufblitzen oder hinfallen). Wenn man die Gegenwart als sehr kleines Zeitintervall ansieht, erklärt dies auch, warum das einfache Präs. des Engl. mit den meisten dynamischen Prädikaten inkompatibel ist. Diese zweite

Inkompatibilität gilt auch für Prädikate wie aufblitzen oder hinfallen, weil erst nach Erreichen des Nachzustands (hier Dunkelheit bzw. Liegen) konstatiert werden kann, dass ein Aufblitzen bzw. Fallen stattfand, aber dann der Sachverhalt bereits in der Vergangenheit liegt. In narrativen Texten spielt der Unterschied zwischen statischen und dynamischen Prädikaten eine große Rolle: Dynamische Prädikate konstituieren das eigentliche Gerüst der Handlung und lassen die Erzählzeit voranschreiten, während statische Prädikate Hintergrundinformation bieten. ≡ Nicht-Zustandsverb ↔ Zustandsverb → Ereignisverb; Verb

Markus Egg

🕮 Comrie, B. [1976] Aspect. Cambridge ◾ Davidson, D. [1967] The logical form of action sentences. In: Rescher, N. [ed.] The log­ic of decision and action. Pittsburgh, PA: 81–95 ◾ Dowty, D.R. [1979] Word Meaning and Montague Grammar. The Semantics of Verbs and Times in Generative Semantics and Montague’s PTQ. Dordrecht [etc.] ◾ Krifka, M. [1992] Thematic Relations as Links between Nominal Reference and Temporal Constitution. In: Sag, I./ Szabolcsi, A. [eds.] Lexical Matters. Stanford, CA: 29–54 ◾ Vendler, Z. [1967] Verbs and Times. In: Vendler, Z. [ed.] Linguistics in Philosophy. Ithaka, NY: 97–121.

E echtes reflexives Verb ≡ reflexives Verb

e-Dativ

≡ Dativ-e

e-Einschub

≡ e-Erweiterung

e-Erweiterung

Hinzufügung des Schwa-Vokals -e- zwischen dem Verbstamm und den Endungen -st und -t. ▲ e-insertion: e-schwa insertion between the verb stem and the -st or -t ending. Der Vokal Schwa (; [ǝ]) wird im Dt. im Präs. und im Prät. schwacher Verben zwischen den Verbstamm und die Personalendungen -st und -t sowie im Partizip II schwacher Verben vor -t eingeschoben. Dies geschieht normalerweise bei Verben, deren Stamm auf -d oder -t endet (Präs.: du redest, er/man/ihr redet; du betest, er/man/ihr betet; Prät.: ich/er redete; ich/er betete; Partizip II: geredet; gebetet), und bei Verben, deren Stamm auf Verschluss- oder Reibelaut + Nasal (-m, -n) endet (Präs.: du atmest, er/man/ihr atmet; du zeichnest, er/man/ihr zeichnet; Prät.: ich/er atmete; ich/ er zeichnete; Partizip II: geatmet; gezeichnet). Eine e-Erweiterung findet nicht statt, wenn der Verbstamm auf Liquid (-r-, -l-) + Nasal (-m, -n) endet (du lernst; ihr lernt; man/er lernte; gelernt; du filmst; ihr filmt; man/er filmte; gefilmt).

Edyta Błachut ≡ e-Einschub ↔ e-Tilgung → e-Fuge; Fugenelement; Konjugation; schwaches Verb; Verb

🕮 Darski, J. [1999] Bildung der Verbformen im Standarddeutschen. Tübingen ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U.

[2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

effektives Verb

telisches Verb, das ausdrückt, dass die betreffende Größe durch das verbale Geschehen erschaffen oder vernichtet wird. ▲ resultative verb: perfective verb which expresses that a particular entity is created or destroyed by the verbal event. Der Bestimmung eines Verbs als effektiv liegt eine semantische Klassifikation nach den Aktionsarten bzw. dem Geschehensablauf zugrunde. Telische oder perfektive Verben geben die zeitliche Begrenzung eines Geschehens bzw. den Übergang von einem Geschehen zu einem anderen wieder. Somit zerfallen die telischen Verben in folgende Subklassen, deren Definition sowie Untertypen in der Fachlit. allerdings nicht einheitlich sind: (a) Inchoative bzw. ingressive Verben bezeichnen den Beginn eines Geschehens (erblühen, losrennen); (b) mutative Verben drücken einen Übergang von einem Zustand in einen anderen aus. Häufig werden sie zu den inchoativen gezählt. Dazu gehören manchmal auch Verben, die von Adjektiven abgeleitet werden und eine Veränderung wiedergeben (erröten, reifen, altern); (c) resultative oder egressive Verben bezeichnen die Endphase eines Geschehens (verblühen); (d) punktuelle oder momentane Verben beschreiben ein auf einen kurzen Zeitpunkt beschränktes Geschehen (platzen, explodieren); (e) affektive Verben kennzeichnen ein Geschehen, das auf andere Gröβen einwirkt (binden, trennen, brechen). Einige können auch als Ornativa bezeichnet werden (bekränzen, ummanteln, vergolden u.a.). Zur Bestimmung der effektiven Verben lassen sich

e-Fuge 258

E

zwei voneinander abweichende Tendenzen erkennen: Die Begriffe effektiv sowie egressiv und resultativ werden zur Bestimmung des Endes einer Handlung synonymisch verwendet (vgl. Helbig/Buscha 2005) (1). (1) Die Nelken sind verblüht. Die Kennzeichnung egressiv ist auf das Aufhören bzw. das Ende einer Handlung eingeschränkt. Bei den Subklassen effektiv bzw. resultativ hingegen wird besonders das Ergebnis bzw. der abgeschlossene Wechsel in einen neuen Zustand hervorgehoben (vgl. Engel 2002). In diesem Fall liegt eine ergebnisbezogene Beschreibung vor ((2), (3)). (2) Dann hat er ein Streichholz entzündet. (3) Sie hat den Text beendet. María José Domínguez Vázquez → Aktionsart; egressive Aktionsart; inchoative Aktionsart; ingressives Verb; mutatives Verb; perfektive Aktionsart; resultative Aktionsart

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

e-Fuge

aus Schwa bestehendes Fugenelement. ▲ linking -e: linking element consisting only of schwa. Die e-Fuge tritt sowohl bei nominalen als auch bei verbalen Erstgliedern auf (hier als einzige neben der Nullfuge). Bei nominalen Erstgliedern, u.a. Tierbezeichnungen, wird sie paradigmisch verwendet, z.B. Pferde + stall, Hunde + leine (einzige Ausnahme: Mause + falle). In Verbindung mit Umlaut trägt sie Pluralbedeutung und steht in Opposition zu unverfugten Wortbildungsstämmen, z.B. Ärzte + kammer vs. Arzt + praxis. Als einzige Verbfuge kennzeichnet sie die Wortartzugehörigkeit des Erstgliedes, z.B. Bade + mantel oder Schiebe + dach. Sie tritt meist nach stimmhaftem verbalem Stammauslaut auf, z.B. Bade + anzug vs. Back + form (aber: Kleb + stoff oder Halte + stelle). Bei präfigierten Verbstämmen unterbleibt sie meist, z.B. Abblend + licht oder Beweg + grund. Renata Szczepaniak ≡ Schwafuge → e-Erweiterung; Fugenelement; Nullfuge; paradigmische Fuge; Pluralfuge; Wortbildung

🕮 Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222.

egressive Aktionsart

Phasenaktionsart, die den Abschluss einer Handlung betont. ▲ egressive aktionsart: phasal aspect emphasizing the completion of an action. Die egressive Aktionsart betont den (plötzlichen) Abschluss bzw. die Beendigung einer Handlung. Sie wird oft mit der resultativen Aktionsart gleichgesetzt. Spezielle Verben (wie platzen, finden im Dt. oder leave, stop, end im Engl.) können diese über ihre lexikalische Bedeutung zum Ausdruck bringen. (1) Der Reifen platzte. (2) Tom leaves from the door. Die egressive Aktionsart wird im Dt. u.a. auch durch das Präfix er- (erringen, ersteigen, erreichen) und Funktionsverbgefüge (bringt zum Abschluss, setzt außer Betrieb) ausgedrückt. Im Russ. wird sie häufig durch das Präfix ot- (otobedat’, 'das Mittagessen beenden') angezeigt. Christine Römer

→ Aktionsart; ingressives Verb; resultative Aktionsart → Gram-Syntax: Aspekt; Funktionsverbgefüge

🕮 Franceschini, D. [2015] Ingressive and Egressive Verbs in English: A Cognitive-Pragmatic Approach to Meaning. Cambridge ◾ François, J. [1985] Aktionsart, Aspekt und Zeitkon­ stitution. In: Schwarze, C./ Wunderlich, D. [Hg.] Handbuch der Lexikologie. Königstein/Taunus: 229–249.

Eigenname

Vertreter einer semantisch definierten Teilklasse von Substantiven, die individuelle Entitäten benennen. ▲ proper name; proper noun: semantically defined subclass of nouns which name individual entities. Eigennamen benennen individuelle Personen (Anthroponyme), z.B. Petra, Tiere (Therionyme), z.B. Waldi, Örtlichkeiten (Toponyme), z.B. Berlin, Objekte (Ergonyme), z.B. die Titanic, Ereignisse (Praxonyme), z.B. die Französische Revolution, Phäno-

259 Eindrucksverb mene (Phanonyme), z.B. Alzheimer, Familien- und Völkernamen (Ethnonyme), z.B. Müller, Römer, sowie Markennamen, z.B. Tesafilm, Nutella. Prinzipiell unterscheiden sich Eigennamen von den Appellativa hinsichtlich ihrer referenzsemantischen Charakteristika und kommunikativen Funktionen und unter grammatischem Aspekt. Eigennamen identifizieren, Appellativa bezeichnen durch charakterisierende Wörter den Referenten (Koẞ 2002: 74). Da Eigennamen, wie Deiktika, eine außersprachliche Situierung vornehmen, ersetzen sie deiktische Gesten und können Texte ohne Vorerwähnung eröffnen (1), Appellativa hingegen nicht (2). (1) Petra ist verheiratet. Sie hat ein Kind. (2) Im Café sitzt eine Frau. Diese Frau ist Schauspielerin. Die Genusopposition dient (wie auch im Engl. und im Frz.) zur semantischen Differenzierung von Namenklassen und zur Abgrenzung von homonymen Appellativa: (3) das schöne Hof in Franken – der schöne Hof in Franken Heidi Flagner ≡ nomen proprium; Proprium ↔ nomen commune → Genus; Personenname; Substantiv → Gram-Syntax: Deixis ⇀ Eigenname (Onom; HistSprw; CG-Dt; Lexik; Sprachphil; ­SemPrag) ⇁ proper name (TheoMethods; Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Koẞ, G. [2002] Namenforschung. Eine Einführung in die Onomastik. 3., aktual. Aufl. Tübingen.

Eigenschaftsgenitiv ≡ genitivus qualitatis

Eigenschaftsnomen ≡ nomen qualitatis

Eigenschaftswort ≡ Adjektiv

Eignungsadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine passivisch-modale Bedeutung aufweisen. ▲ ability adjective: semantically defined subclass of adjectives which have a passive modal meaning.

Eignungsadjektive sind deverbale Adjektive mit passivisch-modaler Bedeutung. Sie geben an, wozu sich etwas eignet bzw. was damit gemacht werden kann: x ist essbar / eignet sich zu essen / kann gegessen werden. Dabei handelt es sich um Wortbildungsprodukte, die mittels verschiedener Suffixe gebildet werden wie -lich, -abel/-ibel oder -bar: verträglich, erklärlich, akzeptabel, praktikabel, konvertibel, disponibel, annehmbar, trinkbar. Teilweise ergeben sich konkurrierende Formen wie erklärbar/erklärlich oder unersetzlich/unersetzbar. (1) Es ist schwer erklärbar, warum Japans Premierminister Junichiro Koizumi so viel Freude an der Provokation hat. (Nürnberger Zeitung, 18.10.2005) (2) Dass Windsurfen, ähnlich wie Segeln, großen Spaß macht, lässt sich leicht nachvollziehen. Aber die Faszination des Surfens im Sinne von Wellenreiten ist schwer erklärlich. (Nürnberger Zeitung, 07.10.2008: 7) Mitunter begegnen auch Bildungen mit den Suffixen -sam oder -ig wie biegsam, unaufhaltsam, zulässig. Jussara Paranhos Zitterbart

→ abgeleitetes Adjektiv; Adjektiv; Passivvariante → Gram-Syntax: Modalpassiv; Quasi-Passiv

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Eindrucksverb

Vertreter einer semantischen Klasse von Verben, mit dem ein hypothetischer Vergleich eingeleitet wird. ▲ impression verb: representative of a semantic class of verbs introducing a hypothetical comparison.

Eindrucksverben (z.B. sich anfühlen, klingen, riechen, wirken, den Anschein haben, den Eindruck machen) beziehen sich auf einen hypothetischen Vergleich; sie fordern valenzbedingt einen hypothetischen Komparativsatz. Während hypothetische Komparativsätze i.A. freie Angaben, also valenzunabhängig sind, erweisen sie sich bei Eindrucksverben als obligatorisch (1) und können nicht entfallen (2). (1) Das Klavier klingt, als ob es länger nicht gestimmt wurde. (2) *Das Klavier klingt. Thorsten Roelcke

E

einfache Konjunktion 260

→ Komparation; Verb → Gram-Syntax: hypothetischer Komparativsatz; obligatorisch; Valenz

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

E

(3)

Er weiß nicht, was sie will. Christine Römer

→ Adverb; Konjunktion; Relativpronomen; Wort → Gram-Syntax: eingeleiteter Nebensatz; Gliedsatz; Gliedteilsatz; indirekter Fragesatz; Nebensatz; Satzgefüge

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.].

einfache Konjunktion ≡ einteilige Konjunktion

Einordnungsadverb

einfache Verbform

≡ synthetische Verbform

einfaches Komma

einzeln verwendetes Interpunktionszeichen, das koordinierte, subordinierte oder herausgestellte Strukturen indiziert. ▲ simple comma: singly used punctuation mark that indicates coordinated, subordinated or dislocated elements. Katharina Siedschlag

→ Interpunktion; Komma → Gram-Syntax: Herausstellung; Koordination; Satzkoordination; Subordination

🕮 Behrens, U. [1989] Wenn nicht alle Zeichen trügen. Interpunktion als Markierung syntaktischer Konstruktionen (ASpran 9). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467.

eingliedrige Konjunktion ≡ einteilige Konjunktion

Einheit, morphologische → Morph

Einleitewort

Wort, das einen Nebensatz einleitet. ▲ close-introducing word: word that introduces a clause. Nebensätze (Glied- bzw. Gliedteilsätze) können in einem Satzgefüge durch eine Konjunktion, ein Pron. oder Adverb eingeleitet werden. Dieses Einleitewort stellt die Verbindung zum übergeordneten Satz her. Nach dem Anschlusswort an den Matrixsatz kann ein Nebensatz als Konjunktionalsatz (1), Relativsatz (2) oder indirekter Fragesatz (3) bezeichnet werden. (1) Er hat gesagt, dass ich gehen soll. (2) Sie bekommt das Geschenk, das sie sich gewünscht hat.

Adverb, mit dem der Sprecher zu seiner Aussage Stellung nimmt. ▲ ranging adverb: adverb which is used by the speaker to express a subjective comment or a certain perspective on his utterance. Der Terminus wird von Helbig/Buscha (2001: 437) verwendet, die auch die adverbial verwendeten Adjektive (die sog. „Adjektivadverbien“) zur Kategorie Adverb zählen. Zu den Einordnungsadverbien gehören Wörter wie gefühlsmäßig, theoretisch, praktisch, die aber auch als Adverbien der Art und Weise ((1), (2)) verwendet werden können. (1) Er handelt immer gefühlsmäßig. (2) Diese Aufgabe kann nicht theoretisch, sondern nur praktisch bewältigt werden. In (3) und (4) drückt der Sprecher hingegen seine subjektive Betrachtungsweise bzgl. des Satzinhalts aus, was dadurch deutlich wird, dass das Adverb mit dem Partizip betrachtet oder gesehen ergänzbar ist. (3) Gefühlsmäßig (betrachtet) erweckt seine Handlungsweise Sympathie, aber vernunftmäßig (gesehen) ist ein solches Benehmen nicht akzeptabel. (4) Theoretisch (betrachtet) ist es möglich, diese Aufgabe zu bewältigen, praktisch (gesehen) ist es sehr schwierig. Modaladverbien wie leider, vielleicht, vermutlich u.a. haben ausschließlich diese kommentierende Funktion ((5), (6)). (5) gefühlsmäßig agieren vs. *leider agieren (6) theoretisch bewältigen vs. *vermutlich/vielleicht bewältigen Kjell-Åke Forsgren

→ Adjektivadverb; Adverb; Modaladverb; Modalwort → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

261

elliptisches Possessivpronomen

Einschubwort ≡ Modalwort

Einstellungspartikel

≡ Abtönungspartikel; Modalpartikel

einteilige Konjunktion

Konjunktion, die aus nur einem Wort besteht. ▲ monolexemic conjunction: conjunction consisting of only one word. Zu den einteiligen Konjunktionen, die meist tokenfrequenter als die mehrteiligen sind, gehört der Kernbestand der Konjunktionen (z.B. und, oder, aber, obwohl, da). Sie besetzen die Position zwischen den Konnekten unabhängig von deren Komplexität ((3)–(9)). Anders als Konjunktionaladverbien (2) bewirken sie bei Koordination von Verbzweitsätzen keine Subjektsinversion ((1), (7)). (1) Sarah studiert in Mainz, aber Marius arbeitet in Wiesbaden. (2) Sarah studiert in Mainz, jedoch wohnt sie in Wiesbaden. Einteilige Konjunktionen – koordinierende ((3)–(7)) wie subordinierende ((8), (9)) – gehören unterschiedlichen textsemantischen Klassen an. (3) Kaffee und Kuchen [additiv] (4) Tee oder Kaffee? [alternativ] (5) hart, aber herzlich [adversativ] (6) Sie antwortete höflich, doch bestimmt. [konzessiv] (7) Sie musste sich beeilen, denn sie war zu spät. [kausal] (8) Er kann nicht laufen, da er sich verletzt hat. [kausal] (9) Wenn du willst, komme ich gern mit. [konditional] Insbesondere die „Universalkonjunktion“ (Breindl et al. 2014: 408) und erlaubt aufgrund ihrer abstrakten Grundfunktion eine Weiterinterpretation zu anderen Relationen, darunter die konsekutive, konditionale oder konzessive Interpretation ((10)–(12)). (10) Es war kalt und ich begann zu frieren. [konsekutiv] (11) Gib einen Ton von dir und du bist tot. [konditional] (12) Es regnet und Lisa will ins Freibad. [konzessiv] Melitta Gillmann

≡ einfache Konjunktion; eingliedrige Konjunktion ↔ mehrteilige Konjunktion; paarige Konjunktion → Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konjunktor; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Koordination; Subordination

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren. Bd. 2: Semantik. Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin [etc.] ◾ Nübling, D. [2009] Die nicht flektierbaren Wortarten. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 567–625.

Einzahl

≡ Singular

Elativ

≡ absoluter Superlativ ⇀ Elativ (Wobi; HistSprw; Lexik)

Element, deiktisches → deiktisches Element

Element, dislozierbares → dislozierbares Element

elliptisches Possessivpronomen

Possessivpronomen, das ohne Substantiv gebraucht wird. ▲ elliptical possessive pronoun: possessive pronoun that occurs without a noun. Das elliptische Possessivpron. (Duden 1998: 337) drückt einen Besitz oder eine Zugehörigkeit aus, wobei das im Besitz befindliche Objekt oder das Objekt der Zugehörigkeit aus dem Kontext oder dem Weltwissen erschlossen werden muss. Es wird in der Regel ohne Artikel verwendet und nach den Kategorien Kasus, Numerus und Genus flektiert. (1) Alle Computer können rechnen, jedenfalls meiner. (2) Das ist dein Wagen. Das ist meiner. Das elliptische Possessivpron. kann auch mit Artikel gebraucht werden und erhält dann die Markierung, die ein Adj. nach dem Artikel bekommt. (3) Er liebt die Seinen. Beim Gebrauch mit Artikel wird die Form mit dem Suffix -ig bevorzugt, z.B. die seinigen, die deinigen. (4) Die Blumen im Nachbargarten blühen schon, die unsrigen sind noch nicht so weit.

E

endozentrische Zusammensetzung 262 In Duden (2005: 287) ist hier bereits von dem possessiven Adj. und nicht mehr von einem elliptischen Possessivpron. die Rede.

E

Janusz Taborek ≡ possessives Adjektiv → Possessivpronomen; Pronomen; Substantiv → Gram-Syntax: Ellipse

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

endozentrische Zusammensetzung

Determinativkompositum, das eine Größe näher bestimmt, welche das Grundwort bezeichnet. ▲ endocentric compound: determinative compound which specifies an entity denoted by its head word. Pál Uzonyi

↔ exozentrische Zusammensetzung → Determinans (2); Determinatum; Endozentrizität; Kompositum

→ Gram-Syntax: Kopf ⇁ endocentric compound (Woform; Typol)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Endozentrizität

Eigenschaft komplexer Konstituenten, deren Merkmale durch eine unmittelbare Teilkonstituente bestimmt werden. ▲ endocentricity: property of complex constituents whose features are determined by an immediate subconstituent. Konstituenten, die aus mehreren Teilkonstituenten bestehen, gelten als endozentrisch, wenn sie zur selben Formklasse, oft auch zur selben Bedeutungsklasse wie eine ihrer Teilkonstituenten gehören. Die Teilkonstituente, die über die Merkmale der übergeordneten Konstituente entscheidet, ist ihr Kopf. Eine Phrase wie heiße Suppe gilt als endozentrisch, da sie ihre syntaktische Kategorie mit ihrer Tochterkonstituente Suppe teilt. Zudem kann heiße Suppe an der gleichen Stelle im Syntagma eingesetzt werden wie ihr Kopf Suppe und ist somit durch diesen substituierbar. Beide Konstituenten gehören sowohl derselben Formklasse als auch derselben Bedeutungsklasse an. Substituierbarkeit als Kriterium für Endozentrizität führt dazu, dass Konstituenten wie mit Sah-

ne nicht als endozentrisch klassifiziert werden können. Die PP mit Sahne übernimmt zwar die kategorialen Eigenschaften ihres präpositionalen Kopfes, kann jedoch im Syntagma (z.B. in das Eis mit Sahne essen) durch keine ihrer Teilkonstituenten ersetzt werden. Beschränkt man den Endozentrizitätsbegriff hingegen auf das Kriterium der Merkmalsweitergabe, lassen sich deutlich mehr Konstituenten als endozentrisch klassifizieren. In traditioneller Sicht gelten Sätze nicht als endozentrisch, da sich wie z.B. in (1) aus einer NP und einer VP eine Konstituente der Kategorie S ergibt. In modernen generativen Theorien wird auch Sätzen ein eigener Kopf zugestanden. Durch die Verwendung phonetisch ungefüllter syntaktischer Positionen und den Verzicht auf das Kriterium der Substituierbarkeit können theoretisch alle syntaktischen Konstituenten als formal endozentrisch analysiert werden. (1) [[HugoN]NP [schwimmtV]VP]S Das Konzept der Endozentrizität findet auch bei der Klassifikation von Komposita Anwendung. Ein Determinativkompositum wie Hochhaus ist formal und inhaltlich endozentrisch. Es teilt die Wortart, das Genus und die Flexionsklasse mit seinem Zweitglied Haus und bildet ein Hyponym zu diesem. Das Zweitglied Haus ist dadurch als Kopf des Kompositums qualifiziert. Ein Possessivkompositum wie Sturkopf hingegen gilt i.A. nur formal, nicht jedoch inhaltlich als endozentrisch. Es stimmt in den formalen Merkmalen mit seinem Zweitglied überein, bildet jedoch kein Hypo­ nym zu einer seiner Teilkonstituenten. Vielmehr liegt auf inhaltlicher Seite eine metonymische Verschiebung vor. Verzichtet man erneut auf das Kriterium der Substituierbarkeit, so lassen sich auch Derivationen als endozentrisch einordnen. In einem morphembasierten Ansatz bestimmt das Affix in Wörtern wie Lesung oder lösbar die Merkmale des Derivats. Im Gegensatz zu Determinativkomposita bildet das Derivat jedoch nicht direkt zu seinem Kopf ein Hyponym, sondern vielmehr zu einem abstrakten Begriff, der die Bedeutung des Affixes beinhaltet, ähnlich den teilgeneralisierten Schemata in konstruktionsgrammatischen Ansätzen. Die Verwendung von Nullmorphen ermöglicht es, Konversionen endozentrisch zu analysieren, wodurch letztlich auch allgemein als exozentrisch klassifizierte Bildun-

263 (e)n-Fuge gen wie das ital. lavapiatti oder das engl. pickpocket mittels Konversion als formal endozentrisch eingestuft werden können. Neben der subordinativen Endozentrizität, die pro Konstituente einen Kopf vorsieht, wird z.T. noch die koordinative Endozentrizität angesetzt, die z.B. Koordinationsstrukturen wie Hunde und Katzen als mehrköpfig ansieht. Das Konzept wird jedoch nicht in allen Theorien benötigt. Manuela Korth

→ § 10, 18, 24; endozentrische Zusammensetzung; exozentrische Zusammensetzung; Kompositum; Konversion → Gram-Syntax: Konstituente; Kopf; Satz

🕮 Barri, N. [1975] Note terminologique: endocentrique – exocentrique. In: Ling 163: 5–18 ◾ Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY ◾ Fábregas, A./ Scalise, S. [2012] Morphology. From data to theories. Edinburgh ◾ Hincha, G. [1961] Endocentric vs. exocentric constructions. In: Lingua 10: 267–274 ◾ Hockett, C.F. [1958] A Course in Modern Linguistics. New York, NY.

endungsloser Plural ≡ Nullplural

Endungslosigkeit

Eigenschaft einer Einheit, keine Endung zu tragen. ▲ having no ending: property of a unit of carrying no ending. Endung ist zunächst kein linguistischer Terminus. Er bezieht sich teils auf morphologische, teils auf phonologische finale Einheiten wie Silben, aber auch auf Größen außerhalb der Linguistik wie bei Dateinamen (.doc). Entsprechend ist auch Endungslosigkeit nur innerhalb eines Ansatzes z.B. mit Suffixlosigkeit oder sogar ,ohne finales Flexivʻ gleichgesetzt. So haben die heimischen Nomen im Dt. keine eigene Flexionsendung für den Nominativ Sg.

→ Affix; Flexiv; Nullsuffix

Hilke Elsen

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Energikus

Modus der kategorischen Behauptung. ▲ energetic mode: mode of categorical assertion. Modus der Behauptung, wobei der Sprecher zusätzlich seine diesbezügliche Gewissheit anzeigt. Optionen der Markierung sind u.a. Prosodie

(vgl. sie KOMMT!), Extraktion der generischen Ereignissemantik (vgl. engl. she does come), pragmatische Marker (vgl. sie kommt DOCH!), Cleft-Strukturen (vgl. es ist so, dass sie kommt) und (seltener) morphologische Marker (vgl. klassisch-arab. yaktub-anna 'er wird sicherlich [-anna] schreiben'). Wolfgang Schulze

→ Akzent; Debitiv; Modus; Permissiv; Prohibitiv; Prosodie → Gram-Syntax: Fokus; Satzspaltung

🕮 Haywood, J.A./ Nahmad, N.H. [1965] A New Arabic Grammar. 2nd ed. London ◾ Höhle, T. [1988] Verum-Fokus. In: S&P 5: 1–7.

(e)n-Fuge

prosodisch variables Fugenelement mit silbischer, dann mit Schwa, und unsilbischer Variante. ▲ linking -(e)n: prosodically variable linking element consisting of n which can be syllabic or non-syllabic. Die (e)n-Fuge wird produktiv verwendet (a) bei allen schwachen Maskulina (Kunden + gespräch, Bären + stärke), (b) bei vielen schwachen Feminina (Blumen + vase, Schriften + reihe) und (c) bei einigen (früher schwachen) Neutra (Ohren + schmerzen, Augen + blick). Silbische sowie unsilbische Varianten sind prosodisch bedingt; die silbische tritt an einsilbige bzw. endbetonte Stämme (Bären + kraft, Schriften + reihe; Antiquitäten + handel), die unsilbische an zweisilbige bzw. auf Penultima betonte Stämme (Kunden + service, Blumen + vase; Garderoben + ständer). Bei Feminina und Neutra konkurriert ‑n oft mit der Nullfuge (Frische + siegel) und der Subtraktionsfuge (Sprach + wissenschaft vs. Sprachen + frage; Augen + blick vs. Aug + apfel). Die (e)n-Fuge wird meist paradigmisch verwendet (nicht-paradigmisch nur bei einst schwachen, heute starken Maskulina wie in Hahnen + fuß). Bei Feminina hat sie häufig eine explizite Pluralbedeutung (Sprach + schule vs. Sprachen + schule). Renata Szczepaniak

→ (e)n-Genitiv; Fugenelement; Nullfuge; paradigmische Fuge; Pluralfuge; Subtraktionsfuge

🕮 Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer

E

(e)n-Genitiv 264 Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222.

(e)n-Genitiv

E

Flexionsklassenmerkmal der schwachen Maskulina, die im Genitiv Singular die Kasusendung -n oder -en bekommen. ▲ (e)n-genitive: characteristic of weak masculine nouns which get the inflectional marker -n or -en in the genitive case in the singular. Der (e)n-Genitiv gilt als Merkmal der schwachen Substantivflexion, die dadurch gekennzeichnet ist, dass alle Kasusformen außer dem Nominativ Sg. das Flexiv -en oder -n bekommen und die Pluralendung ebenfalls -en oder -n ist. Die Zuordnung der Substantive zur schwachen Flexion erfolgt in der Fachlit. unterschiedlich: Laut Duden (2001: 806) werden einige Maskulina und die meisten Feminina nach der schwachen Flexion dekliniert. Diese Position ist hist. vertretbar, da viele Feminina im Mhd. noch ein n-Kasusflexiv in den obliquen Kasus im Sg. erhalten haben (z.B. mhd. kirchen[Akkusativ/Dativ/Genitiv]). Diese n-Haltigkeit in der Flexion haben Feminina im heutigen Dt. nur im Pl. bewahrt, die Kasusformen im Sg. sind endungslos (Vogel 2009: 84f.). Da die Kasusmarkierung im Sg. und insbesondere der Genitiv Sg. auch heute ausschlaggebend für die Flexionsklasse ist, gehen die meisten Grammatiken von einer kleinen Restklasse der schwachen Nomina aus, die ausschließlich Maskulina beinhaltet. Die schwachen Maskulina bezeichnen sehr häufig etwas Belebtes (Personen oder Tiere). Die schwache Genitivendung -(e)n kann silbisch oder nichtsilbisch realisiert werden, die Wahl der silbischen oder nichtsilbischen Variante hängt von „einfachen phonotaktisch-prosodischen Prinzipien“ ab (Eisenberg 2006: 169), z.B. des Zeuge-n, des Prinz-en. Bei den schwachen Maskulina lässt sich die Tendenz des Flexionsklassenwechsels beobachten, indem einige schwache Nomina in die starke Klasse wechseln. Insbesondere bei Substantiven, die im Nominativ Sg. nicht auf -e enden, fällt der (e)n-Kasusflexiv im Akkusativ und Dativ Sg. weg, im Genitiv Sg. wird die starke Endung -(e)s realisiert. Die Pluralform kann unter Umständen ebenfalls schwanken (z.B. des Magnets/ Magneten, dem/den Magnet/Magneten, Pl. die

Magneten/Magnete). Bei einigen Substantiven, deren Nominativform auf -e endet und die nicht Belebtes ausdrücken (z.B. Friede(n), Funke(n)), kann man im Laufe des Flexionsklassenwechsels eine strukturelle Reanalyse beobachten: Der Genitiv Sg. erhält zusätzlich die starke Genitivendung -s (Friedens), während sich der ursprüngliche Kasusflexiv -n auch auf den Nominativ Sg. überträgt. So entsteht ein einheitlicher Singularstamm, der nur noch im Genitiv suffigiert wird. Da die ursprüngliche Grundform auf -e (Friede oder Funke) nicht sofort verschwindet, schwankt die Flexion dieser Substantive. Neben der Reanalyse von -n als Bestandteil des Stammes ist auch der Wegfall von -n möglich. In diesem Fall wird die starke Genitivendung zum alten Stamm addiert und es entstehen die Genitivformen Friedes und Funkes. Aufgrund der Schwankung sind somit drei Genitivformen (des Frieden, des Friedens und des Friedes) möglich (vgl. Eisenberg 2006: 160). Eine entgegengesetzte Tendenz im Flexionsklassenwechsel lässt sich z.B. bei Autor beobachten, der standardspr. stark flektiert wird (des Autors), jedoch häufig mit der schwachen Genitivendung (*des Autoren) belegt werden kann. Die Realisierung des schwachen Genitivs ist hier möglicherweise durch die en-Plural und die Semantik (+belebt, Person) begünstigt. Viktória Dabóczi

→ (e)n-Fuge; (e)ns-Fuge; (e)s-Genitiv; Genitiv; Kasus; schwache Deklination; schwaches Substantiv

🕮 Duden [2001] Richtiges und gutes Deutsch. 5. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Vogel, P.M. [2012] Sprachgeschichte (KEinfgL 13). Heidelberg.

(e)ns-Fuge

prosodisch variables Fugenelement mit silbischer und unsilbischer Variante. ▲ linking -(e)ns: prosodically variable linking element with a syllabic and a non-syllabic variant. Die unproduktive silbische Fuge (-ens) tritt an wenige einsilbige Substantive, z.B. Herzens + lust (paradigmisch) oder Schmerzens + geld (nicht-paradigmisch). Die ns-Fuge wird zunehmend nach mehrsilbigen, auf Penultima betonten Substantiven mit stammauslautendem Schwa verwendet, die morphologische Merkmale der schwachen

265 (n-Suffix) und der starken (s-Genitiv) Flexion enthalten wie der Name, des Name-ns, dem Name-n usw. Fünf Mitglieder dieser kleinen morphologischen Sonderklasse lassen die ns-Fuge zu: Name ns + tag, Wille ns + bekundung, Friede ns + vertrag, Glaube ns + freiheit und Schade ns + fall, wobei alle eine stark flektierende Stammvariante haben (z.B. der Friede/Frieden). Nach ihrer Durchsetzung (vollständiger Übergang in die starke Flexion) ist nur noch die s-Fuge möglich, z.B. Schade [schwache Maskulinflexion] → Schaden [starke Maskulinflexion], daher Schade ns + fall → Schaden s + fall. Renata Szczepaniak → (e)n-Fuge; (e)s-Fuge; Fugenelement; Komposition; nichtparadigmische Fuge; paradigmische Fuge

🕮 Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222 ◾ Nübling, D. [2004] Vom Name-n-forscher zum Name-ns-forscher. Unbefugte und befugte ns-Fuge in Namen(s)-Komposita. In: Bok, V./ Williams, U./ Williams-Krapp, W. [Hg.] Studien zur deutschen Sprache und Literatur. Hamburg: 334–353.

Entität

sprachliches Element zur Bezeichnung einer außersprachlichen Einheit. ▲ entity: linguistic element which denominates an extra-linguistic unit. Der Terminus Entität ist in den Geisteswissenschaften ein fachspr. Ausdruck, um ein Ding in seinem Dasein zu bezeichnen. In der Ling. wird er in verschiedenen Teildisziplinen zur Bezeichnung von sprachlichen bzw. außersprachlichen Elementen verwendet. In der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997: 963) sind Entitäten Denotate von logischen Eigennamen, d.h. „Gegenstände beliebiger Art, etwa konkrete Dinge, Personen, Städte, Länder, Berge“, die mit Namensausdrücken bezeichnet werden. Diese bilden zusammen mit Verben Sätze, denen Wahrheitswerte zugeordnet werden. Ausdrücke der Namenskategorie (e) und Ausdrücke, denen Wahrheitwerte zugeordnet werden können (t), sind die semantisch motivierten Basiskategorien. Aus diesen wird die Kategorie t/e abgeleitet, in der e als Argument einem Prädikatsausdruck zu-

episches Präsens geordnet ist. NPn, die keine Eigennamen sind, denotieren nicht Entitäten, sondern sog. Charakteristiken, die Eigenschaftsmengen darstellen (vgl. Zifonun et al. 1997: 968f.). Stefan J. Schierholz

→ Eigenname → Gram-Syntax: Argument; Kategorialgrammatik; Referenz ⇀ Entität (SemPrag; CG-Dt; Sprachphil) ⇁ entity (CG-Engl; TheoMethods)

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

episches Präsens

stilistisch markiertes Erzähltempus in der semantischen Funktion des Präteritums. ▲ epic present: stylistically marked narrative tense in the function of the preterite. Das epische Präsens stellt neben dem szenischen Präs. eine Variante des hist. Präs. dar. Als solche verkörpert es eine Tempusbedeutung, die erst vom Kontext auf das Verb übertragen wird. Isolierte Präsensformen eines Verbs können demgegenüber nie eine Vergangenheitsbedeutung haben. Die Verwendung des epischen Präsens ist vor allem für (real oder fiktional) erzählende Texte charakteristisch, in denen es – im Gegensatz zum szenischen Präs. – nicht nur zur vergegenwärtigenden Darstellung von einzelnen Szenen der erzählten Vergangenheit verwendet wird, sondern das Prät. unter Umständen zur Gänze ersetzt. (1) Im Jahr 933 werden die Ungarn bei Merseburg durch Heinrich I. erstmals besiegt. Die endgültige Niederlage erleiden sie 22 Jahre später bei Augsburg durch Otto I. In literarisch-fiktionalen Erzähltexten stellt das epische Präsens inzwischen ein weitgehend konventionalisiertes Stilmittel dar, bei dem der Vergegenwärtigungseffekt im Vergleich zum szenischen Präs. in den Hintergrund tritt. Das epische Präsens ist zwar grundsätzlich durch das Prät. ersetzbar, das Prät. kann jedoch nur dessen vergangenheitsbezogene Tempusbedeutung übernehmen, nicht aber seinen stilistischen Wert ersetzen. Péter Maitz

↔ szenisches Präsens → historisches Präsens; Präsens; Präteritum; Tempus

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für

E

episches Präteritum 266 den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

episches Präteritum

E

Präteritum in seiner Hauptfunktion als Vergangenheitstempus in Erzählungen und als Ausdruck einer fiktiven Zeit. ▲ narrative past tense: past tense in its main function of indicating a past or a fictional time in narratives. Der Terminus bezieht sich auf die Hauptfunktion des Prät. als Tempus des Erzählens und im Engeren auf seine Verwendung in der Belletristik. Dort stehen die erzählenden Passagen typischerweise im Prät.; denn das Prät. hat in Opposition zum Perf. eine sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) ausgebildet. Sie überschneidet sich beim Prät. mit der gegenüber der primären Evaluationszeit (Sprechzeit) vergangenen Situationszeit. Daraus resultieren bestimmte Imperfekt-Effekte (Konnotationen bzw. Implikaturen): Vergangenheitsrelevanz, Innenperspektive, Geschehen in seinem Verlauf, Unabgeschlossenheit. Auf Grund seiner spezifischen Bedeutung und der Imperfekt-Effekte ist das Prät. damit das Vergangenheitstempus, das für die Funktion des Erzählens besonders geeignet ist, und es hat seine spezifische Bedeutung in dieser Funktion in Opposition zum Perf. entwickelt. Das Prät. wird als Erzähltempus metaphorisch auf Fiktionales ausgeweitet. Denn es dient in der Belletristik (im Unterschied etwa zur Geschichtsschreibung), objektiv gesehen, nicht der Wiedergabe vergangener Ereignisse, sondern der Wiedergabe fiktiver Ereignisse. Das Prät. bedeutet in diesem Fall nicht ‚Vergangenheit‘ im wörtlichen Sinne. Es handelt sich jedoch auch nicht um homo­nyme Verwendungen. Die fiktive Welt erscheint meist als eine vergangene fiktive Welt mit fließenden Übergängen zur vergangenen wirklichen Welt. Auch im Erzählen des Alltags ist die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion fließend. Klaus Welke → episches Präsens; Imperfekt; Perfekt; Präteritum → Gram-Syntax: Erzähltempus; Tempusgebrauch

🕮 Hauser-Suida, U./ Hoppe-Beugel, G. [1972] Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. München [etc.] ◾ Latzel, S. [1977] Die deutschen

Tempora Perfekt und Präteritum. Eine Darstellung mit Bezug auf Erfordernisse des Faches „Deutsch als Fremdsprache“. München ◾ Sieberg, B. [1986] Zur Unterscheidung der Tempuskategorien Perfekt und Imperfekt. In: ZfdPh 48: 85–96 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Weinrich, H. [1994] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

epitheton ornans

funktional definierte Teilklasse der Adjektive, die sich aufgrund ihres rhetorischen Verhaltens ergibt. ▲ epitheton ornans: subclass of adjectives defined on the basis of their rhetorical function. Das epitheton ornans (Pl. epitheta ornantia) ist ein Adj., das zu der semantischen Klasse der qualifizierenden Adjektive gehört, die Eigenschaften benennen, aber semantisch nur eine typisierende, formelhafte, immer wiederkehrende Funktion erfüllen. So tritt das epitheton ornans syntaktisch als Attribut zu einem Subst. auf, woher sich die Bezeichnung schmückendes Beiwort ableitet, aber es leistet zur Aussage keinen relevanten Beitrag. Beispiele sind die Adjektive brennend, rot, grün, weiß in den NPn in (1)–(3). (1) Ein brennendes Problem für die Festspiele ist die dringend benötigte Probenbühne. (Nürnberger Zeitung, 31.12.2012: 7) (2) Noch schaut man vom Parkplatz des Dorfgemeinschaftshauses in Pleckhausen auf die grüne Wiese. (Rhein-Zeitung, 19.03.2014: 14) (3) Es ist kein schöner Anblick, dessen sind sich die Jäger bewusst. Genauso wenig wie rotes Blut auf weißem Eis. (SZ, 18.04.2011: 10) Jussara Paranhos Zitterbart ≡ schmückendes Beiwort → qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv → Gram-Syntax: Attribut

🕮 Gondos, L. [1994] Epitheton. In: Ueding, G. [Hg.] Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2. Tübingen: 1314–1316.

Ereignisverb

verbaler Ausdruck, der einen Sachverhalt mit inhärenten Grenzen bezeichnet. ▲ event verb; eventive verb: verbal expression that denotes a state of affairs with inherent boundaries. Ereignisprädikate bezeichnen Sachverhalte mit inhärenten Grenzen. So beginnt ein Zustands-

267 Ereignisverb wechsel, wie ihn etwa weggehen denotiert, mit dem Ende eines Vorzustands (hier: Anwesenheit) und endet, sobald der Nachzustand eintritt (hier: Abwesenheit). Ereignisprädikate können weiter klassifiziert werden: Vendler (1967) unterscheidet punktuelle „Achievements“ (z.B. zerbrechen, blitzen) und durative „Accomplishments“ (z.B. ein Haus bauen, eine Etüde spielen). Punktuelle Prädikate gelten nur für Zeitpunkte oder (in ereignissemantischen Ansätzen) für minimale Sachverhalte. Orthogonal zur Punktualität teilt auch das Kriterium des Zustandswechsels die Ereignisprädikate in zwei Gruppen: Zustandswechselprädikate wie ein Haus bauen oder zerbrechen haben lexikalisch festgelegte Vor- und Nachzustände (jeweils die Negation voneinander); andere Ereignisprädikate drücken maximale Phasen eines Zustands oder Prozesses aus (z.B. Phasen der Anwesenheit in besuchen oder des Leuchtens in blitzen) oder bekommen inhärente Grenzen durch Maßphrasen oder inkrementelle Argumente, die keine Veränderung erfahren, z.B. in eine Stunde lang tanzen oder eine Etüde spielen (Egg 1995). Zustandswechselprädikate lassen sich ferner in kausative (z.B. töten) und nicht-kausative Prädikate (z.B. sterben) unterteilen. Die Termini Achievement und Accomplishment werden unterschiedlich benutzt. So beschränken Moens/Steedman (1988) und Dowty (1979) diese Klassen auf Zustandswechselprädikate (bei Moens/Steedman bilden andere Achievements die eigene Klasse „Point“; andere Accomplishments werden den Prozessprädikaten zugeordnet). Dowty (1979) unterscheidet Accomplishments durch Kausativität von Achievements, was jedoch punktuelle kausative und durative nichtkausative Zustandswechselprädikate wie erschießen bzw. auslaufen nicht erfasst. Auch Ereignisprädikate lassen sich durch Tests motivieren (Kompatibilität mit bestimmten Kontexten). Für Ereignisprädikate werden vor allem die Inkompatibilität mit Zeitdaueradverbialen (z.B. eine Stunde lang) und die Kompatibilität mit Zeitrahmenadverbialen (wie in einer Stunde) als Tests angeführt. (1) #in einer Stunde Klavier spielen (2) #fünf Stunden lang eine Etüde spielen Diese Urteile gelten für wörtliche Lesarten, die aber durch aspektuelle Reinterpretation (coercion) wieder akzeptabel werden können (durch

„#“ angezeigt), z.B. kann man eine Etüde spielen in (2) iterativ verstehen („wiederholt eine Etüde spielen“). Ereignissemantische Ansätze (die Sachverhalte als weitere Argumente der vom Verb denotierten Relationen reifizieren; Davidson 1967) rekonstruieren die von Ereignisprädikaten eingeführten Sachverhalte als Individuen, die räumlich und zeitlich lokalisierbar sowie wahrnehmbar sind. Ereignisprädikate werden traditionell über Begrenztheit (oder Gequanteltheit) formalisiert: Ein Prädikat P ist begrenzt, wenn kein echter Teil eines Sachverhalts in der Extension von P ebenfalls in der Extension von P ist. Krifka (1998) weist jedoch darauf hin, dass diese Definition für eine Ereignissemantik zu strikt ist, da mehrere Ereignisse zur gleichen Zeit ablaufen können, und definiert P als telisches oder Ereignisprädikat, wenn alle Teile eines Ereignisses e in der Extension von P, die ebenfalls unter P fallen, Anfangs- und Endteile von e sind. Diese Definition ist schwächer, so ist z.B. das Prädikat „dauert von 3 bis 4 Uhr“ telisch, aber nicht begrenzt, weil die Summe zweier Ereignisse in seiner Extension ebenfalls in seiner Extension ist. Dass Zeitdaueradverbiale mit Ereignisprädikaten inkompatibel sind, wird meist damit erklärt, dass diese Adverbiale als Modifikatoren inhärente Grenzen einführen. Wenn man annimmt, dass diese Grenzen für ein Prädikat nur einmal eingeführt werden können, darf ihr Modifikand noch keine haben. Zeitrahmenadverbiale sind typischerweise nicht mit Nicht-Ereignisprädikaten kompatibel, weil Redundanz vermieden werden soll. Als Modifikatoren eines Prädikats P drücken diese Adverbiale aus, dass die Laufzeit eines Sachverhalts e in der Extension von P in einem Zeitintervall t liegt, dessen Länge vom Adverb spezifiziert wird. Für Ereignisprädikate folgt nun aus einer skalaren Implikatur, dass kein Sachverhalt in der Extension von P eine Laufzeit hat, die in einer kürzeren Zeitspanne t' liegt (d.h. t ist bzgl. dieser Eigenschaft minimal). Diese Implikatur ist nur aufgrund der Telizität dieser Prädikate möglich, da kein Teil von e (mit einer kürzeren Laufzeit) ebenfalls unter P fällt. Bei Nicht-Ereignisprädikaten kann es solche Teile von e geben, was die Implikatur blockiert (Krifka 1998). Aber dann ist das Zeitrahmenadverbial typischerweise redundant; z.B. ist die Aussage, dass ein Laufensachver-

E

Ergänzungsstrich 268 halt stattfindet, dessen Laufzeit in einem Intervall von zwei Stunden liegt, nicht informativer als die Aussage, dass ein Laufen stattfindet, weil jeder Laufensachverhalt Teile hat, die kürzer als zwei Stunden dauern. Markus Egg

E

→ Aktionsart; dynamisches Verb; Verb → Gram-Syntax: Argument; Ereignisprädikat; Modifikator; Sachverhalt

🕮 Davidson, D. [1967] The logical form of action sentences. In: Rescher, N. [ed.] The logic of decision and action. Pittsburgh, PA: 81–95 ◾ Dowty, D.R. [1979] Word Meaning and Montague Grammar. The Semantics of Verbs and Times in Generative Semantics and Montague’s PTQ. Dordrecht [etc.] ◾ Egg, M. [1995] The intergressive as a new category of verbal aktionsart. In: JSem 12: 311–356 ◾ Krifka, M. [1998] The origins of telicity. In: Rothstein, S. [ed.] Events and grammar. Dordrecht: 197–235 ◾ Moens, M./ Steedman, M. [1988] Temporal ontology and temporal reference. In: CL 14: 15–28 ◾ Vendler, Z. [1967] Linguistics in Philosophy. Ithaca, NY.

Ergänzungsstrich

Wortzeichen, das als Platzhalter für vorausgehend oder nachfolgend realisierte Wortteile in koordinierten Phrasen fungiert. ▲ suspensive hyphen; suspended hyphen; hanging hyphen: word punctuation mark that functions as a placeholder for preceding or following word parts in coordinated phrases. Katharina Siedschlag

→ Bindestrich; Interpunktion; Trennstrich ⇀ Ergänzungsstrich (Schrling)

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1985] Graphische Elemente der geschriebenen Sprache. Grundlagen für eine Reform der Orthographie (RGL 60). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Ergativ

Kasus zur Markierung des Subjekts bei transitiven Verben in Ergativsprachen. ▲ ergative case: case marking the subject of transitive verbs in ergative languages. In Ergativsprachen (z.B. Baskisch) markiert der Ergativ das Subjekt in der semantischen Rolle Agens im transitiven Satz (katu-a-k 'die Katze' in (1)), während sowohl das Subjekt bei intransitiven Verben (katu-a 'die Katze' in (2)) als auch das Objekt als Patiens im transitiven Satz im Absolutiv (sagu-a 'die Maus' in (1)) stehen.

(1) Katuak['Katze' im Ergativ] sagua['Maus' im Absolutiv] hil du['getötet hat'] [Die Katze hat die Maus getötet.] (2) Katua['Katze' im Absolutiv] hil da['gestorben ist'] [Die Katze ist gestorben.] Hang Ferrer Mora

↔ Absolutiv → ergatives Verb; intransitives Verb; Kasus; transitives Verb → Gram-Syntax: Ergativität; semantische Rolle ⇀ Ergativ (HistSprw) ⇁ ergative case (Typol)

🕮 Comrie, B. [1978] Ergativity. In: Lehmann, W.P. [ed.] Syntactic typology. Studies in the phenomenology of language. Austin, TX: 329–394 ◾ Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity. Cambridge ◾ Grewendorf, G. [1989] Ergativity in German (StGG 35). Dordrecht ◾ Plank, F. [ed. 1979] Ergativity: Towards a theory of grammatical relations. London.

ergatives Verb

intransitives Verb, dessen potentielles syntaktisches Subjekt die dem potentiellen syntaktischen Objekt eines transitiven Verbs ähnlichen Eigenschaften aufweist. ▲ ergative verb; unaccusative verb: intransitive verb the potential syntactic subject of which has properties similar to the properties of the potential syntactic object of a transitive verb. Der Terminus Ergativität bezieht sich vor allem auf Sprachen, deren Kasussysteme statt der Fälle Nominativ (= Nom) und Akkusativ (= Akk) die Fälle Absolutiv (= Abs) und Ergativ (= Erg) enthalten, z.B. Baskisch, Tschuktschisch, Tibetisch. Solche als ergativ bezeichneten Sprachen weisen dem Subjekt eines intransitiven Verbs dieselbe Kasusform zu, die das Objekt eines transitiven Verbs bekommt. In Nominativ-Akkusativ-Sprachen gilt: (1) Der BaumNom fällt. (2) Der FörsterNom fällt den BaumAkk. In Absolutiv-Ergativ-Sprachen gilt: (3) BaumAbs fällt. (4) FörsterErg fällt BaumAbs. Die Ergativitätshypothese bzgl. nichtergativer Sprachen besagt, dass die Ergativität als syntaktische Eigenschaft einer Gruppe der intransitiven Verben auch in den Nominativ-Akkusativ-Sprachen existiert. Alle intransitiven Verben werden demnach in nichtergative, oder sog. echte intransisitve Verben, und ergative, oder sog. unakkusativische Verben, eingeteilt. Bei den Letzteren handelt es sich um Verben, deren Subjekt aus der Sicht der Tiefenstruktur die Patiensrolle

269 Ersetzungsmorph übernimmt. Ihnen entsprechen transitivische akkusativische Verben, deren Subjekt als Agens und deren Objekt als Patiens in einem Aktivsatz auftreten. Ergative Verben sind z.B. erwachen, sterben, fallen, denen jeweils die transitiven Verben wecken, töten, fällen entsprechen. Dagegen sind z.B. die intransitiven Verben arbeiten, spielen, tanzen nichtergativ und somit echt intransitiv. Da das Patiens der akkusativischen Verben in den Sätzen mit ergativen Verben in die Subjektposition verschoben wird, sind die Ergativkonstruktionen den Passivsätzen ähnlich (5). (5) Man weckt ihn. (5a) Er wird geweckt. (5b) Er erwacht. Die große Mehrheit der ergativen Verben sind Verben mit perfektiver Semantik; ergative Kon­ struktionen mit imperfektiven Verben kommen selten vor ((6), (7)). (6) Die Suppe kocht. (7) Der Ball rollt. ≡ rezessives Verb; Rezessivum

Michaił L. Kotin

→ Dativinversionsverb; Ergativ; transitives Verb; unakkusativisches Verb

→ Gram-Syntax: Agens; Ergativität; Patiens

🕮 Abraham, W. [2005] Deutsche Syntax im Sprachenvergleich. Grundlegung einer typologischen Syntax des Deutschen. Tübingen ◾ Burzio, L. [1986] Italian syntax. A government-binding approach. Dordrecht ◾ Comrie, B. [1978] Ergativity. In: Lehmann, W.P. [ed.] Syntactic typology. Studies in the phenomenology of language. Austin, TX: 329–394 ◾ Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity (CamStLing 69). Cambridge.

Ersatzinfinitiv

Infinitivform bestimmter Hilfsverben, die im Perfekt und Plusquamperfekt anstelle des zweiten Partizips gebraucht wird. ▲ infinitivus pro participio; substitutive infinitive: infinitive which is used instead of the regular past participle in the present perfect and past perfect of some auxiliary verbs in German. Wenn Modalverben (müssen, können), Wahrnehmungsverben (sehen, hören) sowie lassen und brauchen im Satz als Hilfsverben verwendet werden, d.h. den Infinitiv eines Hauptverbs regieren, erscheinen sie im Perf. bzw. Plq.perf. nicht − wie üblich − im Partizip II, sondern im Infinitiv ((1), (2)). (1) Wir haben heute fünf Briefe ins Deutsche übersetzen müssen/können/lassen.

(2)

*Wir haben heute fünf Sätze übersetzen gemusst/gekonnt/gelassen. Der Verbalkomplex besteht in diesem Fall immer aus dem temporalen Hilfsverb haben (hat/hatte/hätte), dem (zu-)Infinitiv des Hauptverbs und dem Ersatzinfinitiv der angeführten Hilfsverben. Erscheint dieser Verbalkomplex im eingeleiteten Nebensatz, so rückt das Hilfsverb haben vor die Infinitive (3). (3) Niemand glaubt, dass wir heute fünf Briefe haben übersetzen müssen/können/lassen. György Scheibl

→ Auxiliar; Hilfsverb; Infinitiv; Modalverb; Perfekt; Plusquamperfekt

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Ersetzungsmorph

Morph, das ein anderes ersetzt. ▲ replacive morph; substitutional morph: morph that substitutes for another one. Aus strukturalistischer Sicht (Hockett 1954: 393f.) handelt es sich dabei um den Wechsel des Stammvokals, der mit Bedeutungs- bzw. Funktionsveränderung einhergeht, vgl. Vater/Väter, take/took, im Gegensatz zu einem zusätzlichen Morph mit entsprechender Funktion (Ergänzungsmorph), vgl. Kind/Kinder, look/looked. Daneben findet sich der Terminus auch für Morphe, die ausgetauscht werden, ohne dass es zu Bedeutungs- oder Funktionsänderung kommt, vgl. Schwein-e-braten, Schwein-s-braten (vgl. Eisenberg 2013).

→ Fugenelement; Morph; Stammvokal

Hilke Elsen

🕮 Dürr, M./ Schlobinski, P. [2006] Deskripive Linguistik. Grundlagen und Methoden. 3. Aufl. Göttingen ◾ Eisenberg, P. [1995] Grammatik der geschriebenen Sprache als Symbolgrammatik. Ein Versuch an ausgewählten Themen der Morphologie. In: Ágel, V./ Brdar-Szabó, R. [Hg.] Grammatik und deutsche Grammatiken (LA 330). Tübingen: 23–38 ◾ Eisenberg, P. [2002] Struktur und Akzent komplexer Komposita. In: Restle, D./ Zaef­ ferer, D. [Hg.] Sounds and Systems. Studies in Structure and Change. A Festschrift for Theo Vennemann. Berlin [etc.]: 349– 366 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hockett, C.F. [1954] Two Models of Grammatical Description. In: Word 10: 210–234.

E

erste Steigerungsstufe 270

erste Steigerungsstufe ≡ Komparativ

erste Vergangenheit ≡ Präteritum

E

erster Fall

≡ Nominativ

erstes Partizip

infinite Verbform, die mit aktivischer Lesart Gleichzeitigkeit ausdrückt und im Deutschen mittels des Suffixes -end/-nd gebildet wird. ▲ present participle: nonfinite verb form which, with active meaning, expresses simultaneity and is formed with the suffix -end/-nd in German. Formal ist das erste Partizip im Dt. durch das Partizipialmorphem -end/-nd identifizierbar, das an den Wortstamm suffigiert wird (z.B. frag-en: fragend) (Eisenberg 2006: 201; Duden 2009: 439). Aufgrund der attributiven Verwendung (der fragende Lehrer) und der Nicht-Fähigkeit des ersten Partizips, zur Bildung eines finiten Prädikats beizutragen, wird das erste Partizip in einigen Grammatiken als Adjektiv betrachtet (vgl. Eisenberg 2006: 212). Neben der angesprochenen attributiven Verwendung kann das erste Partizip adverbial (1) oder als Kern einer satzwertigen Partizipialgruppe (2) stehen. (1) Wir schauten fragend in die Runde. (2) Leise fragend ging er aus dem Raum. Als eine besondere Verwendung des ersten Partizips wird in Duden (2009: 440) das zu-Partizip angeführt (3). Dieses kommt „ausschließlich in attributiver Funktion“ (Duden (2009: 563) bei transitiven Verben vor. (3) Der zu schreibende Text wird nie fertig. Bzgl. Diathese und Modalität unterscheiden sich Formen des ersten Partizips von denen des zuPartizips: Formen des ersten Partizips sind aktivisch und modal nicht spezifiziert; Formen des zu-Partizips hingegen drücken das im Satz Ausgesagte mit einer passivischen und modalen (im Sinne von Notwendigkeit bzw. Möglichkeit) Lesart aus. Benjamin Jakob Uhl ≡ Partizip I; Partizip Präsens; Präsenspartizip → Adjektiv; Gerundivum; Partizip; Partizipialadjektiv; Verbaladjektiv; zweites Partizip → Gram-Syntax: Adverbialpartizip; attributives Partizip;

Partizipialkonstruktion; Passivumschreibung; satzwertiges Partizip ⇁ present participle (CG-Engl)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2015] Deutsche Grammatik. 8., unveränd. Aufl. Zürich.

Erstglied

erste Konstituente eines Kompositums. ▲ first constituent: first constituent of a compound. Bei der Analyse von Komposita nach ihren Bestandteilen ergeben sich in der Regel zwei unmittelbare Konstituenten (Prinzip der Binarität), auch wenn diese selber komplex sein können wie im Falle von [Schwarz-Weiß][Foto] oder [Frühjahrs][müdigkeit]. (Daneben gibt es Komposita mit mehreren Konstituenten, vgl. unten.) Nach der Abfolge der Bestandteile nennt man sie Erstglied bzw. Zweitglied. In germ. Sprachen sind Komposita i.A. rechtsköpfig, d.h., das Zweitglied (Determinatum) legt Wortart, Genus und Flexionsklasse des Kompositums fest und drückt die bezeichnete Größe aus. Das Erstglied (Determinans, Modifikator) ist ihm untergeordnet, es bestimmt das Zweitglied näher und schränkt seine Extension ein: Frühjahrsmüdigkeit ist eine Art von Müdigkeit. Das Zweitglied Müdigkeit ist also ein Hyperonym zum Kompositum. Im Gegensatz zum Zweitglied, das vor allem ein Subst., ein Adj., seltener ein Verb ist, können Erstglieder aus allen lexikalischen Kategorien stammen: Subst.: Kraftfahrer, Schulbusfahrer; Adj.: Blaufahrer; Verb: Rennfahrer; Adverb: Alleinfahrer; Präp.: Beifahrer, Pron.: ichbezogen; Konjunktion: Dennochglück; Interjektion: AhaErlebnis. Erstglieder können Stämme oder Konfixe sein: Kraftfahrer bzw. Bioabfall, Mikroebene; Einzelbuchstaben: G-Dur, A-Konstituente; Wortgruppen: Eltern-Kind-Beziehung; Sätze: Ich-weißvon-nichts-Gesicht. Bei Nominalkomposita ist das Erstglied i.A. komplexer als das Zweitglied: [Steuerumgehungsbekämpfungs][gesetz] aber [Bundes] [nachrichtendienst] (links- bzw. rechtsverzweigte Struktur). Die bisherigen Beispiele zeigten Determinativkomposita, also Einheiten mit Über- bzw. Unterordnung zwischen den Konstituenten. Seltener sind Komposita mit gleichgeordneten Gliedern,

271 (e)s-Genitiv sog. Kopulativkomposita wie schwarz-weiß, HansJürgen, deutsch-französisch, (Herzogtum) SachsenWeimar-Eisenach. Zwischen den beiden Kompositionsarten gibt es einen Übergangsbereich, in dem beide Lesarten möglich sind wie in Gastdozent. Anna Vargyas → § 31; Determinans (2); Determinatum; Kompositum → Gram-Syntax: Binarität; Konstituente; Rechtsköpfigkeit (2) ⇁ first constituent (Woform)

🕮 Barz, I. [2016] German. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.4). Berlin [etc.]: 2387–2410 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Olsen, S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 364–386 ◾ Ortner, L. et al. [1991] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.].

(e)s-Fuge

Fugenelement mit silbischer und unsilbischer Variante. ▲ linking -(e)s: linking element with a syllabic and a non-syllabic variant.

Die silbische (‑es) und unsilbische (-s) Variante sind nicht prosodisch komplementär. Die (unproduktive) es-Fuge tritt nur paradigmisch auf und ist auf einsilbige Substantive beschränkt, z.B. Jahres + betrag, Tages + form, Mannes + wort, Kindes + beine. Das hochproduktive Fugen-s tritt in dieser Umgebung in Konkurrenz zu ‑es (Kinds + kopf, Manns + bild) oder ist sogar die einzige Variante (oft neben anderen Fugenelementen), z.B. Werks + leiter, Orts + name, Rechts + anwalt. Ihre breiteste Verwendung findet die s-Fuge bei mehrsilbigen Erstgliedern, z.B. Standes + amt aber Bestands + aufnahme. Mehrsilbigkeit bildet die Bedingung für ihr unparadigmisches Auftreten (a) nach suffigierten Feminina (auf ‑heit, ‑(ig)­ keit, ‑schaft, ‑ung, -ion und ‑ität), z.B. Freiheits + statue; (b) nach präfigierten Verbalableitungen auf -t, z.B. Abfahrts + zeit (aber Fahrt + richtung); (c) nach mehrsilbigen Feminina auf t, z.B. Arbeits + bedingungen; (d) nach lexikalisierten femininen Komposita wie in Hochzeits + torte. Renata Szczepaniak

→ (e)ns-Fuge; (e)s-Genitiv; Fugenelement; Fugen-s; nicht-paradigmische Fuge; paradigmische Fuge

🕮 Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G.

[Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen.

(e)s-Genitiv

Flexionsklassenmerkmal von starken Maskulina und Neutra sowie von artikellosen Eigennamen, die im Genitiv Singular die Kasusendung -s oder -es bekommen. ▲ (e)s-genitive: characteristic of strong masculine and neuter nouns as well as proper nouns which get the inflectional marker -s or -es in the genitivecase in the singular. Der (e)s-Genitiv gilt als Merkmal der starken Substantivflexion, die das Normalmuster der Maskulina und Neutra ist. Neben den starken Maskulina und Neutra erhalten auch artikellose Eigennamen genusunabhängig -s im Genitiv Sg. (z.B. Evas Freund). Das Flexiv -s oder -es gehört zu den wenigen noch existierenden und eindeutigen Kasusmarkern im Dt. Es kann entweder nichtsilbisch (kurze Endung -s) oder silbisch (lange Endung -es) auftreten. Laut Duden (2005: 199) gilt im heutigen Dt. die kurze Endung als Normalfall; dennoch fehlen weitgehend allgemeine Regeln beim Gebrauch von -s oder -es, was häufig zu Unsicherheiten bei der Wahl führt (vgl. Duden 2001: 358f.). Als feste Gebrauchsregeln gelten die folgenden: Die lange Endung -es steht bei Substantiven, die im Nominativ Sg. auf einen sog. Zischlaut (schriftlich -s, -ss, -ß, -z, -tz, -x und mit Ausnahmen -sch und -st) enden (z.B. des Glases, des Fußes, des Kreuzes). Die kurze Form wird bei Substantiven auf -en, -em, -el und -er verwendet (z.B. des Lehrers, des Atems, des Lesens, des Esels). Eisenberg (2006: 169) betont hier die Lautstruktur der Wörter, die für den Gebrauch der nichtsilbischen Variante ausschlaggebend ist. Die genannten Substantive sind Trochäen, die die Verwendung der langen Endung ausschließen. Das -s tritt auch bei festen Wendungen wie tags darauf oder Manns genug auf. In den übrigen Fällen schwankt der Gebrauch der silbischen und nichtsilbischen Form (z.B. des Verbs oder des Verbes), Tendenzen lassen sich jedoch festhalten: Die kurze Form wird bei Substantiven des Grundwortschatzes mit unbetonter Endsilbe sowie auf Vokal (auch Diphthong) stark bevorzugt (z.B. des Urteils, des Herzogs, des Abends, des Knies, des Sees). Das -es wird dagegen

E

ethischer Dativ 272

E

bei Komposita mit Fugen-s sowie bei Substantiven, die eine Konsonantenhäufung im Auslaut haben, bevorzugt (z.B. des Kriegsjahres, des Feldes, aber: des Lärms). Artikellose Eigennamen erhalten nur die kurze Endung -s. Endet der Eigenname auf einen s-Laut, verschmilzt die Genitivendung mit dem Auslaut. Dies wird in der geschriebenen Sprache durch den Apostroph gekennzeichnet, z.B. Fritz‘ Hut. Trotz der Eindeutigkeit von -(e)s als Genitivmarker wird es nach Artikelwörtern, die den Genitiv eindeutig markieren (z.B. des, dieses, eines, keines etc.) oft weggelassen. Duden (2005: 203) sieht den Grund dafür in der Tendenz zur Monoflexion in der NP, d.h., die grammatischen Informationen werden nur einmal ausgedrückt, hier durch den Artikel. Eisenberg (2006: 158) spricht in diesem Zusammenhang von der Überlagerung der Kasusflexion auf den Artikel. Die Akzeptabilität bei einzelnen Bereichen des Wortschatzes zeigt dabei ein heterogenes Bild: Bei Gattungsnamen ist die Endungslosigkeit standardspr. nicht anerkannt, es gibt jedoch Bereiche und Einzelbeispiele, bei denen die endungslose Variante zugelassen ist (z.B. des Bambus, aber nicht *des Konzert). Bei eigennamenähnlichen Termini und Gattungsnamen wird das Weglassen der Genitivendung akzeptiert, z.B. des Infinitiv Perfekt, des Partizip II, im Laufe des Februar(s). Nach Artikelwörtern mit der Endung -en ist die Genitivmarkierung am Subst. dagegen obligatorisch (z.B. die Auflistung jeden Titels). Bei Eigennamen wird -s weggelassen, wenn maskuline Personennamen mit einem Artikel stehen, z.B. des kleinen Peter. Bei geographischen Namen wird die Endungslosigkeit ebenfalls akzeptiert, z.B. des Himalaja. Viktória Dabóczi

→ (e)n-Genitiv; (e)s-Fuge; Genitiv; Genitiv-s; Kasus; Monoflexion; sächsischer Genitiv; starke Deklination

🕮 Duden [2001] Richtiges und gutes Deutsch. 5. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Oštir, A.L. [2009] Genitiv. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 113–132.

ethischer Dativ

≡ dativus ethicus

e-Tilgung

Prozess, bei dem das Schriftzeichen entfällt, wenn ihm oder einem unmittelbar folgenden Konsonanten kein Silbengipfel entspricht. ▲ e-deletion: process which deletes the character if there is no syllable nucleus which corresponds to the or an immediately following consonant. Bei der e-Tilgung handelt es sich um einen graphematischen Prozess mit phonologischen Ursachen. Das Schriftzeichen dient im Dt. u.a. der Repräsentation des Silbengipfels in reduzierten Silben. Es steht dabei stellvertretend für Schwa (renne), zusammen mit für ein vokalisiertes /r/ (kleiner) oder zusammen mit , oder für einen silbischen Sonoranten (Regel, großem, lesen). Bei Formen mit vokalisiertem /r/ oder silbischem Sonoranten ist phonologisch kein Vokal vorhanden, der direkt dem Schriftzeichen entspricht. Bei hyperkorrekter Aussprache kann jedoch ein Schwa als Silbengipfel eingefügt und der Sonorant in die Silbenkoda verlagert werden. Die Bedingungen, nach denen in flektierten und derivierten Wörtern reduzierte Silben entfallen oder ihre Silbengipfel verlagert werden können, sind vielfältig. Durch das Anbinden eines vokalisch anlautenden Suffixes verlieren silbische Sonoranten ihren Status als Silbengipfel und werden in den Onset der Folgesilbe eingebunden (Feuer → feurig, Möbel → möbliert). Somit muss das in der Schrift entfallen. Bei Konsonantenclustern, die nicht komplett in die vorangehende Silbe mit eingebunden werden können, bildet das sonorste Segment den Silbengipfel. Ihm geht in der Schrift das Zeichen voran (verdunkeln). Ausnahmen zeigen sich neben Einzelfällen (rechnet, regnet) bei der Adjektivflexion (im dunklen Wald). Diese können auf Analogie zu anderen Formen des Flexionsparadigmas zurückgeführt werden. So steht regnet in Analogie zu regnen, bei welchem durch die Platzierung des Silbengipfels der reduzierten Silbe anders als z.B. bei segeln eine Geminate (*regenn) verhindert werden muss. Bei der Adjektivflexion erfolgt die Analogie zu Formen mit silbischen Flexionssuffixen (dunkl + -e). In regionalen Varianten ist z.T. ein Verzicht auf Analogiebildung innerhalb des Flexionsparadigmas festzustellen (es regent, im größern Zimmer). Bei der attributiven Verwendung von Kompara-

273

exozentrische Zusammensetzung

tivformen (das schönere Bild) und adjektivischen Partizipien (die gefrorene Milch) folgen stan­ dardspr. oft zwei reduzierte Silben aufeinander, deren Silbengipfel in der Schrift durch repräsentiert werden. Ugs. ist jedoch eine Reduktion zu beobachten (das schön're Bild, die gefror'ne Milch). Eine andere Form von e-Tilgung zeigt sich bei ich sag und die Leut', in welchen ein wortfinales Schwa in der Phonologie sowie das damit korrespondierende in der Schrift getilgt wird. Dabei kann es zum Verlust der phonologischen und graphematischen Umsetzung morphologischer Merkmale kommen. Im Falle der 1. Pers. Sg. Indikativ Präs. der Verben des Dt. ist dieser Verlust nicht fatal, da das obligatorische Pron. den Ausfall der Flexionsendung kompensiert. Bei Derivationen wie blumig (gegenüber Blume) oder Komposita mit subtraktiver Fuge wie Schulhof (gegenüber Schule) zeigt sich ebenfalls ein Verzicht auf Schwa. Formen mit und ohne Schwa können dabei als Stammvarianten angesehen werden.

einer definiten Beschreibung interpretiert, die sich aus dem Antezedens (viele Studenten) und dem Satz, in dem es enthalten ist (studieren Jura), ergibt. (1a) Sie [= die Studenten, die Jura studieren] hoffen, später reich zu werden. E-Typ-Pronomina gelten als eine Subklasse der anaphorischen Pronomina, die den deiktischen Pronomina gegenübergestellt werden. Hinsichtlich ihrer Interpretation unterscheiden sich ETyp-Pronomina (2) von gebundenen Pronomina (3) und den sog. Faulheitspronomina (4). (2) Mein Freund hat mir viele Bücher gekauft. Ich will sie [= die Bücher, die er mir gekauft hat] am Wochenende lesen. (3) Peter glaubt, dass er [= Peter] die Prüfung besteht. (4) Tanja legt ihr Geld auf der Bank an. Sonja verwahrt es [= das Geld von Sonja] lieber im Wäscheschrank. Faulheitspronomina werden in neueren Arbeiten, z.B. Büring (2005), zu den E-Typ-Pronomina gezählt.

↔ e-Erweiterung → Suffixtilgung → Gram-Syntax: Tilgung

→ anaphorisches Pronomen; Antezedens; Pronomen; Quantor → Gram-Syntax: Anapher (2); Bindungsprinzip; C-Kommando ⇀ E-Typ-Pronomen (SemPrag)

Manuela Korth

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Giegerich, H. [1985] Metrical Phonology and Phonological Structure (CamStLing 43). Cambridge ◾ Issatschenko, A. [1974] Das „Schwa mobile“ und das „Schwa constans“ im Deutschen. In: Engel, U./ Grebe, P. [Hg.] Sprachsystem und Sprachgebrauch. Düsseldorf: 142–171 ◾ Wiese, R. [1988] Silbische und lexikalische Phonologie. Studien zum Chinesischen und Deutschen. Tübingen.

E-Typ-Pronomen

anaphorisches Pronomen, das sich auf eine Quantorenphrase bezieht. ▲ e-type pronoun: anaphoric pronoun that refers to a quantifier phrase.

Als Antezendens eines E-Typ-Pronomens (der Begriff stammt von Evans 1977) gilt eine Quantorenphrase, d.h. eine Phrase mit einem Quantor wie manche, viele, einige u.a. oder mit einem unbestimmten bzw. bestimmten Artikel. (1) Viele Studenten studieren Jura. Sie hoffen, später reich zu werden. Das Pron. sie ersetzt paradigmatisch nicht nur die Phrase viele Studenten. Es wird als äquivalent zu

Janusz Taborek

🕮 Büring, D. [2005] Binding Theory. Cambridge, MA [etc.] ◾ Evans, G. [1977] Pronouns, Quantifiers, and Relative Clauses. In: CJPhil: 467–536 ◾ Evans, G. [1980] Pronouns. In: LingInqu 2: 337–362 ◾ Heusinger, K. von [1997] Salienz und Referenz (StGram 43). Berlin.

Evaluationsadverb ≡ Kommentaradverb

exklusive Partikel ≡ restriktive Partikel

exozentrische Zusammensetzung

Kompositum, das nicht auf Größen referiert, die sein Grundwort bezeichnet. ▲ exocentric compound: compound which does not refer to entities denoted by its head word.

↔ endozentrische Zusammensetzung → Determinans (2); Determinatum; Kompositum → Gram-Syntax: exozentrische Konstruktion; Kopf ⇁ exocentric compound (Woform; Typol)

Pál Uzonyi

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Flei-

E

extensionales Adjektiv 274 scher, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

extensionales Adjektiv

E

semantisch definierte Teilklasse der attributiven Adjektive, die eine eigene Extension besitzen, die unabhängig vom Kernsubstantiv der entsprechenden Nominalphrase ist. ▲ extensional adjective: semantically defined subclass of attributive adjectives which have their own denotation that does not depend on the noun in the nominal phrase. Ein extensionales Adjektiv ist ein attributiv gebrauchtes Adj., dessen Extension unabhängig von der des Kernsubst. in der vorliegenden NP ist, wie rot in rotes Tuch. Dabei ist entscheidend, dass die Extension des Adj. rot mit der Extension des Kernsubstantivs Tuch die gemeinsame Extension der NP rotes Tuch ergibt. Insofern bezeichnet die NP rotes Tuch die Schnittmenge, d.h. die Intersektion zweier Mengen: die Menge der roten Dinge und die Menge der Tücher. Deshalb werden diese Adjektive auch intersektive Adjektive genannt. Dazu gehören Farbadjektive wie gelb, blau, grün, Formadjektive wie rund, dreieckig, quadratisch, fachspr. Adjektive wie gasförmig, negativ, gerade, volljährig sowie Partizipien wie getauft, beendet, immatrikuliert, entdeckt. Jussara Paranhos Zitterbart

↔ intensionales Adjektiv → absolutes Adjektiv; Farbadjektiv; Formadjektiv; intersek­

tives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Gunkel, L. [2017] Qualitative Modifikation. In: Gunkel, L. et al. Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal. Berlin [etc.]: 83–98 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

extrasubjektive Modalverbverwendung

Verwendung eines Modalverbs, bei der die Quelle der modalen Lesart des Satzes außerhalb des Satzsubjekts liegt. ▲ extra-subjective use of a modal verb; extra-subjective modality: use of a modal verb in which the source of the modal reading of the sentence lies outside the sentence subject. Bei der extrasubjektiven Verwendung eines Modalverbs hat das Satzsubjekt keine Kontrolle über die modale Deutung der gesamten Aussage. Die

Quelle der modalen Lesart bzw. der Redehintergrund liegt somit nicht beim Satzagens, sondern bei den im Satz meist nicht genannten Personen oder Umständen. (1) Ich soll noch zum Chef gehen. (2) Peter darf bleiben. Neben den typischen extrasubjektiven Modalverben sollen und dürfen können auch einige andere Modalverben, die meist intrasubjektiv verwendet werden, in bestimmten Kontexten extrasubjektiv ((3), (4)) vs. intrasubjektiv ((3a), (4a)) gelesen werden. (3) Diesen Film musst du unbedingt sehen/ gesehen haben. (3a) Peter muss heute arbeiten. (4) Er kann meinetwegen gehen. (4a) Er kann die Frage beantworten. Epistemisch verwendete Modalverben sind nicht agens-, sondern sprecherbezogen und somit extrasubjektiv. (5) Sie muss zu Hause sein. (6) Sabine kann das nicht vergessen haben. Dagegen werden die Modalverben wollen und möchten stets intrasubjektiv verwendet. (7) Sie will/möchte ihm helfen. (8) Sabine will es nicht gewusst haben. Das Verb werden wird – falls es modal gelesen wird – nur extrasubjektiv verwendet. (9) Wolfgang wird jetzt in seinem Büro sitzen. (10) Er wird die Klausur fehlerfrei geschrieben haben.

↔ intrasubjektive Modalverbverwendung → Modalverb → Gram-Syntax: Agens; Satz; Subjekt

Michaił L. Kotin

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Exzessiv-Stufe

Grad im Komparationsparadigma des Adjektivs, der die exzessive Größe einer bestimmten Eigenschaft anzeigt. ▲ excessive: degree in the comparative paradigm of adjectives which signals the excessive presence of a certain property. In einigen Sprachen findet sich eine Komparationsstufe des Adjektivs, die auf das übertriebene Vorkommen einer bestimmten Qualität bzw. Eigenschaft hinweist. Im Baskischen z.B. wird

275 Exzessiv-Stufe dieser Grad synthetisch durch die Suffigierung von -egi an das Adj. gebildet (1). (1) handi ['groß'] – handiegi ['zu groß']

→ Komparation; Suffix; synthetische Form

🕮 Hualde, J.I./ Urbina, J.O. de [2003] A grammar of Basque. Berlin.

Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

E

F faktitives Verb

deadjektivisches oder denominales, abgeleitetes, schwaches, transitives Verb. ▲ factitive verb: deadjectival or denominal derived weak transitive verb. Semantisch beschreibt das faktitive Verb (Dammel 2011: 143) das Resultieren eines Akkusativobjekts im Zustand des der Ableitung zugrundeliegenden Adjektivs ((1), (2)) oder Nomens ((3)–(5)). Dieses Resultieren kann durch eine äquivalente syntaktische Konstruktion mit machen paraphrasiert werden ((1)–(4)). (1) bräunen: 'braun(er) machen' (2) beschönigen: 'schön(er) machen' (3) ahd. blanôn: 'glatt machen' zu lat. plânâre 'ebnen': 'eine Ebene machen' (4) mhd. dachen: 'ein Dach machen' Manchmal werden faktitive Verben den kausativen Verben zugeordnet (vgl. Helbig/Buscha 2001: 63), aber im Unterschied zum faktitiven Verb ist das kausative Verb i.A. ein von einem starken Verb abgeleitetes ((5), (6)). (5) fällen: 'fallen machen' (6) senken: 'sinken machen' Aus diesem Grund beschreibt das faktitive Verb das unmittelbare Herbeiführen eines Zustands, während das kausative Verb ein Veranlassen der Handlung bzw. des Geschehens des zugrundeliegenden starken Verbs ausdrückt. In Fällen, in denen faktitive Verben als kausative Verben aufgefasst werden, geht dies mit einer entsprechenden kausativen Interpretation deadjektivischer oder denominaler Verben einher, weswegen Verben wie in (7) und (8) kausative Verben sein sollen, die „manchmal faktitiv genannt“ werden (Duden 2016: 421). (7) trocknen: 'trocken(er) machen'

(8) verdeutlichen: 'deutlich(er) machen' Die Aktionsart des faktitiven Verbs wird gelegentlich als Subklasse der perfektiven Verben angesehen (Helbig/Buscha 2001: 62f.). Faktitivum und Kausativum konstituieren generell einen anderen Typ der Einteilung, da Aktionsarten lediglich die Ausprägung der im Verb ausgedrückten Handlung, aber keine Veränderung im Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt erzeugen, wie dies beim Faktitivum sowie Kausativum der Fall ist (Hentschel/Weydt 2013: 34ff.). Eine bestimmte Aspektualität ist nicht regelhaft zugeordnet. Die Objektaktanten sind beim kausativen sowie beim faktitiven Verb meist als Patiens involviert. Manchmal kann die verursachte oder herbeigeführte Zustandsänderung bzw. der Resultatszustand mit einem intransitiven Verb beschrieben werden, dessen Subjektaktant mit dem Objektaktanten des kausativen oder faktitiven Verbs identisch ist. Durch die deverbale Bildung ist das i.e.S. kausative Verb für ein Vertauschen der Rollen von Subjekt- und Objektaktanten flexibler (10), während die deadjektivischen bzw. denominalen faktitiven Verben oft starrere semantische Rollen zu vergeben scheinen ((9), (11)) (vgl. Duden 2016: 419ff.). (9) Sie trocknet die Birnen. Die Birnen trocknen. [faktitives Verb] (10) Das Kind tränkt die Kuh. Die Kuh trinkt. [kausatives Verb] (11) Sie verdeutlicht ihm den Zusammenhang. (11a) *Der Zusammenhang verdeutlicht. [faktitives Verb] Maria Schädler

→ Aktionsart; Faktitivum; Kausativum; schwaches Verb; transitiv; transitives Verb

→ Gram-Syntax: Ableitung; Patiens ⇀ faktitives Verb (Wobi) ⇁ factitive verb (Typol)

Faktitivum 278 🕮 Dammel, A. [2011] Konjugationsklassenwandel: Prinzipien des Ab-, Um- und Ausbaus verbalflexivischer Allomorphie in germanischen Sprachen (StLingGerm 103). Berlin [etc.] ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

F

Faktitivum

Typ eines deadjektivischen oder denominalen, abgeleiteten, schwachen, transitiven Verbs. ▲ factitive verb: type of deadjectival or denominal derived weak transitive verb. Das Faktitivum (lat. factum 'Handlung', 'Tat') ist der Typ eines von einem Adj. oder von einem Nomen (Dammel 2011: 143) abgeleiteten Verbs, das auch faktitives Verb genannt wird. Der Typ Faktitivum beschreibt das Resultieren eines Akkusativobjekts im Zustand des der Ableitung zugrundeliegenden Adjektivs ((1), (2)) oder Nomens ((3)–(5)). Dieses Resultieren kann durch eine äquivalente syntaktische Konstruktion mit machen paraphrasiert werden ((1)–(5)). (1) mildern: 'mild(er) machen' (2) beschönigen: 'schön(er) machen' (3) ahd. blanôn: 'glatt machen' zu lat. plânâre 'ebnen': 'eine Ebene machen' (4) mhd. dachen: 'ein Dach machen' (5) holzen: '(Nutz-)Holz machen' Manchmal wird der Begriff Faktitivum i.w.S. im Zusammenhang mit kausativen Verben als Kausativum verwendet. Im Unterschied zum Faktitivum beschreibt das Kausativum jedoch i.A. den Typ der von starken Verben abgeleiteten Verben ((6), (7)). (6) fällen: 'fallen machen' (7) senken: 'sinken machen' Aus diesem Grund beschreibt das Faktitivum das unmittelbare Herbeiführen eines Zustands, während das Kausativum ein Veranlassen der Handlung des zugrundeliegenden starken Verbs ausdrückt. Eine Betrachtung der Faktitiva als Kausativa (vgl. Helbig/Buscha 2001: 63) oder als Untergruppe der Kausativa ist deshalb nicht unproblematisch. In Fällen, in welchen der Typ Kausativum Verben des Typs Faktitivum zugeordnet wird, geht dies mit einer entsprechenden kausativen Interpretation deadjektivischer oder

denominaler Verben einher ((8), (9)) (vgl. Duden 2016: 421). (8) trocknen: 'trocken(er) machen' [Kausativum/Faktitivum] (9) verdeutlichen: 'deutlich(er) machen' [Kausativum/Faktitivum] Die Aktionsart des Faktitivums wird gelegentlich als Subklasse der perfektiven Verben angesehen (Helbig/Buscha 2001: 62f.). Faktitivum und Kausativum konstituieren jedoch generell einen anderen Typ der Einteilung, da Aktionsarten lediglich die Ausprägung der im Verb ausgedrückten Handlung, aber keine Veränderung im Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt erzeugen, wie dies beim Faktitivum sowie Kausativum der Fall ist (Hentschel/Weydt 2013: 34ff.). Eine bestimmte Aspektualität ist nicht regelhaft zugeordnet. Im Unterschied zu obigen Ausführungen verwendet die frühe Kasusgrammatik Fillmores den Terminus Faktitiv/Faktitivum (engl.: factitive), um die thematische Rolle bzw. den Tiefenkasus für Objekte oder Wesenheiten, welche aus der vom Verb beschriebenen Handlung oder dem vom Verb beschriebenen Zustand resultieren, zu bezeichnen (10) (Fillmore 1968 : 25). (10) Der Holzfäller macht Brennholz. Maria Schädler

→ faktitives Verb; Kausativum; schwaches Verb; transitiv; transitives Verb

⇀ Faktitivum (Wobi) ⇁ factitive verb (Typol)

🕮 Dammel, A. [2011] Konjugationsklassenwandel: Prinzipien des Ab-, Um- und Ausbaus verbalflexivischer Allomorphie in germanischen Sprachen (StLingGerm 103). Berlin [etc.] ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case. In: Bach, E./ Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

faktives Adverb

semantisch definierte Teilklasse der Kommentaradverbien, die eine Bewertung des Sprechers zu einem Sachverhalt ausdrücken, der als zutreffend gilt. ▲ factive adverb: semantically defined subclass of adverbs of comment which express an assessment by the speaker of facts which are assumed to be true. Die Bewertung des Sprechers zum gesamten Sachverhalt setzt voraus, dass der Sachverhalt in der

279 Farbadjektiv realen Welt zutrifft, d.h., der Sachverhalt gilt als gegeben und wird darüber hinaus bewertet. Zu den faktiven Adverbien gehören Ausdrücke wie anerkanntermaßen, bedauerlicherweise, dummerweise, erstaunlicherweise, glücklicherweise, klugerweise, leider, seltsamerweise, unnötigerweise. (1) Leider hielt das schlechte Wetter bis zum übernächsten Tag an. (2) Seltsamerweise schweigt auch der Vorsitzende der Gewerkschaft.

→ Adverb; Kommentaradverb → Gram-Syntax: Sachverhalt

Jussara Paranhos Zitterbart

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

faktives Verb

Matrixverb, dessen Semantik die Gültigkeit der im Objektsatz ausgedrückten Proposition q bestimmt, unabhängig davon, ob der Sachverhalt p mit dem faktiven Matrixverb zutrifft oder nicht. ▲ factive verb: matrix verb the semantics of which can assess the validity of the proposition q of an embedded object clause, independently of whether the proposition p expressed in the main clause with the factive verb is valid or not. ≡ Faktivität; implikatives Verb

Hang Ferrer Mora

→ Matrixverb; Verb → Gram-Syntax: Objektsatz; Proposition; Sachverhalt ⇀ faktives Verb (CG-Dt) ⇁ factive verb (CG-Engl)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Levinson, S.C. [1983] Pragmatics. Cambridge ◾ Schulz, P. [2003] Factivity: Its Nature and Acquisition. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Faktivität

≡ faktives Verb

Faktizität

kategorialgrammatische Funktion einer Sprachform, die in der Bewertung des dadurch kodierten Inhalts durch den Sprecher und den Hörer als faktisch bzw. real existent besteht. ▲ facticity: categorial function of a linguistic form encoding an assessment of the proposition by the speaker and receiver as being a real state. Faktizität gehört zu neutralen bzw. unmarkierten

Kategorialfunktionen, da eine merkmallose Aussage normalerweise eine faktische Interpretation per se voraussetzt ((1), (2)). (1) Peter hat ein neues Auto. (2) Gestern haben wir Schach gespielt. Daher wird Faktizität durch den direkten Verbmodus Indikativ ausgedrückt, der zwei indirekten Modi, dem Imperativ als Befehlsform sowie dem Konjunktiv als Wunsch- bzw. Irrealisform, gegenübersteht. Dabei sind nicht alle Sätze mit den im Indikativ stehenden Prädikaten automatisch faktisch, da nichtfaktische Bedeutungen (u.a. Vermutungen, Wünsche etc.) auch mithilfe lexikalischer Mittel (z.B. Verben des Typs annehmen, vermuten, wünschen etc.) ausgedrückt werden können. Michaił L. Kotin

→ Indikativ; Konditional; Konjunktiv; Modus → Gram-Syntax: Funktion; Kategorialgrammatik; Realis

🕮 Diewald, G. [1999] Die Modalverben im Deutschen. Grammatikalisierung und Polyfunktionalität. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Fall

≡ Kasus

Fall, dritter → Dativ

Fall, erster

→ Nominativ

Fall, vierter → Akkusativ

Fall, zweiter → Genitiv

Fallfügeteil

≡ Präposition

Fallfügteil

≡ Präposition

Farbadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine bestimmte Farbe angeben. ▲ colour adjective: semantically defined subclass of adjectives which describe a specified colour.

F

feature 280

F

Farbadjektive gehören zu der allgemeineren semantischen Subklasse der qualifizierenden Adjektive. Ferner gehören sie zu den absoluten (bzw. extensionalen) Adjektiven, die Eigenschaften im eigentlichen Sinne benennen wie z.B. rot, grün, rund, seidenmatt oder verheiratet. Ihre Extension ist von der des Kernsubst. der entsprechenden NP unabhängig, wie rot in rotes Tuch. Dabei wird auf die Prototypen rot, blau, grün, gelb usw. Bezug genommen. Farbadjektive sind komparierbar, da das Farbspektrum ein Kontinuum bildet. (1) Wenn er brüllt, wird sein Gesicht roter als das des Hardcore-Punk-Sängers Henry Rollins. (SZ, 05.02.2011: 12) (2) Moritz will uns sagen: Guckt mal, meine Schuhe sind grüner als Gras. (SZ, 23.04.2005: V2/7) Manche Farbadjektive sind Konversionsprodukte und zeigen deshalb ein besonderes Verhalten hinsichtlich der Flexion: ein lila/rosa Kleid. Ugs. kann jedoch flektiert werden (3). (3) Irgendwann war da nur noch diese lilane Mütze. (Nürnberger Nachrichten, 22.12.2008: 30) Jussara Paranhos Zitterbart

→ absolutes Adjektiv; extensionales Adjektiv; intersektives

Adjektiv; prototypisches Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin.

feature

≡ Merkmal

Femininum

grammatisches Genus, das in vielen Sprachen bei den deklinierbaren Wörtern vorkommt. ▲ feminine gender; feminine: grammatical gender of declinable words in many of the world’s languages. Eine Übereinstimmung von grammatischem Geschlecht (genus femininum) und natürlichem weiblichem Geschlecht (Sexus) besteht bei Personenbezeichnungen (dt. Mutter, sie; engl. mother, she; poln. matka, ona) und ist im Dt. auch bei vielen Berufsbezeichnungen (Lehrerin, Ärztin) möglich. Das Genus des Subst. spielt u.a. für die Flexion eine Schlüsselrolle. Die Genusdetermi­ nation ist meist morphologisch oder semantisch begründet. Im Dt. sind u.a. Substantive auf -ei,

-heit, -ion, -in, -keit, -schaft, -tät, -ung, -ur (die Schönheit, Landschaft, Literatur) Feminina, wobei es gelegentlich Ausnahmen (der Papagei) und Schwankungen (der/die Salbei) gibt, sowie die meisten Zweisilber auf -e (die Lampe; aber: das Ende). Unter semantischem Aspekt sind im Dt. folgende Substantivgruppen oft feminin: Personenbezeichnungen für Frauen (die Tochter), Bezeichnungen für weibliche Tiere (die Kuh), Baumbezeichnungen (die Kiefer), Blumennamen (die Rose), Schiffsnamen und Motorradmarken. Abweichungen sind u.a. das Weib, das Huhn, das Vergissmeinnicht. Die sprachliche Ungleichbehandlung durch das Genussystem im Zusammenhang von Sprache und Geschlecht (vgl. generisches Maskulinum) hat innerhalb der feministischen Ling. (Pusch 1990; Posti 1991) zu emanzipatorischen Bemühungen in Richtung auf eine geschlechtergerechte Sprache geführt. Es gibt zwei unterschiedliche Strategien, um Geschlechtersymmetrie in der Sprache herzustellen (vgl. Hellinger 1985): (a) Sichtbarmachung von Frauen durch formalgrammatische Mittel (Geschlechtsspezifikation bzw. Feminisierung), im Dt. z.B. durch Movierung: Lehrer/Lehrerin; Differentialgenus: der/die Auszubildende; regelmäßige Zusammensetzungen: Fachmann/Fachfrau; Doppelnennungen: Schülerinnen und Schüler, im Engl. durch pronominales Splitting (a good doctor knows and remembers his or her patients), im Frz. z.B. durch additive (professeur bzw. femme professeur/professeure) oder suppletive Suffigierung (horloger/horlogère); Differentialgenus: le/ la chef, un/une artiste; (b) Unsichtbarmachung der Geschlechter (Genusabstraktion bzw. Neutralisierung) in Sprachen ohne grammatisches Genus wie z.B. Engl., vgl. Verwendung von singularem they zur Referenz auf beide Geschlechter (1). (1) Everyone has their own path. Für die roman. Sprachen mit einem Zweiergenussystem aus Maskulinum und Femininum haben sich Neutralisierungsstrategien herausgebildet wie z.B. die Verwendung von Kollektivausdrücken (frz. le corps professoral; ital. forze di lavoro) oder geschlechtsabstrahierenden Personenbezeichnungen (frz. membre), ebenso im Pl. (ital. membri del Parlamento). Edyta Błachut ≡ weibliches Geschlecht → § 15, 16; Differentialgenus; generisches Maskulinum;

281 Genus; Genusdetermination; Geschlechtsspezifikation; Maskulinum; Movierung; Neutrum; Sexus ⇁ feminine gender (Typol)

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hellinger, M. [Hg. 1985] Sprachwandel und feministische Sprachpolitik: Internationale Perspektiven. Opladen ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1984] Sechs Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen: Ein Beitrag zur natürlichen Klassifikation. In: LB 93: 26–50 ◾ Posti, G. [1991] Weibliches Sprechen. Feministische Entwürfe zu Sprache und Geschlecht. Wien ◾ Pusch, L. [1980] Das Deutsche als Männersprache. In: LB 69: 59–73 ◾ Pusch, L.F. [1990] Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt/Main ◾ Siemund, P. [2008] Pronominal Gender in English. A Study of En­ glish Varieties from a Cross-linguistic Perspective. London.

Finaladverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die den Zweck und Ziel eines Geschehens angeben. ▲ final adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the purpose and objective of an action. Folgende Ausdrücke gehören der Teilklasse der Finaladverbien an: dafür, dazu, hierfür, hierzu einschließlich der Frageformen wofür und wozu. Funktional können mehrere Elemente der Teilklasse anderen Teilklassen angehören. So können z.B. dafür und dazu auch als Präpositionaladverbien eingestuft werden. (1) Wer in allen sieben Disziplinen Leistung bietet, hat hart dafür gearbeitet. (2) Dazu ist immer wetterfeste Kleidung nötig. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ finales Adverb → Adverb; Präpositionaladverb → Gram-Syntax: Finalangabe; finale Adverbialbestimmung 🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

finale Konjunktion ≡ finaler Subjunktor

finale Subjunktion ≡ finaler Subjunktor

finaler Dativ

Dativphrase, die den Zweck einer Handlung bzw. einer Tätigkeit zum Ausdruck bringt.

finaler Infinitiv ▲ final dative: dative phrase which expresses the purpose of an action or an activity.

Der finale Dativ bringt den Zweck zum Ausdruck, für den die vom Verb bezeichnete Handlung bzw. Tätigkeit durchgeführt wird (Duden 1995: 634) (1). (1) Er lebt nur seiner Arbeit. (Duden 1995: 634) Da dieser Dativtyp im heutigen Dt. selten vorkommt (der Zweck der Handlung wird vielmehr durch eine für-Phrase realisiert), wird der Terminus finaler Dativ bzgl. des Dt. in den neueren Grammatiken nicht mehr erwähnt. Fabio Mollica

→ Dativ; dativus finalis; finaler Infinitiv → Gram-Syntax: Finalangabe; finale Adverbialbestimmung

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim

[etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

finaler Infinitiv

Infinitiv, der die semantische Beziehung der Absicht, des Ziels oder des Zwecks ausdrückt. ▲ final infinitive: infinitive expressing the semantic notions purpose, aim, or intention. Im Dt. kann der reine Infinitiv im einfachen Satz neben Bewegungsverben (gehen, fahren, schicken) als Finalbestimmung fungieren (1). (1) Ich gehe noch schnell einkaufen. Noch häufiger erscheint der Infinitiv in einem von der finalen Subjunktion um … zu eingeleiteten Finalsatz. Diese freie finale Infinitivkonstruktion ist nur möglich, wenn das Subjekt im Hauptund Nebensatz identisch ist (2). (2) Ich stehe heute früher auf, um noch vor der Arbeit einkaufen zu können. Eine ähnliche Infinitivkonstruktion ist in Verbindung mit bedeutungsgleichen finalen Subjunktionen auch in anderen Sprachen belegt: in order + Infinitiv (Engl.), pour + Infinitiv (Frz.), para + Infinitiv (Span.). György Scheibl

→ Infinitiv; reiner Infinitiv → Gram-Syntax: erweiterter Infinitiv; Finalangabe; finaler Angabesatz; Infinitivkonstruktion

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw.

Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

F

finaler Subjunktor 282

finaler Subjunktor

Kausalsubjunktor, der einen abhängigen Finalsatz in einen Obersatz integriert. ▲ final subjunctor: causative subjunctor with the function of integrating a final clause into a main sentence.

F

Die finalen Subjunktoren leiten je einen abhängigen Verhältnissatz ein, der für den integrierten Obersatz einen Zweck angibt, „d.h. einen willensbasierten (volitiven) Grund für das OS-Geschehen einführt“ (Fabricius-Hansen 2007: 782), (1). (1) Wir führen den Wahlkampf, um zu regieren. Im Dt. sind damit und um ... zu die finalen Standardsubjunktoren. Auf dass ist veraltet bzw. ironisch gefärbt (Fabricius-Hansen 2007). Es kann den Aussagen auch einen gehobenen, feierlichen Charakter verleihen (2). (2) Auf dass gut werde, was lange währte. Christine Römer ≡ finale Konjunktion; finale Subjunktion → finaler Infinitiv; kausaler Subjunktor; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Finalangabe; finaler Angabesatz

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2007] Subjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.].

finales Adverb ≡ Finaladverb

Wortform bestehen, werden synthetisch genannt. Analytische Formen konstituieren sich dagegen aus einem finiten Hilfsverb im Präs oder Prät. und einer infiniten Form eines Vollverbs (Duden 2005: 437). Die Kategorien der Person und des Numerus werden durch die Subjektergänzung gesteuert, während die Kategorie des Tempus und des Modus „zur zeitlichen Einordnung des beschriebenen Geschehens und zum ,Wirklichkeitsbezug‛ oder ,Wahrheitsanspruch‛“ beitragen (Duden 2005: 436). In der Fachlit. wird die Frage, ob auch der Imperativ zum Verbalparadigma zu zählen ist, nicht einheitlich beantwortet, da er nicht nach Pers., sondern nur nach Numerus flektiert wird. Fabio Mollica ≡ bestimmte Verbform; finite Form; finites Verb; Finitum; Leitglied; verbum finitum ↔ infinite Verbform → Finitheit; Flexionsparadigma; genus verbi; Imperativ; Infinitiv; Modus; Numerus; Person; Tempus

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

finite Form

finites Verb

finite Verbform

Finitheit

≡ finite Verbform

Verbform, die alle Flexionsdimensionen, d.h. Person, Numerus, Tempus, genus verbi und Modus, zum Ausdruck bringt. ▲ finite verb form: verb form which expresses all inflectional endings, i.e. person, number, tense, voice and mode. Im finiten Bereich werden fünf Einheitenkategorisierungen ausgedrückt (Helbig/Buscha 2001: 29): (1) Person (1., 2., 3. Pers.), (2) Numerus (Sg. und Pl.), (3) Tempus (Präs., Prät., Perf., Plq.perf., Futur I, Futur II), (4) genus verbi (Aktiv, Passiv) und (5) Verbmodus (Indikativ, Konjuktiv, Imperativ). So enthält eine finite Verbform wie fährt fünf Flexionsmerkmale: 3. Pers., Sg., Präs., Aktiv, Indikativ. Auch mehrteilige Formen mit finitem Hilfsverb (z.B. ist gefahren) werden in der Regel als finit angesehen (vgl. Eisenberg 2004: 100). Formen, die beim Konjugationsparadigma lediglich aus einer

≡ finite Verbform Verwendung eines Verbs in konjugierter Form, wobei insbesondere die grammatischen Kategorien der Person, des Numerus und des Modus morphologisch kodiert sind. ▲ finiteness: occurrence of a verb in an inflectional form, in which especially the grammatical categories of person, number, and mood are morphologically encoded. Die Finitheit ist ein zentrales Merkmal des Verbalsystems flektierender Sprachen. Aus morphologischer Sicht handelt es sich dabei um das grundlegende Prinzip der Formenbildung eines Verbs bei der Gestaltung des Verbalparadigmas. Mithilfe der Endungsflexion, der formenbildenden Suffixe und der inneren Flexion (u.a. des Wurzelablauts) werden die jeweiligen Verbformen als Bausteine eines Gesamtsystems gebildet: mach-st; mach-test; würd-e etc.

283 flektierbar Aus syntaktischer Sicht ist die Finitheit ein notwendiges und hinreichendes Satzkriterium (vgl. u.a. Zifonun et al. 1997), d.h., das Vorhandensein einer finiten Verbform konstituiert einen Satz, im Unterschied zu einer kommunikativen Minimaläußerung, die keiner Finitheit bedarf, ((1), (2) vs. (3), (4)). (1) Peter schläft. (2) Es wird kalt. (3) Feuer! (4) Die Bundeskanzlerin in Warschau einge­ troffen. Das Hauptmittel der Bildung finiter Verbformen sind die Personalendungen, die zugleich die Kategorie des Numerus kodieren. Im dt. Verbalsystem gibt es zwei Typen der Personalendungen. Die sog. Primärendungen (-e, -(e)st, -(e)t, -(e)n, -(e)‌t, -(e)n) kodieren die Formen des Präs. Indikativ: mal-e, arbeit-est, spiel-t etc. Dabei wechselt der Stammvokal e der starken Verben in der 2. und 3. Pers. Sg. auf i, und die umlautfähigen Stammvokale bekommen in denselben Formen den Umlaut: gib-st, gib-t; läuf-st, läuf-t. Die sog. Sekundärendungen (-, -(e)st, -, -(e)n, -(e)t, -(e)n) kodieren die Präteritalformen des Indikativs und den gesamten Konjunktiv aller Verben sowie die Präsensformen des Indikativs Sg. der Präteritopräsentia: lief, malte-st, habe-st, wäre, kann. Außer den Personalendungen gibt es andere morphologische Mittel der Finitheit: (a) die innere Flexion (der Wurzelablaut) zur Bildung der Tempusformen starker Verben: sprech-e, sprach; (b) der Umlaut des Stammvokals zur Bildung der präteritalen Konjunktivformen starker und einiger schwacher Verben und Präteritopräsentia: würde, hätte, könnte, bräuchte; (c) das grammatische Suffix -e zur Bildung der Konjunktivformen im Präs. und Prät.: hab-e-st, wär-e-t; (d) das Dentalsuffix -te zur Bildung der Präteritalformen der schwachen Verben und Präteritopräsentia: mach-te, konn-te-st; (e) die Suppletivität, d.h. Bildung der finiten Verbformen von verschiedenen Stämmen, vgl. bin, ist, sind. Die Form des Imperativs Sg. wird endungslos oder mithilfe der (oft fakultativen) Endung -e gebildet: schreib-(e)!, mach-(e)!, arbeit-e! Die Form des Imperativs Pl. entsteht durch Hinzufügen der imperativischen Personalendung -(e)t an den Verbalstamm: schreib-t!, mach-t!, arbeit-et! Bei den starken Verben mit dem Stammvokal -e wechselt

dieser im Imperativ Sg. in der Regel auf -i, die Endung -e entfällt dabei obligatorisch: lies!, sprich! Bei der Bildung der analytischen (periphrastischen) Tempus-, Genus- und Modusformen treten Finitheit und Infinitheit nebeneinander auf, indem die finite Verbform in Verbindung mit einer infiniten Verbform (Infinitiv oder Partizip II) erscheint, vgl. werd-e kommen, ha-st gemacht, wären gefahren, würd-e fragen, wurd-e gelesen, ist gemacht worden. Generell gilt für die Fälle, in denen die finite Verbform mit einer infiniten Verbform, einem Nomen oder einem Adj. als Prädikativum erscheint, die Faustregel, dass das verbum finitum semantisch diffus oder gar bedeutungsleer ist, während das infinite bzw. das nominale Komplement den semantischen Kern der Periphrase bildet: (5) Er ist gekommen. (6) Wir müssen gehen. (7) Peter wird Lehrer. (8) Die Geschichte scheint interessant (zu sein). Aus sprachhist. Sicht ist die Finitheit das genuine Merkmal des Verbs, da das Verb urspr. nur die finiten Formen besaß. Die infiniten Formen sind erst später entstanden, urspr. sind das deverbale Nomina (Infinitiv) oder Adjektive bzw. Gerundia (Partizipien) gewesen. Michaił L. Kotin

→ § 16; finite Verbform; Konjugation; Numerus; Person; Tempus; Verb; Verbalsystem; Verbparadigma

→ Gram-Syntax: Satz ⇀ Finitheit (QL-Dt)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kuryłowicz, J. [Hg. 1969] Indogermanische Grammatik. Heidelberg ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Finitum

≡ finite Verbform

flektierbar

flexionsmorphologisch veränderbar. ▲ inflectable: able to be altered by means of inflection.

F

flektierende Sprache 284

F

Flektierbarkeit ist eine Eigenschaft von Wortklassen. Im Dt. sind die Wortarten Verb, Subst., Adj., Artikel und Pron. flektierbar, d.h., sie verfügen über mindestens zwei unterschiedliche Wortformen, die durch Flexion entstehen. In der Regel sind die flektierbaren Wortarten auch flektiert. So weist das Lexem Tag u.a. eine Wortform mit den Flexionskategorien Nominativ und Sg. auf, die Tag lautet. Bei Verben gilt der Infinitiv als nicht flektiert, die finiten Formen des Verbs sind flektierte Formen. Adjektive sind in der Regel flektierbar, doch kommt auch die unflektierte Form des Adj., die sog. Kurzform, in bestimmten syntaktischen Kontexten vor, nämlich bei prädikativer und adverbialer Verwendung. Anders als bei Verb und Subst. gibt es auch nicht flektierbare Adjektive; dazu gehören u.a. Farbadjektive fremden Ursprungs (rosa, lila, beige, orange) und die (großgeschriebenen) Stadtadjektive wie Osnabrücker in der Osnabrücker Bürgermeister. Auch in der Klasse der Pronomina finden sich nicht flektierbare Wörter. Neben man sind dies die neutralen Indefinitpronomina wie etwas, nichts und das Pron. was. Rolf Thieroff

↔ unflektierbar → Flexion; Flexionskategorie; Wortart; Wortform

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Glinz, H. [1973] Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik. 6. Aufl. Bern [etc.] ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Thieroff, R. [2012] Die indeklinablen neutralen Indefinitpronomina. In: Rothstein, B. [Hg.] Nicht flektierende Wortarten. Berlin [etc.]: 117–146.

flektierende Sprache

Sprachtyp, bei dem mittels Affigierung und/oder Veränderung des Wortstamms die Formen eines Wortes gebildet werden. ▲ inflectional language: language type in which the morphology of a word is altered by means of affixation and/or changes within the word stem. Flektierend (von lat. flectere 'beugen') ist ein von Wilhelm von Humboldt (1836) und August Wilhelm Schlegel (1818) definierter synthetischer Sprachtyp, bei dem die grammatischen Kategorien und syntaktischen Beziehungen durch innere Flexion mit Veränderung des Stamms – Ablaut

(finden – fand), Umlaut (Mutter – Mütter), grammatischen Wechsel (schneiden – schnitt) – oder durch äußere Flexion mittels Affigierung von Morphemen, die mit dem Stamm eng verbunden sind (Lied – Lieder), oder durch beides (Kraft – Kräfte) markiert werden. Zu den flektierenden gehören die idg. und die hamitosemitischen Sprachen. Im Gegensatz zu agglutinierenden Sprachen, die Affixe mit individuell verschiedenen Morphembedeutungen aneinanderreihen, neigen Flexionsaffixe formal zur Fusion bei gegenseitiger Beeinflussung von benachbarten Morphemen, so dass dieser Sprachtyp auch fusionierend genannt wird. Formal realisiert ein Flexiv oft mehr als nur eine Morphembedeutung (lat. amatur ist 3. Pers. Sg. Präs. Indikativ Passiv 'er/sie/ es wird geliebt'; -n u.a. für Pl. der Substantive und auch Dativ in Knaben), oder umgekehrt kann eine Morphembedeutung durch verschiedene Flexive, z.B. Pl. der Substantive (u.a. +/–Umlaut + -er, -e in Kräfte, Bücher) markiert werden. Aufgrund der Verschmelzung von Affix und Wortstamm können die einzelnen Morphembedeutungen lautlich oft nicht (mehr) zugeordnet werden. Die Unterscheidung zwischen agglutinierender und fusionierender Affigierung wird weitgehend zur Abgrenzung zwischen agglutinierenden und flektierenden Sprachen herangezogen. Trotz gelegentlicher agglutinierender Affigierung wie z.B. -e für Pl. in Tage und zusätzlich -n für Dat. in Tagen, wird das Dt. als flektierende Sprache eingestuft (Eisenberg 2006: 156). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Affigierung; Agglutination; Flexion; innere Flexion; Stammalternation; Vokalwechsel

→ Gram-Syntax: Sprachtypologie ⇀ flektierende Sprache (HistSprw)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Humboldt, W. von [1836/1968] Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Bonn [etc.] ◾ Schlegel, A.W. von [1818] Observations sur la langue et la littérature provençales. Paris.

Flexem

≡ Flexiv

Flexion

regelhafte morphologische Abwandlung eines Wortes nach bestimmten grammatischen Kategorien mit ihren jeweiligen Merkmalen.

285 Flexion ▲ inflection; inflexion: modification of a word to ex-

press different grammatical categories by means of inflectional morphemes.

Als Flexion bezeichnet man die Bildung der einzelnen Wortformen (auch: Flexionsformen) eines bestimmten Wortes. Dabei wird im Dt. die Flexion von Subst., Artikelwort, Pron. und Adj. als Deklination bezeichnet. Die Flexion des Verbs heißt Konjugation. Die Bildung der Komparationsformen bei den Adjektiven und einigen Adverbien wird Komparation genannt. Von Flexion spricht man grundsätzlich dann, wenn die betrachteten Wörter Wortformen in einem strikten Sinne, also synthetische Formen sind (Kindes, Kinder; breiter; rufe, rufst; des; ihnen u.a.). Bei den analytischen (periphrastischen) Formen wie den Verbformen des Perfekts oder des Passivs enthält das Flexionsparadigma (d.h. die Gesamtheit der Flexionsformen) nur synthetische Formen der zusammengesetzten Einheit (habe gerufen; wirst gefragt u.a.). Bei den Formen der meisten nominalen Wortarten (Substantive, Adjektive, Artikelwörter und manche Pronomina) wird nach Kasus und Numerus kategorisiert; zudem bei den Adjektiven, Artikelwörtern und Pronomina nach Genus, bei den Pronomina noch nach Person. Adjektive und einige Adverbien bilden Komparativ- und Superlativformen. Verben flektieren nach Person, Numerus, Tempus (synthetisch sind nur Präs. und Prät.), Modus und genus verbi (synthetisch ist nur das Aktiv). Für slaw. Sprachen (u.a. Poln., Russ., Tschech., Slowakisch) unterscheidet man bei manchen Verben als weitere Flexionskategorie den Aspekt (vgl. Bańko 2005; Nagórko 2005). Flexion erfolgt in unterschiedlicher morphologischer Form; im Dt. oder im Poln. sowohl durch Abwandlung des Stamms als auch durch Anfügung bestimmter Endungen (Flexeme, Flexive), wobei eine einzelne Endung mehrere syntaktisch-semantische Informationen enthalten kann (vgl. Kind-es [Sg. + Genitiv]); in agglutinierenden Sprachen (z.B. im Ung.) entsprechen diesen meist Affixkombinationen. Wenn Wörter flektiert werden, bildet deren Stamm die Grundlage. Enthält das Flexionsparadigma die Grundform selbst sowie Formen, deren Stamm identisch mit der Grundform ist, sind das die Merkmale der Grundformflexion (Tag [Nominativ/Akkusativ Sg.], Tages [Genitiv Sg.], Tag-e [Nominativ/Genitiv/Akkusa-

tiv Pl.] etc.). Hat das Wort in allen Flexionsformen des Paradigmas Suffixe (darunter auch fakultative), bezeichnet man diesen Typ als Stammflexion (Infinitiv als Grundform: leg-en; Stamm: leg-; Imperativ mit fakultativem Suffix: leg(e)!; Indikativ: (ich) leg-e, (du) leg-st etc.; vgl. Eisenberg 2006: 153). Innenflexion (auch: innere Flexion, innere Abwandlung) ist der Oberbegriff für alle Formen von grammatischen Kennzeichnungen durch Veränderung im Stamm. Die einzelnen Arten der inneren Abwandlung sind Ablaut (sehen – sah), Umlaut (Haus – Häuser), Konsonantenwechsel (bringen – brachte). Die Flexionsmittel werden häufig miteinander kombiniert (lang – länger [Umlaut + Flexionsendung]). Wenn bei bestimmten grammatischen Merkmalen im Flexionsparadigma ein völlig anderer Stamm auftritt, spricht man von Suppletion, vgl. z.B. im Dt. oder im Poln. die Formen von sein: bin, ist, sind, war; być: jestem 'ich bin', jesteśmy 'wir sind', im Dt., Poln. oder Engl. die Komparationsformen von gut: besser, am besten; dobry: lepszy, najlepszy; good: better, best. Manche Wörter haben innerhalb des Paradigmas Flexionsformen, die sich nur in ihren grammatischen Merkmalen, nicht aber in ihrer Form unterscheiden, vgl. der Mensch [Nominativ] – des/ dem/den Menschen [Nicht-Nominativ]. Bei solcher Gleichförmigkeit spricht man von Synkretismus oder Unterspezifikation. Die Flexion ist ein definierendes Charakteristikum flektierender Sprachen, wobei die jeweiligen Sprachen verschieden komplexe Flexionsparadigmen haben. Für das Engl. ist der radikale Abbau des Flexionssystems charakteristisch, während das Dt. oder das Poln. relativ konservativ sind. Der Gegensatz zu flektierenden Sprachen sind isolierende Sprachen mit genau einer Form im Paradigma (z.B. Chin., Vietnamesisch). Von der Flexion ist die Wortbildung zu trennen, in der gleichartige Mittel auftreten (springen – Sprung [innere Abwandlung]; sprech-en – Sprecher [Affix]). Zu Wortbildungsmitteln (in Abgrenzung von den Flexionsmitteln) gehören alle Veränderungen, durch die man neue Wörter bildet. Edyta Błachut ≡ Beugung; Formenbildung; Wortformbildung ↔ Wortbildung → § 1, 3, 15, 16; Ablaut; Agglutination; Deklination; flektieren-

F

Flexion, innere 286 de Sprache; Flexionsform; Flexionskategorie; Flexionsparadigma; Flexiv; Formenlehre; Grundformflexion; innere Flexion; Komparation; Konjugation; Reduplikation; Stammflexion; Suppletion; Synkretismus; Umlaut; Wortart ⇀ Flexion (CG-Dt; HistSprw) ⇁ inflection (CG-Engl; Typol)

F

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2000] Inflection and derivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 360– 369 ◾ Booij, G. [2000] Morphology and Phonology. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 335–344 ◾ Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2010] Deutsche Grammatik. 6., vollst. überarb. Aufl. Zürich ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾ Vater, H. [1979] Das System der Artikelformen im gegenwärtigen Deutsch. 2., verbess. Aufl. Tübingen ◾ Wegener, H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen ◾ Wellmann, H. [2008] Deutsche Grammatik. Laut. Wort. Satz. Text. Heidelberg ◾ Wiese, B. [1996] Iconicity and Syncretism. On Pronominal Inflexion in Modern German. In: Sackmann, R. [ed.] Theoretical Linguistics and Grammatical Description. Papers in honour of Hans Heinrich Lieb on the occasion of his 60th birthday. Amsterdam [etc.]: 323–344 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Flexion, innere → innere Flexion

Flexion, parallele → parallele Flexion

zum Ausdruck der Flexionskategorien und werden entweder synthetisch durch die innere Veränderung des Stammes (vgl. singen – sang) und/oder durch das Anhängen von Flexionsmorphemen (vgl. singe, singen, sangen) oder analytisch mithilfe von Hilfsverben (vgl. wird singen) gebildet. Die Gesamtheit der Flexionsformen bildet ein Flexionsparadigma. Wenn innerhalb eines Flexionsparadigmas ein Formenzusammenfall zweier (oder mehrerer) Flexionsformen vorkommt, spricht man von Synkretismus (vgl. den Jungen [Akkusativ] – des Jungen [Genitiv]). Manche Flexionsformen weichen formal von der Grundform des Lexems völlig ab. Diese werden Suppletivformen genannt (vgl. sein – bin – ist – war). Eszter Kukorelli

→ § 8; Flexion; Flexionskategorie; Flexionsparadigma; Suppletion; Suppletivform; Synkretismus

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Elsen, H. [2011] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich.

Flexionsgrammem

gebundenes sprachliches Zeichen mit grammatischer Bedeutung, das in der Flexion verwendet wird. ▲ inflectional grammeme: formal bounded linguistic sign with a grammatical function that is used in inflection. Eszter Kukorelli

→ Flexion; gebundenes Morphem; grammatisches Morphem; Grammem

→ Gram-Syntax: grammatische Bedeutung

🕮 Bechmann, S. [2013] Bedeutungswandel deutscher Verben. Eine gebrauchstheoretische Untersuchung. Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Zierer, E. [1965] Minimum linguistic units. In: ZPSK 18/2: 181–184.

Flexion, pronominale

Flexionskasus

Flexionsform

Flexionskategorie

→ pronominale Deklination

flektierte Form eines Lexems, die im konkreten Sprachgebrauch realisiert wird. ▲ inflectional form: inflected form of a lexeme which is realised in concrete language use. Flektierbare Wörter realisieren sich in Sätzen und Texten durch verschiedene Formen mit gleicher lexikalischer Bedeutung. Flexionsformen dienen

≡ reiner Kasus

grammatische Kategorie, die durch ein flektiertes Wort ausgedrückt wird. ▲ inflectional category: grammatical category that is expressed by an inflected word. Ein flektierbares Wort wird nach bestimmten Merkmalklassen flektiert und realisiert sich dadurch im konkreten Sprachgebrauch durch Fle-

287 Flexionsmorphologie xionsformen, die verschiedene grammatische Merkmale markieren. Für die Bezeichnung der Merkmalklassen führt Eisenberg (1998: 17) den Terminus Flexionskategorisierung ein, während die einzelnen Merkmale Flexionskategorien genannt werden. Im Dt. werden die nominalen Wortarten (Subst., Adj., Artikel, Pron.) nach den Kategorisierungen Kasus und Numerus flektiert, die die Kategorien Nominativ, Akkusativ, Genitiv und Dativ bzw. Sg. und Pl. enthalten. Bei den Artikeln, Adjektiven und Pronomina kommt noch die Kategorisierung Genus mit den Kategorien Maskulinum, Femininum und Neutrum hinzu; außerdem flektieren die Adjektive nach Komparation. Im verbalen Bereich wird von den folgenden fünf Kategorisierungen mit den sie repräsentierenden Kategorien ausgegangen: (a) Person: 1. Pers., 2. Pers., 3. Pers.; (b) Numerus: Sg., Pl.; (c) Tempus: Präs., Prät., Perf., Plq.perf., Futur I, Futur II; (d) Modus: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ; (e) genus verbi: Aktiv, Passiv. In anderen Sprachen kann die Zahl der Flexionskategorien kleiner oder größer sein. Z.B. spielen im Russ. (und in weiteren slaw. Sprachen) bei den Verben die Flexionskategorien Perfektiv und Imperfektiv eine Rolle, die zur Kategorisierung Aspekt gehören. Das Griech. verfügt über die Kategorie Dualis neben Sg. und Pl. In der Fachlit. wird der Terminus Flexionskategorie oft im Sinne von Flexionskategorisierung verwendet. Eszter Kukorelli → § 9, 16; Aspektsprache; Flexion; Flexionsform; Formenlehre; genus verbi; Modus; Numerus; Person; Tempus → Gram-Syntax: Aspekt; imperfektiver Aspekt; perfektiver Aspekt; syntaktische Kategorie

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1989] Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg.

Flexionskategorie, markierte → markierte Flexionskategorie

Flexionsmerkmal

morphosyntaktisches Merkmal, das bei der Flexion eine bestimmte Rolle spielt. ▲ inflectional feature: morphosyntactical feature which plays a specific role in inflection.

Flexionsmerkmale kommen in den einzelnen Formen der flektierbaren Lexeme (Substantive, Verben, Adjektive, Artikelwörter, Pronomina und Numeralia) vor. Für das Dt. wird traditionell von den folgenden Merkmalklassen und den sie repräsentierenden Merkmalen ausgegangen: (a) Person: 1. Pers., 2. Pers., 3. Pers.; (b) Numerus: Sg., Pl.; (c) Genus: Maskulinum, Femininum, Neutrum; (d) Kasus: Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv; (e) Komparation: Positiv, Komparativ, Superlativ; (f) Modus: Indikativ, Imperativ, Konjunktiv; (g) Tempus: Präs., Prät. In anderen flektierenden Sprachen werden manche Merkmalklassen geringer oder umfangreicher repräsentiert. Im Lat. hat man neben den vier in (d) genannten Kasusmerkmalen noch den Ablativ, im Poln. drei weitere ausgeprägte Kasusmerkmale: den Lokativ, Instrumental und Vokativ. Im Niederl. kommen Kasusmerkmale nur vereinzelt vor, z.B. in feststehenden oder archaischen Ausdrücken wie mijns inziens [Genitiv; 'meines Erachtens']. Bei zusammengesetzten Tempusformen oder beim Passiv, die mit den sog. Hilfsverben gebildet werden (z.B. im Dt. mit sein, haben, werden) spricht man nicht mehr von morphosyntaktischen Merkmalen, sondern von lexikalisch-syntaktischen Kategorien. Edyta Błachut

→ analytische Verbform; Deklination; Flexion; Flexionskategorie; Konjugation; Morphosyntax; Paradigma; synthetische Verbform

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich ◾ Müller, G. [2002] Remarks on Nom­inal Inflection in German. In: Kaufmann, I./ Stiebels, B. [eds.] More than Words: A Festschrift for Dieter Wunderlich. Berlin: 113‐145.

Flexionsmorphem

≡ Flexiv; Relationsmorphem ⇀ Flexionsmorphem (CG-Dt)

Flexionsmorphologie

Teil der Morphologie, der sich mit der Flexion befasst. ▲ inflectional morphology: part of morphology which deals with inflection. Die Morphologie besteht aus zwei Teilbereichen, der Wortbildungsmorphologie und der Flexions-

F

Flexionsparadigma 288

F

morphologie. Letztere befasst sich mit den durch Flexion entstehenden Wortformen eines Wortes. Flexion erfolgt hinsichtlich bestimmter Flexionskategorisierungen; flektierte Wortformen weisen bestimmte Flexionskategorien oder Einheitenkategorien auf. So wird z.B. im Dt. das Subst. hinsichtlich der beiden Kategorisierungen Numerus und Kasus mit den Numeruskategorien Sg. und Pl. und den Kasuskategorien Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv flektiert, während die finiten Verbformen eine Personen-, eine Numerus-, eine Tempus-, eine Modus- und eine genusverbi-Kategorie aufweisen: du hättest gesungen hat die Flexionskategorien 2. Pers., Sg., Plq.perf., Konjunktiv, Aktiv. Gegenstand der Flexionsmorphologie sind auch die formalen Mittel, mittels derer Flexionsformen gebildet werden. So werden z.B. die Pluralformen des Subst. im Dt. durch Suffigierung (Hund – Hunde), durch Umlaut (Vater – Väter), durch Suffigierung + Umlaut (Wolf – Wölfe) oder ohne eine Markierung (der Balken – die Balken) gebildet. Rolf Thieroff

→ Flexion; Flexionskategorie; Formenlehre; Morphologie; Wortbildung

→ Gram-Syntax: Kategorisierung ⇀ Flexionsmorphologie (CG-Dt) ⇁ inflectional morphology (CG-Engl)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2012] Flexion. 2., aktual. Aufl. (KEinfgL 7). Heidelberg ◾ Wurzel, W.U. [2001] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. 2. Aufl. Berlin.

Flexionsparadigma

Gesamtheit aller flektierten, d.h. nach Flexionskategorien gekennzeichneten Formen eines Lexems. ▲ inflectional paradigm: set of all inflected forms of a word which express grammatical categories. Ein Flexionsparadigma (u.a. in Duden 2009 und Zifonun et al. 1997 nur als Paradigma bezeichnet) umfasst alle Wortformen eines Lexems. Dabei werden nicht nur Autosemantika, sondern auch andere flektierbare Wortarten wie Artikel oder Pro­ nomina einbezogen. Flexionsparadigmen ent­halten flektierte Formen, die durch synthetische, d.h. wortinterne (Veränderung des Stamms (1) und/oder Hinzufügung von Flexiven (2)) oder durch analytische/periphrastische Mittel (Hilfs-

wörter (3)) gebildet werden und zum Ausdruck grammatischer Kategorien dienen. (1) kommen – kam [Veränderung des Stammvokals] (2) kommen – kommt, komme, kommen [Hinzufügen vom Flexiven] (3) kommen – bin/bist gekommen, wirst kommen; erlauben – wird erlaubt Außerdem können Flexionsparadigmen aus Teilparadigmen mit verschiedenen Stämmen, sog. Suppletivformen, bestehen, z.B. bin, bist, ist, sein, war, gewesen. Alle flektierbaren Wörter haben ein Flexionsparadigma. Die Konjugation des Verbs, die Deklination der Nomens, des Adjektivs, des Pronomens und der Artikel, aber auch die Komparation des Adjektivs wird als Flexion betrachtet. Eisenberg (2006) unterscheidet zwischen Flexionsparadigma und Wortparadigma. Dabei enthält das Flexionsparadigma nur die synthetisch gebildeten Wortformen, das Wortparadigma hingegen auch die analytisch (periphrastisch) gebildeten. In den gängigen Grammatiken werden nur die synthetischen Formen als Flexion i.e.S. – und somit als zum Flexionsparadigma gehörend – betrachtet. Die Flexionsparadigmen werden in den Lehrgrammatiken oft in Form von Übersichtstabellen dargestellt, die die relevanten Kategorien (Pers., Numerus, Tempus, genus verbi, Modus bei Verben; Numerus und Kasus bei Substantiven) enthalten. Ein Flexionsparadigma weist im Dt. oft Synkretismen auf, wie z.B. Tisch, das Nominativ Sg., Akkusativ Sg. und Dativ Sg. sein kann. Bernadett Modrián-Horváth

→ § 11, 16; analytische Form; Flexion; Flexionsform; Flexionskategorie; Flexionsmorphologie; Formenlehre; Lexem; Paradigma; Suppletivform; Synkretismus; synthetische Form; Wortform

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Flexionssuffix, silbisches → silbisches Flexionssuffix

Flexionstyp, unmarkierter → unmarkierter Flexionstyp

289 Flexiv

Flexiv

Morphem zur Markierung grammatischer Merkmale und Funktionen. ▲ inflectional morpheme: morpheme which marks grammatical features and functions.

Ein Flexiv (lat. flexio 'Biegung') (auch: Flexionsmarker) ist ein Morphem zur Markierung grammatischer Funktionen. Flexionsmorpheme (z.B. -t in ihr singt '2. Pers. Pl.') müssen von Wortbildungsmorphemen (z.B. -keit in Heiterkeit) abgegrenzt werden, was hinsichtlich der Kompositionsmorphologie einfacher als bzgl. der Derivationsmorphologie ist. Wurzel (1984: 40–45) legt dar, dass sämtliche übereinzelsprachlichen Kriterien, die Zugehörigkeit von Morphemen zur Flexion oder Derivation zu bestimmen, nicht haltbar sind. Sprachen bilden Flexionsformen unterschiedlich aus. Es wird zwischen flektierendem Sprachbau mit systematischer Bildung von Flexionsformen (z.B. Sanskrit), isolierendem Sprachbau (z.B. Chin.), in welchem keine Flexionsformen gebildet oder Flexionsmerkmale durch eigenständige Wörter ausgedrückt werden, und agglutinierendem Sprachbau (z.B. Tagalog), in welchem Flexive mit verschiedenen Wortarten kombiniert oder mehrere Flexive aneinandergereiht werden können, unterschieden. Ebenso existieren ein fusionierender und ein polysynthetischer Sprachbau. Einzelsprachliche Fakten sind deshalb entscheidend. Oft werden Flexive Affixe genannt (Thieroff/Vogel 2012: 1). Eine Trennung der Termini Flexiv und Affix (Heringer 2009: 30f.) führt zu einer klaren Differenzierung zwischen Elementen der Flexionsund der Derivationsmorphologie. Flexive unterliegen in ihrer phonologischen Struktur sowie ihrer Kombinierbarkeit strengerer Systematizität und Einschränkung als Elemente der Wortbildung. Meist sind Flexive in den Parallelismus von Ausgangsformen und abgeleiteten Formen eingepasst und beim Abbau von Alternationen, die die formale Zusammengehörigkeit der Formen stören, vom Ausgleich mit erfasst. Flexive ändern normalerweise nicht die Kategorie des Worts, sondern in der Regel dessen grammatische Funktion. Sie werden oft ausgelöst durch die Satzstruktur. Auch komplexe Wörter können mit Flexiven Wortformen bilden (Heringer 2009: 30; Wurzel 1984: 45ff.). Wurzel (1984: 48) formuliert wie folgt: „Die

mor­ pho­ lo­ gische Natürlichkeit ist nicht zerlegbar in jeweils unterschiedliche Prinzipien einer ‚Flexionsnatürlichkeitʻ und einer ‚Derivations­ natürlichkeitʻ. Die genannten Bestimmungen für die Flexion gelten für die Flexion durchgängig, für die Derivation dagegen nur sehr eingeschränkt.“ Tonelli/Tworek (2012: 11) unterscheiden zwischen vokalinkludierenden und vokalexkludierenden Flexionsmarkern. Erstere bilden eine Silbe und bestehen aus einem Vokal oder einer Sequenz von Vokalen und Konsonanten, Letztere bestehen aus einem oder mehreren Konsonanten, die i.A. nicht silbenbildend sind. Flexionsmarker, die keine Änderungen ihres phonologischen Gehalts erfahren, heißen prototypische Marker. Im Dt. erzeugen Flexive die Formen des Flexionsparadigmas innerhalb einer Wortart. Es werden additive (z.B. der Baum, des Baumes; sehen, gesehen) und modifizierende Flexive (z.B. Umlaut: der Baum, die Bäume; Ablaut: brennen, brannte; e/iWechsel: werfen, wirf!) verwendet. Flexive können zum Ausdruck eines grammatischen Merkmals (z.B. der Baum; die Bäume 'Pl.') oder zum Ausdruck mehrerer grammatischer Merkmale kombiniert werden (z.B. additive Flexionsmarker: der Buntstift, die Buntstifte, mit den Buntstiften 'Dativ Pl.'; additiver und modifizierender Flexionsmarker: das Gras, die Gräser, auf den Gräsern 'Dativ Pl.'). Ein einziges Flexiv kann auch ein Merkmalbündel ausdrücken (z.B. Sie bedient sich guter Bücher 'Genitiv'+'Pl.'). Nicht jedes Merkmal muss durch ein Flexiv angezeigt werden. Derartige, nicht vorhandene Flexive werden in manchen Grammatiken als Nullmorpheme bezeichnet (Duden 2016: 144f.), womit aber wahrscheinlich Nullmorphe gemeint sind. Maria Schädler ≡ Flexem; Flexionsmorphem → § 16; Agglutination; flektierende Sprache; Flexion; Flexionsform; Flexionskategorie; Flexionsmerkmal; Flexionsmorphologie; Flexionsparadigma; grammatisches Morphem; Relationsmorphem ⇁ inflectional morpheme (CG-Engl)

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Heringer, H.J. [2009] Morphologie. Paderborn ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2012] Flexion. 2., aktual. Aufl. (KEinfgL 7). Heidelberg ◾ Tonelli, L./ Tworek, A. [2012] Morphophonetische Aspekte der deutschen Flexion aus multilingualer Sicht. In: Augustin, H./ Fabricius-Hansen, C. [Hg.] Flexionsmorphologie des Deutschen aus kontrastiver Sicht (DiK 26). Tübingen: 9–36 ◾ Wurzel, W.U. [1984] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung (StGram 21). Berlin.

F

Fokusadverb 290

Fokusadverb

Adverb, mit dessen Hilfe andere Wörter und deren Informationswert im Satz hervorgehoben und besonders markiert werden. ▲ focus adverb: adverb by means of which other words in a clause are emphasized and their particular informational value is marked.

F

Durch Fokusadverbien kann die Aufmerksamkeit auf Wörter gelenkt werden, die in der Situation oder im Kontext besonders großen Informationswert haben, so z.B. allein, auch, ausschließlich, besonders, bereits, bloß, eben, einzig, gerade, nur, schon, selbst, sogar. (1) Sogar/Auch/Selbst er kann dieses Problem lösen. (2) Allein/Bloß/Nur/Einzig/Ausschließlich unser Chef ist für diese Katastrophe verantwortlich. (2a) Unser Chef allein / Unser Chef ist für diese Katastrophe verantwortlich. (3) Dieses Konzert hat ihm besonders gefallen. (4) Er ist sogar jünger als ich vermutete. (5) Gerade/Eben jetzt musste dies passieren! (6) Er hat sein Studium bereits/schon im vorigen Jahr aufgeben müssen. Die Fokusadverbien können inkludierend sein (1), d.h. auch Alternativen sind möglich, oder auch exkludierend (2). Bezugswörter können verschiedene Wortarten, z.B. Substantive (2a), Verben (3), Adjektive oder Pronomina (1) sein. In (3) hat besonders dieselbe Funktion wie Gradpartikeln oder Intensivitätspartikeln (z.B. sehr, ungemein, äußerst). Einige Fokusadverbien wie höchstens, mindestens, wenigstens, bestenfalls etc. haben die Funktion, untere und obere Grenzen anzugeben ((7)–(9)). (7) Höchstens 30 und mindestens 10 Teilnehmer sind erlaubt. (8) Es ist wohl wenigstens einen Versuch wert. (9) Bestenfalls Forellen kann man in diesen Gewässern fangen. Kjell-Åke Forsgren ≡ Gradpartikel → Adverb; Fokuspartikel; Restriktivadverb; Statusadverb

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Fokuspartikel

Partikel, die ihren Bezugsausdruck in den Fokus der Mitteilung rückt und ihn auf Alternativen desselben semantischen Typs bezieht. ▲ focusing adjunct; focus particle: particle that focuses a particular part of the sentence and relates it to alternatives of the same semantic type. Die Fokuspartikeln (z.B. auch, ausgerechnet, besonders, bloß, gerade, lediglich, nur) stellen eine heterogene Klasse innerhalb der Partikeln dar. In syntaktischer Hinsicht haben sie gemeinsam, dass sie in verschiedenen Positionen im Satz, jedoch niemals allein im Vorfeld vorkommen. Sie können im Prinzip sowohl vor als auch nach ihrem Bezugsausdruck, ja selbst in Distanzstellung dazu stehen, treten aber in der Mehrheit der Fälle unmittelbar vor dem fokussierten Element auf. Zusammen mit ihrem Bezugsausdruck (Skopus), der stets durch Satzakzent hervorgehoben wird, bilden sie eine Konstituente, und zusammen mit diesem stellen sie das Zentrum der Aussage, d.h. den Fokus der Äußerung dar. Fokuspartikeln sind nicht erfragbar, können jedoch zusammen mit ihrem Skopus (in den Beispielen unterstrichen) die Antwort auf eine Frage bilden: (1) Wann hat er diese Woche Sprechstunde? – Nur morgen. Die grundsätzliche semantische Leistung der Fokuspartikeln besteht darin, dass sie die Proposition der Äußerung zu anderen – geäußerten oder impliziten – Propositionen in Beziehung setzen. Sie tun dies, indem sie Alternativen zu ihrem Bezugsausdruck voraussetzen. Je nachdem, ob sie von ihrer Bedeutung her diese Alternativen ein- oder ausschließen, können Fokuspartikeln in zwei semantische Klassen unterteilt werden: in die der additiven und die der restriktiven Partikeln. (2) Peter hat auch Currywurst gegessen. (3) Peter hat nur Currywurst gegessen. In (2) ordnet die additive Fokuspartikel auch das in ihrem Skopus stehende Element Currywurst einer größeren Gruppe von Speisen zu, für die ebenfalls gilt, dass Peter sie gegessen hat. In (3) wird hingegen der Bezugsausdruck Currywurst durch die restriktive Partikel nur zu einer anderen Gruppe von Speisen in Beziehung gesetzt, unter denen ausschließlich für die Currywurst gilt, dass Peter sie gegessen hat. Zu den Fokuspartikeln wird häufig auch die Negationspartikel nicht gezählt, da

291 Form sie die meisten Eigenschaften der Fokuspartikeln teilt – bis auf die Eigenheit, dass sie im Gegensatz zu allen anderen Fokuspartikeln stets den Wahrheitswert des Satzes verändert. Péter Maitz ≡ Gradpartikel → additive Partikel; Fokusadverb; Negationspartikel; Partikel; Restriktivadverb; restriktive Partikel; Temporalpartikel ⇀ Fokuspartikel (Lexik; SemPrag)

🕮 Altmann, H. [2007] Gradpartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 357–385 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ König, E. [1991] Gradpartikeln. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 786–803 ◾ König, E. [1991] The Meaning of Focus Particles. A Comparative Perspective. London [etc.] ◾ Pasch, R./ Brauẞe, U./ Breindl, E./ Waẞner, U.H. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren 1: Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 9). Berlin [etc.].

Form

akustisch oder visuell wahrnehmbare Gestalt eines sprachlichen Zeichens. ▲ form: acoustically or visually perceptible form of a linguistic sign. Der Terminus Form ist nach Bünting (1971: 49) „in der Linguistik weitverbreitet, aber oft verschieden definiert und mehrdeutig verwendet“. Allgemein geläufig ist der Terminus als Synonym für Flexions- bzw. Wortform, somit sind z.B. singen, singt, sang Formen des Verbs singen. Speziellere Gebrauchsvarianten des Begriffs beschreiben die in der antiken Grammatik beginnende und sich in verschiedenen Grammatiktheorien fortsetzende konzeptionelle Unterscheidung zwischen Form und Funktion bzw. Inhalt: Bei Platon z.B. werden Wortformen (als formal segmentierbare sprachliche Zeichen auf Wort- bzw. Lautebene) entweder als Namen/Nomen (ónoma) oder Verben (rhêma) klassifiziert; antike Grammatiken, z.B. die von Dionysios Thrax oder Aelius Donatus, erweitern diese urspr. auf philos. Kategorisierungen fußende Klassifikation der Wortarten im Sinne einer grammatischen Formenlehre. Hierbei rücken mit paradigmatischem Blick kategoriale Eigenschaften der Wortarten in den Fokus (z.B.: „Nomen quid est? Pars orationis cum casu corpus aut rem proprie communiterue significans”; Donatus nach Schönberger 2008: 13). Auch heutzutage ist diese Lesart des Begriffs

Form noch erkennbar: So unterscheidet Eisenberg (2006: 154) eine morphologisch-formbezogene und syntaktisch-funktionsbezogene Sicht, wie sich Wortformen analysieren lassen. Unter formbezogen versteht Eisenberg eine rein paradigmatische Analyse, was bedeutet, „Wortformen nicht in Hinsicht auf ihre syntaktische Verwendung mit syntaktischen Kategorien, sondern in Hinblick auf die interne Formbildung und damit im eigentlichen Sinne morphologisch zu beschreiben“ (Eisenberg 2006: 155f.). Somit lassen sich Ikonismen und Suffigierung als „wichtigste Mittel des morphologischen Formenbaus“ analysieren (Eisenberg 2006: 156): Ikonismen beinhalten entgegen der von de Saussure postulierten Arbitrarität ein ikonisches Verhältnis von Form und Bedeutung. In diesem Sinne interpretiert z.B. Wiese (1994) die Flexion der Kategorienklasse Person/ Numerus mithilfe deiktischer Kategorien als adressierend und/oder demonstrativ (vgl. Wiese 1994: 183). Die Formbildung durch Suffigierung lässt sich im Dt. in polysemantische, fusionierende (leg-st: st drückt sowohl Pers. als auch Numerus als Flexionskategorie aus) und monosemantische, agglutinierende Typen (Tag-e: e drückt ausschließlich Numerus als Flexionskategorie aus) unterteilen (vgl. Eisenberg 2006: 156). Weitere bekannte Verwendungen des Begriffs Form lassen sich im amerik. Strukturalismus nach Bloomfield und in der Glossematik finden. Im amerik. Strukturalismus wird zwischen freier Form (free form) als frei vorkommende Einheit (Freund) und gebundener Form (bound form) unterschieden. Gebundene Formen können nur in Verbindung zusammen mit einer freien Form realisiert werden (so z.B. Flexions- und Derivationsaffixe wie in Freunde, freundlich). Die Wort-Definition Bloomfields (Wort als minimal free form) fußt auf der angesprochenen Unterscheidung. In der Glossematik wird zwischen sprachspezifischer Form und mentaler Substanz unterschieden. Der Begriff Form umfasst in diesem Sinne die sprachlich realisierte Ausprägung des Wortschatzes in Bezug auf einen Gegenstand; Substanz hingegen kennzeichnet die korrespondierende, interne (d.h. mentale) Strukturierung des beschriebenen Gegenstands; als Beispiel kann die Sapir-WhorfHypothese (Whorf 1956/2008) genannt werden, die u.a. impliziert, dass lexikalisierte Farbbezeichnungen (auf Formebene) und mentales Farbspekt-

F

Form, analytische 292 rum (als Substanz) bei Sprechern vieler Sprachen der Welt weitgehend korrelieren. Benjamin Jakob Uhl

→ § 1, 8, 15, 16, 19; Flexionsform; Formenlehre; ikonisches

F

Zeichen; Polyfunktionalität; Sprachform; Sprachzeichen; Wortform → Gram-Syntax: Funktion ⇀ Form (Lexik; Textling; Sprachphil) ⇁ form (Media)

🕮 Bünting, K.D. [1971] Einführung in die Linguistik. 2. durchgesehene Aufl. Frankfurt/Main ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Schönberger, A. [2008] Die Ars minor des Aelius Donatus: Lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Elementargrammatik aus dem 4. Jahrhundert. Frankfurt/Main ◾ Whorf, B.L. [2008] Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. 25. Aufl. Reinbek ◾ Wiese, B. [1994] Die Personalund Numerusendungen der deutschen Verbformen. In: Köpcke, K.M. [Hg.] Funktionale Untersuchungen zur deutschen Nominal- und Verbmorphologie. Tübingen: 161–191.

Form, analytische → analytische Form

Form, finite

→ finite Verbform

Form, infinite

→ infinite Verbform

Form, periphrastische → analytische Form

Form, sprachliche → sprachliche Form

Form, suppletive → Suppletivform

Form, synthetische → synthetische Form

Form, tempusneutrale → tempusneutrale Form

Form, vertrauliche → vertrauliche Form

Formadjektiv

Adjektiv, das die Form des zu modifizierenden Objekts bezeichnet.

▲ shape adjective: adjective that describes the shape of the object to which it refers.

Formadjektive bilden eine semantische Subklasse der intersektiven extensionalen, absoluten und qualifizierenden Adjektive, in speziellen Kontexten komparierbar, da es z.B. einen kontinuierlichen Übergang von rund zu oval geben kann, so dass ein Objekt gegenüber einem anderen runder oder ovaler sein kann (Duden 2005: § 459; Eisenberg 2006: 240; Zifonun et al. 1997: 1999f.). Elisabeth Bertol-Raffin

→ absolutes Adjektiv; Adjektiv; extensionales Adjektiv; intersektives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Leẞmöllmann, A. [2007] Warum der Ball rund ist. Eine linguistische Analyse von Formadjektiven. Saarbrücken ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Formationsmorphem

gebundenes Morphem, das der Derivation dient. ▲ formation morpheme; formative; derivational morpheme: bound morpheme for the derivation of words. Formationsmorpheme (ver-, er-, -bar, -nis) bilden zusammen mit den Flexiven (-st, -e) die Gruppe der Affixe und stehen dann den Grundmorphemen (lern-, leb-) gegenüber in verlernen, verlernbar, lernst, lerne, erleben, erlernen, Erlebnis, lebst.

→ Ableitungsaffix; Affix; Formativ; Wortbildung ⇀ Formationsmorphem (Wobi)

Hilke Elsen

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Formativ

gebundenes Morphem, das der Derivation dient. ▲ formative; formation morpheme; derivational morpheme: bound morpheme for the derivation of words. Der Terminus wird uneinheitlich verwendet und auch mit Wort oder Lexem gleichgesetzt, in der Morphologie meist gleichbedeutend mit Formationsmorphem. Diese (ver-, er-, -bar, -nis) bilden zusammen mit den Flexiven (-st, -e) die Gruppe

293 Formenlehre der Affixe und stehen dann den Grundmorphemen (lern-, leb-) gegenüber in verlernen, verlernbar, lernst, lerne, erleben, erlernen, Erlebnis, lebst. Hilke Elsen

→ Ableitungsaffix; Formationsmorphem; Lexem; Wort; Wortbildung

→ Gram-Syntax: lexikalisches Formativ ⇁ formative (Typol)

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Formenbildung ≡ Flexion

Formenlehre

linguistische Teildisziplin, deren Forschungsobjekt die Bildung von Wortformen ist, wobei oft auch die Wortbildung einbezogen wird. ▲ morphology; inflectional morphology: linguistic discipline investigating the inflection of words, often also involving word formation. Die Verwendung des Terminus Formenlehre ist in der Ling. uneinheitlich: Im „Handbuch der Linguistik“ wird der Terminus dem Wort Morphologie gleichgesetzt (vgl. Stammerjohann 1975: 75). Auch im DaF-Kontext kann Formenlehre zusammenfassend für Flexionsmorphologie und Wortbildung stehen (vgl. Clément 1996: 128). Die Propädeutische Grammatik des IDS (IDS ProGr@mm) behandelt Morphologie und Formenlehre ebenfalls als Synonyme: „Morphologie [...] wird auch ‘Formenlehre’ genannt und bezeichnet die Relation zwischen der formalen Struktur, also dem inneren Aufbau und der Bedeutungsstruktur eines Wortes“ (IDS 2020: 4055). Andere (z.B. Eisenberg 2013: 5; Dürscheid 2007: 13) verstehen den Terminus als Synonym zu Flexion bzw. Flexionsmorphologie. Diese uneinheitliche Begriffsverwendung kann auf die antike Grammatiktheorie zurückgeführt werden: So analysiert Dionysios Thrax Nomen, indem er flexionsmorphologische Kategorisierungen (Geschlecht, Zahl, Kasus) mit wortbildungsmorphologischen Aspekten kombiniert (Form); die Untersuchung von Nomen mit Blick auf Form beinhaltet nach Dionysios Thrax die Unterscheidung zwischen Simplex (ein Wortstamm) und Kompositum (mindestens zwei Wortstämme). Fasst man den Terminus Formenlehre als Sy-

nonym zu Morphologie, dann beschäftigt sich Formenlehre mit Fragen der Wortbildung und der Flexion: Wortbildung umfasst als eine Form der Wortschatzerweiterung die Bildung neuer Wörter durch morphologisches Material (vgl. Eisenberg 2006: 221). Die wichtigsten (im Sinne von produktivsten) Wortbildungsmechanismen des Dt. sind Komposition und Derivation (hierzu Donalies 2007: 68). Bei der Komposition werden mindestens zwei freie Morpheme, die als Stamm fungieren können, zu einem neuen Wort zusammengesetzt (als Wortstamm kann in Anlehnung an Donalies (2007: 10) eine „Wortform minus Flexionsaffix“ angesehen werden). Zur Derivation sind Wortbildungsaffixe nötig, die durch Suffigierung (z.B. -ung, -heit-, -keit, -schaft, -lich) oder Präfigierung (z.B. ver-, zer-, er-, be- ent-) mit einem Wortstamm kombiniert werden können (z.B. zu Schönheit, freundlich, Freundschaft). Im Gegensatz zur Wortbildung entstehen durch Flexion keine neuen Wörter. Es findet stattdessen eine Anpassung eines flektierbaren Lexems an den syntaktischen Kontext statt, so dass Wortformen entstehen. Fasst man den Terminus Formenlehre folglich als Synonym zu Flexion, dann umfasst Formenlehre die Formenbildung, d.h. die Bildung von Wortformen. Unter dieser Perspektive können Fragen nach der typologischen Beschreibung (flektierend, agglutinierend, polysynthetisch und isolierend), nach dem semantischen Gehalt des flexivischen Materials (poly- oder monosemantisch) oder nach der Art der Affigierung der Flexionsaffixe (Suffigierung, Präfigierung) im Vordergrund stehen. So lässt sich z.B. die Wortformbildung durch Suffigierung im Dt. in polysemantische, fusionierende (leg-st: st drückt sowohl Pers. als auch Numerus als Flexionskategorie aus) und monosemantische, agglutinierende Typen (Tag-e: e drückt ausschließlich Numerus als Flexionskategorie aus) unterteilen (vgl. Eisenberg 2006: 156). Ferner untersucht die Formenlehre den Aufbau von Flexionsparadigmen einer Sprache danach, wie grammatische Kategorisierungen (z.B. Tempus beim Verb oder Kasus beim Subst.) formal durch flexivisches Material repräsentiert werden. Auf Grundlage des Flexionsverhaltens von Wortformen können verschiedene Wortarten unterschieden werden (s. die auf grammatischen Kategorien fußende Einteilung in Wortarten nach Glinz 1982). Eine grammati-

F

Formensynkretismus 294

Wort nicht flektierbar

flektierbar konjugierbar

deklinierbar kein festes Genus

festes Genus

F

komparierbar Verb

Substantiv

Adjektiv

nicht satzgliedfähig

satzgliedfähig

nicht komparierbar Pronomen

nicht kasusregierend

kasusregierend

Artikel

verknüpfend Adverb

Präposition

Junktor

Partikel nicht unterordnend

unterordnend

reihend Subjunktor

nicht verknüpfend

nicht reihend

Konjunktor Adjunktor

Abb. 1: Wortarteneinteilung (vgl. auch IDS 2020: 5200)

sche Beschreibung kann unter Berücksichtigung morphologischer und syntaktischer Kriterien zu einer Einteilung der dt. Wortarten wie in Abb. 1 kommen. Unter morphologischer Perspektive wird diese Einteilung durch verschiedene Flexionsarten motiviert: Die Deklination umfasst die Flexion der substantivischen Gruppe (Substantive, Pronomen und Artikel) nach den Flexionsklassen Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ), Numerus (Sg., Pl.) und Genus (Femininum, Maskulinum, Neutrum); die Komparation beschreibt die Flexion von Adjektiven hinsichtlich einer 1. (Komparativ) und 2. Vergleichsstufe (Superlativ) (schneller, am schnellsten); bei der Konjugation werden Verben nach den Kategorisierungen Person (1., 2., 3. Pers.), Numerus (Sg., Pl.), Modus (Indikativ, Konjunktiv) und Tempus (Präs., Prät. u.a.) flektiert. In der Forschung wird die Annahme weiterer grammatischer Flexionsklassen diskutiert (für das Subst. z.B. das nominale Tempus (Rothstein 2009); für das Verb die Kategorisierung Distanz (Thieroff 1992)). Benjamin Jakob Uhl

→ § 1, 3, 16, 22; Flexion; Flexionsmorphologie; Flexionsparadigma; Form; Morphologie; Wortart; Wortbildung; Wortform; Wortstruktur ⇀ Formenlehre (Wobi) ⇁ morphology (Typol; CG-Engl; TheoMethods)

🕮 Clément, D. [1996] Linguistisches Grundwissen: Eine Einführung für zukünftige Deutschlehrer (WV-Studium 173). Opladen

◾ Donalies, E. [2007] Basiswissen. Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Glinz, H. [1982] Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik. 6. Auflage. Bern [etc.] ◾ IDS [2020] Leibniz-Institut für Deutsche Sprache. grammis: Propädeutische Grammatik. [Unter: https://grammis.ids-mannheim.de/progr@mm; letzter Zugriff: 19.11.2020] ◾ Rothstein, B. [2009] Nominales Tempus im Deutschen? Zur temporalen Bedeutung von Ex-, Alt-, Noch- und Jetzt-. In: Sprw 34: 435–457 ◾ Stammerjohann, H. [1975] Handbuch der Linguistik: Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft. München ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz (StDG 40). Tübingen.

Formensynkretismus ≡ Synkretismus

Formenzusammenfall ≡ Synkretismus

Formklasse

Klasse von Wortformen mit der gleichen syntaktischen Funktion. ▲ form class: class of word forms possessing the same syntactic function. Formklasse ist ein strukturalistisch-deskriptiver Terminus, der von L. Bloomfield (1926) stammt.

295

freier Dativ

Die sprachlichen Ausdrücke, die zu einer Formklasse gehören, stimmen in ihrer Einsetzbarkeit (Distribution) in sprachliche Strukturen überein. So können die nominalen Derivationssuffixe (wie -heit, -ling, -nis, -schaft) zu einer Formklasse der dt. Sprache vereint werden, weil sie in dem Derivat die gleiche grammatische Funktion ausüben und in das Formmuster [Y X__] einfügbar sind, wobei '__' für die Position, in die sie einfügbar sind, steht und X für einen Wortstamm oder eine Wortwurzel. A. Nida, in Tradition des amerik. Strukturalismus stehend, verengte den Terminus und definierte ihn als beliebige Menge von Formen mit phonologischer Ähnlichkeit. Teilweise wird Formklasse aber auch weiter verstanden und mit Wortart gleichgesetzt (Lyons 1992: 108).

→ Distribution; Form; Wortart; Wortform → Gram-Syntax: syntaktische Funktion

Christine Römer

🕮 Bloomfield, L. [1926] A set of postulates for the science of language. In: Lg 2: 153–164 ◾ Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY [etc.] ◾ Lyons, J. [1992] Die Sprache. 4., durchges. Aufl. München ◾ Nida, E.A. [1946] Morphology. Ann Arbor, MI.

Formwort ≡ Partikel

🕮 Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

freier Akkusativ

valenzunabhängiger, also adverbialer Akkusativ mit vorwiegend temporaler Bedeutung. ▲ adverbial accusative case: valency-independent, adverbial accusative marking with predominantly temporal meaning. Der freie Akkusativ bezeichnet eine Satzkonstituente, deren Flexionsstatus weder lexikalisch noch strukturell regiert ist. Der freie Akkusativ kann auch als semantischer Akkusativ oder adverbialer Akkusativ bzw. Adverbialakkusativ bezeichnet werden. In der Regel bewirkt er eine temporale Satzmodifikation (1). In einzelnen Grammatiken werden auch nicht temporale Lesarten, z.B. Maß- oder Ortsangaben, zum freien Akkusativ gezählt (2) (Eisenberg 2004: 292). (1) Diesen Freitag gehen wir essen. (2) Sie gingen den halben Weg zu Fuß. Hagen Hirschmann

→ Adverbialakkusativ; Akkusativ → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; Akkusativrektion; Tem-

Frageadverb

≡ Interrogativadverb

poralangabe; temporale Adverbialbestimmung

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Frageartikel

≡ Interrogativartikel

Fragefürwort

≡ Interrogativpronomen

freier Dativ

Fragepronomen

Nominalphrase im Dativ, die im Valenzrahmen eines Verbs nicht verankert ist. ▲ free dative: nominal phrase in the dative which is not governed by a verb's valency frame.

≡ Interrogativpronomen

Fragewort

≡ Interrogativpronomen

Fragezeichen

Interpunktionszeichen, das einen orthographischen Satzschluss markiert und Satzmodi indiziert. ▲ question mark: punctuation mark that marks the orthographic end of a sentence and indicates sentence types.

→ Interpunktion; Satzschlusszeichen → Gram-Syntax: Ganzsatz; Satzmodus

⇀ Fragezeichen (Schrling)

Katharina Siedschlag

Mit dem Terminus freier Dativ bezeichnet man in der Regel eine Dativphrase, die nicht vom Verb selegiert wird bzw. nicht zu dessen Argumentstruktur gehört. Es handelt sich also um ein fakultatives Element, das z.T. als Angabe/Supplement gilt. Es wird in der Regel zwischen folgenden freien Dativen unterschieden (vgl. Wegener 1985: 49ff.; Duden 2005: 826–828; Welke 2011: 202–213; Ekberg 2012: 14–19; Schmid 1989; Schöfer 1992):

F

freier Dativ 296

F

(a) Mit dem Terminus dativus commodi (auch: dativus sympathicus) wird das Element im Dativ bezeichnet, zu dessen Nutzen eine Handlung vollzogen wird. Es handelt sich immer um ein Lebewesen, meist eine Person. Ihm wird in der Fachlit. die semantische Rolle des Benefaktiv zugeschrieben. Im Dt. lässt sich der dativus commodi durch eine für-Phrase paraphrasieren: (1) Max öffnet der alten Dame die Tür. → Max öffnet für die alte Dame die Tür. (2) Sie backt ihm einen Kuchen. → Sie backt für ihn einen Kuchen. Die Ersetzbarkeit mit für kann jedoch nicht als Identifizierungskriterium dienen, denn einige Verben ermöglichen auch eine für-Phrase des Dativobjekts ((3) vs. (3a)). (3) Sein Vater hat ihm ein Auto gekauft. (3a) Sein Vater hat für ihn ein Auto gekauft. Außerdem lässt sich die antonymische Variante, der dativus incommodi, nicht durch die für-Paraphrase bestimmen (Wegener 1985: 98; Eisenberg 2004: 298). Eisenberg weist auf die Schwierigkeit hin, bei einigen Verben zwischen Dativobjekt und dativus commodi/incommodi zu unterscheiden (z.B. androhen, kaufen, überlassen, hierzu auch Helbig/Buscha 2001: 264). Bei der Disambiguierung der unterschiedlichen dativischen Phrasen spielt der Kontext eine wesentliche Rolle (Ekberg 2012: 182f.). Der dativus incommodi stellt die anto­ nymische Variante des dativus commodi dar. Er bezeichnet das Lebewesen, meist eine Person, zu deren Schaden sich eine Handlung vollzieht. Er kodiert die semantische Rolle des Malefizienten. Der dativus incommodi wird meistens mit Verben verwendet, die ein unerwünschtes, negatives Geschehen zum Ausdruck bringen (Wegener 1985: 99f.). Er wird oft pronominal realisiert ((4), (5)). (4) Sie hat mir die Tasse kaputtgemacht. (5) Ihm ist die alte Zuckerdose heruntergefallen. Der Dativ in (4) kann als Verursacher der Handlung und in (5) als vom Vorfall Betroffener interpretiert werden (Wegener 1985: 99). Nach Zifonun et al. (1997: 1340) stellen der dativus commodi und incommodi keine am Ereignis i.e.S. beteiligten Entitäten dar, sondern sie bezeichnen vielmehr die Entität, für die sich das Ereignis positiv oder negativ auswirkt. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass es sich hierbei um subklassenspezifische Dativtypen handelt, die mit den Ver-

ben des Produzierens, des Destruierens, des Bearbeitens, des Veränderns, des Transfers und des Transports auftreten können. (b) Der dativus possessivus (auch Pertinenzdativ oder Zugehörigkeitsdativ) bringt ein Besitzverhältnis, eine Teil-von-Relation zum Ausdruck: Die Dativ-Phrase bezeichnet z.B. den Besitzer eines Körperteils oder eines Gegenstands (wie eines Kleidungsstücks). In der Fachlit. (vgl. Helbig/Bu­ scha 2001: 263) wird z.T. zwischen Pertinenzdativ (6) und Träger-Dativ (7) unterschieden. Ersterer drückt eine haben-Beziehung aus, der zweite bezeichnet den Träger von Kleidungsstücken, wobei der Träger-Dativ eher als Hyponym des Hyperonyms dativus possessivus zu verstehen ist (Wegener 1985: 104f.). Der dativus possessivus kann sich auf das Subjekt (6), auf das Objekt (7) oder auf ein Adverbial (8) beziehen (Helbig/Buscha 2001: 262f.). (6) Mir schmerzt der Arm. (7) Er zieht ihr den Mantel an. (8) Er sah seiner Frau in die Augen. Der dativus possessivus kann durch ein Possessivpron. (9) oder Genitivattribut (10) ersetzt werden. (9) Mir brennt das Auge. → Mein Auge brennt. (10) Er streichelte dem Kind den Kopf. → Er streichelte den Kopf des Kindes. Wie die Duden-Grammatik (Duden 2005: 826) ausführt, wird beim dativus possessivus die Dativphrase als Ganzes von dem jeweiligen Vorgang betroffen. Es liegt also eine Überlappung der semantischen Rollen Possessor und Benefaktiv (bzw. Malefizient) vor (vgl. Ekberg 2012: 4). (c) Der dativus iudicantis (auch Dativ des Maßstabs/Standpunkts) bezeichnet die Entität, für die die Aussage Gültigkeit hat. Er drückt einen Beurteiler bzw. „die Norm setzende Bezugsgröße“ (Wegener 1985: 55) aus, und kann im Dt. stets durch eine für-Phrase paraphrasiert werden. Er kommt nur in Sätzen vor, die „durch eine Gradpartikel (zu/ (nicht) genug) graduiert sind“ (Wegener 1985: 53) (11). (11) Meiner Mutter ist die Musik immer zu laut. → Für meine Mutter ist die Musik immer zu laut. (d) Der dativus ethicus (ethischer Dativ), der überwiegend im Gesprochenen verwendet wird, bringt eine affektive Einstellung bzw. „eine innige Anteilnahme des Sprechers oder des Partners […] an einem Sachverhalt“ (Engel 1996: 238) zum Ausdruck. Im Gegensatz zu den anderen freien Dati-

297 Fremdpräfix ven kann er pronominal realisiert werden, und zwar in der Form der 1. Pers. Sg. und (seltener) Pl. (mir/uns) und der 2. Pers. Sg. (dir) (Wegener 1985: 50; Zifonun et al. 1997: 1345). Wegener (1985: 51) unterscheidet zwischen (i) Aufforderungs-Ethicus, der überwiegend in Imperativsätzen in Verbindung mit dem Pron. mir vorkommt ((12), (13)); (12) Sei mir fleißig in der Schule. (13) Pass uns gut auf ihn auf! (ii) Ausrufe-Ethicus, der in Ausrufesätzen erscheint (Wegener 1989: 68): (14) Du bist mir aber einer! (15) Der fährt dir glatt an den Baum! Außerdem unterliegt der dativus ethicus einer Reihe von syntaktischen Restriktionen, die ihn von den anderen Dativtypen abgrenzen (Ogawa 2003: 124; Wegener 1985: 51). Der Status der freien Dative ist in der dt. Grammatikographie umstritten. Die Diskussion betrifft vor allem seine Valenzgebundenheit (Komplement vs. Supplement) (Überblick bei Welke 2011: 202–205; Ekberg 2012). So handelt es sich nach Engels (1996) Kriterium der Subklassenspezifik beim dativus commodi/incommodi um (vom Verb abhängige) Ergänzungen, wobei der dativus ethicus und der dativus iudicantis Angaben sind, weil sie nicht verb-subklassenspezifisch sind. In Zifonun et al. (1997) werden der dativus commodi/ incommodi als „Komplemente des Randbereichs“ klassifiziert (Zifonun et al. 1049–1057). Der dativus possessivus wird von Zifonun et al. (1997: 1889) als subklassenspezifisches Satzglied des Verbs und von Engel (1996: 630f.) als Ergänzung zum Nomen betrachtet. Eine andere Position vertreten Helbig/Buscha (2001: 263), die alle freien Dative als sekundäre Satzglieder einstufen, die nicht direkt vom Verb selegiert werden, sondern von einer anderen Struktur abzuleiten sind. Tendenziell lässt sich eine gewisse Übereinstimmung bei der Klassifizierung des dativus ethicus und iudicantis als Angaben beobachten, da diese nicht valenzbedingt sind und als solche mit beliebigen Valenzträgern erscheinen können (vgl. Wegener 1985: 115). Fabio Mollica

↔ Objektsdativ → § 19, 20; Applikativ; Dativ; Dativ des Zustandsträgers; dati-

vus commodi; dativus ethicus; dativus incommodi; dativus iudicantis; dativus possessivus; Pertinenzdativ → Gram-Syntax: Benefaktiv; Dativobjekt; Nominalphrase; sekundäres Satzglied

⇁ free dative (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Ekberg, J. [2012] Aspekte des Dativs. Zur Relation zwischen der Dativ-DP und der Ereignisstruktur der Verben in ditransitiven Konstruktionen im Deutschen. Lund ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Ogawa, A. [2003] Dativ und Valenzerweiterung: Syntax, Semantik und Typologie (StDG 66). Tübingen ◾ Schmid, J. [1987] Untersuchungen zum sogenannten freien Dativ in der Gegenwartssprache und auf Vorstufen des heutigen Deutsch (RegBSL-B: Untersuchungen 35). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Schöfer, G. [1992] Semantische Funktionen des deutschen Dativs. Münster ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Welke, K. [2011] Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIdS 7). Berlin [etc.].

freies Morphem

Morphem, das in Isolation erscheinen kann. ▲ free morpheme: morpheme that can appear in isolation. Freie Morpheme sind wortfähig: Sie können allein stehen und sind dann Simplizia, z.B. glück, mann, und, in. Sie sind daher auch Grundmorpheme. Beide Gruppen sind nicht identisch, da einige Grundmorpheme nur gebunden vorkommen, vgl. phob in Phobie.

↔ gebundenes Morphem → Affix; Grundmorphem; Morphem; Simplex ⇀ freies Morphem (Wobi; CG-Dt) ⇁ free morpheme (Typol; CG-Engl)

Hilke Elsen

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [1986] Was ist eigentlich ein Morphem? In: ZPSK 39: 29–43 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Fremdpräfix

Ableitungspräfix, das sich in mindestens einer Eigenschaft von heimischen Präfixen unterscheidet. ▲ foreign prefix: derivational prefix that differs from native prefixes in at least one feature. Fremdwörter können nicht nur als ganze Lexeme mit Inhalts- und Ausdrucksseite entlehnt werden. Über lange Reihen von Fremdwörtern mit immer demselben Präfix kann das fremde Präfix selbst

F

Fremdpräfix 298

F

Bestandteil einer Sprache werden und dann der Bildung von Fremdwörtern (re#agieren; ex#ergon 'Energie abgebend') oder von Hybriden mit einer heimischen Basis (Ex-Arbeitgeber) dienen. Solche Neubildungen mit einem Fremdpräfix unterscheiden sich lautlich und morphologisch von Lexemen, die vor langer Zeit im Ganzen entlehnt wurden und die dann auch im Ganzen demselben Sprachwandel unterworfen waren wie die übrigen Wörter in der Nehmersprache (Speise, spenden; das e von ex- ist jeweils schon in der mlat. Form weggefallen). Andererseits können neue Ableitungen mit einem Fremdpräfix sich deutlich von Lexemen unterscheiden, die erst in der aktuellen Sprachstufe im Ganzen aus einer anderen Sprache entlehnt worden sind (rezyklieren mit dem Fremdpräfix re- [re…] vs. recyceln [ri…]). Synchron betrachtet sind nur diejenigen Präfixe fremd, die sich ähnlich den Fremdwörtern in mindestens einer Eigenschaft vom heimischen Inventar einer Sprache unterscheiden. Häufig liegen Unterschiede in Aussprache und Betonung vor. So sind typische heimische Verbpräfixe im Dt. unbetont und haben keinen Vollvokal wie [e], sondern einen Reduktionsvokal wie [ə]. Das kurze geschlossene [e] in unbetonter Silbe wirkt gegenüber ge- [ɡə] in gebrauchen, be- [bə] in berühren fremd (1). (1) de- [de] in deaktivieren, re- [re] in reaktivieren [< frz. réactiver, vgl. GWDS 1999] Auch in rom. Sprachen, deren heimische Wörter ja aus dem Lat. stammen, gibt es lat. Fremdpräfixe bzw. Allomorphe mit fremden Eigenschaften, z.B. frz. ré- [re] in réactiver. Heimisch sind frz. ré- vor altfrz. /s/ und frz. re- [rə] etwa in rejoindre (je nach lautlicher Umgebung ggf. auch rem-, ren- [rã] oder r-). Ein Großteil der dt. Fremdpräfixe gehört zu den Internationalismen. Europ. Sprachen teilen sich nicht nur ein Inventar lat. und griech. bzw. griech.-lat. Präfixe, sondern manchmal sogar die lat. Regeln für die komplementäre Verteilung von Allomorphen. Ein Beispiel hierfür sind die Varianten von in- (außer in slaw. Sprachen, in denen die Entsprechungen zu den folgenden Lexemen mit ne-, nie- gebildet werden): (2) dt. inakzeptabel, ital. inacceptabile; dt. immateriell, niederl. immaterieel [im- vor m, aber span. inmaterial]; dt. irreversibel, frz.

irréversible, span. irreversible [ir- vor r]; dt. illegal, niederl. illegaal, engl. illegal [il- vor l] Dass Fremdpräfixe besonders in Fachwörtern übereinzelsprachlich gleich oder ähnlich sind, macht seriöse etymologische Angaben zu Ableitungen mit Fremdpräfixen mühsam. Deswegen begnügen sich Lexikographen oft mit einem Hinweis auf das Bildungsmuster. So führt nur das OED (2010) zu engl. disambiguate (aus dis- + ambigu- (etwa in ambiguous) + -ate) einen amerikan. Erstbeleg aus dem Jahr 1963 an (Katz/Fodor 1963: 175). Das GWDS (1999), das die Position „Erstbeleg“ mit Jahreszahl angibt, enthält zum dt. Verb disambiguieren, dass es eine Bildung zu lat. dis- und lat. ambiguus bzw. ambig sei, ohne für die Ableitung insgesamt Vorbilder aus anderen Sprachen zu nennen. Auch der PETIT ROBERT (2014) nennt kein engl. Vorbild zu frz. désambiguïser (aus dem Fremdpräfix dés- und ambigu, ebenfalls ohne Erstbeleg, dafür aber mit der Zeitangabe Mitte 20. Jh.); im TLF (1994) fehlt das Lemma. Trotzdem gehen Wörterbuchbenutzer wohl kaum davon aus, dass das engl., das dt. und das frz. Lexem unabhängig voneinander abgeleitet worden seien. Diachron betrachtet könnte man auch Präfixe wie dt. erz- (in erzfaul) als Fremdpräfixe bezeichnen, weil sie entlehnt sind (erz > griech. arch(i)). Solche Präfixe ähneln eher Lehn- als Fremdwörtern, denn sie sind ins System der heimischen Präfixe integriert. Franziska Münzberg

→ Ableitungsaffix; Allomorph; Derivation; Fremdsuffix; Halbpräfix; Konfix; Präfix

⇀ Fremdpräfix (Wobi)

🕮 Eisenberg, P. [2012] Das Fremdwort im Deutschen. 2., überarb. Aufl. Berlin ◾ Grevisse, M. [1993] Le bon usage. Grammaire française. Refondue par André Goosse. 13ème édition revue. Paris [etc.] ◾ GWDS [1999] = Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim [etc.] ◾ Katz, J.J./ Fodor, J.A. [1963] The Structure of a Semantic Theory. In: Lg 39: 170–210 ◾ Mackowiak, K. [2012] Cäsars Vermächtnis. Wörter und Wendungen lateinischer Herkunft. Mannheim ◾ OED [2010] = Oxford Dictionary of English. 3. ed. Oxford [etc.] ◾ PETIT ROBERT [2014] = Le Petit Robert. Dictionnaire Alphabétique et Analogique de la Langue Française. Nouv. éd. Paris ◾ Reichmann, O. [1998] Sprachgeschichte. Idee und Verwirklichung. In: Besch, W./ Betten, A./ Reichmann, O./ Sonderegger, S. [Hg.] Sprachgeschichte (HSK 2.1). 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin [etc.]: 1–40 ◾ TLF [1994] = Trésor de la Langue Française. Dictionnaire de la Langue du XIXe et du XXe Siècle. Paris.

299 Fugenelement

Fremdsuffix

Suffix, das in der Lautung und/oder Schreibung mehr oder weniger von den heimischen Suffixen abweicht. ▲ loan suffix; foreign suffix: suffix deviating with regard the sound and/or the writing of native suffixes more or less. Fremdsuffixe (wie -ion im Dt.) treten als Bestandteile entlehnter Wörter (Demonstration von engl. demonstration) auf und seltener als Elemente zur Bildung neuer Wörter in der aufnehmenden Sprache (z.B. im Dt. Aktion). Manchmal ist es schwierig zu bestimmen, ob es sich um eine Wortentlehnung oder eine Lehnwortbildung handelt (im Dt. bei leasen von leasing oder to lease). Besonders in Fachsprachen finden entlehnte Wortbildungsmorpheme Verwendung. Falls sie nicht in der Wortbildung der Nehmersprache Verwendung finden, bereiten sie z.T. Probleme bei der Segmentierung. Die Kenntnis der Fremdsprache beeinflusst dabei die formale und semantische Analysierbarkeit. Wenn das Fremdsuffix an eine heimische Wortbasis tritt, führt dies oftmals zu einer Verfremdung des heimischen Basismorphems (Lagerist). Die produktiven Fremdsuffixe weisen häufig grammatische Beschränkungen auf. So sind bei den adjektivischen Fremdsuffixen im Dt. Verbindungen mit einer heimischen Basis nahezu ausgeschlossen (Lohde 2006: 200). Die Fremdsuffixe, die auf der Basis der heimischen Wortbildungsregeln zur Derivation verwendet werden, können als Suffix entlehnt worden sein (-erie, -esse aus dem Frz.) oder durch Morphematisierung eines entlehnten Worts (Bibliothek > -thek) entstanden sein (Fleischer/Barz 1992: 61).

↔ heimisches Suffix → Fremdpräfix; Suffix; Wortbildung ⇀ Fremdsuffix (Wobi)

Christine Römer

🕮 Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen.

frequentative Aktionsart ≡ iterative Aktionsart

Fuge

≡ Fugenelement ⇀ Fuge (Wobi)

Fuge, nicht-paradigmatische → nicht-paradigmische Fuge

Fuge, nicht-paradigmische → nicht-paradigmische Fuge

Fuge, paradigmatische → paradigmische Fuge

Fuge, paradigmische → paradigmische Fuge

Fugenelement

semantisch meist leeres Segment oder Segmentfolge an der Nahtstelle zwischen den unmittelbaren Konstituenten von Komposita oder Suffigierungen. ▲ linking element: meaningless segment occurring at the boundary between the immediate constituents of compounds or suffixations.

Ein Fugenelement (= FE) gehört zu substantivi­ schen, verbalen und (selten) adjektivischen Wortbildungsstämmen (Kompositions- bzw. Derivationsstamm), d.h. zu der Wortbildungseinheit, an die das Zweitglied eines Kompositums (Prüfungs+ stress, Techno- + ‑loge) oder ein Derivationssuffix tritt (hoffent- + -lich, hoffnungs- + -voll). Der Wortbildungsstamm ist entweder dem Wortstamm gleich, z.B. Tür + rahmen, fach + ‑lich (Nullfuge), oder divergiert von ihm durch ein zusätzliches FE bzw. durch Stammkürzung (Wolle vs. Woll + pullover). Die acht heimischen FE -s (Arbeits + amt), ‑en (Schriften + reihe), -n (Sonnen + blume), ‑es (Freundes + kreis), -e (nominal Hunde + salon und verbal Hebe + bühne), ‑er (Kinder + sitz), -ens (Schmerzens + geld), ‑ns (Namens + schild) sind aus ehemaligen Flexionselementen entstanden (des Teufels Sohn > Teufels + sohn), üben jedoch synchron keine flexivische Funktion mehr aus. Man unterscheidet zwischen paradigmischen FE, die formal mit einer Flexionsform identisch sind, z.B. -er: Kinder + sitz (FE) vs. die Kinder [Pl.], und unparadigmischen, die keine solche Übereinstimmung aufweisen, z.B. ‑s in Arbeitsamt. Meist hat ein Lexem nur einen Kompositions- und Derivationsstamm, z.B. Arbeitskraft, arbeitslos (aber: Kind + bett, Kinds + kopf, Kinder + geld, Kindes + missbrauch). FE werden vor bestimmten Zweitgliedern unterdrückt, z.B. vor deverbalen Zweitgliedern in Rektionskomposita wie in Arbeit-

F

Fugen-s 300

F

nehmer, -geber. Die Wortbildungsstämme sind manchmal lexikalisiert (Liebes + brief), manchmal ist das Auftreten des FE auch prosodisch und/ oder morphologisch gesteuert wie die obligatorische, prosodisch gesteuerte Fuge bei den schwachen Maskulina Kunden + gespräch und bären + stark. FE dienen häufig (a) der Markierung der morphologischen Struktur bei mehrgliedrigen Komposita (Werk + zeug vs. Handwerks + zeug), (b) der Stärkung des rechten Randes eines phonologischen Wortes (Datums + grenze), (c) der Bildung trochäischer Erstglieder (Bären + stärke, Jahres + ende, Hunde + leine), (d) der Anzeige der Morphologisierung von Komposita (Richtung weisend vs. richtungs + weisend), (e) der Öffnung des Stammes für weitere Ableitungen (Freiheits + statue). Die Form des Wortbildungsstamms kann regional (Rinder-/Rinds + braten) oder fachspr. (Einkommen(s) + steuer) variieren. (Meist entlehnte) Konfixe bilden ihren Kompositionsstamm im Dt. mit vokalischem Fugenelement ‑o, seltener ‑i, z.B. Techno + logie vs. techn-isch; Agro + biologie, Agri + kultur vs. agr-ar. Renata Szczepaniak ≡ Fuge; Fugenzeichen → § 31; (e)n-Fuge; (e)ns-Fuge; (e)s-Fuge; Adjektivfuge; Derivation; e-Fuge; Fugen-s; Kompositum; Konfix; Nullfuge; paradigmische Fuge; Pluralfuge; Subtraktionsfuge ⇀ Fugenelement (Wobi; HistSprw)

🕮 Aronoff, M./ Fuhrhop, N. [2002] Restricting Suffix Combinations in German and English. Closing Suffixes and the Monosuffix Constraint. In: NLg&LingT: 451–490 ◾ Demske, U. [2001] Merkmale und Relationen. Diachrone Studien zur Nominalphrase im Deutschen (SLG 56). Berlin [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Ortner, L. et al. [1991] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.].

Fugen-s

unsilbisches, produktives Fugenelement in substantivischen Kompositions- und Derivationsstämmen. ▲ linking -s: non-syllabic, highly productive linking element in nominal compounding and derivational stems. Das Fugen-s ist das produktivste Fugenelement des Dt. Das paradigmische Fugen-s (homonym mit dem Genitiv-s) tritt regelmäßig (a) bei Suffigierungen auf ‑ling (Frühlings + wetter), (b) bei

einfachen und präfigierten, neutralen Deverbativa auf ‑en (Essens + zeit, Vertrauens + bruch, beneidens + wert, liebens + würdig), (c) regelhaft bei impliziten Ableitungen (Bezugs + punkt, Anfangs + stadium), (d) bei Suffigierungen auf -tum (Altertums + kunde), (e) bei kompositionellen Erstgliedern (Kirchhofs + mauer), (f) bei (meist) mehrsilbigen Fremdwörtern (Datums + grenze), (g) vereinzelt bei einsilbigen Stämmen (Amts + gericht; oft in Konkurrenz zu ‑es: Manns + bild aber Mannes + schwäche) und (h) bei (relationalen) Suffigierungen auf -er (Lehrers + tochter, Richters + sohn) auf. Das nicht-paradigmische Fugen-s tritt an mehrsilbige feminine Erstglieder: (a) regelmäßig an Suffigierungen auf ‑heit, ‑(ig)keit, ‑schaft, ‑ung und ‑ion, (b) an Suffigierungen auf ‑ität neben ‑en (Nationalitäts + prinzip, Nationalitäten + frage), (c) präfigierte Verbalableitungen auf ‑t, z.B. Abfahrts + zeit (aber Fahrt + richtung), (d) mehrsilbige Simplizia auf -t (Arbeits + grundlage) und (e) lexikalisierte Komposita auf -t (Hochzeits + torte). Das Fugen-s dient als prosodisches Mittel zur Anzeige des Erstgliedrandes (Arbeits + bedingungen, Datums + grenze). Häufig markiert es morphologisch komplexe Erstglieder (in Opposition zu einfachen Erstgliedern: Fahrtrichtung vs. Anfahrts + zeit). Nach sog. schließenden Suffixen (‑e, ‑heit, ‑(ig)keit, ‑ling und ‑ung) ermöglicht es eine weitere Wortbildung, z.B. hoffnungs + los, Hoffnungs + träger (Aronoff/Fuhrhop 2002). Renata Szczepaniak

→ (e)n-Fuge; (e)s-Fuge; Fugenelement; Genitiv-s; Kompositum; nicht-paradigmische Fuge; paradigmische Fuge

🕮 Aronoff, M./ Fuhrhop, N. [2002] Restricting Suffix Combinations in German and English. Closing Suffixes and the Monosuffix Constraint. In: NLg&LingT: 451–490.

Fugenzeichen

≡ Fugenelement

Fügewort

Bezeichnung für Präpositionen und Konjunktionen, die inhaltlich motiviert ist. ▲ linking word: word equipped with the function to connect. Fügewörter dienen dazu, Wörter (Tische und Stühle, das Buch im Regal) und Wortgruppen (das vereinbarte Treffen im vergangenen Jahr) oder Sätze (Sie übernahm die Aufgabe, weil sie ihm ver-

301 Funktionsverb traute) inhaltlich und strukturell miteinander koordinierend oder subordinierend zu verbinden. Sie wirken gleichzeitig als „Indikatoren“ (Erben 1980: 189) grammatischer und semantischer Relationen. Fügewörter sind nicht flektierbar und können weder als Satzglied noch als Attribut auftreten. Im Dt. können sie ein- (und, mit) und mehrgliedrig (sowohl … als auch, um … willen) sein. Christine Römer ≡ Fügteil → Adposition; Konjunktion; Konjunktor; Präposition; ­Subjunktor

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München.

Fügteil

≡ Fügewort

Funktion, morphologische → morphologische Funktion

funktionales Nomen

Nomen, dessen Referent sich durch eine eindeutige Zuordnung zu einem Bezugsobjekt definiert. ▲ functional noun: noun that characterizes its referent in terms of a one-to-one relation to some other object.

Nach Löbner (1985: 293; 2011: 282) hat ein funktionales Nomen in einem gegebenen Kontext stets einen einzigen Referenten. So hat z.B. das Auto, das eine Person zu einer bestimmten Zeit besitzt, eine bestimmte Marke (z.B. VW), Länge, Breite, Farbe. Nomina wie Marke, Länge, Farbe werden funktionale Nomina genannt, da sie Attribute eines Objekts bezeichnen, die zu einer bestimmten Zeit einen einzigen Wert haben können. Solche Eins-zu-eins-Zuordnungen sind im mathematischen Sinne Funktionen. Funktionale Nomina sind ein Spezialtyp der relationalen Nomina. Relationale Nomina bezeichnen Objekte in einer Relation zu anderen Objekten. Dabei muss die Relation zwischen diesen Objekten nicht unbedingt eins-zu-eins sein. So ist das Nomen Bruder relational: eine Person kann mehrere Brüder haben. Das Nomen Vater ist jedoch funktional, weil eine Person in der Regel nur einen einzigen Vater hat. Folgende Nomina gehören zu den funktionalen Nomina: (a) Dimensionsbegriffe i.e.S.:

Gewicht, Geschwindigkeit, Temperatur, Größe, Länge, Breite, Alter, Dauer, Preis, Anzahl u.a. Ihre Werte sind Zahlen auf einer Skala. (b) Begriffe für weitere Aspekte von Objekten: Lage, Adresse, Wohnort, Geburtsort, Qualität, Aussehen, Form, Farbe, Zusammensetzung, Konsistenz, Material, Beruf, Arbeitgeber, Bedeutung u.a.; (c) Begriffe für Funktionsträger, deren Bezugsobjekt eine Organisation, ein Land oder Ähnliches ist: Leiter, Kapitän, Präsident, Direktor, Dekan u.a.; (d) einige Verwandtschaftsbegriffe: Mutter, Vater; (e) Begriffe für einmalige Teile eines Bezugsobjekts: Kopf, Bauch, Rückseite u.a.; (f) Begriffe für Personen, die sich in eindeutiger Weise Objekten oder Ereignissen zuordnen: Besitzer, Vermieter, Autor, Erfinder, Sieger u.a. Da funktionale Nomina inhärent eindeutig sind, sind sie definit und kommen meistens mit einem definiten Artikel vor. Werden solche Nomina mit einem indefiniten Artikel verwendet, verschiebt sich ihre Bedeutung. Ljudmila Geist

→ indefinites Determinativ; Nomen; relationales Nomen

🕮 Löbner, S. [1985] Definites. In: JSem 4: 279–326 ◾ Löbner, S. [2011] Concept types and determination. In: JSem 28: 279–333.

Funktionsverb

Verb mit weiter Semantik, das in Verbindung mit einem abstrakten Substantiv ein komplexes Prädikat bildet. ▲ empty verb; functional verb: verb with vague semantics forming, in connection with an abstract noun, a complex predicate.

Als Funktionsverb treten am häufigsten machen, geben, bringen, kommen, schenken auf, deren Eigensemantik eine weite Deutung zulässt, so dass sie in Verbindung mit bestimmten nomina abstracta lediglich die allgemeine Handlungs-, Vorgangs- bzw. Zustandsbedeutung sowie die grammatischen Verbalkategorien kodieren, während die Hauptbedeutung des gesamten Funktionsverbgefüges (= FVG) durch das nominale Komplement ausgedrückt wird, vgl. Eindruck machen, zur Aufführung bringen, Beachtung schenken. In der Regel gibt es parallel zu dem jeweiligen FVG ein mit dem darin vorhandenen Subst. gleichstammiges Vollverb: beeindrucken, aufführen, beachten. Die syntaktischen Eigenschaften eines FVG, darunter seine Valenz und Rektion, werden von der

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Funktionswort 302

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Gesamtphrase gesteuert, aber sie können auch den syntaktischen Eigenschaften des entsprechenden Verbs oder auch Nomens gleich sein. So regiert das Gefüge Eindruck machen eine mit auf angeschlossene PP mit dem Objekt im Akkusativ, während das Verb beeindrucken transitiv ist. Dagegen entspricht die Rektion des transitiven Verbs aufführen der Rektion der Verbindung zur Aufführung bringen. Bei Beachtung schenken hängt die Rektion der Gesamtphrase von der des Funktionsverbs ab und weicht daher von der Rektion des entsprechenden transitiven Verbs beachten ab. Die Funktionsverben können in den Fügungen auftreten, denen Aktiv- oder aber Passivformen des jeweiligen Vollverbs entsprechen, vgl. zur Aufführung bringen – aufführen vs. zur Aufführung kommen – aufgeführt werden; Respekt zollen – respektieren vs. Respekt genießen – respektiert werden. Die Aktionsartsemantik einiger Funktionsverben verursacht eine von der Aktionsart des entsprechenden Vollverbs abweichende aktionale Bedeutung des FVG, vgl. bitten [unmarkierte Aktionsart] vs. eine Bitte stellen [perfektive Aktionsart]. Die FVG, auch Streckformen des Verbs genannt, sind ein Merkmal des offiziellen, amtlichen Stils und werden besonders häufig in der schriftlichen, vor allem amtlichen Rede (dem sog. Papierdt.) verwendet. In letzter Zeit dringen sie aber zunehmend auch in die gesprochene Sprache ein. Michaił L. Kotin

↔ Vollverb → haben-zu-Konstruktion; Nominalisierungsverb; Nominalisierungsverbgefüge; Verb

→ Gram-Syntax: Funktionsverbgefüge; komplexes Prädikat; Substantivvalenz

⇀ Funktionsverb (Lexik)

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Polenz, P. von [1963] Funktionsverben im heutigen Deutsch. Düsseldorf ◾ Schmidt, V. [1968] Die Streckformen des deutschen Verbums. Halle/Saale.

Funktionswort

Wort, das eine grammatische Bedeutung besitzt und daher im Satz oder Text semantisch auf die Verbindung mit anderen Wörtern angewiesen ist. ▲ grammatical word; function word: word with a grammatical meaning that is functionally dependent on the combination with other words in the clause or text.

Mit dem Terminus Funktionswort bezeichnet man in der modernen Sprw. einen Teil der Sprachelemente, die man in der älteren (klassischen, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen) Sprachtheorie unter dem weiten Begriff Synkategorem zusammengefasst hat. Der Terminus Funktionswort ist insofern unglücklich gewählt, als er erstens ohne ersichtlichen ling. Grund auf Wörter beschränkt ist, aber Klitika, gebundene Morpheme (Affixe und Endungen) und grammatische Verfahren (Wortfolge, Intonation usw.) nicht darunter fallen, obwohl ihr grammatischer Stellenwert mit dem von Funktionswörtern übereinstimmt. Zweitens sind alle Wörter, Morpheme und Verfahren in einer Sprache ohnehin funktionell, so dass mit Funktion auch keine theoretisch sinnvolle Abgrenzung vorgenommen werden kann. Es ist daher zu erwägen, den Terminus durch grammatisches Lexem und grammatische Konstruktion zu ersetzen. Funktionswörter stehen mit ihren synsemantischen Funktionen (unselbständigen Bedeutungen) denjenigen Wörtern gegenüber, die autosemantische Funktionen (selbständige Bedeutungen) besitzen. In der Fachlit. wird der Terminus Funktionswort uneinheitlich verwendet. I.e.S. umfasst er die Wörter, die eine grammatische Bedeutung haben und erst in Kombinationen mit Autosemantika funktionieren, also Präpositionen, Konjunktionen (und Konjunktional- oder Pronominaladverbien), Artikel und Partikeln; oft werden auch Hilfsverben, Modalverben und bestimmte Modalwörter (z.B. möglicherweise, vielleicht) dazu gezählt. I.w.S. werden auch die Pronomina, die entweder deiktisch (situationsbezogen) oder intratextuell (koreferenziell) gebraucht werden und eine kategorielle Bedeutung oder Wortartenbedeutung (Hentschel/Weydt 2003: 21–22, 237) haben, den Funktionswörtern zugeordnet. Es ist nicht gebräuchlich, den Terminus Funktionswort auf den Bereich der Funktionsverben und sog. light verbs auszudehnen. Nicht annehmbar erscheint die (z.T. auch schon unter Scholasten verbreitete) Ansicht, Funktionswörter besäßen für sich allein keine Bedeutung und erhielten erst im Zusammenhang mit anderen autosemantischen Wörtern eine lexikalische Bedeutung. Erstens sind Funktionswörter genauso wie alle anderen Wörter einer Sprache Symbole, die einen Ausdruck mit einer Bedeutung verbinden; Funktionswörter können somit keine bloßen Formen sein,

303 Futur die erst in der Aussage bedeutungsvoll werden. Zweitens wachsen den Funktionswörtern in den Kombinationen mit Lexemen keine lexikalischen Bedeutungen zu. Ihre grammatischen Bedeutungen werden vielmehr mit lexikalischen Bedeutungen verbunden, um Kombinationsbedeutungen syntaktischer Art zu bilden, die über das Lexikon hinausgehen (vgl. das Buch vs. ein Buch; Andreas und Uta vs. Andreas oder Uta; über dem Haus / unter dem Haus / neben dem Haus / vor dem Haus (Coseriu 1987: 149–150)). Diachronisch lassen sich manche Funktionswörter auf Autosemantika zurückführen, z.B. weil ← ahd. dia wila so/do ['in der Zeitspanne als']; engl. be gonna [unmittelbare Zukunft], wie in I’m gonna go to college ← be going to [direktional und zielgerichtet] ← go ['gehen']. Diese Art von Sprachwandel, die seit der hist.-vgl. Sprw. des 19. Jhs. bekannt ist, wird in der modernen Sprw. unter den Begriff der Grammatikalisierung gefasst (vgl. Hopper/Traugott 2003). Klaas Willems → § 8; Autosemantikon; Partikel; synkategorematisch; ­Synsemantikon ⇀ Funktionswort (SemPrag; Lexik)

🕮 Coseriu, E. [1987] Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik. Tübingen ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hopper, P.J./ Traugott, E.C. [2003] Grammaticalization. 2nd ed. (CamTbLing). Cambridge, MA.

Fürwort

≡ Pronomen

Fürwort, besitzanzeigendes → Possessivpronomen

Fürwort, bezügliches → Relativpronomen

Fürwort, hinweisendes → Demonstrativpronomen

Fürwort, persönliches → Personalpronomen

Fürwort, rückbezügliches → Reflexivpronomen

Fürwort, unbestimmtes → Indefinitpronomen

Fusion

Realisierung von zwei oder mehr Flexionskategorien in einem Morphem. ▲ fusion: realisation of two or more inflectional categories in one morpheme. Fusion kommt in den ide. Sprachen besonders häufig in der Verbflexion und hier besonders bei den Kategorien Pers. und Numerus vor, die in der Regel durch ein Morphem repräsentiert werden. So repräsentiert das Morphem -st in (du) singst die beiden Kategorien 2. Pers. und Sg., -t in (ihr) singt die Kategorien 2. Pers. und Pl. Im Dt. kommt Fusion auch in der Flexion des Subst. vor: Das Morphem -s in (des) Lehrers repräsentiert die beiden Kategorien Genitiv und Sg. Dagegen wird der Dativ Pl. agglutinierend gebildet: Sg. Berg, Pl. Berg-e, Pl. Dativ Berg-e-n, d.h., hier werden nacheinander zuerst das Pl.-Suffix -e, dann das Dativ-Suffix -n angefügt. Allerdings markiert -n den Dativ nur im Pl. Rolf Thieroff

→ Agglutination; Flexion; Flexionskategorie; Morphem ⇀ Fusion (CG-Dt); Fusion (1) (Phon-Dt); Fusion (2) (Phon-Dt) ⇁ fusion (CG-Engl; Typol); fusion (1) (Phon-Engl); fusion (2) (Phon-Engl)

🕮 Comrie, B. [1989] Language Universals and Linguistic Typology. Syntax and Morphology. Chicago, IL ◾ Croft, W. [2003] Typology and universals. 2nd ed. Cambridge [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Futur

Tempus der Zukunft, das die Relation Ereigniszeit nach der Sprechzeit oder einer anderen Orientierungs- oder Evaluationszeit bezeichnet. ▲ future tense: tense of the future which denotes a relation in which the event time is after the time of speech or some other time of orientation or evaluation. Der temporaldeiktische Inhalt des Futurs kann in Frage gestellt werden, weil die Zukunft etwas Ungewisses und Hypothetisches ist. Dies legt die Annahme einer Moduskategorie Futur nahe (Kurylowicz 1964). Nach Comrie (1985) weisen die europ. Sprachen eine schwache Futurkategorie oder gar keine auf. Die zukünftigen Sachverhalte werden in diesen Sprachen oft mit Hilfe des Präs. oder Konstruktionen ausgedrückt, die nicht nur temporalen, sondern auch modalen Wert haben.

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Futur des Präteritums 304

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Die Differenzierung der rein temporalen Verwendungen dieser Konstruktionen ist nur in bestimmten Kontexten möglich ((1)–(4)). (1) Er wird sich daran erinnern. (2) I will come. [modale und temporale Lesart] (3) Er wird sich dann daran erinnern. (4) I will come, whether you want or not. [nur temporale Lesart] Übereinzelsprachlich kann man feststellen, dass das einzige distinktive Merkmal einer echten Futurkategorie ihr temporaler Wert ist (Bybee/ Pagliuca/Perkins 1991). Unter Einbeziehung der Kategorisierung Distanz (pastness) wird Futur als „nicht entfernt, zukünftig“ nicht mehr dem Prät. („entfernt, nicht zukünftig“), sondern dem Perf. („nicht entfernt, vergangen“) und dem Präs. („nicht entfernt, nicht zukünftig“) gegenübergestellt (Thieroff 1995). Neben der reinen Bedeutung 'Zukunft' werden von den Futurformen auch die pragmatischen Bedeutungen 'Absicht' und 'Voraussage' mitgetragen (Dahl 2000). Sprachtypologisch hat sich die Kategorie Futur in vielen Sprachen aus modalen Bedeutungskomplexen (Obligation, Wille, Möglichkeit) entwickelt. Im Laufe dieser Entwicklung verblasst die ursprüngliche lexikalische Bedeutung der Modalverben; sie wurden Zeichen mit der grammatischen Bedeutung des reinen Tempus. Neben der modalen Quelle hat das Futur in einigen (z.B. in slaw.) Sprachen auch eine aspektuelle Quelle. In manchen Sprachen hat sich das Futur aus den Konstruktionen mit Verben der Bewegung entwickelt (z.B. Sino-Tibetisch). Die temporale Bedeutung der Zukunft erweist sich bei vielen Futurformen als instabil. Im Dt. ist die Futurkategorie ebenfalls sehr schwach. Die Konstruktion werden + Infinitiv verliert ihren temporalen Wert zugusten des modalen Werts. Die Implikatur der späteren Verifizierbarkeit wird zu der Bedeutung 'Vermutung' (Welke 2005). Was erst später oder gar nicht verifiziert wird, hat zum Sprechzeitpunkt keinen Wahrheitswert und kann vom Hörer daher nicht als Behauptung, sondern als Vermutung interpretiert werden. Dem Sprecher kommt in diesem Fall die Funktion zu, die Zukunftsäußerungen als vage Annahmen oder nachdrückliche Voraussagen zu formulieren (Fritz 2000). Die Zukunftsäußerungen in der 1. Pers. (besonders Sg.) gelten, wenn sie ohne vermutende Modalwörter als Ab-

sichtserklärungen gebraucht werden (5); die Zukunftsäußerungen in der 2. Pers. wirken als Befehle oder Aufforderungen (6). Die Futurformen in der 3. Pers. verbinden die temporale und die epistemische Bedeutung ((7), (8)). (5) Ich werde dich später anrufen. (6) Du wirst jetzt schlafen gehen. (7) Er wird sich als unnötig erweisen. (8) Er wird es bemerken. Da die Futurkategorie das Modale mit dem Temporalen verbindet und oft durch das Präs. ersetzbar ist, wird sie im Dt. nicht als grammatische Kategorie aufgefasst (Vater 1997). Kateryna Panchenko ≡ Zukunft → § 16; Futur I; Futur II; futurisches Präsens; Tempus ⇀ Futur (CG-Dt; HistSprw; SemPrag) ⇁ future tense (Typol)

🕮 Abraham, W. [1989] Futur-Typologie in den germanischen Sprachen. In: Abraham, W./ Janssen, T. [Hg.] Tempus – Aspekt – Modus. Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen (LA 237). Tübingen: 345–390 ◾ Bybee, J.L./ Pagliuca, W./ Perkins, R.D. [1991] Back to the Future. In: Traugott, E.C./ Heine, B. [eds.] Approaches to Grammaticalization. Vol. 2. Amsterdam: 17–58 ◾ Bybee, J.L./ Perkins, R.D./ Pagliuca, W. [1994] The Evolution of Grammar. Tense, aspect and mood in the languages of the world. Chicago, IL ◾ Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Dahl, Ö. [2000] The Grammar of Future Time Reference in European Languages. In: Dahl, Ö. [ed.] Tense and Aspect in the Languages of Europe. Berlin: 309–328 ◾ Kurylowicz, J. [1964] The Inflexional Categories of Indo-European. Heidelberg ◾ Thieroff, R./ Ballweg, J. [eds. 1995] Tense Systems in European Languages II (LA 338). Tübingen ◾ Thieroff, R. [1994] Das Tempussystem des Deutschen. In: Thieroff, R./ Ballweg, J. [Hg.] Tense Systems in European Languages. Tübingen: 119–134 ◾ Vater, H. [1997] Hat das Deutsche Futurtempora? In: Vater, H. [Hg.] Zu Tempus und Modus im Deutschen. Trier: 53–69 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekon­ struktion eines semantischen Systems. Berlin.

Futur des Präteritums

temporale Kategorie, die die Ereigniszeit nach einer zum Sprechzeitpunkt vergangenen Orientierungsoder Evaluationszeit situiert und somit die Zukunft der Vergangenheit kennzeichnet. ▲ future-in-the-past tense: temporal category that locates the event time after some time of orientation or evaluation which precedes the utterance time. Im Dt. gibt es keine grammatische Form zum Ausdruck der Zukunft in der Vergangenheit, im Gegensatz z.B. zum Engl., wo Future in the Past durch die Konstruktion would + infinitive ausgedrückt wird. Somit ist das Futur des Prät. kein Tempus des Dt.

305 Seine Bedeutung kann durch die Konstruktionen werden + Infinitiv (1), würde + Infinitiv (2) sowie sollte + Infinitiv (3) ausgedrückt werden. (1) Auf seine Reisen nahm er immer alle Ausweise mit, die ihm bisher ausgestellt worden waren, denn er rechnete damit, dass die Grenzer bei so vielen Ausweisen glauben werden, dass alles schon seine Ordnung hat. [Brussig, Die Sonnenallee] (2) Ich hatte das deutliche Gefühl, dass hier heute noch etwas passieren würde, dass diese Kerle da, am und hinter dem Tresen, dabei waren, irgend etwas auszuhecken. [Lange-Müller, Die Enten] (3) Dieses Sparbüchlein sollte mir allzubald zum Helfer in der Not werden, denn da kam der Tod, nahm uns den Wirt Ferdinand Schmuh, nahm uns Arbeit und Verdienst. [Grass, Die Blechtrommel] Sollte + Infinitiv vermittelt die Sprecherperspektive (4), würde + Infinitiv die Perspektive des Subjekts (5). (4) Den Jungen kannte ich nicht, aber Greff sollte ich durch seine Frau Lina später kennen und begreifen lernen. [Grass, Die Blechtrommel] (5) Morgen würde sie sich allerlei Entschuldigungen ausdenken. Der Gebrauch der Formen des Futur des Prät. gestaltet sich relativ zum Ausdruck der Nachzeitigkeit. Diese Formen benennen ein Ereignis, welches aus der Perspektive eines früheren als zukünftig bewertet wird, und stehen meist in Nebensätzen nach den Verben des Sagens, Fühlens und Denkens (2), in Berichten (Biographien und hist. Abhandlungen) als auktoriales Futur des Prät. (6) oder auch als Tempus der Vorschau in präteritalen erzählenden Texten (erlebte Rede oder innerer Monolog) ((7), (8)). (6) Fünf Jahre später, 1946, wird/würde er an seine Mutter schreiben: „Ich habe mich geirrt“. (7) Wenn mir auch die Düsseldorfer Altstadt mit ihren Butzenscheiben, mit Senf auf Käse, Bierdunst und niederrheinischer Schunkelei wegen meiner Tätigkeit als Modell auf der Kunstakademie einigermaßen bekannt war, sollte ich sie doch erst an Klepps Seite richtig kennenlernen. [Grass, Die Blechtrommel] (8) Eine Fünfzehnjährige ließ ihre Eiswaffel fal-

Futur des Präteritums len, wollte sich schon bücken, den Schmand wieder aufheben, da zögerte sie, überließ dem Pflaster und den Schuhsohlen künftiger Passanten die zerfließende Erfrischung; bald würde sie zu den Erwachsenen gehören und Eis nicht mehr auf der Straße lecken. [Grass, Die Blechtrommel] Der indikativische Gebrauch von würde + Infinitiv als Futur des Prät. ist von modalen Gebrauchsweisen dieser Konstruktion zum Ausdruck der Irrealität oder indirekter Rede zu unterscheiden, wo sie, Konditionalis I genannt, durch den Konjunktiv Prät. ersetzt werden kann. Thieroff (1992) plädiert dafür, die Konstruktion würde + Infinitiv als indikativische Tempuskategorie Futurprät. im System der dt. Tempusformen zu analysieren, da sie sich in präteritalen Kontexten genauso wie das Futur in präsentischen Kontexten verhält. Durch seine temporale Bedeutung „entfernt zukünftig“ ist das Futurprät. dem Prät. („entfernt, nicht-zukünftig“) und dem Plq.perf. („entfernt, vergangen“) gegenübergestellt (Thieroff 1994). Die Identität der indikativischen Form mit der konjunktivischen Form Konditionalis I ist ein Hindernis auf dem Wege der Grammatikalisierung von würde + Infinitiv als Tempus. Der Zusammenfall der indikativischen und der konjunktivischen Bedeutungen ist durch den Verlust der ursprüngliche Form wurde + Infinitiv bedingt, welche das Hilfsverb in der indikativischen präteritalen Form aufwies. Deshalb gilt würde + Infinitiv als polyfunktional und homonym mit der primären konjunktivischen Funktion. Kateryna Panchenko ≡ futurum in praeterito ↔ Plusquamperfekt → Futur; Konditional; Präteritum; Tempus; Tempuswechsel → Gram-Syntax: erlebte Rede

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fabricius-Hansen, C. [2000] Die Geheimnisse der deutschen würde-Konstruktion. In: Thieroff, R./ Tamrat, M./ Fuhrhop, N./ Teuber, O. [Hg.] Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: 83–96 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Thieroff, R. [1994] Das Tempussystem des Deutschen. In: Thieroff, R./ Ballweg, J. [Hg.] Tense Systems in European Languages. Tübingen: 119–134 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

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Futur I 306

Futur I

Tempusform des finiten Verbs zum Ausdruck der Zukunft. ▲ future simple tense: tense form of the finite verb denoting future time reference.

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Aufgrund der Oppositionsverhältnisse innerhalb des Tempussystems hat das Futur I die Funktion, relativ zum Sprechzeitpunkt die Zeitebene Zukunft auszudrücken (Thieroff 1992), (1). (1) Man sollte ihm erklären, dass da kein Reden helfen wird. Der temporale Wert des Futurs geht mit der Fak­ti­ zi­tät der Aussage einher und tritt in Kontexten auf, wo es um Geplantes oder Angekündigtes (Matzel/ Ulvestad 1982) geht. In diesen Ge­brauchsweisen (2) ist das Futur I mit dem futurischen Präs. (3) austauschbar, sofern der Kontext keinen Gegenwartsbezug zulässt. (2) Sie werden kommen! Sie werden die Festplätze besetzen! (3) Sie werden kommen! Sie besetzen die Festplätze! Bei fehlender Zeitmarkierung durch den Kontext ist das Futur I das einzig mögliche Tempus zum Ausdruck der Zukunft ((4) vs. (5)). (4) „Er weiß, dass es später wird“, sagt sie. „Er wird warten.“ [Zukunft] (5) „Er weiß, dass es später wird“, sagt sie. „Er wartet.“ [Gegenwart] Auch in Kontexten, in denen die Zeitebenen Gegenwart–Zukunft oder Vergangenheit–Zukunft gegenübergestellt werden, ist das Futur I das eindeutige Mittel der Kennzeichnung der Zukunft ((6), (7)). (6) Ich liebe dich und werde dich (immer) lieben. [Gegenüberstellung Gegenwart–Zukunft] (7) Ich sprang nicht und werde nicht von Sprungtürmen springen. [Gegenüberstellung Vergangenheit–Zukunft] Das Futur I ist von den Gebrauchsweisen der Konstruktion werden + Infinitiv zu unterscheiden, wo es sich lediglich um die zukünftige Verifikation eines gegenwärtigen Ereignisses (8) handelt. (8) Er wird wohl krank sein. [Gegenwart] Die zukunftsbezogene Lesart der Konstruktion wird oft auch epistemisch modalisiert (9). (9) „Das wird dir wohl kaum gelingen“, sagte der Zwerg. [Zukunft] Die temporale und modale Interpretationen der

Konstruktion sind stark kontextabhängig. Modale Interpretation kommt in den Kontexten zum Tragen, wo die Ereignisse keine Wissensgrundlage haben (Matzel/Ulvestad 1982), auch dann, wenn es sich um gegenwärtige Ereignisse handelt (8). Die modale Lesart wird durch das Vorhandensein epistemischer Modalwörter nahegelegt, die Temporalität wird in diesem Fall von einer Temporalangabe bestimmt, in (10) mit einer Vermutung bzgl. der Gegenwart, in (11) mit einer Vermutung bzgl. der Zukunft. (10) Die Knochen werden ihm jetzt wahrscheinlich weh tun. (11) Die Knochen werden ihm morgen wahrscheinlich weh tun. In Kontexten ohne Temporalangaben hängt die temporale Interpretation vom aspektuellen Charakter des Verbs im Infinitiv ab (Leiss 1992). Einen präsentischen Zeitbezug bewirken imperfektive Verben (8), bei perfektiven und neutralen Verben kommt oft die Vermutung bzgl. zukünftiger Ereignisse zum Ausdruck (12). (12) Er wird (wohl) den Schlüssel finden. In Kontexten ohne Modalwörter und ohne Temporalangaben ist die Konstruktion mit dem Zustandsverb im Infinitiv sowohl temporal als auch modal ambig (13). (13) Er wird Fieber haben. Die Konstruktion mit dem perfektiven Verb im Infinitiv ist nur modal ambig, temporal bezieht sie sich auf die Zukunft (14). (14) Er wird den Schlüssel finden. Durch das Zeitadverbial, den weiteren Kontext und die Intonation lässt sich eine solche Konstruktion disambiguieren. (15) Er ist errötet. Er wird Fieber haben. [Vermutung bzgl. Gegenwart] (16) Wir haben uns heute erkältet und ich habe schon Fieber. Morgen wird er auch Fieber haben. [reine Zukunft] In Kontexten ohne Modalwörter und ohne Zeitadverbial überwiegt die rein temporale Zukunftslesart vor allem bei den imperfektiven Handlungsverben (16). (16) Er wird den Schlüssel suchen. Die Etablierung des Futurs I kommt im Dt. zwischen dem 14. und 16. Jh. in der Schriftsprache zustande und wird stark durch den Einfluss der lat. Sprache, vor allem der Bibelübersetzungen und der religiösen Rhetorik geprägt (Diewald/Haber-

307 mann 2005). Zunächst als syntaktische Konstruktion und später als grammatische Form nach dem Muster des lat. Futurums in das System der Zeitformen eingeschlossen, hat das Futur I schon früh zwei Verwendungen, nämlich die temporale Zukunft in Bezug auf den Sprechzeitpunkt und die modale epistemische Möglichkeit, in Verbindung gebracht. Da sich die Konstruktion werden + Infinitiv als Tempusform relativ spät etabliert hat, den Grammatikalisierungsprozess nicht komplett durchlaufen hat und durch den modalen Wert zweideutig ist, wird sie im Sprachgebrauch durch die futurische Verwendung des Präs. verdrängt. Dabei überwiegt das Vorkommen der modalen Lesart von werden + Infinitiv. Hierzu begegnen in der Fachlit. zwei Interpretationen. Die erste Interpretation begründet werden + Infinitiv als einen Modalverbkomplex (Vater 1975), die zweite, evidentielle Interpretation schreibt der Form die Funktion zu, den Sprecherbezug auszudrücken. Kateryna Panchenko ≡ unvollendete Zukunft ↔ Perfekt; Plusquamperfekt; Präteritum → § 16; Futur; Futur II; futurisches Präsens; Tempus; Tempuswechsel

🕮 Diewald, G./ Habermann, M. [2005] Die Entwicklung von werden & Infinitiv als Futurgrammem: Ein Beispiel für das Zusammenwirken von Grammatikalisierung, Sprachkontakt und soziokulturellen Faktoren. In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ De Groodt, S. [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin [etc.]: 229–250 ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Matzel, K./ Ulvestad, B. [1983] Futur I und futurisches Präsens. In: Sprw 8/1: 282–328 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Vater, H. [1975] werden als Modalverb. In: Calbert, J.P./ Vater, H. [Hg.] Aspekte der Modalität (StDG 1). Tübingen: 71–148.

Futur II

Tempusform des finiten Verbs, die die Ereigniszeit vor einer Orientierungs- oder Evaluationszeit situiert, welche nach der Sprechzeit liegt. ▲ future perfect tense: tense form of the finite verb locating the event time before some time of orientation or evaluation which is after the utterance time. Sprachtypologisch ist das Futur II nur in den Sprachen vorhanden, die sowohl die Kategorie Futur als auch Perfekt kennen. Die temporale Bedeutung der Zukunft des Futurs II bedarf einer

Futur II kontextuellen Unterstützung (z.B. durch ein Temporaladverb), (1). (1) Ich frage mich, wann ich die Amöben und das Krokodilsauge wohl wiedersehe und ob sich dann mein Leben schon verändert haben wird. Als Hauptträger der Zukunftsreferenz tritt das Futur II nur dann auf, wenn das Zeitadverbial doppeldeutig ist (2) oder wenn es gar kein Zeitadverbial gibt (3). (2) Am Mittwoch wird die Apollo-Mannschaft den Mond erreicht haben. (Gelhaus 1975: 153) (3) So besteht alle Aussicht, dass auch dieses Konsultationsgespräch [das erst noch stattfinden soll] ... einzureihen sein wird unter jene Fleißübungen, die nicht geschadet, die aber auch nichts genutzt haben werden. (Gelhaus 1975: 155) Außer in (2) und (3) kann das Futur II durch das Perf. ersetzt werden (4). (4) Ich frage mich, wann ich die Amöben und das Krokodilsauge wohl wiedersehe und ob sich dann mein Leben schon verändert hat. Das Futur II stellt in dieser Gebrauchsvariante ein zukünftiges Ereignis aus der Perspektive eines anderen zukünftigen Ereignisses als abgeschlossen dar. Da die temporale Bedeutung des Futurs II neben der Sprechzeit und der Ereigniszeit noch die Orientierungszeit verlangt, wird es als ein relatives Tempus eingestuft. Das Futur II kommt mit der temporalen Bedeutung extrem selten vor. Meist bezeichnet es eine Vermutung bzgl. vergangener Ereignisse (5). (5) Wie Sie zuvor schon bemerkt haben werden, ergab sich mir unter dem Tisch seit jeher die bequemste Art aller Betrachtungen: Ich stellte Vergleiche an. Helbig/Buscha (2005) unterscheiden außer dem zukunftsbezogenem Futur II noch zwei weitere Bedeutungsvarianten: (a) Vermutung in der Vergangenheit (oder: Vergangenheitsfutur) (b) Vermutung in der Vergangenheit mit resultativem Charakter (oder: resultatives Futur II). Den drei Bedeutungen ist gemeinsam, dass eine gegenwärtige oder zukünftige Wahrscheinlichkeit eines vergangenen oder zukünftigen Ereignisses zum Ausdruck gebracht wird. Wegen der Polyfunktionalität und der extrem niedrigen

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Futur II, resultatives 308 Frequenz wird das Futur II im Dt. von manchen nicht als Tempus, sondern als Modalverbkomplex angesehen (Vater 1997). Kateryna Panchenko ≡ Futurperfekt; futurum exactum; vollendete Zukunft → § 16; Futur; Futur I; Perfekt; resultatives Futur II; Vergangenheits-Futur II

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🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gelhaus H. [1975] Das Futur in ausgewählten Texten der geschriebenen deutschen Sprache der Gegenwart. Düsseldorf ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Vater, H. [1997] Hat das Deutsche Futurtempora? In: Vater, H. [Hg.] Zu Tempus und Modus im Deutschen. Trier: 53–69.

Futur II, resultatives → resultatives Futur II

futurisches Präsens

Verwendungstyp des Präsens zum Ausdruck zukünftiger Sachverhalte. ▲ futuristic present: present tense with future time reference. Das futurische Präs. ist dadurch gekennzeichnet, dass die Sprechzeit vor der Ereigniszeit des vom Verb ausgedrückten Geschehens liegt. (1) Wir treffen uns am Bahnhof! In (1) liegt insofern futurisches Präs. vor, da die vom Satz beinhaltete Proposition zum Zeitpunkt der Äußerung noch nicht, sondern erst zu einem (hier nicht genau spezifizierten) zukünftigen Zeitpunkt gilt. In diesem Sinne stellt das futurische Präs. eine semantische Konkurrenzform zum Fu-

tur I dar und ist weitgehend durch dieses ersetzbar: (2) Morgen fahre ich nach Heidelberg. [= Morgen werde ich nach Heidelberg fahren.] Umgekehrt kann aber das Futur I nicht durch das Präs. ersetzt werden, wenn es mit Gegenwartsbezug und parallel dazu mit der modalen Bedeutungskomponente 'Vermutung' verwendet wird: (3) Er wird es nicht leicht haben. [≠ Er hat es nicht leicht.] Wie (1) zeigt, kann die futurische Bedeutung des Präs. (genauso wie die aktuelle, aber anders als die hist.) kontextunabhängig, auch ohne die gleichzeitige Verwendung von entsprechenden Temporalangaben (morgen, bald u.a.) zu Stande kommen. Péter Maitz

↔ aktuelles Präsens; generelles Präsens; historisches Präsens → Futur; Futur I; Präsens; Tempus

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Futurperfekt ≡ Futur II

futurum exactum ≡ Futur II

futurum in praeterito ≡ Futur des Präteritums

G Gattungsname

≡ Appellativum ⇀ Gattungsname (Lexik; CG-Dt; SemPrag)

Gattungszahlwort

Artikelwort oder Pronomen, das eine bestimmte oder unbestimmte Zahl ausdrückt, indem es sich auf Gattung oder Klasse im allgemeinsprachlichen Sinn bezieht. ▲ quantifier of species: determiner or pronoun which indicates precise or imprecise quantity used to denote species or class in a general sense. Die Wiedergabe der Gattungszahlen in der Schriftsprache erfolgt im Dt. in Buchstaben. Bestimmte Gattungszahlwörter drücken eine bestimmte Menge oder Anzahl von Personen oder Nicht-Personen aus. Aus grammatischer Sicht handelt es sich um Artikelwörter (in dreierlei Farben; achterlei Sorten Papier) und Pronomina (Wir haben dreierlei mit berücksichtigt). Unbestimmte Gattungszahlwörter hingegen bezeichnen eine nicht näher bestimmte Anzahl und beziehen sich in diesem Sinn auf eine zahlenmäßig nicht näher bestimmte Menge oder Sache. Hierzu gehören gleichfalls die Artikelwörter (in vielerlei Farben; etwas Merkwürdiges erleben) und Pronomina (sich für vielerlei/etwas/nichts interessieren). Edyta Błachut

→ bestimmtes Zahlwort; Determinans (1); Determinativ; De-

terminativum; Numerale; Pronomen; Quantor; unbestimmtes Zahlwort

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Löbel, E. [1990] D und Q als funktionale Kategorien in der Nominalphrase. In: LB 132: 232–264 ◾ Vater, H. [1984] Determinantien und Quantoren im Deutschen. In: ZS 3: 19–42.

gebrochener Plural

Plural, der durch die Stammveränderung des Nomens markiert wird. ▲ broken plural; internal plural: plural which is marked by alteration of the noun stem. Der Terminus stammt aus der arab. Grammatiktradition und bezeichnet urspr. den Typ des Pl. im Arab., der nicht durch Affigierung, sondern durch eine stamminterne Veränderung (Stammveränderung) markiert wird (1). (1) arab.: ražul 'Mann' [Sg.] vs. rižaal 'Männer' [Pl.] In den europ. Sprachen ist diese Markierungsstrategie u.a. durch den Umlaut-Pl. der germ. Sprachen belegt ((2)–(4)). (2) Vater [Sg.] vs. Väter [Pl.] (3) schwed.: fader [Sg.] vs. fäder [Pl.] (4) dän.: barn [Sg.] vs. børn [Pl.] ['Kind'] ≡ innerer Plural ↔ äußerer Plural; Nullplural → Plural; Stamm; Umlaut ⇀ gebrochener Plural (HistSprw; Phon-Dt) ⇁ broken plural (Phon-Engl)

György Scheibl

🕮 Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

gebundenes Morphem

Morphem, das stets in Kombination mit einem anderen Morphem auftritt. ▲ bound morpheme: morpheme that only appears in combination with another morpheme. Ein gebundenes Morphem ist nicht wortfähig: Es kann nie allein stehen und ist ein Teil eines Worts. Es ist meistens platzfest, mit Ausnahme der Konfixe. Es gibt sowohl grammatische als auch lexikali-

Gedächtnisraum 310 sche gebundene Morpheme, z.B. ver- in vertrauen, verweisen, -ung in Prüfung, Kleidung, sprech- in sprechen, Sprecher, phob in Phobie, anglophob. Gebundene Morpheme können zusammen ein Wort bilden wie bei Phob-ie.

G

↔ freies Morphem → Affix; Morphem ⇀ gebundenes Morphem (Wobi; CG-Dt) ⇁ bound morpheme (CG-Engl; Typol)

Hilke Elsen

🕮 Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Gedächtnisraum

≡ Vorstellungsraum

Gedankenstrich

Interpunktionszeichen, das einfach verwendet einen Sprecher- oder Themenwechsel, eine Ankündigung oder einen Redeabbruch, und paarig verwendet parenthetische Einschübe indiziert. ▲ dash: punctuation mark that, in single usage, indicates turn taking or a topic shift, an announcement, or an anacoluthon, and, in paired usage, indicates parenthesis. Katharina Siedschlag

→ Bindestrich; Ergänzungsstrich; Interpunktion; Trennstrich → Gram-Syntax: Parenthese; Schaltsatz ⇀ Gedankenstrich (Schrling)

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Gefügenomen

sachverhaltsbeschreibende nominale Komponente in Funktionsverbgefügen, die als abstrakte Akkusativergänzung oder präpositionale Ergänzung vorkommt. ▲ event nominal in light verb constructions: nominal constituent of light verb constructions which gives a description of the facts and may occur as an abstract accusative complement or as a prepositional complement. Der Terminus Gefügenomen ist von Engel (1991) geprägt worden und auf den nominalen Bestandteil eines Funktionsverbgefüges (= FVG) bezogen. Gelegentlich wird aufgrund der „systematisch

beschreibbare[n] Eigenbedeutung“ (von Polenz 1987: 170), die sich beim FVG in charakteristischen Funktionen (Kausativierung, Aktionalisierung und Aspekt, Passivierung) zeigt, zwischen Nominalisierungsverbgefügen (Unterricht erteilen) und FVGn (zur Anwendung kommen) differenziert. Über beider Beziehung besteht kein Konsens. So werden FVG als Subklasse der Nominalisierungsverbgefüge (von Polenz 1987) oder als Komplementärbereich zu den Nominalisierungsverbgefügen (vgl. Storrer 2006; Ágel 2017) betrachtet. In diesen nicht-kompositionellen, nicht-idiomatischen Gefügen bilden ein semantisch geschwächtes Verb und das Gefügenomen ein komplexes Prädikat, das in folgenden morphosyntaktischen Strukturen vorkommt: (a) [(±Artikel) + NomenAkkusativ + Verbtransitiv] → akkusativisches FVG; (b) [Präposition (±Artikel) + Nomen + Verbtransitiv/intransitiv] → präpositionales FVG. Das Gefügenomen wird auch als „Nebenkern des zugehörigen Verbs“ bezeichnet und mit einer Verbpartikel verglichen (Duden 2009), was in den Stellungseigenschaften seinen Ausdruck findet: Gefügenomen und semantisch geschwächtes Verb bilden im Hauptsatz die Satzklammer und stehen im Nebensatz nebeneinander (1). (1) Er sagt, dass er der Aufforderung nicht Folge leisten werde. Bei einem präpositionalen FVG ist der semantische Gehalt der Präp. reduziert. Kontrovers werden die vorkommenden Präpositionen diskutiert: Helbig/Buscha (1996) lassen neben den häufig auftretenden Präpositionen in und zu auch aus, auf, außer, bei, hinter, um, unter zu, während Duden (2009) nur in, zu und unter akzeptiert. Die Gefügenomen stellen eine Subklasse der Abstrakta dar (Klim 2015: 31). Sie kommen nicht in übertragener Bedeutung vor und sind auch keine unikalen Elemente (Heine 2008). Das Gefügenomen kann ein nicht abgeleitetes Lexem oder das Ergebnis eines Wortbildungsprozesses sein, wobei sich hinsichtlich seiner Bildung eine gewisse Varianz zeigt: Konversion (ins Rutschen kommen); implizite Ableitung (Abstand nehmen); Derivate mit -ung, -keit, -heit, -nis oder -e (zur Kenntnis gelangen); verdunkelte Suffixbildungen mit -de (Freude bringen) oder -t (in Aussicht stellen). Deshalb wird bei Deverbativa und Deadjektiva oft auf ein (stammverwandtes) korrespondierendes Verb oder Adj. rekurriert ((2)–(4)).

311 Geltungsadverb (2) zur Anwendung kommen ← angewendet werden (3) eine Korrektur vornehmen ← korrigieren (4) zur Verantwortung ziehen ← verantwortlich machen Daneben gibt es zahlreiche Fälle ohne diesen Bezug ((5)–(7)) bzw. Lexeme, die nur als Gefügenomen vorkommen (8). (5) Eingang finden ['in etwas aufgenommen werden'] (6) in Verruf geraten ['einen üblen Ruf bekommen'] (7) zur Sprache bringen ['zum Gesprächsthema machen'] (8) in Betracht kommen In der Regel wird dem Gefügenomen kein Aktantenstatus zugeschrieben, sondern die Funktion eines Prädikatskerns zugeordnet (Detges 1996). In Duden (2009) wird das Gefügenomen als syntaktische Leerstellenbesetzung des semantisch geschwächten Verbs ohne Aktantenstatus aufgefasst. Es zeigen sich beim Gefügenomen gewisse Einschränkungen hinsichtlich seiner Pronominalisierbarkeit, Erfragbarkeit, Anaphorisierbarkeit, Attribuierbarkeit und der Singular-Plural-Opposition. Für Storrer (2006) sind sie der Hintergrund für die Unterscheidung von FVG und Nominalisierungsverbgefüge (bei Storrer „Stützverbgefüge“). In anderen Arbeiten (Helbig/Buscha 1996; Winhart 2005) wird das unterschiedliche Verhalten des Gefügenomens mit dem Lexikalisierungsgrad des FVGs in Zusammenhang gebracht und zwischen lexikalisierten und (pronominalisierbaren, erfragbaren, attribuierbaren) nicht-lexikalisierten FVGn differenziert. Neben dem Subjektaktanten (Duden 2009) hängen weitere Aktanten vom Gefügenomen ab. Diese betrachten u.a. Helbig/Buscha (1996) als selbständige Satzglieder und nicht als „Attribute zum Verbalsubstantiv“. Petra Szatmári

→ Nomen; Nominalisierungsverbgefüge → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; Funktionsverbgefüge; präpositionale Ergänzung; Präpositivergänzung

🕮 Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Detges, U. [1996] Nominalprädikate. Eine valenztheoretische Untersuchung der deutschen Funktionsverbgefüge des Paradigmas „être Präposition Nomen“ und verwandter Konstruktionen. Tübingen ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2.,

verb. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Klim, O. [2015] Computerlinguistische Untersuchung der Stützverbkonstruktionen im Englischen. München [Unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/18781/1/Klim_Olga. pdf; letzter Zugriff: 15.06.2017] ◾ Polenz, P. von [1987] Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. Vorschläge zur satzsemantischen Lexikographie. In: ZGL 15/2: 169–189 ◾ Winhart, H. [2005] Funktionsverbgefüge im Deutschen. Zur Verbindung von Verben und Nominalisierungen. Tübingen. [Unter: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/46248; letzter Zugriff: 16.06.2017].

Gegenstandsbezeichnung

Sammelbegriff für Nomina, die auf Gegenstände referieren. ▲ noun referring to an object: collective term for nouns referring to objects. Gegenstandsbezeichnungen sind nominale Wortbildungsprodukte, die eine nicht nominale Basis haben und auf Objekte referieren. Die semantische Relation zur Ableitungsbasis lässt sich auf unterschiedliche Weise näher beschreiben, z.B. das Gebäck [durch ein Geschehen hervorgebracht], der Aufkleber [von einem Geschehen betroffen], der Entsafter [Mittel eines Geschehens] oder das Schwarze [durch eine bestimmte Eigenschaft charakterisiert]. Eine solche Charakterisierung wird z.B. in der Duden-Grammatik (Duden 2005: 739) gegeben. I.w.S. können aber auch Simplizia wie Tisch, Ball und Komposita wie Tischtuch sowie denominale Derivate wie Heftchen zur lexikalischen Klasse der Gegenstandbezeichnungen gezählt werden. Max Möller

→ Derivation; Kompositum; Nomen; Simplex; Wortbildung ⇀ Gegenstandsbezeichnung (Wobi)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1995] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchges. u. erg. Aufl. Tübingen ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.].

Gegenwart

≡ Präsens ⇀ Gegenwart (SemPrag)

Gegenwart, vollendete → Perfekt

Geltungsadverb

Adverb, das dazu verwendet wird, die Wahrheit

G

gemeinsames Geschlecht 312 oder Glaubwürdigkeit einer Aussage hervorzuheben oder zu modifizieren. ▲ adverb of validity: adverb which has the function of stressing or modifying a proposition.

G

Die Geltungsadverbien haben wie Einordnungsund Fokusadverbien eine modale und pragmatische Funktion, die sie auch mit adverbial verwendeten Adjektiven gemeinsam haben. Reine Adverbien sind z.B. allerdings, bekanntlich, selbstredend, selbstverständlich, sicherlich, zweifellos (1); daneben gibt es aber auch adverbial verwendete Adjektive wie offensichtlich, selbstverständlich, sicher, tatsächlich, wirklich. (1) Sie ist allerdings/selbstredend/zweifellos die geeignete Person für diese Rolle. Diese Adverbien haben eine bestärkende Funktion; einige signalisieren aber auch eine zweifelnde Einstellung zur Gültigkeit einer Aussage, so z.B. möglicherweise, vielleicht, wohl (2). Entsprechende Adjektive sind bestimmt, eventuell, wahrscheinlich, vermutlich etc. (3). (2) Sie ist möglicherweise/vielleicht die geeignete Person für diese Rolle. (3) Sie ist bestimmt/eventuell/wahrscheinlich die geeignete Person für diese Rolle. Die Negation nicht wie auch das argumentierende keineswegs annullieren die Gültigkeit einer Aussage (4), während Adverbien wie kaum und schwerlich eine modifizierende Wirkung haben (5). (4) Sie ist nicht/keineswegs die geeignete Person für diese Rolle. (5) Sie ist kaum/schwerlich die geeignete Person für diese Rolle. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; Kommentaradverb; logisches Adverb; Modalwort; modifikatives Adverb; Satzadverb

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

gemeinsames Geschlecht ≡ Differentialgenus

gemischte Deklination

Flexionsmuster, das Formen vereinigt, deren Bildung unterschiedlichen Deklinationen folgt, insbesondere im Deutschen bei Substantiven und Adjek-

tiven Formen nach der starken und der schwachen Deklination. ▲ mixed declension: inflectional pattern that combines inflected forms instantiating different declensions, in particular, with respect to nouns and adjectives in German, inflected forms from the strong and weak declensions. In Fällen gemischter Deklination werden verschiedene Flexionsformen eines gegebenen Lexems nach Mustern gebildet, die sich im Rahmen einer umfassenden Analyse des Systems der betreffenden Sprache als charakteristisch für unterschiedliche Deklinationsklassen erweisen. In der theoretisch orientierten Morphologie haben Erscheinungen der Flexionsklassenmischung große Beachtung gefunden; vgl. u.a. Noyer (2005); Stump (2006: 279). Beispiele finden sich weltweit in Sprachen verschiedener Familien und insbesondere in ide. Sprachen mit ausgebautem Flexionssystem wie Lat. oder Russ. Mischtypen können auf wenige irreguläre Lexeme beschränkt sein oder systematisch verankerte Klassen bilden; innerhalb eines Paradigmas können einzelne oder wenige Formen vom im Übrigen geltenden Grundmuster abweichen, oder größere Teilparadigmen können unterschiedlichen Deklinationen folgen, wobei die Spaltung mit Stammwechsel einhergehen kann. Zudem können Bildungen mit unterschiedlicher Wortartspezifik kombiniert werden wie im Falle des „gemischten adjektivisch-substantivischen Flexionstypus“ (Isačenko 1962: 174) bei Familiennamen in slaw. Sprachen (wie russ. Turgenev, Puškin), mit nach Genus und Numerus variierender Reichweite der adjektivischen gegenüber der substantivischen Flexion. Häufig ist die flexivische Spaltung der Paradigmen an eine unabhängig gegebene morphologische Eigenschaft gekoppelt, typischerweise den Numerus, so in der gemischten Deklination der poln. Personalmaskulina auf -a (Damerau 1967: 36–38) wie kolega 'Kollege', die im Sg. wie Feminina, im Pl. wie Maskulina flektieren. Im Dt. werden zur gemischten Deklination Sub­ stantive gezählt, die im Sg. der starken, im Pl. der schwachen Deklination folgen, darunter der weit überwiegende Teil der Feminina (Frau) sowie einige Maskulina (Staat) und Neutra (Ohr); vgl. Frauen (Nom./Akk./Dat./Gen. Pl.) mit dem für die schwache Flexion charakteristischen n-Flexiv in

313

gemischtes Verb

allen Pluralkasus vs. Frau (Nom./Akk./Dat./Gen. Sg.) in allen Singularkasus ohne n-Flexiv (Grimm 1822: 699; bei Paul 1917: 57–62, 78–91 als „Mischklasse“ bezeichnet). Zur Deklinationsmischung im Dt. aus diachroner Perspektive s. auch Werner (1969: 122): „ein durch die ganze deutsche Sprachgeschichte hindurchgehendes, immer weiter um sich greifendes Prinzip“. Als gemischte Deklination wird auch das Flexionsmuster bezeichnet, das Adjektive im Gegenwartsdt. in der Position nach dem indefiniten Artikel sowie nach kein und nach Possessiva zeigen (schon Schmitthenner 1828: 281–284): nach Artikelformen wie einem mit starker Flexionsendung werden Adjektive schwach flektiert (wie in einem alten Mann), sonst in der Regel stark (wie in ein alter Mann nach endungsloser Artikelform). Verschiedene Varianten gemischter Adjektivflexion zeigen sich in der Position nach Indefinitpronomen (Wiese 2009). Bernd Wiese

→ § 16; Deklination; Deklinationsklasse; gemischtes Verb; schwache Deklination; starke Deklination

🕮 Damerau, N. [1967] Polnische Grammatik. Berlin ◾ Grimm, J. [1822] Deutsche Grammatik. 1. Theil. 2. Ausg. Göttingen ◾ Isačenko, A.V. [1962] Die russische Sprache der Gegenwart. Teil I. Formenlehre. Halle/Saale ◾ Noyer, R. [2005] A constraint on interclass syncretism. In: Booij, G./ van Marle, J. [Hg.] Year­book of Morphology 2004. Dordrecht: 273–315 ◾ Paul, H. [1917] Deutsche Grammatik. Bd. II. Flexionslehre. Halle/Saale ◾ Schmitthenner, F. [1828] Teutonia. Ausführliche Teutsche Sprachlehre, nach neuer wissenschaftlicher Begründung. 1. Buch. Niedere Sprachlehre. Frankfurt/Main ◾ Stump, G.T. [2006] Heteroclisis and paradigm linkage. In: Lg 82: 279–322 ◾ Werner, O. [1969] Das deutsche Pluralsystem. Strukturelle Diachronie. In: Sprache. Gegenwart und Geschichte. Probleme der Synchronie und Diachronie (JbIdS 1968). Düsseldorf: 92–128 ◾ Wiese, B. [2009] Variation in der Flexionsmorphologie. Starke und schwache Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven. In: Konopka, M./ Strecker, B. [Hg.] Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch (JbIds 2008). Berlin [etc.]: 166–194.

gemischtes Verb

Verb mit einem gemischten Konjugationsparadigma. ▲ mixed verb: verb with a mixed conjugation paradigm. Verben lassen sich nach morphologischen Kriterien in verschiedene Konjugationsklassen einteilen. Dementsprechend weisen sie vor allem Paradigmen einer schwachen (kaufen – kaufte – gekauft; malen – malte – gemalt), einer starken (gehen – ging – gegangen; kommen – kam – ge-

kommen) und einer unregelmäßig schwachen (vgl. Duden 2016: 457) bzw. gemischten Konjugation auf. Verben mit einem gemischten Konjugationsparadigma besitzen sowohl Merkmale der schwachen Konjugation (Flexionsmorphem im Prät. und Partizip II: -t) als auch Merkmale der starken Konjugation (Stammvokalalternation (Ablaut), Partizip II: Flexionsmorphem: -en). Man spricht auch von Mischformen (vgl. Engel 2004: 203), stark-schwacher Mischkonjugation (vgl. Duden 2016: 441, 457) oder von unregelmäßigen Verben i.e.S. (vgl. Engel 2004: 207). Diese überschaubare Anzahl von Verben, die Merkmale beider Konjugationsarten aufweisen, lassen sich in folgende Subklassen ordnen: (a) t-Suffix und Vokalwechsel (brennen – brannte – gebrannt; kennen – kannte – gekannt; nennen – nannte – genannt; rennen – rannte – gerannt; wissen – wusste – gewusst); (b) t-Suffix (+Vokalwechsel) [mit Bedeutungsveränderung] (senden – sandte/sendete – gesandt/ gesendet; wenden – wandte/wendete – gewandt/ gewendet); (c) t-Suffix und Vokalwechsel + Konsonantenwechsel (bringen – brachte – gebracht; denken – dachte – gedacht); (d) starkes Partizip bei sonst schwacher Konjugation (mahlen – mahlte – gemahlen; salzen – salzte – gesalzen; spalten – spaltete – gespalten); (e) schwache oder starke Konjugation ohne Bedeutungsunterschied (melken – melkte/molk – gemelkt/gemolken; sieden – siedete/sott – gesiedet/ gesotten; backen – backte/buk – gebacken; gären – gärte/gor – gegärt/gegoren; glimmen – glimmte/ glomm – geglimmt/geglommen; saugen – saugte/ sog – gesaugt/gesogen). Die schwache Konjugation hat als produktives Muster der Sprachentwicklung einige urspr. starke Verben betroffen. Der Übergang ist nicht immer endgültig abgeschlossen, so dass sich verschiedene Zwischenstufen identifizieren lassen. Meike Meliss

↔ schwaches Verb; starkes Verb → § 16; gemischte Deklination; Konjugation; regelmäßige

Konjugation; unregelmäßige Konjugation; unregelmäßiges Verb

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

G

generalisierendes indefinites Personalpronomen 314

generalisierendes indefinites Personalpronomen

Pronomen, das im Deutschen das Indefinitpronomen man bezeichnet. ▲ generalized indefinite personal pronoun: pronoun which designates the indefinite pronoun man in German.

G

Das Indefinitpron. man gehört neben niemand, jemand und irgendwer zu der Untergruppe von Indefinitpronomina, mit denen nur auf Lebewesen mit dem Merkmal 'menschlich' Bezug genommen werden kann. Während mit dem Pron. jemand auf ein zwar indefinites, jedoch einzelnes Mitglied einer Menge referiert wird, bezieht sich im Gegensatz dazu das Indefinitpron. man kollektiv auf alle Mitglieder einer Menge. Das Indefinitpron. man im Dt. entstand im Laufe der ahd. Sprachperiode aus dem im Nhd. nach wie vor gleichlautenden Subst. Mann in Kontexten, in denen das Subst. generisch gebraucht wurde. Agnes Kolmer

→ Indefinitpronomen; Personalpronomen; Pronomen

🕮 Haspelmath, M. [1997] Indefinite Pronouns. Oxford ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

generelles Präsens

Verwendungstyp des Präsens in allgemein gültigen oder zeitungebundenen Aussagen. ▲ general present: present tense expressing general, timeless truths. Das generelle Präsens ist eine Verwendungsform des Präs., bei der die Ereigniszeit (Situationszeit) mit der Sprechzeit zwar überlappt, zugleich aber auch auf die (nicht näher spezifizierte) Vergangenheit und Zukunft ausgedehnt wird, so dass die Aussage im Prinzip eine unbegrenzte bzw. zeitunabhängige Gültigkeit erlangt. Generelle, zeitunabhängige Präsensbedeutungen haben keinen einheitlichen Status. Sie sind typisch für zeitungebundene empirische Aussagen (1) und empirische Verallgemeinerungen (2), theoretische Aussagen (3) bzw. Axiome oder ebenso auch für Sprichwörter bzw. Sentenzen (4). (1) Augsburg liegt am Lech. (2) Kühe haben vier Beine. (3) 3 hoch 3 ist 27. (4) Morgenstund hat Gold im Mund. Allerdings besitzen durch das generelle Präsens

ausgedrückte Sachverhalte in der Regel keine zeitlich uneingeschränkte, d.h. generelle Gültigkeit i.e.S. Vielfach geht es lediglich darum, dass von einer zeitlichen Einordnung des Gesagten abgesehen wird, die Gültigkeit der Aussage jedoch durch hist. Veränderungen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeitlich beschränkt ist bzw. sein kann. Péter Maitz ≡ atemporales Präsens; zeitloses Präsens; zeitunabhängiges Präsens ↔ aktuelles Präsens; futurisches Präsens; historisches Präsens → Präsens; Tempus

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

generisches Maskulinum

maskulines Substantiv, mit dem gleichermaßen Männer und Frauen benannt werden können. ▲ generic masculine: masculine noun that can equally refer to men and women. Das generische Maskulinum ist eine maskuline Personenbezeichnung, die sich sowohl auf Männer als auf Frauen bezieht, also „geschlechtsabstrahierend“ (vgl. Doleschal 2002: 1) verwendet werden kann (vgl. Wie viel Geld darf ein Student haben, wenn er den vollen Satz an Bafög bekommt? Oder: Wir brauchen eine Politik für alle Bürger). Desubstantivische oder deadjektivische Ableitungen mit -ling (Dichterling, Feigling) benennen in der Regel nur Männer; deverbale (Prüfling, Lehrling) erlauben hingegen eine generische Verwendung (vgl. Eisenberg 2004: 284). Bei generischen Maskulina stellt sich das Problem, dass Genus und Sexus dasselbe Rektionsverhalten bei Determinatoren, attributiven Adjektiven oder anaphorischen und anadeiktischen Bezugnahmen erfordern. Während Leiss (1994) argumentiert, dass die Kategorie Sexus in der Sprw. die Kategorie Genus z.T. verdrängt, zeigt Doleschal (2002), dass sich die Auffassung maskuliner Personenbezeichnungen als geschlechtsneutral erst seit etwa den 60er Jahren des letzten Jhs. etabliert hat.

↔ Geschlechtsspezifikation

Winfried Thielmann

315 Genitiv

→ Genus; geschlechtsneutrale Personenbezeichnung;

Maskulinum; Movierung; Personenbezeichnung; Sexus; Substantiv

🕮 Doleschal, U. [1992] Movierung im Deutschen. Eine Darstellung der Bildung und Verwendung weiblicher Personenbezeichnungen. Unterschleissheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Leiss, E. [1994] Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: LB 152: 281–300.

generisches Substantiv

Substantiv mit generischer Referenz. ▲ generic noun: noun with a generic reference. Unter generischer Referenz wird nach Krifka et al. (1995) die Referenz auf eine Art (engl.: kind) verstanden. Ein generisches Subst. bezieht sich nicht auf eine bestimmte Instanz der betreffenden Art bzw. Gattung, sondern auf die Art selbst. Die sog. kind-level Prädikate wie u.a. verbreitet sein, aussterben und erfinden subkategorisieren nur generische Substantive (Carlson 1977), (1). Als Argumente solcher Prädikate können sowohl definite NPn im Sg. und Pl. als auch artikellose NPn im Pl. fungieren (2). (1) Die Dronte /*Die Katze meiner Nachbarin ist ausgestorben. (2) Die Dronten /Dronten sind ausgestorben. Die Ergebnisse einiger empirischen Studien (u.a. Barton/Kolb/Kupisch 2015) sprechen dafür, dass im Standarddt. bloße Plurale im Gegensatz zu definit markierten Pluralen die unmarkierte Kodierung der generischen Referenz bieten. Die semantischen Unterschiede zwischen den Varianten mit und ohne definiten Artikel werden in Schaden (2013) diskutiert. Generische Referenz hängt mit Abstraktheit im Sinne von raumzeitlicher Unabhängigkeit zusammen. Unter einer Art wie z.B. die Dronte (raphus cucullatus) ist eine Abstraktion über alle (möglichen) Drontenexemplare zu verstehen – Artenbezeichnungen ähneln daher Abstrakta. Da jedoch Artenbezeichnungen wie die Dronte mit konkreten Instanziierungen assoziiert werden, werden sie traditionell zu den Konkreta gezählt. Nach Krifka et al. (1995) ist es sinnvoll, referenzielle Generizität wie in (1) und (2) von der quantifizierenden Generizität wie in sog. charakterisierenden Sätzen ((3)–(5)) zu unterscheiden. Solche Sätze drücken eine charakteristische Eigenschaft

aus. Sie enthalten einen stillen generalisierenden Operator ähnlich einem Frequenzadverb wie gewöhnlich. (3) Ein Käfer / Der Käfer hat (gewöhnlich) vier Flügel. (4) Die Käfer / Käfer haben (gewöhnlich) vier Flügel. (5) Ein Käfer hat (gewöhnlich) vier Flügel. Die quantifizierende Generizität wird z.B. durch den habituellen Aspekt des Verbs oder ein Zustandsverb wie haben oder sein etabliert. Charakterisierende Sätze unterscheiden sich von Sätzen mit kind-level Prädikaten, weil in charakterisierenden Sätzen nicht nur definite NPn im Sg. und Pl. ((3), (4)) und artikellose NPn im Pl. (4) möglich sind, sondern auch indefinite NPn im Sg. (5).

→ Abstraktum; Konkretum; Substantiv → Gram-Syntax: Referenz

Ljudmila Geist

🕮 Barton, D./ Kolb, N./ Kupisch, T. [2015] Definite article use with generic reference in German: an empirical study. In: ZfS 34/2: 147–173 ◾ Carlson, G.N. [1977] Reference to Kinds in English. PhD Dissertation, University of Massachusetts at Amherst ◾ Krifka, M. et al. [1995] Genericity: An introduction. In: Carlson, G.N./ Pelletier, F.J. [eds.] The Generic Book. Chicago, IL: 1–124 ◾ Schaden, G. [2013] Two Ways of Referring to Gen­er­ al­ities in German. In: Mari, A./ Beyssade, C./ Del Prete, F. [eds.] Genericity. Oxford: 157–175.

Genetiv, absoluter

→ genitivus absolutus

Genitiv

grammatischer Kasus, dessen Hauptfunktion in der Etablierung einer Beziehung zwischen zwei Nomina besteht und der auch als Objekt- und Präpositionalkasus, Adverbialkasus sowie zur Kongruenzmarkierung dient. ▲ genitive; possessive case: grammatical case with the main function of establishing a relationship between two nouns, and also serving functions like object, prepositional, and adverbial case as well as congruence marking. Der Terminus Genitiv (oV: Genetiv; lat. casus genetivus 'Herkunftsfall') geht auf eine Fehlinterpretation des griech. geniké ptósis, dt. 'Kasus der Art, Gattung, generischer Kasus' zurück. Der Genitiv zeigt ein Bündel verschiedener formaler und funktionaler Aspekte, die nicht als voneinander unabhängige Bedeutungsvarianten

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Genitiv 316

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zu verstehen sind, sondern vielfach miteinander interagieren. Die Interpretationsdomänen des Genitivs umfassen vor allem eine Position innerhalb des Kasussystems (die Einheitenkategorie Genitiv in der Kategorie Kasus), die genitivmarkierten Formen bzw. Genitivmarker, sowie genitivische Relationen (vgl. Blake 2000: 1074). In den dt. Grammatiken stehen die formalen Aspekte im Vordergrund. Somit wird der Genitiv oft als Menge von Wortformen mit genitivischer morphologischer Markierung gedeutet (z.B. einer, eines, Hundes, schöner, schönen), die isoliert betrachtet formal nicht eindeutig sind und in bestimmten syntaktischen Umgebungen vorkommen (z.B. in Possessivstrukturen oder nach einigen Präpositionen). Allerdings treten auch Konkurrenz- und Ersatzformen auf, die ihrerseits auf der funktionalen Äquivalenz mit den kasusmarkierten Strukturen beruhen (der Einsatz schwerer Waffen vs. der Einsatz von Chemikalien). Der Genitiv gehört zu den sog. indirekten Kasus und erfüllt typischerweise keine Kernfunktionen im Satz. Somit steht er in Randposition innerhalb der Kasushierarchie, was die relativ größere Markiertheit und die Konkurrenz mit präpositionalen Strukturen erklärt. Der Genitiv ist vor allem ein adnominaler Kasus, der im Dt. zudem zunehmend produktiv als Präpositionalkasus ist (Szczepaniak 2014). (a) Formen des Genitivs Unter den reinen Kasus weist der Genitiv Sg. den höchsten Grad an Markiertheit auf, so dass er als Bestandteil von komplexeren Satzelementen gegenüber den zentralen Partizipanten des Satzes (in Nominativ-/Akkusativsprachen im idealtypischen Fall: Subjekt und Akkusativobjekt) morphologisch gut erkennbar ist (Siewierska/Bakker 2009; Duden 2006: 979). Auch die Gebrauchsfrequenz hat eine Auswirkung auf die Markiertheitsverhältnisse der verschiedenen Kasus (vgl. Croft 2001). Innerhalb der Kasushierarchie, in der die jeweils links stehenden Kasus mit größerer Wahrscheinlichkeit unmarkiert sind als die rechts stehenden (vgl. Primus 2011), steht der Genitiv am Ende: Nominativ > Akkusativ > Dativ > Genitiv. Im Dt. verläuft die Kasusmarkierung bei den einzelnen Wortarten (Nomen, Pron., Artikel und Adj.) unterschiedlich, wobei auch ihr Zusammenspiel auf der Wortgruppenebene eine Rolle spielt. Im Gegensatz zu der fast völlig abgebauten Ka-

susmarkierung der Nomina gilt der Genitiv der maskulinen und neutralen Singularformen bzw. allgemein der Marker -s als relativ stabiler Kasusmarker. Feminine Nomina haben im Sg. meistens keine Kasusmarker, und auch im Pl. nur in Ausnahmefällen einen Kasusmarker des Dativs (Nächten). Maskuline und neutrale Nomina weisen dagegen im Sg. meist ein ‑(e)s auf (Mädchens, Teppichs). Bei schwachen Maskulina wird die Kasusunterscheidung teilweise aufgehoben (Piloten, Planeten); einige Nomina bekommen im Genitiv Sg. ein zusätzliches ‑s (Funkens). Die ‑s‑Markierung erscheint auch bei Eigennamen (Müllers Bauernhof) und stellenweise an Feminina (Omas Lebkuchen), wenn sie in Possessivstrukturen vor ihr Bezugswort gestellt werden. Der artikellose vorangestellte Genitiv wird auch sächsischer Genitiv genannt. Trotz der oben angeführten stabilen Markierung ist auch der Verlust des Suffixes ‑s zu beobachten (die Markierung des Genitiv(s)). Ersatzformen mit von treten bei blanken Nomina auf (s.u. Ersatzund Konkurrenzformen), wobei die Präp. von in dieser Verwendung semantisch ausgeblichen ist und in bestimmten Fällen als obligatorischer Genitiversatz funktioniert (der Preis von Stahl, die Einnahme von Vitaminen). Weinrich (2007: 703ff.) spricht in diesem Fall von Suppletion. Die pronominale Flexion und die Artikelflexion sowie die starke Adjektivflexion zeigen die charakteristischen Genitivendungen -r und -s, z.T. schwankende Formen (des Computers; Kinder egal welchen/welches Alters). Die schwache Adjektivdeklination ist hier, wie in anderen Verwendungen, undifferenziert. Die Genitivformen der Personalpronomina klingen archaisch (z.B. statt meiner, erbarme dich unser, sie ist seiner nicht würdig), in attributiver Funktion werden sie durch ihre parallelen Artikelformen ersetzt (ihre Mutter). Der Genitiv als Kasus ist zugleich eine syntaktische Kategorie. Diese Tatsache ermöglicht es, dass die Kasusmarkierung im Dt. durch das Zusammenspiel verschiedener deklinierbarer Wortarten (Artikel, Adj., Pron., Subst.) auf der Phrasenebene verwirklicht wird. Laut Zifonun et al. (1997) funktioniert sie durch die sog. Wortgruppenflexion, durch einen Mechanismus, in dem die Flexionsmerkmale in der Wortgruppe (Phrase) verteilt werden. Eine andere Auffassung vertritt

317 Genitiv u.a. Ágel (1996), der im Fall der Artikel, der Adjektive und sogar der sog. flektierten Präpositionen (zur Arbeit) von analytischen (bzw. diskontinuierlichen) Substantivflexiven spricht. Analytisch sei also das Genitiv-r in eine-r/de-r/schöne-r Frau, und ein diskontinuierlicher (und z.T. analytischer) Marker finde sich in eine-s/de-s/diese-s Mannes. In genitivischen Substantivgruppen gelten im Dt. hinsichtlich einer eindeutigen Markierung besondere Regeln (vgl. Duden 2006: 979f.). Eine NP könne nur dann im Genitiv stehen, wenn sie mindestens ein pronominal flektiertes Wort und eine ‑r/‑s-Endung enthält. In nicht eindeutigen Phrasen wird der Genitiv ersetzt (1). (1) Der größte Wunsch *ElternGenitiv ist das Glück ihrer Kinder. (1a) Der größte Wunsch vieler/aller/der ElternGeist das Glück ihrer Kinder. nitiv (1b) Der größte Wunsch von ElternDativ ist das Glück ihrer Kinder. In der Pressesprache finden sich allerdings auch Formen, die diesen Regeln nicht entsprechen (2). (2) Bürgerbus startet trotz Unfalls. (b) Ersatz- und Konkurrenzformen Im Dt. wird der Genitiv einerseits häufig ersetzt, weil seine Markierung nicht eindeutig ist (dies betrifft vor allem blanke Nomina, z.B. innerhalb vier Tage vs. innerhalb von vier Tagen). Andererseits wird die Verwendung des Genitivs oft – nicht nur im Dt. – als gehoben empfunden, so dass in der Umgangssprache verschiedene Konkurrenzformen gebraucht werden; in Dialekten ist dieser Kasus meist unbekannt. Periphrastische Possessivstrukturen können u.a. mit Dativ (3) oder mit einer semantisch ausgeblichenen von-Phrase (4) gebildet werden. (3) dem Vater sein Haus (4) das Haus vom Vater Bei einigen älteren sekundären Präpositionen (wegen, während) kann der Präpositionalkasus Genitiv durch den Dativ ersetzt werden: wegen dem Regen statt wegen des Regens. Dies gilt auch für solche Präpositionen, deren ursprünglicher Rektionskasus nicht der Genitiv war (z.B. bei trotz). Dennoch ist der Genitiv bei neueren sekundären Präpositionen (angesichts, dank, entgegen, gemäß) produktiv (vgl. Szczepaniak 2014). Die Ausweichstrukturen entsprechen weitgehend der Platzierung des Genitivs in der Kasushierar-

chie, der Nachbarschaft des reinen Kasus Dativ und der Präpositionalkasus. (c) Weitere Genitivmarkierungen Als Genitiv im engsten Sinne gelten Flexive bzw. flektierte Formen (fast immer suffixale Markierungen, s. Blake 2000), die ein Paradigma bilden und obligatorisch sind. Eine weitere Kasusauffassung berücksichtigt aber besonders im Fall von Sprachen mit einer wenig ausgeprägten Morphologie auch andere segmentale Markierungen, z.B. Adpositionen zu den Kasus. Auch kopfmarkierende oder doppelt markierende Strukturen werden zu den Kasus gezählt (Nichols 1986). Da der Genitiv in der Markiertheitshierarhie der Kasus eine Randstellung hat, werden die dem Genitiv entsprechenden Funktionen in den verschiedenen Sprachen oft durch Adpositionen ausgedrückt. Im Engl. verfügen nur pronominale Elemente (mine, his) über einen Genitivkasus, und die genitivischen Funktionen werden durch das Klitikum ‘s (the king’s speech; the daughter of the king’s husband) sowie die Präp. of ausgedrückt. Für kopfmarkierende Strukturen ist das Ung. ein gutes Beispiel, das trotz seines reichen Kasussystems (18 Kasus) keine eigene Flexionsmarkierung für den Genitiv hat, sondern in Possessivstrukturen das Possessum suffigiert (ház-am, ház-a ['Hausmein', 'Haus-sein/ihr']), was mit einer unmarkierten (nominativischen) oder dativisch markierten Form des Possessors kombiniert werden kann: a tanár háza ['das Haus des Lehrers', wörtlich: der Lehrer Haus-sein] oder a tanárnak a háza ['das Haus des Lehrers', wörtlich: dem Lehrer das Haussein]. Dieselbe Struktur erscheint außerdem z.B. bei sekundären Postpositionen des Ung. (d) Syntaktische Funktionen Die syntaktische Hauptfunktion des Genitivs ist übereinzelspr. gesehen, zwischen zwei Nomina eine Beziehung zu etablieren. Dabei wird beim reinen Genitiv die Art der Beziehung nicht näher spezifiziert, aber es lassen sich typische Verwendungen feststellen. Der Genitiv als adverbaler Kasus ist im heutigen Dt. auf wenige Verben beschränkt, in einigen anderen Sprachen ist er hingegen produktiv. Der Genitiv tritt als Rektion von Adjektiven auf und ist als Rektionskasus bei sekundären, eher gehoben geltenden Präpositionen häufig belegt.

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(i) Adnominale Verwendungen Der Genitiv ist der einzige reine Kasus, der in der dt. Standardsprache adnominal stehen kann; in dieser Funktion steht er in Konkurrenz mit den Präpositionalkasus, die allerdings semantisch viel spezifischer sind als der Genitiv (mit der Ausnahme der Präp. von in der Verwendung als Ersatzstruktur für den Genitiv). Adnominal kann ein Nomen (eine NP) im Genitiv sowohl als Komplement (valenzgebunden) als auch als Supplement zu einem anderen Nomen auftreten. Die semantischen Beziehungen werden u.a. als genitivus possessivus, genitivus partitivus (auch adverbal möglich), genitivus qualitatis, genitivus explicativus, genitivus definitivus, genitivus subjecituvs, genitivus objectivus bezeichnet. Diese Termini sind einerseits wenig trennscharfe Begriffe, denn als possessiv gelten z.B. auch Verwandtschafts- und Zugehörigkeitsverhältnisse (Nikiforidou 1991), andererseits decken sie nicht alle adnominalen Verwendungen ab. Bei adnominalen Verwendungen, die mit deverbalen Wortbildungsprodukten (oder anderen Ereignisbezeichnungen) vorkommen, finden die syntaktosemantisch motivierten Termini genitivus subiectivus (5) bzw. genitivus obiectivus (6) Einsatz, je nachdem, ob der Genitiv auf das Subjekt oder auf das direkte Objekt des im regierenden Ausdruck bezeichneten Ereignisses im Aktivsatz zurückzuführen ist. (5) die Arbeit des Handwerkers [der Handwerker arbeitet – der Handwerker: Subjekt] (6) die Eroberung der Stadt [jmd. erobert die Stadt [Akkusativ, direktes Objekt]] Bei transitiven, passivfähigen nomina actionis können auch Mehrdeutigkeiten auftreten (7), wobei die präferierte Lesart bei den meisten – nicht emotionsbezeichnenden – Nominalisierungen die objektive ist ((8); vgl. Dal/Eroms 2014: 27). (7) die Liebe der Mutter: 'die Liebe zur Mutter' oder 'die Liebe durch die Mutter' (8) die Ausbeutung der Arbeiter: 'die Arbeiter werden ausgebeutet' aber kaum 'die Arbeiter beuten jemanden aus' Die Ereignisbezeichnungen sind jedoch nicht immer aus Verben abgeleitet und z.T. sind auch andere Verknüpfungen zwischen den Ereignisbeteiligten zu finden (z.B. das Opfer des Mörders, der Mörder des Opfers), so dass hier eine vielfältige und komplexe Verbindung von Ereignissen und Partizipanten vorliegt (Janda/Townsend 2001).

Solche Beziehungen werden z.B. zwischen Ereignis, Agens (i.w.S.) und Patiens etabliert ((9), (10)). (9) das Spiel des Mädchens [Ereignis von Agens] (9a) → Das Mädchen spielt. (10) Smetanas Oper [Patiens von Agens] (10a) → Smetana komponierte die Oper.

(ii) Komplementkasus Die Verwendung des Genitivs als Objektskasus beschränkt sich im heutigen Dt. auf einige wenige Verben (bedürfen, gedenken). Er tritt mit personenbezogenen Akkusativobjekten bzw. refl. Verben auf (anklagen, beschuldigen, sich annehmen). In anderen Sprachen (z.B. im Poln.) alterniert für die Bezeichnung des direkten Objekts der (partitive) Genitiv regelmäßig mit dem Akkusativ. Eine prädikative Verwendung (z.B. Sie ist guter Hoffnung; Er ist der Ansicht, dass …) zeigt oftmals einen idiomatischen Charakter. Ein Genitivkomplement kann auch bei Adjektiven – meistens in prädikativer Funktion – stehen (11). (11) Er ist des Lesens kundig. Das Genitivobjekt ist in einigen Sprachen produktiv, z.B. als Objektskasus bei Negation wie im Poln. (12). (12) mam czas [hab1. Pers. Sg. zeitAkkusativ; 'ich habe Zeit'] (12a) nie mam czas-u [Negation hab1. Pers. Sg. zeitGeni; 'ich habe keine Zeit'] tiv Das Genitivobjekt als genitivus partitivus kann sich paradigmatisch mit dem Akkusativobjekt abwechseln: Der Akkusativ drückt eine vollständige, der Genitiv eine teilweise Affiziertheit des Gegenstands aus. Im Dt. kann diese Erscheinung nur noch in älteren Sprachstufen beobachtet werden (vgl. Dal/Eroms 2014: 19ff.; (13)–(13a)). (13) Er gibt seines Brots den Armen. ['Er gibt von seinem Brot den Armen'; heute mit Präp. üblich] (13a) Er gibt sein Brot den Armen. ['Er gibt sein (ganzes) Brot den Armen'] (iii) Adverbialkasus Der Genitiv kann im Dt. als Adverbialkasus auftreten (z.B. eines Tages – Satzadverbiale, schlechter Laune – Verbgruppenadverbiale), wobei die alternativen präpositionalen Formen (an einem Tag) als weniger gehoben empfunden werden. Auch hier zeigen die Genitivformen einen eher idiomatischen Charakter. Die ‑s‑Genitivmarkie-

319 Genitiv rung wird übergeneralisiert zum allgemeinen Kasusmarker (eines Nachts) bzw. ist hist. zum Derivationssuffix uminterpretiert worden (nachts, morgens). (iv) Präpositionen Eine wichtige Funktion des Genitivs ist seine Verwendung als Präpositionalkasus. Die (neueren) sekundären Präpositionen regieren oft den Genitiv (z.B. dank, auf Grund). Obwohl die Rektion einiger genitivregierender Präpositionen zugunsten des Dativs zurückgegangen ist (z.B. wegen des/ dem Wetter(s)), ist auch die gegenläufige Tendenz zu beobachten: urspr. dativregierende Präpositionen erscheinen mit Genitivrektion (trotz des regnerischen Wetters, laut neuer Meinungen), die auch hier als Prestigevariante gilt. (v) Kongruenz Der Genitiv als Kongruenzkasus markiert die Zusammengehörigkeit zwischen mehreren Phrasen; die Kongruenzmarkierung gehört zu den wichtigen Funktionen der Kasus allgemein (vgl. Primus 2011). Zifonun et al. (1997: 1295) führen dazu die Verwendung des Genitivs als „Teil einer variabel bezüglichen Adjunktorphrase“ an. Hier können eher adverbial (14) und eher attributiv (14a) interpretierbare Verwendungen gefunden werden. (14) Als eines besonderen Genusses erfreute man sich einer Welturaufführung. (14a) Einer Welturaufführung als eines besonderen Genusses wird man sich immer erinnern. Außerdem ist der Gebrauch als Apposition/ nomen varians zu erwähnen (15). (15) Der Welturaufführung, dieses besonderen Genusses wird man sich immer erinnern. Über die obigen Verwendungen hinaus ist der Genitiv unterhalb der Phrasenebene in Zusammensetzungen produktiv, wobei der Genitivmarker ‑s zu einem geschlechtsneutralen Fugenelement avanciert ist (Gottesdienst, Liebeserklärung). (vi) Bedeutungen Für die Erfassung der Kasusbedeutungen hat jede grammatische Theorie ihre Präferenzen. Den einen Pol repräsentieren Arbeiten, die dem Kasus jegliche Bedeutung aberkennen (in den formalistischen Theorien) und ihre Zuweisung mit formalen Zuordnungsmechanismen beschreiben. Dies eignet sich eher für die Beschreibung des Kasus als Rektionsmarker. Andere Ansätze versuchen die Kasusbedeutungen von ihrer (ausgebliche-

nen, schematischen) Eigensemantik heraus zu beschreiben. Dies kann über die Zurückführung jeder Verwendung auf eine konkrete räumliche Bedeutung (wie in den lokalistischen Theorien des 19. Jhs., z.B. Wüllner 1827) bis hin zur Postulierung von prototypbasierten polysemen Netzwerken (wie in der Kognitiven Grammatik; für den Genitiv bei Nikiforidou 1991; Janda/Townsend 2001) stattfinden. Als Ausgangsbedeutung des Genitivs gilt in der lokalistischen Theorie der „Punkt, von welchem die Bewegung begint, oder den Gegenstand, von dem etwas ausgeht“ (Wüllner 1827: 7, zitiert in Eroms 1981: 69). Dieser Standpunkt trägt der Vorstellung Rechnung, dass die Bedeutungsentwicklung laut den heutigen kognitiven Theorien (embodiment) und Grammatikalisierungstheorien von der räumlich-körperlichen Erfahrung ausgeht und abstrahiert wird. Auch stellt die Entwicklung der genitivischen Funktionen aus den ablativischen einen verbreiteten Grammatikalisierungspfad dar (vgl. Lehmann 1995; Malchukov/Narrog 2009), der auch für das Ide. (Ablativ-Genitiv-Partitiv) postuliert wird. In der Cognitive Grammar und der Konstruktionsgrammatik werden den Kasus bzw. den Kasuskonstruktionen schematische Bedeutungen zugeschrieben, die z.T. Korrespondenzen mit der semantischen Struktur von anderen Elementen (die traditionell als Kopf gelten) aufzeigen müssen. Die grundsätzliche Funktion des Possessivs ist laut Langacker (1995) die Etablierung eines Referenzpunkts, der die Erreichbarkeit einer Entität in einem mentalen Bereich sicherstellt. Helbig (1973: 181) beschreibt (ähnlich, aber unabhängig von der kognitiven Strömung) den Genitiv als „den orientierenden und erklärenden, das ihn grammatisch regierende Beziehungswort den zu erklärenden und den der Orientierung bedürftigen Begriff.“ Nikiforidou (1991) arbeitet die Polysemstrukturen des Genitivs mit Hinblick auf mehrere ide. Sprachen heraus. Als zentrale Bedeutungen gelten die possessive und die davon metonymisch und metaphorisch ableitbaren Bedeutungen: Experiencer/Agens, Patiens, Verwandtschaft und Attribution (Nikiforidou 1991: 191f.). Für Janda (1999) und Janda/Townsend (2001) dient der Genitiv, ähnlich Langacker (1995), zur Markierung von Hintergrundentitäten. Seine

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Genitiv, absoluter 320 charakteristische Eigenschaft sei es, die Aufmerksamkeit auf andere Entitäten zu lenken. Sie fassen für die Verwendung des Genitivs im Tschech. folgende semantische Bereiche zusammen: „reference“ ['Referenz'], „whole“ ['Ganzes', auch Kategorienzugehörigkeit], „source“ ['Quelle'] und „goal“ ['Ziel']. Von diesen sind die ersten zwei auch für das Dt. typisch.

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Bernadett Modrián-Horváth ≡ Relationskasus; Wesfall; zweiter Fall → § 16, 19; Akkusativ; Dativ; genitivus objectivus; genitivus possessivus; genitivus subjectivus; Gestaltungskasus; Kasus; Nominativ; Präpositionalkasus; sächsischer Genitiv; Umfangskasus → Gram-Syntax: Adverbialgenitiv; Genitivattribut; Genitivergänzung; Genitivobjekt ⇀ Genitiv (CG-Dt; HistSprw)

🕮 Ágel, V. [1996] Finites Substantiv. In: ZGL 24: 16–57 ◾ Auto­ renk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Blake, B.J. [2000] Case. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK17.2). Berlin [etc.]: 1073–1090 ◾ Croft, W. [2001] Radical Construction Grammar. Syntactic Theory in Typological Perspective. Oxford [etc.] ◾ Dal, I./ Eroms, H.-W. [2014] Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. 4., neu bearb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Berlin [etc.] ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Dürscheid, C. [1999] Die verbalen Kasus des Deutschen. Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive (StLingGerm 53). Berlin [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposition. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Helbig, G. [1973] Die Funktionen der substantivischen Kasus in der deutschen Gegenwartssprache. Halle/Saale ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Janda, L.A./ Townsend, C.E. [2000] Czech (LgWo 125). München ◾ Janda, L.A. [1999] Peircean semiotics and cognitive linguistics: a case study of the Russian genitive. In: Shapiro, M. [ed.] The Peirce Seminar Papers. New York, NY [etc.]: 441–446 ◾ Lander, Y.A. [2011] Varieties of genitive. In: Malchukov, A./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 581–592 ◾ Langacker, R.W. [1995] Possession and possessive constructions. In: Taylor, J.R./ MacLaury, R.E. [eds.] Language and the cognitive construal of the world. Berlin [etc.]: 51–79 ◾ Malchukov, A./ Narrog, H. [2009] Case polysemy. In: Malchukov, A./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 518–534 ◾ Moravcsik, E.A. [1978] On the case marking of objects. In: Greenberg, J.H. [ed.] Universals of human language. Vol. 4: Syntax. Stanford, CA: 249–289 ◾ Nichols, J. [1986] Head-marking and dependent-marking grammar. In: Lg 62: 56–119 ◾ Nikiforidou, K. [1991] The meanings of the genitive. A case study in semantic structure and semantic change. In: CognLing 2: 149–205 ◾ Primus, B. [2011] Case marking typology. In: Song, J.J. [ed.] The Oxford Handbook of Linguistic Typology. Oxford: 303–321 ◾ Siewierska, A./ Bakker, D. [2009] Case and alternative strategies: Word order and

agreement marking. In: Spencer, A./ Malchukov, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 290–303 ◾ Szczepaniak, R. [2014] Sprachwandel und sprachliche Unsicherheit. Der formale und funktionale Wandel des Genitivs seit dem Frühneuhochdeutschen. In: Plewnia, A. [Hg.] Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation (JbIdS 2013). Berlin [etc.]: 33–49 ◾ Willems, K. [1997] Kasus, grammatische Bedeutung und kognitive Linguistik. Tübingen ◾ Wüllner, F. [1827] Die Bedeutung der sprachlichen Casus und Modi. Ein Versuch. Münster ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Genitiv, absoluter

→ genitivus absolutus

Genitiv, analytischer → analytischer Genitiv

Genitiv, partitiver

→ genitivus partitivus

Genitiv, pränominaler → sächsischer Genitiv

Genitiv, privativer → privativer Genitiv

Genitiv, sächsischer → sächsischer Genitiv

Genitiv, vorangestellter → sächsischer Genitiv

Genitiv-s

Flexionssuffix bei bestimmten Substantiven zur Markierung des Genitivs. ▲ genitive-s: inflectional marker of nouns in the genitive case. Das Genitiv-s (oV: Genetiv-s) gehört zu den wenigen (eindeutigen) Kasusmarkern im Dt. Es tritt bei den sog. starken Maskulina und Neutra im Sg. (z.B. des Vaters, des Autos) sowie genusunabhängig bei Eigennamen (z.B. Annas, Peters) auf. Im Engl. tritt -s als Genitivendung durchgehend bei allen Substantiven im Sg. (Gattungsnamen, Eigennamen) und bei unregelmäßigen Pluralformen auf und wird im Gegensatz zum Dt. durch einen Apostroph mit dem jeweiligen Subst. verbunden (z.B. Peter’s, tree’s, children’s).

→ (e)s-Genitiv; Fugen-s; Genitiv

Viktória Dabóczi

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→ Gram-Syntax: attributiver Genitiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Oštir, A.L. [2009] Genitiv. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 113–132.

genitivus absolutus

syntaktisch von den anderen Satzelementen unabhängiger Genitiv. ▲ genitivus absolutus; absolute genitive: genitive which is syntactically independent of other elements of the sentence. Einen (im Vergleich zum locativus absolutus eingeschränkten) genitivus absolutus (oV: genetivus absolutus) gab es bereits im Sanskrit (Speijer 1886: 286ff.). Als Normalkasus in absoluten Konstruktionen erscheint der Genitiv im Altgriech. Hier handelt es sich um eine auf den Gesamtsatz bezogene, syntaktisch unabhängige, zweigliedrige Konstruktion im Genitiv, in der das (auch genitivisch markierte) Partizip nicht weglassbar ist (Bornemann/Risch 1978: 251ff.). (1) Tou tyrannou ekpeptōkotos hoi Athēnaioi estasiazon. ['Als der Tyrann vertrieben war / Nach Vertreibung des Tyrannen lagen die Athener in Parteizwist.'] König/van der Auwera (1990: 339) weisen darauf hin, dass die Kasusmarkierung am Subjekt (und ggf. auch am Partizip) einer absoluten Konstruktion sprachspezifisch ausgeprägt ist. Ein absoluter Genitiv liegt auch im Finn. vor. (2) Pekkan herättyä Liisa lähti töihin. ['Als Pekka aufgewacht war, ging Liisa zur Arbeit.'] Im Dt. ist eine mit den obigen Beispielen vergleichbare Konstruktion nicht belegt; lediglich ein accusativus (und ein nominativus) absolutus. Absolute Konstruktionen und absolute Kasus werden in Grammatiken des Dt. unterschiedlich definiert. Duden (2009: 895) versteht darunter nebensatzwertige elliptische Konstruktionen, die sich durch die Hinzufügung eines – eigentlich den Kasus des nominalen Ausdrucks regierenden – Partizips vervollständigen lassen; hingegen ist die Rückführbarkeit auf eine elliptische Konstruktion für Zifonun et al. (1997: 2224f.) nicht definitorisch. Der Begriff wird von Hentschel/ Weydt (2013: 162) am weitesten gefasst, so dass sie im Gegensatz zu den beiden genannten Wer-

genitivus auctoris ken auch den Terminus genitivus absolutus verwenden und auf Konstruktionen beziehen (wie z.B. eines schönen Tages und frohen Mutes), die in Duden (2009: 821) als adverbiale Genitive und in Zifonun et al. (1997: 1295) als Supplemente (Satzbzw. Verbgruppenadverbiale) behandelt werden. Katalin Simon-Horváth ≡ absoluter Genetiv; absoluter Genitiv → accusativus absolutus; casus absolutus; dativus absolutus; Genitiv → Gram-Syntax: Adverbialgenitiv

🕮 Bornemann, E./ Risch, E. [1978] Griechische Grammatik. 2. Aufl. Frankfurt/Main [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ ­Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ König, E./ Auwera, J. van der [1990] Adverbial participles, gerunds and absolute constructions in the languages of Europe. In: Bechert, J. et al. [eds.] Toward a Typology of European Languages. Berlin [etc.]: 337–355 ◾ Speijer, J.S. [1886] Sanskrit Syntax. With an introduction by H. Kern. Leyden ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

genitivus appositivus ≡ genitivus definitivus

genitivus auctoris

semantische Interpretation eines Genitivattributs als Urheber, Autor oder Schöpfer des im Bezugsnomens Genannten. ▲ genitivus auctoris: semantic interpretation of a genitive attribute as author or creator. Der genitivus auctoris, auch Genitiv der Urheberschaft (Hentschel/Weydt 2013: 160) oder Genitiv des Schaffens (Helbig/Buscha 1996: 591), ist semantisch mit dem genitivus subjectivus eng verwandt und wird oft auch als dessen Variante behandelt. Jedoch ist das Bezugsnomen beim genitivus auctoris nicht deverbal ((1)–(3)). (1) ein Gemälde Picassos (2) die Opern Mozarts (3) der Aufsatz seiner Kollegin Diese semantische Kategorie wird von Zifonun et al. (1997: 2030) weiter gefasst und erstreckt sich auch auf die Interpretation des Genitivattributs als Ursache oder Herkunft. (4) eine Tochter reicher Eltern Der genitivus auctoris kann nicht nur postnominal stehen, sondern vor allem im Falle von Eigennamen auch pränominal als sächsischer Genitiv (Mozarts Opern) auftreten. Er ist durch ein

G

genitivus causae 322

G

Possessivpron. in Artikelfunktion (seine Opern) sowie durch eine von-PP („analytischer Genitiv“: die Opern von Mozart) ersetzbar (Lindauer 1995: 140ff.). Allerdings wird in der Fachlit. auch betont, dass die in der traditionellen Grammatikschreibung aufgestellten semantischen Kategorien und die dabei vorgeschlagenen Paraphrasen die syntaktische und semantische Leistung von Genitivattributen überspezifizieren. Diese bestehe nämlich lediglich darin, die syntaktische Abhängigkeit des Genitivattributs und seine semantische Bezogenheit auf das Bezugsnomen zu signalisieren (vgl. Ballweg 1998: 158f.; Eroms 2000: 283; Hölzner 2007: 30; Carlier/Verstraete 2013: 5). Katalin Simon-Horváth

→ analytischer Genitiv; Genitiv; genitivus subjectivus; sächsischer Genitiv

→ Gram-Syntax: Genitivattribut

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [2013] Genitive case and genitive constructions: An introduction. In: Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [eds.] The Genitive (CAGRAL 5). Amsterdam [etc.]: 1–16 ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lindauer, Th. [1995] Genitivattribute. Eine morphosyntaktische Untersuchung zum deutschen DP/NP-System (RGL 155). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

genitivus causae

Genitiv, der die Ursache oder den Grund für ein Ereignis bezeichnet. ▲ genitivus causae: semantic interpretation of a genitive as the cause of or reason for an event.

→ dativus causae; Genitiv → Gram-Syntax: Kausalangabe

Katalin Simon-Horváth

🕮 Bär, J.A. [2007] Kürze als grammatisches Problem: determinative Verschränkungen. Phänomene der Ersparung im Übergangsbereich von Wortbildung und Syntax. In: Bär, J.A./ Roelcke, T./ Steinhauer, A. [Hg.] Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte (LingI&T 27). Berlin [etc.]: 310–338 ◾ Senecio, L.A. [2015] Deutsche Grammatik. Die unverzichtbaren Grundlagen der Schriftsprache. 7. Aufl. Berlin ◾ Vakonakis, N. [2014] Einführung in das neutestamentliche Griechisch. 2., korr. und ergänzte Aufl. (EinfTheol 5). Berlin [etc.].

genitivus comparationis

Genitiv, der einen Vergleich bezeichnet. ▲ genitivus comparationis: semantic interpretation of a genitive as comparison. Der Genitiv tritt in einem Vergleich von zwei Entitäten, die bzgl. einer Qualität ungleich sind, selten als Kasus zur Markierung der Vergleichsgröße auf. In dieser Funktion erscheint er im Altgriech. sowohl bei Adjektiven und Adverbien (1) als auch bei Verben, die „eine Überlegenheit oder ein Zurückstehen” bezeichnen ((2) (Bornemann/Risch 1978: 190)). (1) Ō pai, genoio patros eutychesteros. ['Kind, werde glücklicher als dein Vater'] (2) Anthropos xynesei hyperechei ton allon. ['Der Mensch übertrifft andere an Verstand'] Von den modernen Sprachen Europas wird der genitivus comparationis produktiv nur noch im Russ. verwendet (3), jedoch steht hier alternativ die Konstruktion mit čem ['als'] zur Verfügung ((4) (Stolz 2013: 69)). (3) […] kotoraja byla čut’ pobol’še ego samogo [... 'die kaum größer war als er selbst'] (4) moguščestva u menja bol’še čem v pal’ce korolja ['Meine Macht ist größer als die im Finger eines Königs'] Im Gegensatz zu den beiden erwähnten Sprachen, in denen der genitivus comparationis die Funktion des ide. ablativus comparationis übernimmt, gilt er im Litauischen als Slawismus und wird gemieden (Senn 1941: 259).

→ dativus comparationis; Genitiv

Katalin Simon-Horváth

🕮 Bornemann, E./ Risch, E. [1978] Griechische Grammatik. 2. Aufl. Frankfurt/Main [etc.] ◾ Senn, A. [1941] On the Degree of Kinship between Slavic and Baltic. In: The SlYb 1: 251–265 ◾ Stolz, T. [2013] Competing Comparative Constructions in Eu­ rope (StTyp 13). Berlin.

genitivus criminis

Genitivobjekt bei einer semantisch fundierten Gruppe von Verben, das eine kriminelle Tat als den Grund einer Anklage bezeichnet. ▲ genitivus criminis: genitive object with a semantically established group of verbs which denotes the criminal act serving as the basis of an accusation. Genitivobjekte kommen in der dt. Gegenwartssprache relativ selten vor. Eine bedeutende Grup-

323

genitivus explicativus

pe genitivregierender Verben stellen die etwa 50 Verben dar, die neben dem Genitiv- auch ein Akkusativobjekt verlangen und für die Gerichtssprache charakteristisch sind. Die semantisch basierte Bezeichnung genitivus criminis für das Genitivobjekt dieser Verben resultiert aus ihrer Bedeutung und ihrem Fachbezug. (1) Der Deutsche Bundestag bezichtigte die Türkei des Völkermordes an Armeniern. (2) Das Parlament klagte ihn des Missbrauchs seiner kirchlichen Macht an. Katalin Simon-Horváth

→ Genitiv; Verb → Gram-Syntax: Genitivobjekt; Objektsgenitiv

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.].

genitivus definitivus

semantische Interpretation eines Genitivattributs als Erläuterung zum Kernnomen. ▲ genitivus definitivus: semantic interpretation of a genitive attribute as a specification of the core noun. Der genitivus definitivus ist eng mit dem genitivus explicativus verwandt, mit dem er einen funktionellen Genitivtyp darstellt (Lindauer 1995: 191ff.) bzw. auch synonym gesetzt wird (Hentschel/ ­Weydt 2013: 160). Der genitivus definitivus zeichnet sich durch eine ist-Relation zwischen Genitivattribut und Kernnomen aus, ähnlich der Relation zwischen Art und Gattung, wobei das Kernnomen eine Kategorisierung oder auch Wertung des im Genitivattribut Genannten leistet. (1) die Tugend der Beharrlichkeit [Beharrlichkeit ist eine Tugend] (2) das Laster des Geizes [Geiz ist ein Laster] Aus diesem Grunde ist das Genitivattribut kommunikativ wichtiger, so dass das Kernnomen auch ausbleiben kann (3a). (3) Sie bekämpfen das Laster der Trunksucht. (3a) Sie bekämpfen die Trunksucht. Diese Genitivattribute können nicht prädikativ verwendet werden, erlauben keine Ersetzung durch von oder ein Possessivum und treten nur postnominal auf. Sowohl das Genitivattribut als auch das Bezugssubst. sind in der Regel Abstrakta

und stehen im Sg. Typischerweise erlauben diese Genitivattribute die Bildung von Paradigmen. (5) die Tugend der Beharrlichkeit / der Klugheit / der Treue / der Geduld / der Bescheidenheit / des Feingefühls / des Mutes / des Nachfragens / des Wartens (6) das Laster des Geizes / des Trinkens / des Neides / des Zorns / des Ehebruchs / der Mediengeilheit / der Trägheit / der Undankbarkeit In der Fachlit. wird betont, dass die in der traditionellen Grammatikschreibung aufgestellten semantischen Kategorien und die dabei vorgeschlagenen Paraphrasen die syntaktische und semantische Leistung von Genitivattributen überspezifizieren. Diese bestehe lediglich darin, die syntaktische Abhängigkeit des Genitivattributs und seine semantische Bezogenheit auf das Bezugssubst. zu signalisieren (vgl. Ballweg 1998: 158f.; Eroms 2000: 283; Hölzner 2007: 30; Carlier/ Verstraete 2013: 5). Katalin Simon-Horváth ≡ Definitionsgenitiv; genitivus appositivus → Genitiv; genitivus explicativus → Gram-Syntax: Genitivattribut

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [2013] Genitive case and genitive constructions: An introduction. In: Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [eds.] The Genitive (CAGRAL 5). Amsterdam [etc.]: 1–16 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engelen, B. [2010] Der Genitivus definitivus und funktionsäquivalente Konstruktionen. In: Engelen, B. [Hg.] Schwierige sprachliche Strukturen: Aufsätze zur deutschen Grammatik (ASpran 53). Frankfurt/Main [etc.]: 71–87 ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lindauer, Th. [1995] Genitivattribute. Eine morphosyntaktische Untersuchung zum deutschen DP/NP-System (RGL 155). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

genitivus explicativus

semantische Interpretation eines Genitivattributs, dessen Bezugsnomen einen Vergleich ausdrückt. ▲ genitivus explicativus: semantic interpretation of a genitive attribute whose core noun expresses a comparison.

G

genitivus objectivus 324

G

Der genitivus explicativus (oV: genitivus explikativus) ist eng verwandt mit dem genitivus definitivus, mit dem er einen funktionellen Genitivtyp darstellt (Lindauer 1995: 191ff.) bzw. auch synonym gesetzt wird (Hentschel/Weydt 2013: 160). Er zeichnet sich durch eine ist-wie-Relation zwischen Genitivattribut und Kernnomen aus und kommt seltener in festen Syntagmen, häufiger in poetischen metaphorischen Formulierungen vor ((1)–(3)). (1) ein Strahl der Hoffnung ['die Hoffnung ist wie ein Strahl'] (2) die Milch der frommen Denkungsart ['die fromme Denkungsart ist wie Milch'] (3) der liebliche Korall der Lippen Diese Genitivattribute erlauben keine prädikative Verwendung und keine Ersetzung durch von oder ein Possessivum. Sowohl das Genitivattribut als auch das Bezugssubst. sind in der Regel Konkreta und stehen im Sg. In der Fachlit. wird betont, dass die in der traditionellen Grammatikschreibung aufgestellten semantischen Kategorien und die dabei vorgeschlagenen Paraphrasen die syntaktische und semantische Leistung von Genitivattributen überspezifizieren. Diese bestehe lediglich darin, die syntaktische Abhängigkeit des Genitivattributs und seine semantische Bezogenheit auf das Bezugssubst. zu signalisieren (vgl. Ballweg 1998: 158f.; Eroms 2000: 283; Hölzner 2007: 30; Carlier/Verstraete 2013: 5). Katalin Simon-Horváth

→ Genitiv; genitivus definitivus; Konkretum → Gram-Syntax: Genitivattribut

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [2013] Genitive case and genitive constructions: An introduction. In: Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [eds.] The Genitive (CAGRAL 5). Amsterdam [etc.]: 1–16 ◾ Engelen, B. [2010] Der Genitivus definitivus und funktionsäquivalente Konstruktionen. In: Engelen, B. [Hg.] Schwierige sprachliche Strukturen: Aufsätze zur deutschen Grammatik (ASpran 53). Frankfurt/Main [etc.]: 71–87 ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lindauer, Th. [1995] Genitivattribute. Eine morphosyntaktische Untersuchung zum deutschen DP/NP-System (RGL 155). Tübingen ◾ Peretti, P. [1992] Genitivus explicativus oder Explikativergänzung? In: Valentin, P. [Hg.] Rechts von N (Eurogermanistik 1). Tübingen: 59–70.

genitivus objectivus

semantische Interpretation eines Genitivattributs als Objekt des im Bezugsnomen Genannten. ▲ genitivus obiectivus: semantic interpretation of a genitive attribute as a direct object. Der genitivus objectivus (oV: genitivus obiectivus), auch Objektsgenitiv (Eisenberg 2013: 252), drückt ein Objekt-Prädikat-Verhältnis aus und erscheint vor allem mit Bezugsnomina, die aus einem transitiven Verb abgeleitet sind. (1) die Befreiung der Stadt → jmd. befreit die Stadt (2) Amerikas Entdeckung (durch Kolumbus) → Kolumbus entdeckt Amerika Morphosyntaktisch verhält sich der genitivus objectivus wie der genitivus subjectivus: Er kann nicht nur postnominal stehen (1), sondern vor allem im Falle von Eigennamen auch pränominal auftreten („sächsischer Genitiv“ (2)). Er ist durch ein Possessivpron. in Artikelfunktion (Amerika feiert seine Entdeckung) sowie durch eine von-PP („analytischer Genitiv“: die Entdeckung von Amerika ersetzbar; Lindauer 1995: 140ff.). Kontextfrei kann es zu Interpretationsschwankungen zwischen dem genitivus objectivus und dem genitivus subjectivus kommen, der Kontext wirkt aber gewöhnlich disambiguierend. (3) Die Unterstützung der Mutter im gesamten Verlauf der Schwangerschaft [...]. [genitivus objectivus] (4) Durch die Unterstützung der Mutter lernt das Kind angstfrei und offen mit problematischen Gefühlen umzugehen. [genitivus subjectivus] Bei einem nomen agentis ist eine solche Ambiguität ausgeschlossen, da hier das Bezugsnomen das Subjekt der Handlung bezeichnet. (5) der Entdecker Amerikas Katalin Simon-Horváth

↔ genitivus subjectivus → analytischer Genitiv; Genitiv; sächsischer Genitiv → Gram-Syntax: Bezugsnomen; Genitivattribut; genitivisches Nomenkomplement; Objektsgenitiv

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [2013] Genitive case and genitive constructions: An introduction. In: Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [eds.] The Genitive (CaGRAL 5). Amsterdam [etc.]: 1–16 ◾ Dal, I./ Eroms, H.-W. [2014] Kurze deutsche Syntax auf historischer

325 Grundlage. 4., neu bearb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Berlin [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lindauer, Th. [1995] Genitivattribute. Eine morphosyntaktische Untersuchung zum deutschen DP/NP-System (RGL 155). Tübingen.

genitivus partitivus

Genitiv, der ein umfassenderes Ganzes bezeichnet, dessen Teil durch das regierende Element ausgedrückt wird. ▲ genitivus partitivus: genitive denoting a more comprehensive whole, a part of which is expressed by the governing element. Der genitivus partitivus kommt vor allem in adnominaler Verwendung vor, aber der adverbale Gebrauch ist (besonders in früheren Sprachstadien des Dt. und in anderen Sprachen) ebenfalls möglich. Der genitivus partitivus zeigt eine sehr eingeschränkte bzw. keine Austauschbarkeit mit einem Possessivpron. (vgl. (1), (2); Hentschel/ Weydt 2003: 173). (1) der größte Teil der Beute (1a) ? ihr größter Teil (2) ein Drittel des Geldes (2a) * sein Drittel In der adnominalen Verwendung sind zwei grundlegende Typen zu finden (Dal/Eroms 2014: 28ff.): (a) Der genitivus partitivus drückt ein fest umgrenztes Ganzes aus („Genitiv des geteilten Ganzen“, z.B. einer meiner Freunde, ein Teil der Beute); (b) Der genitivus partitivus gibt einen Stoff oder eine Art an („Genitiv der Art“, z.B. ein Glas roten Weins, ein Rudel Wölfe). Beide Typen sind im heutigen Dt. im Rückgang und haben ihre Ersatzkonstruktionen. Der Genitiv des geteilten Ganzen wird vermehrt durch präpositionale Strukturen ersetzt (einer von/unter meinen Freunden), der Genitiv der Art durch parallel deklinierte Nebenstellung (ein Glas roter Wein). Auch solche, heute parallel deklinierte Strukturen mit Quantitätsadjektiven wie viel Schönes sind auf genitivische Partitivstrukturen zurückzuführen (z.B. in idiomatischen Wendungen: zu viel des Guten). Die partitive Bedeutung des Genitivs ist als die ursprüngliche Bedeutung des dt. Genitivs anzuneh-

genitivus possessivus men (Hentschel/Weydt 2003: 173). Dafür spricht, dass der genitivus partitivus auch als adverbaler Kasus auftritt, wobei oftmals eine regelmäßige Abwechslung zwischen Akkusativ- und Genitivobjekt zu beobachten ist: Der Akkusativ drückt eine vollständige, der Genitiv eine teilweise Affiziertheit des Gegenstands oder eine Negation aus (vgl. Dal/Eroms 2014: 19ff.; (3), (3a)). (3) Er gibt seines Brots den Armen ['Er gibt von seinem Brot den Armen'; heute mit Präp. üblich] (3a) Er gibt sein Brot den Armen ['Er gibt sein (ganzes) Brot den Armen'] Der genitivus partitivus steht auch in einigen modernen Sprachen häufig bei Negationen, z.B. im Poln. ((4), (5); Moravcsik 1978: 264). (4) mam czas [hab[1. Pers. Sg.] zeit; 'ich habe Zeit'] (5) nie mam czas-u [NEG hab[1. Pers. Sg.] ZeitGenitiv; 'ich habe keine Zeit'] Die partitive Bedeutung wird in anderen Sprachen außer dem häufigen Genitiv (z.B. Litauisch, Russ., Poln., Got., Baskisch) u.a. durch Adpositionen (engl. of, identische Form mit dem Possessiv; vgl. auch die dt. Ersatzformen von/unter), durch Artikel (z.B. der frz. partitive Artikel de, entwickelt aus der lat. ablativischen Präp. de), durch einen eigenen Kasus, den Partitiv (z.B. im Finn.), oder durch andere Kasus (z.B. Elativ im Ung.) ausgedrückt. Bernadett Modrián-Horváth ≡ partitiver Genitiv; Partitivgenitiv → Genitiv; Maßbezeichnung; Mengenbezeichnung → Gram-Syntax: Partitiv; partitive Apposition; partitives Attribut

🕮 Dal, I./ Eroms, H.-W. [2014] Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. 4., neu bearb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Berlin [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Moravcsik, E.A. [1978] On the case marking of objects. In: Greenberg, J.H. [ed.] Universals of human language. Vol. 4: Syntax. Stanford, CA: 249–289.

genitivus possessivus

Genitiv, der ein Besitzverhältnis ausdrückt, metaphorisch aber auch andere Arten von Zugehörigkeit bezeichnen kann. ▲ genitivus possessivus: genitive which originally expresses an ownership relation, but is often metaphorically extended to other kinds of relationship.

G

genitivus qualitatis 326

G

Das Besitzverhältnis ist eine der grundlegenden Bedeutungen des Genitivs als adnominaler Kasus. In dieser Art klassischer Possessivkonstruktion bezeichnet ein Nomen im Genitiv den Possessor (Besitzer), und das regierende Nomen das Possessum (Besitz) (1). (1) das Haus des VatersGenitiv [Vater: Besitzer] Der Begriff possessiv ist unscharf, denn außer dem als prototypisch geltenden alienablen, veräußerbaren Besitz (Haus, Geld, Buch) kann er durch den Metaphorisierungspfad ‚Teile sind Besitzeʻ auch auf inalienable Besitze (z.B. Körperteile: der Arm des Kindes) übertragen werden (Nikiforidou 1991). Damit ist auch die Grenze zwischen possessivem Genitiv und partitivem Genitiv unscharf. Bei anderen Arten von Referenzpunktstrukturen, wie z.B. Verwandtschaftsverhältnissen (der Sohn des Arztes) oder anderen Pfaden der mentalen Erreichbarkeit von Referenten (der Arzt der Lehrerin: 'die Person, die die Lehrerin behandelt'; die Nachbarin des Studenten 'die Person, die neben dem Studenten wohnt/sitzt') werden nur vereinzelt Termini verwendet, die die vielfältige Semantik der Possessivkonstruktionen wiedergeben können (z.B. Verwandtschaftsgenitiv), was zu weiteren Unklarheiten in Bezug auf den Umfang des Terminus genitivus possessivus führt (zu den semantischen Extensionen Dal/Eroms 2014: 26f.; zu der Semantik der Possessivstrukturen allgemein Langacker 1995). Der genitivus possessivus ist ein semantisch motivierter Begriff, seine ausdrucksseitige Markierung ist sehr unterschiedlich. I.e.S. bezieht er sich auf die flexionsmorphologisch gekennzeichneten Formen (z.B. Vaters), die aber im Dt. wie auch in anderen ide. Sprachen analytische Konkurrenzformen ((1a), (1b)) bzw. Mischparadigmen mit klitischer (2) und adpositionaler (3) Markierung aufweisen. (1a) dem Vater sein Haus (1b) das Haus vom Vater (2) Mary's house (3) the house of the wife Auch die paradigmatische Beziehung zu dem Possessivartikel kann hier berücksichtigt werden (der Arm des Kindes – sein Arm), der aber nicht dem Genitiv als formaler Kategorie, sondern nur noch dessen Kasusfunktion zugeordnet werden kann. Bernadett Modrián-Horváth

→ dativus possessivus; Genitiv; genitivus partitivus; Possessivartikel; Possessivpronomen

→ Gram-Syntax: Possessor

🕮 Dal, I./ Eroms, H.-W. [2014] Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. 4., neu bearb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Lander, Y.A. [2011] Varieties of genitive. In: Malchukov, A./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 581–592 ◾ Langacker, R.W. [1995] Possession and possessive constructions. In: Taylor, J.R./ MacLaury, R.E. [eds.] Language and the cognitive construal of the world. Berlin [etc.]: 51–79 ◾ Nikiforidou, K. [1991] The mean­ ings of the genitive. A case study in semantic structure and semantic change. In: CognLing 2: 149–205.

genitivus qualitatis

semantische Interpretation eines Genitivattributs als Eigenschaft bzw. Qualität des im Bezugsnomen Genannten. ▲ genitivus qualitatis: semantic interpretation of a genitive attribute as a quality. Der genitivus qualitatis, auch Eigenschaftsgenitiv oder Genitiv der Eigenschaft, beruht auf einer IstRelation (Lindauer 1995: 196f.), auf einem Kennzeichen-Verhältnis zwischen Genitivattribut und Kernnomen (Helbig/Buscha 1996: 591). (1) ein Ehepaar mittleren Alters → Das Ehepaar ist mittleren Alters. (2) ein Konzept griechischen Ursprungs → Das Konzept ist griechischen Ursprungs. (3) ein Mann der Vernunft → Vernunft kennzeichnet den Mann. Diese Genitivattribute sind selten und treten vorrangig in der gehobenen Sprache auf. Sie enthalten typischerweise ein attributives Adj. und können prädikativ verwendet werden ((1), (2)). Sie sind nicht durch ein Possessivpron., wohl aber durch eine von-Phrase („analytischer Genitiv“: Bioplastik von mäßiger Qualität) ersetzbar (Lindauer 1995: 196f.; Hölzner 2007: 34). In der Fachlit. wird betont, dass die in der traditionellen Grammatikschreibung aufgestellten semantischen Kategorien und die dabei vorgeschlagenen Paraphrasen die syntaktische und semantische Leistung von Genitivattributen überspezifizieren. Diese bestehe lediglich darin, die syntaktische Abhängigkeit des Genitivattributs und seine semantische Bezogenheit auf das Bezugsnomen zu signalisieren (vgl. Ballweg 1998:

327 Genus 158f.; Eroms 2000: 283; Hölzner 2007: 30; Carlier/ Verstraete 2013: 5). ≡ Eigenschaftsgenitiv → analytischer Genitiv; Genitiv → Gram-Syntax: Genitivattribut

Katalin Simon-Horváth

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Carlier, A./ Verstraete, J.-C. [2013] Genitive case and geni­ tive constructions: An introduction. In: Carlier, A./ Verstraete, J.­C. [eds.] The Genitive (CAGRAL 5). Amsterdam [etc.]: 1–16 ◾ ­Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lindauer, Th. [1995] Genitivattribute. Eine morphosyntaktische Untersuchung zum deutschen DP/ NP-System (RGL 155). Tübingen.

genitivus subjectivus

semantische Interpretation eines Genitivattributs als Subjekt oder in subjekt-ähnlicher Funktion in Hinsicht auf sein Bezugsnomen. ▲ genitivus subiectivus: semantic interpretation of a genitive attribute as a subject. Liegt ein genitivus subjectivus (oV: genitivus subiectivus) vor, so wird die Attributrelation zum Bezugsnomen wie die Subjektrelation zu einem Verb interpretiert. Eindeutige Konstruktionen sind solche, in denen das Bezugsnomen eine deverbale Ableitung aus einem nicht-transitiven Verb ist ((1)–(4)). (1) Der Schlaf der Vernunft [...]. (1a) Die Vernunft schläft. (2) Erwins Arbeit [...]. (2a) Erwin arbeitet. (3) Die Drohung der Regierung [...]. (4) Renates Hilfe [...]. Ein alleiniges Zurückführen auf solche Verhältnisse (oder gar eine Ableitung aus zugrundeliegenden Sätzen wie (1a) oder (2a)) und damit eine rein wortbildungsmorphologisch-syntaktische Interpretation des Terminus genitivus subjectivus wird – z.T. explizit – zurückgewiesen. Ausschlaggebend dafür sind Fälle, die als genitivus subjectivus zu interpretieren sind, für deren Bezugsnomina jedoch entweder kein zugrundeliegendes Verb zu finden ist (5), oder die aus Adjektiven abgeleitet sind (6). Darüber hinaus würde gel-

ten, dass in (7) ein genitivus subjectivus vorläge (wegen unsere Mannschaft siegt), in (8) hingegen nicht (wegen *unsere Mannschaft niederliegt / liegt nieder). (5) die Angst des Torwarts (Eisenberg 2013: 252) (6) die Gesundheit deines Sohnes (Eisenberg 2013: 252) (7) der Sieg unserer Mannschaft (Zifonun et al. 1997: 2032) (8) die Niederlage unserer Mannschaft (Zifonun et al. 1997: 2032) Eine Beschränkung des genitivus subjectivus auf die semantische Rolle Agens wäre unzutreffend, da sich (wenigstens bei tatsächlichen deverbalen Bezugsnomina) alle für die verbale Subjektbeziehung möglichen thematischen Rollen auch beim genitivus subjectivus wiederfinden (9). (9) die Entstehung der Welt (Eisenberg 2013: 252) Zu Interpretationsüberschneidungen kann es mit dem genitivus objectivus kommen, da beide formal (als Genitive markiert) nicht zu unterscheiden sind (10). (10) die Beobachtung des Spions [...]. Oliver Teuber

↔ genitivus objectivus → Genitiv; Substantiv; Verb → Gram-Syntax: Bezugsnomen; Genitivattribut; genitivisches Nomenkomplement; Objektsgenitiv; Subjekt

🕮 Autorenk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Teubert, W. [1979] Valenz des Sub­ stantivs. Attributive Ergänzungen und Angaben (SdG 49). Düsseldorf ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Genus

Merkmalklasse vieler Sprachen bei allen deklinierbaren Wortarten. ▲ gender: property of many languages in all declinable word classes. Mit der nominalen grammatischen Kategorie des Genus (oder Kategorisierung, vgl. z.B. Eisenberg 2006, Bd. 2: 18ff.) werden Substantive im Sinne von lexikalischen Wörtern kategorisiert. Ein bestimmtes Subst. hat ein festgelegtes Genus, wobei das Dt. drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum) hat. Andere nominale Wortarten (Artikelwörter, Adjektive, Pronomen) haben kein

G

Genus 328

G

Genus als Wortkategorie. Sie sind aber meist nach dem Genus flektierbar und können somit in allen drei Genera vorkommen. In welchem Genus sie stehen, richtet sich nach dem Subst., auf das sie sich beziehen (vgl. kleines Mädchen, das Mädchen, es [Neutrum]; roter Wagen, dieser Wagen, ein Wagen, er [Maskulinum]). Genus ist zwar eine dem Subst. inhärente Kategorie, aber es charakterisiert Sprachen hinsichtlich der Festlegung des Genus in unterschiedlichem Maße. So haben Dt. und Lat. drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum), Frz. hat zwei Genera (Maskulinum, Femininum), Niederl. und die skandinavischen Sprachen (z.B. Dän., Schwed.) ebenfalls zwei Genera (genus commune/ Utrum und Neutrum), wobei die Genus-Kategorie Utrum (lat. uter 'einer (von beiden)') oder auch genus commune (engl. common gender) das Ergebnis des Zusammenfalls von Maskulinum und Femininum ist (vgl. niederl. de man 'der Mann', de vrouw 'die Frau', de vrougde 'die Freude' usw., aber het kind 'das Kind'). Das Engl. hingegen hat kein Substantivgenus mehr; es verfügt aber weiterhin über ein Pronominalgenus, das z.B. bei Personenbezeichnungen textverweisend und kohärenzstiftend durch die Auswahl des Pron. der 3. Pers. Sg. das natürliche Geschlecht der Person bestimmt (engl. a lawyer – he, aunt – she). In den slaw. Sprachen (z.B. Russ., Poln., Tschech.) werden die grammatische Kategorie der Belebtheit und die außersprachliche Kategorie Sexus zueinander in Beziehung gesetzt, wodurch sich sprachspezifische Genussysteme entwickeln. Z.B. werden im Poln. schulgrammatisch fünf Genera unterschieden (Personalmaskulinum, belebtes Nicht-Personalmaskulinum, unbelebtes Maskulinum, Femininum, Neutrum). In vielen Sprachen (z.B. im Dt., Niederl.) spielt die Kategorie Genus bei allen Substantiven und ebenso bei den übrigen nominalen Wortarten in pluralischer Verwendung keine grammatische Rolle. Bei Pluraliatantum (wie z.B. Ferien, Eltern, Leute) kann kein Genus festgestellt werden. In den slaw. Sprachen hingegen hat jedes Subst. im Pl. weiterhin eines der grammatischen Genera. Pluraliatantum im Poln. sind z.B. auf Grund morphologischer Übereinstimmung mit dem Adj. entweder Personalmaskulinum (z.B. ludzie 'Leute' – starych ludzi [Akkusativ] 'alte Leute') oder Nicht-Personalmas-

kulinum (z.B. drzwi 'Tür' – stare drzwi [Akkusativ] 'alte Tür'). Das Genus des Subst. wird nur bei wenigen Wörtern am Subst. selbst markiert (vgl. das Mäd-chen, aber der Stuhl). Für die Festlegung des Genus von Substantiven lassen sich semantische, morphologische und lautliche Faktoren anführen, die aber nicht in allen Fällen eine sichere Genuszuweisung garantieren können. Vereinzelt gibt es Genusschwankungen: dt. der/das Barock; poln. oferma 'Waschlappen' [Femininum/Personalmaskulinum/Nicht-Personalmaskulinum]. Beim morphosyntaktischen Phänomen des Genus zeigt sich das Genus formal in Kongruenzrelation zwischen dem Subst. und anderen – genusveränderlichen – Satzelementen, etwa im Dt. an Artikelwort, Artikelsuffix, Adj. und Pron., im Russ. und Poln. auch an der präteritalen Form des Verbs (vgl. on tańczył 'er tanzte'; ona tańczyła 'sie tanzte'; dziecko tańczyło 'das Kind tanzte'). Die grammatische Kategorie Genus (grammatisches Geschlecht) wird häufig mit der außerspr. Kategorie Sexus (biologisches oder natürliches Geschlecht) in Verbindung gebracht und als Verhältnis von Genus und Sexus vornehmlich bei Personenbezeichnungen etwa im Rahmen der feministischen Linguistik diskutiert (vgl. Pusch 1990; Leiss 1994). Viele Personenbezeichnungen zeigen zwar eine direkte Zuordnung von Genus und Sexus (z.B. die Frau / der Mann; die Tante / der Onkel), allerdings mit einigen formalen und semantischen Asymmetrien (vgl. Eisenberg 2006, Bd. 2: 155f.). Z.B. liegt bei dt. substantivierten Adjektiven und Partizipien Differentialgenus vor, d.h., es gibt genusunterschiedene Substantive für das jeweilige natürliche Geschlecht, die sich nur durch den Artikel (der/die Reisende) oder genusabhängig wie die Formen des Adj. (ein Reisender – eine Reisende) unterscheiden. Eine Asymmetrie entsteht hier auf der Bedeutungsseite: der Reisende bezieht sich sowohl auf den männlichen Reisenden als auch auf die Spezies der Reisenden. Das Maskulinum als unmarkierter Fall gibt bei Bezug auf Personen die Bezeichnung für den übergeordneten, auch den generischen, an sich geschlechtsneutralen Begriff ab. Vgl. auch bei Pronomina wie wer, jemand, jedermann, niemand, man. Das natürliche Geschlecht ist hier irrelevant. Es setzt sich aber wieder durch, wenn mit einem anderen Pron. auf ein solches Pron. Bezug

329 genommen wird: niemand, die[Femininum] das nicht will (vgl. Duden 2005: 158). Edyta Błachut ≡ Geschlecht; grammatisches Geschlecht ↔ Sexus → § 9, 15, 16; Differentialgenus; Flexionsmerkmal; Genus­de­ ter­mination; Genusmarkierung; Genusrektion; Genus­ schwan­kung; Merkmal; morphologische Kategorie; un­ markiertes Genus → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; Kongruenz ⇀ Genus (CG-Dt; HistSprw; Sprachphil; Onom) ⇁ gender (CG-Engl; Typol; Media)

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1996] Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch typologisch (JbIdS 1995). Berlin [etc.]: 473–491 ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [2009] Genus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 132–154 ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Leiss, E. [1994] Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: LB 152: 281–300 ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau ◾ Pusch, L.F. [1990] Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt/Main ◾ Siemund, P. [2008] Pronominal Gender in English. A Study of English Varieties from a Cross-linguistic Perspective. London ◾ Zubin, D.A./ Köpcke, K.-M. [1981] Gender: A Less than Arbitrary Grammatical Category. In: PCLS 17: 439–449.

genus verbi

Kategorienklasse des Verbparadigmas, die Aktiv und Passiv umfasst. ▲ voice; diathesis: category class of the verb paradigm that covers active and passive. Ein Verb des Dt. wird gewöhnlich nach folgenden Kategorienklassen (Kategorisierungen) konjugiert: Modus, Genus (Diathese) des Verbs, Tempus, Person und Numerus. Traditionell wird angenommen, dass die Aktiv-Passiv-Dichotomie im Dt. flächendeckend ist. Dies ist jedoch aus zwei Gründen nicht richtig: Nicht jedes Verb weist sowohl ein aktivisches als auch passivisches Paradigma auf (nicht jedes Verb ist passivierbar – zu den Einschränkungen vgl. Fabricius-Hansen 2016). Es existieren auch passivähnliche Konstruktionen, wie z.B. Kausativkonstruktionen mit lassen oder rezessive Reflexiva mit sich lassen. I.A. unterscheidet man für das Dt. drei Arten von

genus verbi Passivkonstruktionen: (i) das werden-Passiv (= Vorgangspassiv) (1); (ii) das bekommen-Passiv (= Rezipientenpassiv) (2) und (iii) das sein-Passiv (= Zustandspassiv) (3). (1) Die Tür konnte nicht geöffnet werden. (2) Er bekommt das Paket zugeschickt. (3) Das Geld ist überwiesen. Es gibt auch ein gehören-Passiv, das eine modale Nebenbedeutung hat (4). (4) Neue Programmpunkte gehören aufgezeigt. Passivsätze des Dt. können grundsätzlich persönlich (subjekthaltig) oder unpersönlich (subjektlos) sein. Bei der Umformung eines Aktivsatzes in einen Passivsatz wird generell eine Konversion von Elementen angenommen (vgl. Eisenberg 2004). Die in (a)–(d) für das Vorgangspassiv angeführten „Schritte“ kommen dabei mit unterschiedlicher Gewichtung zur Anwendung: (a) Der aktivischen Verbform entspricht die passivische Verbform eines komplexen Prädikats (vgl. wurde geöffnet, bekommt zugeschickt); (b) Das (logische) Subjekt des Vollverbs des Aktivsatzes wird in eine (fakultative) von-/durch-Phrase konvertiert, die den unsprünglichen semantischen Kasus (zumeist: Agens) trägt/ tragen kann; (c) Das (logische) Objekt (zumeist: Akkusativ- oder Dativobjekt) wird in ein grammatisches Subjekt konvertiert, wobei es den ursprünglichen semantischen Kasus beibehält; (d) Alle anderen Argumente des aktivischen Vollverbs bleiben unverändert erhalten. Die Aktiv-Passiv-Diathese spielt in vielen anderen Sprachen eine wichtige Rolle, z.B. im Griech. (Ruge 1986). Verben weisen hier neben der aktivischen eine mediopassive Form auf. Damit wird ausgedrückt, dass die fraglichen Formen eine Art Medium zwischen Aktiv und Passiv darstellen. In der Tat kann im Griech. die mediopassive Form unterschiedliche Funktionen (Diathesen) ausdrücken, von denen das Passiv nur eine Möglichkeit darstellt: (a) Passivierung, (b) Reflexivierung, (c) reziproke Diathese, (d) Intransitivierung, (e) modale Diathese (ähnlich wie in (4)). Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung Diathese korrekter als genus verbi. Imre Szigeti ≡ Handlungsform; Verbalgenus → § 9, 16; Aktiv (1); Mediopassiv; Passiv; Verbparadigma → Gram-Syntax: Diathese; Passivdiathese ⇀ genus verbi (CG-Dt; HistSprw)

G

Genus, derivationelles 330

⇁ voice (CG-Engl; Typol; Media)

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fabricius-Hansen, C. [2016] Das Verb. In: Duden [2016] Die Grammatik. 9., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.]: 395–578 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Ruge, H. [1986] Grammatik des Neugriechischen. Köln.

Genus, derivationelles

G

→ derivationelles Genus

Genus, doppeltes → doppeltes Genus

Genus, männlich-personales → männlich-personales Genus

Genus, unmarkiertes → unmarkiertes Genus

Genusdetermination

Festlegung des Genus der Substantive unter Berücksichtigung struktureller und semantischer Merkmale, die einen Hinweis auf das Genus geben. ▲ gender determination: determination of the gender of a noun in relation to the morphology, phonology or to the meaning of the noun.

Jedes Subst. hat ein Genus bzw. grammatisches Geschlecht. In den meisten Grammatiken des Dt. (vgl. u.a. Duden 2005: 154ff.; Eisenberg 2006: 151ff.) spricht man (a) von struktureller Genusdetermi­ nation, nach der das Genus von den Bestandteilen des Subst. bestimmt wird; (b) von der das Genus bestimmenden Lautstruktur des Subst.; (c) von semantischen Merkmalen der Genuszuordnung (Bedeutung des Subst.). (a) In der morphologischen Genusfestlegung kann man von typischen Suffixen und Wortausgängen auf das Genus der jeweiligen Substantive schließen, z.B. Suffixe wie -keit (die Möglichkeit), -heit (die Freiheit), -ei (die Datei), -enz (die Konferenz) bestimmen das Genus als Femininum, Wortausgänge wie -ich (der Teppich), -asmus (der Pleonasmus) u.a. als Maskulinum. Bei einigen Suffixen bzw. Wortausgängen treten zwei Genera auf, z.B. bei -nis (die Erlaubnis / das Geheimnis), bei -sal (die Trübsal / das Schicksal). Andere Formen des morphologisch determinierten Genus finden sich bei den nominalisierten Infinitiven,

die immer Neutra sind (das Warten, das Einkaufen). Morphologisch geregelt ist auch das Genus der Substantivkomposita, bei denen das zweite Glied (das Grundwort) das Genus bestimmt (der Schreibtisch, die Blumenvase). Dies gilt auch für Ableitungen mit Präfixen (das Unglück). (b) Bei phonologischer Genusfestlegung spricht man eher von allgemeinen Tendenzen als Regularitäten, von denen man auf das Genus schließen kann. So tendieren z.B. zum femininen Genus einsilbige Substantive, die am Wortende -ft oder -cht haben (die Luft, die Kluft, die Sicht, die Frucht), und zum maskulinen Genus einsilbige Substantive mit einer Konsonantenhäufung am Wortanfang oder am Wortende (der Knopf, der Strumpf). (c) Eine semantische Genusdetermination hält sich hauptsächlich an die Unterscheidung zwischen Personenbezeichnungen bzw. bestimmten Tierbezeichnungen und dem damit verbundenen grammatischen und natürlichen Geschlecht (der Mann, die Frau; der Bulle, die Kuh) und Sachbezeichnungen, die sich nach bestimmten Wortfeldern einteilen lassen. Getränke sind maskulin (der Wein, der Saft), artikellose Länder- und Ortschaftsnamen sind Neutra (Polen, Berlin), Kurzwörter übernehmen das Genus von den zugrunde liegenden Ausdrücken (die Kripo, die CDU, das Auto). Zu den genannten morphologischen und semantischen Regeln und phonologischen Tendenzen gibt es Ausnahmen, die damit erklärt werden können, dass andere Regeln bei den jeweiligen Substantiven stärker sind, z.B. der Papagei (nicht die wie aus morphologischer Sicht erwartbar wäre), das Mädchen (auch nicht die; hier ist die morphologische Regel stärker), das Bier (nicht: der), der Knecht (nicht: die), das Obst (nicht: der). Nicht in jedem einzelnen Fall ist über Eigenschaften der Wörter eine sichere Genuszuweisung möglich. Besonders problematisch ist das für Fremdsprachenlernende, wenn das Subst. in der Fremd- und Muttersprache ein anderes Genus hat (z.B. der Löffel – poln. łyżka [Femininum], die Gabel – poln. widelec [Maskulinum], das Messer – poln. nóż [Maskulinum]). Edyta Błachut ≡ Genuszuweisung → derivationelles Genus; Differentialgenus; Genus; Genuswechsel; Geschlechtsspezifikation; semantisches Merkmal; Substantiv

331 Genusschwankung 🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Genusdetermination, morphologische → morphologische Genusdetermination

Genusdetermination, phonologische → phonologische Genusdetermination

Genusdetermination, semantische → semantische Genusdetermination

Genusmarkierung

Verwendung von formalen Mitteln zur Bezeichnung des Genus. ▲ gender marking; gender assignment: use of formal markers for the assignment of gender. Die Kategorie des Genus ist teils formal-grammatischer Natur. Alle Genusformen im Dt. (Maskulinum, Femininum, Neutrum) kommen vor allem an Determinativen, z.B. am bestimmten Artikel formal zum Ausdruck (der, die, das). Im Engl. weisen die Artikel (a/an, the) nicht auf ein Genus des Subst. hin; nur wenige engl. Substantive markieren den Sexus (z.B. waitress, tigress), der aber keinem grammatischen Genus gleichzusetzen ist. In der Regel wird es über die Pronomina (he, she, it; his, her, its) ausgedrückt. Im Poln. markieren vornehmlich syntaktische Gegebenheiten das Genus der Substantive; nur in wenigen Fällen lässt es sich an der Substantivform erkennen. Edyta Błachut

→ Artikel; Determinativ; Genus; Genusdetermination; Genusrektion; Substantiv; Suffix

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau.

Genusrektion

syntagmatische Relation innerhalb der Nominalphrase, in der das Substantiv ein anderes Element innerhalb der Phrase im Genus determiniert.

▲ agreement in gender: syntagmatic relation in the

noun phrase which happens when a noun determines the gender of other words in the phrase. Das Subst. als Kern der NP ist formal durch das Genus ausgezeichnet. Die Kategorisierung Genus besteht beim Subst. aus den Kategorien Maskulinum, Femininum und Neutrum. Die dem Kernsubst. vorausgehenden flektierenden Einheiten sind vom Subst. in Hinsicht auf das Genus regiert. (1) der[Maskulinum] gute[Maskulinum] Film [Maskulinum] (2) die[Femininum] gute[Femininum] Kollegin [Femininum] (3) das[Neutrum] gute[Neutrum] Buch [Neutrum] Grundsätzlich gilt dabei, dass eine differenzierende Kennzeichnung nur bei einem der genusvariablen Elemente vorgenommen wird. So lautet in (1) bis (3) die attributive Adjektivform in allen drei Genera gute, da der definite Artikel die Genera formal differenziert. Im Gegensatz dazu hat das attributive Adj. z.B. nach dem indefiniten Artikel in den drei Genera verschiedene Flexionsendungen, da der indefinite Artikel Maskulinum und Neutrum nur im Akkusativ unterscheidet. (1a) ein[Maskulinum] guter[Maskulinum] Film [Maskulinum] (2a) eine[Femininum] gute[Femininum] Kollegin [Femininum] (3a) ein[Neutrum] gutes[Neutrum] Buch [Neutrum] Nur der Akkusativ kennt eine doppelte Kennzeichnung. (4) den guten Film; einen guten Film [Maskulinum] (5) die gute Kollegin; eine gute Kollegin [Femininum] (6) das gute Buch; ein gutes Buch [Neutrum] Edyta Błachut

→ Adjektiv; definiter Artikel; Deklination; Genus; Substantiv → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; Nominalphrase; Rektion

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P. [1990] Kategoriell komplexe Wortformen. Das Zusammenwirken von Morphologie und Syntax bei der Flexion von Nomen und Adjektiv (RGL 108). Tübingen ◾ Gregor, B. [1983] Genuszuordnung: das Genus englischer Lehnwörter im Deutschen. Tübingen.

Genusschwankung

Zuordnung mehrerer Genera zu einem Substantiv ohne semantische Differenzierung.

G

Genuswechsel 332 ▲ gender variation: assignment of various genders to a noun without any semantic differentiation.

G

Grundsätzlich gehören dt. Substantive, für die eine Singularform existiert, genau einer der Genuskategorien Maskulinum, Femininum oder Neutrum an (vgl. Eisenberg 2013: 133). Genus­ schwankung liegt vor, wenn innerhalb der Sprachgemeinschaft Varianten existieren und Wörtern zwei oder sogar drei Genera zugeordnet sind, ohne dass damit eine semantische Veränderung verbunden ist. Betroffen sind wenige native Wörter, insbesondere aber Entlehnungen, darunter Produktnamen und Kurzwörter (vgl. die Liste in Wegera 1997: 59–63). Einige Varianten sind überregional verbreitet und nicht registeroder varietätenspezifisch ((1), (2)). (1) der/die/das Nutella; der/das Gummi ['Radiergummi' bzw. 'Gummiband'] (2) die/der URL Die Varianten können auch regional verteilt sein (3); vgl. Elspaẞ/Möller (2003–2012). (3) die/der Butter; der/das Joghurt; die/das EMail Schwankungen ergeben sich auch zwischen fachspr. und allgemeinspr. Gebrauch ((4), (5)). (4) das Virus [fachspr.] / der Virus [allgemeinspr.] (5) das Filter [fachspr.] / der Filter [allgemeinspr.] Die Genusschwankung wird oftmals durch die Konkurrenz verschiedener Prinzipien der Genuszuweisung bewirkt; Unsicherheiten entstehen insbesondere bei der Entlehnung (vgl. SchulteBeckhausen 2002; Callies/Ogiermann/Szczesniak 2010). So ist nach dem (vorherrschenden) Prinzip der semantischen Ähnlichkeit (vgl. Eisenberg 2012: 229) für URL das Femininum zu erwarten (vgl. die Internetadresse), das Maskulinum ist durch ein morphologisches Prinzip motiviert, wonach das Suffix des Kopfes der anzusetzenden Vollform (Uniform Resource Locator) das Genus bestimmt. Bei fachspr. Gebrauch wird oftmals das Genus des entlehnten Wortes beibehalten (Virus < lat. virus [Neutrum]; Filter < lat. filtrum [Neutrum]), während im allgemeinen Gebrauch nach dem Analogieprinzip das (Pseudo-)Suffix das Maskulinum determiniert, das zudem als unmarkiertes Genus gilt (Eisenberg 2012: 229). Am häufigsten sind Schwankungen zwischen

Maskulinum und Neutrum (vgl. Wegera 1997: 104), weil das Femininum als markiertes Genus gilt und seine Wahl ohnehin semantisch motiviert ist (vgl. Eisenberg 2013: 444). Für Sprachteilhaber können Genusschwankungen Fragen nach der Akzeptabilität bzw. Korrektheit der einzelnen Varianten hervorrufen; es handelt sich um unkoordinierte ((1), (2)) bzw. koordinierte ((3)–(5)) Zweifelsfälle (vgl. Klein 2009: 151). Abzugrenzen von der Genusschwankung sind Fälle homonymer Wörter mit unterschiedlichem Genus, z.B. der/das Verdienst, der/die Kunde; die/ das Steuer (vgl. Eisenberg 2013: 133). Jan Seifert

→ Genus; morphologische Genusdetermination; phonolo-

gische Genusdetermination; semantische Genusdetermi­ nation

🕮 Callies, M./ Ogiermann, E./ Szczesniak, K. [2010] Genus­ schwankungen bei der Integration von englischen Lehnwörtern im Deutschen und Polnischen. In: Scherer, C./ Holler, A. [Hg.] Strategien der Integration und Isolation nicht-nativer Einheiten und Strukturen. Berlin [etc.]: 65–86 ◾ Eisenberg, P. [2012] Das Fremdwort im Deutschen. 2., überarb. Aufl. Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Elspaẞ, S./ Möller, R. [2003–2012] Atlas zur deutschen Alltagssprache. Vierte Runde: Genus./ Fünfte Runde: Genus. Salzburg [etc.] [Unter: http://www.atlas-alltagssprache.de/register/G/; letzter Zugriff: 23.06.2016] ◾ Klein, W.-P. [2009] Auf der Kippe? Zweifelsfälle als Herausforderung(en) für Sprachwissenschaft und Sprachnormierung. In: Konopka, M./ Strecker, B. [Hg.] Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch (JbIdS 2008). Berlin [etc.]: 141–165 ◾ Schulte-Beckhausen, M. [2002] Genusschwankung bei englischen, französischen, italienischen und spanischen Lehnwörtern im Deutschen. Frankfurt/Main [etc.] ◾ Wegera, K.-P. [1997] Das Genus. Ein Beitrag zur Didaktik des DaF-Unterrichts. München.

Genuswechsel

sprachhistorischer Wechsel im Genusgebrauch bei Substantiven. ▲ gender change: diachronic change in the gender of nouns.

Der Genuswechsel bei Substantiven hängt vor allem mit ihrer Geschichte zusammen (vgl. ahd. feminin fenestra / nhd. das Fenster; mhd. der bluome / nhd. die Blume, und dies wohl nach vielen zweisilbigen Substantiven auf -e, die bereits im Mhd. Feminina waren). Bei Substantiven, die aus der Fachsprache in die Allgemeinsprache gelangen, wechselt manchmal das Genus, z.B. das Virus in der biologischen und medizinischen Fachspra-

333 Geschlecht che, aber der/das Virus in der Allgemeinsprache und der Fachsprache der Informatik (vgl. Duden 2005: 170). Die urspr. pluralischen Festbezeichnungen Ostern, Pfingsten, Weihnachten werden heute stan­ dardspr. meist als Sg. mit dem Genus Neutrum gebraucht. Nicht aber in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, wo sich die Pluralformen gehalten haben (vgl. Duden 2005: 182). Edyta Błachut → Differentialgenus; Genus; Genusschwankung; Substantiv ⇀ Genuswechsel (Wobi)

🕮 Bittner, D. [2004] Zur Historie der nominalen -er Bildungen. Ist die Suffixidentität sprachwandlerischer Zufall? In: Linguistik-onl 19: 48–69 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Köpcke, K.-M./ Panther, K.U. [2016] Analytische und gestalthafte Nomina auf -er im Deutschen vor dem Hintergrund konstruktionsgrammatischer Überlegungen. In: Bittner, A./ Spieẞ, C. [Hg.] Formen und Funktionen: Morphosemantik und grammatische Konstruktion. Berlin [etc.]: 85–101.

Genuszuweisung

≡ Genusdetermination

Gerundium

grammatische Wortform, die als substantiviertes Verb vorkommt. ▲ gerund: grammatical word form which is a verbal noun. Das Gerundium vertritt im Lat. als Verbalsubstantiv die obliquen Kasus des Infinitivs Präsens Aktiv und hat als Marker -nd, der dem Präsensstamm des Verbs angefügt wird. Beim Akkusativobjekt steht immer der Infinitiv (Legere volo), nach Präp. regelmäßig das Gerundium (Ad legendum me confero). Es kann als Verbform durch Objekte und Adverbien erweitert werden und hat in der Regel eine aktive Bedeutung. Im Dt. wird das Gerundium entweder durch ein Subst. (oft ein Verbalsubst. mit dem Suffix -ung), den Infinitiv oder einen substantivierten Infinitiv wiedergegeben. Eine ähnliche Struktur haben das engl. gerund (-ing-Form), das frz. gérondif oder das span. gerundio. ≡ Verbaladverb → Gerundivum; Infinitiv; Verbalsubstantiv → Gram-Syntax: Akkusativobjekt ⇀ Gerundium (Wobi; HistSprw; CG-Dt)

Christine Römer

⇁ gerund (CG-Engl; Typol)

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Se-

mantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

Gerundiv

≡ Gerundivum

Gerundivbildung ≡ Gerundivum

Gerundivum

grammatische Wortform, die ein Verbaladjektiv ist. ▲ gerundive: grammatical word form which is a verbal adjective. Das Gerundivum ist im Lat. ein von transitiven Verben abgeleitetes Verbaladj. mit passivischer Bedeutung, Es ist formal mit dem Gerundium identisch (Marker: -nd) und wird wie die anderen Adjektive auch entsprechend seinem Bezugswort in Kasus, Numerus und Genus dekliniert (-a/-oDeklination). Es kann wie das Adj. und das Partizip die attributive, prädikative und die Prädikatsnomen-Funktion erfüllen. Im Dt. entsprechen dem Gerundivum attributive Konstruktionen, bei denen die infinite partizipiale Verbform in attributiver und deshalb flektierter Form erscheint und passivische Bedeutung hat (vgl. die Gerundiv-Konstruktion in (1) und die dt. Übersetzungen in (1a) und (1b)). (1) liber legendus (1a) ein zu lesendes Buch (1b) ein Buch, das man lesen muss Christine Römer

≡ Gerundiv; Gerundivbildung; participium necessitatis

→ Gerundium; transitives Verb; Verbaladjektiv; Wortform ⇀ Gerundivum (HistSprw) ⇁ gerundive (Typol)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Hand-

buch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

Geschehensverb ≡ Vorgangsverb

Geschlecht

≡ Genus; Sexus

G

Geschlecht, gemeinsames 334

Geschlecht, gemeinsames → Differentialgenus

Geschlecht, grammatisches → Genus

Geschlecht, natürliches → Sexus

Geschlecht, weibliches

G

→ Femininum

geschlechtsneutrale Personenbezeichnung

generischer Gebrauch maskuliner Substantive zur Bezeichnung von Personen beider Geschlechter. ▲ gender-neutral word for referring to persons: generic use of masculine nouns to refer to both men and women. Bei Bezug auf Personen werden mit den maskulinen Substantiven im Sg. (1) und Pl. ((2), (3)) verallgemeinernd Frauen und Männer gemeint. (1) Jeder Lehrer kennt die Probleme des Vertretungsunterrichts. (2) Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. (3) Die Bildungsgänge sollen Kompetenzen vermitteln, die die Studenten befähigen, in ihrem Bereich selbständig Fachverantwortung zu übernehmen. In der Grammatik (vgl. z.B. Duden 2005: 156) spricht man von geschlechtsneutralem, generischem oder geschlechtsindifferentem Gebrauch. Am Gebrauch geschlechtsneutraler (generischer) Personenbezeichnungen wird kritisiert, dass derartige Ausdrücke asymmetrisch und diskriminierend wirken, da Frauen sprachlich unsichtbar bleiben (vgl. die Diskussion in Pusch 1990 und Stahlberg/Sczesny 2001). Aus diesem Grund werden in manchen Situationen Paarformen (z.B. als Anrede) gebraucht wie Liebe Bürgerinnen und Bürger! Im vorliegenden Fall haben die explizite gleichzeitige Referenz auf Frauen und Männer und das Movierungssuffix (-innen) die Funktion, den geschlechtergerechten Sprachgebrauch zu unterstützen. Ähnliche Gesetzmäßigkeiten gelten bei bestimmten Pronomina. Adjektivisch flektierte Pronomina haben z.B. im Sg. Maskulinum zwei Gebrauchsweisen. Zum einen bezeichnen sie spezifisch Männer; zum anderen werden sie auch

geschlechtsneutral angewendet (Mancher wird es wissen). Da im Pl. nur eine Einheitsform vorhanden ist, kann sie auch hier verallgemeinernd (generisch) für Männer und Frauen gebraucht werden (Manche werden es wissen). Außerdem ist bei einigen Pronomina eine doppelte Geschlechtsspezifizierung wie bei Substantiven durch Verwendung sog. Paarformen möglich, vgl. jede und jeder anstelle von geschlechtsneutralem jede (im Pl.) bzw. alle, er und sie anstelle von sie (im Pl.), he or she anstelle von he (im Sg.). Edyta Błachut

→ generisches Maskulinum; Genusdetermination; Genusmarkierung; Geschlechtsspezifikation; Movierung; Personenbezeichnung; Sexus

🕮 Baron, D. [1986] Grammar and gender. New Haven ◾ Braun, F./ Gottburgsen, A./ Sczesny, S./ Stahlberg, D. [1998] Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. In: ZGL 26/3: 265–283 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Pusch, L.F. [1990] Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt/Main ◾ Stahlberg, D./ Sczesny, S. [2001] Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: PsyRundschau 52/3: 131–140.

Geschlechtsspezifikation

Sichtbarmachung des natürlichen Geschlechts der Substantive durch formal-grammatische Mittel. ▲ gender specification: natural gender marking on nouns by means of formal and grammatical markers. Das natürliche Geschlecht (Sexus) hat zwei Formen: Maskulinum bei männlichen Substantiven, die sich auf männliche Personen und Tiere beziehen (der Mann, der Bruder, der Fachmann, der Hahn), und Femininum bei weiblichen Substantiven, die sich auf weibliche Personen und Tiere beziehen (die Frau, die Schwester, die Fachfrau, die Henne). Die semantischen Merkmale können aber nicht bei allen Lebewesen angewandt werden (das Mädchen, das Herrchen, das Huhn, die Schnecke). In solchen Fällen muss das grammatische Genus auf Grund anderer Kriterien bestimmt oder – wenn es nicht vorhersagbar ist – zusammen mit dem Subst. erlernt werden. Bei zahlreichen anderen Substantiven ist jedoch möglich, das natürliche Geschlecht durch verschiedene formalgrammatische Mittel zu spezifizieren. Man behilft sich z.B. mit Determinativen und Flexionsendungen bei substantivierten Adjektiven (der Neue / die Neue, mein Verwandter / meine Verwandte), Ab-

335 Gestaltungskasus leitungen und Zusammensetzungen (der Student / die Studentin, der Hund / die Hündin, die Gans / der Gänserich, der Elefantenbulle / die Elefantenkuh). Im Pl. kann das natürliche Geschlecht regelmäßig flexivisch spezifiziert werden (Fachmänner/Fachfrauen anstatt Fachleute, Schülerinnen anstatt Schüler verallgemeinernd für Personen beiderlei Geschlechts), tritt durch Paarformen (Schülerinnen und Schüler anstatt generisch Schüler) oder durch eine attributive Erweiterung des Subst. (weibliche und männliche Angestellte) auf. Edyta Błachut

↔ generisches Maskulinum → Differentialgenus; Genus; Genusdetermination; Movierungssuffix; Sexus; Substantiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1984] Sechs Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen: Ein Beitrag zur natürlichen Klassifikation. In: LB 93: 26–50 ◾ Schwarze, B. [2003] Grammatical Gender, Sex Specification and Varying Degrees of 'Genericness' of the Masculine: A Contrastive Analysis. In: Santaemilia, J. [ed.] Género, lenguaje y traducción. Actas del Primer Seminario Internacional sobre Género y Lenguaje. Valencia 16.–18.10.2002. Valencia: 144–159.

Geschlechtswort ≡ Artikel

geschlossene Klasse

Gruppe von Wörtern, die ihren Bestand nicht mehr erweitern kann. ▲ closed class; closed word class: group of words that cannot expand its inventory. Geschlossene Wortartenklassen sind nicht erweiterbar. Dies trifft in der dt. Sprache auf die Artikel zu, während bei den Präpositionen des Dt. oft von einer weitgehend oder relativ geschlossenen Klasse gesprochen wird, da diese deutlich abgrenzbare Wortklasse nicht vollständig geschlossen ist, sondern neue Präpositionen im Zuge von Grammatikalisierungsprozessen entstehen.

↔ offene Klasse → Präposition; Wortart → Gram-Syntax: Grammatikalisierung ⇀ geschlossene Klasse (CG-Dt) ⇁ closed class (CG-Engl; Typol)

Christine Römer

🕮 Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Prä-

positionen (StDG 62). Tübingen ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen.

Gesprächspartikel

Partikel, die in einem Gespräch bei der Konstruktion einer Argumentation zur Pausenüberbrückung eingesetzt wird. ▲ conversational particle; conversational filler: particle that is used during argumentation in order to bridge silences. Im Gegensatz zu den Modal- oder Abtönungspartikeln können die Gesprächspartikeln nicht syntaktisch in den Satz integriert werden (Helbig 1990: 32) und sind – wie die Diskurspartikeln – nicht-obligatorische Elemente (Gohl/Günthner 1999), die der Gesprächsorganisation dienen (Fraser 1990). Morphologisch werden die Gesprächspartikeln aus anderen grammatischen Kategorien rekrutriert. Der Gebrauch von Konjunktionen oder Adverbien in der Funktion der Gesprächspartikeln ist ein Zeichen eines Grammatikalisierungsprozesses. Gesprächspartikeln werden in der Fachlit. auch als Diskurspartikeln oder Diskursmarker bezeichnet (Gohl/Günthner 1999; Imo 2017), sind typische Partikeln in gesprochener Sprache und dienen zur Bildung von Argumenten und zur Vermittlung von Sinn (Schiffrin 1987). Javier Martos ≡ Gesprächswort → Diskurspartikel; Diskurswort; Gliederungssignal; Partikel ⇀ Gesprächspartikel (SemPrag)

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Fraser, B. [1990] An approach to discourse markers. In: JPragm 14: 12–14 ◾ Gohl, C./ Günthner, S. [1999] Grammatikalisierung von weil als Diskursmarker in der gesprochenen Sprache. In: ZS 18, 1: 39–75 ◾ Helbig, G. [1990] Lexikon deutscher Partikeln. 2., unveränd. Leipzig ◾ Imo, W. [2017] Diskursmarker im gesprochenen und geschriebenen Deutsch. In: Blühdorn, H./ Deppermann, A./ Helmer, H./ Spranz-Fogasy, T. [Hg.] Diskursmarker im Deutschen. Reflexionen und Analysen. Göttingen: 49–72 ◾ Schiffrin, D. [1987] Discourse Markers. Cambridge.

Gesprächswort

≡ Gesprächspartikel

Gestaltungskasus

morphologischer Kasus, der angibt, dass ein Gegenstand in der Aussage als gestaltende Größe fungiert. ▲ case of formative process: morphological case indi-

G

gestrecktes Plusquamperfekt 336 cating that something is not conceived as an existing thing but as being part of a process.

G

Nach Jakobson (1936) sind der Genitiv II und Lokal II im Russ. Gestaltungskasus und damit die beiden merkmalhaltigen Gegenstücke der merkmallosen reinen Umfangskasus Genitiv I und Lokal I. Die Gestaltungskasus bringen zum Ausdruck, dass ein Gegenstand als „etwas Gestaltendes oder zu Gestaltendes im Sachverhalte der Aussage fungiert“ (Jakobson 1936: 62), vgl. z.B. zapax kon’jaka [dt. der Geruch von Cognac, Genitiv I], wo der Cognac als eine dingliche Einheit dargestellt wird, und rjumka kon’jaku [dt. ein Gläschen Cognac, Genitiv II], wo der Cognac als Stoff erst umgrenzt wird. Auf der Basis der Gestaltungskorrelation erklärt Jakobson (1936: 63), warum bestimmte Präpositionen den Genitiv I oder Lokal I und andere den Genitiv II und Lokal II fordern (der Lokal wird ausschließlich präpositional gebraucht) oder warum ein und dieselbe Präp. bald mit dem einen, bald mit dem anderen Kasus verbunden wird, vgl.: i v grjázi [Lokal I] možno najti svoeobraznuju prelest’ [dt. auch am Schmutz kann man einen eigentümlichen Reiz finden], d.h., der Schmutz wird als Ding dargestellt, vs. i v grjazí [Lokal II] možno najti almaz [dt. auch im Schmutz kann man einen Diamant finden], wo der Schmutz den Gegenstand gestaltet, indem er ihn umhüllt. Klaas Willems

→ Genitiv; Kasusbedeutung; Markiertheitstheorie; Randkasus; Umfangskasus; Vollkasus

🕮 Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288.

gestrecktes Plusquamperfekt

Plusqaumperfekt in der Funktion, die sog. tiefe Vergangenheit zu kodieren. ▲ elongated pluperfect: pluperfect in the function of coding deep past. In bestimmten Kontexten, die nicht auf eine vorhandene sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) verweisen, kann das Plq.perf. den Effekt hervorrufen, dass es sich um eine besonders weit zurückliegende, tiefe Vergangenheit handelt. Klaus Welke

→ Doppelplusquamperfekt; Perfekt; Plusquamperfekt → Gram-Syntax: Tempusgebrauch

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartsspra-

che. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [1983] Relativer und absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts im Deutschen. In: Askedal, J.O./ Christensen, C./ Findreng, Å./ Leirbukt, O. [Hg.] Festschrift für Laurits Saltveit. Oslo [etc.]: 58–71 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Getrenntschreibung

Setzung von Leerzeichen zwischen bestimmten grammatischen Einheiten in der geschriebenen Sprache. ▲ separate spelling: placing of spaces between specific grammatical units in written language. Das Phänomen der Getrenntschreibung wird besonders intensiv in Bezug auf das Schriftsystem des Dt. diskutiert. Dabei taucht der Terminus Getrenntschreibung zumeist mit seinem Gegenstück auf, mit Zusammenschreibung. Auf Zeichenebene liegt Getrenntschreibung vor, wenn zwischen zwei Buchstaben ein Leerzeichen tritt (das nicht beim typographischen Verfahren des Sperrsatzes beteiligt ist). Nicht als Getrenntschreibung, sondern als Zusammenschreibung zählt, wenn Wortzeichen (als Teilmenge der Interpunktionszeichen) zwischen Buchstaben treten wie z.B. der Apostroph, der Divis oder der Schrägstrich. Getrenntschreibung im Sinne der Setzung von Leerzeichen (Spatien) gibt es bzgl. der lat. Schrift erst seit Einführung der scriptio discontinua im Mittelalter. Heutzutage hat der Terminus Getrenntschreibung aber eine spezifischere Reichweite; nur bestimmte Setzungen von Spatien gelten als einschlägige Fälle. Hierbei ist die Frage relevant, zwischen grammatische Einheiten welcher Art Spatien treten. Die Grundregel der Spatiensetzung und damit der Getrenntschreibung im Dt. lautet, dass Spatien nur und genau zwischen Wörter zu setzen sind (vgl. z.B. Fuhrhop 2007: 181). Ausschlaggebend hierfür ist das Konzept des grammatischen Wortes, nicht das des lexikalischen Wortes. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass innerhalb von Wörtern keine Spatien auftreten dürfen. In der dt. Sprache ist die Getrenntschreibung problematisch, wie sich an verschiedenen orthographischen Normierungsversuchen zeigt, die allesamt auf Kritik gestoßen sind. Dies liegt an der grammatischen Basis, konkret an der Frage, was

337 Glossem ein grammatisches Wort konstituiert. Diachron lässt sich eine Entwicklung von phrasaler Konstruktion zu Wortstatus beobachten. Betroffen sind insbesondere Fälle wie Univerbierung und Inkorporation. Bildungen wie Eislaufen werden tendenziell als komplexe Lexeme analysiert, wobei das nominale Erstglied als Verbpartikel fungiert. Konstruktionen wie Auto fahren dagegen werden als Syntagmen mit einem artikellosen Akkusativobjekt in erster Position eingeschätzt. Grammatisch gesehen liegt hier möglicherweise strukturelle Ambiguität vor, die sich orthographisch in variabler Schreibung widerspiegeln müsste. Eine echte Ausnahme gegen die Grundregel der Getrenntschreibung stellen im Dt. Komposita mit dem Zweitglied sein dar, die trotz ihres Wortstatus immer getrennt geschrieben werden. Bedeutsame theoretische Modellierungen der Getrennt- und Zusammenschreibung im Dt. liegen mit Jacobs (2005) vor, der eine Modellierung im Rahmen der Optimalitätstheorie anbietet, sowie mit Fuhrhop (2007), die eine prototypenbasierte Modellierung vorschlägt. Ein Vergleich der Getrenntschreibung des Dt. zum Span. findet sich in Mesch (2008).

↔ Zusammenschreibung → § 34; Komposition; Univerbierung; Wort

Martin Neef

🕮 Fuhrhop, N. [2007] Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Tübingen ◾ Günther, H. [1997] Zur grammatischen Basis der Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen. In: Dürscheid, C./ Ramers, K.H./ Schwarz, M. [Hg.] Sprache im Fokus. Festschrift für Heinz Vater zum 65. Geburtstag. Tübingen: 3–16 ◾ Jacobs, J. [2005] Spatien. Zum System der Getrennt- und Zusammenschreibung im heutigen Deutsch (LingI&T 8). Berlin [etc.] ◾ Mesch, B. [2008] Getrennt oder zusammen? Ein schwieriges Rechtschreibkapitel im Deutschen und Spanischen. In: EstFilAlem 15: 103–112 ◾ Morcinek, B. [2012] Vom Syntagma zum Wort. Die Entwicklung der Getrennt- und Zusammenschreibung komplexer Verbverbindungen von 1750–1996. Diss., Universität Oldenburg. [Unter: http://oops.uni-oldenburg.de/1317/; letzter Zugriff 29.09.2015].

Gliederung, doppelte → doppelte Artikulation

Gliederung, zweifache → doppelte Artikulation

Gliederungspartikel ≡ Gliederungssignal

Gliederungssignal

Gliederung des Gesprächs dienender Ausdruck. ▲ segmentation phenomenon: word or phrase serving to segment a discourse. Gliederungssignale sind sprecherseitige Gesprächspartikeln, die sowohl kleine Wörter als auch Wortgruppen sein können. Mit ihnen kann der Sprecher einen Gesprächsschritt einleiten (so, also, ja, nun, gut, ich mein(e), ich glaub(e)) oder abschließen (okay, und so weiter, alles klar), er kann signalisieren, dass er das Rederecht beibehalten will (äh, ähm, jedenfalls, ich mein(e)) oder dass er es dem Hörer zuweist und so den Sprecherwechsel initiiert (oder? verstehst du? weißt du?). In diesem Sinne sind Gliederungssignale Mittel der Gesprächssteuerung. Sie stellen eine zentrale Kategorie der Gesprächsanalyse dar. ≡ Gliederungspartikel → Diskurswort; Gesprächspartikel ⇀ Gliederungssignal (Lexik; Textling)

Anna Molnár

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gülich, E. [1970] Makrosyntax der Gliederungssignale im gesprochenen Französisch. München ◾ Schwitalla, J. [1997] Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. Berlin.

Glossem

kleinste sprachliche Einheit. ▲ glosseme: smallest linguistic unit. Für den Terminus Glossem sind zwei verschiedene, voneinander relativ unabhängige Verwendungsweisen zu unterscheiden: (a) Nach der Auffassung von Leonhard Bloomfield (1933) sind Glosseme die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache, die in die Untergruppen der lexikalischen Morpheme und der grammatischen Tagmeme geteilt werden können. (b) In der Glossematik von Louis Hjelmlsev (1943) sind Glosseme als minimale sprachliche Einheiten zu verstehen, die aus Kenemen (phonologischen Merkmalen) auf der Ausdrucksseite und Pleremen (semantischen Merkmalen) auf der Inhaltsseite bestehen. Eszter Kukorelli

→ Morphem; Plerem; Tagmem; Zeichen ⇀ Glossem (SemPrag); Glossem (1) (Lexik); Glossem (2) (Lexik)

🕮 Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY [etc.] ◾

G

Gradadverb 338 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hjelmslev, L. [1943] Omkring sprogteoriens grundlæggelse. Festskrift udgivet af Københavns Universitet i anledning af Universitetets Aarsfest. Copenhagen ◾ Zierer, E. [1965] Minimum linguistic units. In: ZPSK 18 (2): 181–184.

Gradadverb

Adverb, mit dem der Intensitätsgrad einer Eigenschaft oder eines Sachverhaltes angegeben wird. ▲ degree adverb: adverb which indicates the intensity of a feature or a state of affairs.

G

Zu den Gradadverbien gehören unflektierbare Ausdrücke, die in der Regel nicht allein im Vorfeld stehen können, wie z.B. allzu, äußerst, etwas, fast, ganz, ganz und gar, halbwegs, höchst, noch, nur, recht, sehr, sogar, überaus, zu. (1) Sehr schön war die Radtour am 1. Mai [...]. (Mann. Morgen, 30.03.2001) (2) Die Unionsminister haben sich sehr amüsiert. (Der Spiegel, 13/2008: 22) (3) Überaus positiv ist auch die Mitgliederentwicklung. (Mann. Morgen, 10.03.2004) Einige Adjektive wie absolut, extrem, völlig, vollkommen, ungewöhnlich können ebenso die Funktion eines Gradadverbs (bzw. einer Gradpartikel) erfüllen. Morphologisch und syntaktisch verhalten sie sich dann dementsprechend. (4) Völlig zufrieden sind Jedicke und seine Kollegen allerdings noch nicht mit ihrem Ergebnis. (spektrumdirekt, 19.05.2004) Jussara Paranhos Zitterbart ≡ Gradpartikel → Adverb; Intensitätsmodifikator; Intensitätspartikel; Statusadverb → Gram-Syntax: Sachverhalt ⇁ degree adverb (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

Gradation

≡ Komparation

Gradmodifikator

≡ Intensitätspartikel

Gradpartikel

≡ Fokusadverb; Fokuspartikel; Gradadverb; Intensitäts-Adverb ⇀ Gradpartikel (Lexik)

graduatives Adverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die die Quantität eines Geschehens angeben. ▲ adverb of degree: semantically defined subclass of adverbs which express the quantity of an action. Graduative Adverbien gehören wie Adverbien der Art und Weise der Klasse der Modaladverbien an. Unter morphologischem Aspekt handelt es sich meistens um Wortbildungsprodukte wie z.B. Ableitungen mit dem Suffix -weise oder Zusammenrückungen wie großenteils. Graduative Adverbien lassen sich in der Regel mit bis zu welchem Grade oder wie erfragen. Folgende Ausdrücke gehören zur Teilklasse der graduativen Adverbien: großenteils, größtenteils, haufenweise, insgesamt, teilweise, scharenweise u.a., einschließlich der Frageformen inwiefern und inwieweit ((1)–(3)). (1) Die Erwartungen konnten größtenteils erfüllt werden. (2) Das freut vor allem Kinder, die scharenweise in die Burg kommen werden. (3) Inwieweit schlägt die Globalisierung auf die Karrieren der Manager durch? Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Modaladverb → Gram-Syntax: Graduativergänzung

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Graduierung

≡ Komparation ⇀ Graduierung (Wobi; SemPrag; Lexik)

grammatische Kongruenz

Übereinstimmungsrelation zwischen Konstituenten eines Satzes hinsichtlich bestimmter Merkmale. ▲ grammatical agreement: correspondence relation between sentence constituents with respect to certain features. Grammatische Kongruenz ist eine Form von Übereinstimmungsrelation, die mit 'X kongruiert mit Y hinsichtlich Z' paraphrasiert werden kann. Dabei wird die Konstituente Y, die die Kongruenzbeziehung determiniert, als Kontrolleur (engl. controller) bezeichnet, die Konstituente X, deren Form durch die Kongruenz determiniert wird, stellt das Ziel (engl. target) der Kongruenzbeziehung dar

339 Grammem und Z ist das Merkmal, in dem X und Y übereinstimmen. Grammatische Kongruenz markiert syntaktische Beziehungen (z.B. die Zugehörigkeit zu einer komplexen Konstituente) und syntaktische Funktionen. Merkmale, die in den Kongruenzbeziehungen vieler Sprachen eine Rolle spielen, sind Numerus, Kasus, Genus, Person und Definitheit. Es werden drei Bereiche der grammatischen Kongruenz differenziert. (a) Die Kongruenzbeziehung zwischen den Konstituenten eines nominalen Syntagmas wird nominale oder interne Kongruenz genannt. Nominale Kongruenz erfasst neben den attributiven Adjektiven auch die Possessiv- und Demonstrativpronomina, Artikel-, Zahlwörter und Appositionen. Im Dt. z.B. stimmt das attributive Adj. innerhalb eines nominalen Syntagmas mit dem Bezugssubst. hinsichtlich Genus, Kasus und Numerus überein (ein groß-er Wagen, ein-e groß-e Kutsche, ein groß-es Auto). Während das inhärente Genus- und das kontextabhängige Numerus-Merkmal vom Nomen als Kontrolleur auf das attributive Adj. als Ziel der Kongruenzbeziehung übertragen wird, handelt es sich bei Kasus um ein Merkmal, das dem nominalen Syntagma von der ihn regierenden Konstituente – z.B. einem Verb oder einer Präp. – zugewiesen wird. (b) Die Kongruenzbeziehung zwischen dem flektierten Prädikatsteil und den übrigen syntaktischen Funktionen im Satz gehört zur verbalen Kongruenz. Unter den flektierenden Sprachen ide. Typs weit verbreitet ist z.B. die Kongruenz zwischen dem Subjekt und dem finiten Verb hinsichtlich Pers. und Numerus. Auch die Objekt-Verb-Kongruenz ist in den Sprachen der Welt verbreitet (z.B. in Bantu-Sprachen und Kaukasischen Sprachen). Die verbale Kongruenz, bei der Kongruenzmarkierer am finiten Prädikatsteil erscheinen, wird vor allem von der syntaktischen Funktion des Kontrolleurs (Subjekt, Objekt, Adverbial) ausgelöst und bestimmt. (c) Die prädikative Kongruenz besteht z.B. im Dt. zwischen dem Subjekt und dem Prädikativum. Dabei ist das Subjekt des Satzes Kontrolleur eines nicht-verbalen prädikativen Ausdrucks; Subjekt und Prädikativum stimmen zumeist in Genus, Numerus und Kasus überein: Sie ist Tänzerin vs. Er ist Tänzer. Agnes Kolmer → § 11, 17; Genusrektion; Kasus; Numeruskongruenz → Gram-Syntax: Kongruenz; Prädikativum; Subjekt-PrädikatKongruenz

🕮 Barlow, M./ Ferguson, C. [eds. 1988] Agreement in Natural Languages. Approaches, Theories, Descriptions. Menlo Park, CA ◾ Corbett, G.G. [2006] Agreement. Cambridge ◾ Givón, T. [1976] Topic, pronoun and grammatical agreement. In: Li, C.N. [ed.] Subject and Topic. New York, NY: 149–184 ◾ Moravcsik, E.A. [1978] Agreement. In: Greenberg, J. [ed.] Universals of Human Language. Vol. 4. Stanford, CA: 331–374 ◾ Siewierska, A. [1999] From anaphoric pronoun to grammatical agreement marker. Why objects don't make it. In: FoL 33/1–2: 225–251.

grammatisches Geschlecht ≡ Genus

grammatisches Morphem

Morphem, das Beziehungen zwischen Morphemen oder Bedeutungsveränderungen an Lexemen versprachlicht und nicht allein sinntragend ist. ▲ grammatical morpheme: morpheme used to express relationships between morphemes or changes in lexemes that does not have content itself. Grammatische Morpheme bilden in den meisten Sprachen geschlossene Klassen. Es gibt sowohl freie als auch gebundene grammatische Morpheme. Dazu zählen Flexionsmorpheme (-st in lachst, kaufst), Derivationsmorpheme (-ung in Prüfung, Kleidung), Präpositionen (auf, an), Konjunktionen (weil), Artikel, Partikeln (ver- in vertrauen, verweisen). Die Grenze zwischen lexikalischen und gebundenen Morphemen ist nicht immer ein­ deutig. Hilke Elsen

→ gebundenes Morphem; lexikalisches Morphem; Morphem ⇀ grammatisches Morphem (Wobi; CG-Dt) ⇁ grammatical morpheme (CG-Engl; Typol)

🕮 Croft, W. [2000] Lexical and grammatical meaning. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 257–263 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

grammatisches Paradigma ≡ syntaktisches Paradigma

Grammem

kleinste sprachliche Einheit mit einer relationalen Funktion. ▲ grammeme: smallest language unit with a relational function. Grammeme sind die kleinsten, formal zunächst unspezifizierten Einheiten der Sprache mit einer relationalen (grammatischen) Funktion. Im Gegensatz zu Lexemen, die eine denotative

G

Grundform 340

G

Funktion haben und für sich bedeutungstragend sind, drücken Grammeme Beziehungen zwischen Inhaltswörtern aus und beziehen sich auf die aktuelle Sprechsituation (vgl. Szczepaniak 2011: 1f.). In formaler Hinsicht können freie und gebundene Grammeme unterschieden werden. Unter freien Grammemen versteht man selbständige Funktionswörter wie z.B. und, weil, denn, mit, die im Satz eine grammatische Funktion ausüben. Gebundene Grammeme hingegen operieren auf der Wortebene und können nicht alleine stehen. Je nach ihrer Position zum Wortstamm werden gebundene Grammeme (sog. Affixe) in Suffixe (hinter dem Stamm), Präfixe (vor dem Stamm) und Zirkumfixe (um den Stamm herum) unterteilt. Nach ihrer Funktion sind sie entweder Flexionsmorpheme (Kind-er, ge-mach-t) oder Wortbildungsmorpheme (ver-kaufen, Freund-schaft, Ge-birg-e). Viktória Dabóczi

→ Affix; Funktionswort; gebundenes Morphem; grammatisches Morphem; Lexem; lexikalisches Morphem

⇀ Grammem (Lexik)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Elsen, H. [2011] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Szczepaniak, R. [2011] Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Grundform

Form aus dem Paradigma eines Wortes, welche im Wörterbuch als Lemma aufgeführt ist. ▲ basic form; citation form: form that represents an entire inflectional paradigm of a word used as a dictionary headword. In der Grammatik ist die Grundform eines Wortes eine Wortform, deren morphosyntaktische Merkmale möglichst unmarkiert sind. Im Dt. ist das bei Substantiven der Nominativ Sg., bei Verben der Infinitiv Präs. Aktiv, bei Adjektiven die endungslose Form, wie sie im prädikativen und adverbialen Gebrauch auftritt. Wenn ein Subst. z.B. nur Pluralformen aufweist, wählt man als Grundform eine Wortform, bei der wenigstens der Kasus unmarkiert ist; so ist in diesem Fall die Merkmalkombination der Nominativ Pl. Durch Anfügen der Flexive an die Grundform eines Wortes entstehen Wortformen (leer – leeres, leerer, leerem, leeren,

leere; Zeitung-en), die in einer flektierenden Sprache wie dem Dt. das Flexionsparadigma bilden. Man nennt diesen Typ der Flexion Grundformflexion (im Gegensatz zur Stammflexion). Im Dt. überwiegt Grundformflexion bei der Deklination. In der Lexikographie stehen die Grundformen als Ausdrücke für die Wörter, die als Lemmata angesetzt sind. Edyta Błachut

→ Deklination; flektierende Sprache; Flexion; Flexionsparadigma; Grundformflexion; Infinitiv; Nennform; Stammflexion

→ Gram-Syntax: syntaktische Grundform ⇀ Grundform (Schrling)

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2012] Flexion. 2., aktual. Aufl. (KEinfgL 7). Heidelberg ◾ Wegener, H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen.

Grundform, morphologische → morphologische Grundform

Grundformflexion

Bildung der Wortformen eines Paradigmas durch Anfügen von Flexionssuffixen an die Grundform. ▲ basic form inflection: creation of word forms of a paradigm by the addition of inflectional suffixes to the basic form. Die Grundformflexion stellt neben der Stammflexion eine der Bildungsarten von Wortformen in einem Flexionsparadigma dar. Von Grundformflexion spricht man dann, wenn das Paradigma die Grundform, d.h. eine Form ohne Flexionsendungen und weitere Formen enthält, deren Stamm der Grundform entspricht (vgl. Eisenberg 2006: 152f.). Die Grundform stellt dabei die unmarkierte Form des Paradigmas dar und repräsentiert das Lexem im Lexikon (in diesem Zusammenhang auch Zitierform genannt). Die Grundformflexion ist ein additives und transparentes Verfahren, wobei die Grenze zwischen Stamm und Flexiv(en) eindeutig zu erkennen ist. Sprachen, für die überwiegend die Grundformflexion charakteristisch ist, gehören sprachtypologisch zum agglutinierenden Typ (z.B. Türk. und Ung.).

341 Grundzahlwort Im Dt. dominiert die Grundformflexion die Deklination und ist vor allem für Substantive und Adjektive charakteristisch (Kind-er, schönes, klein-er). Verben werden dagegen nach der Stammflexion konjugiert. Viktória Dabóczi

↔ Stammflexion → agglutinierender Plural; Flexion; Flexionsparadigma; Grundform

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Elsen, H. [2011] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin [etc.] ◾ Konopka, M. Grundformflexion [Unter: https://grammis.idsmannheim.de/systematische-grammatik/2762; letzter Zugriff: 09.07.2021] ◾ Wurzel, W.U. [1984] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung (StGram 21). Berlin.

Grundmorphem

kleinstes bedeutungstragendes Element einer Sprache, das kein Ableitungs- oder Flexionsmorphem ist, das nicht positionsfest ist und das nach Tilgung aller anderen Morpheme die Basis einer Wortbildung darstellt. ▲ base morpheme: minimal meaningful unit of a language which is not a derivational or an inflectional morpheme, and which takes variable positions within complex words and forms the basis of word formations after deletion of other morphemes. Grundmorpheme sind typischerweise lexikalisch. Ein Wort benötigt mindestens ein Grundmor-

phem, das allein oder mit anderen Morphemen stehen kann. Freie Grundmorpheme sind Sim­ plizia, vgl. tisch in auftischen, Tischler, Tischdecke, Tischdeckenwäsche. Bei den Grundmorphemen handelt es sich um eine offene Klasse, da der Bestand in einer Sprache durch Wandel und Entlehnung ständig erweitert wird. Hilke Elsen ≡ Basismorphem; Kernmorphem; Stammmorphem → Affix; Flexionsmorphologie; freies Morphem; lexikalisches Morphem; Morphem; Wurzel ⇀ Grundmorphem (Wobi; Lexik)

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Grundstufe ≡ Positiv

Grundwort

≡ Determinatum ⇀ Grundwort (Onom)

Grundzahlwort

≡ Kardinalzahlwort

G

H haben-Perfekt

Perfektform, die im Deutschen aus dem Hilfsverb haben im Präsens, Präteritum oder Futur und dem Partizip II gebildet wird. ▲ haben-perfect; have-perfect: form of the perfect in German that is built with the auxiliary haben in the present, past, or future tense and the past participle. Haben-Perfekt und sein-Perfekt sind in der dt. Gegenwartssprache Perfektformen mit identischer Bedeutung. Ihr Nebeneinander folgt aus einer unterschiedlichen Geschichte. Das haben-Perfekt ist aus einer syntaktischen Prädikativkon­struktion (freies Prädikativ bzw. Objektsprädikativ) transitiver perfektiver Verben hervorgegangen, vgl. das Beispiel aus dem Tatian (1) und die entsprechende Luther-Übersetzung (1a), bei der noch beide Auffassungen (1b) und (1c) möglich sind. (1) phigboum habeta sum gipflanzotan in sinemo wingarten. (1a) Jemand hatte einen Feigenbaum gepflanzt in seinem Weingarten. (1b) [Jemand hatte [einen Feigenbaum (der war) gepflanzt in seinem Weingarten.] (1c) Jemand [hatte einen Feigenbaum gepflanzt] in seinem Weingarten. Der Übergang setzt u.a. die Abschwächung von haben zum Hilfsverb und eine Restrukturierung voraus, so dass das Objekt nicht mehr syntaktisch allein von haben abhängt und das Prädikativum gepflanzt zusätzlich semantisch auf das Objekt bezogen wird. Vielmehr hängt das Objekt nunmehr von der analytischen Verbform gepflanzt haben ab mit gepflanzt als dem Kern des syntaktischen Regens. Außerdem muss das Partizip II seinen passivischen Charakter verlieren. Urspr. wurden nur zu perfektiven Verben Parti-

zipien II gebildet, vgl. Oubazour (1974). Bei der Herausbildung der Verbformen Perfekt und Passiv wurde das Verfahren der Perfektbildung (und Passivbildung) auch auf imperfektive Verben übertragen. Beim Perfekt geschah das durch analogische Ausweitung des haben-Perfekts. Einige Vorkommen von haben + Partizip II kann man auch in der Gegenwartssprache als Resultativkonstruktionen interpretieren, also als Konstruktionen, in denen der ursprüngliche syntaktische Zustand bewahrt ist. So lassen sich (2) und (3) als transitive Sätze im Perfekt oder als Resultativkonstruktionen auffassen. (2) Emil hat seinen Arm umwickelt. (3) Emil hat einen Ring durch die Nase gezogen. Das sein-Perfekt ist aus Kopulakonstruktionen entstanden. Auch hier gibt es in der Gegenwartssprache ein Nebeneinander von analytischer Tempusform und syntaktischer Prädikativkonstruktion (Subjektsprädikativkonstruktion, Kopulakonstruktion). Satz (4) ist ambig zwischen diesen Lesarten und bedeutet entweder (4a) oder (4b). (4) Der See ist zugefroren. (4a) Der See hat in der Vergangenheit einen Prozess des Zufrierens durchgemacht. (4b) Der See befindet sich zur Sprechzeit im Nachzustand des Prozesses des Zufrierens. Die Resultativkonstruktionen mit haben sind infolge ihres passivischen Charakters weiter vom Perf. entfernt als Resultativkonstruktionen mit sein. Aber beide sind mit ihrer Nachzustandslesart strikt von den analytischen Verbformen zu unterscheiden. Klaus Welke

→ Hilfsverb; Perfekt; sein-Perfekt; Tempus; zweites Partizip → Gram-Syntax: Prädikativum

🕮 Dal, I. [1966] Kurze deutsche Syntax (SkGrgermD-B, Erg.Reihe 7). 3., verb. Aufl. Tübingen ◾ Ebert, R.P./ Reichmann, O./

haben-zu-Konstruktion 344 Solms, H.-J./ Wegera, K.-P. [1993] Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen ◾ Ebert, R.P. [1978] Historische Syntax des Deutschen. Stuttgart ◾ Oubouzar, E. [1974] Über die Ausbildung der zusammengesetzten Verbformen im deutschen Verbalsystem. In: BGeschDtSpLit-H 95: 5–96 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

haben-zu-Konstruktion

H

syntaktische Fügung mit einem Infinitiv-Komplement, in der das Funktionsverb in Verbindung mit der Partikel zu die Notwendigkeit der Ausführung einer Handlung bezeichnet, welche durch den Infinitiv des Vollverbs kodiert wird. ▲ haben-zu-construction: syntactic active-construction with an infinitive complement in which the functional verb followed by a particle denotes the necessity of an action encoded by the infinitive of the main verb. Die Konstruktion ist ihrer Bedeutung nach der Fügung mit den Modalverben müssen oder sollen am nächsten, vgl. Sabine hat noch Einiges zu erledigen ~ Sabine muss/soll noch Einiges erledigen. Im Unterschied zu der Modalverbfügung hebt jedoch die haben-zu-Konstruktion hervor, dass die durch das Vollverb genannte Handlung noch bevorsteht. Aus diesem Grund sind beide Konstruktionen nicht immer problemlos austauschbar, vgl. Ich habe viel zu tun vs. Ich muss/soll viel tun. Das Verb haben behält seine lexikalische Eigenbedeutung z.T. bei, was sich darin äußert, dass die bevorstehende Handlung – metaphorisch umgedeutet – als eine Art Besitz des Satzsubjekts zu verstehen ist. Seinem Status nach ist haben in dieser Fügung ein Halbmodalverb bzw. Funktionsverb. Die haben-zu-Konstruktion ist eine aktivische Fügung, d.h., das Subjekt tritt hier als Agens auf, und die Handlung ist auf das Objekt gerichtet (1). Die entsprechende modale passivische Konstruktion ist die Fügung mit sein-zu-Infinitiv (1a). (1) Die Studenten haben sämtliche Leistungsscheine bis zum Semesterende vorzuweisen. (1a) Bis zum Semesterende sind sämtliche Leistungsscheine vorzuweisen. Michaił L. Kotin

→ Funktionsverb; Halbmodale; Modalitätsverb; Modalverb → Gram-Syntax: Agens; Infinitivergänzung

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Halbaffix

Wortbildungselement, das aus einem in der Gegenwartssprache noch gebräuchlichen Homonym entstanden ist. ▲ affixoid: word-formative element arising from a homonymous lexeme. Für die zwei Homonyme, das Adj. freundlich und das Halbsuffix -freundlich kann eine unterschiedliche Lemmatisierung festgehalten werden. Der Bindestrich im Lemma -freundlich zeigt, dass das Halbaffix (oder Affixoid) nicht selbständig vorkommt, sondern wie ein Affix oder wie ein Konfix ausschließlich der Wortbildung dient. Auch die Bedeutungsangaben zu den beiden Homonymen unterscheiden sich. Zu den verschiedenen Lesarten des Adj. finden sich Bedeutungsparaphrasen, während die Semantik des Halbaffixes mit der Formel drückt ... aus umschrieben wird: „1. drückt in Bildungen mit Substantiven aus, dass die beschriebene Sache für jemanden, etwas günstig, angenehm, für etwas gut geeignet ist: magen-, reparatur-, verbraucherfreundlich. 2. drückt in Bildungen mit Substantiven ein freundliches Entgegenkommen aus; wohlgesinnt gegenüber jemandem, etwas: kinder-, hun­ de­ freundlich.“ (vgl. https://www.duden.de/recht​ schreibung/_freundlich; letzter Zugriff: 13.11.2020) Der zitierte Wörterbuchartikel weist auf weitere typische Eigenschaften von Halbaffixen hin: Mit ihnen lassen sich über die bereits lexikalisierten Bildungen hinaus spontan ganze Reihen neuer Wörter bilden (reparaturfreundlich etwa ist kein eigenes Lemma). Innerhalb dieser neuen Lexeme ist der Beitrag des Halbaffixes zur Semantik nah an der Semantik des Adj., aber nicht unbedingt identisch damit. Augenfällig wird das an 1.: Die Lotion ist hautfreundlich ist eine unauffällige Formulierung, während Die Lotion ist freundlich zur / gegenüber der Haut nicht in jeden Kontext passen würde. Schließlich drückt der Oberbegriff Bildungen im Definiens aus, dass diese neuen Lexeme weder eindeutig Komposita noch eindeutig Ableitungen sind. Sprachhist. lassen sich Halbaffixe als Zwischenstufen auf dem Weg vom Lexem zum Affix beschreiben. Wenn sich das Halbaffix und sein homonymes Lexem semantisch und/oder formal so weit voneinander entfernt haben, dass die Verwandtschaft nicht mehr durchsichtig ist (Leiche,

345 Halbmodus -lich), oder wenn das homonyme Lexem nicht mehr gebräuchlich ist, ist ein Affix daraus geworden (vgl. Nübling/Dammel/Duke/Sczcepaniak 2013: 73–76).

→ Adjektiv; Affix; Halbsuffix ⇀ Halbaffix (Wobi) ⇁ affixoid (CG-Engl)

Franziska Münzberg

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Halbmodale

Verb, das in Verbindung mit der Partikel zu und der Infinitivform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bildet. ▲ semi-modal: verb that, in connection with the particle to and the infinitive of another verb, forms a complex sentence predicate. Das Halbmodale ist ein Modalitätsverb, welches das im Infinitiv stehende Vollverb aus der Subjekt- bzw. der Sprecherperspektive modifiziert. Es bezeichnet Annahmen, Vermutungen, Absichten oder sonstige Kommentare, die entweder aus der Perspektive des Agens in der Funktion des Satzsubjekts geäußert werden oder die der Sprecher bzgl. des durch das Vollverb denotierten Sachverhalts zum Ausdruck bringt. (1) ist ein Beispiel für die agensbezogene Modalität, (2) für die sprecherbezogene Modalität. (1) Die Regierung verspricht in diesem Finanzjahr von Steuererhöhungen abzusehen. (2) Wolfgang scheint das Problem zu begreifen. Zu den Halbmodalen gehören sämtliche Verben, die nicht alleine das Prädikat bilden können, sondern einer Infinitivergänzung mit zu bedürfen, unabhängig von ihrer Semantik, vgl. u.a. pflegen ['gewohnheitsmäßig tun'], drohen, versprechen, scheinen ['wahrscheinlich sein'], beabsichtigen [mit zu + Infinitivergänzung], glauben ['behaupten']. Michaił L. Kotin ≡ Halbmodalverb ↔ Modalverb; Vollverb → haben-zu-Konstruktion; Modalitätsverb; Partikel; Verb → Gram-Syntax: Verbalkomplex

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grund-

riß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Halbmodalverb ≡ Halbmodale

Halbmodus

Verbmodus, der hinsichtlich der anderen Verbkategorien ein unvollständiges Paradigma hat wie der Imperativ, der sich im Deutschen nur nach Numerus flektieren lässt. ▲ verbal mood with defective paradigm: verbal mood that has an incomplete paradigm regarding the other verbal categories, like the imperative, which in German inflects only for number. Der Imperativ ist im Dt. und im Engl. nicht nach der Person spezifiziert. Die Verbform kann sich auch auf eine nicht näher bestimmte Person (einer in (2)) oder auch auf eine Gruppe von Personen (jeder, alle in (4)) beziehen (vgl. Altmann 1993: 1023). (1) Lies! (2) Lies doch einer den Text durch! (3) Lest! (4) Lest alle ruhig weiter! Im Dt. ist der Imperativ jedoch nach Numerus differenziert. Ferner weist der Imperativ kein Tempusmerkmal auf. Hinsichtlich des genus verbi ist er auf das Aktiv festgelegt. In den germ. und roman. Sprachen wird das Fehlen der personal markierten Formen mit Ersatzformen wie Konjunktiv, Optativ, Futur etc. kompensiert. In anderen Sprachen (z.B. Serbisch, Kroatisch, Altgriech., Finn., Ung.) können Imperative mit Einschränkungen auch personal markiert sein, aber auch in diesen Sprachen ist das Imperativparadigma unvollständig. In einigen Sprachen gibt es weitere Halbmodi. Im Ital. wird der Prohibitiv (Modus des Verbots) mit der Negationspartikel non und dem Infinitiv des Vollverbs gebildet. Im Arab. und im Persischen liegen eigene Formen für den sog. Jussiv (zum Ausdruck für Aufforderungen an eine nicht anwesende, dritte Person) vor. Attila Péteri

↔ Vollmodus → Imperativ; Imperativparadigma; Prohibitiv; semifinite Verbform; volitiver Konjunktiv

H

Halbpräfix 346

→ Gram-Syntax: Optativ

🕮 Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Platzlack, C./ Rosengren, I. [1998] On the subject of imperatives. A minimalist account of the imperative clause. In: JCompGermLing 1: 177–224 ◾ Wratil, M. [2005] Die Syntax des Imperativs. Eine strukturelle Analyse zum Westgermanischen und Romanischen (StGram 62). Berlin.

Halbpräfix

Halbaffix, das vorne an eine lexikalische Basis angefügt wird. ▲ prefixoid: affixoid that precedes a lexical base.

H

Als Halbpräfixe – oder auch Präfixoide – werden Wortbildungselemente wie hoch- in (1) oder grund- in (2) bezeichnet. (1) hochanständig, hochradioaktiv, hochintelligent (2) grundanständig, grundgütig, grundschlecht

↔ Halbsuffix → Halbaffix; Präfix ⇀ Halbpräfix (Wobi)

Franziska Münzberg

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Halbpräfix, verbales → Verbpartikel

Halbpräposition

randständige Adposition in Absehung von ihren unterschiedlichen syntaktischen Positionen relativ zum – gegebenenfalls kasusregierten – Komplement. ▲ semi-preposition: peripheral adposition irrespective of its different syntactic positions relative to the – case-governed, if applicable – argument. Bei Halbpräpositionen handelt es sich um Adpositionen, die im Gegensatz zu Kernbereichspräpositionen nicht über alle klassenbildenden morphologischen und syntaktischen Merkmale der Kategorie Adposition verfügen. Im Dt. können (2)–(5) aus unterschiedlichen morphologischen und syntaktischen Gründen im Vergleich zu der Kernbereichspräp. vor in (1) als Halbpräp. eingestuft werden. (1) vor der Tür (2) aufgrund (von) seiner Erkrankung / auf Grund (von) seiner Erkrankung

(3) von Amts wegen (4) ausgenommen landwirtschaftliche Nutztiere / landwirtschaftliche Nutztiere ausgenommen (5) bis zur Dämmerung Die komplexe Präp. in (2) weicht als syntaktisch transparente Wortgruppe von wortförmigen Kernbereichspräpositionen ab. Das gleiche gilt für die Zirkumposition in (3), die sich überdies durch ihre diskontinuierliche Anordnung um das idiosynkratischen Beschränkungen unterworfene Komplement (Blockade von Artikelwörtern und Attributen etc.) von Kernbereichspräpositionen unterscheidet. Die Adposition in (4) ist demgegenüber zwar syntaktisch nicht komplex, kann aber anders als Kernbereichspositionen sowohl prä- als auch postponiert verwendet werden und weist transparente Flexionsmerkmale auf. (5) zeigt mit bis eine Präp., die anders als Kernbereichspräpositionen problemlos mit semantisch verträglichen präpositionalen Komplementen kombiniert werden kann (z.B. bis in die Hauptstadt), bei nominalen Komplementen aber idiosynkratischen Beschränkungen unterliegt (z.B. *bis die Hauptstadt). Halbpräpositionen bilden eine komplexe und heterogene Klasse von Adpositionen, zu der neben kontinuierlich und diskontinuierlich komplexen Präpositionen ((2), (3)) sowie Ambipositionen (4) auch Präpositionen wie bis zählen, die sich distributionell nur z.T. wie Adpositionen verhalten. Jörg Bücker

→ Adposition; Ambiposition; komplexe Präposition; Präposition; sekundäre Präposition

→ Gram-Syntax: Komplement

🕮 Beneš, E. [1974] Präpositionswertige Präpositionalfügungen. In: Engel, U./ Grebe, P. [Hg.] Sprachsystem und Sprachgebrauch. Düsseldorf: 33–52 ◾ Breindl, E. [1989] Präpositionalobjekte und Präpositionalobjektsätze im Deutschen (LA 220). Tübingen ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1979] Syntax und Semantik der denominalen Präpositionen des Deutschen. In: Weydt, H. [Hg.] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 518–527 ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposition. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: https://christianlehmann. eu/publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im

347 Handlungsverb Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Schierholz, S.J. [2001] Präpositionalattribute. Syntaktische und semantische Analysen (LA 447). Tübingen ◾ Wellmann, H. [1985] Aus Anlaß einer Feier. Grammatische Halbelemente im Umfeld der Präpositionen. In: Koller, E./ Moser, H. [Hg.] Studien zur deutschen Grammatik. Innsbruck: 375–393.

Halbsuffix

Wortbildungsmorphem, das mit einem gleich lautenden freien Morphem bedeutungsverwandt ist. ▲ semi-suffix: word formation morpheme which is related in meaning to an identical sounding free morpheme. Ein Halbsuffix ist ein reihenbildendes Suffix mit einer verallgemeinerten Bedeutung zur semantischen Nuancierung von vorhandenen Lexemen (z.B. -werk). (1) Sie kehrt das Laubwerk ['Menge an Laub'] zusammen. (2) Das Mauerwerk ['Menge der Mauern'] muss saniert werden. (3) Sein Lebenswerk ['Menge an Leistungen in seinem Leben'] wurde gewürdigt. Zum Halbsuffix liegt eine homonyme Lexementsprechung vor. (4) Sie arbeitet im Kraftwerk ['Fabrik, die elektrische Kraft produziert']. Das Halbsuffix kann im Gegensatz zu der gleichlautenden freien homonymen Entsprechung seine Affixbedeutung nicht allein realiseren. Wenn in (1) bis (3) das Halbsuffix allein im Satz stehen bleibt, stellt sich die Bedeutung 'Fabrik' ein. ≡ Suffixoid ↔ Halbpräfix → Affix; Morphem; Suffix; Suffixentstehung ⇀ Halbsuffix (Wobi)

Christine Römer

🕮 Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik. 4. Aufl. Hildesheim.

Handlungsform ≡ genus verbi

Handlungsverb

Verb, das eine aktive, meist intentionale und bewusste Handlung bezeichnet. ▲ action verb: verb denoting an active, usually intentional and conscious action. Handlungsverben sind im Zusammenhang mit

der semantischen Klassifizierung der Verben in Handlungs-, Vorgangs- und Zustandsverben zu sehen. Dabei repräsentieren Handlungsverben den Prototyp der Verben. Handlungsverben sind immer dynamisch und implizieren ein Subjekt, das in Aktivsätzen zugleich das Agens des Satzes ist. Die durch das Verb ausgedrückte Handlung richtet sich oft, aber nicht zwangsläufig auf ein Ziel, welches als Objekt des Verbs erscheint (transitiver Satz). Intransitive Handlungsverben sind z.B. laufen, lächeln, schreiten, schnipsen, [absichtlich] husten. Transitive Handlungsverben sind z.B. besuchen, küssen, streichen, schneiden, waschen. Eine weitere Klassifizierung der Verben erfolgt nach der Aktionsart der Telizität: telische Verben enthalten einen inhärenten „Kulminations- oder Endpunkt“ (Duden 2009: 415), atelische Verben hingegen nicht. Manche Beschreibungen unterscheiden terminologisch zwischen Handlungsverben und Tätigkeitsverben und stufen als Handlungsverben nur telische (etwa: aufessen, töten, heilen [transitiv]), als Tätigkeitsverben nur atelische agentive Verben [Aktivitäten] ein (z.B. laufen, suchen, singen, arbeiten). Die semantische Klasse der Handlungsverben ist u.a. ein wichtiger Anhaltspunkt, um die Passivfähigkeit von Verben zu prüfen, denn nur Handlungsverben (bis auf die auf den eigenen Körper gerichteten) lassen sich passivieren ((1), (2)) (vgl. Leiss 1992: 101ff.), nicht aber scheinbar transitive Verben mit einem Akkusativobjekt, die keine Handlung ausdrücken (3). (1) tanzen [Handlungsverb]: Die Menschen tanzen im Saal. (1a) Im Saal wird getanzt. (2) küssen [Handlungsverb]: Romeo küsst Julia. (2a) Julia wird von Romeo geküsst. (3) umfassen [Zustandsverb]: Das Buch umfasst 300 Seiten. (3a) *300 Seiten werden vom Buch umfasst. Die Grenzen zwischen den semantischen Typen sind nicht überall scharf. Bei vielen Verben (u.a. den sog. labilen Verben) existiert eine Handlungsverb- und eine Vorgangsverbvariante; bei Letzteren wird das Perf. oft mit sein gebildet. (4) Die Mutter zerbricht die Tasse (in ihrer Wut). [Handlungsverb] (4a) Die Tasse wurde von der Mutter zerbrochen. [Passivierung des Handlungsverbs] (5) Die Tasse zerbrach. [Vorgangsverb]

H

Haupttempus 348

H

(5a) Die Tasse wurde zerbrochen. [nur aus zerbrechen als Handlungsverb bildbar] Auch bei verschiedenen kontextbedingten Lesarten eines bestimmten Verbs kann die Einordnung unterschiedlich ausfallen: (6) Er atmete ruhig und regelmäßig. [Vorgangsverb] (6a) Er atmete laut durch die Nase, um auf sich aufmerksam zu machen. [Handlungsverb] Manche Vorgangsverben haben ein Handlungsverb als Gegenstück, das das Verursachen des Vorgangs ausdrückt. Diese Verben werden kausative Verben genannt (z.B. zerbrechen zu dem intransitiven Verb zerbrechen, töten zu sterben). Problematisch ist des Weiteren die Einordnung der „Verben der Wahrnehmung, des Wissens und allgemeiner Relationen“, deren Subjekt kein Agens ist, die sich aber syntaktisch z.T. wie Handlungsverben verhalten (Helbig/Buscha 2013: 152; Helbig/Buscha 2013: 61); (7). (7) Julia liebt Romeo. (7a) Romeo wird von Julia geliebt. Bernadett Modrián-Horváth ≡ Tätigkeitsverb ↔ verbum substantivum; Vorgangsverb → atelische Aktionsart; Kausativum; passivfähiges Verb; Passivfähigkeit; telische Aktionsart; Verb; verbum sentiendi; Zustandsverb → Gram-Syntax: Agens ⇀ Handlungsverb (Lexik)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Haupttempus

in einer Sprache oder Varietät am häufigsten verwendetes Tempus. ▲ main tense: tense that is used most frequently in a language or variety. Der Terminus Haupttempus (Pl. Haupttempora) wird nur gelegentlich verwendet. Er findet sich z.B. in älteren Duden-Grammatiken, wo Präs. und Prät. als Haupttempora des Dt. bezeichnet werden, da sie mit einem gemeinsamen Anteil von rund 90 % die am häufigsten verwendeten Tempora in geschriebenen dt. Texten sind (vgl. Duden 1998: 145). Das Präs. kommt dabei i.A. vermehrt

in wissenschaftlicher Lit. und Nachrichtentexten, das Prät. in der Belletristik vor. Die restlichen Tempora werden als Nebentempora bezeichnet. Michael Mann, Klaus Welke

↔ Nebentempus → Präsens; Präteritum; Tempus; Tempussystem

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Hauptverb

Verb, welches im Gegensatz zu anderen Verbtypen, die nur in Verbindung mit funktionalen bzw. lexikalischen Elementen vorkommen, allein das Zentrum der Prädikation darstellt. ▲ main verb: verb which, in contrast to other types of verbs occurring only in conjunction with functional or lexical elements, constitutes the center of the predication. Es besteht keine Einigkeit über die Definition des Terminus Hauptverb. Er gilt i.A. als Synonym für Vollverb, d.h. das Verb, welches „das Prädikat eines Satzes“ bildet (Hentschel/Weydt 2003: 70), (1). (1) Sie hat das Buch schon dreimal gelesen. Ein Hauptverb steht folglich nicht nur Modalverben (2) und Hilfsverben (3) gegenüber, die in der Regel nicht alleine vorkommen können, sondern z.B. auch Kopulaverben (4), die dazu dienen, „zwei Elemente zu verknüpfen, die einander gleichgesetzt oder zugeordnet werden sollen“ (Hentschel/Weydt 2003: 71). (2) Sie muss das Buch noch einmal lesen. (3) Sie hat das Buch schon dreimal gelesen. (4) Sie ist eine begeisterte Leserin. Einige Autoren verstehen die Gruppe der Hauptverben als eine größere Klasse, die auch andere Typen von Verben miteinbezieht. Kürschner (2005: 84) z.B. listet innerhalb dieser Klasse neben den Vollverben auch die Kopulaverben (4) und die Gefügeverben (5) auf. (5) Er hat ihn übers Ohr gehauen. Kürschner (2005: 84) stellt dieser Gruppe von Verben die Klasse der Nebenverben gegenüber, die Modal- und Hilfsverben einschließt. Dennoch wird der Begriff Hauptverb verwendet, um zwischen Verben zu unterscheiden, die mehr oder weniger selbständige Prädikationen bilden können, und Verben, die eine mit Bezug auf andere

349

heimisches Suffix

verbale und nicht-verbale Elemente nebensächliche Funktion haben.

Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

→ Kopulaverb; Modalverb; Verb; Vollverb → Gram-Syntax: Prädikation ⇀ Hauptverb (CG-Dt)

🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kürschner, W. [2005] Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe. 5., durchges. Aufl. Tübingen [etc.].

Hauptwort

≡ Substantiv

Hauptwortart

in der traditionellen Grammatik aus semantischer Sicht eine der wesentlichen Wortarten. ▲ major word class: one of the important word classes in the traditional grammar, seen from a semantic perspective. Die meisten Wortartensysteme leiten die wesentlichen Wortarten mit morphologischen und syntaktischen Merkmalen der Einzelsprache ab. Traditionell wird dies mit der universalistischen Annahme verknüpft, dass die wichtigtsen Wortarten Primärbedeutungen ausdrücken (z.B. Kacnel'son 1974: 214). Im Dt. sind die Hauptwortarten das Verb, das Substantiv und das Adjektiv: „[...] durch die Wortarten wird der Wortschatz in semantische Kategorien, wie Personen oder Dinge (Nomen), Vorgänge, Zustände oder Handlungen (Verben) und Eigenschaften (Adjektive und ein Teil der Adverbien) eingeteilt. Diese Kategorien werden als die Hauptwortarten bezeichnet, sowohl wegen ihrer besonderen Leistung im Satz als auch wegen der großen Anzahl der Wörter, die in diese Klassen gehören.“ (Eichler/Bünting 1996: 46)

→ Adjektiv; Substantiv; Verb; Wortart → Gram-Syntax: traditionelle Grammatik

Christine Römer

🕮 Eichler, W./ Bünting, K.-D. [1996] Deutsche Grammatik. Form, Leistung und Gebrauch der Gegenwartssprache. 6. Aufl. Weinheim ◾ Kacnel’son, S.D. [1948/1974] Sprachtypologie und Sprachdenken (RSprG 5). Berlin.

Hebungsverb ≡ raising verb

Heckenausdruck

adverbiale oder adjektivische Wendung bei kate-

gorisierenden Aussagen, die die Kategorisierung relativiert oder kommentiert und ihre Gültigkeit dadurch absichert. ▲ hedge: adverbial or adjectival expression which modifies words, making a phrase ambiguous and relativizing a given category. Die dt. Bezeichnung ist dem engl. hedges, von to hedge [dt. sich (nach allen Seiten) sichern], nachgebildet. Heckenausdrücke sind eine kommunikative Strategie, durch die der Sprecher seine Kategorisierung absichert, indem er diese einschränkt, abschwächt oder relativiert. Heckenausdrücke deuten an, in welchem Maße das Kategorisierte in einer bestimmten Kultur prototypisch oder peripher ist. Aus der Sicht eines Europäers gelten z.B. folgende Kategorisierungen : (1) Die Taube ist ein Vogel par excellence. (2) Der Pinguin ist eine Art Vogel. Die Aussage in (1) gilt prototypisch in der Kategorie Vogel, während (2) als peripher in der Kategorie Vogel gilt. (3) Man denkt, dass der typische Ungar gerne scharf isst. Heckenausdrücke erfüllen unterschiedliche Funktionen bei der Modifizierung der Kategorisierung: Sie präzisieren (streng genommen, genau, eigentlich, im engeren Sinne), sie schwächen die Kategorisierung ab, indem sie scharfe Grenzen aufheben (eine Art, sozusagen, ungefähr, grob gesagt, streng genommen, im weiteren Sinne, lose gesprochen), sie modifizieren (sehr, ziemlich, zu) oder quantifizieren (eindeutig, in jeder Hinsicht) die Aussage. Anna Molnár

→ Adjektiv; Adverb → Gram-Syntax: Kategorisierung; Proposition; Prototyp ⇀ Heckenausdruck (Lexik)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Lakoff, G. [1972] Hedges. A Study in Meaning Criteria and the Logic of Fuzzy Concepts. In: Peranteau, P./ Levi, J./ Phares, G. [eds.] Papers from the Eighth Regional Meeting of the Chicago Linguistic Society. Chicago, IL: 183–228 ◾ Lakoff, G. [1973] Hedges and Meaning Criteria. In: McDavid, R.I./ Duckert, A.R. [eds.] Lex­ icography in English. New York, NY: 144–153 ◾ Markkanen, R./ Schröder, H. [eds. 1997] Hedging and Discourse. Berlin [etc.].

heimisches Suffix

Suffix, das der jeweiligen Einzelsprache in Schreibung und Lautung völlig angepasst ist. ▲ native suffix: suffix that is fully adapted to the

H

Herkunftsadjektiv 350 respective individual language in spelling and phonetics.

H

Heimische Suffixe sind entweder schon seit der Entstehung der jeweiligen Schriftsprache existent oder von einem Erbwort abgeleitet. So wurde das ahd. Verb beran 'tragen' zum Ausgangspunkt für das Suffix -bar. Die ererbten heimischen Suffixe der dt. Sprache sind aus dem Idg. und Germ. überliefert. Im Laufe der Sprachentwicklung ändern sich die Häufigkeit der Verwendung und auch die Bedeutung der Suffixe. So ist das Nominalsuffix -mo (Qual-m, Sau-m, Zau-m), das an Verbalwurzeln getreten ist, heute nicht mehr als solches erkennbar.

↔ Fremdsuffix → Affix; Suffix

Christine Römer

🕮 Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2006] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. Tübingen ◾ Pfeifer, W. et al. [1989] Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Berlin.

Herkunftsadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die die Herkunft einer Person oder Sache angeben. ▲ origin adjective: semantically defined subclass of adjectives which describe where a person or object comes from. Herkunftsadjektive sind Ausdrücke wie spanisch, norwegisch, Frankfurter, Nürnberger. Es handelt sich entweder um deonymische Derivate wie französisch, norwegisch, schwäbisch oder um deonymische Konvertate wie Berliner (Berliner Bevölkerung), Frankfurter (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Schweizer (Schweizer Käse). Die Konversionsprodukte werden wie die substantivischen Basen groß geschrieben. Weitere Besonderheiten der Konversionsprodukte sind die Unflektierbarkeit und die Beschränkung auf den attributiven Gebrauch (1). (1) Und weil das hungrig macht, werden echte Oktoberfest-Spezialitäten gereicht: Weißwurst mit Laugenbaguette, Nürnberger Bratwürste mit süß-saurem Kraut, […]. (Hamburger Morgenpost, 16.09.2008: 20–29) Jussara Paranhos Zitterbart

→ Konversion; Pseudoadjektiv; qualifizierendes Adjektiv; relationales Adjektiv

🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durch-

ges. Aufl. München ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Hilfsverb

Verb mit schwacher lexikalischer Bedeutung, das in mehrteiligen Prädikaten der Träger von bestimmten grammatischen Kategorien ist, wie Person, Numerus, Tempus, genus verbi, Modus/Modalität oder Aspekt/Aktionsart. ▲ auxiliary verb: verb with a weak lexical meaning that expresses typically verbal grammatical categories in complex predicates like those of person, number, tense, voice, mood/modality or aspect/ aktionsart. Der Terminus Hilfsverb wird oft synonym zu Auxiliar gebraucht, da Auxiliare meistens – so auch im Dt. – Verben sind; in einigen Fällen ist hingegen ihre Wortartzugehörigkeit umstritten (z.B. hinsichtlich der engl. modalen Auxiliare, die nicht flektiert werden können (Anderson 2000)). Neben den als prototypisch geltenden finiten Verwendungen finden sich auch häufig Verkettungen von Hilfsverben, von denen in einem Teilsatz jeweils nur eines in finiter Form stehen kann (1). (1) weil der Brief gerade von Hans geschrieben worden sein wird. In der germanistischen Fachlit. werden zumeist sein, haben, werden als Hilfsverben betrachtet, da sie an der periphrastischen Paradigmenbildung der Tempora (2) und des genus verbi (3) beteiligt sind (Zifonun et al. 1997; Duden 2006; Engel 1988). Diese können als Hilfsverben i.e.S. gelten. (2) Er kam spät. [Prät. als einfache Tempusform] (2a) Er ist/war spät gekommen. [Perf. und Plq. perf. als periphrastische Tempusformen] (3) Sie schätzt ihre Mitarbeiterinnen. [Aktiv als einfache Genusform] (3a) Sie wird von ihren Mitarbeiterinnen geschätzt. [Vorgangspassiv als periphrastische Genusform] Andere Grammatiken zählen die analytisch realisierten Träger weiterer, typischerweise verbal realisierter Kategorien zu den Hilfsverben, so die Kopulae (Eroms 2000), die Numerus und Pers. (4), oder die Modalverben (Sommerfeldt/Hackel/ Starke 1998), die Modalität ausdrücken (5). Bei letzteren können paradigmatische Beziehungen zu den Verbmodi beobachtet werden (5b). Eine

351 aspektuale Komponente können sowohl modale Hilfsverben (Modalverben) als auch Modalitätsverben zum Prädikat hinzufügen (6). Als hilfsverbähnlich werden bei Helbig/Buscha (1996) auch die Phasenverben betrachtet, die die Aktionsart eines Ereignisses spezifizieren (7). (4) Er ist/war Lehrer. (4a) Er lehrt/lehrte. (5) Er kommt. [ohne Modalisierung] (5a) Er will kommen. [Wille – volitive Modalität] (5b) Er soll kommen. / Er komme. (6) Es will regnen. (6a) Das Haus drohte einzustürzen. (7) Sie fängt an zu weinen. [anfangen markiert den Beginn des Ereignisses] Zifonun et al. (1997) fassen die Hilfsverben haben, sein und werden und die Modalverben können, müssen, sollen, wollen, dürfen, mögen/möchte sowie (nicht) brauchen in der Kategorie „verbaler Infinitoperator (Infinitverb)“ zusammen. Verbale Infinitoperatoren bilden mit infiniten Vollverben und eventuell weiteren infiniten Formen einen Verbalkomplex. Hinsichtlich der Einordnung der Nicht-Vollverben (neben den zentralen Hilfsverben: Kopulae, Modalverben sowie peripher Modalitätsverben, Funktionsverben (tun, lassen) als Hilfsverben sind ihre spezifischen morphologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften ausschlaggebend. Diese Verben zeigen oft morphologische Unregelmäßigkeiten bis hin zur Suppletion (8). Syntaktisch gesehen regieren sie infinite Vollverben (Partizip Perf., reinen Infinitiv bzw. die Modalitätsverben den zu-Infinitiv) und haben keinen eigenen Valenzrahmen (9). Semantisch zeichnen sie sich durch eine stark abgeschwächte lexikalische Eigenbedeutung aus (10). (8) ich komme, er kommt vs. ich mag, er mag (8a) bin, ist, sein; werde, wirst, wird (9) Sie bat ihn/*ihm um/*für Hilfe. (9a) Sie wollte ihn/*ihm um/*für Hilfe bitten. (10) Arbeiten tun sie wenig. Jedoch sind Hilfsverben immer das Ergebnis von Grammatikalisierungsprozessen. Somit entwickelt sich ihr Gebrauch als Hilfsverb graduell aus dem Vollverbgebrauch (11). Dies führt zu unterschiedlich stark grammatikalischen Stadien und Verwendungen von Verben (Diewald 1997). (11) Sie hat eine Katze. (11a) Sie hat zu arbeiten. (11b) Sie hat gearbeitet.

historisches Präsens Zu dem peripheren Bestand der Hilfsverben gehören somit nicht vollständig grammatikalisierte Verben, die in vielen Grammatiken aufgeführt werden: bekommen, erhalten, kriegen als Passivhilfsverben für das sog. Dativpassiv, gehören als Passivhilfsverb mit modaler Komponente, sowie brauchen als Übergang zwischen den Modalverben und den Modalitätsverben. Bernadett Modrián-Horváth

↔ Vollverb → § 16; Auxiliar; Infinitverb; Kopulaverb; Modalitätsverb; Modalverb; Verbalkategorie

→ Gram-Syntax: Grammatikalisierung; Prädikat; Verbalkomplex; Verbalperiphrase

⇀ Hilfsverb (HistSprw; CG-Dt) ⇁ auxiliary verb (CG-Engl)

🕮 Anderson, J.M. [2000] Auxiliary. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 808–820 ◾ Diewald, G. [1997] Grammatikalisierung. Eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen. Tübingen ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1988] Deutsche Grammatik. Heidelberg ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Sommerfeldt, K.-E./ Starke, G./ Hackel, W. [1998] Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3., neu bearb. Aufl. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Hilfsverb, modales → modales Hilfsverb

Hilfszeitwort ≡ Auxiliar

hinweisendes Fürwort

≡ Demonstrativpronomen

hinweisendes Pronomen ≡ Demonstrativpronomen

historisches Präsens

Verwendung des Präsens zum Ausdruck der Vergangenheit. ▲ historical present: present tense referring to a state or event in the past. Ein historisches Präsens liegt vor, wenn die Ereigniszeit des vom Verb ausgedrückten Geschehens vor der Sprechzeit liegt und das Geschehen aus der Perspektive der/des Sprechenden faktisch

H

Honorativ 352

H

(nur noch) der Vergangenheit zugeordnet werden kann. In dieser Funktion kann das historische Präsens zumeist das Prät. ersetzen: (1) Im Jahr 955 schlägt/schlug Otto I. die Ungarn bei Augsburg. Diese Vergangenheitsbedeutung des Präs. kann allerdings nur zu Stande kommen, wenn ein entsprechender Kontext vorhanden ist, zumindest aber – wie in (1) – eine entsprechende Temporalangabe im Satz steht, niemals aber isoliert und kontextlos: (2) Ich trinke bei Elisabeth einen Kaffee. [≠ Ich trank bei Elisabeth einen Kaffee.] Ohne entsprechenden Kontext ist das historische Präsens oft sogar in den Sätzen unmöglich, in denen eine Temporalangabe vorhanden ist, die das vom Verb ausgedrückte Geschehen zeitlich eindeutig in der Vergangenheit lokalisiert: (3) *Ich trinke gestern einen Kaffee. In manchen Darstellungen wird innerhalb des historischen Präsens je nach stilistischer Funktion weiter zwischen epischem Präsens mit weniger bzw. keinem Vergegenwärtigungseffekt und szenischem (narrativem) Präs. mit einem deutlicheren solchen Effekt unterschieden. Péter Maitz ≡ praesens historicum ↔ aktuelles Präsens; futurisches Präsens; generelles Präsens → episches Präsens; Präsens; Präteritum; szenisches Präsens; Tempus; Tempuswechsel ⇀ historisches Präsens (CG-Dt) ⇁ historical present (CG-Engl)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Honorativ

lexikalisches und/oder morphosyntaktisches Verfahren zur Kodierung einer Respekt-Haltung gegenüber einem Sprechakt-Teilnehmer und NichtSprechakt-Teilnehmer. ▲ honorific: lexical and morphosyntactic means of encoding the mode of respect concerning a nonspeech-act participant and a speech-act participant. In vielen Sprachen werden soziale Hierarchien spezifisch ausgedrückt. Formal reichen die Ver-

fahren von lexikalischen Ersatzformen besonders der singularischen Personalpronomina (vgl. dt. du > Sie, in der Regel mit der Parallelität 'Plural = Honorativ' verbunden) über morphosyntaktisch als Honorativa markierte Konstruktionen (vgl. Passiv-Gebot bei 2. Pers. in ObjektFunktion im Lummi (Salish)), Verstecken der 2. Pers. im Portemanteaumorphem im Dakota (vgl. čhi- statt *ni-wa- 'dich-ich') bis hin zu nahezu vollständigem Sprachersatz (vgl. Kromo/Madya-Stil des Java). Zugrunde liegen tabuistische Aspekte des Zugangs zu sozial höher gestellten Personen. Einige Sprachen verfügen über gestufte Systeme des Honorativs, etwa Koreanisch oder Jap. Umgekehrte Honorativa liegen vor, wenn der Sprecher sich selbst als sozial tieferstehend markiert, etwa Persisch bande ['Diener' = 'ich']. Wolfgang Schulze

→ Portmanteaumorphem; Pronomen; Wortform → Gram-Syntax: Höflichkeitsform ⇀ Honorativ (Wobi) ⇁ honorific (Typol)

🕮 Haase, M. [1994] Respekt. Die Grammatikalisierung von Höflichkeit. München [etc.] ◾ Simon, H.J. [2003] Für eine grammatische Kategorie 'Respekt' im Deutschen. Synchronie, Diachronie und Typologie der deutschen Anredepronomina. Tübingen.

Horizontrelativ

Relativpronomen, das nach Genus, Numerus und Kasus unbestimmt ist und einen Nebensatz einleitet. ▲ horizon relative pronoun: relative pronoun was which is unspecified for gender, number and case and which introduces a clause.

Es handelt sich bei dem Horizontrelativ um das Relativpron. was, welches sich auf den Horizont „alles Mögliche“ bezieht. Unter Horizont, einem Konzept von Weinrich (1993: 25f.), wird etwas Unauffälliges, ein Minimum an Informationen, verstanden. Aus syntaktischer Perspektive leitet das Horizontrelativ Sätze ein, die auf ein Bezugselement wie alles oder nichts bezogen werden. (1) Alles, was produziert wird, schafft Abfall. (2) Wir dürfen nichts, was die Umwelt belastet, den nächsten Generationen aufbürden. Mit dem Horizontrelativ werden die sog. freien Relativsätze der traditionellen Grammatik eingeleitet, deren Hauptcharakteristikum ein fehlendes Bezugselement ist. (3) Was mich nährt, zerstört mich. Im Matrixsatz kann der mit Horizontrelativ ein-

353 Hypothesenindikator geleitete Nebensatz durch das wiederaufgenommen werden. (4) Was Gott tut, das ist wohlgetan. Nach Weinrich (1993: 775) steht ein Horizontrelativ auch in sog. weiterführenden Nebensätzen, die sich auf einen oder mehrere Sätze beziehen. (5) Es war ein Erfolg, was mich nicht wundert. Die Form was kann nach sächlichem Superlativ wie in (6) mit das ersetzt werden. (6) Du bist das Beste, was/das mir je passiert ist. Das Horizontrelativ kann mit auch und/oder mit immer vorkommen und zu einer Wortgruppe was auch immer ausgebaut werden. (7) Was auch immer du tust, tue es weise und bedenke das Ende. Es wird in generalisierenden Aussagen verwendet, die prägnant und kurz sind. Als syntaktische Konstruktionen vom Typ was …, (das) … dienen sie der Verallgemeinerung in der Werbung, in religiösen Texten, als Titel in der Presse, in Sprichwörtern und Sentenzen.

→ Genus; Kasus; Numerus; Relativpronomen → Gram-Syntax: freier Relativsatz; Nebensatz

Janusz Taborek

🕮 Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Hortativ

≡ Adhortativ

Hypothese, lokalistische → lokalistische Hypothese

Hypothesenindikator

Subklasse von Modalwörtern, mit denen ein Sprecher erkennen lässt, in welchem Maße er einen geäußerten Sachverhalt für wahr hält. ▲ hypothesis indicator; assumption indicator: subclass of modal expressions used by a speaker to mark to what degree they think an uttered proposition is true. Die mit einem Hypothesenindikator ausgedrückte Einstellung des Sprechers zu einem ausgedrückten Sachverhalt kann sich beziehen auf: (a) eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit (bestimmt, gewiss, sicher), (b) eine leichte Unsicherheit (vermutlich, wahrscheinlich) oder (c) eine starke Unsicherheit (möglicherweise, vielleicht). Hypothesenindikatoren stehen zusammen mit den Gewissheits- und Distanzindikatoren im Zentrum der Modalwörter.

→ Distanzindikator; Modalwort

Marijana Kresić

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

H

I ideales Pluralsuffix

Suffix, das nach Ansicht der Sprachbenutzer am besten zur Pluralmarkierung geeignet ist. ▲ ideal plural suffix: suffix which in the opinion of the language users is the best for plural marking. Obwohl im Dt. kein exklusives Suffix für die Signalisierung der Pluralfunktion existiert, wird im Rahmen einer kognitiven Morphologie von Köpcke (1993) keine gleich starke Pluralmarkierung bei den wesentlichen Pluralmarkern (Artikelform die, die Pluralsuffixe -e, -(e)n, -er, -s, -∅ und Umlaut) angenommen, da diese Marker eine unterschiedliche „Signalstärke“ der perzeptiven Faktoren (akustische Prominenz, Segmentierbarkeit, Frequenz, Stellung am Wortende, Kontrast, ikonischer Status etc.) aufweisen. Weil der umgelautete Stammvokal (wie bei Mütter) weder segmentierbar ist, noch sich am Wortende befindet, ist er kein idealer Pluralmarker. Dagegen wird in dem Suffix -(e)n der Pluralmarker mit besonders großer Validität und mit der höchsten Signalstärke gesehen, u.a. deshalb, „weil es nur relativ wenige nominale Einträge gibt, die im Singular schon auf -(e)n auslauten“ (Köpcke 1993: 85).

→ Plural; Suffix

Christine Römer

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Köpcke, K.-M. [1993] Schemata bei der Pluralbildung im Deutschen: Versuch einer kognitiven Morphologie (StDG 47). Tübingen ◾ Neef, M. [1998] The Reduced Syllable Plural in German. In: Fabri, R./ Ortmann, A./ Parodi, T. [eds. 1998] Models of Inflection (LA 388). Tübingen: 244–265.

ikonisches Zeichen

Zeichen, das mit dem von ihm bezeichneten Objekt eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit aufweist. ▲ iconic sign; icon: sign that refers to an object or

state of affairs by virtue of an inherent similarity between them. In der Geschichte der (Sprach-)Philosophie, Semiotik und Sprw. wurde verschiedentlich, u.a. von Plato und Humboldt, darauf hingewiesen, dass Zeichen Merkmale besitzen können, die mit Eigenschaften der von ihnen bezeichneten Objekten übereinstimmen. Für solche Zeichen hat Ch. S. Peirce den Terminus icon geprägt (die Ähnlichkeitsbeziehung heißt auf Engl. similarity, resemblance oder likeness). Peirce unterscheidet das Ikon als reine Eigenschaft oder Qualität eines Objekts (und allenfalls potenzielles Zeichen) vom „ikonischen Zeichen“, das er auch „Hypoicon“ nennt (Peirce CP 2.276 [1903]; s. Nöth 2000: 193– 198). Heute spricht man in der Sprw. von Ikonizität [engl. iconicity, der Terminus stammt von Ch. Morris], wenn man die immer nur graduell bestimmbaren ikonischen Eigenschaften von Sprachzeichen meint. Die lebhafte Diskussion unter Semiotikern im letzten Viertel des 20. Jhs., ob es ikonische Zeichen überhaupt geben kann oder alle Zeichen nicht vielmehr konventionell sind, ist zugunsten der Ikonizität entschieden; Ikonizität schließt die Arbitrarität von Sprachzeichen aber keineswegs aus, sondern setzt sie vielmehr voraus. Ikone bilden mit den Symbolen und Indices die drei Zeichenkategorien, die Peirce im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Zeichen und ihren Objekten unterscheidet. Die Grundlage für diese Zeichenkategorien bildet Peirce’ Lehre der Universalkategorien Erstheit (das Vorhandensein einer Qualität, eines Merkmals), Zweitheit (die Existenz einer Beziehung zwischen zwei Phänomenen) und Drittheit (die auf Interpretation angewiesene Realisierung einer Gewohnheit oder

illokutive Partikel 356

IJ

Regel). Ein ikonisches Zeichen beruht danach auf der Kategorie der Erstheit. Peirce (CP 2.277 [1903]) unterscheidet drei Typen von ikonischen Zeichen: Bilder, Diagramme und Metaphern. Metaphorische Ikonizität erklärt er unter Bezug auf das traditionelle Konzept des Parallelismus. Unter bildhafte Ikonizität fallen außer Onomatopoetika auch Ideophone und Phonästheme. Die wichtigste Art von Ikonizität in der Sprache stellen die diversen Formen diagrammatischer Ikonizität dar, wobei die Ähnlichkeitsbeziehung relationaler Art ist, ohne dass die Komponenten des Diagramms mit ihren Referenten übereinstimmen (Jakobson 1965/1971; Haiman 1994). Einige Beispiele: Wortfolge als Diagramm der Abfolge der entsprechenden Handlungen, z.B. lat. veni, vidi, vici; der Abstand zwischen Wörtern: im Gegensatz zu x killed y z.B. lässt x caused y to die die Möglichkeit einer nur indirekten Beteiligung am Tod von y offen; in einem Satz wie Wenn du hungrig bist, auf dem Tisch liegt eine Banane sind die beiden Teilsätze nicht zu einer semantischen Einheit integriert und im Hauptsatz tritt entsprechend keine Inversion auf (vgl. Wenn du hungrig bist, kannst du eine Banane haben). Auch sprachliche Elaboration als Zeichen sozialer Distanz, ungeeignete Intonation (z.B. bei Sarkasmus), die Intonation bei Zitaten (z.B. I don’t like ‘I’ in essays) usw. sind Beispiele von Ikonizität. Die mit ikonischen Zeichen einhergehende Motiviertheit von Sprachzeichen wird in vielerlei Form in literarischen Texten ausgenutzt (Nänny/Fischer 2005). Die Gebärdensprache schließlich ist aufgrund ihres visuell-räumlichen Realisierungsmodus generell ikonischer als die Lautsprache. Klaas Willems

↔ symbolisches Zeichen → indexikalisches Zeichen; Isomorphie; Sprachzeichen; Zeichen

⇀ ikonisches Zeichen (Lexik; CG-Dt; SemPrag)

🕮 Haiman, J. [1994] Iconicity. In: Asher, R./ Simpson, J. [eds.] The Encyclopedia of Language and Linguistics. Vol. 3. Oxford: 1629–

1633 ◾ Jakobson, R. [1965] Quest for the essence of language. In: Diogenes 51: 21–37 ◾ Nänny, M./ Fischer, O. [2005] Iconicity. Literary Texts. In: Brown, K. [ed.] The Encyclopedia of Language

and Linguistics. 2nd ed. Vol. 5. Amsterdam [etc.]: 462–472 ◾

Nöth, W. [2000] Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Peirce, C.S. [1931–1958] Collected Papers. 8 Vols. Cambridge, MA.

illokutive Partikel

≡ Abtönungspartikel

Imperativ

Moduskategorie des Verbs, die den Vollzug eines Direktivs anzeigt. ▲ imperative: verbal mood that indicates the performance of a directive. Der Imperativ konstituiert als modale Flexionskategorie des Verbs innerhalb eines spezifischen Sprecher-Adressaten-Verhältnisses eine direktive Relation zu einer zukünftigen Handlung oder Verhaltensweise. Der imperativische Modus ist insofern der deontischen bzw. i.e.S. der sprecherorientierten Modalität zuzuordnen. Durch seine Verwendung gibt der Sprecher seinem Adressaten zu verstehen, dass er ihm die prospektive Verwirklichung eines als möglich oder notwendig empfundenen Sachverhalts auferlegt oder vorschlägt. Die sprecherbasierte Gelingensbedingung variiert abhängig von der deontischen Stärke der imperativischen Verwendung. Während der zu realisierende Zustand oder Aktionsverlauf bei Befehlen (1), Forderungen, Verboten, Bitten und Gesuchen im Interesse des Sprechers liegt, ist er bei Erlaubnissen (2), Empfehlungen, Ermunterungen, Ratschlägen und Warnungen vor allem für den Adressaten notwendig oder erstrebenswert. In sog. konditionalen Imperativen (3) verliert die imperativische Moduskategorie ihren Direktivstatus. Sie bringt dort in Kombination mit einem koordinierten Indikativsatz eine potentielle Folgebeziehung zum Ausdruck, welche durch ein Konditionalgefüge paraphrasiert werden kann. (1) Putz dir gefälligst die Nase! (2) Komm ruhig vorbei! (3) Unterhalt dich mal eine Stunde mit Hansi, und du wirst sehen, wie quälend Langeweile sein kann. Imperativierbar sind sämtliche lexikalische Verben, die ein syntaktisches Argumentsubjekt erlauben. Nicht imperativierbar sind hingegen alle impersonalen Verben (4) und – außer in konditionalen Imperativen – alle Modalverben, die innerhalb der epistemischen oder deontischen Domäne eine ausschließlich modale Funktion übernehmen (5). (4) *Fehle an Motivation!

357 Imperfekt (5) *Soll ein begnadeter Tänzer sein! In den ide. Sprachen ist der Imperativ innerhalb des Verbalflexivs oftmals nicht durch einen eigenständigen Marker morphologisch repräsentiert und gestattet oder fordert im Gegensatz zu anderen verbalen Moduskodierungen die Auslassung des syntaktischen Subjekts (6). Speziell in den modernen germ. und roman. Sprachen nimmt das imperativierte Verb die satzinitiale Position des kanonischen Imperativsatzes ein (6). (6) Bleib (du) lieber zu Hause! Melani Wratil ≡ Befehlsform ↔ Indikativ → § 16; Imperativparadigma; konditionaler Imperativ; Modus; Verbmodus → Gram-Syntax: Modalität ⇀ Imperativ (CG-Dt; Sprachphil; HistSprw) ⇁ imperative (CG-Engl; Typol)

🕮 Auwera, J. van der et al. [2005] A Semantic Map for Impera­ tive-Hortatives. In: Willems, D. et al. [eds.] Points of Comparison in Linguistics. From Morphology to Discourse. Basingstoke: 417–436 ◾ Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Portner, P. [2004] The Semantics of Imperatives within a Theory of Clause Types. In: Watanabe, K./ Young, R.B. [eds.] Proceedings of Semantics and Linguistic Theory 14. Ithaca, NY ◾ Wratil, M. [2005] Die Syntax des Imperativs. Eine strukturelle Analyse zum Westgermanischen und Romanischen (StGram 62). Berlin ◾ Wurff, W. von der [ed. 2001] Imperative Clauses in Generative Grammar. Amsterdam.

Imperativ, konditionaler → konditionaler Imperativ

Imperativparadigma

Menge aller imperativischen Konjugationsformen eines verbalen Lexems. ▲ imperative paradigm: set of imperative forms of a verbal lexeme. Die Menge der Flexionsformen, die im imperativischen Modus gebildet werden, ist in vielen Sprachen sehr klein. Das Imperativparadigma wird daher oftmals als defizitär bezeichnet. Es verfügt im ide. Sprachraum oftmals nur über eine einzige Form, welche, falls der imperativische Modus in der betreffenden Einzelsprache morphologisch unrepräsentiert bleibt, dem reinen Verbstamm bzw. dem reinen Verbstamm in Kombination mit dem dazugehörigen Themavokal entspricht. In einigen ide. Sprachen ist das Imperativparadigma durch die morphologische Spezifikation weiterer

Verbalkategorien, wie der Subjekt-Numerus-Kongruenz (1), des Aspekts oder des Verbalgenus, erweitert, wobei – wie etwa im Dt. – auch die Bildung entsprechender analytischer Formen möglich ist ((2), (3)). (1) Komm![Sg.] / Kommt![Pl.] (2) Hab das gefälligst bis morgen erledigt! (3) Werde erst einmal zum Vorstandsvorsitzenden ernannt! Da der imperativische Modus gemäß seiner modalen Funktion innerhalb eines Sprecher-Adressaten-Verhältnisses eine direktive Relation zu einer zukünftigen Handlung oder Verhaltensweise herstellt und somit bereits Nachzeitigkeit und Adressatenbezug indiziert, bleiben zusätzliche flexionsmorphologische Spezifikationen des Tempus und der Subjekt-Personen-Kongruenz grundsätzlich ausgeschlossen. In einigen grammatischen Beschreibungen werden dennoch auch morphologisch markierte Formen der 1. Pers. Pl., sog. Adhortative, und morphologisch markierte Formen der 3. Pers., sog. Jussive, dem Imperativparadigma zugeordnet. Gegen eine derartige Kategorisierung spricht, dass diese Formen nicht die für den Imperativ charakteristische Relation zwischen der Sprecherperson und dem von dieser mit einer Direktive zu versehenden Adressaten herstellen und dass sie, anders als die kanonischen Imperative der 2. Pers., morphologisch sehr häufig auf benachbarte modale Paradigmen – oftmals auf den Konjunktiv, Subjunktiv oder Optativ – zurückgehen oder aber ein unabhängiges Paradigma ausbilden. Melani Wratil

→ Adhortativ; Imperativ; Konjugation; Konjunktiv; Modus; optativer Konjunktiv; Paradigma; volitiver Konjunktiv

🕮 Auwera, J. van der et al. [2003] The Morphological Impera­ tive. / The Prohibitive. / Imperative-Hortative Systems. In: Haspelmath, M./ Dryer, M.S./ Gil, D./ Comrie, B. et al. [eds.] The World Atlas of Language Structures. Oxford: 286–297 ◾ Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Wratil, M. [2005] Die Syntax des Imperativs. Eine strukturelle Analyse zum Westgermanischen und Romanischen (StGram 62). Berlin.

Imperfekt

ältere Bezeichnung für Präteritum. ▲ imperfect: older term for past tense. Der Terminus stammt aus der griech. und lat. Grammatik und zielt auf die temporalen Verhält-

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imperfektive Aktionsart 358

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nisse in älteren ide. Sprachzuständen. Dort waren die entsprechenden Verbformen noch in einem weit stärkeren Maße als in den heutigen germ. Sprachen Aspekte. Auch im Tempussystem des heutigen Dt. gibt es aspektuale Momente. Daher ist der Terminus Imperfekt nicht völlig falsch, wie gelegentlich behauptet wird, der Terminus Präteritum ist aber neutraler. Ihm steht mit Perfekt ein Terminus gegenüber, der das Aspektuale betont, was den Eindruck erzeugt, dass das Prät. frei von aspektualen Zusätzen sei. Aber auch das Perf. (Präsensperf.) ist zunächst und primär ein Tempus mit der Bedeutung 'Vergangenheit'. Auch zu ihm passt daher eher der neutrale Terminus Präteritum. Stellt man Perf. und Prät. in den Verwendungen und Kontexten, in denen eine Opposition vorliegt, einander gegenüber, z.B. als besprechende vs. erzählende Vergangenheitsformen (vgl. Weinrich 1994), dann stehen sich zwei Vergangenheitstempora gegenüber, die sich durch ihre aspektual-perfektiven und aspektual-imperfektiven Züge unterscheiden. Die aspektualen Züge resultieren aus den sekundären Evaluationszeiten (Betrachtzeiten) der beiden Tempora. Diesen entsprechen Konnotationen. Auf der einen Seite steht das Präsensperf. mit seiner sekundären Evaluationszeit, die sich mit der primären Evaluationszeit (Sprechzeit) überlappt, und den daraus resultierenden aspektualen Perfekt-Effekten: Gegenwartsrelevanz, Außenperspektive, Ganzheitlichkeit und Abgeschlossenheit (Resultathaftigkeit). Auf der anderen Seite steht das Prät. mit seiner sekundären Evaluationszeit, die sich mit der vergangenen Situationszeit überlappt, und mit seinen Imperfekt-Effekten: Vergangenheitsrelevanz, Innenperspektive, Geschehen in seinem Verlauf, Unabgeschlossenheit.

→ Perfekt; Präsensperfekt; Präteritum; Tempus ⇀ Imperfekt (HistSprw; SemPrag) ⇁ imperfect (Typol)

Klaus Welke

🕮 Rubenbauer, H./ Hofmann, J.B./ Heine, R. [1995] Lateinische Grammatik. 12., neubearb. Aufl. Bamberg [etc.] ◾ Weinrich, H. [1994] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

imperfektive Aktionsart

Aktionsart von Verben, in denen keine Informationen über die Begrenzung der Handlung vorhanden sind.

▲ imperfective aktionsart: verbal lexical aspect that does not encode any information about the temporal boundary of the action.

Im Dt. ist es in der Anfangsphase der Forschung zur Gleichstellung des slaw. Aspekts mit der imperfektiven und perfektiven Aktionsart gekommen. Grimm (1837) und Streitberg (1896) waren die ersten, die diese Termini verwendet haben. Ende des 19. Jhs. ist dies nicht verwunderlich, zumal es auch in der Slawistik keine Abgrenzung zwischen dem Aspekt und den Aktionsarten gegeben hat. Andersson (1972: 69–182) liefert eine genaue und kritische Besprechung zur Forschungsgeschichte in diesem Bereich und unterscheidet zwischen den grenzbezogenen, nicht grenzbezogenen und neutralen Verben. Er verwendet diese unbelasteten Termini, um der Verwechslung oder falschen Assoziation mit dem Aspekt im Slaw. vorzubeugen. Zu den lexematisch nichtgrenzbezogenen Verben, also der imperfektiven Aktionsart gehören u.a.: (1) abhängen, arbeiten, bestehen, besitzen, blühen, bluten, haben „Es gibt in der Semantik dieser Verben keine Grenze, der die Handlung zustrebt. [...] Für die lexematisch neutralen Verben ist charakteristisch, dass in der isolierten Infinitivform kein deutliches Inhaltsmerkmal Grenze vorhanden ist […].“ (Andersson 1972: 34). Erst im längeren Kontext (wenigstens Subjekt + eine weitere Ergänzung) werden sie zu grenzbezogenen (perfektiven) Verben (2). (2) lesen – das Buch lesen; bauen – ein Haus bauen; kochen – die Suppe kochen; schreiben – einen Brief schreiben; tanzen – durchs Zimmer tanzen; schwimmen – zum Ufer schwimmen (u.a.) Also sind diese Verben in intransitiver Verwendung imperfektiv, aber mit einem Akkusativobjekt (effizierten Objekt) oder Adverbial (insbesondere bei Bewegungsverben) perfektiv. In Helbig/ Buscha (2001: 62) wird eine Klasse der durativen (imperfektiven) Verben unterschieden; sie „bezeichnen den reinen Ablauf oder Verlauf des Geschehens, ohne dass etwas über Begrenzung und Abstufung, über Anfang und Ende des Geschehens ausgesagt ist: arbeiten, blühen, essen, laufen, schlafen“. Die Verben essen und laufen gehören in der Terminologie von Andersson (1972)

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indefiniter Artikel

zu den neutralen, weil sie in Verbindung mit dem (zählbaren) Akkusativobjekt oder Adverbial in die perfektive Aktionsart überführt werden (3). Mit unzählbaren Akkusativobjekten werden sie jedoch imperfektiv (4). (3) das Brot / ein Brötchen essen; nach Hause laufen (4) Brot/Brötchen essen; Wein trinken In der Fachlit. und in Grammatiken wurden und werden z.T. für imperfektiv folgende Termini verwendet: durativ, kursiv, aterminativ. In den neueren Studien und einigen Grammatiken wird der Terminus atelisch verwendet (vgl. Duden 2016: 416f.), in der englischsprachigen Fachlit. fast ausschließlich atelic. Andrzej Kątny

→ Aktionsart; atelische Aktionsart; kursives Verb; perfektive Aktionsart; telische Aktionsart

→ Gram-Syntax: Aspekt; imperfektiver Aspekt

🕮 Andersson, S.-G. [1972] Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. Uppsala ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Grimm, J. [1818–1837] Deutsche Grammatik. 4 Bde. Göttingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Streitberg, W. [1896/1974] Urgermanische Grammatik. 4., unveränd. Aufl. Heidelberg ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

Impersonale

≡ unpersönliches Verb

implikatives Verb ≡ faktives Verb

inchoative Aktionsart

Phasenaktionsart, die den allmählichen Übergang in einen anderen Vorgang oder Zustand akzentuiert. ▲ inchoative aktionsart: phasal aktionsart describing the gradual transition to a different process or state. Die inchoative [ˈɪnkoatiːvə] Aktionsart betont den Beginn eines Vorgangs (erblühen) oder des Übergangs in einen anderen Zustand (erröten). Der Terminus inchoative Aktionsart wird gelegentlich auch synonym für ingressive Aktionsart verwendet (Buẞmann 1985). Im Dt., wie in anderen Sprachen auch, kann die inchoative Aktionsart

mit Präfixen und Partikeln wie ein- (einschlafen, einpflanzen), er- (erblühen, erblicken, erkranken), los- (losfahren, loslaufen) oder weg- (weggehen, wegfahren) von vorgangsbezeichnenden Verben abgeleitet werden. Adjektive bilden oft den Ausgangspunkt (grün → grünen [in der Bedeutung 'grün werden'], alt → altern). Syntaktische Konstruktionen mit werden bringen auch die inchoative Bedeutungskomponente ein (es wird dunkel → es dunkelt) (Lohde 2006: 285). Christine Römer

→ ingressiv; ingressives Verb; Phasenaktionsart; Phasenverb → Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Buẞmann, F.J. [1985] Aktionsart, Aspekt und Zeitkonstitution. In: Schwarze, C./ Wunderlich, D. [Hg.] Handbuch der Lexikologie. Königstein/Taunus: 229–249 ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen ◾ Storch, G. [1978] Semantische Untersuchungen zu den inchoativen Verben im Deutschen (SchLing 9). Braunschweig.

Indefinitadverb

Adverb, das die Unbestimmtheit oder Beliebigkeit des Ortes, Zeitpunkts oder der Art und Weise ausdrückt. ▲ indefinite adverb: adverb which expresses an indefinite place, point of time or way of doing things. Die Unbestimmtheit wird (wie bei Indefinitpronomina mit irgendwer, irgeneiner etc.) bei den Indefinitadverbien durch das Kompositionsglied irgend- ausgedrückt, z.B. irgendwo, irgendwann, irgendwie. (1) Er kehrt irgendwann im nächsten Jahr zurück. (2) Er wohnt irgendwo in der Nähe. (3) Du musst es irgendwie schaffen. Irgend- hat die gleiche Funktion wie engl. any- in anywhere, anytime, anyhow. Entsprechende verneinende Adverbien sind nirgends, nirgendwo, nirgendwohin, nirgendwoher. (4) Nirgends/Nirgendwo/Nirgendwann wird es einen besseren Fußballspieler geben. ≡ unbestimmtes Adverb → Adverb; Indefinitpronomen

Kjell-Åke Forsgren

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

indefiniter Artikel

Artikel, der in Verbindung mit einem Nominalausdruck vorkommt, um zu signalisieren, dass sich

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indefinites Determinativ 360 Letzterer nicht auf ein vorher bereits identifiziertes Objekt bezieht. ▲ indefinite article: article that appears in conjunction with a nominal expression to signal that that expression does not refer to a previously identified object.

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Indefinite Artikel sind die Singularformen ein, eine (und deren flektierte Formen) im Dt. oder a(n) im Engl. In einigen Sprachen sind auch indefinite Pluralartikel zu finden, wie etwa unos, unas im Span. In vielen anderen Sprachen gibt es keine indefiniten Artikel, entweder, weil sie überhaupt keine Artikel besitzen (z.B. Lat.), oder, weil sie nur definite Ausdrücke morphologisch markieren (z.B. das Walisische). Während eine durch einen definiten Artikel (z.B. der, die, das) eingeleitete NP ein im Diskurs identifiziertes Objekt bestimmt (1), signalisiert der indefinite Artikel, dass das Objekt noch nicht im Diskurs erwähnt oder identifiziert wurde (2), oder aber als generisch zu betrachten ist (3). (1) Der Mann wurde vom Auto angefahren. (2) Ein Mann wurde vom Auto angefahren. (3) Ein Delfin kann bis zu acht Meter lang sein.

Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ unbestimmter Artikel ↔ definiter Artikel → Artikel; indefinites Determinativ; Indefinitpronomen; Indefinitum → Gram-Syntax: generische Interpretation ⇁ indefinite article (Typol)

🕮 Auwera, J. van der [ed. 1980] The Semantics of Determiners. London ◾ Vater, H. [Hg. 1986] Zur Syntax der Determinantien (StDG 31). Tübingen.

indefinites Determinativ

Sammelbezeichnung für Artikel und Pronomina, die Unbestimmtheit oder Unbekanntheit ausdrücken. ▲ indefinite determinative: collective term for articles and pronouns with an indefinite meaning that expresses indeterminacy or unknownness. Das zentrale Mittel der indefiniten Determination ist der indefinite Artikel ein. Ein wählt ein beliebiges Objekt aus der Menge von gleichartigen Individuen aus. Er zeigt an, dass der Referent der NP neu im Diskurs ist (1) oder die Einzigkeit des Referenten nicht gegeben ist (2). (1) Ich habe einen Passanteni angesprochen. Ein*i Mann / deri Mann ist erschrocken. (2) *Eine/Die Sonne ist aufgegangen.

In (1) führt die indefinite NP einen Passanten einen neuen Diskursreferenten ein, der im nächsten Satz durch die definite NP der Mann anaphorisch aufgenommen wird. Mit der indefiniten NP ein Mann im zweiten Satz kann der im ersten Satz eingeführte Referent nicht anaphorisch wiederaufgenommen werden. Satz (2) mit dem indefiniten Artikel ist merkwürdig, da man im normalen Sprachgebrauch davon ausgeht, dass es nur eine Sonne gibt, d.h., der Referent ist einzig. Ein schließt jedoch die Einzigkeit nicht aus (3). (3) Eine Frau mit dem Namen Gertrud Braun hat angerufen. Der indefinite Artikel kann auch bei generischer Referenz (4) und bei prädikativ verwendeten Nomina vorkommen (5), die nicht-referenziell sind. Der indefinite Artikel wird weggelassen, wenn die Zugehörigkeit zu einer sozial etablierten Gruppe wie z.B. einer Berufsgruppe angegeben wird (5a) (Geist 2014). Zur Verwendung des indefiniten Artikels mit Eigennamen s. von Heusinger (2010). (4) Ein Gentleman öffnet den Damen die Türen. (5) Laura ist eine erfahrene Architektin. (5a) Laura ist Architektin (von Beruf). NPn mit einem indefiniten Artikel können eine spezifische (referentielle) oder eine nicht-spezifische (nicht-referentielle) Interpretation haben, die in (6) durch zwei verschiedene Fortsetzungen angedeutet wird (für weitere Arten der Spezifizität s. von Heusinger 2011). (6) Ich werde ihr ein Buch schenken. (6a) Ich habe es bei der Leipziger Messe gekauft. [Fortsetzung bei spezifischer Lesart] (6b) Ich weiß noch nicht, welches. [Fortsetzung bei nicht-spezifischer Lesart] Als spezifisch wird eine NP dann interpretiert, wenn sie auf ein bereits existierendes Objekt bezogen wird, das der Sprecher, aber nicht der Hörer identifizieren kann. Bei nicht-spezifischer Lesart liegt kein identifizierbarer Referent vor. Es wird angenommen, dass der indefinite Artikel im Dt. wie in vielen anderen Sprachen aus dem Zahlwort entstanden ist und zunächst nur die spezifische Interpretation hatte, bevor er im Laufe der diachronen Entwicklung eine nicht-spezifische Interpretation erhielt (u.a. Szczepaniak 2016). Petrova (2015) weist diese Annahme für das Dt. zurück und zeigt, dass beide Lesarten bereits im Ahd. koexistieren. Zu indefiniten Determinativen gehören weite-

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indefinites Zahladjektiv

re determinierende Elemente, die zusammen mit einem Nomen eine NP mit einer indefiniten Interpretation bilden. Dazu zählt das indefinite Negativpron. kein, Zahlwörter wie zwei, quantifizierende Ausdrücke wie jeder, viele, einige, mehrere, wenige, komplexe indefinite Determinative mit ein wie irgendein, ein gewisser, ein bestimmter, so’n und das indefinite Demonstrativ dieser. Einige komplexe indefinite Determinative unterscheiden sich darin, ob und welche Quelle sie für die identifizierenden Informationen über den Referenten der NP festlegen. So nehmen Ebert et al. (2013) in der Analyse von ein gewisser und ein bestimmter an, dass beide komplexen Determinative die Informationen darüber kodieren, dass ein salienter Aktant den Referenten des Indefinitums identifizieren kann und somit als Quelle für die identifizierenden Informationen dient. Bei ein gewisser muss dieser Aktant mit dem Sprecher identisch sein, während ein bestimmter die Informationsquelle nicht spezifiziert. Da irgend- das Nichtwissen des Sprechers bzgl. der Identität des Referenten signalisiert, kann dieses Pron. zwar mit bestimmt, aber nicht mit gewiss kombiniert werden (irgendein bestimmter vs. *irgendein gewisser; Aloni/Port 2015). Deichsel/von Heusinger (2011) zeigen, dass das indefinite Demonstrativ dieser die Diskursprominenz des Referenten erhöht, da damit markierte NPn im folgenden Diskurs häufiger wieder aufgenommen werden. Ljudmila Geist

→ Determinans (1); Determinativ; Determinativum; Indefinitpronomen; Indefinitum; Individuativum

→ Gram-Syntax: generische Interpretation

🕮 Aloni, M./ Port, A. [2015] Epistemic indefinites and meth­ ods of identification. In: Alonso-Ovalle, L./ Menéndez-Benito, P. [eds.] Epistemic Indefinites: Exploring Modality Beyond the Verbal Domain. Oxford: 117–140 ◾ Deichsel, A./ Heusinger, K. von [2011] The cataphoric potential of indefinites in German. In: Hendrickx, I./ Lalitha Devi, S./ Branco, A./ Mitkov, R. [eds.] Anaph­ora and reference resolution. 8th Discourse Anaphora and Anaphor Resolution Colloquium. Berlin [etc]: 144–156 ◾ Geist, L. [2014] Bare predicate nominals in German. In: Vese­ lovská, L./ Janebová, M. [eds.] Complex Visibles Out There. Proceedings of the Olomouc Linguistics Colloquium 2014: Language Use and Linguistic Structure. Olomouc: 83–106 ◾ Geist, L. [2019] Predication over aspects of human individuals. In: Ling 57/6: 1305–1336 ◾ Heusinger, K. von [2010] Zur Grammatik indefiniter Eigennamen. In: ZGL 38/2: 88–120 ◾ Heusinger, K. von [2011] Specificity. In: Heusinger, K. von/ Maienborn, C./ Portner, P. [eds.] Semantics (HSK 33.2). Berlin: 1025–1058 ◾ ­Petrova, S. [2015] Synchronic variation and diachronic change in the expression of indefinite reference: Evidence from historical

German. In: ZfS 34: 213–246 ◾ Szczepaniak, R. [2016] Vom Zahlwort eins zum Indefinitartikel ein(e). Rekonstruktion des Grammatikalisierungsverlaufs im Alt- und Mittelhochdeutschen. In: Bittner, A./ Köpcke, K.-M. [Hg.] Regularität und Irregularität in Phonologie und Morphologie. Diachron, kontrastiv, typologisch (LinHistGram 13). Berlin [etc.]: 247–261.

indefinites Distributivpronomen

Pronomen, das sich auf ein beliebiges, nicht-identifizierbares Element aus einer Menge bezieht. ▲ indefinite distributive pronoun: pronoun that refers to any non-identifiable item of a set. Zu den indefiniten Distributivpronomina gehören im Dt. irgendjemand, irgendetwas, irgendein, irgendwelche, jeder, jeder beliebige, welcher auch immer, wer auch immer. Gewöhnlich werden sie als Indefinitpronomina klassifiziert. (1) Wen soll ich fragen? – Irgendjemanden. Ein indefinites Pron. bezieht sich auf eine vorgegebene Menge von Objekten, aus der nur eine Teilmenge – meistens lediglich ein Element – ausgewählt ist. (2) Besuche mich doch einmal. Du kannst jeden Tag kommen. Jeden als indefinites Distributivpron. bezieht sich auf eine Menge (jeder Tag), aus der ein beliebiger Tag (einmal) ausgewählt wird. Den indefiniten Distributivpronomina stehen definite Distributivpronomina (jeder, jeglicher) und Kollektivpronomina (alle, sämtliche) gegenüber. Die beiden letztgenannten Gruppen beziehen sich auf alle Elemente einer vorgegebenen Menge. Janusz Taborek

↔ definites Distributivpronomen → Indefinitpronomen; Indefinitum; Pronomen

🕮 Autorenk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin.

indefinites Pronomen ≡ Indefinitpronomen

indefinites Zahladjektiv

unbestimmtes Zahlwort, welches der Wortart Adjektiv zugeordnet wird. ▲ indefinite numeral adjective: undefined numeral which is classified as belonging to the word class adjective. Indefinite Zahladjektive werden neben Kardinalia, Ordinalia, Bruchzahlen, Einteilungszahlen, Gattungszahlen, Kollektivzahlen, Vervielfälti-

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Indefinitnumerale 362

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gungszahlen und Wiederholungszahlen (Hentschel/Weydt 2013: 234f.) unter dem semantischen Begriff Zahlwort bzw. Numerale nach funktionalen Kriterien eingeordnet. Die Zuordnung zu grammatischen Wortarten führt zu Bezeichnungen wie Zahladjektiv, Zahlpronomen, Zahlsubstantiv, Zahladverb. Im Hinblick auf Morphologie und Syntax verhalten sich Numeralia meist auch innerhalb ein und derselben Sprache nicht einheitlich. Bei den traditionell als Zahlwort aufgefassten Ordinalzahlen und Indefinita ist der adjektivische oder pronominale Charakter dominant. Deshalb konstituiert das Zahlwort, ähnlich wie das Farb­ adj., in den meisten Grammatiken keine eigene Wortart oder wird je nach Funktion sortiert (­Eroms 2000: 31). Morphologisch und syntaktisch verhalten sich die unbestimmten Zahladjektive oft wie Adjektive; in semantischer Hinsicht entsprechen sie den Indefinitpronomina. Die meisten unbestimmten Zahladjektive haben zusätzlich spezielle syntaktisch-morphologische Merkmale und können in flektierbare (1) und unflektierbare (2), komparierbare (3) und nicht komparierbare (2), attributive oder prädikative ((4), (5)), im Sg. (2) oder im Pl. (6) stehende sowie aufgrund ihrer Verwendung mit oder ohne bestimmtem Artikel, unbestimmtem Artikel oder Nullartikel unterteilt werden (Helbig/Buscha 2001: 303f.). (1) Wenig(e) Äpfel mit viel(em) Saft eignen sich zum Pressen. (2) Etwas Koriander ist besser als ein bisschen Kreuzkümmel. (3) Die wenigsten Äpfel sind reif. (4) Das einzelne Haus ist verlassen. – Das Haus ist einzeln. (5) Das andere Haus ist bewohnt. – *Das Haus ist ander. (6) Sie verschenkt sämtliche Stifte an wenige Kinder. Die schriftliche Wiedergabe der indefiniten Zahladjektive erfolgt in Buchstaben, während andere Numeralia z.T. in Ziffern angegeben werden können (Helbig/Buscha 2001: 291). Zahlwortsysteme orientieren sich nicht immer am Dezimalsystem. Im Dt. basieren einige Ausdrücke auf einem duodezimalen System (z.B. Dutzend, Schock, Gros), im Frz. können Zahlwortsysteme auf einem Vigesimalsystem beruhen.

Manche Wörter (z.B. einzeln, viel, etwas, bisschen) werden gelegentlich statt als Indefinitpronomina als unbestimmtes Zahlwort oder Indefinitnumeralia unter die Numeralia eingeordnet. „Zu diesen gehören auch mit Indefinitpronomen gebildete Wiederholungs-, Vervielfältigungs- und Gattungszahlen wie mehrmalig, manchmal, mehrfach, allemal, allerlei, keinerlei, mancherlei“ (Hentschel/Weydt 2013: 237). Als unbestimmte Zahladjektive werden auch einige Ableitungen auf -lei verstanden (7). Es handelt sich bei diesen um unbestimmte Gattungszahlen, die wie die bestimmten Gattungszahlen nicht flektierbar sind und in der Regel mit Nullartikel stehen (Helbig/Buscha 2001: 304). (7) Allerlei Kräuter eignen sich für vielerlei Hausmittel und heilen mancherlei Krankheiten. Das Wort kein ist nach Eroms (2000: 263) ein Spezifikum des Dt. und Niederl. Es lässt sich statt als indefinites Zahladj. als „negierter Quantifikator“, „indefiniter Nominalnegator“ oder „negativer Indefinitartikel“ auffassen. Die Zahladjektive kommen wie andere Adjektive als substantivisch gebrauchte Adjektive vor, vgl. (8) (Helbig/Buscha 2001: 291). (8) Viele sind noch nicht reif. Maria Schädler ≡ unbestimmtes Zahladjektiv ↔ bestimmtes Zahladjektiv → bestimmtes Zahlwort; Gattungszahlwort; Indefinitpronomen; Multiplikativum; Numerale; Ordinalzahlwort

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Indefinitnumerale

≡ unbestimmtes Zahlwort

Indefinitpronomen

Pronomen, das sich auf Entitäten bezieht, die im Hinblick auf eine oder einige ihrer Eigenschaften unbestimmt sind. ▲ indefinite pronoun: pronoun that refers to entities that are undetermined with respect to one or more of their properties. Durch die Verwendung von Indefinitpronomina (wie etwa man, alle) kann man sich auf eine Enti-

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indexikalisches Zeichen

tät beziehen, ohne deren sämtliche Eigenschaften zu bestimmen, z.B. deren Menge (wie etwa bei einige, viele). (1) Ich habe hundert Menschen gesehen. Einige waren komisch gekleidet. Neben einer pronominalen Verwendung können manche Indefinitpronomina (wie etwa einige) auch als Artikelwörter bzw. Quantoren verwendet werden. (2) Einige Menschen waren komisch gekleidet. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ indefinites Pronomen; unbestimmtes Fürwort; unbestimmtes Pronomen → abstraktes Pronomen; Determinativpronomen; Indefinitadverb; indefinites Distributivpronomen; Indefinitum; Negationspronomen

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fobbe, E. [2004] Die Indefinitpronomina des Deutschen. Heidelberg ◾ Haspelmath, M. [1997] Indefinite Pronouns. Oxford.

Indefinitpronomen, quantifizierendes → quantifizierendes Indefinitpronomen

Indefinitum

Sammelbezeichnung für Artikelwörter und Pronomina, die etwas Unbestimmtes ausdrücken. ▲ indefinite pronoun: collective name for pronouns with an indefinite meaning that express something vague. Die indefiniten Artikel (ein, eine) und Indefinitpronomina (z.B. man, frau, etwas, einige, mehrere, wenige) geben an, dass etwas nicht näher identifizierbar ist bzw. nicht näher bestimmt werden soll. Z.T. übernehmen Indefinita auch eine quantifizierende Funktion (alle Artikel). Im Dt. sind die Indefinitpronomina eine relativ große Gruppe mit morphologisch und syntaktisch heterogenem Verhalten. Der Übergang zwischen Indefinitiva und unbestimmten Numeralia (Adjektive) ist fließend. Mittels der Artikelprobe können sie unterschieden werden (Gallmann/Sitta 1997: 67). In (1) liegt ein Zahladj. vor, weil ein Artikel vorangestellt werden kann, in (2) ein Indefinitum. (1) viele Bücher → die vielen Bücher (2) manche Bücher → *die manchen Bücher Christine Römer

→ Artikel; indefiniter Artikel; Indefinitpronomen; Numerale; Pronomen

🕮 Fobbe, E. [2004] Die Indefinitpronomina des Deutschen. Heidelberg ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1997] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Haspelmath, M. [1997] Indefinite Pronouns. Oxford ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

indexikalisches Zeichen

Zeichen, das zu dem von ihm bezeichneten Objekt in einer unmittelbaren realen Beziehung steht. ▲ indexical sign; index: sign that refers to an object or state of affairs by virtue of a real, direct connection between them. In der Geschichte der (Sprach-)Philosophie, Semiotik und Sprw. gibt es verschiedene Termini, mit denen man indexikalische Zeichen oder damit vergleichbare Zeichenphänomene benannt hat, u.a. Anzeichen (E. Husserl), Symptom, Indicium (K. Bühler) und Index (vgl. auch schon das signum naturale bei Augustinus). Je nach Autor können die Bedeutungen dieser Termini schwanken. Der in der modernen Zeichendiskussion gebräuchlichste Terminus, Index, wurde von Ch. S. Peirce eingeführt. Die Indices bilden zusammen mit den Symbolen und Ikonen die drei allgemeinen Zeichenkategorien, die Peirce im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Zeichen und ihren Objekten unterscheidet. Die Grundlage für die Definition dieser Zeichenkategorien bildet Peirce’ Lehre der Universalkategorien Erstheit (das Vorhandensein einer Qualität, eines Merkmals), Zweitheit (die Existenz einer Beziehung zwischen zwei Phänomenen) und Drittheit (die auf Interpretation angewiesene Realisierung einer Gewohnheit oder Regel). Ein Index ist danach ein Phänomen der Zweitheit. Zur Kategorie der Indices gehört eine große Gruppe von Zeichenphänomenen, die sowohl natürlicher als auch kultureller Art sein können (Nöth 2000: 185–192). Nach Peirce ist es unmöglich, „to instance an absolutely pure index, or to find any sign absolutely devoid of the indexical quality“ (CP 2.306 [1901]). Grundsätzlich lässt sich mit Peirce (CP 2.283–284 [1903] und 2.305 [1901]) eine Unterscheidung treffen zwischen „genuinen“ Indices, die auf einer natürlichen Kausalitätsbeziehung zwischen einem Zeichen und einem Objekt beruhen (z.B. zeigt ein Wetterhahn an, aus welcher Richtung

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Indikativ 364

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der Wind weht), und Indices, die eine Schöpfung des Geistes sind. Zu den Letzteren zählt Peirce u.a. die Relativpronomina in der Sprache, weil sie sich nicht unmittelbar, sondern über den symbolischen Code der Sprache auf Referenten beziehen. Deiktisch verwendete Personal- und Demonstrativpronomina (z.B. Du da!, Dieses Gemälde [stammt von Monet]) betrachtet Peirce als genuine Indices, sofern sie unmittelbar situationsbezogen sind (vgl. die Theorie der „Zeigwörter“ in Bühler 1934: 79–148). Ling. betrachtet setzen alle Sprachzeichen, somit auch die Pronomina, allerdings ein arbiträres (symbolisches) Verhältnis zwischen ihrem Ausdruck und ihrer Bedeutung voraus, was u.a. die Unterschiede in materieller und funktioneller Hinsicht zwischen Sprachen belegen. Das bedeutet, dass Index und indexikalisches Zeichen nicht zusammenfallen und dass Indexikalität in der Sprache, egal ob situationsbezogener Art (u.a. Eigennamen, Personal- und Demonstrativpronomina sowie spezifisch referenzielle, insbesondere performative Äußerungen wie Hallo!) oder intratextueller Art (koreferenzielle, d.h. anaphorische und kataphorische, Sprachelemente), per definitionem von symbolischen Zeichen abhängt: In der Sprache setzen indexikalische Zeichen Bedeutungen voraus, die immer schon als symbolisch gedacht werden müssen. Klaas Willems

↔ symbolisches Zeichen → deiktisches Element; ikonisches Zeichen; Sprachzeichen; Zeichen

⇀ indexikalisches Zeichen (Lexik; SemPrag; CG-Dt)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Nöth, W. [2000] Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Peirce, C.S. [1931–1958] Collected Papers. 8 Vols. Cambridge, MA ◾ Short, T. L. [2004] The development of Peirce’s theory of signs. In: Misak, C. [ed.] The Cambridge Companion to Peirce. Cambridge: 214–240.

Indikativ

morphologische Verbalform, die einen Sachverhalt als wirklich bzw. faktisch aus der Sprecherperspektive darstellt. ▲ indicative: morphological verb form presenting a state or an action as true or real from the speaker's point of view. Der Indikativ ist der direkte Modus, der im Dt. im dreiteiligen System der Modusformen den in-

direkten Modi Imperativ (Anweisungsform) und Konjunktiv (Wunsch- bzw. Irrealisform) gegenübersteht. Ein Satz, dessen Prädikat in der Indikativform steht, bezeichnet reale bzw. als real dargestellte Handlungen, Vorgänge, Ereignisse, Zustände etc. ((1)–(3)). Auch Ausrufe- und Fragesätze mit indikativischen Prädikaten sind aus der Sprecherperspektive als faktisch einzuordnen ((4)–(6)). (1) Der Kellner bringt uns die Speisekarte. (2) Peter schläft. (3) Sabine ist verreist. (4) Schläft er immer noch? (5) Wo ist Sabine? (6) Das ist aber fein! Eine Sondergruppe der Aussagen mit indikativischen Prädikaten bilden Sätze, die nicht Fakten, sondern Vermutungen bzw. Annahmen verschiedener Art ausdrücken. Dies kann sowohl dank einer spezifischen Intonation als auch durch Verwendung von Modalpartikeln, Modaladverbien, epistemisch verwendeten Modal- bzw. Modalitätsverben o.Ä. geschehen ((7)–(10)). (7) Peter schläft wohl immer noch. (8) Er ist gar nicht da. (9) Sie muss/soll/kann/wird zu Hause sein. (10) Er scheint krank zu sein. Derartigen Sätzen kommt kein Faktizitätswert zu, obwohl ihre Prädikate in der Indikativform stehen. Sie gehören daher trotz der indikativischen Ausdrucksform funktional zum Feld der indirekten Modalität. Der Indikativstamm der Verben ist hist. gesehen ihre ursprüngliche Form, d.h., alle indirekten Modusformen (u.a. Optativ, Irrealis, Konjunktiv, Subjunktiv, Imperativ) werden in den Sprachen, die über die Moduskategorie verfügen, sekundär von dem Stamm des Indikativs abgeleitet. Das Indikativparadigma des Dt. hat sechs Tempus- und zwei bis drei (abhängig von der Zuordnung des sog. Zustandspassivs) Genusformen. So liegen z.B. für die 3. Pers. Sg. des Verbs öffnen 16 Formen vor: öffnet, öffnete, hat/hatte geöffnet, wird öffnen, wird geöffnet haben, wird geöffnet, wurde geöffnet, ist/ war geöffnet worden, wird geöffnet werden, wird geöffnet worden sein, ist/war geöffnet, ist/war geöffnet gewesen. Für drei Personformen und zwei Numeri kommt man somit auf 96 Indikativformen. Hinzu kommen der Infinitiv und die Partizipien I und II, die ebenfalls von dem Indikativstamm gebildet werden.

365 Individuativum Die Indikativ-Flexion lässt sich in zwei Gruppen der Personalendungen einteilen. Zu der ersten Gruppe gehören sog. Primärendungen, da sie hist. gesehen die ursprünglichen sind. Die Primärendungen sind für die Präsensformen des Indikativs charakteristisch und entsprechen aus hist. Sicht den Endungen des idg. Präs. Im Dt. sind die Primärendungen – jeweils nach der entsprechenden Person Sg. und Pl.: -e, -(e)st, -(e)t, -(e)n, -(e)t, -(e)n: leide/spiele, leidest/spielst, leidet/spielt, leiden/spielen, leidet/spielt, leiden/spielen. Die sog. Sekundärendungen, die die zweite Gruppe bilden, sind für die Präteritalformen des Indikativs kennzeichnend und gehen auf die Flexion des idg. Perfektums zurück: -∅, -(e)st (sekundär aus der Primärendung des Präs. entlehnt), -∅, -(e)n, -(e)t, -(e)n: litt/spielte, littest/spieltest, litt/spielte, litten/ spielten, littet/spieltet, litten/spielten. Die Verben, die zu der Klasse der Präteritopräsentia gehören, haben auch im Präs. Indikativ Sg. Sekundärendungen (kann, kannst, kann). Da der Indikativ der direkte und somit merkmallose Verbmodus ist, ist seine terminologische Bezeichnung vor allem ein Indiz dafür, dass das jeweilige Verb nicht in der Imperativ- bzw. Konjunktivform (d.h. nicht in einem der indirekten und somit merkmalhaften Modi) steht. Michaił L. Kotin ≡ Wirklichkeitsform ↔ Imperativ; Konditional; Konjunktiv → § 16; Modus; Verb; Verbmodus; Verbparadigma → Gram-Syntax: Irrealis; Optativ; Sachverhalt ⇀ Indikativ (CG-Dt) ⇁ indicative (CG-Engl; Typol)

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Boor, H. de/ Wisniewski, R. [1978] Mittelhochdeutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Brinkmann, H. [1971] Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. 2. Aufl. Düsseldorf ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Prokosch, E. [1939] A comparative Germanic grammar. Philadelphia, PA ◾ Ramat, P. [1981] Einführung in das Germanische. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

indirekter Kasus

≡ Präpositionalkasus

Individuativum

Nomen, das Einzeldinge bezeichnet und pluralisierbar ist. ▲ count noun: noun that denotes singleton objects and can be pluralized. Individuativa sind Nomina wie Apfel, Kind, Hörbuch. Im Unterschied zu Kontinuativa wie Musik oder Geld können ihnen Zahlwörter unmittelbar vorangestellt werden. (1) zwei Äpfel/Kinder/Hörspiele [Individuativum] (2) *zwei Musiken/Gelder [Kontinuativum] Folgende Eigenschaften werden für Individuativa als konstitutiv angesehen: Im Unterschied zu Massennomina können Individuativa in den Plural gesetzt werden (3), können mit einem indefiniten Artikel bzw. dem Zahlwort ein vorkommen (4) und sind nicht mit quantifizierenden Ausdrücken wie viel/wenig kombinierbar (5). In Argumentpositionen können Individuativa nicht ohne Determinierer stehen (6). (3) Sie haben sich Hörbücher angehört. (3a) *Sie haben sich Musiken angehört. (4) Sie haben sich ein Hörbuch angehört. (4a) *Sie haben sich eine Musik angehört. (5) *Sie haben sich viel Hörbücher angehört. (5a) Sie haben sich viel Musik angehört. (6) *Sie haben sich Hörbuch angehört. (6a) Sie haben sich Musik angehört. Manche Nomina sind nicht auf eine Interpretation festgelegt, sondern können in bestimmten syntaktischen Kontexten als Individuativum und in anderen als Kontinuativum verwendet werden. Im Dt. gehören Nomina wie Holz oder Kuchen dazu. So kann z.B. Holz in der individuativen Lesart einen Plural bilden (7). In der kontinuativen Verwendung kann Holz sich mit viel verbinden (8) und in der Argumentposition ohne Determinierer stehen (9). (7) Sie brauchen zwei Hölzer. [Individuativum] (8) Sie brauchen viel Holz. [Kontinuativum] (9) Sie brauchen Holz. [Kontinuativum] Individuativa verfügen über das Merkmal der Abgegrenztheit bzw. der Diskretheit (Krifka 1991: 406), das sich bei Objektbezeichnungen in der räumlichen Gestalt, und bei Ereignisbezeichnungen in der zeitlichen Begrenztheit niederschlägt. Individuativa können neben einer Individuenlesart oder konkreten Lesart in einigen Kontexten

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Inessiv 366

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auch eine generische Lesart haben. Dabei können sie eine Unterart (10) oder einen typischen Vertreter der Art (11) bezeichnen. (10) Für dieses Rezept verwendet man am besten einen Apfel, der leicht säuerlich ist, zum Beispiel Boskop. (Löbel 2009: 266) (11) Ein Gentleman öffnet den Damen die Türen. Nicht jede Sprache hat Individuativa. So sind z.B. im Chin. alle Nomina Kontinuativa. Um ein Nomen im Chin. mit einem Numerale zu verbinden, muss ein sog. Klassifikator eingesetzt werden (12). Das Nomen wird dadurch ‚zählbar‘ im Sinne von ‚kombinierbar mit Zahlen‘ gemacht. (12) san zhi bi [dreiKlassifikator Stift; 'drei Stifte'] Nach dem radikalen Vorschlag von Borer (2005: 88) sind zählbare Nomina in germ. Sprachen auch keine Individuativa, sondern als Kontinuativa wie im Chin. zu analysieren. Erst durch die Pluralmarkierung werden aus Kontinuativa zählbare Nomina abgeleitet. Somit hat die Pluralmarkierung die Rolle eines Klassifikators. Ljudmila Geist

↔ Kontinuativum → Kollektivum; Massennomen; Nomen; Substantiv ⇀ Individuativum (SemPrag) ⇁ count noun (CG-Engl; Typol)

🕮 Borer, H. [2005] In name only, Structuring sense. Vol I. Oxford ◾ Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Krifka, M. [1989] Nominalreferenz und Zeitkonstitution. Zur Semantik von Massentermen, Pluraltermen und Aspektklassen (StTheoLing 10). München ◾ Krifka, M. [1991] Massennomina. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 399–418 ◾ Krifka, M. et al. [1995] Genericity. An Introduction. In: Carlson, G.N./ Pelletier, F.J. [eds.] The Generic Book. Chicago, IL [etc.]: 1–124 ◾ Löbel, E. [2009] Numerus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 260–270.

Inessiv

Adverbialkasus, der grundsätzlich ein räumliches Enthaltensein ausdrückt, der aber auch vielfach in grammatikalisierten Verwendungen vorzufinden ist. ▲ inessive: adverbial case basically expressing a relation of containment but often appearing in more grammaticalized uses. Der Kasus Inessiv umfasst ein Bündel verschiedener formaler und funktionaler Eigenschaften. Formalgrammatisch bezieht er sich auf einen grammatischen Marker (meist ein Suffix) oder eine dadurch gekennzeichnete Relation, die inhaltlich über die prototypische Bedeutung 'Enthaltensein' verfügt, z.B. im Ung. (1).

(1) ház-ban ['Haus-INESS'; 'im Haus'] Der Inessiv als Affix ist ein relationales Zeichen, welches das Verhältnis einer Größe (in Langackers Terminologie: trajector; hier markiert durch das Affix) relativ zu einer anderen Entität (landmark, repräsentiert durch das kasustragende Nomen) schematisch ausdrückt. Das Verhältnis ist im prototypischen Fall das (lokale) Enthaltensein, das aber auch in metaphorischen Übertragungen vorkommt. Die elementare lokale Beziehung ergibt sich aus der Kombination einer Dreiteilung der Ortsverhältnisse in Ursprung, Position und Endpunkt (source, location, destination) mit einer relativen Positionierung bzgl. des Orientierungsgegenstandes nach IN-, ON- und AT-Verhältnissen (invasives, berührendes oder Nähe-Verhältnis; vgl. Creissels 2009: 616). In diesem Raster entspricht der Inessiv einer Position bzgl. des IN-Verhältnisses, so dass er funktionsäquivalent mit der dt. Konstruktion in + Dativ ist. Trotz seiner funktionalen Ähnlichkeit zu den Adpositionalphrasen anderer Sprachen bildet ein Nomen im Inessiv eine NP, was entsprechende typologische Konsequenzen für die Morphosyntax der jeweiligen Sprache hat (de Hoop/Zwarts 2009), z.B. für die Stellung eines Possessors. Die grundlegende räumliche Beziehung des Enthaltenseins entspringt einer elementaren menschlichen Erfahrung des eigenen Körpers (ImageSchema: Behälter-Schema, vgl. Johnson 1987: 21ff.). Daher wird sie vielfach metaphorisch auf verschiedene andere – im Ung. u.a. temporale (2) und abstrakte (3) – Beziehungen übertragen. (2) eb-ben az év-ben ['dies-INESS ART Jahr-INESS'; 'in diesem Jahr'] (3) hisz a jövő-ben ['glaubt ART Zukunft-INESS'; 'er/sie glaubt an die Zukunft'] Bernadett Modrián-Horváth

→ Kasus → Gram-Syntax: Adverbialkasus; inhärenter Kasus; Lokativ

🕮 Creissels, D. [2009] Spatial cases. In: Malchukov, A./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of case. Oxford: 609–625 ◾ Hoop, H. de/ Zwarts, J. [2009] Case in Formal Semantics. In: Malchukov, A.L./ Spencer, A. [eds.] The Oxford Handbook of Case. Oxford: 170–184 ◾ Johnson, M. [1987] The Body in the Mind: The Bodily Basis of Meaning, Reason, and Imagination. Chicago, IL ◾ Langacker, R.W. [1987] Foundations of Cognitive Grammar. Vol. 1: Theoretical Prerequisites. Stanford, CA.

inferentielles Modalverb

Modalverb, das eine Schlussfolgerung des Spre-

367

infinite Verbform

chers über die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit eines durch das Vollverb kodierten Sachverhalts bezeichnet. ▲ epistemic modal auxiliary; modal auxiliary in the inference reading: modal auxiliary verb denoting a conclusion of the speaker about the possibility or probability of the event encoded by the main verb. Inferentiell können vor allem die Modalverben können, dürfen (im Konjunktiv Prät.), müssen, sollen, mögen (im Indikativ) sowie das Verb werden verwendet werden. Die inferentielle Modalität ist im Unterschied zu der objektiven bzw. deontischen stets sprecher-, nicht aber agens- bzw. subjektbezogen. Am häufigsten drücken inferentiell gebrauchte Modalverben Vermutungen bzw. Annahmen verschiedener Art aus ((1), (2)). (1) Elke kann/muss/mag/wird zu Hause sein. (2) Die Sekretärin muss/kann/mag/wird sich vertippt haben. In dieser Funktion stehen sie den epistemischen Modalverben am nächsten. Auch evidentielle bzw. quotative Lesarten, die die Schlussfolgerungen des Sprechers bezeichnen, welche auf Grund von Informationen aus fremden Quellen gezogen werden, gehören zur inferentiellen Modalität ((3), (4)). (3) Er soll gestern nach Frankfurt geflogen sein. (4) Die Wirtschaftskrise dürfte sich in den nächsten Monaten verschärfen. Ihrer Semantik nach sind inferentiell gebrauchte Modalverben den Modalpartikeln bzw. Modaladverbien vom Typ wohl, wahrscheinlich, vielleicht, vermutlich sowie den Halbmodalverben des Typs scheinen ähnlich. Den Sätzen, welche inferentielle Modalverben als Prädikatsteile haben, kommt kein Faktizitätswert zu, d.h., sie können nicht nach dem Kriterium wahr–falsch beurteilt ­werden. Michaił L. Kotin

→ extrasubjektive Modalverbverwendung; Modaladverb; Modalpartikel; Modalverb

→ Gram-Syntax: Modalität

🕮 Calbert, J.P./ Vater, H. [1975] Aspekte der Modalität. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Müller, R./ Reis, M. [Hg. 2001] Modalität und Modalverben im Deutschen. Hamburg ◾ Palmer, F.R. [2001] Mood and Modality. 2nd ed. Cambridge ◾ Wunderlich, D. [1981] Modalverben im Diskurs und im System. In: Rosengren, I. [Hg.] Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1980. Lund: 11–53.

infinite Form

≡ infinite Verbform

infinite Verbform

Verbform, die nicht alle Einheitenkategorisierungen, insbesondere nicht Numerus, Person und Modus des verbalen Paradigmas zum Ausdruck bringt. ▲ infinite verb form: verb form which does not express all unit categories of the verbal paradigm – in particular not number, person and mood. Im Dt. gibt es drei infinite Verbformen: den Infinitiv (1), das fast ausschließlich im attributiven bzw. adverbialen Gebrauch verwendete Partizip I ((2), (3)) und das Partizip II (4). (1) Ich werde mit meiner Mutter reden. (1a) Ich habe mit meiner Mutter zu reden. (2) Plötzlich hörte ich die schreiende Frau auf der Straße. (2a) Die Frau ging laut schreiend die Straße entlang. (3) Die Schüler waren mit den abzugebenden Hausaufgaben nicht fertig. (4) Hast du mit ihr gesprochen? Nicht nur der Infinitiv, sondern auch das Partizip I kann in einer Variante (Gerundiv) mit zu vorkommen (3). Infinite Verbformen können nicht konjugiert werden: Bei einer Änderung des Subjekts im Satz im Hinblick auf Pers. bzw. Numerus werden infinite Verbformen im Gegensatz zu den finiten nicht berührt: Ich muss arbeiten vs. Wir müssen arbeiten (Duden 1995: 185f.). Ferner können Infinitiv (5) und Partizipien (6) auch substantiviert werden. (5) Das Lesen der Krimis bereitet ihm sehr viel Spaß. (6) Die Lesenden hatten das Gelesene vergessen. (Duden: 1995: 186)

Fabio Mollica ≡ infinite Form; infinites Verb; Infinitum; Nominalform; unbestimmte Verbform; verbum infinitum ↔ finite Verbform → analytische Verbform; Infinitiv; Partizip; reiner Infinitiv; substantivierter Infinitiv → Gram-Syntax: Infinitheit

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

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infinites Verb 368

infinites Verb

≡ infinite Verbform

Infinitiv

Verbform, die nicht konjugiert ist und die in ihrer Morphologie und Syntax sowohl nominale als auch verbale Eigenschaften haben kann. ▲ infinitive: non-inflected verb form which can have both nominal and verbal properties in its morphology and syntax.

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Der Infinitiv ist normalerweise Teil eines Verbalkomplexes, der ein konjugiertes (Hilfs)verb enthält, wie z.B. das Futur (Hilfsverb werden) oder der Konjunktiv Prät. (Hilfsverb: würde). Infinitive können im Dt. aktivisch oder passivisch sein und Gleichzeitigkeit (Infinitiv I) oder Vorzeitigkeit (Infinitiv II) relativ zum Hauptverb ausdrücken, wie in den zu + Infinitiv-Konstruktionen in (1) und (1a). (1) Der Zeuge behauptet, den Dieb zu erkennen. (1a) Der Zeuge behauptet, den Dieb erkannt zu haben. Der Infinitiv I ist die Grundform der Verben im Dt. In seiner selbständigen Verwendung drückt er Aufforderung aus (z.B. Aufstehen!). Infinitive können einzelsprachlich unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Es gilt allgemein, dass sie über die grammatischen Kategorien Tempus/Aspekt und Genus/Diathese verfügen, aber im Gegensatz zu den finiten Verbformen für Pers., Numerus und Modus nicht spezifiziert sind. Im Dt. können aus dem Verbstamm kauf- sechs Infinitive gebildet werden: (a) der nicht-vorzeitige Infinitiv I Aktiv (kaufen), (b) der vorzeitige Infinitiv II Aktiv (gekauft haben), (c) der nicht-vorzeitige Infinitiv I Vorgangspassiv (gekauft werden), (d) der vorzeitige Infinitiv II Vorgangspassiv (gekauft worden sein), (e) der nicht-vorzeitige Infinitiv I Zustandspassiv (gekauft sein), (f) der vorzeitige Infinitiv II Zustandspassiv (gekauft gewesen sein). Der Infinitiv behält die Rektion des Basisverbs (2), kann aber im Gegensatz zu den finiten Verbformen nicht allein als Prädikat fungieren. Er bildet stattdessen mit finiten Hilfsverben, den sog. Infinitivverben, Infinitivkonstruktionen. Im Dt. kann der Infinitiv in diesen Konstruktionen als reiner (3) oder nicht-reiner Infinitiv (3a), aber auch als

erweiterter (4) oder nicht-erweiterter Infinitiv (4a) erscheinen. (2) [...] mit Freunden ein Bier trinken [Infinitiv] (2a) Ich trinke mit Freunden ein Bier. [finite Verbform] (3) Ich will ein Bier trinken. (3a) Ich wünsche ein Bier zu trinken. (4) Ich darf heute Abend mit Freunden ein Bier trinken. (4a) Ich darf trinken. Der Infinitiv I Aktiv wird im Dt. aus dem Präsensstamm des Verbs durch die Suffixe -en bzw. -n gebildet. Gleichzeitig gilt er wie auch in vielen anderen Sprachen (Frz., Span., Ital.) als Zitierform des Verbs. Neben dem Infinitiv können die Sprachen weitere infinite Verbformen haben: das Partizip (Dt., Engl., Frz., Span., Lat.), das Gerundium (Engl., Frz., Span., Lat.), das Gerundiv (Dt., Lat.), das Supinum (Lat.). Zu den Sprachen, die keinen Infinitiv haben, gehören z.B. Bulg., Ngriech., Mazedonisch. György Scheibl

→ § 15, 16, 17; finite Verbform; infinite Verbform; Infinitiv Perfekt; Infinitivverb; reiner Infinitiv; substantivierter Infinitiv

→ Gram-Syntax: erweiterter Infinitiv; Infinitivkonstruktion; Verbalkomplex

⇀ Infinitiv (Wobi; CG-Dt) ⇁ infinitive (CG-Engl; Typol)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Marillier, J.-F./ Rosier, C. [Hg. 2005] Der Infinitiv im Deutschen (Eurog 22). Tübingen.

Infinitiv Perfekt

Infinitiv, bestehend aus sein oder haben + Partizip II. ▲ infinitive perfect: infinitive consisting of sein or haben + past participle. Zum Perf. in seinen drei Varianten Präsensperf. (Perf.), Präteritumperf. (Plq.perf.) und Futurperf. (Futur II) lässt sich im Unterschied zum einfachen Infinitiv ein Infinitiv Perfekt bilden, bei Helbig/ Buscha (2001) Infinitiv II genannt. Er tritt an Stellen auf, an denen auch der einfache Infinitiv stehen kann, also in komplexen Prädikaten und in Infinitivkonstruktionen. (1) Er will ihn kennen. (1a) Er will ihn gekannt haben. (2) Er behauptet, ihn zu kennen. (2a) Er behauptet, ihn gekannt zu haben. Tempora sind an finite Verben gebunden. Als Infinitiv ist sein/haben + Partizip II folglich kein

369 Tempus, nämlich nicht mehr deiktisch auf die Sprech-/Hörzeit (Schreib-/Lesezeit) bezogen. Die zeitlichen Differenzen zwischen dem einfachen Infinitiv und dem Infinitiv Perfekt sind daher nur aspektualer Art. Der einfache Infinitiv signalisiert Gleichzeitigkeit in Bezug auf die im übergeordneten Verb ausgedrückte Prädikation, und der Infinitiv Perf. signalisiert Vorzeitigkeit. In einigen Perfekt-Theorien wird dieser Umstand 1:1 auf die analytischen Verbformen des Perf. übertragen. Man gelangt zu einer kompositionalen Perfektauffassung, die das Perf. nicht als analytische morphologische Verbform analysiert, sondern als eine syntaktische Konstruktion, wie sie am Anfang der Herausbildung der Verbformen des Perf. stand, heute jedoch auf Grund der Grammatikalisierung der syntaktischen Konstruktion nicht mehr existiert. Eine kompositionale Analyse ist nur insofern noch für die Gegenwartssprache angemessen, als sie die heute noch existierenden Spuren des früheren syntaktischen Zustands in den Perfektformen darstellt. Klaus Welke → Futur II; Infinitiv; Partizip; Perfekt; Plusquamperfekt; zweites Partizip → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion

🕮 Bäuerle, R. [1979] Temporale Deixis, temporale Frage. Zum propositionalen Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Infinitiv, finaler → finaler Infinitiv

Infinitiv, nominalisierter → substantivierter Infinitiv

Infinitiv, reiner → reiner Infinitiv

Infinitiv, substantivierter → substantivierter Infinitiv

Infinitivpartikel

Bezeichnung für die Partikel zu, die im Deutschen in bestimmten Infinitivkonstruktionen obligatorisch vor dem Infinitiv erscheint. ▲ infinitive particle: particle zu which appears obligatorily in special kinds of infinitive clauses in German.

infinitregierendes Verb Nach bestimmten übergeordneten Hauptverben (1a) und Hilfsverben (1b) werden die Infinitivkonstruktionen im Dt. in Form eines zu-Infinitivs angeschlossen. Die Infinitivpartikel steht dabei entweder unmittelbar vor dem Infinitiv oder bei trennbaren Verbpräfixen zwischen dem Präfix und dem Verbstamm (2). (1a) versprechen, bitten, planen + zu-Infinitiv (1b) haben, sein, scheinen, pflegen + zu-Infinitiv (2) zu schreiben, zu beschreiben, niederzuschreiben Problematisch ist die morphosyntaktische Kategorie von zu. Im Gegensatz zu den echten Partikeln ist die Infinitivpartikel zu syntaktisch obligatorisch, semantisch aber leer. In manchen Infinitivkonstruktionen, z.B. in Verbindung mit um, kommt sie einer Subjunktion nahe. György Scheibl → Hilfsverb; infinite Verbform; Infinitiv; Partikel; reiner Infinitiv → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion

🕮 Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Infinitivverb

Hilfsverb, das im Deutschen den Infinitiv oder den zu-Infinitiv eines Hauptverbs regiert, aber ein anderes Subjekt als dieses hat. ▲ auxiliary verb with infinitive: auxiliary verb which governs the infinitive or zu-infinitive of a main verb in German but which has a different subject than the main verb. Infinitivverben im Dt. (u.a. helfen, hören, lehren, sehen, schicken, lassen) bilden mit dem Infinitiv des Hauptverbs einen Verbalkomplex. Im Gegensatz zu Modalverb- und Modalitätsverbkomplexen haben das Hilfsverb und das Hauptverb in Infinitivverbkomplexen unterschiedliche Subjekte ((1)–(3)). (1) Er hilft ihr den Koffer tragen. (2) Sie lehrt ihre Tochter Klavier spielen. (3) Wir lassen die Kinder fernsehen. György Scheibl

→ Infinitiv; Modalitätsverb; Modalverb → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion; Verbalkomplex

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

infinitregierendes Verb ≡ Infinitverb

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Infinitum 370

Infinitum

≡ infinite Verbform

Infinitverb

Verb oder Verbverwendung, die eine infinite Verbform regiert. ▲ verb taking a nonfinite verb form: verb or use of a verb which governs a nonfinite verb form.

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Der Terminus Infinitverb (auch: verbaler Infinitoperator) wird in der IDS-Grammatik zur Bezeichnung von Verben oder Verbverwendungen benutzt, die in finiter Form „aus einer infiniten Verbform einen vollständigen finiten Verbalkomplex“ ((1), (2)) bzw. in infiniter Form „eine komplexere infinite Verbgruppe als Teil des Verbalkomplexes“ (3) herstellen (Zifonun et al. 1997: 1241). Die Infinitverben gliedern sich in die beiden Unterklassen Hilfsverb und Modalverb. (1) Er ist (war/sei/wäre) gekommen. [Infinitverb in finiter Form und infinites Vollverb im Partizip II] (2) Er muss (musste/müsse/müsste) kommen. [Infinitverb in finiter Form und infinites Vollverb im Infinitiv] (3) Er wird (werde/würde) gekommen sein. [Infinitverb in finiter Form, infinites Vollverb im Partizip II und Infinitverb in infiniter Form] Hilfsverben und Modalverben werden unter dem Begriff Infinitverb zusammengefasst, weil sie über die Rektion einer infiniten Form hinaus über folgende gemeinsame Eigenschaften verfügen: Fehlen eines eigenen Valenzrahmens, nicht oder kaum vorhandene Passivfähigkeit, kaum eigene Modifizierbarkeit, Möglichkeit von nicht kasusbestimmter Anapher (Zifonun et al. 1997: 1241ff.). Unter Hilfsverben listet die IDS-Grammatik hier sein, haben, werden (Verwendung I. mit Rektion des Infinitivs (4) und Verwendung II. mit Rektion des Partizips (5)); an anderer Stelle (Zifonun et al. 1997: 1824ff.) werden auch bekommen, kriegen, erhalten als (Passiv-)Auxiliare bezeichnet. (4) Er wird (werde/würde) rufen. [Infinitverb in finiter Form (werden I.) und Infinitiv des Vollverbs] (5) Er wird (wurde/werde/würde) gerufen. [Infinitverb in finiter Form (werden II.) und Vollverb im Partizip II] Unter Modalverben führt die IDS-Grammatik

müssen, sollen, dürfen, mögen/möchte-, wollen, können, die peripheren Modalverben mit zu-Infinitiv (nicht) brauchen, haben, sein, bleiben, stehen bzw. gehören mit Rektion des Partizip II und die Halbmodale pflegen, scheinen, drohen an.

Anna Vargyas ≡ infinitregierendes Verb → finite Verbform; Hilfsverb; infinite Verbform; Modalverb; Passiv → Gram-Syntax: Verbalkomplex 🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Infix

Affix, das in ein Morphem eingefügt wird. ▲ infix: affix that is inserted within a morpheme. Die hier gewählte Definition von „Infix“ ist die strengstmögliche, so dass „Affix“ kaum noch der passende Oberbegriff ist. Wenn ein Infix in ein Morphem, also in die kleinste bedeutungstragende Einheit, eingefügt wird, so können die Reste rechts und links vom Infix selbst nicht mehr bedeutungstragend sein. Diese Definition lässt auch einige Beispiele für Infixe in ide. Sprachen nicht gelten, wie z.B. -sc- in lat. convale#sc(#)ere < convalere oder -t- in dt. aroma#t(#)isch; vgl. Eisenberg (2013: 140). Als einziges allgemein anerkanntes ide. Infix führt Moravcsik (2000: 548) -n- in lat. iu#n#gere 'verbinden, verknüpfen' an. Infixe seien jedoch zu finden in den austronesischen Sprachen (gesprochen etwa in Polynesien, Indonesien, Malaysia), in den Mon-Khmer-Sprachen (z.B. Vietnamesisch), in der zum austro-asiatischen Sprachstamm zählenden Sprachfamilie Munda, im Thai, in semitischen und kaukasischen Sprachen sowie in den amerik. Sprachen (etwa Dakota). Nach Moravcsik (2000: 548) dienen die meisten Infixe nicht der Flexion, sondern der Wortbildung.

→ Affix; Morphem; Wortbildung ⇀ Infix (Wobi; CG-Dt) ⇁ infix (CG-Engl; Typol)

Franziska Münzberg

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Moravcsik, E.A. [2000] Infixation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 545–552.

ingressiv

Aktionsart, die den Ausgangspunkt einer Handlung, das Einsetzen einer Tätigkeit bezeichnet.

371 Inhaltswort ▲ ingressive: aktionsart which concerns the begin-

ning of a process which involves the predicate.

Die Bezeichnung stammt von lat. ingressivum – 'eingetreten', 'begonnen'. Die ingressive Aktionsart gehört zu den Phasenaktionsarten. Die Ingression kann im Dt. auf verschiedene Weisen zum Ausdruck kommen: Mithilfe von Phasenverben beginnen, anfangen (z.B. zu regnen beginnen – entsprechende Syntagmen werden auch in anderen Sprachen verwendet – Engl.: to start to rain), mithilfe von verschiedenen Präfixen, z.B. los- (losrennen, losstricken), er- (erdröhnen, erleuchten), an- (anbohren, annagen), auf- (aufglimmen, aufrauschen), im Funktionsverbgefüge (in Gang kommen, in Aufregung geraten, in Tränen ausbrechen), oder indem bestimmte präzisierende Adverbien das Verb begleiten (sogleich, plötzlich, bereits, auf einmal, dann). Margarita Gaschkowa

↔ effektiv → Aktionsart; inchoative Aktionsart; Phasenaktionsart → Gram-Syntax: Aspekt ⇀ ingressiv (Wobi; SemPrag; HistSprw) ⇁ ingressive (Typol)

🕮 Flämig, W. [1965] Zur Funktion des Verbs. III. Aktionsart und Aktionalität. In: DaF 2: 4–12 ◾ Gaschkowa, M. [2007] Wörterbuch der ingressiven Verben. Russisch-Deutsch. Regensburg ◾ Steinitz, R. [1981] Der Status der Kategorie Aktionsart in der Grammatik (oder: Gibt es Aktionsarten im Deutschen?). Berlin.

ingressives Verb

Verb, das den Beginn eines Geschehens ausdrückt. ▲ ingressive verb: verb that expresses the beginning of an event or a situation.

Ingressive Verben betonen den Anfang eines Geschehens oder das Eintreten einer neuen Phase. Sie können als eine Subklasse der perfektiven wie auch der transformativen Verben verstanden werden. In der Regel werden sie als synonym zu den inchoativen Verben betrachtet (z.B. Helbig/ Buscha (2001); Duden (2009); Boogaart (2004)). Typischerweise handelt es sich bei den ingressiven Verben um Präfix- oder Partikelverben, wobei das Basisverb selbst nicht ingressiv markiert ist, sondern erst durch das Präfix (z.B. er-, ent-) bzw. die Verbpartikel (auf-, ein-, los-) diese Markierung erhält (1). (1) erblühen, gefrieren [Präfixverben]; einschlafen, anbrennen [Partikelverben]; sterben Die im Verb ausgedrückte einsetzende Verände-

rung betrifft im Aktivsatz bei transitiven Verben das Akkusativobjekt, bei intransitiven Verben das Subjekt. In der Regel bilden intransitive ingressive Verben das Perf. mit dem Auxiliar sein. Unklar ist, ob ingressive Verben eine Aktionsart ausdrücken, da das Vorhandensein von Aktionsarten im Dt. grundsätzlich umstritten ist. Antje Heine

→ Aktionsart; egressive Aktionsart; inchoative Aktionsart; Ingressivum; perfektive Aktionsart

→ Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Boogart, R. [2004] Aspect and Aktionsart. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphology (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1165–1180 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Goergen, P. [1994] Das lexikalische Feld der deutschen inchoativen Verben. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Ingressivum

intransitives einwertiges Verb, das von einem Adjektiv abgeleitet ist und den Eintritt des vom Adjektiv ausgedrückten Zustands bezeichnet. ▲ ingressive verb: intransitive univalent verb that is derived from an adjective and denominates the beginning of the state that is expressed by this adjective. In vielen Grammatiken ist die Bezeichnung Ingressivum (Pl. Ingressiva) entweder gar nicht zu finden (so auch in Duden 2009) oder wird als Synonym zu ingressives Verb verstanden. Die Beschränkung von Ingressiva auf deadjektivische Verben erfolgt lediglich in Duden (1995) und Duden (1998). Als Beispiele für deadjektivische Ingressiva werden hier u.a. die folgenden Verben angeführt: welken, reifen; erblinden, ergrauen; verarmen, vereinsamen; abmagern, abflauen. Ihre Ableitung erfolgt zumeist mittels Präfix, wobei sowohl untrennbare (Präfix-)Verben als auch trennbare (Partikel-)Verben entstehen. Antje Heine

→ Adjektiv; Aktionsart; ingressiv; ingressives Verb; Verb

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Inhaltswort

≡ Autosemantikon

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inklusive Partikel 372

⇀ Inhaltswort (Lexik)

inklusive Partikel ≡ additive Partikel

inkrementelles Verb

Verb, das Vorgänge oder Handlungen bezeichnet, die sich schrittweise und in Bezug auf einen Endpunkt vollziehen. ▲ incremental verb: verb signifying a process or an action that takes place stepwise and is directed towards an end point.

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Die Klassifikation eines Verbs als ein inkrementelles bezieht sich auf die spezifische Aktionsart des Verbs, d.h. auf den Verlauf des vom Verb ausgedrückten Vorgangs bzw. der vom Verb ausgedrückten Handlung. Daher bilden inkrementelle Verben eine Teilklasse der telischen Verben (nach griech. télos 'Ziel'). Inkrementelle Verben sind z.B. bauen, niederbrennen, besichtigen. Der Ablauf des Vorgangs bzw. der Handlung eines inkrementellen Verbs bezieht sich immer auf das von einem der Argumente des Verbs Bezeichnete. Dieses Argument trägt die thematische Rolle des inkrementellen Patiens (vgl. Eisenberg 2006: 82). Innerhalb der Klasse der inkrementellen Verben ergeben sich semantische Unterschiede bzgl. der Frage, wie das Argument mit der Rolle des inkrementellen Patiens von dem bis zu einem Ende ablaufenden Vorgang (bzw. der entsprechenden Handlung) betroffen ist. Inkrementelle Verben weisen effizierte Argumente (nach lat. efficere 'herstellen') auf, wenn sie die schrittweise Entstehung des von diesem Argument Bezeichneten beschreiben. Inkrementelle Verben mit effizierten Argumenten sind etwa bauen in (1) und schreiben in (2) mit den entsprechenden NPn als effizierten Objekten. (1) Dorette baut [NP ein Haus]. (2) Cornelia schreibt [NP einen Brief]. Inkrementelle Verben verbinden sich mit affizierten Argumenten (nach lat. afficere 'berühren'), deren Bezeichnetes unabhängig vom Verbalvorgang existiert, die aber in unterschiedlicher Weise vom inkrementellen Vorgang bzw. von der inkrementellen Handlung betroffen sein können. Einige Verben affizieren das betroffene Argument mechanisch, ohne es zu vernichten, wie etwa mähen in (3).

(3) Werner mäht [NP den Rasen]. Mechanisch affizierte Argumente einiger inkrementeller Verben (z.B. niederbrennen, essen) werden vernichtet (4). (4) Der Förster brennt [NP den Wald] nieder. Zudem existieren inkrementelle Verben (z.B. lesen, auswendig lernen, besichtigen), die ihr Argument in einem nicht mechanischen Sinn affizieren. In (5) bezeichnet das Verb besichtigen einen schrittweisen Vorgang bis zu einem Endpunkt hin. Das Argument das Schloss ist davon zwar betroffen, ohne aber im mechanischen Sinn verändert zu werden. (5) Die Touristen besichtigen [NP das Schloss]. Nadio Giger

→ telische Aktionsart; Verb → Gram-Syntax: affiziertes Objekt; effiziertes Objekt; inkrementelles Patiens; inkrementelles Prädikat

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

Innenflexion

≡ innere Flexion ⇀ Innenflexion (HistSprw)

innere Flexion

Kodierung grammatischer Informationen durch Modifikation des Stammes. ▲ internal inflection; base modification: encoding of grammatical information through modification of the stem. Bei innerer Flexion sind grammatische und lexikalische Informationen unsegmentierbar im Wortstamm amalgamiert (Coates 2000: 620). Die Modifikation kann sowohl Vokale als auch Konsonanten betreffen. Die Markierung von grammatischen Kategorien durch Stammmodifikation ist ein wichtiges Merkmal von flektierenden Sprachen. Sie ist u.a. im Engl. (z.B. break – broke – broken) und im Dt. zu finden. Das Dt. ist reich an vokalischen Modifikationen wie Ablaut (1), der vor allem das Tempus bei starken Verben kodiert, und Umlaut (2), der den Pl. bei Substantiven allein (2a) oder in Kombination mit einem Suffix (2b) sowie die Steigerung bei Adjektiven (3) und den Konjunktiv II bei starken Verben (4) kennzeichnet. (1) sing-, sang-, -sung-

373 Instrumentaladverb (2a) (2b) (3) (4)

Garten – Gärten; Mutter – Mütter Hut – Hüt-e; Hand – Händ-e; Haus – Häus-er alt – ält-er – ält-est geben – gab [Ind. Prät.] – gäb-e [Konj. Prät., Konj. II] Die konsonantische Modifikation ist im Dt. kaum funktionalisiert. Ein Relikt ist der grammatische Wechsel beim Tempusausdruck irregulärer Verben (5). (5) ziehen – zogen [tsi:.ǝn – tso:.gǝn]. Abhängig davon, wie vorhersagbar eine Modifikaton ist – Ablaut ist im Dt. z.B. weniger vorhersagbar als Umlaut (vgl. Wiese 1996) – und zu welchem Ausmaß die Wurzel betroffen ist, lassen sich verschiedene Irregularitätsgrade innerer Flexion ansetzen. Der Extremfall ist die Suppletion, bei der die Wurzel im Falle von schwacher/ partieller Suppletion weitgehend (5) bzw. bei totaler Suppletion komplett ((6), (7)) ausgetauscht wird. (6) bin – war (7) gut – besser Nur morphologisch funktionalisierte Modifikationen zählen als innere Flexion, phonologische Prozesse wie die Auslautverhärtung (Klei[t] – Klei. [d]-er), die automatisch unabhängig vom morphologischen Kontext eintreten, dagegen nicht. Als innere Flexion wird übergreifend auch der für die semitischen Sprachen charakteristische Flexionstyp bezeichnet, z.B. im klassischen Arab. (8). (8) k-a-b-ī-r ['groß'] – a-kb-a-r ['der größte'] – ku-br-ā ['die größte'] Im Unterschied zu (1) bis (7) kann in (8) eine unveränderliche konsonantische Wurzel segmentiert werden (-k-b-r-), die durch diskontinuierliche vokalische Infixe unterbrochen wird (vgl. Mel’čuk 1976). Viktória Dabóczi ≡ Binnenflexion; Innenflexion; Wurzelflexion → § 16; Ablaut; morphologischer Umlaut; Stammalternation; Suppletion; Umlaut; Vokalwechsel ⇁ internal inflection (Typol)

🕮 Coates, R. [2000] Exponence. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 616–630 ◾ Mel’čuk, I.A. [1976] Zur inneren Flexion in den indoeuropäischen und semitischen Sprachen (russ. 1963). In: Mel’čuk, I.A.: Das Wort zwischen Inhalt und Ausdruck. Bd. 1. München: 258–287 ◾ Nübling, D. [1999] Zur Funktionalität von Suppletion. In: Butt, M./ Fuhrhop, N. [Hg.] Variation und Wortstruktur. In: GL 141–

142/1998: 77–101 ◾ Wiese, R. [1996] Phonological vs. morphological rules. On German Umlaut and Ablaut. In: JLing 32: 113–135.

innerer Plural

≡ gebrochener Plural

Instrumental

semantischer Kasus des Mittels. ▲ instrumental: semantic case of the means. Der Instrumental (auch: Instrumentalis) steht in der Regel für einen Gegenstand. Es wird ein Agens vorausgesetzt, das diesen benutzt, um die im Satz ausgedrückte Handlung zu vollziehen. In der Oberflächenstruktur eines Satzes kann der Instrumental durch unterschiedliche Satzglieder in Erscheinung treten, als Subjekt (1), als Kasusobjekt (2) oder als Präpositionalobjekt (3). (1) Dieser Schlüssel öffnet nur die Haustür. (2) Zum Öffnen der Haustür nehmen Sie diesen Schlüssel. (3) Die Haustür öffnen Sie mit diesem Schlüssel. Antje Heine

→ § 28; dativus instrumenti; Instrumentaladverb; instrumentale Präposition; Kasus; nomen instrumenti

→ Gram-Syntax: Instrument; Instrumentalangabe; semantische Rolle; semantischer Kasus

⇀ instrumental (Wobi; SemPrag)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mackenzie, J.L. [2004] Entity concepts. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 973–983.

Instrumentaladverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die das Instrument bzw. Mittel angeben, womit das Ziel eines Geschehens erreicht wird. ▲ instrumental adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the instrumentality or means by which the objective of an action is attained. Die Elemente der Teilklasse der Instrumentaladverbien sind dadurch und damit, einschließlich der Frageformen wodurch und womit. Funktional können die Elemente der Teilklasse anderen Teilklassen angehören und z.B. auch als Präpositionaladverb eingestuft werden.

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instrumentale Konjunktion 374 (1) (2)

Dadurch können etliche Arbeitsplätze abgebaut werden. Tiere mit einer spezifischen Form der Malaria können damit geheilt worden.

Jussara Paranhos Zitterbart ≡ instrumentales Adverb → Adverb; Präpositionaladverb → Gram-Syntax: Instrument; Instrumentalangabe; instrumentale Adverbialbestimmung ⇁ instrumental adverb (Typol)

🕮 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

instrumentale Konjunktion ≡ instrumentaler Subjunktor

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instrumentale Präposition

Subklasse der modalen Präpositionen, mit denen ein instrumentales Verhältnis zum Ausdruck gebracht wird. ▲ instrumental preposition: preposition denoting an instrumental relation.

Fasst man den Terminus instrumentale Präposition i.w.S. auf, dann fallen darunter diejenigen modalen Präpositionen, die entweder das Vorhandensein oder die Abwesenheit eines Mittels bezeichnen. Im Dt. stehen dazu u.a. die Präpositionen mit (mit einem Messer verletzen) und deren Antonym ohne (ohne seine Brille nicht lesen können), durch (durch Lautsprecher bekanntgeben), mittels (mittels eines Flaschenzugs hochheben), vermittels (vermittels einer Prozedur erledigen), mithilfe (von) (mithilfe von Werkzeugen ermitteln) und anhand (anhand verschiedener Beispiele dokumentieren) zur Verfügung. Die instrumentale Verwendung einer Präp. kann nicht immer trennscharf von anderen modalen Funktionen unterschieden werden: Anders als in einer Fügung wie mithilfe geeigneter Methoden drückt die Präp. z.B. in mithilfe ihrer Freunde kein Mittel oder Instrument, sondern vielmehr eine Unterstützung aus. Aus strukturell-funktioneller Sicht haben streng genommen nur Präpositionen wie mittels, vermittels und anhand eine instrumentale Bedeutung, die jeweilige Bedeutung von Präpositionen wie mit, ohne, durch, mithilfe (von) ist dagegen allgemeiner und konkretisiert „sich erst im Kontext des jeweiligen Gebrauchs“ (Hentschel/Weydt 2003: 276) und in Verbindung mit bestimmten Lexemen zu einem instrumentalen Redeinhalt. Die

Präp. mit z.B. hat nach Coseriu (1987: 138) eine abstrakte grammatische Bedeutung, die höchstens „Kopräsenz“, ein Begleiten (Komitativ) oder eine Partizipation, angibt (vgl. mit Mehl und Zucker backen, mit einer Freundin spazieren gehen, etwas mit Vergnügen tun, mit dem Gesicht gegen die Wand stehen). Lehmann/Shin (2005: 76) erklären auf diese Weise den semantischen Unterschied zwischen Er hat ein Haus aus Ziegelsteinen gebaut und Er hat ein Haus mit Ziegelsteinen gebaut, wobei der zweite Satz nur das Vorhandensein der Ziegelsteine unter den Baumaterialien zum Ausdruck bringen soll. Klaas Willems

→ Instrumental; kausale Präposition; modale Präposition; Präposition

→ Gram-Syntax: Instrument; Instrumentalangabe; Komitativ

🕮 Coseriu, E. [1987] Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik. Tübingen ◾ Guimier, C. [1981] Prepositions. An analytical bibliography. Amsterdam [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Lehmann, C./ Shin, Y.-M. [2005] The functional domain of concomitance. A typological study of in­ strumental and comitative relations. In: Lehmann, C. [ed.] Typological Studies in Participation. Berlin: 9–104.

instrumentale Subjunktion ≡ instrumentaler Subjunktor

instrumentaler Subjunktor

Subjunktor, der das Ereignis im Matrixsatz als durch die Nebensatzhandlung willentlich herbeigeführte Folge ausweist. ▲ instrumental subjunctor: subjunctor which indicates that the event of the matrix clause has been caused voluntarily by performing the event of the subordinate clause. Die prototypischen instrumentalen Subjunktoren indem, dadurch dass, womit und wodurch enthalten Präpositionen. Dies spiegelt die semantische Nähe zu instrumentalen PPn (1). (1) Mit dem Dosenöffner konnte sie die Dose leicht öffnen. In (2) und (3) bezeichnet der Matrixsatz eine Folge, die durch die Handlung im Nebensatz herbeigeführt wird. (2) Sie öffnete die Tür, indem sie den Türgriff herunterdrückte. (3) Wir lösen das Problem nur dadurch, dass wir mehr Geld investieren.

375 Intensifikator Im Gegensatz zu Kausalsätzen (4) handelt es sich um eine willentliche bzw. intentionale Handlung. Instrumentale Subjunktoren sind insofern ambig, als sie auch kausal verwendet werden (5). (4) Sie sind auch hier Außenseiter, weil sie dem Alkohol verfallen sind. (5) Sie sind auch hier Außenseiter – dadurch dass sie dem Alkohol verfallen sind. Melitta Gillmann ≡ instrumentale Konjunktion; instrumentale Subjunktion → Instrumental; instrumentale Präposition; kausaler Konjunktor; Subjunktor → Gram-Syntax: Instrument; instrumentaler Angabesatz; instrumentaler Relativsatz; Instrumentalsatz; kausaler Angabesatz 🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

instrumentales Adverb ≡ Instrumentaladverb

Intensifikator

Partikel, welche die Funktion der Intensivierung ausübt und mit einem Fokus interagieren kann. ▲ intensifier: particle which serves the function of intensification and can interact with a focus. Der Terminus intensifier wurde von Moravcsik (1972: 271) eingeführt und anschließend in der detaillierteren Bestimmung von Grad-, Fokus- und Intensitätspartikeln verwendet. Hentschel/Weydt (2013) entlehnen ihren funktionalen Begriff Intensivpartikel ebenfalls dem engl. Wort intensifier und bezeichnen damit Partikeln, die dazu dienen, „[…] die ‚Intensitätʻ eines von einem anderen Wort ausgedrückten Inhaltes zu verstärken oder abzuschwächen“ (Hentschel/Weydt 2013: 291), z.B. ziemlich, ganz, höchst. Dabei wird der Terminus Gradpartikel aufgrund seiner uneinheitlichen Verwendung abgelehnt und die Intensivpartikel von der Fokuspartikel abgegrenzt sowie auf eine Verwendung bei Adjektiven und Verben, nicht bei Substantiven, eingeschränkt (Hentschel/Weydt 2013: 292). In Beziehung zu relationalen Adjektiven werden die aufgrund ihrer semantischen Funktion identifizierten Steigerungspartikeln und Gradmodifikatoren auch Intensifikatoren genannt. Sie

können die jeweilige, durch das Adj. referierte Eigenschaft einer impliziten Werte-Skala unterordnen. Morphologisch wird zwischen Partikeln mit aussschließlich dieser Funktion, z.B. sehr, ungemein (1), und in dieser Funktion verwendeten Adjektiven, z.B. ungewöhnlich, außerordentlich (2) unterschieden. Ebenso können Intensifikatoren selbst Intensitätsstufen zugeordnet werden (Os 1989: 94f.). (1) Die Tropfsteinhöhle ist sehr ungewöhnlich. (2) Die Tropfsteinhöhle ist ungewöhnlich trocken. Demgegenüber sind Intensifikatoren auch Ausdrücke des Kernwortschatzes des Dt., welche die syntaktische Eigenschaft der Kombinierbarkeit mit NPn in adnominalem (3) und mit VPn in adverbialem (4) Gebrauch aufweisen und durch selbst bzw. selber konstituiert werden (König/Siemund 2000: 229f.). (3) Der König selbst empfängt die Gäste. (4) Sie hat die Karte selbst gebastelt. Des Weiteren wird zwischen einer adverbial inklusiven (5) Verwendung, paraphrasierbar durch auch, und einer adverbial exklusiven (4) Verwendung, paraphrasierbar durch allein differenziert (König/Siemund 2000: 231; Plank 1979: 270). (5) Der König selbst fürchtet den Drachen. / Selbst der König fürchtet den Drachen. Auch adverbial gebrauchte Intensifikatoren inter­agieren mit einem nominalen Fokus: In exklusiver Verwendung ist dies ein agentivisches Subjekt und in inklusiver Verwendung das Argument, dessen thematische Rolle hierarchisch am höchsten eingestuft wird (König/Siemund 2000: 232). In Sprachen wie dem Engl. können Intensifikatoren mit der NP, an die sie adjungiert werden, morphologisch kongruieren (König/Siemund 2000: 231). Im Gegensatz zu anderen fokussensitiven Ausdrücken tragen die Intensifikatoren selbst und selber den Satzakzent, während die NP, an die ein derartiger Intensifikator adjungiert ist, im Rahmen einer relationalen Fokustheorie als der von diesem induzierte Fokus analysiert werden kann (König/Siemund 2000: 231). Zu den markantesten Eigenschaften von Intensifikatoren wie selbst bzw. selber gehört ihre Rolle zur Kennzeichnung von Reflexivität. In vielen Sprachen (z.B. Engl., Finn., Mandarin) werden die gleichen Ausdrücke als Intensifikatoren und

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intensionales Adjektiv 376 als Reflexivpronomina verwendet und sind somit nur durch ihre Distribution, jedoch nicht durch ihre Form differenzierbar: Reflexivpronomina stehen in Argumentpositionen ((6), (7)), während Intensifikatoren Adjunkte sind (3) (König/Siemund 2000: 233). (6) Er beschuldigt sich selbst. (7) He accuses himself. Maria Schädler

→ Fokusadverb; Fokuspartikel; Intensitätspartikel; Intensivierwort; Reflexivpronomen

⇁ intensifier (Typol)

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🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ König, E./ Siemund, P. [2000] Zur Rolle der Intensifikatoren in einer Grammatik des Deutschen. In: Thieroff, R. et al. [Hg.] Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: 229–245 ◾ Moravcsik, E.A. [1972] Some cross-linguistic generalizations about intensifier constructions. In: CLS 8: 271–277 ◾ Os, C. van [1989] Aspekte der Intensivierung im Deutschen (StDG 37). Tübingen ◾ Plank, F. [1979] Zur Affinität von selbst und auch. In: Weydt, H. [Hg.] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 269–284.

intensionales Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der attributiven Adjektive, die keine eigene Extension besitzen und somit auf die intensionale Bedeutung des Bezugsworts zurückgreifen. ▲ intensional adjective: semantically defined subclass of attributive adjectives that lack an extension of their own and thus refer to the intensional meaning of the reference word. Ein intensionales Adjektiv ist ein attributiv gebrauchtes Adj., das keine Abbildung zwischen Extensionen von Nomina determiniert. Intensionale Adjektive werden in der Fachlit. manchmal in affirmative und privative Adjektive aufgeteilt. Zu den affirmativen Adjektiven gehören z.B. liebevoll, elegant, gut, klein, die das Denotat des Kernsubstantivs der NP bestätigen, indem sie ihm Subeigenschaften zuweisen (ein guter Schauspieler) oder privative Adjektive wie angeblich, falsch, mutmaßlich, die die Negation des Bezugsworts implizieren oder diese zumindest als Option gelten lassen (der mutmaßliche Täter). Den Teilgruppen ist gemein, dass ihre Extension von der des Kernsubstantivs der jeweiligen NP abhängig ist, weil sie keine eigene besitzen. Dies kann wie folgt verdeutlicht werden: Man kann annehmen, dass jeder Opernsänger auch ein Schauspieler ist. Somit ist die Extension von

Opernsänger, d.h. die Menge der Opernsänger, in der Menge der Schauspieler enthalten. Es gibt gute Opernsänger und gute Schauspieler, aber die guten Opernsänger sind keineswegs als Teilmenge in der Menge der guten Schauspieler enthalten. Das bedeutet, dass das intensionale Adjektiv gut keine Zuordnung zwischen den jeweiligen Extensionen determiniert, sondern sich auf die Intension (die Bedeutung) der Kernsubstantive Opernsänger bzw. Schauspieler bezieht. Jussara Paranhos Zitterbart

↔ extensionales Adjektiv → absolutes Adjektiv; affirmatives Adjektiv; antonymes

Adjektiv; polares Adjektiv; privatives Adjektiv; qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Gunkel, L. [2017] Qualitative Modifikation. In: Gunkel, L. et al. Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal. Berlin [etc.]: 83–98 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Intensitäts-Adverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die anzeigen, in welchem Grad eine Eigenschaft ausgeprägt ist. ▲ adverb of intensity: semantically defined subclass of adverbs which add information regarding the intensity of a property. Intensitäts-Adverbien geben den Intensitätsgrad einer Eigenschaft oder eines Sachverhaltes an. Sie können Adjektive, weitere Adverbien oder Verben determinieren, mit deren Bedeutung ein gewisser Intensitätsgrad angezeigt werden kann wie gefallen oder leiden. (1) Der Baum steht am Waldrand. Es ist ein Ort, der Jörg sicher sehr gefallen hätte. (Sonntagsblick, 07.02.2016: a35) Elemente der Teilklasse sind Wörter, die Verstärkung oder Abschwächung ausdrücken wie sehr, ungemein, ausgesprochen, äußerst u.a. bzw. recht, ziemlich, einigermaßen, halbwegs, vergleichsweise u.a. (2) Zu den Höhepunkten zählt eine Ausstellung des ungemein vielfältigen englischen Bildhauers Anthony Cragg. (Hannoversche Allgemeine, 16.01.2012) (3) Ich bin überzeugt, dass Menschen mit einem Hochschulabschluss immer zu der Gruppe gehören werden, die vergleichs-

377

intensivierendes Verb

weise gut über Krisen hinwegkommt. (Zeit Campus, 23.02.2010: 6) Mitunter wird das Wort zu (bzw. die Verstärkungsform allzu) ebenfalls als Intensitäts-Adverb gebraucht, um eine normative Korrektur auszudrücken. Vor Verben erscheint die erweiterte Form zu viel oder zu sehr. (4) Wenn die Aufregung zu groß wird, hilft es, tief ein- und auszuatmen, […]. (Zeit Campus, 08.11.2016: 56) (5) Die Folge war, dass kein einziges Land in dieser Zeit einen Umweltverband mit breiter Themenpalette hervorbrachte, von einer grünen Partei ganz zu schweigen – zu sehr gingen die Anliegen auseinander. (Zeit Geschichte, 23.02.2016: 14) Jussara Paranhos Zitterbart

≡ Gradpartikel; Steigerungspartikel

→ Adverb; Intensifikator; Intensitätsmodifikator; Intensitätspartikel; Intensivierwort

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾

Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

Intensitätsmodifikator

Wort oder Phrase, das bzw. die die Intensität eines intensivierbaren Kopfes spezifiziert. ▲ intensifying modifier: word or phrase that specifies the intensity of a phrasal head that can be intensified. Der Intensitätsmodifikator ist eine Konstituente mit variierender Größe (ein Wort oder eine Phrase), die adjektivische, adverbiale oder verbale Köpfe intensiviert oder de-intensiviert. Dazu gehören Partikeln vor adjektivischen Attributen wie sehr (1), Partikeln vor adjektivischen Adverbialen wie überaus (2) oder intensivierende adverbiale PPn wie in hohem Maße (3). Der Terminus ist vor allem durch Zifonun et al. (1997: 987f.) geprägt. (1) Peter ist sehr groß. (2) Peter ist überaus langsam gelaufen. (3) Peter hat sich in hohem Maße gefreut. Hagen Hirschmann

→ Intensifikator; Intensitäts-Adverb; Intensitätspartikel; Wort → Gram-Syntax: Kopf; Modifikator; Phrase

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Intensitätspartikel

nicht flektierbares Wort vor einem Adjektiv oder einem Adverb, dessen Bedeutung es spezifiziert. ▲ intensifier: invariable word in combination with an adjective or adverb which modifies the intensity of the meaning of that word. Intensitätspartikeln ordnen die durch Adjektive oder Adverbien bezeichneten Eigenschaften/ Umstände einer Wertskala und damit einer implizierten Norm zu und zeigen an, ob diese Norm über- oder unterschritten ist. Sie können die Bedeutung des Bezugsworts intensivieren, verstärken, steigern oder abschwächen. Sie bilden allein kein Satzglied und können in der Regel nicht selbständig als Antwort auf eine Frage vorkommen. Sie können unbetont oder betont sein. Als Intensitätspartikeln gelten im Dt. einigermaßen, etwas, recht, sehr, überaus, ungemein, weitaus, zu u.a. (1) Peter war überaus/sehr/recht/ungemein glücklich, als seine Tochter zur Welt kam. (2) Für sie kam er zu oft. (3) Du kannst dieses Radio im Angebot kaufen, es ist einigermaßen gute Qualität. Es gibt auch einige Adjektive, die in der Funktion von Intensitätspartikeln vorkommen können wie absolut, extrem, ganz, höchst, total, völlig, weit, ziemlich. (4) Er war absolut/ganz/total/völlig glücklich.

Anna Molnár ≡ Gradmodifikator; Intensivpartikel; Steigerungspartikel → Adjektiv; Adverb; Intensitäts-Adverb; Intensivierwort; Partikel → Gram-Syntax: Spezifizierer ⇁ intensifier (Typol)

🕮 Breindl, E. [2007] Intensitätspartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 397–422 ◾ Helbig, G. [1994] Lexikon deutscher Partikeln. 3., durchges. Aufl. Leipzig ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

intensivierendes Verb

Verb, mit dem das bezeichnete Geschehen graduell variiert und dabei verstärkt oder abgeschwächt zum Ausdruck gebracht wird. ▲ intensifying verb: representative of a semantic class of verbs that gradually varies the expression of the denoted event, either intensifying or weakening it.

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Intensivierwort 378 Intensivierende Verben besitzen jeweils ein lexikalisches Pendant, mit dem ein neutraler Grad ausgedrückt werden kann. Dies gilt sowohl für augmentative Verben wie rennen oder flennen (vgl. laufen und weinen) als auch für diminutive Verben wie köcheln oder lächeln (vgl. kochen und lachen). Sie werden bisweilen durch Ableitungsmittel gebildet, welche die Intensivierung des mit dem Grundverb zum Ausdruck gebrachten Geschehens kennzeichnen. Zu diesen Mitteln gehören etwa die Gemination (z.B. raufen → rupfen) oder bestimmte Affixe (z.B. spotten → spötteln; hier mit iterativer Bedeutungskomponente).

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→ Diminutiv; Intensivierwort; Verb

Thorsten Roelcke

🕮 Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg.

Intensivierwort

Wort, das eine intensivierende Funktion besitzt. ▲ intensifier: word with an intensifying function. Die Intensivierwörter sind keine grammatische Wortart, weil sie keine gemeinsamen morphosyntaktischen Charakteristika haben. So zählen Intensitätspartikeln dazu (wie sehr, überaus, ungemein), die nicht flektierbar sind und kein Satzglied vertreten können. Diese intensivieren Adjektive (sehr klug, überaus nett), Adverbien (sehr oft), Adkopula (ungemein leid), Verben (haben sehr gelacht) und idiomatische Verbalphrasen (sich total gehen lassen). Die Partikeln als und wie können ebenfalls als Intensivierungswort gebraucht werden (älter als, so alt wie). Auch Adjektive können als Intensivierer auftreten, sowohl unflektiert (eine einfach geniale Idee, wahnsinnig schön) als auch flektiert (unglaubliche Dummheit, irrer Erfolg). Christine Römer

→ Adjektiv; Adkopula; Intensitäts-Adverb; Intensitätspartikel; Wortart ⇁ intensifier (Typol)

🕮 Breindl, E. [2007] Intensitätspartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 397–422 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

intensiv-iterative Aktionsart

Aktionsart von Verben, die mehrmalige und besonders intensive oder komplizierte Handlungen

bezeichnen, die mühevoll und umständlich ausgeführt werden. ▲ augmentative-iterative aktionsart; fortitive-iterative manner of action: lexical aspect of verbs referring to repetitive and intensive or complex actions that require a large amount of effort. Im Poln. werden diese Verben mit den Präfixen prze-/wy-/roz- (sowie selten na-/za-) und dem Iterativsuffix -ywa/-iwa von Basisverben abgeleitet, z.B. szukać 'suchen' – przeszukiwać 'durchstöbern'; pytać 'fragen' – wypytywać 'mehrmals dringlich fragen, ausfragen'; leżeć 'liegen' – wylegiwać się 'oft herumliegen'; słuchać 'zuhören'– nasłuchiwać 'lauschen, horchen'. Bei diesen Verben steht die Intensität der Handlung im Vordergrund; in Abhängigkeit von der Bedeutung des Grundverbs kann sie als Dringlichkeit, Genauigkeit, Hartnäckigkeit, lange Dauer etc. gedeutet werden. Mit diesen Verben hängen in der Regel pejorative Konnotationen zusammen. Im Russ. werden diese Verben mit den Präfixen vy-/ot-/raz- und dem Iterativsuffix -yva/-iva signalisiert. Ähnlich wie im Poln. ist dieses Wortbildungsverfahren kaum produktiv; auch hier ist die Intensität der Handlung (im Vergleich zum Grundverb) vordergründig, z.B. razmachivat’ 'heftig gestikulieren, fuchteln'; razdumyvat’ 'grübeln'; otpljasyvat’ 'mit Begeisterung tanzen'. Andrzej Kątny

↔ diminutiv → abgeleitetes Verb; Aktionsart; intensivierendes Verb; iterative Aktionsart

→ Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Avilova, N.S. [1976] Vid glagola i semantika glagolnogo slova. Moskva ◾ Isačenko, A.V. [1962] Die russische Sprache der Gegenwart. Teil I. Formenlehre. Halle/Saale ◾ Katny, A. [1994] Zu ausgewählten Aktionsarten im Polnischen und deren Entsprechungen im Deutschen. Rzeszów.

Intensivpartikel

≡ Intensitätspartikel

intensiv-semelfaktiv

einmalige und intensive Handlung, die eine Unterkategorie der semelfaktiven Aktionsart ist. ▲ augmentative-semelfactive; fortitive-semelfactive: unique and intensive action which is a sub-category of the semelfactive lexical aspect. Die Verben dieser Aktionsart sind für das gesprochene Russ. charakteristisch und kommen

379 Interjektion in der emotional gebrauchten Umgangssprache vor. Im Vergleich zu der umfangreichen Gruppe der semelfaktiven Verben ist diese Gruppe relativ klein. Die hierzu gehörenden Verben bezeichnen einmalige, momentane (punktuelle) Handlungen, die sich durch Intensität und Expressivität auszeichnen und von den imperfektiven Grundverben mit dem Suffix -(a)nu ((1)–(3)) und seltener mit dem Präfix vs-/vz- und dem Suffix -nu ((4), (5)) abgeleitet werden. (1) rezatʼ ['schneiden, schlachten'] (1a) reznutʼ [+ einmalig] (1b) rezanutʼ [+ einmalig, + expressiv] (2) tolkatʼ ['stoßen, schieben, schubsen'] (2a) tolknutʼ [+ einmalig] (2b) tolkanutʼ [+ einmalig, + expressiv] (3) skazyvatʼ ['sagen, erzählen'] (3a) skazanutʼ ['etw. Unpassendes sagen'] (4) kričatʼ ['schreien'] (4a) vskriknutʼ ['einen Schrei ausstoßen'] (5) vizžatʼ ['winseln, quieken'] (5a) vzvizgnutʼ ['aufwinseln, gellend aufkreischen, schrill aufquieken'] Nicht alle Verben mit dem Suffix -anu tragen das Merkmal der Intensität, worauf u.a. Isačenko (1962: 402) hingewiesen hat. Andrzej Kątny

→ Aktionsart; intensivierendes Verb; punktuelle Aktionsart → Gram-Syntax: imperfektiver Aspekt

🕮 Avilova, N.S. [1976] Vid glagola i semantika glagolnogo slova. Moskva ◾ Isačenko, A.V. [1962] Die russische Sprache der Gegenwart. Teil I. Formenlehre. Halle/Saale.

Interjektion

selbständig funktionierendes, nicht an der syntaktischen und propositionalen Satzstruktur teilhabendes, phonetisch oft abweichendes Element, das durch den Ausdruck von Emotionen oder anderen mentalen Zuständen eine unmittelbare Einwirkung auf den Gesprächspartner ermöglicht. ▲ interjection: independent, syntactically unintegrated and not propositional, usually phonetically anomalous element that enables the interlocutors to directly influence each other by expressing emotions or other mental states. Interjektionen (lat. interiectio 'Dazwischenwurf') bilden eine sehr uneinheitlich erfasste, heterogene Kategorie, die in der Vergangenheit besonders für die an der Schriftsprache orientierte Gram-

matikschreibung problematisch gewesen ist. Mit dem Aufkommen der Diskursanalyse wächst das Interesse an ihrer Erforschung und der weiteren Differenzierung (besonders Ehlich 1986), wobei aber gleichzeitig eine Einengung der Kategorie in Kauf genommen werden muss. Der Wortartstatus der Kategorie Interjektion, ebenso wie der Wort- bzw. Satzcharakter deren Elemente ist wegen ihrer auffälligen Eigenschaften, aber auch wegen der schriftsprachlichen Behaftung der obigen Begriffe umstritten. Aufgrund ihrer exzentrischen Eigenschaften werden die Interjektionen in manchen Grammatiken zu den Partikeln gezählt (z.B. Duden 2009), in anderen zu den Satzäquivalenten (z.B. Helbig/Buscha 2013); die Grammatik des IDS (Zifonun et al. 1997) subsumiert sie der Kategorie der interaktiven Einheiten. Die Anzahl der zu den Interjektionen gehörenden Ausdrücke variiert stark. Bei der Erfassung der Interjektionen sind mindestens drei Typikalitätsstufen beobachtbar. Den Kernbereich bilden die Vollinterjektionen (Hentschel/Weydt 1995; 2003), auch primäre Interjektionen (Ehlich 1986; 2007) oder einfache Interjektionen (Duden 2009) genannt, zur nächsten Stufe gehören die sekundären Interjektionen (Ehlich 1986; 2007) bzw. komplexe Interjektionen (Duden 2009), den Randbereich bilden die Lexeminterjektionen und Adverbialinterjektionen (Hentschel/Weydt 1995), die von Ehlich (1986; 2007) und Zifonun et al. (1997) nicht mehr als Interjektionen betrachtet werden, sowie die Onomatopoetika, die auch in der Dudengrammatik eine gesonderte Gruppe der Partikeln darstellen. Die primären Interjektionen weisen keine Ähnlichkeiten zu den Wörtern anderer Wortklassen auf. Phonetisch enthalten sie z.T. ungewöhnliche Lautkombinationen (pst, ksch, mhm), besondere Laute, z.B. den dentalen Klicklaut [ǀǀǀǀ] (etwa: ts-ts-ts-ts [als Tadel]), [ʔŋ‘ʔŋ:] (etwa ng-ng [als Verneinung]) sowie eine tonale Struktur: Je nach Intonation können sie unterschiedliche Bedeutungen haben (Ehlich 2009: 431). (1) hm̆ – 'einverstanden' [fallend-steigend] (1a) hḿ – 'wieso das denn?' [steigend] (1b) hm̄ – 'vielleicht aber' [gleichbleibend] (1c) hm̀ – 'das ist ja merkwürdig' [fallend] Interjektionen sind nicht flektierbar, aber eine typische morphologische Veränderung ist bei ihnen die Reduplikation bzw. Multiplikation. Die primä-

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Interjektion, onomatopoetische 380

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ren Interjektionen bestehen meistens aus ein bis zwei Silben. Sie können selbständig oder satzassoziiert (im Vorvorfeld oder nach dem Nachfeld) stehen. Ihre Bedeutung ist holophrastisch und sie übermitteln Inhalte ganzheitlich (2). (2) Pfui! 'Das tut man nicht!', 'Das ist ja ekelhaft.' (Hentschel/Weydt 2003: 328) Die wichtigsten Funktionsbereiche sind der emotionale Abgleich (z.B. igitt, äks [Ekel], aua, autsch [Schmerz], o, ah, nanu [Überraschung], hurra, juchhe [Freude]), die Kontaktaufnahme und -erhaltung (hi, hallo, mhm) und die direkte Handlungssteuerung (pst! pfui!). Die sekundären Interjektionen weisen „mehr oder weniger deutliche lexikalische Strukturen“ auf, „wobei die eigentliche Bedeutung ausgeblendet wird“ (Duden 2009: 605). Hierher gehören lexikalische Ausdrücke wie Donnerwetter! Mist!, (oft abgewandelte) tabuisierte Ausdrücke wie Herrje!, merde!. Manchmal werden sogar satzförmige Äußerungen hinzugezählt, z.B. ach, du liebe Güte! Adverbialinterjektionen (schwuppdiwupp, holterdipolter) können in den Satz integriert werden. Lexeminterjektionen (*grins*, *kaputtlach*), die bevorzugt in der Chat-, Jugend- und Comicssprache vorkommen und oft ad hoc gebildet werden, enthalten häufig einen Verbstamm. Die weniger typischen Interjektionen, die Onomatopoetika (z.B. miau, peng) basieren auf Lautnachahmung und sind ebenfalls teilweise ad hoc bildbar. Bernadett Modrián-Horváth → § 9, 15, 33; Diskurspartikel; Diskurswort; Interjektionspartikel; Lexeminterjektion; onomatopoetische Interjektion; Wortart → Gram-Syntax: Satzäquivalent; Satzstruktur ⇀ Interjektion (HistSprw) ⇁ interjection (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Ehlich, K. [1986] Interjektionen. Tübingen ◾ Ehlich, K. [2007] Interjektion und Responsiv. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Wortarten. Berlin [etc.]: 423–444 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [1995] Die Wortarten des Deutschen. In: Ágel, V./ Brdar-Szabó, R. [Hg.] Grammatik und deutsche Grammatiken. Budapester Grammatiktagung 1993 (LA 330). Tübingen: 39–60 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Interjektion, onomatopoetische → onomatopoetische Interjektion

Interjektionspartikel

Interjektion, die wegen ihrer Nicht-Flektierbarkeit zur Wortart der Partikel gezählt wird. ▲ interjection particle: interjection that is considered belonging to the part of speech of particles due to its incapability of inflection. Dem von Altmann (1976) geprägten und auch von Helbig/ Buscha (2005) übernommenen Terminus liegt die sehr weit gefasste – und nur von wenigen akzeptierte – Interpretation der Wortart Partikel zugrunde. Nach dieser Auffassung gehören aufgrund des morphologischen Kriteriums der Unflektierbarkeit alle unflektierbaren Wortarten, so auch Interjektionen zu den Partikeln. Als Interjektionen werden ansonsten in der Fachlit. Satzäquivalente (z.B. Aha!, Ach so!, Oh!) bezeichnet, während die Partikeln i.e.S. satzintegriert vorkommen. Anna Molnár

→ Interjektion; onomatopoetische Interjektion; Partikel → Gram-Syntax: Satzäquivalent

🕮 Altmann, H. [1976] Die Gradpartikeln im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik (LA 33). Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Interpunktion

Teilsystem von Schriftzeichen, die Einheiten auf Text-, Satz-, Phrasen- und Wortebene indizieren. ▲ punctuation: subsystem of characters with the function of indicating units in texts, sentences, phrases and words. Manchmal wird unter Interpunktion auch „die Lehre vom Gebrauch der Satzzeichen“ (Baudusch 1981: 206; Nerius/Baudusch 2007: 236) verstanden; diese Bestimmung fokussiert allerdings nicht System-, sondern Normaspekte. Über das gegenwartssprachliche Inventar des Interpunktionssystems des Dt. besteht wenig Konsens. Eine Orientierung bietet zunächst die Unterscheidung zwischen Wortzeichen (auch: Hilfszeichen) und Satzzeichen. Wortzeichen operieren auf der morphologischen Ebene, d.h. auf der Ebene von Wörtern bzw. Wortteilen. Fuhrhop (2008: 203) schlägt vor, als Wortzeichen Bindestrich, Ergän-

381 Interrogativadverb zungsstrich und Trennstrich sowie Apostroph und Abkürzungspunkt anzunehmen, ohne dies als vollständige Liste anzusehen; Gallmann (1996: 1457) verweist auch auf Klammern , Anführungszeichen und Auslassungspunkte . Satzzeichen operieren auf textueller und syntaktischer Ebene, d.h. Text-, Satz- und Phrasenebene. Als Kernbereich der Satzzeichen lassen sich Punkt , Ausrufezeichen , Fragezeichen , Komma , Semikolon , Doppelpunkt , Gedankenstrich , Klammern und Anführungszeichen ansehen. Bestimmte Interpunktionszeichen können sowohl als Wort- als auch als Satzzeichen fungieren, so z.B. Anführungszeichen, Auslassungspunkte, Klammer(n) und Gedankenstrich (vgl. Gallmann 1996: 1457). Wortzeichen werden z.T. gänzlich aus dem Inventar der Interpunktionszeichen ausgeschlossen, und der Fokus wird auf die Betrachtung von Satzzeichen gelegt (vgl. Behrens 1989: 14–15; Maas 1992: 81–84, der auch den Schrägstrich hinzunimmt). Nerius (2007: 239) betrachtet zusätzlich Auslassungspunkte – ebenso Gallmann (1996: 1457), der aber auch Wortzeichen einbezieht; ähnlich verfährt Bredel (2008: 23, 72–81, 106–117), die jedoch Binde-, Ergänzungs- und Trennstrich unter dem Terminus Divis zusammenfasst. Anders als Bredel (2008) nehmen Maas (1992: 84) und Nerius (2007: 252–253) explizit „einfache“ und „paarige“ Satzzeichen-Varianten (Komma, Gedankenstrich) an. Bredel (2008) lässt sich forschungstheoretisch Behrens (1989), Gallmann (1985; 1996) und Nerius (2007) gegenüberstellen: Während Erstere Interpunktionszeichen aus Sprachverarbeitungsperspektive als Leseanweisungen betrachtet, sehen Letztere Interpunktionszeichen mit Bezug auf sprachliche Konstruktionen, d.h. der Punkt beschließe Sätze, das Komma markiere u.a. Nebensätze usw. (zu einer Gegenüberstellung beider Ansätze vgl. Bredel 2008: 14–19). Letztere unterscheiden sich jedoch u.a. im Hinblick darauf, ob Funktionen bzw. Prinzipien der Interpunktion unter Bezugnahme auf die sprachlichen Konstruktionen syntaktisch (z.B. Behrens 1989) sowie semantisch und pragmatisch (z.B. Gallmann 1985), z.T. auch zusätzlich intonatorischrhetorisch (z.B. Baudusch 1981) definiert werden. Gemeinsam haben alle Ansätze, dass sie nicht genuin sprachgebrauchsbasiert arbeiten: In Bredel (2008: 18) wird Interpunktion „auf der Basis der

Sprachtätigkeit beim Lesen rekonstruiert“. Behrens (1989: 18), Maas (1992: VIII), Mentrup (1983: IX-XI) und Gallmann (1985; VI-VII) diskutieren die Interpunktion auf Grundlage jeweils aktueller Regelwerke, in Hinblick auf Orthographiereformen bzw. Reformbemühungen und/oder unter Einbezug (eigener) Reformvorschläge. Größere Arbeiten zu Satzzeichen (auch) aus Sprachgebrauchsperspektive liegen von Karhiaho (2003) zum Doppelpunkt, zur hist. Entwicklung von Masalon (2014) mit Fokus auf dem Komma sowie ebenso mit Fokus auf Virgel und Komma von Kirchhoff (2017) vor. Katharina Siedschlag ≡ Zeichensetzung → § 34; Anführungszeichen; Ausrufezeichen; Doppelpunkt; einfaches Komma; Fragezeichen; Gedankenstrich; Komma; Satzschlusszeichen ⇀ Interpunktion (HistSprw; Schrling; Sprachdid; Textling)

🕮 Baudusch, R. [1981] Prinzipien der deutschen Interpunktion. In: ZfG 2/2: 206–218 ◾ Behrens, U. [1989] Wenn nicht alle Zeichen trügen. Interpunktion als Markierung syntaktischer Konstruktionen (ASpran 9). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Fuhrhop, N. [2008] Das graphematische Wort (im Deutschen). Eine erste Annäherung. In: ZS 27/2: 189–228 ◾ Gallmann, P. [1985] Graphische Elemente der geschriebenen Sprache. Grundlagen für eine Reform der Orthographie (RGL 60). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456– 1467 ◾ Karhiaho, I. [2003] Der Doppelpunkt im Deutschen. Kontextbedingungen und Funktionen (GöGDissreihe 42). Göteborg ◾ Kirchhoff, F. [2017] Von der Virgel zum Komma. Die Entwicklung der Interpunktion im Deutschen (GBib 61). Heidelberg ◾ Maas, U. [1992] Grundzüge der deutschen Orthographie (RGL Kollegbuch 120). Tübingen ◾ Masalon, K.C. [2014] Die deutsche Zeichensetzung gestern, heute – und morgen (?): eine korpusbasierte, diachrone Untersuchung der Interpunktion [...]. Diss. Univ. Duisburg-Essen. [Unter: https://duepublico.uni-duisburgessen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate–36075/Dissertation_Masalon.pdf; Letzter Zugriff 02.12.2017) ◾ Mentrup, W. [1983] Zur Zeichensetzung im Deutschen – Die Regeln und ihre Reform. Oder: Müssen Duden-Regeln so sein, wie sie sind? (TBL 209). Tübingen ◾ Nerius, D./ Baudusch, R. [Hg. 2007] Deutsche Orthographie. 4., neu bearb. Aufl. Hildesheim [etc.].

Interrogativadverb

Adverb, das einen Fragesatz als Haupt- oder Nebensatz einleitet. ▲ interrogative adverb: adverb that introduces a main or subordinate clause signalizing a question. Interrogativadverbien wie wann, warum, weshalb, weswegen, wo, woher, wohin, wonach, wor-

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Interrogativartikel 382

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auf, wie, wieso zählen, wie auch die Pronomina, zu den Pro-Wörtern. (1) Wo ist er? In der Stadt. (2) Wann kommt er? Morgen. (3) Warum tut er das? Im Unterschied zu den Pronomina übernehmen sie im Satz in der Regel eine adverbiale Funktion ((1)–(3)); nur selten treten sie, wie dies bei den Interrogativpronomina der Fall ist ((4)–(6)), in die Funktion des Subjekts, Objekts oder Attributs. (4) Wer kommt? (5) Wen siehst Du? (6) Wessen Buch ist das? Als einleitendes Element eines Nebensatzes übernehmen Interrogativadverbien auch die Funktion einer Subjunktion ((7), (8)), oder, insbesondere bei Präpositionaladverbien, eines Relativpron. Interrogative Präpositionaladverbien können auch einem Präpositionalobjekt ((9), (10)) entsprechen. (7) Ich weiß nicht, wann er kommt. vs. Ich weiß, dass er kommt. (8) Hat er gesagt, wo er ist? vs. Hat er gesagt, dass er hier ist? (9) Er denkt an die Feier. – Woran? (10) Wenn man nur wüsste, woran er denkt. vs. Ist es seine Frau, an die er denkt? In semantischer Hinsicht haben die Interrogativadverbien u.a. temporale (wann), lokale (wo, woher, wohin), modale (wie) und kausale Bedeutung (warum, weshalb, weswegen, wieso). Das Adverb wo- kann in einem solchen Adverb das erste Kompositionsglied bilden und mit den ein- und zweisilbigen Präpositionen stehen: vgl. worauf, wobei, wodurch, wogegen, wozu, nicht aber außer, ohne, [an]statt, bezüglich. Kjell-Åke Forsgren ≡ Frageadverb; interrogatives Adverb ↔ Interrogativartikel; interrogatives Determinativ → Adverb; Interrogativpronomen; Interrogativum; Konjunk­ tion; Präpositionaladverb; Relativpronomen; w-Adverb; w-Wort → Gram-Syntax: Interrogativsatz; Pro-Wort ⇁ interrogative adverb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

Interrogativartikel

Artikelwort, das im Deutschen zusammen mit einem Nomen eine Nominalphrase bildet, der nominalen

Determination dient und hauptsächlich ein Wissensdefizit erfragt. ▲ interrogative determiner: article word that together with a noun forms a noun phrase in German; it serves as a nominal determination and primarily inquires about a knowledge deficit. Interrogativartikel erfragen Größen und Eigenschaften von einem ganz bestimmten Einzelwesen oder Einzelding einer Klasse, Art oder Gattung, und haben vor allem aussondernde, auswählende Bedeutung. Sie gehören einerseits zu der Klasse der Interrogativa, zu der auch neben den Artikelwörtern Adverbien und Pronomen gezählt werden. Andererseits konstituieren sie eine Subklasse der Artikelwörter bzw. Determinativa, in der das w-Element als Frageterm fungiert. Verwandte Bezeichnungen sind w-Artikel (GRAMMIS), w-Determinativum (Zifonun et al. 1997). (a) Zum Formenbestand: In Abgrenzung einerseits zu den w-Determinativa (die nicht nur interrogative Bedeutung haben) und andererseits den Interrogativa (die nicht nur adsubstantivisch sondern auch pronominal und adverbial gebraucht werden), weist der Interrogativartikel folgende Formen auf: Welch-? (1); Wie viel-? (2); Was für ein? (3). (1) Welches Buch liest du gerade? (2) Wie viele Brötchen isst du heute zum Frühstück? (3) Was für einen Wagen fährst du? (b) Morphologische Eigenschaften: Das Artikelwort welch- flektiert nach Genus, Kasus und Numerus und entspricht den Formen des definiten Artikels ((4)–(6)). Allerdings ist im Genitiv Sg. Maskulinum/Neutrum auch die Form auf -en bei Maskulina und Neutra mit s-Genitiv möglich (7). Welcher lässt sich mit nachfolgenden Adjektiven kombinieren, und diese werden dann wie nach dem definiten Artikel dekliniert ((4)–(6), (8)). Im Genitiv Pl. konkurrieren dabei die Endungen -en und -er (9). Welch kann auch unflekiert als Prädeterminativ fungieren (10). (4) Welchen lustigen Film hast Du gestern geschaut? (5) Welche neuen Bücher gehören Dir? (6) Welches alte Auto fährst du? (7) Welches/Welchen Wagens möchtet ihr euch bedienen? (8) Welches neuen Gesetzes bedarf dieser Fall?

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Welcher neuen/neuer Gesetze bedarf dieser Fall? (10) Welch ein riesiges Chaos! Da der Formenbestand von welch- nicht in adsubstantivischem und pronominalem Gebrauch variiert, zählt Eisenberg (2001: 183f.) dieses Interrogativum zu den Fragepronomina und nicht zu den Artikelwörtern. Im Sg. determiniert wie viel nur Stoffnamen und Abstrakta und ist dann unveränderlich in Kasus und Numerus ((11), (12)). (11) Wie viel Wasser brauchen wir? (12) Wie viel Hoffnung können Sie bei den Flüchtlingen erreichen? Bei Fragen nach Eigenschaften, Merkmalen oder Beschaffenheiten eines Wesens oder Dinges ersetzt die formelhafte Verbindung was für ein oft den Interrogativartikel welch-. Aber nur die Komponente ein verhält sich wie ein Artikelwort: die Deklination erfolgt nach dem Muster des indefiniten Artikels und unterliegt denselben Gebrauchsbeschränkungen ((13)–(16)) (Duden 2006: 314f.). In neueren Studien zu Wortarten wird diese Verbindung daher zu den besonderen interrogativen Fügungen gezählt (Holler 2007: 451f.). (13) Was für einen Wagen fährst du? (14) Mit was für einem Auto bist du gekommen? (15) Was für eine Lehrerin ist das? (16) Was für Probleme hast du? Meike Meliss ≡ Frageartikel ↔ Interrogativadverb; Interrogativpronomen → Artikel; Determinativum; interrogatives Determinativ; Interrogativum; w-Determinativ → Gram-Syntax: Interrogativsatz

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2001] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ GRAMMIS [2018] = Grammatisches Informationssystem. W-Artikel. In: Systematische Grammatik. Mannheim. [Unter: https://grammis.ids-mannheim.de/ systematische-grammatik/376; letzter Zugriff: 22.04.2018] ◾ Holler, A. [2007] Interrogativum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 445–481 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

interrogatives Adverb ≡ Interrogativadverb

interrogatives Determinativ

interrogatives Determinativ

Fragewort, das syntaktisch als das Determinativ eines Nomens funktioniert. ▲ interrogative determinative: interrogative that has the syntactic function of a determiner of a noun. Zu den interrogativen Determinativen zählen folgende Ausdrücke: was für ein, welch-, welch ein, wessen und wie viel. Sie begleiten ein Subst. und signalisieren ein Informationsdefizit des Sprechers in Bezug auf den gegebenen Einzelgegenstand. Im Gegensatz zu den substantivisch verwendeten Interrogativa sowie zu den Interrogativadverbien leiten sie nicht allein, sondern gemeinsam mit allen Konstituenten der NP den Interrogativsatz (1) oder den interrogativen Nebensatz (2) ein. (1) Welchen Krimi liest du? (2) Ich weiß nicht, wessen Krimi ich das letzte Mal gelesen habe. Der Terminus interrogatives Determinativ ist weitgehend deckungsgleich mit dem Interrogativartikel oder dem Frageartikel. Es ist jedoch hervorzuheben, dass auch Mehrwortausdrücke zur Kategorie gehören (3), so dass die Einordnung in der traditionellen Wortartenlehre Schwierigkeiten macht. (3) Was für ein Auto hat er gekauft? Mit was für ein wird nach Eigenschaften eines Einzelgegenstands einer nicht bestimmten Gesamtmenge, mit welch- und wessen nach einer Teilmenge einer vorgegebenen bestimmten Gesamtmenge gefragt. Mit wessen wird die Bezugsgröße ferner auch in ein possessives Verhältnis zu einem unbekannten Besitzer gesetzt. Wie viel hat auch eine quantifizierende Funktion, indem damit nach einer Mengenbestimmung gefragt wird (4). Mit welch ein (und dessen NP) wird kein Interrogativsatz, sondern ein w-Exklamativsatz eingeleitet (5). Insofern können was für ein, wie viel und welch ein zu den indefiniten, welch- und wessen zu den definiten Determinativen gezählt werden. (4) Wie viel Bier hat er wohl getrunken? (5) Welch ein Glück hast du schon wieder! Die interrogativen Determinative bilden unter semantisch-funktionalem Aspekt eine heterogene Kategorie bilden. Gemeinsam ist ihnen, dass mit ihnen eine Informationslücke signalisiert wird, die durch die Antwort erfüllt werden muss.

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interrogatives Pronomen 384 Gleichzeitig wird der Antwortraum, d.h. die Menge der potentiell kongruenten Antworten auf unterschiedliche Weise spezifiziert. Unter syntaktischem Aspekt werden die meisten dekliniert und kongruieren mit ihrem Bezugsnomen. Wessen ist hingegen indeklinabel. Attila Péteri

↔ Interrogativadverb → Interrogativartikel; Interrogativpronomen; Interrogativum → Gram-Syntax: Bezugsnomen; Exklamativsatz; Interrogativsatz

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🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Hoffmann, L. [2007] Determinativ. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 293–356 ◾ Holler, A. [2007] Interrogativum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 445–481 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

interrogatives Pronomen ≡ Interrogativpronomen

Interrogativpronomen

Pronomen, mit dem Unbekanntes erfragt wird und das einen Fragesatz einleitet. ▲ interrogative pronoun: pronoun that asks a question and introduces an interrogative sentence. Mit einem Interrogativpronomen wird ein Ergänzungsfragesatz (1) oder ein sog. indirekter Fragesatz (2) eingeleitet. (1) Was machst du am Nachmittag? (2) Ich weiß, was morgen in den Zeitungen steht. Gelegentlich werden zu den Interrogativpronomina auch wo, wann u.a. gezählt. Sie sind Interrogativadverbien. Interrogativpronomina lassen sich bzgl. ihres syntaktischen Gebrauchs in sub­ stantivische (wer, was) und artikelhafte (welches, was für ein) Pronomina einteilen. In den meisten Grammatiken (z.B. Duden 2005: 312) wird zwischen Interrogativpronomina i.e.S., die nur sub­ stantivisch gebraucht werden, und interrogativen Artikelwörtern unterschieden. Die ersten bilden eine Subklasse der Pronomina, die letzen eine Subklasse der Artikelwörter (bzw. Determinativa). Nur substantivisch werden im Dt. die Interrogativa wer und was verwendet. (3) Wer hat das gesagt? (4) Was hast du vor? Die Formen welcher und was für (ein/welche) kön-

nen substantivisch ((4), (6)) und artikelhaft ((3), (5)) vorkommen. (3) Welches Buch willst du nehmen? (4) Welches sind deine besten Freunde? (5) Was für ein Auto fährst du? (6) Was für einer bist du denn? Die Interrogativpronomina wer und was können Attribute zu sich nehmen. (7) Wer von euch bleibt hier? (8) Was von all den Sachen ist noch brauchbar? Janusz Taborek ≡ Fragefürwort; Fragepronomen; Fragewort; interrogatives Pronomen ↔ Interrogativartikel → abstraktes Pronomen; Interrogativadverb; interrogatives Determinativ; Interrogativum; Pronomen; w-Determinativ; w-Wort → Gram-Syntax: Ergänzungsfragesatz; indirekter Fragesatz; Interrogativsatz

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Interrogativum

Wort, durch das eine Frage formuliert oder eingeleitet wird. ▲ interrogative word: word class whose function is to ask or to introduce questions. Ein Interrogativum (Pl. Interrogativa) ist eine semantisch-funktional motivierte Bezeichnung für Fragewörter, die sich im Dt. morphologisch und syntaktisch uneinheitlich verhalten und deshalb keine grammatische Wortart sind. Zu den Interrogativa gehören die Interrogativpronomina, Interrogativartikelwörter und die Interrogativadverbien. Eisenberg (2006) unterscheidet flektierende und nicht flektierende Fragewörter. Die flektierenden sind die Interrogativpronomina und die Interrogativartikel, die nicht flektierenden die Interrogativadverbien. Als interrogative Artikelwörter (Was für ein Auto fährst du?) und sub­ stantivische Pronomina (Um was ging es in dem Artikel?) treten im Dt. wer/was, welcher/welche/ welches und was für ein/eine/ein auf (Duden 2005: 313). Interrogativadverbien sind ausschließlich w-Wörter (wo, wann, wie, warum etc.) und stehen in der Regel am Satzanfang (Wo wohnst du?). Christine Römer

385 intransitiv

→ Interrogativadverb; Interrogativartikel; Interrogativpronomen; w-Adverb; w-Determinativ; Wort; w-Wort

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

intersektives Adjektiv

semantische Subgruppe der extensionalen Adjektive, bei denen das Denotat einer Wortgruppe 'Adj N' dem Durchschnitt der Eigenschaften der Denotate des Adjektivs und des Nomens entspricht. ▲ intersective adjective; predicative adjective: semantic sub-classification of extensional adjectives in which the interpretation of a phrase 'Adj N' is equivalent to the conjunction of the properties denoted by adjective and noun. Ausgehend von der NP ein runder Tisch, ist Tisch ein Nomen N. Setzt man für N ein beliebiges Nomen ein, dann gilt allgemein, dass das, was ein rundes N ist, sowohl ein N als auch rund ist. Jedes Individuum, das Element der Extension von rundes N ist, ist auch Element der Extension von N und Element der Extension von rund. Somit ist die Extension von rundes N gerade der Durchschnitt der Extensionen von N und rund, zu verdeutlichen durch die Paraphrasierung der NP ein runder Tisch als dies ist ein Tisch, und er ist rund. Wegen dieser Durchschnittseigenschaft werden solche Adjektive als intersektiv bezeichnet: „Ein Adjektiv ist INTERSEKTIV genau dann, wenn es ein Prädikat P gibt, für das gilt: Wenn N ein Nomen mit dem Denotat 'N’ ist, dann trifft 'AN’ (das Denotat von AN) auf ein Individuum x genau dann zu, wenn 'N’ und 'P’ auf x zutreffen“ (Zifonun et al. 1997: 2000). Prädikat ist hier nicht im herkömmlichen grammatischen Sinn zu verstehen, sondern es wird zur Bezeichnung einer semantischen Entität verwendet, die auf irgendeine Weise prädizierend wirkt. Typische intersektive Adjektive sind jene, die Form (rund), Farbe (rot) und Nationalität/Sprache (deutsch) bezeichnen (Truswell 2005: 3, 13; Zifonun et al. 1997: 2000f.). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; extensionales Adjektiv; Farbadjektiv; Formadjektiv

🕮 Truswell, R. [2009] Attributive Adjectives and Nominal Templates. In: LingInqu 40/3: 525–533 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

intransformative Aktionsart

Phasenaktionsart, die das Andauern eines Zustands beschreibt. ▲ non-transformative aktionsart: phasal lexical aspect describing the continuation of a state. Intransformative Verben wie bleiben, behalten, andauern kennzeichnen in Opposition zu den transformativen Verben die Nicht-Überführung eines Zustands in einen anderen Zustand (1). (1) Der Regen dauerte an. [intransformativ: 'am Zustand ändert sich nichts'] (2) Das Kind schlief ein. [transformativ] In der aktuellen Fachlit. werden die Intransformativa z.T. nicht als eigene Klasse charakterisiert und als stative Verben angesehen (Nicolay 2007: 100). Christine Römer

↔ transformative Aktionsart → Aktionsart; Phasenaktionsart; Phasenverb → Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Fabricius-Hansen, C. [1975] Transformative, intransformative und kursive Verben. Tübingen ◾ Nicolay, N. [2007] Aktionsarten im Deutschen. Prozessualität und Stativität. Tübingen.

intransitiv

Eigenschaft von Verben ohne ein direktes Objekt, das im Passiv zum Subjekt wird. ▲ intransitive: verbs which do not select an accusative object which becomes the nominative subject in the passive. Als intransitiv werden Verben bezeichnet, die eine Subjektleerstelle haben, aber kein Akkusativobjekt fordern. Ohne weitere Ergänzungen sind sie absolute intransitive Verben ((1), (2)). (1) Die Blumen blühen. (2) Die Füchse schlafen. Relative intransitive Verben, die nicht immer als intransitiv aufgefasst werden, eröffnen neben der Subjektleerstelle eine weitere syntaktische Leerstelle, die durch ein Dativobjekt (3), eine Adverbialergänzung (4) oder ein Präpositionalobjekt (5) gefüllt wird. (3) Ich gratuliere Ihnen. (4) Meine Freundin fährt nach Erlangen. (5) Ich denke an dich. Einige intransitive Verben regieren den Genitiv (z.B. jmds. gedenken). Diese Verben sind stilistisch

IJ

intransitives Verb 386 als gehoben markiert und oft auf feste Wendungen beschränkt (6). (6) Heute gedenken wir der Toten. Tamás Kispál

↔ transitiv → intransitives Verb; Intransitivierung; Passiv; pseudotransitives Verb → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; direktes Objekt; Subjekt

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2011] Richtiges und gutes Deutsch. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. 7., vollst. überarb. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2007] Deutsche Grammatik. 5., vollst. überarb. Aufl. Zürich ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

intransitives Verb

IJ

Verb ohne ein direktes Objekt, das im Passiv zum Subjekt wird. ▲ intransitive verb: verb that does not select an accusative object which becomes the nominative subject in the passive. Verben, die intransitiv sind, eröffnen eine Subjektleerstelle und fordern kein Akkusativobjekt. Wenn sie ohne weitere Ergänzungen verwendet werden, sind sie absolute intransitive Verben ((1), (2)). (1) Die Blumen blühen. (2) Die Bären schlafen. Relative intransitive Verben, die nicht immer als intransitiv aufgefasst werden, eröffnen neben der Subjektleerstelle eine weitere syntaktische Leerstelle, die durch ein Dativobjekt (3), eine Adverbialergänzung (4) oder ein Präpositionalobjekt (5) gefüllt wird. (3) Ich gratuliere Ihnen. (4) Das Ehepaar fährt nach Ungarn. (5) Ich denke oft an dich. Einige intransitive Verben regieren den Genitiv (z.B. jmds. gedenken). Diese Verben sind stilistisch als gehoben markiert und oft auf feste Wendungen beschränkt (6). (6) Heute gedenken wir der Gefallenen. Tamás Kispál

→ intransitiv; Intransitivierung; Passiv; pseudotransitives Verb; transitives Verb

→ Gram-Syntax: Adverbialergänzung; Objekt; Subjekt ⇀ intransitives Verb (CG-Dt) ⇁ intransitive verb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2011] Richtiges und gutes Deutsch. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. 7., vollst. über-

arb. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2007] Deutsche Grammatik. 5., vollst. überarb. Aufl. Zürich ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

Intransitivierung

Prozess, bei dem entweder aus einer transitiven Aktivkonstruktion eine intransitive Passivkonstruktion bzw. Passivvariante oder in einem weiteren Schritt aus der Passivkonstruktion eine neue intransitive Variante entsteht. ▲ intransitivization: process by which either transitive active constructions are transformed into intransitive passive constructions respectively variants or, in a further step, passive constructions are transformed into new intransitive variants. Aus dem transitiven Aktivsatz (1) wird ein intransitiver Passivsatz (2) gebildet. Die ursprüngliche Valenz des Hauptverbs wird reduziert. Das zweiwertige Verb wenden im Aktivsatz (1) wird im Passivsatz (2) einwertig. (1) Peter wendet den Wagen. (2) Der Wagen wird gewendet. Intransitivierung liegt auch bei manchen Passivvarianten vor. Aus dem Funktionsverbgefüge mit bringen (3) wird ein Funktionsverbgefüge mit kommen (4) gebildet. (3) In diesem Labyrinth kann man Leute zum Verschwinden bringen. (4) In diesem Labyrinth kommen Leute zum Verschwinden. Aus dem Passivsatz (2) kann auch eine intransitive Aktivvariante (5) entstehen. (5) Der Wagen wendet. Tamás Kispál

→ Aktiv (1); intransitiv; intransitives Verb; Passiv; Passivvariante; transitiv

⇁ intransitivization (Typol)

🕮 Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Diewald, G. [1997] Grammatikalisierung. Eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen. Tübingen ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

intrasubjektive Modalverbverwendung

Verwendung eines Modalverbs, bei der die Quelle der modalen Lesart identisch mit dem Satzsubjekt ist. ▲ intra-subjective use of a modal verb: use of a modal

387 Isomorphie verb in which the source of the modal reading of the sentence is identical to the sentence subject. Bei der intrasubjektiven Verwendung eines Modalverbs wird die modale Deutung der Aussage durch das Satzsubjekt bestimmt. Im Gegensatz dazu steht die extrasubjektive Modalverbverwendung, bei der die modale Deutung von einer anderen Quelle als dem Subjekt kontrolliert wird. So bezeichnet können in (1) eine Fähigkeit bzw. Eigenschaft der mit dem Subjekt genannten Person, so dass eine intrasubjektive Modalverbverwendung vorliegt. Können in (1a) dagegen bezeichnet eine Erlaubnis, die nicht vom Subjekt, sondern einer weiteren Person ausgeht, weshalb es sich um eine extrasubjektive Verwendung des Modalverbs handelt. (1) Sie kann akzentfrei Spanisch sprechen. (1a) Sie kann jetzt meinetwegen auch etwas dazu sagen. Überwiegend intrasubjektiv verwendete Modalverben sind wollen (2) und mögen (möchten) (3); die Modalverben sollen, müssen und dürfen werden überwiegend extrasubjektiv verwendet. Bei können liegen beide Verwendungsweisen vor. (2) Sie will den Preis unbedingt gewinnen. (3) Er möchte nicht vor acht Uhr geweckt werden. Zifonun et al. (1997) unterscheiden bei der intrasubjektiven Modalverbverwendung weiter zwischen einem intrasubjektiv-circumstantiellen Redehintergrund (Modalverb können wie in (1)) und einem intrasubjektiv-volitiven Redehintergrund (Modalverben wollen und mögen (möchten) wie in (2) und (3)). Eine syntaktische Einschränkung liegt hinsichtlich der Bildung von Passivkonstruktionen vor: Diese ist bei intrasubjektiver Modalverbverwendung ((4) und (4')) – im Gegensatz zu extrasubjektiver Modalverbverwendung ((4a) und (4a')) – nicht mit gleichbleibendem modalen Bezug möglich. (4) Er kann diese Aufgabe ganz alleine lösen. (4') *Diese Aufgabe kann von ihm ganz alleine gelöst werden. (4a) Er kann diese Aufgabe meinetwegen alleine lösen. (4a') Diese Aufgabe kann meinetwegen von ihm alleine gelöst werden. Michael Mann

↔ extrasubjektive Modalverbverwendung → Modalverb → Gram-Syntax: Modalität; objektive Modalität

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Inversionsverb

Verb, das zu einer Subjekt-Objekt-Inversion neigt und somit semantisch gesehen ein Ereignis beschreibt, das von der prototypischen Agens-PatiensStruktur abweicht. ▲ verb of inversion: verb that tends to subject-object inversion and therefore in semantic terms describes an event that deviates from the prototypical Agent-Patient structure. Benjamin Jakob Uhl

→ Akkusativinversionsverb; Dativinversionsverb → Gram-Syntax: Agens; Patiens

🕮 Primus, B. [2004] Protorollen und Verbtyp. Kasusvariation bei psychischen Verben. In: Kailuweit, R./ Hummel, M. [Hg.] Semantische Rollen. Tübingen: 377–401 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Isomorphie

Bezeichnung für die Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Ausdruck und Bedeutung. ▲ isomorphism: designation for the one-to-one correspondence between expression and meaning. Der Terminus Isomorphie stammt urspr. aus der Mathematik und wird traditionell mit der Glossematik in Verbindung gebracht, obwohl Hjelmslev (1943: 100–101) den Begriff isomorph in seinen Schriften anscheinend nur einmal verwendet, und zwar um das „symbolische“ Verhältnis zwischen z.B. der Abbildung einer Waage und Gerechtigkeit zu bezeichnen. Kuryłowicz (1949: 48) versteht unter Isomorphie Parallelismen zwischen der Ausdrucksseite und Inhaltsseite von Sprachzeichen: „On constate entre eux une resemblance de forme, un isomorphisme profond“. Nach Kuryłowicz (1949: 50–53) lassen sich z.B. Syllaben und Sätze analog analysieren: Selbständiger, fakultativer Silbenkopf i, vokalischer Silbenkern V und eine Koda f, also i + (V + f); dem entspreche auf Satzebene die hierarchische Struktur Subjekt + (Verb + Ergänzung[en]). Gegen eine solche Struktur nehme sich lat. Pluit (dt. Es regnet) als eine „forme moins développée, réduite“ aus.

IJ

iterative Aktionsart 388

IJ

Ähnlich könne man in verschiedenen Sprachen Syllaben mit der Endung -ē Syllaben zugrunde legen, die auf -ek, -es, -er, -en usw. ausgehen. Ege betont, dass Isomorphie in diesem Sinne apriori nichts darüber aussagt, ob die Ausdrucksform und die Inhaltsform ggf. auch tatsächlich miteinander übereinstimmen: „les résultants de l’analyse ne se correspondent pas élément par élément; le parallélisme ne vaut que pour la méthode de l’analyse“ (Ege 1949: 23). Jakobson postuliert u.a. strukturelle Parallelen zwischen dem System der Kasusbedeutungen und dem phonologischen Aufbau der einzelnen Kasusmorpheme im Russ. Andere Linguisten kritisieren Isomorphie dahingehend, dass die Ausdrucksseite eines Sprachzeichens immer so aufgefasst werden müsse, dass sie im Dienste der Inhaltsseite stehe und nicht umgekehrt. Eine Wende im zeitgenössischen Verständnis des Terminus Isomorphie vollzieht sich, als Jakobson (1965/1971) mit dem Konzept der diagrammatischen Ikonizität gegen Saussures These der sprachlichen Arbitrarität argumentiert: Die Wortfolge in Veni, vidi, vici, die Morphologie von high – higher – highest, Oppositionen wie je finis – nous finissons und Lexemgruppen wie father, mother und brother lassen Jakobson (1965/1971: 351) zufolge auf eine „isomorphic composition of the signans and signatum“ schließen. Isomorphie wird nunmehr als ein strukturelles Prinzip individueller Sprachzeichen selbst aufgefasst, auch im diachronischen Sinne: „language has a general iconic tendency whereby semantic sameness is reflected also by formal sameness“ (Anttila 1972: 89). Wenn man ein solches Verhältnis weit genug fasst, dann ist der Weg frei, unter Isomorphie einfach die „one-to-one correspondence between the signans and the signatum“ (Haiman 1980: 515) zu verstehen, d.h. die Tatsache, dass eine Form eine Bedeutung hat und hundertprozentige Synonymie ausgeschlossen ist. Das ist terminologisch allerdings problematisch, und Jakobsons „isomorphic composition of the signans and signatum“ bezeichnet Haiman gerade nicht als Isomorphie, sondern er führt dafür den seitdem üblich gewordenen Begriff Motivation ein.

→ ikonisches Zeichen; Sprachzeichen ⇀ Isomorphie (Sprachphil; Textling) ⇁ isomorphism (Typol; TheoMethods)

Klaas Willems

🕮 Anttila, R. [1972] An introduction to historical and compa-

rative linguistics. New York, NY [etc.] ◾ Ege, N. [1949] Le signe linguistique est arbitraire. In: TCLing-C: 11–29 ◾ Haiman, J. [1980] The iconicity of grammar. Isomorphism and motivation. In: Lg 56: 515–540 ◾ Jakobson, R. [1965] Quest for the essence of language. In: Diogenes 51: 21–37 ◾ Kuryłowicz, J. [1949] La notion de l’isomorphisme. In: TCLing-C: 48–60.

iterative Aktionsart

Phasenaktionsart, die die Wiederholung eines Vorgangs akzentuiert. ▲ iterative aktionsart: phasal aktionsart emphasising the repetition of a process. Die iterative Aktionsart, auch als frequentative oder multiplikative Aktionsart benannt, beschreibt einen Vorgang als sich wiederholend, z.B. hüsteln ('mehrmals hintereinander schwach husten'), atmen, schwingen, tröpfeln. Die intensive (verstärkende) Aktionsart des Verbs (wie bei johlen) ist oft mit Iterativität verbunden. Iterative Verben kennzeichnen eine Handlung in der Regel aus sich ständig oder regelmäßig wiederholenden Teilen bestehend, wie bei den Onomatopoetika klacken oder knistern (Lehmann 2015: 4). Iterativa können im Dt. mit -eln (schütten → schütteln) oder -ern- (klappen → klappern) abgeleitet werden (Hentschel/Weydt 1990: 37f.). Christine Römer ≡ frequentative Aktionsart → Aktionsart; diminutiv-iterative Aktionsart; intensiv-iterative Aktionsart; Phasenaktionsart → Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ François, J. [1985] Aktionsart, Aspekt und Zeitkonstitution. In: Schwarze, C./ Wunderlich, D. [Hg.] Handbuch der Lexikologie. Königstein/Taunus: 229–249 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [1990] Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Lehmann, C. [2015] Zur sprachlichen Kategorisierung von Schällen. In: Anreiter, P./ Mairhofer, E./ Posch, C. [Hg.] Argumenta. Festschrift für Manfred Kienpointner zum 60. Geburtstag. Wien: 249–262 [Auch unter: https://www.christianlehmann.eu/publ/lehmann_schaelle.pdf; letzter Zugriff: 15.11.2020].

Iterativzahl

Zahl, mit der man eine bestimmte Anzahl von Tätigkeiten oder Geschehen in einer zeitlichen Reihenfolge bezeichnet. ▲ iteration number; iteration numeral: number that signifies a specific number of activities or processes that take place in succession over time.

389 Iterativzahl Die Iterativzahlen werden im Dt. mit Hilfe von Suffixen (-mal; -malig) aus den Kardinalzahlen gebildet. Nach der grammatischen Wortart sind Iterativa (Zahl-)Adverbien (zweimal; zehnmal; hundertmal etc.) oder (Zahl-)Adjektive (der zweimalige / zehnmalige etc. Sieger). Nach der gleichen Bildungsweise lassen sich von anderen Wortarten einige unbestimmte Iterativzahlen bilden, vgl. viel: vielmal(s) – vielmalig; mehr: mehrmals – mehrmalig.

≡ Wiederholungszahl

→ bestimmtes Zahlwort; Kardinalzahlwort; Multiplikativum; Numerale; Suffigierung; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv; Zahladverb → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Edyta Błachut

IJ

J Jussiv

≡ volitiver Konjunktiv ⇀ Jussiv (SemPrag)

K Kāraka

Rolle, die im Satz eine syntaktische Funktion hat und in einem semantisch definierbaren Verhältnis zum Verb steht. ▲ kāraka: specific role denoting a semantico-syntactic relation between a phrase and the verb in a clause. Die Grammatik von Pāṇini, die aus dem 5. vorchristlichen Jh. stammt und als die älteste vollständige Grammatik einer Sprache überhaupt gilt, beabsichtigt, alle Regeln zu erfassen, nach denen Wörter und Sätze im (präklassischen) Sanskrit gebildet werden. In seiner Grammatik führt Pāṇini u.a. die Begriffe vibhakti und kāraka ein. Die vibhaktis sind die Kasus des Sanskrit, die morphologisch durch Kasusendungen charakterisiert sind und die Pāṇini zum Anlass für eine semantische Klassifikation ihrer Funktionen in Äußerungen nimmt. Dazu stellt Pāṇini die Theorie der kārakas auf, die zu den vibhaktis jedoch in keinem Eins-zu-eins-Verhältnis stehen: Das Sanskrit zählt acht vibhaktis (wobei der Vokativ nicht als selbständiger Kasus gilt, sondern als Modifikation des Nominativs), Pāṇini unterscheidet indes nur sechs kārakas. In Pāṇinis Modell gilt: „there is no utterance that does not involve a kāraka“ (Cardona 2004: 191). Die kārakas weisen Übereinstimmungen mit den modernen „semantischen (bzw. thematischen) Rollen“ („deep cases“ in Fillmore 1968) auf, fallen damit jedoch nicht zusammen. „A ‘kāraka’ is a thing viewed in relation to an action, in the accomplishment of which it plays a given role“ (Cardona 1976: 215). Weil die kārakas Kategorien bezeichnen, die Pāṇini zwar semantisch (im Sinne von Partizipanten an einer Handlung oder einem Geschehen) zu definieren sucht, jedoch als Teil von syntaktischen

Regeln einführt, um die Distribution von Kasusendungen in Sätzen zu begründen, kann man sie mit Cardona (1976: 218, 340, Fn. 279) am besten syntaktisch-semantische Konzepte nennen – sie bilden somit das Interface zwischen Nominalflexion, Syntax und Semantik. Die Tatsache, dass Pāṇini bei der Bezeichnung der diversen kārakas ausgiebig von der sanskritischen Wurzel kṛ ['tun, handeln'] Gebrauch macht, weist darauf hin, dass sie im Hinblick auf die Handlung konzipiert sind, die in einem Satz anhand des Verbs zum Ausdruck gebracht wird, und dass Pāṇini das Verb als das Zentrum der Äußerung betrachtet (verblose Äußerungen bilden „Ausnahmen“). Wie aus den Paraphrasen von Pāṇini selbst hervorgeht, werden nicht alle kārakas unter eine einzige semantische Definition gebracht, zumal die meisten kārakas nicht nur mehrmals eingeführt werden, sondern auch im Hinblick auf individuelle Verben oder Verbklassen präzisiert werden (s. Pāṇini 1, 4, 23ff.). Darüber hinaus lässt Pāṇini Raum für Subtypen. Die einzelnen kārakas sind (in der Reihenfolge ihrer Einführung durch Pāṇini): apādāna ['Ausgangspunkt, Grund der Angst, Ursprung'; allgemein also Source]; sampradāna ['Zuwendgröße, Empfänger; Recipient]; karaṇa ['Mittel; Instrument]; adhikaraṇa ['Substrat der Handlung, Ort; Location]; karman ['Zielgröße, Objekt; Patiens, Goal]; kartṛ ['die selbständige Größe in einer Handlung; Agens]; Subtyp: hetu [Agens im Kausativ; 'Veranlasser']. Ein Agens braucht für Pāṇini nicht belebt zu sein, in einer reflexiven Konstruktion wie Sanskrit odanaḥ pacyate (dt. der Reis kocht) z.B. ist das Subjekt kartṛ, obwohl Pāṇini anmerkt, dass das Agens hier einem karman ähnelt. Genauso wenig sind alle Objekte unbelebt. Es besteht eine Korrelation zwischen apādāna, sampradāna, karaṇa, adhikaraṇa und

Kardinalzahlwort 392 karman einerseits und den sanskritischen Kasus Ablativ, Dativ, Instrumentalis, Lokativ und Akkusativ andererseits. Dem Genitiv ordnet Pāṇini keine kāraka zu, und dem Nominativ entspricht nur z.T. die kāraka kartṛ. Klaas Willems

→ Kasus → Gram-Syntax: Agens; semantische Rolle; semantischer Kasus

🕮 Cardona, G. [1976] Pāṇini. A Survey of Research. The Hague ◾ Cardona, G. [2004] Recent Research in Pāṇinian Studies. ­Delhi ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case. In: Bach, E./

Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Pāṇini’s Grammatik [1887]. Hg., übers. und erläutert von O. Böhtlingk. Leipzig (Nachdruck Hildesheim 1964).

Kardinalzahlwort

K

Zahlwort, mit dem eine kumulative Menge von diskreten Entitäten bezeichnet wird. ▲ cardinal numeral: numeral which designates a cumulative set of discrete entities. Kardinalzahlwörter haben Wortarteigenschaften, die auf sprachspezifischer Basis entweder adjektivisch, substantivisch oder verbal einzustufen sind. Z.B. waren im Altruss. die Zahlen ‚2‘ bis ‚4‘ Adjektive und ‚5‘ bis ‚10‘ sowie die Zehner, Hunderter usw. Substantive (mit eigenem Genus), aber im modernen Russ. regiert das Zahlwort ab ‚2‘ im Nominativ das Nomen und passt sich dem Nomen in den anderen Kasus an. Dies zeigt, dass das Zahlwort in einer Sprache syntaktisch entweder Kern oder Bestimmungswort sein kann. Das dazugehörige Nomen kann in den Sprachen der Welt entweder durchgängig im Sg. oder im Pl. (oder in einer eigenständigen Zahlform) stehen (z.B. im Sg. im Ung., aber im Pl. im Engl. oder Dt.). Die Kategorie Numerus gilt für das Zahlwortsyntagma als Ganzes und kann dem Zahlwort zugeordnet werden. ≡ Grundzahlwort

Jadranka Gvozdanovic

→ Numerale; Numerus; Ordinalzahlwort; Wortart ⇁ cardinal numeral (Typol)

🕮 Corbett, G.G./ Fraser, N.M./ McGlashan, S. [eds. 1993] Heads in Grammatical Theory. Cambridge ◾ Gvozdanović, J. [ed. 1992]

The Indo-European Numerals. Berlin [etc.] ◾ Gvozdanović, J. [ed. 1999] Numeral Types and Changes Worldwide. Berlin [etc.] ◾ Hurford, J.R. [1987] Language and Number. The Emergence of a Cognitive System. Oxford [etc.].

Kasus

Kategorie flexionsmorphologischer Eigenschaften, die deklinierbare Lexeme hinsichtlich ihrer syntaktischen Funktionen kennzeichnen. ▲ case: category of inflectional properties which indicate syntactic functions of lexemes that can be declined. Der Kasus als grammatische Kategorie stellt eine Menge sich gegenseitig ausschließender Flexionseigenschaften dar. Der Terminus Kasus (Pl.: Kasus ['ka:zu:s]) bezeichnet auch eine beliebige Eigenschaft dieser Kategorie (Zaliznjak 1973: 54f.) und kann in diesem Fall im Pl. vorkommen (z.B. die sechs Kasus des Russischen). Innerhalb einer Wortart entspricht einer Flexionseigenschaft die Klasse aller Wortformen, die sie aufweisen (z.B. alle Wortformen, denen die Eigenschaft Dativ zukommt). Danach wird der Kasus nicht als eine Kategorie, sondern als eine Kategorisierung, eine Klasse sich nicht überschneidender Klassen von Wortformen angesehen (Eisenberg 2004: 17f.), die aber keine morphologische, sondern eine syntaktische Größe ist, da jeder Einzelkasus „als Äquivalenzklasse bezüglich bestimmter syntaktischer Kontexte“ (Zifonun et al. 1997: 1290) etabliert wird. Kategorie steht in dieser Terminologie für Klassen wie Dativ oder Genitiv, d.h. für die Einzelkasus bei der Kategorisierung Kasus. Je nach Theorie ist die Terminologie verschieden: Neben den Termini Eigenschaft und Marker lassen sich weitere, theoriebedingte Paare erkennen, wie „morphosyntaktisches Merkmal“ und „Exponent(en)“ (Matthews 1992), „Grammem“ und „Marker“ (Mel'čuk 2006), Flexionsmorphem (als Korrelation von grammatischer Bedeutung und Form) und Allomorph(e) (vgl. Bauer 2003). In den meisten Fällen wird der Kasus durch Rektion bzw. Kongruenz zugewiesen. Kasuszuweisungen vom Nomen an Adjektive und Artikel sind Fälle von Kongruenz, da das Nomen jeweils selbst die entsprechenden Kasuseigenschaften hat. In der GG wird die Kasusmarkierung vom Nomen auf das Artikelwort und ggf. das vorgestellte attributive Adj. verlagert (1), wobei das Nomen als lexikalischer Kopf, das Artikelwort als funktionaler Kopf aufgefasst wird (Primus 1997: 149). (1) Der Besuch der alten Dame.

393 Kasus Bei den Appositionen kongruiert ein Nomen mit einem anderen Nomen (2). (2) Sie spricht mit ihrem Freund, einem Ingenieur. Die Kasuszuweisungen an Nomen durch Verben sind Fälle von Rektion, da Verben keine Kasuseigenschaften haben. Durch das finite Verb erhalten z.B. im Dt. die Argumente von helfen den Nominativ und den Dativ (3). (3) Der Mann hilft dem Kind. Ein Nomen kann auch von einem anderen Nomen (Vaters Auto), von einem Adj. (der Tatsache fähig) oder von Prä- (zum Opfer) bzw. Postpositionen (den Fluss entlang) regiert werden. Der Kasus in einer PP kann auch nicht direkt von der Präp., sondern von einem anderen Wort (z.B. Verb, Adj.) über die Präp. bestimmt werden (4). (4) Wir kommen in die Stadt. (4a) Wir leben in der Stadt. Zum Ausdruck syntaktischer Funktionen können Flexionskasus mit Präpositionen konkurrieren (5). (5) Müllers Auto. (5a) Das Auto von Müller. Hier wird zwischen „reinem“ und „präpositionalem“ Kasus unterschieden (Helbig 2001: 253); beim Letzteren hängt der Kasus nur von der Präp. ab, die die syntaktische Funktion analytisch (also nicht flexionsmorphologisch) markiert. In der russ. Grammatik wird der slaw. Lokativ Präpositiv (predložnyj) genannt, weil er nur in Kombination mit einer Präp. vorkommt. Jeder Kasus des Dt. kann unterschiedliche syntaktische Funktionen ausdrücken: Im Nominativ kann das Subjekt oder das Prädikativum (Lehrer sind Helden) vorkommen; daneben dient der Nominativ als Form der Benennung (der Zauberberg), als Anruf (Mensch!) bzw. Anrede (liebe ZuhörerInnen!). Im Akkusativ stehen das direkte Objekt zum Verb (einen Roman schreiben), das Objektsprädikativ (Sie nennt ihn einen Faulpelz), ein Objekt zum adjektivischen Prädikat (einen Versuch wert) oder eine Adverbialbestimmung (den ganzen Tag). Im Dativ steht das indirekte Objekt zum Verb oder zum Adj. (seinem Vater ähnlich); er kommt auch bei sog. freien Argumenten (Welke 2011: 199) verschiedener Art vor ((7)–(9)). (7) Meinem Vater schmerzt der Kopf. (8) Ich trage meinem Vater die Tasche. (9) Die Zeit vergeht den Schülern langsam.

Der Genitiv drückt zumeist die Funktion des Attributs aus (10). (10) Ist die Bibel wirklich Gottes Wort? Im Genitiv steht manchmal auch das Objekt zum Verb (11) oder zum Adj. (12). (11) Sie hat sich der Sache angenommen. (12) Ich bin mir meines Fehlers doch bewusst. Zudem können alle Kasus die Appositionsfunktion ausdrücken. Kasuseigenschaften werden vor allem durch Endungen markiert. Neben den Endungen können phonologische Prozesse als Marker nicht-segmentaler Art verwendet werden, wie die Palatalisierung des Auslautkonsonanten bei maskulinen Nomina im Irischen (z.B. Nominativ Sg. cat 'Katze', aber Genitiv Sg. cait 'der Katze' in eireball cait 'Katzenschwanz'). In verschiedenen nominalen Flexionsklassen des Estnischen unterliegen stimmhafte Konsonanten einem systematischen Wechsel zur Unterscheidung von Kasuseigenschaften (z.B. Nominativ Sg. mõde 'Gedanke' : Genitiv Sg. mõtte; Nominativ Sg. pesa 'Nest': Illativ Sg. pessa; vgl. Stolz 2010: 166–167). Bei femininen Nomina des Rum. kann der Genitiv/Dativ Sg. durch die Endung zusammen mit dem Umlaut markiert werden (fată 'Mädchen': fete). Zur Kasusunterscheidung kann im Wortparadigma auch eine endungslose Wortform den Wortformen mit Endung gegenüberstehen, wobei ein Nullmarker angenommen wird, der einen Einzelkasus bezeichnet; so bezeichnet dt. Mensch den Nominativ Sg. im Gegensatz zu allen anderen Kasus. Im Russ. unterscheidet sich der Genitiv Pl. knig (mit Nullmarker) von den anderen Formen des femininen Nomens kniga 'Buch'. Eine Form mit Nullendung kann sich auch durch einen phonologischen Prozess unterscheiden: Z.B. hat russ. žená 'Frau' den Genitiv Pl. žën, mit Akzentverlagerung und daraus folgendem Vokalwechsel im Stamm. Zwischen einer Kasuseigenschaft und einem Marker besteht kein 1:1-Verhältnis. Zum einen kann die gleiche Eigenschaft durch verschiedene Marker (meist in komplementärer Distribution) realisiert werden, was zur Unterscheidung nominaler Flexionsklassen beiträgt: So entspricht im Dt. dem Genitiv Sg. die Endung ‑es/‑s (Tages/Auges), ‑en/‑n (Bären/Russen) oder die Nullendung (Optimismus, und bei Feminina, z.B. Nacht). Viel komplexer ist die Situation im Lat. Hier entspricht dem Genitiv Sg. eine Reihe Allomorphe: ‑ae (gratiae, zu Nomi-

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Kasus 394

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nativ gratia 'Gnade', 1. Dekl.); ‑i (anni, zu Nominativ annus 'Jahr', 2. Deklination; rei, zu Nominativ res 'Sache', 5. Deklination); ‑is (consulis, zu consul, 3. Dekl.); ‑us (casus, Nominativ Sg. 4. Dekl.). Zum anderen kann ein Marker Flexionseigenschaften unterschiedlicher Kategorien kumuliert realisieren: Z.B. die Eigenschaften {Genitiv, Singular} kommen in der Endung -es von dt. Tages vor. Darüber hinaus sind Wortformen besonders in den idg. Sprachen durch den Synkretismus gekennzeichnet, wobei gegenüberstehende Eigenschaften derselben grammatischen Kategorie durch den gleichen Marker realisiert werden: Z.B. bezeichnet die Endung ‑e in dt. Tage den Nominativ, den Akkusativ oder den Genitiv im Plural. Diese drei Phänomene können zusammen auftreten: der Marker -e der dt. Wortform Tage realisiert in einer kumulativen Exponenz die gleichen Eigenschaften wie -er in Geister, wobei Synkretismen vorkommen. Da die Anzahl und die Funktionen der Kasuseigenschaften von Sprache zu Sprache sehr unterschiedlich sind, kann eine genaue Behandlung des Kasus nur einzelsprachlich erfolgen. Dies hat aber nicht verhindert, dass die Kasusauffassungen, die in der griechisch-lateinischen Tradition entwickelt wurden, später allgemeine Anwendung fanden. Die klassische Auffassung hat eine semantische Grundlage (Koller 1958). Nach Aristoteles hat das Nomen mit Subjektfunktion die ihm gebührende Stellung im lógos apophantikós (d.h. die Aussage, der Wahrheit oder Falschheit zukommt). Für ihn ist der Nominativ keine ptôsis (d.h. kein Fall), denn eine solche wird als Abweichung (klísis) des Nomens von seiner Subjektfunktion im lógos apophantikós angesehen. Nach den Stoikern dagegen sind Nomina wie von den Begriffen im Geist „gefallen“. Diese Anschauung scheint auf Platos Theaitetos zurückzuführen (Koller 1958: 37), der den lógos als Ausdruck (ektýpôsis) eines Gedankens (diánoia) auffasst. Der lógos wird 'gerade', 'direkt' (orthós) genannt, wenn er (als lógos apophantikós) dem Gedanken genau entspricht; dann besitzt das Nomen mit Subjektfunktion den direkten (orthé) oder nominativischen Fall (onomastiké ptôsis). Die anderen Fälle der Nomina werden als 'seitlich' (plágiai) aufgefasst, weil sie nicht als Subjekte am 'direkten' lógos teilnehmen. Der Genitiv (oder Genetiv, nach Wackernagel die richtige Form, vgl. Cal-

boli 1972) verdankt seinen Namen (geniké ptôsis) der Vielfalt von Verwendungen – er wird als ein allgemeiner Kasus angesehen. Der Akkusativ dagegen ist der Fall der Sache (aition als Rechtssache), verstanden als das, was eine Handlung hervorruft (Calboli 1972: 100–102). Die entsprechende lat. Terminologie unterscheidet einen casus rectus (für den Nominativ) von den casus obliqui, wie Genitiv, Dativ und Akkusativ (Butt 2006: 13f.). Diese semantische Auffassung wurde oft kritisiert, aber in vielerlei Hinsicht wird sie in unterschiedlichen modernen Ansätzen beibe­ halten. Nach grundlegender Bewertung und Entwicklung der verschiedenen Kasusauffassungen vom Mittelalter bis zum 20. Jh. haben u.a. Louis Hjelmslev und Roman Jakobson Kasussysteme als Ganzheiten aufgefasst und eine invariante Bedeutung für jeden Einzelkasus zu bestimmen versucht. Hjelmslev geht von den drei „Dimensionen“ „Richtung – Kohäsion – Subjektivität/ Objektivität“ aus, in denen die Einzelkasus aller Sprachen angeordnet sind. Jakobson arbeitet mit semantischen Merkmalen wie 'Gerichtetheit', 'Rand' und 'Umfang', und jeder Einzelkasus bekommt eine nur ihm eigene Merkmalkombination (Bartschat 1996: 95–99, 123f.). Aus einer anderen Perspektive hat Jerzy Kuryłowicz im Idg. zwischen „grammatischen“ und „konkreten“ Kasus unterschieden. Ersteren (wie Nominativ, Akkusativ und Genitiv) werden primär syntaktische und sekundär semantische Funktionen zugeschrieben, Letztere (wie Ablativ, Instrumental und Lokativ) bekommen primär semantische und sekundär syntaktische Funktionen (Kuryłowicz 1960; 1964). Diese Einteilung der Kasus nach syntaktischen und semantischen Funktionen lässt sich in der neueren Unterteilung von Kernkasus (die die zentralen syntaktischen Funktionen markieren) und indirekten Kasus erkennen (z.B. Blake 2004: 1081; Hentschel/Vogel 2009: 192–194; Mel'čuk 2006: 167–179). „Semantische“ Funktionen betreffen hier die Rollen von Adverbialbestimmungen, die nicht zum Kernbereich gehören, nach anderen Auffassungen aber auch als syntaktische Funktionen angesehen werden können (Helbig 1973). Viele Ansätze zur Behandlung von Kasuseigenschaften verzichten heute auf die Suche nach Gesamtbedeutungen. Ein Einzelkasus wird eher als eine Korrelation zwischen

395 Kasusabbau syntaktischen Funktionen und einem einheitlichen morphologischen Kodierungsmuster aufgefasst (Hentschel/Menzel 2009: 163). Giovanni Gobber ≡ Fall → § 9, 16, 20, 26, 28; accusativus absolutus; casus absolutus; genitivus absolutus; Instrumental; Kāraka; Kasusbedeutung; Kasusform; Kasusfunktion; Kasusmorphem; Kasusrahmen; Kasuswechsel; Präpositionalkasus; Vollkasus → Gram-Syntax: Apposition; inhärenter Kasus; Kasushierarchie; Kasustheorie; nicht-struktureller Kasus; Rektion; semantischer Kasus; struktureller Kasus; Tiefenkasus ⇀ Kasus (CG-Dt; Sprachphil; HistSprw) ⇁ case (Typol; CG-Engl)

🕮 Bauer, L. [2003] Introducing Linguistic Morphology. 2nd ed. Washington, DC ◾ Blake, B.J. [2000] Case. In: Booij, G./ Lehmann, Ch./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1073–1090 ◾ Butt, M. [2006] Theories of Case (Cam­Tb­ Ling). Cambridge ◾ Calboli, G. [1972] La linguistica moderna e il latino. Bologna ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G. [1973] Zur Verwendung der Infinitiv- und Partizipialkonstruktion in der deutschen Gegenwartssprache. In: DaF 10: 281–292 ◾ Helbig, G. [2001] Grundzüge der Grammatik. In: Fleischer, W./ Helbig, G./ Lerchner, G. [Hg.] Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Frankfurt/Main: 218–309 ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, G./ Menzel, T. [2009] Nominale Kategorien: Kasus. In: Kempgen, S./ Kosta, P./ Berger, T./ Gutschmidt, K. [Hg.] Die slavischen Sprachen (HSK 32.1). Berlin: 161–176 ◾ Hjelmslev, L. [1972] La catégorie des cas. Munich ◾ Koller; H. [1958] Die Anfänge der griechischen Grammatik. In: Glotta 37: 5–40 ◾ Kuryłowicz, J. [1964] The Inflectional Categories of Indo-European. Heidelberg ◾ Kuryłowicz; J. [1960] Esquisses linguistiques. Kraków ◾ Malchukov, A./ Spencer, A. [eds. 2008] The Oxford Handbook of Case (OxfordHLing). Oxford [etc.] ◾ Matthews, P.H. [1992] Morphology. 2nd ed. Cambridge ◾ Stolz, T. [2010] Ein Index will nach oben, oder: Ein Weg zur Grammatikalisierung innerhalb der Wortgrenzen. In: Harnisch, R. [Hg.] Prozesse sprachlicher Verstärkung. Typen formaler Resegmentierung und semantischer Remotivierung [LingI&T 37]. Berlin [etc.]: 157–177 ◾ Uspenskij, B.A. [1957] K opredeleniju padeža po A. N. Kolmogorovu. In: Bjulleten' Ob''edinenija po problemam mašinnogo perevoda 5: 11–18 ◾ Welke, K. [2011] Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin. ◾ Zaliznjak, A.A. [1973] O ponimanii termina «padež» v lingvističeskich opisanijach. In: Zaliznjak, A.A. [ed.] Problemy grammatičeskogo modelirovanija. Moskva: 53–87 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Kasus, absoluter → casus absolutus

Kasus, analytischer → Präpositionalkasus

Kasus, direkter → reiner Kasus

Kasus, indirekter

→ Präpositionalkasus

Kasus, lexikalischer → lexikalischer Kasus

Kasus, merkmalloser → merkmalloser Kasus

Kasus, mittelbarer → Präpositionalkasus

Kasus, peripherer → peripherer Kasus

Kasus, reiner

→ reiner Kasus

Kasus, unmittelbarer → reiner Kasus

Kasusabbau

Tendenz zur Vereinfachung oder zum Verlust der Kasusmarkierung und der Kasusunterscheidung. ▲ case reduction: tendency towards simplification or loss of case marking and case distinction. Beim Kasusabbau lassen sich zwei Tendenzen erkennen (Eisenberg 2004: 158): Vereinfachung unter Beibehaltung der Kasuseigenschaften, die als eine paradigmatische Kasusangleichung angesehen werden kann (1), und Verlust der Kasuseigenschaften, der besonders beim Sprachkontakt beobachtet wird und am Zusammenfall der Kasusunterscheidung erkennbar ist (2). (1) die Beamten des alten Österreich (2) *Er hat ihn das geschenkt. Der Abbau lässt sich eher bei den Nomina beobachten, deren Form ohne Kasusmarkierung besonders häufig vorkommt, so dass die Form ohne Markierung zum Prototyp wird. Die Vereinfachung muss im Rahmen des Systems untersucht werden. So kann eine vereinfachte Wortform wie des Mofa (Genitiv Sg.) den Unterschied zum Genitiv Pl. der Mofas stärken, wobei die Endung -s beim Nomen als Pluralendung angesehen wird. Pronomina sind resistenter gegen den Abbau als

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Kasusangleichung 396 Nomina. Dafür wird als Grund angegeben, dass Personalpronomina als ganzheitlich lexikalisierte Formen (full listed items) gespeichert sind (Rosenberg 2003: 309). Als weiterer Grund gilt, dass Personalpronomina häufiger vorkommen und daher besser im Gedächtnis verankert sind (Riehl 2004: 91). Giovanni Gobber

→ Kasus; Kasusangleichung; Kasusmorphem; Kasussynkretismus; Kasuswechsel; Personalpronomen

→ Gram-Syntax: Oberflächenkasus

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Riehl, C.M. [2004] Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Rosenberg, P. [2003] Vergleichende Sprachinselforschung: Sprachwandel in deutschen Sprachinseln in Russland und Brasilien. In: Harden, Th./ Hentschel E. [Hg.] Particulae particularum. Festschrift zum 60. Geburtstag von Harald Weydt. Tübingen: 273–323.

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Kasusangleichung

Harmonisierung einer Wortform an eine andere Wortform im Hinblick auf den Kasus. ▲ case alignment: harmonization of a word form with another word form with regard to case. Die Kasusangleichung kann vom syntagmatischen oder vom paradigmatischen Standpunkt her betrachtet werden. Eine syntagmatische Kasusangleichung tritt bei der Übereinstimmung einer lockeren Apposition mit ihrem Bezugswort auf (1), (Eisenberg 1999: 252). (1) Wir vertrauen Helmut, dem Finanzgenie. Als syntagmatische Kasusangleichung wird u.a. die Kasusattraktion angesehen, die besonders im Griech. und im Lat. vorkommt. So kann ein Prädikatsnomen den Kasus des Bezugsnomens nehmen (2). (2) Mihi nomen est Tito. ['ich heiße Titus'] Unter dem Einfluss des Personalpron. mihi 'mir' trägt der Eigenname Titus den Dativ. Aufgrund der Attraktion kann auch der Kasus eines Relativpron. an den Kasus des Bezugsworts im übergeordneten Satz angeglichen werden (3), wo quo statt quem steht. (3) In libro, quo dixi ['im genannten Buch'] Das Relativpron. quo ist hier ein direktes Objekt von dixi, es steht aber im Ablativ, wie das Bezugswort libro. Diese Attraktion, die in mhd. Texten auch zu finden ist, stellt nach Hermann Paul „eine Art falscher Kasus-Kongruenz“ dar (Paul 2007: 386).

Die Angleichung im Paradigma betrifft die Unterschiede in der Kasusmarkierung. So kann eine weniger häufige Endung an die häufigere angepasst werden (4). In anderen Fällen wird der Kasusmarker beim Nomen aufgehoben (5). (4) die Tochter des Hausherren (5) eine Seele von einem Mensch Trotz Aufhebung der Markierungsunterschiede können die Kasuseigenschaften beibehalten und durch den Artikel bzw. das Adj. ausgedrückt werden (Eisenberg 2004: 158). Giovanni Gobber

→ Kasus; Kasusabbau; Kasusform; Kasussynkretismus; Kasuswechsel; Wortform

→ Gram-Syntax: Apposition; Attraktion; lockere Apposition

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Paul, H. [2007] Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Aufl., neu bearb. von T. Klein, H.-J. Solms, K.-P. Wegera u. H.-P. Prell (SkGrgermD-A 2). Tübingen.

Kasusbedeutung

semantische Funktion eines morphologischen Kasus. ▲ case meaning: semantic function of a morphological case. Die Frage, ob die morphologischen Kasus einer Sprache jeweils eine genau bestimmbare Bedeutung haben, beschäftigt die Sprachtheorie seit alters. Eine allgemein akzeptierte Lösung der Frage gibt es bis heute nicht. Nicht einmal darüber, ob die Suche nach Kasusbedeutungen überhaupt sinnvoll ist, besteht Konsens. Darüber hinaus werden die Kasuskategorien nicht immer deutlich von ihrer materiellen Realisierung unterschieden, so dass der Terminus Kasusbedeutung mehrere Interpretationen zulässt (Dürscheid 1999). Die traditionellen Kasusbezeichnungen belegen das Bestreben, Kasus weder rein formal noch rein distributionell, sondern semantisch zu definieren (vgl. Nominativ 'Nennkasus', Dativ 'Kasus der Zuwendgröße'). Dazu wurden im Laufe der Geschichte der Sprw. unterschiedliche Versuche unternommen, je nachdem, welche Funktion(en) der Kasus man für ausschlaggebend hielt: die diskursive, psychologische, kognitive Funktion (insbesondere die in räumlichen Be-

397 Kasusform griffen bestimmbare, sog. Lokalismus); die konzeptuelle (ontologische), logische, differenzielle (oppositive) oder die syntaktische Funktion. Vielfach werden mehrere Funktionen miteinander verknüpft: In der strukturalistischen Ära plädieren L. Hjelmslev und R. Jakobson dafür, Kasusbedeutungen als „Grundbedeutungen“ (Hjelmslev 1935/1937) oder „Gesamtbedeutungen“ (Jakobson 1936) zu definieren. Beide Autoren gehen davon aus, dass eine Kasusbedeutung eine kategorielle Invariante ist, die von der syntagmatischen Umgebung in der Äußerung unabhängig ist; einzelne Haupt- und Sonderbedeutungen stellen (kombinatorische) Varianten dar. Solche Versuche stoßen auf die Schwierigkeit, alle Verwendungen eines Kasus unter eine Bedeutung zu fassen. Nach Ch. Fillmores Aufsatz „A Case for Case“ (1968) wird die traditionelle Analyse morphologischer Kasus lange Zeit zurückgewiesen und durch einen Fokus auf die angeblich tiefer anzusiedelnden „thematischen Rollen“ („deep cases“ bei Fillmore) ersetzt. Diese Einschätzung ändert sich ab den 90er Jahren, als das Interesse an der Bedeutung morphologischer Kasus in strukturellfunktionellen und kognitiven Ansätzen wiederum zunimmt (für eine knappe Diskussion einiger Ansätze s. Willems 1997). Das semantische Problem wird nur z.T. gelöst, wenn man die Kasus, wie in der kognitiven Ling., als polyseme Kategorien beschreibt, weil der Zusammenhang zwischen den Verwendungen eines Kasus ebenfalls eine Form von semantischer Einheitlichkeit voraussetzt. Dürscheid (1999: 4) vertritt den Standpunkt, dass Kasusbedeutungen „nicht absolut festlegbar“ seien und die Suche „nach einer und nur einer Bedeutung“ ohnehin sinnlos sei, weil Kasusbedeutungen immer nur im Satz zustande kämen (hier droht freilich die Gefahr der Zirkularität, auf die schon Jakobson 1936/1971: 29–30 aufmerksam gemacht hatte). In der Zuordnung von syntaktischer Funktion und semantischer Rolle spielt Dürscheid (1999: § 5) zufolge der kognitiv-linguistisch fundierte Faktor der „Perspektivierung“ eine zentrale Rolle. Klaas Willems ≡ Kasusinhalt → Bezugskasus; Gestaltungskasus; Kasus; kombinatorische Bedeutung; Randkasus; Richtungskasus; strukturelle Bedeutung; Umfangskasus → Gram-Syntax: Kasusgrammatik; Kasusrolle; semantischer Kasus; thematische Rolle; Tiefenkasus

🕮 Dürscheid, C. [1999] Die verbalen Kasus des Deutschen. Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive (StLingGerm 53). Berlin [etc.] ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case. In: Bach, E./ Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Hjelmslev, L. [1935–1937/1972] La catégorie des cas (IBAllLing 25). München ◾ Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288 ◾ Willems, K. [1997] Kasus, grammatische Bedeutung und kognitive Linguistik. Tübingen.

Kasusform

morphologische Kasusmarkierung durch freie oder gebundene Morpheme, um die grammatische Funktion des sprachlichen Elements zu kennzeichnen. ▲ case form: morphological case marking that uses free or bound morphemes to indicate the grammatical function of the linguistic unit. Ein nominales Lexem wird durch Affigierung, Metathese (Arab.), Ablaut (Iranisch), Akzentwechsel (Russ.) oder deren Kombination in eine Kasusform überführt. Nach Vater (2008; 2013) betrifft der Terminus Kasusform die Endung eines bestimmten (selektierten) Kasus. Charakteristisch für flektierende (Lat., Dt.) und agglutinierende Sprachen (Türk., Ung.) ist die morphologische Markierung des Kasus, um dessen syntaktische Funktion zu kennzeichnen, ohne dass jedoch eine Satzgliedfunktion an eine bestimmte Kasusform gebunden ist. Die Zuordnung eines Kasussuffixes zu einem kasusspezifizierten Nomen bestimmt das Flexionsparadigma, zu dem das Nomen gehört. Kasusformen sind in Form und Ausprägung bedingt durch die gegebenen Deklinationsklassen von Sprache zu Sprache verschieden. Für zwei oder mehrere Kasus können auch identische kasusmarkierende Suffixe (Kasusmarker) existieren (Kasussynkretismus). Was die Zahl der Paradigmen für das Dt. anbelangt, gibt es unterschiedliche Auffassungen: Wiese (2008) spricht von einem zentralen Vier-Kasus-vier-Kennzeichen-System, Gallmann (1996) nimmt sechs Paradigmen an, Thieroff (2006) geht von einem Schema mit fünf Mustern aus. Dabei werden nach Eisenberg (2006: 167) die beiden Kasusformen Dativ Pl. (-n) und Genitiv Sg. (-s oder -n) obligatorisch markiert, Ágel (2006) nennt sie Kernflexive. Im Gegensatz zur Dativ-Pl.-Markierung, die einheitlich reguliert (d.h. prosodisch determiniert) ist, ist der Genitiv Sg. für jeden Flexionstyp zu spezifizieren. Hin-

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Kasusfunktion 398

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sichtlich der nominalen Flexion unterscheidet man im Dt. den Feminina- und den Nicht-Feminina-Typ. Der Feminina-Typ, zu dem der Pl. gezählt wird, folgt dem Prinzip der Monoflexion. Damit ist verbunden, dass einerseits die Kasusmarkierung hauptsächlich von den determinativen Elementen des Nomens (dem Artikel bzw. den attributiven Adjektiven/Partizipien) getragen wird und dass andererseits das Inventar an grammatischen Bildungsmitteln stark reduziert ist (-e, -en, -er) (vgl. Eichinger 2013). Der Kasuszusammenfall beim Femininum und bestimmten Pluralformen geht somit mit einer Unterspezifikation einher. Dort, wo die syntaktische Funktion nicht über die Form ausgedrückt wird, spielt die Wortfolge eine bestimmende Rolle ((1) vs. (2)). (1) Das Kind zeichnet die Frau. (2) Die Frau zeichnet das Kind. In (1) und (2) wird das Nomen im Vorfeld (das Kind vs. die Frau) als Subjekt interpretiert. Den NichtFeminina-Typ (Maskulina und Neutra) kennzeichnet das Prinzip der Deutlichkeit, das vom Femininum über den Plural und das Neutrum zum (starken) Maskulinum zunimmt (Eichinger 2013). Maskulina und Neutra folgen somit nicht dem Prinzip der Einmalmarkierung, sondern weisen z.B. im Dativ neben endungshaltigen endungslose Formen (statistisch der Normalfall) oder beim Genitiv Formalternativen auf ((3), (4)). (3) mit dem Tod/Tode ringen (4) Manns – Mannes Die Wahl der auffälligeren Langform erfolgt meist aus stilistischen Gründen, um eine ironische Verwendung oder den Gebrauch in einem gehobenen, feierlichen Kontext anzuzeigen (vgl. Eichinger 2013). Kasusmarker können im standardspr. und mehr noch im nicht-standardspr. Gebrauch des Dt. wegfallen. Standardspr. sind u.a. folgende Konstruktionen davon betroffen: das archaische Dativ-e Sg. (noch in festen Wendungen wie auf dem Lande); Dativ-n bei Konstruktionen mit Maß- und Mengenangaben (5) oder nach der Präp. ab (6); Genitiv-Suffix bei ansonsten artikellosen Eigennamen mit Genitiv kennzeichnender Artikelform (7), Genitiv-s bei Maskulina und Neutra (8). (5) mit einem Korb Äpfel(n) (6) ab vier Monate(n) (7) Seit 2015 spielt er die Rolle des Jonne Halonen in der TV-Serie [...]

(8) das Gebiet des heutigen Ungarn Bei Parallelformen wie Friede/n scheint sich eine Bedeutungsdifferenzierung über den Nominativ abzuzeichnen ((9), (10)); diese haben aber eine geringe Reichweite und können als „Reste alter Übergangsfälle“ (Eichinger 2013: 154) betrachtet werden. (9) der Friede ['Geborgenheit in Gott'] (10) der Frieden ['Zustand der Eintracht'] Kasusformen können auch lexikalisch erstarrt sein, was Analogiebildungen ausschließt, z.B. die Kasusform adverbialer Nominalgruppen (vgl. Blühdorn 2008) (11). (11) Festen Schrittes betrat er den Saal. (11a) *Fliegenden Schals betrat er den Saal. Petra Szatmári

→ Dativ; Deklination; Form; freies Morphem; gebundenes

Morphem; Genitiv; Kasus; Kasusabbau; Kasusangleichung; Synkretismus

🕮 Ágel, V. [2006] (Nicht)Flexion des Substantiv(s). Neue Überlegungen zum finiten Substantiv. In: ZGL 34: 286–327 ◾ Blühdorn, H. [2008] Syntaktische, semantische und pragmatische Funktionen von Nominalgruppen im Deutschen. In: Conv 2008: 287–320 ◾ Eichinger, L.M. [2013] Die Entwicklung der Flexion: Gebrauchsverschiebungen, systematischer Wandel und die Stabilität der Grammatik. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung/ Union der deutschen Akademien der Wissenschaften [Hg.] Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 121–170 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P. [1996] Die Steuerung der Flexion in der DP. In: LB 164: 283–314 ◾ Thieroff, R. [2006] Unflektierte Substantive sind nicht infinit. In: ZGL 34: 328–353 ◾ Vater, H. [2008] Veränderungen der Kasusformen im gegenwärtigen Deutschen. In: JbUG 2007: 252–286 ◾ Vater, H. [2013] Ungleiche Paare: Kasuswechsel in koordinierten Nominalphrasen. In: Conv 2013: 363–383 ◾ Wiese, B. [2008] Kasusdifferenzierung in der neuhochdeutschen Nominalgruppe. [Unter: http://www1.ids-mannheim.de/filead​ min/gra/texte/wiese_kasusdifferenzierung.pdf; letzter Zugriff: 16.08.2017].

Kasusfunktion

Funktion der Kasus. ▲ case function: function of the morphological cases. Die vier Kasus des Dt. Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv erfüllen jeweils verschiedene syntaktische Funktionen, deren wichtigste die folgenden sind. (a) Im Nominativ stehen nominale Subjekte (1) und nominale Prädikatsnomen (Prädikative) (2) sowie der sog. Vokativ oder Anredenominativ (3). (1) Der Mai ist gekommen.

399 Kasusindex (2) Peter ist ein Angeber. (3) Komm her, mein Sohn! (b) Im Akkusativ stehen direkte Objekte (Akkusativobjekte). Die prototypische semantische Rolle des direkten Objekts ist das Patiens (4). (4) Tim hat den ganzen Kuchen gegessen. In einer zweiten Funktion kommt der Akkusativ in lokalen (5) und temporalen (6) Adverbialen und in Maßangaben ((7), (8)) vor. (5) Er geht den ganzen Weg zu Fuß. (6) Die Sonne scheint jeden Tag. (7) Es dauert einen Monat. (8) Ein Eis kostet einen Euro. Die dritte Funktion des Akkusativs ist die der Richtungsangabe bei den sog. Wechselpräpositionen (9) und häufig auch bei anderen Präpositionen, die nur den Akkusativ regieren (10). (9) Wir gehen in den Zoo. (10) Der Zug fährt durch einen Tunnel. (c) Im Dativ stehen indirekte Objekte (Dativobjekte), deren prototypische semantische Rolle die des Rezipienten ist (11). Der sog. freie Dativ kommt als dativus ethicus (12) und als dativus iudicantis (13) vor. (11) Der Mann gab dem Jungen einen Ball. (12) Du bist mir ein Früchtchen! (13) Das ist mir zu viel. Die dritte Funktion ist die der Ortsangabe bei den sog. Wechselpräpositionen (14) und häufig auch bei anderen Präpositionen, die den Dativ regieren (15). (14) Heute sind wir im Zoo. (15) Sie wohnt bei ihrer Tochter. In der gesprochenen Umgangssprache tritt der Dativ schließlich auch als Attribut auf (16). (16) Dem Mann sein Hut ist zerbeult. (d) Die Hauptfunktion des Genitivs ist die des Attributs (17). Daneben kommt der Genitiv als temporales Adverbial vor (18). (17) Die Funktion des Satzes […]. (18) Eines Tages war es so weit. Zudem regieren einige Präpositionen den Genitiv, allerdings nur Präpositionen der jüngeren Schicht, die z.B. von Substantiven abgeleitet ((19), (20)) oder komplex sind (21). (19) Wegen des schlechten Wetters […]. (20) Trotz dieses unangenehmen Vorfalls […]. (21) Aufgrund eines heftigen Sturms […]. Als Objekt (Genitivobjekt) kommt der Genitiv im

heutigen Dt. nur noch bei wenigen Verben vor, von denen viele zur Gerichtssprache gehören. (22) Der mutmaßliche Täter wird des Mordes angeklagt. (23) Das Opfer wurde seines gesamten Geldes beraubt. Rolf Thieroff

→ Akkusativ; Dativ; Genitiv; Kasus; Nominativ; Präposition; Wechselpräposition

→ Gram-Syntax: Funktion; Kasusrolle; syntaktische Funktion

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Kasusindex

in diagrammatischen Darstellungen von Abhängigkeitsbeziehungen verwendeter tiefgestellter Index, der den Kasus eines Elements angibt. ▲ case subscript: subscript used in diagrammatical representations of dependency relations to indicate the case of a given element. Um Abhängigkeitsbeziehungen darzustellen, werden im Grammatikmodell von Ulrich Engel Diagramme verwendet, die Symbole mit tiefgestellten Kasusindices enthalten. Ein Kasusindex gibt an, in welchem Kasus das jeweilige Element steht, wobei folgende Konventionen gelten: a = Akkusativ, d = Dativ, g= Genitiv, n = Nominativ. Unter dem Terminus Kasus wird eine „Flexionskategorie bei Nomen, Determinativ, Adjektiv, Pronomen“ (Engel 1996: 872) verstanden. Der Kasusindex kann zwar auch bei Ergänzungs- und Angabesymbolen verwendet werden, kommt aber praktisch fast nur bei Symbolen vor, die Phrasen- oder Wortklassen bezeichnen, z.B. NomPd für 'Nominalphrase im Dativ'; Na für 'Nomen im Akkusativ'. Nach Engel können Wörter bzw. Wortgruppen „für sich selbst“ oder „in ihrem Kontext“ betrachtet werden. Bei der ersten Verfahrensweise wird der Kern einer Wortgruppe herausgestellt: er besteht aus dem Wort, von dem alle anderen Teile der Wortgruppe abhängen. Die Wortgruppe, die nach ihrem Kern benannt wird, wird als Phrase angesehen. Wenn die Wortgruppe in ihrem Kontext betrachtet wird, tritt das Element auf, von dem sie abhängt. Dieses „externe Regens“ charakterisiert die regierte Wortgruppe als dessen Glied. Damit z.B. eine NP zum syntaktischen Glied eines

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Kasusinhalt 400 intransitiven Verbs wird, verlangt die Abhängigkeitsbeziehung, dass der Kern der NP ein Nomen im Nominativ ist. In Engels Terminologie ausgedrückt kann ein Nn (d.h. ein Nomen im Nominativ) als ein Verbglied Nsub des Regens V (d.h. ein Verb, das bloß das Subjekt regiert) angesehen werden. Giovanni Gobber

→ Flexionskategorie; Kasus → Gram-Syntax: Dependenzgrammatik; Phrase

🕮 Ágel, V. et al. [Hg. 2006] Dependenz und Valenz (HSK 25.2). Berlin [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Tesnière, L. [1959] Éléments de syntaxe structurale. Paris.

Kasusinhalt

≡ Kasusbedeutung

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Kasusmorphem

Morphem für die Kasusmarkierung. ▲ case morpheme: morpheme that marks the case. Im Gegensatz zu Numerusmorphemen, die für die Markierung des Pl. und ggf. auch des Sg. oder Dualis zuständig sind, geben Kasusmorpheme den Kasus an. Im Dt. lassen sich in manchen Fällen Pl. und Kasus getrennt analysieren, vgl. -n in mit den Fisch-e-n. Hilke Elsen

→ Flexion; gebundenes Morphem; Grundmorphem; Kasus; Kasusform; Numerus

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Czepluch, H. [1988] Kasusmorphologie und Kasusrelationen. Überlegungen zur Kasustheorie am Beispiel des Deutschen. In: LB 116: 275–310 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Kasusrahmen

Menge der semantischen Kasus, die mit dem Verb eine Proposition bilden. ▲ case frame: set of semantic cases that build a proposition with the verb. In der ursprünglichen Version der Kasusgrammatik geht Fillmore (1968) im Anschluss an die Generative Transformationsgrammatik von Tiefenstrukturen aus, die er semantisiert versteht und mit dem Tesnièreʻschen Gedanken der Valenz verbindet. Demzufolge fasst er den Kasusrahmen als selbständig erzeugte Konfiguration

eines Verbs mit dessen Tiefenkasus (Kasusrollen) auf. Für das Verb öffnen ergibt sich folgender Kasusrahmen: Objektiv, Instrumental, Agentiv (1). (1) [Der Einbrecher]Agentiv öffnete [die Tür]Objektiv [mit einem Dietrich]Instrumental. Diese NPn stehen in einer ganz bestimmten Beziehung zum Verb. Dabei wird angenommen, dass jede Kasusrelation nur einmal vergeben wird (Singularitätsprinzip). Die sechs ursprünglichen Kasusrollen (Agentive, Instrumental, Dative, Factitive, Locative, Objective, vgl. Fillmore 1968) sind in der Folgezeit präzisiert und erheblich erweitert worden (vgl. Eroms 2000: 180–183). In späteren Arbeiten Fillmores erfolgt eine Hinwendung zur kommunikativen Situation, indem ein Wort mit einer prototypischen Szene und einem pragmatischen Bezugsrahmen assoziiert wird (vgl. Helbig 1992). Sprachlich aktualisiert werden diese kognitiven Szenen durch Verben und deren Kasusrollen. Mit der Wahl eines Verbs nimmt der Sprecher eine bestimmte Perspektivierung auf den Sachverhalt vor und wählt bzw. blendet zugleich (Sachverhalts-)Mitspieler aus. Somit werden Zusammenhänge zwischen außersprachlicher Realität und Sprachwissen, d.h. dem Wissen des Sprechers über „die Kasusrahmen und deren Verbindung mit der Szene“ (Krevs Birk 2006: 66) deutlich. Dabei beinhaltet der Kasusrahmen jegliche mit der Szene verbundene Aktivität, aktiviert die dafür notwendigen Mitspieler und legt unter ihnen eine bestimmte Perspektive fest (Helbig 1992: 52f.). Die nach Fillmore zitierte Kaufszene (Welke 1988; Helbig 1992), an der stets Käufer, Verkäufer, Ware und Preis beteiligt sind, kann durch Verben mit unterschiedlichem Kasusrahmen versprachlicht werden (u.a. kaufen, verkaufen, bezahlen, kosten). Während z.B. verkaufen auf den Verkäufer perspektiviert und weitere Beteiligte zulässt (2), ist der Verkäufer im Kasusrahmen von kosten nicht enthalten (3). (2) Der Unternehmer verkauft dem Anwalt die Jacht für 20 Millionen Euro. (3) Die Jacht kostet den Anwalt 20 Millionen Euro. Kasusrahmen spielen auch im valenzbasierten Ansatz von Ickler (1990) eine Rolle. Ausgehend von Oberflächenkasus werden die syntagmatisch gebündelten unterschiedlichen Kasusrahmen mit einer bestimmten Perspektivierungspotenz gebildet. In diese werden Verben eingebettet,

401 Kasuswechsel deren Bedeutung die Perspektivierung des Kasusrahmens spezifiziert. Dies bewirkt, dass verschiedene Verben im gleichen Kasusrahmen einen Sachverhalt vergleichbar perspektivieren (hinterlassen – vermachen) bzw. das gleiche Verb in unterschiedliche Kasusrahmen eingebettet den Sachverhalt verschieden perspektiviert (4). (4) Er füllt den Rotwein langsam in die Karaffe. (4a) Er füllt die Karaffe langsam mit Rotwein. Petra Szatmári

→ § 28; Kasus; Kasusbedeutung; Verb → Gram-Syntax: Kasusgrammatik; Proposition; semantischer Kasus; thematische Rolle; Tiefenkasus

⇀ Kasusrahmen (SemPrag) ⇁ case frame (Typol)

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Fillmore, C. [1977] Scenes-and-frames semantics. In: Zampolli, A. [ed.] Linguistic Structures Processing. Amsterdam: 55–81 ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case. In: Bach, E./ Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Helbig, G. [1992] Probleme der Valenz- und Kasustheorie (KSL 51). Tübingen ◾ Ickler, I. [1990] Kasusrahmen und Perspektive. In: DS 18: 1–37 ◾ Krevs Birk, U. [2006] Argumentellipse. Aktantenweglassung in deutschen und slowenischen Reportagetexten. Tübingen ◾ Welke, K. [1988] Einführung in die Valenz- und Kasustheorie. Leipzig.

Kasussynkretismus

infolge des Lautwandels auftretender Zusammenfall kasusmarkierender Suffixe für zwei oder mehrere Kasus, wodurch sie zu uneindeutigen Formen werden, die unterschiedliche syntaktische Funktionen erfüllen. ▲ case syncretism: sound-change-induced overlapping of case-marking suffixes for two or more cases, whereby they take on ambiguous forms, but fulfil different syntactic functions. Petra Szatmári

→ Kasus; Kasusangleichung; Kasusform; Kasuswechsel; Suffix; Synkretismus

→ Gram-Syntax: Ambiguität; syntaktische Funktion ⇀ Kasussynkretismus (HistSprw)

🕮 Fenk-Oczlon, G. [2015] Ich liebe ihm. Belebtheit und differentielle Objektmarkierung im Deutschen. In: Valenčič Arh, U./ Čuden, D. [Hg.] V labirintu jesika. Im Labyrinth der Sprache (SlovgermSt 12). Ljubljana: 83–93 ◾ Gunkel, L. et al. [2017] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal (SchIDS 14). Berlin [etc.] ◾ Krifka, M. [1999] Kasus-Synkretismus im Deutschen in typologischer Perspektive. Vortrag am Fachbereich Sprachwissenschaft der Universität Konstanz, 26. April 1999 [Unter: http://frauensprache.com/Kasussynkre​ tismus.pdf; auch: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/ frontdoor/index/index/year/2010/docId/14196; letzter Zugriff: 24.02.2018] ◾ Wiese, B. [2006] Zum Problem des Formensyn-

kretismus: Nominalparadigmen des Gegenwartsdeutschen. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Gisela Zifonun zum 60. Geburtstag. Tübingen: 15–31 [Unter: https://ids-pub.bsz-bw.de/ frontdoor/index/index/docId/4235; letzter Zugriff: 24.02.2018].

Kasuswechsel

Ersetzung einer Kasusform durch eine andere in komplexen paraphrastischen Strukturen bei gleichbleibender Gesamtbedeutung. ▲ case change: replacement of a case form with a different one in complex paraphrastic structures while the overall meaning remains unchanged.

Kasuswechsel setzt Kasuswahl voraus, bei der es nach Vater (2015) um die Forderung bestimmter Kasus durch ein Verb, Adj., Nomen oder eine Präp. geht. Kasuswahl ist Veränderungen ausgesetzt, die im Resultat zu einem Kasuswechsel führen können. Damit ist verknüpft, dass im intuitiven Sprachwissen von primären und sekundären Strukturen ausgegangen wird (vgl. Petkov 1995), so dass hinsichtlich der Komplementierungs- bzw. Reduzierungserscheinungen, die in sekundären Strukturen festgestellt werden können, die primären die Basisform (z.B. Aktiv, Simplex) darstellen. Greift dieses Ableitungskriterium nicht, wendet Petkov das „Kriterium der Fortsetzungsfähigkeit“ an, das besagt, dass in der Zielstruktur in andere Kasusformen transponierbare Kasusformen enthalten sind (Petkov 1995: 369). Wechsel, die damit nicht erklärbar sind, werden durch das Entlastungskriterium erfasst, wonach in der Zielstruktur weniger reine Kasus enthalten sind (des Abends kommen → am Abend kommen), bzw. die Annahme nicht-gerichteter Strukturen (den/des Abend/s kommen). Im Dt. kommt es im verbalen bzw. nominalen Syntagma zu folgenden Kasuswechseln: (a) Bei Passivierung wird aufgrund der Rückstufung des Agens, das im Subjektaktanten kodiert war, das im Aktivsatz in der Akkusativergänzung kodierte Patiens (werden-, gehören-Passiv) bzw. der im Aktivsatz in der Dativergänzung kodierte Rezipient (bekommen-Passiv) in die Subjektposition angehoben, während das Agens im Passivsatz entweder entfällt oder durch eine von-Phrase realisiert wird (1) (Esub = Subjekt; Edat = Dativergänzung; Eakk = Akkusativergänzung; Eprp = Präpositivergänzung). (1) Die versierte KöchinEsub kocht dem Kran­ kenEdat eine stärkende SuppeEakk.

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kataphorisches Pronomen 402

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(1a) IhmEdat wird (von ihrEprp) eine stärkende SuppeEsub gekocht. (1b) IhmEdat gehört eine stärkende SuppeEsub gekocht. (1c) ErEsub bekommt (von ihrEprp) eine stärkende SuppeEakk gekocht. (b) Bei AcI-Konstruktionen wechselt das ursprüngliche Subjekt in eine niedrigere Kasusposition und wird als Akkusativergänzung realisiert, während in der Konstruktion mit lassen ein Verursacher bzw. in den Konstruktionen mit Wahrnehmungsverben die wahrnehmende Person als Subjekt auftritt (2). (2) Er repariert den Schuh. (2a) Er lässt ihn den Schuh reparieren. (2b) Er sieht ihn den Schuh reparieren. (c) Zu Kasuswechsel kommt es bei der Nominalisierung, durch die ganze Sätze zu NPn kondensiert werden. Dann werden das Subjekt meist intransitiver Verben bzw. die Akkusativergänzung meist transitiver Verben zu Genitivattributen, der Agens-Aktant transitiver Handlungsverben zum Präpositionalattribut, der Dativ zum Präpositionalattribut ((3), (4)). (3) Der Gastgeber begrüßt den Künstler. (3a) Die Begrüßung des Künstlers durch den Gastgeber […]. (4) Die Eltern danken dem Ärzteteam. (4a) Der Dank der Eltern an das Ärzteteam […]. (d) Der Wechsel zwischen transitivem, intransitivem und/oder reflexivem Gebrauch eines Verbs ruft Kasusveränderungen hervor (5). (5) Sie bog den AstEakk. (5a) Der AstEsub bog sich. (e) Infolge von Wortbildung kommt es bei Präfixund Partikelverben zu Kasuswechsel ((6), (7)). (6) Mark schenkte seiner FrauEdat eine goldene KetteEakk. (6a) Mark beschenkte sieEakk mit einer KetteEprp. (7) Der Tiger jagte hinter der AntilopeEprp her. (7a) Der Tiger jagte ihrEdat hinterher. (f) Gelegentlich ist der Wechsel mit der im Kasus kodierten Entität verknüpft, z.B. jmdn. des Dopingsnomen actionis / als Täternomen agentis überführen (Ágel 2006: 79). (g) Adjektive weisen ebenfalls Kasusalternanz auf, z.B. des grauen BetonsEgen / selten: den grauen BetonEakk überdrüssig sein. (h) Verschiedene Präpositionen wechseln ihre Kasus. Das sind die sog. Wechselpräpositionen

(an, auf, in u.a.), die bei lokativer Verwendung mit dem Dativ und bei direktiver mit dem Akkusativ stehen, bzw. ein Positionswechsel der Präp. (Voran- oder Nachstellung) kann mit Kasuswechsel und gelegentlich stilistischen Veränderungen einhergehen ((8)–(10)). (8) wegenGenitiv → Dativ: seinetwegen – wegen ihm [ugs.] (9) entlangAkkusativ/Dativ → Genitiv/Dativ: den/dem Weg entlang – entlang des Weges / dem Weg (10) zufolgeDativ → Genitiv: dem Vertrag zufolge – zufolge des Vertrags [veraltet] Viele der beobachtbaren Kasusalternationen (vgl. Vater 2015) führen zu zahlreichen Unsicherheiten im Sprachgebrauch. Petra Szatmári

→ Kasus; Kasusangleichung; Kasusform; Kasusmorphem; Kasussynkretismus

→ Gram-Syntax: Agens; Akkusativ mit Infinitiv; Patiens

🕮 Ágel, V. [2006] (Nicht)Flexion des Substantiv(s). Neue Überlegungen zum finiten Substantiv. In: ZGL 34.2006: 286–327 ◾ Ágel, V. [2008] Bastian Sick und die Grammatik. Ein ungleiches Duell. In: Info DaF 35: 64–84 ◾ Petkov, P. [1995] Die Kasustranspositionen im Deutschen. In: Popp, H. [Hg.] Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig zum 65. Geburtstag. München: 367–376 ◾ Vater, H. [2015] Kasusveränderungen im gegenwärtigen Deutschen. In: ZVPolnG 4/3: 217–232.

kataphorisches Pronomen

Pronomen, das eine vorausweisende Funktion ausübt. ▲ cataphoric pronoun: pronoun which announces and refers to elements which follow. Das kataphorische Pronomen steht vor seinem Bezugsausdruck – dem Antezedenten –, auf den es sich bezieht und mit dem es hinsichtlich Pers., Numerus und Genus korrespondiert. Es handelt sich dabei um eine Verweisform nach rechts, die dazu dient, durch einen Spannungseffekt die Erwartung auf die neuen Informationen zu wecken (Zifonun et al. 1997: 547). (1) Den kannte ich noch nicht, Marias neuen Freund. (2) Man nannte ihn „King of Pop“. Eine kataphorische Funktion üben z.B. Korrelate aus, die im Obersatz auf den extraponierten Nebensatz bzw. die Infinitivkonstruktion verweisen. (3) Es freut mich, dich hier zu sehen. (4) Ich bestehe darauf, dass du mitkommst.

403

kategorienloser Stamm

Da in der Linearität des Textes kataphorische Pronomina ihrem Antezedenten vorausgehen, sind sie kognitiv schwerer als anaphorische zu entschlüsseln und kommen daher seltener vor (Eisenberg 2004: 168). Die Verwendung kataphorischer Pronomina gilt stilistisch als markiert und ist häufig in der Boulevardpresse zu sehen (Duden 2005: 1116). Fabio Mollica

↔ anaphorisches Pronomen → § 32; Antezedens; phorisches Pronomen; Pronomen → Gram-Syntax: Anapher (1); Katapher; Koreferenz

🕮 Brinker, K. [2005] Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 6., überarb. u. erw. Aufl. (GrdlG 29). Berlin ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Kategorie, lexikalische → lexikalische Kategorie

Kategorie, morphologische → morphologische Kategorie

Kategorie, verbale → verbale Kategorie

kategorienerhaltendes Suffix

Suffix, das nach Anfügung an einen Wortbildungsstamm nicht dessen Wortart verändert. ▲ category sustaining suffix: suffix that does not alter the part of speech of a word formation root to which it has been attached. Ein kategorienerhaltendes Suffix modifiziert die Bedeutung des Ausgangsworts, verändert jedoch nicht dessen Wortart. So treten im Dt. die Verkleinerungssuffixe (-chen, -lein, -i) und Movierungssuffixe (-er, -ich, -erich, -in) an Substantive; die Ableitungsprodukte sind dann ebenfalls Substantive (1). Kategorienerhaltende Suffixe können aber das Genus des Ausgangssubstantivs abändern, wenn es nicht mit dem Genusmerkmal übereinstimmt, das das Suffix einbringt (2). (1) das Kind → das Kindchen (2) die Frau → das Fräulein; die Hexe → der Hexer; der Lehrer → die Lehrerin Laut Eisenberg (1998: 261) kommt es bei etwa

der Hälfte der Derivationsaffixe „nicht oder in produktiven Teilbereichen nicht zu einer Änderung der syntaktischen Kategorie des Stammes“. Letzteres trifft z.B. auf -ung zu, das sich meist mit verbalen Basen verbindet und diese in die Klasse der Substantive überführt. Es kann sich auch mit Adjektiven und Substantiven (Lichtung, Waldung, Zeitung) verbinden. Wenn ein Subst. der Wortbildungsstamm ist, dann ist -ung kategorienerhaltend und nimmt keine grundlegende Umkategorisierung vor. Christine Römer

↔ kategorienveränderndes Suffix → Ableitungssuffix; Stamm; Substantiv; Suffix; Wortart; Wortbildung

🕮 Altmann, H./ Kemmerling, S. [2000] Wortbildung fürs Examen (LingEx 2). Opladen ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.].

kategorienloser Stamm

für sich nicht wortfähiger, sondern nur zusammen mit Derivationssuffixen oder in Konfixkomposita auftretender Stamm, der sich deshalb keiner syntaktischen Kategorie zuordnen lässt. ▲ uncategorizable stem; bound stem: stem which cannot occur as a word on its own, but only combined with derivational suffixes or within confix compounds, and therefore cannot be assigned to a syntactic category. Anders als gewöhnliche Stämme, wie sie für das Dt. im nativen Bereich prototypisch sind, sind kategorienlose Stämme nicht wortfähig, d.h., sie kommen weder ohne noch mit Flexionsaffixen frei im Satz vor. Sie treten nur gebunden entweder mit Derivationssuffixen (Chem + ie, techn + isch) oder innerhalb von Konfixkomposita auf (Chemo + skop, Techno + krat). Kategorienlose Stämme sind daher in Eisenberg (2013: 232f., 270–273) als gebundene Stämme terminologisiert. Der Zusammenhang besteht darin, dass Gebundenheit Kategorienlosigkeit bedingt: Da sie nicht frei im Satz vorkommen, lassen sich gebundene Stämme keiner syntaktischen Kategorie zuweisen (so ist chem für sich genommen nicht als substantivisch oder adjektivisch kategorisierbar). Mit gewöhnlichen Stämmen teilen sie jedoch die Eigenschaft, eine lexikalische Bedeutung zu tragen und die Basis für Derivationen bilden zu können. Ihre Basisfähigkeit lässt sich auch als Kriterium heranziehen, um die gebundenen Stämme von den

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kategorienveränderndes Suffix 404 Konfixen abzugrenzen (vgl. chem + isch, Chem + iker vs. *phil + isch, *Phil + iker), auch wenn die Unterscheidung nicht in allen Fällen eindeutig zu treffen ist (vgl. Eisenberg 2013: 233). Gebundene bzw. kategorienlose Stämme kommen im Dt. typischerweise im Fremdwortbereich vor, vor allem im gräkolat. Wortschatz. Einen einheitlichen Gebrauch des Begriffs im hier dargestellten Sinne gibt es in der Fachlit. nicht. Fleischer/ Barz (2012: 61, 301) verwenden den Terminus des gebundenen Stammes für morphologische Einheiten, die sonst auch als Affixoide klassifiziert werden. Karsten Schmidt

→ Derivation; Kompositum; Konfix; Stamm; Wortart → Gram-Syntax: syntaktische Kategorie

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🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

kategorienveränderndes Suffix

Suffix, das nach Anfügung an einen Wortbildungsstamm dessen Wortart verändert. ▲ category changing suffix: suffix which changes the word class of the stem to which it has been attached. Die kategorienverändernden Suffixe modifizieren die Bedeutung des Ausgangsworts und verändern auch dessen Wortartcharakteristika. Im Dt. treten diese Suffixe vor allem bei der Bildung von Adjektiven ((1), (2)) und Substantiven ((3), (4)) auf. (1) Verb → Adjektiv: waschbar, käuflich, arbeitssam (2) Substantiv → Adjektiv: lustig, diebisch, herzlich (3) Verb → Substantiv: Lehrer, Hoffnung (4) Adjektiv → Substantiv: Heiterkeit, Freiheit, Schönling Manche Suffixe sind Homonyme und kennzeichnen mehrere Wortarten, z.B. im Dt. -ig Adjektive und Verben (schmutzig, ängstigen). Christine Römer

↔ kategorienerhaltendes Suffix → Ableitungssuffix; Stamm; Suffix; Wortart; Wortbildung

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2004] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 4. Aufl. Berlin.

Kausaladverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die den Grund bzw. die Bedingung für ein Geschehen angeben. ▲ causal adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the cause of or condition for an event. Kausaladverbien, die ein kausales Verhältnis i.e.S. bezeichnen, sind z.B. anstandshalber, daher, darum, demnach, deshalb, deswegen, folglich, infolgedessen, meinethalben, mithin, nämlich, so, somit, einschließlich der Frageformen warum, weshalb, weswegen. Funktional können mehrere Elemente der Teilklasse anderen Teilklassen angehören. So können z.B. deshalb auch als Konjunktionaladverb und darum auch als Präpositionaladverb eingestuft werden. (1) Anstandshalber gab Paul ihr recht. Kausaladverbien, die ein konditionales Verhältnis bezeichnen, sind z.B. dann, sonst, andernfalls, gegebenenfalls, nötigenfalls, schlimmstenfalls. (2) Hauseigentümer sollten sicher sein, dass der Wert [...] eingehalten wird. Sonst müssen die Leitungen ausgetauscht werden.

Jussara Paranhos Zitterbart ≡ kausales Adverb → Adverb; Konjunktionaladverb; Präpositionaladverb → Gram-Syntax: Kausalangabe; kausale Adverbialbestimmung; Kausalsatz

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

kausale Konjunktion

Konjunktion, mit der der Grund oder die Ursache einer Handlung angegeben wird. ▲ causal conjunction: conjunction that expresses the cause of an action.

Die Kausalkonjunktionen verbinden subordinierende ((1)–(3)), aber auch koordinierende (4) Sätze: (1) Da Bier heute im Angebot ist, kaufe ich gleich drei Kästen. (2) Sie bleiben zu Hause, weil heute Sonntag ist. (3) Wir fahren nicht mit dem Auto, zumal der Bus viel schneller ist. (4) Ich habe keinen Fernseher mehr, denn ich lese lieber.

405 Nach Zifonun et al. (1997) werden unter kausalen Konjunktionen solche mit Sachverhaltsbezug bzw. Äußerungsbezug unterschieden. Javier Martos → Kausaladverb; kausale Präposition; kausaler Konjunktor; kausaler Subjunktor; Konjunktion → Gram-Syntax: Kausalangabe; kausale Satzverbindung; kausaler Nebensatz; Kausalsatz; Sachverhalt

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

kausale Präposition

Klasse von Präpositionen, mit denen ein im weiteren Sinne kausales Verhältnis zum Ausdruck gebracht wird. ▲ causal preposition: class of prepositions denoting a causal relationship. Fasst man den Terminus kausale Präposition i.w.S. auf, dann fallen darunter alle Präpositionen, die eine Ursache, einen Grund, eine Begründung, einen Zweck, einen Anlass, eine Einräumung oder eine einschränkende Bedingung bezeichnen. Dazu gehören im Dt. u.a. anlässlich, bezüglich, durch, für, gemäß, halber (Postposition), infolge, kraft, mangels, mittels, trotz, um … willen (Zirkumposition), unbeschadet, vermöge, wegen (Prä- und Postposition), zufolge (Prä- und Postposition), zuliebe (Postposition), zwecks. Berücksichtigt man, dass Präpositionen grundsätzlich eine offene Klasse bilden und Kausalität eine für das menschliche Denken und Sprechen fundamentale kognitive Kategorie darstellt, dann dürfte die Menge der kausalen Präpositionen nicht abzählbar sein (vgl. auch die als Präp. fungierenden Wortgruppen wie in Anbetracht, im Hinblick auf, bei Gelegenheit, zum Zwecke, auf Grund, von Seiten). Eine Beschreibung der semantischen Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern der Klasse der kausalen Präpositionen ist schwierig, wenn man Präpositionen in die Analyse einbezieht, die kausal verwendet werden können, daneben aber eine Vielzahl weiterer Verwendungen haben (z.B. bei, aus) und Präpositionen miteinander vergleicht, die i.e.S. auf ein kausales Verhältnis hindeuten (vgl. die Unterschiede zwischen gemäß und zufolge oder zwischen wegen, um … willen, halber und zuliebe). Die Unterscheidung zwischen kausalen und modalen Prä-

kausaler Konjunktor positionen schließlich ist nicht eindeutig (vgl. kraft, aufgrund, vermöge, mithilfe). Klaas Willems

→ instrumentale Präposition; Kausaladverb; modale Präposition; Präposition

→ Gram-Syntax: Kausalangabe; kausale Adverbialbestimmung

🕮 Cuyckens, H./ Radden, G. [Hg. 2002] Perspectives on prepositions. Tübingen ◾ Feigenbaum, S./ Kurzon, D. [eds. 2002] Prepositions in their syntactic, semantic and pragmatic context. Am­ sterdam [etc.] ◾ Guimier, C. [1981] Prepositions. An analytical bibliography. Amsterdam [etc.] ◾ Rauh, G. [ed. 1991] Approach­ es to Prepositions (TBL 358). Tübingen ◾ Zelinsky-Wibbelt, C. [ed. 1993] The Semantics of Prepositions. From Mental Processing to Natural Language Processing (NLgP-B 3). Berlin [etc.].

kausale Subjunktion ≡ kausaler Subjunktor

kausaler Konjunktor

koordinierender Konnektor, der den Grund oder die Ursache für eine im Bezugssatz bezeichnete Proposition, eine Vermutung oder einen Sprechakt markiert. ▲ causal conjunctor: coordinating conjunctor which marks the cause or the reason for a proposition, presumption or illocution provided in the foregoing clause. Das Dt. verfügt über eine Reihe von kausalen Konnektoren, darunter die subordinierenden Konnektoren weil, da, zumal (im Süddt. auch nachdem) (1) und die koordinierenden Konnektoren denn und nämlich (2). Kausale Konjunktoren zählen zu den letzteren. (1) Ich konnte den Tatort nicht sehen, weil/da der Strom ausgefallen ist. (2) Ich konnte den Tatort nicht sehen. Denn der Strom ist ausgefallen. Während koordinierte Sätze/Teilsätze mit einem kausalen Konjunktor immer postponiert sind, können subordinierte Kausalsätze sowohl im Vorals auch im Nachfeld auftreten, allerdings häufiger in Nachstellung (Diessel/Hetterle 2011). Auch weil wird in der gesprochenen Sprache häufig koordinativ verwendet. Gemäß Antomo/Steinbach (2010) und Volodina (2011) verknüpfen diese syntaktisch desintegrierten weil-Sätze auf Sprechaktebene. Demnach begründet der epistemische weil-Satz in (3), warum der Sprecher vermutet, dass Agnes noch arbeitet. Der illokutive weil-Satz in (4) gibt einen Grund dafür an, warum die Sprecherin den Sprechakt des Fragens vollzieht.

K

kausaler Subjunktor 406 (3) Agnes arbeitet sicher noch, weil in ihrem Büro brennt noch Licht. [epistemisch] (4) Kommst du zur Party? Weil ich muss einen Tisch reservieren. [illokutiv] Melitta Gillmann

→ kausale Konjunktion; kausaler Subjunktor; Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konjunktor; Subjunktor

→ Gram-Syntax: Kausalangabe; kausale Satzverbindung; kausaler Nebensatz; Kausalsatz; Proposition

K

🕮 Antomo, M./ Steinbach, M. [2010] Desintegration und Interpretation: Weil-V2-Sätze an der Schnittstelle zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik. In: ZS 29/1: 1–37 ◾ Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Diessel, H./ Hetterle, K. [2011] Causal clauses. A cross-linguistic investigation of their structure, meaning, and use. In: Siemund, P. [ed.] Linguistic Universals and Language Var­iation. Berlin: 21–52 ◾ Volodina, A. [2011] Konditionalität und Kausalität im Diskurs. Eine korpuslinguistische Studie zum Einfluss von Syntax und Prosodie auf die Interpretation komplexer Äußerungen. Tübingen.

kausaler Subjunktor

Subjunktor, der einen abhängigen Kausalsatz in den Obersatz integriert. ▲ causal subjunctor: subjunctor with the function of integrating a causal clause into the main sentence. Kausale Subjunktoren bilden Sätze, die eine Ursache oder Begründung für den im Obersatz beschriebenen Sachverhalt angeben. Sie können weiter nach der spezifischen Art der Grund-Folge-Beziehung, die sie stiften, subklassifiziert werden. Von kausalen Subjunktoren i.e.S. eingeleitete Nebensätze geben primär eine Ursache an. Der kausale Standardsubjunktor im Dt. ist weil (1). (1) Ich setze mich in den Garten, weil es heute angenehm warm ist. Christine Römer ≡ kausale Subjunktion → adverbialbildender Subjunktor; Kausaladverb; kausaler Konjunktor; konditionaler Subjunktor; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Kausalangabe; kausale Satzverbindung; kausaler Nebensatz; Kausalsatz

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2007] Subjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

kausales Adverb ≡ Kausaladverb

Kausativum

Verb, das ein Verursachen einer Handlung, eines Vorgangs oder eines Zustands prädiziert. ▲ causative: verb that predicates the causing of an action, a process or a state. Die Klassifikation von Prädikatsausdrücken als kausativ orientiert sich an der Argumentstruktur und den vergebenen semantischen Rollen: Mit der Kausativierung ist die Erhöhung der Valenz verbunden und Kausativität kann als eins von fünf Basisprädikaten beschrieben werden, das den zweithöchsten Grad von Agentivität aufweist (vgl. Eisenberg 2013: 71f.). Das Kausativum ist satzsemantisch eine Oberprädikation, in die weitere Prädikationen eingebettet sind (v. Polenz 2008: 235–237; vgl. Lyons 1983: 112–117). Einigen (transitiven) Verben ist eine kausative Semantik inhärent, z.B. bewirken, bauen (vgl. Fabricius-Hansen 2016: 419ff.). Kausativität kann aber systematisch durch morphologische Prozesse oder analytische Konstruktionen ausgedrückt werden, wobei die einzelnen Muster von unterschiedlicher Produktivität sind. Zu den produktiven Verfahren der Bildung kausativer Verben (Kausativa i.e.S.) gehören (a) die Konversion substantivischer und adjektivischer Stämme (bündeln, teilen, knechten ['zum Knecht machen']; weiten ['weit machen'], trocknen u.a.). Im Fall von Basen mit umlautfähigem Stammvokal tritt zumeist Umlaut ein (härten, bräunen, kürzen u.a.); vgl. Fleischer/Barz (2012: 437f.); (b) die Präfigierung substantivischer und adjektivischer Stämme (Film > verfilmen, Kitsch > verkitschen; deutlich > verdeutlichen u.a.); vgl. Fleischer/Barz (2012: 391); (c) die Präfigierung intransitiver Verben (reißen > zerreißen, brennen > verbrennen). Nicht mehr produktiv ist die deverbale Ableitung kausativer Verben von Ablautformen starker Verben (Fleischer/Barz 2012: 375f.). Einige Verbpaare lassen aber synchron eine etymologische Verwandtschaft erkennen (fallen : fällen; trinken : tränken; saugen : säugen), und sie unterscheiden sich im Flexionsparadigma: hängen – hängte [kausativ, transitiv] vs. hängen – hing [nicht kausativ, intransitiv] (vgl. Fabricius-Hansen 2016: 420f.). Kausativität lässt sich auch und in erster Linie durch analytische Konstruktionen ausdrücken. In Betracht kommen (a) Verbgefüge aus den kausativen Verben lassen ['veranlassen'] und machen

407 Klassifikation und Infinitiv (jmdn. antreten lassen; jmdn. lachen / etw. vergessen machen) (vgl. Fabricius-Hansen 2016: 421, 434), die eine strukturelle Entsprechung in anderen Sprachen haben (vgl. engl. make laugh; frz. faire oublier); (b) Funktionsverbgefüge wie in Verlegenheit bringen, zur Verantwortung ziehen, außer Kraft setzen, zur Entscheidung bringen. Mit Funktionsverbgefügen steht ein hochproduktives Muster zum Ausdruck kausativer Verhältnisse zur Verfügung. Sie ermöglichen umfangreiche Kommutationsreihen und somit die Bildung kausativer vs. nicht-kausativer Paare (in Verbindung/Bewegung bringen vs. in Verbindung/ Bewegung kommen) (vgl. v. Polenz 1987; Eisenberg 2013: 311f.). Jan Seifert ≡ Veranlassungsverb ↔ Antikausativ → faktitives Verb; Faktitivum; Verb → Gram-Syntax: Funktionsverbgefüge; Kausativ; semantische Rolle; Valenzerhöhung ⇀ Kausativum (Wobi; HistSprw)

🕮 Comrie, B. [1989] Language Universals and Linguistic Typology. Syntax and Morphology. Chicago, IL ◾ Fabricius-Hansen, C. [2016] Das Verb. In: Duden [2016] Die Grammatik. 9., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.]: 395–578 ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Lyons, J. [1983] Semantik. Bd. II. München ◾ Polenz, P. von [1987] Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. Vorschläge zur satzsemantischen Lexikographie. In: ZGL 15/2: 169–189 ◾ Polenz, P. von [2008] Deutsche Satzsemantik. 3. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wunderlich, D. [1997] Cause and the Structure of Verbs. In: LingInqu 28: 27–68 ◾ Wunderlich, D. [2015] Valency-changing word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.2). Berlin [etc.]: 1424–1466.

Kennzeichnung, definite → definite Kennzeichnung

Kernmorphem

≡ Grundmorphem

Klasse, geschlossene → geschlossene Klasse

Klasse, offene

→ offene Klasse

Klassifikation

Analyseverfahren des taxonomischen Strukturalismus, bei dem sprachliche Einheiten unter Berück-

sichtigung gemeinsamer charakteristischer Merkmale zu Klassen zusammengefasst werden. ▲ classification: analytical method of taxonomic Structuralism in which linguistic entities are combined into classes based on their common characteristic properties. Der Terminus Klassifikation, die Tätigkeit des Klassifizierens und das Ergebnis, eine Klassifikation, gehören zum Instrumentarium vieler Wissenschaften. Auch in der Sprw. werden Wörter bereits in den frühen grammatischen Beschreibungen nach ihren Flexionsmerkmalen gruppiert. Zu einem unerlässlichen Modul einer strengen Methodologie der Deskription wird die Klassifikation im Rahmen des taxonomischen Strukturalismus, der die in Äußerungen sich wiederholenden Laut- bzw. Buchstabenketten aufgrund gewisser, vor allem distributioneller Merkmale in Klassen ordnet, die bei weiterer Präzisierung in Subklassen geteilt und bei Generalisierungen zu höheren Klassen vereint werden können. Durch diese Art Klassifikation sprachlicher Einheiten ergeben sich als Klassen Paradigmen, deren Bestandteile gegeneinander ausgetauscht werden können. Die Klassifikation kann alle Beschreibungsebenen der Sprache in vielen Teilbereichen betreffen. Im Bereich der Morphologie ergeben sich so z.B. Stammbildungsklassen, in der Lexik Wortklassen (auch im Sinne von Wortarten bzw. Kategorien). In der Valenztheorie stellt die Verträglichkeit der Ergänzungen mit einer Subklasse der Wortklasse des jeweiligen Valenzträgers eines der möglichen Valenzkriterien dar. Segmente der Phonologie bzw. der Graphematik lassen sich gleichfalls in Klassen und Subklassen einteilen. Auch eine Klassifikation von Sprachen nach arealen, typologischen oder genealogischen Gesichtspunkten ist möglich. Die areale Klassifikation erfasst Ähnlichkeiten zwischen Sprachen, die durch den kulturellen Austausch geographisch benachbarter Sprachgemeinschaften entstehen. Strukturelle Entsprechungen werden durch die typologische Klassifikation beschrieben, was Sprachtypen mit verschiedenen Typenmerkmalen ergibt. Die Zuordnung auf Grund von genealogischer Nähe der Sprachen, die sich aus einer gemeinsamen Abstammung ergibt, führt zur Bestimmung von Sprachfamilien. Pál Uzonyi

K

Klassifikator 408

→ § 15; Formklasse; geschlossene Klasse; Morphemklasse;

offene Klasse; Paradigma; taxonomisch; Wortklasse → Gram-Syntax: Kategorie; Sprachtypologie; Subkategorisierung; Valenzträger ⇀ Klassifikation (Sprachphil; QL-Dt) ⇁ classification (TheoMethods)

🕮 Bloomfield, L. [1926] A set of postulates for the science of language. In: Lg 2: 153–164 ◾ Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY [etc.] ◾ Campbell, L./ Poser, W. [2008] Language Classification. Cambridge ◾ Greenberg, J. [2001] The Methods and Purposes of Linguistic Genetic Classification. In: LgLing 2/2: 111–135 ◾ Juilland, A./ Lieb, H.H. [1968] Klasse und Klassifikation in der Sprachwissenschaft. The Hague ◾ Lieb, H.-H. [1993] Paradigma und Klassifikation. Explikation des Paradigmenbegriffs. In: ZS 11/1: 3–46 ◾ Voegelin, C.F./ Voegelin, F.M. [1977] Classification and Index of the World's Languages. Bloomington, IN.

Klassifikator

K

lexikalisches Element zwischen einem Numerale und einem Substantiv zum Ausdruck von Mengen. ▲ classifier: lexical element in combination with a numeral and a mass noun to express a quantity. Klassifikatoren sind lexikalische Mittel zur Mengenangabe. Bei dieser Art der Mengenbezeichnung wird die Anzahl des Gemessenen durch ein Numerale, die Maßeinheit durch ein Subst. angegeben. Die Maßeinheit verweist auf die Form, in der das Gemessene in Erscheinung tritt. Als Klassifikator gilt z.B. Kopf in der Mengenangabe fünf Kopf Salat. Der Klassifikator unterscheidet sich von den echten Maßangaben wie Pfund in 2 Pfund Salat oder Liter in 2 Liter Rotwein. Klassifikatoren kommen vor allem in Sprachen vor, in denen Nomina nicht direkt mit Numeralia kombiniert werden können, sondern zur Mengenangabe auch ein Klassifikator eingefügt werden muss, so z.B. im Chin. ((1), (2)) und in anderen ostasiatischen Sprachen. (1) san ge ren ['drei Stück Mensch'; 'drei Menschen'] (2) san ben shu ['drei Bände Buch'; 'drei Bücher']

→ Mengenbezeichnung; Numerale; Substantiv → Gram-Syntax: Maßangabe; Mengenangabe ⇀ Klassifikator (Schrling; CG-Dt; SemPrag) ⇁ classifier (Typol; CG-Engl)

Anna Molnár

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Klitikon

schwachtoniges Morphem, das sich an ein Basiswort anlehnt.

▲ clitic: unstressed morpheme that attaches to a

host word.

Der Terminus Klitikon (Pl. Klitika, von altgriech.: klitikón 'das sich Anlehnende' zum Verb klinein 'sich neigen') bezeichnet ein unbetontes oder schwach betontes, lautlich/orthographisch inkorporiertes, meist reduziertes Morphem, das sich an ein benachbartes betontes Wort anlehnt und somit kein freies, unabhängiges Wort darstellt, trotzdem aber seine syntaktische Selbständigkeit bewahrt. Vor allem Partikeln und Pronomina kommen als Klitika vor. Es werden Pro- und Enklitika unterschieden, je nachdem, ob sich das Klitikon am Beginn ((1), (2)) oder am Ende ((3), (4)) des Basisworts anlehnt (vgl. Eisenberg 2013: 190f.). (1) lo vedo ['ich sehe ihn'; im Ital. unbetontes Pron. gegenüber dem betonten vedo lui] (2) D'you want coffee? (3) Didn't [...] (4) Wie geht's? Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Stützwort → klitisches Pronomen; Klitisierung → Gram-Syntax: Enklise; Proklise ⇀ Klitikon (CG-Dt; Schrling; Phon-Dt; HistSprw) ⇁ clitic (CG-Engl; Phon-Engl; Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Nevis, J.A. [2000] Clitics. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 388–404 ◾ Nübling, D. [1992] Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte (ScrOr 42). Tübingen ◾ Zwicky, A.M. [1977] On Clitics. Bloomington, IN.

klitisches Pronomen

in morphophonologischer Hinsicht schwaches Pronomen, das sich an eine Basis anlehnt. ▲ clitic pronoun: pronoun that leans on a base and that is weak with respect to morphophonology. Klitische Pronomina sind pronominale Elemente (z.B. Personalpron., Reflexivpron., Partitivpron., Indefinitpron.), die im Vergleich zu den als freie Wörter vorkommenden pronominalen Formen über weniger morphologische Unabhängigkeit und phonologische Substanz verfügen. Klitische Pronomina weisen in distributioneller Hinsicht sowohl Eigenschaften von morphologisch gebundenen Formen als auch von freien Morphemen auf und können nicht koordiniert, attributiv er-

409 Klitisierung weitert oder fokussiert werden. Sie können nicht in Isolation stehen, sondern sind immer an eine Trägerkonstituente gebunden, die die Basis der Klitisierung darstellt. Nach dem Ort der Bindung an seine Basis unterscheidet man enklitische (nach der Basis stehende) und proklitische (vor der Basis stehende) Pronomina. Nach der Einteilung von Cardinaletti/Starke (1999) sind klitische Pronomina in Abhängigkeit ihres syntaktischen Verhaltens entweder als schwache Pronomina, d.h. als defiziente XP-Projektionen zu analysieren, oder es handelt sich bei ihnen um echte, syntaktische Klitika, die X0-Projektionen darstellen und an eine bestimmte syntaktische Kategorie (z.B. das Verb) oder Position gebunden sind. Ein schwaches Pron. weist gegenüber seiner betonten Entsprechung lediglich eine eingeschränkte Distribution auf, wie z.B. das Pron. 3. Pers. Neutrum es im Dt. Klitischen Status haben hingegen Pronominalformen, für die eigene Klitisierungsregularitäten gelten, die z.B. die Linearisierung innerhalb der klitischen Kette betreffen. In den (meisten) roman. Sprachen gibt es z.B. eine Reihe von klitischen Objektpronomina (frz. me 'mich', te 'dich', le 'ihn', la 'sie' etc.). Aus klitischen Pronomina können morphologisch gebundene Personalendungen entstehen (Givón 1976).

→ Klitikon; Klitisierung; Pronomen

Agnes Kolmer

🕮 Anderson, S.R. [2005] Aspects of the Theory of Clitics. Oxford ◾ Cardinaletti, A./ Starke, M. [1999] The typology of structural deficiency. A case study of the three classes of pronouns. In: Riemsdijk, H. van [ed.] Clitics in the Languages of Europe. Berlin [etc.]: 145–234 ◾ Givón, T. [1976] Topic, pronoun and grammat­ ical agreement. In: Li, C.N. [ed.] Subject and Topic. New York, NY: 149–184 ◾ Nübling, D. [1992] Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte (ScrOr 42). Tübingen.

Klitisierung

sukzessive Entwicklung eines selbständigen Wortes zum Klitikon. ▲ cliticization: gradual development of an independent word into a clitic. Unter Klitisierung versteht man die Verschmelzung von adjazenten Wörtern, wobei das unbetonte von ihnen, das Klitikon (Enklitikon bzw. Proklitikon), sich an das Nachbarwort (Basis, Stützwort) anlehnt und mit ihm ein phonologisches Wort bildet. Klitisierung findet sich in vie-

len Sprachen der Welt und ist ein typischer Bestandteil von Grammatikalisierung. Sie bildet die Brücke zwischen Syntax und Flexion: „Zwischen Wort, Klitikon und Flexiv eröffnet sich ein Kontinuum“ (Nübling 1992: 347). Es werden die folgenden Stadien unterschieden: Syntax – einfache Klise – spezielle Klise – Flexion. Innovationen, die diese „sukzessive Entwicklung“ in Gang setzen, treten zuerst bei schnellem Sprechen und nachlässiger Artikulation (Allegrosprechweise) auf. Hierbei kann die Junktur (das Grenzsignal) zwischen den Wörtern fast überall geschlossen werden (z.B. wenn man > [vɛma(n)]) (Nübling 1992: 6, 12ff.). Aber „häufig nebeneinander auftretende Wörter [vor allem hochfrequente Funktionswörter mit kleinen Inventaren werden] eher miteinander verschliffen“ (Nübling 1992: 57). Wenn diese Allegroverschmelzungen auch bei langsamem Sprechen und deutlicher Artikulation (Lentosprechweise) auftreten, spricht man von Klise (dt. gibt es > gibt’s; engl. I will go > I’ll go). Nach dem Verhältnis des Klitikons zu einer (möglichen) selbständigen Vollform unterscheidet man seit Zwicky (1977) einfache und spezielle Klitika (simple/special clitics). Während einfache Klitika weitgehend in den selben Positionen auftreten können wie ihre Vollformen, und sich mit jeder Basis unabhängig von deren Wortart verbinden (Wenn’s geht bzw. Geht’s?), folgen spezielle Klitika entweder eigenen Distributionsregeln (frz. Je vois Jean 'Ich sehe Johannes', aber Je le vois 'Ich sehe ihn', während *Je Jean vois und *Je vois le/lui, vgl. Zwicky 1977: 4f.) oder verbinden sich nur mit bestimmten Basen (wie die engl. enklitische Negationspartikel n’t z.B. in haven’t, die sich nur mit finiten Hilfs- und Modalverben verbindet). Mit zunehmendem Klitisierungsgrad, also fortschreitender Entwicklung in Richtung Flexion spezialisiert sich das Klitikon, d.h., die Austauschbarkeit mit der Vollform und die Ableitbarkeit des Klitikons aus seiner Vollform nehmen ab. Spezielle Klitika bilden die direkte Vorstufe zu Flexiven (Nübling 1992; 2005), vgl. Abb. 1. In Bezug auf die Klitisierung von Präpositionen und Artikel im Gegenwartsdt. spricht Nübling (2005: 106) von „Grammatikalisierung im Vollzug“, denn synchron ist „das gesamte Spektrum zwischen Verschmelzungsblockade und Verschmelzungsobligatorik sichtbar“: Verschmelzungsblockade (z.B. hinter der) > Allegrover-

K

kognitives Verb 410

HO

Distribution



L e n t o

ins ans vors vorm übers überm fürs ums aufs . . .

N DE ache n f me ein r o sf l =ns vorn übern untern . . . on rtike i t =m k A R = du DE Re best. für ’ n nach ’ m g un ) un auf ’ n durch ’ n auf ’ m E elz ’er in ‘ er in ‘ n (DI schm n ’ auf ‘ er auf ‘ n er ov egr (’e) (in ‘ e auf ’ e) All Allegro Lento

Allegro

syntaktische Distribution

=s =m

CH

K

se Kli

RA

S

DA

im am zum zur vom beim

SP

M DE lise eK =m spe ll zie

E

morph. Selektivität

CH IN AN VON ZU BEI

n

xio

Fle

inhaltlich-funktionale Entsprechung zwischen Allegroform/einfachem Klitikon und Vollform

freie

Austauschbarkeit

partielle Entsprechung partielle Austauschbarkeit

inhaltl. -funktionale Dichotomie (fast) keine Austauschbarkeit

KlitikonVollformRelation keine Vollform

Abb. 1: Das Kontinuum der Präposition-Artikel-Verschmelzungen im Deutschen (Nübling 1992: 189)

schmelzung (z.B. in’e, auf’e) > einfache Klise (z.B. vorm, fürs) > spezielle Klise (am, zum, zur, im, vom, beim; am Rande: ins, ans). Wie die Beispiele zeigen, werden spezielle Klitika nur mit dem Artikel dem (Maskulinum/Neutrum Dativ Sg.) und dem Artikel das (Neutrum Akkusativ Sg.) gebildet. Die einzige Verschmelzungsform mit einem Femininum-Artikel ist zur. Als Basis dienen die häufigsten, alten, kurzen und sonor auslautenden Präpositionen (die z.T. selbst reduziert werden). Obligatorische Verschmelzungen enthalten keinerlei Zeigefunktion mehr (wie in: beim Essen, im April, zum Mond fliegen) und sind voll in die Schriftlichkeit integriert. Bei einfachen Klitika ist das Spektrum sowohl der Artikelformen als auch der Präpositionen breiter und sie finden sich vermehrt in gesprochenen Varietäten (Nübling 2005: 109ff.; 2016: 627ff.). Anna Vargyas

→ Klitikon; klitisches Pronomen; Kontraktion; Wort → Gram-Syntax: Grammatikalisierung ⇀ Klitisierung (HistSprw; Phon-Dt) ⇁ cliticization (Typol; Phon-Engl)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Nübling, D. [1992] Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Um-

gangssprache, alemannische Dialekte (ScrOr 42). Tübingen ◾ Nübling, D. [2005] Von in die über in’n und ins bis im. Die Klitisierung von Präposition und Artikel als „Grammatikalisierungsbaustelle“. In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ Groodt, S. de [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen (LingI&T 9). Berlin [etc.]: 105–131 ◾ Nübling, D. [2016] Die nicht flektierbaren Wortarten. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 579–643 ◾ Zwicky, A.M. [1977] On Clitics. Bloomington, IN.

kognitives Verb

Verb, das auf das Verarbeiten und Speichern von Informationen referiert. ▲ cognitive verb: verb referring to the processing and saving of information. Nach Harm (2000: 97) sind kognitive Verben solche Verben, „die auf menschliche Informationsverarbeitung und -speicherung referieren“. Als „zentrale Vertreter“ bezeichnet Harm (2000: 97) die Verben behalten, sich erinnern, erkennen, verstehen, wissen. Nach Bühler (1983: 14) werden kognitive Verben dazu gebraucht, „Zustände, Dispositionen, Prozesse des psychischen Apparats von Menschen (oder anderen Lebewesen) zu beschreiben, insofern sie zur Beschreibung von kognitiven Einstellungen oder Tätigkeiten

411 Kollektivzahl verwendet werden“. Als Beispiele für kognitive Verben nennt Bühler (1983: 14) ableiten, beabsichtigen, bezweifeln, sich erinnern, errechnen, erwägen, folgern, glauben, hoffen, sehen, überzeugt sein, verstehen, versuchen, sich vorstellen, wahrnehmen, wissen, wünschen. Für Butulussi (1991: 9) beschreiben kognitive Verben „innere, geistige Zustände oder Vorgänge“ wie z.B. „den Besitz, den Erwerb, den Verlust oder Wiedererwerb bzw. die Reaktivierung einer Kenntnis und die Vermutung gegenüber Sachverhalten“. Er unterscheidet vier Klassen von kognitiven Verben, nämlich „Verben, die den Besitz einer Kenntnis ausdrücken“ wie wissen oder kennen; „Verben, die eine Vermutung ausdrücken“ wie glauben, vermuten, ahnen, annehmen, zweifeln; „Verben, die den kognitiven Erwerb ausdrücken“ wie erfahren, kennenlernen, erkennen; und „Verben, die den Verlust einer Kenntnis ausdrücken“ wie vergessen (Butulussi 1991: 9). Harm (2000: 97) weist auf die Schwierigkeit hin, Wahrnehmungsverben von kognitiven Verben abzugrenzen. So dürften die Verben sehen und wahrnehmen in der oben zitierten Liste von Bühler eher zu den Wahrnehmungsverben gehören bzw. nicht von allen Autoren zu den kognitiven Verben gezählt werden.

→ Verb; verbum sentiendi

Rolf Thieroff

🕮 Bühler, A. [1983] Die Logik kognitiver Sätze. Über logische Grundlagen der Argumentation in Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin ◾ Butulussi, E. [1991] Studien zur Valenz kognitiver Verben im Deutschen und Neugriechischen. Tübingen ◾ Harm, V. [2000] Regularitäten des semantischen Wandels bei Wahrnehmungsverben des Deutschen. Stuttgart.

Kollektivum

semantisch definierte Teilklasse von Substantiven, die eine Ansammlung von Personen, Tieren, Pflanzen oder Objekten als eine Einheit bezeichnen. ▲ collective noun: semantically defined subclass of nouns which denote groups of people, animals, plants or things as an entity. Der Terminus (Pl. Kollektiva) ist von lat. (zu 'sammeln') abgeleitet und umfasst Substantive wie Das Genuskollektivum ist ein Subst., das im Sg. für eine ganze Klasse von Individuen steht, deren Zugehörigkeit konstant und deren Anzahl „offen“ ist (Leisi 1967: 31) (1).

(1) Wild, Vieh, Getreide, Publikum Harweg (1999: 272f.) und Eisenberg (2006: 165ff.) verteilen die Kollektiva je nach ihrem morphosyntaktischen Verhalten auf andere Substantivkategorien: Diejenigen Kollektiva, die mit dem unbestimmten Artikel und mit bestimmten Zahlwörtern kombinierbar und pluralfähig sind (nach Leisi 1967 Gruppenkollektiva), werden auf Appellativa verteilt, und diejenigen Kollektiva, die nicht direkt mit dem unbestimmten Artikel kombinierbar sind, jedoch mit Determinatoren wie etwas, wenig, viel und der Komparativpartikel mehr und nicht pluralfähig sind (nach Leisi 1967 Genuskollektiva), werden sie den Kontinuativa zugeordnet. Heidi Flagner ≡ Massenwort; Mengenwort; Sammelbezeichnung; Sammelname → Appellativum; Konkretum; Kontinuativum; Substantiv ⇀ Kollektivum (Wobi; CG-Dt; SemPrag; Lexik) ⇁ collective noun (CG-Engl; Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Harweg, R. [1999] Studien zu Eigennamen. Aufsätze (BoBS. N.F. 4). Aachen ◾ Leisi, E. [1967] Der Wortinhalt. Seine Struktur im Deutschen und Englischen. 3., durchges. und erw. Aufl. Heidelberg.

Kollektivzahl

Zahl, mit der man in manchen Sprachen eine Anzahl von Personen oder Nicht-Personen als zusammengehörig charakterisiert. ▲ collective number; collective numeral: numeral in any language that signifies that a number of persons or things are taken to belong together. Kollektivzahlen sind z.B. das Zahlsubst. Dutzend oder das Zahladj. beide. In den meisten dt. Grammatiken (vgl. Helbig/Buscha 2001; Duden 2006; Hentschel/Weydt 2013) werden Kollektivzahlen (auch Sammelzahlen, Helbig/Buscha 2001) dem Typ der Kardinalia (Kardinalzahlen, Grundzahlen) zugeordnet. In den slaw. Sprachen (z.B. Russ., Poln.) bilden Kollektivzahlen eine eigenständige Gruppe der Zahlwörter (vgl. Nagórko 2005; Dalewska-Greń 2012), die neben den Kardinalia eine näher bestimmte (poln. troje 'drei', dwadzieścioro 'zwanzig'; russ. četvero 'vier', oba 'beide') oder unbestimmte (poln. kilkudziesięcioro 'einige zehn'; russ. neskol'ko 'ein paar') Anzahl von Personen oder Nicht-Personen bezeichnen, anders aber als Kardinalia nur bei einigen weni-

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Kolon 412

K

gen Gruppen von Substantiven auftreten bzw. sie (als Zahlpron.) ersetzen können. Sie stehen z.B. im Poln. bei manchen Pluraliatantum anstelle der Kardinalia (troje[Kollektivzahl] skrzypiec / *trzy[Karskrzypce 'drei Geigen'), bei männlich-persodinalzahl] nalen Substantiven hingegen neben den Kardinalia (dwoje[Kollektivzahl] studentów vs. dwóch[Kardinalzahl] studentów 'zwei Studenten', entsprechend mit Personalpron. Ich było dwoje/dwóch 'sie waren zwei'), wobei Kollektivzahlen nur dann verwendet werden, wenn eine Anzahl von Personen beider Geschlechter gemeint wird (etwa Student und Studentin). Handelt es sich um eine Gruppe von männlichen Personen oder Personen unbekannten Geschlechts, stehen Kardinalzahlen bei den Substantiven. In einigen Fällen ist Verbindbarkeit mit den Kollektivzahlen nur auf einen speziellen Gebrauch beschränkt, vgl. poln. dwoje[Kollektivzahl] rąk 'zwei Hände', wenn es um zwei Hände einer Person handelt vs. dwie[Kardinalzahl] ręce , d.h. zwei Hände verschiedener Personen. Edyta Błachut

→ bestimmtes Zahlwort; Kardinalzahlwort; Numerale;

Sammelzahl; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv; Zahlpronomen → Gram-Syntax: Kongruenz

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau.

Kolon

≡ Doppelpunkt ⇀ Kolon (HistSprw)

kombinatorische Bedeutung

semantische Kompatibilität zwischen einem Wort 'A' und einem Wort 'B', das die Argumentstelle von 'A' besetzt. ▲ combinatorial meaning: semantic compatibility between a word and its arguments. Im Gegensatz zu der inhärenten Bedeutung legt die kombinatorische Bedeutung eines Wortes die semantische Verträglichkeit zwischen dem Valenzträger und seiner Umgebung fest. Folglich

fasst die kombinatorische Bedeutung eines Wortes die lexikalische Belegung seiner Ergänzungen (kategorielle Bedeutung) sowie die ihnen zugesprochenen semantischen Rollen (relationale Bedeutung) in komplexeren Strukturen zusammen. Dementsprechend verfügen Wörter über eine inhärente Bedeutung, über eine Ausdrucksvalenz (Zahl und Form der Ergänzungen) und über eine Inhaltsvalenz (kategorielle und relationale Bedeutung). Das kategorielle und das relationale Signifikat sind Bestandteil der kombinatorischen Bedeutung. Unter der kategoriellen Bedeutung werden die semantischen Selektionsregeln für Kontextelemente aufgefasst, die in der Regel durch das semantische Merkmalinventar der interpretativen Semantik beschrieben werden. Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten gibt es kein einheitliches semantisches Merkmalinventar für die kategorielle Bedeutung, was darauf zurückzuführen ist, dass es sich nicht eindeutig hierarchisch herausbilden lässt und dass unscharfe Grenzen zwischen den Merkmalen erkennbar sind. Regelmäβig vorkommende Kategorien sind z.B. [mat] für materiell und sinnlich wahrnehmbar, [hum] für menschlich, [zool] für tierisch, [geg] für unbelebt und zählbar, [immat] für immateriell und nicht sinnlich wahrnehmbar. Die relationale Bedeutung konstituiert sich durch die Kombination mit einem bestimmten Prädikat erst innerhalb einer bestimmten Aussage. Damit sind die semantischen Rollen bzw. Relatoren oder Theta-Rollen gemeint. Mit Hilfe dieser Tiefenkasus ist es möglich, die Kasusrahmenmerkmale eines Verbs und damit die Umgebung eines Einzelverbs zu beschreiben (Fillmore 1968: 27ff.). Zu den semantischen Rollen werden Typen wie Agens (1), Experiencer (2), Instrument (3), Patiens (4), Lokativ (5) u.a. gezählt. (1) Hartmut schreibt einen Brief. (2) Hartmut leidet an Migränen. (3) Dieser Schlüssel öffnet die Tür. (4) Renate schenkt Marie ein Buch. (5) Hartmut schmiert Farbe auf die Wand. Ein Beispiel für eine integrierte Verbbeschreibung, in dem neben den Stammformen, dem Satzbauplan und dem Passiv sowohl die relationale als auch die kategorielle Bedeutung berücksichtigt sind, stellt Engel (2004: 193) dar (vgl. Abb. 1; sub = Subjekt; prp an = Präpositivergänzung mit an).

413

komitativer Subjunktor

arbeiten

Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 473–484 ◾ Neef, M. [2000] Phonologische Konditionierung. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 463–473.

sub: AGT” fer; hum prp: AFFmut; obj stat Susanne arbeitet [immer noch] an ihrem Buch. Gerhard arbeitet am Image der Partei. Abb. 1: Integrative Verbbeschreibung

Träger des Subjekts ist AGT”fer mit dem semantischen Kasus [hum], Träger der prp ist AFFmut mit den kategoriellen Merkmalen [obj] (= Objekt) und [stat] (= Zustand). María José Domínguez Vázquez

→ § 20; Kasusbedeutung; Kasusrahmen; relationale Bedeutung; strukturelle Bedeutung

→ Gram-Syntax: Kasusgrammatik; Kasusrolle

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case. In: Bach, E./ Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Fillmore, C.J. [2003] Valency and Semantic Roles. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 457–475 ◾ Welke, K. [2003] Valenz und semantische Rollen. Das Konzept der Theta-Rollen. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 475–484.

kombinatorische Variante

Variante einer Einheit, die von ihrer Umgebung abhängt. ▲ combinatorial variant: variant of a unit that is determined by the context. Kombinatorische Varianten müssen in Abhängigkeit von der Umgebung gewählt werden. So tritt im Dt. das [ç] nur nach hellen, das [x] nur nach dunklen Vokalen auf, z.B. ich, Recht vs. ach, Buch. In der Regel hängt auch die Wahl des Pluralallomorphs im Dt. vom Lexem ab, bei Wind ist nur -e, bei Kind nur -er möglich. Gibt es verschiedene Pluralendungen, so führen sie zu Bedeutungsänderung (Wörter vs. Worte) oder stilistischer Veränderung (Kommas, Kommata). Somit ist auch diese Verteilung nicht frei. Hilke Elsen

→ Allomorph; gebundenes Morphem; Grundmorphem; Morphem

⇀ kombinatorische Variante (Phon-Dt)

🕮 Dressler, W.U. [2015] Allomorphy. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 500–516 ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Neef, M. [2000] Morphologische und syntaktische Konditionierung. In:

Komitativadverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die die begleitenden Umstände eines Geschehens angeben. ▲ comitative adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the circumstances in which an action takes place.

Elemente der Teilklasse der Komitativadverbien sind z.B. damit, dabei, zugleich sowie die Frageform womit. Funktional können diese Elemente auch zu anderen Teilklassen gehören. So kann z.B. damit auch Instrumental- (1) oder dabei Präpositionaladverb (2) sein. (1) Der Film wird für den Oscar nominiert und er reist damit nach Hollywood. (2) Das ist so beschlossen und dabei bleibt es. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ komitatives Adverb → Adverb; Instrumentaladverb; Präpositionaladverb → Gram-Syntax: Komitativ; Komitativangabe 🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

komitative Konjunktion ≡ komitativer Subjunktor

komitative Subjunktion ≡ komitativer Subjunktor

komitativer Subjunktor

Subjunktor, der das Miteinandervorkommen zweier Ereignisse bezeichnet, wobei das subordinierte Ereignis als weniger gewichtig markiert ist. ▲ comitative subjunctor: subjunctor which denotes the cooccurrence of two events, but gives the subordinate one less prominence. Der zentrale komitative Subjunktor des Dt. ist der Postponierer wobei, der mit dem Adverbkonnektor dabei ein koordinierendes Pendant besitzt. Bei indem ist die komitative Lesart gegenüber der instrumentalen heute eher peripher (vgl. Breindl et al. 2014: 582–588). Komitative Satzverknüpfer sind semantisch relativ unspezifisch. Ähnlich wie additive Konjunktoren bezeichnen sie das Miteinandervorkommen

K

komitatives Adverb 414

K

zweier Ereignisse, wobei das syntaktisch untergeordnete als Begleitereignis des gewichtigeren Ereignisses im Matrixsatz konzeptualisiert wird (1). (1) Er verließ den Raum, wobei sein Fuß über den Boden schleifte. Die zeitliche Koinzidenz der Ereignisse ist zwar keine Bedingung, wird aber häufig als definitorisches Merkmal genannt (z.B. Lehmann/Shin 2005: 88). Im Gegensatz zu temporalen Subjunktoren wie während reicht die rein zeitliche Überlappung der Ereignisse für eine komitative Interpretation jedoch nicht aus. Komitativ verknüpfte Sachverhalte zeichnen sich durch eine höhere Involviertheit der Ereignisse aus, die sich u.a. in gemeinsamen Partizipanten niederschlägt. (2) ??Er verließ den Raum, wobei sie weiter aß. (3) Er verließ den Raum, während sie weiter aß. Wobei operiert häufig auf illokutiver Verknüpfungsebene und liefert einen (metakommunikativen) Kommentar zum modifizierten Sachverhalt. Dies kann mit verba dicendi explizit sichtbar gemacht werden. (4) Das Duo [...] spielte seine ganze Routine aus, wobei mit Routine nicht das monotone und gelangweilte Herunterspulen eines einstudierten Programms gemeint ist [...] (St. Galler Tagblatt, 01.05.2000) Wobei-Sätze werden häufig kontrastiv interpretiert. Dies gilt besonders für die Variante mit Verbzweitstellung, die insbesondere in der gesprochenen Sprache vorkommt (Günthner 2001). (5) Wahrscheinlich kann sie uns auch nicht helfen. Wobei man kann ja mal fragen. Melitta Gillmann

≡ komitative Konjunktion; komitative Subjunktion

→ additiver Konjunktor; Komitativadverb; Konnektor; Subjunktor; verbum dicendi

→ Gram-Syntax: Komitativ; komitativer Angabesatz; Komitativsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der

deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Günthner, S. [2001] „wobei

(.) es hat alles immer zwei seiten.“ Zur Verwendung von wobei im gesprochenen Deutsch. In: DS 4: 313–341 ◾ Lehmann, C./

Shin, Y.-M. [2005] The functional domain of concomitance. A typological study of instrumental and comitative relations. In: Lehmann, C. [ed.] Typological Studies in Participation. Berlin: 9–104.

komitatives Adverb ≡ Komitativadverb

Komma

Interpunktionszeichen, das koordinierte, subordinierte, herausgestellte oder parenthetische Strukturen indiziert. ▲ comma: punctuation mark that indicates coordinated, subordinated or dislocated elements and parenthesis. Katharina Siedschlag

→ einfaches Komma; Interpunktion → Gram-Syntax: asyndetische Konstruktion; Herausstellung; Parenthese

⇀ Komma (Schrling)

🕮 Behrens, U. [1989] Wenn nicht alle Zeichen trügen. Interpunktion als Markierung syntaktischer Konstruktionen (ASpran 9). Frankfurt/Main [etc.] ◾ Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467.

Komma, einfaches → einfaches Komma

Kommentaradverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die eine Bewertung bzw. eine Stellungnahme des Sprechers zum gesamten Sachverhalt ausdrücken. ▲ comment adverb: semantically defined subclass of adverbs which express an assessment of or comment by the speaker about a circumstance. Kommentaradverbien verhalten sich syntaktisch wie Adverbien, sind also vorfeldfähig. Unter funktionalem Aspekt ähneln sie z.T. den Abtönungspartikeln, weil sie eine Stellungnahme des Sprechers zum Sachverhalt ausdrücken. Deshalb werden sie auch als Modalwörter bezeichnet. Wegen ihrer Eigenschaft, sich auf den gesamten Satz zu beziehen, werden sie auch Satzadverbien genannt. Unter semantischem Aspekt können zwei große Gruppen unterschieden werden. Zur evaluierenden (bewertenden) Gruppe gehören Ausdrücke, die den Sachverhalt als gegeben voraussetzen und ihn bewerten wie anerkanntermaßen, bedauerlicherweise, bekanntermaßen, dummerweise, glücklicherweise, immerhin, leider, natürlich, seltsamerweise, zugegebenermaßen. Zur epistemischen Gruppe zählen Ausdrücke,

415 Komparation die den Wahrscheinlichkeitsgrad des Eintretens eines Sachverhalts von „überaus gewiss“ bis „wenig gewiss“ angeben wie kaum, möglicherweise, sicherlich, vielleicht, zweifellos, zweifelsohne. Diese Ausdrücke sagen etwas über die Geltung des Sachverhalts aus und betreffen somit den Wahrheitsgehalt des Satzes. Einige Kommentaradverbien wie z.B. hoffentlich haben eine doppelte Lesart. Einerseits enthalten sie eine bewertende Bedeutungskomponente und andererseits setzen sie den Sachverhalt als nicht gegeben voraus. Kommentaradverbien können nicht erfragt werden, sie können jedoch Antworten zu Entscheidungsfragen bilden ((1), (2)). (1) Glücklicherweise/Vermutlich/Hoffentlich kommen sie. (2) *Wie kommen sie? (2a) Kommen sie? – Glücklicherweise!/Vermutlich!/Hoffentlich! (3) Leider hielt das schlechte Wetter bis zum nächsten Tag an. (4) Vielleicht muss man als Politiker eine gewisse Distanz zu den Vereinen wahren. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ Evaluationsadverb → Adverb; Geltungsadverb; Modalwort; Satzadverb → Gram-Syntax: Sachverhalt

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Komparation

morphologische, syntaktische und/oder lexikalische Markierung zur skalierenden oder graduellen Differenzierung von Adjektiven und Adverbien. ▲ comparison; degree: morphological, syntactical and/or lexical marker that allows a gradual differentiation of adjectives and adverbs. Die Komparation erfolgt durch Äquation (Gleichsetzung), relative Vergleichssteigerung oder absolute Graduierung mittels des Komparationsparadigmas, bestehend aus Positiv, Komparativ und Superlativ. Die Termini Steigerung, Graduierung und Gradation werden vielfach synonym mit Komparation verwendet. Die Termini Steigerung und Graduierung können jedoch auch zur systematischen Differenzierung der als Oberbegriff zu setzenden Kategorie der Komparation verwendet werden (vgl. Trost 2004/2006: 23). Das Komparationsparadigma ist in den Gramma-

tiken des Dt. systematisch neben der Konjugation und der Deklination das dritte morphologische Flexionsparadigma (vgl. Helbig/Buscha 2004: 277f.; Duden 2005: 372; Eisenberg 2006: 183). Im Dt. erfolgt die Bildung des Komparativs und Superlativs morphologisch durch die Agglutination des Komparativsuffixes -er- bzw. des Superlativsuffixes -(e)st- an den Wortstamm des Adj. (vgl. wichtig – wichtiger – am wichtigsten). Suppletive Bildungen sind möglich (vgl. gut – besser – am besten). In anderen Sprachen wird das Komparationsparadigma mit Ausnahme von Suppletivformen nur lexikalisch gebildet (frz. important(e) – plus important(e) – le/la plus important(e)). Dort kann sich neben einem eindeutig aufwärtssteigernden Komparationsparadigma auch ein abwärtssteigerndes entwickeln, vgl. frz. important(e) – moins important(e) – le/la moins important(e) (≈ wichtig – weniger wichtig – ?am wenigsten wichtig). Im Dt. kann mit der analytischen Komparativkonstruktion weniger + Positiv expliziter auf bestehende Vorerwartungen eingegangen werden als durch die Verwendung des antonymischen Komparativs (vgl. Thurmair 2001: 161ff.). Dagegen tritt eine analytische Superlativkonstruktion am wenigsten + Positiv im Dt. erheblich seltener auf und muss als stilistisch markiert angesehen werden; deshalb und wegen des semantischen und pragmatischen Unterschieds zur Aufwärtssteigerung des jeweiligen Antonyms kann man im Vergleich zum Frz. im Dt. nur von einem Ansatz zur Ausbildung eines systematischen analytischen abwärtssteigernden Komparativparadigmas sprechen. Daneben existieren auf einer phonotaktischen Distribution beruhende Mischsysteme (so im Engl. grave – graver – gravest und heavy – heavier – heaviest vs. important – more important – most important) wie auch innerparadigmatische Mischsysteme mit einer teilweisen Distribution nach relativer oder absoluter Verwendung (so im Ital. importante – più importante – il/la più importante [relativ] / importantissimo/a [absolut]; vgl. Krenn 1996: 123ff.). Das Russ. zeigt eine syntaktische Distribution und bildet eine analytische Komparativform aus dem indeklinablen Komparationswort bolee und dem Positiv der deklinablen Lang- sowie der indeklinablen nur prädikativen Kurzform des Adj., vgl. bolee važnyj – bolee važen [nur prädikativ; 'wichtiger'], sowie eine synthetische, nur prädikativ verwendbare

K

Komparation 416

K

Kurzform mit dem formbildenden Suffix ‑ee, ugs. auch ‑ej: važnee/važnej ['wichtiger']. Der Superlativ kann im Russ. ebenfalls neben der deklinablen analytischen attributiven Form samyj važnyj / najbolee važnyj ['der wichtigste'] sowie der nur prädikativen indeklinablen analytischen Form najbolee važen ['am wichtigsten'] auch synthetisch mit dem formbildenden Suffix ‑ejšij gebildet werden: važnejšij (Mulisch 1993: 240f.). Adverbien werden im Dt. – sofern man keine Adjektivadverbien wie Helbig/Buscha (2004) annimmt – mit Ausnahme der singulären Analogiebildungen oft – öfter – am öftesten und bald – eher – am ehesten als nicht­flektierbare Wortart nicht kompariert (vgl. Eisenberg 2006: 183). Die Äquation wird im Dt. nicht morphologisch markiert. Sie erfolgt syntaktisch durch lexikalisierte Äquationsphrasen wie (genau)so + Positiv + wie (1). (1) Die Wohnung A ist genauso groß wie die Wohnung B. Ebenso erfolgt die Bildung im Engl. (as + Positiv + as), Lat. (tam + Positiv + quam), Frz. (aussi + Positiv + que), Russ. (Positiv + kak). Zur Markierung des ungleichen Grades werden neben Äquationsphrasen (doppelt so groß wie) auch vergleichende Nebensätze (2) sowie vergleichende Infinitiv­ konstruktionen (3) verwendet (Duden 2005: 376f.). (2) Der Koffer war zu schwer, als dass man ihn hätte tragen können. (3) [...] zu schön, um wahr zu sein. Die Äquation kann aber auch morphologisch durch die Form des Äquativs im Komparationsparadigma gebildet werden, so das Irische und Walisische (Lewis/Pedersen 1974: 182f.). Zur relativen Vergleichssteigerung werden wie zur absoluten Graduierung Komparativ und Superlativ verwendet. Im Gegensatz zur Graduierung ermöglicht die relative Vergleichssteigerung die grammatische Skalierung der lexikalischen Bedeutung des Positivs im Hinblick auf eine oder mehrere externe oder rekonstruierbare externe Vergleichsgrößen bei lexikalischer Bedeutungsidentität von Positiv und Komparativ bzw. Superlativ (vgl. Trost 2004/2006: 31ff.). In einer engeren Steigerungsdefinition kann diese deshalb als grammatische Steigerung bezeichnet werden. Eine zur grammatischen Steigerung in Bezug auf eine oder mehrere externe Vergleichsgrößen gebrauchte Komparativform tritt als relativer Kom-

parativ auf: Wohnung C ist größer als die ebenfalls großen Wohnungen A und B und damit die größte der drei großen Wohnungen. Die absolute Graduierung modifiziert die lexikalische Bedeutung des Positivs durch die nicht mit einer externen Vergleichsgröße verbundene Komparativform. Da der Bezug zu einer externen Vergleichsgröße fehlt, spricht man von einem absoluten Komparativ. Die absolute Graduierung kann sich in der Form des Deminutionskomparativs sowohl als Abwärtsgraduierung als auch als Aufwärtsgraduierung vollziehen. Eine Abwärtsgraduierung liegt in NPn wie die ältere Dame, der ältere Herr vor. Die absolute Komparativform ältere modifiziert hier die lexikalische Bedeutung des Positivs alt. Da eine ältere Dame, ein älterer Herr noch nicht in dem Sinne alt sind wie eine alte Dame und ein alter Herr, sondern nur nahe daran sind, alt im Sinne des Positivs alt zu sein, bezeichnet der absolute Komparativ älter in NPn wie die ältere Dame, der ältere Herr das unmittelbare Vorstadium des Positivs alt. Der absolute Komparativ in NPn wie die ältere Dame, der ältere Herr modifiziert also die lexikalische Bedeutung des Positivs alt und fungiert in Beziehung zu diesem als Präpositiv. Mit der Abdeckung des unmittelbaren Vorstadiums des Positivs alt verhindert der Präpositiv ältere eine semantische Annäherung an den Positiv. Deshalb bezeichnet man den absoluten Komparativ ältere auch als Annäherungs- oder Approximationskomparativ (Gvozdanović 2001: 563; Trost 2004/2006: 41). Eine Aufwärtsgraduierung markieren die absoluten Komparative in NPn wie die jüngere Dame, der jüngere Herr. Eine jüngere Dame, ein jüngerer Herr sind nicht mehr so jung wie eine junge Dame, ein junger Herr. Die absoluten Komparative jüngere in diesen NPn haben den lexikalischen Bedeutungsumfang des Positivs jung bereits leicht überschritten. Deshalb bezeichnet der absolute Komparativ jüngere in NPn wie die jüngere Dame, der jüngere Herr bereits das unmittelbare Nachstadium der lexikalischen Bedeutung des Positivs jung. Der absolute Komparativ in NPn wie die jüngere Dame, der jüngere Herr modifiziert also die lexikalische Bedeutung des Positivs jung und fungiert in Beziehung auf diesen als Postpositiv. Mit der Konzentration auf das unmittelbare Nachstadium des Positivs jung markiert der Postpositiv jüngere eine semantische Entfernung von dem

417 Komparation Positiv. Deshalb stellt der absolute Komparativ jüngere einen Entfernungs- oder Diszessionskomparativ dar (Trost 2004/2006: 41). Postpositiv und Präpositiv treten im Bereich der Qualitätsadjektive bei grundadjektivischen Antonymen zusammen auf, so z.B. auch bei kurz und lang. Antonyme weisen bipolare Eigenschaftskonzepte auf (vgl. Leys 2004: 165; Gvozdanović (2001) zur absoluten Komparation), die sich beim absoluten Komparativ so auswirken, dass ein Konzept das gegenpolige, also antonyme Konzept, als interne Vergleichsgröße impliziert. Der Postpositiv wie jüngere wird von dem Ausgangsantonym, hier dem Positiv jung, gebildet und der Präpositiv wie ältere von dem Zielantonym, hier dem Positiv alt. Man muss bei den absoluten Graduierungskomparativen ältere/jüngere in der ältere Herr und die jüngere Dame im Unterschied zu den relativen Steigerungskomparativen älter/jünger in Sätzen wie der Herr ist älter als die Dame und die Dame ist jünger als der Herr von zwei Suffixen -er ausgehen, nämlich bei den relativen Steigerungskomparativen von einem grammatischen Flexionssuffix -er- und bei den absoluten Graduierungskomparativen von einem bedeutungsmodifizierenden Wortbildungssuffix ‑er-. Auf diese Weise ist es nur scheinbar paradox, dass der [präpositivisch] ältere Herr [steigerungskomparativisch]jünger ist als der [positivisch]alte Herr und die [postpositivisch]jüngere Dame [steigerungskomparativisch]älter ist als die [positivisch] junge Dame. Die Lexikographie wird der Homonymie des Komparativsuffixes ‑er als Flexions- und Wortbildungssuffix dadurch gerecht, dass sie die absoluten Komparative jünger, älter usw. eigens lemmatisiert (vgl. GWDS 1999). Im Gegensatz zum Dt. löst das Russ. das Problem der Abwärts- und der Aufwärtsgraduierung durch die Verwendung des negierten Positivs des entsprechenden Antonyms: der ältere Herr – nemolodoj (uže) mužčina, wörtl. 'der nicht (mehr) junge Mann'; die jüngere Frau – nestaraja (eščë) ženščina, wörtl. 'die (noch) nicht alte Frau' (Isačenko 1982: 157ff.). Das Russ. wählt mit der Präfigierung des antonymen Positivs mit der Negationspartikel ne- zum Ausdruck der Kategorien des Prä- und Postpositivs wie das Dt. den Weg der Wortbildung, vermeidet aber mit der Wahl des antonymen Positivs eine Homonymisierung von

grammatischem Steigerungs- und positiv bedeutungsmodifizierendem Graduierungskomparativ. Neben dem Deminutionskomparativ tritt im Dt. die lexikalisch modifizierende Graduierung in Form des Augmentationskomparativs auf. Dieser kann eine Bedeutung graduell verstärken, so z.B. ugs. bei den absoluten, also nicht grammatisch steigerbaren Adjektiven (4) (vgl. Tafel 2001: 26; Trost 2004/2006: 65ff.). (4) Eva ist schwangerer als Petra [= Eva ist in einem fortgeschrittenerem Stadium der Schwangerschaft als Petra.] Zur Komparation zählt im Dt. auch die Kategorie des Elativs als absoluter Superlativ. Wie der absolute Komparativ steht der Elativ nicht in Bezug zu einer externen Vergleichsgröße. Der Artikel ist bei der absoluten Superlativform des Elativs nicht obligatorisch (5). (5) das Schönste muss nicht immer das Beste sein; größte Erfolge; schlimmste Erfahrungen Der Elativ kann im Dt. auch durch Gradpartikeln und -ausdrücke (sehr/äußerst groß) analytisch oder im Rahmen der Wortbildung durch Präfixe (urkomisch), Konfixe (hyperintelligent) sowie durch z.T. demotivierte kompositionale Bestandteile (steinreich, stinklangweilig) gebildet werden (vgl. Duden 2005: 380f.). Neben der relativen Vergleichssteigerung und der absoluten Graduierung treten Komparativ- und Superlativformen im Dt. in letzter Zeit gehäuft als pragmatische Komparation bei an sich nicht komparierbaren absoluten Adjektiven auf. Hier liegt weder eine relative grammatische Vergleichssteigerung noch eine lexikalische Modifikation im Rahmen der absoluten Gradierung, sondern eine pragmatische Remotivierung der Komparativund Superlativmarker vor. So kommt es zur expressiven pragmatischen Dakapoverstärkung des Positivs: „Tot, töter, am tötesten“, beschrieb ein Händler den Parketthandel (DIE WELT 2001, zit. nach http://wortschatz.informatik.uni-leipzig.de) (vgl. Trost 2008). Ferner tritt die pragmatische Komparation auch als rein pragmatisch motivierte Morphologisierung auf. Diese Morphologisierungen sind stilistisch markiert und dienen z.B. der bloßen Bekräftigung wie der Affirmationssuperlativ in der Werbesprache (6). (6) maximalste Reinigungskraft Morphologisch besonders auffallend sind bei den

K

Komparation, absolute 418 pragmatisch motivierten Morphologisierungen die morphologischen Assimilationssuperlative bei absoluten Adjektiven, wie z.B. meistverkauftest statt meistverkauft (Bsp. nach Oppenrieder/ Thurmair 2002: 119), das zwei Höchstgradmarkierungen enthält, einmal den Kompositumsbestandteil meist- und das Superlativsuffix ‑(e)st (vgl. hierzu und zu weiteren Subklassen pragmatisch motivierter Morphologisierungen absoluter Adjektive Trost 2004/2006: 84ff.). All diese ugs. weit verbreiteten pragmatisch motivierten Komparativ- und vor allem Superlativbildungen gelten aber weiterhin „als standardsprachlich nicht korrekt“ (Duden 2005: 383).

K

Igor Trost ≡ Gradation; Graduierung; Steigerung; Vergleichsbildung; Vergleichsform → § 16; absoluter Komparativ; Komparativ; komparative Konjunktion; Komparierbarkeit; Positiv; relativer Komparativ; Steigerungsinversion; Superlativ; Superlativadverb; suppletiver Komparativ; veränderliches Adverb → Gram-Syntax: Äquativ ⇀ Komparation (Wobi; CG-Dt; SemPrag; HistSprw) ⇁ comparison (CG-Engl; Typol)

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Komparation, absolute → absoluter Komparativ

Komparation, relative → relativer Komparativ

Komparationsinversion ≡ Steigerungsinversion

Komparativ

mittleres Glied des aus Positiv, Komparativ und Superlativ bestehenden Komparationsparadigmas. ▲ comparative: second degree of the comparative paradigm consisting of the degrees positive, comparative and superlative. Der Komparativ dient zum Ausdruck eines quantifizierenden Vergleichs mit mindestens einer Vergleichsgröße (Adam ist fünf Jahre älter als Peter) im Rahmen der grammatischen Formbildung bei Wahrung der lexikalischen Bedeutungsidentität zwischen Positiv und Komparativ oder zum Ausdruck einer der Wortbildung nahestehenden Graduierung im Rahmen einer lexikalischen Modifikation der Positivbedeutung (z.B. dt. die ältere Dame = jünger als die alte Dame, engl. the elder gentleman) (vgl. Gvozdanović 2001; Becker 2005; Trost 2004/2006: 31–74). Der Komparativ kann durch ein Suffix (schön → schön-er, engl. nice → nic-er) oder mit lexikalischen Mitteln (frz. beau → plus beau, engl. beautiful → more beautiful) gebildet werden. Einige Adjektive bilden die Komparativ- wie auch die Superlativform mittels Suppletion, d.h. durch vom Positiv stammverschiedene Teilparadigmen (z.B. dt. gut → besser → best-). Im Dt. tritt bei einigen einsilbigen Grundadjektiven

419 Komparierbarkeit (z.B. krank → kränker) und dem mehrsilbigen präfigierten Adjektiv gesund im Komparativ wie auch im Superlativ ein Umlaut auf, was zu einer Allomorphie des adjektivischen Basismorphems führt. Weitere Allomorphien zum unflektierten positivischen Adj. entstehen im Dt. bei der Komparativbildung durch die e-Tilgung im Stamm (z.B. dunkel → dunkl-er) und durch die Rücknahme der Auslautverhärtung (z.B. lieb: /līp/ → /līb/+er) sowie der Spirantisierung (z.B. giftig: /giftiχ/ → / giftig/+er) (vgl. Simmler 1998: 313). Diese Allomorphien treten jedoch auch im flektierten Positiv auf. Komparativformen können im Rahmen der relativen Komparation bei vorhandener externer Vergleichsgröße oder der absoluten Komparation bei fehlender externer Vergleichsgröße gebildet werden. Nur bei relativer Komparation relativer Adjektive liegt lexikalische Identität zwischen Komparativ und Positiv vor (Haus A ist größer als das große Haus B → beide Häuser A und B sind weiterhin groß). Bei absoluter Komparation relativer und absoluter Adjektive kommt es zu einer lexikalischen Modifikation der Positivbedeutung, so z.B. bei der deminuierenden lexikalischen Modifikation antonymer Adjektive: So ist eine ältere Dame (ältere = bei fehlender externer Vergleichsgröße absoluter Komparativ) weniger alt und damit jünger als eine alte Dame; eine ältere Dame ist folglich nicht mehr jung, aber auch noch nicht richtig alt. Komparative können im Dt. wie der Positiv wortexternanalytisch durch Steigerungspartikeln (z.B. viel größer) graduiert werden. Igor Trost ≡ erste Steigerungsstufe; Mehrstufe; Steigerungsform; Vergleichsstufe → § 16; absoluter Komparativ; dativus discriminis; Komparation; Komparierbarkeit; relativer Komparativ; suppletiver Komparativ ⇀ Komparativ (Lexik; Wobi; CG-Dt) ⇁ comparative (CG-Engl; Typol)

🕮 Becker, T. [2005] Warum eine alte Dame älter ist als eine ältere Dame. Zum absoluten Komparativ im Deutschen. In: DS 33: 97–116 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Gvozdanović, J. [2001] Vergleichen und Einordnen. Graduierung im Slavischen. In: Jachnow, H. [Hg.] Quantität und Graduierung in den slavischen Sprachen. Wiesbaden: 559–573 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin ◾ Trost, I. [2004/2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax.

Hamburg ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Komparativ, absoluter → absoluter Komparativ

Komparativ, relativer → relativer Komparativ

Komparativ, suppletiver → suppletiver Komparativ

komparative Konjunktion

Konjunktion, die eine vergleichende Relation herstellt. ▲ comparative conjunction: conjunction which establishes a comparative relation. Komparative Konjunktionen sind morphologisch unveränderlich und üben wie die anderen Konjunktionen die syntaktische Funktion der Satzbzw. Satzglied(teil)verknüpfung aus. Speziell ist ihre vergleichende Semantik. Im Dt. können die koordinierenden Konjunktionen (z.B. als, denn, wie) und die subordinierenden Konjunktionen (z.B. als, als (ob), als wenn, gleichwie, je ... desto, so, wie, wie denn) komparative Relationen herstellen. So kann man mit als zwei Denotate auf eine gemeinsame Eigenschaft hin vergleichen (1). (1) Felix rechnet besser als seine Schwester. Der Vergleich kann ein realer (2) oder hypothetischer (3) sein. Für letzteren stehen die Subjunktoren als ob, als wenn und wie wenn zur Verfügung (Helbig/Buscha 2001: 401). (2) Hans arbeitet anders als Helga. (3) Helga tat so, als ob sie es nicht sehe/sähe. Christine Römer ≡ vergleichende Konjunktion → Komparation; Komparativ; Konjunktor; Subjunktor

🕮 Buscha, J. [1989] Lexikon deutscher Konjunktionen. Leipzig ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Komparierbarkeit

Fähigkeit einer Subklasse der Adjektive und Adverbien, ein Komparationsparadigma bestehend aus Positiv, Komparativ und Superlativ zu bilden. ▲ comparability: ability of a subclass of adjectives and adverbs to construct a comparative paradigm with positive, comparative and superlative degrees of comparison.

K

komplexe Präposition 420

K

Im Dt. bilden neben den Adverbien oft – öfter – am öftesten und bald – eher – am ehesten als singuläre Analogiebildungen nur Adjektive ein Komparationsparadigma, sofern man keine Adjektivadverbien wie Helbig/Buscha (2004: 305) annimmt, sondern von adverbial gebrauchten Adjektiven ausgeht (vgl. Eisenberg 2006: 183). Die Komparierbarkeit der Adjektive unterliegt im Dt. zwei Restriktionen, einer morphologischen und einer semantischen. Morphologisch ist die Bildung eines Komparativs und eines Superlativs bei indeklinablen Adjektiven standardspr. blockiert (lila, rosa). Semantisch ist eine Komparation i.e.S., also eine grammatische relative Komparation, im Dt. nur bei den relativen Adjektiven bzw. Adjektivteilbedeutungen (= Adjektivpolyseme) möglich. Die relativen Adjektivpolyseme bezeichnen in einer subjektiven und/oder objektiven Bewertungsskala von unten nach oben und von oben nach unten relativierbare Qualitäten (das schöne Gedicht), Referenzen (schnelles Geld), Zustände (Er war falsch in seiner Freundlichkeit), Quantitäten (viele Menschen) oder graduelle Abstufungen (Hier ist es elend heiß). Bei durch Wortbildung aus nominalen und adverbialen Basen hervorgegangenen relationalen Adjektiven besteht im Dt. in der Adjektivprimärbedeutung eine Blockade der Komparierbarkeit, vgl. die hölzerne Bank (← die Bank ist aus Holz) – *die hölzernere Bank / der ärztliche Rat (← der Rat eines Arztes) – *der ärztlichere Rat bzw. die heutige Sitzung (← Die Sitzung ist heute) – *die heutigere Sitzung. Diese relationalen Adjektive haben den Charakter von attributiven und deshalb nicht prädikativ verwendbaren Suppletivbildungen zu ihren wortartspezifisch nicht-komparierbaren Wortbildungsbasen und behalten diese Nicht-Komparierbarkeit bei der Transposition bei (vgl. Trost 2004/2006: 243ff.). Erst durch die Ausbildung von Sekundärpolysemen und eine damit verbundene Verschiebung der Bedeutung in Richtung einer relativen Qualitätszuschreibung werden diese abgeleiteten Adjektive wie alle relativen Qualitätsadjektive steigerbar und prädikativ verwendbar, vgl. die hölzerne Bank – *die hölzernere Bank vs. Seine Bewegungen sind noch hölzerner (= steifer) als die seiner Schwester (Trost 2004/2006: 134ff.). Bei adjektivischen Wortbildungen mit verbaler

Basis nimmt die Komparierbarkeit mit dem Lexikalisierungsgrad zu: So sind durch das Verbalparadigma noch voll motivierte und nichtlexikalisierte Partizipialadjektive (das schlafende Kind), die Ad-hoc-Bildungen gleichen, absolut-qualitative attributive Suppletivbildungen zum Verb (das Kind schläft) und deshalb weder komparierbar (*das schlafendere Kind) noch prädikativ verwendbar (*das Kind ist schlafend). Durchweg inhaltlich verselbständigte, also lexikalisierte und relativqualitative Partizipialadjektive wie aufregend in der französische Krimi gestern war aufregender als der amerikanische wie auch die demotivierten Partizipialadjektive (vgl. verstockt in die Schüler der 2b sind noch verstockter als die der 2a) sind hingegen steigerbar und prädikativ verwendbar (vgl. Trost 2004/2006: 10ff. u. 244). Im Rahmen der absoluten Komparation/Graduierung („Tot, töter, am tötesten“, beschrieb ein Händler den Parketthandel, DIE WELT 2001, zit. nach http://wortschatz.informatik.uni-leipzig.de) sowie der pragmatischen Morphologisierung (Die Kommunen sind pleite, pleiter geht’s nicht, Bayerisches Fernsehen, Rundschau-Magazin, 16.9.2003) können auch nicht-komparierbare absolut-qualitative Adjektive ein Komparationsparadigma bilden. Igor Trost ≡ Steigerbarkeit; Steigerungsfähigkeit → Adjektiv; Adverb; Komparation; Komparativ; Positiv; relationales Adjektiv; relativer Komparativ; Superlativ → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; prädikatives Adjektiv

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2004] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 4., unveränd. Druck der Neubearb. Berlin ◾ Trost, I. [2004/2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg ◾ Trost, I. [2008] Die semantische und die grammatische Sekretion am Beispiel der relativen und absoluten Komparative. In: Canisius, P./ Hammer, E. [Hg.] 50 Jahre Germanistik in Pécs. Akten eines internationalen Kongresses am 5.und 6. Oktober 2006 (PStGerm 3). Wien: 127–140.

komplexe Präposition

morphologisch oder syntaktisch komplexe Präposition, Postposition oder Zirkumposition in Absehung von ihren unterschiedlichen syntaktischen Positionen relativ zum gegebenenfalls kasusregierten Komplement. ▲ complex preposition: morphologically or syntactically complex preposition, postposition or circum-

421 position irrespective of its syntactic position relative to the case-governed, if applicable argument. Komplexe Präpositionen sind i.w.S. morphologisch oder syntaktisch komplexe Kategorien, die mit Kopfeigenschaften ein adjazent positioniertes Komplement subkategorisieren und ihm einen Rektionskasus zuweisen, wenn es deklinierbar ist. I.e.S. der Bezeichnung unterscheiden sich komplexe Präpositionen durch ihre Stellung vor dem Komplement (1) von den selteneren komplexen Postpositionen (2) und Zirkumpositionen (konstruktionsinhärent komplex, umschließen das Komplement in Form zweier diskontinuierlich angeordneter Komponenten (3)). (1) aufgrund (von) seiner Erkrankung / auf Grund (von) seiner Erkrankung (2) ihrer Meinung zufolge (3) um deiner Gesundheit willen Syntaktisch komplexe Präpositionen (1) stehen in ihrer hist. Entwicklung zwischen stereotypen, aber syntaktisch noch freien Präpositionalgefügen auf der einen Seite und univerbierten Präpositionalgefügen auf der anderen Seite. Aus diesem Grund stellen sie eine Herausforderung für die Getrennt-/Zusammenschreibung dar und zählen zu den häufigsten orthographischen Fehlerquellen im Dt. Komplexe Postpositionen (2) sind demgegenüber im Regelfall univerbiert. Meistens sind komplexe Präpositionen syntaktisch komplex (1), aber Komplexität spielt auch auf der morphologischen Ebene eine wichtige Rolle. In (4)–(6) liegen jeweils derivativ erzeugte Adverbien vor, die relationale Eigenschaften ihrer Basen übernehmen und in der Folge als Präpositionen wahrgenommen werden. (4) mangels Beweisen (5) hinsichtlich der Höhe (6) unterhalb des Gipfels Bei einigen dieser Bildungen erfolgt ein syntaktischer Ausbau durch von, der bei Komplementen ohne eine distinktive Kasusmarkierung obligatorisch ist und darüber hinaus die intendierte präpositional-relationale Lesart des Adverbs vereindeutigt (vgl. unterhalb von Gipfeln / *unterhalb Gipfeln; unterhalb von schneebedeckten Gipfeln / unterhalb schneebedeckter Gipfel). Die morphologisch und syntaktisch komplexen Präpositionen sind maßgeblich für die Stärke des Genitivs im gegenwartsdt. System der Adpositio-

komplexe Verbform nen verantwortlich. Sie haben im Vergleich zu den sog. primären Präpositionen wie in und vor einen deutlich niedrigeren Grammatizitätsgrad und werden ihnen daher häufig als sekundäre Präpositionen gegenübergestellt. Vor allem die syntaktisch komplexen Präpositionen können empirisch in der Kategorie Adposition Randbereichsunschärfen erzeugen, da der Übergang zwischen syntaktisch freien Präpositionalgefügen und komplexen Präpositionen fließend ist. Komplexe Präpositionen können in einigen Fällen Valenzforderungen von Verben als semantisch eigenständige und paradigmatisch austauschbare Adverbialkomplemente sättigen (7). Als desemantisierte und paradigmatisch stark austauschbeschränkte Präpositionalkomplemente treten sie jedoch nicht in Erscheinung. (7) oberhalb des Gipfels ['auf dem Gipfel'] wachsen Syntaxtypologisch sind komplexe Präpositionen ebenso wie einfache Präpositionen für Sprachen mit einer allgemeinen Tendenz zu kopfinitialer Wortfolge wie z.B. das Engl. charakteristisch. Sie können aber auch in Sprachen wie dem Dt., das wortfolgetypologisch Züge einer Mischsprache hat, der dominante Stellungstyp unter den komplexen Adpositionen sein. Jörg Bücker

→ Adposition; Halbpräposition; Postposition; Präposition; sekundäre Präposition

→ Gram-Syntax: Grammatikalisierung; Komplement

🕮 Beneš, E. [1974] Präpositionswertige Präpositionalfügungen. In: Engel, U./ Grebe, P. [Hg.] Sprachsystem und Sprachgebrauch. Düsseldorf: 33–52 ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1979] Syntax und Semantik der denominalen Präpositionen des Deutschen. In: Weydt, H. [Hg.] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 518–527 ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Wellmann, H. [1985] Aus Anlaß einer Feier. Grammatische Halbelemente im Umfeld der Präpositionen. In: Koller, E./ Moser, H. [Hg.] Studien zur deutschen Grammatik. Innsbruck: 375–393.

komplexe Verbform

≡ analytische Verbform

K

komplexer Stamm 422

komplexer Stamm

durch Wortbildung entstandene wortfähige Morphemkombination. ▲ complex stem: morpheme combination resulting from word formation which can occur as a word on its own. Komplexe Stämme werden im Dt. typischerweise durch Komposition (Film + musik, himmel + blau) oder Derivation (Lehr + er, glück + lich) gebildet. Diese können wiederum Bestandteile komplexer Stämme sein (Filmmusik + preis, Lehrer + schaft). In Eisenberg (2013) werden komplexe Stämme auch als Stammgruppen bezeichnet. Karsten Schmidt

→ Derivation; Komposition; Stamm; Wortbildung

K

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Komponente, morphologische → morphologische Komponente

Komponentenanalyse

≡ Merkmalanalyse ⇀ Komponentenanalyse (Lexik; SemPrag; CG-Dt)

Komposition

Wortbildungstyp, bei dem durch die Verbindung von mindestens zwei Lexemen und/oder Konfixen ein neues komplexes Wort entsteht und der insbesondere in den germanischen Sprachen sehr produktiv ist. ▲ composition; compounding: highly productive type of word formation that creates a new complex word by the combination of at least two lexemes and/or combining forms and that is productive especially in the Germanic languages.

Die Wortbildungsmorphologie des Kompositums wird in der Wortbildungsforschung zumeist strukturalistisch in binären Strukturen analysiert, obwohl Kompositionalbildungen im Dt. (vgl. Donau-dampf-schiff-fahrt-s-gesellschaft), aber auch in anderen Sprachen wie dem Engl., Dän. oder Ung. (vgl. Donalies 2009: 469) als polymorphemisches Kompositum (vgl. Fleischer/ Barz 2012: 138) aus weit mehr als zwei Konstituenten bestehen können, die sich oft semantisch nicht eindeutig in zwei Einheiten aufteilen lassen.

Bei der Annahme einer binären Struktur unmittelbarer Konstituenten (= UK) besteht ein Kompositum aus einem Erstglied und dem ihm folgenden Zweitglied. Das Erst- wie das Zweitglied können wiederum eine Komposition darstellen (vgl. [Bundes-kanzler-]Amt bzw. Haupt-[Bahn-hof]). Das Zweitglied ist der Kopf eines Kompositums und bestimmt dessen Wortart sowie dessen Morphosyntax, so dass die Wortbildung damit rechtsköpfig ist. Zweitglieder können nach Fleischer/Barz (2012: 84) im Dt. nur Wortstämme (Misch-brot) und Konfixe (Disko-thek) sein, während Erstglieder neben Stämmen (Misch-brot) und Konfixen (Bio-laden) auch ganze Sätze (Trimm-Dich-Pfad), Syntagmen (Schönes-Wochenende-Ticket), Wortreihungen (Bund-Länder-Beziehungen) oder aber nur Buchstaben (A-Liga, auch als Abk.: U-Bahn) sein können. Grundsätzlich können auch Namen als Konstituenten in der sog. onymischen Komposition meist als Bindestrichkomposita auftreten, wie z.B. Hans-Peter und München-Pasing (vgl. Fleischer/Barz 2012: 179). Ein appellativisches Zweitglied führt dann wiederum zur Deonymisierung der Wortbildung, wie z.B. bei WallensteinTrilogie (Fleischer/Barz 2012: 183). In den roman. Sprachen entsprechen feste Junktionen wie z.B. die de-Phrasen in frz. chemin de fer ['Eisenbahn'; wörtlich 'Weg aus Eisen'] und Sub­ stantiv-Adjektiv-Phrasen wie z.B. span. cambio climático ['Klimawandel'; wörtlich 'klimatische Veränderung'] den dt. Determinativkomposita (vgl. Eichinger 2008: 159ff.). Diese festen Junktionen werden auch als linksköpfige Komposita neben den – wenn auch in den roman. Sprachen erheblich seltener auftretenden – rechtsköpfigen Komposita (vgl. ital. autostrada und frz. autoroute 'Autobahn') klassifiziert (vgl. Olsen 2015: 373). Aus diesen festen Phrasen entstehen oft prototypische Komposita, die aber weiterhin linksköpfig bleiben, wie z.B. frz. stylo à bille → stylo-bille ['Kugelschreiber', wörtlich: 'Stift-Kugel']. Damit sind die Wortbildungsprozesse dieser linksköpfigen roman. Komposita seitenverkehrt analog zu den rechtsköpfigen Komposita in den germ. Sprachen, deren Bildungsmuster sprachhist. auch aus festen Phrasen entstanden ist, vgl. Sonne-n-schein aus der festen Phrase der Sonne-n Schein mit vorangestelltem sprachhist. singularischem Genitivattribut der Sonne-n. Der im Femininum sprachhist. untergegangene schwache Genitiv-Singular-Mar-

423 Komposition ker ‑(e)n wurde im Nhd. als kompositionales Fugenelement reinterpretiert. Diese Reanalyse von Kasusmarkern als kompositionale Fugenelemente treten im Dt. auch außerhalb ihres diachronen morphologischen Wirkungsbereichs auf, wie z.B. der maskuline und neutrale starke Genitivmarker -s nach dem femininen Erstglied Arbeit in Arbeit-s-agentur. Aufgrund dieser Reanalyse kann man mit Fleischer/Barz (2012: 66f.) so weit gehen, die auf Flexionsmorpheme zurückgehenden indigenen dt. Fugenelemente ‑e-, ‑(e)n-, ‑(e)‌ns‑, ‑er-, ‑(e)s-, die bei substantivischen Komposita mit substantivischem oder verbalem Erstglied auftreten, als „semantisch ‚leere‘ Segmente in der Kompositions- oder Derivationsfuge komplexer Lexeme“ zu klassifizieren. Sie sind jedoch funktional nicht leer, da sie eine Gliederungsfunktion und prosodische Funktion übernehmen. Trotz der Reanalyse der Fugenelemente aus Flexionsmorphemen ist deren Auftreten in vielen Fällen nicht komplett unabhängig von den Flexionseigenschaften des Erstglieds, wenn auch dessen Laut- sowie Silben- und Wortbildungsstruktur eine größere Rolle bei der Selektion der Fugenelemente spielt (vgl. Nübling/Szczepaniak 2009: 203; Fleischer/Barz 2012: 66f.). Komposita können semantisch in Determinativkomposita, Kopulativkomposita sowie Possessivkomposita und zusätzlich syntaktisch in Rektionskomposita sowie morphologisch bzw. etymologisch in Konfixkomposita sortiert werden. Dabei können die Rektionskomposita wie auch Kopulativkomposita und Possessivkomposita als Subtypen der Determinativkomposita klassifiziert werden (vgl. Eisenberg 2006: 226, 230). (a) Determinativkomposita zeichnen sich durch ein semantisches Subordinationsverhältnis der Konstituenten aus. Das Erstglied bestimmt das Zweitglied semantisch näher, z.B. Kirsch-baum. Das Zweitglied trägt dabei nach Olsen (2015: 365) prinzipiell weiterhin die Hauptbedeutung (general concept), hier Baum, während das Erstglied, hier Kirsch(e), mit dem Kompositum, hier Kirschbaum, ein „complex or subordinate concept“ und damit ein Hyponym der Hauptbedeutung des Zweitglieds, hier Baum, erzeugt. Im Laufe der Sprachgeschichte können durch Komposition aber auch neue Gesamtbedeutungen entstehen, die sich vom gegenwartsprachlichen Primärpoly-

sem des Zweitglieds weitgehend abgelöst haben, vgl. Bahnhof vs. Hof. (b) Rektionskomposita weisen nach Eisenberg (2006: 230) „eine morphologisch strukturelle Präferenz für die Bedeutungszuweisung“ auf und gelten als Subklasse des Determinativkompositums (Fleischer/Barz 2012: 139). Nach Olsen (1986: 66) liegt der „Unterschied zwischen Rektions- und Nichtrektionslesart“ darin, „daß bei den Rektionskomposita die Relationalität durch die grammatisch charakterisierbare Rektion eines der Glieder gegeben ist, während sie bei den Nichtrektionskomposita nicht grammatischer Art ist und daher durch den Sprecher erst aus einem der Kompositionsglieder erschlossen werden muß.“ Dabei hat das Rektionskompositum je nach Wortart einen Kopf als Zweitglied mit „spezifischen Rektionseigenschaften“, die dieser – meist ein deverbales oder deadjektivisches Subst. – von seiner Derivationsbasis „erbt“ (Eisenberg 2006: 230). So lässt sich das Rektionskompositum Baugenehmigung auf die VP einen Bau [Akkusativobjekt] genehmigen zurückführen (zum Zusammenhang von Dependenz in der Wortbildung vgl. Eichinger 2006: 1065ff.). Die Rückführbarkeit auf Phrasen, insbesondere bei verbalen Rektionskomposita (vgl. schwarzarbeiten) rücken die Rektionskomposita in die Nähe der Zusammenbildung bzw. der Derivation (vgl. Eisenberg 2006: 230 sowie Fleischer/Barz 2012: 15, 86). (c) Bei den Kopulativkomposita liegt im Gegensatz zu den Determinativkomposita eine koordinierende semantische Relation vor (z.B. taubstumm, d.h. taub und stumm gleichzeitig), weshalb Motsch (2004: 376) die Kopulativkomposita auch als „Koordinativkomposita“ bezeichnet. Erst- und Zweitglied gehören derselben Wortart an und sind ohne semantische Unterschiede vertauschbar, auch wenn die Reihenfolge meist konventionalisiert ist (Fleischer/Barz 2012: 149f.). So hätte *stummtaub dieselbe Bedeutung wie das konventionalisierte taubstumm, ist aber durch taubstumm blockiert. Dagegen ist insbesondere bei Farbadjektiven wie blaugrau und graublau die Reihenfolge der Konstituenten wenig konventionalisiert, und es kommt so zu vielen okkasionellen Bildungen. Bisweilen sind Kopulativkomposita auch tautologisch, vgl. das Beispiel von Fleischer/Barz (2012: 327) absichtsvoll-willenmäßig(e Einwirkung). Bei den Kopulativkom-

K

Komposition 424

K

posita dominieren Adjektivkoordinationen; sie sind aber auch bei Substantiven (Strumpfhose) und Verben (ziehschleifen) möglich (Fleischer/ Barz 2012: 6, 374). Kopulativkomposita lassen sich in exozentrische und endozentische Komposita subklassifizieren (vgl. Bloomfield 1933; Ortner/ Ortner 1984). Bei exozentrischen Kopulativkomposita repräsentieren weder Erst- noch Zweitglied das Denotat der Wortbildung: So ist eine Strumpfhose weder ein Strumpf noch eine Hose. Dagegen drücken die zwei semantisch additiven Konstituenten eines endozentrischen Kopulativkompositums die beiden verschiedenen Seiten des Denotats der Wortbildung aus: Ein Dichterkomponist ist sowohl Dichter als auch Komponist. Endozentrische kopulative Substantiv- und Verbkomposita blockieren aber nicht eine determinative Interpretation. Deshalb weisen Breindl/ Thurmair (1992) und Motsch (2004) darauf hin, dass bei fast allen Kopulativkomposita auch eine Interpretation als Determinativkompositum möglich ist. (d) Possessivkomposita bezeichnen vor allem Personen, Tiere und Pflanzen und sind den endozentrischen Determinativkomposita in der determinativen, nichtkopulativen Relation der Konstituenten ähnlich. Das Zweitglied der exozentrischen Possessivkomposita ist jedoch „kein Oberbegriff, unter den sich das Denotat einordnen lässt“, sondern bei den Personen-, Tier- und Pflanzenbezeichnungen meist nur ein Körperbzw. ein Pflanzenteil (Fleischer/Barz 2012: 178). So bezeichnet das Possessivkompositum Dickkopf nicht eine Besonderheit des Körperteils Kopf wie z.B. das Determinativkompositum Dickmilch eine besondere Art von Milch, sondern eine Person, die charakterlich dickköpfig im Sinne von starrköpfig ist. Olsen (2015: 367) weist darauf hin, dass Possessivkomposita „von einem modernen Standpunkt her“ trotz dieser Unterschiede zum Determinativkompositum nicht selbstverständlich als eigene Klasse neben den Determinativkomposita angesehen werden müssen, da „die possessive Interpretation dieser Komposita auf der Basis ihrer determinativen Struktur durch eine metonymische Verschiebung entsteht“ (Zitat aus dem Engl. übers.), die auch bei den Determinativkomposita möglich ist (vgl. das Zitat von J. R. Becher für textgebunden exozentrischen Denotatsbezug durch metonymische Verschiebung bei Determi-

nativkomposita von Fleischer/Barz 2012: 179: „Die Verkäuferin sprach […] mit einem Mann, der einen Lodenmantel trug […]. Der Lodenmantel sog an seiner Zigarre […]“). (e) Bei den Konfixkomposita im Dt. ist mindestens eine der beiden Konstituenten ein gebundenes, also nicht wortfähiges, meist fremdsprachliches Morphem, nämlich das Konfix (z.B. Bio in Biomüll), das lexikalisch bedeutungstragend ist (vgl. Fleischer/Barz 2012: 64). Eisenberg (2006: 244) engt den Konfixbegriff auf potentielle Konstituenten von Konfixkompositionalbildungen ein, während Donalies (2005: 22) und Fleischer/ Barz (2012: 63) zusätzlich auch nur derivationsfähige gebundene Morpheme wie fanat- in Fanatiker und fanatisch zu den Konfixen zählen. Viele Konfixkomposita stellen Internationalismen altgriech. oder lat. Herkunft dar, wie z.B. Philologe und Agrikultur (vgl. Eisenberg 2006: 243). Aber auch engl. Komposita wie z.B. Soft-ware gehören zu den Konfixkomposita (vgl. Eisenberg 2006: 242). Die Bedeutung der einzelnen Konfixe ist für viele Muttersprachler oft ohne Kenntnis der fremdsprachlichen Semantik nicht zu entschlüsseln. So werden im Dt. nicht-reihenbildende Konfixkomposita von Sprachteilnehmern bisweilen semantisch holistisch interpretiert. Auch Wortbildungen des Dt. mit Konfixen, die in der Entlehnungssprache nicht vorhanden sind (z.B. Dressman für engl. male model), sind so für die Sprachteilnehmer oft nicht als erst durch Reanalyse und Rekombination im Dt. entstandene Wortbildungsprodukte erkennbar (Eisenberg 2006: 242). Bei den Konfixkomposita mit exogenen Konfixen treten ebenso wie bei indigenen Komposita Fugenelemente (vgl. o in Phil-o-log-e) auf, die aber wie die Konfixe selbst fremdsprachlicher Herkunft sind. Fleischer/Barz (2012: 64, 66) zählen zu den Konfixkomposita auch indigene Wortbildungen mit „wenigen Einheiten, die in älteren Sprachstufen Lexeme waren, heute aber infolge ihrer Archaisierung nicht mehr wortfähig sind wie lotter-, schwieger-, stief-, winz-, -falt in Lotterwirtschaft, Schwiegervater, Stiefsohn, Winzling, Einfalt“, jedoch nicht Komposita mit unikalen Morphemen wie z.B Bräutigam und Himbeere, da die unikalen Morpheme „keine isolierbare Bedeutung (mehr) tragen und“ „nur in einem einzigen Wort vorkommen“. (f) Als Sonderfall der Komposition werden in der

425 Kompositionalität Forschung bisweilen die Kontamination (auch: Wortkreuzung, Wortverschmelzung) (z.B. ja + nein → jein, Kur + Urlaub → Kurlaub) und die Reduplikation (z.B. Schickimicki, Mischmasch) betrachtet (vgl. Donalies 2009: 470). Andere sehen darin aber eigene Wortbildungsarten (vgl. Fleischer/Barz 2012: 93ff.). Die Komposition kann auch in Kombination mit einer Derivation als Zusammenbildung (z.B. vierrädrig aus [vier + Räder] + ig) auftreten. Igor Trost

→ § 15, 31; endozentrische Zusammensetzung; exozentrische

Zusammensetzung; Form; Fugenelement; Kompositionalität; Kompositum; Konfix; Kontamination; Lexem; morphologische Konstituente; morphologische Konstituentenstruktur; morphologischer Kopf; Produktivität; Reduplikation; unikales Morphem; Wortbildung; Zusammenbildung → Gram-Syntax: Binarität; Junktion; unmittelbare Konstituente ⇀ Komposition (Wobi; Lexik; CG-Dt; HistSprw) ⇁ composition (Phon-Engl)

🕮 Bloomfield, L. [1933] Language. Chicago, IL ◾ Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Donalies, E. [2009] Wortbildung. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin: 465–478 ◾ Eichinger, L.M. [2006] Dependenz in der Wortbildung. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.2). Berlin [etc.]: 1065–1080 ◾ Eichinger, L.M. [2008] Vom deutlichen Sagen und kurzen Andeuten: Komposition und Verwandtes in deutschen und spanischen Nominalphrasen. In: Eichinger, L.M./ Meliss, M./ Domínguiez Vázquez, M.J. [Hg.] Wortbildung heute. Tendenzen und Kontraste in der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: 143–165 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.] ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222 ◾ Olsen, S. [1986] Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur. Stuttgart ◾ Olsen S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin: 364–386 ◾ Ortner, H./ Ortner, L. [1984] Zur Theorie und Praxis der Kompositaforschung. Tübingen.

Kompositionalität

allem in der Wortbildung angewendetes Prinzip bei der Analyse für die Ermittlung der Bedeutung komplexer Einheiten. Dabei gilt eine komplexe Einheit dann als kompositionell, wenn sich die Gesamtbedeutung der Einheit aus der Summe der Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ergibt. In der Wortbildung spricht man häufig auch von Motivation bzw. von einer motivierten Bedeutung (vgl. Fleischer/Barz 2012). Im Gegensatz zur Kompositionalität haben holistische Einheiten eine ganzheitliche Bedeutung, die aus den Teilbedeutungen nicht erklärt werden kann. Im Dt. gelten besonders Determinativkomposita (z.B. Haustür ← Haus + Tür) und produktive Derivationstypen (z.B. fehlerlos ← Fehler + los, -ungDerivate wie Aufführ-ung und -er-Derivate wie Lehr-er) als kompositionell. Possessivkomposita wie Rotkehlchen oder Phraseologismen haben dagegen eine holistische Bedeutung. Analog zu Wortbildungskomplexen kann man auch in der Flexionsmorphologie kompositionelle und holistische Einheiten unterscheiden. Zur Kompositonalität gehören additive Bildungsverfahren ohne Stammalternation wie Suffigierung (z.B. schön-es, schön-er-es, Kirche-n, mach-te). Aus Vokalwechsel (z.B. Ablaut wie in gab) und noch stärker aus Suppletion (z.B. besser, mehr) resultieren dagegen holistische Formen. Im heutigen Dt. dominieren additive Flexionsverfahren, so dass die meisten Flexionsformen kompositionell erklärbar sind. In agglutinierenden Sprachen ist die Kompositionalität noch dominanter, denn durch die Agglutination entstehen ausschließlich transparente Formen (vgl. Eisenberg 2006). Der Unterschied zwischen Kompositionalität und Holismus wirkt auch auf das Speichern von Elementen im mentalen Lexikon aus. Kompositionelle Einheiten gelten als transparent, regulär und produktiv. Aus diesem Grund müssen sie nicht einzeln abgespeichert werden, sondern es geht viel mehr um die Festigung von Regeln und Mustern. Viktória Dabóczi

Erklärung der Bedeutung komplexer Ausdrücke aus den Einzelbedutungen ihrer Bestandteile. ▲ compositionality: explanation of the meaning of complex expressions from the separate meanings of their parts.

→ Agglutination; Derivation; Flexionsmorphologie; Komposi-

Kompositionalität ist neben Holismus ein vor

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik.

tion; motivierte Wortbildung

→ Gram-Syntax: Frege-Prinzip; Montague-Grammatik ⇀ Kompositionalität (Textling; Lexik; SemPrag; Sprachphil; CGDt)

⇁ compositionality (CG-Engl; Typol)

K

kompositionelle Wortbedeutung 426 Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Frege, G. [1962] Funktion, Begriff, Bedeutung. Göttingen.

kompositionelle Wortbedeutung

Bedeutung eines komplexen Wortes, die sich nach den Regeln der Wortbildung aus den Bedeutungen seiner Bestandteile ergibt. ▲ compositional word meaning: meaning of a complex word – formed according to the rules of word formation – which derives from the meaning of its components. Anna Vargyas

→ morphologische Konstituentenstruktur; motivierte Wortbildung; Semantem; Wortbildung

K

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gauger, H.-M. [1971] Durchsichtige Wörter. Zur Theorie der Wortbildung. Heidelberg ◾ Marzo, D. [2015] Motivation, compositionality, idiomatization. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.2). Berlin [etc.]: 984–1001.

Kompositionspartikel ≡ Verbpartikel

Kompositum

Wortbildungsprodukt der Komposition, das als komplexes Wort aus mindestens zwei Lexemen und/oder Konfixen besteht. ▲ compound: word formation product of composition, which consists of at least two lexemes and/or confixes.

Ein Kompositum (Pl. Komposita) besteht aus einem Erst- und einem Zweitglied (z.B. Bahnhof), wobei das Erstglied als Bestimmungswort (= Determinans) die Semantik des Zweitgliedes näher bestimmt, das Zweitglied als Grundwort (= Determinatum) bzw. Kopf die Morphosyntax des Kompositums vorgibt. Zwischen den Kon­sti­ tu­ en­ ten können Fugenelemente auftreten, die hist. auf die Reanalyse von Kasusmarkern in rechtsköpfigen festen NPn mit voranstehendem Genitivattribut (ahd. zi gotes thionōste 'zu Gottes Dienste' → Gott-es-dienst) zurückgehen. Sie sind gegenwartssprachlich flexionsmorphologisch demotiviert (vgl. das maskuline Genitiv-Morph -s als Fugenelement nach feminin Arbeit in Arbeit-sagentur), wirken aber als phonologische Marker von Wortgrenzen (Nübling/Szczepaniak 2009).

Neben den zweigliedrigen Komposita existierten auch polymorphemische Komposita (vgl. Fleischer/Barz 2012: 138), die aus weit mehr als zwei Konstituenten bestehen und sich oft semantisch nicht eindeutig in eine binäre Determinans-Determinatum-Struktur aufgliedern lassen wie z.B. Donaudampfschifffahrtsgesellschaft (vgl. Eichinger 2000: 47). Neben den rechtsköpfigen Komposita existieren in den roman. Sprachen auch linksköpfige Komposita wie z.B. stylo-bille ['Kugelschreiber'; wörtlich: 'Stift-Kugel'], die auf Kürzungen fester Junktionen zurückgehen (vgl. frz. stylo à bille [wörtlich: 'Stift zur/mit Kugel']) (vgl. Eichinger 2008: 159ff.; Olsen 2015: 373). Igor Trost ≡ zusammengesetztes Wort → Determinans (2); Determinatum; Fugenelement; Komposition; Kompositionalität; Konfix; morphologischer Kopf; Wortbildung → Gram-Syntax: Rechtsköpfigkeit (2) ⇀ Kompositum (Wobi; Lexik; CG-Dt; QL-Dt) ⇁ compound (CG-Engl; Woform; Typol)

🕮 Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eichinger, L.M. [2008] Vom deutlichen Sagen und kurzen Andeuten: Komposition und Verwandtes in deutschen und spanischen Nominalphrasen. In: Eichinger, L.M./ Meliss, M./ Domínguiez Vázquez, M.J. [Hg.] Wortbildung heute. Tendenzen und Kontraste in der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: 143–165 ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222 ◾ Olsen, S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin: 364–386.

Konditional

periphrastische Verbalfügung, die einen Sachverhalt als irreal, gewünscht oder zukünftig darstellt. ▲ conditional; subjunctive: periphrastic verbal construction denoting an action or a state as non-real, wishful, or prospective. Im Dt. wird als Konditional (auch: Konditionalis) die Umschreibung würde mit dem Infinitiv I (Konditionalis I) bzw. Infinitiv II (Konditionalis II) bezeichnet ((1), (2)). (1) Sie würde ihn gern besuchen / besucht haben. (2) Wolfgang würde morgen kommen / gestern gekommen sein.

427 Am häufigsten tritt der Konditional als Ersatzform für den Konjunktiv II auf. In diesem Fall kodiert er die Nichtfaktizität oder Optionalität eines Sachverhalts, darunter in sog. wenn-dann-Sätzen ((3), (4)). (3) Wenn/Falls ich Zeit hätte, würde ich dich unbedingt besuchen. (4) Wenn die Ware rechtzeitig geliefert worden wäre, würden wir sie schon vor einer Woche an unsere Kunden geschickt haben. Besonders häufig wird der Konditional statt des Konjunktivs II verwendet, wenn die entsprechende Konjunktivform mit der Form des Indikativs zusammenfällt oder aber nicht wohlgeformt klingt: würde machen statt machte [Konjunktiv]; würde helfen statt hülfe etc. Außerdem wird der Konditional I für den Ausdruck der Zukunft in der Vergangenheit (5) sowie in der erlebten Rede (6) verwendet. (5) Schon damals wusste sie, dass dies passieren würde. (6) Sie wartete auf Peter. Er würde unbedingt kommen, und sie würden den Rest des Tages zusammen verbringen. In diesen Funktionen ist der Konditional nicht mehr dem Konjunktiv II synonymisch und wird als Tempusform (Futur in der Vergangenheit) behandelt. Michaił L. Kotin ≡ Bedingungsform ↔ Indikativ → Faktizität; Futur des Präteritums; Infinitiv; Konjunktiv II; Tempus; Verbmodus ⇀ Konditional (QL-Dt; CG-Dt; SemPrag) ⇁ conditional (CG-Engl)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Konditionaladverb

Adverb, das im Vorfeld des Hauptsatzes eines konditionalen Satzgefüges steht und die Folge von der Realisierung der im Nebensatz ausgedrückten Bedingung signalisiert. ▲ conditional adverb: adverb positioned at the beginning of the main clause of a conditional sentence signalizing the consequence of the fulfillment of the condition expressed in the subordinate clause.

konditionaler Imperativ Zu den Konditionaladverbien gehören die Adverbien dann und so. Sie stehen in einem konditionalen Satzgefüge und leiten den Teilsatz ein, in dem das Resultat ausgedrückt wird, das bei der Erfüllung der im Nebensatz formulierten Bedingung eintritt. Ihr Auftreten ist fakultativ und korreliert mit der explizit (1) oder implizit (2) vorkommenden Subjunktion wenn: (1) Wenn er krank wäre, (dann/so) könnte er nicht Fußball spielen. (2) Wäre er krank, (dann/so) könnte er nicht Fußball spielen.

Kjell-Åke Forsgren ≡ Bedingungsadverb; konditionales Adverb → Adverb; Konditional; konditionaler Subjunktor → Gram-Syntax: Konditionalangabe; konditionale Satzverbindung; Konditionalsatz; Korrelat; Vorfeld 🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

konditionale Konjunktion ≡ konditionaler Subjunktor

konditionale Subjunktion ≡ konditionaler Subjunktor

konditionaler Imperativ

Satzgefüge, das eine semantische Einheit bildet, bestehend aus zwei Teilen, einem Imperativsatz und einem koordinierten Deklarativsatz, der eine Folge der im Imperativsatz ausgedrückten Proposition wiedergibt. ▲ imperative-like conditional: complex sentence as a semantic unit consisting of two parts, an imperative clause and a coordinate declarative clause expressing a consequence of the imperative proposition. Der Terminus konditionaler Imperativ (Donhauser 1986: 171ff.; Rosengren 1993: 31ff.) bezeichnet ein besonderes Muster von unterschiedlichen satzartigen Strukturen, die aus einem Imperativsatz und einem durch die Konjunktoren und/oder eingeleiteten Aussagesatz bestehen. In der IDSGrammatik (Zifonun et al. 1997: 659ff.) hingegen wird nur der Aufforderungsteil als konditionaler Imperativ (auch „konditional interpretierter Aufforderungsausdruck“) bezeichnet. (1) Mach (du) eine Bewegung und ich drücke los. (Donhauser 1986: 174) (2) Bleiben Sie stehen, oder ich schieße. (Zifonun et al. 1997: 660)

K

konditionaler Subjunktor 428

K

Der Sachverhalt im Imperativsatz wird häufig als eine Bedingung angesehen und lässt sich aus diesem Grund illokutiv kaum als Aufforderung interpretieren. Argumentativ fungiert der Imperativsatz dabei als Antezedens (Voraussetzung) und der Deklarativsatz als Konsequens (Folge). Der konditionale Zusammenhang zwischen beiden Propositionen ergibt sich aus der semantisch-logischen Interpretation von den Konjunktoren und/oder. So lässt sich (1), in dem das und enthalten ist, jeweils durch (3), und (2), in dem das ausschließende oder enthalten ist, durch (4) einigermaßen paraphrasieren. (3) Wenn du eine Bewegung machst, drücke ich los. (4) Wenn Sie stehen bleiben, schieße ich nicht (– aber wenn Sie nicht stehen bleiben, schieße ich). (Zifonun et al. 1997: 660) Hang Ferrer Mora

→ Antezedens; Imperativ; Konditionaladverb; konditionaler Subjunktor

→ Gram-Syntax: Deklarativsatz; Imperativsatz; Konditionalsatz; Satzgefüge

🕮 Davies, E. [1986] The English Imperative. London [etc.] ◾ Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Rosengren, I. [1993] Imperativsatz und „Wunschsatz” – zu ihrer Grammatik und Pragmatik. In: Rosengren, I. [Hg.] Satz und Illokution. Bd. 2. Tübingen: 1–47 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

konditionaler Subjunktor

Konnektor, der subordinierte Konditionalsätze einleitet. ▲ conditional subjunctor: connector that marks embedded conditional clauses. Zu den frequenten konditionalen Subjunktoren zählen im Dt. wenn, falls und sofern, seltener gebraucht werden die komplexen Konnektoren angenommen, dass und gesetzt den Fall, dass (Breindl et al. 2014: 693). Sie markieren einen subordinierten Bedingungssatz (Antezedens oder Protasis), der die Voraussetzung für eine potentielle Folge bezeichnet. Der syntaktisch übergeordnete Folgesatz (auch Konsequens oder Apodosis) kann zusätzlich ein korrelatives dann enthalten. (1) Wenn/Falls du lernst, (dann) bestehst du die Prüfung.

(1a) Wenn/??Falls du gelernt hättest, (dann) hättest du die Prüfung bestanden. Anders als im Kausalsatz werden die im Konditionalsatz verbundenen Sachverhalte in der Regel nicht als wahr assertiert, sondern es wird lediglich ein semantisches Abhängigkeitsverhältnis zum Ausdruck gebracht. Somit wird das Miteinandervorkommen der beiden Sachverhalte als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Dabei werden hypothetische Konditionale, die der Sprecher für realisierbar hält (1), und kontrafaktische Konditionale, die nicht realisierbar sind (1a), unterschieden. Letztere können ausschließlich mit wenn eingeleitet werden. Der im Dt. prototypische konditionale Subjunktor wenn ist polysem und erfüllt neben konditionaler auch temporale Funktion (Volodina 2006); ein temporaler wenn-Satz bezeichnet den Zeitpunkt für ein als faktisch assertiertes Ereignis. Die konditionale Funktion hat sich hist. aus der temporalen entwickelt. (2) Wenn es regnet, bleibe ich zu Hause. [konditional] (2a) Wenn es aufhört zu regnen, komme ich vorbei. [temporal] Melitta Gillmann ≡ konditionale Konjunktion; konditionale Subjunktion → kausaler Subjunktor; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Kausalsatz; konditionaler Angabesatz; Konditionalsatz; Konsekutivsatz; Korrelat; Temporalsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Traugott, E.C./ Meulen, A. ter/ Reilly J.S./ Ferguson C.A. [eds. 1986] On conditionals. Cambridge ◾ Traugott, E.C. [1985] Conditional markers. In: Haiman J. [ed.] Iconicity in Syntax. Proceedings of a symposium on iconicity in syntax, June 24–26, 1983 (TypStLg 6). Amsterdam: 289–307 ◾ Volodina, A. [2006] wenn-Relationen. Schnittstelle zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen: Analysen und Reflexionen. Gisela Zifonun zum 60. Geburtstag (StDtSp 36). Tübingen: 359–379 ◾ Volodina, A. [2011] Konditionalität und Kausalität im Diskurs. Eine korpuslinguistische Studie zum Einfluss von Syntax und Prosodie auf die Interpretation komplexer Äußerungen. Tübingen.

konditionales Adverb ≡ Konditionaladverb

Konfix

Wortbildungselement mit lexikalischer Bedeutung, das wegen seiner Etymologie und Distribution nicht

429 Konjugation als gebundenes lexikalisches Morphem oder als lexikalischer Stamm gewertet wird. ▲ confix: word-formative element with lexical meaning which is not considered a bound lexical morpheme or a lexical root due to its etymology and distribution. Typische lexikalische Morpheme haben eine lexikalische Kernbedeutung und können (ggf. im Verbund mit ihren Flexionsmarkierungen) als freie Wortformen in einem Text stehen (Wald, ruder#st, nett). Typische Affixe (be-, -chen, -lich, anti-, prä-, post-, inter-) haben keine eigene lexikalische Kernbedeutung und können nur zusammen mit lexikalischen Morphemen Lexeme und (ggf. mit Flexionsmarkierungen) Wortformen bilden. Als Hybride mit Stamm- und Affixeigenschaften kann man sich Konfixe wie bio oder log vorstellen. Sie werden nicht nur mit Stämmen zu Komposita verbunden (Biobauer), sondern vor allem auch untereinander (anthropo#morph, morpho#log(#)isch, Anthropo#log(#)ie, logo#zentr(#) isch, Neo#nato#log(#)in). Eisenberg (2013: 209, 231–235) begründet den Status des Konfixes als einfache Konstituentenkategorie zwischen Stamm und Affix u.a. damit, dass Konfixe nur in Konfixkomposita vorkämen. Das sei der Unterschied zwischen Stamm und Konfix. Ableitungen aus Konfix und Affix gibt es nach diesen strengen Distributionsregeln nicht: In Eisenbergs Systematik sind nur die Kombinationen Konfix + Konfix (Philo#soph), Konfix + Stamm (Bio#bauer) vorgesehen. Das Adj. techn#isch analysiert er als gebundenen Stamm + Affix (vgl. sprach#lich). Komposita wie Technologe erklärt Eisenberg (2013: 232–233) mit der systematischen Möglichkeit, zu lexikalischen Stämmen Konfixstämme zu bilden: Knasto#loge ← (Knasto ← Knast) + -loge, genauso Techno#loge ← (Techno ← techn) + -loge. Andere Wortbildungslehren lassen Analysen komplexer Lexeme als Ableitungen aus Konfix und Affix zu (techn#isch, prä#nat(#)al). Wenige Konfixe haben sich aus heimischen gebundenen Stämmen entwickelt (Stief-; zu Schwieger- gibt oder gab es zumindest das veraltete Femininum Schwieger). Die meisten Konfixe sind aus Reihen von Entlehnungen entstanden bzw. nach lat. oder griech. Muster gebildet. Sie sind als Internationalismen in gleicher oder ähnlicher Form in mehreren Einzelsprachen zu finden,

und sie haben in ihrer Schreibung und/oder in ihrer Aussprache und Betonung fremdwortartige Eigenschaften. Einige werden wie Präfixe oder wie Erstglieder normaler Komposita vorn angefügt, typischerweise gefolgt vom Fugenelement -o-, andere stehen hinten, und manche kommen in beiden Positionen sowie in unterschiedlichen Varianten vor ((1)–(3)). (1) holo-, ideo-, phono-, anthropo-, galakto- [das kt stammt aus dem griech. Genitiv Sg.], hämato- [das t stammt aus dem griech. Genitiv Sg.], kardio(2) -thek, -zentr(#)isch, -ose, -itis, -nat(#)al (3) thermo-, -therm; -logo-, -log(#)e, -log(#)in, -log(#)ie; morpho-, -morph Aus Konfixen können sich freie Morpheme bzw. Lexeme entwickeln, die dann im Wb. als Homonyme zu den Konfixen angesetzt werden (4). (4) Ist das Gemüse denn auch bio? Jedenfalls sieht der Laden ziemlich öko aus. Vergleichbar sind frz. Adjektive und Substantive wie écolo, homo, die der Petit Robert (2014) jedoch als Kurzwörter definiert und nicht als Bildungen zu éco-, homo-. Unter den Adjektiven, vor allem aber unter den Substantiven, die aus Konfixen gebildet bzw. aus komplexen Fremdwörtern gekürzt werden, finden sich mehrere abwertende Bezeichnungen. Sie drücken eine Unfähigkeit des Sprechers aus, mit jemand oder etwas Andersartigem umzugehen: dt. Homo, Spast, Schizo. Franziska Münzberg

→ § 31; Adjektivfuge; Fugenelement; gebundenes Morphem; Komposition; Wortbildung

⇀ Konfix (Wobi; CG-Dt) ⇁ confix (CG-Engl)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ PETIT ROBERT [2014] = Le Petit Robert. Dictionnaire Alphabétique et Analogique de la Langue Française. Nouv. éd. Paris.

konfrontativer Subjunktor ≡ adversativer Subjunktor

Kongruenz, grammatische → grammatische Kongruenz

Konjugation

Bildung der Wortformen von Verben gemäß den verbspezifischen grammatischen Kategorien.

K

Konjugation 430 ▲ conjugation: creation of derived forms of a verb from its principal parts according to the verb-specific grammatical categories.

K

Verben kommen in verschiedenen Formen vor, da sie flektiert (konjugiert) werden. Sie werden nach spezifisch verbalen grammatischen Kategorien (auch: Merkmalklassen) konjugiert: Person (im Dt. mit den Merkmalen 1., 2., 3. Pers.), Numerus (im Dt. Sg., Pl.; im Obersorbischen oder Slowenischen mit dem weiteren Merkmal Dualis), Modus (im Dt. mit den Merkmalen Indikativ, Konjunktiv, Imperativ; im Griech. auch Optativ), Tempus (im Dt. mit den Merkmalen Präs. und Prät., im Poln. auch mit dem Merkmal Futur), ggf. Aspekt (z.B. im Poln. mit den Merkmalen vollendet und unvollendet; im Griech. treten Tempus und Aspekt (Aorist, perfektiver Aspekt) immer gekoppelt auf) und ggf. Genus (z.B. im Poln. treten die Kategorien Pers. und Genus im Prät. Indikativ und im Konjunktiv gekoppelt auf). Die nach grammatischen Kategorien flektierten Verbformen heißen finit. In manchen Grammatiken (vgl. Nagórko 2005: 91) wird zusätzlich von der verbalen Kategorie Finitheit mit den Merkmalen finit und infinit gesprochen. Außerdem nehmen finite Verbformen die Kategorie genus verbi (Diathese) mit dem Merkmal Aktiv an; das Aktiv ist das unmarkierte genus verbi. Eine finite Verbform lässt sich mit verschiedenen Einheitenmerkmalen beschreiben, z.B.: dt. rufe als 2. Pers. Sg Indikativ Präs. Aktiv; riefet als 2. Pers. Pl. Konjunktiv Prät. Aktiv. Die Verbformen sind synthetisch (einfach); denn sie bestehen aus genau einer Wortform. Ihnen stehen im verbalen Paradigma als analytische (periphrastische) Formen z.B. im Dt. die des Perfekts (hast gekauft), des Futurs (werdet kaufen), des Passivs (wird gekauft) gegenüber. Bei den analytischen Formen wird das Hilfsverb flektiert. Die Bildung der einfachen Verbformen geht vom Verbstamm aus. In der Konjugation werden die folgenden morphologischen Mittel verwendet: (a) Suffigierung (z.B. dt. frag-st; engl. sing-s; poln. pisz-ę 'schreibe'), (b) Alternation des Stammvokals (z.B. dt. helf-en vs. hilf-t; span. pens-ar 'denken' vs. piens-o 'denke') oder (c) Konsonantenwechsel im Verbstamm (z.B. dt. bring-en vs. brach-te; poln. mog-ę 'kann' vs. moż-esz 'kannst'). In flektierenden Sprachen weisen die einzelnen

Merkmalklassen eine Vielzahl von Allomorphen auf. Viele Verben haben demnach Flexionsformen, die durch verschiedene bzw. mehrere Veränderungen im Stamm gebildet werden. Allomorphe von dt. nehmen z.B. sind nimm, nahm, nähm, nomm. In agglutinierenden Sprachen (z.B. im Türk., Ung., Finn.) werden demgegenüber die einzelnen Merkmalklassen durch Affixkombinationen ausgedrückt. Auch die Konjugation mancher flektierender Sprachen ist gekennzeichnet durch eine regelmäßige, agglutinierende Flexion der Verben, so z.B. im Poln. im Prät. Indikativ und im Konjunktiv, vgl. die Flexionsform von pisałeś 'du schriebst': [pisa]Stamm – [łPrät. – eMaskulinum – ś2. ] . Tritt bei der Bildung einfacher VerbPers. Flexionsaffixe formen ein völlig anderer Verbstamm auf, spricht man von Suppletion, vgl. z.B. im Dt. die verschiedenen Stammmorpheme im Flexionsparadigma von sein: bin, ist, sind, war; im Engl. be: am, are, is, was, were; im Span. ir 'gehen': voy 'gehe', vamos 'gehen', iba 'ging', ve 'geh'. Eine Vielzahl von Allomorphen in den Stammformen der Verben hat insbesondere den Effekt, dass Verben in Konjugationsklassen eingeteilt werden können. So unterscheidet man für das Dt. schwache Verben (im Prät. mit dem t-Suffix, Partizip II mit dem -(e)t-Suffix, keine Alternation des Stammvokals) und starke Verben (im Prät. Vokalalternation im Verbstamm, Partizip II mit dem -en-Suffix, ggf. Ablaut im Stamm). Hinzu kommen einige gemischte (stark-schwache) Verben (z.B. mahlen: mahlte – gemahlen) und Verben mit anderen besonderen Unregelmäßigkeiten (Modalverben (auch: Präteritopräsentia) und das Verb wissen, Hilfsverben sein, werden, haben und das Verb tun). In stärker flektierenden Sprachen (z.B. dem Poln., Lat.) werden die einzelnen Konjugationsklassen nach dem Stammvokal bzw. Themavokal voneinander unterschieden. So wird im Lat. z.B. zwischen einer -e-Konjugation (regelmäßig, z.B. habere 'haben': habet 'er hat', habemus 'wir haben'), einer -a-Konjugation (im Präs. Vokalalternation, z.B. laudāre 'loben': laudarem 'ich lobte', laudem 'ich lobe') und auch weiteren Konjugationsklassen unterschieden. Edyta Błachut

→ § 9, 16; Ablaut; Allomorph; Finitheit; Flexion; Flexions-

merkmal; Flexionsparadigma; Imperativparadigma; Konjugationsmuster; Mischkonjugation; periphrastische Konjugation; schwaches Verb; starkes Verb; Suppletivverb

431 Konjunktion

⇀ Konjugation (HistSprw)

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Bittner, A. [1996] Starke ‘schwache’ Verben schwache ‘starke’ Verben. Deutsche Verbflexion und Natürlichkeit. Tübingen ◾ Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2010] Deutsche Grammatik. 6., vollst. überarb. Aufl. Zürich ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ ­Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau ◾ Petrova, S. [2008] Die Interaktion von Tempus und Modus. Studien zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Konjunktivs (GBib 30). Heidelberg ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Wiese, B. [2008] Form and function of verbal ablaut in Contemporary Standard German. In: Sackmann, R. [ed.] Explorations in Integrational Linguistics. Amsterdam [etc.]: 97–151 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Konjugation, periphrastische → periphrastische Konjugation

Konjugation, regelmäßige → regelmäßige Konjugation

Konjugation, umschreibende → periphrastische Konjugation

Konjugation, unregelmäßige → unregelmäßige Konjugation

Konjugationsmuster

Schema, das die Formveränderungen zusammenfasst, die der Konjugation von verschiedenen Verbklassen zugrunde liegen. ▲ conjugation pattern: summary of the forms that underlie the conjugation of different verb classes. In Abhängigkeit davon, wie die Präteritum- und Partizip II-Formen gebildet werden, sind im Dt. verschiedene Verbklassen zu unterscheiden, die nach unterschiedlichen Mustern konjugiert werden. Die Konjugation der starken und gemischten Verben ist nicht transparent, basiert auf keinem regelmäßigen Muster. Einem einheitlichen und produktiven Konjugationsmuster folgen aber die

schwachen Verben, deren Präteritum- und Partizip II-Formen mit dem Dentalsuffix -t(e) gebildet werden. Das Konjugationsmuster wird meistens in tabellarischer Form dargestellt (vgl. Duden 2016: 486ff.). Eszter Kukorelli

→ gemischtes Verb; Konjugation; schwaches Verb; starkes Verb; Verbparadigma

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

Konjunktion

nicht flektierbares Wort, das als syntaktisches Verknüpfungsmittel zur Verbindung von Wörtern, Phrasen und Sätzen eingesetzt wird. ▲ conjunction: non-declinable part of speech that connects other elements such as words, phrases, or clauses.

Konjunktionen werden auch als Füge- oder Bindewörter bezeichnet, da sie sprachliche Einheiten an Bezugsausdrücke anschließen, sie diesen unter- oder nebenordnen. Im Gegensatz zu Präpositionen üben sie keine Kasusrektion aus. Zwischen den beiden Wortarten besteht dennoch eine Verwandtschaft, welche sich u.a. darin zeigt, dass einige Elemente (z.B. während) als Vertreter beider Gruppen auftreten können (vgl. (1), (1a)). (1) Während des Unterrichts schlafen die Schüler. (1a) Während die Lehrerin unterrichtet, schlafen die Schüler. Im Dt. wird zwischen unterordnenden (2) und nebenordnenden (2a) Konjunktionen unterschieden. (2) Die Orchideen blühen, weil ich sie gut pflege. (2a) Die Orchideen blühen, denn ich pflege sie gut. Diese Termini werden allerdings nicht einheitlich verwendet: Duden (2016: 626ff.) benutzt Junktor/Junktion als Oberbegriff sowie Konjunktion (nebenordnende Konjunktion) und Subjunktion (unterordnende Konjunktion) als Unterkategorien. In der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997: 60ff.) ist von Junktor sowie Konjunktor (nebenordnende Konjunktion) und Subjunktor (unterordnende Konjunktion) die Rede.

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Konjunktion 432

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Unterordnende Konjunktionen leiten Verbletztsätze ein, besetzen dabei die linke Klammer und verschieben das finite Verb in die rechte Klammer. In der Regel binden sie die Verbletztkon­ struk­tio­nen in übergeordnete Einheiten ein (3). Gelegentlich treten auch selbständige Verbletztsätze auf, die von unterordnenden Konjunktionen eingeleitet werden (4). (3) Ich komme pünktlich, wenn ich es schaffe. (4) Wenn er es doch wenigstens versucht hätte! Die Beziehung zwischen übergeordneter Einheit und Verbletztkonstruktion kann semantisch unterschiedlich akzentuiert sein. Dies gilt auch für scheinbar völlig grammatikalisierte Funktionswörter (vgl. (5)–(5b)). Zifonun et al. (1997: 60) unterscheiden die folgenden Subklassen: final (damit), kausal (weil), komitativ (indem), konditional (falls), konfrontativ (wobei), konsekutiv (dass), konzessiv (obwohl), restriktiv (außer dass), temporal (bevor). (5) Sie weiß, dass das Kind Fahrrad fährt. (5a) Sie weiß, ob das Kind Fahrrad fährt. (5b) Sie weiß, wie das Kind Fahrrad fährt. Neben den einteiligen unterordnenden Konjunktionen, die die größte Gruppe bilden, treten auch Mehrworteinheiten (als ob, ohne dass) auf. Unterordnende Konjunktionen werden häufig als Kommaauslöser angesehen (vgl. aber Bredel 2011: 68ff., die das Komma als satzinterne Satzgrenze vom Vorhandensein eines Verbs abhängig macht). Nebenordnende Konjunktionen verbinden mindestens zwei gleichwertige Einheiten/Konjunkte (Sätze (6), Phrasen (7), Wörter (8), Morpheme (9)) und stellen semantische Beziehungen unterschiedlicher Art zwischen diesen her. Dabei kann jedoch nicht beliebig koordiniert werden: Die zu verbindenden Einheiten müssen gleichrangig und Träger derselben syntaktischen Funktion sein ((10), (10a)). (6) Die Orchideen blühen, denn ich pflege sie gut. (7) Am Panoramafenster oder im Wintergarten gedeihen sie am besten. (8) Sie sollten nicht nur gegossen, sondern auch gedüngt werden. (9) Das ständige Hin- und Herschieben tut ihnen nicht gut. (10) das Häuschen meiner Tochter und ihres Freundes

(10a) *das Häuschen meiner Tochter und auf dem Land Nebenordnende Konjunktionen entziehen sich der Einteilung in topologische Felder (GranzowEmden 2014: 94): Es wird z.T. ein Vor-Vorfeld angenommen, das unterschiedlichen Konstruktionen vorangestellt werden kann (11). Einige nebenordnende Konjunktionen können jedoch auch in allen anderen Feldern stehen. (11) Und dann hat sie ihn wirklich geküsst. (11a) Und hat sie ihn dann wirklich geküsst? (11b) Und wenn sie ihn dann wirklich geküsst hat? Einige nebenordnende Konjunktionen lassen sich reihen (12), bei anderen ist das nicht möglich (12a). Nur bei Letzteren ist das Komma verpflichtend (Bredel 2011: 74). (12) Er verhält sich hart oder fair oder herzlich. (12a) Er verhält sich hart, aber fair. Nebenordnende Konjunktionen können als einteilige (und; aber) und als komplexe (nicht nur ... sondern auch; entweder ... oder) Einheiten auftreten. Neben fast vollständig grammatikalisierten Einheiten gibt es auch solche mit klaren lexikalischen Bedeutungen, was eine semantische Klassifizierung erschwert. Eisenberg (2013: 202) schlägt die Differenzierung von vier Subklassen vor: Zusammenfassung (und), Alternativen (oder), Gegensätze (aber), Vergleiche (wie). Grundsätzlich lösen nebenordnende Konjunktionen eine Fortsetzungserwartung aus, die auch zu einer Verknüpfung von nicht unmittelbar zusammenhängenden Einheiten seitens des Rezipienten führt (13). (13) Der FC Bayern ist Meister, und in Peking ist ein Sack Reis umgefallen. In direkten (mündlichen) Kommunikationssituationen können Konjunktionen ihre Funktionen auch über die Grenzen von Gesprächsschritten hinweg erfüllen (14). Z.T. können sie auch als Gesprächspartikeln fungieren (14a) (Schwitalla 2002: 275). (14) A: Er hat ein Schnitzel gegessen. – B: Und zwei Bier getrunken. (14a) A: Er hat zwei Bier getrunken. – B: Und? Bei weil handelt es sich standardspr. zunächst um eine klassische unterordnende Konjunktion in Kontrast zum nebenordnenden denn ((2) vs. (2a)). Gelegentlich wird weil auch als koordinierende Konjunktion verwendet, wenn es sich bei den

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Konjunktion, kopulative

Konjunkten um Wörter oder Phrasen handelt (15). Zunehmend tritt weil (vor allem ugs.) auch (als Alternative zu denn) als nebenordnende Konjunktion zwischen Sätzen auf (16). Als epistemisches weil erfüllt es dabei eine spezifische Funktion, wobei eine Ersetzung durch denn nicht möglich ist (17). (15) Das unattraktive, weil finanziell wenig lukrative, Angebot wurde abgelehnt. (16) Ich komme zu spät, weil die Straßenbahn hatte Verspätung. (17) Es ist ihm wohl peinlich, weil er hat ein ganz rotes Gesicht. Andreas Krafft

≡ Bindewort → § 9, 11, 17; adversative Konjunktion; alternativer Konjunktor; Einleitewort; einteilige Konjunktion; finaler Subjunktor; kausale Konjunktion; kausaler Subjunktor; komparative Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konjunktionalglied; Konjunktor; mehrteilige Konjunktion; restriktive Konjunktion; Subjunktor

→ Gram-Syntax: Junktion; Nebenordnung; Phrase; Satz; Subordination; topologisches Feld; Verbletztsatz

⇀ Konjunktion (QL-Dt; CG-Dt; SemPrag; HistSprw; Sprachphil) ⇁ conjunction (CG-Engl; Typol)

🕮 Bredel, U. [2011] Interpunktion. Heidelberg ◾ Buscha, J. [1989] Lexikon deutscher Konjunktionen. Leipzig ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Fabricius-Hansen, C. [2007] Subjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.] ◾ Granzow-Emden, M. [2014] Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten. Eine Einführung. Unter Mitarbeit von Johannes Luber. 2. Aufl. Tübingen ◾ Hoffmann, L. [2013] Deutsche Grammatik. Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule, DaZ und DaF. Berlin. ◾ Redder, A. [2007] Konjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 483–524 ◾ Schwitalla, J. [2002] Kleine Wörter. Partikeln im Gespräch. In: Dittmann, J./ Schmidt, C. [Hg.] Über Wörter. Grundkurs Linguistik. Freiburg: 259–281 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Konjunktion, ausschließende → alternativer Konjunktor

Konjunktion, beiordnende → Konjunktor

Konjunktion, disjunktive → alternativer Konjunktor

Konjunktion, einfache → einteilige Konjunktion

Konjunktion, eingliedrige → einteilige Konjunktion

Konjunktion, einteilige → einteilige Konjunktion

Konjunktion, finale → finaler Subjunktor

Konjunktion, instrumentale → instrumentaler Subjunktor

Konjunktion, kausale → kausale Konjunktion

Konjunktion, komitative → komitativer Subjunktor

Konjunktion, komparative → komparative Konjunktion

Konjunktion, konditionale → konditionaler Subjunktor

Konjunktion, konsekutive → konsekutiver Subjunktor

Konjunktion, additive

Konjunktion, konzessive

Konjunktion, adversative

Konjunktion, koordinierende

Konjunktion, alternative

Konjunktion, kopulative

→ additiver Konjunktor

→ adversative Konjunktion → alternativer Konjunktor

→ konzessiver Subjunktor → Konjunktor

→ additiver Konjunktor

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Konjunktion, mehrgliedrige 434

Konjunktion, mehrgliedrige → mehrteilige Konjunktion

Konjunktion, mehrteilige → mehrteilige Konjunktion

Konjunktion, modale → modaler Subjunktor

Konjunktion, nebenordnende → Konjunktor

Konjunktion, paarige → paarige Konjunktion

Konjunktion, proportionale

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→ proportionaler Subjunktor

Konjunktion, restriktive → restriktive Konjunktion

Konjunktion, subordinierende → Subjunktor

Konjunktion, substitutive → substitutiver Subjunktor

Konjunktion, temporale → temporaler Subjunktor

Konjunktion, unterordnende → Subjunktor

Konjunktion, vergleichende → komparative Konjunktion

Konjunktionaladverb

Adverb, das als selbständiges Satzglied auftritt und die koordinierende Funktion einer Konjunktion übernimmt. ▲ conjunctional adverb: adverb with the same syntactic function as a conjunction. Konjunktionaladverbien haben den Satzgliedstatus eines Adverbials, erfüllen aber zugleich auch die satzverbindende Funktion einer Konjunktion. Im Vergleich zu Konjunktionen ist ihre Position im Satz freier; sie können mit gewissen Ausnahmen sowohl im Vorfeld stehen als auch in den Satz integriert sein. Die Konjunktionaladverbien

drücken unterschiedliche semantische Beziehungen aus und werden dementsprechend in verschiedene Gruppen gegliedert: (a) Gegensatz oder Einschränkung: restriktive, adversative, konzessive Konjunktionaladverbien (aber, freilich, gleichwohl, indessen, jedoch, nichtsdestoweniger, trotzdem, zwar); (b) Erklärung und Präzisierung: explikative, konsekutive Konjunktionaladverbien (nämlich, und zwar); (c) Ursache oder Grund: kausale, logische Konjunktionaladverbien (daher, deshalb, deswegen); (d) Schlussfolgerung: logische und konsekutive Konjunktionaladverbien (also, demnach, folglich, mithin). Ein Sonderfall ist aber, das als eine reine Konjunktion bzw. ein Konjunktor (1) angesehen werden kann, aber wegen seiner möglichen Position im Satzinneren auch als Konjunktionaladverb (wie die synonymen indessen, jedoch, trotzdem (2)). (1) Er ist sehr krank, aber man sieht es ihm nicht an. (2) Er ist sehr krank, man sieht es ihm aber/indessen/jedoch/trotzdem nicht an. (3) Er ist sehr krank, indessen/jedoch/trotzdem sieht man es ihm nicht an. Zu beachten ist die unterschiedliche Wortstellung der unterstrichenen Teile in (1) und (3), wodurch deutlich wird, dass aber eine Konjunktion, indessen, jedoch und trotzdem Adverbien sind. Konjunktionen kommen meist in komplexen Sätzen vor (4), Konjunktionaladverbien haben außerdem auch eine Kohärenzfunktion in Texten, indem sie wiederaufnehmend Einzelsätze inhaltlich miteinander verbinden ((5), (6)). (4) Er bleibt heute zu Hause, denn er ist krank. (5) Er bleibt heute zu Hause, er ist nämlich krank. (6) Er bleibt heute zu Hause. Er ist nämlich krank. Die einzige mögliche Position von denn ist am Satzanfang. Nämlich signalisiert wie denn eine Erklärung des im vorhergehenden Satz dargelegten Sachverhalts, kann aber im Gegensatz zu den Adverbien in (1)–(3) nicht am Anfang stehen: (6a) *Nämlich ist er krank. (6b) *Nämlich er ist krank. Mit ähnlicher Bedeutung, aber nur am Satzanfang steht und zwar: (7) Zwei Teilnehmer sind krank, und zwar Karl und Petra. Kjell-Åke Forsgren

435 Konjunktiv ≡ Nexusadverb; Nexus-Adverb → § 17; Adverb; Konjunktion; Konjunktor; logisches Adverb → Gram-Syntax: Adverbial; Satzverbindung ⇀ Konjunktionaladverb (HistSprw)

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Konjunktionalglied

durch Konjunktion eingeleitete Phrase mit Satzgliedwert. ▲ conjunctional phrase: part of a sentence introduced by a conjunction. Konjunktionen können neben Sätzen und Teilsätzen auch Syntagmen (Phrasen) einleiten, die Satzglied- (1) oder Gliedteilfunktion (2) haben können. (1) Hans gilt [als guter Redner]. (2) Jemand [wie Hans] fehlt hier. Die Konjunktionalgruppen mit Satzgliedwert werden im Umfeld der Grammatik von Glinz als Konjunktionalglieder und die einleitetenden Konjunktionen (als und wie) als Satzgliedkonjunktionen bezeichnet (Glinz 1994: 29). Konjunktionalglieder treten im Dt. als Prädikative (3) und Adverbiale (4) auf (Duden 2005: 854). (3) Helga gilt [als fleißig]. (4) Helga trug [wie immer] eine gestreifte Bluse. Christine Römer

→ Konjunktion → Gram-Syntax: Konjunktionalphrase; Syntagma

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Glinz, H. [1994] Grammatiken im Vergleich. Tübingen.

Konjunktiv

Kategorie des verbalen Modus, mit dem der Wahrheitsanspruch eines Aussagesatzes aufgehoben ist oder Sätze bezeichnet werden, die keinen Wahrheitsanspruch erheben. ▲ subjunctive mood: category of verbal mood which suspends the truth claim of a declarative sentence or indicates sentences without a truth claim. In der traditionellen Fachlit. findet sich eine Vielzahl von Bezeichnungen (bis zu 27) für Funktionsbereiche des Konjunktivs, z.B. Apodiktiv, Assertiv, Desiderativ, Dubitativ, Hortativ, Hypothetikal, In-

tentional, Jussiv, Kompulsiv, Konditional, Konzessional, Necessitativ, Obligativ, Optativ, Permissiv, Potential, Prekativ, Presumptiv, Promissiv, Voluntativ. Wegen dieser Vielzahl und der entsprechenden Vielgestaltigkeit von Ausdrucksformen ist es notwendig, als Grundfunktion des Konjunktivs in strukturalistischer Sicht (d.h. auf der Ebene der langue) ein möglichst abstraktes Konzept anzuwenden, das alle weiteren Funktionsbereiche und auch den Unterschied zwischen epistemischen und deontischen Modalitäten überdeckt. Zu den typologischen und universalen Moduskonzeptionen vgl. Palmer (1986), Bybee/Fleischmann (1995), Quer (1998) und die Beiträge in Guéron (2008); für das Dt. Dietrich (1992). Eine Übersicht über die neuere Diskussion zu Aspekt, Tempus und Modus findet sich in Confais (1995). Ein solches Konzept knüpft an den Begriff der logischen Satzfunktion an: Sätze, zumindest Aussagesätze, enthalten einen Wahrheitsanspruch und sind insofern einem logischen Urteil vergleichbar – sie sind wahr oder falsch. Es gibt aber auch Sätze, die einen solchen Wahrheitsanspruch nicht tragen, z.B. Fragesätze, Sätze im Imperativ oder Sätze mit modalen Ausdrücken. Für alle diese Sätze gilt, dass sie nicht als logische Urteile aufzufassen sind. Als abstrakter Grundwert bietet sich eine logizistische Formulierung an, die sich auf die Funktion eines Aussagesatzes bezieht. Ein Aussagesatz entspricht seiner Funktion nach einem logischen Urteil: Er kann wahr oder falsch sein (1). (1) Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Der gleiche Satz im Konjunktiv ist kein logisches Urteil und hat somit keinen bestimmten Wahrheitswert: (1a) Der Mensch sei ein vernunftbegabtes Wesen. (1b) Der Mensch wäre ein vernunftbegabtes Wesen. (1c) […] dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen sei/wäre. Diese Aussagen sind weder wahr noch falsch, sondern unbestimmt. Der Konjunktiv ist demgemäß die verbale Kategorie, welche die Urteilsfunktion eines Aussagesatzes aufhebt, ein Urteil zurückhält. Man kann daher als Grundwert der nicht-indikativischen Modi und damit auch des Konjunktivs festhalten, dass die entsprechenden

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Konjunktiv 436

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Sätze keinen bestimmten Wahrheitswert haben (bzw. in einer dreiwertigen Logik den Wahrheitswert „unbestimmt“). Demgegenüber sind alle anderen modalen Abstufungen, wie potential, irreal, jussiv usw. Nutzwerte, die sich teils aus einzelsprachlichen oder typologischen Normen herleiten, teils aber auch kontext- und konsituationsgebunden sind. Sprachtypologisch und einzelsprachlich versteht man unter Konjunktiv meist eine morphologisch spezifische Verbalkategorie, die auf bestimmte Nutzwerte und grammatische Funktionen innerhalb dieses Grundwertbereichs beschränkt ist. Damit ist es möglich, zwischen Konjunktiv und Optativ auf der gleichen Ebene der grammatischen Bezeichnungsfelder zu unterscheiden. Formal-semantisch lässt sich dieses Verhältnis am besten durch eine inklusive Opposition darstellen: Der Konjunktiv umfasst dann alle Nutzwerte, während der Optativ das zusätzliche semantische Merkmal der Irrealität bezeichnet. Auch andere Teilbereiche des Modalfelds können durch eine spezifische Morphologie bezeichnet sein, so z.B. der futurisch-prospektive Bereich. Aus dem Nebeneinander von morphologischen Kategorien ergeben sich danach sprachtypologische oder einzelsprachliche Funktionsfelder, die eine universalgrammatische Terminologie problematisch machen können. So gibt es im Türk. eine „Möglichkeitsform“, die nur in ihrem Teilbereich als höfliche Bitte mit dem dt. Konjunktiv vergleichbar ist. Auch im Albanischen ist das Feld der modalen Konstruktionen deutlich stärker gegliedert als im Dt., so dass eine genaue Entsprechung des dt. Konjunktivs fehlt. Hinzu kommt, dass es fraglich ist, ob analytische Verbalbildungen den gleichen grammatischen Status haben wie synthetische Formen. Daher gibt es auch unterschiedliche grammatische Darstellungen, selbst innerhalb einer Sprache. Der Ansatz eines abstrakten Grundwerts im Sinn eines Nicht-Urteils erlaubt es auch, unangemessene Vereinfachungen und Zirkelschlüsse zu vermeiden, die sich daraus ergeben, dass man den Indikativ mit den Merkmalen „Behauptung“ oder „Aussage“, Nicht-Indikative wie etwa den Konjunktiv als „Nicht-Behauptung“ oder „Nicht-Aussage“ versteht (Palmer 1986: 4, 140ff.). Behauptet und ausgesagt wird eine Verbalhandlung in jedem Fall, doch nur im Indikativ wird der Wahrheitsanspruch der Aussage ausdrücklich festge-

stellt, impliziert oder vorausgesetzt. Als Zeichen des Wahrheitsanspruchs gilt in vielen Sprachen, jedenfalls in den meisten des idg. Typs, die Teilnahme an der Tempusopposition, d.h. an der Bezugnahme zum Hier und Jetzt des Sprechers (zur Sprecherorigo nach Bühler). So sprechen Zifonun et al. (1997: 1785ff.) von einer „Brechung“ oder „Aufhebung“ der unmittelbaren Bezugnahme auf die Koordinaten „aktueller Sprecher“ oder „aktuelle Welt“ mit einer prototypischen Verteilung der Funktionsfelder im Dt. Der Konjunktiv des Präsensstamms (= K1) hat demnach einen näheren Bezug zur Sprecher-Origo und steht damit in Indirektheitskontexten, während sich der Konjunktiv des Präteritalstammes (= K2) auf die Welt-Origo bezieht und damit in Modalitätskontexten vorkommt. Demzufolge haben die nicht-indikativischen Modi oft eine defiziente oder mangelnde Tempusgliederung. Auch die Affinität der nicht-indikativischen Modi zum Futur wird verständlich: Zukünftige Handlungen oder Ereignisse können als bloße Annahmen oder Erwartungen gelten, haben damit auch keinen bestimmten Wahrheitswert und können daher mit konjunktivischen oder optativischen Ausdrücken wiedergegeben werden. Sie können aber auch als Einstellungen des Sprechers gegenüber diesen Verbalhandlungen verstanden werden und sind insofern normale Aussagen mit einem bestimmten Wahrheitswert. Der Übergang von modalen zu temporalen Kategorien kann in diesem Sinn als Übergang vom Bezug auf außersprachliche Sachverhalte zum Bezug auf die kognitive Repräsentation dieser Sachverhalte gedeutet werden, ein Übergang, der sich auf verschiedenen Sprachebenen einstellt. Der Imperativ nimmt im Feld der deontischen Modalitäten eine Sonderstellung ein: Er hat eine defiziente Personengliederung (im Wesentlichen nur 2. Pers.) und ist oft gegenüber den anderen Modusformen formal unmarkiert (Palmer 1986: 29). Insofern kann man ihn als semi-finite Verbalform bezeichnen (Donhauser 1986). Die morphologische Gestalt der verbalen Formen kann jedenfalls bei Sprachen des idg. Typs mit semantischen Funktionen korreliert werden. Wunderli (1970; 1976) unterscheidet vier Stufen der verbalen Aktualisierung, wobei zu jeder Stufe ein Merkmal hinzukommt. Im Infinitiv sind die semantischen Funktionen „Semantem“ + „Angabe

437 Konjunktiv 'Verb'“ bezeichnet: Das entspricht dem Aktualisierungsstand „Nullaktualisierung“. Das Partizip enthält zusätzlich die Unterscheidung „vollendet – nicht-vollendet“ (Minimalaktualisierung), im Konjunktiv kommt „Personalgliederung“ (Teilaktualisierung), im Indikativ „Tempusgliederung“ (Vollaktualisierung) hinzu. Strukturelles Kennzeichen des Konjunktivs ist also die fehlende Tempusgliederung. Sie wird als Verzicht auf den sprachlichen Ausdruck der temporaldeiktischen Beziehung zur Sprecherorigo verstanden. Diese Auffassung passt gut zur logisch-semantischen Grundfunktion des verbalen Modus: Die fehlende Festlegung auf den Wahrheitsanspruch einer Aussage wird durch die Teilaktualisierung als fehlende temporale Fixierung auf die Sprecherorigo symbolisiert. Mit diesem Ansatz ist erstmals eine allgemeine Theorie des Modus in unabhängigen und abhängigen syntaktischen Strukturen möglich: In jedem Fall muss der Konjunktiv als teilaktualisierte verbale Gestalt eine Verbindung zur Sprecherorigo erhalten – in Haupsätzen direkt zur Sprecherorigo (daher die modalen Nutzwerte des Wünschens und Wollens), in Nebensätzen zum übergeordneten vollaktualisierten Prädikatsverb. Daneben kann der Bezug auf die Sprecherorigo auch durch Kontext und Konsituation gegeben sein (z.B. in der Unterscheidung des Geschehens in Vordergrund und Hintergrund). Ähnlich lassen sich Infinitiv und Partizip beschreiben, deren verbale Geltung als Ergänzung der fehlenden Aktualisierungsstufen durch das übergeordnete Prädikatsverb gesehen werden kann. Aus diesem Ansatz wird auch verständlich, warum der Konjunktiv keine temporalen Werte haben kann, selbst wenn er formal auf dem grammatischen Tempus aufbaut: Entweder handelt es sich um eine rein formale Kongruenzerscheinung ohne eigenständige semantische Funktion, oder das formale Tempusmerkmal nimmt einen spezifischen nicht-temporalen (modalen) Wert an. Auf diese Weise können auch die diachronischen Verschiebungen zwischen Modus und Tempus angemessen in einem Modell beschrieben werden (für das Dt. Schrodt 2007; 2008; Petrova 2008; Leirbukt 2008). Eine besondere Funktion des Konjunktivs ist die der Bezeichnung der syntaktisch-semantischen Abhängigkeit oder grammatischen Einbettung in eine Matrixphrase (Hauptsatz): Sie ist so pro-

minent, dass der Konjunktiv seine Bezeichnung von dieser Funktion her erhalten hat (lat. modus con­iunc­tivus 'verbindender Modus' oder subiunctivus, altgriech. hypotaktikē, frz. subjonctif 'unterordnender Modus'). Tatsächlich ist die Kon­junk­tiv­setzung sehr oft abhängig von grammatisch-semantischen Merkmalen regierender Kategorien, seien es (Hauptsatz-)Verben, Konjunktionen, Negationselemente, Quantoren und Definitoren in NPn usw. Für diese Beziehungen sind verschiedene logisch-semantische Begrifflichkeiten vorgeschlagen worden, z.B. Modellverschiebung, starke/schwache intensionale Prädikate usw. (vgl. zusammenfassend Quer 2001: 86ff.), und auch die Semantik der möglichen Welten kann als beschreibungsadäquates Modell verwendet werden (z.B. Lohnstein 2000: 95ff.; Lohnstein/Bredel 2004). Alle diese Kategorien sind synchron vernetzt und stehen diachron in einer bestimmten, z.T. sogar in ihrer Richtung voraussagbaren Dynamik: Nebensätze können dadurch entstehen, dass eine Phrasengrenze getilgt wird. Dadurch gerät ein urspr. autonomer verbaler Modus in den Rektionsbereich eines übergeordneten Elements und wird so zu einem redundanten Zeichen, das im Lauf der Sprachgeschichte durch eine unmarkierte Normalform (Indikativ oder Infinitiv) ersetzt werden kann. Diese Redundanz kann den Anfang einer Grammatikalisierungskette bilden: Der Konjunktiv hat nur mehr die Funktion einer Subordinationsbezeichnung und kann dann durch eine Normalform ersetzt werden, wenn andere eindeutige Subordinationszeichen vorhanden sind. Auch hier stellt sich ggf. eine synchrone Vernetzung mit synonymen Kategorien ein. Eine solche Kette kann etwa im Bereich der Objektsätze so aussehen: (2) Ich wünsche das: Er verlasse das Land. (2a) Ich wünsche, dass er das Land verlasse. (2b) Ich wünsche, dass er das Land verlässt. Der Übergang von (2a) zu (2b) hängt davon ab, ob das Einbettungszeichen ausreichend eindeutig und funktional ist. Im Bereich der Adverbialsätze ist meist das Entstehen spezifischer Konnektoren der Auslöser von Grammatikalisierungsketten, wie etwa bei den Finalsätzen. Am Anfang steht ein Konsekutivsatz, der durch den Konjunktiv finale Bedeutung erhält: (3) Sie fährt so schnell, dass sie noch den Zug erreicht. [Indikativ]

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Konjunktiv 438

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(3a) Sie fährt so schnell, dass sie noch den Zug erreiche. [final mit Konjunktiv] (3b) Sie fährt so schnell, damit sie noch den Zug erreicht. [final mit finalem Konnektor und Indikativ] Manchmal sind alle Kettenglieder synchron vorhanden, aber oft gibt es auch sprachstufenspezifische Ausdrucksformen. So sind Sätze wie in (3a) im heutigen Dt. ungewöhnlich und jedenfalls stilistisch markiert, doch die entsprechenden Formen sind im Ahd. und Mhd. durchwegs gebräuchlich. Bei den Objekt- und Subjektsätzen (zusammengefasst unter Inhaltssätze) ergibt sich eine universalgrammatisch begründete dependente Konjunktivsetzung in Abhängigkeit vom Trägersatzprädikat und unter Berücksichtigung von logisch-semantischen Verbklassen, wobei diese sehr unterschiedlich besetzt sind: (a) Implikative Verben (manage – durchsetzen, zustandebringen): Es gibt eine (notwendige oder hinreichende) Bedingung, von der es abhängt, ob das im Komplement beschriebene Ereignis stattfindet. (b) Negativ-implikative Verben (avoid – vermeiden): Es gibt eine (notwendige oder hinreichende) Bedingung, von der es abhängt, ob das im Komplement beschriebene Ereignis nicht stattfindet. (c) Wenn-Verben (cause – verursachen, force – zwingen): Ein wenn-Verb als Hauptverb einer affirmativen Behauptung impliziert die Wahrheit des Komplements. (d) Negative wenn-Verben (prevent – verhindern): Ein negatives wenn-Verb als Hauptverb einer affirmativen Behauptung impliziert die Falschheit des Komplements. (e) Nur-wenn-Verben (can – können, to be able – fähig sein): Ein nur-wenn-Verb als Hauptverb einer negativen Assertion impliziert die Falschheit des Komplements. (f) Negative nur-wenn-Verben (hesitate – zögern): Ein negatives nur-wenn-Verb als Hauptverb einer negativen Assertion impliziert die Wahrheit des Komplements. (g) Faktive Verben (regret – bedauern): Ein faktives Verb präsupponiert die Wahrheit des Komplements. (h) Kontrafaktive Verben (pretend – vorgeben): Ein kontrafaktives Verb präsupponiert die Falschheit des Komplements.

(i) Nonfaktive Verben (sagen, denken): Ein nonfaktives Verb legt den Wahrheitswert des Komplements nicht fest. Je nach Behauptung und Verneinung im Trägersatz ergibt sich durch Permutation der drei Wahrheitswerte die Möglichkeit, systematische Leerstellen für die dependente Konjunktivsetzung festzustellen. Demnach sind solche systematischen Leerstellen in Trägersätzen mit negiertem wenn-Verb, negiertem negativem wenn-Verb, assertiertem nur-wenn-Verb, assertiertem negativem nur-wenn-Verb und generell bei nonfaktiven Verben vorhanden. Diese Zusammenstellung betrifft nur die grundlegenden logisch-semantischen Verhältnisse. In manchen Verbklassen gibt es verschiedene Lesarten, die sich auch auf die Modussetzung auswirken können. Zudem sind die Verhältnisse bei mehrfacher Einbettung (d.h. bei Einbettung des Trägersatzes) recht komplex und z.T. auch sprachanalytisch noch ungeklärt (Genaueres bei Schrodt 1983: 64ff.). In Klasse (i) ist eine deklarative Variante vorhanden, bei der die Wahrheit des Komplements vorausgesetzt wird (der Inhalt des Komplements ist der Anlass für die Verbalhandlung des Trägersatzes); diese deklarative Variante ist besonders in der 1. Pers. Präs. ausgeprägt. Auch faktive Verben wie wissen können in bestimmten Gebrauchsarten als wenn-Verb verwendet werden, z.B., wenn sich das Komplement ohne Wahrheitspräsupposition nur auf einen bestimmten Inhalt bezieht (expositiv/konstativ/kontentiv). Im Dt. ist dieser Gebrauch bei negiertem Trägersatz mit der Konjunktion ob verbunden: Diese Konjunktion hebt die Faktivität des Komplements auf. Auf weitere Zusammenhänge von Konjunktivsetzung, Verbstellung und Nebensatzeinleitung im Nhd. weist Meinunger (2007) hin. Zudem sind weitere Sonderbedingungen zu berücksichtigen, wobei sich oft typische Kontext- und Konsituationsfaktoren auswirken. So können viele Verben auch eine verbum-dicendi-Lesart erhalten und werden damit nonfaktiv (Fabricius-Hansen/ Sæbø 2004: 220f., 228). Unter modaler Einbettung kann sich die übergeordnete Modaliät auch auf das Komplement des zutiefst eingebetteten Satzes auswirken und damit die logischen Bezüge zum unmittelbaren Trägersatz überdecken. Ein besonders wirksamer Faktor für die Konjunktivsetzung ist ein Negationselement im Trägersatz, sei

439 Konjunktiv es als eigene Negationspartikel oder als negatives semantisches Merkmal im Trägersatzprädikat. Hier sind sprach- und sprachstufenspezifische Zusammenhänge wirksam, die sich möglicherweise deduktiv nicht vollständig klären lassen. In der konkreten Analyse der Modussetzung kommt es darauf an, alle deduktiv erschließbaren Präsuppositionen und Implikaturen zu berücksichtigen und die relevanten Gebrauchsbedingungen möglichst vollständig und eindeutig zu erfassen. Dann kann auch eine synchronische und diachronische Erklärung der Konjunktivsetzung im exakten Sinn versucht werden. Ähnliche Zusammenhänge können in Adverbialsätzen beschrieben werden: „Logische Orte“ für den Konjunktiv sind Konditional-, Konzessiv- und Finalsätze sowie irreale Vergleichssätze. Auch hier wirkt ggf. das Bezeichnungsredundanzprinzip: Wenn das logische Verhältnis bereits durch eine spezifische Konjunktion bezeichnet ist, kann der Konjunktiv durch den Indikativ ersetzt werden. Bei Relativsätzen ist der semantisch-logische Status des Bezugsnomens entscheidend, welcher durch Determinatoren und Quantoren, aber auch durch Kontextbezüge und Negationselemente festgelegt sein kann. Nur scheinen hier universalgrammatische Regularitäten stärker von sprachtypologischen und sprachstufenspezifischen Regeln überlagert zu sein (Weydt 2000). Jedenfalls liegen vorbildliche Arbeiten für die roman. Sprachen und besonders zum Frz. vor (Gsell/Wandruszka 1986; Ludwig 1988; Kampers-Manhe 1991; 2003). Ein besonderes Problem ist die weitere Gliederung des verbalen Modalfelds in Einzelsprachen. Innerhalb der abstrakten Grundkategorie NichtUrteil können verschiedene semantische Bereiche vorhanden sein, die durch eine bestimmte morphologische Form grammatisch gefestigt sind. So gibt es in vielen Sprachen und Sprachstufen eigene Ausdrucksformen für futurischprospektive Bereiche, und auch z.B. volitive, epistemische und deontische Modalitäten können morphologisch fixiert sein. In der dt. Grammatik hat sich eine besondere Kontroverse in Bezug auf den Unterschied zwischen K1 und K2 ergeben, die sich auch in der Grammatikgeschichte ausgewirkt hat (zusammenfassend Helbig 2007). Während in der traditionellen Grammatik dieser Unterschied nach den Tempusformen morphologisch begründet wird und man die Konjunktiv-

formen den Tempusformen zuordnet, kommt ab den 50er-Jahren des 20. Jhs. unter dem Einfluss von Hans Glinz (zuerst 1952) die Tempusindifferenzthese auf: K1 und K2 unterscheiden sich demnach nicht temporal, sondern modal (daher auch die neuen Bezeichnungen „Konjunktiv I“ und „Konjunktiv II“). Als Grundbedeutungen formuliert Glinz (1973: 108) „anzunehmen“ für den K1 und seine K2-Ersatzformen und „nur zu denken“ für den K2. Etwa ab den 80er-Jahren wird diese These zunehmend skeptisch gesehen, wobei sich die Kritik weniger auf den Grundsatz, sondern vielmehr auf die Ausschließlichkeit der Tempusindifferenzthese bezieht: Eine derart einfache semantische Funktion der beiden Konjunktivformen schien manchen Grammatikern unbegründet. So wird in manchen Abeiten (z.B. in den Grammatiken Gerhard Helbigs) ein Zeitbezug in der Konjunktivbeschreibung (wieder) eingeführt, ebenso die alte Terminologie von Konjunktiv Präs. und Konjunktiv Prät. (Zifonun et al. 1997: 1733ff., allerdings als rein morphologisches Merkmal verstanden). Man hat dabei vielfach übersehen, dass sich die Konjunktivmorphologie nicht auf das Tempus, sondern auf den Aspekt bezieht und auch von dieser Kategorie sprachgeschichtlich abgeleitet werden kann. Wenn Helbig (2007: 145) bemerkt, dass die vom Konjunktiv Plq.perf. bezeichnete Nicht-Revidierbarkeit des Sachverhalts „offenbar sekundär aus dem Vergangenheitsbezug abgeleitet werden kann/muss […]“, dann widerspricht das seiner Ablehnung der Tempusindifferenzthese. Deshalb behält die Tempusindifferenzthese ihre Gültigkeit. Nur die einfache Opposition von K1 und K2 wird wohl eher prototypisch gewertet werden müssen. In diachronischer Sicht liegt eine Funktionsverschiebung nahe: Wenn aus dem konklusiven/perfektiven Aspekt ein Tempuszeichen wird, ändert sich die konklusive Aspektform des Konjunktivs zu einer Modalitätsbezeichnung, die in Opposition zur (morphologisch präsentischen) Konjunktivform modale Werte der Irrealität aufbaut. Das lässt sich jedenfalls aus den Entwicklungen im Frz. herauslesen (Barral 1980; Dreer 2007), ist wohl aber eine diachronische Universalie. Auch der Modusgebrauch in Konditionalsätzen wird in den neuen Grammatiken anders beschrieben als in traditioneller Sicht. Traditionell galt der Indikativ als „Realis“, der K2 als „Poten-

K

Konjunktiv 440

K

tialis“ und der Konjunktiv Plq.perf. als „Irrealis“ (der K1 kommt in Konditionalgefügen nicht vor). In den neueren grammatischen Darstellungen herrscht eine graduelle Fassung vor: Der Indikativ ist demnach im Konditionalgefüge eher ein „Potentialis“ (zumindest ein neutraler Modus), weil über das Bestehen des von den Teilsätzen bezeichneten Sachverhalts nichts ausgesagt wird. K2 und Konjunktiv Plq.perf. sind demnach Ausdrücke für den immer geringer werdenden Wahrscheinlichkeitsgrad (Zifonun et al. 1997: 1744ff.). Andererseits wird auch die Opposition von K2 und Konjunktiv Plq.perf. hervorgehoben. So bezeichnet Thieroff (1992: 270f.) den Konjunktiv Plq.perf. berechtigterweise als „irreversibel irreal“ (gegenüber der einfachen Kontra-Faktivität des K2). Man hat dabei übersehen, dass die Gesamtmodalität eines Konditionalgefüges von der logisch-semantischen Bedingung selbst (bezeichnet durch Konjunktion, Verbstellung oder Intonation) abgeleitet ist. Demgegenüber sind die Modalitäten der einzelnen Teilsätze nur auf die Behauptung der Sachverhalte und damit auch nur auf den Wahrheitsgehalt der Behauptung als Sprechakt bezogen. Der Potentialis ist also hier kein Modus des Verbs, sondern ein Modus des Satzgefüges. Der K1 kommt deshalb nicht vor, weil er auch in normalen Aussagesätzen kaum vorkommt (als volitive Modalität ist er akzeptabel: Wenn du Erfolg haben willst, dann sei immer pünktlich und fleißig). Mangelnde Folgerichtigkeit in der grammatischen Beschreibung des dt. Modus führt noch immer zu sehr unterschiedlichen Darstellungen und Regelformulierungen, so dass auch heute noch eine völlig neutrale Darstellung des Forschungs- und Wissensstands nicht möglich ist. Andererseits hat die zunehmend genaue Erfassung der pragmatischen Gebrauchsbedingungen wie die Unterscheidung zwischen Modalitäts- und Indirektheitskontexten und die varietätenbezogene Differenzierung im Bereich von verschiedenen Textsorten, Dialekten und (auch medialen) Kommunikationstypen deutliche Fortschritte in der wissenschaftlichen Beschreibung gebracht, die sich nach und nach auch in den präskriptiven und normativen Darstellungen auszuwirken beginnt. ≡ Möglichkeitsform; Subjunktiv ↔ Indikativ

Richard Schrodt

→ § 9, 16, 32; Adhortativ; Imperativ; Infinitiv; Konditional;

Konjunktiv I; Konjunktiv II; Modus; Tempus; Verbmodus; volitiver Konjunktiv → Gram-Syntax: Deklarativsatz; indirekte Rede; Irrealis; Konditionalsatz; Modalität; Optativ; Potentialis; Realis ⇀ Konjunktiv (HistSprw)

🕮 Barral, M. [1980] L’imparfait du subjonctif. Paris ◾ Bybee, J.L./ Fleischmann, S. [eds. 1995] Modality in grammar and discourse (TypStLg 32). Amsterdam [etc.] ◾ Confais, J.-P. [1995] Temps – Mode – Aspect. 2nd ed. Toulouse ◾ Dietrich, R. [1992] Modalität im Deutschen. Opladen ◾ Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Dreer, I. [2007] The Sign through Time: A Sign-oriented Diachronic Analysis of the French Present and Imperfect Subjunctives. In: CahChronos 16: 63–89 ◾ Fabricius-Hansen, C./ Sæbø, K.J. [2004] In a mediative mood. The semantics of the German reportive subjunctive. In: NLgSem 12: 213–257 ◾ Glinz, H. [1973] Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik. 6. Aufl. Bern [etc.] ◾ Gsell, O./ Wandruszka, U. [1986] Der romanische Konjunktiv (RArh 26). Tübingen ◾ Guéron, J. [ed. 2008] Time and Modality (StNLg&LingT 75). Dordrecht [etc.] ◾ Helbig, G. [2007] Der Konjunktiv – und kein Ende. Zu einigen Kontroversen in der Beschreibung des Konjunktivs der deutschen Gegenwartssprache. In: DaF 44: 140–153 ◾ Kampers-Manhe, B. [1991] L’opposition subjonctif/ indicatif dans les relatives (Faux titre 55). Amsterdam [etc.] ◾ Kampers-Manhe, B. [2003] Le subjonctif dans les complétives. In: Birkelund, M./ Boysen, G./ Kjørsgaard, P.S. [eds.] Aspects de la Modalité (LA 469). Tübingen ◾ Leirbukt, O. [2008] Untersuchungen zur temporalen Umfunktionierung des Konjunktivs II im heutigen Deutsch (LA 519). Tübingen ◾ Lohnstein, H./ Bredel, U. [2004] Inflectional morphology and sentence mood in German. In: Lohnstein, H./ Trissler, S. [eds.] The Syntax and Semantics of the Left Periphery (InterfE 9). Berlin [etc.]: 235–264 ◾ Lohnstein, H. [2000] Satzmodus – kompositionell. Berlin: 75–87 ◾ Ludwig, R. [1988] Modalität und Modus im gesprochenen Französischen (ScrOr 7). Tübingen ◾ Meinunger, A. [2007] In the mood of desire and hope – Remarks on the German Subjunctive, the verb second phenomenon, the nature of volitional predicates, and speculations on illocution. In: Saussure, L. de/ Moeschler, J./ Puskas, G. [eds.] Tense, Mood and Aspect (CahChronos 17). Amsterdam [etc.]: 155–176 ◾ Palmer, F.R. [1986] Mood and Modality. Cambridge ◾ Petrova, S. [2008] Die Interaktion von Tempus und Modus. Studien zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Konjunktivs (GBib 30). Heidelberg ◾ Quer, J. [1998] Mood at the Interface. The Hague ◾ Quer, J. [2001] Interpreting mood. In: Prob 13: 81–111 ◾ Schrodt, R. [1988] System und Norm in der Diachronie des deutschen Konjunktivs (LA 131). Tübingen ◾ Schrodt, R. [2007] Temporalität beim Konjunktiv? In: Lenk, H.E.H./ Walter, M. [Hg.] Wahlverwandtschaften – Valenzen, Verben, Varietäten. Festschrift für Klaus Welke zum 70. Geburtstag (GL 188–189). Hildesheim: 247–260 ◾ Schrodt, R. [2008] Der verbale Modus im Deutschen: Synchronie und Diachronie der Konjunktivformen. In: Czachur, W./ Czyżewska, M. [Hg.] Vom Wort zum Text. Festschrift für Professor Józef Wiktorowicz zum 65. Geburtstag. Warschau 2008: 275–286 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Weydt, H. [2000] Der Konjunktiv – semantisch und übereinzelsprachlich betrachtet. In: Beckmann, S./ König, P.-P./

441

Konjunktiv I

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Konjunktiv des irrealen Vergleichs

Konjunktiv der epistemischen Modalität, welcher das Nicht-Zutreffen eines in einem Komparativgefüge verknüpften Zustands oder Geschehens bezeichnet. ▲ subjunctive of unreal comparison: subjunctive of the epistemic modality which signifies the non-factivity of a situation or an action in a comparative construction. Im Dt. kommen Vergleichkonstruktionen in zwei syntaktisch verschiedenen Formen vor: (a) komparative Adverbialsätze (Supplemente) (1) und (b) prädikative Komplemente (2). (1) Sie legte sich auf meine Brust, als wollte sie einschlafen. (2) Er sieht (so) aus, als sei/wäre er neun Jahre alt. Beide Konstruktionen enthalten eine (abstrakte) tiefensemantische Konditionalbeziehung, die sich auf einen (erwartbaren) Normalzustand (konventionelle Implikatur) „wenn p, dann q“ bezieht ((3), (4)). (3) Wenn sie sich auf meine Brust legt, dann will sie normalerweise einschlafen. [gewohnheitsmäßiges Verhalten] (4) Wenn er so aussieht, dann ist er neun Jahre alt [körperliche Erscheinung und Alter stehen in einem physiologisch bedingten Zusammenhang = Weltzustand 1]. Der Konjunktiv bezeichnet demgegenüber eine Sachlage „p, obwohl q“, die diesem normalen Weltzustand entgegengesetzt ist, wobei q die Bedeutung aller kontrafaktischen Sprechakte annehmen kann [das Verbalgeschehen ist erwartet, erwünscht, erhofft, befürchtet, nur angenommen usw. = Weltzustand 2]. Die Kontrafaktivität selbst ist dabei nicht nur durch den Konjunktiv, sondern auch durch eine entsprechende komparative Konjunktion (als, als ob, als wenn) bezeichnet. Richard Schrodt

→ Konjunktiv → Gram-Syntax: epistemische Modalität; hypothetischer Kom-

parativsatz; irrealer Vergleichssatz; Irrealis; Komparativsatz

🕮 Brinkmann, H. [1971] Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. 2. Aufl. Düsseldorf ◾ Jäger, S. [1999] Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Duisburg ◾ Schneider, W. [1959] Stilistische deutsche Grammatik. Freiburg/Breisgau.

Konjunktiv des Wunsches ≡ optativer Konjunktiv

Konjunktiv I

Form des Konjunktivs, der aus dem Präsensstamm des finiten Verbs gebildet ist und in den Tempusformen Präsens, Perfekt und Futur erscheint. ▲ subjunctive I: form of the subjunctive which is derived from the present tense stem of the finite verb and which occurs in the tense forms present, perfect and future. Der Konjunktiv I (= K1) wird im Nhd. in selbständigen Sätzen nur noch selten verwendet (formelhaft: Gott sei Dank!). Gebräuchlich ist der K1 in der Grundfunktion des Begehrens (volitiv), wobei die abgeleiteten Funktionen Wunsch, Aufforderung, Gebot, Verbot, Bitte, Mahnung, Empfehlung weniger verschiedene Intensitätsgrade des Begehrens oder Grade unterschiedlicher Erfüllbarkeit bezeichnen, sondern vor allem kontextgebundenen Modalitäten entsprechen. Demnach sind die einzelnen modalen Abschattierungen in isolierten Sätzen schwer darstellbar, und die Grenzen zwischen diesen Modalitäten sind oft unscharf (die folgenden Beispiele, meist aus Werken Thomas Manns, nach Flämig 1962). In der 1. Pers. Sg. kommt der K1 nur selten vor (Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte [Schiller]). Häufiger ist die 1. Pers. Pl. (Nein, halten wir nun mit der fröhlichen Gegenwart!). Geläufig ist der K1 in der 3. Pers. Sg. (Das ewige Licht leuchte ihnen). Durch Formensynkretismus ist die 3. Pers. Pl. nur bei sein deutlich: Verflucht seien die, die […]. Kontextbedeutungen sind demnach auch Verwünschungen und Selbstverwünschungen (Der Teufel hole mich). Im Unterschied zum Konjunktiv II (= K2) bezeichnet der K1 ein Begehren, das vom Sprecher ausgeht und sich durch sein Tun ergibt. Oft ist damit eine wertende Stellungnahme zur Realiät des Geschehens verbunden. Anders als beim Imperativ ist hier die 3. Pers. angesprochen: Er gebe nach! Er bescheide sich! Als abstrakte Grundbedeutung des K1 hat Glinz (1973: 106) „Erst angenommen, nur gesetzt, ohne Gewähr für Richtigkeit und Vollzug“ formuliert,

K

Konjunktiv II 442

K

eine Grundbedeutung, die auch für die Indirektheitskontexte gilt. Als Ersatzformen sind vor allem Fügungen mit Modalverben gebräuchlich. Daneben kommen noch Futur („Heischefutur“: Ich werde mich darum kümmern!) und der kategorische Indikativ vor („Sie fahren nicht weiter!“ schrie er). In bestimmten Textsorten, z.B. Gebrauchstexten, stehen auch auffordernde Feststellungen im Indikativ: Hierbei benutzt man den Zeilenanzeiger. In eher schriftlichen und literatursprachlichen Registern steht in Nebensätzen nach Aussageverben der K1 als Zeichen der berichteten Rede. Undeutliche Formen werden durch den K2 ersetzt: Das Ganze sei im Falsett gesungen worden, und die Sänger hätten kaum dabei die Münder geöffnet […]. In einem Satz wie Joschua machte Moysen klar, dass Krieg sein […] müsse […] ist das Nebensatzprädikat als Objekt von klar machen (mit dem Indikativ als Normalmodus) eingebettet. Der K1 ist Zeichen der indirekten Rede, also im Vergleich zum Trägersatzprädikat autonomes Zeichen. Das kann man als grammatisches Zeichen der logischen und syntaktischen Abhängigkeit von einem (nicht unbedingt auf der syntaktischen Oberfläche vorhandenen) Aussageverb und damit als übergeordnete Einbettung verstehen. Der Indikativ kann registerabhängig die Bezeichnung der objektiven Realität stärker hervorheben: […] fand er einzuwenden, dass das Leichte auch schwer ist, wenn es gut ist. Der Übergang zu einem selbständigen Satz mag in Interjektionen wie Er hatte sie gemustert und gesagt: Ja, die Arterien an den Schläfen seien gefüllt […] angebahnt sein. Die Ersatzmöglichkeit durch den Indikativ ist aber auch in diesem Register vorhanden: Aber dem Herzen, meint er, lässt sich nicht gebieten […]. Auch nach präteritalem Trägersatz steht der K1: Ich habe gesagt, mir fehle der Sinn für Tatsächlichkeiten […]. Bei nicht eingeleiteten Sätzen, die grammatisch Objekte eines Aussageverbs sind (freier Anschluss), steht der K1 regelmäßig als Zeichen der logisch-syntaktischen Abhängigkeit: […] der Portier […] mahnte zum Aufbruch. Das Automobil stehe bereit […]. Hier kann der K1 als Normalmodus gelten; demgegenüber steht der Indikativ bei Betonung der objektiven Realität: So eine Wohlgestalt, sagt man, ist fesselnd. Auch hier kann der K2 als Ersatzform für den uneindeutigen K1 auftreten: Er sagte, dass er und die hier

Anwesenden […] bäten, denn sie sähen, dass […]. In manchen Fällen ist aber auch eine autonome, urteilsbezogene Modalität denkbar. Das gilt ebenso für Sätze, in denen der K1 zusätzlich zu seiner Dependenzfunktion eine distanzierende Stellungnahme zu bezeichnen scheint: Und er fühlte, dass er ein gewisses Verständnis zum Leben habe. Hier können autonome und dependente Modalität nicht sicher unterschieden werden, ebenso wie beim K2 als Ersatzform: Oft habe ich dir gesagt, dass ich die Trennung von dir nicht zu überleben gedächte […]. (Dies kann auch als Irrealis interpretiert werden.) In neueren literarischen Werken und, wenngleich nicht so ausgeprägt, in der Pressesprache wird die distanzierende Funktion des K1 für die Bezeichnung der Erzählperspektive genützt (­Eroms 2007; 2008). In den anderen Nebensatztypen (Inhaltssatz, Attributsatz, Adverbialsatz) kann im Gegensatz zu älteren Sprachstufen und zum Konjunktivgebrauch in anderen Sprachen für das Nhd. eine dependente Modussetzung nicht sicher nachgewiesen werden. Richard Schrodt

→ Futur; Indikativ; Konjunktiv II; Modalverb; Modus; Perfekt; Präsens; Präsensstamm

→ Gram-Syntax: berichtete Rede; Heische-Modus; indirekte Rede; Optativ

🕮 Eroms, H.-W. [2007] Zum System und zum Gebrauch des Konjunktivs I in literarischen Texten der deutschen Gegenwartssprache. In: Wich-Reif, C. [Hg.] Strukturen und Funktionen in Gegenwart und Geschichte. Festschrift für Franz Simmler zum 65. Geburtstag. Berlin: 291–311 ◾ Eroms, H.-W. [2008] Textuelle Modalitäten. Die Perspektivierungsfunktion des Konjunktivs I in der deutschen Gegenwartssprache. In: Mikołajczyk, B./ Kotin, M. [Hg.] Terra grammatica. Ideen – Methoden – Modelle. Festschrift für Józef Darski zum 65. Geburtstag (PosBG 18). Frankfurt/Main: 37–61 ◾ Glinz, H. [1973] Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik. 6. Aufl. Bern [etc.].

Konjunktiv II

Form des Konjunktivs, der aus dem Präteritalstamm des finiten Verbs gebildet ist und in den Tempusformen Präteritum, Plusquamperfekt und im Konditional erscheint. ▲ subjunctive II: form of the subjunctive which is derived from the preterite stem of the finite verb and which occurs in the tense forms preterite, pluperfect and conditional. Der Konjunktiv II (= K2) im Dt. enthält nach Wichter (1978) zwei tiefensemantische Funk-

443 tionsbereiche: die Kondition und die Negation. In logischer Ausdrucksweise kann formuliert werden, dass der K2 eine faktive Implikatur aufhebt (Lötscher 1991). Dem präteritalen Anteil des K2Morphems würde dann die Negationskomponente entsprechen, was die atemporale Deutung dieser Modusform verständlich macht (ähnlich auch in der dem Dt. analogen Beschreibung des engl. K2 von Stowell 2008). Der K2 steht in hochdt. selbständigen Sätzen fast ausschließlich in seiner Funktion als Irrealis (die folgenden Beispiele, meist aus Werken Thomas Manns, nach Flämig 1962). Irreale Konditionalgefüge sind Ich hätte auch mein Bäuchlein nicht […], wenn ich dächte, von allem wissen zu müssen […] und auch im K2 Perfekt Ich hätte sie gesehen, […] wenn ich […] im Gestrüpp gestanden hätte. Der letzte Fall gilt als mittelbare Negation (Modalität + Perfekt): Der als abgeschlossene und vergangene Handlung vorgestellte Bedingungsfall ist nicht erfüllt. Bei erlebter oder gefühlsbewegter Rede steht auch der Indikativ, oft als poetischer Ausdruck: Hätte er sie ein wenig zurückbehalten […], so stand ihm jetzt […] ein Vormittag […] gleich dem gestrigen bevor. Er, er wäre imstande gewesen, starb ich vor ihm, den Faust zu vollenden. Dies gilt ebenso bei vorgestellter Realität: Wenn du dies Volk nun tötest wie einen Mann, so würden die Heiden sagen, die das Geschrei vernähmen […]. In der indirekten Rede überlagert der Konjunktiv I (= K1) als Indirektheitszeichen den K2: […] er sei kein Schwätzer, […] man irre sich sehr, wenn man nur dergleichen in ihm sähe […]; der Verliebte […] erkannte nicht ohne Entsetzen, dass er nicht mehr zu leben wissen werde, wenn das geschähe. Der Irrealis-K2 steht auch in unvollständigen Konditionalgefügen. Der Folgesatz ist nicht realisiert (Wenn ich zu ihr ginge?–), der Bedingungssatz ist durch eine Infinitivgruppe ersetzt ([…] die Dinge so zu betrachten, hieße, sie nicht genau genug betrachten?) oder nicht ausgesprochen (Noch einmal anfangen? Aber es hülfe nichts). Ebenso steht der Irrealis-K2 in der Hauptsatzfrage: […] was hätte ich machen soll, da sie sich wider mich sammelten? Einen eigenständigen Funktionsbereich erhält der K2 in der unverbindlichen Aussage als Höflichkeitsform: „Es wäre nun nur noch“, sagte er, „die Gesichtshaut ein wenig aufzufrischen.“ Als Ersatzform wird der Konditional gebraucht, vor allem bei undeutlichen K2-Formen, doch ist oft auch eine irreal-

Konjunktiv II futurische Bedeutung naheliegend (ebenso beim Konditional in selbständigen Sätzen): Bliebe ich […] allein bei ihm zurück […], so würde er als elendes Witwenkind durchs Leben irren. Unverbindliche Aussage als Höflichkeitsform: Ungern würde ich es sehen, wenn […]. Ähnliche nicht-irreale Gebrauchsweisen stellen sich auch bei Modalverben ein. Das von der älteren normativen Grammatik ausgesprochene wenn-würde-Verbot hat schon Thomas Mann nicht (mehr) befolgt: Ich sollte mich wundern, wenn Fortuna sich Ihnen nicht hold erweisen würde. Auch Umschreibungen mit Modalverben sind gebräuchlich, besonders oft mit dem schon formelhaft gewordenen K2 von mögen. Innerhalb der berichtenden Rede ist der K2 im älteren literatursprachlichen Register, wie es für Thomas Mann noch charakteristisch ist, in seiner Irrealis-Bedeutung erhalten: Wo der Vergleich entfalle, sagte er, entfalle der Maßstab, […]. Das Gute und Schöne wäre dann entwest zu einem qualitätslosen Sein […]. In vielen Fällen ist aber auch schon hier der semantische Unterschied zum K1 nicht deutlich. „Ein durchgehender systematischer Gebrauch [des K2] lässt sich jedoch nicht feststellen“ (Flämig 1962: 75). Kontextbezogen stellen sich gelegentlich subtile Bedeutungsnuancen ein: […] bei jeder Erhöhung seines Daseins fragt er im Stillen, was sie wohl dazu sagen werde oder würde […] (mittelbare Redewiedergabe gefolgt von bedingter Vorstellung). In Nebensätzen ist der K2 überall autonomes Zeichen und steht in den gleichen Nutzwerten wie im Hauptsatz (vor allem als Irrealis), selbst wenn vom Nebensatz-Typ her dependente Modussetzung zu erwarten wäre und in älteren Sprachstufen auch vorhanden ist: Im Nhd. ist hier der Indikativ der Normalmodus. Im Finalsatz sind gelegentlich subtile Bedeutungsnuancen erkennbar (autonomer K1/K2): Joschua brauchte Zeit, dass erst noch auf natürlichem Wege das Volk sich mehre, – übrigens auch dazu, dass er älter würde […]. Zusätzlich zum Adverb übrigens wird hier das erstrebte Geschehen von der Matrixsatz-Handlung her perspektiviert: K1 bezeichnet die direkt erstrebte, der K2 eine sich nebenbei einstellende Folge. Richard Schrodt ≡ restriktiver Konjunktiv → Indikativ; Konditional; Konjunktiv; Konjunktiv I; Modus → Gram-Syntax: Irrealis

K

Konjunktiv, adhortativer 444 🕮 Flämig, W. [1962] Zum Konjunktiv in der deutschen Sprache der Gegenwart: Inhalte und Gebrauchsweisen (VIdSpLit 15). 2., durchges. Aufl. Berlin ◾ Stowell, T. [2008] The English Konjunktiv II. In: Guéron, J./ Lecarne. J. [eds.] Time and Modality (StNLg&LingT 75). Dordrecht [etc.]: 251–272 ◾ Wichter, S. [1978] Probleme des Modusbegriffs im Deutschen (StDG 7). Tübingen.

Konjunktiv, adhortativer → Adhortativ

Konjunktiv, optativer → optativer Konjunktiv

Konjunktiv, potentialer → potentialer Konjunktiv

Konjunktiv, regierter

K

→ regierter Konjunktiv

Konjunktiv, restriktiver → Konjunktiv II

Konjunktiv, volitiver → volitiver Konjunktiv

Konjunktor

Element, das syntaktisch gleichrangige Morpheme, Lexeme, Phrasen oder Sätze symmetrisch verknüpft. ▲ conjunctor: element which symmetrically links morphemes, lexemes, phrases or clauses of equal syntactic status. Konjunktoren zählen zu den nicht-flektierbaren, nicht-kasusfordernden Wortarten. In der Regel verknüpfen sie syntaktisch gleichartige Einheiten (sog. Konnekte) (aber (1a)), die auf derselben syntaktischen Hierarchieebene operieren. Beide Konnekte erfüllen dieselbe syntaktische Funktion, welche sie auf die gesamte Koordination übertragen (Breindl et al. 2014: 26). (1) Sie liebt das Meer und lange abendliche Spaziergänge. (1a) Sie liebt das Meer und abends lange spazieren zu gehen. Die Komplexität der Konnekte kann variieren. So können Morpheme (Auf- und Abbau, Primar- oder Sekundarstufe), Wörter (Sonne und Sterne), Bestandteile von Phrasen (in guten wie in schlechten Zeiten), Phrasen (der Vater und der Sohn), satz-

wertige Einheiten (2) oder ganze Sätze ((3), (4)) koordiniert werden (Nübling 2009: 621). (2) Weil die Sonne scheint und weil sie sowieso Zeit hat, wartet sie noch. (3) Sarah ist Unternehmerin und Lisa ist Ärztin. (4) Lisa ist Ärztin und Sarah ist Unternehmerin. Bei Koordination von mehr als zwei Konnekten folgt der Konjunktor an letzter Stelle, die vorangehenden Konnekte werden in der Schriftsprache durch Kommata verbunden (5). (5) Kauf bitte Brot, Eier, Butter und Milch. Die Reihenfolge der symmetrisch koordinierten Konnekte ist typischerweise vertauschbar. Auf satzwertige Konnekte trifft dies jedoch nicht uneingeschränkt zu ((6), (6a)). (6) Sarah geht in die Bäckerei und kauft sich ein belegtes Brötchen. (6a) Sarah kauft sich ein belegtes Brötchen und geht in die Bäckerei. Die Konjunktoren lassen sich danach einteilen, welche textsemantische Beziehung sie zwischen den Konnekten herstellen; diese wiederum korrelieren mit spezifischen formalen und syntagmatischen Eigenschaften (Breindl 2004). Additive Konjunktoren wie und, sowie, sowohl ... als auch oder weder ... noch bezeichnen das reine Miteinandervorkommen ((1)–(6)). Liegt bei satzförmigen Konnekten ein identisches Subjekt vor, wird dieses im zweiten Teilsatz elidiert ((1), (6)). Die paarigen additiven Konjunktoren heben mit Nachdruck hervor, dass beide Konnekte zutreffen (sowohl ... als auch (7)) bzw. nicht zutreffen (weder ... noch (8)) (Nübling 2009: 622). Sowie wird häufig gebraucht, um komplexere Koordinationsketten zu strukturieren und eine losere Zusammengehörigkeit der Konnekte zu indizieren ((7)–(9)). (7) Ihre Augen waren sowohl blau als auch grün. (8) Sie hatte weder Bruder noch Schwester. (9) Hohes Fieber sowie Kopf- und Gliederschmerzen deuten auf eine Grippe hin. Alternative Konjunktoren (entweder ... oder) stellen beide Konnekte zur Wahl (Geld oder Leben, Ein- oder Auszug). Dabei können beide Alternativen gleichzeitig zutreffen (10) oder sich gegenseitig ausschließen (11). Letzteres wird durch Gebrauch des paarigen Konjunktors entweder ... oder betont. Werden satzwertige Konnekte ver-

445 knüpft, besetzen alternative Konjunktoren (wie die additiven) eine Position vor dem Vorfeld (nach Pasch et al. 2003 sog. nicht-konnektintegrierbaren Konjunktoren). Bei Subjektsidentität findet keine Elision statt ((10), (11)). (10) Kommst du jetzt mit oder kommst du später nach? (11) Entweder du kommst jetzt mit oder du kommst gar nicht mit. Adversative Konjunktoren wie (zwar...) aber, (je) doch oder sondern markieren einen Gegensatz oder Kontrast zwischen den Konnekten (hart, aber herzlich). Tritt aber zusammen mit dem Adverb zwar auf, wird der Gegensatz betont (12); dasselbe gilt für den Gebrauch von (je)doch (13). Einen Gegensatz zu einem negierten Sachverhalt bezeichnet der Konjunktor sondern (14). (12) Er ist (zwar) erst 17, aber hat schon zwei Kinder. (12a) Er ist (zwar) erst 17, hat aber schon zwei Kinder. (13) Sie konnte nichts sehen, jedoch verriet ihr das Geräusch genug. (14) Er ist kein Lehrer, sondern Erzieher. Die Verknüpfung erfolgt bei den adversativen Konjunktoren fast ausschließlich über Adverbintegration, d.h., der Konjunktor ist in eines der Konnekte integriert und besetzt das Vor- oder Mittelfeld (sog. konnektintegrierbare Konjunktoren, vgl. Pasch et al. 2003). Adversative Konjunktoren verknüpfen vornehmlich Deklarativsätze und keine Fragesätze. Kausale Konjunktoren wie denn (in der gesprochenen Sprache auch weil) bieten eine Begründung für den vorgenannten Sachverhalt (15). Sie verbinden maximal zwei Konnekte, die stets je ein Hauptsatz sind. Das Subjekt ist hier nicht elidierbar. Überdies ist die Reihenfolge der Konnekte nicht vertauschbar, woraus deutlich wird, dass die Beziehung etwas weniger symmetrisch ist als bei den vorgenannten Relationen. (15) Sie ist (wahrscheinlich) krank, denn sie ist nicht da. (16) Sie ist heute nicht da, weil sie krank ist. Im Gegensatz zu kausalen Subjunktoren, die einen kausalen Nebensatz einbetten (16), verknüpft der kausale Konjunktor denn tendenziell auf pragmatischer Ebene und begründet insbesondere Annahmen oder Vermutung, aber keine

Konjunktor, kopulativer Sachverhalte (sog. epistemische Kausalität) (vgl. Breindl/Walter 2009). Und hat die abstrakteste Semantik, was dazu führt, dass in bestimmten Kontexten auch eine spezifischere Relation, etwa eine adversative ((17), (18)), inferiert werden kann. Diese Lesart ist stark kontextabhängig bzw. resultiert aus der Semantik der Konnekte. (17) Er ist erst 17 und hat schon 2 Kinder. (18) Deine Schwester arbeitet den ganzen Tag und du siehst nur fern. Melitta Gillmann ≡ beiordnende Konjunktion; koordinierende Konjunktion; nebenordnende Konjunktion → § 17; additiver Konjunktor; adversativer Konjunktor; alternativer Konjunktor; Fügewort; kausaler Konjunktor; komparative Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konnektor; paarige Konjunktion; Partikel; Synsemantikon → Gram-Syntax: Ellipse; Koordination; Nebenordnung; Parataxe; syndetische Satzverbindung ⇀ Konjunktor (Sprachphil)

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren. Bd. 2. Semantik. Berlin [etc.] ◾ Breindl, E./ Walter, M. [2009] Der Ausdruck von Kausalität im Deutschen: eine korpusbasierte Studie zum Zusammenspiel von Konnektoren, Kontextmerkmalen und Diskursrelationen. Mannheim ◾ Breindl, E. [2004] Relationsbedeutung und Konnektorbedeutung. Additivität, Adversativität und Konzessivität. In: Breindl, E./ Blühdorn, H./ Waẞner, U.H. [Hg.] Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. Berlin [etc.]: 225–253 ◾ Nübling, D. [2009] Die nicht flektierbaren Wortarten. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 567–625 ◾ Pasch, R./ Brauẞe U./ Breindl E./ Waẞner U.H. [2003] Handbuch der Konnektoren. Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln). Berlin [etc.].

Konjunktor, additiver → additiver Konjunktor

Konjunktor, adversativer → adversativer Konjunktor

Konjunktor, alternativer → alternativer Konjunktor

Konjunktor, kausaler → kausaler Konjunktor

Konjunktor, kopulativer → additiver Konjunktor

K

Konjunktor, restriktiver 446

Konjunktor, restriktiver → restriktiver Konjunktor

Konkretum

Nomen, das sich auf etwas Gegenständliches, also konkret sinnlich Erfahrbares, bezieht. ▲ concrete noun: noun that refers to something concrete, thus to something tangible.

K

Konkreta sind raum-zeitlich gebundene Entitäten. Zu den Konkreta zählen Eigennamen (Sophia, Martin), Gattungsbezeichnungen (Appellativa: Autofahrer), Stoffbezeichnungen (Bier, Silber) und Sammelbezeichnungen (Kollektiva: Publikum, Team). Im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta werden sog. Tropen diskutiert (Campbell 1990). Diese unterscheiden sich von den Abstrakta dadurch, dass sie in der Welt verankert sind, weil sie mit konkreten Manifestationen einhergehen. Sie bezeichnen jedoch abstrakte Eigenschaften ((1), (2)). (1) Nelson Mandelas Freiheit (2) Annas Intelligenz Konkreta sind keine grammatisch etablierte Klasse. Es gibt zählbare Konkreta (Individuativa: ein Kind – zwei Kinder) und nicht-zählbare Konkreta (Kontinuativa: Silber – *zwei Silber) (Duden 2009: 147). In der Duden-Grammatik wird auf einige syntaktische Besonderheiten verwiesen, die auf die Unterscheidung der Konkreta und Abstrakta zurückzuführen sind. Das betrifft z.B. die Artikelweglassung in Ellipsen: Wenn zwei NPn mit einem Konkretum mit gleichlautenden Artikelwörtern koordinativ verknüpft werden, kann das zweite Artikelwort weggelassen werden, wenn die Reihung eine Einheit bezeichnet: (3) vs. (4). (3) der Bürgermeister und _ Ehrenvorsitzende des Kunstvereins [ein und dieselbe Person] (4) der Bürgermeister und der Ehrenvorsitzende des Kunstvereins [zwei Personen] Im Gegensatz zu Konkreta sind bei Abstrakta oft beide Verwendungsmöglichkeiten ohne Bedeutungsunterschied möglich ((5), Duden 2009: 902). (5) ihre Begabung und (ihre) Fantasie Seit Aristoteles wird innerhalb der Konkreta zwischen Bezeichnungen für Artefakte (z.B. Fernseher, Auto) und für natürliche Klassen (z.B. Bär, Katze) unterschieden. Artefakte werden von Menschen für einen bestimmten Zweck hergestellt, während natürliche Arten unabhängig vom

menschlichen Tun existieren. Levin et al. (2019) zeigen, dass diese Unterscheidung sich nicht nur in der zugrundeliegenden Benennungsstruktur der Nomina niederschlägt, sondern auch Auswirkung auf die Interpretation von ModifikatorKopf-Relationen bei der adjektivischen Modifikation von Nomina und in Determinativkomposita mit einem nominalen Kopf hat. Bei einer Artefaktbezeichnung als Kopf bezieht sich der Modifikator auf das Ereignis der Nutzung oder der Herstellung dieses Artefakts (z.B. Eislöffel ist ein Löffel zum Essen von Eis). Bei einem Kopf-Nomen, das eine natürliche Art bezeichnet, bezieht sich der Modifikator auf inhärente Eigenschaften dieser Art wie wahrnehmbare Eigenschaften und natürlicher Lebensraum (z.B. Eisbär: eine Bärenart, die in nördlichen Polarregionen lebt, wo es viel Eis gibt). Ljudmila Geist

↔ Abstraktum → § 15; Appellativum; Eigenname; generisches Substantiv; Individuativum; Kollektivum; Kontinuativum

⇀ Konkretum (Lexik)

🕮 Campbell, K. [1990] Abstract Particulars. Oxford ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Levin, B./ Glass, L./ Jurafsky, D. [2019] Systematicity in the semantics of noun compounds: The role of artifacts vs. nat­ ural kinds. In: Lg 57/3: 429–471.

Konnekt

syntaktische Einheit, die zu einer anderen Einheit in einer durch einen Konnektor spezifizierten, textsemantischen Relation steht. ▲ connect: syntactic unit which is in a text-semantic relation, specified by a connector, to another unit. Konnekte können koordiniert (1) oder subordiniert (2) sein. In der Regel handelt es sich um Teilsätze, d.h. Einheiten, die ein finites Verb enthalten. (1) Sarah sieht fern und Hans spielt Klavier. (2) Sarah hält sich die Ohren zu, weil Hans Klavier spielt. Auch elliptische Sätze (3) enthalten Konnekte, weil das zweite Relatum in einen Ganzsatz umgewandelt werden kann (3a). (3) Sarah muss aufräumen und saugen. (3a) Sarah muss aufräumen und sie muss saugen. Der (Teil-)Satz, der den Konnektor enthält, bildet

447

konsekutiver Subjunktor

das interne Konnekt, der andere (Teil-)Satz das externe (Pasch et al. 2003: 8). (4) Sarah spielt Klavier [externes Konnekt], obwohl Hans schlafen möchte [internes Konnekt]. Melitta Gillmann

→ Fügewort; Konjunktion; Konjunktor; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Kohärenz; komplexer Satz; Teilsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Pasch R. et al. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren. Berlin [etc.].

Konnektivpartikel

≡ Bindewort → adverbialbildender Subjunktor; finaler Subjunktor; kausaler Subjunktor; Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konjunktor; Konnekt; restriktiver Subjunktor; termbildender Subjunktor ⇀ Konnektor (QL-Dt; CG-Dt; HistSprw; SemPrag) ⇁ connector (CG-Engl)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fritsche, J. [1982] Zum Gegenstandsbereich einer Untersuchung deutscher Konnektive. In: Fritsche, J. et al. [Hg.] Konnektivausdrücke, Konnektiveinheiten. Grundelemente der semantischen Struktur von Sätzen. Hamburg ◾ Pasch, R. et al. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren. Berlin [etc.].

Konsekutivadverb

≡ Rangierpartikel

Konnektor

semantisch motivierte Sammelbezeichnung für Wörter, die spezifische inhaltliche Verknüpfungen zwischen Sätzen herstellen. ▲ connector; conjunction: collective name for words with the function of connecting sentences. Die Bedeutung des Konnektors setzt die Inhalte zweier Sätze in spezifische textuelle Relationen. Die Duden-Grammatik (Duden 2005: 1085) unterscheidet sieben Bedeutungsrelationen von Konnektoren: kopulativ, temporal, konditional, i.w.S. kausal-gleichläufig, i.w.S. kausal-gegenläufig, spezifizierend und vergleichend. Nach Pasch (2003: 331) weisen Konnektoren im Dt. folgende Merkmale auf: (a) Sie sind nicht flektierbar. (b) Sie vergeben keine Kasusmerkmale an ihre syntaktische Umgebung. (c) Ihre Bedeutung ist eine zweistellige Relation. (d) Die Relate ihrer Bedeutung sind propositionale Strukturen. (e) Ihre Bedeutungsrelate müssen durch Satzstrukturen bezeichnet werden können. Konnektoren gehören verschiedenen Wortarten an. Im Dt. können koordinierende (1) und subordinierende Konjunktionen (2), Konjunktionaladverbien (3) und Partikeln mit Satzverknüpfungsfunktion (4) als Konnektoren auftreten. (1) Die Blumen blühen und die Vögel singen. (2) Die Blumen blühen, obwohl das Wetter schlecht war. (3) Die Blumen blühen, außerdem singen die Vögel. (4) Die Blumen blühen noch schön, du musst sie aber bald abschneiden. Christine Römer

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die die Folge bzw. Folgerung aus einem Geschehen angeben. ▲ consecutive adverb: semantically defined subclass of adverbs which express the sequence or conclusion of an action. Elemente der Teilklasse der Konsekutivadverbien sind z.B. also, ander(e)nfalls, darum, demnach, demzufolge, folglich, infolgedessen. Funktional können mehrere Elemente der Teilklasse anderen Teilklassen angehören. So können z.B. demnach oder demzufolge auch als Konjunktionaladverbien und kann darum auch als Präpositionaladverb eingestuft werden. (1) Ich kann sagen, was ich will, es wird mir nicht helfen. Also kann ich alles sagen. (2) Viele Betroffene betrachten sich selbst gar nicht als abhängig, [...]. Infolgedessen gehen sie erst spät in eine Beratungsstelle. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Konjunktionaladverb; Präpositionaladverb → Gram-Syntax: Konsekutivangabe; konsekutive Adverbialbestimmung

🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

konsekutive Konjunktion ≡ konsekutiver Subjunktor

konsekutive Subjunktion ≡ konsekutiver Subjunktor

konsekutiver Subjunktor

Subjunktor, der die Folge der Haupthandlung einführt.

K

Konstituente, diskontinuierliche 448 ▲ consecutive subjunctor: subordinating conjunction

introducing the consequence of the main action.

K

Der häufigste Subjunktor der Konsekutivität ist so dass (sodass) (Helbig/Buscha 2001: 611). Ohne Korrelat gibt er im Nebensatz eine Folge an (1). Auch der Subjunktor dass kann in konsekutiver Funktion in Verbindung mit den Korrelaten so, solch- plus Subst. oder genug im Hauptsatz erscheinen ((2), (3)). Der sog. negative Konsekutivsatz wird mit ohne dass eingeleitet (4). (1) Sie schläft, so dass sie nicht ans Telefon kommen kann. (2) Er hat so viel gegessen, dass er Bauchschmerzen hat. (3) Die Mutter hat solche Riesenkarotten gekauft, dass sie jetzt endlich einen richtigen Karottenkuchen backen kann. (4) Der Sohn hat zwei Englischkurse besucht, ohne dass er seine Kenntnisse verbessern konnte. Der Ausdruck eines konsekutiven Verhältnisses darf nicht mit einem Kausalverhältnis (Subjunktoren weil, da u.a.) verwechselt werden. Javier Martos ≡ konsekutive Konjunktion; konsekutive Subjunktion → kausaler Subjunktor; Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konsekutivadverb; Subjunktor → Gram-Syntax: irrealer Konsekutivsatz; Konsekutivangabe; Konsekutivsatz; negativer Konsekutivsatz

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2007] Subjunktor. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Konstituente, diskontinuierliche → diskontinuierliche Konstituente

Konstituente, morphologische → morphologische Konstituente

Konstituente, unterbrochene → diskontinuierliche Konstituente

Konstituentennegation

Negation, die sich im Unterschied zur Satznegation nicht auf die Prädikation des gesamten Satzes, sondern auf dessen Teilbereiche bezieht. ▲ constituent negation: negation whose scope – in

contrast to sentential negation – does not extend to the predication of the entire sentence, but is restricted to one of its constituents. Alla Paslawska

→ kontrastierende Negation; Negation; nicht-kontrastierende Negation; Sondernegation

→ Gram-Syntax: Konstituente; Satznegation ⇀ Konstituentennegation (SemPrag) ⇁ constituent negation (Typol)

🕮 Bratu, T. [1940] Die Stellung der Negation nicht im Neuhochdeutschen (mit ergänzenden Nachprüfungen an Goethes Sprache). In: ZfdPh 65: 1–17 ◾ Helbig, G./ Albrecht, H. [1993] Die Negation. Zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. 6. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Nussbaumer, M./ Sitta, H. [1986] Negationstypen im Spannungsfeld von Satz- und Sondernegation. In: DaF 23: 348–359.

Konstituentenstruktur, morphologische → morphologische Konstituentenstruktur

Kontamination

gering produktiver Wortbildungstyp, bei dem durch die Verschmelzung von mindestens zwei Lexemen ein neues komplexes Wort entsteht, indem die Wortbildungskonstituenten meist gekürzt werden. ▲ blending: less productive type of word formation by which a new complex word arises by the blending of at least two lexemes, whereby the constituents are usually truncated. Kontaminationen wie z.B. gruscheln (← grüßen + kuscheln) und Kurlaub (← Kur + Urlaub) werden in der Forschung z.T. wie bei Donalies (2005: 90) als Untertyp der Komposition angesehen. Andere (Kobler-Trill 1994: 121; Fleischer/Barz 2012: 93; Fradin 2015: 388ff.) erkennen in der Kontamination einen eigenen Wortbildungstypus. Nach Fradin (2015: 389f.) weisen Kontaminationen im Gegensatz zu Komposita keine lexikalische Integrität der Wortbildungselemente auf, sind nicht reihenbildend und haben – wenn überhaupt – eine sehr schwache semantische Kompositionalität wie unterspezifizierte, also extrem polyseme N-N-Komposita (z.B. Fischfrau). Von der Kurzwortbildung unterscheiden sie sich dadurch, dass die Kürzung bereits im Rahmen der Komposition und nicht erst danach wie bei der Kurzwortbildung erfolgt. Auch sind die Ausgangskomplemente bei Kontaminationen im Gegensatz zu Kurzwörtern nicht immer ungekürzt als Komposita bildbar (*janein, aber Kururlaub). Kontaminationen haben meist nominale Konstituenten, selten

449 Kontinuativum aber auch verbale (z.B. airleben = open air erleben) und adjektivische (z.B. akadämlich) (vgl. Donalies 2005: 89; Fleischer/Barz 2012: 94). Kontaminationen lassen sich nach Fradin (2015: 394f.) allgemein-sprw. nach drei morphologischen Kriterien klassifizieren: (a) nach der Trunkierung, wobei entweder beide Konstituenten gekürzt wurden (z.B. engl. smog ← smoke + fog) oder nur die erste Konstituente (z.B. denglisch ← deutsch + englisch) oder die zweite (z.B. wildschön ← wild + bildschön) oder aber keine der beiden Konstituenten (z.B. Kurlaub ← Kur + Urlaub); (b) nach der Linearität der Konstituenten, d.h., ob der unter Umständen gekürzten ersten Konstituente eine unter Umständen gekürzte zweite Konstituente folgt (z.B. gruscheln ← grüßen + kuscheln) bzw. sich beide Konstituenten linear überlappen (z.B. K-urlaub ← Kur + Urlaub) oder ob eine nicht-lineare Kontamination wie bei dialügisch (← dialogisch + Lüge) vorliegt; (c) nach der Überlappung phonologisch ähnlicher Segmente, die bei K-ur-laub ← Kur + Urlaub vorliegt, aber bei brunch ← breakfast + lunch nicht. Im Dt. tritt meist der lineare Typ auf, bei dem in der ersten Komponente der Nukleus und der Silbenauslaut der letzten Silbe und in der zweiten Komponente der Silbenanlaut der ersten Silbe gekürzt (ja + nein → j-ein) wird oder es kommt zu einer Überlappung gleichlautender Silbenaus- bzw. -anlaute und Silbennuklei (Kur + Urlaub → K-ur-laub). Dabei bleiben nach Fleischer/Barz (2012: 94) die meisten Kontaminationen okkasionell, nur wenige wie jein oder verschlimmbessern sind lexikalisiert worden. Viele der lexikalisierten Kontaminationen im Dt. seien zudem im Engl. entstanden, wie z.B. Infotainment, Moped, Motel, Stagflation, Transistor. Igor Trost

→ § 31; Komposition; Kontraktion; Lexem; Produktivität ⇀ Kontamination (Wobi; Phon-Dt; Lexik; Dial) ⇁ blending (CG-Engl)

🕮 Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Fradin, B. [2015] Blending. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, Fr. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 386–413 ◾ Grésillon, A. [1984] La regle et le monstre. Le mot-valise. Tübingen ◾ Kobler-Trill, D. [1994] Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung (RGL 149). Tübingen.

Kontinuativum

semantisch definierte Teilklasse von Substantiven, die homogene Entitäten benennen. ▲ mass term; mass noun: semantically determined class of nouns that refer to homogeneous entities. Das Kontinuativum (Pl. Kontinuativa) bildet zusammen mit dem Kollektivum (Sammelname) die beiden Subklassen der Massennomina. Kontinuativa (1) bezeichnen anders als Kollektiva (2) homogene Einheiten, die nicht „natürlich voneinander abgegrenzt und daher nicht unmittelbar zählbar“ sind (Krifka 1991: 399) und bei Teilung ihre „konstitutiven Eigenschaften“ (Eisenberg 2006: 161) nicht verlieren. (1) die Milch, der Honig (2) der Schmuck Kontinuativa sind in jedem der Genera vertreten und weisen unterschiedliche Flexionsmuster auf. Kontinuativa sind transnumeral, d.h., sie weisen keine Numerusdistinktion auf (3), wobei im Dt. der Singular (Singularetantum) vorwiegt, der Plural (Pluraletantum) hingegen eher selten ist. (3) die Milch ist – *die Milche sind Die Verwendung bestimmter Kontinuativa im Pl. („Werkzeug- und Edelstähle, Öle und Fette, Biere und Säfte“ nach Eisenberg 2006: 161) bewirkt die Realisierung der Bedeutung 'Arten, Sorten von', den sog. Sorten-Plural (4) oder die Aktualisierung der homonymen Form als Appellativum (5). Dasselbe gilt auch für den Gebrauch der Kontinuativa im Sg. Auch die Verwendung mit dem unbestimmten Artikel bewirkt die Realisierung der Bedeutung 'Art, Sorte von' (6) und/oder aktualisiert das Appellativum der homonymen Form (7). (4) die Käse, (die) Öle (5) Paul hat gestern zwei Schnäpse getrunken. (6) ein Öl (7) Ich habe nur einen Schnaps getrunken. Da der syntaktische Kontext die entsprechende Aktualisierung festlegt, schlägt (Krifka 1991: 400) vor, die Distinktion Stoffname – Appellativum bzw. die Annahme einer Grundbedeutung aufzuheben, was jedoch bestritten wird (Eisenberg 2006: 161). Kontinuativa können anders als Appellativa auch im Sg. ohne Artikel ((8), (8a)) oder Determi­ natoren ((9), (9a)) stehen. (8) Gold ist teurer geworden. (8a) *Auto ist billiger geworden. (9) Alle kaufen Gold.

K

Kontraktion 450 (9a) *Keiner kauft mehr Auto. Anders als die Eigennamen (10) legen Kontinuativa bei artikellosem Gebrauch die Flexionsendung ab (10a): (10) Petras Mütze (10a) *Stahls Preis Kontinuativa können nicht mit Numeralia wie zwei, drei verknüpft werden (11), jedoch mit bestimmten Determinatoren wie viel, etwas, mehr, lauter (12). (11) zwei/drei Bücher – *zwei/drei Milch (12) viel/etwas/mehr/lauter Milch Die Quantifzierung von Kontinuativa erfolgt mittels einer Maßangabe wie Liter, Kilogramm, m3 (13). (13) drei Liter Milch

K

Heidi Flagner ≡ Stoffbezeichnung; Stoffname; Stoffsubstantiv ↔ Individuativum → Abstraktum; Appellativum; Kollektivum; Konkretum; Massennomen; Singularetantum; Substanznomen ⇀ Kontinuativum (CG-Dt; Lexik; SemPrag)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Krifka, M. [1989] Nominalreferenz und Zeitkonstitution. Zur Semantik von Massentermen, Pluraltermen und Aspektklassen (StTheoLing 10). München ◾ Krifka, M. [1991] Massennomina. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 399–418.

Kontraktion

Zusammenziehung zweier Silben oder Lexeme, in welcher ein intervokales Element ausfällt. ▲ contraction: contracting of two syllables or lexemes in which an intervocalic element is omitted. Die Kontraktion (lat. contractio 'Zusammenziehung') ist neben Onomatopöie und Wortneuschöpfung eine lexikalische Innovation, die i.A. nicht zu den Wortbildungen gezählt wird. Es können mehrere Varianten der Kontraktion unterschieden werden. Primär bezeichnet der Terminus Kontraktion Vorgang und Ergebnis der Zusammenziehung zweier Vokale aus urspr. verschiedenen Wörtern ((1), (2)), Silben ((2), (3), (5)) bzw. zweier durch einen Konsonanten getrennten Vokale ((1)–(5)), so dass durch Stammsilbenbetonung ein dazwischenliegendes konsonantisches Element ausfällt. (1) beim < bei dem (2) frz. au < *à le (3) mhd. lit < ahd. ligit 'liegt'

(4) mhd. seit 'sagt' < ahd. saget 'sagt' (5) zum < zu dem Manchmal entsteht durch die Zusammenziehung zweier Vokale ein Langvokal (3), ein anders lautender Vokal (2), ein Diphthong ((1), (4)), oder ein vokalischer Laut wird zugunsten des anderen aufgegeben (5) (Simmler 1998: 56ff.). Besondere Bedeutung hat die Kontraktion unter dem Terminus Synärese oder Synäresis (griech. synaíresis 'Synärese', 'Zusammenziehung') in der Gräzistik. Die Synärese zweier Vokale zu einem Diphthong oder einem Langvokal dient dann meist zur Meidung des Binnenhiats. Derartige Verben werden verba contracta genannt und können die Synärese in allen Formen der Konjugation aufweisen. Im Altgriech. treten zahlreiche kontrahierende Verben auf, deren Formen in Wbb. meist unkontrahiert, im fließenden Text jedoch oft kontrahiert wiedergegeben werden (6). (6) griech. τιμῶ < griech. τιμάω 'ich ehre' [Konjugationsparadigma: τιμῶ, τιμᾷς, τιμᾷ, τιμῶμεν, τιμᾶτε, τιμῶσι(ν)] Eine derartige Synärese zur Meidung des Binnenhiats kann beim Sprechen z.T. auch im Dt. beobachtet werden, ohne jedoch schriftspr. statthaft zu sein (7). (7) [iˈdjaːl] < ideal [ideˈʔaːl] In weiterer Interpretation werden manchmal auch andere Formen sprachlicher Verkürzungen (8), univerbierte Einheiten (9) und Klitika (10) Kontraktion genannt. Hierbei handelt es sich um die Tilgung einer Silbe mit konsonantischen sowie vokalischen Elementen (Eisenberg 2013: 190ff.). (8) im < in dem (9) engl. don’t < do not 'tu nicht' Sämtliche Kontraktionen können in drei Untergruppen aufgegliedert werden. (a) Die Zusammenziehung und die Vollform haben dieselbe Bedeutung. Diese Kontraktionen können auch Verschmelzung genannt werden, da sie noch nicht als Formen eigener Art anzusehen sind (10). Eine Verschmelzung lässt in der Regel erkennen, welchen Kasus und welches Genus die verschmolzene Artikelform hatte, was als Ordnungskriterium dienen kann (Hartmann 1978: 75). Eine Eigenfunktion hat die Verschmelzung nur in festen Syntagmen (11). (10) unters < 'unter das' (11) unterm < 'unter dem' [in 'unterm Rad' ]

451 (b) Die Zusammenziehungen sind voll grammatikalisiert; eine Vollform steht ihnen nicht mehr gegenüber (12). (12) Er ist am Musizieren. (c) Zusammenziehung und Vollform besitzen nicht mehr die gleiche Bedeutung ((13), (14)), (Hartmann 1978: 77). (13) im statt in dem (14) am statt an dem Eisenberg stellt fest, dass die Kontraktion auf die Vollform mit bestimmtem sowie mit unbestimmtem Artikel zu beziehen ist, da sich beide Artikel im Dativ und Akkusativ Sg. hinsichtlich des Auslautes nicht unterscheiden (15) (Eisenberg 1994: 267f.; Eisenberg 2013: 190ff.; Hartmann 1978: 75ff.). (15) am < an dem / an einem Steht eine Synärese in ostentativem Bruch mit Sprachkonventionen, handelt es sich um die rhetorische Figur des Metaplasmus. Oft ergibt sich die Kontraktion aus der Allegro-Sprechweise. Im Unterschied zum Klitikon lehnt sich in einer Kontraktion nicht zwingend ein schwächer betontes an ein stärker betontes Morphem bzw. Wort an. Maria Schädler ≡ Synärese; Verschmelzung; Verschmelzungsform; Zusammenziehung → Klitikon; Portmanteaumorphem; Präposition; Stammsilbe; verschmolzene Präposition ⇀ Kontraktion (Wobi; HistSprw; Schrling) ⇁ contraction (Phon-Engl)

🕮 Eisenberg, P. [1994] Grundriß der deutschen Grammatik. 3., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Haberland, H. [1985] Zum Problem der Verschmelzung von Präposition und bestimmtem Artikel im Deutschen. In: OBST 30: 82–106 ◾ Hartmann, D. [1978] Verschmelzungen als Varianten des bestimmten Artikels? Zur Semantik von Äußerungen mit präpositionalen Gefügen im Deutschen. In: Hartmann, D. et al. [Hg.] Sprache in Gegenwart und Geschichte. Festschrift für Heinrich Matthias Heinrichs zum 65. Geburtstag. Köln: 68–81 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie (GermLbs-Berlin 4). Berlin.

kontrastierende Negation

Negation einer Satzkonstituente, die durch den entsprechenden Kontrastakzent begleitet wird. ▲ special negation; contrastive negation: negation of a sentence constituent accompanied by the corresponding contrastive stress. Als kontrastierende Negation (auch: Sondernega-

kontrastierende Negation tion) wird eine der zwei Arten der Negation betrachtet, die nicht den ganzen Satz (Satznegation), sondern ein Satzglied / eine Satzkonstituente betrifft. In neueren Ansätzen wird behauptet, dass der Negation immer ein logischer Satz unterliegt. Bei kontrastierender Negation wird ebenfalls der ganze Satz negiert, aber gleichzeitig wird durch den Kontrastakzent ein Satzglied / eine Satzkon­ stituente intonatorisch hervorgehoben, wodurch mehrere von Alternativen für den entsprechenden negierten Satzteil eröffnet wird ((1), (2)). (1) Anna hat auf Peter nicht gewartet. [Satznegation] (2) Nicht auf Peter hat Anna gewartet. [kontrastierende Negation] In (1) wird der Sachverhalt negiert, dass „Anna auf Peter gewartet hat“. (2) besagt dasselbe, aber darüber hinaus wird hervorgehoben, dass Anna auf eine andere Person als Peter gewartet hat. Der Unterschied zwischen beiden Negationen wird auch dadurch erklärt, dass nur bei kontrastierender Negation die Existenz des Sachverhalts behauptet werden kann. Nur aus (2) kann man schließen, dass es einen Sachverhalt gegeben hat, in dem Anna auf jemand gewartet hat. In der Regel lässt sich die kontrastierende Negation durch ihre Position unmittelbar links vom Satzglied, das negiert wird, identifizieren. Dabei kann praktisch jedes Satzglied negiert werden (3). (3) Nicht Anna hat heute das Buch gekauft. (3a) Anna hat nicht heute das Buch gekauft. (3b) Anna hat heute nicht das Buch gekauft. (3c) Anna hat heute das Buch nicht gekauft. Eine eventuelle Fortsetzung der Sätze mittels der sondern- oder aber-Konstruktionen kann kontrastierende Negation explizieren. (4) Nicht Anna hat heute das Buch gekauft, sondern Peter. Die Negation des Prädikats in (3c) kann sowohl als Satz- als auch als kontrastierende Negation gedeutet werden. Neutrale Satzintonation mit üblicher Akzentuierung des Prädikats bzw. der Partikel nicht löst die Satznegation aus. Die kontrastierende Hervorhebung des Prädikats löst die kontrastierende Negation aus. (5) Anna hat heute das Buch NICHT gekauft. [Satznegation] (6) Anna hat heute das Buch nicht GEKAUFT (sondern geschenkt gekriegt). [kontrastierende Negation]

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Konversion 452

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Die prosodische Besonderheit der kontrastierenden Negation drückt sich auch darin aus, dass die entsprechende Akzentuierung einer beliebigen Konstituente eines negativ formulierten Satzes deren kontrastierende Negation auslösen kann. (7) ANNA hat heute das Buch nicht gekauft (aber Peter). (8) Anna hat HEUTE das Buch nicht gekauft (aber gestern schon). (9) Anna hat heute das BUCH nicht gekauft (aber eine Zeitschrift). (10) Anna hat heute das Buch nicht GEKAUFT (sondern geschenkt bekommen). Das widerlegt u.a. die These, dass sich die kontrastierende Negation immer links von der negierten Konstituente befindet. Im Wirkungsbereich (Skopus) der kontrastierenden Negation können sich komplexe und einfache Satzkonstituenten und sogar Wortbestandteile befinden. So wird z.B. in (11) eine Wortgruppe, in (12) ein Wort und in (13) ein Präfix durch Negation kontrastiert. (11) Anna ist heute nicht zum Arzt gegangen (sondern zu Hause geblieben). (12) Anna hat nicht Peter eingeladen (sondern Willi). (13) Anna hat heute das Buch nicht GEkauft (sondern VERkauft). Zifonun et al. (1997: 853ff.) ersetzen die Zweiteilung in kontrastierende Negation und nicht-kontrastierende Negation (traditionell Sondernegation und Satznegation) durch die Trichotomie 'kontrastierende Negation, fokussierende Negation, pauschale Negation'. Alla Paslawska ≡ Satzgliednegation ↔ nicht-kontrastierende Negation → Negation; Sondernegation → Gram-Syntax: Satzglied; Satzkonstituente; Satznegation ⇀ kontrastierende Negation (SemPrag)

🕮 Blühdorn, H. [2012] Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik (StDtSp 48). Tübingen ◾ Hentschel, E. [1998] Negation und Interrogation. Studien zur Universalität ihrer Funktionen (RGL 195). Tübingen ◾ Horn, L.R. [1989] A Nat­ ural History of Negation. Chicago, IL ◾ Jacobs, J. [1991] Negation. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 560–596 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Konversion

produktiver Wortbildungstyp, bei dem ohne Hinzu-

treten von Wortbildungsaffixen ein Wortartwechsel erfolgt. ▲ conversion: productive type of word formation in which the part of speech is changed without affixation. Nach Eichinger (2000: 45) wird der Terminus Konversion in der Forschung uneinheitlich verwendet. Dies betrifft sowohl die Frage der bei einer Konversion möglichen Ausgangsbasen als auch die in der Forschung umstrittenen Bedingungen der morphologischen Identität von Basis und Konvertat sowie der (Wortbildungs‑)Affixlosigkeit als Hauptunterscheidungsmerkmale zu den Derivationen: Basis von Konversionen können nach Fleischer/ Barz (2012: 87) neben einfachen (laufen → Lauf) und komplexen Lexemen (z.B. besuchen → Besuch) auch „freie oder phrasematische Syntagmen“ wie Dreikäsehoch sein, die auch als Zusammenrückung klassifiziert werden (Altmann 2011: 54). Fleischer/Barz (2012: 87) haben hinsichtlich der morphologischen Definition einen sehr weiten Konversionsbegriff: Sie erweitern die Bedingung der Identität von Basis und Konvertat um hist. Stammallomorphien, so dass die impliziten Ableitungen vom Typ fliegen → Flug ebenfalls als Konversionen interpretiert werden. Auch wird lediglich das Fehlen von Wortbildungsaffixen vorausgesetzt, nicht jedoch das Vorliegen von wortartfremden Flexionsaffixen. Dagegen interpretiert Motsch (2004: 325) wortartfremde Flexionsaffixe wie z.B. das verbale ‑en im deverbalen Substantivkonvertat das Lauf-en als Wortbildungsaffix und damit die ganze Wortbildung als Suffigierung. Motsch (2004: 17, 324) nimmt hier eine Sonderposition ein, da er auch Konversionen vom Typ laufv → LaufS anders bewertet und sie nicht als Wortbildungsmuster klassifiziert, sondern als doppelte Kategorisierung einer lexikalischen Einheit. Folgerichtig lehnt er den Wortbildungstypus der Konversion ab. Nach Fleischer/Barz (2012: 90) gibt es zwei Typen von Konversionsmodellen: (a) Bei der morphologischen Konversion wird das Basismorphem der Wortbildungsbasis unter Verlust etwaiger wortartspezifischer Flexionsmorpheme, wie dies im Dt. bei den Verben, die immer ein gebundenes Basismorphem aufweisen, der Fall ist, in die neue Wortart transponiert: ruf-en → der Ruf-∅. Zu den mor-

453 phologischen Konversionen zählen Fleischer/ Barz (2012: 89) wie Eichinger (2000: 73), aber im Gegensatz z.B. zu Eisenberg (2006: 295), auch die heute nicht mehr produktiven impliziten Ableitungen als Konversionen mit ablautbedingter Stammallomorphie, vgl. trinken → Trank, Trunk; werfen → Wurf. (b) Bei der syntaktischen Konversion wird die Basis samt ihren Flexionsmorphemen in die Zielwortart transponiert: trinken → das Trinken. Bei den deadjektivischen und departizipialen substantivischen Konvertaten bleibt dabei die Adjektivdeklination und die Genusvarianz erhalten, vgl. neu → der/die/das Neue und den Neuen, aber die/das Neue sowie studierend- → der/ die Studierende, aber den Studierenden / die Studierende. Die syntaktische Konversion wird in der Forschung u.a. wegen dieser Beibehaltung der Adjektivdeklination z.T. nicht als Wortbildungsprozess betrachtet, sondern der Syntax zugeordnet (vgl. Altmann 2011: 42), obwohl Konversionen lexikalisierbar sind (z.B. das Ansehen) und größtenteils die morphosyntaktischen Eigenschaften der Zielwortart übernehmen, wie z.B. die deverbalen Substantivkonvertate (vgl. Fleischer/Barz 2012: 89). Igor Trost ≡ Wortartwechsel → § 31; Derivation; Grundmorphem; Partizipialadjektiv; Produktivität; Stamm; substantivierter Infinitiv; Substantivierung → Gram-Syntax: syntaktische Konversion ⇀ Konversion (Wobi; CG-Dt; Lexik; Sprachphil; Onom; HistSprw) ⇁ conversion (CG-Engl; Typol)

🕮 Altmann, H. [2011] Prüfungswissen Wortbildung. Göttingen ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. 3., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.].

Konzessivadverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die den wirkungslosen oder unzureichenden Gegengrund für ein Geschehen angeben. ▲ concessive adverb: semantically defined subclass of adverbs which express an ineffective or inadequate reason against an action. Zu den Konzessivadverbien gehören u.a. dennoch, dessenungeachtet, gleichwohl, indessen,

konzessiver Subjunktor nichtsdestoweniger, trotzdem. Funktional können mehrere Elemente der Teilklasse anderen Teilklassen angehören. So lassen sich z.B. trotzdem und indessen auch als Konjunktionaladverb einstufen. (1) Wir haben die Probleme in unserem Studiengang längst beseitigt, erhalten aber trotzdem wieder schlechte Noten, [...]. (2) Vor dem Rathaus wird die Demonstration gestoppt. Dessenungeachtet tanzen die Leute zu lauter Musik. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ konzessives Adverb → Adverb; Konjunktionaladverb; konzessiver Subjunktor → Gram-Syntax: Konzessivangabe; konzessive Adverbialbestimmung; konzessive Satzverbindung

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

konzessive Konjunktion ≡ konzessiver Subjunktor

konzessive Subjunktion ≡ konzessiver Subjunktor

konzessiver Subjunktor

Konnektor, der einen subordinierten Konzessivsatz einleitet. ▲ concessive subjunctor: connector that marks an embedded concessive clause. Mit einem konzessiven Subjunktor wird im subordinierten Satz ein unzureichender Gegengrund genannt. Einerseits wird mit dem Subjunktor angegeben, dass zwischen zwei Sachverhalten kein logisches Grund-Folge-Verhältnis besteht, andererseits haben sich manche konzessive Subjunktoren in der Interaktion zu Diskursmarkern entwickelt und führen pragmatisch-konversationelle Funktionen aus. Die häufig verwendeten konzessiven Subjunktoren sind obwohl, obgleich (1); veraltet sind obschon und obzwar (2), die daher seltener vorkommen. (1) Obwohl/Obgleich sie die Verabredung bestätigte, blieb er skeptisch. (2) Obschon es regnete, nahmen wir keinen Schirm mit. Auch wenn (3) und wenn auch (4) gehören ebenfalls zur Gruppe von Subjunktoren, die einen un-

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konzessives Adverb 454 zureichenden Gegengrund zeigen, unterscheiden sich aber in der Semantik, denn in (3) wird die Eventualität, in (4) der Vergleich hervorgehoben. Obwohl (4) kann auch eine diskursorganiserende Rolle aufweisen (Auer/Günthner 2003). In diesem Fall führt der Subjunktor kein konzessives Verhältnis ein und der Konzessivsatz hat Verbzweitstellung. (3) Auch wenn das Bein schmerzt, geht er doch zum Sport. (4) Sevilla ist schön, auch wenn es sehr heiß ist. (5) In der Familie gibt's keine Erkrankungen, obwohl meine Oma hat Unterleibskrebs.

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Javier Martos ≡ konzessive Konjunktion; konzessive Subjunktion → Konjunktion; Konjunktionaladverb; Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Konzessivangabe; konzessive Satzverbindung; Konzessivsatz

🕮 Auer, P./ Günthner, S. [2003] Die Entstehung von Diskursmarkern im Deutschen – Ein Fall von Grammatikalisierung. In: LiSt 38 ◾ Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

konzessives Adverb ≡ Konzessivadverb

koordinierende Konjunktion ≡ Konjunktor

Kopf, morphologischer → morphologischer Kopf

Kopula

≡ Kopulaverb ⇀ Kopula (CG-Dt; Sprachphil)

Kopulapartikel

unveränderliches Wort, meist ein Adjektiv, das zu einem Kopulaverb eine prädikative Ergänzung bildet. ▲ copular particle; predicative adjective; adcopula: invariant word, usually an adjective, that forms a predicative complement to a copular verb. Die Kopulapartikel, auch als Adkopula bezeichnet, ist wegen ihrer Unflektierbarkeit den Partikeln i.w.S. zuzurechnen. Die Kopulapartikel kommt mit den sog. Kopulaverben sein, werden, tun, bleiben, finden, gehen, machen, scheinen vor und ist zusam-

men mit diesen semantisch entleerten Verben für den mitgeteilten Sachverhalt verantwortlich. Kopulapartikeln sind meistens Adjektive, die prädikativ verwendet werden: egal sein, ausfindig machen, gewahr werden, getrost sein, schade finden, los sein/werden, leid tun, schuld sein, pleite gehen. Neue Kopulapartikeln der Alltagssprache sind z.B. o.k. finden, schnuppe sein, k.o. sein, futsch sein. Auch Wortgruppen wie aus und vorbei sein, häufig auch mit Alliteration (z.B. fix und fertig machen/sein, gang und gäbe sein, null und nichtig finden, tip-top bleiben), können wegen vergleichbarer Funktion zu den Kopulapartikeln gezählt werden.

→ Adjektiv; Adkopula; Kopulaverb; Partikel → Gram-Syntax: prädikatives Adjektiv

Anna Molnár

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

kopulative Konjunktion ≡ additiver Konjunktor

kopulativer Konjunktor ≡ additiver Konjunktor

kopulatives Verb ≡ Kopulaverb

Kopulativverb ≡ Kopulaverb

Kopulaverb

Verb, das in Verbindung mit einem Substantiv, Adjektiv oder adjektivisch verwendeten Partizip das zusammengesetzte Prädikat bildet. ▲ copular verb: verb that forms, in connection with nouns, adjectives, or past participles, a complex nominal predicate. Als Kopulaverben treten im Dt. hauptsächlich sein und werden auf, seltener bleiben und scheinen ((1)–(7)). (1) Peter ist Lehrer. (2) Sie war ledig. (3) Sabine wurde Ärztin. (4) Das ist uns (un)bekannt. (5) Er blieb ruhig. (6) Das Geschäft bleibt heute geschlossen.

455 (7) Sein Angebot schien interessant. Das jeweilige nominale oder adjektivische Komplement tritt als Prädikativum auf und bildet zusammen mit dem Kopulaverb eine Kopula-Prädikativ-Konstruktion. In einigen Grammatiken wird die Verbindung von sein und Partizip II des transitiven Verbs ((8)–(10)), welche traditionell als Zustandspassiv bzw. sein-Passiv bezeichnet wird, ebenfalls als Kopula-Prädikativ-Konstruktion behandelt. (8) Das Tor ist geöffnet. (9) Der Zaun war weiß gestrichen. (10) Der Soldat war verwundet. Kopulaverben können im Gegensatz zu den Vollverben nicht selbständig als Satzprädikate auftreten. Im Unterschied zu den Hilfsverben (Auxiliarverben) haben sie jedoch ihre lexikalische Eigenbedeutung nicht gänzlich verloren, vgl. Er wurde wütend [zusammengesetztes Prädikat mit werden als Kopulaverb] vs. Er wurde gefragt [analytische Passivform mit werden als Auxiliarverb]. Deswegen sind Kopula-Prädikativ-Konstruktionen komplexe syntaktische Einheiten, während analytische Verbalformen mit Hilfsverben ganzheitliche morphologische Prädikate darstellen. Ein Kopulaverb übernimmt im Satz vor allem die Funktion des finiten Bindeelements zwischen dem Satzsubjekt und dem Prädikativum. Es indiziert somit die morphologischen Kategorien des Numerus, der Person, des Tempus und des Modus ((11)–(13)). (11) Du bist/ Er ist/ Ihr seid/ Sie sind schwach in Mathematik. (12) Wolfgang wird/wurde Student. (13) Das wäre wünschenswert. Zugleich drückt es aber abstrakte semantische Korrelationen aus, wie z.B. den Gegensatz zwischen Stativität und Mutativität, vgl. Peter ist/war Lehrer/erwachsen vs. Peter wird/wurde Lehrer/erwachsen. Umstritten ist, ob Kopulaverben eine eigene Valenz besitzen oder lediglich die Valenzeigenschaften des Prädikativums transportieren. Dennoch wird ihnen in den meisten Dependenzgrammatiken zumindest die strukturelle Valenz zuerkannt. Michaił L. Kotin ≡ Kopula; kopulatives Verb; Kopulativverb; Satzband ↔ Auxiliar; Vollverb → Adkopula; analytische Verbform; Hilfsverb; Kopulapartikel → Gram-Syntax: Prädikativum

kursives Verb

⇀ Kopulaverb (CG-Dt)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

kursives Verb

Verb, das einen dauernden, nicht abgeschlossenen Sachverhalt bezeichnet. ▲ durative verb: verb denoting a continuing, unfinished act or process. Die Verben der kursiven Aktionsart gehören in den Sprachen, die die grammatische Kategorie des Verbalaspekts besitzen (z.B. in der Slavia), zu dem imperfektiven Aspekt. Im Dt., das keine Aspektsprache ist, ist die kursive Aktionsart ein vorwiegend lexikalisch-semantisches Phänomen. Kursive Verben drücken Handlungen, Zustände, Ereignisse etc. aus, die keine innere zeitliche Grenze haben und daher nicht als abgeschlossen interpretiert werden können, z.B. suchen, lieben, wohnen, leben, dauern. Oft haben kursive Verben inchoative bzw. ingressive oder finitive bzw. perfektive oder auch terminative Entsprechungen, d.h., es sind Verben, die den Anfang oder das Ende (den Abschluss) der jeweiligen Handlung bzw. des jeweiligen Prozesses bezeichnen, vgl. aufblühen [ingressiv] – blühen [kursiv] – verblühen [perfektiv-finitiv]; leben [kursiv] – ableben/ sterben [finitiv]; suchen [kursiv] – finden [perfektiv]. Obwohl Kursivität im Dt. eine vorwiegend lexikalisch-semantische Erscheinung ist, gibt es für kursive Verben bestimmte grammatische Einschränkungen. So kann von kursiven Verben in der Regel kein sein-Passiv gebildet werden. Intransitive Kursiva bilden ihre Perfektformen mit dem Auxiliar haben, während intransitive Perfektiva das Perfekt oft mit sein bilden, vgl. hat gesessen vs. ist aufgestanden, hat geschlafen vs. ist erwacht etc., jedoch ist geblieben, ist gewesen. Zu den kursiven Verben gehört u.a. das Verb sein (als Voll- und als Kopulaverb). Michaił L. Kotin

→ Aktionsart; atelische Aktionsart; durative Aktionsart;

imperfektive Aktionsart; telische Aktionsart; terminative Aktionsart → Gram-Syntax: durativer Aspekt

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kursives Verb 456 🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für

K

den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

L ▲ latent dative: dative phrase in appositions which refers to a non-dative antecedent.

labiles Verb

≡ transitiv-intransitives Verb

langes Passiv

Passivbildung, bei der das Matrixverb passiviert und das direkte Objekt des infiniten Verbs zum Subjekt des Satzes wird. ▲ long passive: passive construction where the matrix verb is passivized and the direct object of the nonfinite verb becomes the subject of the sentence. Aus dem Aktivsatz mit einem Matrixverb mit zu + Infinitiv (1) kann ein Passivsatz (2) mit langem Passiv gebildet werden. (1) Er versuchte den Traktor zu reparieren. (2) Der Traktor wurde zu reparieren versucht. In (1) ist den Traktor das Objekt von reparieren. In (2) ist der Traktor das Subjekt von versuchen. Es ist möglich, die Konstruktion in einen weiteren Ma­ trix­satz einzubetten, in dem aus dem Aktivsatz (3) ein Passivsatz (4) mit langem Passiv gebildet wird. (3) [...] weil er versuchte den Traktor zu reparieren. (4) [...] weil der Traktor zu reparieren versucht wurde. Die Akzeptabilität des langen Passivs variiert in Abhängigkeit vom Sprecher und dessen Ideolekt und Dialekt. Tamás Kispál

→ Matrixverb; Passiv → Gram-Syntax: Akzeptabilität; direktes Objekt; Subjekt

🕮 Bader, M. [1996] Sprachverstehen. Syntax und Prosodie beim Lesen. Opladen ◾ Wöllstein-Leisten, A. [2001] Die Syntax der dritten Konstruktion. Tübingen.

latenter Dativ

Dativphrase bei Appositionen, die sich auf ein nicht dativisches Bezugswort bezieht.

Bei lockeren Appositionen ist die Kasusidentität der Normalfall (Eisenberg 2004: 442; Duden 2005: 991). Jedoch wird oftmals die Apposition in den Dativ gestellt, auch wenn ihr Bezugswort in einem anderen Kasus steht. Diese Strukturen gelten als nicht korrekt (Duden 2005: 992). Eisenberg (2004: 443) bringt u.a. folgende Beispiele: (1) Solche Zwischenfälle sind in den Fußballarenen Argentiniens, dem Austragungsland der nächsten Fußballweltmeisterschaft, an der Tagesordnung. (2) „Ein Fräulein“, übermittelte der Botschafter ans AA, der Postanschrift von Draecker, „ist last but not least auch eine Frau“. In (1) könnte man anstelle des Genitivattributs (Argentiniens) auch eine von-PP (von Argentinien) verwenden. Bei (2) kann das Verb übermitteln sowohl mit einem Adverbialkomplement (an + Akkusativ) als auch mit dem Dativobjekt realisiert werden (Eisenberg 2004: 491). Die Dativ-Apposition basiert also – so Eisenberg – auf einem vorhandenen bzw. latenten Dativ. Fabio Mollica

→ Dativ; grammatische Kongruenz → Gram-Syntax: Apposition; Dativapposition; inkongruente Apposition

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

Leerwort

≡ Synsemantikon

Leideform ≡ Passiv

Leitglied 458

Leitglied

spieler zur Nennform gehören (der rote Faden; zittern wie Espenlaub; Das ist doch die Höhe!).

Lexem

→ § 15; Wort; Wortform → Gram-Syntax: Lexikon (1); Lexikon (2); Sprachsystem ⇀ Lexem (Wobi; Lexik) ⇁ lexeme (Typol)

≡ finite Verbform

Einheit des Sprachsystems, die die zu einer Bedeutung gehörenden morphologischen Wortformen umfasst. ▲ lexeme: unit of the language system representing the variants of meaning and word forms that belong to one signifier.

L

Das Lexem ist eine Einheit des Lexikons und wird auch als lexikalische Einheit, lexikalisches Wort oder Lexikonwort bezeichnet. Das Lexem umfasst alle einem Zeichenformativ zugehörigen Bedeutungsvarianten (Sememe). Z.B. gehören zum Lexem Quelle die Sememe (1) bis (4) (vgl. DGWDAF 2000). (1) Wasser, das aus der Erde tritt (2) Ursache, Ausgangspunkt (3) Person oder Stelle, die bestimmte Informationen gegeben hat oder geben kann (4) Text (Originaldokument) Dieser Auffassung zufolge sind im Dt. die meisten Lexeme mehrdeutig. Eine andere Ansicht vertritt z.B. Herbermann (2002), der in den Bedeutungen (1)–(4) jeweils eigenständige Lexeme sieht. In der modernen Sprw. geht man meistens davon aus, dass Lexeme unterschiedlich strukturiert sein können und in Form von Simplizia, Wortbildungskonstruktionen oder Phrasemen aller Art auftreten. Alternativ kann man eine übergeordnete Kategorie Vokabel (semantisches Wort) ansetzen und das Lexem lediglich als Repräsentant aller Realisierungsformen betrachten. Eine Vokabel besteht demzufolge aus einem oder aus mehreren Lexemen, wobei Letztere die so genannten Mehrworteinheiten (Phraseme) bilden. Unter den Phraseologen ist diese Ansicht nicht weit verbreitet, da sie unter Phrasemen i.A. lexikalische Einheiten, also Lexeme verstehen. Unbestritten ist hingegen, dass zu einem Lexem sämtliche Wortformen entsprechend dem Flexionsparadigma gehören (zum Lexem Fluss folglich Fluss, Flusses, Flüsse, Flüssen, zu schwimmen schwimme, schwimmst, schwimmt, schwamm, geschwommen etc.). Das Lexem selbst wird in der Nennform angegeben, die bei Substantiven in der Regel der Nominativ Sg. ist, bei Verben der Infinitiv, bei Adjektiven der undeklinierte Positiv. Gleiches gilt für Phraseme, bei denen alle obligatorischen Mit-

Antje Heine

🕮 DGWDAF [2000] = Kempcke, G. [Hg.] Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Berlin [etc.] ◾ Herbermann, C.-P. [2002] Das Wort als lexikalische Einheit. In: Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.R. [Hg.] Lexikologie (HSK 21.1). Berlin [etc.]: 14–33 ◾ Schippan, T. [2002] Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Lexeminterjektion

Interjektion, die aus einer oder mehreren bedeutungstragenden lexikalischen Einheiten abgeleitet ist und mit der eine ungegliederte Äußerung, meistens ein Ausruf, realisiert wird. ▲ lexical interjection: interjection which is derived from one or more lexical units and which realizes an independent utterance, usually an exclamation. Die meisten Lexeminterjektionen werden aus Verben abgeleitet (1). (1) ächz, seufz, jammer, schwitz, kirsch Die ursprüngliche lexikalische Bedeutung bleibt in ihnen enthalten. Sie dienen jedoch zum Ausdruck ungegliederter Ausrufe, mit denen Gefühle des Sprechers ausgedrückt werden sollen, ähnlich wie mit primären Interjektionen. Weitere Lexeminterjektionen können auf Mehrwortäußerungen zurückgeführt werden wie herrjemine (Herr Jesus Domine). Am Rande der Kategorie stehen interjektionale Verwendungen lexikalischer Einheiten oder Mehrwortkonstruktionen (2), deren Zuordnung umstritten ist. (2) zum Teufel, zur Hölle, Donnerwetter, Scheiße Die Lexeminterjektionen werden auch sekundäre Interjektionen genannt.

→ Interjektion; Verb

Attila Péteri

🕮 Burkhardt, A. [1998] Interjektionen: Begriff, Geschichte(n), Paraphrasen. In: Harden, T./ Hentschel, E. [Hg.] Particulae particularum. Festschrift zum 60. Geburtstag von Harald Weydt. Tübingen: 43–73 ◾ Fries, N. [1992] Interjektionen. In: Rosengren, I. [Hg.] Satz und Illokution. Tübingen: 307–341.

lexikalische Kategorie

grammatisch relevantes semantisches Merkmalsbündel, das die Zugehörigkeit eines Lexems zu einer Wortart bestimmt.

459

lexikalischer Kasus

▲ lexical category: grammar-relevant semantic clus-

ter of features that determines membership of a lexeme in a word class. Lexikalische Kategorien einer flektierenden Sprache decken sich weitestgehend mit deren Wortarteninventar. Für das Dt. lassen sich folgende lexikalische Kategorien bestimmen: deklinierbare (Nomen bzw. Subst., Adj., Pron., Artikel), konjugierbare (Verb) und nicht flektierbare (Adverb, Kardinalzahl außer ein, Partikel, Präp., Konjunktion, Interjektion). Michaił L. Kotin

→ Lexem; Wortart; Wortklasse → Gram-Syntax: funktionale Kategorie; syntaktische Kategorie ⇀ lexikalische Kategorie (CG-Dt) ⇁ lexical category (CG-Engl)

🕮 Lehmann, C. [2002] New reflections on grammaticalization and lexicalization. In: Wischer, I./ Diewald, G. [eds.] New reflections on grammaticalization. Amsterdam [etc.]: 1–18.

lexikalische Struktur

morphologische und semantische Struktur von Lexemen bzw. paradigmatische Struktur der Lexik. ▲ lexical structure: morphological and semantic structure of lexemes, or the paradigmatic structure of the lexicon. Eine lexikalische Struktur besteht (a) aus den Komponenten des Lexems (lexemintern), (b) aus den paradigmatischen Sinnrelationen eines Lexems (lexemextern). (a) Die interne lexikalische Struktur besteht aus grammatikalischen (Flexionsund Derivationsmorphemen) sowie lexikalischen Morphemen und ist Beschreibungsgegenstand der Morphologie. Es existieren unterschiedliche formale, kombinatorische und inhaltliche Klassifizierungskriterien. Die lexikalischen Morpheme können unterschiedlichen Wortarten angehören und werden auch als Stamm-, Grund- oder Basismorpheme bezeichnet. Bei der Analyse der unterschiedlichen Prozesse der Wortbildung spielt die Identifikation der einzelnen Morpheme für die Beschreibung der internen lexikalischen Struktur eine wesentliche Rolle. (b) Die externe lexikalische Struktur ist durch unterschiedliche paradigmatische Sinnrelationen, wie u.a. Antonymie (und ihre unterschiedlichen Typen), Synonymie und Hyperonymie zu erklären und wird vor allem in der lexikalischen Semantik genauer untersucht. Meike Meliss

→ freies Morphem; gebundenes Morphem; grammatisches

Morphem; Grundmorphem; lexikalisches Morphem; lexikalisches Paradigma

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Harm, V. [2015] Einführung in die Lexikologie. Darmstadt ◾ Lutzeier P.R. [2001] Lexikologie. Ein Arbeitsbuch. Tübingen ◾ Roelcke, T. [2008] Paradigmatische Relationen der Exklusion und Opposition III: Konversivität. In: Cruse, D.A. et al. [Hg.] Lexikologie (HSK 21.1). Berlin [etc]: 511–527 ◾ Römer, C./ Matzke, B. [2010] Der deutsche Wortschatz. Tübingen ◾ Römer, C. [2005] Lexikologie des Deutschen. 2. Aufl. Tübingen ◾ Schippan, T. [2002] Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. 2., unveränd. Aufl. Tübingen ◾ Schlaefer, M. [2009] Lexikologie und Lexikographie. Eine Einführung am Beispiel deutscher Wörterbücher (GrdlG 40). 2., korr. Aufl. Berlin.

lexikalischer Kasus

im Lexikoneintrag des kasuszuweisenden Lexems vermerkter Kasus. ▲ lexical case: case noted in the lexicon entry of the case-assigning lexeme.

In der GG werden die Kasus u.a. in lexikalische und strukturelle Kasus unterteilt. Im Gegensatz zum strukturellen Kasus, der in Abhängigkeit von der Position alterniert, ist der lexikalische Kasus nicht variabel, sondern von Eigenschaften des kasuszuweisenden Lexems (Verb, Nomen, Präposition) abhängig und eng mit einer semantischen Rolle (Theta-Rolle) verknüpft (vgl. Dürscheid 1999). Da es sich dabei typischerweise um eine nicht-ableitbare Kasusmarkierung handelt, wird sie im Lexikoneintrag vermerkt. Für das Dt. ist anfangs angenommen worden, dass Nominativ und Akkusativ in Abhängigkeit von ihrer Strukturposition zugewiesen werden (1) und bei bleibender thematischer Rolle syntaktisch alternieren können (2). (1) Der Direktor begrüßt die Künstlerin[Akkusativ]. (1a) Den Direktor begrüßt die Künstlerin[Nominativ]. (2) Der Direktor begrüßte zuerst die Künstlerin[Akkusativ, Patiens]. (2a) Zuerst wurde die Künstlerin[Nominativ, Patiens] begrüßt. Dagegen würden Dativ und Genitiv vom Verb vergeben und seien lexikalische Kasus. Damit war dann die Annahme verbunden, dass lexikalische Kasus „immun gegenüber syntaktischer Alternation“ (Czepluch 1988: 286) sind. Allerdings haben verschiedene Arbeiten (u.a. Wegener 1991;

L

lexikalisches Morphem 460

L

Primus 2003) nachgewiesen, dass diese Kasuszuweisungsprinzipien nicht universeller Natur sind und ihre Evidenz z.B. für das Dt. fraglich ist, weil der als lexikalischer Kasus geltende Dativ in bestimmten Konfigurationen (bei rezipientenpassivfähigen Verben) alterniert und demzufolge als strukturell zu klassifizieren ist (3). (3) Der Chefarzt verband ihm[Dativ, Rezipient] den Arm. (3a) Er[Nominativ, Rezipient] bekam den Arm vom Chefarzt verbunden. Primus (2003: 122f.) führt u.a. auch neuroling. Befunde an, wonach sprachliche Informationen inkrementell verarbeitet werden, so dass „aufgrund allgemeiner sprachlicher Präferenzen sofort eine Option gewählt und ggf. später verworfen, d.h. reanalysiert [wird]. Auf den Kasus angewandt bedeutet dies, dass diese sofort verarbeitet werden und zwar noch vor dem finiten Verb, wie die Experimente mit Verbletztsätzen im Deutschen demonstrieren“. Während das Genitivobjekt im Dt. lexemspezifisch und mit einer bestimmten semantischen Rolle gebunden vergeben wird, erscheint der Genitiv in adnominaler Relation als struktureller Kasus (Gallmann 1990; Dürscheid 1999), ((4)–(6)). (4) Er entsann sich seiner Anfänge als junger Arzt. (5) Er war des Wartens überdrüssig. (6) Das Experiment des Chemikers misslang. Auch Nominativ und Akkusativ können nicht absolut den strukturellen Kasus zugeordnet werden (Dürscheid 1999: 60): Bei Empfindungsverben und Symmetrieverben erfolgt z.B. kein Akkusativ-Nominativ-Wechsel ((7), (8)). (7) Ihn schmerzt der Verlust. (7a) *Er wird vom Verlust geschmerzt. (8) Der Sohn ähnelt dem Vater. (8a) *Der Vater wird vom Sohn geähnelt. Daraus ergibt sich, dass kontextunabhängig Kasus nicht als strukturell oder lexikalisch festgelegt werden können, sondern stets über den jeweiligen Konstruktionstypus zu bestimmen sind (vgl. Dürscheid 2010: 133). Nach Gallmann (1990: 42f.) vermögen Nomen keinen lexikalischen Kasus zuzuweisen, was sich bei der Nominalisierung entsprechender Verben zeige; in diesen Fällen komme es zu einer Präposition-Zuweisung (9). (9) Er dankt den Freunden für die Unterstützung.

(9a) *sein Dank den Freunden für die Unterstützung. (9b) sein Dank an die Freunde für die Unterstützung. Hinsichtlich der Verwendung der Termini gibt es Widersprüchlichkeiten: Verschiedentlich wird lexikalisch mit inhärent gleichgesetzt, wobei inhärent auch im Sinne von 'oblique' verstanden wird; daneben findet sich auch eine strikte Trennung beider Termini und inhärent wird für Kasus verwendet, die eine bestimmte Strukturposition einnehmen und deren thematische Rolle konstant ist (vgl. Ekberg 2012). Petra Szatmári

→ Akkusativ; Dativ; Genitiv; Kasus; Lexem; Nominativ → Gram-Syntax: casus obliquus; inhärenter Kasus; Kasuszu-

weisung; Lexikon (2); nicht-struktureller Kasus; struktureller Kasus

🕮 Czepluch, H. [1988] Kasusmorphologie und Kasusrelationen. Überlegungen zur Kasustheorie am Beispiel des Deutschen. In: LB 116: 275–310 ◾ Dürscheid, C. [1999] Die verbalen Kasus des Deutschen. Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive (StLingGerm 53). Berlin [etc.] ◾ Dürscheid, C. [2010] Syntax. Grundlagen und Theorien. 5., durchgesehene Aufl. Göttingen. ◾ Ekberg, J. [2012] Aspekte des Dativs. Zur Relation zwischen der Dativ-DP und der Ereignisstruktur der Verben in ditransitiven Konstruktionen im Deutschen. Lund ◾ Gallmann, P. [1990] Kategoriell komplexe Wortformen. Das Zusammenwirken von Morphologie und Syntax bei der Flexion von Nomen und Adjektiv (RGL 108). Tübingen ◾ Primus, B. [2003] Kasus und Struktur. In: Willems, K./ Coene, A./ Pottelberge, J. van [Hg.] Valenztheorie: Neuere Perspektiven (StGermGard 2003/2). Gent: 115–141 ◾ Wegener, H. [1991] Der Dativ – ein struktureller Kasus? In: Fanselow, G./ Felix, S. [Hg.] Strukturen und Merkmale syntaktischer Kategorien (StDG 39). Tübingen: 70–103.

lexikalisches Morphem

Bedeutung tragendes Morphem mit Bezug auf Gegenstände, Sachverhalte, Eigenschaften etc. ▲ lexical morpheme: morpheme used to express a concrete meaning referring to objects, facts, qualities etc.

Lexikalische Morpheme bilden in den meisten Sprachen eine offene Klasse und beziehen sich auf Adverbien, Adjektive, Verben, Substantive. Es gibt sowohl freie als auch gebundene lexikalische Morpheme. Beispiele sind im Dt. Haus, Tür, schön, drei, sprech- in sprechen, Sprecher, phob in Phobie, anglophob, Brom- in Brombeere. Die Grenze zwischen lexikalischen und gebundenen Morphemen ist nicht immer klar. Hilke Elsen

461 Lexikalisierung

→ gebundenes Morphem; Lexem; Morphem ⇀ lexikalisches Morphem (Wobi; CG-Dt; Lexik) ⇁ lexical morpheme (CG-Engl; Typol)

🕮 Croft, W. [2000] Lexical and grammatical meaning. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 257–263 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

lexikalisches Paradigma

Menge austauschbarer Elemente einer Wortart, die eine semantische Beziehung zueinander aufweisen. ▲ lexical paradigm: set of interchangeable elements of a word class which have a semantic relation to each other. Bei einem lexikalischen Paradigma handelt es sich um austauschbare Lexeme der gleichen Wortart, die in einem semantischen Merkmal übereinstimmen. Die Elemente des lexikalischen Paradigmas stehen daher in einer paradigmatischen Beziehung zueinander und nehmen innerhalb des Syntagmas die gleiche Position samt der grammatischen Kategorien ein ((1), (2)). (1) Die Nelke blüht rot. (2) Die Rose blüht rot. Damit können die Elemente unterschiedliche Relationen (u.a. Synonymie, Antonymie, Hyperonymie (3), Hyponymie (4)) zueinander einnehmen, wobei dann die Lexeme nicht nur austauschbar sind, sondern sich auch gegenseitig ausschließen können. (3) Die Blume blüht rot. (4) Die Zwergrose blüht rot. Zudem ist dieses Paradigma erweiterbar und besteht nicht, wie andere Paradigmen, z.B. grammatische, aus einem abgeschlossenen Set an Elementen, die in einem bestimmten Kontext angewandt werden können. Aufgrund der semantischen Merkmale sind diese Paradigmen eher subjektiv und können auch als Wortfeld bezeichnet werden. Nicole Palliwoda

→ Merkmalanalyse; Paradigma; Wortart; Wortfeld → Gram-Syntax: paradigmatische Beziehung; syntagmatische Beziehung

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Henne, H. [1972] Semantik und Lexikographie. Untersuchungen zur lexikalischen Kodifikation der deutschen Sprache (SLG 7). Berlin [etc.] ◾ Löbner, S. [2015] Semantik. Eine Einführung. 2., aktual. und stark erw. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Schwarz-Friesel, M./ Chur, J. [2014] Semantik. Ein Arbeitsbuch. 6., grundlegend überarb.

und erw. Aufl. Tübingen ◾ Wunderlich, D. [1991] Arbeitsbuch Semantik. 2., erg. Aufl. Frankfurt/Main.

Lexikalisierung

Prozess, bei dem sich ein ursprünglich in seiner Bedeutung kompositionell erschließbares komplexes Lexem oder Syntagma zu einer holistischen lexikalischen Einheit entwickelt. ▲ lexicalization: process whereby a complex lexeme or syntagma with a compositional meaning becomes a holistic lexical unit. Das Hauptverwendungsgebiet des Terminus Lexikalisierung ist die Wortbildungstheorie, doch ist er keineswegs darauf beschränkt (vgl. Bakken 2006). Im Bereich der Wortbildung wiederum sind Gebrauch und theoretischer Stellenwert des Terminus davon abhängig, wie sehr in den verschiedenen linguistischen Schulen und ihren wortbildungstheoretischen Ansätzen der Fokus auf den regelhaften Prozessen liegt, mittels derer komplexe Wörter gebildet und in ihrer Bedeutung erschlossen werden können (Motiviertheit). Vor diesem Hintergrund ist auch das engere Verständnis des Terminus zu explizieren: Als lexikalisiert können – mindestens – alle Wortbildungen (oder Syntagmen) gelten, deren Bedeutung sich nicht oder nur noch teilweise auf die Bedeutung der Einzelbestandteile und ein regelhaftes Bildungsmuster zurückführen lässt. Nicht lexikalisiert, sondern voll motiviert sind demnach z.B. die deverbalen Derivationen auf -er wie Leser oder Schreiber, weil sich deren Bedeutung nach dem Muster x-er = 'jemand, der x-t' [mit x als Variable für Verbstämme] angeben lässt. Dagegen sind Fehler oder Unternehmer zwar genauso gebildet, aber nicht (mehr) in dieser Weise motiviert und entsprechend als (bereits) lexikalisierte Wortbildungen anzusehen. Eindeutig lexikalisiert sind Wortbildungen wie Nachtigall, die gegenwartssprachlich nicht einmal mehr sinnvoll als komplexe Formen analysierbar sind und schon deshalb als einzelne lexikalische Einheit gelernt werden müssen. Lexikalisierung ist in diesem Verständnis ein diachroner, gradueller Prozess der Konventionalisierung von Wortbildungen, der sich unter synchroner Perspektive als „Überlagerung generalisierbarer Wortbildungsprozesse“ beschreiben lässt (Lipka 1981: 131). Damit eng verwandt, aber nicht unbedingt synonym, sind

L

logisches Adverb 462

L

die Termini Demotivierung und Idiomatisierung (vgl. z.B. Lipka 1981: 120–122). Was (außerdem) unter den Begriff Lexikalisierung fällt und was nicht, hängt vom Lexikonbegriff ab. Wird das Lexikon verstanden als die Gesamtmenge der lexikalischen Einheiten im Sinne von sprachlichen Konstruktionen, mit denen sich eine bestimmte Bedeutung bzw. ein Konzept ausdrücken lässt (neben monomorphematischen Einheiten auch komplexe Wörter oder idiomatische Wendungen), und wird dabei Lexikalisierung als Erweiterung des Lexikons angesehen, so umfasst der Begriff in diesem weiten Verständnis verschiedene Prozesse: Neben der Konventionalisierung (mit oder ohne Demotivierung) von Wortbildungsprodukten auch die Idiomatisierung von Phrasen (sog. Phraseologismen wie die Arschkarte ziehen), die Aufnahme und Integration von Fremdwörtern und die Bedeutungsverschiebungen, die Wörter durch neue Kontextualisierungen oder metaphorischen Gebrauch erfahren können (z.B. Knete in der Bedeutung von 'Geld'). Ob ein Ausdruck als lexikalisiert gelten kann, ist abhängig von der individuell und situationell empfundenen Motiviertheit von komplexen Wörtern oder Syntagmen, womit sich die enge terminologische Verknüpfung von Lexikalisierung und Konventionalisierung als problematisch erweist, zumindest aber ausdifferenziert werden muss (vgl. Bakken 2006: 107f.). Was für den einen Sprachteilnehmer ein kompositionell erschließbares komplexes Lexem ist, kann für den anderen ein holistisches, in seiner Kompositionalität demotiviertes oder gar intransparentes Lexem sein. Was in einer Situation als ein Ausdruck mit konventionalisierter Bedeutung gebraucht wird, kann in einer anderen Situation neu motiviert werden (z.B. Fehler als Ad-hoc-Bezeichnung für jemanden, der in Seminaren, auf Arbeit etc. ständig fehlt). Mit solchen Unterscheidungen ist wieder die Frage berührt, was der Lexikonbegriff alles umfasst: Den kollektiven Wortschatz einer Sprache oder je nur den einzelner Sprecher? Nur das Idiosynkratische, das nicht nach Regeln gebildet oder erschlossen werden kann, oder auch motivierte kompositionelle Lexeme oder Syntagmen, die als Ganze abgespeichert sind, obwohl sie ebenso durch Regeln erschließbar wären? Letztere Position wird z.B. von Eisenberg (2013: 206f.) vertreten. Ob Grammatikalisierung als ein der Lexikalisie-

rung entgegengesetzter Prozess (und damit als Antonym) gelten sollte, ist umstritten (vgl. Himmelmann 2004). Karsten Schmidt

→ Lexem; Wortbildung → Gram-Syntax: Grammatikalisierung; Lexikon (1); Lexikon (2); mentales Lexikon; Syntagma

⇀ Lexikalisierung (Wobi; SemPrag; QL-Dt; Lexik; CG-Dt) ⇁ lexicalization (Typol; TheoMethods)

🕮 Bakken, K. [2006] Lexicalization. In: Brown, K. et al. [eds.] Encyclopedia of Language and Linguistics. 2nd ed. Amsterdam: 106–108 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Himmelmann, N.P. [2004] Lexicalization and grammaticization. Opposite or orthogonal? In: Bisang, W./ Himmelmann, N.P./ Wiemer, B. [eds.] What makes Grammaticalization? A Look from its Fringes and its Components. Berlin [etc.]: 21–42 ◾ Lipka, L. [1981] Zur Lexikalisierung im Deutschen und Englischen. In: Lipka, L./ Günther, H. [Hg.] Wortbildung (WF 564). Darmstadt: 119–132.

logisches Adverb

Adverb mit logischer Implikation, das Schlussfolgerungen indiziert. ▲ logical adverb: adverb implying a logical conclusion. Logische Adverbien signalisieren eine Schlussfolgerung und verbinden wie die Konjunktionen Sätze semantisch miteinander, z.B. also, demnach, folglich, mithin, somit. Die Wortstellung ist freier (1) als die der Konjunktionen. So drücken die kausalen Konjunktionen denn und weil ebenfalls einen logischen Zusammenhang aus, stehen aber immer in Spitzenposition (2). (1) Die Nachfrage steigt, also/demnach/folglich/ mithin/somit steigen auch die Preise. (2) Die Preise steigen, weil die Nachfrage größer wird/ denn die Nachfrage wird größer. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; Geltungsadverb; Konjunktion; Konjunktionaladverb; Modaladverb; modifikatives Adverb

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Lokaladjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine lokale Beziehung bezeichnen. ▲ local adjective: semantically defined subclass of adjectives which characterise a relation to a location. Lokaladjektive sind Ausdrücke wie obere, untere,

463 Lokaladverb äußere, innere, hintere, vordere, die nur attributiv verwendet werden. Zudem bilden sie keine Komparativ-, sondern nur Superlativformen wie oberste, unterste, äußerste, innerste, hinterste, vorderste. (1) Fünf der sechs Planeten umkreisen ihren Zentralstern in weniger als 50 Tagen und damit auf engeren Umlaufbahnen als Merkur, der innerste Planet unserer Sonne. […]. Lediglich der äußerste Planet zeigt eine Periode von 118 Tagen. (SZ, 03.02.2011: 16) Die Superlativformen werden auch als Elativ gebraucht, um einen besonderen hohen Grad zum Ausdruck zu bringen ((2), (3)). Mitunter kommt der Elativ in festen adverbialen Wendungen vor (4). (2) Gerade jetzt, […], sei äußerste Vorsicht geboten. (SZ, 24.03.2011: 26) (3) Dieser innerste Zirkel besteht aus den 18 mächtigsten Notenbankern: […]. (SZ, 20.08.2013: 19) (4) Nordkorea testet die Geduld Chinas aufs äußerste und riskiert viel. (SZ, 13.02.2013: 2) Jussara Paranhos Zitterbart

→ absoluter Superlativ; Adverbialadjektiv; Komparation; Lokaladverb; lokale Präposition; Temporaladjektiv

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Lokaladverb

semantisch definierte Klasse der Adverbien, die den konkreten Kommunikationsraum eines Geschehens charakterisieren oder eine lokale Beziehung bezeichnen. ▲ local adverb: semantically defined class of adverbs which characterize a concrete location of communication or a relation to a locality. Lokaladverbien charakterisieren Gesprächssituationen nach ihren konkreten räumlichen Bedingungen und gemäß der Leiblichkeit der Gesprächspartner. Dabei sind die Blickstellung des Sprechers und die des Hörers relevant. Zu der Klasse der Lokaladverbien gehören die Deiktika da, hier und dort, weitere komplexe Ausdrücke wie diesseits, irgendwo, nirgends, nirgendwo, die Richtungssadverbien hin und her, Dimensionsadverbien (vorne, oben, rechts, außen, innen u.v.a.) und Frageformen (wo, woran, worauf, worin

u.v.a.). Die drei Teilklassen können zu komplexeren Formen kombiniert werden (dahin, hierher); auch ist eine Kombination mit Präpositionen möglich (darauf, dahinter). Die Deiktika da, hier und dort haben unterschiedliche Bedeutungen. Die allgemeinste und neutralste Bedeutung besitzt da. Es wird deswegen umfassend auch als Situationsadverb bezeichnet. Zudem kann da auf der Textebene eine wiederaufnehmende Funktion erfüllen. (1) Uneinigkeit herrscht allerdings bei verschiedenen Bauprojekten, wie bei der Südumgehung. Da [wiederaufnehmende Funktion] stehe ich dann schon alleine da [lokale Bedeutung], sagt der Dezernent. Das Deiktikum hier situiert eine Äußerung im konkreten Kommunikationsraum eindeutig beim Sprecher und den von ihm gemeinten Objekten bzw. Ereignissen. Dieser Bezugsbereich kann auch die psychische Nähe sein (2). Dabei kann es sich außerdem um einen Zeitpunkt in der Rede (3) oder eine Stelle im Text handeln. Deshalb werden Lokaladverbien umfassend auch Positionsadverbien genannt. (2) Und jetzt bin ich hier, bei der Wahrheitskommission. (3) Das ist die erste Generation, mit der die kommerzielle Nutzung der Kernenergie begonnen hat. Wenn wir hier abbrechen, dann sind die in ein paar Jahren weg. Dagegen wird dort gebraucht, wenn die Sprecherposition ausgeschlossen werden soll. Im konkreten Kommunikationsraum ist dabei auch dann die Hörerposition ausgeschlossen. Sind Sprecher und Hörer räumlich getrennt, z.B. bei Telefongesprächen, kann dies aufgehoben werden. Die Referenzposition wird mit dort bezeichnet (4), das Adverb kann auch auf Textstellen oder auf vorangehende Kontexte verweisen (5). (4) Von Erlangen aus wandert man ca. drei Stunden bis in das Dorf. Dort ist im Gasthof „Zum Hirsch“ das Essen. (5) Der Professor äußerte sich auch zur ARDSendung vom März. Dort waren Ergebnisse einer Studie zitiert worden, [...]. Hier und dort können ebenso aufgrund ihrer kontextuellen-situativen Bedeutung als relationale Adverbien bezeichnet werden. Jussara Paranhos Zitterbart

L

lokale Präposition 464 ≡ lokales Adverb; Ortsadverb; Positionsadverb → Adverb; direktives Adverb; Lokaladjektiv; lokale Präposition; relationales Adverb; Richtungsadverb → Gram-Syntax: Deixis; Lokalangabe; lokale Adverbialbestimmung ⇁ local adverb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

lokale Präposition

Präposition, mit der eine Lokalisierung zum Ausdruck gebracht wird. ▲ spatial preposition: preposition denoting a location.

L

Die Klasse der lokalen oder räumlichen Präpositionen wird traditionell in die beiden Subklassen der lokativen Präpositionen, die ein statisches Verhältnis (Ort, Lage), und direktiven Präpositionen, die ein dynamisches Verhältnis im Raum (Richtung) bezeichnen, aufgeteilt. Jedoch schwankt die sprw. Terminologie; so etwa heißen die beiden Subklassen bei Zifonun et al. (1997: 2105) lokale Präp. und direktive Präp., als Oberbegriff wird lokative Präp. verwendet. Bei den meisten dt. Präpositionen, die lokal verwendet werden, ist die Zuordnung zu einer der beiden Subklassen von der konkreten Verwendung im Kontext abhängig, vgl. aufs Land vs. auf dem Lande, zu seinen Freunden vs. zu Köln; nach und gen sind, falls lokal gebraucht, immer direktiv; bei, längs, unterhalb und andere lokativ (vgl. engl. towards und into, die direktiv sind). Unter den lokalen Präpositionen im Dt. gibt es einige mit fester Rektion (z.B. zu, nach und gegen), aber die meisten sind rektionsvariable Präpositionen (z.B. an, auf, zwischen, in), die den Akkusativ regieren, wenn sie ein „entstehendes“ Verhältnis denotieren, und den Dativ, wenn sie ein „bestehendes“ Verhältnis denotieren (Terminologie nach Hermann Paul). Manchmal treten Schwankungen auf ((1)–(4)). (1) in die/der Richtung gehen (2) bauen auf das/dem Prinzip (3) sich hinter die Wolken verziehen / ?sich hinter den Wolken verziehen (4) sich hinter den Wolken verstecken / ?sich hinter die Wolken verstecken

Auch bei einer Prä-/Postposition wie entlang schwankt der Kasus (Dativ, Genitiv oder Akkusativ). Viele morphologisch einfache und invariable Präpositionen sind hist. aus Lokaladverbien entstanden und gelten traditionell als Präpositionen, die eine lokale Grundbedeutung aufweisen. Seit dem 19. Jh. (gelegentlich auch früher) geht man davon aus, dass die lokale Funktion auch den temporalen Verwendungen dieser Präpositionen zugrunde liegt. Seit der kognitiven Wende (etwa ab 1980) hat dieser Standpunkt allgemeine Zustimmung gefunden. Im Gegensatz dazu stehen insbesondere einige strukturalistische Linguisten, u.a. Brøndal (1950), der Präpositionen synchronisch als differenziell zu definierende, relationale Einheiten auffasst und entgegen dem Usus, von räumlichen Konzepten auszugehen, ausdrücklich „des concepts de l’espèce la plus générale“ (1950: 8) postuliert. Diese erweisen sich aber als dermaßen abstrakt, dass sie kaum mehr nachvollziehbar sind (Brøndal 1950: 33ff.). Synchronisch ist so gut wie jede Präp., die eine Lokalisierung zum Ausdruck bringen kann, polyfunktional (das trifft im Dt. z.B. zu auf an, auf, gegen, hinter, neben, vor, über, um, unter, zwischen (mit Dativ (5), mit Akkusativ (6)). (5) über dem Kamin, über der Arbeit, über dem Gefrierpunkt (6) über ein Buch reden, über die Jahre, über etwas verfügen, ein Scheck über 100 Euro Nach Melis (2003: 50–51) schließt das „le sentiment linguistique“, dass es sich jedes Mal um ein und dieselbe Präp. handelt („l’unité sémantique“), nicht aus. Die Debatte über die Frage, ob es sinnvoll ist, „l’unité derrière toute cette multiplicité“, eine „formule unifiante“ (Brøndal 1950: 23) zu ermitteln und ob Präpositionen über homogene Systembedeutungen grammatischer Art erfasst werden können oder, ähnlich den meisten anderen Wörtern im Lexikon, radial strukturierbare polyseme Einheiten im Sinne der kognitiven Ling. bilden (u.a. Tyler/Evans 2003), ist nicht abgeschlossen. Klaas Willems

→ Adposition; direktive Präposition; Lokaladverb; modale Präposition; Präposition; temporale Präposition

→ Gram-Syntax: Lokalangabe; lokale Adverbialbestimmung

🕮 Brøndal, V. [1950] Théorie des prépositions. Kopenhagen ◾ Melis, L. [2003] La préposition en français. Gap ◾ Paul, H. [1958] Deutsche Grammatik. Band IV. Syntax. 4. Aufl. Halle/Saa-

465 le ◾ Tyler, A./ Evans, V. [2003] The Semantics of English Prepositions. Cambridge ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

lokales Adverb ≡ Lokaladverb

lokalistische Hypothese

Hypothese, nach der die meisten grammatischen Konstruktionen und somit die entsprechende Morphosyntax aus semantisch gesehen lokalen Kon­ struktionen stammen. ▲ localist hypothesis: hypothesis according to which most grammatical constructions and the corresponding morphosyntactic elements stem from semantically local constructions. In der vor allem durch J.M. Anderson bekannt gewordenen lokalistischen Hypothese wird vermutet, dass die Semantik grammatischer Konstruktionen aus der Metaphorisierung urspr. raumbezogener (lokaler) Konstruktionen resultiert. Dies betrifft zunächst vor allem morphologische und analytische Kasusmarkierungen, dann aber

lokalistische Hypothese auch verbale Kategorien wie 'Zeit'. Beispiele sind der Genitiv als Ablativ (das Buch von Paula), Possessor als belebter Punkt der Zuordnung im Raum (lat. liber est mihi), Akkusativ als Allativ (lat. Romam eo 'ich gehe nach Rom'), Ergativ als Lokativ (teilweise im Tschuktschi), Dativ als (In-) Essiv. Tempusbezogen lässt sich etwa eine Beziehung wie folgt formulieren: 'Vergangenheit' = Ablativ oder Allativ; 'Gegenwart' = Essiv; 'Zukunft' = Allativ oder Ablativ. Alternativ können Verben wie kommen = 'Vergangenheit', gehen = 'Zukunft' auftreten (vgl. frz. je viens d'écrire vs. je vais écrire). Die lokalistische Hypothese gilt heute in einer weichen Form, die die Herleitung der Semantik grammatischer Konstruktionen aus auch nichtlokalen Strategien in Betracht zieht. Wolfgang Schulze

→ Morphosyntax → Gram-Syntax: Konstruktion (1); lokalistische Position ⇁ localist hypothesis (TheoMethods; Typol)

🕮 Anderson, J.M. [1971] The Grammar of Case: Towards a Local­ istic Theory (CamStLing 4). Cambridge [etc.] ◾ Anderson, J.M. [1988] The localist basis for syntactic categories. Duisburg.

L

M männlich-personales Genus

Genus bei männlichen Substantiven, die sich nur auf männliche Personen beziehen. ▲ human-male gender: gender of a noun that refers to male people. Eine inhaltliche Untergliederung im Maskulinum ist für die slaw. Sprachen typisch. Das männlichpersonale Genus (auch: Personalmaskulinum) ist eine zusätzliche Ausprägung der grammatischen Kategorie Belebtheit in den westslaw. Sprachen (z.B. Poln., Slowakisch, Oberlausitzisch). Das männlich-personale Genus ist auf männliche Personen beschränkt (poln. mąż ['Ehemann'], brat ['Bruder'], fajtłapa ['Waschlappen'], slowakisch chlap ['Mann', 'Kerl'], oberlausitzisch nan ['Vater']). Es hat einzelsprachspezifische Realisationsformen. Im Poln. ist das männlich-personale Genus syntaktisch durch morphologische Kongruenzmarkierungen an den vom Subst. abhängigen (attributiv verwendeten) Adjektiven, Partizipien, Pronomina und Numeralia im Nominativ Pl. und der Vergangenheitsform von Verben (3. Pers. Pl.) gekennzeichnet. (1) W klasie byli dwaj starsi chłopcy. [männlich-personales Genus Pl.; 'In der Klasse waren zwei ältere Jungen.'] Aber: (2) W klasie były dwie starsze dziewczynki. [Fe­mi­ninum Pl.; 'In der Klasse waren zwei ältere Mädchen.'] (3) W pokoju były (nicht: byli) dwa stare psy. [männlich-nichtpersonales Genus Pl.; 'Im Zimmer waren zwei alte Hunde.'] Zur betreffenden Unterkategorie zählen im Poln. – neben den männlich-personalen Substantiven, die eine männliche Person bezeichnen – auch alle Substantive, die ein Paar aus einer männlichen

und weiblichen Person bezeichnen wie ambasadorstwo ['das Botschafterpaar'], państwo ['Herrschaften'], wujostwo ['Tante und Onkel']. Diese Substantive haben im Sg. das Genus Neutrum, aber sie werden dennoch wie Substantive im Personalmaskulinum Pl. verwendet. (4) Oczekiwani państwo Nowakowie przyjechali. ['Die erwarteten Herr und Frau Nowak kamen an.'] (4a) *Oczekiwane [Sg.] państwo Nowakowie przy­jechali. (5) Moi kochani wujostwo, wejdźcie, proszę! ['Meine lieben Tante und Onkel, kommt bitte rein!'] (5a) *Moje kochane [Sg.] wujostwo, wejdźcie, proszę! Edyta Błachut

→ Genusdetermination; semantische Genusdetermination; Substantiv; Synkretismus; unmarkiertes Genus

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Nagórko, A. [2005] Zarys gramatyki polskiej. Warschau ◾ Weiss, D. [1985] Frau und Tier in der sprachlichen Grauzone: diskriminierende Strukturen slavischer Sprachen. In: Lehfeldt, W. [Hg.] Slavistische Linguistik 1984. München: 317–358.

markierte Flexionskategorie

Flexionskategorie, die gegenüber einer anderen merkmalhaft und demzufolge formal komplexer ist. ▲ marked inflectional category: inflectional category that is marked and therefore formally more complex compared to another unmarked one. Eszter Kukorelli

→ Flexionskategorie; Markiertheitstheorie; Natürliche Morphologie

→ Gram-Syntax: Markiertheit

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Mayerthaler, W. [1980] Ikonismus in der Morphologie. In: ZS 2: 19–37.

Markiertheitstheorie 468

Markiertheitstheorie

Ansatz, der die Glieder von Oppositionspaaren als merkmalhaft und merkmallos beschreibt. ▲ markedness theory: concept which describes the elements of an opposition as marked or unmarked.

M

Die Markiertheitstheorie ist eine in der Prager Schule konzipierte Lehre, die auf der Idee basiert, dass bestimmte sprachliche Einheiten gegenüber anderen sprachlichen Einheiten ein zusätzliches Merkmal tragen und dadurch markiert gegenüber ihrem unmarkierten Gegenstück sind. Die Termini merkmalhaltig (vgl. auch die Termini merkmaltragend, merkmalhaft, markiert) vs. merkmallos (auch unmarkiert) werden von Trubetzkoy (1931) in Anbetracht von phonologischen Oppositionspaaren eingeführt. In diesem Sinne gilt ein Laut als markiert, wenn er sich von einem anderen Laut durch ein zusätzliches Merkmal unterscheidet. Die Markiertheitstheorie wird von Jakobson (1936) auch im Bereich der Morphologie angewandt. Hinsichtlich des Kategorienpaares Singular – Plural ist z.B. der Sg. (Haus) das unmarkierte und der Pl. (Häuser) das markierte Element, weil die Pluralformen i.A. sowohl formal (sie enthalten ein Pluralsuffix) als auch semantisch komplexer sind (vgl. Eisenberg 1998: 19). Das Konzept der Markiertheit wird auch auf andere sprw. Bereiche übertragen und findet mit Chomsky/Halle (1968) Eingang in die GG. Die Markiertheitstheorie wird häufig mit der Natürlichkeitstheorie in Zusammenhang gebracht (vgl. Mayerthaler 1981; Wurzel 1984); dabei wird Markiertheit als Gegenpol der Natürlichkeit aufgefasst: Je natürlicher ein sprachliches Element oder ein sprachliches Phänomen ist, desto weniger markiert ist es, wobei die Werte Markiertheit und Natürlichkeit eine Skala bilden und graduell zu verstehen sind. Nach Mayerthaler (1980; 1981) gilt ein sprachliches Phänomen als natürlich (d.h. zugleich unmarkiert), wenn es in der Sprache weit verbreitet ist, relativ früh erworben wird und von Sprachwandelprozessen weniger betroffen ist. Eszter Kukorelli

→ markierte Flexionskategorie; Merkmal; Natürliche Morphologie; unmarkierter Flexionstyp

→ Gram-Syntax: Markiertheit; Natürlichkeitstheorie ⇀ Markiertheitstheorie (HistSprw) ⇁ markedness theory (TheoMethods; Phon-Engl)

🕮 Chomsky, N./ Halle, M. [1968] The Sound Pattern of English. New York, NY ◾ Dressler, W.U./ Mayerthaler, W./ Panagl, O./ Wurzel, W. [1987] Leitmotifs in Natural Morphology. Amsterdam [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288 ◾ Mayerthaler, W. [1980] Ikonismus in der Morphologie. In: ZS 2: 19–37 ◾ Mayer­ thaler, W. [1981] Morphologische Natürlichkeit. Wiesbaden ◾ Trubetzkoy, N.S. [1931] Die phonologischen Systeme. In: TCLingP 4: 96–116 ◾ Wurzel, W.U. [1984] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung (StGram 21). Berlin.

Maskulinum

grammatisches Merkmal der Merkmalklasse Genus, das in vielen Sprachen bei deklinierbaren Wörtern vorkommt. ▲ masculine gender; masculine: grammatical gender in many of the world’s languages in words that can be declined. Die Übereinstimmung von grammatischem Geschlecht (genus masculinum) und natürlichem männlichem Geschlecht (Sexus) ist am ehesten bei den Personenbezeichnungen und einigen Tierbezeichnungen beobachtbar (dt. Vater, er, Hund; engl. father, he, dog; poln. ojciec, on, pies). Bezogen auf die gesamte substantivische Lexik einer Sprache geben u.a. die Bestandteile und die Bedeutung des Subst. den Ausschlag für das Genus. Maskulina sind im Dt. z.B. Substantive auf -ant, -asmus, -ich, -ig, -ismus, -ling, -loge, -or (der Egoismus, der Feigling, der Urologe) und Deverbativa mit Nullsuffix (der Sprung). Bei einigen Suffixen wie z.B. -tum kommen auch unterschiedliche Genuszuweisungen (der Irrtum – das Eigentum) vor. Unter semantischem Aspekt sind im Dt. folgende Substantivgruppen Maskulina: neben Personenbezeichnungen für Männer und Bezeichnungen für männliche Tiere auch Bezeichnungen für die Jahreszeiten (der Herbst), Monate (der August), Wochentage (der Mittwoch), Winde (der Monsun) und vorwiegend Namen einzelner Berge (der El­ brus). Das Dt. hat eine Reihe von Substantiven mit schwankendem Genus (z.B. der/das Barock; der/ das Dschungel). Der Gebrauch maskuliner/männlicher substantivischer Personenbezeichnungen und Pronomina zur Referenz auf beide Geschlechter (das sog. generische Maskulinum; engl. generic he), der in

469 Maßbezeichnung vielen Sprachen erfolgt (dt. jeder Arzt, jedermann; im Pl. einige Politiker; engl. a teacher and his students), ist Gegenstand feministischer Sprachkritik geworden (Pusch 1990; Posti 1991; Leiss 1994). Edyta Błachut

→ § 15; Femininum; generisches Maskulinum; Genus; Genusdetermination; Neutrum; Sexus

⇁ masculine gender (Typol)

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hellinger, M. [Hg. 1985] Sprachwandel und feministische Sprachpolitik: Internationale Perspektiven. Opladen ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1984] Sechs Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen: Ein Beitrag zur natürlichen Klassifikation. In: LB 93: 26–50 ◾ Leiss, E. [1994] Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: LB 152: 281–300 ◾ Posti, G. [1991] Weibliches Sprechen. Feministische Entwürfe zu Sprache und Geschlecht. Wien ◾ Pusch, L.F. [1980] Das Deutsche als Männersprache – Diagnose und Therapievorschläge. In: LB 69: 59–74 ◾ Pusch, L.F. [1990] Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt/Main.

Maskulinum, generisches → generisches Maskulinum

Maskulinum, schwaches → schwaches Maskulinum

Maßausdruck

Term zur Angabe einer Menge oder Quantität. ▲ amount term: term denoting an amount or quantity. Der Terminus Maßausdruck wird unterschiedlich weit gefasst. Krifka (1989: 61ff.) verwendet den Terminus für die Kombination aus einem Zahlwort (Numerale) und einer Maßeinheit (dreißig Gramm). Dieser Auffassung folgend, kommen Maßausdrücke in fünf wesentlichen Kontexten vor (Krifka 1989: 62): Als Numerativphrasen (1), als Ergänzungen bei entsprechenden Verben (2), als Subjekte und Objekte in generischen Sätzen (3), als prädikative Ausdrücke (4) sowie als Gradangaben bei Adjektiven (5). (1) Dies sind dreißig Gramm Gold. (2) Dieses Gold wiegt dreißig Gramm. (3) Dreißig Gramm sind eine Unze. (4) Dies sind dreißig Gramm. (5) Dies ist dreißig Gramm schwer.

Zifonun et al. (1997: 1979ff.) fassen den Begriff enger und verwenden den Terminus für Nomina, die Maßeinheiten denotieren (Gramm, Liter, Gros, Dutzend) und in Numerativ- bzw. Zählkon­ struktionen mit einem quantifizierenden Adj. und einer Stoffbezeichnung aufgehen (6). (6) drei Liter Saft Max Möller

→ Maßbezeichnung; Maßeinheit; Mengenbezeichnung → Gram-Syntax: Numerativkonstruktion

🕮 Krifka, M. [1989] Nominalreferenz und Zeitkonstitution. Zur Semantik von Massentermen, Pluraltermen und Aspektklassen (StTheoLing 10). München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Maßbezeichnung

Nomen zur Bezeichnung von Maßeinheiten oder Mengen. ▲ measurement term: noun denoting measuring units or quantities.

Zu Maßbezeichnungen gehören i.e.S. Nomina zur Benennung von Maßeinheiten wie Kilogramm, Prozent, Pfund, Meter. I.w.S. schließt der Terminus als Oberbegriff auch Mengen- (ein Dutzend Eier), Behälter- (eine Kanne Kaffee) und Sammelbezeichnungen ein (eine Gruppe junger Leute) (Duden 2005: 177ff., 1019ff.). Typischerweise treten Maßbezeichnungen in Kombination mit einem quantifizierenden Zahlwort (Numerale) und einer Stoffbezeichnung (dem Gemessenen) auf (hundert Gramm Mehl). Maßbezeichnungen i.e.S. bevorzugen dabei den Anschluss einer partitiven Apposition mit Kasusgleichheit (1), seltener den partitiven Genitiv (2). (1) Ich schenke dir ein Pfund schwarzen Kaffee. (2) Ich schenke dir ein Pfund schwarzen Kaffees. Eine formale Besonderheit der Maßbezeichnungen i.e.S. mit dem Genus Maskulinum bzw. Neutrum ist ihre Verwendung im Sg., auch wenn sie pluralisch zu interpretieren sind: hundert Gramm [Neutrum] (*Gramme) Mehl, aber zwei Tonnen [Femininum] Zucker. Treten Maßbezeichnungen i.w.S. als Subjekt eines Satzes auf, so richtet sich die Form des finiten Verbs (Sg. oder Pl.) in der Regel nach der Maßbezeichnung, deren Numerus zweifelsfrei am Zahlwort zu erkennen ist (zu Ausnahmen vgl. Duden 2005: 1019ff.). (3) Ein Kilo Bohnen reicht nicht aus.

M

Maßeinheit 470 (4)

Drei Kilo Bohnen reichen nicht aus.

Max Möller → genitivus partitivus; Maßausdruck; Maßeinheit; Mengenbezeichnung → Gram-Syntax: Numerativkonstruktion 🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Maßeinheit

Nomen zur Benennung einer bestimmten Quantität. ▲ measuring unit: noun denoting a defined quantity.

M

Den Terminus Maßeinheit verwendet Eisenberg (1999: 253ff.) für alle Arten von Nomina, die in Numerativkonstruktionen mit einem quantifizierenden Zahlwort (Numerale) auftreten: (1) ein Liter Bier (2) zehn Zentner Kartoffeln „Echte Maßeinheiten“ wie Pfund, Meter, deren Einheitlichkeit im fehlenden Plural deutlich wird, unterscheidet Eisenberg (1999: 253) von weiteren wie Appellativa (drei Bäume Kirschen, zwei Bücher Unsinn) oder Eigennamen (ein Hertz). Max Möller

→ Maßausdruck; Maßbezeichnung; Mengenbezeichnung → Gram-Syntax: Numerativkonstruktion

🕮 Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.].

Massennomen

transnumerales Nomen, das mit anderen Nomina nicht disjunkte Subkategorien der Nomina konstituiert. ▲ mass noun; mass term; uncountable noun: transnumeral noun that constitutes non-disjunct subcategories of nouns with other nouns. Die Massennomina konstituieren mit den Individuativa zwei nicht disjunkte Subkategorien der Nomina natürlicher Sprachen. „Massennomina sind im Gegensatz zu Individualnomina transnumeral, d.h., sie weisen keine Numerusdistinktion auf. Syntaktisch unterscheiden sich Massennomina demnach dadurch, dass sie nicht wie Individualnomina mit Numeralia wie drei kombinierbar sind“ (Krifka 1991: 399). Individuativa im Pl. entsprechen demnach nicht den Massennomina. Es existiert die Auffassung, dass sich die Distinktion in Massennomina (z.B. Glück, Trauer) und Individualnomina (z.B. Zahl, Tugend) auch bei

Abstrakta vornehmen lässt (Krifka 1991: 399). Ebenso wird angenommen, dass Substantive, die Immaterielles bezeichnen (z.B. engl. leisure, music, traffic), von Verben abgeleitete Substantive (z.B. engl. satisfaction, admiration, refinement) oder von Adjektiven abgeleitete Substantive (z.B. engl. restlessness, constancy, safety) als Massennomina oder Massenterme bzw. Massenwörter (engl.: mass-words) verstanden werden können (Jespersen 1924: 198). Massennomina werden nach Krifka (1991: 399) weiter in Massennomina i.e.S., sog. Stoffnomina (Wasser, Silber u.a.) und in Kollektivnomina (Vieh, Schmuck) untergliedert. Zahlreiche Nomina sind nicht eindeutig den Massennomina oder Individualnomina zuzuordnen (z.B. Kuchen (1)). Des Weiteren können oft als Massennomina auftretende Nomina als Individualnomina fungieren (z.B. drei Mehle im Sinne von 'drei Sorten Mehl' (2), eine Liebe im Sinne von 'ein Fall von Liebe' (3)). Desgleichen treten Individualnomina mitunter als Massennomina auf (z.B. etwas Apfel im Sinne von 'ein Anteil von Äpfeln' (4)) (Krifka 1991: 400). (1) Sie backt drei Kuchen, denn er isst gerne Kuchen. (2) Sie kauft drei Mehle: Weizenmehl des Typs 1600, Vollkorn-Dinkelmehl und Roggenmehl. (3) Es war eine Liebe an der Côte-d'Azur. (4) Etwas Apfel versüßt den Obstkuchen. Semantisch zeichnen sich die Stoffnomina (auch: Stoffnamen) dadurch aus, dass sie auf homogene, nicht natürlich voneinander abgegrenzte Entitäten zutreffen (vgl. Krifka 1991: 399). Zählbare Terme denotieren individuelle Objekte oder möglicherweise Klassen von individuellen Objekten, während Massenterme etwas denotieren, was kumulativ und dissektiv zu sein scheint (Pelletier 1979: vii). Zur semantischen und logischen Analyse von Massentermen erwähnt Baeler Quines Analyse oder den dualen Ansatz (engl.: dual approach), der Massennomina grundsätzlich nach einer Kopula als Prädikate und vor einer Kopula als Individuenbezeichnungen auffasst, den PrädikatAnsatz (engl.: general-term analysis), der Massennomina generell als Prädikate versteht sowie den Individuen-Ansatz (engl.: abstract-singular-term analysis), der Massennomina generell als Individuenbezeichungen interpretiert (Baeler 1975:

471

mediales Verb

282ff.). Der Prädikat-Ansatz ist in extensionaler und in intensionaler Variante erarbeitet (vgl. Krifka 1991: 403). Maria Schädler

→ Abstraktum; Individuativum; Kollektivum; Kontinuativum ⇀ Massennomen (Lexik) ⇁ mass noun (Typol)

🕮 Baeler, G. [1975] Predication and matter. In: Pelletier, F.J. [ed. 1979] Mass terms. Some philosophical problems (Synth­ Lg­Lib 6). Dordrecht [etc.]: 279–294 ◾ Jespersen, O. [1924] The Philosophy of Grammar. London [etc.] ◾ Krifka, M. [1991] Massennomina. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 399–418 ◾ Pelletier, F.J. [ed. 1979] Mass terms. Some philosophical problems (SynthLgLib 6). Dordrecht [etc.] ◾ Strawson, P.F. [1954] Particular and general. In: PAristSoc 54: 233–260.

Massenwort

≡ Kollektivum

Matrixverb

Verb oder Verbalkomplex eines Matrixsatzes. ▲ matrix verb: verb or verbal complex of a matrix clause. Benjamin Jakob Uhl

→ Verb → Gram-Syntax: Hauptsatz; Matrixsatz; Verbalkomplex

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Gallmann, P. [2016] Der Satz. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 775–1072.

mediales Verb

Verb, das einen Sachverhalt als spontan verlaufenden agenslosen Vorgang perspektiviert und Merkmale des Aktivs und Passivs vereint. ▲ middle verb: verb which presents a situation as a spontaneous, agentless event and unites characteristics of the active and the passive voice. Während z.B. im Altgriech. das Verbalgenus Medium zum Ausdruck der „intensiven Beteiligung des Subjekts am Vorgang“ (Elberfeld 2007) als grammatische Kategorie existiert, wird diese Sachverhaltsperspektivierung im Dt. mithilfe eines besonderen Verbtyps realisiert. Mediale Verben sind nicht über Operationen der Argumentstruktur zu beschreiben, sondern semantisch zu erfassen. Sie stellen als Alternationen zu Aktiv und Passiv den außersprachlichen Sachverhalt als „selbstgenügsamen agenslosen Vorgang“

(Welke 1997) dar (1), d.h., es wird kein „Vorgangsauslöser“ (Ágel 2017: 276) impliziert. (1) Der Arzt beruhigte die Patientin. → Sie wurde beruhigt. → Sie beruhigte sich. Das mediale Verb (Medialverb) im Dt., „der konstruktionell abgeleitete intransitive Zielvalenzträger“ (Ágel 2017: 274), weist konstruktiv durch die Agensdezentrierung (Valenzreduktion) ein Merkmal des Passivs und durch die aktivische Struktur sowie das (mediale) sich als Prädikatsteil ein Merkmal des Aktivs auf, wodurch es weder eindeutig passivisch noch aktivisch analysiert werden kann. Eisenberg (2006) bezieht den Begriff mediale Verben auf Verben wie sich schämen, sich verkriechen und bindet ihn an die Bildung eines unpersönlichen Passivs mit sich (2), denn „Subjekt und (reflexives) direktes Objekt verschmelzen konzeptuell zu einer Einheit. Damit ist die sonst beim werden-Passiv übliche Konversion des Akkusativs ausgeschlossen, auch das Passiv enthält das Reflexivum im Akkusativ“ (Eisenberg 2006: 301). (2) Hier wird sich nicht geschämt/verkrochen. (Eisenberg 2006: 131) Ágel (2017: 342–347, 867), der von Medialität als Perspektivierung einer Situation, in der zwei Partizipanten zu einem einzigen werden, ausgeht, legt eine Klassifizierung der Medialverben vor. Er unterscheidet (a) pseudo-exoaktive (direkte: sichAkkusativ, indirekte: sichDativ), (b) endoaktive und (c) pseudo-symmetrische Medialverben von (d) Medialkonstruktionen: (a) pseudo-exoaktive Medialverben sind sprachhist. zurückführbar auf Medialisierung von Verben mit reflexiv verwendetem Akkusativobjekt (X beruhigt sich) bzw. auf Medialisierung von Verben mit Akkusativobjekt und reflexiv verwendetem Dativobjekt (X legt sich Y zurecht); (b) endoaktive Medialverben haben eine reguläre semantische Beziehung zu einem transitiven (exoaktiven) Pendant und sind Antikausativa (X öffnet sich); (c) pseudo-symmetrische Medialverben lassen singularisches Subjekt zu (X trifft sich mit Y); (d) Medialkonstruktionen werden von transitiven bzw. intransitiven Verben gebildet, mit Modalfaktor (X liest sich + Modaladverbial; (es) lässt sich + Infinitiv). Sprachen realisieren die semantischen Bereiche der medialen Konzeptualisierung (u.a. Körper-

M

Mediativ 472 pflege, Veränderung der Körperhaltung, Emotion, Sprechhandlung, Kognition, symmetrische Reflexivität) ausdrucksseitig unterschiedlich: Es gibt Sprachen wie das Engl., die über keine Medialmarkierung verfügen, andere Sprachen wie das Dt., die einen Medialmarker (der formal mit dem Reflexivmarker identisch ist) haben, oder solche wie das Ung., die über zwei nicht verwandte Marker verfügen (Zifonun 2003). Letztere haben neben verbalen Markern des Mediums (Medialsuffixen) pronominale Reflexivierer, z.B. ung. Medialsuffixe: -ul/-ül, -sul/-sül, -od(ik)/-ed(ik)/-öd(ik), -sod(ik)/-sed(ik)/-söd(ik) wie z.B. kiszabadul 'er/ sie/es befreit sich' vs. kiszabadítja magát[Reflexivmar'er/sie/es befreit sich'. ker] Petra Szatmári

→ Antikausativ; Mediopassiv; Passiv; Reflexivmarker → Gram-Syntax: Reflexivpassiv ⇁ middle verb (Typol)

M

🕮 Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Elberfeld, R. [2007] Zur Handlungsform der „Muße“. Ostasiatische Perspektiven jenseits von Aktivität und Passivität. In: Paragrana 16. H. 1 „Muße”: 193–203 ◾ Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim.

Mediativ

Benennung des baskischen Instrumentals in der Tradition der französischen Baskologie. ▲ mediative: designation for the Basque instrumental in the tradition of French Bascology. Im Baskischen kommt der Mediativ meistens bei unbestimmten Nomina vor, die die Endung -z (-ez nach Konsonanten) erhalten (z.B. oin 'Fuß', oinez 'zu Fuß'; euzkara 'Baskisch', euzkaraz 'im Baskischen'). Der Mediativ wird für Instrumente, Werkzeuge und Hilfsmittel verwendet, mit denen eine Handlung ausgeführt wird. Er hat weitere Verwendungen, wie die Bezeichnung des Materials, aus dem etwas hergestellt ist (z.B. berun 'Blei', berunez 'aus Blei') oder die Angabe des Gesprächsstoffs (politikaz 'über Politik') (Bendel 2006: 59–66).

→ Instrumental; Kasus

Giovanni Gobber

🕮 Bendel, C. [2006] Baskische Grammatik. Hamburg ◾ Trask, R.L. [1997] The History of Basque. London [etc.].

Mediopassiv

Subkategorie des Verbalgenus zwischen Aktiv und Passiv mit syntaktisch aktiver Form und semantisch passivischer Bedeutung. ▲ middle voice: subcategory of the voice of the verb between the active and the passive voice which has a syntactically active form and a semantically passive meaning.

Im Dt. wird das Mediopassiv (= MP) überwiegend periphrastisch durch Reflexivkonstruktionen realisiert, die von transitiven und intransitiven Verben gebildet werden können. Es ist durch folgende syntaktische und semantische Charakteristika gekennzeichnet: (a) Das MP ist eine Aktivform mit obligatorischem nichtreferentiellem sich (Medialmarker). Die Struktur ermöglicht eine Perspektivierung auf das Ereignis und geht mit einer Veränderung des Valenz- und Argumentrahmens des zugrunde liegenden Verbs einher: Es entsteht eine agensdezentrierte Konstruktion, und das im aktivischen Basissatz aufscheinende verallgemeinerte, unbestimmt-persönliche Agens (man, Menschen im Allgemeinen o.Ä.) wird getilgt. Zugleich wird der Patiens-Referent in der ranghöchsten grammatischen Relation (Subjekt/Nominativ) kodiert, so dass Valenzreduktion und Rollenanhebung stattfindet (1) (Esub = Subjektergänzung; EAkk = Akkusativergänzung; Eprp = Präpositivergänzung). (1) schneidenEsub[Agens] Eakk[Patiens] Eprp[Instrument]: Man kann den Stoff mit einer stumpfen Schere schlecht schneiden. Der Stoff schneidet sich mit einer stumpfen Schere schlecht. (b) Dem MP ist die Modalbedeutung der Possibilität inhärent. Sie referiert auf Dispositionen zu Ereignissen, d.h. auf die Möglichkeit ihrer Realisierbarkeit (vgl. Welke 2002: 50). So werden dem Patiens bestimmte generische Eigenschaften zugeordnet. Da die dispositive Interpretierbarkeit an Alternativen gebunden ist, verändert sich die Ergänzungsbedürftigkeit des Verbs: Es fordert entweder eine qualifizierende (angenehm, vernünftig) oder eine modalitätsgraduierende Adverbativergänzung (leicht, schlecht), wobei die Negationspartikel bzw. eine wie-Phrase eine ähnliche Funktion zu erfüllen scheinen ((2), (3)). Bei Intransitiva oder intransitiv gebrauchten Transitiva tritt noch eine situierende Adverbativergänzung hinzu, die einen Lokativ, Temporal oder

473 Mehrfachnegation Instrumental kodiert und der eine spezifische Eigenschaft zugeschrieben wird (4). (2) Das Buch verkauft sich nicht. (3) Die Geschichte liest sich wie ein Märchen. (4) Mit diesem Pinsel malt es sich vorzüglich. [Der Pinsel verfügt über die Eigenschaft, dass man damit vorzüglich malen kann.] (c) Auch wenn in erster Linie generische Eigenschaften der im Subjekt kodierten Entität erfasst werden, kann das MP temporäre Eigenschaften beschreiben und in verschiedenen Tempora gebraucht werden (5). (5) Seine Romane verkauften sich weltweit gut. (d) Die statische Darstellung der Konstruktion ist mit Progressionsausdrücken und dem Imperativ inkompatibel (vgl. Wang 2009: 132) ((6), (7)). (6) *Sein Roman ist gerade dabei, sich gut zu verkaufen. (7) *Verkaufe sich der Roman gut! (e) Bei intransitiven bzw. intransitiv gebrauchten Verben erfolgt eine Pseudo-Rollen-Zentrierung, indem die ranghöchste grammatische Position mit dem Pron. es, das als Pseudo-Patiens fungiert, obligatorisch besetzt wird (vgl. Szatmári 2016: 90) ((8), (9)). (8) Mit dem Füller schreibt es sich vorzüglich. (9) In einem solchen Team arbeitet es sich angenehm. (f) Vereinzelt ist die Nennung des Agens mittels einer für-Phrase möglich, die nach Dürscheid (1997: 247) die generische Lesart der Agens-Phrase zum Ausdruck bringt und somit die Eigenschaftslesart des MPs stützt (10). (10) Mit Miesmachern arbeitet es sich selbst für ruhige Menschen nicht angenehm. Neben dem sog. sich-lassen-Medium lassen sich im Dt. demnach zwei Grundtypen unterscheiden (EADV = Adverbialergänzung): Typ 1: Esub[Patiens] Vt sich Eadv[Qualität] Typ 2: Esub[Pseudo-Patiens es] Vi sich Eadv[Qualität] Eadv[Lokativ/Temporal/Instrumental] In vielen modernen Sprachen ist das Medium als „agensloser, selbstgenügsamer Vorgang“ (Welke 1997) – in unterschiedlichen Realisierungsformen – vorhanden, z.B. im Engl. (11) und im Ung. (12). (11) This shirt irons easily. ['Dieses Hemd bügelt sich leicht.'] (12) A könyv megíródik. ['Das Buch schreibt sich.'] Der Terminus Mediopassiv basiert auf Beschrei-

bungen des Altgriech., wo ein synthetisch gebildetes Medium in erster Linie die „intensive Beteiligung des Subjekts am Vorgang“ ausdrückt (vgl. Elberfeld 2007: 198). Das als „sekundäre“ Diathese betrachtete Medium umfasst Verben mit aktivischen Personalendungen und medialer (passivischer) Bedeutung sowie Verben mit medialen Personalendungen und aktivischer Bedeutung, daneben ließ es weitere Interpretationen (z.B. reflexive, reziproke, antikausative) zu (vgl. Andersen 1993). Somit können dem Subjekt neben Agens andere semantische Rollen zugeordnet werden (Patiens, Benefaktiv, Kausator) (Elberfeld 2007; Lyons 1995). Petra Szatmári ≡ Medium → Aktiv (1); genus verbi; mediales Verb; Mittelverb; Passiv → Gram-Syntax: Mittelkonstruktion; Passivtyp; Reflexivpassiv ⇀ Mediopassiv (CG-Dt; HistSprw) ⇁ middle voice (CG-Engl; Typol)

🕮 Andersen, P.K. [1993] Zur Diathese. In: HistSpr 106/2: 177–231 ◾ Dürscheid, C. [1997] Perspektivierte Syntax. In: Dürscheid, C./ Ramers, K.H./ Schwarz, M. [Hg.] Sprache im Fokus. Festschrift für Heinz Vater zum 65. Geburtstag. Tübingen: 241–257 ◾ Elberfeld, R. [2007] Zur Handlungsform der „Muße“. Ostasiatische Perspektiven jenseits von Aktivität und Passivität. In: Paragrana 16, H. 2 „Muße”: 193–203 ◾ Lyons, J. [1992] Die Sprache. 4., durchges. Aufl. München ◾ Szatmári, P. [2016] Unpersönlich, aber subjekthaft – zum nicht-phorischen es. In: SuGL 26.1: 69–106 [unter: http://www.sugl.eu; letzter Zugriff: 20.03.2017] ◾ Wang, B. [2009] Betrachtung des Medials im Deutschen und Chinesischen. In: DaF 3.46: 131–142 ◾ Welke, K. [1997] Eine funktionalgrammatische Betrachtung zum Reflexivum: Das Reflexivum als Metapher. In: DS 25: 209–231 ◾ Welke, K. [2002] Deutsche Syntax funktional. Perspektiviertheit syntaktischer Strukturen. Tübingen.

Medium

≡ Mediopassiv ⇀ Medium (Sprachphil); Medium (1) (Textling; HistSprw); Medium (2) (Textling; HistSprw)

Mehrfachnegation

gleichzeitige Markierung der Negation am Verb und an allen Indefinita in einem Satz, ohne dass dadurch die Negation verstärkt oder aufgehoben wird. ▲ negative concord: simultaneous marking of negation on the verb and on all indefinites of a sentence without boosting or cancelling of the negation. Je nachdem, wie Sprachen ihre Negationen morphologisch markieren, werden sie in solche mit Mono-

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mehrgliedrige Konjunktion 474

M

und Mehrfachnegation eingeteilt. In Sprachen mit Mononegation, z.B. im Dt., darf in einem negierten Satz nur ein Negationsträger vorkommen. (1) Niemand ist gekommen. Der doppelte Gebrauch der Negation führt zu deren Auflösung. (2) Niemand ist nicht gekommen. [→ Alle sind gekommen.] Es geht dabei um das Zusammenspiel der Negation mit unbestimmten Pronomina/Adverbien. Sprachen mit Mononegation markieren die (Satz-) Negation am Verb oder am ersten der im Satz vorkommenden Indefinita (3), aber nicht an beiden oder mehreren gleichzeitig. (3) Stefan hat niemandem etwas gesagt. In Sprachen mit Mehrfachnegation, z.B. im Ukrainischen wird in einem negierten Satz sowohl das Verb als auch jedes unbestimmte Pron./Adverb durch Negation markiert, ohne dass dadurch Negation verstärkt oder aufgehoben wird. (4) Stepan nikomu ničoho ne skazav. ['Stefan hat niemandem etwas gesagt', wörtlich: „Stefan niemandem nichts nicht sagte“] Einige Sprachen sind jedoch im Laufe der Zeit von der Mono- zur Mehrfach- und wieder zur Mononegation übergegangen. Diese Erscheinung wird in der Sprw. als Jespersen-Zyklus geführt (Jespersen 1917). Alla Paslawska → doppelte Negation; Indefinitadverb; Indefinitum; Negation; Negationsadverb; Negationspartikel; Negationspronomen; Negationsträger; Negations-Zyklus 🕮 Jäger, A. [2008] History of German Negation. Amsterdam [etc.] ◾ Jespersen, O. [1917] Negation in English and other languages (Hist-filM 1/5). Kopenhagen ◾ Lenz, B. [1996] Negationsverstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen Sprachen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 183–200 ◾ Paslawska, A. [2002] Negative Polaritätselemente und ihre Lizensierung im Ukrainischen. In: Kosta, P. et al. [eds.] Investigations into Formal Slavic Linguistics. Frankfurt/Main [etc.]: 673–683.

mehrgliedrige Konjunktion ≡ mehrteilige Konjunktion

Mehrstufe

≡ Komparativ

mehrteilige Konjunktion

Konjunktion, die aus mehr als einem Bestandteil besteht.

▲ complex conjunction: conjunction that consists of

several components.

Die mehrteiligen Konjunktionen umfassen paarige Konjunktionen wie entweder ... oder, aber auch Konjunktionen, die aus mehr als zwei Bestandteilen bestehen wie erstens ... zweitens ... drittens. Die Bestandteile sind entweder formidentisch (z.B. teils ... teils, bald ... bald), formseitig teilidentisch (z.B. zum einen ... zum anderen, einerseits ... andererseits) oder unterscheiden sich formell (zwar ... aber). Die Zusammengehörigkeit beruht im letzten Fall auf der Semantik bzw. ist konventionalisiert. Melitta Gillmann ≡ mehrgliedrige Konjunktion ↔ einteilige Konjunktion → Konjunktion; Konjunktor; paarige Konjunktion 🕮 Pasch R. et al. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren. Berlin [etc.].

mehrteilige Verbform ≡ analytische Verbform

Mehrzahl ≡ Plural

Mengenbezeichnung

Nomen, das eine Quantität bezeichnet und mit einem anderen Nomen zusammen eine Zählkon­ struk­tion bildet. ▲ numerative: noun which denotes a quantity and combines with another noun to make up a numerative construction. Mengenbezeichnungen wie Menge, Gruppe, Reihe, Anzahl u.a. bilden im Dt. mit quantifizierenden Adjektiven (Numeralia) und anderen Gattungsnamen zusammen spezielle Zählkonstruktionen ((1)–(5)). In diesen Konstruktionen fungiert die Mengenbezeichnung als Kern der Phrase, das andere Nomen (das Gezählte) tritt als Attribut auf. Nicht-feminine Mengenbezeichnungen erscheinen im Dt. stets im Sg., während der Numerus der femininen Mengenbezeichnungen vom quantifizierenden Adj. bestimmt wird. Das Gezählte wird im Dt. im Pl. Nominativ, Pl. Genitiv oder mit der Präp. von angeschlossen. (1) zwei Dutzend Eier (2) eine Gruppe berühmte(r) Geologen (3) zwei Gruppen (von) Mädchen

475 Merkmalanalyse (4) eine Reihe (von) Studenten (5) eine Menge (von) Leute(n)

können in Merkmalbündeln in Form einer Merkmalmatrix dargestellt werden. György Scheibl

→ Kollektivum; Maßausdruck; Maßbezeichnung; Maßeinheit; Nomen; Substantiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Mengenwort ≡ Kollektivum

Merkmal

unterscheidende Eigenschaft einer linguistischen Einheit, die auf verschiedenen Strukturebenen vorliegt. ▲ feature; marker: distinctive characteristic of a linguistic unit on various structural levels. Ein Merkmal ist eine abstrakte Einheit, die den Inhalt linguistischer Einheiten z.B. auf phonologischer, syntaktischer oder semantischer Ebene repräsentiert. Es ermöglicht es, ling. Entitäten gleicher Art einer Kategorie zuzuordnen sowie diese Entitäten untereinander und mit anderen zu vergleichen. Jeder ling. Entität kann ein Merkmalbündel zugeordnet werden, das aus meist binären Merkmalen besteht. Dabei wird das Vorhandensein eines Merkmals durch ein Pluszeichen, das Nichtvorhandensein durch ein Minuszeichen dargestellt. So ist z.B. ein Phonem entweder [+dental] oder [−dental]. Daneben gibt es auch sog. skalare Merkmale, z.B. bei der Bezeichnung unterschiedlicher Akzentstärken. Im Lexikon finden sich morphologische Merkmale. Sie sind aus morphologischen Regeln hervorgegangene Merkmale lexikalischer Einheiten und geben u.a. an, welcher Flexionsklasse Verben und Substantive angehören. Morphologische Merkmale sind dem Lexikon inhärent und damit im Unterschied zu den kontextuellen Merkmalen kontextunabhängig. Die Annahme von Merkmalen stammt aus der strukturalistischen Phonologie der 1930er Jahre, die zwischen bedeutungsunterscheidenden, also distinktiven, und redundanten Merkmalen unterscheidet. Mit Bezug auf die Erkenntnisse der Merkmalsphonologie vertritt Chomsky die Hypothese, dass ein unbegrenztes und universell gültiges Inventar an Merkmalen existiert, aus dem die einzelsprachliche Auswahl erfolgt. Merkmale

Gabriele Diewald ≡ feature → binäres Merkmal; Merkmalanalyse → Gram-Syntax: grammatisches Merkmal ⇀ Merkmal (CG-Dt; Lexik; Sprachphil; Dial; Textling; QL-Dt) ⇁ feature (CG-Engl)

🕮 Chomsky, N./ Halle, M. [1968] The Sound Pattern of English. New York, NY ◾ Jakobson, R./ Halle, M. [1956] Fundamentals of Language (JanLing-Minor-H 1). Den Haag.

Merkmal, binäres → binäres Merkmal

Merkmal, semantisches → semantisches Merkmal

Merkmalanalyse

Darstellung der Bedeutung von lexikalischen Einheiten mithilfe semantischer Merkmale. ▲ componential analysis; semantic feature analysis: description of the meaning of lexical units by means of semantic features. Die Merkmalanalyse stammt aus der Phonologie, wo sie zur Ermittlung der relevanten phonologischen Distinktionen eines Phonems eingesetzt wird. Von dort ist das Prinzip der Merkmalanalyse auf die Lexikologie übertragen worden. Die Merkmalanalyse geht davon aus, dass die Gesamtheit aller lexikalischen Einheiten einer Sprache mit einem begrenzten Inventar semantischer Merkmale beschrieben werden kann. Bisher ist das Inventar noch nicht komplett erschlossen, so dass ein Beweis dieser Annahme aussteht. Das Hauptproblem liegt darin, dass semantische Merkmale oft auf subjektiven Einschätzungen beruhen, die aber zugleich das Erkenntnisziel der semantischen Analyse sein sollen. Das Gesamtinventar an Merkmalen kann als universell angesehen werden, doch jede Einzelsprache macht entsprechend ihrem hist. Hintergrund unterschiedlichen Gebrauch davon. Als semantisches Beschreibungsverfahren ist die Merkmalanalyse Bestandteil verschiedener Modelle, u.a. in der Transformationsgrammatik.

Gabriele Diewald ≡ Komponentenanalyse → Lexem; Merkmal; semantisches Merkmal ⇀ Merkmalanalyse (Lexik) ⇁ componential analysis (TheoMethods; CG-Engl)

M

merkmalloser Kasus 476 🕮 Katz, J.J./ Fodor, J.A. [1964] The Structure of a Semantic Theory. In: Fodor, J.A./ Katz, J.J. [eds.] The Structure of Language. Read­ings in the Philosophy of Language. Englewood Cliffs, NJ: 479–518 ◾ Wierzbicka, A. [1972] Semantic primitives. Frankfurt/ Main.

merkmalloser Kasus

unspezifischer Kasus, der mit keinem Flexionsmarker versehen ist und keine positive Festlegung hinsichtlich der syntaktischen Funktion liefert. ▲ unmarked case: unspecified case without any inflectional marker and with no indication of its syntactic function.

M

Der Nominativ kann morphologisch für das Dt. als merkmalloser Kasus angesehen werden. In diesem stehen gewöhnlich die substantivischen Attribute nach Maß- und Mengenangaben (Helbig/Buscha 2013: 501) ((1), (2)). (1) eine Kiste Wäsche (2) ein Kilo Tomaten Bei unbestimmten Mengenangaben wie Gruppe, Reihe kann das Attribut im merkmallosen Kasus oder im Präpositionalkasus mit von und Nullartikel stehen (3). (3) eine Gruppe Touristen/ von Touristen. Nach Jakobson, der allgemeine Kasusbedeutungen annimmt, steht der Nominativ des Russ. „allen anderen merkmalhaften Kasus als merkmalloser Kasus gegenüber“ (Jakobson 1974: 125). Im Rahmen der Rollensemantik, für die das Verb (und nicht der Kasus) der jeweiligen regierten NP im Satz die entsprechende semantische Rolle vorgibt, liefert der merkmallose Kasus keine Informationen über die semantische Rolle der betreffenden NP (Wiese 2017: 928). Giovanni Gobber

→ Kasus; markierte Flexionskategorie; Maßbezeichnung; Mengenbezeichnung

→ Gram-Syntax: Kasusgrammatik; Kasusrolle; semantische Rolle; syntaktische Funktion

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Jakobson, R. [1974] Morphologische Untersuchung der Deklination im Slavischen. In: Jakobson, R. [1974] Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. München: 125–128 ◾ Wiese, B. [2017] Kasus. In: Gunkel, L. et al. Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal. Berlin [etc.]: 889–1035.

Mischkonjugation

Konjugationsart von Verben, in denen sich Merkmale der schwachen und der starken Verben vermischen.

▲ mixed conjugation: conjugation of verbs that shows

characteristics of both weak and strong verbs.

In der Regel werden Verben aufgrund der Bildungsweise der Präterital- und Partizip II-Formen in die schwache und die starke Konjugationsklasse sortiert. Die schwachen Verben bilden die genannten Formen mit dem Dentalsuffix -t, während in der Präteritalform der starken Verben ein Vokalwechsel erfolgt und das Partizip II mit dem Suffix -en gebildet wird. Eine kleine Gruppe von Verben weist in der Konjugation sowohl Merkmale der starken als auch Merkmale der schwachen Verben auf. Aus diesem Grunde wird die Mischkonjugation auch „stark-schwache“ Konjugation genannt (Duden 2016: 441) und die von ihr betroffenen Verben als „gemischte“ (Hentschel 2010: 384; Hentschel/Vogel 2009: 276) oder „unregelmäßige“ (Engel 1998: 401; Hentschel/Vogel 2009: 345; Thieroff/Vogel 2009: 9) Verben bezeichnet. Gelegentlich entsteht Mischkonjugation durch den tendenziellen Übergang von starken Verben in die schwache Konjugationsklasse. Die Mischkonjugation ist bei folgenden Gruppen von Verben nachzuweisen (vgl. Duden 2016: 457f.; Hentschel/Vogel 2009: 345ff.): (a) Verben, die im Prät. das -t-Suffix und einen Vokalwechsel (sog. Rückumlaut) aufweisen: brennen – brannte – gebrannt; nennen – nannte – genannt; kennen – kannte – gekannt; rennen – rannte – gerannt. (b) Verben, die im Prät. das -t-Suffix und einen Vokalwechsel mit einem zusätzlichen Konsonantenwechsel verwenden: bringen – brachte – gebracht; denken – dachte – gedacht. (c) Verben, bei denen die schwache Konjugation und die Mischkonjugation parallel gebraucht werden und dadurch auch Bedeutungsveränderung entsteht: senden – sendete – gesendet bzw. senden – sandte – gesandt; wenden – wendete – gewendet bzw. wenden – wandte – gewandt. (d) Verben, deren Präteritalformen nach dem schwachen Konjugationsmuster gebildet werden, die Partizip II-Formen aber stark sind: mahlen – mahlte – gemahlen; salzen – salzte – gesalzen; spalten – spaltete – gespalten. (e) Verben, die sowohl ein schwaches als auch ein starkes Konjugationsparadigma haben: gären – gärte – gegärt bzw. gären – gor – gegoren; glimmen – glimmte – geglimmt bzw. glimmen – glomm

477 Mittelverb – geglommen; saugen – saugte – gesaugt bzw. saugen – sog – gesogen. Eszter Kukorelli ≡ Mischtyp → gemischtes Verb; regelmäßige Konjugation; regelmäßiges Verb; schwaches Verb; starkes Verb; unregelmäßige Konjugation; unregelmäßiges Verb

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg.

Mischtyp

≡ Mischkonjugation

Mitteilungsverb

dreiwertiges Verb mit Akkusativ- und Dativkomplement, dessen semantischer Gehalt dem Schema folgt, Informationen aus einer bestimmten Quelle an einen Empfänger zu übermitteln. ▲ messaging verb: trivalent verb with accusative and dative complements that follows a specific pattern in its semantic content, namely conveying information from a certain source to an addressee. Alexander Windeck → redeeinleitendes Verb; verbum dicendi → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; Dativergänzung; dreistelliges Verb

🕮 Eisenberg, P. [2001] Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [1988] Einführung in die Valenz- und Kasustheorie. Leipzig ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

mittelbarer Kasus

≡ Präpositionalkasus

Mittelverb

Verb, das ein Akkusativkomplement hat, aber keine Passivierung zulässt. ▲ middle verb; pseudo-transitive verb: verb governing an accusative complement which doesn’t allow a passive transformation. Mittelverben nehmen eine Zwischenstellung zwischen transitiven und intransitiven Verben ein: Formal regieren sie ein Akkusativkomplement, drücken aber keine darauf gerichtete Handlung aus, wie es bei den prototypischen transitiven Verben der Fall ist ((1), (2)). (1) Das Buch umfasst 200 Seiten. [Mittelverb mit Akkusativkomplement]

(2)

Der Bäcker backt Brot. [transitives Verb mit Akkusativkomplement] Auf Grund dieser Eigenart werden Mittelverben auch als pseudotransitiv bezeichnet (Hentschel/ Weydt 2003; Hentschel 2010). Sie können daher nicht im Passiv stehen ((3) vs. (4)). (3) Der Junge bekam ein Paket. (3a) *Das/Ein Paket wurde bekommen. (4) Er öffnet das Paket. (4a) Das Paket wird geöffnet. Zu den Mittelverben werden u.a. Verben wie bekommen, erhalten, enthalten, umfassen, haben, es gibt gezählt. In anderen Arbeiten wird der Terminus Mittelverb in der Bedeutung von mediales Verb verwendet (z.B. Ágel 1997), aber nicht umgekehrt (unter mediales Verb werden nicht pseudotransitive Verben verstanden). Nach der semantischen Bestimmung umfasst Medialität solche Handlungen, Vorgänge und Zustände, die in die eigene Sphäre des Subjekts gehören (Lyons 1968: 373). Die morphologische Definition setzt jedoch eine suffixale oder pronominale Markierung der betreffenden Verben voraus, so dass übereinzelsprachlich gesehen medial markierte Verben oft intransitive Äquivalente haben ((5)–(7) für Engl., Dt. und Ung.). (5) He is complaining about his financial situation. [intransitives Verb, ohne Medialmarker] (6) Er beklagt sich über seine finanzielle Situation. [pronominaler Medialmarker] (7) Panaszkodik a pénzügyi helyzete miatt. [suffixaler Medialmarker] Medialmarker sind übereinzelsprachlich gesehen teilweise identisch mit den Reflexiv- bzw. Reziprokpronomina und -markern, was in der engen Verwandtschaft und den kontinuierlichen Übergängen zwischen medialen, refl. (z.B. sich rasieren, sich waschen) und natürlich reziproken Verben (z.B. sich küssen, sich lieben) begründet liegt. Bei den medialen Verben ist jedoch eine konzeptuelle Unterscheidbarkeit zwischen Subjekt und Objekt (wie im Fall des refl. gebrauchten Verbs sich rasieren das Gesicht bzw. die Haare unterscheidbar sind von der handelnden Person) kaum vorhanden. Typisch mediale Bereiche sind u.a. emotionale Verben (sich schämen, sich freuen), Bewegungs- und Positionsverben (sich befinden, sich aufhalten, sich beeilen, sich bewegen), oder Verben der Kognition (sich fragen) (vgl. Kem-

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Mittelwort 478 mer 1993). Auch Facilitative, die im Dt. als mediale Konstruktionen belegt sind (das Buch liest sich leicht), werden zu diesen Bereichen gezählt. Die pseudotransitiven Verben des Typs bekommen, haben können insofern der Kategorie der semantisch medialen Verben zugewiesen werden, als sie gleichfalls nur den semantischen Bereich des Subjekts betreffen und nicht dezentriert werden können (was ihre Passivunfähigkeit erklärt). Sowohl die pseudotransitiven Verben mit einem Akkusativobjekt als auch die mit sich markierten medialen Verben befinden sich also auf dem Kontinuum zwischen transitiven und intransitiven Verben und sind semantisch nicht dezentrierbar und syntaktisch nicht passivfähig. Bernadett Modrián-Horváth

→ mediales Verb; Mediopassiv; passivfähiges Verb; pseudo-

transitives Verb; reflexiv gebrauchtes Verb; transitives Verb

⇁ middle verb (Typol)

M

🕮 Ágel, V. [1997] Reflexiv-Passiv, das (im Deutschen) keines ist. Überlegungen zu Reflexivität, Medialität, Passiv und Subjekt. In: Dürscheid, C./ Ramers, K.H./ Schwarz, M. [Hg.] Sprache im Fokus. Festschrift für Heinz Vater zum 65. Geburtstag. Tübingen: 147–187 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Kemmer, S. [1993] The Middle Voice. A Typological and Diachron­ ic Study (TypStLg 23). Amsterdam ◾ Lyons, J. [1968] Introduction to Theoretical Linguistics. Cambridge.

Mittelwort ≡ Partizip

Modaladverb

semantisch definierte Klasse der Adverbien, die die Adverbien der Art und Weise und die graduativen Adverbien umfasst. ▲ modal adverb: semantically defined class of adverbs which encompasses the adverbs of manner and the adverbs of degree. Modaladverbien bilden eine heterogene Gruppe und bezeichnen sowohl die Qualität (Art und Weise) als auch die Quantität (Menge, Ausmaß). Unter morphologischem Aspekt wird zwischen reinen Adverbien wie gern(e) oder so und Wortbildungsprodukten wie z.B. Ableitungen mit den Suffixen -lings oder -weise oder Zusammenrückungen wie kurzerhand, nebenbei, großenteils unterschieden. Adverbien der Art und Weise lassen sich in der Regel mit wie erfragen, graduative Adverbien mit bis zu welchem Grade oder wie. Folgende Ausdrü-

cke gehören der Teilklasse der Adverbien der Art und Weise an: anders, barfuß, blindlings, ebenso, flugs, genauso, geradeheraus, gern(e), glattweg, hinterrücks, insgeheim, jählings, kopfüber, rundweg, so, umsonst, unversehens, wie, zusammen u.v.a. Zur Teilklasse der graduativen Adverbien gehören z.B. großenteils, größtenteils, haufenweise, insgesamt, teilweise, scharenweise, inwiefern, inwieweit. (1) Sie lacht gerne, ist fröhlich und [...]. (2) Die Erwartungen wurden größtenteils erfüllt. Eine Sondergruppe der Modaladverbien bilden die Adverbonomatopoetika, die Geräusche schneller und abrupter Bewegungen imitieren und der Bezeichnung plötzlicher Handlungen dienen. (3) Er schwingt das Schreibgerät, martert das Hirn – und schwuppdiwupp sind die Gedanken in der Welt. (4) Ruckzuck infizierten die Bakterien die gesamte Käserei. (5) Zack war die Aufnahme der sieben Sportler aus der Athletengruppe beschlossene Sache. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ modales Adverb → Einordnungsadverb; logisches Adverb; Modalpartikel; Modalwort; modifikatives Adverb; Statusadverb → Gram-Syntax: Modalangabe; modale Adverbialbestimmung; Modalsatz ⇁ modal adverb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

modale Konjunktion ≡ modaler Subjunktor

modale Präposition

Klasse von Präpositionen, mit denen ein Verhältnis der Art und Weise zum Ausdruck gebracht wird. ▲ modal preposition; preposition of manner: class of prepositions denoting a modal relation. Fasst man den Terminus modale Präposition i.w.S. auf, dann fallen darunter alle Präpositionen, die nicht lokal oder temporal verwendet werden. Daneben werden die modalen Präpositionen traditionell von den von Valenzträgern geforderten neutralen Präpositionen unterschieden, z.B. den

479

modales Hilfsverb

Präpositionen in denken an, warten auf, froh über, eine Forderung nach usw. (Duden 2005: § 909). Schwieriger gestaltet sich die Unterscheidung zwischen modalen und kausalen Präpositionen, sofern die Antworten auf kausale Fragen (warum? wozu? ohne/mit Rücksicht worauf? usw.) auch so interpretiert werden können, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, wie oder unter welchen Bedingungen etwas geschieht oder getan wird (modal). Das trifft insbesondere auf Verwendungen von Präpositionen wie (an)statt, anstelle, entgegen, bis auf, wider etc. zu ((1)–(3)). (1) Trotz des Regens ging sie raus. (2) Entgegen meinem Rat ging sie raus. (3) Bis auf zwei waren alle jünger als 20 Jahre. In (1) ist die Verwendung kausal-einschränkend, in (2) liegt teilweise eine adversative Begründung und Einschränkung, also kausale Verwendung vor, teilweise eine Modalität bzw. Möglichkeit im kantischen Sinne, in (3) ist die Verwendung z.T. einschränkend, z.T. die Gestalt der Gruppe beschreibend. Zu den modalen Präpositionen i.w.S. gehören u.a. auf (auf elegante Art), aus (aus Seide), außer (außer Atem), bei (bei Bewusstsein), gegenüber (gegenüber dem Vorjahr/ seinen Eltern gegenüber, Prä- und Postposition), nebst und samt (samt seinem Heer), zuwider (der Abmachung zuwider, Postposition) sowie die instrumentalen Präpositionen mit, mittels, mithilfe (von) u.a. Die Frage, ob auch die hochfrequente Präp. von unter den weiten Terminus modal eingereiht werden kann, wenn sie nicht lokal (von Osten) oder temporal (von 17:00 bis 19:00 Uhr) gebraucht wird, sondern als Ersatz des attributiven Genitivs (die Wohnung von meiner Freundin) und zur Bezeichnung des Passiv-Agens (vom Hund gebissen, vom Blitz getroffen) (Hentschel/Weydt 2003: 277), ist strittig. Im ersten Fall kann man auch von einer neutralen Verwendung der Präp. sprechen, im zweiten Fall erscheint die Einordnung als kausale Präp. plausibel. Klaas Willems

→ instrumentale Präposition; kausale Präposition; lokale Prä-

position; Modaladverb; Präposition; temporale Präposition → Gram-Syntax: Modalangabe; modale Adverbialbestimmung

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Feigenbaum, S./ Kurzon, D. [eds. 2002] Prepositions in their syntactic, semantic and pragmatic context. Amsterdam [etc.] ◾ Guimier, C. [1981] Preposi­tions. An analytical bibliography. Amsterdam [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Gram-

matik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rauh, G. [ed. 1991] Approach­es to Prepositions (TBL 358). Tübingen.

modale Subjunktion ≡ modaler Subjunktor

modaler Subjunktor

Subjunktor, der einen Nebensatz der Art und Weise einleitet. ▲ modal subjunctor: subjunctor which introduces a clause of manner. Bei den modalen Subjunktoren kann man zwischen instrumentalen Subjunktoren (indem oder dadurch dass), die angeben, mit welchem Mittel die im übergeordneten Satz bezeichnete Handlung ausgeführt wurde (1), unterscheiden und solchen, die die Art und Weise spezifizieren. Dazu gehören Komparativsätze, in denen ein Vergleich zwischen zwei Ereignissen gezogen wird ((2), (3)), und Proportionalsätze (4), in denen die Ausprägung eines Ausdrucks in Relation zur Ausprägung eines Ausdrucks im Matrixsatz gestellt wird. (1) Sie öffnete die Tür, indem sie den Türgriff herunterdrückte. (2) Der Sommer 2018 war so heiß, wie seit Jahren keiner war. (3) Der Sommer 2018 war deutlich heißer, als es die Sommer der vorangehenden Jahre waren. (4) Je länger er wartete, desto unruhiger wurde er. Melitta Gillmann ≡ modale Konjunktion; modale Subjunktion → instrumentaler Subjunktor; proportionaler Subjunktor; Subjunktor → Gram-Syntax: Modalangabe; Modalsatz

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

modales Adverb ≡ Modaladverb

modales Hilfsverb

Verb, das in Verbindung mit einem Vollverbinfinitiv eine modale Bedeutung im Verbalkomplex ausdrückt. ▲ modal auxiliary; modal auxiliary verb: verb with a

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modales Hilfsverb 480 modal component which occurs in complex predicates with an infinitive of a main verb.

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Die modalen Hilfsverben bilden im Dt. eine morphologisch, syntaktisch und semantisch gut abgrenzbare Gruppe unter den Nicht-Vollverben. Sie dienen dazu, Ereignisse modal (in Bezug auf Möglichkeit, Notwendigkeit, Fähigkeit, Absicht, Erlaubnis oder bzgl. der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit durch den Sprecher) einzustufen. Der Terminus modales Hilfsverb bezieht sich eindeutig auf die unselbständigen Verwendungen von Modalverben, in denen sie im Dt. mit einem Vollverbinfinitiv vorkommen und das dadurch ausgedrückte Ereignis modalisieren. Diese Terminologie ist in vielen Grammatiken zugunsten der Bezeichnung Modalverb geändert worden, wobei die Unterschiede zwischen den selbständigen und den hilfsverbartigen Verwendungen erfasst werden. Die Modalverben dürfen, können, mögen/möchte-, müssen, sollen und wollen sind – seltener – auch selbständig gebräuchlich. In diesen Fällen kann ihnen ein größerer Grad an syntaktischer und semantischer Autonomie zugeschrieben werden, wobei diese Verwendungen auch auf Grund komplexerer Strukturen gedeutet werden können ((1), (2)). (1) Er mag Käsetorte. [selbständige Verwendung des Modalverbs] (1a) Er mag Käsetorte (essen). [naheliegende Deutung der Verwendung (1)] (2) Er mag nicht nach Hause gehen. [hilfsverbartige Verwendung des Modalverbs] Als Hilfsverben haben modale Hilfsverben eine geringere Autonomie, übernehmen den Valenzrahmen der von ihnen regierten Vollverben (3), wobei bestimmte Kompatibilitäten in der semantischen Rolle erforderlich sein können (Eroms 2000). (3) Sie bat ihn/*ihm um/*für Hilfe. (3a) Sie wollte ihn/*ihm um/*für Hilfe bitten. Hinsichtlich ihrer Konjugation zeigen die obigen Verben einige Besonderheiten: sie gehören, bis auf das Verb wollen, in die Gruppe der sog. Präteritopräsentia. Außerdem fehlen in ihrem Paradigma die Imperativ- und Passivformen. Im Perf. und Plq.perf. stehen sie statt im Partizip II im Infinitiv (Ersatzinfinitiv); das gilt jedoch nur für den hilfsverbartigen Gebrauch. Modale Hilfs-

verben – genauso wie andere Hilfsverben und die Modalitätsverben – werden nur kohärent, d.h. nicht satzwertig verwendet ((4), (5)). (4) [...], dass er Käsetorte hat essen wollen. (4a) [...], *dass er hat wollen, Käsetorte zu essen. (5) [...], dass er versucht hat, Käsetorte zu essen. Semantisch gesehen können die subjektbezogenen (objektiven, auch: deontischen) Gebrauchsweisen (6) und die wissensbezogenen (auch: sprecherorientierten/subjektiven), sog. epistemischen Verwendungen (7) unterschieden werden, wobei die beiden modalen Redehintergründe nicht klar voneinander zu trennen sind. Des Weiteren begegnen modale Hilfsverben auch oft in metaphorischem Gebrauch als Ausdruck von Höflichkeit (8) bzw. paradigmatisch zu imperativischen Verbmodi ((9), (10)). (6) Er musste/durfte die Arbeit beenden. ['er hatte die Pflicht/Erlaubnis, die Arbeit zu beenden'] (7) Er muss/dürfte das beendet haben. ['er hat das sicherlich/wahrscheinlich beendet'] (8) Können Sie mir helfen? (9) Komme er! – Er soll kommen. (10) Gehen wir! – Wir wollen gehen. Peripher werden die Verben werden bzw. (nicht) brauchen zu den modalen Hilfsverben gezählt, beim Ersteren wird die epistemisch-modale Komponente (Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses durch den Sprecher) in Betracht gezogen, beim Letzteren neben der objektiv-modalen Bedeutung (Kennzeichnung der Notwendigkeit) die voranschreitende Grammatikalisierung, die sich in ugs. Verwendungen zeigt (11a): (11) Er braucht es nicht zu sehen. (11a) Er brauch es nicht sehen. [ohne Personalendung und zu vor dem Infinitiv] In der angelsächs. Fachlit. werden Modalverben (can, could, may, must, ought to u.a.) als sekundäre Auxiliare betrachtet, denn sie teilen wichtige Eigenschaften mit den primären Auxiliaren (be, have), wobei der Verbstatus der modalen Auxiliare wegen der fehlenden Konjugierbarkeit umstritten ist. Bernadett Modrián-Horváth

→ Halbmodale; Hilfsverb; Modalitätsverb; Modalverb; modalverbähnliches Verb

→ Gram-Syntax: Modalität; Verbalkomplex ⇁ modal auxiliary (Typol)

🕮 Diewald, G. [1999] Die Modalverben im Deutschen. Gram-

481 Modalpartikel matikalisierung und Polyfunktionalität. Tübingen ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Modalitätsverb

Verb, das im Satz eine zu + Infinitiv-Konstruktion eines anderen Verbs regiert und eine modalverbähnliche Bedeutung hat. ▲ semi-modal: verb that governs a construction with zu+infinitive of another verb in the sentence and has a modal-like meaning. Es handelt sich um eine Gruppe von ca. 20 Verben, die im Satz eine zu + Infinitiv-Konstruktion eines anderen Verbs regieren. Sie haben den Modalverben ähnliche Bedeutungen, indem sie verschiedene Arten von Möglichkeiten und Notwendigkeiten ausdrücken. (1) Das Wetter scheint gut zu sein. (2) Er verspricht zu kommen. In (1) drückt scheinen eine Möglichkeit aus, durch die der Faktizitätswert der Proposition eingeschränkt wird; insofern ähnelt es semantisch etwa dem Modalverb können. Mit versprechen in (2) kommt eine durch die Selbstverpflichtung des Subjekts hergestellte Notwendigkeit zustande; insofern ist es ähnlich wie das Modalverb sollen. Das Modalitätsverb bildet mit der zu + InfinitivKonstruktion des anderen Verbs einen Verbalkomplex. Weitere Beispiele für Modalitätsverben sind anstehen, drohen, gedenken, sich trauen, vermögen, verstehen, wissen u.a. Auch die Konstruktionen mit haben, sein und bleiben + zu + Infinitiv können zu den Modalitätsverbkomplexen gezählt werden, wobei die beiden letzteren eine passivische Lesart voraussetzen ((3), (4)). (3) Klaus hat viel zu tun. → Klaus muss viel tun. (4) Das Problem ist/bleibt zu lösen. → Das Problem muss gelöst werden. Die meisten Modalitätsverben spezifizieren das Verhältnis zwischen dem Satzsubjekt und dem mit zu eingeleiteten Vollverb. Einige Verben wie drohen oder sich unterstehen drücken aber sprecherbezogene Modalität aus (5). (5) Die Uhr droht bald kaputtzugehen. → Ich [der Sprecher] befürchte, dass die Uhr bald kaputtgeht. Den Modalverben ähnlich verfügen auch die

meisten Modalitätsverben über eine Vollverbvariante (6), die ohne eine zu + Infinitiv-Konstruktion steht und dementsprechend auch nicht zu den Modalitätsverben gezählt wird. (6) Klaus verspricht alles. Attila Péteri ≡ modifizierendes Verb → Halbmodale; Infinitivverb; Modalverb; modalverbähnliches Verb → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion; Modalität

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Welke, K. [2007] Einführung in die Satzanalyse. Die Bestimmung der Satzglieder im Deutschen. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Modalpartikel

unflektierbares Wort zur Signalisierung der Sprechereinstellung und zur Bewertung des geäußerten Sachverhalts. ▲ modal particle; adverb of stance: short invariable form which signals a speaker’s attitude towards a proposition. Der Terminus Modalpartikel wird in der Fachlit. unterschiedlich ausgelegt: (a) Am meisten verbreitet ist die Verwendung als Synonym für die sog. Abtönungspartikel (vgl. Thurmair 1989; Meibauer 1994); (b) Die Interpretation als Syn­ onym für Modaladverb oder Modalwort wird von Engel (2004: 423f.), Zifonun et al. (1997: 58) und Ballweg (2007: 547–553) vertreten. Sie verstehen darunter morphologisch unflektierbare Wörter, die die Proposition dadurch modifizieren, dass sie jeweils eine Sprechereinstellung signalisieren oder eine Bewertung der Geltung des geäußerten Sachverhalts zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zu den Abtönungspartikeln können sie auch im Vorfeld des Deklarativsatzes stehen (1) und als Antwort auf Ja/Nein-Fragen dienen (2). (1) Leider hat er diesmal das Spiel verloren. (2) Musst du wirklich zu Hause bleiben? – Leider. Engel (2004: 424) zählt Wörter wie allerdings, anscheinend, beinahe, einigermaßen, fast, freilich, größtenteils, halbwegs, hoffentlich, keinesfalls, leider, möglicherweise, schwerlich, sicherlich, teilweise, unzweifelhaft, vielleicht, zweifellos hierzu. Viele Modalpartikeln sind von Adjektiven und Partizipien durch das Fugenelement -er und das Suffix -weise abgeleitete Wörter wie

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Modalverb 482 ­ edauerlich-er-weise, klug-er-weise usw. (vgl. Zib fonun et al. 1997: 58). Anna Molnár ≡ Einstellungspartikel → abtönungsfähige Partikel; Abtönungspartikel; Modaladverb; Modalwort → Gram-Syntax: Deklarativsatz; Entscheidungsfragesatz ⇀ Modalpartikel (Lexik; HistSprw; SemPrag)

🕮 Ballweg, J. [2007] Modalpartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 547–553 ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Thurmair, M. [1989] Modalpartikeln und ihre Kombinationen. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Modalverb

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Verb, das ein Vollverb in Bezug auf Möglichkeit, Notwendigkeit oder Wunsch, die dadurch ausgedrückte Handlung auszuführen, oder in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit eines dadurch ausgedrückten Sachverhalts aus der Sicht des Sprechers bzw. des Satzsubjekts modifiziert. ▲ modal verb; modal auxiliary: verb denoting a possibility, necessity, or a wish of the subject to carry out an action encoded by the main verb or denoting a belief of the speaker or the subject that a matter of fact encoded by the main verb is true. Die Modalverben sind aus den idg. Sprachen am stärksten in der Germania vertreten. Die meisten davon gehen auf idg. Verbalstämme mit perfektiver Semantik zurück, was synchron darin zum Ausdruck kommt, dass sie zu der morphologischen Klasse der Präteritopräsentia gehören. Vgl. die Formen des Präs. Sg. mag, kann, soll, muss, darf, die ähnlich wie die Präteritalformen starker Verben (d.h. mithilfe des Wurzelablauts) gebildet werden: lag, rann, schwoll, warf. Dagegen werden die Präteritalformen der Modalverben wie die der schwachen Verben (also mithilfe des Dentalsuffixes) gebildet: mochte, konnte, musste, durfte. Das Verb wollen war urspr. ein schwaches Verb und ist erst später an die Präteritopräsentia angepasst worden. Der Infinitiv der Modalverben ist hist. gesehen eine sehr junge Form. Die Modalverben können entsprechend ihrer lexikalischen Bedeutung (Wurzelmodalität; objektive (agensbezogene) Modalität; deontische oder voluntative Modalität) verwendet werden oder eine Vermutung bzw. Annahme ausdrücken

(epistemische bzw. deiktische Modalität; subjektive (sprecherbezogene) Modalität). Das Modalverb können bezeichnet eine Fähigkeit (1) oder Möglichkeit (2). (1) Peter kann schwimmen. (2) Peter kann jetzt spazieren gehen. Ist die Möglichkeit von einer Zustimmung anderer Person(en) abhängig, wird statt können in der Regel das Modalverb dürfen verwendet (2a). (2a) Peter darf jetzt spazieren gehen. In der epistemischen Lesart bezeichnet können eine vage Vermutung des Sprechers über einen Sachverhalt (3). (3) Peter kann/könnte jetzt in seinem Büro sitzen. Dürfen drückt bei epistemischer Verwendung (fast durchweg in der Konjunktiv II-Form) eine Vermutung aus, die meist auf den Worten Dritter basiert (4). (4) Die Finanzkrise dürfte sich in den nächsten drei Monaten etwas verschärfen. Das Modalverb müssen bezeichnet eine Notwendigkeit als Zwang, dessen sich das Agens bewusst ist bzw. der durch höhere Gewalt verursacht ist ((5), (6)). (5) Wir müssen sparen. (6) Der Kranke muss einer zusätzlichen Untersuchung unterzogen werden. Ist die Notwendigkeit durch eine Anordnung bzw. Empfehlung Dritter bedingt, wird statt müssen das Verb sollen verwendet ((7), (8)). (7) Sie soll sich morgen bei ihrem Chef melden. (8) Das sollten Sie lieber auf einen anderen Tag verschieben. Epistemisch bedeutet müssen meist eine sichere Vermutung bzw. Überzeugung des Sprechers (9). (9) Sabine muss zu Hause sein. Die epistemische Lesart von sollen setzt voraus, dass die Überzeugung des Sprechers auf den Worten Anderer beruht (10). (10) In Japan soll es im Oktober sehr schön sein. Das Modalverb wollen drückt einen Wunsch des Agens aus (11). (11) Wolfgang will/wollte schlafen. Soll der Wunsch (nur in der Gegenwart) höflich oder mit gewisser Unsicherheit ausgedrückt werden, wird statt wollen die Form des Konjunktivs Prät. des Verbs mögen (möchte) verwendet (12). (12) Ich möchte morgen nach Berlin fahren.

483

modalverbähnliches Verb

Epistemisch bezeichnet wollen eine Behauptung des Agens (13). (13) Peter will immer alles besser wissen als die Anderen! Das Verb mögen drückt in epistemischer Lesart eine (oft konzessiv gefärbte) Vermutung des Sprechers aus (14). (14) Das mag tatsächlich so sein (, aber meine Entscheidung bleibt trotzdem unverändert). Die Verwendung von Modalverben mit einer Negation kann deren Semantik manchmal beachtlich verändern (15). (15) Wir müssen das nicht machen [= nicht unbedingt machen]. Die Formen des Perf. und Plsq.perf. der Modalverben werden (bei nichtepistemischer Lesart) mithilfe des Ersatzinfinitivs gebildet (16). (16) Peter hat es nicht machen können/dürfen/ müssen/sollen/wollen/mögen. Bei epistemischer Verwendung des Perf./Plsq.‌perf. in den Modalverbkonstruktionen steht das jeweilige Modalverb in finiter Form, während das Vollverb in der Infinitiv-II-Form verwendet wird ((17), (18)). (17) Peter kann/dürfte/muss/soll/will/mag sich geirrt haben. (18) Sabine kann/dürfte/muss/soll/will/mag zu Hause gewesen sein. In Einzelfällen können die Sätze des letzterwähnten Typs auch objektiv (d.h. aus der Agens-Per­ spektive) gedeutet werden (19). (19) Der Motor muss einige Sekunden gelaufen sein, bis das Auto fahren kann. Zu den Modalverben werden ferner brauchen (in der Regel mit Negation oder der Partikel nur verwendet) sowie nur epistemisch verwendetes werden gezählt ((20)–(23)), (20) Du brauchst es nicht zu erklären. (21) Wir brauchen nur eine Kleinigkeit zu erledigen. (22) Peter wird jetzt zu Hause sein. (23) Sie wird die Klausur fehlerfrei geschrieben haben. Michaił L. Kotin

↔ Halbmodale; Vollverb → Ersatzinfinitiv; extrasubjektive Modalverbverwendung; ha-

ben-zu-Konstruktion; inferentielles Modalverb; Infinitivverb; modales Hilfsverb; Modalitätsverb → Gram-Syntax: Sachverhalt; Verbalkomplex ⇀ Modalverb (HistSprw; CG-Dt)

⇁ modal verb (Typol)

🕮 Diewald, G. [1999] Die Modalverben im Deutschen. Grammatikalisierung und Polyfunktionalität. Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Öhlschläger, G. [1989] Zur Syntax und Semantik der Modalverben des Deutschen. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Modalverb, inferentielles → inferentielles Modalverb

modalverbähnliches Verb

Verb mit modaler Semantik, das ein Infinitivkomplement regiert, aber morphosyntaktisch keine hilfsverbähnlichen Eigenschaften aufweist. ▲ verb related to modal verbs: verb with modal semantics which governs an infinitive complement but which doesn’t bear any morphosyntactic resemblance to auxiliary verbs. Zifonun et al. (1997) verwenden den Terminus modalverbähnliche Verben zur Bezeichnung von Verben, die semantisch gesehen nicht selbständig zum Ausdruck von Ereignissen, sondern zur Modalisierung derselben dienen. Demnach drücken die modalverbähnlichen Verben – ähnlich wie Modalverben – u.a. Notwendigkeit, Möglichkeit oder Absicht aus ((1), (2)) (Beispiele aus dem Deutschen Referenzkorpus). (1) Leider vermochte er sich nicht voll durchzusetzen [modalverbähnliches Verb zum Ausdruck der dispositionellen Möglichkeit] (1a) Leider konnte er sich nicht voll durchsetzen [Modalverb zum Ausdruck der dispositionellen Möglichkeit] (2) Es lag mir fern, Ihnen etwas zu unterstellen [modalverbähnliches Verb zum Ausdruck der volitiven Modalität] (2a) Ich wollte Ihnen nichts unterstellen [Modalverb zum Ausdruck der volitiven Modalität] Modalverbähnliche Verben regieren in dieser Verwendung ein Infinitivkomplement, das syntaktisch die Rolle eines Subjekts oder eines Verbativkomplements übernimmt. Im ersteren Fall kann das logische Subjekt des Satzes im Dativ (bei den Verben fernliegen, freistehen) bzw. mit einer fakultativen für-Phrase (bei den Verben nahelie-

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Modalverbverwendung, extrasubjektive 484 gen, nottun, sich gehören, sich erübrigen, sich verbieten) angeschlossen werden ((3)–(4)). (3) Es steht Ihnen frei, Ihr Lieblingstier mitzubringen [logisches Subjekt im Dativ] (4) Seinen Vornamen zu schreiben erübrigt sich für ihn. [logisches Subjekt als für-Phrase] Wenn das Infinitivkomplement als Verbativkomplement auftritt, kann das modalverbähnliche Verb außer dem Subjekt kein anderes Komplement bei sich haben (5). (5) Er weiß es zu schätzen. [wissen als modalverbähnliches Verb] In einem nichtterminologischen Sinn wird der Ausdruck modalverbähnliches Verb für eine Reihe unterschiedlicher Phänomene, für periphere Modalverben, für Halbmodale, mitunter für AcIVerben, verwendet. Bernadett Modrián-Horváth

→ Halbmodale; Infinitivpartikel; modales Hilfsverb; Modalitätsverb; Modalverb

M

→ Gram-Syntax: Infinitivergänzung; Verbativkomplement

🕮 Graefen, G./ Liedke, M. [2008] Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache. Tübingen [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Modalverbverwendung, extrasubjektive → extrasubjektive Modalverbverwendung

Modalverbverwendung, intrasubjektive → intrasubjektive Modalverbverwendung

Modalwort

durch ihre besondere semantisch-syntaktische Beschaffenheit definierte Unterklasse von Adverbien und Adjektiven, mit der ein Sprecher seine subjektive Einstellung zu einem Geschehen oder Sachverhalt ausdrückt. ▲ modal expression; modal adverb: subclass of adverbs and adjectives with specific semantic-syntactic characteristics which are used by speakers to express their subjective attitude towards an event or situation. Modalwörter beziehen sich in der Regel auf den ganzen Satz und stellen sog. Einstellungsoperatoren dar, die die ausgedrückte Proposition in eine durch den Sprecher bewertete Äußerung überführen. Helbig/Buscha (2005) unterscheiden fünf Subklassen von Modalwörtern, die sich aus der

Art der ausgedrückten Stellungnahme des Sprechers ergeben: Gewissheitsindikatoren (fraglos, tatsächlich, zweifellos), Hypothesenindikatoren (sicher, vielleicht, wahrscheinlich), Distanzindikatoren (angeblich, vorgeblich), Emotionsindikatoren (erfreulicherweise, glücklicherweise, leider) und Bewertungsindikatoren (leichtsinnigerweise, unsinnigerweise, vorsichtigerweise). Morphologisch und in ihren Stellungseigenschaften lassen sich Modalwörter  (1) nicht von Adverbien  (2) unterscheiden, können aber im Gegensatz zu modalen Adverbien z.B. in einen übergeordneten Matrixsatz transformiert werden. (1) Er kommt wahrscheinlich. (1a) → Es ist wahrscheinlich, dass er kommt. (2) Er kommt gern. (2a) → *Es ist gern, dass er kommt. Zudem können Modalwörter im Unterschied zu modalen Adverbien als Antwort auf eine Entscheidungsfrage gegeben werden: (1b) Kommt er? – Wahrscheinlich. (2b) Kommt er? – *Gern. Marijana Kresić ≡ Einschubwort; Parenthetikum; Schaltwort ↔ Abtönungspartikel → Adjektiv; Distanzindikator; Geltungsadverb; Hypothesenindikator; Modaladverb; Modalpartikel; Partikel → Gram-Syntax: Entscheidungsfragesatz; Proposition ⇀ Modalwort (HistSprw)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

modifikatives Adverb

Adverb, das eine Verbform inhaltlich spezifiziert. ▲ modifying adverb: adverb that semantically specifies a verb form. Der Terminus wird von Engel (1996) für Adverbien gebraucht, die sonst als Modaladverbien oder Adverbien der Art und Weise (z.B. Duden 2005: 582; Helbig/Buscha 1988: 346) bezeichnet werden, z.B. anders, eilends, geradeaus, insgeheim, rittlings, unversehens. Der Terminus Modaladverb seinerseits wird oft mit Geltungsadverb oder Satzadverb (z.B. leider, vielleicht, wahrscheinlich) synonym verwendet und bedeutet in diesem Fall etwas anderes als hier. Zur terminologischen Vielfalt vgl. Eisenberg (1999: 215). Kjell-Åke Forsgren

485 Modus

→ Adverb; Geltungsadverb; logisches Adverb; Modaladverb; Modalpartikel; Satzadverb

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1988] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 11. Aufl. Leipzig [etc.].

modifizierendes Verb ≡ Modalitätsverb

Modus

grammatische Kategorie, durch die die Art und Weise des Sagens, das Verhältnis der Proposition zum Welt- und Handlungswissen des Sprechers und des Hörers festgelegt wird. ▲ mood: grammatical category by which the way of saying, the relationship of the proposition to the knowledge of the speaker and the hearer about the world and about the interaction is determined. Der Modus wird meistens als grammatisches Pendant zur semantischen Kategorie Modalität angesehen, wobei die traditionell dem Modus subsumierten Formmerkmale unterschiedlich enge oder lockere Verhältnisse zur Modalität aufweisen. I.e.S. handelt es sich um eine grammatische Kategorie des Verbs, die durch morphologische Mittel oder durch Auxiliarverben markiert wird (Verbmodus). Da das Verb bzw. der Verbalkomplex die zentrale Ausdruckseinheit des Prädikats ist, werden durch die Verbmodi diverse Verhältnisse des Sprechers zur Prädikation spezifiziert. I.w.S. wird unter Modus der sog. modus dicendi, die Art und Weise, wie eine Proposition realisiert wird, verstanden (Satzmodus). Als solcher stellt er eine grammatische Kategorie des Satzes dar, die durch ein Bündel formaler Merkmale (Verbmodus, lexikalisch-kategoriale Merkmale, Reihenfolgemerkmale) markiert wird. Durch die Verbmodi werden i.A. Einstellungen hinsichtlich der Faktizität des Sachverhalts, genauer des den Sachverhalt repräsentierenden Wissensbestands des Sprechers spezifiziert. Der Indikativ ist dabei als Neutralmodus ohne modale Markierung zu kennzeichnen. Das dt. Konjunktivparadigma ist in zwei Teilparadigmen geteilt, in den Indirektheitskonjunktiv (Konjunktiv I) sowie in den Restriktivkonjunktiv (Konjunktiv

II). Das erste dient in seinem Hauptverwendungsbereich zum Ausdruck der Quotativität, indem der Sprecher die Übernahme der Informationen von einem Dritten markiert. Insofern hängt es nur mittelbar mit dem Faktizitätswert der Proposition zusammen, zu dem der Sprecher, der lediglich als Vermittler der Informationen gilt, keine Stellung nimmt (1). Das zweite hingegen drückt eingeschränkte Faktizität aus, indem die gegebene Prädikation als irreal [in der Tat ist sie nicht der Fall (2)] oder als potential [sie wäre nur unter bestimmten Bedingungen der Fall (3)] dargestellt wird. (1) Klaus behauptet, er sei arm. (2) Klaus wäre gerne reich. (3) Wenn er im Lotto sechs Richtige hätte, würden alle seine Probleme gelöst. In vielen europ. Sprachen (Ital., Finn., Ung., Poln., Russ. u.a.) gibt es einen Konditional, dessen Bedeutung die an (objektive oder subjektive) Bedingungen gebundene Potentialität ist. Während der Konjunktiv an bestimmte Satztypen, besonders an Nebensatztypen gebunden ist (im Engl. wird er dementsprechend subjunctive, im Frz. subjonctif genannt), ist der Konditional weitgehend frei von syntaktischen Restriktionen. Im Ital., in dem sowohl ein Konjunktiv als auch ein Konditional vorhanden ist, wird der Konjunktiv stets in Nebensätzen (4) und in nicht deklarativen Hauptsätzen (5) benutzt, während in deklarativen Hauptsätzen nur der Konditional als Ausdruck der eingeschränkten Faktizität möglich ist (6). (4) Credo che Gianni canti. ['Ich glaube, dass Gianni singt.'] (5) Almeno piovesse! ['Wenn es doch regnen würde!'] (6) Sarebbe lui al telefono. ['Er wäre wohl am Telefon.'] (Squartini 2010: 246f.) In vielen Sprachen, in denen kein Konditional vorhanden ist, können Formen des Futurs kontextgebunden ähnliche Funktionen übernehmen, wodurch eine Schnittstelle zwischen den Kategorien Tempus und Modus zustande kommt. Im Dt. kann die modale Funktion des Futurs mit Partikeln eindeutig gemacht werden (7). Im Engl. können sowohl Futur (8) als auch Futurpräteritum (9) kontextgebunden modal interpretiert werden. (7) Jemand wird (doch wohl) in der Wohnung sein. (8) Somebody comes. That will be the postman.

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Modus 486 (9)

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If he came now, I would stay at home. (Thieroff 2010: 12) Der in allen europ. Sprachen vorhandene Imperativ drückt nur i.w.S. Modalität aus. Er gilt als Hauptmerkmal des Imperativsatzes, durch den der Sprecher für den Hörer ein Handlungsziel festlegt. Die IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) beschreibt modale Bedeutungen in Bezug auf die Wissensqualität von Sprecher und Hörer, wobei im Falle des Imperativsatzes nicht das repräsentative (‚So ist es‘), sondern das sog. „Erfüllungswissen“ des Sprechers (‚So sei es‘) im Vordergrund steht. Da sich ein Imperativ i.A. auf die Handlung des Hörers bezieht, weist er einen stärkeren Adressatenbezug auf als die anderen Modi. Nicht imperativische, d.h. nicht direkt an den Hörer gerichtete Aufforderungen werden i.A. periphrastisch markiert, im Dt. meistens durch Konjunktivformen ((10), (11)). Auch hier ist jedoch die Modusmarkierung des Verbs [–Indikativ] zu sehen. (10) Seien wir vernünftig! (11) Es lebe der König! Ferner gibt es in einigen Sprachen auch besondere Verbmodi wie den Optativ (Modus des Wunsches) im Griech. oder den Admirativ (Modus des Staunens) im Albanischen. I.w.S ist der Modus eine Kategorie des gesamten Satzes (Satzmodus), die durch ein Bündel grammatischer Merkmale realisiert wird. Im Dt. spielen dabei besonders der Verbmodus, die Verbstellung (Verberst-, Verbzweit-, Verbletztsatz) sowie die lexikalisch-kategorialen Merkmale (besonders der Auftritt von w-Elementen wie wer, was, wo, ferner auch die Kombinierbarkeit mit Modalpartikeln) eine Rolle. Die Rolle der Intonation in der Markierung des Satzmodus ist umstritten: In oberflächensyntaktischen Ansätzen werden bestimmte Akzenttypen sowie der intonatorische Schluss des Satzes zu den satzmodusrelevanten Merkmalen gezählt, während in der GG sowie in darauf bauenden modularen Konzepten die Intonation als Markierungsmittel des pragmatischen Wertes der Äußerung angesehen wird. Durch das Bündel der modusrelevanten Merkmale werden idiosynkratisch festgelegte Formtypen der Sätze definiert, zu denen regelmäßig Funktionstypen geordnet werden. Altmann (1993) unterscheidet für das Dt. 23 Formtypen, die zu den fünf Grundmodi Aussagemodus, Fra-

gemodus, Aufforderungsmodus, Wunschmodus und Ausrufemodus geordnet werden können. Der Funktionstyp ist die semantisch festgelegte Strukturbedeutung des entsprechenden Formtyps. So wird dem Formtyp Entscheidungsfragesatz der Funktionstyp Entscheidungsfrage geordnet. Dadurch ist die Satzmoduskategorie primär grammatisch und semantisch fundiert. Da jedoch der Funktionstyp seiner Natur nach ein bestimmtes Illokutionspotential für den Satz festlegt, kann er nicht strikt von der Illokution getrennt werden. Deshalb wird Satzmodus an die Schnittstelle von Grammatik und Pragmatik platziert. In der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) wird die modale Fundierung der Satzmoduskategorie dadurch bestätigt, dass durch den Satzmodus die enge Verbindung der propositionalen Satzbedeutung mit der Wissensqualität des Sprechers hergestellt wird. Die Wissensqualität wird dabei in den Wissensstatus ((12)–(14)) und in die Verbindlichkeitsqualität (15) geteilt. (12) repräsentatives Wissen: 'es ist so, dass p' (13) Erfüllungswissen: 'es sei so, dass p' (14) Kundgabewissen: 'dass es so ist, dass p, …' (15) Verbindlichkeitsqualität: 'ich sage das' oder 'ich sage das nicht' Jeder Satzmodus lässt sich als die Kombination des Wissensstatus und der Verbindlichkeitsqualität beschreiben ((16)–(20)). (16) Aussage-Modus: 'so ist es' + 'ich sage das' (17) Frage-Modus: 'so ist es' + 'ich sage das nicht' (18) Aufforderungs-Modus: 'so sei es' + 'ich sage das' (19) Wunsch-Modus: 'so sei es' + 'ich sage das nicht' (20) Ausrufe-Modus: 'dass es so ist, …' + 'ich sage das' Die grundlegenden Satzmodi scheinen übereinzelsprachlich zu sein, während konkrete Formund Funktionstypen durch die idiosynkratischen Bedingungen der Einzelsprachen bestimmt sind. Die Moduskategorie ist sowohl i.e.S. als auch i.w.S. offensichtlich eine Grundkategorie natürlicher Sprachen, durch die die enge Verbindung zwischen der Grammatik einerseits und der semantisch fundierten Modalitätskategorie bzw. indirekt auch der pragmatischen Kategorie der Illokution gesichert wird. Dies heißt jedoch weder, dass durch die Moduskategorie alle potentiellen modalen Merkmale erfasst werden, noch, dass

487 Monem Modus in einer Eins-zu-eins-Relation zur Modalität stehen würde. Attila Péteri

→ § 9, 16; Anredemodus; Halbmodus; Imperativ; Indikativ;

Konditional; Konjunktiv I; Konjunktiv II; modus dicendi; optativer Konjunktiv; potentialer Konjunktiv; regierter Konjunktiv; Verbmodus; volitiver Konjunktiv; Vollmodus; Wunschmodus → Gram-Syntax: Modalität; Satzmodalität; Satzmodus ⇀ Modus (CG-Dt; SemPrag; HistSprw; Sprachphil; QL-Dt) ⇁ mood (Typol)

🕮 Altmann, H. [1987] Zur Problematik der Konstitution von Satzmodi als Formtypen. In: Meibauer, J. [Hg.] Satzmodus zwischen Grammatik und Pragmatik. Tübingen: 23–56 ◾ Altmann, H. [1993] Satzmodus. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 1006– 1029 ◾ Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Heinold, S. [2015] Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Ein Studienbuch. Tübingen ◾ Lyons, J. [1995] Einführung in die moderne Linguistik. 8. Aufl. München ◾ Meibauer, J./ Steinbach, M./ Altmann, H. [2013] Kontroversen in der Forschung zu Satztypen und Satzmodus. In: Altmann, H./ Meibauer, J./ Steinbach, M. [Hg.] Satztypen des Deutschen. Berlin [etc.]: 1–19 ◾ Palmer, F.R. [2001] Mood and Modality. 2nd ed. Cambridge ◾ Rothstein, B./ Thieroff, R. [2010] Mood in the Languages of Europe. Amsterdam [etc.] ◾ Squartini, M. [2010] Mood in Italian. In: Rothstein, B./ Thieroff, R. [eds.] Mood in the Languages of Europe. Amsterdam [etc.]: 237–250 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Thieroff, R. [2010] Moods, moods, moods. In: Rothstein, B./ Thieroff, R. [eds.] Mood in the Languages of Europe. Amsterdam [etc.]: 1–32 ◾ Vater, H./ Letnes, O. [Hg. 2001] Modalität und mehr/ Modality and more. Trier ◾ Wratil, M. [2005] Die Syntax des Imperativs. Eine strukturelle Analyse zum Westgermanischen und Romanischen (StGram 62). Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

modus dicendi

Illokutionspotential eines Diktums, bestehend aus einem Form- und einem Funktionstyp. ▲ modus dicendi; sentence mood: potential illocutionary force of a dictum consisting of both formal and functional aspects. Der modus dicendi ist eine kommunikative Minimaleinheit, die sich aus der regelmäßigen Zuordnung formaler Merkmale (Satztyp, Formtyp) zu funktionalen Eigenschaften (Funktionstyp) konstituiert (vgl. Satzmodus (Meibauer 1987); KM-Modus (Zifonun et al. 1997: 608ff.)) und dadurch eine kommunikative Basisfunktion auf der semantischen Bedeutungsebene und bestimmte Sprechhandlungen auf der pragmatischen Hand-

lungsebene vollzieht. Es handelt sich bei einem modus dicendi um den Ausdruck einer semantischen Grundeinstellung seitens des Sprechers der Proposition gegenüber. In den natürlichen Sprachen der Welt gelten drei modi dicendi mit ihren jeweils typischen Ausdrucksformen als Universalien: (a) der Aussage-Modus; (b) der Frage-Modus (Ergänzungsfrage-Modus, Entscheidungsfrage-Modus); (c) der Aufforderungs-Modus. Andere modi dicendi, der Exklamativ-Modus, der Wunsch-Modus und der Heische-Modus fungieren im Dt. als periphere Modi (Zifonun et al. 1997: 610). Problematischer ist die Zuordnung der verschiedenen Formtypen zu den Basisfunktionen und Sprechhandlungen, wobei andere sprachliche Parameter (z.B. Sprechtempo, kontrastiver Akzent) und nicht-sprachliche (z.B. Kontext, Gestik) auch eine Rolle spielen. Hang Ferrer Mora

→ Imperativ; Modus; Wunschmodus → Gram-Syntax: Heische-Modus; Satzart; Satzmodus; Satztyp

🕮 Altmann, H. [1993] Satzmodus. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 1006–1029 ◾ Brandt, M./ Reis, M./ Rosengren, I./ Zimmermann, I. [1992] Satztyp, Satzmodus, Illokution. In: Rosengren, I. [Hg.] Satz und Illokution. Bd. 1. Tübingen: 1–92 ◾ Meibauer, J./ Steinbach, M./ Altmann, H. [2013] Kontroversen in der Forschung zu Satztypen und Satzmodus. In: Altmann, H./ Meibauer, J./ Steinbach, M. [Hg.] Satztypen des Deutschen. Berlin [etc.]: 1–19 ◾ Meibauer, J. [Hg. 1987] Satzmodus zwischen Grammatik und Pragmatik (LA 180). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Möglichkeitsform ≡ Konjunktiv

Monem

doppelseitige, kleinste bedeutungstragende Einheit, die der grammatikalischen oder der lexikalischen Ebene zugeordnet werden kann. ▲ monem: double-sided smallest meaningful unit that can be associated with the grammatical or lexical level. In der von individuellen Gliederungseigenschaften der Einzelsprachen ausgehenden Theorie von Martinet (1963) wird das Monem (griech. monós 'einzig', 'allein'), eine kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprachanalyse, die aus einem Signifikat und einem Signifikanten besteht, eingeführt (Martinet 1963: 91).

M

Monem 488

Signifikative Minimaleinheiten der Sprache (R1) Autoren

Heger (1964/1967) Heringer (1968)

Ausdrucksseite AusdrucksAusdrucksform substanz Lautkontinuum Lautkontinuum

Inhaltsseite Inhaltsform

Inhaltssubstanz

Monem

quantitative Unterschiede

monème expression monème contenu Monem (Morphem oder Lexem)

Bedeutungsumfang

Semen

phonische o. graphische Masse

Monem

Semem

quantitative Unterschiede Semsumme

Monem (= minimales Signem)

Heger (1969)

Signifikant

Harras (1970)

Lautkontinuum

AusdrucksMonem

InhaltsMonem

Monem (Morphem, Lexem)

Semem

Semkollektion

Sem

quantitative Unterschiede Signifikat

Semem

Noem

quantitative Unterschiede Semkollektion

Signifikant geformte Ausdruckssubstanz

Begriff

Sem

Plerem Henne/Wiegand (1969)

Semem

Sem

Semfaktoren

Signifikat

Substanzgebundene Ausdrucksform

Substanzgebundene Inhaltsform

geformte Inhaltssubstanz

Plerem (Lexem, Grammem) quantitative Unterschiede

M

Wiegand (1970) in Zusammenarbeit und Übereinstimmung mit Henne (1970)

Phone, Graphe

Monem

Semem

Semsumme

Semkollektion

SemasemSemSumme

SemasemSemKollektion

Noem-SemSumme

Noem-SemKollektion

SubstanzSumme

Substanzkollektion Semasem Noem

Sem

Substanzelemente

Tab. 1: Terminologieübersicht, erste Synopse der Termini. Wiegand H.E. (1970) nach Kammerer/Wolski (2000: 52).

Martinet erkennt Moneme als Einheiten einer offenen Liste der ersten Gliederungsebene, die durch prosodische Zeichen ergänzt werden können. Moneme treten als autonome (1), funktionale (2) und abhängige (3) Moneme sowie als Verbindungen von Monemen, sog. Syntagmen, auf. Die abhängigen Moneme werden weiter untergliedert in regierte (4) und determinierende (5) Moneme (Martinet 1963: 106f.). (1) Hier hat die Versammlung stattgefunden. (2) Il a donné le livre à Jean. (3) Avec toi. (4) /tua/ ['Pron. der 2. Pers. Sg.'] in avec toi (5) /l/ ['bestimmt'] in les valises Darüber hinaus unterteilt Martinet in gramma-

tikalische Moneme (6), die bei ihm „Morpheme“ genannt werden können, und lexikalische Moneme (7), die er auch „Lexeme“ nennt. Martinets Zuordnung kleinster sprachlicher Segmente als Moneme bleibt dabei neutral: Sie werden nicht strikt der grammatikalischen oder der lexikalischen Ebene zugeordnet (Martinet 1963: 107f.). (6) von; für; Genitiv (7) Mann; gehAußerdem unterscheidet Martinet zwischen funktionalen Monemen und Modalitäten, einem Begriff, der grammatische Determinanten wie z.B. Artikel des Frz. bezeichnet. Er betont die Differenzierung zwischen funktionalen Monemen und Modalitäten, da sie in vielen Sprachen

489 Monoflexion Folgen von unterbrochenen Signifikanten sowie eine Überlagerung ihrer Signifikanten aufweisen, wenn sie im formalen Syntagma benachbart sind (Martinet 1963: 108ff.). Eine Gleichsetzung der durch den amerik. Strukturalismus eingeführten Terminologie (Morphem u.a.) mit Martinets Terminologie (Monem, Morphem, Lexem usw.) ist nicht unproblematisch. Zur übereinzelsprachlichen Anwendung des Monembegriffs lässt Martinet einige distributionelle Eigenschaften des Monems offen. Ein gegebenes Segment kann je nach Kontext und einzelsprachlicher Analyse z.B. autonomes Monem, abhängiges Monem, funktionales Monem oder Syntagma sein. Ein autonomes Syntagma aus nicht trennbaren Monemen konstituiert bei ihm ein Wort (Martinet 1963: 103). In der nach universellen Komponenten suchenden, aszendent aufgebauten Sprachtheorie von Heger (1976) ist das Monem eine signifikative Minimaleinheit ersten Ranges ('R1') und aufgrund der Zuordnung von Sememen zu Monemen das kleinste Signem. Heger (1976: 80) nimmt eine weitere Unterteilung in freie und gebundene Moneme vor, die mit der Auffassung von freien und gebundenen Signemen korrespondiert. Heger (1976: 79ff.) fokussiert Martinets grammatikalische Moneme und bezeichnet sie als „Grammeme“; ebenso überträgt er das lexikalische Monem als „Lexem“, so dass Monem bei Heger als Oberbegriff für Lexem und Grammem bzw. (grammatikalisches) Morphem etabliert wird. Versuche einer Einordnung des Begriffs Monem in eine allgemeinere Terminologie geben Wiegand (1970: 51f.) (vgl. Tab. 1) und Stötzel (1970: 20). Letzterer weist darauf hin, dass Martinets Zuordnungen von Monemen nicht im Sinne einer theoretischen Begründung der Unterscheidung zwischen Lexem und Morphem verstanden werden müssen. Maria Schädler

→ grammatisches Morphem; Lexem; lexikalisches Morphem; Morphem; Plerem

⇀ Monem (Lexik; SemPrag)

🕮 Heger, K. [1976] Monem, Wort, Satz und Text. 2. Aufl. Tübingen ◾ Martinet, A. [1963] Grundzüge der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Stuttgart ◾ Stötzel, G. [1970] Ausdrucksseite und Inhaltsseite der Sprache. Methodenkritische Studien am Beispiel der deutschen Reflexivverben (LR 3). München ◾ Wiegand, H.E. [1970] Synchronische Onomasiologie und Semasiologie. Kombinierte Methoden zur Strukturierung der Lexik. In: Kam-

merer, M./ Wolski, W. [Hg. 2000] Kleine Schriften. Eine Auswahl aus den Jahren 1970–1999 in zwei Bänden. Bd. 1: 1970–1988. Berlin [etc.]: 143–384.

Monoflexion

Flexionsverfahren, bei dem die Flexionsmerkmale in komplexen Phrasen nur an einer Stelle angegeben werden. ▲ cooperative inflection: marking of inflectional features at only one place in complex phrases. Unter Monoflexion oder kooperativer Flexion versteht man das Flexionsverfahren in komplexen NPn. In der NP kongruieren Artikel und Adjektive mit dem Nomen, da sie in Genus, Numerus und Kasus mit dem Nomen übereinstimmen. Im Sinne der Kongruenz weisen also alle Elemente der NP dieselben grammatischen Kategorien auf. Dennoch werden die Flexionsmerkmale (häufig) nur an einer Stelle der Phrase angegeben. Deutlich sichtbar ist die strenge Aufgabenteilung zwischen Artikel und Adj., indem immer entweder der Artikel oder das Adj. die starken Endungen trägt. In der Duden-Grammatik wird das Element, das die Flexionsmerkmale trägt, als Hauptmerkmalträger und werden die übrigen Elemente der NP als Nebenmerkmalträger bezeichnet (vgl. Duden 2005: 966). Bzgl. der Aufgabenteilung zwischen Artikel und Adj. kann man folgende Formregeln ableiten (vgl. Duden 2005: 966): (a) Wenn der Artikel Hauptmerkmalträger ist und die starken Endungen trägt, wird das nachfolgende Adj. schwach flektiert, z.B. das große Haus. (b) Wenn das Adj. Hauptmerkmalträger ist, wird es stark flektiert. Das passiert dann, wenn vor dem Adj. kein oder ein endungsloser Artikel steht z.B. schönes Haus, mein schönes Haus. Diese strenge Monoflexion trifft nur auf NPn im Sg. zu, wenn das Nomen keine Kasusendung hat. In anderen Fällen, z.B. im Genitiv Sg. Maskulinum/Neutrum des schönen Hauses, wird zumindest eine Kategorie (hier der Kasus) auch am Nomen selbst kodiert, d.h. nicht nur an einer Stelle. Ebenfalls ist Plural weitgehend (auch) am Nomen selbst ablesbar, im Dativ Pl., z.B. den klugen Kindern, werden sogar alle grammatischen Informationen sowohl am Artikel als auch am Nomen markiert. Eine Doppelmarkierung kann man ebenfalls bei substantivierten Adjektiven (z.B. ein neu-er Studierend-er) und bei mehreren attribu-

M

Morph 490

M

tiven Adjektiven in der NP, die parallel flektiert werden (z.B. schönes neues Haus), feststellen. Schwankungen in der Flexion bei mehreren attributiven Adjektiven zeigen jedoch wiederum Tendenzen zur Monoflexion. So findet man bei NPn mit mehreren Adjektiven im Dativ Sg. Maskulinum/Neutrum sowohl die Parallelflexion (mit gutem ungarischem Wein) als auch die sog. Wechselflexion (mit gutem ungarischen Wein) (vgl. Nüb­ ling 2011). Im Falle der Wechselflexion zeigt sich eine Aufgabenteilung zwischen den zwei Adjektiven analog zu einem Artikel und einem schwach flektierten Adj. Ähnliche Schwankungen treten nach Adjektiven mit Artikeleigenschaften ((1), (2)) und nach Artikeln mit Adjektiveigenschaften ((3), (4)) auf (vgl. Wortgruppenflexion in ProGr@mm): (1) [...], finden sich folgende interessante Beispiele: [...] (Mann. Morgen, 21.03.1998) (2) [...] und hat über dieses faszinierende Instrument folgende interessanten Tatsachen herausgefunden: [...] (Salzburger Nachrichten, 15.05.1999) (3) Mit den Stimmen der Antragsteller und einiger kleiner Parteien wurde der Antrag angenommen. (FAZ, 19.09.2003) (4) Beraten will der Senat heute auch die Klagen einiger kleinen Parteien, [...]. (die tageszeitung, 23.08.2005) Da die strenge Monoflexion im Dt. nicht konsequent auftritt, verwenden neuere Grammatiken häufig den Terminus Wortgruppenflexion (vgl. u.a. Duden 2005; ProGr@mm). Viktória Dabóczi → § 16; Adjektivflexion; Flexion; schwaches Verb; starkes Verb → Gram-Syntax: Kongruenz; Nominalphrase ⇀ Monoflexion (HistSprw)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Nübling, D. [2011] Unter großem persönlichem oder persönlichen Einsatz?: Der sprachliche Zweifelsfall adjektivischer Parallel- vs. Wechselflexion als Beispiel für aktuellen grammatischen Wandel. In: Köpcke, K.M./ Ziegler, A. [Hg.] Grammatik – Lehren, Lernen, Verstehen: Zugänge zur Grammatik des Gegenwartsdeutschen. Berlin [etc.]: 175–195 ◾ Sahel, S. [2011] Monoflexion als Erklärung für Variation in der Nominalphrasenflexion des Deutschen. In: Konopka, M. et al. [Hg.] Grammatik und Korpora 2009. Dritte internationale Konferenz. Tübingen: 485–494 ◾ Wiese, B. [2004] Zur Systematisierung der Schwankungen zwischen starker und schwacher Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven. Ms., IDS Mannheim. (pdf, 24 S.) ◾ Wortgruppenflexion In: Pro­gr@‌mm/ Grammatisches Grundwissen [Unter: https://grammis.idsmannheim.de/progr@mm/4068; letzter Zugriff: 20. 10. 2017].

Morph

kleinstes, noch nicht klassifiziertes bedeutungstragendes Element einer Sprache. ▲ morph: minimal meaningful unit of a language which has not yet been classified. Morphe sind die kleinsten Einheiten in der Morphologie, die noch nicht als Allomorph oder Morphem bestimmt worden sind. Sie sind außerdem die tatsächlich realisierten Einheiten der Äußerung und damit auf der Parole-Ebene angesiedelt, gegenüber der abstrakten Einheit Morphem auf der Langue-Ebene. Bei der morphologischen Analyse entscheidet man zunächst, welches die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten sind. Es wird eine größere Einheit bzw. ein Wort in Morphe segmentiert und es müssen dazu die Grenzen bestimmt werden, vgl. Kind/Kind-er, Wind/Wind-e, Villa/Vill-en. Anschließend ist zu entscheiden, welche dieser Morphe Repräsentanten der gleichen Einheit auf der Langue-Ebene darstellen und welche als Morpheme und welche als Morphemvarianten zu betrachten sind. In diesem Fall gehören sowohl Vill- als auch Villa zum Morphem {Villa}, und -er, -e, -en gehören zum Pluralmorphem. Sowohl Segementation als auch Klassifikation sind vor allem bei Fremdwörtern oft problematisch.

≡ morphologische Einheit → § 16; Allomorph; Morphem; Morphologie ⇀ Morph (Wobi; Lexik; QL-Dt)

Hilke Elsen

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Morph, spezifisch onymisches → spezifisch onymisches Morph

Morphem

kleinstes bedeutungstragendes, abstraktes Element einer Sprache, das mit einer Klassifikation festgestellt wird. ▲ morpheme: minimal meaningful abstract unit of a language which is classified. Der Begriff des Morphems gehört wie auch der des Phonems zur strukturalistischen Basistermi-

491 nologie. Morpheme sind die Grundeinheiten der Morphologie auf der Langue-Ebene. Es handelt sich um die kleinsten bedeutungstragenden Elemente einer Sprache. Sie sind insofern abstrakt, als sie eine theoriegebundene Zusammenfassung von Morphen der Parole-Ebene bilden. Morpheme sind klassifiziert und stehen dann den Allomorphen gegenüber. Um Morpheme von anderen sprachlichen Einheiten wie Phonemen abzugrenzen, werden sie formal durch geschweifte Klammern gekennzeichnet, vgl. {Haus}, {in}, {schön}, {-ig}. Sie dürfen nicht mit Silben verwechselt werden, die Elemente der phonologischen Ebene sind, auch wenn sich beide manchmal decken. Auf der phonologischen Ebene trennt man die Wörter einkaufen und Autos in /ain-kau-fǝn/, /au-tos/, auf der morphologischen Ebene in {ein-kauf-en}, {auto-s}. Morpheme können aus mehreren Silben bestehen wie bei Skelett, Rapunzel, umgekehrt besteht eine Silbe auch manchmal aus mehreren Morphemen. So vereint kam die lexikalische Wurzel {komm-} mit den Person-, Numerus- und Tempusinformationen {3. Pers., Sg. Prät.}. Bei der morphologischen Analyse entscheidet man zunächst, welches die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten sind. Man segmentiert eine größere Einheit, ein Wort, in Morphe und muss dazu die Grenzen bestimmen, vgl. Kind/Kind-er, Wind/Wind-e, Villa/Vill-en. Anschließend ist zu entscheiden, welche dieser Morphe Repräsentanten der gleichen Einheit auf der Langue-Ebene darstellen, welche als Morpheme und welche als Morphemvarianten (Allomorphe) zu betrachten sind. In diesem Fall gehören sowohl Vill- als auch Villa zum Morphem {Villa} und -er, -e, -en sind je Pluralmorpheme. Die klassische Morphemanalyse trennt zwischen gebundenen (ver-, -st, phob- in Phobie) und freien (Kind, arm, in, zu), grammatischen (ver-, -st, in, von) und lexikalischen (Wort, klein, phob-) Morphemen, außerdem zwischen Grundmorphemen, die in der Regel lexikalisch sind und die die Basis eines Wortes ausmachen wie bei klein(er), (ver)klein(er-ung), und Affixen, die der Abwandlung von Wörtern dienen, vgl. (Frau)en, (Frau)chen. Diskontinuierliche Morpheme bestehen aus mindestens zwei getrennten Teilen wie ge-e in Gefrage, Gerenne. Ein Portmanteaumorphem vereint zwei eigentlich getrennte grammatische Morphe-

Morphem, lexikalisches me in einem einzigen wie bei im – in dem, vom – von dem. Unikale Morpheme kommen nur ein einziges Mal in einer Sprache vor wie him- und brom- in Himbeere und Brombeere. Morpheme benötigt man, um Wortformen zu bilden, also zur Flexion, oder für neue Wörter (Wortbildung). Sowohl Segmentation, also die Grenzfindung zwischen Morphen, als auch Klassifikation, also die Einordnung von Morphemen in Unterklassen, sind vor allem bei Fremdwörtern oft schwierig. Hilke Elsen

→ § 15, 16, 31; Allomorph; Flexion; freies Morphem; gebunde-

nes Morphem; grammatisches Morphem; Grundmorphem; lexikalisches Morphem; Morphologie; Portmanteaumorphem; unikales Morphem; Wortbildung ⇀ Morphem (Wobi; Lexik; CG-Dt; QL-Dt; Onom) ⇁ morpheme (CG-Engl)

🕮 Bauer, L./ Lieber, R./ Plag, I. [2013] The Oxford Reference Guide to English Morphology. Oxford ◾ Bauer, L. [2003] Introducing Linguistic Morphology. 2nd ed. Washington, DC ◾ Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2004] Morphologie. Morphology (HSK 17.2). Berlin [etc.] ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Booij, G. [2005] The Grammar of Words. An Introduction to Linguistic Morphology. Oxford [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Luschützky, H.C. [2000] Morphem, Morph und Allomorph. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 451–462 ◾ Mat­ thews, P.H. [1992] Morphology. 2nd ed. Cambridge ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Schmid, H.-J. [2005] Englische Morphologie und Wortbildung. Eine Einführung. Berlin ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin ◾ Wurzel, W.U. [2001] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. 2. Aufl. Berlin.

Morphem, freies → freies Morphem

Morphem, gebundenes → gebundenes Morphem

Morphem, grammatisches → grammatisches Morphem

Morphem, lexikalisches → lexikalisches Morphem

M

Morphem, stammbildendes 492

Morphem, stammbildendes

der Zeit verschieben. Das Suffix -ei wie in Lauferei, Singerei wurde in manchen Formen wie in Ferkelei, Teufelei, Staffelei fälschlicherweise als -elei uminterpretiert. So kam es zu Bildungen wie Eifersüchtelei, Eigenbrötelei.

→ stammbildendes Morphem

Morphem, unikales → unikales Morphem

Hilke Elsen

Morphemanalyse

Klassifikation und Analyse von Morphemen nach Form, Funktion, Vorkommen. ▲ analysis of morphemes: classification and analysis of morphemes according to form, function, and distribution.

M

Bei der Morphemanalyse werden die Morpheme danach bestimmt, ob sie lexikalisch oder grammatisch, frei oder gebunden sind. Weitere Klassifikationskriterien sind Grundform oder Affix, weiter auch Flexions- oder Derivationsmorphem, Präfix, Suffix, Zirkumfix etc., Fuge sowie die Wortart der lexikalischen Morpheme und weitere Flexionsinformationen. Teilweise wird der Begriff auch gleichbedeutend mit morphologischer Analyse, also der Zerlegung eines komplexen Wortes in Morpheme, verwendet. Die Morphemanalyse des Adjektivs in das sind sommerliche Temperaturen lautet: sommerlich: Adjektivstamm {sommer}: nominales Grundmorphem, lexikalisch, frei; {-lich}: Derivationssuffix, grammatisch, gebunden; {-e}: Flexionssuffix, grammatisch, gebunden (starke Flexion, Nominativ, Pl., feminin).

→ Affix; Form; Morphem; Morphologie → Gram-Syntax: Funktion

Hilke Elsen

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Morphematik

≡ Morphologie

Morphemgrenze

Grenze zwischen Morphemen. ▲ morpheme boundary: boundary between morphemes. Die Grenzen zwischen Morphemen sind nicht immer klar erkennbar. Sie können sich im Laufe

→ Apostroph; Morphem; Morphemanalyse; Morphologie; Suffix; Wortbildung

⇀ Morphemgrenze (Phon-Dt) ⇁ morpheme boundary (Phon-Engl)

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Morphemik

≡ Morphologie

Morphemklasse

Gruppe von Morphemen, die nach gemeinsamen Kriterien zusammengestellt ist. ▲ morpheme class: group of morphemes that is defined by common criteria. Neben Morphemtyp ist es eine weitere Einteilungsmöglichkeit von Morphemen zu relativ großen Gruppen nach Kriterien wie ‚geschlossenʻ oder ‚offenʻ. Die geschlossenen Morphemklassen wie Präp. und Konjunktion lassen praktisch keine Neuzugänge zu, während bei den offenen Klassen wie Nomen oder Verb ständig Neuzugänge zu verzeichnen sind. Eine weitere Einteilungsmöglichkeit ist die nach ‚gebundenʻ/‚freiʻ oder ‚lexikalischʻ/‚grammatischʻ. Der Begriff findet keine einheitliche Verwendung.

→ Grundmorphem; Morphem ⇀ Morphemklasse (Wobi)

Hilke Elsen

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Morphemkonstanz

Rechtschreibprinzip, nach dem Morphemvarianten gleich bzw. ähnlich geschrieben werden trotz unterschiedlicher Aussprache oder Allophonie.

493 Morphologie ▲ morphological principle; stem principle; principle of morpheme consistency: orthographic principle to maintain consistency of morpheme variants in writing despite different pronunciation or allophonic variation.

Aufgrund dieses Prinzips sollen etymologische Verwandtschaften deutlich werden, vgl. Rad [ra:t]/ Rad-es [ra:dǝs], alt/älter. Es dient auch dazu, gleichlautende Stämme mit unterschiedlicher Bedeutung zu differenzieren, vgl. Seite/Saite. Die Morphemkonstanz wird auch Stammprinzip, Stammschreibung oder etymologisches Prinzip genannt. ≡ Schemakonstanz → Allomorph; morphologisches Prinzip

Hilke Elsen

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Poethe, H. [2015] Word-formation and orthography. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.3). Berlin [etc.]: 2289–2305.

Morphologie

Teilgebiet der Grammatik bzw. die Gesamtheit des Wissens über Wortstrukturen sowie universelle und sprachspezifische Regeln zur Bildung von Wörtern und Wortformen. ▲ morphology: branch of grammar and the totality of knowledge about word structures and universal and language-specific rules concerning the formation of words and word forms. Das Wort Morphologie leitet sich von griech. morphé (Gestalt, Form) ab und wurde von Goethe zur Bezeichnung der Lehre von der Form und Struktur lebender Organismen eingeführt. In der Ling. ist sie im Wortsinn die Gestalt- bzw. Formlehre der Wörter. In der traditionellen Grammatik wird in der Formenlehre das Teilgebiet angenommen, das sich mit der Flexion und den Wortarten beschäftigt. Diese Sicht wird heute z.T. in Überblicksdarstellungen präsentiert: Die „Morphologie als Lehre von der ‚Gestalt‘ […], ihre Grundeinheit ist das Morphem […]. Die Morphologie hat es nur mit den grammatischen Morphemen zu tun, mit der Bildung verschiedener Formen eines Worts. Im Zentrum steht dabei die Flexion“ (Fleischer/Helbig/Lerchner 2001: 218). Die Wortbildung wird bei Fleischer/Helbig/Lerchner nicht zur Morphologie gezählt, weil sie keine Formenbildung sei (2001: 178). Bei den Wortartenwechseln ohne

sichtbare Merkmale (z.B. engl. to cheat [V] – c­ heat [Subst.], dt. Ernst [Subst.] – ernst [Adj.]), die im Grenzbereich liegen, bekommt man bei strikter Abtrennung der Wortbildung von der Morphologie Erklärungsprobleme. Andere traditionelle Gebrauchsgrammatiken (z.B. Genzmer 1995) und die meisten aktuellen wissenschaftlichen Sprachbeschreibungen zählen die Wortbildung zur Morphologie und teilen die Morphologie in Wortbildung und Flexionslehre. Sternefeld (2006) differenziert in „Komposition, Derivation und Flexion“, Plank (1981: Vorwort) unterscheidet die Flexion und Derivation als „Morphologie-Typen“. Die enge Auffassung, in der Morphologie nur die Wortformenlehre zu sehen, wird aktuell oft abgelehnt. So beziehen z.B. Aronoff/Fudemann (2011) die morphologische Produktivität und das mentale Lexikon ein. Experimentelle und computergestützte Methoden sollen bei deren Erforschung helfen. Sie definieren es wie folgt: „In linguistics morphology refers to the mental system involved in word formation or to the branch of linguistics that deals with words, their internal structure, and how they are formed“ (Aronoff/ Fudemann 2011: 2). Wichtig sind im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs auch die Beziehungen und Schnittstellen zur Phonologie, Syntax und Semantik bzw. Pragmatik sowie zum phonetischphonologischen, syntaktischen und konzeptuellen Bedeutungswissen. Deshalb sind die Morphophonologie, Morphosyntax und Morphosemantik entstanden (vgl. Römer 2000: Abschnitt 1.2). Abgrenzungsprobleme zwischen Morphologie und Syntax bestimmen u.a. die wissenschaftliche Diskussion. Es stellt sich bei spezifischen Fragestellungen auch die Frage nach der Abgrenzung zur Lexikologie. Traditionell wird im Gefolge von de Saussure zwischen einer synchronen (statischen) und diachronen (evolutiven) Sicht auf die Morphologie unterschieden. Neuere Sprachwandeltheorien lehnen diese strenge Trennung ab, da sich das Sprachsystem in einem ständigen Wandel befindet. Deshalb sind auch morphologische Kategorien nicht starr und verändern sich. So begann der Übergang von starker (ablautender) zu schwacher Verbflexion schon im Ahd. und ist bis heute nicht abgeschlossen, da ein Teil des verbalen, häufig benutzten Grundwortschatzes stark konjugiert (vgl. Pinker 2000). Während im Wortschatz den Sprachbenut-

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zern Sprachwandel (siehe Neologismen, Archaismen, Historismen) auffällt, ist dies in Bezug auf die Flexion weniger der Fall. Sprachkonservative Haltungen (wie bei Sick 2004) sehen diese Veränderungen als Verlust an und nehmen heutige morphologische Normen, die in einem hist. Wandelprozess entstanden sind, als unveränderlich an. Die morphologischen Charakteristika spielen eine wichtige Rolle bei der traditionellen typologischen Beschreibung der Sprachen nach der Formenbildung. So wurde im 19. Jh. zwischen flektierenden, agglutinierenden, polysynthetischen und isolierenden Sprachen unterschieden. Diese Spracheneinteilung wird heute als problematisch angesehen, weil sie einseitig nur morphologische Merkmale berücksichtigt und so der Vielfalt der natürlichen Sprachen nicht gerecht wird (Störig 2003: Kap. 12). In der Regel nimmt man heute mehrere Variablen zur typologischen Sprachencharakterisierung an. In der Ling. sind in jüngerer Zeit eine Reihe neuer, interessanter morphologischer Theorien aufgestellt worden: (a) Die Minimalistische Morphologie (u.a. Wunderlich 1996) basiert auf dem minimalistischen Modell der GG, die in ihrer jüngeren Form die angenommene angeborene Sprachfähigkeit über möglichst wenige abstrakte Prinzipien erklärt. Speziell ist die minimalistische Morphologie eine Flexionsmorphologie, die sich für die flektierten Wortformen und ihre syntaktische Evidenz interessiert. Sie geht in der Regel präsyntaktisch vor, d.h., nach dieser Auffassung wird, wo „Marker für welche Kasus erscheinen müssen […] durch die Syntax geregelt. Die Aufgabe der Morphologie ist es dann, für jeden möglichen syntaktischen Kontext den entsprechenden Kasusmarker bereitzustellen.“ (Müller 2006: 171). (b) Die Distribuierte Morphologie (Halle/Marantz 1994; Müller 2011) ist eine verteilte Morphologie in dem Sinn, dass die morphologische Kompetenz auf mehrere Grammatik-Komponenten verteilt ist. Die Morphologie wird dabei nach der Syntax aktiv, die morphologische Interpretation erfolgt postsyntaktisch. (c) Die Natürliche Morphologie (Wurzel 1984) geht der Frage nach, wieso spezifische morphologische Phänomene natürlicher sind als andere. Diese natürlichen Phänomene sind demnach weitverbreitet, werden früh erworben und sind resistenter gegen Sprachwandel. Entsprechend dem Sprachtyp, der untersucht

wird, werden unterschiedliche Beschreibungstheorien angenommen, z.B. eine nichtlineare Morphologie für morphologische Phänomene, die nicht konkatenativ (linear verkettend) sind. Im Dt. existieren auch nicht linear verknüpfende Formen- und Wortbildungen, wie bei der Pluralbildung (Vogel → Vögel). Hier wird kein grammatisches Morphem hinzugefügt, sondern es erfolgt eine lautliche Veränderung (Allomorphie) am Basismorphem. Es werden zentrale morphologische Einheiten und Kategorien angenommen: Das Wort ist die Basiskategorie der Morphologie und der prototypische Vertreter ist durch seine Isolierbarkeit in der Rede und Schrift gekennzeichnet, seine selbständige Bedeutung, seine Morphemstruktur, seine Fähigkeit, Phrasenkern sein zu können, und seine spezifische kommunikative Funktion (weiter Römer/Matzke 2010: Abschnitt 1.2.1). Die Wortkonstituenten (Bauelemente) und ihre grammatischen Kategorien stehen im Fokus der Morphologie. In der Regel geht man davon aus, dass die Morpheme die bedeutungstragenden, strukturellen Grundbausteine sind. Simplizia (einfache Wörter) bestehen in ihren Grundformen nur aus einer selbständigen Bedeutungseinheit (z.B. faul, Haus) und können, wenn es keine morphologischen Einschränkungen gibt, zu Wortformen (z.B. fauler als) abgeleitet werden und Ausgangswörter für Ableitungen (z.B. Fäule) und Zusammensetzungen (z.B. Faulschlamm, Haustür) sein. Komplexe Wörter hingegen bestehen aus mehreren selbständigen Bedeutungskomponenten, die jeweils einen spezifischen Beitrag zur Gesamtbedeutung liefern. Die Morphologie beschäftigt sich besonders mit den gebundenen Morphemen, die entsprechend ihrer Hauptfunktion in Wortbildungs- und Flexionsmorpheme unterscheidbar sind und einen Einfluss auf die Basismorpheme und Stämme haben. Morpheme können in spezifischen Umgebungen in Varianten (Allomorphen) auftreten. Da Sprachen eine doppelte strukturelle Gliederung haben, d.h. zum einen inhaltlich und zum anderen rhythmisch organisiert sind, nimmt man neben den Morphemen Silben (vgl. Eisenberg 2006, Bd.1: Kap. 4) als Grundeinheiten an (z.B. das Ruder: /Ru//der/ vs. Rud-er). Neef (1998) hat aus der Tatsache, dass morphologische Kategorien nicht nur durch morphologische Segmente,

495 Morphologie sondern auch durch prosodische Konstellationen markiert sein können, eine spezielle „deklarative Wortgrammatik“, die das phonetisch-phonologische Wort ins Zentrum stellt, abgeleitet. Das Wissen über die morphologische Struktur, den Silbenaufbau der Wörter und deren Regularitäten und Beschränkungen macht es möglich, auch unbekannte Wörter zu lesen, auszusprechen und zu interpretieren. Aus kognitiver Sicht kann man die Wörter und festen Wortverbindungen als Mengen von phonologischen, orthographischen, morphologischen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen (stilistische, soziologische, kommunikative) Eigenschaften, die aufeinander und auf die nichtsprachlichen Konzepte bezogen sind, definieren. Mittels Schemata, kognitiver morphologischer Muster (Jackendoff/Audring 2016), kann dieses Wissen beim Bau von sprachlichen Äußerungen verknüpft werden. Der genaue Inhalt des Kon­ struk­tions- bzw. Schematabegriffs ist in der Kognitiven Linguistik jedoch umstritten. Kon­struk­tions­ gram­ma­ti­ker hegen in der Regel eine Abneigung gegen Komponentenmodelle und vereinen die grammatischen Charakteristika im Zeichen. Die Klassifizierung der Wörter in Wortarten spielt traditionell eine wichtige Rolle in Morphologiebeschreibungen und geht schon auf die Antike zurück. Diese Unterteilung des Wortschatzes erfolgt nach grammatischen Kriterien, deren spezifische Gewichtung zu unterschiedlichen Wortartensystemen führt. Im Zentrum stehen dabei syntaktische und morphologische Charakteristika der Wörter. Die Kategorie der Flexion ist zentral für die Morphologie; sie bezeichnet die systematische Bildung bzw. das Auftreten der einzelnen, flexivisch markierten Wortformen eines Worts (Flexionsformen) in Äußerungen. Im Dt. sind Flexionsaffixe und Stammvokalwechsel die Hauptmittel der Wortformenbildung. Die Wortformen unterscheiden sich in ihren grammatischen Merkmalen, die zu Flexionsformen zusammengefasst werden. Zentral sind für die dt. Nomina Genus, Person, Numerus, Kasus und Komparation; für die Verbflexion Person, Numerus, Tempus, Modus und genus verbi. Andere Sprachen können auch andere Kategorien haben, in slaw. Sprachen z.B. den Aspekt. Die Funktion der Flexion ist es, grammatische Bedeutungsmarkierungen vorzu-

nehmen (z.B. Singular [Quantor EINZELN] vs. Plural [Quantor MEHRERE]), wobei zu beachten ist, dass es meist keine Eins-zu-eins-Entsprechungen von grammatischer und lexikalischer Bedeutung gibt, weshalb man z.B. zwischen Zeitbedeutung und Tempusform unterscheidet (1). Gemeinsam mit syntaktischen Mitteln können Flexive auch textuelle Funktionen übernehmen, wie z.B. Kongruenzrelationen zusammengehörige Glieder einer Phrase markieren (2). (1) Diese Firma geht dem Ruin entgegen. [Tempus: Präs., Zeit: Zukunft] (2) die/diese schönen Blumen [grammatische Numeruskongruenz in der NP] Auch ein Zusammenspiel mit der Betonung tritt auf. So ist „die Fugensetzung (Beruf-s-wunsch vs. Anruf-beantworter) prosodisch-phonologisch gesteuert“: Je schlechter die phonologische Wortqualität sei, um so größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass das Erstglied mit einem -s- verfugt wird (weiter Nübling 2012: 68). Die lexikalische Bedeutung der Wörter hat auch Einfluss auf die Realisierung und den Inhalt der morphologischen Merkmale. So ist das semantische Merkmal [+/– zählbar] nicht bei Bezeichnungen ungegliederter Vielheiten vorhanden, weshalb Wörter wie das Laub, die Armee oder das Gebüsch keine Einzahl bezeichnen, obwohl sie im Sg. stehen. Die Wortformen bilden Wortparadigmen, Mengen von aufeinander bezogenen Formen (wie engl. find und found), die in Bezug auf bestimmte grammatische Merkmale kontrastieren; z.B. bilden attributiv verwendete Adjektive verschiedene Deklinationsformen (starke und schwache), die abhängig vom folgenden Subst. sind (3). (3) der große Wald (3a) großer Wald Teilweise wird der Terminus Wort mit Wortform gleichgesetzt und die Grundform (wie to find) als Lexem bezeichnet oder eine Wortform wird als Grundform verwendet angesehen (z.B. der Nominativ für Nomina). Die Flexion unterscheidet sich von der Wortbildung dadurch, dass bei Letzterer neue Wörter entstehen. Neue Benennungen werden nach Regeln und Konventionen aus dem existierenden Sprachmaterial gebildet bzw. von ihnen abgeleitet. In der Regel unterscheidet man für das Dt. zwischen Komposition, dem Zusammenfügen von Wörtern oder Wortstämmen, und Derivation. Besonders

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bei den Nominalisierungen ist die Abgrenzung zwischen Wortbildung und syntaktischen Konversionen teilweise schwierig. „Man kann hier einen Sonderfall von Flexion oder auch einen Sonderfall von Wortbildungen annehmen“ (Duden 2016: 138). Es ist aber auch möglich, bei unmöglichen eindeutigen morphologischen Kategorisierungen von „Grenzgängern“ (Elementen mit schwieriger Grenzziehung) auszugehen (Storrer 2007: 914). Die Flexionsarten sind im Dt. die Deklination, Konjugation und Komparation. Nomina deklinieren hinsichtlich der Merkmale Kasus und Numerus. Verben konjugieren und ihre flektierten Formen informieren über die Merkmale Person, Numerus, Modus und Tempus. Diesen Merkmalen können durch Dekomposition weitere Subkategorien zugeordnet werden, wie in (4), und sie sind oft nicht unabhängig aus den Konstituenten motivierbar, wie z.B. das Merkmalsbündel in (5) morphosyntaktisch (fem = feminin; mask = maskulin; gen = Genitiv). (4) Genus → Femininum → [+fem –mask]; Maskulinum → [–fem –mask]; Neutrum → [–fem –mask] (5) dieses [+N,+gen,+mask, –pl] Buch [+N,+gen,+mask, –pl] Zahlreiche Synkretismen, Marker mit gleicher Form aber unterschiedlicher Funktion treten auf (wie wir/sie lesen). In morphologischen Erklärungen des Synkretismus ist die Annahme von Unterspezifikationen eine Forschungsstrategie. So ist die Zitierform Buch unterspezifiziert, Bücher dagegen hinsichtlich [Plural] spezifiziert (vgl. Wiese 1999 für die pronominale Deklination). Unterspezifikationen können durch Dekompositionen aufgelöst werden. Nicht für jedes morphologische Merkmal gibt es morphologische Marker, sie können auch abstrakt sein, d.h., diese Merkmale haben kein Formativ. So werden nicht alle Kasus bei den dt. Substantiven angezeigt, nur der Dativ bekommt eine Kasusmarkierung (6). Man nimmt bei morphologischen Analysen neben der Synthese, der wichtigsten morphologischen Erklärungsmethode, Nullmorphe (= ∅) (7) an (Nom = Nominativ; Dat = Dativ; Akk = Akkusativ). (6) die Koffer[Nom], der Koffer[Gen], den Koffern[Dat], die Koffer[Akk] (7) car-s vs. fish-∅ [Pluralmarkierungen im Engl.]

Neben der Charakterisierung der morphologischen Kategorien und ihrer Systematik stehen ihre Regularitäten im Zentrum. Ihr Status und ihre Funktionen sind in der Fachlit. aber strittig. So existieren neben „Wort-und-Regel-Theorien“ (Item and Arrangement Model, Item and Process Model, Item and Rule Model (Heringer 2009: Kap. 8)) u.a. auch deklarative Ansätze, die das Strukturierungs- und Verknüpfungswissen über Wohlgeformtheitsbedingungen beschreiben, die nicht die Erzeugung sondern die Bedingungen für die Wohlgeformtheit von morphologischen Einheiten beschreiben. Die Wort-und-Regel-Theorien nehmen Prinzipien und Regeln bzw. Prozesse an, mit denen komplexere Einheiten gebildet bzw. beim Verstehen dekodiert werden. Ein für das Dt. typischer Prozess ist die Affigierung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Wörter, Wurzeln und Stämme durch das Anfügen von Affixen (Morphemen) erweitert werden können. Das zugehörige Kopfprinzip besagt, dass in einem morphematisch komplexen Wort ein Bestandteil den morphologischen Kopf bildet, der seine Merkmale vererbt. In der Wortbildung ist die Right Hand Head Rule eine Spezifikation des Kopfprinzips, die bewirkt, dass in der Regel die rechte Konstituente ihre Merkmale an das Wortbildungsprodukt vererbt (das Rattengift ← die Ratten + das Gift). Blockierungsprinzipien (Wortbildungsbeschränkungen) können Regelanwendungen verhindern, z.B. „wenn der ‚Platz‘ einer morphologischen Konstruktion bereits durch eine andere, lexikalisierte Bildung ‚besetzt‘ ist.“ So blockiert Reisender die Bildung von Reiser (Wurzel 1984: 44). Christine Römer ≡ Morphematik; Morphemik → § 1, 16, 27; Flexion; Flexiv; Morphem; Natürliche Morphologie; Paradigma; Synkretismus; Wort; Wortart; Wortbildung; Wortform; Wortgrammatik → Gram-Syntax: Generative Grammatik; Grammatik; Konstruktionsgrammatik; Lexikon (1); Minimalistisches Programm; Schema; Syntax ⇀ Morphologie (Wobi; CG-Dt; Onom) ⇁ morphology (Typol; CG-Engl; TheoMethods)

🕮 Aronoff, M./ Fudemann, K. [2011] What is Morphology? 2nd ed. London ◾ Baker, M./ Bobaljik, J. [2002] Introduction to Morphology. New Brunswick, NJ [Unter: https://instruct.uwo.ca/ french/813b/Chapter7.pdf; letzter Zugriff: 18.04.2017] ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphol­ ogy (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Booij, G. [2007] The Grammar of Words. An Intoduction to Linguistic Morphology. 2nd ed. Oxford ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u.

497 aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Helbig, G./ Lerchner, G. [Hg. 2001] Kleine Enzyklopädie – deutsche Sprache. Frankfurt/Main [etc.] ◾ Gallmann, P. [1990] Kategoriell komplexe Wortformen. Das Zusammenwirken von Morphologie und Syntax bei der Flexion von Nomen und Adjektiv (RGL 108). Tübingen ◾ Genzmer, H. [1995] Deutsche Grammatik. Frankfurt/Main [etc.] ◾ Halle, M./ Marantz, A. [1994] Some Key Features of Distributional Morphology. In: Halle, M./ Marantz, A. [eds.] Papers on Phonology and Morphology (MITWPLing 21). Cambridge, MA: 275–288 ◾ Harley, H./ Noyer, R. [2003] Distributed Morphology. In: Cheng, L./ Sybesma, R. [eds.] The Second Glot International State-of-theArticle Book. Berlin: 463–496 ◾ Heringer, H.J. [2009] Morphologie. Paderborn ◾ Jackendoff, R./ Audring, J. [2016] Morphol­ ogical schemas: Theoretical and psycholinguistic issues. In: MentLex 11/3: 467–493 ◾ Müller, G. [2006] Argumentkodierung in Morphologie und Syntax (Projektantrag). [Unter: http://www. uni-leipzig.de/~va/argumentkodierung/ae.pdf; letzter Zugriff: 06.02.2017] ◾ Müller, G. [2011] Morphologie: Morphologie der Argumentkodierung. Einführung in die Distribuierte Morphologie. [Unter: http://home.uni-leipzig.de/muellerg/m3.pdf; letzter Zugriff: 12.04.2017] ◾ Neef, M. [1998] Elemente einer deklarativen Wortgrammatik. Hürth ◾ Nübling, D. [2012] Vom gegenseitigen Nutzen von Historischer Sprachwissenschaft und Sprachtypologie – am Beispiel der Phonologie, der Morphologie und der Pragmatik. In: Maitz, P. [Hg.] Historische Sprachwissenschaft. Erkenntnisinteressen, Grundlagenprobleme, Desiderate (StLingGerm 110). Berlin [etc.]: 63–83 ◾ Pinker, S. [2000] Wörter und Regeln. Heidelberg [etc.] ◾ Plank, F. [1981] Morphologische [Ir-]Regularitäten. Tübingen ◾ Römer, C./ Matzke, B. [2010] Der deutsche Wortschatz. Tübingen ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Sick, S. [2004] Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Köln ◾ Sternefeld, W. [2006] Syntax. Eine morphologisch motivierte generative Beschreibung des Deutschen. Bd. 1. Tübingen ◾ Störig, H.J. [2003] Abenteuer Sprache. 2. Aufl. München ◾ Storrer, A. [2007] Grenzgänger. Problemfelder aus didaktischer Sicht. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Wortarten. Berlin [etc.]: 905–924 ◾ Wiese, B. [1999] Unterspezifizierte Paradigmen. Form und Funktion in der pronominalen Deklination. In: Linguistik-onl 4/3. [Unter: https://bop. unibe.ch/linguistik-online/article/view/1034/1698; letzter Zugriff: 12.04.2017] ◾ Wunderlich, D. [1996] Minimalist Morphol­ ogy: The Role of Paradigms. In: Booij, G./ Marle, J. van [eds.] Yearbook of Morphology. Dordrecht [etc.]: 93–114 ◾ Wurzel, W.U. [1984] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung (StGram 21). Berlin.

Morphologie, Natürliche → Natürliche Morphologie

morphologische Einheit ≡ Morph

morphologische Funktion

morpho-semantische oder morpho-syntagmatische Rolle einer Wortkonstituente.

morphologische Funktion ▲ morphological function: morpho-semantic or morpho-syntagmatic role of a word constituent.

Ein morphologisch komplexes Wort besteht aus Elementen, die in der Wortkonstitution verschiedene Funktionen erfüllen. Durch Wortbildungsmorpheme (Affixe) wird entweder die Bedeutung des Wurzel-/Stammmorphems oder dessen kategoriale Zugehörigkeit modifiziert. So verändert der Stamm stell- im Verb stellen durch die Hinzufügung des Präfixes be- die lexikalische Bedeutung (bestellen) und wird ferner durch die Hinzufügung des Suffixes -ung zum Substantiv (Bestellung). Andere Beispiele für die semantische Modifikation durch Affixe sind: Alter – Altertum; finden – erfinden; kennen – erkennen – anerkennen; öffnen – eröffnen; Stein – Gestein; suchen – versuchen – Versuchung. Kategoriale Modifikation liegt in Inhalt – inhaltlich – beinhalten; denken – denkbar; Schuld – schuldig vor. Zuweilen ist die Modifikation mit Veränderungen des Stammmorphems verbunden, vgl. Grund – gründlich – Gründlichkeit; Wort – wörtlich [Umlaut]; die Affixe können darüber hinaus diskontinuierlich sein: denken – Gedanke [Ablaut, ge-+-e]. Bei den Vokalveränderungen wird die Grenze zur phonologischen Funktion überschritten. Bildungen wie befürworten, erdenklich sind insofern defektiv, als es keine Stammmorpheme *fürworten bzw. *denklich gibt. Die Morphemkonstituenten eines Kompositums modifizieren verschiedentlich die ursprünglichen lexikalischen Bedeutungen der Stammmorpheme semantisch: Dampf, Maschine – Dampfmaschine; gut, heißen – gutheißen; Jahr, lang – jahrelang; lieb, Frau, Milch – Liebfraumilch; Teil, nehmen – teilnehmen; trübe, selig – trübselig etc. Eine andere Art morphologischer Funktion erfüllen die grammatischen Wortelemente, z.B. stell‑e, stell-st, stell-t; stell-en – stell-te; Tisch-e; klein, klein-er, klein-st-; groß, größ-er, größ-t-. Die grammatischen Morpheme ändern im Unterschied zu den Derivationsaffixen und Kompositionskon­ stituenten nichts an der lexikalischen Bedeutung der Stammmorpheme, sondern signalisieren wie die Präsensflexion des Verbs syntaktische Relationen oder verleihen wie die Plural-, Tempus- und Komparationsmorpheme den Stammmorphemen eine additive, generelle Bedeutung 'Mehrzahl', 'Zeitbezug' bzw. 'Vergleich'. Wie in der Wortbildung überschneiden sich auch viele morpholo-

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morphologische Genusdetermination 498

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gisch-grammatische Funktionen kombinatorisch mit phonologischen wie seh-e, sieh-st, sieh-t, wasch-e, wäsch-st, wäsch-t; Büch-er; groß – größer, oder sie ersetzen sie ganz, z.B. Acker – Äcker; binden – band. Form und Inhalt der morphologischen Funktionen variieren in verschiedenen Sprachtypen, Sprachen und auch innerhalb ein und derselben Sprache. So werden z.B. syntaktische Relationen in isolierenden Sprachen, denen z.B. Engl. und die nordischen Sprachen skalenmäßig näher stehen als das in höherem Grade flektierende Dt. oder Lat., mehr durch die Wortstellung signalisiert oder analytisch durch Präpositionen, Pronomina oder Hilfsverben. (1) lat.: veni – dt.: ich bin gekommen – engl.: I have come – schwed.: jag har kommit (2) lat.: omnibus – schwed.: åt/för alla – dt.: allen/ für alle Parallele Formen im Dt. sind dich und an dich ((3), (4)). (3) Ich sehe dich. (4) Ich denke an dich. Als analoger Begriff kann die syntaktische Funktion gesehen werden, durch die die Rollen der Wörter als Satz- oder Wortgruppenkonstituenten, z.B. die von Subjekt (Junge), Objekt (Buch) und finites Verb (liest) in (5) bzw. Attribut (klein, Jungen) und Bezugswort (Buch) in (6) festgelegt sind. (5) Der Junge liest ein Buch. (6) Das kleine Buch des Jungen. Kjell-Åke Forsgren

→ § 8; Affix; Kompositum; morphologische Konstituente;

morphologisches Paradigma; stammbildendes Morphem; Wortbildung → Gram-Syntax: Funktion; Konstituente; syntaktische Funktion

🕮 Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.].

morphologische Genusdetermination

Festlegung des Genus der Substantive unter Berücksichtigung morphologischer Faktoren, die einen Hinweis auf ihr Genus geben. ▲ morphological gender determination: determination of the gender of a noun in relation to the morphology of the noun. Bei Genusfestlegung morphologischer Art geht man davon aus, dass man von den Bestandteilen des Subst. auf das Genus der jeweiligen Substantive schließen kann. Im Dt. bestimmen z.B. Suffixe und Wortausgänge wie -keit (die Menschlichkeit),

-heit (die Freiheit), -ei (die Datei), -enz (die Konferenz) das Genus als Femininum, -ich (der Teppich), -ling (der Feigling), -ismus (der Organismus) u.a. als Maskulinum und -lein (das Büchlein), -ment (das Dokument), -um (das Museum) u.a. als Neutrum. Bei einigen Suffixen treten zwei Genera auf (z.B. bei -nis: die Erlaubnis / das Geheimnis, -sal: (seltener) die Trübsal / (meist) das Schicksal und -tum: (seltener) der Irrtum / (meist) das Heldentum). Andere Formen des morphologisch determinierten Genus finden sich z.B. bei den Nominalisierungen. Die nominalisierten Infinitive sind immer Neutra (das Warten, das Einkaufen), Deverbativa mit Nullsuffix Maskulina (der Gang, der Sprung) und Deverbativa auf -t sind überwiegend Feminina (die Fahrt, die Last). Dagegen treten im Dt. nominalisierte Adjektive und Partizipien in allen Genera auf (der/die/das Schöne; der/die/ das Betroffene). Morphologisch geregelt ist auch das Genus der Substantivkomposita, bei denen das zweite Glied (der sog. Substantivstamm oder das sog. Grundwort) das Genus bestimmt (der Schreibtisch, die Blumenvase). Dies gilt auch für Ableitungen mit Präfixen (das Unglück). Von den genannten morphologischen Regeln gibt es Ausnahmen, z.B. der Papagei, das Stadion, der Zement, bzw. schwanken einige Substantive im Genusgebrauch (die Scheu, aber: der/die Abscheu). Bei den Substantiven, bei denen eine morphologische Genuszuweisung nicht möglich ist, kann sie über phonologische Eigenschaften der Substantive (z.B. bei den Einsilbern) oder über die Bedeutung erfolgen. Edyta Błachut

→ derivationelles Genus; doppeltes Genus; Genusdetermi­

na­tion; Genusschwankung; Geschlechtsspezifikation; phonologische Genusdetermination; semantische Genusdetermination

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

morphologische Grundform

Wortform zur Repräsentation eines Wortes.

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morphologische Komponente

▲ morphological basic form: word form that is used to represent the word.

Die Grundform ist eine Form aus dem Wortparadigma, die das Wort repräsentiert und in Wbb. als Lemma angesetzt wird. Die Auswahl von Grundformen beruht auf Konvention. Im Dt. ist die Grundform bei Substantiven der Nominativ Sg., bei Verben der Infinitiv Präs., bei Adjektiven der Positiv. In anderen Sprachen mögen andere Formen als Grundform vorkommen, z.B. bei Verben im Ung. 3. Pers. Sg. Indikativ Präs.; im Lat. 1. Pers. Indikativ Präs. In der Fachlit. wird der Terminus morphologische Grundform in manchen Fällen auch im Sinne von 'Morph' verwendet (vgl. Eisenberg 1998: 28; Lieb 1980: 148). Eszter Kukorelli

→ Grundform; Grundformflexion; Morph; Nennform; Wort; Wortform

→ Gram-Syntax: syntaktische Grundform

🕮 Bauer, L. [2000] Word. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 247–257 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Lieb, H.-H. [Hg. 1980] Oberflächensyntax und Semantik (LA 93). Tübingen.

morphologische Kategorie

grammatische Kategorie einer Wortart, die mithilfe morphologischer Mittel – in den flektierenden Sprachen sind dies Flexionsmorpheme – ausgedrückt wird. ▲ morphological category: grammatical category of a word class encoded by means of morphological formants – in inflectional languages by inflectional morphemes. Die typischen Marker morphologischer Kategorien sind in den flektierenden Sprachen die Endungen. Eine Endung ist in der Regel bifunktional, d.h., sie drückt simultan zwei Kategorialfunktionen aus, vgl. mal-st (2. Pers. Sg.), Buch-s (Genitiv Sg.) etc. Grammatische Suffixe kodieren hingegen nur eine einzige morphologische Kategorialfunktion, vgl. schlecht-er (Komparativ), mal-te (Prät.), ging-e (Konjunktiv), Kind-er (Pl.). Im Dt. können auch sog. innere Morpheme (Umlaut und Ablaut) als morphologische Marker auftreten, vgl. geb-e : gab, Vater : Väter. Die morphologischen Kategorien sind im Dt. den Wortarten Verb (Numerus, Pers., Tempus, Modus), Subst. (Nume-

rus, Genus, Kasus), Adj. (Numerus, Genus, Kasus, Komparation), Pron. (Numerus, Genus, Kasus; bei Personal- und Possessivpron. auch Pers.) und Adverb (Komparation) eigen. In einigen Grammatiken steht der Terminus Kategorie im Sinne von 'Kategorialfunktion' (s.o.), wobei anstelle von Kategorie in der obigen Bedeutung der Terminus Kategorisierung verwendet wird (Eisenberg 1989; 2004; Zifonun et al. 1997). Michaił L. Kotin

→ Flexionskategorie; Wortart; Wortform → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; syntaktische Kategorie

🕮 Eisenberg, P. [1989] Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

morphologische Komponente

Teil der Generativen Grammatik, in dem generierte Terminalsymbole einer Baumstruktur mit entsprechenden morphologischen Markierungen versehen werden. ▲ morphological component: part of the generative grammar in which the generated terminal symbols of a tree are assigned their appropriate morphological markings. Die morphologische Komponente hat in der GG zu einer langanhaltenden Diskussion über die Stellung der Morphologie innerhalb einer GG geführt, wie sich am Beispiel der Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981) erkennen lässt: In dem T-Modell der Rektions- und Bindungstheorie liefern X-bar-Theorie und Lexikon zusammen die Tiefenstruktur, die durch die Regel „bewege α“ in die Oberflächenstruktur überführt wird. Diese bildet den Input für phonologische Realisierung und semantische Interpretation. In diesem Modell wird die morphologische Komponente nicht explizit postuliert. Es wird angenommen, dass sie einen Teil des Lexikons darstellt, wobei dieser Teil eine Schnittstelle mit der Oberflächenstruktur haben muss, damit die mit morphologischer Markierung versehenen syntaktischen Strukturen für Phonologie und Semantik sichtbar bleiben. Die morphologische Markierung der syntakti-

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morphologische Konstituente 500

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schen Strukturen kommt zustande, indem auf der Oberflächenstruktur jedes terminale Element einer Baumstruktur die Position einnimmt, die für eine korrekte Äußerung notwendig ist. Im Sinne der lexikalistischen Hypothese wird die morphologische Markierung diesen Terminalsymbolen durch lexikalische Einsetzungsregeln zugewiesen, da morphologisch relevante Informationen im Lexikoneintrag eines Lexems verankert sind. Das Verb schlafen, das ein mögliches Terminalsymbol darstellt, wird im Lexikoneintrag mit einem morphologischen Paradigma assoziiert, dessen konkrete Form in der Phonologie ausbuchstabiert wird. Andererseits wird bereits im CP-IP-System der Rektions- und Bindungstheorie eine Reihe von funktionalen Projektionen angenommen, die für unterschiedliche Flexionsmöglichkeiten aufkommen sollen: Die verbale Flexion wird durch die IP und die CP in die Satzstruktur integriert; Die Nominalflexion wird durch DP und Adjektivflexion durch QP (= Quantifiziererphrase) repräsentiert. Die IP selbst kann in weitere funktionale Projektionen aufgespaltet werden, je nachdem, welche morphologischen Markierungen an einem Verb möglich sind. So werden Subjekt-Agreement- und Objekt-Agreement-Phrasen angenommen, die die Markierung des Subjekts/Objekts in Person und Numerus oder Definitheit am Verb gewährleisten sollen. Die Postulierung von Tense-Phrasen soll zudem der Tempusmarkierung Rechnung tragen. Diese Annahmen tragen dazu bei, dass morphologische Flexionsmarkierung weitgehend syntaktisiert wird. Die Phrasenkerne sind in Chomsky (1995) spezifizierte Merkmalbündel und nicht-lexikalische Einheiten. Diese werden mit der aus dem Lexikon kommenden vollflektierten Form abgeglichen. Die syntaktische Reihenfolge der angenommenen Projektionen bildet, sprachspezifisch parametrisiert, die jeweilige Morphemabfolge am lexikalischen Element (Verb, Nomen, Adjektiv etc.) ab. Diese Korrespondenz ist das Hauptanliegen der „Distributed Morphology“ (vgl. Hale/Marantz 1993). Die Annahme, dass morphosyntaktische Merkmale, nicht aber Morpheme die ausschlaggebende Rolle haben, führte zur Etablierung der Nanosyntax (als Ersatz für morphologische Komponente). In dieser leiten syntaktisch relevante morphologische Merkmale jegliche Derivation an, vgl. Starke (2009).

Eine Alternative zur minimalistischen Theorie des Checking stellt Brodys Mirror Theory dar (vgl. Brody 2000). Er geht davon aus, dass Einheiten, die als morphologisches Wort fungieren, durch das Spiegelprinzip in syntaktische Strukturen konvertiert werden. Die morphologische Struktur Wortstamm–Suffix wird also ohne Derivation in eine syntaktische Kopf-Komplement-Relation überführt. Dies lässt zu, dass die morphologische Komponente als selbständige Komponente nicht ausgeschlossen ist. Imre Szigeti

→ § 24; Morphologie → Gram-Syntax: bewege-α; Generative Grammatik; lexikalistische Hypothese; Lexikon (1); Lexikon (2); Rektions- und Bindungstheorie; Terminalsymbol

🕮 Belletti, A. [2001] Agreement projections. In: Baltin, M./ Collins, C. [eds.] The Handbook of Contemporary Syntactic Theory. Malden, MA: 482–510 ◾ Brody, M. [2000] Mirror Theory: Syntactic Representation in Perfect Syntax. In: LingInq 31/1: 29–56 ◾ Chomsky, N. [1981] Lectures on Government and Bind­ ing. Dordrecht ◾ Chomsky, N. [1995] The Minimalist Program. Cambridge, MA ◾ Hale, S./ Marantz, A. [1993] Distributed Morphology and the Pieces of Inflection. In: Hale, S./ Keyser, J. [eds.] The View from Building 20. Cambridge, MA: 111–176 ◾ Starke, M. [2009] Nanosyntax. A short primer to a new approach to a language. https://doi.org/10.7557/12.213.

morphologische Konstituente

sprachliche Struktureinheit auf Wortebene. ▲ morphological constituent: structural entity at the word level. Viele Wörter lassen eine interne Gliederung erkennen. Sie bestehen aus kleineren Einheiten, die jeweils eine Form mit einer lexikalischen oder grammatischen Bedeutung verknüpfen. So besteht das Wort Freundlichkeit aus den unmittelbaren morphologischen Konstituenten freundlich und -keit, wobei die morphologische Konstituente freundlich weiter in Freund und -lich zerlegt werden kann. Die terminalen und somit strukturell niedrigsten morphologischen Konstituenten sind für gewöhnlich Morpheme. Im Fall von Freundlichkeit sind dies die Wurzel Freund sowie die Suffixe -lich und -keit. Daneben gibt es unter den terminalen morphologischen Konstituenten solche, deren Status als Morphem umstritten ist, wie Fugenelemente (z.B. in Mannschaft-s-sport) oder die von Eisenberg (2006) als morphologischer Rest klassifizierten Pseudoaffixe (z.B. in Gart-en vs. Gärt-chen). Die strukturell höchste

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morphologische Konstituentenstruktur

morphologische Konstituente ist das Wort, das als terminales Element in der Syntax dient. In einer Phrase wie freundlich sein wird freundlich von keiner weiteren morphologischen Konstituente dominiert und dient als terminales syntaktisches Element. In die Freundlichkeit spüren hingegen ist freundlich nur eine morphologische Teilkonstituente der höheren morphologischen Konstituente Freundlichkeit. Durch Wortbildungs- und Wortformbildungsprozesse können morphologische Kon­sti­tuenten zu immer größeren morphologischen Konstituenten zusammengefasst werden. So kann auch Freundlichkeit durch Wortformbildung zu Freundlichkeiten oder durch Wortbildung u.a. zu Freundlichkeitstest erweitert werden. Die interne Gliederung eines Wortes wird durch die morphologische Konstituentenstruktur wiedergegeben. Bei produktiven Prozessen ergibt sich die Bedeutung einer komplexen morphologischen Konstituente aus der Bedeutung ihrer Tochterkonstituenten. Manuela Korth

→ Morphem; morphologische Konstituentenstruktur; Pseudoaffix; Wortstruktur

→ Gram-Syntax: Konstituente

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Olsen, S. [1986] Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur. Stuttgart ◾ Selkirk, E. [1982] The Syntax of Words (LingInquMonogr 7). Cambridge, MA [etc.].

morphologische Konstituentenstruktur

hierarchische Gliederung sprachlicher Struktureinheiten auf Wortebene. ▲ morphological constituent structure: hierarchical organization of structural entities at the word level. Die morphologische Konstituentenstruktur gibt den internen Aufbau von Wörtern wieder. Mit Hilfe von Wortstrukturregeln lassen sich morphologische Konstituenten schrittweise beim Strukturaufbauprozess zu größeren morphologischen Konstituenten zusammenfassen oder beim Strukturanalyseprozess ggf. in kleinere morphologische Konstituenten aufspalten. Die hierarchische Gliederung, die sich durch die Anwendung der Wortstrukturregeln ergibt, kann in Form eines Konstituentenstrukturbaums oder in Form von indizierter Klammerung abgebildet werden. Im Gegensatz zur syntaktischen Konstituentenstruktur wird bei der morphologischen Konsti-

tuentenstruktur meist keine Unterscheidung verschiedener Projektionsstufen vorgenommen. Bei der Bestimmung der morphologischen Kon­ stituentenstruktur eines Worts helfen verschiedene Kriterien wie semantische Bezüge oder Distributionsbeschränkungen. Das Kompositum Kindergartenfest wird unter der Interpretation Gartenfest für Kinder zunächst in die unmittelbaren Konstituenten Kinder und Gartenfest geteilt, bevor beide Teilkonstituenten weiter analysiert werden. In der Interpretation Fest des Kindergartens bildet hingegen Kindergarten eine morphologische Konstituente. Bei Derivationen ergibt sich die morphologische Konstituentenstruktur zudem aus den Selektionsrestriktionen der Affixe. Das Wort untrennbar hat die Gliederung in (1), da sich das Suffix -bar produktiv mit Verben verbindet, während das Präfix un- mit Adj. und Nomen möglich ist. Dementsprechend kann trennbar auch in anderen Wortbildungen (Trennbarkeit) oder als terminales syntaktisches Element (beide Komponenten sind trennbar) auftreten (1). (1) [[un-]X [[trenn]V [-bar]A]A]A In einigen Fällen besteht Uneinigkeit darüber, wie die morphologische Konstituentenstruktur anzusetzen ist, so z.B. in Zusammenbildungen wie engstirnig, da weder *engstirn noch *stirnig unabhängig vorkommt. Man kann sich hier mit externen Bedingungen über die Abfolge einzelner morphologischer Prozesse behelfen. In einfacher Form ließe sich sagen, dass Derivation im Zweifelsfalle vor Komposition erfolgt, da diese Abfolge im Dt. weitaus häufiger auftritt und somit als weniger markiert gelten darf. Eine besonders strikte Abfolge gibt die Level Ordering Hypothesis vor, von der mehrere abweichende Varianten existieren. Dabei erfolgt i.A. nicht nur Derivation vor Komposition und Komposition vor Flexion, sondern es werden auch zwei Ebenen für Derivationsprozesse angesetzt, abhängig davon, ob das jeweilige Derivationsaffix Auswirkungen auf die phonologische Form der Basis hat, wie z.B. durch Änderungen der Betonungsstruktur oder der Segmentqualität (vgl. u.a. Bauer 2003). Bei der Festlegung der morphologischen Konstituentenstruktur finden neben binären z.T. auch ternäre Analysen Anwendung, so z.B. bei Zirkumfixen wie in Ge-red-e oder ge-sag-t. Will man auf ternäre Strukturen verzichten, kann man zunächst das Suffix mit der Basis verbinden und

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morphologische Struktur 502 in einem zweiten Schritt das Präfix hinzufügen. Nicht alle morphologischen Prozesse lassen sich jedoch in einen Konstituentenstrukturbaum umsetzen. Für nichtkonkatenative Prozesse wie Kürzungen und Mutationen müssen andere Darstellungsweisen herangezogen werden. Manuela Korth

→ § 10; binäres Merkmal; morphologische Konstituente; morphologische Struktur; Wortbildung; Wortstruktur

→ Gram-Syntax: indizierte Klammerung; Konstituentenstruktur

🕮 Bauer, L. [2003] Introducing Linguistic Morphology. 2nd ed. Washington, DC ◾ Höhle, T. [1982] Über Komposition und Derivation. Zur Konstituentenstruktur von Wortbildungsprodukten. In: ZS 1: 76–112 ◾ Olsen, S. [1986] Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur. Stuttgart ◾ Selkirk, E. [1982] The Syntax of Words (LingInquMonogr 7). Cambridge, MA [etc.].

morphologische Struktur

von Morphemen konstituierte Struktur eines Wortes. ▲ morphological structure: structure of the morphemes a word consists of.

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Die interne Struktur eines Worts lässt sich durch die Summe der unterschiedlichen Morphemarten erfassen. Nach einer Segmentierung der Morphe lassen sich die jeweiligen Morpheme identifizieren, so dass die morphologische Struktur eines Worts bestimmt werden kann. Dabei können die folgenden Typen unterschieden werden: (a) lexikalische vs. grammatikalische Morpheme; (b) freie vs. gebundene Morpheme; (c) Derivationsmorpheme vs. Flexionsmorpheme; (d) kontinuierliche vs. diskontinuierliche Morpheme; (e) unikale Morpheme (Schornstein, Brombeere); (f) Präfixe (abfahren, verbrauchen etc.), Suffixe (machte, schöner, brauchbar, Freiheit, Kindlein etc.) und Zirkumfixe (gemacht, Gerede). Die grammatikalischen Morpheme umfassen sowohl Flexions- als auch Derivationsmorpheme. Beide lassen sich weiter subklassifizieren. So unterscheidet man bei den Flexionsmorphemen Konjugations-, Deklinations- und Komparationsmorpheme. Die meisten grammatikalischen Morpheme, aber auch viele lexikalische Morpheme sind gebunden (helf-en). Die lexikalischen Morpheme, auch Basis- oder Grundmorpheme genannt, lassen sich nach ihrer Wortartenzugehörigkeit weiter subklassifizieren. Meike Meliss

→ § 10; freies Morphem; gebundenes Morphem; lexikalisches Morphem; Morphologie; unikales Morphem

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2004] Morphologie. Morphology (HSK 17.2). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.].

morphologischer Kopf

morphologische Konstituente, die die formalen Eigenschaften der dominierenden morphologischen Konstituente bestimmt. ▲ morphological head: morphological constituent which determines the formal properties of the dominating morphological constituent. Bei konkatenativen morphologischen Prozessen bildet eine Teilkonstituente den Kopf und legt die zentralen Merkmale sowie die Distribution des Wortbildungs- oder Wortformbildungsproduktes fest. So entscheiden das Zweitglied Haus des Kompositums Hochhaus sowie das Suffix -ung des Derivats Lesung über Wortart, Genus und Flexionsklasse des Wortbildungsproduktes, wodurch sich zudem Voraussagen über die Stellung im Syntagma ergeben. Welche Eigenschaften bei der Merkmalsperkolation als zentral gelten und welche Teilkonstituente damit als Kopf qualifiziert ist, ist umstritten. Williams (1981) stellt die Righthand Head Rule auf, nach der stets die rechte morphologische Konstituente den Kopf bildet. Demnach sind Zweitglieder von Komposita und Suffixe Köpfe, nicht jedoch Präfixe. Probleme ergeben sich z.B. für Komposita in roman. Sprachen, bei denen das Erstglied typische Kopfeigenschaften aufweist. Es wird durch das Zweitglied modifiziert, legt die Merkmale des Kompositums fest (1) und flektiert (2). Der Kopf von Komposita wird deshalb meist einzelsprachlich und unabhängig von der Righthand Head Rule festgelegt (Mask = Maskulinum; Fem = Femininum). (1) carta[N, Fem, Sg.] + regalo[N, Mask ,Sg.] → carta regalo[N, Fem, Sg.] (2) carte regalo[N, Fem, Pl.] In Bezug auf die Affigierung bietet Lieber (1981) einen Gegenentwurf zu Williams. Sie geht davon aus, dass sowohl Suffixe als auch Präfixe Köpfe sind und einen Subkategorisierungsrahmen auf-

503

morphologischer Umlaut

weisen. Damit lassen sich z.B. die Besonderheiten verbaler Präfixe in germ. Sprachen erfassen. Diese können die Wortart (3) sowie die Valenz der Basis (4) ändern. (3) ver-[V] + deutlich[A] → verdeutlich[V] (4) Der Dozent verschläft/*schläft das Seminar. Lieber (1981) erlaubt, dass auch der Nichtkopf Merkmale weitergibt, sofern der Kopf für diese nicht spezifiziert ist. Damit kann z.B. bei Affixen ohne eigene kategoriale Spezifikation die Wortart der Basis übernommen werden. Auch der Ablaut starker Verben bleibt bei der Verbindung mit einem verbalen Präfix erhalten. Insbesondere bei der Wortformbildung muss unabhängig von der verwendeten Konzeption angenommen werden, dass nicht nur der Kopf, sondern auch der Nichtkopf Merkmale an die übergeordnete Konstituente weiterreichen kann. In (5) entscheidet der Stamm über die Wortart, das Numerusmerkmal hingegen wird vom Flexionssuffix weitergegeben. (5) cat[N] + -s[Pl.] → cats[N, Pl.] Entgegen der Righthand Head Rule von Williams, nach welcher Flexionssuffixe als Köpfe gelten müssen, wird bei der Wortformbildung oft der Stamm als Kopf klassifiziert, was u.a. darin begründet ist, dass dem Wortartmerkmal eine zentralere Stellung als den Flexionsmerkmalen beigemessen wird. So verwendet z.B. Selkirk (1982) eine modifizierte Variante der Righthand Head Rule, welche die rechte Konstituente, die ein Wortartmerkmal vererbt, als Kopf ausweist. Auch Lieber (1992) sieht die wortartbestimmende Teilkonstituente als Kopf, wodurch die Symmetrie von Präfixen und Suffixen in Bezug auf die Köpfigkeit gegenüber Lieber (1981) abgeschwächt wird und Derivations- und Flexionssuffixe zudem nicht mehr einheitlich erfasst werden. Nicht für alle morphologischen Prozesse lässt sich ein Kopf bestimmen, da nicht alle Prozesse konkatenativ sind. In wortbasierten morphologischen Ansätzen wie der Construction Morphology von Booij (2010) könnte im Gegensatz zu morphembasierten Ansätzen auf das Konzept des morphologischen Kopfes verzichtet werden, da sich die Merkmale eines Wortes aus den gespeicherten Schemata ergeben. Dennoch findet der Kopfbegriff z.B. in Bezug auf die Komposition auch dort weiter Anwendung. Manuela Korth

→ morphologische Konstituente; Präfix; Suffix; Wortbildung

→ Gram-Syntax: Kopf

🕮 Booij, G. [2010] Construction Morphology. Oxford ◾ Lieber, R. [1981] The Organization of the Lexicon. Bloomington, IN ◾ Lieber, R. [1992] Deconstructing Morphology. Word Formation in Syntactic Theory. Chicago, IL ◾ Selkirk, E. [1982] The Syntax of Words (LingInquMonogr 7). Cambridge, MA [etc.] ◾ Williams, E. [1981] On the Notions ‘Lexically Related’ and ‘Head of a Word’. In: LingInqu 12: 245–274.

morphologischer Status

Status einer Lautfolge, als Morphem eingeordnet zu werden. ▲ morphological status: status of a sequence of sounds as a morpheme. Bei der morphologischen Analyse findet man Lautfolgen, die auf dem Wege sind, Einheitsstatus zu erlangen oder die häufiger im Zusammenhang mit verwandten Bedeutungen auftreten, ohne dass sie von allen als Morpheme eingeordnet werden wie z.B. die Pseudomorpheme (-in, -it, -ol, -on u.a. bei Substanznamen mit der Assoziation 'wissenschaftlich, seriös, wirkungsvoll', vgl. Aspir-in, Gust-in, Bind-ol, Valor-on, Eros-an) oder die Phonästheme (gl- in glimmen, gleißen, glitzern, glitter, glisten, glint, glimmer, glean). Diese submorphemischen Einheiten gelten nicht als Morpheme. Oft wird auch den unikalen Morphemen (vgl. Brombeere, Him-beere) der morphologische Staus nicht zuerkannt. Hilke Elsen

→ Allomorph; Morphem; Morphemanalyse; Submorph; unikales Morphem; Wortbildung

🕮 Elsen, H. [2006] Pseudomorpheme. Namen im Übergangsbereich von Phonologie und Morphologie. In: Mutterspr 116: 242–248 ◾ Elsen, H. [2016] Einführung in die Lautsymbolik. Berlin ◾ Kubrjakova, E.S. [2000] Submorphemische Einheiten. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 417–426 ◾ Luschützky, H.C. [2000] Morphem, Morph und Allomorph. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 451–462 ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301.

morphologischer Umlaut

Umlautung trotz fehlenden palatalen Umlautauslösers zum Ausdruck morphologischer Informationen. ▲ morphological umlaut: umlaut occurring in contexts without the umlaut-inducing element in order to mark morphological information.

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morphologisches Paradigma 504

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Der morphologische (auch: analogische, funktionale) Umlaut ist in nur zwei westgerm. Sprachen, im Dt. und (noch stärker) im Luxemburgischen, ausgebaut worden; im Engl. und Niederl. finden sich nur vereinzelte Beispiele des sonst abgebauten Pluralumlauts, z.B. engl. goose – geese, niederl. stad – steden. Im Dt. tritt der morphologische Umlaut seit dem 14./15. Jh. vor allem in folgender Gestalt auf: (a) zur Mitbezeichnung des Plurals in Verbindung mit -e und -er bei maskulinen und neutralen a-Stämmen (mhd. stab – stabe > nhd. Stab – Stäbe und mhd. dach – dach > nhd. Dach – Dächer); (b) als alleiniger Pluralmarker bei Verwandtschaftsbezeichnungen (mhd. muoter – muoter > muoter – müoter 'Mütter'), in obdt. Dialekten und im Luxemb. aufgrund der Apokope auch in Einsilbern, z.B. luxemb. Floss 'Fluss' – Flëss 'Flüsse'; (c) zur Kennzeichnung des Konjunktivs: nach dem Schwund der 3. Ablautstufe (Basis der Konjunktivbildung) z.B. in mhd. sünge (3. Ablautstufe) wird die 2. Ablautstufe umgelautet, nhd. sänge (von sang). In der Wortbildung ist der morphologische Umlaut bei Diminution produktiv, z.B. Hund – Hündchen, (analogisch) Anekdote – Anekdötchen. Renata Szczepaniak

→ innere Flexion; obligatorischer Umlaut; Umlaut

🕮 Nübling, D. [2006] Zur Entstehung und Struktur ungebändigter Allomorphie. Pluralbildungsverfahren im Luxemburgischen. In: Moulin, C./ Nübling, D. [Hg.] Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Diachronie und Synchronie. Heidelberg: 107–126 ◾ Sonderegger, S. [1979] Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Bd. 1: Einführung, Genealogie, Kon­ stanten. Berlin [etc.].

morphologisches Paradigma

Menge der unterschiedlichen Stammformen, die einer Grundform zugewiesen sind. ▲ morphological paradigm: set of different stems which belong to one basic form. Beim morphologischen Paradigma handelt es sich um eine bestimmte Menge an Stammmorphen/-formen, die einem Grundmorphem zugeordnet sind. (1) {schreib-} (2) {schrieb-} (1) und (2) bilden zusammen das morphologische Paradigma zu {schreib-}. Die unterschiedlichen Stammmorphe sind jedoch nicht beliebig austauschbar wie z.B. lexikalische Paradigmen,

sondern werden komplementär in bestimmten Kontexten und grammatischen Umgebungen verwendet. (1) ist der Präsens- und (2) der Präteritumstamm. Das morphologische Paradigma besteht somit aus Allomorphen eines Morphems und diese sind „durch morphologische Einheitenkategorien“ (Eisenberg 2013: 212) voneinander unterscheidbar. Unterschieden werden die verschiedenen Stammformen nach dem Stammvokal. Damit hat die Präsensstammform (1) den Grundvokal und die Präteritumstammform (2) den Ablaut. Solche morphologischen Paradigmen können bei allen flektierenden Wortarten auftreten und lassen sich durch die verschiedenen Stammvokale unterscheiden. Das Subst. Maus besteht z.B. aus dem morphologischen Paradigma {maus} und {mäus-}, wobei sich die Stammformen durch den Umlaut unterscheiden. Nach Römer wird der Umlaut im Stamm auch als modifikatorisches Flexiv bezeichnet und das stellt „Alternationen, formale Modifikationen des Stammes“ (Römer 2006: 34) dar. Somit gibt es eine Singularstammform mit dem Grundvokal und eine Pluralstammform mit Umlaut. Gleiches gilt für das Adj. klug, bestehend aus {klug} und {klüg-}, wobei hier die Stammformen den Positiv und Komparativ unterscheiden. (3) Maus: {maus}, {mäus-} (4) klug: {klug}, {klüg-} Eine Sonderform bilden die Suppletivformen (Suppletion). Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Stammformen zu einer Grundform, wobei sich die Stammformen nicht durch einen Vokalwechsel bzw. durch den Stammvokal unterscheiden, sondern das morphologische Paradigma besteht grundsätzlich aus unterschiedlichen Formen. Suppletivformen treten sowohl bei Verben (5) als auch bei Adjektiven (6) auf. (5) Verb: {sein}, {bi-}, {ist}, {sei-}, {wa-} (6) Adjektiv: {gut}, {bes-} Die unterschiedlichen Stammformen eines morphologischen Paradigmas finden somit sowohl in der Flexionsmorphologie als auch in der Wortbildung Anwendung. Nicole Palliwoda

→ Allomorph; Flexionsmorphologie; Kasussynkretismus; Morphem; Paradigma; Suppletion; Synkretismus; Wortbildung

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 9., vollständig überabeitete und aktualisierte Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl.

505 Stuttgart [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2., aktual. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Mit 166 Schemata, Skizzen und Tabellen. (GermLbs). Berlin.

morphologisches Prinzip

orthographisches Prinzip, das die Konstantschreibung morphologischer Einheiten, insbesondere von Wurzeln, erfasst. ▲ morphological principle; morpheme constancy principle; stem constancy principle: orthographic principle that captures the consistent spelling of morphological units, in particular of roots. Das morphologische Prinzip gehört zum deskriptiven Konzept der orthographischen Prinzipien, das sich zumindest bis Raumer (1855) zurückverfolgen lässt und mit dem bestimmte Regularitäten in alphabetischen Schriftsystemen bzw. Orthographien erfasst werden können. Hierbei steht das morphologische Prinzip in einem engen Zusammenhang mit dem phonologischen Prinzip, die beide mitunter als „konstitutiv für das deutsche Schriftsystem“ angesehen werden (Dürscheid 2012: 142). Das phonologische Prinzip erfasst den (idealisierten) Zustand, dass einem Phonem genau ein Graphem (oder Buchstabe) entspricht. Wenn orthographische Schreibungen hiervon abweichen und wenn diese Abweichungen darauf bezogen werden können, dass auf diese Weise einer bestimmten morphologischen Einheit ermöglicht wird, in unterschiedlichen Kontexten konstant geschrieben zu werden, wird dies auf das morphologische Prinzip bezogen. Der Umstand, dass morphologische Einheiten vielfach allein deshalb konstant geschrieben werden, weil sie auch phonologisch immer konstant repräsentiert sind, wird dagegen gewöhnlich nicht mit dem morphologischen Prinzip in Verbindung gebracht. Gemäß dem phonologischen Prinzip müsste der Nominativ Sg. des Lexems HUND geschrieben werden und der Nominativ Pl. . Die tatsächliche, abweichende Schreibung der ersteren Form als wird mit dem morphologischen Prinzip begründet, da auf diese Weise eine konstante Schreibung des Stamms bzw. der Wurzel des Lexems möglich wird. Im Dt. werden sowohl Flexionsaffixe wie auch Le-

morphologisches Prinzip xembildungsaffixe nicht unbedingt konstant geschrieben (vgl. die Schreibungsvarianten der 2. Pers. Sg. Präs. in (du) kaufst, boxt, birst (von kaufen, boxen, bersten) bzw. des Movierungssuffixes in Freundin vs. Freundinnen), weshalb im Dt. die morphologische Einheit Wurzel als Domäne des morphologischen Prinzips angesehen werden sollte (entgegen der häufigen Benennung des fraglichen Prinzips als Stamm(konstanz)prinzip). In anderen alphabetischen Orthographien liegen die Verhältnisse mitunter anders, wenn auch ein bestimmter Grad an morphologischer Konstanz immer zu beobachten ist. Im Niederl. ist z.B. auf Wurzelebene ein deutlich geringerer Grad an Konstanzschreibung zu konstatieren (z.B. 'Sprache' vs. 'Sprachen'). Das morphologische Prinzip stößt an seine Grenzen, wenn Wurzeln in ihrer phonologischen Repräsentation so variieren, dass das Schriftsystem keine geeigneten Korrespondenzen zwischen Phonemen und Graphemen bereitstellt. Dies ist offensichtlich im Fall von Suppletion (die 1. Pers. Sg. Präs. bin des Verblexems SEIN kann nicht geschrieben werden), aber auch Fälle von Umlaut (vgl. Vater – Väter) sind im Grunde ein Verstoß gegen das morphologische Prinzip, auch wenn hier durch die spezifische Form der Umlautbuchstaben ein gewisser Grad an Konstanz erhalten bleibt. Für das Verständnis eines Schriftsystems sind gerade solche Daten interessant, bei denen dem morphologischen Prinzip nicht Genüge getan wird. So wird im Dt. bei der Schreibung des Nominativ Pl. des Lexems SAAL nicht nur ein Vokalbuchstabe umgelautet, sondern der andere auch getilgt, was in einer formalen Analyse des Schriftsystems durch eine Regel oder Beschränkung zu modellieren ist. ≡ Schemakonstanzprinzip → § 34; Morphem; Stamm; Suppletion; Wurzel ⇀ morphologisches Prinzip (Schrling)

Martin Neef

🕮 Dürscheid, C. [2012] Einführung in die Schriftlinguistik. 4., überarb. u. aktual. Aufl. Göttingen ◾ Neef, M. [2013] Das Konzept des morphologischen Prinzips und seine Rolle in einer modularen Schriftsystemtheorie. In: Neef, M./ Scherer, C. [Hg.] Die Schnittstelle von Orthographie und geschriebener Sprache. Berlin: 9–36 ◾ Nerius, D. [2004] Das morphematische Prinzip im Rahmen der Orthographietheorie. In: Sprw 29: 25–32 ◾ Nunn, A. [1998] Dutch Orthography. The Hague ◾ Rahnenführer, I. [1980] Zu den Prinzipien der Schreibung im Deutschen. In: Nerius, D./ Scharnhorst, J. [Hg.] Theoretische Probleme der

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Morphologisierung 506 deutschen Orthographie. Berlin: 231–259 ◾ Raumer, R. von [1855] Über deutsche Rechtschreibung. In: ZfÖGymn 6: 1–37.

Morphologisierung

1. diachroner Übergang syntaktischer Konstituenten in morphologische Konstituenten. ▲ morphologization: diachronic transition of syntactic constituents into morphological constituents. 2. Übernahme eines phonologischen Merkmals als morphologische Kennzeichnung. ▲ morphologization: reinterpretation of phonological features as morphological marking.

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Zu 1: Morphologisierung ist ein Teilprozess der Grammatikalisierung, bei dem ein Funktionswort über die Zwischenstufe eines Klitikons in ein Flexionsaffix überführt wird. Funktionswörter gehören als freie Grammeme den syntaktischen Konstituenten an. Sie treten i.A. unbetont auf. Mit steigendem Grammatikalisierungsgrad sind sie an eine feste Position im Syntagma gebunden und lehnen sich phonologisch und syntaktisch an ein benachbartes, meist betontes lexikalisches Wort an, mit welchem sie zunehmend verschmelzen. Bei dieser Fusion wird aus dem ursprünglichen Funktionswort ein Flexionsaffix und es erfolgt der Übergang von einem freien Grammem in der Syntax zu einem gebundenen Grammem in der Morphologie. Das Flexionsaffix wird zunächst agglutinierend und mit regelmäßiger grammatischer Bedeutung verwendet. Der gesamte Vorgang ist von phonologischen Abschwächungsprozessen begleitet. Belege finden sich u.a. bei der Tempusmarkierung in verschiedenen Sprachen. So wird z.B. der Ursprung des Präteritalsuffixes -te der schwachen Verben im Dt. in der Vergangenheitsform des germ. Verbs *dōn (nhd. tun) gesehen und die morphologische Kennzeichnung des Futurs im Frz. auf Formen von lat. habere zurückgeführt. Manuela Korth

→ Agglutination; Funktionswort; Klitikon; morphologische Konstituente

→ Gram-Syntax: Grammatikalisierung; Konstituente ⇀ Morphologisierung (HistSprw; Phon-Dt) ⇁ morphologization (Phon-Engl)

🕮 Diewald, G. [1997] Grammatikalisierung. Eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen. Tübingen ◾ Hopper, P.J./ Traugott, E.C. [1993] Grammaticalization. Cambridge, MA ◾ Lehmann, C. [1995] Thoughts on Grammaticalization. Rev. and exp. vers. (LINCOM 1). Unterschleissheim [etc.] ◾ Szczepaniak,

R. [2011] Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Zu 2: Phonologische Prozesse können über Morphemgrenzen hinweg Einfluss auf die Lautstruktur von Wörtern nehmen. Entfällt der Auslöser eines phonologischen Prozesses, ohne dass das Ergebnis des Prozesses ebenfalls schwindet, so ist die phonologische Änderung in eine morphologische Kennzeichnung übergegangen. Der Umlaut im Dt., der sich z.B. bei der Pluralbildung der Nomen (Turm/Türme) oder beim Konjunktiv der starken Verben (saß/säße) findet, wurde im Ahd. durch einen regressiven Assimilationsprozess ausgelöst, wobei die Zungenlage von hinteren Vokalen und tiefen zentralen Vokalen im Stamm an die eines /i/ oder /j/ des Suffixes angepasst wurde. Durch die Nebensilbenabschwächung im Übergang vom Ahd. zum Mhd. sind /i/ und /j/ in vielen Suffixen zu Schwa reduziert worden oder ganz entfallen. Der Umlaut blieb erhalten und ist mit dem morphologischen Merkmal für Pl., Konjunktiv etc. verknüpft. Der Umlaut wurde z.T. auch auf Stämme übertragen, deren Suffixe urspr. kein assimilationsauslösendes /i/ oder /j/ enthielten. Manuela Korth

→ Morphemgrenze; morphologischer Umlaut; Umlaut ⇀ Morphologisierung (HistSprw; Phon-Dt) ⇁ morphologization (Phon-Engl)

🕮 Wiese, R. [1987] Phonologie und Morphologie des Umlauts im Deutschen. In: ZfS 6: 227–248 ◾ Wurzel, W.U. [2004] Morphologisierung. Von der Phonologie zur Morphologie. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1600–1611.

Morphonemik

≡ Morphonologie

Morphonologie

abstrakte, zwischen Phonologie und Morphologie angesetzte Beschreibungsebene, auf der phonologische Regularitäten in ihrer morphologischen Systematizität erfasst werden. ▲ morphophonology: abstract level of description between phonology and morphology on which phonological regularities are described within their systematic morphological relations. Der auf Trubetzkoy (1931) zurückgehende Terminus ist im Dt. gut am Beispiel der Auslautverhärtung zu illustrieren. Eine morphonologische

507 Morphosyntax Beschreibung erfasst z.B. die Opposition von stimmlosem /t/ und stimmhaftem /d/ wie in Hund vs. Hund-e als zwei systematisch aufeinander bezogene phonologische Varianten, die der Unterscheidung der konkreten Realisationsformen (Allomorphe) des zugrundeliegenden abstrakten Morphems {hund} dienen. Für einen Überblick und weitere Literaturverweise vgl. u.a. Coates (2006). Karsten Schmidt ≡ Morphonemik; Morphophonemik; Morphophonologie → Allomorph ⇀ Morphonologie (Wobi; Phon-Dt) ⇁ morphophonology (TheoMethods; Phon-Engl)

🕮 Coates, R. [2006] Morphophonemics. In: Brown, K. et al. [eds.] Encyclopedia of language & linguistics 8. Amsterdam: 318–332 ◾ Trubetzkoy, N.S. [1931] Gedanken über Morphophonologie. In: TCLing-P 4: 160–163.

Morphophonemik ≡ Morphonologie

Morphophonologie

≡ Morphonologie ⇀ Morphophonologie (Phon-Dt)

Morphosyntax

abstrakte Beschreibungsebene der Grammatik für die Erfassung der syntaktischen Funktionen der Flexionsmorpheme. ▲ morphosyntax: abstract description level of grammar for the assessment of the syntactic functions of inflectional morphemes. In der Grammatikographie wird die Funktion der Flexionskategorien bzw. der Flexionsmorpheme auf der Ebene der Syntax erfasst. So drücken die Konjugationsformen des Verbs z.B. die Kongruenz mit dem Subjekt aus: (1) ich gehe, du gehst, er/sie geht Der Kasus ist ebenso untrennbar von der syntaktischen Funktion des Nomens; er kann Rektionskasus (2) oder freier Kasus zur Realisierung einer adverbialen Funktion (3) bzw. einer Attributfunktion (3) sein: (2) Dies bedarf weiterer Klärung. (3) Eines Tages ging Hans in die Welt. (4) Die Seiten des Buchs [...]. (2) bis (4) zeigen, dass durch die Flexion syntaktische Relationen hergestellt werden. Flexionsmorphologie kann folglich von der Syntax, verstanden

als Kombinationslehre sprachlicher Einheiten (Engel 2009), nicht getrennt werden. Hinzu kommt, dass das Lexemwort in analytischen Konstruktionen statt morphologisch realisierter Flexion mit einem oder mehreren Funktionswörtern kombiniert wird. So kann z.B. das Tempusmerkmal im dt. Tempussystem mit einem Flexionsmorphem (z.B. das Präteritalmorphem -te bei schwachen Verben (5)) und auch mit einem Auxiliarverbkomplex (z.B. haben oder sein + Partizip Perf. zum Ausdruck des Tempus Perf. (6)) ausgedrückt werden. (5) Klaus gähnte. (6) Klaus hat gegähnt. Insofern kann eine Kategorie des Wortes nicht auf das Wort selbst beschränkt werden. Das Tempus ist im Dt. nicht nur die Kategorie des konjugierten Verbs, sondern die des Verbalkomplexes. Eisenberg (2006) unterscheidet drei Typen grammatischer Kategorien: Allein die sog. Wortkategorien gehören zum isolierten Wort (z.B. das Genus der Substantive). Die beiden anderen sind erst auf der Ebene der Syntax erfassbar. Einheitenkategorien (= Flexionskategorien) sind Kategorien syntaktisch realisierter Wortformen (z.B. Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus bei Verben), Konstituentenkategorien stellen Kategorien syntaktischer Positionen in einer syntaktischen Struktur dar (z.B. NP als Satzkonstituente). Auch die Wortarten, die traditionell die Kernfrage der morphologischen Beschreibung einer Sprache bilden, können durch ihre Distribution in syntaktischen Strukturen definiert werden (vgl. die Wortartenklassifizierung in der Grammatik von Helbig/Buscha 2007). Die Beschreibungsebene der Morphosyntax stellt die Verbindung zwischen zwei früher getrennten Beschreibungsebenen, der Formenlehre und der Syntax dar. Attila Péteri

→ Flexiv; Formenlehre; morphologische Funktion; morphologische Kategorie; Morphologisierung (1)

→ Gram-Syntax: syntaktische Funktion; Syntax ⇀ Morphosyntax (CG-Dt) ⇁ morphosyntax (TheoMethods)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. 3., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Bu­ scha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin ◾ Wandruszka, U. [1997] Syntax und Morphosyntax. Eine kategorialgrammatische Darstellung anhand romanischer und deutscher Fakten. Tübingen.

M

Motion 508

Motion

Motivierung

≡ Movierung

Nicht-Arbitrarität eines sprachlichen Zeichens. ▲ motivation: non-arbitrariness of a linguistic sign.

motivierte Wortbildung

Verfahren, bei dem Wortbildungskonstruktionen entstehen, deren Bedeutung durch die Bedeutung der einzelnen Konstituenten erschließbar ist. ▲ motivated word formation: process of forming complex words whose meaning can be understood based on the meaning of the constituents.

M

Im Gegensatz zu Wortbildungskonstruktionen (= WBK) sind (primäre) Simplizia nicht motiviert, sondern arbiträr (oder demotiviert/idiomatisiert). Aber auch bei WBK kann sich im Laufe der Zeit der Motivierungsgrad ändern und die WBK kann sich in Richtung Demotivierung entwickeln. Vor allem aus Sicht des Rezipienten ist eine WBK ohnehin immer nur zu einem gewissen Teil motiviert; die Dekodierung verlangt neben sprachlichem Wissen auch Weltwissen, da die konkrete Beziehung der Konstituenten zueinander erkannt werden muss (vgl. Bierglas: Glas für Bier; Trinkglas: Glas zum Trinken; Kristallglas: Glas aus Kristall; Brillenglas: Glas in der Brille). Zwischen vollständig motivierten WBK und demotivierten WBK gibt es eine Reihe von Abstufungen. Aus Gründen der Vereinfachung wird jedoch meist lediglich die Zwischenstufe teilmotiviert angenommen, so dass schließlich von den drei Motivationsgraden vollmotiviert (dt. kinderlos, engl. childless, finn. lapseton), teilmotiviert (dt. Großeltern, engl. grandparents, frz. grandsparents, finn. isovanhemmat) und idiomatisch (dt. Junggeselle, engl. butterfly) ausgegangen wird. Dennoch ist der Motivationsgrad auch aus synchroner Sicht nicht als absolut zu betrachten, sondern kann – nicht zuletzt in Abhängigkeit vom jeweiligen Wissensstand – individuell variieren.

→ Motivierung; Wortbildung → Gram-Syntax: Konstituente

Antje Heine

🕮 Fleischer, W./ Barz, I. [1995] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchges. u. erg. Aufl. Tübingen ◾ Sauer, H. [2004] Lexicalization and demotivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphology (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1625–1636.

Motiviertheit

≡ Motivierung ⇀ Motiviertheit (HistSprw)

Zumeist werden drei Motivationstypen unterschieden: die phonetisch-phonemische, die morphosemantische und die figurative (auch: semantische) Motivation. Bei der phonetisch-phonemischen Motivation stellt der Zeichenkörper (signifiant) das Abbild eines natürlichen Lauts dar. Diese Art der Motivierung ist insbesondere bei den Onomatopoetika vorzufinden, aber auch bei lautmalenden Verben (knirschen, knarren, knistern). Dennoch wird auch hier eine gewisse Willkürlichkeit deutlich, wie die Wiedergabe von Tierlauten in verschiedenen Sprachen zeigt (z.B. dt. kikeriki, engl. cock-a-doodle-doo, frz. cocorico, russ. kukareku, schwed. kuckeliku). Von morphosemantischer Motivation spricht man vor allem bei Komposita und Präfix-/Suffixderivaten, wenn deren Bedeutung auf Grund der Bedeutung der einzelnen Konstituenten transparent ist. Es können vollmotivierte (dt. kinderlos, engl. childless, finn. lapseton) und teilmotivierte (dt. Großeltern, engl. grandparents, frz. grandsparents, finn. isovanhemmat) Wortbildungskon­ struktionen unterschieden werden. Figurative Motivation liegt bei metaphorischer oder metonymischer Übertragung vor, z.B. bei der Bezeichnung schädlicher Computerprogramme als Virus oder Trojanisches Pferd/ Trojaner (Metapher). ≡ Motiviertheit → motivierte Wortbildung; Sprachzeichen ⇀ Motivierung (Wobi; Lexik) ⇁ motivation (Typol)

Antje Heine

🕮 Fleischer, W./ Barz, I. [1995] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchges. u. erg. Aufl. Tübingen ◾ Sauer, H. [2004] Lexicalization and demotivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphology (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1625–1636.

Movierung

Wortbildungsvorgang bei Personen- und Tierbezeichnungen zur expliziten Markierung des natürlichen Geschlechts. ▲ sex indication; gender indication: word formation process involving the explicit indication of the biological sex of people and animals.

509 Multiplikativum Die Notwendigkeit der Movierung ergibt sich aus der Tatsache, dass bei Bezeichnungen für Lebewesen das grammatische Geschlecht (Genus) und das natürliche Geschlecht (Sexus) keineswegs zusammenfallen müssen oder ggf. überhaupt nicht ausgedrückt werden, so dass der Sexus deswegen expliziert werden muss. Die weitaus häufigste Form der Movierung stellt die durch Suffigierung erfolgte Ableitung von weiblichen Bezeichnungen aus generischen Maskulina dar (dt. Arbeiter → Arbeiterin, Ungar → Ungarin, Friseur/Frisör → Friseuse/Friseurin/Friseusin/Frisöse/Frisörin/Frisösin, engl. host → hostess). Wesentlich seltener kommen movierte Formen im Bereich der Maskulina vor (Witwe → Witwer, Braut → Bräutigam, Hexe → Hexerich). Vorhandensein und Gebrauchshäufigkeit von movierten Formen bzw. der Bestand an Movierungssuffixen ist stark kultur- und sprachenabhängig. Während movierte Substantive (insbesondere im Bereich der weiblichen Personenbezeichnungen) im heutigen Dt. vor allem als Ergebnis der feministischen Sprachkritik weit verbreitet sind, wird in anderen europ. Sprachen deutlich seltener moviert. Weniger verbreitet ist die Movierung auch in Sprachen, in denen die Ableitungsbasen ohnehin geschlechtsneutral sind (z.B. Engl.) oder gar die grammatische Kategorie Genus gänzlich fehlt (z.B. Ung.). Péter Maitz ≡ Motion → Derivation; generisches Maskulinum; Genus; Movierungssuffix; Sexus ⇀ Movierung (Wobi; Onom)

🕮 Dalton-Puffer, C./ Kastovsky, D. [2002] Sexist German – nonsexist English or non-sexist German – sexist English? Historical observations on a pragmatic question. In: LgSc 24: 285–296 ◾ Doleschal, U. [1992] Movierung im Deutschen. Eine Darstellung der Bildung und Verwendung weiblicher Personenbezeichnungen. Unterschleissheim [etc.] ◾ Donalies, E. [2007] Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Leiss, E. [1994] Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: LB 152: 281–300.

Movierungssuffix

Suffix, das sexusmarkierte Personen- und Tierbezeichnungen bildet. ▲ gender suffix: suffix in German used to indicate the biological sex of persons and animals. Das Movierungssuffix fügt männlichen oder weiblichen Bezeichnungen weibliche (Löwe → Löwin) oder männliche (Ente → Enterich) Entspre-

chungen hinzu. Im Dt. treten dabei auch Doppelaffigierungen auf (Richterin). Im Zuge der Feminisierung der dt. Sprache kam es zur verstärkten Diskussion um die Möglichkeiten der Bildung von weiblichen Varianten. Dies betrifft zum einen die Frage, ob z.B. Lehrer eine generische oder sexusmarkierte Bezeichnung ist, und zum anderen die Art und Weise der weiblichen Markierung. Am häufigsten wird das Suffix -in benutzt, um feminine Bezeichnungen zu bilden, daneben stehen auch Fremdsuffixe zur Verfügung (-euse → Friseuse; -e → Garderobiere). Für Beidbenennungen mit den Doppelformen (wie die Lehrerinnen und Lehrer) kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. verstärkt Kurzformen auf. Dies sind vor allem Schreibungen mit Schrägstrich (die/der Lehrer/-in) und mit großem I (die/der LehrerIn). -In kann auch als ein Movierungssuffix für Beidbenennungen aufgefasst werden.

→ Genus; Movierung; Sexus ⇀ Movierungssuffix (Wobi)

Christine Römer

🕮 Donalies, E. [2007] Basiswissen Deutsche Wortbildung. Tübingen [etc.] ◾ Samel, I. [2002] Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. Berlin.

Multiplikativum

Zahl, mit der man eine bestimmte Anzahl von Tätigkeiten oder Geschehen in einer nicht-zeitlichen Reihenfolge bezeichnet. ▲ multiplicative number; multiplicative numeral: number that expresses how many times some event happens or some thing exists. Multiplikativzahlen werden im Dt. mit Hilfe von Suffixen (-fach, -fältig) aus Kardinalzahlen (zweifach, zehnfältig) oder anderen Wortarten (vielfach, mehrfältig) gebildet. Nach der grammatischen Wortart sind Multiplikativa (Zahl-) Adverbien oder (Zahl-)Adjektive, wobei sie als Adj. attributiv (ein mehrfacher Sieger) oder substantiviert (um das Dreifache erhöhen) verwendet werden. Zum Multiplikativum zweifach gibt es die Nebenform doppelt (substantiviert: das Doppelte), die sich aber auch auf Substantive bezieht, die keine Tätigkeit darstellen (vgl. einen doppelten Espresso bestellen). Man unterscheidet bestimmte (dreifach) und unbestimmte Multiplikativzahlen (vielfach). ≡ Vervielfältigungszahlwort

Edyta Błachut

M

Mutation 510

→ bestimmtes Zahlwort; Iterativzahl; Kardinalzahlwort; Nu-

merale; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv; Zahladverb → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ ­Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Mutation

morphologische Kennzeichnung durch lautliche Abwandlung der Stammform. ▲ mutation: morphological marking by stem alternation.

M

Morphologische Merkmale können durch phonologische Veränderung der Stammform markiert werden. Dies umfasst sowohl Veränderungen von Vokalen wie beim Ablaut (werfen/warfen/geworfen) und beim Umlaut (Vogel/Vögel) als auch Veränderungen von Konsonanten wie beim grammatischen Wechsel (leiden/litten). Formen mit Mutation sind im Dt. überwiegend lexikalisch festgeschrieben und nicht produktiv. Bei Reduplikationen, die mit Ablaut (dingdong, Tingeltangel) oder mit Konsonantenwechsel (ruckzuck, Kuddelmuddel) auftreten können, sind auch Neubildungen möglich. Manuela Korth

→ Ersetzungsmorph; innere Flexion; Stammalternation ⇀ Mutation (1) (Wobi); Mutation (2) (Wobi)

🕮 Weddige, H. [2015] Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 9. Aufl. München ◾ Wiese, R. [1990] Über die Interaktion von Morphologie und Phonologie. Reduplikation im Deutschen. In: ZPSK 43: 603–624.

mutatives Verb

Verb, das die Veränderung eines Zustands bzw. den Eintritt eines neuen Zustands bezeichnet. ▲ mutative verb; verb of change: verb denoting a change of state or the occurrence of a new state.

Mutative Verben sind in der Regel intransitiv und drücken den Zustandswechsel i.w.S. aus. In den Sprachen, die die grammatische Kategorie des Verbalaspekts besitzen (z.B. in der Slavia), können sie sowohl zum perfektiven als auch zum imperfektiven Aspekt gehören, je nachdem, ob sie eine einmalige und relativ schnelle (atomare) oder eine allmähliche, langsame (nicht-atomare) bzw. sich wiederholende (iterative) Veränderung ausdrücken. Im Dt., das keine Aspektsprache ist, wird die Mutativität als lexikalisch-semantische Kategorie in der Regel perfektiv gedeutet und somit den imperfektiven Aktionsarten gegenübergestellt, vgl. werden [mutativ] vs. sein [kursiv, statal], wechseln [mutativ] vs. dauern [kursiv, aterminativ], sterben [mutativ] vs. leben [kursiv, aterminativ], entstehen [mutativ] vs. bestehen [statal, aterminativ] u.a. Eine klassische Opposition von mutativem und statalem Verb (Zustandsverb) ist die Opposition von werden und sein, solange es sich um die Voll- bzw. Kopulaverben handelt. Als Auxiliarverben in analytischen Formen von Tempus und genus verbi können beide Verben sowohl Mutativität als auch Nicht-Mutativität bezeichnen, je nach der Aktionsartbedeutung des entsprechenden Vollverbs ((1)–(4)). (1) Das Buch wurde gefunden. [mutativ] (2) Peter ist eingeschlafen. [mutativ] (3) Das Buch wurde gesucht. [nicht-mutativ] (4) Peter ist langsam gefahren. [nicht-mutativ]

Michaił L. Kotin ≡ transformatives Verb ↔ nicht-transformatives Verb; Zustandsverb → Aktionsart; imperfektive Aktionsart; perfektive Aktionsart; transformative Aktionsart → Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kotin, M. [2003] Die werden-Perspektive und die werden-Periphrasen im Deutschen. Historische Entwicklung und Funktionen in der Gegenwartssprache. Frankfurt/Main [etc.].

N narratives Präsens ≡ szenisches Präsens

Natürliche Morphologie

morphologische Theorie, in der angenommen wird, dass bei der morphologischen Gestaltung von Wörtern mehr oder weniger natürliche Prozesse wie Ikonizität, Transparenz und Binarität sowie holistische Prinzipien und Analogiebildung bestimmend sind. ▲ Natural Morphology: morphological theory based on the assumption that the morphology of words is determined by more or less natural processes such as iconicity, transparency, and binary structures as well as holistic principles and the use of analogy. Stefan J. Schierholz

→ Formenlehre; Morphologie; morphologische Komponente; Wortgrammatik

→ Gram-Syntax: Binarität ⇀ natürliche Morphologie (Wobi; HistSprw) ⇁ Natural Morphology (Typol; Woform; TheoMethods)

🕮 Dressler, W.U. [2000] Naturalness. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 288–296 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Mayerthaler, W. [1981] Morphologische Natürlichkeit. Wiesbaden ◾ Paul, H. [1975] Prinzipien der Sprachgeschichte. 9., unveränd. Aufl. Studienausgabe. Tübingen ◾ Wurzel, W.U. [1984] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung (StGram 21). Berlin.

natürliches Geschlecht ≡ Sexus

n-Deklination

Deklinationsklasse, die durch das Auftreten einer morphologischen Markierung charakterisiert ist, die den Konsonanten n einschließt. ▲ n-declension: declension class that is characterised by the occurrence of a morphological marker that includes the consonant n.

Im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. gemäß der Bildung der Singularformen stellt die n-Deklination – auch „(e)n-Deklination“ (Darski 1980: 64), „(e)n-Flexion“ (Augst 1979: 223) oder „schwache Deklination“ (Admoni 1982: 104) – einen der drei Haupttypen dar (neben der Nulldeklination und der s-Deklination) (Gallmann/Sitta 1996: 56). Zur nDeklination gehört im Gegenwartsdt. eine kleine Teilklasse der Maskulina (schwache Maskulina). Diese Substantive bilden alle Kasus-NumerusFormen, ausgenommen den Nom. (= Nominativ) Sg., auf -en oder -n, wie Menschen, Akk. (= Akkusativ)/Dat. (= Dativ)/Gen. (= Genitiv) Sg., zugleich Nom./Akk./Dat./Gen. Pl. von Mensch, und Affen, Akk./Dat./Gen. Sg., zugleich Nom./Akk./Dat./Gen. Pl. von Affe. Eine Sonderklasse (Mischtyp) stellen maskuline Substantive dar, die grundsätzlich dem Muster der n-Deklination folgen, aber zusätzlich das Genitiv-Singular-Suffix der s-Deklination annehmen; vgl. Name-n-s, Gen. Sg. von Name. Der n-Deklination folgen im Dt. auch die attributiven Adjektive aller Genera (schwache Adjektivflexion wie in der kleine Affe), soweit innerhalb einer NP eine nicht-adjektivische Form (als Determinativ oder substantivischer Kopf) auftritt, die ein Suffix der starken Deklination aufweist; vgl. dagegen ein kleiner Affe (mit stark flektiertem Adj.) (vgl. Darski 1979: 200). Daneben bezeichnet „n-Deklination“ im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. gemäß der Bildung der Pluralformen bei Darski (1980: 62) die Klasse der Substantive, die besondere (von den Nom.-Plural-Formen verschiedene) Dat.-Plural-Formen auf -n bilden, wie Männern [Dat. Pl.] im Unterschied zu Frauen [Dat. Pl. = Nom. Pl.] und Hotels [Dat. Pl. = Nom. Pl.]. In hist. Grammatiken wird unter „n-Deklination“

nebenordnende Konjunktion 512 die Deklination der ide. n-Stämme – Stämme mit stammbildendem Suffix auf n – verstanden (Osthoff 1876); vgl. lat. homo ['Mensch'; Gen. Sg.]: hom-in-is. Im Ahd. umfasst die n-Deklination Substantive aller drei Genera, wie boto [Maskulinum] 'Bote', Gen. Sg.: boten; hërza [Neutrum] 'Herz', Gen. Sg.: hërzen; zunga [Femininum] 'Zunge', Gen. Sg.: zungūn. Alle Formen, mit Ausnahme des Nom. Sg. (und im Neutrum, wo Nom. und Akk. immer zusammenfallen, des Akk. Sg.) weisen das charakteristische n auf (Braune 2004: 207). Im Gegenwartsdt. ist die n-Deklination bei Substantiven auf (zumeist belebte) Maskulina (Prinz, Hase) beschränkt. Nur ein Neutrum (Herz) folgt dem Mischtyp (Gen. Sg.: Herz-en-s), während die betreffenden Feminina (wie Zunge) im Sg. Nulldeklination zeigen. Bernd Wiese → Deklinationsklasse; Nulldeklination; schwache Deklination; s-Deklination

N

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Augst, G. [1979] Neuere Forschungen zur Substantivflexion. In: ZGL 7: 220–232 ◾ Braune, W. [2004] Althochdeutsche Grammatik. 15. Aufl. Bd. 1. Laut- und Formenlehre. Tübingen ◾ Darski, J. [1979] Die Adjektivdeklination im Deutschen. In: Sprw 4: 190–205 ◾ Darski, J. [1980] Die Deklinationstypen der Substantive im Deutschen. In: StGermP 9: 55–70 ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Osthoff, H. [1876] Zur Frage des Ursprungs der germanischen n-Declination. In: BGeschDtSpLit-H 3: 1–89.

nebenordnende Konjunktion ≡ Konjunktor

Nebensatzverb

Nebenverb, das immer mit einem abhängigen satzartigen Konstrukt verbunden auftritt. ▲ subordinate clause verb: subordinate verb that always occurs with a dependent sentential construct. Ein Nebensatzverb regiert einen finiten Nebensatz, der mit dass (1), ob (2) oder einem w-Wort (3) eingeleitet ist, oder einen hauptsatzförmigen Nebensatz (4) (vgl. Engel 1996: 485f.). (1) Ich finde, dass es heute sehr warm ist. (2) Man fragt sich, ob das Spiel nicht bald zu Ende sein müsste. (3) Sie fragen sich, wie das Spiel wohl ausgehen wird. (4) Sie sagte sich, es sei sinnlos länger zu warten. Zu den Nebensatzverben gehören in bestimmten Lesarten u.a. bedeuten, finden, sich fragen, heißen

(in es heißt), sich sagen, wähnen. In anderen Lesarten bzw. mit anderen Bedeutungen können einige dieser Verben auch als Vollverben in Hauptsätzen vorkommen (5). (5) Ich finde meine Kette nicht.

→ Nebenverb; Verb → Gram-Syntax: Nebensatz

Stefan J. Schierholz

🕮 Engel, U. [1994] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

Nebentempus

Tempus, das nicht zu den Haupttempora gehört. ▲ secondary tense: tense which does not belong to the so-called main tenses. Der Terminus wird nur gelegentlich verwendet. Er findet sich z.B. in älteren Duden-Grammatiken und bezieht sich dort auf die Häufigkeit des Gebrauchs von Tempusformen in geschriebenen Texten des Dt., wo Präs. und Prät. am häufigsten vorkommen und somit die Haupttempora darstellen, so dass das Nebentempus die übrigen, seltener verwendeten Tempora Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II meint.

↔ Haupttempus → Präsens; Präteritum; Tempus; Tempussystem

Klaus Welke

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Nebenverb

Verb, das keinen deutlichen lexikalischen Inhalt aufweist und das aufgrund seiner Valenz andere Verben zur Bildung des Prädikats regiert. ▲ auxiliary verb: verb without a distinct lexical content which governs, because of its valence, other verbs to constitute the predicate. Die Gruppe der Nebenverben lässt sich nach Engel (1994: 105ff.) in zwei Gruppen unterteilen: (a) Infinitivverben: Das von ihnen regierte Verb steht im Infinitiv, und es gibt folgende Untergruppen: Bei den Modalverben (z.B. dürfen, können, mögen, müssen) beziehen sich die sich vorzustellenden Subjekte beider Verben auf die gleiche Gröβe. Bei den Modalitätsverben (gedenken, pflegen, scheinen, verstehen) liegt ebenso Subjektidentität vor, aber diese Verben stehen im

513 Nebenverb Gegensatz zu den Modalverben stets mit einer zu-Infinitivkonstruktion in Verbindung. Die übrigen Infinitivverben (bedeuten, heiβen, lassen) verlangen ein eigenes Objekt und selegieren ihr Subjekt, d.h., die beiden Subjektgröβen stimmen nicht überein. (b) Partizipverben: Das ihnen untergeordnete Verb steht im Partizip. Zwei Arten, nämlich die Auxiliarverben und die sonstigen Partizipverben, werden hier eingeschlossen: Zu den Auxiliar-

verben sind die perfektbildenden und passivbildenden Verben haben, sein sowie werden, auch bekommen und gehören, zu zählen. Als sonstige Partizipverben werden kommen und stehen aufgefasst. Trotz ihrer Verwandtschaft mit den Nebenverben werden von Engel die Funktionsverben nicht als solche betrachtet, da diese eine NP oder eine PP mit einem Deverbativum verlangen (als Übersicht Abb. 1).

Verben

Nebenverben

Hauptverben treten beißen Infinitivverben V

Modalverben Modalitätsverben sonstige Vm Vn Vi dürfen belieben bedeuten können gedenken heißen mögen pflegen lassen müssen scheinen sollen verstehen wollen werden

Funktionsverben setzen bringen Partizipverben V



Auxiliarverben Va haben sein werden (bekommen) (gehören)

sonstige V

kommen stehen

Abb. 1: Verbklassifikation

Es besteht zwar weitgehende Einigkeit darüber, eine Einteilung in Vollverben und Nicht-Vollverben durchzuführen, aber erhebliche Unterschiede liegen in der Auffassung darüber vor, welche Verben zu den Nicht-Vollverben zu zählen sind. Über terminologische Differenzen hinweg kommt hinzu, dass die Klassen der Nicht-Vollverben unterschiedliche Bereiche abdecken, wie folgende Ansätze veranschaulichen: Eroms (2000: 137ff.) nennt die Auxiliarverben von Engel Hilfsverben (sein, haben, bleiben). Zu den Modalitätsverben und Modalverben werden die modalverbverdächtigen Verben (brauchen, werden) und Aktionsartverben (diese Verben modifizieren die im Infinitiv gefasste Vollverbbedeutung nach Beginn, Verlauf, Ende und ähnlichen Kategorien, darunter pflegen, bleiben, aufhören u.a.) gezählt, die z.T. auch den Engel'schen Modalitätsverben

entsprechen. Ähnlichkeiten mit Eroms (2000) weist Duden (1998: 92) auf: Hilfsverben (haben, sein, werden), Modalverben und modifizierende Verben (Modalitätsverben) werden voneinander abgegrenzt. Gewichtigere Unterschiede sind bei den Auffassungen von Eisenberg (2006) und von Helbig/ Buscha (1996) festzustellen: Eisenberg führt Vollverben, Kopulaverben, Modalverben und Hilfsverben auf. Während die drei zuerst genannten selbst Verbformen bilden, erweisen sich die Hilfsverben nur als Bestandteil zusammengesetzter Verbformen. Als Nicht-Vollverben werden im Gegensatz zu Engels Ansicht die Kopulaverben aufgefasst, die in Sätzen mit substantivischem und adjektivischem Prädikatsnomen vorkommen. Ein weiteres Beispiel für diese Unstimmigkeit bei der Einordnung der Nicht-Vollverben bildet die

N

Negation 514 Grammatik von Helbig/Buscha (1996: 50), die eine Grenze zwischen Hilfsverben und den Hilfsverben nahestehenden Verben vornimmt: (a) Hilfsverben dienen der Tempusbildung und kommen mit einem Infinitiv oder einem Partizip II vor. Daneben gibt es Modalverben. (b) Den Hilfsverben nahestehende Verben stehen mit einem Infinitiv in Verbindung und sind angesichts der Bedeutung den modalen Hilfsverben ähnlich, wie z.B. bleiben, scheinen, pflegen (vgl. Modalitätsverb bei Engel). Sie kommen nur zusammen mit dem Partizip II vor und dienen zur Umschreibung des Passivs, darunter bekommen, erhalten, kriegen (vgl. Auxiliarverb bei Engel). (c) Funktionsverben, die bei Engel nicht als Nebenverb eingestuft werden, sind gelangen, geraten, stellen. (d) Phasenverben treten nur mit zu auf, wie anfangen, beginnen (vgl. Aktionsartverben bei Eroms 2000); (e) Kopulaverben (vgl. Eisenberg 2006); (f) die letzte Gruppe der Verben verfügt über eine ähnliche Bedeutung wie Kopulaverben, aber sie steuern den Akkusativ des Substantivs, darunter bilden und bedeuten. María José Domínguez Vázquez

N

→ Auxiliar; Hilfsverb; Infinitiv; Kopulaverb; Modalverb; Verb → Gram-Syntax: Prädikat ⇁ auxiliary verb (CG-Engl)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1994] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1996] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 17. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Hyvärinen, I. [2003] Der verbale Valenzträger. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 738–764 ◾ Järventausta, M. [2003] Das Verb als strukturelle Zentrum des Satzes. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 717–737 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Negation

semantische Operation, die den Inhalt einer Aussage in den entgegengesetzten Inhalt überführt. ▲ negation: semantic operation that reverses the content of a proposition. In der formalen Logik versteht man unter Negation (Negationszeichen ¬) eine einstellige (nur auf eine Aussage anwendbare) Operation, die den Wahrheitswert einer Aussage in sein Gegenteil umkehrt. Die Negation einer Aussage p ist

¬p. „¬p“ wird typischerweise durch Es ist nicht der Fall, dass p paraphrasiert. In der klassischen (zweiwertigen) Logik, die zwischen genau den zwei Wahrheitswerten wahr und falsch unterscheidet, entsteht durch die Negation einer wahren Aussage p eine falsche Aussage ¬p und umgekehrt. Peter liebt Anna ist genau dann wahr, wenn Peter liebt Anna nicht falsch ist und umgekehrt. Logischerweise ergibt die Negation einer bereits negierten Aussage ¬p die ursprüngliche Aussage p: ¬(¬p) = p. In der dreiwertigen Logik wird die Existenz von zwei Negationsarten – einer starken und einer schwachen – angenommen (vgl. Russel 1905). Der negierte Satz (1) lässt zwei Interpretationen zu: mit einer starken Negation (1a) und einer schwachen Negation (1b). (1) Annas Freund studiert nicht Germanistik. (1a) Anna hat einen Freund und NEG [der Freund studiert Germanistik]. (1b) NEG [Anna hat einen Freund [der Freund studiert Germanistik]]. Nur (1a) setzt die Existenz des Freundes von Anna voraus, wobei das in (1b) unbestimmt bleibt, d.h. nur durch die starke Negation ist die Präsupposition nicht betroffen. Der Negation in (1a) wird daher der enge semantische Wirkungsbereich (Skopus) zugeschrieben, der Negation in (1b) – der weite Skopus. In natürlichen Sprachen operieren die zum Ausdruck der Negation dienenden Mittel (Negationsträger) sowohl auf Sätzen (Satznegation), als auch Satzgliedern (Satzglied- oder Konstituentennegation, Sondernegation). Im Unterschied zur formal-logischen Negation begegnet man jedoch echten Satznegationen in Sprachen nur in stilistisch markierten Kontexten: (2) Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, der der Herr der Tugenden ist. [F. Nietzsche] Sie werden meistens als Prädikatsnegationen realisiert (3). (3) Heute scheint die Sonne nicht. Die übliche Unterscheidung herkömmlicher Grammatiken zwischen der Satz- und Sondernegation beruht darauf, dass bei der Satznegation (4) der ganze Satz, bei der Sondernegation (5) nur ein Teil davon der Negation unterliegt: (4) Anna spielt die Klaviersonate nicht. (5) Anna spielt nicht die Klaviersonate. Eine solche Unterscheidung der Negation ist mehrfach kritisiert worden (vgl. Stickel 1970;

515 Negation Jacobs 1982) und gilt inzwischen als überholt. In neueren Ansätzen wird angenommen, dass der Negation als einstellige Wahrheitswertfunktion immer ein logischer Satz unterliegt, d.h. das Prädikat samt seinen Argumenten. Daher hat die Negation des Prädikats allein oder eines einzelnen Arguments keinen Sinn (Zifonun et al. 1997; Dahl 1993). Der Skopus der Negation ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Wortfolge, der Akzentuierung eines Satzteils, der den höchsten Informationswert (Fokus) enthält und/oder aus dem Kontext des Negationsträgers. Gerade die Fokussierung und Kontrastierung der Negation können den Effekt der Sondernegation auslösen und den Eindruck verschaffen, als wäre nicht der ganze Satz von der Negation betroffen sondern nur ein Teil davon. Eine feine Analyse der Negation muss das berücksichtigen und zwischen drei Arten der Negation unterscheiden: (a) der neutralen (pauschalen) Negation; (b) der fokusbezogenen Negation; (c) der kontrastierenden Negation (vgl. Zifonun et al. 1997). Die neutrale Negation stellt einen Sachverhalt in Abrede, ohne zu differenzieren, worauf genau sich die Negation bezieht. (6) Max beschwert sich nicht über die Politiker. Syntaktisch weist eine solche Negation eine Reihe von Merkmalen auf: Stabilität der Wortfolge, neutrale Intonation, Mittelfeldposition im Verbzweitsatz. Fokusbezogene Negation stützt sich auf die neutrale Negation, geht aber darüber hinaus und leistet mittels der Topikalisierung oder/und Akzentuierung, dass einem Satzteil durch die Negation eine besondere Rolle zugeschrieben wird. (6a) MAX beschwert sich nicht über die Politiker. (6b) ÜBER DIE POLITIKER beschwert sich Max nicht. Dabei bleibt es offen, ob sich in (6a) eine andere Person als Max über die Politiker beschwert oder ob sich in (6b) Max über jemand oder etwas anderes als die Politiker beschwert. Kontrastierende Negation deckt sowohl die neutrale als auch die fokusbezogene Negation ab und leistet noch mehr – sie eröffnet eine Menge von Alternativen für den fokussierten Satzteil und kann diese eventuell durch eine sondern- oder aber-Konstruktion explizieren: (6c) Nicht MAX beschwert sich über die Politiker (sondern Anna).

(6d) Max beschwert sich nicht über die POLITIKER (sondern über die Journalisten). Im Unterschied zu den beiden anderen Negationsarten setzt nur die kontrastierende Negation die Existenz des Sachverhalts voraus. Dabei steht der Negationsträger vor dem kontrastierten Satzteil. Sprachliche Negation kann durch für den Ausdruck der Negation spezialisierte (explizite) oder durch sie nur indirekt ausdrückende (implizite) Negationsmittel realisiert werden. Zu den expliziten gehören Partikeln (niemand, niemals), Präpositionen (ohne, außer), Konjunktionen (weder ... noch), Satzäquivalente (nein), Negationsaffixe (un-, nicht-, -los, -leer, -frei, a- (an-), in- (il-, im-, ir-), non-), Modalwörter (russ. nel’sja). Implizite Negation wird einigen Lexemen zugeschrieben (tot, taub, stumm) oder auch Phraseologismen (7). (7) Das passt dir wie dem Ochsen ein Sattel. Negation kann impliziert werden (a) durch Intonation und/oder entsprechende Wortfolge (8); (b) durch das Vergangenheitstempus im Konjunktiv (9). (8) Er und Dichter?! (9) Wenn du mich eingeladen hättest, wäre ich gekommen. Neben den aufgezählten verbalen Negationsträgern gibt es auch zahlreiche nonverbale (Gestik (Kopfschütteln), Mimik (Naserümpfen)) und paraverbale Negationsmittel, die Möglichkeit durch Stimmhöhe, spezielle Intonationskurven, Sprechgeschwindigkeit, durch ein Zittern oder Lachen in der Stimme (z.B. das sarkastische Ha-ha) die Negation zum Ausdruck zu bringen. Diese Mittel sind jedoch kulturspezifisch und können manchmal das Entgegengesetzte bezeichnen (z.B. Kopfnicken für Nein im Bulg.). Negation darf nicht mit Negierung verwechselt werden. Während Negation als semantische Kategorie auf Inhalten operiert, ist Negierung eine sprachliche Handlung. Alla Paslawska

→ § 19; doppelte Negation; Negationspartikel; Negationspronomen; Negationsträger; Negationswort; Negations-Zyklus; negatives Determinativ; Negierung → Gram-Syntax: formale Logik; Proposition; Satznegation ⇀ Negation (Wobi; Lexik; HistSprw; SemPrag; Sprachphil; CG-Dt; QL-Dt) ⇁ negation (Typol)

🕮 Blühdorn, H. [2012] Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik (StDtSp 48). Tübingen ◾ Brütsch,

N

Negation, doppelte 516 E./ Nussbaumer, M./ Sitta, H. [1990] Negation (StbiblioSprw 1). Heidelberg ◾ Dahl, Ö. [1979] Typology of sentence negation. In: Ling 17/1–2: 79–106 ◾ Falkenberg, G./ Leibl, G./ Pafel, J. [1984] Bibliographie zur Negation und Verneinung. Trier ◾ Hentschel, E. [1998] Negation und Interrogation. Studien zur Universalität ihrer Funktionen (RGL 195). Tübingen ◾ Horn, L.R. [2001] A nat­ ural history of negation. Cambridge ◾ Jacobs, J. [1982] Syntax und Semantik der Negation im Deutschen. München ◾ Paslawska, A. [1998] Transparente Morphologie und Semantik eines deutschen Negationsaffixes. In: LB 175: 353–385 ◾ Russell, B. [1905] On Denoting. In: Mind 14: 479–493 ◾ Seifert, S./ Welte, W. [1987] A basic bibliography on negation in natural language. Tübingen ◾ Stickel, G. [1970] Untersuchungen zur Negation im heutigen Deutsch. Braunschweig ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Negation, doppelte → doppelte Negation

Negation, kontrastierende → kontrastierende Negation

Negation, nicht-kontrastierende → nicht-kontrastierende Negation

Negation, partielle

N

→ Sondernegation

Negationsadverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die den Sachverhalt negieren. ▲ adverb of negation: semantically defined subclass of adverbs which negate something. Elemente der Teilklasse der Negationsadverbien sind unflektierbare Ausdrücke wie nie, niemals, nirgends, keinesfalls, keineswegs, mitnichten, widrigenfalls usw., die syntaktisch die Vorfeldposition einnehmen können. (1) Niemals könne sie das Grauen vergessen, erklärte die junge Frau. (2) Mitnichten sind hier gute Grafiken zu erkennen. Die Negationspartikel nicht hat einen Sonderstatus, weil sie sich syntaktisch nicht wie die Negationsadverbien verhält. Nicht kann nicht allein das Vorfeld besetzen. Steht nicht zusammen mit einem Satzglied im Vorfeld, so weist der Ausdruck außerdem noch die Nebenfunktion einer Fokuspartikel auf. (3) *Nicht kam der Zug mit Verspätung.

(4)

Nicht der Zug kam mit Verspätung, sondern der Bus. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Negationspartikel; Negationspronomen; Negationsträger

→ Gram-Syntax: Sachverhalt; Vorfeld

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Negationspartikel

Partikel bzw. partikelähnliches Lexem zum Ausdruck der Negation. ▲ negative particle: particle or particle-like lexeme expressing negation. In der Fachlit. wird der Terminus gelegentlich auch i.w.S. als Sammelbezeichnung für alle lexikalischen Ausdrucksmöglichkeiten der Negation verwendet; diese Position ist jedoch problematisch, da viele Negationswörter im Gegensatz zur Klasse der Partikeln satzgliedwertig sind (vgl. niemals, niemand, kein, nirgends) und/oder flektiert werden können (vgl. kein, niemand). Als Negationspartikel i.e.S. kommt daher im Dt. lediglich das Lexem nicht (auch in Kombinationen wie gar nicht, überhaupt nicht) in Frage, das über ähnliche Eigenschaften wie die Fokuspartikeln verfügt, im Gegensatz zu diesen allerdings den Wahrheitswert des Satzes verändert. Die Negationspartikel ist nicht erfragbar und kann im Standarddt. nicht allein im Vorfeld des Satzes stehen. (1) *Nicht scheint die Sonne. Die Negationspartikel wirkt sich stets auf die gesamte Proposition aus, und zwar indem sie sich entweder auf den Satz als ganzes bezieht, oder aber, indem sie lediglich einen durch Akzent hervorgehobenen Propositionsteil fokussiert, wobei sie dann gleichzeitig auch Alternativen nahe legt. (2) Ich gehe nicht heute ins Theater (sondern morgen). (3) Ich gehe heute nicht ins Theater (sondern in die Oper). Péter Maitz ≡ Negator → Fokuspartikel; Negation; Negationswort; Negations-Zyklus → Gram-Syntax: Proposition; Satz

🕮 Haegeman, L. [1995] The Syntax of Negation. Cambridge ◾ Jacobs, J. [1991] Negation. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 560–596 ◾ Jäger, A. [2008] History of German Negation. Amsterdam [etc.] ◾ Kürschner, W. [1983] Studien zur Negation im Deutschen (StDG 12). Tübingen

517 Negationsträger ◾ Strecker, B. [2007] Negationspartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 555–576.

Negationspronomen

Pronomen, mit dem Nichtexistenz ausgedrückt wird. ▲ negative pronoun: pronoun that indicates non-existence. Das Negationspronomen (Duden 1998: 716), auch negativ-indefinites Pronomen (Duden 2005: 928), ist eine Subklasse der Negationswörter, einer Klasse von sprachlichen Mitteln, mit denen die Negation ausgedrückt wird. Negationspronomina lassen sich in substantivisch gebrauchte Pronomina (keiner, niemand, nichts) (1) und artikelhaft gebrauchte Pronomina (kein) (2) einteilen. Die Letzteren werden auch negativ-indefinite Artikelwörter (Duden 2005: 928) bzw. negative Determinative (Engel 2004: 331) genannt. (1) Keiner/Niemand/Nichts kommt. (2) Ich hatte kein Glück. Alle Negationspronomina können andere Phrasen zu sich nehmen: PPn, Adverbien, Partikeln (keiner aus Berlin, nichts aus Hamburg, niemand aus München), auch Appositionen und Relativsätze (niemand, von dem ich Interessantes erzählen könnte). Niemand und nichts werden mit Adjektiven kombiniert, was im Duden (1998: 716) als nicht-substantivischer Gebrauch betrachtet wird ((3), (4)). (3) Niemand anderer ist gekommen. (4) Ich habe nichts Rechtes gegessen. Janusz Taborek ≡ negatives Pronomen → abstraktes Pronomen; Indefinitpronomen; Negationswort; Pronomen

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

Negationsträger

sprachliches Mittel zum Audruck der Negation. ▲ negation carrier: linguistic means of expressing negation. Als Negationsträger werden sprachliche Einheiten bezeichnet, die Negation zum Ausdruck brin-

gen. Je nach dem morphologisch-syntaktischen Muster der Satznegation lassen sich typologisch folgende Negationsträger aussondern: (a) affixales Morphem im Bestand des Vollverbs (im Türk. Arab., Jap., Iranischen) (1); (b) Partikel (germ. und slaw. Sprachen) (2); (c) Hilfsverb (Finn.) (3); (d) Kombination aus Hilfsverb + Partikel (Engl.) (4); (e) übergeordnetes Verb, das den Restsatz negiert (Tonganisch, nach Payne 1985) (5). (1) Samu katta – Samu-na-katta [Jap., nach Jacobs 1991; 'Es war kalt' – 'Es war nicht kalt'] (2) Bulo cholodno – Ne bulo cholodno [Ukrainisch; 'Es war kalt' – 'Es war nicht kalt'] (3) minä en lue ['ich lese nicht'] (3a) sinä et lue ['du liest nicht'] (3b) hän ei lue ['er liest nicht'] (4) I did not sleep last night. (5) Na’e ’alu ’a Siale – Na’e ’ikai ke ’alu’a Siale ['Charly ist gekommen' – 'Charly ist nicht gekommen'] Neben dieser Art der Satznegation verfügen Sprachen über viele andere Negationsträger. Zu solchen gehören im Dt. die Partikel nicht, Präfixe (un-, nicht-, ent-; a- (an-), in- (il-, im-, ir-), non-), Suffixe (-los, -leer, -frei), das Satzäquivalent nein, Präpositionen (ohne, außer), Konjunktionen (weder ... noch, ohne ... dass (ohne ... zu), anstatt / statt dass (statt ... zu)) und Pronomina (niemand, nichts, nie, niemals u.a.). Die Bedeutung eines einfachen Negationsträgers beschränkt sich auf die Negation, wie z.B. bei den Präfixen un-, nicht- oder bei der Partikel nicht. Semantisch komplexe Negationsträger können neben Negation (= NEG) andere Bedeutungen enthalten ((6)–(8)). (6) niemand: NEG + jemand (7) nichts: NEG + etwas (8) nirgendwo: NEG + irgendwo Neben diesen expliziten, für den Ausdruck der Negation spezialisierten Negationsträgern, gibt es implizite Negation, deren Bedeutung aus dem Zusammenspiel anderer sprachlicher Mittel erschlossen werden kann. So impliziert z.B. der Satz Hans und Dichter?! mittels entsprechender Intonation und syntaktischer Struktur, dass Hans kein Dichter ist. Eine Negation setzt auch (9) voraus: (9) Wenn du mich eingeladen hättest, wäre ich gekommen. Dank dem Zusammenspiel von Konjunktiv und

N

Negationsverstärkung 518

N

Vergangenheitstempus (Plq.perf.) folgt aus dem Satz, dass du mich nicht eingeladen hast, und ich nicht gekommen bin. Auch Phraseologismen können Träger einer impliziten Negation sein (10). (10) Das passt dir wie dem Ochsen ein Sattel. ['Das passt dir gar nicht'] Negation kann da vorhanden sein, wo sie morphologisch fehlt. Genau so können Ausdrücke mit Negationsträgern keine Negation beinhalten: (11) Kannst du nicht helfen? → Kannst du helfen? (12) Was weißt du nicht alles! → Du weißt alles! In solchen Fällen unterscheiden sich die negativen Sätze von den positiven nicht durch Negation, sondern durch den stärkeren stilistischen Effekt der negativ formulierten Aussage. Keine Negation wird auch indefiniten Pronomina zugeschrieben, deren negative Markierung nur ein morphologischer Reflex der Kongruenz mit der Negation des Prädikats sei. Je nachdem, ob die Kongruenz vorliegt oder nicht, werden Sprachen in solche mit Mono- und Mehrfachnegation eingeteilt. Das gegenwärtige Dt. gehört demnach zu Sprachen mit Mononegation, weil ein negativer Satz nur einen Negationsträger zulässt (13). (13) Niemand ist gekommen. Der gleichzeitige Gebrauch der Prädikatsnegation und des negativen Pron. löst die Negation auf (14). (14) Niemand ist nicht gekommen. → Alle sind gekommen. Dagegen werden in vielen Sprachen alle Pronomina unter Prädikatsnegation obligatorisch durch Negation zusätzlich markiert, wie z.B. im Ukrainischen (15). (15) Nichto ne pryjschow. [niemand nicht ist-gekommen; 'Niemand ist gekommen'] Somit gehört das Ukrainische mit mehreren Negationsträgern in einem Satz zu Sprachen mit Mehrfachnegation. Alla Paslawska

→ doppelte Negation; Mehrfachnegation; Negation; Negationsverstärkung; Negations-Zyklus

→ Gram-Syntax: Satznegation

🕮 Blühdorn, H. [2012] Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik (StDtSp 48). Tübingen ◾ Jacobs, J. [1991] Negation. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 560–596 ◾ Payne, J.R. [1985] Negation. In: Shopen, T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. Cambridge: 197–242.

Negationsverstärkung

gleichzeitiges Vorkommen eines Negationsträgers mit weiteren durch Negation markierten oder nicht markierten lexikalischen Mitteln, die eine Negation bekräftigen können. ▲ negation strengthening: simultaneous occurrence of a negation element and further lexical elements that can reinforce negation, which may but need not be explicitly marked as negational. Von einer Negationsverstärkung spricht man im Zusammenhang mit einer Reihe von grammatischen Phänomenen. Gleichzeitiger Gebrauch von zwei Negationmitteln kann die Negation auflösen oder morphologisch verstärken. Im ersteren Fall spricht man von doppelter Negation (1). (1) Niemand ist nicht gekommen. [→ Alle sind gekommen.] Der zweite Fall kommt in vielen Sprachen vor, die ihre Satznegation gleichzeitig an mehreren Satzgliedern markieren, z.B. am Prädikat und an allen im Satz vorkommenden Indefinita, wie das in slaw. Sprachen (z.B. im Russ.) geschieht. (2) Ja nikomu ničego ne govoril. ['Ich habe niemandem etwas gesagt'; wörtlich: Ich niemandem nichts nicht sagte] Diese Erscheinung wird auch negative concorde oder Negationskongruenz genannt. Verstärkt wird die Negation dabei eher morphologisch, semantisch ändert sich nichts. Im Hochdt. gilt mehrfache Negation als veraltet. Ihr begegnet man nur in Dialekten oder in älteren Texten (3). (3) Ich bin froh, das ich keine Rede nicht halden brauch. [Bair.] Von der echten Verstärkung der Negation lässt sich bei deren Emphase sprechen. Im Dt. dienen dazu Wortvebindungen wie nicht die Bohne (interessieren), nicht einen Pfifferling (stören) etc. Solche Beispiele waren bereits im Spätlat. bekannt: non passum ('keinen Schritt'), non guttam ('keinen Tropfen'). Sie haben in vielen Sprachen die Entwicklung der Negation beeinflusst, indem sie die ursprüngliche Negation (z.B. im Dt. die phonetisch und als Folge semantisch abgeschwächte Partikel ne) zunächst semantisch verstärkt (im Dt. durch den Ausdruck ni io wiht, wörtlich 'nicht ein Ding') und später desemantisiert völlig ersetzt haben. Der Prozess der zyklischen Entwicklung der Negation hat den Namen Jespersen-Zyklus (neben

519 Negations-Zyklus Negations-Zyklus) bekommen, nach Jespersen (1917), der diese Erscheinung als Erster beschrieben hat. Alla Paslawska

→ doppelte Negation; Mehrfachnegation; Negation; Negationsträger; Negations-Zyklus → Gram-Syntax: Satznegation

🕮 Horn, L.R. [2001] A natural history of negation. Cambridge ◾ Jäger, A. [2008] History of German Negation. Amsterdam [etc.] ◾ Jespersen, O. [1917] Negation in English and other languages (Hist-filM 1/5). Kopenhagen ◾ Lenz, B. [1996] Negationsverstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen Sprachen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 183–200.

Negationswort

Wort, das in einen Satz bzw. in ein Syntagma eine verneinende Bedeutungskomponente einbringt. ▲ negative particle: word that brings a negation component into a phrase or a sentence.

Auf der Satzebene bringen die Negationswörter eine Verneinungskomponente ein. Sie bilden eine semantische Wortklasse; gemeinsame syntaktische Charakteristika liegen nicht vor. Die meisten Negationswörter sind nicht flektierbar, niemand und kein bilden jedoch ein Flexionsparadigma. Folgende Subklassen treten auf: (a) Negationspronomina: Sie treten an die Stelle eines nominalen Satzgliedes (1) oder Gliedteils (2). (1) Nicht ein einziger Mensch hilft. (1a) Keiner hilft. (1b) Niemand hilft. (2) Der Regen fällt. (2a) Kein Regen fällt. (b) Negationspartikeln (keinesfalls, keineswegs, kein, mitnichten, nein, nicht u.a.) können Partikeln wie auch oder nur ersetzen. (c) Negationsadverbien: Sie ersetzen Adverbien (3). (d) Negationskonjunktionen üben eine Konjunktionsfunktion aus (4). (e) Das Negationswort nein ist ein Satzäquivalent. Es entspricht einem Satz und tritt deshalb nicht als Satzbestandteil auf (5). (3) Er läuft dort. (3a) Er läuft nie/nirgendwohin/nicht. (4) Weder du noch ich hatten dies geahnt. (5) Scheint die Sonne? – Nein. Christine Römer

→ Negation; Negationsadverb; Negationspartikel; Negationspronomen; Negierung; Partikel

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1994]

Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 16. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.].

Negations-Zyklus

diachroner Entwicklungskreislauf der Satznegationsrepräsentation. ▲ Jespersen’s cycle: diachronic developmental cycle of sentential negation marking. Der Negationszyklus bezeichnet den Grammatikalisierungszyklus der Satznegationsrepräsentation, wie er erstmals von dem dänischen Sprachwissenschaftler Otto Jespersen beschrieben worden ist. Unter besonderer Berücksichtigung der germ. und roman. Sprachen zeigt Jespersen (1917), dass die Satznegation im Laufe ihrer Entwicklung in zyklischer Abfolge drei verschiedene Stadien ihrer syntaktischen Repräsentation durchläuft. Im ersten Stadium wird Satznegation durch einen dem finiten Verb adjazent angeordneten und meist klitischen Negationsmarker repräsentiert. Erfährt dieser im Laufe der Sprachgeschichte aufgrund von Erosionserscheinungen eine phonologische Abschwächung, wird er durch einen zusätzlichen nominalen oder adverbialen Negationsverstärker im Satz unterstützt. Diese Intensivierungskonstituente wird im zweiten Stadium als notwendiger Bestandteil der Satznegation reanalysiert, sobald der ursprüngliche Negationsmarker den Status eines unbetonten Klitikons erreicht hat. Nach dessen nunmehr optionalem Auftreten und darauffolgendem Wegfall übernimmt der ehemalige Negationsverstärker die vollständige Repräsentation der Satznegation. Dieses dritte Stadium hält so lange an, bis sich der neu etablierte Negationsträger infolge einer erneut beginnenden Abschwächung an das finite Verb anlehnt und somit den gesamten Zyklus wiederholt in Gang bringt. Eine derartige fluktuierende Funktionalisierung von Negationsausdrücken, ebenfalls bekannt als Jespersens Zyklus, kann auch im Dt. nachgewiesen werden. So wird im frühen Ahd. Satznegation durch die präverbale Negationspartikel (= neg) ni repräsentiert (1). Diese verlangt infolge ihrer voranschreitenden Erosion im späten Ahd. zunehmend negationsverstärkende NPn, von denen eine, nämlich ni io uuiht ['nicht ein Wesen'], im späten Mhd. als niht zum obligatorischen Negationsträger wird (2). Der präverbale Marker er-

N

negatives Determinativ 520 scheint ab dem Frnhd. nur noch selten und wird im Nhd. schließlich gänzlich verdrängt (3). (1) ni waniu ih […] [neg wähn–1. Pers. Sg ich; 'Ich wähne nicht [...]'; Hildebrandslied 28] (2) Sine mohte mit ir krefte des schuzes niht gestân [sie-neg könn-Prät+3.Pers.Sg mit ihren Kräften des Schusses neg standhalten; 'Sie konnte mit ihren Kräften dem Schuss nicht standhalten'; Nibelungenlied VII.475,3] (3) Paula mag den gelben Ringelpulli nicht. Melani Wratil

→ Klitikon; Negation; Negationspartikel; Negationsträger → Gram-Syntax: Satznegation

🕮 Donhauser, K. [1996] Negationssyntax in der deutschen Sprachgeschichte. Grammatikalisierung oder Degrammatikalisierung? In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 201–217 ◾ Horn, L.R. [1989] A Natural History of Negation. Chicago, IL ◾ Jespersen, O. [1917] Negation in English and other languages (Hist-filM 1/5). Kopenhagen ◾ Kemenade, A. van [2000] Jespersen’s Cycle Revisited. Formal Properties of Grammaticalization. In: Pintzuk, S./ Tsoulas, G./ Warner, A. [eds.] Diachronic Syntax. Models and Mechanisms. Oxford: 51–74 ◾ Lenz, B. [1996] Negationsverstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen Sprachen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 183–200.

N

negatives Determinativ

Artikelwort zur Verneinung in einer Nominalphrase und zum Ausdruck des Nicht-Vorhandenseins der durch die Nominalphrase bezeichneten Entität. ▲ negative determinative: article word expressing negation in a nominal phrase and expressing absence of the entity referred to by the nominal phrase. Das negative Determinativ ist Angehöriger einer Subklasse der Determinative, die regelmäßige Begleiter von Nomen sind. Ihre Hauptfunktion besteht darin, Nomen zu NPn zu machen. Sie bringen dabei auch eigene Bedeutungen in die NPn ein. Kein/keine als negative Determinative im Dt. verweisen auf das Nicht-Vorhandensein bzw. die Nicht-Gültigkeit u.Ä. der durch die NP bezeichneten Größe (ein Auto vs. kein Auto). Nach Engel (1991) können mit kein negierte NPn als negierte Formen indefiniter NPn gelten (vgl. keine Autos).

→ Determinativ; Negation → Gram-Syntax: Nominalphrase

Christine Römer

🕮 Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg.

negatives Pronomen ≡ Negationspronomen

Negativum

Wort, das eine negative Bedeutung hat. ▲ negative word: word carrying a negative meaning.

Der Terminus Negativum (Pl. Negativa) ist ein genus proximum für das negative Pron. und das negative Determinativ kein- (vgl. Engel 1988; Engel 2002). Der Terminus ist in der Fachlit. kaum etabliert und wird in Engel (2004) nicht mehr benutzt. Kürschner (1983) verwendet den Terminus Negativum als Oberbegriff für alle negationstragenden Wörter. Max Möller

→ Determinativ; Determinativum; Negationspronomen; Pronomen

🕮 Engel, U. [1988] Deutsche Grammatik. Heidelberg ◾ Engel, U. [2002] Kurze Grammatik der deutschen Sprache. München ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Kürschner, W. [1983] Studien zur Negation im Deutschen (StDG 12). Tübingen.

Negator

≡ Negationspartikel ⇀ Negator (Sprachphil)

Negierung

Sprechhandlung, die man ausführt, um einen Widerspruch, eine Absage, eine Ablehnung oder ein Verbot zum Ausdruck zu bringen. ▲ denial: speech action implemented in order to express contradiction, refusal, disclaimer or prohibition. Negierung lässt sich aus einem universalen Bedürfnis begründen, Widerspruch, Absage, Ablehnung oder Verbot zu formulieren. Damit ist stets eine Reaktion auf eine Vorgängeräußerung gemeint, sei diese explizit oder implizit. Von der Negation kann sie dadurch unterschieden werden, dass Negation als Operation auf sprachlichen Inhalten angesehen wird, während Negierung eine Handlung ist, die man vollzieht, indem man Ausdrücke einer Sprache verwendet (vgl. Jacobs 1991). Dabei betrifft Negierung nicht direkt eine reale (mögliche) Welt, sondern sie bezieht sich vielmehr auf Behauptungen, Annahmen oder Erwartungen eines Sprechers über Sachverhalte der Welt (vgl. Schmidt 1973), ohne dabei an be-

521 Nennwort stimmte morphologische Mittel (Negationsträger) gebunden zu sein. Zu negierenden Sprechhandlungen werden (mit einigen Modifikationen) Zurückweisen, Bestreiten und Verbieten gezählt (vgl. Blühdorn 2012; Engel 1996; Heinemann 1983). Unter Zurückweisen versteht man eine negierende Spechhandlung (2), die eine vorangehende Aufforderung (1) voraussetzt, die vom Sprecher als nicht akzeptabel abgelehnt wird. (1) Trinken Sie das Glas aus! (2) Es ist nicht erlaubt im Dienst. Grundsätzlich lassen sich die vielen Abarten des Zurückweisens paraphrasieren als jemand will nicht, dass p. Unter Widersprechen ist eine negierende Spechhandlung (4) zu verstehen, durch die der Sprecher die Gültigkeit einer Aussage (3) bestreitet. (3) Die Sonne lacht, es regnet nicht. (4) Doch! Es regnet. Widersprechen lässt sich beschreiben durch es ist nicht so, dass p. Als Verbieten betrachtet man eine Sprechhandlung (6), die das Ziel verfolgt, weitere Handlungen des Kommunikationspartners zu blockieren. (5) Ich möchte ein Eis! (6) Du darfst kein Eis essen.

→ Negation; Negationsträger → Gram-Syntax: Sprechakt ⇀ Negierung (Wobi)

Alla Paslawska

🕮 Blühdorn, H. [2012] Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik (StDtSp 48). Tübingen ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Heinemann, W. [1983] Negation und Negierung. Handlungstheoretische Aspekte einer linguistischen Kategorie. Leipzig ◾ Jacobs, J. [1991] Negation. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 560–596 ◾ Schmidt, S.J. [1973] Texttheoretische Aspekte der Negation. In: ZGL 1: 178–208.

Nennform

Form eines Lexems, unter der es im Wörterbuch aufgeführt wird. ▲ citation form: form of a lexeme under which it is listed in a dictionary. Die Wahl der Nennform eines Lexems beruht auf Konvention und grammatischer Tradition. Bei flektierbaren Wortklassen ist sie üblicherweise die einfachste (unmarkierte oder affixlose) Flexionsform, von der alle anderen Formen

des Lexems ableitbar sind. Die Nennform ist bei Substantiven und Pronomina normalerweise der Nominativ Sg. (casus rectus), beim Adj. die (nichtdeklinierte) prädikative Form im Positiv. Bei Verben zeigt sich eine größere Varianz unter den Sprachen: Mögliche Nennformen sind: Wurzel (Engl.), Infinitiv (Dt., Frz., Russ.), 1. Pers. Sg. Indikativ Präs. (Lat.), 3. Pers. Sg. Indikativ Präs. (Ung.), 3. Pers. Sg. Indikativ Imperfekt (Arab.). ≡ Zitierform → Grundform; Infinitiv; Wurzel

György Scheibl

🕮 Bauer, L. [2000] Word. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 247–257 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

nennlexikalisches Zeichen

bedeutungstragendes sprachliches Element, das sich auf Außersprachliches bezieht, also Gegenstände, Lebewesen, Sachverhalte usw. aus der erfahrbaren oder einer vorgestellten Welt repräsentiert und somit zu deren kulturspezifischer sprachlicher Erfassung dient. ▲ referential lexical sign: meaningful item of a language which has a non-linguistic reference and represents objects, persons, facts, etc. of an imagined or of the experienced world and thus serves its culture-specific linguistic conceptualisation. Szilvia Szatzker

→ Autosemantikon; lexikalisches Morphem; Sprachzeichen

🕮 Croft, W. [2000] Lexical and grammatical meaning. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 257–263 ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Konerding, K.P. [1993] Frames und lexikalisches Bedeutungswissen: Untersuchungen zur linguistischen Grundlegung einer Frametheorie und zu ihrer Anwendung in der Lexikographie (RGL 142). Tübingen. ◾ Wiegand, H.E. [2005] Zur lexikografischen Beschreibung nennlexikalischer äquivalenter Wortschatzeinheiten. In: Steffens, D. [Hg.] Wortschatzeinheiten. Aspekte ihrer (Be)schreibung. Dieter Herberg zum 65. Geburtstag (amades 1/05) Mannheim: 43–75 ◾ Wolski, W. [1998] Die Partikeln in „Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache”. In: Wiegand, H.E. [Hg.] Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen I: Untersuchungen anhand von „Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache”. Tübingen: 159–192.

Nennwort

≡ Substantiv

N

neutrales Passiv 522

neutrales Passiv

Passivkonstruktion mit werden, sein oder gehören und Partizip II ohne Subjekt. ▲ neutral passive: passive construction with werden, sein or gehören and the past participle without a subject. Das neutrale Passiv wird mit werden ((1), (2)), seltener mit sein (3) oder gehören (4), und Partizip II gebildet. Es ist meistens eine eingliedrige Passivkonstruktion in der 3. Pers. Sg. ohne ein Subjekt. Einem Satz mit neutralem Passiv entspricht ein Aktivsatz ohne realisierte Akkusativergänzung. (1) Es wurde die ganze Nacht getanzt. (2) Hier wird nicht geraucht. (3) Ab drei Uhr ist wieder geöffnet. (4) Da gehört doch protestiert! Das neutrale Passiv ist oft emotiv markiert. Es wird auch unpersönliches Passiv genannt. Tamás Kispál

→ Passiv; transitiv; unpersönliches Passiv → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; eingliedriges Vorgangspassiv; gehören-Passiv

N

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

Neutrum

grammatisches Merkmal der Merkmalklasse Genus, das in vielen Sprachen bei deklinierbaren Wörtern vorkommt. ▲ neuter gender; neuter: grammatical gender in many of the world’s languages in words that can be declined. Das Genus Neutrum haben u.a. Bezeichnungen für Lebewesen, deren natürliches Geschlecht unberücksichtigt bleibt (dt. Kind; engl. child; poln. dziecko; dt. das Kleine bei Bezug auf ein Kind). Auf Grund der Form sind Neutra im Dt. z.B. alle Diminutiva auf -chen, -lein (das Tischchen, das Kindlein), Kollektiva mit Ge- (das Gebirge), sub­ stantivierte Infinitive (das Essen), die meisten Fremdwörter mit den Suffixen -ett, -il, -ma, -o, -ment, -um (das Dokument, das Zentrum) und viele Substantive auf -nis (das Ergebnis). Einige Substantive auf -nis sind Feminina (die Kenntnis). Unter semantischem Aspekt sind im Dt. folgende Substantivgruppen überwiegend neutral: Namen von chemischen Substanzen (das Chlor), physikalischen Einheiten (das Kilowatt), Buchstaben (das

A), Farben (das Blau), Sprachen (das Deutsch), Namen von Hotels, Kinos, Restaurants (das Capitol), artikellose Namen von Kontinenten, Inseln, Orten und Ländern (Afrika, Frankreich, Leipzig) u.a. Schwankend ist das Genus im Dt. am ehesten zwischen Maskulinum und Neutrum (der/das Filter), gelegentlich zwischen Femininum und Neutrum (die/das Schorle). Edyta Błachut

→ § 15; Femininum; Genus; Genusdetermination; Genus­ schwankung; Maskulinum

⇁ neuter gender (Typol)

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Nexusadverb

≡ Konjunktionaladverb

Nexus-Adverb

≡ Konjunktionaladverb

nicht-flektierendes Wort

morphologisch nicht variierbares Wort, das keine Flexionskategorien aufnehmen kann. ▲ uninflected word: morphologically invariant word that can’t have morphological features. Attila Péteri

→ Adverb; flektierbar; Modalpartikel; Partikel; unflektierbar

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Flämig, W. [1977] Zur grammatischen Klassifizierung des Wortbestandes im Deutschen. In: Helbig, G. [Hg.] Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten. Leipzig: 39–52 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Helbig, G. [1988] Lexikon deutscher Partikeln. Leipzig [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [1995] Die Wortarten des Deutschen. In: Ágel, V./ Brdar-Szabó, R. [Hg.] Grammatik und deutsche Grammatiken. Budapester Grammatiktagung 1993 (LA 330). Tübingen: 39–60.

nicht-kontrastierende Negation

Negation, die einen Sachverhalt in Abrede stellt und im Satz intonatorisch neutral realisiert wird. ▲ non-contrastive negation: negation that denies a situation and is realized in the sentence with neutral intonation.

523

nicht-paradigmische Fuge

Die Gegenüberstellung nicht-kontrastierende – kontrastierende Negation wird in Jacobs (1982: 34) und später als replazive – nicht-replazive Negation in Jacobs (1991: 58) anstelle des Paars Satznegation – Sondernegation vorgeschlagen. Die nicht-kontrastierende, auch neutrale oder pauschale Negation, verneint den Inhalt des ganzen Satzes und zeichnet sich durch eine unmarkierte Wortfolge, Mittelfeldposition des Negationsträgers im Verbzweitsatz und neutrale Satzintonation aus (1). (1) Stefan kommt nicht zur Konferenz. Zum Ausdruck nicht-kontrastierender Negation können unterschiedliche Negationsträger verwendet werden: Partikeln (nicht), Pronomina (niemand, niemals), Präpositionen (ohne, außer), Konjunktionen (weder ... noch).

↔ kontrastierende Negation → Negation → Gram-Syntax: Sachverhalt; Satznegation

Alla Paslawska

🕮 Jacobs, J. [1982] Syntax und Semantik der Negation im Deutschen. München ◾ Jacobs, J. [1991] Negation. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 560– 596 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

nicht-paradigmatische Fuge ≡ nicht-paradigmische Fuge

nicht-paradigmische Fuge

Fugenelement, das nicht zum Flexionsparadigma des Erstgliedes gehört. ▲ non-paradigmatic linking element: linking element which does not belong to the inflectional paradigm of the first constituent. Bei Zusammensetzungen mit einem Nomen als Erstglied können die Kompositionsglieder unmittelbar zusammengefügt werden, oder die Verbindungsstelle kann zusätzliche Elemente enthalten, die dann Fugenelemente/Fugen genannt werden. Diese beiden Möglichkeiten werden nach Grimm (1826) eigentliche bzw. uneigentliche Komposition genannt, wobei Erstere (mit einem später geschwundenen „Kompositionsvokal“) als die hist. ursprüngliche angesehen wird, während die sich in der „neuen Sprache“ ausbreitende uneigentliche Komposition „unmittelbar anstoßende casus und partikeln, wie sie der alten freien construction gemäß waren [...] mit dem zweiten worte

verbindet“ (Grimm 1826: 408f.). Fugenelemente sind somit aus ehemaligen Flexionsendungen entstanden (bzw. im Falle einiger nhd. Fuge-eVorkommen aus einem ehemaligen Stammbildungssuffix; Fuhrhop 1996; Nübling/Szczepaniak 2013). Nachdem sie im Kompositum ihre morphosyntaktische Funktion eingebüßt hatten, verblieb ihnen die andere Funktion, welche sie auch im Satz hatten, nämlich das Ende des Wortes zu markieren, im Kompositum also die Binnengrenze. Aufgrund dieser Funktion haben sich Elemente in der Kompositionsfuge ausgebildet, welche urspr. nicht zum Flexionsparadigma des Erstgliedes gehörten (Wellmann 1991: 50f.). Grimm (1826: 408) spricht anhand der Beispiele Liebesdienst und Vorstellungsvermögen in Bezug auf das sonst am häufigsten auftretende (urspr. genitivische) Fugen-s von einem Element, „welches formell und materiell den casus verleugnet“ (und ein „analogon“ des ehemaligen Kompositionsvokals der eigentlichen Komposita wird). Gegenwärtig hat diese unparadigmische s-Fuge eine nominalisierende und wortprosodische Funktion (Nübling/ Szczepaniak 2013) und „[i]m ganzen übertrifft die Zahl der Komposita mit unparadigmischer -s-Fuge die Fälle mit paradigmischer“ (Wellmann 1991: 76). Wellmann (1991: 73ff.) gibt eine Übersicht über die Arten der unparadigmischen Fuge: (a) -s- kommt bei Feminina mit bestimmten Arten des Auslauts vor (z.B. Vokal + -[t] in Arbeits-bericht, Armut-s-grenze) bzw. (von wenigen Ausnahmen abgesehen) immer bei Ableitungen auf -ung, -heit (-keit, -igkeit), -schaft, ‑ität, ‑ion. „Diese Hauptregel erfaßt über 90 % der Bildungen mit unparadigmischer Fuge“ (Wellmann 1991: 74). Das Fugen-s ist das einzige produktive nicht-paradigmische Fugenelement (Fuhrhop/Kürschner 2015: 571). (b) -en- steht bei einer kleinen Gruppe von einsilbigen Maskulina und mehrsilbigen Neutra, deren Plural nicht mit -en gebildet wird (Hahn-en-feder, Dokument-en-mappe). (c) -ens weisen einzelne Maskulina auf wie Schmerz (Schmerz-ens-geld), Mensch (Mensch-ens-kind!), Narr (Narr-ens-posse). (d) -o-Fugen kommen in Anlehnung an fremdsprachige Bildungen vor wie in Kristall-o-graphie, Gas-o-meter bzw. ersetzen in Adjektiv-Substantiv-Komposita ein -isch-Suffix des Bestimmungswortes: chem-isch > Chem-o-therapie, elektr-isch > Elektr-o-analyse. (e) Als weitere unparadigmische Fugen kommen -al- (z.B. für

N

Nicht-Zustandsverb 524 -um in Gymnasi-al-bildung, Ministeri-al-beamter), -an- (bei Diözese als Erstglied wie in Diözes-an-bischof) und -i- (Hand-i-cap, Strat-i-graphie) vor. Dabei sind (auch) bei den unparadigmischen Fugen regionale Varianten zu beobachten (z.B. Ferien-arbeit, Fabrik-arbeiter, Geschicht-s-unterricht neben österr. Feri-al-arbeit, Fabrik-s-arbeiter, Geschicht-e-unterricht; Geduld-s-faden neben schweiz. Geduld-faden). Anna Vargyas ≡ nicht-paradigmatische Fuge ↔ paradigmische Fuge → Flexionsparadigma; Fugenelement; Fugen-s; Komposition; Nullfuge

N

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fuhrhop, N./ Kürschner, S. [2015] Linking elements in German­ ic. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 568–582 ◾ Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Grimm, J. [1826] Deutsche Grammatik. Zweiter Theil. Göttingen ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2013] Linking elements in German: Origin, Change, Funktionalization. In: Morphology 23: 67–89 ◾ Wellmann, H. [1991] Morphologie der Substantivkomposita. In: Ortner, L. et al. [Hg.] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.]: 3–111.

Nicht-Zustandsverb ≡ dynamisches Verb

Nomen

Wortartenkategorie, die in ontologischer Hinsicht begrifflich benennende Ausdrücke und in syntaktischer Hinsicht Ausdrücke erfasst, die als Kopf eines Phrasentypus erscheinen, der syntaktische Funktionen wie Subjekt, Objekt, Prädikativ oder Adverbial wahrnehmen kann. ▲ noun: word class that, in an ontological sense, comprises words that name concepts, and, in a syntactic sense, comprises words that can appear as the head of phrases that typically function as the subject or object of a sentence. Das Nomen kann in Phrasen auftreten, die unterschiedliche syntaktische Funktionen (Subjekt, Objekt, Prädikativ, Adverbial) erfüllen. Die Kategorie Nomen (Pl. Nomina) ist eine der ältesten sprw. Kategorien, was dafür verantwortlich ist, dass sie bis heute weitgehend ontologisch basiert ist. Sie geht auf Platon zurück, der im KratylosDialog den logos, also das Sprachliche schlecht-

hin, in onoma und rhema ausdifferenziert. Dies ist zunächst noch keine Unterscheidung in Wortarten, sondern eher etwas, das den syntaktischen Kategorien Subjekt (onoma) und Prädikat (rhema) entsprechen könnte (vgl. Mager 1841: 111; Robins 1966: 320). Onoma und rhema sind meros logou, Redeteile. Zwischen Wortarten und Satzteilen wird auf dieser Stufe noch nicht unterschieden. Die mittlere Stoa reserviert den Terminus onoma für Eigennamen und unterscheidet hiervon die prosegoriai, die Gattungsnamen (z.B. Baum, Hund). Diese Differenzierung hat nicht lange Bestand und kehrt erst in der lat. Grammatikschreibung als nomen proprium vs. nomen appellativum wieder. Abgesehen hiervon bleibt die Kategorie onoma in der griech. bzw. nomen in der lat. Grammatikschreibung erhalten und wird so bis in die Neuzeit tradiert. Mithin ist in dem Terminus onoma ein analytisches Substrat abgebunden, das als „Namensmodell“ bezeichnet werden kann (Ehlich 2002: 74): Unter den onoma-Begriff fallen Ausdrücke, die sich wie (Eigen-)Namen verhalten (s. auch Hoffmann 2003). Durch die scholastische Bestimmung nomen substantivum kommt noch eine ontologische Konkretisierung hinzu. Obwohl bereits in der Scholastik die Tatsache lebhaft diskutiert wurde, dass das Namensmodell bei Abstrakta nicht greift (Universalienstreit), blieb die Auffassung, dass Substantive Dinge („Substanzen“ im aristotelischen Sinne) benennen, für die abendländische Sprachbetrachtung und z.T. auch für die moderne Sprachphil. richtungsweisend: „Etwas benennen, das ist etwas Ähnliches, wie einem Ding ein Namenstäfelchen anheften“ (Wittgenstein 1985, § 15). Diese ontologische Bestimmung der Wortart, wonach Nomen Ausdrücke sind, die Gegenstände in der (außersprachlichen) Wirklichkeit benennen, wird erst von Frege kritisch erweitert. Im Zusammenhang von Eigennamen unterscheidet Frege zwischen Sinn und Bedeutung: „Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen; die Vorstellung, welche wir dabei haben, ist ganz subjektiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr subjektiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand selbst ist“ (Frege 1892: 27f.). Der Eigenname als sprachlicher Ausdruck bezieht sich nach Frege also auf einen Gegenstand der außersprachlichen Wirklichkeit – das ist seine Bedeutung.

525 Nomen Und er bezieht sich auf ein – objektives – Element der mentalen Wirklichkeit – das ist der Sinn, ohne den Verständigung nicht möglich wäre. In moderner Sprechweise werden in der Regel die Termini Extension (im Sinne der Frege'schen „Bedeutung“) und Intension (für Freges „Sinn“) verwendet. In der Sprw. werden diese Differenzierungen Freges durch die einflussreichen Gedanken des „Cours de linguistique générale“ zunächst aufgehoben (Saussure 1916). Der darin entwickelte Zeichenbegriff, wonach das Zeichen aus der Einheit des inneren Lautbildes und der inneren Vorstellung besteht, ist vollständig innerpsychisch; ein Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit ist hier nicht mehr enthalten. Wesentliche weitere Impulse für das Verständnis der komplexen Beziehungen zwischen dem sprachlichen Ausdruck, seiner psychischen Inhaltsseite und seinem Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit gehen anschließend von der Psychologie aus. Zu nennen sind hier besonders Bühlers Organonmodell und seine Differenzierung sprachlicher Mittel nach solchen, die dem Zeigfeld (z.B. ich, hier, da), und solchen, die dem Symbolfeld (z.B. Tisch, essen, schön) zugehören (1934), sowie Vygotskijs Untersuchungen der Begriffsbildung bei Kindern und Jugendlichen (1964). Dass Nomen wohl weniger mentale Abbilder benennen, wie dies manche kognitive Linguisten annehmen (z.B. Langacker 1987), sondern Wissenskomplexe, die ihrerseits im gesellschaftlichen Handeln begründet sind, findet noch am ehesten in den Überlegungen Wierzbickas zur Semantik alltagssprachlicher Nomen Berücksichtigung (1985). Die stark von ontologischen Betrachtungsweisen geprägte Geschichte der Wortartenkategorie Nomen ist dafür verantwortlich, dass morphologische und syntaktische Kriterien bei ihrer Abgrenzung lange Zeit eine untergeordnete Rolle gespielt haben, was auch eine weitgehende Ineinssetzung von syntaktischem Nomen (d.h. dem Kopf der NP) und der Wortartenkategorie zur Folge hatte. Versuche, Wortklassensysteme auf ausschließlich morphologischer (z.B. Sütterlin 1900) oder auf ausschließlich syntaktischer Basis (z.B. Hermann 1928; Bergenholtz/Schaeder 1977) zu etablieren, konnten sich nicht durchsetzen. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die Hauptwortarten vor allem in generativen Ansätzen als quasi naturgegeben vorausgesetzt werden. „Die Wortarten-

theorie im Rahmen der X-Bar-Syntax versucht keine differentielle Definition der Wortarten: Die Hauptwortarten gelten als unanalysierbare Primitive […]“ Knobloch/Schaeder 2000: 681). Redder (2005) bietet einen – auf einer Handlungstheorie der Sprache basierenden – Ansatz, der nicht von Wortarten ausgeht, sondern diese im Sinne von Ehlich (2002), Zifonun et al. (1997) und Hoffmann (2003) vielmehr aus den kleinsten Einheiten sprachlichen Handelns, den Prozeduren, entstehen lässt. So werden z.B. Ausdrücke wie Tisch oder schön im Rahmen einer erweiterten Bühler’schen Feldkonzeption als symbolische Prozeduren begriffen, durch die der Sprecher den Hörer dazu veranlasst, ein „sprachlich verfasstes Wissen über Wirklichkeit(selemente) zu aktualisieren“ (Redder 2005: 49). Die Hauptwortarten im Dt. entstehen im Rahmen dieser Auffassung vor allem durch ein Zusammenwirken symbolischer und operativer, d.h. Versprachlichtes für den Hörer bearbeitender, Prozeduren. Diese Auffassung ermöglicht u.a. eine elegante Beschreibung der sog. Nominalisierung, die schon Hermann Paul (1880: 252) als typischen Problembereich der Wortartenbestimmung ansah: Ein Stamm wie -arbeit- wird als purer Symbolfeldausdruck gesehen, der keiner Hauptwortart angehört. Durch Fusionierung mit der operativen Prozedur -en entsteht erst die Form des verbalen Infinitivs und damit die Klasse der Verben (Redder 2005: 53). Wird nun der Infinitiv in einer „standardisierten Kombination“ (Redder 2005: 54) mit einem Artikel verbunden (z.B. das Arbeiten), „ist“ er nicht einfach ein Nomen, sondern die nominale Qualität entsteht aus dem Zusammenwirken der prozeduralen Fusion arbeiten und ihrer Kombination mit einem – operativ das Hörerwissen bearbeitenden – Determinativum (vgl. auch Ehlich 2003). Ein Vergleich dreier typologisch verschiedener Sprachen (Dt. – Lat. – Engl.) illustriert, wie komplex die Verhältnisse im Einzelnen liegen. Im Dt. ist zu beobachten, dass Köpfe von NPn nicht unbedingt Substantive sein müssen ((1), (2)). (1) [der Tisch]NP (2) [das Ich]NP Betrachtet man die Rektionsverhältnisse, so stellt sich heraus, dass in (1) das Nomen das Genus des Determinators regiert, während in (2), wo der Kopf der NP eine genuslose Deixis ist, über den der Determinator Neutrum sozusagen als

N

Nomen 526

N

Default-Genus zugewiesen wird. Dies legt eine Sprechweise nahe, wie sie in Zifonun et al. (1997: 28) vorgeschlagen und im Folgenden konsequent verwendet werden wird: Die Bezeichnung Nomen wird für die syntaktische Funktion des Kopfs einer NP reserviert, während die Bezeichnung Substantiv für die Wortart verwendet wird, deren Vertreter im Dt. typischerweise, aber eben nicht ausschließlich, den Kopf von NPn bilden. Wie (1) und (2) nahelegen, lässt sich die Klasse der Substantive für das Dt. ziemlich eindeutig festlegen: Substantive sind Wörter, die Genus besitzen (vgl. Engel 1988: 500; Eisenberg 2004 Bd. 2: 150; Köpcke/Zubin 2005). Hierzu zählen nicht nur morphologisch einfache Wörter wie Topf, sondern auch – durch operative Affixe oder innere Morpheme erzeugte – Ableitungen wie Schönheit, Gefüge, Aufzug sowie Komposita wie Wohnzimmer und Bundeskanzleramt (vgl. z.B. Erben 2004; Eichinger 2000; Donalies 2002). Die Deixis Ich in (2) ist hingegen kein Subst., sondern lediglich Nomen im syntaktischen Sinne. Ihre Quasi-Nennqualität erhält sie durch ihre Einbettung in ein Nominalphrasensyntagma mit Determinativum, über das Neutrum als Default-Genus zugewiesen wird (vgl. Thielmann 2008: 259f.). Ehlich (2000) und Redder (2005) sprechen dort, wo ein sprachlicher Ausdruck, der einen bestimmten Zweckbereich bedient (wie hier das Zeigen), für einen anderen (wie hier das Nennen) funktionalisiert wird, von Feldtransposition. Für das Dt. ist also festzuhalten, dass in die syntaktische Funktion des Nomens typischerweise genushaltige Ausdrücke mit begrifflicher Nennqualität, also Substantive, eintreten. Die Phrasenbildung kann aufgrund der Rektionsbeziehungen zwischen Subst. und Determinator sowie der Flexion adjektivischer oder partizipialer Attribute eine erhebliche Komplexität annehmen: (3) [dasNeutrum/Sg. [[[gegen [heftigenMaskulinum/Sg./AkkuWiderstandMaskulinum/Sg.]NP]PP [derFemininum/Sg./ sativ OppositionFemininum/Sg.]NP(Genitivattribut)]PP(AdGenitiv verabschiedete] GesetzNeutrum/ verbial) Partizipattribut ] Sg. NP Während Substantive im Dt. im einfachen Fall genushaltige Stämme sind, die als freie Morpheme realisiert werden können, ist das im Lat., einer artikellosen synthetischen Sprache, nicht so. Dort bestehen Substantive in der Regel zumindest aus einem Stamm, der nicht als freies Morphem rea-

lisierbar ist, und einem weiteren grammatischen Morphem, das Numerus und Kasus indiziert. Die Genuszuordnung erfolgt über Deklinationsklassen. Substantive werden also als Wortformen (d.h. als Fusionen symbolischer und operativer Prozeduren) realisiert (vin-um; nav-em; fruct-u). Von den Adjektiven unterscheiden sich lat. Substantive durch ein geringeres Flexionspotential bzw. ihre Genusstabilität (nov-us, aber nicht *vinus). Diese Wortformen sind grundsätzlich satzgliedfähig. So ist increment-a in (4) ein direktes Objekt zu acquirere: Nominale Wortformen im lat. Satz Galilei (1637: 197f.) [Übers. W.T.]. (4) lapid-em (...) nov-a deinceps

Stein – neu – nacheinander Mask.-Akk.-Sg. Neutr.-Akk.-Pl.



velocitat-is

acquirere increment-a

Geschwindigkeit – aufnehmen Zuwachs Fem.-Gen.-Sg. Neutr.-Akk.-Pl.



animadvert-o



ich nehme wahr

ich nehme wahr, dass ein Stein sukzessive neue Geschwindigkeitszuwächse erfährt Dass nova Attribut zu incrementa ist, geht hingegen lediglich aus der Kongruenz der grammatischen Kategorien Genus, Numerus und Kasus hervor. Die Abfolge der Wortformen ist tendenziell frei (somit für andere Zwecke, z.B. für die Informationsverteilung und -gewichtung nutzbar); zur Phrasenbildung, also zur Herausbildung von Wortgruppen mit strukturellen Zentren, kommt es nicht. Wegen der schwachen morphologischen und syntaktischen Differenzen ist es daher nicht verwunderlich, dass die römische Grammatikschreibung Subst. und Adj. gleichermaßen als Nomina ansah und erst die Scholastik die Differenzierung nomen substantivum vs. nomen adiectivum einführte. Im Engl., einer weitgehend isolierenden Sprache mit fester Satzgliedabfolge (S-P-O), liegen die Verhältnisse anders ((5), (6)). (5) The beautiful act selfishly. (5a) The beautiful act of random kindness occurred when an elderly gentleman pulled up […]. (6) He’s the boss. (6a) Don’t boss me around! In (5) ist der Symbolfeldausdruck beautiful Kopf der NP in Subjektposition, da nach ihm, am Ad-

527 Nomen verbial erkennbar, ein Prädikat auftritt: act selfishly. Der ontologische Status der durch beautiful und act symbolisierten Gehalte (abstrakter Gegenstand – Eigenschaft – Handlung) ist für den Hörer/Leser aus seinem (impliziten) Wissen über Satzgliedabfolgen zu rekonstruieren. In (5a) ergibt sich für den Hörer/Leser der attributive Status von beautiful retrospektive daraus, dass act aufgrund des folgenden Präpositionalattributs Kopf der NP sein muss und daher nicht Prädikat sein kann. Dass boss in (6) Kopf einer NP ist, wird daraus ersichtlich, dass nach dem enklitischen is ein Determinator auftritt, wodurch ein durch eine NP realisiertes Prädikativ angekündigt wird. In (6a) ist boss hingegen Teil des Prädikats, da der Prädikatsteil don’t vorhergeht. Wie ein Symbolfeldausdruck im ontologischen Sinne benennt, ist also vom Hörer/Leser je aus dem syntaktischen Umfeld zu rekonstruieren: „[…] many lexemes are now ‚underspecified’ for ‚word classes’; moreover, the specification takes place on the syntactic level by phrase markers, e.g. articles“ (Vogel 2000: 274). Wie der Sprachvergleich zeigt, handelt es sich bei der Kategorie Substantiv nur bedingt um ein Universale: Im Dt. gibt es eine offene Klasse von morphologisch einfachen Symbolfeldausdrücken mit Genus, die begriffliche Nennqualität aufweisen und damit zu Recht als Substantive bezeichnet werden können; darüber hinaus können über die Wortbildungsverfahren der Derivation und Komposition weitere genushaltige Ausdrücke erzeugt werden. Im Lat. treten genusstabile Wortformen auf, in denen pure, nicht als freie Morpheme realisierbare Symbolfeldausdrücke mit operativen Suffixen fusionieren. Aufgrund der geringen morphologischen und syntaktischen Differenzen ist es in der lat. Grammatikschreibung erst sehr spät zu einer Trennung von Adj. und Subst. gekommen. Im Engl. können morphologisch einfache pure Symbolfeldausdrücke in verschiedene syntaktische Slots eintreten und entfalten ihre spezifische ontologische Nennqualität erst im Rahmen der hörer-/leserseitigen Ausdeutung der syntaktischen Struktur. Es könnte mithin sinnvoll sein, Hauptwortarten nicht als Gegebenheiten zu behandeln, sondern, wie Redder (2005) dies vorschlägt, jeweils zu untersuchen, wie sprachliche Mittel des Symbolfelds in einer spezifischen Sprache zum Einsatz

kommen. Die Ausdrücke Tisch, tabula und table sind alle drei Symbolfeldausdrücke, aber hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Tisch und table sind beide Stämme, aber Tisch besitzt durch das Genus eine begriffliche Nennqualität, die der Ausdruck table erst dadurch erlangt, dass er sich mit einem Determinator zu einer NP verbindet (vgl. the table vs. the motion was tabled pending revision). Im Gegensatz zu Tisch und table handelt es sich bei tabula um eine Wortform. Tritt der – nicht als freies Morphem erscheinen könnende – Stamm tabul- in das Paradigma tabula – tabulae – tabulae etc. ein, kann man die entstehenden Wortformen als substantivisches Paradigma bezeichnen. Tritt der Stamm hingegen in das Paradigma tabulo – tabulas – tabulat etc. ein, hat man es mit einem Verbalparadigma zu tun. Bei den Stämmen tabul- und table handelt es sich mithin im Sinne von Redder (2005) um pure Symbolfeldausdrücke, die ihre ontologische Nennqualität respektive durch morphologische oder syntaktische Mittel erst zugewiesen bekommen, während der Stamm Tisch aufgrund des Genus bereits über eine solche verfügt. Hauptwortarten als Bezugsgrößen sprachlicher Praxis für Sprecher und Hörer sind daher am ehesten in Sprachen zu erwarten, in denen die ontologische Nennqualität von Symbolfeldausdrücken über operative Mittel wie Genus und Affixe, und nicht über Verfahren der Serialisierung erzielt wird (Thielmann 2008: 237ff.). Winfried Thielmann

→ § 9, 15; Gegenstandsbezeichnung; Mengenbezeichnung;

nomen acti; nomen actionis; nomen instrumenti; nomen invarians; nomen loci; nomen patientis; nomen qualitatis; nomen rectum; nomen varians; Nominalisierungsverbgefüge; Substantiv; Substanznomen; Wortart → Gram-Syntax: Nominalphrase; Phrase; syntaktische Funktion ⇀ Nomen (Sprachdid; SemPrag) ⇁ noun (Typol; CG-Engl)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Ehlich, K. [2000] Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse – Ziele und Verfahren. In: Hoffmann, L. [Hg.] Sprachwissenschaft. Ein Reader. 2. verb. Aufl. Berlin [etc.]: 183–202 ◾ Ehlich, K. [2002] Analytische Sedimente. In: Peschel, C. [Hg.] Grammatik und Grammatikvermittlung. Frankfurt/Main [etc.]: 65–80 ◾ Ehlich, K. [2003] Determination. Eine funktional-pragmatische Analyse am Beispiel hebräischer Strukturen. In: Hoffmann, L. [Hg.] Funktionale Syntax. Berlin [etc.]: 307–334 ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidel-

N

nomen acti 528

N

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nomen acti

deverbales Substantiv, das das Resultat des durch die verbale Basis benannten Geschehens ausdrückt. ▲ action noun: deverbal noun that refers to the result of the action or event expressed by the verbal base. Der Terminus nomen acti (auch: nomen facti – lat. facti; 'des Getanen') dient der semantischen Kategorisierung deverbaler Substantive, die das Resultat des durch die verbale Basis benannten Geschehens ausdrücken, z.B. erzeugen → Erzeugnis. Nach Eisenberg (2004: 276) zählen hierzu auch deverbale Ableitungen auf -er von Bewegungsverben (Hüpfer, Treffer) und von Verben, die Lautäußerungen benennen (Jodler, Schluch-

zer). Ableitungen auf -ung drücken häufig nicht nur das Resultat einer Handlung, sondern auch die Handlung selbst aus, wie z.B. Rechnung (vgl. Graefen/Liedke 2008: 88) und können somit auch als nomina actionis fungieren. Winfried Thielmann ≡ nomen facti → Deverbativum; Nomen; nomen actionis; nomen agentis; Substantiv ⇀ nomen acti (Wobi; Lexik) ⇁ action noun (Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Graefen, G./ Liedke, M. [2008] Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache. Tübingen [etc.].

nomen actionis

meist deverbales Substantiv, das ein Geschehen oder eine Handlung ausdrückt. ▲ action noun: deverbal noun that refers to the event or action itself. Durch die semantische Kategorie nomen actionis (lat. actio 'Handlung') wird die Gruppe derjenigen deverbalen Substantive erfasst, die ein Geschehen oder eine Handlung ausdrücken (vgl. Graefen/Liedke 2008: 88). Typischerweise fallen hierunter Bildungen auf -ung wie bei Rechnung, sog. Nullableitungen wie bei Lauf sowie Bildungen mit dem Zirkumfix ge-...-e wie bei Gedränge. Winfried Thielmann ≡ Tätigkeitsnomen → Deverbativum; Nomen; nomen acti; nomen agentis; Sub­ stantiv ⇀ nomen actionis (Wobi; Lexik) ⇁ action noun (Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin ◾ Graefen, G./ Liedke, M. [2008] Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweitoder Fremdsprache. Tübingen [etc.].

nomen agentis

abgeleitetes Substantiv, das den Träger einer Handlung benennt. ▲ agent noun: derived noun that refers to the agent of an action. Nomen agentis (lat. agens 'der Handelnde') ist eine semantische Kategorie, die diejenigen abgeleiteten Substantive erfasst, die den Träger eines Geschehens benennen. Hierzu gehören typischer-

529

nomen invarians

weise deverbale Ableitungen auf -er wie Schneider, Sänger, Pendler etc. (vgl. Eisenberg 2004: 274f.), aber auch Bildungen wie Flüchtling. Weitere nomina agentis entstehen durch die Ableitung substantivischer Basen, wie z.B. Gewerkschafter, Mechaniker, Sportler. Winfried Thielmann

→ Nomen; nomen acti; nomen actionis; Personenbezeichnung; Substantiv

⇀ nomen agentis (Wobi; Lexik)

🕮 Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin.

nomen commune

Substantiv, das kein Eigenname ist. ▲ common noun: noun that is not a proper noun. Die Unterscheidung nomen commune (lat. communis 'allgemein') und nomen proprium (lat. proprius 'eigen') ist die – auf die mittlere Stoa zurückgehende – allgemeinste Differenzierung des Substantivbestands in die Eigennamen und den wesentlich größeren Bestand der nomina communia oder Appellativa. Die Appellativa lassen sich weiter ausdifferenzieren in Abstrakta (z.B. Liebe, Zeit) und Konkreta (Haus, Kopf, Brot). Die Konkreta können in die Gattungsnomen (Hund, Tisch, Baum) und die Substanznomen (Brot, Eisen, Fleisch) aufgeteilt werden.

↔ Eigenname → Appellativum; Nomen; Substantiv ⇁ common noun (CG-Engl; Typol)

Winfried Thielmann

🕮 Lehmann, C./ Moravcsik, E. [2000] Noun. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 732–757.

nomen facti

≡ nomen acti ⇀ nomen facti (Wobi)

nomen instrumenti

deverbales Substantiv, das das Mittel bezeichnet, durch das ein Geschehen bewirkt wird. ▲ instrumental noun: deverbal noun naming the means by which an action is carried out.

Nomen instrumenti (lat. instrumentum 'Werkzeug') ist eine semantische Kategorie zur Erfassung derjenigen deverbalen Ableitungen, die das Mittel für die durch den Verbalstamm bezeichnete Handlung benennen. Hierzu gehören vor allem Bildungen auf -er wie z.B. Dosenöffner, Korkenzieher. Eisenberg weist darauf hin, dass solche Bildungen auch häufig als nomina agentis aufgefasst werden können: „Ein Öffner kann sowohl eine Person wie ein Gerät sein […]“ (Eisenberg 2004: 275).

→ Nomen; nomen agentis; Substantiv → Gram-Syntax: Instrument ⇀ nomen instrumenti (Wobi; Lexik)

Winfried Thielmann

🕮 Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Erben, J. [2006] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 5., durchges. u. erg. Aufl. Berlin.

nomen invarians

appositiver substantivischer Modifikator vor dem Kopfnomen, der nicht zusammen mit dem Kopfnomen flektiert. ▲ non-inflected nominal pre-modifier: nominal pre-modifier that remains uninflected when the head changes its case. Nomen invarians ist eine morphosyntaktische Kategorie zur Charakterisierung der Verhältnisse in Konstruktionen wie Professor Maier, Tante Hete, Metzger Müller etc., die traditionell als enge Apposition beschrieben (vgl. Engel 2004: 292; Zifonun et al. 1997: 2043) und in Hoffmanns funktionaler Syntax als restriktive Prozeduren aufgefasst werden (2003: 47ff.). Setzt man solche NPn, bei denen die Ausdrücke Professor, Tante, Metzger etc. als enge Appositionen oder Restriktionen aufgefasst werden können, in einen obliquen Kasus, so flektiert der appositive (restringierende) Ausdruck nicht und wird daher als nomen invarians (lat. invarians 'gleichbleibend') bezeichnet (1). (1) Tante Hete(s), Professor Maier(s) Diese Kategorie ist – ähnlich wie die Kategorien nomen regens und nomen rectum – nur bedingt auf das Dt. anwendbar, da in einer solchen Kon­ struktion die syntaktischen Verhältnisse nicht zwischen einzelnen Nomina, sondern zwischen NPn bestehen (2).

N

nomen loci 530 (2) [[[Tante]NP[Hetes]NP]NP[Auto]NP]NP

Winfried Thielmann

↔ nomen varians → Nomen; Substantiv → Gram-Syntax: enge Apposition; Modifikator

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Hoffmann, L. [2003] Funktionale Syntax. Prinzipien und Prozeduren. In: Hoffmann, L. [Hg.] Funktionale Syntax. Die pragmatische Perspektive. Berlin [etc.]: 18–121 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

nomen loci

deverbales Substantiv, das den Ort des durch die verbale Basis ausgedrückten Geschehens benennt. ▲ place noun: deverbal noun that refers to the place of the action or event expressed by the verbal base.

N

Nomen loci (lat. locus 'der Ort') ist eine semantische Kategorie, die diejenigen deverbalen Sub­ stantive erfasst, die den Ort des durch ihre verbale Basis benannten Geschehens bezeichnen. Hierzu gehören Bildungen auf -ei wie z.B. Schleiferei, Schreinerei etc. Aber auch typische nomina agentis wie Metzger können in diesem Sinne verwendet werden. (1) Ich gehe noch kurz zum Metzger. „Ein Nomen loci lässt sich sinnvoll nur bilden, wenn die betreffende Tätigkeit professionalisiert abläuft, so dass bekannt ist, wo der Bäcker, Metzger, Schleifer etc. ihren Ort – also Laden oder Betrieb – haben“ (Graefen/Liedke 2008: 88).

→ Nomen; Substantiv → Gram-Syntax: Lokativ ⇀ nomen loci (Wobi; Lexik)

Winfried Thielmann

🕮 Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Graefen, G./ Liedke, M. [2008] Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweitoder Fremdsprache. Tübingen [etc.].

nomen patientis

meist deverbales Substantiv, das die Person oder Sache bezeichnet, an der sich eine Handlung oder ein Geschehen vollzieht. ▲ patient noun; experiencer: deverbal noun referring to the person or thing that undergoes the action or the process named by the verb. Das nomen patientis (lat. patiens 'der Leidende') ist eine semantische Kategorie, durch die vornehmlich diejenigen deverbalen Ableitungen

erfasst werden, die die Person oder Sache benennen, die von einem Geschehen oder einer Handlung betroffen ist, z.B. Prüfling, Angeklagter (vgl. Engel 2004: 274). Winfried Thielmann

→ Nomen; Personenbezeichnung; Substantiv → Gram-Syntax: Patiens ⇀ nomen patientis (Wobi; Lexik)

🕮 Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

nomen proprium ≡ Eigenname

nomen qualitatis

Substantiv, das eine Eigenschaft benennt. ▲ quality noun: noun that names a quality. Das nomen qualitatis (lat. qualitas 'Beschaffenheit') ist eine semantische Kategorie zur Erfassung derjenigen Substantive, die Eigenschaften benennen, wie z.B. Schönheit, Klugheit. ≡ Eigenschaftsnomen → Adjektiv; Nomen; Substantiv ⇀ nomen qualitatis (Wobi; Lexik)

Winfried Thielmann

🕮 Donalies, E. [2002] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick (StDtSp 27). Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

nomen rectum

vom Kopf einer Nominalphrase abhängiges Genitivattribut. ▲ governed noun: genitive attribute governed by the head of a nominal phrase. Die Sprechweise nomen regens und nomen rectum (regierendes und regiertes Nomen) dient dazu, die syntaktischen Verhältnisse in Fügungen wie (1) zu beschreiben. (1) das Haus des Königs Hier ist Haus das regierende und König das regierte Nomen. Eine solche Auffassung ist eher Sprachen wie dem Lat. angemessen, wo sich dieses Verhältnis auf Wortebene realisiert (2). (2) domus regis [HausNominativ KönigGenitiv] Im Dt. ist diese Sprechweise hingegen eher kon­

531

nominale Deklination

tra­produktiv, da das syntaktische Verhältnis nicht zwischen (flektierten) Nomina, sondern zwischen Phrasen besteht, die ihrerseits eine komplexe Phrase bilden (3). (3) [[das Haus]NP [des Königs]NP]NP Zudem wird durch die Vorstellung, dass das Bezugswort des Genitivattributs den Genitiv regiert, die Funktion dieses Kasus missverstanden (vgl. Ballweg 1998). In der Hebraistik hat die Sprechweise von nomen regens und nomen rectum eine lange Tradition im Zusammenhang mit den sog. „status-constructus“-Verbindungen, bei denen – konträr zum Dt. – das Bezugswort in eine morphologisch veränderte Gestalt gebracht wird (vgl. Ehlich 2003: 313f.).

→ Nomen; Substantiv → Gram-Syntax: Rektion

Winfried Thielmann

🕮 Ballweg, J. [1998] Eine einheitliche Interpretation des attributiven Genitivs. In: Vuillaume, M. [Hg.] Die Kasus im Deutschen. Form und Inhalt (Eurog 13). Tübingen: 153–166 ◾ Ehlich, K. [2003] Determination. Eine funktional-pragmatische Analyse am Beispiel hebräischer Strukturen. In: Hoffmann, L. [Hg.] Funktionale Syntax. Berlin [etc.].

nomen sacrum

abgekürzte Schreibweise von Substantiven wie Gott oder Jesus in religiösen Texten der jüdisch-christlichen Tradition. ▲ nomen sacrum: abbreviated notation of nouns such as God, Lord, and Jesus in Jewish and Christian religious texts. Der Terminus nomen sacrum bezeichnet die abgekürzte Notationsweise einer kleinen Klasse von Substantiven in religiösen Texten der jüdischchristlichen Tradition, etwa die Wiedergabe von deus durch D oder DS, in der Regel mit einem Strich über den Buchstaben. Die Funktion dieser Schreibweisen ist nicht die Zeitersparnis, sondern „to express religious reverence, to set apart these words visually in the way they are written“ (Hurtado 1998: 659).

→ Eigenname; Nomen; Substantiv ⇀ nomen sacrum (Schrling)

Winfried Thielmann

🕮 Hurtado, L.W. [1998] The Origin of the Nomina Sacra: A Proposal. In: JBiblicalLit 117/4: 655–673 ◾ Traube, L. [1967] Nomina Sacra. Versuch einer Geschichte der christlichen Kürzung (QUlatPhMa 2). München 1907. Unveränd. reprogr. Nachdr. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt.

nomen varians

appositiver substantivischer Modifikator vor dem Kopfnomen, der zusammen mit dem Kopfnomen flektiert. ▲ inflected nominal pre-modifier: nominal pre-modifier that takes the same case as the head. Nomen varians ist eine morphosyntaktische Kategorie zur Charakterisierung der Verhältnisse in Konstruktionen wie Herr Maier, Kollege Müller etc., die traditionell als enge Apposition beschrieben (vgl. Engel 2004: 292; Zifonun et al. 1997: 2043) und in Hoffmanns funktionaler Syntax als restriktive Prozeduren aufgefasst werden (2003: 47ff.). Setzt man solche NPn, bei denen die schwachen Maskulina Herr, Kollege etc. als enge Appositionen oder Restriktionen angesehen werden können, in einen obliquen Kasus, so ändert auch der appositive (restringierende) Ausdruck seinen Kasus und wird daher als nomen varians (lat. varians, dt. sich verändernd) bezeichnet (1). (1) Herr(n) Maier(s) Diese Kategorie ist – ähnlich wie die Kategorien nomen regens und nomen rectum – nur bedingt auf das Dt. anwendbar, da in einer solchen Kon­ struktion die syntaktischen Verhältnisse nicht zwischen einzelnen Nomina, sondern zwischen NPn bestehen (2). (2) [[[Herrn]NP[Maiers]NP]NP [Auto]NP]NP Winfried Thielmann

↔ nomen invarians → Nomen; Substantiv → Gram-Syntax: enge Apposition; Modifikator

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Hoffmann, L. [2003] Funktionale Syntax. Prinzipien und Prozeduren. In: Hoffmann, L. [Hg.] Funktionale Syntax. Die pragmatische Perspektive. Berlin [etc.]: 18–121 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Nomen, funktionales → funktionales Nomen

Nomen, relationales → relationales Nomen

nominale Deklination

Flexionsmuster, dem vorrangig Substantive, daneben auch Adjektive folgen, insbesondere bei Adjektiven im Deutschen das Muster der schwachen Deklination.

N

nominales Präfix 532 ▲ nominal declension: inflectional pattern that ap-

plies primarily to nouns, but also to adjectives, in particular with respect to adjectives in German the pattern of the weak declension. Bernd Wiese

→ Adjektivflexion; Deklination; Monoflexion; pronominale Deklination; schwache Deklination

🕮 Götze, L./ Hess-Lüttich, E.W.B. [1999] Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. 3., überarb. Aufl. Gütersloh ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Kuryłowicz, J. [1964] The Inflectional Categories of Indo-European. Heidelberg ◾ Wilmanns, W. [1909] Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Dritte Abteilung: Flexion. 2. Hälfte: Nomen und Pronomen. Straßburg.

nominales Präfix

Präfix, mit dem Substantive und Adjektive abgeleitet werden. ▲ nominal prefix: prefix used for the derivation of nouns and adjectives.

N

Nominale Präfixe (z.B. un-, erz-, miss-, ur-) leiten Adjektive oder Substantive ab ((1)–(4)), (vgl. Eisenberg 2013: 236–242). (1) un-: unbequem, ungestüm; Unart, Ungetüm (2) erz-: erzfaul; Erzfeind (3) miss- [auch zur Bildung neuer Verbstämme]: missvergnügt; Missstimmung (4) ur-: urgemütlich; Urzeit. Der Terminus bezieht sich nicht auf die Wortart des Lexems, aus dem das Präfix entstanden ist, und auch nicht auf den Terminus Nomen in seiner engeren Bedeutung 'Substantiv'.

→ Adjektiv; Affix; Präfix; Substantiv

Franziska Münzberg

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Nominalform

≡ infinite Verbform

nominalisierter Infinitiv ≡ substantivierter Infinitiv

Nominalisierung

Bildung eines Nomens aus Konstituenten anderer Kategorien durch Derivation oder Konversion. ▲ nominalization: noun formation by derivation or conversion from constituents of other categories. Werden Nomen aus sprachlichen Einheiten abge-

leitet, die nicht der Kategorie Nomen angehören, so spricht man von Nominalisierung. Diese kann durch Derivation oder Konversion erfolgen. Bei der Derivation dient die Stammform eines Verbs (z.B. in Brechung, Schwimmer) oder Adj. (z.B. in Freiheit) als Basis der Nominalisierung. Die Konversion ist weniger restringiert. Sie ist sowohl mit Stammformen (morphologische Konversion) als auch mit flektierten Formen (syntaktische Konversion) möglich. Bei einer Konversion aus dem Infinitiv des Verbs ergibt sich ein Nomen im Neutrum (das Tanzen), bei einer Konversion aus der Stammform ein Nomen im Maskulinum (der Tanz), das im Falle starker Verben i.A. zusätzlich durch einen Ablaut gekennzeichnet ist (der Sprung). Zudem ist die Nominalisierung durch Konversion nicht auf lexikalische Kategorien als Basis spezialisiert. Sie ist z.B. ebenso mit Pronomina (das Du anbieten), Antwortpartikeln (das Ja des Ministers) oder ganzen Phrasen (ein Ich-weißnicht hörte man in diesen Tagen oft) möglich. Bei der Nominalisierung aus Verben kann die Valenz der Basis zu Teilen erhalten bleiben. Bei er-Nominalisierungen wie Leser wird das externe Argument der Handlung durch das Derivationssuffix bzw. das damit gebildete Derivat repräsentiert, das interne Argument kann morphologisch (der Romanleser) oder syntaktisch (der Leser des Romans) wieder aufgenommen werden. Bei ungNominalisierungen wie Erarbeitung oder syntaktischen Konversionen wie Erarbeiten, in welchen beide Argumente der verbalen Basis übernommen werden können, steht das interne Argument strukturell näher bei der Nominalisierung als das externe (die Erarbeitung eines Konzepts durch die Kommission). Zur Erklärung von Nominalisierungen existieren verschiedene Ansätze. Unter einer lexikalistischen Sichtweise erfolgen Nominalisierungen präsyntaktisch durch lexikalische Regeln zur Derivation oder Konversion. Beide Prozesse sind für die Valenz der Basis in Teilen durchlässig. Die Nominalisierungsprodukte werden im Lexikon gelistet, wobei Verweise auf den Subkategorisierungsrahmen sowie Besonderheiten und Abweichungen vermerkt sind. Die formale Umsetzung der ererbten Argumente (z.B. Kasus) richtet sich nach der des nominalen Bereichs. Bei der transformationalistischen Hypothese wird das Verb mit seinen Argumenten direkt in der Syntax ge-

533 Nominalisierungsverb neriert, bevor die Nominalisierung erfolgt, welche mit einer Transformation der syntaktischen Struktur einhergeht. Zur Erfassung aller formalen Änderungen ist dabei die Annahme zahlreicher funktionaler Projektionen und Bewegungen meist unumgänglich. Borer (1998) stellt ein Hy­ bridmodell zur Diskussion, das Nominalisierungen wie z.B. destruction abhängig von der Interpretation entweder in der Tiefenstruktur einsetzt (Resultat) oder syntaktisch generiert (Vorgang). Manuela Korth

→ § 31; Agensnominalisierung; Derivation; Konversion; Nominalisierungstransformation; Substantivierung

→ Gram-Syntax: lexikalistische Hypothese; transformationalistische Hypothese

⇀ Nominalisierung (Wobi; Lexik; HistSprw; CG-Dt) ⇁ nominalization (Typol)

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Nominalisierungstransformation

Operation der Überführung eines verbalen Syntagmas in eine Nominalgruppe. ▲ nominalization transformation: transformation of a verbal syntagma into a noun phrase. Im Gegensatz zur Nominalisierungstransformation, bei der ganze Sätze oder Satzglieder in einen nominalen Ausdruck überführt werden, bezeichnet Nominalisierung meist nur die Bildung eines Subst. aus einem Wort einer anderen Wortart sowie das Resultat dieses Prozesses. Abraham (1988: 533f.) wiederum hebt die Nominalisierungstransformation im hier verstandenen Sinne von der Nominalisierung (als reinem Wortbildungsprozess) durch die Bezeichnung „substantivische Nominalisierung“ ab. Bei einer Nominalisierungstransformation ändern sich die Satzglieder in folgender Weise: Das Subjekt wird zum Genitivattribut, wenn es ein Subst. ist (1), und zum Possessivpron., wenn es sich um ein Pron. handelt (2). (1) Der Student malt. (1a) → das Malen des Studenten

(2) Er malt. (2a) → sein Malen Auch das Akkusativobjekt wird zum Genitivattribut (3), wodurch der entstandene Satz polysem werden kann (vgl. die Interpretation von (4) in (4a) und (4b)). (3) Er malt ein Bild. (3a) → das Malen des Bildes (4) die Überprüfung des Mitarbeiters (4a) → der Mitarbeiter überprüft etw./jmdn. (4b) → jmd. überprüft den Mitarbeiter Ein Dativobjekt wird durch eine Nominalisierungstransformation zum Präpositionalattribut, wobei die Präp. in der Regel vom durch die Nominalisierung entstandenen Subst. abhängt. (5) Sie antwortet ihm. (5a) → ihre Antwort an ihn (6) Sie vertraut ihm. (6a) → ihr Vertrauen in ihn / zu ihm Auch aus einem Genitivobjekt (7) und einem Präpositionalobjekt (8) wird ein Präpositionalattribut. Bei Letzterem bleibt die Präp. erhalten. (7) Sie gedachten der Opfer. (7a) → ihr Gedenken an die Opfer (8) Sie diskutierten über den Vorschlag. (8a) → ihre Diskussion über den Vorschlag Adjektivische Adverbialbestimmungen werden zu Adjektivattributen. (9) Er kauft unüberlegt ein. (9a) → sein unüberlegter Einkauf Eine Transformation mit einer Adverbialbestimmung, die durch ein Adverb repräsentiert wird, kann nur dann erfolgen, wenn es zu diesem Adverb eine Adjektivableitung gibt. (10) Er kehrte sofort zurück. (10a) → seine sofortige Rückkehr In (11) ist jedoch keine vollständige Nominalisierungstransformation möglich. (11) Er raucht manchmal. (11a) → sein Rauchen. Antje Heine

→ Nominalisierung → Gram-Syntax: Nominalphrase; Satzglied; Syntagma

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg. 1995] Syntax (HSK 9.2). Berlin [etc.].

Nominalisierungsverb

Verb mit wenig spezifischer Semantik, das sich mit

N

Nominalisierungsverbgefüge 534 einem deverbalen Nomen zu einem Nominalisierungsverbgefüge verbindet. ▲ light verb; support verb: verb with a non-specific semantics, that constitutes a support verb construction in conjunction with a deverbal noun. Nominalisierungsverben fungieren innerhalb der Nominalisierungsverbgefüge vorrangig als Träger der verbalen Kategorien Pers., Numerus, Tempus, Modus und genus verbi. Ihr eigener semantischer Gehalt ist wenig ausgeprägt, Hauptbedeutungsträger innerhalb des Nominalisierungsverbgefüges ist die zweite Komponente, das deverbale (oder seltener deadjektivische) Nomen (leisten → Hilfe, Verzicht, Widerstand, einen Beitrag, eine Anzahlung leisten; treffen → eine Entscheidung, eine Vereinbarung, eine Absprache, eine Auswahl, Vorbereitungen treffen). Eine exakte Grenzziehung zu den Funktionsverben ist nur schwer möglich, und daher ist die Annahme einer eigenständigen Kategorie von Nominalisierungsverben umstritten.

N

→ Funktionsverb; Nominalisierungsverbgefüge → Gram-Syntax: Funktionsverbgefüge ⇁ light verb (Typol)

Antje Heine

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2006] Wie fügen sich Funktionsverben in Funktionsverbgefüge ein? In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Festschrift für Gisela Zifonun. Tübingen: 259–273 ◾ Polenz, P. von [1989] Funktionsverbgefüge im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. In: Hausmann, F.J./ Reichmann, O./ Wiegand, H.E./ Zgusta, L. [Hg.] Wörterbücher (HSK 5.1). Berlin [etc.]: 882–887 ◾ Storrer, A. [2006] Zum Status der nominalen Komponenten in Nominalisierungsverbgefügen. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Festschrift für Gisela Zifonun. Tübingen: 275–296 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Nominalisierungsverbgefüge

Konstruktion aus einem deverbalen Nomen und einem semantisch eher unspezifischen, so genannten Nominalisierungsverb. ▲ light verb construction; support verb construction: construction consisting of a deverbal noun and a so-called support verb or light verb with a non-specific semantics. Nominalisierungsverbgefüge (= NVG) bestehen aus einem meist deverbalen (seltener deadjektivischen) Nomen und einem Verb mit wenig spezifischem semantischen Gehalt. NVG sind oft

paraphrasierbar durch das Verb (oder Adj. + Kopulaverb), von dem das Nomen abgeleitet worden ist. (1) Verzicht leisten → verzichten (2) eine Frage stellen → fragen (3) in Zorn geraten → zornig werden Damit sind jedoch häufig Valenzänderungen verbunden: jmd leistet Verzicht vs. jmd verzichtet auf etw.; jmd stellt (jmdm.) eine Frage vs. jmd. fragt (jmdn.) etw.; aber jmd. gerät in Zorn, jmd. wird zornig. Oft gibt es auch stilistische Unterschiede zwischen NVG und Vollverb (oder Adj. + Kopulaverb). Die Annahme einer eigenständigen Kategorie von NVG geht im Wesentlichen auf Peter von Polenz zurück und ist nicht ganz unumstritten. Meist werden die NVG in eine weit gefasste Kategorie Funktionsverbgefüge integriert. Beiden gemeinsam ist die Verbindung aus deverbalem oder deadjektivischem Nomen und einem Verb mit wenig spezifischer Eigenbedeutung. In beiden Fällen handelt es sich um usuelle Wortverbindungen, d.h., mittels Kookkurrenzanalyse ist ein statistisch auffälliges Miteinandervorkommen beider Komponenten feststellbar. Der wesentliche Unterschied zwischen NVG und Funktionsverbgefügen besteht nach v. Polenz (1989: 882f.) darin, dass das Verb im NVG keine „systematisch beschreibbare Eigenbedeutung“ aufweist, während Funktionsverben immer wenigstens einer der Kategorien kausativ, inchoativ oder passiv zuzuordnen sind. Storrer (2006) schreibt dem jeweiligen Nomen auf syntaktischer Ebene einen anderen Status zu: Während das Nomen im NVG zu den Komplementen zu zählen sei (also Objekt oder – seltener – Subjekt ist), handle es sich beim Nomen im Funktionsverbgefüge um ein Prädikativkomplement. Antje Heine

→ Funktionsverb; Nomen; Nominalisierungsverb → Gram-Syntax: Funktionsverbgefüge; Komplement; Valenzreduktion

⇁ light verb construction (Typol)

🕮 Polenz, P. von [1989] Funktionsverbgefüge im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. In: Hausmann, F.J./ Reichmann, O./ Wiegand, H.E./ Zgusta, L. [Hg.] Wörterbücher (HSK 5.1). Berlin [etc.]: 882–887 ◾ Storrer, A. [2006] Zum Status der nominalen Komponenten in Nominalisierungsverbgefügen. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Festschrift für Gisela Zifonun.

535 Nominativ Tübingen: 275–296 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Nominativ

grammatischer Kasus, dessen Hauptfunktion in Nominativ-/Akkusativsprachen die Markierung des Subjekts/Agens ist, und der als syntaxunabhängiger neutraler Kasus sowie als Kongruenzkasus fungiert. ▲ nominative: grammatical case with the main function of denoting the subject/agent in nominative-accusative languages, and serving also as the syntactically independent neutral case as well as a case for congruence marking. Der Name des Nominativs (lat. casus nominativus 'Benennungsfall') stammt aus seiner Benennungsfunktion: Er funktioniert als Defaultkasus, wenn keine syntaktische Umgebung vorhanden ist. Der Nominativ wird, oft zusammen mit dem Vokativ, auch casus rectus ['gerader Fall'] genannt, in Abgrenzung zu dem weniger klar umrissenen Terminus casus obliquus ['seitlicher/schräger Fall'], der die syntaktisch unselbständigen Kasus bezeichnet. Der Nominativ zeigt ein Bündel verschiedener formaler und funktionaler Aspekte, die nicht als voneinander unabhängige Bedeutungsvarianten zu verstehen sind, sondern vielfach miteinander interagieren. Die Interpretationsdomänen des Nominativs umfassen vor allem eine Position innerhalb des Kasussystems (die Einheitenkategorie Nominativ in der Kategorie Kasus), die nominativisch markierten Formen bzw. Nominativmarker sowie die für den Nominativ typischen Relationen (vgl. Blake 2000: 1074). In den dt. Grammatiken stehen die formalen Aspekte im Vordergrund. Somit wird der Nominativ oft als Menge von Wortformen mit nominativischer morphologischer Markierung gedeutet (z.B. einer, eins, schöne, Mädchen), die isoliert betrachtet formal oft nicht eindeutig sind und in bestimmten syntaktischen Umgebungen vorkommen (z.B. als Satzsubjekt). Der Nominativ gehört zu den zentralen, sog. direkten Kasus, der in den Akkusativsprachen der unmarkierte Kasus ist. Er ist die erste Wahl zur Kodierung des Satzsubjekts, ist die neutrale Form, wenn keine syntaktische Umgebung vorhanden ist, und erfüllt oft auch die Funktion eines Vokativs. Der Nominativ kann auch Kongruenz

markieren, z.B. bei Prädikatsnomina oder in Adjunktorphrasen. Auch diskursfunktional erfüllt das nominativische Subjekt eine hervorgehobene Rolle. (a) Formen des Nominativs Der Nominativ gilt in den kasusmarkierenden Sprachen allgemein als der unmarkierte Kasus (zu Ausnahmen König 2009), was sowohl formale Merkmallosigkeit, als auch niedrigere semantische Komplexität (s.u.) bedeutet. Die relative Merkmallosigkeit kann beim agglutinierenden Verfahren gut beobachtet werden ((1)–(1a), (2)– (2a)), wobei im nominalen Bereich des Dt. wegen des weitgehenden Kasusabbaus in der Regel Kasussynkretismen auftreten ((1)–(1a)). (1) Flugzeug-∅ [Nominativ/Akkusativ/Dativ Sg.] : Flugzeug-s [Genitiv Sg.] (1a) Flugzeug-e-∅ [Nominativ/Akkusativ/Genitiv Pl.] : Flugzeug-e-n [Dativ Pl.] (2) ung.: repülő-∅ [Nominativ Sg.] : repülő-t [Akkusativ Sg.] : repülő-nek [Dativ Sg.] [dt.: 'Flugzeug'] (2a) ung.: repülő-k-∅ [Nominativ Pl.] : repülő-ket [Akkusativ Pl.] : repülő-k-nek [Dativ Pl.] Der Kasus ist zugleich eine syntaktische Kategorie. Daher kann die Kasusmarkierung im Dt. durch das Zusammenspiel verschiedener deklinierbarer Wortarten (Artikel, Adj., Pron., Subst.) auf der Phrasenebene verwirklicht werden. Laut Zifonun et al. (1997) funktioniert sie durch die sog. Wortgruppenflexion, durch einen Mechanismus, in dem die Flexionsmerkmale in der Wortgruppe (Phrase) verteilt werden. Eine andere Auffassung vertritt u.a. Ágel (1996), der im Fall der Artikel, der Adjektive und sogar der sog. flektierten Präpositionen (zur Arbeit) von analytischen (bzw. diskontinuierlichen) Substantivflexiven spricht. Unter den deklinierbaren Wortarten weisen die Substantive nur ein rudimentäres Kasussystem auf, die pronominale und die Artikelflexion sind hingegen differenzierter. Die formalen Markiertheitsverhältnisse kommen im Fall der dt. Pronomina, Artikel und Adjektive trotzdem weniger zum Tragen, denn diese Wortarten markieren gleichzeitig auch das Genus des Bezugsnomens. Der Nominativ stimmt morphologisch häufig mit dem Akkusativ überein. Eindeutig sind nur die pronominalen Formen und die Artikelfor-

N

Nominativ 536

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men des Sg. Maskulinums sowie die Formen der Personalpronomina, so dass bei Vorhandensein einer maskulinen Form oder eines Personalpron. die morphologische Erkennbarkeit gewährleistet ist. Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass die Hauptaktanten des Satzes, Subjekt und Objekt(e), keiner besonderen Markierung bedürfen, sondern nur einer Unterscheidbarkeit voneinander (vgl. Siewierska/Bakker 2009). Die Asymmetrie der Markierung zwischen nominaler und pronominaler Flexion i.w.S. ist ein verbreitetes Merkmal in Sprachen (Iggesen 2009). Dass der Kasus (fast) immer zweifelsfrei festzustellen ist, liegt im weitgehend heuristischen System der ergänzenden Markierungen begründet, die mehr Strategien und Tendenzen hinsichtlich der Stellung von Subjekt und direktem Objekt bedeuten als verbindliche Kodierungstechniken. Zu der Unterscheidbarkeit von Subjekt und Akkusativobjekt tragen folgende Faktoren bei (Eroms 1981: 66f.): die Kasusmorphologie der Nomina; die Flexion der Pronomina; die Artikelmorphologie; die Flexionsmorphologie der Pronomina; die verbale Kongruenz; selektionale Restriktionen, die an die Kasusfunktionen geknüpft sind (3); Serialisierungsregularitäten (Nominativ ist vor Akkusativ zu erwarten; ein Vorfeldverbot gilt allerdings für das schwache Pron. es im Akkusativ) (4); Intonation (in Zusammenwirkung mit dem Kontext) (5). (3) Das KindNominativ liebt das GuteAkkusativ. (4) Die ReichenNominativ kennen die ArmenAkkusativ. (5) FritzAkkusativ lobt Hans. [Hans: thematisch] (b) Markierung des Subjektsnominativs und Konkurrenz Einige der obigen Strategien der Nominativmarkierung des Dt. (insbesondere der Subjektmarkierung) entsprechen Markierungsstrategien, die in den Sprachen der Welt weit verbreitet sind. Im Folgenden steht die Subjektfunktion als übereinzelsprachlich gut identifizierbare Nominativfunktion im Fokus. Dass das Subjekt vor dem Objekt steht, ist in Sprachen wie dem Engl. oder Frz. (im Gegensatz zum Dt.) eine feste Regel in unmarkierten Sätzen. Aus der Stellung des Subjekts bzw. Objekts kann auf den Kasus der Elemente geschlossen werden ((6), (7)). (6) JoanSubjekt saw JohnObjekt. (6a) I saw him.

(6b) *Him saw I. / Him I saw. [aber: John Bill hit. – markierter Satz] (7) JeannetteSubjekt a vu JeanObjekt. (7a) Je l’ai vu. / Lui, je l'ai vu. [bei Hervorhebung des Objekts] (7b) *Le j’ai vu. Die Kongruenz mit dem Subjekt, die ein weit verbreitetes Phänomen in den Sprachen darstellt, ist in der Typologie der Kopf- und der Dependensmarkierung zu den kopfmarkierenden bzw. den doppelt markierenden Strategien zu zählen (Nichols 1986): Das postulierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Verb und Subjekt wird am Verb oder am Verb und Nomen zum Ausdruck gebracht. In vielen Sprachen können nichtemphatische deiktische/anaphorische Subjekte auch ausschließlich am Verb markiert sein (oder sogar unmarkiert bleiben). Die Möglichkeit der Aktantenmarkierung am Verb folgt einem der Kasushierarchie ähnlichen Prinzip (vgl. Detges 2001), in dem mit der höchsten Wahrscheinlichkeit das Satzsubjekt am Verb markiert wird: Subjekt > Direktes Objekt > Indirektes Objekt. (c) Markierungsstrategien und Konkurrenz bei der Subjektmarkierung Bzgl. der Markierung des Subjekts als dem wichtigsten Partizipanten des Satzes existieren in den Sprachen der Welt, aber auch innerhalb des Dt. vielfältige Strategien. Hier kann von ergativen, aktiven und Nominativ-/Akkusativ-Strategien bzw. deren Dominanz in den einzelnen Sprachen gesprochen werden. In den Nominativ-/Akkusativ-Systemen wird das aktive Subjekt eines Satzes genauso markiert (Nominativ) wie das einzige Subjekt in intransitiven Sätzen. Bei der ergativischen Strategie steht die Patiensgröße im Absolutiv, dem Kasus der intransitiven Subjekte. Die Strategie der sog. Aktivsprachen spaltet die Subjektmarkierung je nach Agens- oder Patiens-Rolle auf. Im Dt. entsprechen die meisten Sätze der Nominativ-Akkusativ-Strategie (8), jedoch auch der ergativen (9) und der aktiven Strategie (10). (8) Sie zerbrach die Tasse. [Agens im Nominativ] (9) Die Tasse zerbrach ihr. [Patiens im Nominativ] (10) Ihr schauderte vor diesem Geheul. [der zentrale Partizipant ist Experiencer und steht nicht im Nominativ]

537 Nominativ (d) Funktionen und Semantik des Nominativs Der Nominativ gilt in vieler Hinsicht als derjenige Kasus, der sich am meisten von den übrigen unterscheidet. Augenfällige Eigenschaften sind z.B. die Kongruenz mit dem Prädikat, die in den Sprachen der Welt weit verbreitet ist (obwohl der Nominativ in vielen Sprachen nicht den alleinigen Kongruenzkasus darstellt), die mögliche Unmarkiertheit, oder das Fehlen des Nominativs als Präpositions- und als Supplementkasus. (d1) Der Nominativ als Subjektkasus In den sog. Nominativ-/Akkusativsprachen ist die wichtigste Funktion des Nominativs, das Satzsubjekt zu markieren. Dabei werden zwischen Kasus, Satzgliedrolle und semantischer Rolle komplexe und vielfältige Beziehungen sichtbar. Das Subjekt hat eine zentrale Stellung in den Sätzen, und zwar nicht nur grammatisch. Pragmatisch funktioniert der Nominativ als primärer Kasus der Perspektivierung (bei Kuno 1987: empathy perspective). Das Subjekt wird auch für das grammatikalisierte Topik (Givón 1979; ähnlich Li/Thompson 1976) oder für den primären Ausgangspunkt des Satzes (Dik 1997) gehalten, dazu parallel der Nominativ für den Salienzkasus (Zubin 1982). Auch ist die Nominativ-Akkusativ-Strukturierung vielmehr diskurspragmatisch als semantisch basiert (vgl. Blake 2001: 131). Diese diskurspragmatische Fundierung macht den Nominativ zum ausgezeichneten Zielkasus bei der Passivierung. So sind Unterschiede zwischen Aktiv- und Passivsätzen in erster Linie perspektivischer Natur ((11)–(13)). (11) Der Vater gab dem Jungen ein Buch. – The father gave a book to the boy. (12) Das Buch wurde verschenkt. – The book was given away. (13) Der Junge bekam ein Buch geschenkt. – The boy was given a book. Die obigen Charakteristika entsprechen dem Subjektsnominativ in seiner häufigsten und typischen Verwendung. Da er jedoch ein hochgradig grammatikalisiertes Element ist, können grammatische und pragmatische Struktur auseinanderdriften. Dies ist vor allem bei formalen Subjekten ((14), (15)), bei phraseologisch gebundenen Subjekten (16) sowie bei nichtnominativischen zentralen Partizipanten ((16), (17)) der Fall. (14) Es gibt hier ein sehr gutes Restaurant. (15) Es schneit.

(16) IhmDativ scheint heute eine LausNominativ über die Leber gelaufen zu sein. (17) MirDativ ist kalt. Für den Mechanismus, wie das jeweilige nominativische Satzsubjekt festgelegt wird, gibt es mehr oder weniger formalisierbare Verfahren. Dazu gehören Fillmores Kasustheorie (1968) und die darauf aufbauende Salienzhierarchie der Partizipanten (Primus 1999; in dt. Grammatiken z.B. Zifonun et al. 1997; Eisenberg 2006). Danach wird die salienteste Entität für die hierarchiehöchste Argumentfunktion im Satz ausgewählt, z.B. Agens > Instrument > Patiens, wobei die aufgestellten Hierarchien keine absolute Geltung haben. Für die Feststellung der Salienz kommen Eigenschaften wie Agentivität/Handlungsfähigkeit, Aktivität und Involviertheit in Frage. In funktional-kognitiven Ansätzen wird die Hierarchie aus einer Aktionsverkettung („action chain“, Langacker 1991: 283ff. bzw. „causal chain“, Croft 1991: 184ff.) abgeleitet, die den Energietransfer in einer dargestellten Interaktion beschreibt. Diese Aktionsverkettung ist ebenfalls imstande, die grammatischen Rollen in einem Satz vorherzusagen: Der jeweils vorhandene Kopf (das Erstglied) der Verkettung erscheint mit großer Wahrscheinlichkeit als Subjekt. Die Aktionskette in (18) bis (20) ist: Johann – Hammer – Glas. (18) Johann zerbricht mit einem Hammer das Glas. (19) Der Hammer zerbricht das Glas. (20) Das Glas zerbricht. In Anlehnung an Dowty (1991) führt Primus (1991; 2011) den Kasus Nominativ auf die Eigenschaften des prototypischen Agens, des ProtoAgens zurück. Das Proto-Agens (genauso wie das typische transitive Subjekt in Thompson/Hopper 1980) verfügt über Eigenschaften wie Volition, Wahrnehmung der eigenen Handlung / des eigenen Zustands, Kausativität, Motion und Independenz. Die Subjektauswahl kann gegenüber diesen Eigenschaften sensitiv sein und nicht typische Subjekte (z.B. Experiencer) mit anderen Kasus markieren (mir ist kalt). Diesbezüglich sind in den europ. Sprachen Veränderungen zugunsten der Nominativmarkierung der Subjekte beobachtbar ((17), (18); Dürscheid 1999: 61). (21) Me thinks. [heute versteinert: methinks] > I think. (22) Mich/Mir träumt. > Ich träume.

N

Nominativ 538

N

(d2) Der Nominativ als Benennungskasus Eine weitere wichtige Funktion des Nominativs ist die Benennungsfunktion („Neutralfall“ in Zifonun et al. 1997: 1293). Mangels eines syntaktischen Kontexts wird der unmarkierte Kasus (im Dt.: Nominativ) verwendet, und zwar als Zitier- und Lexikonform (23), oft in empraktischer Ellipse (auf Grund der Sprechsituation interpretierbare Ellipse (24), als thematischer Nominativ (25) sowie als nomen invarians (26). (23) Das Wort Prinz ist eine Übernahme aus dem Altfranzösischen. (24) Abendessen! [z.B. 'Kommt zum Abendessen!'] (25) Dieser Kerl – ihn haben doch alle gern. (26) Kollege Müller ist unser fleißiger Mitarbeiter. Der Gebrauch als Anredefall kann ebenfalls zu dieser Funktion gezählt werden. Dies gilt in Sprachen, die hierfür keinen gesonderten Kasus haben, aber auch in Sprachen mit einem Vokativ als (strukturelle wie im Lat., oder stilistisch weniger gehobene wie in vielen slaw. Sprachen) Ersatzform. Dieser Gebrauch ist auch typischerweise extrasentential bzw. nicht in der syntaktischen Satzstruktur integriert. Der Nominativ fungiert – neben dem Dativ – oft auch als Defaultkasus für Appositionen (27). (27) Mit meiner besten Freundin, eine Praktikantin für Kinderbetreuung, besuchen wir die neue Schule. (d3) Der absolute Nominativ Der Nominativ ist auch in elliptischen Kon­struk­ tio­ nen gebräuchlich. Unter dem sog. absoluten Nominativ werden mit dem absoluten Akkusativ vergleichbare Strukturen verstanden, bei denen allerdings nur im Fall von Maskulina zu entscheiden ist (28), ob es sich um einen absoluten Akkusativ oder einen absoluten Nominativ handelt. (28) An jeder Seite ein Gendarm, erreichtest du die Grenze. (Helbig 1973: 60) [An jeder Seite ist ein Gendarm.] (29) In einem hautengen Kleid, die HaareNominahochgesteckt kam sie ins Zimmer. tiv/Akkusativ [Die HaareNominativ sind hochgesteckt / Die HaareAkkusativ hat/trägt sie hochgesteckt.] Der Terminus absoluter Nominativ ist andererseits auch in der Bedeutung von nominativus pendens gebräuchlich. Hier handelt es sich um

syntaktisch noch weniger in den Satz integrierte Verwendungen ((30), (31), Duden 2006: 911). (30) Der ganze See war – ein seltenes Ereignis – von einer dünnen Eisschicht bedeckt. (31) Martin will nun doch auswandern, ein schwerer Entschluss. (d4) Nominativ als Kongruenzmarker Eine weitere Aufgabe des Nominativs (wie jedes Kasus) ist die Markierung der Kongruenz. Zu diesem Bereich wird oft die syntaktische Funktion des Subjektsprädikativs (u.a. auch Gleich­set­zungs­ nominativ, Prädikativkomplement, Prä­di­kats­no­ minativ genannt) gezählt. Das Subjektsprädikativ tritt bei Kopulaverben (sein, werden, bleiben (32)) und kopulaähnlichen Verben (z.B. scheinen) auf. Als Teil einer Adjunktorphrase kann der Nominativ auch innerhalb des Prädikativkomplements stehen ((33), Zifonun et al. 1997: 1293). (32) Er ist und bleibt mein bester Freund. (33) Der Wal verhält sich wie ein Fisch. Der Wal gilt als Fisch. Weitere, nicht für den Nominativ spezifische Kongruenzbeziehungen sind der Vergleichskasus bzw. Teil einer variabel bezüglichen Adjunktorphrase in eher adverbialer bzw. attributiver Funktion, sowie als Apposition bzw. nomen varians ((34)–(36), Zifonun et al. 1997: 1293). (34) Der Wal schwimmt wie ein Fisch. (35) Der Delphin als besonders possierliches Tier amüsierte alle. (36) Der Delphin, ein besonders possierliches Tier, amüsierte alle. Bernadett Modrián-Horváth ≡ erster Fall; Nullkasus; Werfall → § 16, 19; Akkusativ; Dativ; Genitiv; Kasus; Substantiv; Vokativ → Gram-Syntax: Agens; casus obliquus; casus rectus; doppelter Nominativ; Kongruenz; Nominativ mit Infinitiv; Proto-Agens; Subjekt ⇀ Nominativ (CG-Dt; HistSprw)

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Norm-Komparativ

≡ absoluter Komparativ

Norm-Superlativ

≡ absoluter Superlativ

Nullallomorph

Morphemrealisierung ohne lautliche Markierung. ▲ null allomorph; zero allomorph: morpheme representation without phonological marking. Allomorphie liegt vor, wenn ein und dasselbe Morphem durch bedeutungs- oder funktionsgleiche/-ähnliche Varianten (= Allomorphe) reali-

siert wird, und zwar komplementär je nach der (a)  phonologischen oder (b) morphologischen Umgebung: (a) engl. beds [z] nach sth. Konsonanten, bets [s] nach stl. Konsonanten, buses [iz] nach Zischlaut als Allomorphe des Morphems Pl. der Substantive; (b) dt. Kinder, Frauen, Tage u.a. als Allomorphe des Morphems Pl. der Substantive, je nach Deklination. Im Unterschied zu dem noch unklassifizierten Morph ist ein Allomorph bereits als Realisierung eines bestimmten Morphems klassifiziert. Um ein Nullallomorph (auch: Nullmorph, leeres Morph) handelt es sich, wenn die Morphembedeutung ohne materielle Entsprechung realisiert ist, wobei dasselbe Morphem auch durch Allomorphe mit materieller Entsprechung realisiert wird. Obige Beispiele für Allomorphe des Morphems Plural der Substantive sind daher zu erweitern durch folgende, die das Pluralmorphem durch ein Nullmorph ((1), (2)) realisieren. (1) sheep, fish, deer (2) Stiefel, Fenster, Balken Auch in der Wortbildung kommt die Konversion zu deverbalen Substantiven mittels Nullallomorph vor ((3), (4)). (3) She shout-ed loudly → Her loud shout/shouting bothered me. (4) Er erwähn-te das Problem. → das Erwähnen/ die Erwähnung des Problems Elisabeth Bertol-Raffin

→ Allomorph; Konversion; Morph; Morphem; Nullmorph; Plural

⇀ Nullallomorph (Wobi)

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [2000] Nullelemente in der Morphologie. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 435–450 ◾ Fritz, H. [1982] Das Nullmorphem. In: Sprachdienst 26: 169–174 ◾ Hartmann, J.M./ Hegedűs, V./ Rijmsdijk, H. van [eds. 2008] Empty Elements in Syntax and Phonology. Oxford ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Luschützky, H.C. [2000] Morphem, Morph und Allomorph. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 451–462.

Nullartikel

morphologisch nicht realisierter Artikel. ▲ zero article: article that is not morphologically realized. Das Fehlen eines morphologisch realisierten Artikels (bzw. Artikelworts) kann auf verschiedene kontextuelle Gründe zurückgeführt werden. Im

N

Nulldeklination 540 Dt. kann (bzw. muss) der Artikel vor unbestimmten Substantiven im Pl. (1), Massennomina (2), Abstrakta (3) weggelassen werden. (1) Andreas hat gestern auf dem Flohmarkt Bücher gekauft. (2) Auf dem Biomarkt ist Milch viel günstiger als im Laden an der Ecke. (3) Frieden sollte unser oberstes Ziel sein. Darüber hinaus wird der Artikel im Dt. in der Regel u.a. vor Eigennamen (4), vor Berufs- und Nationalitätskennzeichnungen (5) und vor metasprachlich verwendeten Ausdrücken (6) weggelassen. (4) In Italien habe ich die schönsten Kirchen gesehen. (5) Er ist Anwalt geworden. (6) Das Wort „Versicherung“ kommt im Text nicht so oft vor. Fraglich ist allerdings, ob für das Nichtvorhandensein eines Wortes (hier: der Artikel) der Terminus Null-Artikel überhaupt sinnvoll ist (vgl. Löbner 1986). Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

→ Abstraktum; Artikel; Artikellosigkeit; Eigenname; Massennomen

N

🕮 Götze, L./ Hess-Lüttich, E.W.B. [1999] Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. 3., überarb. Aufl. Gütersloh ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Löbner, S. [1986] In Sachen Nullartikel. In: LB 101: 64–65.

Nulldeklination

Deklinationsklasse, die durch das teilweise oder völlige Fehlen flexivischer Markierungen charakterisiert ist. ▲ zero declension: declension class that is characterised by the partial or total absence of inflectional markings. Im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. gemäß der Bildung der Singularformen stellt die Nulldeklination (oV: „NullDeklination“ (Heidolph/Flämig/Motsch 1981: 599)) oder „unveränderliche Deklination“ (Admoni 1982: 104) neben der s-Deklination und der n-Deklination (Gallmann/Sitta 1996: 56) einen der drei Haupttypen dar. Zur Nulldeklination gehören alle Feminina. Diese Substantive weisen in allen Kasus des Singulars eine Einheitsform ohne Kasusmarkierung auf (vgl. Frau: Nominativ/Akkusativ/Dativ/ Genitiv Sg.).

Daneben stehen andere, weniger geläufige Verwendungen des Terminus, darunter die folgenden. (a) Im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. gemäß der Bildung der Pluralformen bei Weinrich (1993: 342) bezeichnet „Null-Deklination“ einen Deklinationstyp mit „Null-Flexiv“ im Pl. (vgl. Lehrer: Nominativ Pl. = Nominativ Sg.; Zeichen: Nominativ Pl. = Nominativ Sg.). (b) Insbesondere in Beschreibungen slaw. Sprachen ist Nulldeklination eine Bezeichnung für Klassen von Indeklinabilia (unflektierbare Nominale), z.B. Substantiven ohne Flexionsformendifferenzierung wie russ. radio, libretto u.a. (Lehfeldt/Kempgen 1984: 55). (c) Nulldeklination ist ferner eine Bezeichnung für Klassen von Substantiven mit endungsloser (konsonantisch auslautender) NominativSg.-Form in slaw. Sprachen, z.B. poln. student 'Student' (im Unterschied zu Substantiven mit vokalisch auslautender Nominativ-Sg.-Form wie turyst-a 'Tourist') (Feldstein/Franks 2002: 44, „zero declension“). (d) Bei Dodd/Eckhard-Black/Klapper/Whittle (1996: 121, „‚zero‘ declension“) ist Nulldeklination eine alternative Bezeichnung für die starke Adjektivflexion im Dt. Bernd Wiese

→ Deklinationsklasse; n-Deklination; s-Deklination; starke Deklination

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Dodd, B./ Eckhard-Black, C./ Klapper, J./ Whittle, R. [2003] Modern German Grammar. A practical guide. 2nd ed. London [etc.] ◾ Feldstein, R.F./ Franks, S.L. [2002] Pol­ ish. München ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Lehfeldt, W./ Kempgen, S. [1984] Die Formenbildung des Russischen und sowjetische Konzeptionen ihrer Beschreibung. In: Jachnow, H. [Hg.] Handbuch des Russisten. Sprachwissenschaft und angrenzende Disziplinen. Wiesbaden: 32–66 ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Nullflexion

≡ Nullmorph

Nullform

≡ Nullmorph ⇀ Nullform (CG-Dt)

541 Nullsuffix

Nullfuge

unbesetzte Nahtstelle zwischen den unmittelbaren Konstituenten von Komposita oder Suffigierungen. ▲ zero linking element: vacant boundary between the immediate constituents of compounds or suffixations.

Die Nullfuge entsteht durch die direkte Verbindung zweier unmittelbarer Konstituenten, z.B. Tür + rahmen oder schrift + ‑lich. Der Wortbildungsstamm ist dem Flexionsstamm gleich, da er weder durch ein Fugenelement erweitert (Tür + en vs. Tür + rahmen oder Schrift + en vs. schrift + lich) noch durch Auslassung des Stammauslauts reduziert wird (Sprache vs. sprach + lich, Sprach + wissenschaft). Die Nullfuge tritt regelmäßig bei adjektivischen Erstgliedern auf, z.B. Blau + licht. Sie überwiegt aber auch bei nominalen und verbalen Erstgliedern, z.B. Schlüssel + bund, Wasch + salon. Ca. 70 % aller Komposita sind nicht verfugt. Renata Szczepaniak

→ Adjektivfuge; Fugenelement; Kompositum; Suffigierung

🕮 Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Ortner, L. et al. [1991] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.].

Nullkasus

≡ Nominativ

Nullmorph

morphologische Einheit, die aus systematischen, symmetrischen Gründen angesetzt wird und nicht als Morph an der Oberfläche auftritt. ▲ zero morph: morphological unit applied for systematic, symmetry reasons that does not appear in sound. Als Nullmorphe erscheinen Relationsmorpheme im Pl. zu Computer oder Balken, im Genitiv zu Zahl oder Regel. Sie erhalten in Analogie zu Formen wie Kinder, Dinge bzw. Mannes, Herzens eine Funktion im Paradigma zugewiesen. Nullmorphe und Nullmorpheme dürfen nicht mit leeren und damit inhaltslosen Ausdrücken wie den Fugenelementen verwechselt werden. Der Terminus wird nicht von allen akzeptiert. ≡ Nullflexion; Nullform

Hilke Elsen

→ Nullplural; Nullsuffix; Relationsmorphem

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [2000] Nullelemente in der Morphologie. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 435–450 ◾ Hartmann, J.M./ Hegedűs, V./ Rijmsdijk, H. van [eds. 2008] Empty Elements in Syntax and Phonology. Oxford ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Nullplural

Plural bei Nomina, der durch ein Nullmorph markiert wird. ▲ zero plural: plural of nouns which is marked by means of a zero-morph. Dadurch dass der Plural des Nomens durch einen phonetisch leeren Pluralmarker (∅) realisiert wird, entsteht ein Numerussynkretismus zwischen dem Sg. und dem Pl. Der Nullplural ist im Dt. für Maskulina/Neutra charakteristisch, die im Sg. auf unbetontes -e, -el, -en oder -er ausgehen (1). (1) Gemälde-∅, Sessel-∅, Essen-∅, Lehrer-∅ Die eindeutige Pluralmarkierung erfolgt bei diesen Nomina am häufigsten durch Artikelwörter wie in (2), aber auch durch andere Konstituenten in der Kongruenzdomäne des Nomens wie Adj. (3), Relativpron. oder anaphorische Personalpron. (4). (2) das Gemälde − die Gemälde, der Sessel − die Sessel. (3) plüschfarbene Sessel (4) die Lehrer, die ≡ endungsloser Plural ↔ äußerer Plural; gebrochener Plural → Nomen; Nullmorph; Plural

György Scheibl

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Nullsuffix

Nullmorph, das am Ende einer sprachlichen Einheit steht und eine Bedeutung, aber keine lautliche und graphische Hülle hat. ▲ zero suffix: zero suffix located at the end of a linguistic unit which has a meaning, but no phonetic or graphic form. Das Nullsuffix (dargestellt durch das Zeichen ∅)

N

Numeral 542

N

ist ein stummes Suffix (Pinker 2000: 39), das nur einen Inhalt aber keine Form hat und zur Bildung einer grammatischen Form (1) oder zur Ableitung eines Worts (2) dient. (1) (to) open ∅ → (you) open (it) (2) (a) water ∅ → (to) water Die Existenz wird u.a. mit dem Prinzip der Rechtsköpfigkeit für dt. oder engl. Wortbildungen begründet. Ausgehend von einer binären Wortstruktur steht in der rechten unmittelbaren Konstituente der grammatische Kopf, der die morphosyntaktischen Eigenschaften des Gesamtworts festlegt. Implizite Ableitungen (3) werden parallel zu expliziten Suffigierungen (4) behandelt, um das Prinzip der Rechtsköpfigkeit aufrechtzuerhalten. Damit kann der Wortartenwechsel erklärt werden. (3) Salz [+ Subst.] -∅ [+ Verb] → salzen [+ Verb] (4) Freund [+ Subst.] -lich [+ Adj.] → freundlich [+ Adj.] Auch in der Flexionsmorphologie wird die Existenz von Nullsuffixen aus Analogien hergeleitet. In (5) wird der Pl. mit einem expliziten Suffix gebildet, in (6), wo keine Formveränderung den Pl. anzeigt, wird ein Nullsuffix angenommen. (5) ein Tisch [+ Sg.] → mehrere Tisch-e [+ Pl.] (6) ein Arbeiter [+ Sg.] → mehrere Arbeiter-∅ [+ Pl.] Damit kann dann eine allgemeinere Pluralregel formuliert werden (7). (7) Singularform + Pluralflexiv → Pluralform Die Annahme von Nullsuffixen ist umstritten, weil man nicht ein spezifisches Nullmorph mit einem spezifischen Lexikoneintrag annehmen kann. Alternative Vorschläge nehmen neben konkatenativen (verkettenden) morphologischen Regeln Ersetzungsregeln (8) an, die auf Nullmorphe verzichten. (8) Singularform → Pluralform Christine Römer

→ Nullallomorph; Nullmorph; Nullplural; Suffix ⇀ Nullsuffix (Wobi)

🕮 Bergenholz, H./ Mugdan, J. [2000] Nullelemente in der Morphologie. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morpho-

logie (HSK 17.1) Berlin [etc.]: 435–450 ◾ Olsen, S. [1990] Konversion als ein kombinatorischer Wortbildungsprozeß. In: LB

127: 185–216 ◾ Pinker, S. [2000] Wörter und Regeln. Heidelberg [etc.].

Numeral

≡ Numerale ⇀ Numeral (CG-Dt; SemPrag)

Numerale

sprachliches Zeichen, das eine Menge von diskreten Entitäten oder den relativen Stellenwert eines Elements einer solchen Menge konzeptualisiert und zum Ausdruck bringt. ▲ numeral: linguistic sign used for conceptualising and expressing a set of discrete entities or the relative value of an element of such a set. Das Numerale (Pl. Numeralia, Numeralien) ist ein sprachlicher Ausdruck für Zahlen, mit denen intern-relative und externe Mengen- oder Stellenwertbestimmungen konzeptualisiert werden. Der Unterschied zwischen den Primärzahlen und den abgeleiteten, höheren oder relativen Zahlen wird durch Ausdrucksregeln für mathematische Operationen zum Ausdruck gebracht. Die häufigsten sind Addition und Multiplikation (z.B. dt. vier und vierzig '4 + 4 × 10'), seltener Subtraktion (z.B. alttschech. bez jednoho dvadcĕti 'ohne 1 2 × 10', d.h. '19') und Division (z.B. hochsorbisch połsta 'halb hundert', d.h. '50'). Für diese Operationen sind die sog. Basen ein wichtiger Bezugspunkt. Für die meisten ide. Sprachen gilt die dezimale Basis, aber eine Analogie in der Ordinalzahlbildung im Sanskrit lässt Spuren einer früheren Fünferbasis erkennen, vermutlich basierend auf der Konzeptualisierung von 'Hand, mit fünf Fingern'. Die vigesimale Basis ist aus den roman. Sprachen, dem Dän., dem äußersten westlichen Slaw. u.a. bekannt. Quadragesimale und sexagesimale Basis kommen äußerst selten vor. Die sog. Verpackungsstrategie für die höheren Zahlen ist eine Beschränkung auf die arithmetischen Kombinationsmöglichkeiten, die besagt, dass komplexe Zahlwörter durch Kombination von höchstmöglichen einfacheren Zahlwörtern gebildet werden, wobei die Basenunterschiede zu beachten sind. Sprachabhängig können Numeralia Eigenschaften von Adjektiven, Nomina oder sogar Verben haben. In vielen Sprachen sind sie eine Wortart sui generis mit Eigenschaften, die nicht eindeutig einer anderen Wortart zuzuordnen sind. Dies spiegelt sich in der Syntax wider, indem Numeralien in den einzelnen Sprachen unterschiedliche Stellenwerte aufweisen (z.B. in

543 Numerus den modernen flektierenden slaw. Sprachen sind Numeralien Phrasenkernwörter im Nominativ bzw. in der Subjektfunktion, aber entsprechen adjektivischen Attributivbestimmungen in den anderen Fällen). Numeralien sind auch mit dem grammatischen Numerus eng verbunden und bedingen seine Redundanz in Numeralphrasen. Der nominale Ausdruck der gezählten Menge in der Numeralphrase hat meistens redundanten Numerus, z.B. im Dt. oder Engl. steht das Nomen im Pl. (vgl. dt. zwei Tische, engl. two tables), aber z.B. im Ung. im Sg. (vgl. ung. hat gyerek „sechs Kind“, d.h. 'sechs Kinder'). Prädikatskongruenz kann Numerusvariation aufweisen, die mit der Informationsstruktur zusammenhängt. Diese wird nicht immer in der Standardsprache zugelassen (vgl. engl. the board has/have said‚ dt. das Kommittee hat/*haben gesagt). ≡ Numeral; Zahlwort; Zählwort → § 9, 15; Indefinitum; Zeichen ⇀ Numerale (HistSprw) ⇁ numeral (Typol)

Jadranka Gvozdanovic

🕮 Corbett, G.G./ Fraser, N.M./ McGlashan, S. [eds. 1993] Heads in Grammatical Theory. Cambridge ◾ Corbett, G.G. [1983] Hier­ archies, Targets, and Controllers. Agreement Patterns in Slav­ ic. London ◾ Corbett, G.G. [2006] Agreement. Cambridge ◾ Gvozdanović, J. [ed. 1992] The Indo-European Numerals. Berlin [etc.] ◾ Gvozdanović, J. [ed. 1999] Numeral Types and Chang­ es Worldwide. Berlin [etc.] ◾ Wiese, H. [2003] Numbers, Lan­ guage, and the Human Mind. Cambridge.

Numerus

Kategorie des Nomens zur Kennzeichnung der Quantifizierung bzw. zur Angabe der Anzahl oder Menge von Elementen in einer Einzelsprache. ▲ number: category of the noun in an individual language for marking quantification or stating the number of elements. In natürlichen Sprachen wird der Unterschied zwischen Einzahl und Mehrzahl unterschiedlich formuliert, so dass zwischen der Bezeichnung von einer und mehr als einer diskret konzeptualisierten Entität differenziert werden kann. Das bedeutet nicht, dass alle Sprachen auch über die grammatische Kategorie Numerus verfügen, mit der der Ausdruck von Einzahl und Mehrzahl im grammatischen System verankert ist (vgl. Löbel 2009: 260). Bei Existenz der Kategorie Numerus zeigen Einzelsprachen erhebliche Unterschiede bzgl. der

Obligatorik der Numerusunterscheidung, der Anzahl der Subkategorien und der Kodierung der markierten Kategorie(n). Sprachen enthalten eine „automatische“ Markierung (vgl. Löbel 2009: 260), wenn Numerus eine obligatorische Kategorie ist, und eine nicht-automatische Numerusunterscheidung, wenn Numerus nur in „nötigen Fällen“ unterschieden wird (vgl. Corbett 2000: 14). Als obligatorische Kategorie findet man Numerus im Engl. und im Dt., während z.B. das Türk. und Ung. keine automatische Markierung vornehmen. Sprachen, in denen die Numerusunterscheidung nicht obligatorisch ist, können unterschiedliche Gründe für eine obligatorische Pluralmarkierung haben wie z.B. über TopikPosition, referentielle Verwendung des Nomens, die Opposition '±menschlich' bzw. '±definit' (vgl. Biermann 1982: 236f.). Viele Sprachen, auch Dt. und Engl., verfügen über die grammatische Kategorie Numerus und unterscheiden zwischen Sg. und Pl. Dabei ist Sg. die Basiskategorie und Pl. die markierte Kategorie. Im Frz. referiert der Pl. auf mehr als zwei Entitäten, im Dt. und Engl. auf mehr als eine Entität. Andere Sprachen (z.B. Sorbisch) unterscheiden zusätzlich den Dualis und haben ein System mit Singular-Dualis-Plural. Der Dualis referiert auf genau zwei Entitäten, Pl. auf drei oder mehr. In einigen Sprachen (z.B. austronesische Sprachen) besteht das Numerussystem aus Singular-Dualis-TrialisPlural. Da der Trialis auf genau drei distinktive Entitäten referiert, bedeutet Pl. hier vier oder mehr. Manche Sprachen unterscheiden neben Sg. und Pl. oder Sg., Pl. und Dualis zusätzlich den Paucalis, der auf eine kleine unbestimmte Anzahl (etwa manche, einige im Dt.) von distinktiven Entitäten referiert. Mit einer anderen Bedeutung wird der Paucalis im Russ. oder Kroatischen verwendet. Hier bedeutet er „kleiner Plural“ und wird nach den Zahlen 2, 3 und 4 (im Kroatischen nur bei Maskulina) verwendet (dazu und zu weiteren typologischen Unterschieden vgl. Corbett 2000: 20ff.). Sprachtypologisch ist die Korrelation zwischen Numerus und Genus in den Einzelsprachen wichtig, die sich auf die Kongruenz innerhalb der NP bezieht. So gibt es im Dt. zumindest im Sg. auch Genuskongruenz zwischen den Elementen in der NP. Im Pl. wird das Genus dagegen neutralisiert. Auf das vorhandene oder nicht vorhandene Zu-

N

Numerus 544

N

sammenspiel zwischen Numerus und Genus bezieht sich die Universalie Nr. 36 von Greenberg (1966: 95): „Wenn eine Sprache die grammatische Kategorie Genus hat, dann hat sie auch die grammatische Kategorie Numerus“. Umgekehrt trifft die Regel nicht zu. So haben viele Sprachen wie Ung., Türk., Finn., Estnisch die Kategorie Numerus, aber kein Genus (vgl. Löbel 2009: 261). Das Engl. hat sein Genussystem beim Nomen vollständig abgebaut, es hat Numerus jedoch weiterhin als obligatorische Kategorie. Die Kodierung der markierten Kategorie(n) ist sprachtypologisch ebenfalls vielfältig. Die Markierung erfolgt gewöhnlich auf der Basis des Nominativ Sg. als Grundform und als Zitierform in vielen Sprachen. Betrachtet man nur die Bildung des Pl., so kann man folgende Bildungsmittel unterscheiden: (a) Komposition (z.B. agya-nom [Vater-Leute; 'Väter'] im Twi, einer Akan-Sprache, vor allem in Ghana gesprochen); (b) Affigierung (mit den Möglichkeiten Präfigierung, Infigierung und Suffigierung); (c) Stammveränderung (dazu zählen die Reduplikation, z.B. efi ['Garbe'] und afiafi ['Garben'] in Nahuatl/Aztekisch und auch Lautveränderungen im Stamm) (vgl. Biermann 1982: 240). Im Dt. stellt die Pluralbildung ein komplexes System dar, in dem mit Wegener (1999) u.a. fünf Pluralmarker angenommen werden können. Die Bildung erfolgt durch Affixe, die unter Umständen mit dem Umlaut auftreten können, so dass es um ein System mit additiven und modulatorischen (den Stamm verändernden) Markern geht ((1)–(5)). (1) -(e)n: Bank-en oder Ampel-n (2) -(e): Tisch-e oder Wagen-∅ (3) ̇-̇(e): Flöh-e oder Väter (4) ̇-̇er: Wäld-er (5) -s: Opa-s In (1)–(3) geht es um Allomorphe mit oder ohne Schwa, deren Verwendung phonologisch bedingt und komplementär verteilt ist, so dass die Wahl zwischen -n und -en vorhersagbar ist. Das -e wird dann getilgt, wenn die Singularform mit einer schwahaltigen Silbe endet, die offen oder geschlossen sein kann. Wenn die Silbe geschlossen ist, darf sie aber nur durch einen Liquid oder Nasal geschlossen sein (vgl. Wegener 1999: 4). Das Suffix -er bewirkt immer einen Umlaut, wenn der Stammvokal des Nomens umlautfähig ist, so dass

die Bildung der Formen regelhaft ist. Im Gegensatz dazu folgt die Umlautung bei -(e) keinen Regelhaftigkeiten (vgl. Wegener 1999: 4). Neben der Anzahl unterschiedlicher Allomorphe tragen auch die Regeln der Zuweisung der einzelnen Marker zur Komplexität der dt. Pluralbildung bei. Sie hängt zum einen von der Struktur des Singularstamms und zum anderen vom Genus und von der Flexionsklasse des Nomens ab. Die drei Faktoren greifen jedoch nicht bei allen Markern gleich: Während für den s-Plural nur die Struktur des Stammes (das Nomen endet auf Vollvokal), nicht aber das Genus des Nomens relevant ist, z.B. Oma-s, Opa-s, Auto-s, Kiwi-s, wird die Zuordnung der anderen vier Marker durch die Genusund Flexionsklasse gesteuert. Dabei erhalten die Feminina meistens den Pluralmarker -(e)n, die schwachen Maskulina immer das Suffix -(e)n, die starken Maskulina und Neutra meistens -(e). Insgesamt geht es bei -s, -(e)n und -(e) um eine regelhafte Pluralbildung, auch wenn nur die sBildung und -(e)n bei den schwachen Maskulina sog. deterministische (d.h. immer zutreffende) Regeln darstellen. Die (e)n-Suffigierung bei Feminina und der (e)-Plural bei den starken Maskulina und Neutra folgen probabilistischen Regeln. Die Marker ̇-̇(e) und ̇-̇er sind ebenfalls genus- und flexionsklassengesteuert, sie gelten jedoch als „unregelmäßige“ Plurale (vgl. Wegener 1999: 7ff.). Neben Substantiven mit diskret konzeptuellem Gehalt, die sowohl im Sg. als auch im Pl. auftreten können, gibt es in zahlreichen Sprachen und auch im Dt. Nomina mit nicht diskret konzeptuellem Gehalt. Biermann (1982: 229f.) spricht dabei von transnumeralen Nomina. Formal korreliert das im Dt. mit einer Beschränkung auf die Singularoder Pluralform. Ein Nomen, das nur in der Singularform auftritt, ist ein Singularetantum. Dazu gehören Stoffnamen (z.B. Milch, Wasser, Schnee), Abstrakta (z.B. Ruhe, Lust, Hitze) und Kollektiva (z.B. Laub). Bei einigen dieser Substantive ist eine pluralische Verwendung und eine Pluralbildung unter Umständen möglich, z.B. Wässer, Sande, Milchsorten, Schneemassen, Hitzewellen. Die Bildung der Form erfolgt dabei häufig lexikalisch mithilfe einer Komposition (z.B. Milchsorten). Semantisch geht es bei diesen pluralischen Verwendungen um den sog. Sortenplural; die Nomina erhalten eine modifizierte Bedeutung und verhalten sich wie Appellativa, bei denen eine

545 Numeruskongruenz Unterscheidung zwischen Sg. und Pl. möglich ist (vgl. Löbel 2009: 266f.; Hentschel 2010: 205f.). Neben Nomina, die nur in der Singularform vorkommen, gibt es auch die Beschränkung auf die Pluralform. In diesem Fall spricht man von einem Pluraletantum. Dabei geht es semantisch um die Gegliedertheit bzw. Nicht-Gegliedertheit. Unter den Pluraliatantum findet man Zeitabschnitte (Ferien), Krankheiten (Pocken, Masern) und Fachtermini (Unkosten) (vgl. Löbel 2009: 267). Neben dem Nomen kann der Numerus einzelsprachenspezifisch auch bei den anderen nominalen Wortarten (Artikel, Adj., Pron.) und beim Verb auftreten. Im Falle von Artikel und Adj. geht es dabei um die Kongruenz in der NP, wobei das Nomen als Kopf der Phrase den Numerus bestimmt, z.B. dt. derSg. alteSg. TischSg. vs. diePl. altenPl. TischePl.. In anderen Sprachen wie z.B. Engl. oder Ung. werden Artikel und das attributive Adj. nicht flektiert, so dass keine Numeruskongruenz zwischen Nomen und Begleitern in der NP besteht, z.B. ung. a∅ régi∅ asztalokPl. ['die alten Tische']. Pronomina, vor allem Personalpronomina, stehen hingegen sowohl in flektierenden als auch in agglutinierenden Sprachen in der Regel in Numeruskongruenz mit dem Bezugsnomen, damit die Verständlichkeit von anaphorischen oder kataphorischen Verweisen gewährleistet ist. Dennoch kann es auch im pronominalen Bereich Numerusrestriktionen geben: Im Dt. können z.B. die Pronomina jeder, man, wer, was keine Pluralform bilden (vgl. Hentschel 2010: 204). Bei jeder und man geht es dabei um eine generalisierende Semantik, die eine Pluralform ausschließt. Das Verb steht bei beiden Pronomina im Sg. Bei wer oder was handelt es sich dagegen nur um eine formale Restriktion; denn das Verb kann je nach singularischer oder pluralischer Lesart im Sg. oder Pl. stehen. Numerus gilt auch beim Verb als Kongruenzkategorie (vgl. Bybee 1985), weil das Verb in der Regel mit dem Subjekt des Satzes kongruiert, das durch eine NP ausgedrückt werden kann. Beim nominalen Subjekt findet man jedoch in einigen Fällen Inkongruenz ((6), (7)). (6) Weihnachten ist ein schönes Fest. (7) Eine Menge Äpfel lag/lagen auf der Wiese. In (6) ist Weihnachten ein Pluraletantum, aber das Verb steht standardspr. im Sg. In (7) kann das Verb je nach syntaktischer (mit Äpfel) oder semanti-

scher (mit eine Menge) Kongruenz im Sg. und Pl. stehen. Zu diesen und weiteren Fällen der Inkongruenz vgl. Löbel (2009: 267ff.); Duden (2016). In sog. Pro-drop Sprachen (z.B. Ital., Türk., Ung.) kann das Verb unter Umständen auch alleiniger Numerusmarker im Satz sein: Wenn das Subjekt durch ein Personalpron. ausgedrückt wird, kann es bei unbetonter Verwendung im Satz wegfallen; die Personalendungen markieren Person und Numerus eindeutig. Im Dt. stehen Verben hingegen ausschließlich im Imperativ ohne Personalpronomina, zumal das Verbparadigma hochgradig synkretisch ist. Viktória Dabóczi

→ § 9, 16; Äquivalenzdual; duale tantum; Dualis; Kollektivum; Kontinuativum; morphologische Kategorie; Nullplural; Plural; Pluraletantum; Singular; Singularetantum ⇀ Numerus (HistSprw; SemPrag; CG-Dt) ⇁ number (Typol)

🕮 Biermann, A. [1982] Die grammatische Kategorie Numerus. In: Seiler, H.-J./ Lehmann, C. [Hg.] Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen (LgUS 1). Tübingen: 229–243 ◾ Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation between Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Greenberg, J.H. [1966] Language Universals, with special reference to feature hierarchies. (JanLing-Minor-H 59). The Hague [etc.] ◾ Hentschel, E. [2010] Numerus. In: Hentschel, E. [Hg.] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.]: 203–206 ◾ Löbel, E. [2009] Numerus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 260–270 ◾ Wegener, H. [1999] Die Pluralbildung im Deutschen – ein Versuch im Rahmen der Optimalitätstheorie. In: Linguistik onl 4, 3/99: 1–55.

Numeruskongruenz

Übereinstimmungsrelation hinsichtlich der Kategorie des Numerus. ▲ agreement in number: correspondence relation with respect to the category of number. Numeruskongruenz ist eine Übereinstimmungsrelation, die in vielen Sprachen der Welt von einem Subst. oder einem selbständig gebrauchten Pron. als Kontrolleur der Kongruenzbeziehung ausgeht und entsprechend des vorliegenden Kongruenzsystems z.B. auf die Begleiter des Subst., das finite Verb oder einen prädikativen Ausdruck übertragen wird, für welche Numerus dann ein Kongruenzmerkmal ist (Fem. = Femininum; Mask. = Maskulinum). (1) LaFem.Sg. miaFem.Sg. piccolaFem.Sg. sorellaFem.Sg. è contentaFem.Sg..

N

Numeruskongruenz 546 (1a) IlMask.Sg. mioMask.Sg. piccoloMask.Sg. fratelloMask.Sg. è contentoMask.Sg.. Die grammatische Kategorie Numerus verfügt z.B. im Dt. über die Opposition Singular vs. Plural, wobei der Sg. die Grundform und der Pl. die markierte, von der Grundform abgeleitete Einheit ist. Manche Sprachen verfügen darüber hinaus über einen Dualis (z.B. Got., Altgriech., einige slaw. Sprachen) und einige zusätzlich über einen Trial (z.B. einige ozeanische Sprachen). Bei Sub­stantiven, für die Numerusbeschränkungen gelten (z.B. Singulariatantum, Pluraliatantum, Sortenplural bei Stoff-

N

nomina, Abstrakta), ist Numerus ein lexikalisches Merkmal. Für das Dt. gelten bei der Numeruskongruenz einige Besonderheiten, wenn das Subjekt durch mehrere Elemente repräsentiert wird oder Maßangaben enthält. Agnes Kolmer

→ Dualis; Numerus; Plural; Singular; Sortenplural → Gram-Syntax: Kongruenz

🕮 Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Jaeger, C. [1992] Probleme der syntaktischen Kongruenz. Theorie und Normvergleich im Deutschen. Tübingen.

O objektgebundenes Adjektiv

Adjektiv, das in Bezug auf die Substantive, die es modifizieren kann, eingeschränkt bzw. an das vom Substantiv denotierte Objekt gebunden ist. ▲ collocationally constrained adjective: adjective whose collocational properties constrain it as to the noun and type of object it can modify. Objektgebundene Adjektive kommen in natürlichen Sprachen nicht übermäßig häufig vor. Es handelt sich dabei um Adjektive wie blond, das sich eindeutig auf eine Haarfarbe bezieht und nicht zur Modifikation beliebiger Substantive eingesetzt werden kann, während das bei einem Adj. wie gelb der Fall ist, z.B. blondes Haar, nicht aber *blonde Socken (Abraham 1988: 15).

→ Adjektiv; Substantiv

Elisabeth Bertol-Raffin

🕮 Siepmann, D. [2005] Collocation, Colligation and Encoding Dictionaries. Part I: Lexicological Aspects. In: IJL 18/4: 409–443.

Der Objektsdativ ist eine kasusregierte dativische NP, die als Argument zum Verb fungiert. Er kommt überwiegend bei ein-, zwei, und dreiwertigen Verben vor und kann obligatorisch ((1), (2)) oder fakultativ ((3), (4)) auftreten (Helbig/Buscha 2001: 257f.). (1) Mir graut es. (2) Er begegnete ihm. (3) Sie bot (ihm) ein Bier an. (4) Sie erzählte (dem Kind) ein Märchen. Aufgrund seiner Valenzgebundenheit unterscheidet sich der Objektsdativ von den freien Dativen, die in der Regel nicht zur Argumentstruktur des Verbs gezählt werden. Fabio Mollica

↔ freier Dativ → Dativ; Objektskasus → Gram-Syntax: Dativobjekt; Nominalphrase; syntaktische Funktion

Objektsakkusativ

Nominalphrase im Akkusativ in der syntaktischen Funktion des Objekts. ▲ accusative object: noun phrase in the accusative case in the syntactic function of an object. Pál Uzonyi

↔ Adverbialakkusativ → Akkusativ; freier Akkusativ; Kasus → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; syntaktische Funktion

🕮 Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

Objektsdativ

is required by a verb and has the syntactic function of the dative object.

verbregierte Nominalphrase im Dativ, die in der syntaktischen Funktion des dativischen Objekts ­auftritt. ▲ dative object: nominal phrase in the dative which

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Objektsinfinitiv

Infinitiv, der die syntaktische Funktion des Akkusativobjekts erfüllt. ▲ infinitive as direct object: infinitive which functions as a direct object of the clause. Der Objektsinfinitiv ist syntaktisch von einem finiten Vollverb abhängig. Es handelt sich dabei entweder um nicht satzwertige Infinitive mit und ohne zu bei Wahrnehmungsverben und Verben

Objektskasus 548 wie lassen, lehren, nennen, wissen, suchen usw. ((1), (2)) oder um zu-Infinitive in Infinitivkon­ struk­tionen ((3), (4)). (1) Ich lehre ihn Klavier spielen. (2) Ich weiß das zu schätzen. (3) Ich hoffe, ihn bald wieder zu sehen. (4) Ich verspreche dir, den Arzt morgen früh anzurufen. György Scheibl

→ Infinitiv; Vollverb → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; Infinitivkonstruktion; syntaktische Funktion

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Objektskasus

vom Verb regierte Akkusativ-, Dativ- oder Genitivergänzung, die auch als oblique Kasus bezeichnet werden. ▲ object case; objective case: accusative, dative or genitive complement required by the verb, also referred to as oblique case. Petra Szatmári

→ Objektsdativ; Verb → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; casus obliquus; Dativergänzung; Genitivergänzung; Kasusrektion

O

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Rosenberg, P. [2016] Regularität und Irregularität in der Kasusmorphologie deutscher Sprachinselvarietäten (Russland, Brasilien). In: Köpcke, K.-M./ Bittner, A. [Hg.] Regularität und Irregularität. Berlin [etc.] [unter: https://www.kuwi.europa-uni. de/de/lehrstuhl/sw/sw1/mitarbeiter/rosenberg/_Rosenberg_ Regularitaet-und-Irregularitaet-in-der-Kasusmorphologiedeutscher-Sprachinselvarietaeten-_Russland-Bras_.pdf: 1–34; letzter Zugriff: 25.02.2018].

obligatorisch reflexives Verb

Verb, das nur zusammen mit einem Reflexivpronomen auftritt. ▲ obligatorily reflexive verb: verb which requires a reflexive pronoun. Obligatorisch reflexive Verben treten immer zusammen mit einem Reflexivpron. auf (vgl. Engel 2009) und erhalten zusammen mit dem Reflexivpron. eine Gesamtbedeutung. (1) Uwe schämt sich. (2) Sie hat sich erkältet. (3) Der Kollege bewirbt sich.

Demzufolge haben sie keine nicht reflexiven Verwendungen und sind mit referenziellen Objekten nicht verwendbar. (1a) *Uwe schämt ihn. (2a) *Sie hat das Kind erkältet. (3a) *Der Kollege bewirbt seine Freundin. Duden (1998: 108f.) nennt die obligatorisch reflexiven Verben echte reflexive Verben, die in zwei Subklassen geteilt werden: „nur reflexive Verben“, die in allen Bedeutungen mit dem Pron. auftreten (z.B. sich sehnen, sich etw. verbitten), bzw. „teilreflexive Verben“, die nicht in allen Bedeutungen mit einem Reflexivpron. stehen (z.B. erinnern und sich erinnern). Pál Uzonyi ≡ reflexivum tantum → reflexives Verb; Reflexivpronomen; teilreflexives Verb

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725.

obligatorischer Dativ

Nominalphrase im Dativ, die obligatorisch im Satz vorkommen muss. ▲ obligatory dative: dative nominal phrase which is obligatory in the sentence.

Dative können im Satz obligatorisch oder fakultativ vorkommen. Laut Wegener (1985: 79) scheinen Dative generell entbehrlich zu sein. Obligatorisch sei der Dativ (= DAT) lediglich bei dem Pertinenzdativ und bei ExperiencerDAT-NP. (1) Sie streichelte ihm die Hand. [obligatorischer Pertinenzdativ] (2) Mir ist kalt. [obligatorische ExperiencerDATNP] (3) Ihr gefallen rote Rosen. [obligatorische ExperiencerDAT-NP] (4) Er schenkte (mir) eine Blume. [fakultative RezipientenDAT-NP] Bei fehlen, kommen, gelten, liegen ist die Dativ-NP dann obligatorisch, wenn diese Verben als psychische gebraucht werden (Wegener 1985: 80). (5) Ihr fehlt die Mutter. [obligatorische ExperiencerDAT-NP] (6) Uns liegt dieser Job nicht. [obligatorische ExperiencerDAT-NP] Obligatorisch ist der Dativ außerdem (a) bei Verben mit einem großen Bedeutungsumfang wie

549 Obviativ geben (7); (b) bei einer sehr kleinen Anzahl von Verben wie begegnen, eröffnen (im Sinne von mitteilen), folgen, leihen, an-/ausziehen (nur bei irreflexivem Dativ) oder bei der Wendung jmdm. Dank/Anerkennung aussprechen ((9), (10)) (vgl. Wegener 1985: 79f. bzw. E-VALBU). (7) Maria gibt ihrem Mann das Geschenk. [obligatorische RezipientenDAT-NP] Bezeichnet jedoch die Akkusativ-NP ein Abstraktum, ist der Dativ nicht mehr notwendig (8). (8) Sie wollten (den Journalisten) keine Auskünfte über den Mord geben. (9) Ich konnte der Handlung des Films nicht mehr folgen. (10) Ich bin ihm letzte Woche im Supermarkt begegnet. Fabio Mollica

→ Dativ; freier Dativ; Objektsdativ → Gram-Syntax: Dativobjekt; fakultative Ergänzung; obligatorisch; Satz

🕮 E-VALBU = Institut für Deutsche Sprache: Wörterbuch zur Verbvalenz. Grammatisches Informationssystem grammis [Unter http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index. html; letzter Zugriff: 13.03.2018] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen.

obligatorischer Umlaut

ausnahmslos auftretende Umlautung eines umlautfähigen Vokals. ▲ obligatory umlaut: invariably occurring umlaut. Im Dt. tritt der Umlaut obligatorisch in Verbindung mit dem Pluralmarker -e bei Feminina und mit -er bei Neutra auf, z.B. Hand – Hände, Haus – Häuser. Bei Maskulina mit e- oder ∅-Plural ist er lexikalisch geregelt; so erscheint er bei Bach – Bäche (Umlaut) aber nicht bei Tag – Tage (ohne Umlaut) sowie Graben – Gräben (Umlaut) vs. Wagen – Wagen (ohne Umlaut). Renata Szczepaniak

→ morphologischer Umlaut; Umlaut; Vokalwechsel

🕮 Wurzel, W.U. [1984] Was bezeichnet der Umlaut im Deutschen? In: ZPSK 37/6: 647–663.

Obviativ

morphologisches Merkmal sprachlicher Formen in der dritten Person, durch das die bezeichneten Objekte oder Personen als nicht unmittelbar vorerwähnt oder als außerhalb des Fokus stehend gekennzeichnet werden. ▲ obviative: morphological feature of a linguistic

form in the third person which marks a person or an object as not previously introduced or as focus-external in the discourse context. Der Obviativ wird in einigen Sprachen in Abgrenzung zu Proximatformen verwendet, um zwischen verschiedenen dritten Personen zu unterscheiden. Er wird daher häufig als vierte Pers. bezeichnet. Ist in einem Äußerungszusammenhang von mehreren dritten Personen die Rede, so wird die am stärksten im Fokus stehende als proximat markiert, alle anderen als obviativ. Die Proximatform kennzeichnet dabei typischerweise die Person, aus deren Perspektive ein Zusammenhang geschildert wird, während der Obviativ Subjekte oder Objekte als weniger prominent markiert, z.B., weil ihr Standpunkt nicht vom Sprecher eingenommen wird, weil sie nicht-menschlich sind oder sie bisher noch nicht in den Diskurs eingeführt worden sind. Der Obviativ kommt in einigen indigenen Sprachen Nordamerikas vor, z.B. Plains Cree, Ojibwa und Navajo, aber auch in Tzotzil (Maya) und Chamorro (West-Austronesien); dazu ein Textbeispiel aus dem Ojibwa (südwestlicher Dialekt) (Jones 1917: 257, zitiert nach Mithun 1999: 78; Proximat ist fett, Obviativ unterstrichen markiert): (1) Nenabozhoo omaa nawaj igo noopiming ezhiazaadiisagokaazod. (1a) There towards the woods Nenabozh [PROXIMATE] turned into a poplar. (2) Zhigwa bi-ispagoojinooniniw giizisoon. (2a) The sun [OBVIATIVE] rose high. (3) Owaabandaan gagizhibaajiwaninigihiw zaagahigan. (3a) He [PROXIMATE] saw the lake [OBVIATIVE] with ripples circling out. (4) Notamomakakiinmooshkarnowan, gaye go anooj igo ihiwisamanidooh. (4a) First the frog [OBVIATIVE] surfaced, and then various other spirits [OBVIATIVE] Uneinigkeit besteht darüber, ob der Obviativ auf der Ebene der Syntax oder als Diskurselement zu kategorisieren ist.

→ Gram-Syntax: Fokus ⇁ obviative (Typol)

Lena Heine

🕮 Aissen, J. [1997] On the Syntax of Obviation. In: Lg 73/4: 705–750 ◾ Jones, W. [1917] Ojibwa texts (ed. by T. Michelson) (PAmEthnSo 7/1). Leiden ◾ Mithun, M. [1999] The Languages of Native North America. Cambridge [etc.].

O

offene Klasse 550

offene Klasse

Gruppe von Wörtern, die ihren Bestand vermehren kann. ▲ open class; open word class: group of words that can expand its inventory. Die Charakterisierung offene Wortklasse bezieht sich i.e.S. auf die Erweiterungsmöglichkeit des Bestandes einzelner Wortarten durch produktive Wortbildungsregeln. I.w.S. (z.B. bei L. Hjelmslev 1962) schließt die Charakterisierung alle Erweiterungsmöglichkeiten im Wortschatz ein. Dies betrifft auch das Wachsen der Wortklassen durch Entlehnungen oder die Bedeutungserweiterungen bei einzelnen Lexemen von Wortklassen.

↔ geschlossene Klasse → Wortart ⇀ offene Klasse (CG-Dt) ⇁ open class (CG-Engl; Typol)

Christine Römer

🕮 Hjelmslev, L. [1962] Možno li sčitat', čto značenija slov obrazujut strukturu? In: Novoe v lingvistike. Bd.2. Moskau.

onomatopoetische Interjektion

O

satzwertiges Wort, das Tierlaute oder andere Geräusche nachahmt. ▲ onomatopoetic interjection: word that can form an independent clause and imitates animal sounds or other sounds.

Die onomatopoetischen Interjektionen sind Zeichen mit ikonischem Charakter, indem sie außersprachliche Lautphänomene nachbilden. Typisch sind die Tierlaute (1), aber auch andere Geräusche werden gelegentlich mit Wörtern nachgeahmt (2). (1) wau, piep, brumm, muh (2) platsch, ticktack Diese Wörter sind satzwertig, so dass sie zu den Interjektionen gezählt werden. Viele von ihnen können zu Verben weiter gebildet werden (miauen, summen, platschen). Unter Umständen sind sie erfragbar (Was sagt der Hund? Wie geht die Uhr?). Am häufigsten kommen sie in der Kindersprache vor. Trotz ihrer außersprachlichen Motiviertheit sind sie konventionalisiert, was im Sprachvergleich zu sehen ist. Die Stimme des Hahns wird auf dt. z.B. mit kikeriki, auf frz. mit cocoriko, auf ung. mit kukurikú wiedergegeben. Bestimmte onomatopoetische Interjektionen dienen als Lockruf für Tiere ((3) für Katzen, (4) für Hühner). (3) Miez, miez!

(4)

Put, put!

Attila Péteri

→ ikonisches Zeichen; Interjektion; Interjektionspartikel; Motivierung

→ Gram-Syntax: Satzäquivalent

🕮 Burkhardt, A. [1998] Interjektionen: Begriff, Geschichte(n), Paraphrasen. In: Harden, T./ Hentschel, E. [Hg.] Particulae particularum. Festschrift zum 60. Geburtstag von Harald Weydt. Tübingen: 43–73 ◾ Ehlich, K. [1986] Interjektionen. Tübingen ◾ Reber, E./ Couper-Kuhlen, E. [2010] Interjektionen zwischen Lexikon und Vokalität: Lexem oder Lautobjekt? In: Deppermann, A./ Linke, A. [Hg.] Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. Berlin [etc.]: 69–96.

optativer Konjunktiv

Konjunktiv der deontischen Modalität, welcher den erfüllbaren Wunsch eines Zustands oder Geschehens bezeichnet. ▲ subjunctive in the optative mood: subjunctive of the deontic modality which signifies the satisfiable wish of a situation or an action. Im Dt. wird im Konjunktiv-Paradigma nicht zwischen erfüllbaren und nicht-erfüllbaren Wünschen unterschieden. Beide gehören zum Bereich des volitiven Konjunktivs. Sprachgeschichtlich ist der dt. Konjunktiv aus dem idg. Optativ hervorgegangen. ≡ Konjunktiv des Wunsches → Konjunktiv; volitiver Konjunktiv → Gram-Syntax: objektive Modalität; Optativ

Richard Schrodt

🕮 Dobrushina, N./ Auwera, J. van der/ Goussev, V. [2013] The Optative. In: Dryer, M.S./ Haspelmath, M. [eds.] The World Atlas of Language Structures. Oxford: 298–301 ◾ Palmer, F.R. [1986] Mood and Modality. Cambridge.

Ordinaladverb

aus einer Ordinalzahl gebildetes Adverb. ▲ ordinal adverb: adverb derived from an ordinal number. Der Terminus wird von Weinrich (1993: 454) verwendet und bezeichnet ein aus einem Ordinalzahlwort gebildetes Adverb wie erstens, zweitens, drittens.

→ Adverb; Ordinalzahlwort

Kjell-Åke Forsgren

🕮 Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Ordinalzahlwort

Numerale, mit dem die relative Reihenordnungs-

551 Ortsadverb eigenschaft eines Elements in einer geordneten Menge ausgedrückt wird. ▲ ordinal numeral: linguistic sign for a relative sequential property of an element of an ordered set. Ordinalzahlwörter bringen die Position oder Rangordnung in einer sequentiellen Reihenfolge zum Ausdruck. Sie sind konzeptionell wie auch meistens formal von den Kardinalzahlen abgeleitet (vgl. dt. vier (Kardinalzahl), der/die/das vierte (Ordinalzahl)). Sie haben attributähnliche Eigenschaften, können aber auf sprachspezifischer Basis auch andere Wortfolgeeigenschaften zeigen (vgl. engl. the fifth of December bzw. December fifth ['der fünfte Dezember']).

≡ Aufzählungswort; Ordnungszahlwort → Numerale ⇁ ordinal numeral (Typol)

🕮 Gvozdanović, J. [ed. 1992] The Indo-European Numerals. Berlin [etc.] ◾ Menninger, K. [1958] Zahlwort und Ziffer – eine Kulturgeschichte der Zahl. Göttingen.

Ordnungszahlwort ≡ Ordinalzahlwort

Ortsadverb

≡ Lokaladverb

Jadranka Gvozdanovic

O

P paarige Konjunktion

mehrteiliger Konjunktor, dessen Bestandteile getrennt stehen und sich über beide Konnekte verteilen. ▲ discontinuous conjunction: conjunction consisting of two separate parts which are shared between the conjuncts. Zu den paarigen Konjunktionen zählen die additiven sowohl ... als auch ..., nicht nur ... sondern auch ..., das negativ-additive weder ... noch ... sowie das alternative entweder ... oder ... . Im Gegensatz zu ihren einteiligen Entsprechungen (1) können die paarigen Konjunktionen nicht mehr als zwei Elemente koordinieren (2). (1) In ihrer Kunst beschäftigt sie sich mit wissenschaftlichen, sozialen und moralischen Fragen. (2) In ihrer Kunst beschäftigt sie sich sowohl mit sozialen als auch mit moralischen Fragen. Ein syntaktischer Unterschied zu den einteiligen Konjunktionen (4) besteht darin, dass die paarigen Konjunktionen bei satzwertigen Konnekten im Vorfeld stehen können (3). (3) Weder wurde das Gerücht bestätigt, noch wurde es verneint. (4) Das Gerücht wurde nicht bestätigt, und es wurde nicht verneint. Überdies erlauben die paarigen Konjunktionen anders als der Konjunktor und keine Weiterinterpretation mittels konversationeller Implikatur zu anderen Relationen ((5), (6)). (5) Ich ging in die Oper und sah mir Don Giovanni an. [temporal] (6) ??Ich ging sowohl in die Oper als auch sah ich mir Don Giovanni an. Melitta Gillmann

↔ einteilige Konjunktion → additiver Konjunktor; alternativer Konjunktor; Konjunktion; Konjunktor; mehrteilige Konjunktion

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Paradigma

Gesamtmenge der Elemente einer Austauschklasse, z.B. sämtliche Wortformen eines Lexems. ▲ paradigm: total set of elements of a substitute class, e.g. all word forms of a lexeme. Ein Paradigma ist eine geordnete Menge von ling. Formen, die in paradigmatischer Beziehung zueinander stehen. Es handelt sich dabei um ein Set von Formen, arrangiert auf der Basis ihrer Funktionen, d.h. die Menge aller Form/Funktions-Paare eines Paradigmas (Lieb 2005: 1613; Lieb 1993). Die ling. Formen können phonologische, morphologische oder syntaktische Einheiten sein. Das phonologische Paradigma ist eine Menge von kategorisierten phonologischen Grundformen. Die phonologischen Elemente können z.B. nach ihren Lauteigenschaften oder nach ihren Positionsmöglichkeiten (z.B. in der Silbenstruktur) klassifiziert werden. Durch Bildung von Minimalpaaren kann zudem untersucht werden, welche Elemente (Laute) in identischer phonologischer Umgebung einen Bedeutungsunterschied auslösen. Das morphologische Paradigma ist eine Menge von kategorisierten morphologischen Grundformen. Die morphologischen Einheiten werden in Stammparadigmen nach ihren Stammformen, z.B. nach Ablaut oder Umlaut, oder in Affixparadigmen nach ihrer „kategorialen Wirkung“ (Eisenberg 2013: 28), z.B. nach Wortbildungstypen, klassifiziert. Das syntaktische Paradigma ist eine Menge

Paradigma 554

PQ

von kategorisierten syntaktischen Grundformen. Die syntaktischen Einheiten werden nach Wortart und innerhalb der Wortart nach den für die Wortart relevanten grammatischen Merkmalen kategorisiert. Auf Wortebene heißt dies, dass ein Paradigma die Gesamtheit der syntaktischen Wörter eines Lexems ausmacht, wobei das Lexem selbst dem Paradigma entspricht und die einzelnen Wortformen (in flektierenden Sprachen) die einzelnen Elemente des (Flexions-)Paradigmas bilden. Die Formen haben demnach dieselbe lexikalische Bedeutung, aber eine jeweils unterschiedliche Ausgestaltung der morphosyntaktischen Merkmale gemäß den für das Paradigma relevanten Kategorisierungen. Die Kategorisierungen ihrerseits bestehen aus einer Menge von Kategorien, die die einzelnen morphosyntaktischen Merkmale repräsentieren. Beim Wortparadigma werden die Kategorisierungen durch die Wortart bestimmt: Jede Wortart (z.B. Nomen) besteht aus bestimmten Kategorisierungen (z.B. im Dt. Numerus und Kasus beim Nomen). Jede Kategorisierung wird in Kategorien unterteilt (z.B. Sg./Pl. für Numerus, Nominativ/Genitiv/Dativ/Akkusativ für Kasus). Diese Kategorien werden auch Einheitenkategorien genannt, da sie die ling. Einheiten, d.h. die Wortformen innerhalb des Lexems, differenzieren. Kategorien, die dem gesamten Paradigma zukommen, wie z.B. Genus beim Nomen, werden Wortkategorien (Paradigmenkategorien) genannt, da sie nicht einzelne ling. Einheiten, sondern Lexeme kategorisieren. Wortkategorien ermöglichen die Subkategorisierung innerhalb von Wortklassen, z.B. kann die nominale Klasse, die alle kasusflektierenden Einheiten umfasst, weiter in PRO (= Pronomen), ART (= Artikel), ADJ (= Adjektiv) und SBST (= Substantiv) unterteilt werden (Eisenberg 2006: 19). Die Einheitenkategorien und die Wortkategorien zusammengenommen machen die Markierungskategorien aus, die es ermöglichen, eine ling. Einheit morphosyntaktisch eindeutig zu beschreiben. In den verschiedenen Merkmalsausprägungen (den Wortformen) eines Paradigmas werden die verschiedenen Kategorien ausgedrückt, die für die Kategorisierungen relevant sind. Die Relationen zwischen den Kategorisierungen können in einer Kreuzklassifikation zum Ausdruck kommen. Diese werden meist als Paradigmentabel-

len dargestellt. Potenziell steht in jedem Feld der Paradigmentabelle eine eigene Form. Dies ist besonders bei agglutinierenden Sprachen, in denen sich die einzelnen Merkmale aneinandergereiht mit dem Stamm verbinden, der Fall. Häufig wird aber ein und dieselbe Form für mehrere Felder verwendet (sog. Synkretismus), d.h., die Formen sind bzgl. eines oder mehrerer Merkmale ambig (wie z.B. die Kategorisierung Kasus bei einem Nomen wie Löwe) und damit unterspezifiziert. Einzelne morphsyntaktische Merkmale bleiben auch gänzlich unrealisiert (wie z.B. Nominativ im Sg.). Unflektierbare Wortarten wie Präposition oder Partikel bestehen immer aus einer einzigen Wortform, da keine grammatischen Kategorien zu unterscheiden sind. Es handelt sich dann um uneigentliche Paradigmen. Dies ist bei isolierenden Sprachen, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht flektieren, generell der Fall: Das Paradigma besteht immer aus einer einzigen Form, wodurch auch die Unterscheidung von Lexem und syntaktischer Wortform obsolet wird. Besteht das Paradigma aus Wortformen, die auf verschiedenen Stämmen beruhen, spricht man von Suppletivformen. Häufig treten Suppletivformen bei frequenten Lexemen auf. Beispiele hierfür sind die Komparation von einigen frequenten Adjektiven (gut – besser) oder die verschiedenen Flexionsformen des Verbs sein (bin, war usw.). Während das syntaktische Paradigma i.e.S. nur synthetische Formen umfasst (und bei Eisenberg 2013: 145 nur dann als „Flexionsparadigma“ bezeichnet wird), werden i.w.S. auch analytische Formen miteinbezogen (bei Eisenberg 2013: 146 allgemein als „Wortparadigma“ bezeichnet). Bei synthetischen Formen werden die Kategorien, d.h. die morphosyntaktischen Merkmale, durch Flexionsendungen und/oder durch Veränderungen im Stamm (wie Umlaut, Ablaut) ausgedrückt, bei analytischen Formen durch Hilfswörter (wie Auxiliarverben). Z.B. wird bei schwachen Verben die Kategorie Präteritum allein durch Flexionssuffixe, bei starken Verben durch Flexionsendung plus Ablaut ausgedrückt. Beim Nomen wird der Plural bei einigen Nomen (z.B. Vater – Väter) allein durch Umlaut, bei einigen anderen Nomen (z.B. Gast – Gäste) durch Flexionsendung plus Umlaut ausgedrückt. Diese Formen sind allerdings nicht mehr produktiv. Periphrastische Formen kommen z.B. beim Verb in der Kategorisierung

555

paradigmische Fuge

Tempus für die Kategorien Perfekt und Plusquamperfekt vor (wie z.B. ist gegangen, war gegangen). Im Gegensatz zu lexikalischen Paradigmen, die theoretisch beliebig erweiterbar sind, sind phonologische und grammatische Paradigmen abgeschlossen, d.h., sie sind weder veränder- noch erweiterbar (vgl. Duden 2009), da sie durch endliche Kategorisierungen (und deren endlichen Kategorien) determiniert sind. Rebekka Studler

→ § 11, 14; Flexionskategorie; Flexionsparadigma; Imperativ-

paradigma; Lexem; lexikalisches Paradigma; Paradigmatik; syntaktisches Paradigma; unvollständiges Paradigma; Verbalkategorie; Verbparadigma; Wortform → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; paradigmatische Beziehung; Paradigmenkategorie; Syntagma; syntagmatische Beziehung; syntaktische Einheitenkategorie ⇀ Paradigma (CG-Dt; Phon-Dt; Lexik) ⇁ paradigm (CG-Engl; Phon-Engl; Typol; TheoMethods)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik (Duden 4). 8., überarb. Aufl. Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Lieb, H.-H. [1993] Paradigma und Klassifikation. Explikation des Paradigmenbegriffs. In: ZS 11/1: 3–46 ◾ Lieb, H.-H. [2005] No­ tions of paradigm in grammar. In: Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P. [Hg.] Lexikologie (HSK 21.1). 2. Aufl. Berlin: 1613–1646. ◾ Saussure, F. de [1916/2013] Cours de linguistique générale. Zweisprachige Ausgabe französisch-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar. Hg. von P. Wunderli. Tübingen.

Paradigma, grammatisches

Paradigma, verbales → verbales Paradigma

Paradigmatik

Komponente des Sprachsystems, die sich mit paradigmatischen Beziehungen befasst. ▲ paradigmatics: subsystem of language dealing with paradigmatic relations. Nach Ferdinand de Saussure besteht das Sprachsystem aus einer horizontalen und einer vertikalen Sphäre (oder Ebene). Auf der horizontalen Ebene werden die linearen (oder syntagmatischen) Verhältnisse festgemacht, auf der vertikalen Ebene die assoziativen (oder paradigmatischen). Jeder sprachliche Ausdruck erhält einen Wert (valeur), der sich aus seinen horizontalen und vertikalen Beziehungen zu anderen sprachlichen Ausdrücken im Sprachsystem berechnen lässt. Die Paradigmatik, die (neben der Syntagmatik) eine dieser beiden Grundrelationen des Sprachsystems betrifft, setzt sich mit den vertikalen Relationen zwischen zwei oder mehr Ausdrücken auseinander. Rebekka Studler

→ Paradigma → Gram-Syntax: paradigmatische Beziehung; Sprachsystem; Syntagmatik

🕮 Happ, H. [1985] 'Paradigmatisch' – 'syntagmatisch'. Zur Bestimmung und Klärung zweier Grundbegriffe der Sprachwissenschaft. Heidelberg ◾ Lieb, H.-H. [1993] Paradigma und Klassifikation. Explikation des Paradigmenbegriffs. In: ZS 11/1: 3–46 ◾ Saussure, F. de [1916] Cours de Linguistique Générale. Paris.

→ syntaktisches Paradigma

paradigmatische Fuge

→ lexikalisches Paradigma

paradigmische Fuge

Paradigma, lexikalisches Paradigma, morphologisches → morphologisches Paradigma

Paradigma, pronominales → pronominales Paradigma

Paradigma, syntaktisches → syntaktisches Paradigma

Paradigma, unterspezifiziertes → unterspezifiziertes Paradigma

Paradigma, unvollständiges → unvollständiges Paradigma

≡ paradigmische Fuge

Fugenelement, das formal einem Flexionsaffix des gleichen Wortes entspricht. ▲ paradigmic linking element: linking element which is formally equivalent to an inflectional affix of the same word. Die formale Übereinstimmung zwischen nominalen Wortbildungsstämmen und Flexionsformen (Genitiv Sg./Pl.) dient als Unterscheidungskriterium zwischen paradigmischen (formal übereinstimmend: (des) Tages und Tages + licht oder (die) Kinder und Kinder + wagen) und unparadigmischen Fugenelementen (= FE) (nicht formal übereinstimmend: (der) Arbeit(en) und Arbeits +

PQ

parallele Beugung 556 schritt). Nur fünf FE werden paradigmisch verwendet: ‑es (Jahres + beitrag), ‑n (Damen + fahrrad), ‑e (Schweine + fett), ‑ns (Namens + schild) und ­-er (Hühner + ei). Sowohl paradigmisch als auch unparadigmisch tritt das hochproduktive Fugens (paradigmisch: Geburtstags + fest, unparadigmisch: Freiheits + gedanke), -ens (paradigmisch: Herzens + lust, unparadigmisch: Schmerzens + geld) und ‑en (paradigmisch: Bären + dienst, unparadigmisch: Hahnen + schrei) auf. Dabei sind -ens und -en diachron paradigmisch, d.h. die Wortbildungsstämme entsprechen einer früheren Flexionsform (z.B. frnhd. des Hanen – schwaches Maskulinum). Die paradigmischen Fugenelemente haben sich aus Genitivsuffixen (im Sg. oder Pl.) entwickelt, die im Zuge der Zusammenrückung des pränominalen Genitivs und des folgenden Kernnomens (des Tages Licht → Tageslicht) als Teil des Wortbildungsstamms reanalysiert und damit hinsichtlich des Kasus (einer externen morphosyntaktischen Eigenschaft) neutralisiert wurden (Gallmann 1998). Lediglich die Numerusinformation (eine interne morphosyntaktische Eigenschaft) kann noch mit Hilfe der paradigmischen Fugenelemente ausgedrückt werden, z.B. Landeskunde vs. Länderkunde.

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Renata Szczepaniak ≡ paradigmatische Fuge ↔ nicht-paradigmische Fuge → (e)ns-Fuge; (e)s-Fuge; Fugenelement; Fugen-s; Pluralfuge

🕮 Demske, U. [2001] Merkmale und Relationen. Diachrone Studien zur Nominalphrase im Deutschen (SLG 56). Berlin [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Gallmann, P. [1998] Fugenmorpheme als Nicht-Kasus-Suffixe. In: Butt, M./ Fuhrhop, N. [Hg.] Variation und Stabilität in der Wortstruktur. Hildesheim [etc.]: 177–190 ◾ Koester, D./ Gunter, T.C./ Wagner, S./ Friederici, A.D. [2004] Morphosyntax, Prosody, and Linking Elements. The Auditory Process­ ing of German Nominal Compounds. In: JCognNeuroSc 16/9: 1647–1668 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphol­ogy to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25.

parallele Beugung

≡ parallele Deklination; parallele Flexion

parallele Deklination

übereinstimmende flexivische Kennzeichnung von nebengeordneten Konstituenten innerhalb einer Nominalphrase, insbesondere im Gegenwartsdeutschen im Falle von zwei oder mehr attributiven Adjektiven.

▲ parallel declension: identical inflectional marking of sister constituents within a noun phrase, in particular, of two or more attributive adjectives in present day German.

Attributive Adjektive folgen im Gegenwartsdt. je nach syntaktischem Kontext der schwachen oder der starken Deklination. Stehen mehrere attributive Adjektive in einer NP, so gelten die entsprechenden Regeln für jedes einzelne von ihnen; danach weisen zwei oder mehr Adjektive, die vom gleichen Subst. abhängen, gleiche Flexive auf wie in ein dicker alter Mann (starke Adjektivformen nach endungslosem Determinativ) und in einem dicken alten Mann (schwache Adjektivformen nach stark flektiertem Determinativ). Marillier (2003: 75) formuliert diese Regularität verallgemeinernd als „Parallelismusprinzip“ („Mehrere aufeinanderfolgende Determinative bzw. Adjektive werden parallel gebeugt“) und erklärt verschiedene im Sprachgebrauch zu beobachtende Verletzungen des Prinzips als Ergebnis konkurrierender Faktoren, insbesondere des Stellungsprinzips („[…] auf ein stark dekliniertes Element folgt ein schwach dekliniertes“) und der „Tendenz zur Monoflexion“ (vgl. dazu auch Moulin-Fankhänel 2000; Sahel 2001). Der „Parallelflexion“ stellt Nübling (2011) die „Wechselflexion“ gegenüber, wie in mit zartem frischen Gemüse, wo auf eine starke Adjektivform eine schwache folgt; vgl. auch Ljungerud (1955: 256–260) zum „Flexionswechsel bei Nebenordnung“ (mit literatursprachlichen Belegen). In älteren Grammatiken findet sich die Annahme, dass Wechselflexion in der Regel nur zu erwarten sei, wenn das erste Adj. als nähere Bestimmung zu einer folgenden Verbindung aus Adj. und Subst. zu interpretieren sei („Verhältnis der Einschließung“, Paul 1919: 60, 101f.); doch sei der Sprachgebrauch schwankend. Im Übrigen findet sich Flexionswechsel, wie Paul feststellt, „besonders nach Adjektiven, die sich pronominaler Natur nähern“ (Paul 1919: 102); vgl. dazu auch Wiese (2009). In der theoretisch orientierten Fachlit. erscheint das Parallelismusprinzip unter verschiedenen Bezeichnungen, vgl. z.B. den Adjective Correspondence Constraint bei Müller (2002: 139). Bernd Wiese ≡ parallele Beugung → Adjektivflexion; Monoflexion; parallele Flexion; schwache Deklination; starke Deklination

557 Partikel 🕮 Ljungerud, I. [1955] Zur Nominalflexion in der deutschen Literatursprache nach 1900 (LGF 31). Lund [etc.] ◾ Marillier, J.-F. [2003] Die Deklination der Determinative und Adjektive. Stellungsprinzip vs. Klassenprinzip. In: Baudot, D./ Behr, I. [Hg.] Funktion und Bedeutung. Modelle einer syntaktischen Semantik des Deutschen (Eurog 20). Tübingen: 75–94 ◾ Moulin-Fankhänel, C. [2000] Varianz innerhalb der Nominalgruppenflexion. Ausnahmen zur sogenannten Parallelflexion der Adjektive im Neuhochdeutschen. In: GMit 52: 73–97 ◾ Müller, G. [2002] Remarks on Nominal Inflection in German. In: Kaufmann, I./ Stiebels, B. [eds.] More than Words: A Festschrift for Dieter Wunderlich. Berlin: 113‐145 ◾ Nübling, D. [2011] Unter großem persönlichem oder persönlichen Einsatz?: Der sprachliche Zweifelsfall adjektivischer Parallel- vs. Wechselflexion als Beispiel für aktuellen grammatischen Wandel. In: Köpcke, K.M./ Ziegler, A. [Hg.] Grammatik – Lehren, Lernen, Verstehen: Zugänge zur Grammatik des Gegenwartsdeutschen. Berlin [etc.]: 175–195 ◾ Paul, H. [1919] Deutsche Grammatik. Bd. III. Syntax (Erste Hälfte). Halle/Saale ◾ Sahel, S. [2011] Monoflexion als Erklärung für Variation in der Nominalphrasenflexion des Deutschen. In: Konopka, M. et al. [Hg.] Grammatik und Korpora 2009. Dritte internationale Konferenz. Tübingen: 485–494 ◾ Wiese, B. [2009] Variation in der Flexionsmorphologie. Starke und schwache Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven. In: Konopka, M./ Strecker, B. [Hg.] Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch (JbIDS 2008). Berlin [etc.]: 166–194.

parallele Flexion

morphologisches Verhalten von attributiven Adjektiven innerhalb der Nominalphrase. ▲ parallel inflection: morphological behavior of adjectives within the nominal phrase. Stehen mehrere attributive Adjektive innerhalb der NP vor dem Bezugsnomen, weisen diese parallele Flexion auf, d.h., sie werden in Abhängigkeit ihrer syntaktischen Umgebung (nach definitem, indefinitem oder Nullartikel) entweder stark oder schwach flektiert ((1)–(3)). (1) Der trocken-e östlich-e Wind bringt Kälte mit sich. (2) Trocken-er östlich-er Wind bringt Kälte mit sich. (3) Mit Hilfe mehrer-er stark-er Männer konnten wir schnell umziehen. Dies gilt auch für substantivierte Adjektive (4). (4) Maria zieht das klein-e Schwarz-e an. (4a) Maria zieht ihr klein-es Schwarz-es an. Im Dt. treten Schwankungen in der Adjektivflexion sowohl im Dativ Sg. als auch in NPn mit substantivierten Adjektiven auf. Die Schwankung im Dativ Sg. besteht in der Tendenz, die Flexionsendung -em nach manchen artikelähnlichen Adjektiven wie z.B. folgend- durch -en zu ersetzen.

Auch nach einig- besteht die Tendenz zur Vermeidung der parallelen Flexion. Agnes Kolmer ≡ parallele Beugung → Determinativ; Determinativum; parallele Deklination → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; Nominalphrase

🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [1990] Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Nübling, D. [2011] Unter großem persönlichem oder persönlichen Einsatz?: Der sprachliche Zweifelsfall adjektivischer Parallel- vs. Wechselflexion als Beispiel für aktuellen grammatischen Wandel. In: Köpcke, K.M./ Ziegler, A. [Hg.] Grammatik – Lehren, Lernen, Verstehen: Zugänge zur Grammatik des Gegenwartsdeutschen. Berlin [etc.]: 175–195 ◾ Sahel, S. [2005] Die Variation der Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven und einige ihrer Determinanten. Eine empirische Untersuchung. In: DS 33: 355–381 ◾ Wiese, B. [2009] Variation in der Flexionsmorphologie. Starke und schwache Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven. In: Konopka, M./ Strecker, B. [Hg.] Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin [etc.]: 166–194.

Parenthetikum ≡ Modalwort

participium necessitatis ≡ Gerundivum

partielle Negation ≡ Sondernegation

Partikel

nicht flektierbares Wort, das im Satz unterschiedliche Funktionen haben kann. ▲ particle: invariable item functioning as a modifier of words or sentences. Die Partikel (Pl. Partikeln) ist ein Terminus, der aus dem Lat. stammt (particula 'Teilchen') und in der Sprw. im Sinne von 'Redeteilchen' verwendet wird. Partikeln bilden eine inhomogene Klasse von Wörtern, die im Satz unterschiedliche Funktionen erfüllen: Sie können die Bedeutung von einem Bezugswort oder einem ganzen Satz modifizieren, präzisieren, graduieren (1), relativieren (2) oder Sprechereinstellungen zum geäußerten Sachverhalt andeuten (3). (1) Peter ist ziemlich klug. (2) Der Radfahrer war einigermaßen verantwortlich für den Unfall. (3) Du bist doch intelligent genug. Die Extension des Begriffs Partikel ist in der Fachlit. nicht einheitlich. Es gibt Grammatiken,

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Partikel 558

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die Partikeln als eine Restkategorie bezeichnen (Eisenberg 2004: 231) und ihnen den Status einer selbständigen Wortart abstreiten. In diesem Fall werden die Partikeln je nach Funktion als Teilklasse von Adverbien oder Konjunktionen errichtet (Eisenberg 2004: 212). In Grammatiken, die Partikeln als selbständige Wortart akzeptieren, gibt es eine weite und eine engere Interpretation des Begriffs. Die weite Interpretation beruht auf dem morphologischen Kriterium der Unflektierbarkeit: Adverbien, Präpositionen, Konjunktoren und Subjunktoren, Modal- , Rangier-, Grad- und Vergleichspartikeln (vgl. Engel 2004: 384 ff.) sogar Interjektionen (Altmann 1976: 3) werden als Partikeln bezeichnet. Diese Auffassung hat sich aber in der Mehrzahl der dt. Grammatiken nicht durchgesetzt, da das Zuordnungskriterium der Unflektierbarkeit unscharf ist und zu viele Wörter mit unterschiedlichen, klar definierbaren Funktionen dem Begriff Partikel subsumiert. I.e.S. werden Partikeln nach einem syntaktischen Kriterium definiert: Als Partikeln gelten im Dt. Synsemantika, die allein nie die erste Stelle im Aussagesatz einnehmen. Durch dieses syntaktische Verhalten unterscheiden sie sich von anderen Unflektierbaren, von den Adverbien, Modalwörtern, Präpositionen oder Konjunktionen. Partikeln i.e.S. sind morphologisch unflektierbar. Viele von ihnen haben Homonyme in anderen Wortarten (Adjektive, Adverbien, Konjunktionen). Semantisch sind Partikeln bedeutungsarm oder haben keine lexikalische Bedeutung. Folglich verändern sie den Wahrheitswert des geäußerten Sachverhalts nicht. Sätze sind auch ohne sie grammatisch. Neben Präzisierung, Modifizierung oder Graduierung bei Sachverhaltsdarstellungen leisten Partikeln einen Beitrag zur sprachlichen Interaktion: Sie verankern die Äußerung in der kommunikativen Situation, und sie spielen in der Gesprächssteuerung und in der Signalisierung von Sprechereinstellungen eine wichtige Rolle. Die Subklassifizierung der Partikeln erfolgt nach ihrer Funktion. Die Abgrenzung der Partikelarten zeigt in der Fachlit. Überschneidungen, und auch die Terminologie der einzelnen Partikelsubklassen ist in den dt. Grammatiken uneinheitlich. Konsens herrscht über die drei Hauptkategorien, die aber jeweils auch unterschiedlich benannt werden: Gradpartikel oder Fokuspartikel (auch sogar,

nur), Steigerungspartikel oder Intensitätspartikel (einigermaßen, weitaus), Abtönungspartikel oder Modalpartikel (eben, doch, ja). Weitere Partikelsubklassen wie die Rangier- oder Konnektivpartikel (immerhin, überhaupt), Vergleichspartikel (als, wie), die Antwortpartikel (ja, nein, doch, eben) sowie die Negationspartikel (keinesfalls, kein, nein, nicht usw.) gehören nicht zu den prototypischen Partikeln, da sie erststellenfähig sind oder auch als Satzäquivalente fungieren können. Gleiches gilt auch für die in der neueren Fachlit. (Engel 2004: 423f.; Zifonun et al. 1997: 58; Ballweg 2007: 547–553) als Modalpartikeln ausgewiesenen Wörter, die aber nicht mit den Abtönungspartikeln gleichzusetzen sind, weil sie erststellenfähig und auch als Antworten auf Entscheidungsfragen möglich sind wie allerdings, leider, einigermaßen u.a. In den meisten Grammatiken werden diese Wörter dem Adverb zugeordnet. Partikeln kommen vorwiegend in der Alltagssprache vor. Ihre Verwendung in der Standardsprache ist früher von der normativen Stilistik abgelehnt worden, da sie zu Füllwörtern gestempelt wurden. Die stilistische Akzeptierung und die Erforschung der Partikeln beginnt auch erst mit der pragmatischen Wende der Sprw., in den 80er Jahren des 20. Jhs. Anna Molnár ≡ Formwort → § 9, 15; additive Partikel; Adverb; Fokuspartikel; Funktionswort; Halbmodale; Infinitivpartikel; Intensitätspartikel; Konjunktor; Modalwort; Negationswort; Präposition; Rangierpartikel; restriktive Partikel; Temporalpartikel; unflektierbar; Verbpartikel; Vergleichspartikel ⇀ Partikel (CG-Dt; Wobi; Lexik; SemPrag) ⇁ particle (CG-Engl; Typol)

🕮 Altmann, H. [1976] Die Gradpartikeln im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik (LA 33). Tübingen ◾ Ballweg, J. [2007] Modalpartikel. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 547–553 ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G. [1994] Lexikon deutscher Partikeln. 3., durchges. Aufl. Leipzig ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weydt, H. [1987] Partikel-Bibliographie. Frankfurt/Main ◾ Weydt, H. [1989] Sprechen mit Partikeln. Berlin [etc.] ◾ Weydt, H. [Hg. 1979] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.] ◾ ­Weydt, H. [Hg. 1983] Partikeln und Interaktion. Tübingen ◾ Wolski, W. [1986] Partikellexikographie. Ein Beitrag zur praktischen Lexikologie. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

559 Partikelverb

Partikel, abtönungsfähige → abtönungsfähige Partikel

Partikel, additive → additive Partikel

Partikel, exklusive → restriktive Partikel

Partikel, illokutive → Abtönungspartikel

Partikel, inklusive → additive Partikel

Partikel, restriktive → restriktive Partikel

Partikelverb

komplexes Verb, bestehend aus einer Verbpartikel und einem Verbstamm, die in bestimmten syntaktischen Konstruktionen eine zusammengeschriebene Wortform bilden, aber in anderen Konstruktionen voneinander getrennt stehen. ▲ particle verb; phrasal verb: complex verb consisting of a verbal particle and a verbal stem which form one word form in particular syntactic constructions but are separated in other syntactic constructions. Nach einer engen Auffassung in der Fachlit. gehören zu den Partikelverben nur Verben mit präpositionaler (1), mitunter auch adverbialer (2) Verbpartikel; nach einer weiten Auffassung gehören zu ihnen alle komplexen verbalen Bildungen mit einem betonten, vom Verbstamm abtrennbaren Erstglied, auch solche mit adjektivischer (3), substantivischer (4) und verbaler (5) Verbpartikel. (1) anmalen, aufhören, zusperren (2) fortfahren, hingehen, vorbeikommen (3) feststellen, krankschreiben, totschlagen (4) preisgeben, standhalten, teilnehmen (5) kennenlernen, liegenbleiben, sitzenbleiben Partikelverben sind typische trennbare Verben: Im Infinitiv und bei Verbletztstellung bilden die Konstituenten eine einzige, zusammengeschriebene Wortform (ein orthographisches Wort), bei der Bildung einer Infinitivkonstruktion oder des Partizip II wird die Infinitivpartikel zu bzw. der Morphemteil -ge- des Partizipmorphems zwi-

schen Verbpartikel und Stamm gesetzt (morphologische Trennung, vgl. (6) und (7)). Bei Verberstoder Verbzweitstellung bildet die finite zweite Verbkonstituente die linke Satzklammer, die Verbpartikel bildet die rechte Satzklammer (syntaktische Trennung, vgl. (8), (9)); seltener kann die Partikel auch ins Vorfeld rücken (10). (6) um anzumalen/fortzufahren/festzustellen/ preiszugeben/kennenzulernen (7) fortgefahren sein, angemalt/festgestellt/ preisgegeben/kennengelernt haben (8) Sie malen etwas an/ fahren mit etwas fort/ stellen etwas fest/ geben etwas preis. (9) Lernten sie das kennen? (10) Fest steht, dass die Anweisungen nicht befolgt wurden. Das Hinzutreten einer Verbpartikel an ein einfaches Verb führt häufig zu einer Bedeutungsspezifizierung oder -änderung (z.B. durativ fahren vs. inchoativ anfahren, durativ essen vs. resultativ aufessen) und kann eine quantitative und qualitative Veränderung der Argumentstruktur bewirken (vgl. lächeln [einwertig] vs. jmdn. anlächeln [zweiwertig], jmdn. hören [mit Akkusativ] vs. jmdm. zuhören [mit Dativ]). Vor allem mit präpositionalen Verbpartikeln werden auch Partikelverben aus substantivischen oder adjektivischen Basen gebildet (z.B. auftischen, ausdünnen). Über den morphologischen bzw. syntaktischen Status der Partikelverben herrscht in der Fachlit. kaum Übereinstimmung. Verschiedene Kriterien können unterschiedlich gewichtet werden: Die Verbpartikeln tragen bei Zusammenschreibung den Hauptakzent und bringen häufig die Bedeutung des freien Homonyms in die Bildung ein, was sie in die Nähe von Kompositionsgliedern rückt. Insbesondere die Partikelverben mit präpositionalen Verbpartikeln sind hinsichtlich Reihenbildung und Bedeutungsspezifizierung des Basisverbs mit Präfixverben und damit mit expliziten Derivaten vergleichbar. Keine der genannten Wortbildungsarten kennt jedoch bei anderen Wortarten trennbare Elemente. Wortbildungsverfahren wie Univerbierung und Inkorporation, die im Grenzbereich zwischen Syntax und Morphologie angesiedelt sind, kommen zur Beschreibung in Frage. Als Konsequenz dieser spezifischen Charakteristika ist die Ansetzung einer eigenen Wortbildungsart Partikelverbbildung angemessen (vgl. Duden 2009; Fleischer/Barz 2012).

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partimreflexives Verb 560 Konkurrierend zur Wortbildungsanalyse werden die Partikelverben auch als syntaktisch-phrasale Verbindungen eines Verbs und eines freien Verbzusatzes bestimmt (vgl. Donalies 2005). Im Zuge der Rechtschreibreform von 1996ff. wurde die Schreibung von Partikelverben (im weit gefassten Sinn) in vielen Fällen geändert, häufig hin zu vermehrter Getrenntschreibung (etwa tot schlagen neben totschlagen, Rad fahren statt radfahren). Im Engl. liegen mit den phrasal verbs (z.B. give up, look up, turn on, turn off, take off, figure out) vergleichbare Konstruktionen vor. Einen Überblick über Partikel-Verb-Konstruktionen in west- und nordgerm. Sprachen bietet Dehé et al. (2002). Michael Mann ≡ Phrasenverb → § 31; Partikel; Partizip; trennbares Verb; Verb; Verbpartikel; Verbzusatz → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion ⇀ Partikelverb (Wobi; CG-Dt; HistSprw)

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🕮 Dehé, N./ Jackendoff, R./ McIntyre, A./ Urban, S. [eds. 2002] Verb Particle Explorations (InterfE 1). Berlin [etc.] ◾ Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Šimečková, A. [1994] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen I (ActUniCar CXIX). Prag ◾ Šimečková, A. [2002] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen II. Funktionalisierung von Trennbarkeit und Untrennbarkeit beim komplexen Verb (Act­ UniCar CXXXVII). Prag.

partimreflexives Verb

≡ reflexiv gebrauchtes Verb

partitiver Genitiv

≡ genitivus partitivus

Partitivgenitiv

≡ genitivus partitivus

Partizip

Form, die zu jedem Verb produktiv bildbar ist und die syntaktisch sowie semantisch ein breites Spek­ trum zwischen verbalen und adjektivischen Verwendungen abdeckt. ▲ participle: form which can be derived from every verb via productive word formation processes and

that is used in a wide range of verbal and adjectival functions. Partizipien werden im Dt. die aus dem Infinitiv Präs. Aktiv mit dem Suffix -d abgeleiteten deverbalen Formen (Partizip I, z.B. lesend) und die Formen des dritten Verbstamms/Partizipialstamms (Partizip II, z.B. gelesen) genannt. Häufig werden auch die Formen des Gerundivums (z.B. abzulesend) zu den Partizipien gezählt; das Gerundivum wird in der Duden-Grammatik (Duden 2009: 569) zu-Partizip genannt und als Subtyp des Partizip I betrachtet. Laut Hentschel/Weydt (2003: 145) ließe es sich „auch als Partizip Futur Passiv mit modaler Komponente bezeichnen“. Die uneingeschränkte Produktivität der Bildung und andere Eigenschaften lassen die Partizipbildung als Übergang zwischen Wortbildung und Flexion erscheinen, obwohl das Partizip I meistens eindeutig zu den Adjektiven gezählt wird, was aus kontrastiver Hinsicht und im Hinblick auf das Rektionsverhalten der Partizipien nicht zweifelsfrei gerechtfertigt ist (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 143). Der Name Partizip (oV: Partizipium) leitet sich aus dem lat. participium ['Anteil bekommen'] ab und signalisiert die syntaktische und semantische Zwischenstellung zwischen nominaler (adjektivischer) und verbaler Kategorie. Semantisch bedeutet dies eine breite Skala zwischen mehr prozessualer und mehr stabiler Art der Erfassung der Welt. Syntaktisch ist ebenso eine Konstruktionsvielfalt anzutreffen: Bzgl. der Satzgliedfunktionen zeigen die Partizipien eine eher adjektivische Distribution. Diese reichen von der selbständigen Prädikatsbildung in satzwertigen Partizipialkonstruktionen ((1), (2)) über die Beteiligung an der Bildung von analytischen Verbformen (beim Partizip II, z.B. im Perfekt (3) oder im Passiv (4)) bis hin zur attributiven ((5), (6)) und adverbialen ((7), (8)) Verwendung. (1) Laut singend (,) betrat er das Zimmer. (2) Über die Schwelle gestolpert (,) wäre sie beinahe hingefallen. (3) Sie hat gearbeitet. (4) Der Teig wurde bearbeitet. (5) Der singende Mann verbreitete gute Laune. (6) Der besiegte Großmeister gratulierte seinem Gegner. (7) Wir saßen schweigend am Tisch.

561 (8) Er kam gelaufen. Hinsichtlich ihrer Erweiterbarkeit verhalten sich Partizipien in satzwertiger und attributiver Verwendung hingegen oft wie Verben. Sie können Komplemente und Supplemente bei sich haben ((9), (10)). (9) Die sich nach ihrem Mann sehnende Seemannsfrau wartete geduldig auf das Wiedersehen. (10) Der viel gereiste Kapitän führt wieder eine Expedition in den Mittelmeerraum. Daher sollte bei den Partizipien zwischen lexikalischer und syntaktischer Wortart unterschieden werden. Infolge der geschilderten Instabilität neigen Partizipien stark zur Lexikalisierung als Adjektiv ((11)–(13)) oder als Substantive (14), so dass sie ihre verbalen Eigenschaften verlieren. (11) Sie hatte klare, glänzende Augen [Adjektiv, dauerhafte Eigenschaft] (12) von Tränen glänzende Augen [mit Komplement nur als Partizip möglich] (13) Die Gelehrte [Subst.] singt. (13a) *Die viel / von guten Meistern Gelehrte singt [Subst. mit Komplementen nicht möglich] (14) der Auszubildende [Subst., aus Gerundivum] (14a) *der von dem Meister Auszubildende Bei den adjektivischen Formen (15) verfügen urspr. partizipiale Muster über eine eigene Produktivität ohne verbale Basis (16), vgl. Eichinger (2007: 149). (15) beschädigt [Partizip] ← beschädigen [verbale Basis] (16) betagt [Adj. nach partizipialem Schema, aber: *betagen [keine verbale Basis]] Die einzelnen Typen weisen hinsichtlich Temporalität, Diathese und Modalität eine große Vielfalt auf. Das Partizip I (bei Weinrich 2007 Neutralpartizip genannt) ist zeitlich neutral, d.h., es drückt Gleichzeitigkeit aus. Seine Bedeutung ist stets aktiv und nicht modal (17). (17) Das weinende Kind konnte schließlich getröstet werden. Das Partizip II (in Weinrichs Terminologie Rückpartizip) markiert Abgeschlossenheit bzw. Resultativität. Dies begründet auch seine Verwendung in analytischen Tempus- und Genusformen (18). (18) Nachdem sie angekommen war, wurde sie herzlich begrüßt. In selbständigen Verwendungen liegt oft, aber

Partizip, zweites nicht immer Vorzeitigkeit vor, bei transitiven Verben ist die Interpretation passivisch (19), bei intransitiven hingegen aktivisch (20). (19) Mit verschränkten Armen betrat er das Zimmer. [passiv, resultativ, nicht vorzeitig] (20) So sieht die aufgeblühte Geranie aus. [aktiv, resultativ, vorzeitig] Das Gerundivum (bei Weinrich Modalpartizip) hat immer eine passivische, modale Bedeutung, die als Notwendigkeit bzw. Möglichkeit ausgedrückt wird (21). (21) die noch heute zu erledigende Aufgabe [Notwendigkeit] (21a) die im Handumdrehen zu erledigende Aufgabe [Möglichkeit] ≡ Mittelwort

Bernadett Modrián-Horváth

→ § 15, 16, 17; erstes Partizip; Gerundium; Infinitiv Perfekt; Partizipialadjektiv; zweites Partizip

→ Gram-Syntax: attributives Partizip; satzwertiges Partizip ⇀ Partizip (Wobi; HistSprw; CG-Dt) ⇁ participle (CG-Engl; Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eichinger, L.M. [2007] Adjektiv (und Adko-

pula). In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 143–187 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003]

Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

Partizip I

≡ erstes Partizip ⇀ Partizip I (CG-Dt)

Partizip II

≡ zweites Partizip ⇀ Partizip II (CG-Dt)

Partizip Perfekt

≡ zweites Partizip

Partizip Präsens ≡ erstes Partizip

Partizip, erstes → erstes Partizip

Partizip, zweites → zweites Partizip

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Partizipialadjektiv 562

Partizipialadjektiv

Konversion eines Partizips zu einem Adjektiv. ▲ participial adjective: present or past participle used as an adjective. Sowohl das Partizip I (z.B. lachend) als auch das Partizip II (z.B. verheiratet) erscheinen als Partizipialadjektiv. Es wird, wie das Adj. allgemein, bei attributiver Verwendung flektiert (das geliebte lachende Kind) und bei prädikativer Verwendung (die Frau ist verrückt/verheiratet) nicht flektiert. Zu unterscheiden ist das lexikalisierte/ demotivierte Partizipialadjektiv, bei dem der Bedeutungszusammenhang mit dem Herkunftsverb nicht mehr besteht (verstockt, untersetzt, reizend, gestreift), vom motivierten Partizipialadjektiv mit bestehendem Bedeutungszusammenhang mit dem Verb (alleinstehend, verheiratet). Das lexikalisierte ist daran zu erkennen, dass es stets steigerbar (die verrückteste Frisur, das reizendste Mädchen) und prädikativ verwendbar ist (er ist verrückt, sie ist reizend), im Gegensatz zum motivierten Partizipialadjektiv aus Partizip I (*der lachendere Mann, *er ist lachend) (Gallmann/Sitta 2001: 69f.; Trost 2006: 10f.).

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Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Sekundäradjektiv → absolutes Adjektiv; deverbales Adjektiv; Konversion; Partizip; prototypisches Adjektiv

🕮 Fabricius-Hansen, C. [2010] Adjektiv-/Partizipialattribute im diskursbezogenen Kontrast (Deutsch-Englisch/Norwegisch). In: DS 38/2: 175–192 ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Partnerpronomen

Pronomen, mit dem auf Kommunikationspartner deiktisch referiert wird. ▲ partner pronoun: pronoun that refers deictically to communication partners. Partnerpronomina (Engel 2004: 365f.) sind in der traditionellen Grammatik Pronomina der 1. und der 2. Pers. Sie bezeichnen die sprechende Person (ich) bzw. eine Menge, die den Sprecher einschließt (wir) und die angesprochene Person (du, Sie) bzw. eine Menge, die den Hörer einschließt (ihr, Sie). Bzgl. der angesprochenen Person wird zwischen den vertrauten Formen (du, ihr) und der Distanzform (Sie) unterschieden. Partnerpro-

nomina werden auch als Kommunikanten-Pronomina bezeichnet, zu denen Sprecher-Pronomina und Hörer-Pronomina gehören. Dependentiell-syntaktisch gesehen können Partnerpronomina andere Phrasen regieren, z.B. ich armer Kerl oder du, die mich nie hintergangen hat. Janusz Taborek

↔ abstraktes Pronomen; reines Verweispronomen → Anredepronomen; Personalpronomen; Pronomen

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Passiv

genus verbi, bei dem das grammatische Subjekt der zugrunde liegenden Aktivform implizit bleibt oder oblique realisiert wird. ▲ passive voice: grammatical voice of the verb in which the subject argument of the corresponding active verb is either implicit or realised as an oblique phrase. Als typische Passivkonstruktionen gelten Sätze wie in (1a) und (1b). (1) Carl Gotthart Langhans baute das Brandenburger Tor im 18. Jahrhundert. (1a) Das Brandenburger Tor wurde im 18. Jahrhundert gebaut. (1b) Das Brandenburger Tor wurde im 18. Jahrhundert von C. G. Langhans gebaut. Das direkte Objekt der Aktivform eines transitiven Basisverbs wird im Passiv als Subjekt realisiert, das Actor-Argument bleibt entweder unrealisiert (1a) oder wird oblique realisiert – durch eine PP (1b) oder eine NP mit semantischem Kasus. Motivation der Passivierung ist zum einen die Defokussierung des Actors und zum anderen die Hochstufung des Thema-Arguments zum prominenteren Subjekt. Die Hochstufung ist häufig pragmatisch bzw. informationsstrukturell motiviert, kann aber auch syntaktisch motiviert sein, wenn die hochgestufte NP für Operationen zugänglich gemacht werden soll, die auf das Subjekt beschränkt sind. Passive von intransitiven Verben wie in (2) und (3) sind seltener als Passive von transitiven Verben und treten nur in Sprachen auf, die auch über Passive von transitiven Verben verfügen (Keenan/Dryer 2007: 331).

563 Passiv (2)

In der Laube wurde bis in die Nacht gesungen und geschunkelt. (3) Dem Kind wurde von einem Unbekannten geholfen. Die Passivierung von intransitiven Verben unterliegt oft stärkeren Beschränkungen als die von transitiven Verben. Perlmutter (1978) argumentiert, dass intransitive Verben aufgrund des zugrundeliegenden Status ihrer Subjekte zwei Klassen bilden. Das Oberflächensubjekt der unakkusativischen Verben ist demnach wie das Subjekt der Passivkonstruktion ein zugrundeliegendes Objekt (später „internes Argument“), während das Oberflächensubjekt der unergativen Verben schon zugrundeliegend ein Subjekt (später „externes Argument“) ist. Perlmutter analysiert Passivierung als Hochstufung eines internen Arguments und argumentiert, dass unakkusativische Verben nicht passivierbar sind, weil ihr Subjekt schon in der Aktivform hochgestuft ist. In den 1980er Jahren wurde vor allem im Rahmen der Generativen Syntax versucht, die Distribution als syntaktische Beschränkung der Passivierung auf unergative Verben zu erklären, die auf die unterschiedlichen Kasus- und ThetaEigenschaften der beiden Verbklassen zurückgeführt wurde (vgl. u.a. Baker 1988; Baker/Johnson/Roberts 1989). Allerdings gab es auch viele einzelsprachige Untersuchungen, die gegen die Annahme argumentierten, dass es sich bei den passivierbaren Verben um die syntaktische Klasse der unergativen Verben handelt. Die Einwände basieren auf der Beobachtung, dass die zur Identifizierung unergativer und unakkusativischer Verben angesetzten Kriterien (im Dt. typischerweise Auxiliarselektion im Perf.: haben – unergativ, sein – unakkusativisch; er-Nominalisierung: möglich – unergativ, nicht möglich – unakkusativisch; attributive Verwendung des Partizip II: nicht möglich – unergativ, möglich – unakkusativisch) nicht immer mit der Passivierbarkeit zusammenfällt. So ist sterben im Dt. nach den genannten Kriterien unakkusativisch ((4a)–(4c)), ist aber in bestimmten Kontexten trotzdem passivierbar (4). (4) Wo gelebt wird, wird auch gestorben. (4a) Unser Hund ist gestern gestorben. [PerfektAuxiliar: sein] (4b) *Sterber [er-Nominalisierung: nicht möglich]

(4c) die gestorbenen Angehörigen [attributives Partizip 2: möglich] Auf der anderen Seite sind auch nicht alle unergativen Verben passivierbar, wie das Beispiel des nicht-agentiven stativen Verbs ähneln in (5) zeigt. Das Gleiche gilt für transitive nicht-agentive stative Verben wie wiegen (6) oder haben (7). (5) Mein Großvater hat seinem Vater sehr geähnelt. (5a) *Meinem Großvater wurde von seinem Vater sehr geähnelt. (6) Mein Großvater hat nur 60 Kilo gewogen. (6a) *Von meinem Großvater wurden nur 60 Kilo gewogen. (7) Jede Familie hier hat ein Haus. (7a) *Ein Haus wird von jeder Familie hier gehabt. Generell beschränken viele Sprachen das Passiv auf Verben, deren Subjekt ein Actor ist, was auch eine Eigenschaft der meisten unergativen intransitiven Verben ist und nicht-agentive stative Verben ausschließt. Nachdem Kratzer (1996) die Annahme etabliert hat, dass externe Argumente (typischerweise Actor-Argumente) nicht in der Argumentstruktur der Verben repräsentiert sind, sondern durch einen funktionalen Kopf („little v“) eingeführt werden, sind die unterschiedlichen Eigenschaften und Restriktionen von Passivkonstruktionen als spezifische Eigenschaften des individuellen v-Kopfes modelliert worden. Semantische Restriktionen in Passivkonstruktionen können auch die Argumente betreffen. So fordert das unpersönliche Passiv im Dt. ein menschliches Agens (8), obwohl das persönliche Passiv diese Beschränkung nicht aufweist (9). (8) Im letzten Sonnenlicht wurde noch lange getanzt. (8a) Im letzten Sonnenlicht wurde von vielen Gästen/*Mücken/*Schneeflocken getanzt. (9) Der Polizist wurde von einem Auto angefahren. Bei transitiven Verben kann die Affiziertheit des Patiens-Arguments die Passivierbarkeit erleichtern: Verben mit affiziertem Patiens-Argument sind eher passivierbar als Verben, deren direktes Objekt nicht affiziert ist. Die Tatsache, dass stative Verben wie haben, wiegen kaum passivierbar sind, hängt möglicherweise auch mit dieser Beschränkung zusammen, da die höhere Affiziertheit des Objekts i.A. mit einer höheren Dynamik

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Passiv 564

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des Ereignisses korreliert. Allerdings sind in vielen Sprachen stative Experiencer-Verben sehr wohl passivierbar (vgl. (7) vs. (10)). (10) Das Kind wird von allen sehr geliebt. Dass in allen Passivkonstruktionen in (1)–(10) das zurückgestufte Agens realisiert ist, spiegelt nicht die tatsächliche Realisierung im Diskurs oder Text. Nach Keenan/Dryer (2007) findet man in den Sprachen der Welt am häufigsten Passive von transitiven Verben ohne Realisierung des Actors, und auch in Sprachen, in denen der Actor prinzipiell als oblique Phrase realisiert werden kann, sind Konstruktionen mit realisiertem Actor markierter und seltener als Konstruktionen ohne Actor. Im Dt. kann der zurückgestufte Actor durch eine von- oder durch-PP realisiert werden (11). Aber nicht alle durch-PPn in Passivkonstruktionen realisieren den zurückgestuften Actor. Durch-PPn, die als Ursache interpretiert werden können, sind nicht nur in Passivkonstruktionen, sondern auch bei reflexiven Verben (11a) und in bestimmten Fällen auch bei intransitiven Verben möglich (11b). Von-Phrasen sind dagegen auf Passive beschränkt (11a) und können auch nicht als Ursache interpretiert werden (11c). (11) Das Kind wurde von einem Hund / durch einen Stein / durch den Sturz verletzt. (11a) Das Kind verletzte sich ?durch einen Sturz / durch den Stein / *von einem Hund. (11b) Das Eis schmolz durch die Hitze / ?durch die Sonne / *von der Sonne. (11c) Das Kind wurde von einem Hund / *von einem Sturz verletzt. Im Sprachvergleich geben Passivkonstruktionen ein sehr heterogenes Bild, da sich die einzelsprachlichen Passive in Bezug auf eine ganze Reihe von Faktoren unterscheiden. Dazu gehören neben den semantischen und syntaktischen Eigenschaften der Basisverben die Realisierung der Argumente in den abgeleiteten Passivkonstruktionen und die Passivmorphologie (vgl. u.a. Siewierska 1984; Kazenin 2001; Keenan/Dryer 2007). Wie (1)–(3) zeigen, sind im Dt. transitive und intransitive Verben passivierbar, sofern sie die semantischen Bedingungen erfüllen. Während Passive von intransitiven Verben subjektlos sein können, muss bei transitiven Verben das direkte Objekt im Passiv als Subjekt realisiert werden. Einige Sprachen er-

lauben aber auch unpersönliche Passive von transitiven Verben (u.a. Ute, Hindi, Finn., vgl. Kiparsky 2013). In diesen Konstruktionen kann das Objekt des Basisverbs seinen ursprünglichen Kasus behalten, obwohl das Subjekt des Basisverbs zurückgestuft wird (für das Nord-Russ. (12); Keenan/Dryer 2007: 347). (12) U mena bylo telenka zarezano ['By me, there was slaughtered a calf.'; at me was.3SG. NEUT calf.MASC.ACC slaughtered.SG.NEUT] Im Gegensatz zum Dt. lässt das Engl. die Passivierung von intransitiven Verben i.A. nicht zu, erlaubt aber unpersönliche Passivkonstruktionen von intransitiven Verben mit Satzkomplementen. Während unpersönliche Passive im Dt. kein Subjekt haben, muss in den entsprechenden engl. Passivkonstruktionen ein Subjekt realisiert sein, entweder durch ein Expletivum (13) oder im Rahmen einer Raising-Konstruktion (13b). Kiparsky (2013) argumentiert, dass sich das unpersönliche Passiv be thought in (13) parallel zum unpersönlichen Aktivverb seem verhält, und dass sich auch in anderen Fällen die sprachspezifischen Eigenschaften von Passiven allein aus der Argumentstruktur der passivierten Verben und den Beschränkungen, die genauso für die Aktivkonstruktionen der jeweiligen Sprachen gelten, erklären lassen. Die Existenz von passiv-spezifischen syntaktischen Eigenschaften weist er zurück. (13) It seemed / was thought that he’d leave. (13a) *Yesterday seemed / was thought that he’d leave. (13b) John seemed / was thought to work. (13c) *It seemed / was thought something. (13d) *Something seemed / was thought. Ein weiterer typologischer Unterschied betrifft die Frage, welche der Objekte von ditransitiven Verben bei Passivierung zum Subjekt werden können. Im Dt. ist es immer das (direkte) Akkusativobjekt, nicht das Dativobjekt. Bei intransitiven Verben mit Dativobjekt ist die Passivkonstruktion deshalb unpersönlich. Kiparsky (2013) zeigt, dass im Altgriech. hingegen oblique Objekte intransitiver Verben bei Passivierung zum Subjekt werden können, obwohl bei transitiven Verben nur das Akkusativobjekt Subjekt der Passivkonstruktion werden kann. Kiparsky begründet das damit, dass im Altgriech. generell subjektlose Sätze vermieden werden. Welches Objekt bei ditransitiven Verben wie ge-

565 Passiv ben zum Subjekt wird, ist ebenfalls sprachspezifisch unterschiedlich. Während es in Sprachen wie dem Dt. das Akkusativobjekt ist, kann es in anderen Sprachen der semantisch prominentere Rezipient sein (Keenan/Dryer 2007: 349). In Bezug auf die Passivmorphologie lassen sich nach Haspelmath (1990) vier Typen unterscheiden, die sich aus unterschiedlichen Grammatikalisierungswegen erklären. Den Ursprung von Passivmorphemen können nicht agentive Auxiliare (mit Partizip), NP-Reflexive, Kausative und generalisierte Subjekt-Konstruktionen bilden. In den europ. Sprachen findet man vor allem die ersten beiden Typen. Ausgangsverben für Passivauxiliare sind in den europ. Sprachen intransitive Verben wie sein, werden, bleiben, kommen und gehen. Im Dt. wird das Vorgangspassiv mit dem Auxiliar werden und dem zweiten Partizip gebildet (14). Daneben gibt es das mit sein gebildete Zustandspassiv (14a) und das sog. bleiben-Passiv (14b). Die Präfigierbarkeit von un- in (14a) und (14b) zeigt allerdings, dass das Partizip bei Zustandspassiv und bleiben-Passiv anders als beim Vorgangspassiv adjektivisch ist. Das kann als Argument gegen eine Klassifikation dieser Konstruktionen als Passive betrachtet werden (vgl. Abraham/Leiss 2006 und Maienborn 2007 zu einer Übersicht über die unterschiedlichen Argumente zum Status des Zustandspassivs). (14) Die Kammer wird verschlossen. – *Die Kammer wird unverschlossen. (14a) Die Kammer ist verschlossen. – Die Kammer ist unverschlossen. (14b) Die Kammer bleibt verschlossen. – Die Kammer bleibt unverschlossen. Nach Haspelmath (1990) könnte die resultative Interpretation des Partizips, wie sie auch im Zustandspassiv vorliegt, der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Passivmorphemen aus nicht agentiven Auxiliaren sein. Bei ursprünglichen NP-Reflexiven führt die Grammatikalisierung der Passivfunktion nach Haspelmath über die Mediumlesarten, insbesondere die antikausative und modale Funktion, die in (15) und (16) für das Dt. illustriert sind. (15) Der Balken biegt sich (unter dem Gewicht des Mannes). (16) Trockenes Gras mäht sich leicht. In vielen Sprachen, die Reflexivkonstruktionen

mit Mediumfunktion aufweisen, entwickelt sich irgendwann auch eine passivische Lesart. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass für das Medium typische Restriktionen, die zu den verschiedenen Lesarten bei unterschiedlichen semantischen Verbklassen führen, zugunsten einer auf alle agentiven transitiven Verben anwendbaren Operation aufgegeben werden. Das betrifft die Möglichkeit einer referenziellen Interpretation der Reflexivkonstruktion, wenn das Actor-Argument (syntaktisch) getilgt wird (Kaufmann 2004). Vor der Entstehung der passivischen Lesart ist in diesem Fall nur eine generische, modale Lesart (16) möglich, sofern das Verb nicht eine Interpretation zulässt, bei der der Vorgang auch spontan, also ohne Einwirkung eines Agens stattfinden kann (wie bei der antikausativen Lesart in (15)). Die passivische Lesart entsteht durch die Generalisierung der ereignisreferenziellen Interpretation auf Verben, die semantisch ein Agens voraussetzen, deren Agens aber im Rahmen der Mediumoperation getilgt wird. Diese passivische Lesart der Reflexivkonstruktionen ist meist auf den imperfektiven Aspekt beschränkt und weist häufig auch striktere Restriktionen in Bezug auf die Realisierbarkeit des zurückgestuften Agens auf als parallel existierende Passivkonstruktionen (vgl. Geniusiene 1987). So hat das Russ. im perfektiven Aspekt eine periphrastische Passivkonstruktion, während im imperfektiven Aspekt der Reflexivmarker das Passiv markiert ((17); Babby (1975: 298)). (17) My zakryvali/zakryli ètu dverʼ. ['Wir schlossen diese Tür.'; wir schlossen.IMPERF/ schlossen.PERF diese Tür] (17a) Èta dverʼ zakryvala-sʼ/*zakryla-sʼ nami. ['Diese Tür wurde von uns geschlossen.'; diese Tür schloss.IMPERF-RM/schloss.PERFRM wir.INSTR] (17b) Èta dverʼ byla *zakryvana/zakryta nami. ['Diese Tür wurde von uns geschlossen.'; diese Tür war.PASS geschlossen.IMPERF/ geschlossen.PERF wir.INSTR] Im Dt. gibt es keine produktive passivische Lesart der Reflexivkonstruktion, allerdings findet man einzelne Belege (18), die eine passivische Interpretation aufweisen. (18) Keine Sorge, das Buch findet sich irgendwann. Obwohl sich aus Reflexiven über die Mediumles-

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Passiv, langes 566 arten Passivmorpheme entwickeln können, gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Passiv einerseits und den genera verbi Medium und Stativ andererseits. Nach Kazenin (2001) ist eines der definierenden Kriterien von Passiven, dass die Passivform immer von einer Aktivform abgeleitet ist. Aus diesem Grund existiert zu jeder Passivform eine kontextuell weniger beschränkte und morphologisch weniger komplexe Aktivform, während es Medium- und Stativformen gibt, die keine korrespondierende Aktivform haben (vgl. die sog. Deponentien im Lat. oder inhärent reflexive Verben wie sich schämen im Dt.). Klaiman (1991) charakterisiert deshalb das Passiv als derived voice im Kontrast zu basic voices wie Aktiv, Medium und Stativ. Zu einer syntaktischen Analyse, die dieser VoiceKlassifizierung Rechnung trägt, vgl. Alexiadou/ Doron (2012). Ingrid Kaufmann

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≡ Leideform ↔ Aktiv (1) → § 16, 17, 19, 20; Auxiliar; genus verbi; passivfähiges Verb; Passivfähigkeit; Passivkonverse; Passivvariante; persönliches Passiv; transitiv; unakkusativisches Verb; unpersönliches Passiv → Gram-Syntax: bekommen-Passiv; bleiben-Passiv; Deagentivierung; Diathese; Passivdiathese; Zustandspassiv ⇀ Passiv (HistSprw; CG-Dt) ⇁ passive voice (Typol)

🕮 Abraham, W./ Leiss, E. [2006] The impersonal passive. Voice suspended under aspectual conditions. In: Abraham, W./ Leisiö, L. [eds.] Passivization and Typology. Form and Function. Am­sterdam: 502–517 ◾ Alexiadou, A./ Doron, E. [2012] The syntactic construction of two non-active Voices: passive and middle. In: JLing 48/1: 1–34 ◾ Babby, L.H. [1975] A Transformational Grammar of Russian Adjectives. The Hague ◾ Baker, M.C./ Johnson, K./ Roberts, I. [1989] Passive Arguments Raised. In: LingInqu 20/2: 219–251 ◾ Baker, M.C. [1988] Incorporation. A Theory of Grammatical Function Changing. Chicago, IL [etc.] ◾ Geniušienė, E. [1987] The typology of reflexives. Berlin [etc.] ◾ Haspelmath, M. [1990] The grammaticization of passive morphology. In: StLg 14: 25–72. ◾ Kaufmann, I. [2004] Medium und Reflexiv. Eine Studie zur Verbsemantik (LA 489). Tübingen ◾ Kazenin, K. [2001] The passive voice. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [eds.] Language Universals and Language Typology (HSK 20.2). Berlin [etc.]: 899–916 ◾ Keenan, E.L./ Dryer, M.S. [2007] Passive in the world's languages. In: Shopen, T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. 2nd ed. Cambridge: 325–361 ◾ Kiparsky, P. [2013] Towards a null theory of the passive. In: LinD 125: 7–33 ◾ Klaiman, M.H. [1991] Grammatical Voice (CamStLing 59). Cambridge ◾ Kratzer, A. [1996] Severing the external argument from its verb. In: Rooryck, J./ Zaring, L. [eds.] Phrase Structure and the Lexicon. Dordrecht: 109–137 ◾ Langacker, R.W./ Mun-

ro, P. [1975] Passives and their meaning. In: Lg 51: 789–830 ◾ Maienborn, C. [2007] Das Zustandspassiv. Grammatische Einordnung, Bildungsbeschränkungen, Interpretationsspielraum. In: ZGL 35/1–2: 83–114 ◾ Shibatani, M. [1985] Passives and related constructions. A prototype analysis. In: Lg 61: 821–848 ◾ Siewierska, A. [1984] The Passive. A Comparative Linguistic Analysis. London ◾ Wunderlich, D. [2012] Operations on argument structure. In: Maienborn, C./ Heusinger, K. von/ Portner, P. [eds.] Semantics (HSK 33.3). Berlin: 2224–2259.

Passiv, langes

→ langes Passiv

Passiv, neutrales → neutrales Passiv

Passiv, persönliches → persönliches Passiv

Passiv, semantisches → semantisches Passiv

Passiv, syntaktisches → syntaktisches Passiv

Passiv, unpersönliches → unpersönliches Passiv

passivfähiges Verb

Verb, das als Prädikat eines Vorgangspassiv-Satzes auftreten kann. ▲ passive-capable verb: verb capable of undergoing the passive transformation. Die meisten Verben in Sprachen, die die grammatische Kategorie des genus verbi (Diathese) besitzen, auch die Verben im Dt., sind passivfähig. Somit haben sie neben der Aktivform (1) eine ihr weitgehend symmetrische Form der passivischen Diathese (1a). (1) Der Lehrer lobt den Schüler. (1a) Der Schüler wird (vom Lehrer) gelobt. Zu den passivfähigen Verben zählen die meisten transitiven Verben, deren Akkusativobjekt im Aktivsatz zum Subjekt des entsprechenden Passivsatzes wird. Das Subjekt des Aktivsatzes (und somit das dahinter stehende Agens) kann in einem Passivsatz ausgespart werden. Tritt es dennoch auf, übernimmt es die syntaktische Funktion einer präpositionalen Ergänzung (meist mit von gebildet). Nicht passivfähig (da nach ihrer Seman-

567 Passivkonverse tik bereits passivähnlich) sind Transitiva wie haben, besitzen, kennen, kosten 'wert sein' sowie die Modalverben. Bei den passivfähigen Intransitiva und Reflexiva handelt es sich um potentielle passivische Prädikate unpersönlicher Passivsätze, vgl. (2)–(6). (2) Hier wird getanzt. (3) Es wurde hart gearbeitet. (4) Von den Zuschauern wurde laut geklatscht. (5) Sonntags wird in die Kirche gegangen. (6) Jetzt wird sich aber hingelegt! Die obligatorische Valenz passivfähiger Verben wird in dem Passivsatz reduziert. In einigen Fällen ist der Agens-Anschluss in einem Passivsatz sogar ausgeschlossen, so dass dem Passivsatz kein Aktivsatz entsprechen kann (7). (7) Zucker wird im Wasser schnell aufgelöst. Einige Verben, die früher nicht passivfähig gewesen sind, können unter bestimmten Bedingungen passivfähig werden, vgl. (8), (9). (8) Das wurde wieder mal nicht gewusst. (9) Im Krieg wird gelitten und gestorben. Die meisten (aber nicht alle) passivfähigen Verben bilden ihre Perfektformen mit dem Hilfsverb haben. Michaił L. Kotin

→ genus verbi; Passiv; Passivfähigkeit; Passivkonverse → Gram-Syntax: Diathese; Prädikat

🕮 Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kotin, M. [1998] Die Herausbildung der grammatischen Kategorie des Genus verbi im Deutschen. Hamburg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Passivfähigkeit

Eigenschaft von Verben, die eine Passivkonstruktion ermöglichen. ▲ ability to have passive: property of verbs which allow a passive construction. Verben, die eine Subjektkonversion ermöglichen, sind passivfähig. Bei der Subjektkonversion wird das Subjekt der Aktivkonstruktion (1) fakultativ zu einer präpositionalen Ergänzung der Passivkonstruktion (2). (1) Frankreich feiert die Weltmeisterschaft. (2) Die Weltmeisterschaft wird von Frankreich gefeiert.

Diejenigen Verben, die eine Subjektkonversion nicht ermöglichen, sind nicht passivfähig (Eisenberg 2006: 128). Die wichtigsten Gruppen solcher nichtpassivfähigen Verben bilden diejenigen mit Akkusativ (3) und mit Dativ (4). (3) Der amerikanische Präsident besitzt viele Immobilien. (4) Die Sülze schmeckt mir nicht.

→ genus verbi; Passiv; passivfähiges Verb; Verb → Gram-Syntax: Subjektkonversion

Tamás Kispál

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Passivkonverse

Passivsatz als Konverse des entsprechenden Aktivsatzes, bei der es zur Umkehrung der Grundstruktur der Prädikation und der satzsemantischen Priorität der Bezugsstellen kommt. ▲ passive converse: passive sentence as a converse to the active sentence, which means the reversal of the main structure of the predication and the semantic priority of the point of reference. Aktiv- und Passivkonstruktionen verhalten sich als Konversen zueinander. Der markierte Fall ist, wenn alle Elemente des Aktivsatzes (1) auch im Passivsatz (2) enthalten sind. (1) Hans liest das Buch. (2) Das Buch wird von Hans gelesen. Im häufigsten, unmarkierten Fall (3) wird das Agens vermieden. (3) Das Buch wird gelesen. Die Konversion erfolgt in zwei Schritten: 1. Das Subjekt des Aktivsatzes wird zur PP. 2. Das Akkusativobjekt des Aktivsatzes wird zum Subjekt des Passivsatzes. Neben dem Passivsatz mit werden und Partizip II werden auch die verschiedenen Passivvarianten (z.B. Zustandspassiv (4), reflexive Vollverbvariante (5), sich + lassen + Infinitiv (6), sein + zu-Infinitiv (7)) durch den Vergleich mit dem Aktiv als Passivkonversen betrachtet. (4) Das Buch ist (von Hans) gelesen. (5) Das Buch liest sich (von Hans). (6) Das Buch lässt sich (von Hans) lesen. (7) Das Buch ist (von Hans) zu lesen. Tamás Kispál

→ genus verbi; Passiv; passivfähiges Verb; Passivvariante

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Passivparaphrase 568

→ Gram-Syntax: Agensangabe; Passivtyp; Prädikation

🕮 Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Polenz, P. von [2008] Deutsche Satzsemantik. 3. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Passivparaphrase ≡ Passivvariante

Passivvariante

Variante des Passivs mit werden und dem Partizip II. ▲ variant of the passive: variant of the passive with werden and the past participle.

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Aus dem Aktivsatz (1) wird ein Passivsatz mit werden und Partizip II (1a) gebildet. (1) Das Geschäft liefert den Kunden frische Ware. (1a) Den Kunden wird frische Ware geliefert. Neben dieser zentralen Passivkonstruktion (werden-Passiv) stellen Passivvarianten andere Möglichkeiten dar, passivische Bedeutungen auszudrücken. Sie sind nicht immer standardsprachlich. Beispiele für Passivvarianten (auch Passiv-Paraphrasen, Konkurrenzformen des Passivs oder Peripherien der Passivkonstruktion genannt) sind u.a. das bekommen-Passiv, das auch Rezipientenpassiv genannt wird (2) und das Zustandspassiv, das aus sein und dem zweiten Partizip gebildet wird (3). (2) Die Kunden bekommen frische Ware geliefert. (3) Die frische Ware ist geliefert. Zu den Passivvarianten können noch folgende Konstruktionen gezählt werden: Funktionsverbgefüge (4) (häufig in der Verbindung eines Verbs wie kommen, gelangen, finden, erfahren mit einem Nomen), die meist in der Amts-, Geschäfts- und Mediensprache verwendet werden, sowie reflexive Vollverbvarianten (5). (4) Die frische Ware kommt zur Lieferung. (5) Die frische Ware liefert sich. Weiterhin liegen verschiedene Formen von Modalpassiv vor, dessen Konstruktionstypen über modale Komponenten [Möglichkeit/Notwendigkeit in der Bedeutung von können, dürfen, müssen, sollen] verfügen. Hier gibt es die Bildung mit sein + zu + Infinitiv [Möglichkeit oder Notwendigkeit] (6), mit sein + Adj. auf -bar [Möglichkeit] (7), mit sich + lassen + Infinitiv [Möglichkeit] (8), das

ugs. gehören-Passiv mit gehören + Partizip II [Notwendigkeit] (9). (6) Den Kunden ist frische Ware zu liefern. ['Den Kunden kann/soll/muss frische Ware geliefert werden.'] (7) Die frische Ware ist lieferbar. ['Die frische Ware kann geliefert werden.'] (8) Die frische Ware lässt sich liefern. ['Die frische Ware kann geliefert werden.'] (9) Die frische Ware gehört geliefert. ['Die frische Ware muss geliefert werden.'] Tamás Kispál ≡ Passivparaphrase → Passiv → Gram-Syntax: bekommen-Passiv; gehören-Passiv; Modalpassiv; Passivtyp; Passivumschreibung; Zustandspassiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2011] Richtiges und gutes Deutsch. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. 7., vollst. überarb. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2007] Deutsche Grammatik. 5., vollst. überarb. Aufl. Zürich ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

perdurative Aktionsart

Aktionsart mit Phasenbedeutung, die einen relativ langen, über das übliche Maß hinausgehenden Zeitabschnitt einer Handlung ausdrückt. ▲ perdurative aktionsart: lexical aspect pertaining to a phrase which characterises the duration of an action as exceeding the usual amount of time. Perdurative Verben kennzeichnen den Ablauf des bezeichneten Vorgangs oder Zustands als nach einer bestimmten Dauer abgeschlossen. Im Russ. sind die entsprechenden Verben mit dem Präfix pro- gekennzeichnet (žit’ 'leben' vs. prožit’ ['(ein ganzes Leben) leben']; spat’ ['schlafen'] vs. prospat’ ['(die ganze Nacht über) schlafen']). Im Dt. kann man Verben wie etwas schwärzen ['Handlung ausführen, bis etwas schwarz ist'] oder ausschlafen als perdurativ ansehen.

→ Aktionsart; Verb → Gram-Syntax: Aspekt

Christine Römer

🕮 Schwall, U. [1991] Aspektualität. Eine semantisch-funktionelle Kategorie. Tübingen.

Perfekt

Vergangenheitstempus, das im engeren Sinne das Präsensperfekt meint und im weiteren Sinne die

569 Perfekt Perfekt-Tempora Präsensperfekt, Präteritumperfekt/Plusquamperfekt und Futurperfekt/Futur II, und eine aspektuale Bedeutungskomponente hervorhebt. ▲ perfect tense: collective term for the perfect tenses, in a narrower sense for the present perfect, emphasizing the aspectual connotation. Das Perf. ist ein Vergangenheitstempus, das sich im Dt. zusätzlich zum bereits vorhandenen Prät. in einem Prozess der Grammatikalisierung herausgebildet hat. In den von Dahl (1985: 129) untersuchten Sprachen ist das Perf. in 85 % der Fälle eine periphrastische (analytische) Form. Aus einer syntaktischen Konstruktion mit Resultatsbedeutung entsteht ein morphologisches Amalgam mit Vergangenheitsbedeutung und gewissen aspektualen Besonderheiten, die im Laufe der weiteren Sprachentwicklung die Tendenz haben, sich abzuschwächen und zu verschwinden, so dass nur eine Vergangenheitsbedeutung zurückbleibt (vgl. Litvinov/Nedjalkov 1988). Im Zentrum der drei dt. Perfekttempora steht das Präsensperf. Es wird aus dem Präs. der Hilfsverben sein oder haben und dem Partizip II gebildet. Im Präteritumperf. stehen sein und haben im Prät. Das Futurperf. wird gebildet aus dem Futur von werden + Partizip II. Das dt. Perf. ist aus der Subjektsprädikativkonstruktion (Kopulakonstruktion) sein + Partizip II und der Objekts­ prädikativkonstruktion haben + Partizip II entstanden. Syntaktische und semantische Spuren des Ursprungszustands sind im heutigen Perf. noch bewahrt. Daher kann eine so genannte kompositionale (d.h. syntaktische) Analyse des Perf. noch heute seine Besonderheiten erklären. Diese Besonderheiten können (vage) als apektual und perfektiv beschrieben werden. Sie haben dazu geführt, dass bei der Charakterisierung des Perfekts seine Aspektualität in der Regel besonders hervorgehoben wird. Es gibt einige Verwendungen von sein + Partizip II bei weniger perfektiven Verben und einige Kombinationen von haben + Partizip II perfektiver Verben, in denen die ursprüngliche Prädikativkonstruktion in der ursprünglichen Bedeutung des perfektiven Partizips II noch bewahrt ist. Das Partizip II bedeutet in diesen Fällen den Nachzustand (das Resultat) zu dem Vorgang, den ein telisches (perfektives) Verb denotiert.

(1) (2)

Der See ist stark zugefroren. Die Kuh hat einen Ring durch die Nase gezogen. Satz (1) kann man dahingehend verstehen, dass der See im Zustand des Zugefrorenseins ist, also im Nachzustand des Vorgangs des Zufrierens ist. Satz (2) versteht man normalerweise nicht als ein morphologisches Perf., sondern wie in (2a): (2a) Die Kuh hat einen Ring, der ihr durch die Nase gezogen worden ist. Man kann das eigentliche Perf. terminologisch von diesen syntaktischen Konstruktionen unterscheiden. Das geschieht stets im Falle von haben + Partizip II, weil die Objektsprädikativkonstruktion auf Grund des passivischen Charakters des Partizips II weiter vom Perf. entfernt ist als sein + Partizip II (vgl. (2) vs. (1) jeweils mit den Interpretationen 'Nachzustand' und 'Vergangenheit'). Die neue morphologische Form und die neue morphologische Bedeutung von sein + Partizip II liegen vor, wenn die Sprecher/Hörer (1) nicht als Kopulakonstruktion mit der Konstruktionsbedeutung der Zuweisung einer Eigenschaft an das vom Subjekt Denotierte auffassen, sondern als Mitteilung, dass ein Vorgang, z.B. der Vorgang des Zufrierens, vergangen ist. Wenn man in (2) Kuh durch Mann ersetzt, ist die morphologische Vergangenheitsbedeutung von haben + Partizip II ebenfalls die Default-Lesart. (2b) Der Mann hat einen Ring durch die Nase gezogen. Der Vergleich zwischen (1) und (1a) verdeutlicht, worin der Übergang von der syntaktischen Konstruktionsbedeutung zur morphologischen Vergangenheitsbedeutung besteht. (1a) Der See ist schnell/gestern zugefroren. Als Kern einer Kopulakonstruktion müsste das Verb sein im Präs. mit einem Partizip II kombiniert werden, das in Übereinstimmung mit der Bedeutung des (diachron) originären Partizips II perfektiver Verben 'Nachzustand' (Zustand als Resultat des vom Verb zufrieren denotierten Vorgangs) bedeutet. Dazu steht jedoch ein Adverb wie schnell im Widerspruch. Denn schnell modifiziert typischerweise einen Vorgang, nicht einen Zustand. Aber weder das finite Verb ist noch das Partizip zugefroren denotieren, die Subjektsprädikativkonstruktion vorausgesetzt, einen Vorgang. Der Satz wird auch nicht verstanden als Der See ist schnell im Zustand ‚zugefroren‘ analog zu

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Anton ist schnell blau. Das Adverb gestern steht außerdem durch seine temporale Bedeutung im Widerspruch zum Präs. von sein. Wenn ein erster Hörer auf einen Satz wie (1a) trifft, wird er möglicherweise die Interpretation verweigern. Möglicherweise folgt er aber der Relevanzmaxime (Maxime der Relation) und macht von einer Implikatur Gebrauch. Diese besagt, dass ein Nachzustand einen Vorgang voraussetzt, der zu diesem Nachzustand geführt hat. Dieser Hörer interpretiert also zugefroren nicht als Nachzustand, sondern als vergangenen Vorgang. Er korrigiert die Bedeutung des Partizips auf Grund einer Implikatur. Eine solche Implikatur ist stets die Quelle einer möglichen neuen Bedeutung. Entsprechend hat im Zusammenhang mit der Entstehung des Perf. und des Passivs auch das heutige attributive Partizip II des perfektiven Verbs zufrieren zwei Bedeutungen, eine Nachzustands- und eine Vergangenheitsbedeutung. (3) Wir betraten den zugefrorenen See. (3a) Wir kamen zu dem gestern zugefrorenen See. In (3) kann zugefroren beide Bedeutungen haben, in (3a) nur die Vergangenheitsbedeutung. Der Übergang von einer syntaktischen Konstruktion zu einem morphologischen Perf. und zum Passiv hat sich zunächst an Partizipien II perfektiver Verben vollzogen. Es entstand ein neuer Kon­ struktionstyp mit einer analytischen Verbform aus sein/haben + Partizip II perfektiver Verben. Diese Perfektkonstruktion wurde analogisch ausgeweitet, indem auch Partizipien II imperfektiver Verben in ihr verwendet wurden. Partizipien II imperfektiver Verben kamen folglich anfangs nur in den neuen morphologischen analytischen Formen und in Vergangenheitsbedeutung vor. Die Verwendung als attributives Partizip war wiederum dazu eine analogische Ausweitung. In der Kopulakonstruktion (1) gibt es zwei Prädikationen, eine übergeordnete auf Grund der finiten Verbform und eine untergeordnete auf Grund der infiniten Verbform. Ein Adverb wie stark passt zum Partizip II zugefroren. Denn dessen Bedeutung ist 'Nachzustand', und das Adverb stark kann einen Zustand modifizieren. Ein Adverb wie jetzt passt zum Präs. von sein. Adverbien wie schnell oder gestern passen zu keiner der beiden Prädikationen. Der Ausweg ist der Bezug des Adverbials auf die untergeordnete Prädikation und

die Uminterpretation des Partizips auf Grund der oben erwähnten Implikatur als vergangener Vorgang. Allerdings steht man dann immer noch vor der Frage, was mit dem semantisch jetzt eigentlich überflüssigen Finitum ist zu geschehen hat. Denn die Einordnung von (1a) als vergangen steht im Widerspruch zur Einordnung durch ist als gegenwärtig. Ein Hörer könnte die übergeordnete Prädikation als bloßes Relikt des syntaktischen Vorzustands ansehen und nur noch als Zeichen der für einen Satz im Dt. geforderten Finitheit werten. Das wäre bereits der Endzustand einer Perfektentwicklung, wo das Perf. einfach nur 'Vergangenheit' bedeutet. Ein Hörer könnte aber auch der Relevanzmaxime folgen und weiterhin unterstellen, dass es sich beim Finitium um eine übergeordnete Prädikation handelt. Eine Möglichkeit der Interpretation besteht dann darin, das sehr allgemeine Verb sein als 'wahr sein' oder 'gelten' aufzufassen, so dass (1a) im Sinne von (4) zu lesen ist. (4) Zur Sprechzeit ist wahr, dass das Zufrieren vergangen ist. Um diese Interpretation plausibel zu machen, kann man das Plq.perf. heranziehen (5). (5) Als wir gestern Anita trafen, war Anton schon gegangen. (5a) Als wir gestern Anita trafen, war (bereits) wahr, dass Anton gegangen war. Beim Plq.perf. (Präteritumperf.) erhält diese Interpretation offensichtlich Relevanz. Denn es kann relevant sein, mitzuteilen, seit wann etwas vergangen ist. Beim Präsensperf. ist das jedoch eine redundante Aussage. Denn das Partizip wird als ‚Vergangenheit‘ in Bezug auf die Sprechzeit interpretiert, und das präsentische Hilfsverb behauptet noch einmal, dass das gegenüber der Sprechzeit gilt. Dennoch kann auch hier die Relevanzmaxime greifen. Denn Redundanz kann stets als Betonung der Relevanz ausgelegt werden. Es wird betont, dass der an sich selbstverständliche Umstand des Bezugs auf die Sprechzeit im vorliegenden Fall besonders relevant ist. Das ist genau der aspektuale Effekt, der dem Perf. als Gegenwartsrelevanz immer wieder zugeschrieben wird. Auch die Auslegung als Betonung der Abgeschlossenheit ist möglich sowie als Außenperspektive und Ganzheitlichkeit. Auf diesem Wege entsteht aus einer syntaktischen Struktur

571 Perfekt mit zwei Prädikationen eine sekundäre Evaluationszeit. Aus dieser resultiert die Aspektualität des Perfekts. Man hat es beim Perf. folglich mit zwei Bezugszeiten zu tun. Die Zeit, die das Perf. denotiert, die Situationszeit, wird als vergangen bestimmt, und zwar nicht nur in Bezug auf eine primäre Evaluationszeit, sondern außerdem in Bezug auf eine sekundäre Evaluationszeit (beim Futurperf. nur in Bezug auf die sekundäre Evaluationszeit). Die primäre Evaluationszeit ist grosso modo die Sprechzeit (Äußerungszeit). Die sekundäre Evaluationszeit ist eine zweite Evaluationszeit. Das sind die Reichenbach’schen Parameter point of the event, point of speech und point of reference. Die dt. Übersetzungen, z.B. bei Helbig/Buscha (2001) und Eisenberg (1988) sind Ereigniszeit, Sprechzeit und Betrachtzeit. Die sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) ist neben der primären (der Sprechzeit) ein zweiter deiktischer Angelpunkt. Das kann ein tatsächliches weiteres Ereignis sein, wie typischerweise beim Plq.perf., aber auch ein gesetztes zeitliches Intervall. Die sekundäre Evaluationszeit ist aus der für die Perfektkonstruktion spezifischen syntaktischen Struktur entstanden. Sie ist eine zusätzliche Evaluationszeit und eine aspektuale Differenzierung des zeitlichen Bezugs. Durch die Opposition zum Perf. bildete das Prät. ebenfalls eine sekundäre Evaluationszeit aus. Folglich besitzen heute (in der Standardsprache) sowohl die Perfekttempora als auch das Prät. eine sekundäre Evaluationszeit, aber nicht das Futur I und das Präs. Die sekundäre Evaluationszeit resultiert aus dem Tempus des Hilfsverbs. Sie liegt beim Präsensperf. in der Gegenwart, beim Präteritumperf. in der Vergangenheit und beim Futurperf. (und Präsensperf. in Zukunftsbedeutung) in der Zukunft. Beim Präsens­ perf. überlappt sich die sekundäre Evaluationszeit mit der primären Evaluationszeit. Die Situationszeit ist dadurch beim Präsensperf. sozusagen zweimal gegenüber der Sprechzeit vergangen. Beim Präteritumperf. ist die Situationszeit nicht nur gegenüber der primären Evaluationszeit vergangen, sondern auch gegenüber der (ihrerseits in Bezug auf die primäre Evaluationszeit vergangenen) sekundären Evaluationszeit. Beim Futurperf. ist die Situationszeit in Bezug auf die sekundäre Evaluationszeit vergangen und in Bezug auf die primäre Evaluationszeit zukünftig. Beim

Prät. überlappt sich die sekundäre Evaluationszeit mit der Situationszeit. Die Situationszeit des Prät. ist folglich vergangen in Bezug auf die primäre Evaluationszeit und gegenwärtig in Bezug auf die sekundäre Evaluationszeit. Klein (1994) differenziert weiter und unterscheidet zwischen der Zeit, über die der Sprecher subjektiv reden will, und der Zeit, in die eine Situation bzw. ein Ereignis objektiv fällt. Diese subjektive Zeit nennt er Topikzeit. Sie entspricht bei ihm der Betrachtzeit (sekundären Evaluationszeit). Man kann den Gesichtspunkt der Subjektivität (Zeit, über die der Sprecher reden will) aber auch unmittelbar auf die Situationszeit beziehen als die Zeit, über die der Sprecher reden will. Man kann folgern und sagen, dass für die Sprecher die objektive Situationszeit zwar als Denotat im Hintergrund ist, dass sie aber konkret immer nur eine subjektive Situationszeit im Auge haben, die sie so genau einkreisen, wie es für den Zweck der Mitteilung erforderlich ist, und so genau, wie es die sprachlichen Mittel, u.a. die Tempora, hergeben. (6) Ich bin vom Fahrrad gefallen. In (6) deutet der Sprecher die Zeit, über die er reden will, vage an. Es war irgendwann in der Vergangenheit. Ein Hörer weiß, dass man in seinem Leben mehr als einmal vom Fahrrad fallen kann. Da der Satz im Perf. steht und als Mitteilung eines Sachverhalts aufzufassen ist, wird der Hörer auf Grund der Relevanzmaxime (Maxime der Relation) folgern, dass der Sturz in der unmittelbaren Vergangenheit passierte und nicht z.B. in der fernen Kindheit beim Erlernen des Radfahrens. Denn die Relevanzmaxime besagt, dass ein Hörer stets zunächst Relevanz der Mitteilung im gegebenen Kontext unterstellt, sich also überlegen wird, in welcher Hinsicht eine gegebene Mitteilung relevant sein könnte, bevor er sie gegebenenfalls als misslungen zurückweist. Das könnte z.B. sein, wenn jemand gerade zur Tür herein kommt und den Satz (6) äußert. In einem Gespräch, in dem vom Erlernen des Radfahrens in der Kindheit die Rede ist, bezieht sich der Satz (6) höchstwahrscheinlich auf dieses erste Ereignis. Auch bei (6a) könnte die gleiche Implikatur angesichts eines blutigen Knies oder beim Zuspätkommen gezogen werden wie bei (6). (6a) Ich fiel vom Fahrrad. Als isolierte Einzelmitteilung ist das Prät. hier zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Nor-

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malerweise ist ein solches Prät. jedoch Teil einer Erzählung, und es bezieht sich dann auf die gleiche nahe oder ferne Vergangenheit wie die anderen Passagen der Erzählung. Relevanz-Berechnungen dieser Art gehören nicht zur Bedeutung, sondern bleiben Implikaturen des Hörers. Beim Präsensperf. wirkt sich die mit der Sprechzeit überlappende sekundäre Evaluationszeit in solchen subjektiven Perfekt-Effekten wie Gegenwartsrelevanz, Eindruck der Abgeschlossenheit, Außenperspektive und Ganzheitlichkeit aus. Die sich mit der vergangenen Situationszeit überlappende sekundäre Evaluationszeit des Prät., die aus der Opposition zum Perf. folgt, führte zu spiegelbildlichen Imperfekt-Effekten des Prät.: Vergangenheitsrelevanz, Unabgeschlossenheit, Innenperspektive, Geschehen in seinem Verlauf. Die sekundären Evaluationszeiten des Präsens­ perf. und des Prät. und die daraus resultierenden Perfekt- und Imperfekt-Effekte beeinflussen nicht den Wahrheitswert der jeweiligen Aussage. Man kann diese Effekte daher Konnotationen nennen. Man kann sich folglich ohne Einbußen an denotativ Sagbarem im Dt. mit zwei Tempora hinreichend verständigen, mit dem Präs. für Aussagen über Gegenwart und Zukunft und dem Präsensperf. oder auch dem Prät. für Aussagen über die Vergangenheit. Der ausschließliche Gebrauch des Prät. würde allerdings stark von der Verwendungsnorm sowohl der Umgangsprache als auch der Standardsprache abweichen. Die sekundären Evaluationszeiten und die konnotativen Effekte sind außerdem aufhebbar. Daher sind semantische Oppositionen manchmal deutlich vorhanden und manchmal verschwunden. Beim stereotypen Gebrauch nur eines der beiden Tempora tritt ein overkill-Effekt ein (vgl. Givón 1979). In der Tendenz bleiben dann ein reines Vergangenheitstempus zurück, ohne zusätzliche (vage als aspektual beschreibbaren) Effekte. Solche Effekte entstehen dann nur kontextuell. Realiter ist das in Bezug auf das Perfekt der Fall, wenn es in einer Umgangssprache oder in einem Dialekt als alleiniges Vergangenheitstempus verwendet wird. Die unterschiedlichen sekundären Evaluationszeiten und konnotativen Effekte des Präsensperf. und Prät. sind dennoch wesentliche Ausdrucksdifferenzierungen, die sich in und mit der Standardsprache, vor allem in ihrer schriftlichen Va-

riante, herausgebildet haben. Sie sind dauerhaft gespeicherte semantische Merkmale und nicht nur pragmatische Effekte. Denn die Kriterien, mit deren Hilfe man nach Grice (1989) und Levinson (2000) Implikaturen von Bedeutungen unterscheiden kann, gelten nur partiell. So gilt zwar das Kriterium der Aufhebbarkeit, aber nicht das Kriterium der Übertragbarkeit. Denn die PerfektEffekte sind an das Perf. gebunden und die Imperfekt-Effekte an das Prät. Die Perfekt- und Imperfekteffekte existieren im Kontrast und durch den Kontrast der beiden Tempora und sind daher auch durch den Kontext des jeweils anderen Tempus mitbedingt. Verschwindet der Kontrast bei stereotypem Gebrauch nur eines der beiden Vergangenheitstempora, dann verschwinden auch die sekundäre Evaluationszeit und die Perfektbzw. Imperfekt-Effekte. Beim Präteritumperf. (Plq.perf.) ist die sekundäre Evaluationszeit, falls sie realisiert wird, wahrheitswertig. Sie kann aber ebenfalls aufgehoben werden. Zurück bleiben auch hier nur gewisse sekundäre Effekte wie beim Präsensperf. Auch beim Futurperf. ist die sekundäre Evaluationszeit wahrheitswertig. Hier ist sie jedoch nicht aufhebbar. Aber es gibt wie beim Futur I eine epistemische, also nicht mehr temporale Bedeutungsvariante. Diese ist beim Futur II die Default-Lesart, während das Futur I (das Präs. von werden + Infinitiv) in der geschriebenen Standardsprache nur relativ selten epistemisch verwendet wird, nach Saltveit (1962) in 3,3 % und nach Matzel/Ulvestad (1982) in 4,1 % der Fälle. Temporaladverbien können sich auf die Situationszeit oder auf die sekundäre Evaluationszeit beziehen. Sie sind also Situationszeitadverbiale oder Evaluationszeitadverbiale. Aus diesem Unterschied kann man z.B. das Präsensperf. in Zukunftsbedeutung und das Futurperf. erklären. (7) Morgen haben wir es geschafft. (7a) Morgen werden wir es geschafft haben. Vor die Aufgabe gestellt, dem Satz (7) eine sinnvolle Interpretation zu geben, fassen die Sprecher/ Hörer das Adverb morgen (im Unterschied zu gestern, vgl. oben) als Evaluationszeitadverbial auf. Es ist mit dem Präs. des Hilfsverbs verträglich, da 'Zukunft' eine Bedeutungsvariante des Präs. ist. Die vom Partizip denotierte Situationszeit interpretieren sie außerdem nicht als vergangen gegenüber der primären, sondern gegenüber der

573 Perfekt durch morgen als zukünftig spezifizierten sekundären Evaluationszeit, und sie platzieren die Situationszeit zwischen die primäre und die sekundäre Evaluationszeit. Das geschieht wiederum aus Gründen der Interpretierbarkeit und Relevanz, da andere Interpretationen keine sinnvolle bzw. relevante Aussage ergeben würden (Welke 2005). Die Interpretation von Adverbialen nicht als Situationszeit-, sondern als Evaluationszeitadverbiale erklärt auch gewisse weitere Besonderheiten von Perfektverwendungen (8), (vgl. Latzel 1977). (8) Das Theater hat seit zwei Stunden angefangen. Ehrich (1992) und Musan (2002; 2003) sehen den Nachzustand als die invariante Grundbedeutung des Präsensperf. an. Bei Fabricius-Hansen (1986), von Stechow (1999; 2002) und Rathert (2001) stützen Beispiele wie diese die These, dass es beim Perf. um Extended-now-Situationszeiten geht. So sollten Sätze vom Typ (8) eigentlich uninterpretierbar sein, und sie werden auch von vielen Sprechern als ungrammatisch zurückgewiesen. Denn die Präp. seit setzt ein Extended-now-Intervall voraus. Das ist ein Intervall, das sich von einem Punkt in der Vergangenheit, der durch die seit-Phrase fixiert wird, bis in die Sprechzeit hinein erstreckt. Ein perfektives Verb wie anfangen denotiert jedoch keine ausgedehnte Situationszeit. Es gibt aber folgende Möglichkeit der Interpretation (vgl. Welke 2005): Normalerweise sind Temporaladverbien beim Präsensperf. Situationszeitadverbiale. Um den Satz interpretieren zu können, bewerten die Hörer ausnahmsweise die seit-Phrase (wie das Adverb morgen, vgl. oben) nicht als Situationszeitadverbial, sondern als Evaluationszeitadverbial und interpretieren (8) dahingehend: Seit zwei Stunden gilt (ist wahr): Das Theater hat angefangen. (Das Ereignis des Anfangens ist vergangen.) In einer sekundären Evaluationszeit, die von einem Punkt der Vergangenheit, der durch die seit-Phrase angegeben wird, bis in die Gegenwart reicht, ist wahr/ gilt, dass das Theater angefangen hat. Primäre Evaluationszeit (Sprechzeit) und sekundäre Evaluationszeit überlappen sich daher. Das seit-Adverbial ist also mit dem Präs. des Hilfsverbs verträglich. Nur ist die sekundäre Evaluationszeit jetzt ein Extended-now-Intervall, das von einem Punkt der Vergangenheit bis in die Sprechzeit reicht. Wenn man das engl. present perfect ebenfalls so inter-

pretieren würde, dann könnte das heißen, dass auch beim engl. Perf. das Extended-now-Intervall nicht die Situationszeit selbst ist, sondern die sekundäre Evaluationszeit. Was für das dt. Perf. nur ausnahmsweise in Kontexten u.a. mit einem seitAdverbial gilt und nur eingeschränkt akzeptabel ist, nämlich, dass die sekundäre Evaluationszeit ein Extended-now-Intervall ist, würde für das engl. Perf. typischerweise oder sogar grundsätzlich gelten. Klaus Welke ≡ vollendete Gegenwart; Vorgegenwart ↔ Futur I; Präsens → § 16; Doppelperfekt; Futur II; gestrecktes Plusquamperfekt; haben-Perfekt; Imperfekt; Infinitiv Perfekt; Plusquamper­ fekt; Präsensperfekt; Präteritum; Präteritumperfekt; re­sul­­ tatives Futur II; Resultatsperfekt; Resultatsplusquamperfekt; sein-Perfekt; szenisches Perfekt; Tempus; Tempussystem; Tempuswechsel → Gram-Syntax: Erzähltempus; relativer Tempusgebrauch ⇀ Perfekt (HistSprw; SemPrag)

🕮 Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Ehrich, V. [1992] Hier und jetzt. Studien zur lokalen und temporalen Deixis. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Fabricius-Hansen, C. [1986] Tempus fugit. Über die Interpretation temporaler Strukturen im Deutschen. Düsseldorf ◾ Givón, T. [1979] On Understanding Grammar. New York, NY ◾ Grice, H.P. [1989] Logic and Conversation. In: Grice, H.P. [1989] Studies in the way of words. Cambridge, MA [etc.]: 22–57 ◾ Hauser-Suida, U./ Hoppe-Beugel, G. [1972] Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. München [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Klein, W. [1994] Time in language. London [etc.] ◾ Klein, W. [2000] An Analysis of the German Perfekt. In: Lg 76: 358–382 ◾ Latzel, S. [1977] Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum. Eine Darstellung mit Bezug auf Erfordernisse des Faches „Deutsch als Fremdsprache“. München ◾ Levinson, S. [2000] Presumptive Meanings. The theory of Generalized Conversational Implicatures. Cambridge ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen ◾ Matzel, K./ Ulvestad, B. [1982] Futur I und futurisches Präsens. In: Sprw 7: 282–328 ◾ McCoard, R.W. [1978] The English Perfect. Tense-Choice and Pragmatic Inferences. Amsterdam [etc.] ◾ Musan, R. [2002] The german perfect. Its semantic composition and its interactions with temporal adverbials. Dordrecht [etc.] ◾ Rathert, M. [2001] Anteriority versus Extended-Now. Theories of the German Perfect. In: Féry, C./ Sternefeld, W. [eds.] Audiatur Vox Sapientiae. A Festschrift for Arnim von Stechow. Berlin: 372–391 ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Saltveit, L. [1962] Studien zum deutschen Futur. Die Fügung „werden mit dem Partizip des Präsens” und „werden mit dem Infinitiv” in ihrer heutigen Funktion und in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Bergen [etc.] ◾ Stechow, A. von [2002] German seit ‚since‘ and the ambiguity of the German perfect. In: Kaufmann, I./ Stiebels, B. [eds.] More than Words.

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Perfekt, Infinitiv 574 A Festschrift for Dieter Wunderlich (StGram 53). Berlin: 93–432 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin ◾ Wunderlich, D. [1970] Tempus und Zeitreferenz im Deutschen. München.

Perfekt, Infinitiv → Infinitiv Perfekt

Perfekt, szenisches → szenisches Perfekt

Perfektivbildung

Prozess und Ergebnis verbaler Ableitungen, die aus einem temporal inhärent nicht begrenzten Verb ein Verb mit innerem Anfangs- oder Endpunkt bilden. ▲ perfective formation: word formation process or result which derives a verb with an internal starting or end point from a verb without inherent temporal boundaries.

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Den Ausgangspunkt für die Perfektivbildung bildet die semantisch motivierte aspektuelle Einteilung der Verben in perfektive (abgeschlossene, in der inneren Verlaufsstruktur begrenzte, z.B. aufessen, erblicken) und imperfektive/durative Verben (z.B. essen, schlafen). Diese Einteilung zielt lediglich auf den semantisch hervorgehobenen (profilierten) Teil des Ereignisses ab: So gilt z.B. das Verb essen als durativ, obwohl das Essen in der Wirklichkeit erfahrungsgemäß zeitlich begrenzt ist; das Verb aufessen ist jedoch perfektiv, denn es profiliert die zeitliche Abgegrenztheit dieser Handlung. Mittel der Perfektivbildung sind typischerweise Verbpräfixe, wobei im Dt. das unmarkierte Verb in der Regel das imperfektive (1), das markierte das perfektive (2) ist. (1) blühen [temporale Struktur gleichmäßig] (2) erblühen [profiliert: innerer Anfangspunkt]; verblühen [profiliert: innerer Endpunkt] Perfektive Intransitiva bilden das Perfekt oft mit dem Tempushilfsverb sein (Hentschel/Weydt 2003: 56), z.B. ist erblüht/verblüht. Zwischen Perfektivität und informationsstruktureller Organisation besteht ein Zusammenhang (Hopper/Thompson 1980; Eroms 1980). Dies hat sowohl syntaktische als auch pragmatische Aspekte im Sinne der Hervorhebung bestimmter Figuren. Auf textueller Ebene markieren perfektive Ereignisse häufiger Hintergrundinformationen,

so dass die Perfektivbildung nicht als rein morphologische Operation betrachtet werden kann. Bernadett Modrián-Horváth ≡ Perfektivierung → imperfektive Aktionsart; perfektive Aktionsart; sein-Perfekt; telische Aktionsart → Gram-Syntax: perfektiver Aspekt

🕮 Eroms, H.-W. [1980] Be-Verb und Präpositionalphrase. Heidelberg ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hopper, P.J./ Thompson, S.A. [1980] Transitivity in grammar and discourse. In: Lg 56: 251–299.

perfektive Aktionsart

grenzbezogene Aktionsart, in der der Grenzbezug im Verb selbst oder in der Verbalphrase vorhanden ist. ▲ perfective aktionsart: boundary-related lexical aspect where the reference to the boundary is encoded in the verb itself or in the verbal phrase. In der weiten Auffassung werden die Aktionsarten durch die Bedeutung des Verbs selbst oder Wortbildungsmittel, syntaktische sowie lexikalische Mittel ausgedrückt. Sie sind also eine Satzkategorie, die primär an Verben und VPn sichtbar und eruierbar ist. Insbesondere in der Vergangenheit sind die perfektiven Verben (Verbphrasen) mit der Bedeutung des perfektiven Aspekts im Slaw. gleichgesetzt worden. Andersson (1972: 63) folgend kann man allgemein den Inhalt des perfektiven Aspekts, einer lexikalisch-grammatischen Kategorie des Verbs, als „die Erreichung und Überwindung einer Grenze der Handlung“ beschreiben. In der Semantik der perfektiven Aktionsarten ist eine Grenze, ein Ziel zwar vorhanden, aber „die Erreichung oder Nichterreichnung dieses Zieles, dieser Grenze [wird] erst durch den Kontext bestimmt“ (Andersson 1972: 63). Somit ist diese Grenze nur potenziell enthalten. Man darf die perfektive Aktionsart nicht mit der Erreichung einer Grenze (dem Aspekt) identifizieren und verwechseln, auch wenn es eine Art „der Aspektaffinität der Aktionsarten“ (Leiss 1992: 37) gibt. „Die grenzbezogenen Aktionsartverben weisen eine Affinität zur perfektiven Aspektkategorie auf“ (Leiss 1992: 37). In vielen Grammatiken wird jedoch diese traditionelle Terminologie verwendet. „Perfektive Verben grenzen den Verlauf des Geschehens zeitlich ein oder drücken den Übergang von einem Geschehen zu einem

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periphrastische Konjugation

anderen Geschehen aus“ Helbig/Buscha (2001: 62). Die Verfasser unterscheiden hier folgende Subklassen der perfektiven Verben: (a) ingressive oder inchoative Verben (auf-, erblühen, einschlafen), (b) egressive Verben (verblühen, verklingen), (c) mutative Verben (reifen, rosten), (d) kausative oder faktitive Verben (sprengen, schwärzen). Die Duden-Grammatik verwendet ab der 7. Aufl. hierfür den Terminus telisch. Solche Verben bezeichnen „Ereignisse, die einen Kulminations- oder Endpunkt voraussetzen, ohne den ein Geschehen des betreffenden Typs nicht vorliegen würde“ (Duden 2016: 416). Statt perfektiv sind in der Germanistik u.a. auch folgende Termini verwendet worden: nicht-durativ, punktuell, resultativ, terminativ. Andrzej Kątny

→ Aktionsart; imperfektive Aktionsart; ingressives Verb; mutatives Verb; Perfektivbildung

→ Gram-Syntax: Aspekt; perfektiver Aspekt

🕮 Andersson, S.-G. [1972] Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. Uppsala ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Perfektivierung

≡ Perfektivbildung

Perfektpartizip

≡ zweites Partizip

Perfektstamm

spezifische Stammbildung des Verbs, die zur Markierung Perfekt-basierter Tempora verwendet wird. ▲ perfect stem: special type of verbal stem formation used for the marking of perfect-based tense forms. In einer Vielzahl von Sprachen werden verbale Perfektstämme durch wortbildungsähnliche Prozesse von der Verbalwurzel abgeleitet, um so vor allem die Dimension der Zuständlichkeit anzuzeigen. Im Idg. finden sich z.B. Reduplikation als ikonischer Ausdruck des dauerhaften Zustands, Ablaut und derivative Verfahren über Suffixe. Dieses Stammbildungsverfahren wird in der Regel auch dann beibehalten, wenn die Aspekt-Ebene zugunsten einer temporalen Dimension aufge-

geben wird, wodurch Perfektstämme dann – wie im Lat. – komplexere temporale Subparadigmata bilden können. Wolfgang Schulze

→ Perfekt; Präsensstamm; Stamm; Tempus; Verb

🕮 Szemerényi, O. [1989] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 3., vollst. neu bearb. Aufl. Darmstadt.

peripherer Kasus

Kasus, der dem bezeichneten Gegenstand eine Randstellung im Sachverhalt der Aussage einräumt. ▲ peripheral case: case that gives the object it denotes a marginal position in the situation expressed by the utterance. In Jakobsons Theorie des russ. Kasussystems wird ein Merkmalsystem für die Kasus postuliert, das aus drei Merkmalen besteht: [Gerichtetheit der Handlung], [Umfangsverhältnisse] und [periphere Stellung]. Instrumental, Dativ und Lokativ werden als merkmalhaltig angesehen, weil sie das Vorhandensein des Merkmals [+periphere Stellung] enthalten. Dagegen ist der Nominativ merkmallos, da er den Handlungsmittelpunkt, das Satzsubjekt, bezeichnet. In den Einzelverwendungen dieses Kasus werden alle anderen Informationen durch die Bedeutung des reellen Gegenstands und den Kontext gegeben, nicht aber durch die Kasusform, die nur die Gesamtbedeutung der Randstellung hat.

→ Merkmal; Randkasus; Vollkasus

Giovanni Gobber

🕮 Chvany, C. [1986] Jakobson’s Fourth and Fifth Dimensions. On Reconciling the Cube Model of Case Meanings with the Two Dimensional Matrices for Case Forms. In: Brecht, R.D./ Levine, J. [eds.] Case in Slavic. Columbus, OH: 107–129 ◾ Corbett, G.G. [2012] Features. Cambridge ◾ Dürscheid, C. [1999] Die verbalen Kasus des Deutschen. Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive (StLingGerm 53). Berlin [etc.] ◾ Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288.

periphrastische Form ≡ analytische Form

periphrastische Konjugation

Konjugationstyp, in dem umschreibende Verbformen verwendet werden. ▲ periphrastic conjugation: conjugation that uses periphrastic verb forms. Bei der periphrastischen Konjugation werden

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periphrastische Verbform 576 Verbformen nicht durch Veränderungen am Stamm, sondern durch die Verwendung von Hilfsverben gebildet. In diesem Sinne kommt im Dt. die periphrastische Konjugation in zahlreichen Fällen, z.B. in der Bildung des Futurs, Perf., Plq.perf. oder des Passivs vor. Die Bezeichnung periphrastische Konjugation stammt aus der lat. Grammatiktradition und bezieht sich urspr. auf die Umschreibungen mit dem Hilfsverb esse-. Später ist die Verwendung des Begriffs auf das Partizip Futur Aktiv eingeschränkt worden. Eszter Kukorelli ≡ coniugatio periphrastica; umschreibende Konjugation → analytische Verbform; Hilfsverb; Konjugation → Gram-Syntax: Verbalperiphrase

🕮 Haspelmath, M. [2000] Periphrasis. In: Booij, G. et al. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 654–664 ◾ Hoffmann, R. [1993] ‚Periphrase‘ (‚periphrastisch‘). Zu Herkunft und Geschichte eines sprachwissenschaftlichen Begriffs. In: Glotta 71: 223– 242 ◾ Teuber, O. [2005] Analytische Verbformen im Deutschen. Syntax – Semantik – Grammatikalisierung. Hildesheim [etc.].

periphrastische Verbform ≡ analytische Verbform

Permissiv

Modus der Erlaubnis. ▲ permissive mood: mood of allowance.

PQ

Der Permissiv ist in der Regel eine über Modalverben kodierte Sprecherhaltung bzgl. des Eintretens einer Handlung, vgl. dt. du darfst essen ~ du kannst essen. Der Sprecher signalisiert, dass er das Eintreten der Handlung nicht behindert, es aber tun könnte. Der Permissiv ist also eine Art Umkehrung bzw. Negation des Prohibitivs (vgl. 'es ist nicht so, dass du nicht essen darfst').

↔ Prohibitiv → Debitiv; Modus ⇀ Permissiv (SemPrag)

Wolfgang Schulze

🕮 Nolan, B. [ed. 2015] Causation, permission, and transfer. Argument realisation in GET, TAKE, PUT, GIVE and LET verbs (StLgCompS 167). Amsterdam [etc.].

Person

universale sprachliche Kategorie zur Bezeichnung der kommunikativen Funktion des Äußerungsträgers, des Adressaten und des Besprochenen. ▲ person: universal category of language expressing the discourse role of the speaker, the addressee and the third party being talked about.

Der Terminus Person wurzelt – samt Nummerierung als 1., 2. und 3. Pers. – in der griech.-lat. Grammatiktradition; diese Einteilung findet man schon bei Dionysios Thrax (2. Jh. v. Chr.). Traditionell wird mit der 1. Pers. der Sprecher/ Schreiber, mit der 2. Pers. der Angesprochene und mit der 3. Pers. die besprochene Person oder Sache bezeichnet (vgl. z.B. Duden 2009: 1256). Siewierska (2004: 1) betont, dass die (grammatische) Kategorie der Person, im Falle der 1. und 2. Pers., weniger den Äußerungsträger und den Adressaten, sondern eher die kommunikative Funktion des Äußerungsträgers bzw. des Adressaten markiert. Wenn z.B. die Mutter zu einem Kleinkind einen Satz wie (1) sagt, bezieht sich zwar das Wort Mutti auf die Sprecherin, es bezeichnet aber keinesfalls die kommunikative Rolle des Sprechers. (1) Mutti gibt dir das gleich. Jachnow (1999: 8) spricht hingegen von „Personalität“ als einer universalen semanto-pragmatischen Kategorie, ohne ihre Grammatikalisierung in Form von Flexionsmorphemen oder Personalpronomina als notwendig zu erachten. Somit gehören für ihn nicht nur das Wort Mutti (1), sondern auch bestimmte Modalitätsausdrücke zum peripheren Bereich der Kategorie der Personalität (2). (2) Leider ist Peter weggegangen. Strittig ist, ob Person als grammatische Kategorie eine Kategorie der Verben oder eine bestimmter Typen von Pronomina (Personal-, Possessiv-, Reflexivpron.) ist. Häufig wird Person als verbale Kategorie betrachtet (Duden 2009: 1256). Engel (1991: 878) sieht Person als eine Kategorie der Verben und Pronomina. Nach Hentschel (2010: 239) ist Person in erster Linie eine verbale Kategorie, da bei Pronomina die Personalformen lexikalisiert sind und damit keine richtige grammatische Kategorie darstellen. Gehling (2004: 33) behauptet hingegen, „dass Personalität letztlich im nominalen Bereich einer Sprache beheimatet ist“. In Bezug auf das Verhältnis der drei Personenkategorien zueinander lassen sich grundsätzlich zwei verschiedene Auffassungen unterscheiden: (a) Es gibt eine grundsätzliche Opposition zwischen der 1. Pers. und den beiden anderen Personenkategorien, was einer Unterteilung von „Ich“ vs. „Nicht-Ich“ entspricht (vgl. z.B. Humboldt 1827; Boas 1911; Lyons 1968). (b) Es gibt eine Grundopposition zwischen der 1. Pers. und 2.

577 Personalendung Pers. gegenüber der 3. Pers. (z.B. Bühler 1934; Jakobson 1957; Harweg 1968), was einer Einteilung in „deiktisch“ und „anaphorisch“ entspricht (Gehling 2004: 5ff.). Die Kategorie Person wird generell durch Pronomina (insbesondere Personalpronomina) und/ oder durch verbale Flexionsformen ausgedrückt. Jedoch enthalten Sprachen in Bezug auf die Pronominal- wie auch die Konjugationssysteme eine große Varianz. Die Konjugationsparadigmen führen eher zu der Annahme, dass alle drei Personenkategorien klar voneinander unterschieden werden, wie das z.B. im Ital. der Fall ist (3). (3) dormo, dormi, dorme ['ich schlafe, du schläfst, er schläft'] Siewierska (2004: 76) listet vier belegte Typen für die möglichen Homophonien im Konjugationsparadigma auf: (a) 1. Pers. und 2. Pers. vs. 3. Pers.; (b) 1. Pers. vs. 2. Pers. und 3. Pers.; (c) 1. Pers. und 3. Pers. vs. 2. Pers.; (d) 1. Pers. und 2. Pers. und 3. Pers. Das Engl. gehört zum Typ (a), da hier die 1. und 2. Pers. identische Formen haben (4), das Dän. repräsentiert den Typ (d), da hier alle Personalformen identisch sind (5). (4) I sleep, you sleep, he sleeps (5) jeg sover, du sover, han sover ['ich schlafe, du schläfst, er schläft'] Somit sind in diesen Sprachen andere Mittel, in der Regel Personalpronomina, notwendig, um die Kategorie der Person eindeutig zu kennzeichnen. Jedoch enthalten auch die Personalpronominalsysteme einige Unklarheiten. Im Dt., in dem für die drei Personenkategorien jeweils im Sg. und im Pl. verschiedene pronominale Formen existieren, ist es z.B. nicht möglich, die Distanzform der Anrede (Sie) in das Paradigma einzureihen, da diese Form formal drittpersonig (und pluralisch), funktional aber zweitpersonig (und singularisch oder pluralisch) ist. Ferner stellt sich bei Personalpronomina die Frage, in welchem Verhältnis die Kategorien Person und Numerus zueinander stehen. Problematisch ist hier das Personalpron. der 1. Pers. Pl., da wir kein vollwertiger Plural ist: Es bezeichnet nicht die Mehrzahl von ich und bezeichnet in seltenen Fällen die (gleichzeitig) sprechenden Personen. Vielmehr bezeichnet wir die sprechende Person und noch mindestens eine weitere Person, die auch der Adressat sein kann, aber nicht sein muss. Es gibt auch Sprachen (z.B.

Mandarin, Tagalog), die für diese Bedeutungen zwei verschiedene Formen haben, eine sog. inklusive, die den Adressaten einbezieht ('ich, du und evtl. andere'), und eine sog. exklusive, die den Adressaten ausschließt ('ich und andere, aber du nicht'). Des Weiteren kann wir in seiner Funktion als pluralis auctoris und pluralis maiestatis den Äußerungsträger, in der Funktion als pluralis benevolentiae den Adressaten bezeichnen. Krisztina Molnár

→ § 9, 16; Numerus; Personalform; Personalpronomen; Plural; pluralis auctoris; pluralis benevolentiae; pluralis majestatis; Pronomen; Singular; Verb

→ Gram-Syntax: anaphorische Funktion; Deixis ⇀ Person (Textling; CG-Dt; SemPrag) ⇁ person (Typol)

🕮 Benveniste, É. [1946/1966] Structure des relations de personne dans le verbe. In: benveniste, É. [ed.] Problèmes de linguis-

tique générale. Paris: 225–236 ◾ Boas, F. [1911] Introduction.

In: Boas, F. [1911] Handbook of American Indian languages 1. Washington, DC: 1–83 ◾ Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die

Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg

◾ Gehling, T. [2004] ‚Ich‘, ‚du‘ und andere. Eine sprachtypologische Studie zu den grammatischen Kategorien „Person“

und „Numerus“. Münster ◾ Harweg, R. [1968] Pronomina und

Textkonstitution. München ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Humboldt, W. von [1827/2002] Ueber

den Dualis. In: Humboldt, W. von [2002] Werke in fünf Bänden. Bd. 3: Schriften zur Sprachphilosophie. Hrsg. von Flitner, A. und Giel, K. Darmstadt: 113–143 ◾ Jachnow, H. [1999] Die Persona-

lität als sprachliche Universalie – Funktionen und Formen. In:

Jachnow, H. et al. [Hg.] Personalität und Person. Wiesbaden:

1–36 ◾ Jakobson, R. [1957] Shifters, Verbal Categories and the Russian Verb. Harvard University. Cambridge, MA ◾ Lyons, J. [1968] Introduction to Theoretical Linguistics. Cambridge ◾ Siewierska, A. [2004] Person. Cambridge.

Personalendung

Flexionssuffix zum Ausdruck von Person und Numerus. ▲ personal ending: inflectional suffix designating person and number. Anna Vargyas

→ Flexionsparadigma; Numerus; Person; Suffix; Verbflexion → Gram-Syntax: Subjekt-Prädikat-Kongruenz

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual.

Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der

deutschen Grammatik. Bd. 2: Das Wort. 4. Aufl. Stuttgart ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

PQ

Personalform 578

Personalform

Verbform, die nach Person und Numerus flektiert ist. ▲ finite verb form: verb form inflected for person and number.

PQ

Finite Verbformen werden nach Person und Numerus flektiert und sind bzgl. Modus, Tempus und genus verbi bestimmt. Im Dt. stimmt das Verb in Person und Numerus mit dem Subjekt des Satzes überein (Kongruenz) und zeigt somit die syntaktischen Beziehungen im Satz an. Im Gegensatz zu diesen prototypischen Kongruenzkategorien bezeichnet man Modus, Tempus (und Aspekt) als inhärente Kategorien, weil sie „zwar morphologisch konstituiert und semantisch interpretiert werden, im allgemeinen aber nicht syntaktisch begründet werden können, sondern eben allein die Bedeutung der Verbform selbst modifizieren“ (Thieroff 1992: 12 mit Bezug auf Anderson 1985). Das genus verbi wird schließlich relationale Kategorie genannt, weil durch die jeweilige Verbform die relationale Struktur des Satzes bestimmt wird. Aufgrund der Ergebnisse ihrer sprachvergleichenden Untersuchung stellt Bybee (1985: 41) bzgl. der Abfolge der Morpheme fest, dass diese auf universelle synchrone Prinzipien der sprachlichen Organisation hindeuten, die teilweise diachronisch zu erklären sind. Sie behauptet, dass „the order of morphemes is in large part a result of the order of words in the verb phrase, and that the frequency of occurrence of certain categories as verbal inflections is a reflex of their frequent occurrence contiguous to the main verb“ (Bybee 1985: 41). Eisenberg (2013: 197) gibt die folgende Hierarchie der für das Dt. relevanten Kategorien wieder: genus verbi > Tempus > Modus > Numerus > Person. Wie in der Mehrzahl der von Bybee untersuchten Sprachen erfolgt der Ausdruck von Pers. und Numerus auch im Dt. gleichzeitig in Form eines fusionierenden Suffixes. Die Personalformen der synthetischen Tempora werden im Dt. bei den schwachen Verben durch Suffigierung gebildet (Personalendungen: -e, -(e)‌st, -(e)t, -(e)n oder Nullstellen bzw. Dentalsuffix im Prät.); bei den starken Verben kann zusätzlich eine Änderung des Stammvokals auftreten: in der 2. und 3. Pers. Sg. Präs. Vokalhebung und Umlaut, im Prät. (und im Partizip Perf.) Ablaut, eventuell sonstiger Vokalwechsel/ konsonantische Verände-

rungen oder Suppletivformen, und im Konjunktiv mit Umlaut. Die Modalverben (Präteritopräsentia mit Ausnahme von wollen) haben Vokalwechsel im Präs. vom Sg. zum Pl. (außer sollen). In den analytischen Verbformen verbindet sich das jeweilige infinite Verb mit einem finiten Hilfsverb. Der Imperativ wird als nicht finit bzw. semifinit betrachtet, weil er nur hinsichtlich des Numerus, nicht aber der Person kategorisiert wird (Eisenberg 2013: 194f.). Im Sg. Indikativ Präs. sind die drei Personalformen unterschiedlich und damit ist „weitestgehende Formdifferenzierung“ gegeben, die bei einer unmarkierten Kategorie erwartbar ist (Eisenberg 2013: 180). Umstritten ist die Fakultativität des Schwa der 1. Pers. Sg. Indikativ Präs.: „Es soll im Prinzip erscheinen, kann aber aus Gründen des paradigmatischen Ausgleichs mehr oder weniger konsequent ausfallen“ (Eisenberg 2013: 182 mit Bezug auf Raffelsiefen 1995). Außer im Sg. Indikativ Präs. fallen die 1. und 3. Pers. der Verbformen systematisch zusammen (Synkretismus). Anna Vargyas

→ Flexion; Numerus; Person; Personalendung; Verbflexion → Gram-Syntax: Kongruenz

🕮 Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Flämig, W. [1991] Grammatik des Deutschen. Einführung in Strukturund Wirkungszusammenhänge. Berlin ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

Personalpronomen

referentiell abhängiger Ausdruck, der für eine volle Nominalphrase stellvertretend ist. ▲ personal pronoun: referentially independent expression that stands for a full noun phrase. Im Diskurs erweist es sich oft als notwendig, anaphorische oder deiktische Mittel zu verwenden, um die Wiederholung von Substantiven zu vermeiden. Diesem Zweck dienen u.a. Personalpronomina wie etwa im Dt. ich, du, er, sie, es usw. Personalpronomina können nach Person (ich vs. er), Numerus (ich vs. wir), Kasus (ich vs. mich), und begrenzt nach Genus (er vs. sie) dekliniert werden. In anderen Sprachen sind Pronominalsysteme zu finden, die sich von dem des Dt. unterscheiden und folglich einfacher oder komplexer sein

579 Personalpronomen können. Was z.B. die Person betrifft, so fehlen im Lat. Personalpronomina der 3. Pers., die durch Demonstrativpronomina ersetzt werden. In Bezug auf den Numerus findet man in vielen Sprachen neben Singular und Plural auch den Dualis (oder sogar den Trial) einiger Pronomina, die sich auf zwei (bzw. drei) Referenten beziehen. Im Altgriech. z.B. unterscheidet man zwischen Singular, Dualis und Plural. Auch mit Bezug auf Genera und Kasus sind in anderen Sprachen Pronominalsysteme zu finden, die sich von dem des Dt. unterscheiden. Einen Sonderfall im Pronominalsystem stellt die Höflichkeitsform dar. Diese Form wird genutzt, um Respekt oder Achtung für einen (bzw. mehrere) Gesprächspartner auszudrücken. Im Dt. wird der Gesprächspartner in solchen Kontexten in der Form der 3. Pers. Pl. angeredet (1), statt in der Form der 2. Pers. (Sg. bzw. Pl.). (1) Frau Müller, Sie sind sehr nett zu mir gewesen. Pronomina kommen in mehreren Formen vor (stark, schwach, klitisch), die eine unterschiedliche Distribution und unterschiedliche semantische Eigenschaften aufweisen, sowie teilweise auch unterschiedliche morphologische Formen. Starke Pronomina haben die gleiche Distribution wie NPn, d.h., sie können z.B. isoliert vorkommen oder modifiziert und koordiniert werden ((2)–(4)). (2) Wen hast du gesehen? Hans/Ihn. (3) Ich habe nur Hans / nur ihn gesehen. (4) Ich habe Hans/ihn und seine Frau gesehen. Schwache Pronomina hingegen sind in denselben Kontexten ungrammatisch ((5)–(7)). (5) Was hast du gekauft? Die Torte / *Sie. (6) Ich habe nur die Torte / *nur sie gekauft. (7) Ich habe die Torte / *sie und Kaffee gekauft. Schwache Pronomina, die oft reduziert sind, können nur links im Mittelfeld stehen ((8), (9)). (8) Gestern habe ich sie/[zə] schon gekauft/gesehen. (9) Ich glaube, dass er sie/[zə] schon gekauft/gesehen hat. Den Beispielen (2)–(7) ist zu entnehmen, dass starke Pronomina nur [+human]-Referenten haben können, während schwache Pronomina freie Referenzmöglichkeiten aufweisen ((8)–(9)). Andere Sprachen, wie z.B. die roman., haben klitische Pronomina, die dieselben Eigenschaften wie germ. schwache Pronomina aufweisen, aber an

einer verbalen Form klitisiert sind ((10)–(13) für Ital.). (10) Chi hai visto? Lei/*La. ['Wen hast du gesehen? Sie/*[zə].'] (11) Ho visto solo lei / *solo la. ['Ich habe nur sie / *nur [zə] gesehen.'] (12) L’ho vista/comprata. ['Ich hab [zə] gesehen/ gekauft.'] (13) Voglio vederla/comprarla. ['Ich will [zə] sehen/kaufen.'] In einigen Merkmalkombinationen weisen Sprachen, z.B. das Ital., alle drei Typen von Pronomina auf: (14) klitisch: Gli ho regalato un libro. [ugs. 'Ich habe ihnen ein Buch geschenkt.'] (15) schwach: Ho regalato loro un libro. ['Ich habe ihnen ein Buch geschenkt.'] (16) stark: Ho regalato un libro a loro. ['Ich habe ein Buch IHNEN geschenkt.'] Vom semantischen Gesichtspunkt her sind anaphorische und deiktische Pronomina zu unterscheiden. Erstere werden mit Bezug auf eine vorangehende NP interpretiert, Letztere hingegen haben unabhängige Referenzmöglichkeiten und können in Verbindung mit einer Geste benutzt werden. Schwache und klitische Pronomina können nicht deiktisch benutzt werden. Das unmarkierte schwache Personalpron. es kann auch als Platzhalter- oder dummy-Pron. benutzt werden, dessen Realisierung aus rein syntaktischen Gründen gefordert und dem keine referenzielle Interpretation zugewiesen wird, wie z.B. im Dt. bei ausgeklammerten Subjektsätzen (17), Witterungsverben (18) und bei Konstruktionen, in denen es als Platzhalter für ein Subjekt dient (19). In Pro-drop-Sprachen, wie etwa dem Ital., wird in diesen Fällen das Personalpron. nicht realisiert. (17) Es ist klar, dass Hans nicht kommen wird. (∅ E’ chiaro che Gianni non verrà.) (18) Es schneit. (∅ Nevica.) (19) Es kommt ein Mann. (∅ Arriva un uomo.) Das gleiche Pron. im Akkusativ kann auch als ProWort für Prädikate vorkommen ((20), (21)). (20) Die Tasche ist elegant und die Schuhe sind es auch. (21) Jemand muss Anna anrufen, wenn Hans es nicht selbst tut. Einige Formen der Personalpronomina werden

PQ

Personalpronomen, generalisierendes indefinites 580 auch als Reflexiv- und Reziprokpronomina verwendet: (22) Ich habe mich schon heute früh gewaschen. (23) Wir treffen uns morgen. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ persönliches Fürwort; persönliches Pronomen → Anredepronomen; Partnerpronomen; Person; Pronomen; reines Verweispronomen → Gram-Syntax: Nominalphrase; Pro-drop-Parameter; ProWort ⇀ Personalpronomen (Sprachphil; CG-Dt; HistSprw) ⇁ personal pronoun (CG-Engl; Typol)

🕮 Cardinaletti, A./ Starke, M. [1999] The typology of structural deficiency. A case study of the three classes of pronouns. In: Riemsdijk, H. van [ed.] Clitics in the Languages of Europe. Berlin [etc.]: 145–234 ◾ Kayne, R.S. [1975] French syntax. The transformational cycle (CurrStLing 6). Cambridge, MA [etc.] ◾ Lenerz, J. [1992] Zur Theorie syntaktischen Wandels. Das expletive es in der Geschichte des Deutschen. In: Abraham, W. [Hg.] Erklärende Syntax des Deutschen. 2., überarb. Aufl. (StDG 25). Tübingen: 99–136 ◾ Pütz, H. [1986] Über die Syntax der Pronominalform „es“ im modernen Deutsch. 2., durchges. Aufl. (StDG 3). Tübingen.

Personalpronomen, generalisierendes indefinites

→ generalisierendes indefinites Personalpronomen

Personenbezeichnung

PQ

Sammelbegriff für Nomina, die auf Personen referieren. ▲ noun referring to a person: collective term for nouns referring to people. I.e.S. sind Personenbezeichnungen nominale Wortbildungsprodukte, die eine nicht-nominale Basis haben und auf Personen referieren. Dazu sind u.a. nomina agentis (Lehrerin, Arbeiter), nomina patientis (Lehrling, Säugling) und Herkunftsnamen (Niedersächsin, Pole) zu zählen. I.w.S. werden Nomina unabhängig von ihrer morphologischen Struktur in der lexikalischen Klasse der Personenbezeichnungen zusammengefasst, sofern sie auf Menschen referieren. Semantische Untergruppen bilden dann z.B. Verwandtschaftsbeziehungen (Tante, Onkel), Berufsbezeichnungen (Krankenpfleger, Pilotin) oder wertende Ausdrücke (Tölpel, Besserwisser). Genus (grammatisches Geschlecht) der Personenbezeichnung und Sexus (biologisches Geschlecht) der Person stimmen im Dt. nicht zwangsläufig überein. Drei Hauptgruppen lassen sich unter-

scheiden (Duden 2005: 155ff.): Die erste Gruppe bezeichnet unabhängig vom Genus sowohl männliche als auch weibliche Personen (der Mensch, die Person, das Kind). Wörter der zweiten Gruppe sind geschlechtsspezifisch (der Mann, die Frau). In der dritten Gruppe lässt sich eine feminine Form aus der maskulinen Form ableiten, in der Regel mit dem Suffix -in (Lehrer → Lehrerin; Koch → Köchin). Die maskulinen Nomina der dritten Gruppe werden auch verallgemeinernd für Männer und Frauen benutzt. Häufig steht dieses generische Maskulinum im Pl. für gemischte Personengruppen (die Bewohner, die Zuschauer). Der generische Gebrauch der maskulinen Form wird wegen seiner Missverständlichkeit hinsichtlich der Zugehörigkeit von Frauen zu den bezeichneten Gruppen kritisiert (Stahlberg/Sczesny 2001). Im Gegenwartsdt. werden vermehrt geschlechterübergreifende Formen verwendet, z.B. Doppelnennungen (Bürgerinnen und Bürger) oder geschlechtsneutrale Ersatzformen (die Studierenden). Max Möller

→ generisches Maskulinum; geschlechtsneutrale Personenbezeichnung; nomen agentis; nomen patientis; Personenname ⇀ Personenbezeichnung (Lexik)

🕮 Basekow, H. [2002] Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen. Kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalistischen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte. Berlin [etc.] ◾ Braun, F./ Gottburgsen, A./ Sczesny, S./ Stahlberg, D. [1998] Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. In: ZGL 26/3: 265–283 ◾ Braun, P. [1997] Personenbezeichnungen. Der Mensch in der deutschen Sprache (RGL 189). Tübingen ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Stahlberg, D./ Sczesny, S. [2001] Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: PsyRundschau 52: 131–140.

Personenbezeichnung, geschlechtsneutrale → geschlechtsneutrale Personenbezeichnung

Personenname

Eigenname einer Person. ▲ personal name: proper name referring to a person. Personennamen sind eine Untergruppe der Eigennamen (nomina propria). Im Gegensatz zu den Appellativa sind Personennamen nur begrenzt

581

persönliches Passiv

phrasenbildend. Typischerweise finden sich eine Juxtaposition (appositiver Nebenkern) bei Vorund Nachname (Eva Müller, Johannes Huber), bei Verwandtschaftsbezeichnungen (Tante Hete), bei Anredeformen (Frau Müller, Herr Huber) und Titulaturen (Dr. Müller) sowie bei Referenzformen von Berufsbezeichnungen (Herr Prof. Müller) vgl. Weinrich (1993: 322f.). Als Untergruppe der Eigennamen gehören Personennamen nicht zum Lexikon einer Sprache (vgl. Hoffmann 1999: 219f.). Aufgrund gesetzlicher Vorgaben, Moden und hist. Ereignisse erlauben Vornamen Rückschlüsse z.B. auf das Geschlecht ihres Trägers (Anna, Paul) oder dessen Alter (Chantal, Kevin vs. Elfriede, Adolf). Die Pragmatik von Personennamen ist komplex und – aufgrund der starken Orientierung der Semantik an der Logik – bisher unzureichend untersucht. Nach Hoffmann (1999: 224ff.) sind hinsichtlich der Verankerung von Personennamen im Hörerwissen vor allem folgende Verwendungsweisen zu klären: Die Denomination (Ich nenne dich Paula), die Vorstellung (Blühmel ist mein Name), die Supposition (eine Assistentin, Dr. Veronika Taubert, [...]), die Etikettierung (z.B. durch Namensschild) und die Nomination (Kenntnis des Trägers unterstellende Namensverwendung). Eine besondere Form der Verwendung von Personennamen ist die Anrede, bei der „der Adressat auf sich selbst verwiesen [wird]“ (Hoffmann 1999: 228). Der Personenname hat in diesem Zusammenhang weniger eine nennende, sondern eher eine den Hörer lenkende, expedierende Qualität (vgl. Hoffmann 1999). Winfried Thielmann

→ Eigenname; Personenbezeichnung → Gram-Syntax: appositiver Nebenkern ⇀ Personenname (HistSprw; Onom; Lexik)

🕮 Ehlich, K. [1986] Interjektionen. Tübingen ◾ Hoffmann, L. [1999] Eigennamen im sprachlichen Handeln. In: Bührig, K./ Matras, Y. [Hg.] Sprachtheorie und sprachliches Handeln. Tübingen: 213–234 ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

persönliches Fürwort ≡ Personalpronomen

persönliches Passiv

Passivkonstruktion, in der ein Objekt des Aktivsatzes als Subjekt realisiert ist. ▲ personal passive: passive construction in which

an object of the active clause is the subject of the passive clause. Die Bezeichnung persönliches Passiv ist ein Oberbegriff für alle diejenigen Passivformen, bei denen ein Objekt des Aktivsatzes als Subjekt des Passivsatzes realisiert wird. Dies gilt im Dt. in erster Linie für das Vorgangspassiv (werden-Passiv) ((1), (2)). (1) Der Mechaniker reparierte den Motor. (1a) Der Motor wurde (vom Mechaniker) repariert. (2) Die Alarmanlage warnte den Einbrecher. (2a) Der Einbrecher wurde (durch die Alarmanlage) gewarnt. Daneben kann aber auch beim Dativpassiv von einem persönlichen Passiv gesprochen werden. Hier wird das Dativobjekt des Aktivsatzes als Subjekt des Passivsatzes realisiert (3). (3) Er schenkt ihr einen Ring. (3a) Sie bekommt einen Ring (von ihm) geschenkt. Da die Bildung des persönlichen Passivs an das Vorhandensein eines Objekts aus dem Aktivsatz gebunden ist, kommen hier nur transitive Verben (persönliches Vorgangspassiv) und Verben mit Dativobjekt (persönliches Dativpassiv) in Frage. Das Subjekt des Aktivsatzes (Agens) ist im Passiv ausgeblendet (Aktantenreduktion bei der Passivierung). Im Sprachvergleich finden sich persönliche Passivkonstruktionen ohne Agensrealisierung am häufigsten (Keenan/Dryer 2007). In vielen Sprachen ist die Realisierung des Agens durch eine PP oder eine oblique NP zwar möglich, wird aber wesentlich seltener verwendet als die agenslose Passivkonstruktion. Die Funktion des persönlichen Passivs besteht zum einen in der Veränderung der Informationsstruktur (Topikalisierung des Patiens) und zum anderen darin, das Objekt des Aktivsatzes für syntaktische Operationen zugänglich zu machen, die auf Subjekte beschränkt sind. ≡ persönliches Vorgangspassiv → Passiv; unpersönliches Passiv → Gram-Syntax: Dativpassiv; Objekt; Subjekt ⇁ personal passive (Typol)

Markus Hundt

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Keenan, E.L./ Dryer, M.S. [2007] Passive in the world's languages. In: Shopen,

PQ

persönliches Pronomen 582 T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. 2nd ed. Cambridge: 325–361 ◾ Siewierska, A. [1984] The Passive. A Comparative Linguistic Analysis. London ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

persönliches Pronomen ≡ Personalpronomen

persönliches Vorgangspassiv ≡ persönliches Passiv

Pertinenzakkusativ

Nominalphrase oder Pronominalphrase im Akkusativ, die im Besitzverhältnis zu einem Körperteil den Besitzer bezeichnet. ▲ accusative of the external possessor: nominal or pronominal phrase in the accusative case that refers to the possessor in a possessive relation to a body part.

PQ

Der Pertinenzakkusativ bezeichnet eine Teil-vonBeziehung zwischen einem Lebewesen (vor allem einer Person) als Besitzer und seinem Körperteil oder Organ als Besitz, der/das in der Form einer PP erscheint. Der Pertinenzakkusativ wird bei Prädikaten verwendet, die eine zielgerichtete körperliche Berührung bezeichnen (Duden 2016: 950; Zifonun et al. 1997: 1086) und eine richtungsbezogene oder seltener statische Adverbialbestimmung mit einem Körperteillexem als Ergänzung an sich fügen (VALBU 2004: 36), wie z.B. küssen, beißen, ziehen, packen, stoßen, stechen, zwicken, jucken, treffen, treten. Er geht demnach den Kon­ struktionstyp (Satzbauplan) Subjekt + Prädikat + Pertinenzdativ/Pertinenzakkusativ + Lokaldverbial/Direktivum ein (Ágel 2017: 519; Duden 2016: 950), vgl. (1)–(4). (1) Gere hatte die indische Schauspielerin Shilpa Shetty bei einer Veranstaltung […] mehrfach auf die Wange geküsst. (Nürnberger Zeitung 28.04.2007: 32) (2) Ein Hooligan hatte an diesem wahrhaft nationalen Abend einen Polizeibeamten in die Wade gebissen! (SZ 19.06.2006: 38) (3) Zeugen berichteten der Polizei, wie ein 40 bis 50 Jahre alter Mann ein etwa achtjähriges Mädchen mehrmals von hinten brutal in den Nacken gepackt und es an den Haaren gezogen hatte. (Hannoversche Allgemeine 17.08.2009)

(4) Der Mann hat mich zuerst beleidigt und später […] hat er mich in den Rücken gestoßen. (Nordkurier 07.12.2015: 16) In der gleichen Konstruktion kann alternativ auch der Pertinenzdativ vorkommen. Die Beispiele (1a) bis (4a) zeigen die Verben mit den Direktiva aus (1) bis (4), aber mit dem Pertinenzdativ. Meist wird kein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Formen angenommen (Ágel 2017: 521). Denkbar ist aber, dass beim Pertinenzakkusativ durch die Kodierung als direktes Objekt der Possessor als Ganzheit stärker in den Vordergrund tritt als beim Dativ. (1a) Dessen „Verbrechen“ war es, der indischen Schauspielerin Shilpa Shetty öffentlich auf die Wange geküsst zu haben. (Nürnberger Zeitung 04.05.2007: 2) (2a) Ein Beamter wurde behandelt, nachdem ihm ein Hooligan in die Wade gebissen hatte. (SZ 16.06.2006: 38) (3a) Wenn ein Schüler einem anderen an den Haaren gezogen hat, muss er einen Entschuldigungsbrief schreiben. (Braunschwei­ ger Zeitung 29.11.2011) (4a) Er habe stark gestikuliert und dabei mit seiner linken Hand […] dem Beschuldigten immer wieder in den Rücken gestoßen. (Kleine Zeitung 21.03.1999) Eine Recherche im Deutschen Referenzcorpus des IDS [Unter: http://www1.ids-mannheim.de/ kl/projekte/korpora/; letzter Zugriff: 07.11.2017] ergibt nach Auswertung von je 100 Belegen, dass bei den Verben küssen, beißen, ziehen, stoßen mit den oben angegebenen Direktiva der Akkusativ bevorzugt wird, während bei ins Gesicht schlagen oder in den Bauch treten die beiden Kasus etwa gleichmäßig verteilt auftreten. Eine systematische Erforschung der Formpräferenzen, etwa bei bestimmten Verben oder mit bestimmten Körperteillexemen, steht noch aus. Die Diskussion um den Satzglied- bzw. Valenzstatus der Pertinenzakkusative und -dative betrifft in der Valenztheorie die Unterscheidung zwischen Ergänzungen/Komplementen und Angaben/Supplementen. Eine Zusammenfassung der kontroversen Auffassungen über die freien Dative, darunter auch über den Pertinenzdativ, findet sich in Welke (2011: 202ff.). Bezieht man die dynamischen Aspekte der Valenzveränderung mit ein, sind die Pertinenzkasus Fälle der Valenzer-

583 Pertinenzdativ höhung (Ágel 2017: 514ff.; Welke 2011: 247), also besondere Arten von Komplementen. Szilvia Szatzker

→ Akkusativ; Pertinenzdativ; Pertinenzkonstruktion → Gram-Syntax: Akkusativergänzung; Akkusativobjekt; freie Angabe

🕮 Ágel, V. [2017] Grammatische Textanalyse. Textglieder, Satzglieder, Wortgruppenglieder. Berlin [etc.] ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ VALBU = Schumacher, H./ Kubczak, J./ Schmidt, R./ Ruiter, V. de [2004] VALBU – Valenzwörterbuch deutscher Verben. Tübingen ◾ Welke, K. [2011] Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Pertinenzdativ

Dativ-Nominalphrase, die zusammen mit einer anderen Nominalphrase auftritt, deren Referent durch eine enge Haben-Relation mit dem Dativ-Referenten verbunden ist. ▲ dative of the external possessor: nominal phrase in the dative case standing in a close possessive relation to another nominal phrase in the clause. Der Terminus Pertinenzdativ ist nicht trennscharf und weist bestimmte Übereinstimmungen mit dem dativus (in)commodi und dativus possessivus auf. Auf keinen Fall ist er als ein freier Dativ (wie der dativus ethicus und dativus iudicantis) einzustufen. Vom dativus (in)commodi (bzw. vom Dativ des Interesses i.A.) unterscheidet sich der Pertinenzdativ durch die spezifische Pertinenzrelation zwischen der Dativ-NP und der anderen NP im Satz, die auf den Pertinenzdativ bezogen ist. Diese Relation wird in der Regel auf Inalienabilia beschränkt, insbesondere Körperteile (Ich putze mir die Zähne; Sie flüsterte mir liebe Worte ins Ohr; Das Blut schoss ihm ins Gesicht) und Verwandte (Man nimmt ihnen den Vater; Man tötete ihr das Kind). Inwiefern andere Verhältnisse von der Definition ausgeschlossen werden müssen, ist umstritten. So gilt die Dativ-NP in Er putzt sich die Schuhe traditionell als dativus commodi (possessivus) (Eisenberg 2006: 299). Als Kriterium für die Abgrenzung des Pertinenzdativs ist Unveräußerlichkeit jedoch problematisch. Erstens lassen sich Verwandtschaftsverhältnisse nicht als Besitz oder (physischer) Kontakt beschreiben. Zweitens sind psychische Eigenschaften oder Gewohnheiten nicht inalienabel, in Er verdirbt mir die Laune, Nur ein einziges Wort kam mir in den

Sinn und Mir kommt eine Idee dürfte aber dieselbe Pertinenzrelation zwischen Possessor (der Dativ-NP) und Possessum vorliegen wie in Sätzen mit Bezeichnungen für Körperteile und Verwandte. Drittens ist eine Dativkonstruktion nicht länger möglich, wenn die angebliche Unveräußerlichkeit aufgehoben ist, vgl. *Er verbrennt ihr die abgeschnittenen Haare. Somit ist nicht die Natur des Possessums entscheidend, „sondern die Art der Haben-Relation, in dem dieses zum ‘Possessor’, dem von der Handlung Betroffenen, nicht unbedingt dem Besitzer, steht“ (Wegener 1985: 90). Weil im Dt. verschiedene Besitz-, Zugehörigkeits- und Kontaktverhältnisse gleich behandelt werden, empfiehlt es sich daher, den Begriff Pertinenzdativ entsprechend allgemein zu fassen, d.h. gemäß seiner semantischen Funktion im Sprachsystem und nicht gemäß referenzsemantischen Beschränkungen. Bei dieser Argumentation liegt auch in Sätzen wie Sie griff ihm ins Messer; Der Regen tropft mir auf den Hut; Ihm verrutschte die Schwimmbrille jeweils ein Pertinenzdativ vor. Wie beim dativus (in)commodi setzt der Pertinenzdativ keine bestimmte Verbvalenz voraus, sondern eine bindungsfähige „Konnexion“ (Willems/van Pottelberge 1998: 57–61): Verben wie regnen, flüstern, greifen, putzen u.a. nehmen an sich keinen Dativ, aber ins Gesicht regnen, ins Ohr flüstern, ins Messer greifen usw. erlauben die Anbindung einer weiteren Dativ-NP (Wegener 1985: 82). Im Gegensatz zum dativus (in)commodi ist der Pertinenzdativ bei solchen Konnexionen kein fakultatives, sondern ein obligatorisches Dativobjekt, vgl. Es regnet zu viel vs. *Es regnet ins Gesicht; Der Regen tropft auf das Zeltdach vs. *Der Regen tropft auf den Hut (grammatisch, aber keine Pertinenzinterpretation möglich). Aus demselben Grund ist ein Pertinenzdativ nicht möglich, wenn zwischen Possessor und Possessum keine Pertinenzrelation hergestellt werden kann: *Er hat ihr die Aufhängung gebrochen; *Ich habe mir ein Glas gebrochen. Ob analytische Tests zur Bestimmung des Pertinenzdativs beitragen, ist zweifelhaft. Die Behauptung, dass zu Sätzen mit Pertinenzdativ ein regelmäßiges Passiv gebildet werden könne, trifft nur z.T. zu (Sie flüsterte mir liebe Worte ins Ohr/ Ich bekam von ihr liebe Worte ins Ohr geflüstert), auch wenn man Linguistenbeispiele akzeptiert (Karl-Heinz tritt dem Paul vors Schienbein/ ?Der

PQ

Pertinenzkonstruktion 584

PQ

Paul bekommt vom Karl-Heinz vors Schienbein getreten, Eisenberg 2006: 299); der Test erbringt oft ungrammatische Ergebnisse (vgl. *Er bekam das Blut ins Gesicht geschossen; *Ich bekam den Regen auf den Hut getropft). Hin und wieder wird der Pertinenzdativ als dativus (in)commodi possessivus, dativus possessivus oder Trägerdativ bezeichnet. Diese Termini sind jedoch irreführend. Der Terminus dativus possessivus erfasst die Funktion des Pertinenzdativs nur partiell, weil Pertinenzdative auch Relationen bezeichnen, die lediglich Zugehörigkeit (Man nimmt ihnen den Vater) oder (physischen) Kontakt (Er ist ihm gegen das Fahrrad gerannt) bezeichnen. (Die Pertinenzrelation ist allerdings keine hinreichende Bedingung für die Realisierung eines Pertinenzdativs, vgl. *Er lag ihm vor dem Auto, Wegener 1985: 90.) Darüber hinaus ist der Terminus dativus possessivus in einigen Sprachen (insbesondere im Lat. und in vielen roman. Sprachen, aber z.B. auch im Isl.) auf spezifische Funktionen des morphologischen Dativs festgelegt, für die der Terminus Pertinenzdativ in den jeweiligen Grammatiken nicht zur Verfügung steht. Zu bedenken ist auch, dass es in vielen germ. Sprachen, so auch im Dt., nominale Possessorkonstruktionen des Typs dem Vater sein Hut gibt, die in der gesprochenen Umgangssprache sowie in Dialekten weit verbreitet sind (Zifonun 2003) und auf die der Terminus dativus possessivus ebenfalls besser zutrifft als die Bezeichnung Pertinenzdativ. Klaas Willems

→ § 19; Dativ des Zustandsträgers; dativus commodi; dativus

commodi possessivus; dativus ethicus; dativus iudicantis; dativus possessivus; dativus sympatheticus; Pertinenzkon­ struktion

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Willems, K./ Pottelberge, J. van [1998] Geschichte und Systematik des adverbalen Dativs im Deutschen (StLingGerm 49). Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. [2003] Dem Vater sein Hut. Der Charme des Substandards und wie wir ihm gerecht werden. In: DS 31: 97–126.

Pertinenzkonstruktion

syntaktische Konstruktion, in der eine nicht klar markierte Zugehörigkeitsrelation zwischen zwei Referenten besteht. ▲ pertinence construction: syntactic construction in which a not explicitly marked pertinence relation is established between two referents.

Unter einer Pertinenzrelation (lat. pertinēre 'zu etwas gehören') wird jede Art der Zugehörigkeit verstanden. Am häufigsten kommen die Teil-Ganzes- und die possessive Beziehung vor. Die Pertinenzkonstruktion mit dem sog. Pertinenzdativ / possessiven Dativ wie in (1) und (2) hat in der Fachlit. die meiste Aufmerksamkeit erhalten. Der Dativreferent ist am Sachverhalt beteiligt und wird meistens als Possessor oder als Ganzes zum Objekt in der PP interpretiert, das als Teil oder als Possessum verstanden wird. Der Dativreferent ist somit der Pertinenzauslöser. (1) Sophia trat Helena auf den Fuß. (2) Ihm hing das Hemd aus der Hose. Außer Konstruktionen mit Pertinenzdativ können andere Satzmuster Pertinenz beinhalten ((3), (4)). Nach Engelberg (2015) wird in diesen Konstruktionen der Ausdruck des Stimulus auf zwei Satzteile verteilt: in (3) auf eine NP im Akkusativ und eine PP, in (4) auf eine NP im Nominativ und eine PP. (3) Helena bewundert Sophia für ihren Mut. (4) Helena nervt sie mit ihren Fragen. Die Pertinenzkonstruktionen (1)–(3) bilden syntaktisch eine Gruppe von Konstruktionen, in denen das direkte oder indirekte Objekt als Auslöser der Pertinenzrelation fungiert. Davon zu unterscheiden ist die Gruppe von Konstruktionen ((4), (5)), in denen stattdessen das Subjekt die Pertinenzrelation etabliert. (5) Er fiel mit dem Gesicht auf den Boden. Eroms (2000) weist darauf hin, dass eine transformationelle Analyse der Pertinenzkonstruktionen durch Anhebung des Pertinenzauslösers aus Attributkonstruktionen (z.B. für (1) wäre das Paul trat auf Paulas Fuß) inadäquat ist, weil oft keine entsprechende Basiskonstruktion existiert oder der Bedeutungsunterschied zur abgeleiteten Konstruktion so unerklärt bleiben würde. Anders als in Attributkonstruktionen muss in den Pertinenzkonstruktionen der Pertinenzauslöser am Sachverhalt beteiligt sein. Dies ist in Attributkonstruktionen nicht der Fall. Im generativen Rahmen schlägt Hole (2014) eine nicht-transformationelle Analyse für Pertinenzdative als eine Form von Diathese vor. In seiner Analyse wird die Pertinenzrelation durch semantische Bindung analog zur Bindung von Reflexivpronomina in refl. Konstruktionen erfasst. Durch die Diathese kommt ein semantischer Rollenkopf,

585 Phasenaktionsart ein Theta-Kopf, in die Struktur. Dieser Kopf führt das Dativargument in (1) ein und versieht es mit einer Bindungsforderung. Dies löst semantische Bindung eines tiefer eingebetteten Arguments an das Dativargument, den Pertinenzauslöser, aus. Für (1) kann die Bindungsdiathese schematisch wie folgt repräsentiert werden: (6) […], dass Sophia [Helenadat θi auf deni Fuß trat] In (6) kann anstelle des definiten Artikels das Possessivpron. ihren stehen. Die Bindungsdiathese hat ganz ähnliche Eigenschaften wie die Reflexivdiathese. Das grammatisch-syntaktische Verhältnis zwischen der Dativ-DP Helena und dem (unausgesprochenen) Possessorbezug von den Fuß in Helena auf den/ihren Fuß treten ist dasselbe wie das zwischen dem Subjekt und dem Reflexivum in einer refl. Konstruktion (7), in der das externe Argument durch einen semantischen Rollenkopf eingeführt wird und mit einer Bindungsforderung ausgestattet ist. (7) […], weil [Helena θi sichi selbst betrügt] Die Bindungsanalyse von Hole (2014) hat eine stark unifizierende Kraft. Falls sich sein Ansatz weiterhin als belastbar erweist, kann damit das Zustandekommen der Pertinenzrelation in weiteren Pertinenzkonstruktionen wie in (3)–(5) erfasst werden. Diese Konstruktionen können dann einheitlich als Bindungsdiathesen analysiert werden. Ljudmila Geist

→ Applikativ; Pertinenzakkusativ; Pertinenzdativ → Gram-Syntax: Possessor; Verbdiathese

🕮 Cruse, D.A. [1979] On the transitivity of the part-whole relation. In: JLing 15: 29–38 ◾ Engelberg, S. [2015] Gespaltene Stimulus-Argumente bei Psych-Verben. Quantitative Verteilungsdaten als Indikator für die Dynamik sprachlichen Wissens über Argumentstrukturen. In: Engelberg, S./ Meliss, M./ Proost, K./ Winkler, E. [Hg.] Argumentstruktur – Valenz – Konstruktionen.

Tübingen: 469–491 ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Hole, D. [2014] Dativ, Bindung und Diathese (SG 78). Berlin.

Phasenaktionsart

Aktionsart, die eine der Phasen Anfang, Verlauf und Abschluss darstellt. ▲ phase aktionsart; phasal manner of action: lexical aspect representing either a beginning, a development or a completion.

In der Slawistik werden folgende (morphologisch markierte) Phasenaktionsarten unterschieden: (a) Die ingressive Aktionsart, auch als inchoative bezeichnet, drückt den Beginn oder die Anfangsphase einer Handlung, eines Geschehens oder eines Zustands aus. Sie wird im Poln. mit dem produktiven Präfix za- und seltener mit po- gebildet ((1)–(4)). (1) zabębnić ['zu trommeln beginnen, lostrommeln'] (2) zapłakać ['aufweinen, in Tränen ausbrechen'] (3) zakwitnąć ['erblühen'] (4) zapalić światło ['das Licht anbrennen'] Im Russ. wird diese Aktionsart mit dem Präfix za-, selten mit vz-/voz- und po- abgeleitet (5). (5) zablestetʼ ['erglänzen']; zaboletʼ ['erkranken']; zagrustitʼ ['traurig werden']; vozljubitʼ ['liebgewinnen'] Das Dt. signalisiert den Anfang mit Phasenverben oder einer Reihe von Präfixen: er-, auf-, los- und selten mit an-, ein-, z.B. auflachen, erstrahlen, ertönen, losgehen, loslachen, das Lied anstimmen. (b) Die evolutive Aktionsart drückt neben dem Anfang auch das Anwachsen der Intensität einer Handlung aus. Sie wird im Poln. mit roz + się ['sich'] ausgedrückt ((6)–(9)). (6) rozbeczeć się ['in Weinen ausbrechen, anfangen zu heulen'] (7) rozszaleć się ['losbrechen'] (8) rozgniewać się ['in Wut geraten'] (9) rozbrykać się ['übermütig werden'] (c) Die delimitative Aktionsart (die mittlere Phase) bezeichnet die zeitliche Einschränkung der Handlung und wird im Russ. (10) und Poln. mit dem Präfix po- abgeleitet. (10) posidetʼ ['eine Weile sitzen']; poplakatʼ ['eine Weile weinen']; postojatʼ ['einen Augenblick stehen'] (d) Die perdurative Aktionsart verweist auf eine Handlung, die einen bestimmten Zeitabschnitt ausfüllt und im Poln. mit dem Präfix prze- bezeichnet wird, verbindet sich obligatorisch mit dem Akkusativobjekt (11). (11) przepłakać całą noc ['die ganze Nacht durchweinen']; przedrzemać zebranie ['die ganze Versammlung verduseln'] Im Russ. wird diese Aktionsart mit pro- hauptsächlich von atelischen Verben abgeleitet (12). (12) proguljatʼ leto ['den Sommer verbummeln'];

PQ

Phasenverb 586 prosidetʼ do obeda ['bis zum Mittagessen sitzen/hocken'] (e) Die egressive Aktionsart weist auf die Endphase der Handlung hin. Im Dt. ist die Abgrenzung zu den Resultativa schwierig. Bei den Egressiva wird „das Ende einer Verbhandlung fokussiert“ und bei den Resultativa – „das Ergebnis einer Verbalhandlung“ (Manthe 2013: 64). Im Poln. und Russ. wird die Endphase, das Zu-Ende-Führen der Handlung mit dem Präfix do- signalisiert. Für diese Modifizierung wird in der Fachlit. der Ausdruck finitive Aktionsart verwendet; z.B. poln. dopić wino ['(das Glas) leertrinken; den Wein austrinken'], doczytać list ['den Brief zu Ende lesen']. (f) Die kumulative Aktionsart wird im Poln. und Russ. mit na- markiert. Sie bezeichnet das Erreichen eines großen Quantums von Handlungen als Summe der Einzelakte. Die Verben mit dem Präfix na- verbinden sich im Poln. obligatorisch mit einem Objekt im partitiven Genitiv (13). (13) naczytać książek ['viele Bücher lesen']; naobiecać czegoś ['(eine Menge Dinge) versprechen']; naoszczędzać ['zusammensparen']; nakłamać ['volllügen'] Andrzej Kątny

→ Aktionsart; delimitative Aktionsart; egressive Aktionsart; ingressiv; perdurative Aktionsart; resultative Aktionsart

PQ

🕮 Dickey, S.M. [2000] Parameters of Slavic Aspect. A Cognitive Approach. Stanford, CA ◾ Goergen, P. [1994] Das lexikalische Feld der deutschen inchoativen Verben. München ◾ Klimonow, W.D. [2000] Zur Stellung der Aktionsarten innerhalb des russischen und des deutschen Verbalsystems. In: Kątny, A. [Hg.] Aspektualität in germanischen und slawischen Sprachen. Poznań: 183–194 ◾ Manthe, C. [2013] Deverbale Verben und Aktionsartlichkeit. Hamburg.

Phasenverb

Verb, das die zeitliche Strukturiertheit eines Ereignisses spezifiziert. ▲ phasal verb: verb which specifies the temporal structure of an event.

→ Aktionsart; Phasenaktionsart; Verb → Gram-Syntax: Aspekt

Benjamin Jakob Uhl

🕮 Engerer, V. [2000] Phasenverbsemantik. In: DorfmüllerKarpusa, K./ Vretta-Panidou, E. [Hg.] Thessaloniker Interkulturelle Analysen. Akten des 33. Linguistischen Kolloquiums in Thessaloniki 1998. Frankfurt/Main [etc.]: 101–110 ◾ Engerer V. [2008] Phasenverben, Zeitbedingung und Zustandswechsel: Phasenbedeutungen in Wortbildung und Lexikon. In: StGerm 12/2: 111–125. ◾ Fabricius-Hansen, C. [1975] Transformative, intransformative und kursive Verben. Tübingen. ◾ Helbig, G./

Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

phonologische Genusdetermination

Prinzip, wonach das Genus eines Substantivs mit dessen lautgestaltlichen Merkmalen korrespondiert und zu einem gewissen Grade voraussagbar ist. ▲ phonological gender assignment: principle that gender corresponds with phonological attributes of a noun and therefore is predictable to a certain degree. Jan Seifert

→ Genus; Genusdetermination; morphologische Genusdetermination; semantische Genusdetermination

🕮 Feigs, W. [2007] Zur Genuszuweisung aufgrund phonologischer Merkmale im Deutschen. In: ZfAL 46: 41–56 ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Köpcke, K.M./ Zubin, D. [1983]. Die kognitive Organisation der Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache. In: ZGL 11/2: 166–182 ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1996] Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch typologisch (JbIdS 1995). Berlin [etc.]: 473–491 ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Zubin, D.A./ Köpcke, K.M. [1981] Gender: A Less than Arbitrary Grammatical Category. In: PCLS 17: 439–449.

phorisches Adverb

Adverb, das sich wiederaufnehmend oder vorwegnehmend auf ein explizites, referentenidentisches Wort bezieht. ▲ phoric adverb: adverb referring either resumptively or anticipatorily to other words with an identical referent in the same context. Der Terminus phorisch wird vor allem in der kommunikationswissenschaftlichen und textlinguistischen Fachlit. verwendet. Pronomina und andere Pro-Wörter, darunter die Pro-Adverbien, können eine phorische Funktion erfüllen, indem sie auf ein Wort im Text oder in der Gesprächssituation verweisen, das vorher geäußert wurde oder nachfolgend geäußert wird (anaphorischer bzw. kataphorischer Gebrauch). In (1) und (2) werden die Adverbien dort und wo phorisch gebraucht, indem sie sich auf das Wort Ägypten beziehen. In (3) wird das Adverb hier nicht phorisch verwendet, wohl aber das Pron. es mit dem Bezugswort Buch: (1) Er befindet sich jetzt in Ägypten. Dort gibt es im Moment politische Unruhen.

587 Plerem (2)

Er befindet sich jetzt in Ägypten, wo es im Moment politische Unruhen gibt. (3) Ich kann das Buch nicht finden. – Hier liegt es. In (3) ergibt sich aus der Gesprächssituation, was unter hier zu verstehen ist, ohne dass ein Bezugswort, z.B. (auf dem) Tisch explizit geäußert zu werden braucht. Dort wird in (1) anaphorisch gebraucht, in (4) aber kataphorisch: (4) Dort, wo er sich jetzt befindet, und zwar in Ägypten, gibt es im Moment politische Unruhen. Kjell-Åke Forsgren

↔ autonomes Adverb → Adverb; anaphorisches Pronomen; phorisches Pronomen; Pro-Adverb

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); anaphorische

Funktion; Katapher; kataphorische Funktion; Pro-Wort; Textgrammatik

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

phorisches Pronomen

Pronomen, das auf vorausgegangene bzw. nachfolgende Ausdrücke im Text Bezug nimmt. ▲ phoric pronoun: pronoun that refers to preceding or following units in the text. Es wird zwischen anaphorischen und kataphorischen Pronomina unterschieden. Wenn sich das Pron. auf den Vortext (auf bereits Erwähntes) bezieht, spricht man von einem anaphorischen Pron. (1). Verweist es auf den Folgetext, liegt ein kataphorisches Pron. vor (2). (1) Eine hübsche Frau besuchte den kranken Mann. Sie war seine erste Liebe. (2) Er hatte sie sehr geliebt, auch wenn Luisa seine Gefühle nicht erwiderte. Durch anaphorische und kataphorische Pronomina wird u.a. die Kohäsion in einem Text erzeugt. Fabio Mollica

↔ selbständiges Pronomen → anaphorisches Pronomen; kataphorisches Pronomen; phorisches Adverb; Pronomen

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Katapher

🕮 Brinker, K. [2005] Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 6., überarb. u. erw. Aufl. (GrdlG 29). Berlin ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin.

Phrasenverb

≡ Partikelverb

Plerem

Formelement der Inhaltsstubstanz eines bilateralen Zeichenmodells, welches die Funktion besitzt, Elemente der Ausdruckssubstanz einschließen zu können. ▲ plerem: form element of the content substance in a bilateral sign model which has the function of being able to include elements of the expression substance. Den Terminus Plerem etablieren Hjelmslev/Uldall (1936: 3) in ihrer Sprachtheorie, der Glossematik. Die Glossematik ist bei ihnen die Theorie des Sprachbaus, die Nomologie die Theorie des Sprachgebrauchs. Die Glossematik ist entsprechend der Lehre von Ausdruck und Inhalt des arbiträren, bilateralen Zeichenmodells unterteilbar in Plerematik und Kenematik. Hjelmslev (1939: 20f.) nennt Formelemente der Inhaltssubstanz Plereme (griech. pléres 'mit Inhalt füllbar') und Formelemente der Ausdruckssubstanz Kenemateme (griech. kenós 'nicht mit Inhalt füllbar'). Hjelmslevs Strukturbeschreibung erhebt Abhängigkeiten zur Norm der Klassifikationen. Abhängigkeiten, in welchen zwei Bedeutungen über eine grammatische Form verbunden sind, heißen Funktion, die nur abhängigen Abhängigkeiten zwischen Bedeutungen heißen Beziehung. In dieser empirischen, objektiven, immanenten sowie deduktiven Methode, die Hjelmslev einer apriorischen, subjektiven und transzendenten Methode vorzieht, ist auf der Ausdrucks- sowie der Inhaltsseite nur die Funktion von Bedeutung: Die Substanzen sind somit durch ihre Funktion zu den Formen definiert und müssen durch eine Deduktion der Formen beschrieben werden, so dass die Inhaltssubstanz bei Hjelmselv (1939: 28) die Ausdruckssubstanz sowie die Formen mittels einer vollständigen unilateralen Partizipation einschließt. Eine derartige Beachtung des Signifikanten ist eine Notwendigkeit der Empirie, denn der Ausdruck ('Signifikant') indiziert nach Hjelmslev Zahl und Abgrenzung der Werte des Inhalts ('Signifikat'). Plereme werden in induktiven Schritten innerhalb einer deduktiven Methodik aus sukzessiven Reduktionen gefunden. Ausdruck und Inhalt werden auf Lexeme, lexematische Inhaltsseg-

PQ

Plerem 588 mente auf kleinere Segmente reduziert und dann in Präpleremate und Präkenemate kategorisiert sowie weiter zu Glossemen (Plereme, Kenemateme) reduziert (Hjelmslev/Uldall 1936: 3f.). Die zentralen Konstituenten werden Autoplereme, die marginalen Symplereme und die Exponenten Morpheme genannt. „Es ist notwendig, und genügend, so viele Glosseme aufzustellen als es Elemente mit verschiedener Funktion gibt“ (Hjelmslev/Uldall 1936: 4). Plereme explizieren in Hjelmslevs Sprachtheorie „[...] die fundamentale Bedeutung, die in die Form eingeschlossene platonische Idee [...]“ (Hjelmslev 1939: 22). Bei Heringer (1973: 77) konstituieren Plereme kleinste bedeutungstragende sprachliche Zeichen, die durch sukzessive Teilung des Satzes

entstehen. Diese Segmentierungen müssen nach zwei Prinzipien erfolgen: (i) Jeder der dadurch entstehenden Teile muss mit anderen Zeichen ausgetauscht werden können, so dass ein neuer Satz entsteht und (ii) der Austausch identischer Teile in beliebigen Sätzen muss eine Bedeutungsänderung dieser Sätze bewirken. Hierbei vertritt Heringer gemäß der Husserl’schen Distinktion zwischen „widersinnig“ und „sinnlos“ (Husserl 1901: 52–56) die Auffassung, alle grammatischen Äußerungen seien sinnvolle Sätze. Teile, die unter (i) und (ii) nicht weiter teilbar sind, heißen Plereme. Sie können in selbständige ('Lexeme') und unselbständige ('Morpheme') Plereme unterteilt werden. Den Ausdruck eines Plerems nennt Heringer Monem, den Inhalt Semem. Die Beschrei-

Signifikative Minimaleinheiten der Sprache (R1) Autoren

Heger (1964/1967) Heringer (1968)

Ausdrucksseite AusdrucksAusdrucksform substanz Lautkontinuum Lautkontinuum

Inhaltsseite Inhaltsform

Inhaltssubstanz

Monem

quantitative Unterschiede

monème expression monème contenu Monem (Morphem oder Lexem)

Bedeutungsumfang

Semem

Semen

Begriff

Sem

Plerem Henne/Wiegand (1969)

PQ

quantitative Unterschiede

phonische o. graphische Masse

Monem

Semem

Semsumme

Heger (1969)

Signifikant

Harras (1970)

Lautkontinuum

AusdrucksMonem

InhaltsMonem

Monem (Morphem, Lexem)

Semem

Signifikat

Sem

Semem

Noem

quantitative Unterschiede Semkollektion

Signifikant geformte Ausdruckssubstanz

Semkollektion

quantitative Unterschiede

Monem (= minimales Signem)

Sem

Semfaktoren

Signifikat

Substanzgebundene Ausdrucksform

Substanzgebundene Inhaltsform

geformte Inhaltssubstanz

Plerem (Lexem, Grammem) quantitative Unterschiede Wiegand (1970) in Zusammenarbeit und Übereinstimmung mit Henne (1970)

Phone, Graphe

Monem

Semem

Semsumme

Semkollektion

SemasemSemSumme

SemasemSemKollektion

Noem-SemSumme

Noem-SemKollektion

SubstanzSumme

Substanzkollektion Semasem Noem

Abb. 1: Terminologieübersicht, erste Synopse der Termini. Wiegand (1970) nach Kammerer/Wolski (2000: 52).

Sem

Substanzelemente

589 Plural bung eines Plerems besteht aus der seines Ausdrucks, der seiner Bedeutung und der Angabe der lexikalischen Kategorie. Den Versuch einer Einordnung des Terminus Plerem als Minimaleinheit ersten Ranges ('R1') in eine allgemeinere Terminologie gibt Wiegand (1970: 51f.); (Abb. 1). Maria Schädler

→ Form; Glossem; Lexem; Monem; Morphem; Semantem → Gram-Syntax: Funktion ⇀ Plerem (Lexik); Plerem (1) (Wobi); Plerem (2) (Wobi)

🕮 Heringer, H.J. [1973] Theorie der deutschen Syntax. 2. Aufl. München ◾ Hjelmslev, L./ Uldall, H.J. [1936] Synoptischer Abriß der Glossematik. In: Hjelmslev, L. [Hg. 1974] Aufsätze zur Sprachwissenschaft. Stuttgart: 1–6 ◾ Hjelmslev, L. [1939/1974] La structure morphologique. Dt. Übs.: Die morphologische Struktur. In: Aufsätze zur Sprachwissenschaft. Stuttgart: 20–43 ◾ Husserl, E. [1901] Logische Untersuchungen. Zweiter Theil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle/Saale ◾ Wiegand, H.E. [1970] Synchronische Onomasiologie und Semasiologie. Kombinierte Methoden zur Strukturierung der Lexik. In: Kammerer, M./ Wolski, W. [Hg. 2000 ] Kleine Schriften. Eine Auswahl aus den Jahren 1970–1999 in zwei Bänden. Bd. 1: 1970–1988. Berlin [etc.]: 143–384.

Plural

Numerus, dessen Hauptfunktion im Ausdruck der Vielheit von Entitäten besteht. ▲ plural: grammatical number with the main function of signalling the multiplicity of entities.

Sprachen, die über die grammatische Kategorie Numerus verfügen, unterscheiden minimal zwischen dem typischerweise unmarkierten Singular und dem markierten Plural. Falls kein weiterer Numerus in der Sprache vorliegt (wie z.B. im Dt. und Engl.), dient der Plural grundsätzlich zur Bezeichnung von mehr als einer, als diskret konzeptualisierten Entität (1). (1) ein Tag / one day vs. zwei Tag‑e / two day‑s Anders als in den genannten Sprachen wird der Pl. z.B. im Ngriech. bei Referenz auf zwei oder mehr Entitäten verwendet (anderthalb Tag‑e vs. ngriech. miamisiméraSg. 'einhalb Tag') (IturriozLeza/Skopeteas 2004: 1055). Der Wert des Pl. ist abhängig davon, ob in dem jeweiligen Numerussystem einer Sprache neben dem Sg. und dem Pl. auch ein Dualis (zur Bezeichnung von genau zwei Entitäten), Trialis (zur Referenz auf genau drei Entitäten) oder Paucalis (zum Ausdruck einer kleinen, unbestimmten Anzahl von distinkten Entitäten) vorhanden ist. Im

Sanskrit, das auch einen Dualis hatte, wurde der Pl. bei Referenz auf mehr als zwei distinkte Entitäten verwendet (Corbett 2000: 4f.). (a) Pluralisierbare Nomina Sprachtypologisch variieren Sprachen hinsichtlich der Reichweite der Numerusdifferenzierung darin, welche Nomina eine Numerusmarkierung tragen müssen bzw. können. Den einen Endpunkt dieser Skala bilden Sprachen wie das philippinische Tagalog (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1070) oder das nordamerik. Hopi (Krifka 1991: 401), in denen jedes Nomen unmittelbar mit Numeralia und Pluralmarkern kombinierbar ist. Andererseits zeichnen sich sog. Klassifikatorsprachen wie das Chin. oder das Vietnamesische durch das Fehlen von Pluralmorphemen aus (s.u.). Bei der Numerusmarkierung an Nomina kommt der folgenden, von Corbett modifizierten Belebtheitshierarchie („animacy hierarchy“) universelle Gültigkeit zu (2). (2) Sprecher (Pron. der 1. Pers.) > Angesprochene(r) (Pron. der 2. Pers.) > 3. Pers. > verwandt > menschlich > belebt > unbelebt (Corbett 2000: 56) Die in der Hierarchie genannten Klassen von Nomina sind in natürlichen Sprachen mit abnehmender Leichtigkeit pluralisierbar (Link 1991: 419), wobei die Opposition zwischen Sg. und Pl. immer für ein höher angeordnetes, zusammenhängendes Segment der Belebtheitshierarchie gilt (Corbett 2000: 55ff.). Somit ist im Dt. die Lage mit einer Numerusopposition für alle Positionen der Hierarchie keineswegs universell. Im Jap. ist eine Pluralmarkierung z.B. nur bei Nomina mit Referenz auf belebte Entitäten möglich, und nur bei Personalpronomina und Personeneigennamen obligatorisch (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1060); auch in vielen nordamerik. Indianersprachen ist eine Unterscheidung zwischen Sg. und Pl. auf Lebewesen bezeichnende Nomina beschränkt (Biermann 1982: 231). Im Mandarin-Chin. ist die Pluralmarkierung noch eingeschränkter und erfolgt obligatorisch (mithilfe eines Suffixes) nur bei Pronomina (Li/Thompson 1989: 11f.). In sehr vielen Sprachen entziehen sich bestimmte Nomina einer unmittelbaren Numerusdifferenzierung, so dass sie numerusindifferent bzw. transnumeral sind. Solche Substantive werden in europ. Sprachen gewöhnlich Kontinuativa genannt. Es handelt sich

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Plural 590

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hierbei um Stoffnamen (z.B. Bier, Silber), Kollektiva (z.B. Vieh, Schmuck) und Abstrakta (z.B. Glück, Frieden) (Krifka 1991: 399; Löbel 2009: 266f.). Diese Substantive zeichnen sich semantisch dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den Individuativa als unbegrenzte, nicht-diskrete Objekte konzeptualisierte, folglich nicht direkt zählbare Entitäten benennen. Dementsprechend haben sie wegen der Aufhebung der Numerusunterscheidung ein defektes Paradigma und können entweder nur im Sg. (als Singulariatantum, wie die erwähnten Substantive) oder nur im Pl. (als Pluraliatantum, z.B. Flitterwochen, Masern, Möbel) stehen (Link 1991: 418; Krifka 1991: 399f.; Koptjevskaja-Tamm 2004: 1067). Während im Dt. die Mehrheit der Massennomina Singulariatantum sind, überwiegen in slaw. und baltischen Sprachen (KoptjevskajaTamm 2004: 1069), aber auch im Swahili (Krifka 1991: 400) Pluraliatantum (vgl. z.B. russ. slivkiPl. 'Sahne', černilaPl. 'Tinte'; litauisch miltaiPl. 'Mehl', putosPl. 'Rauch' (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1069)). Jedoch handelt es sich hier wegen der fehlenden Numerusopposition um transnumerale Nomina und keine eigentlichen Singular- bzw. Pluralformen (Biermann 1982: 230). Bei der Unterscheidung zwischen zählbaren Individuativa und unzählbaren Massennomina geht es nicht um einen ontologischen, in der außersprachlichen Realität vorliegenden Unterschied zwischen den Referenten, sondern um zwei mögliche Konzeptualisierungen, einmal als diskrete, abgegrenzte, individuierte Entitäten, von denen eine (Sg.) oder mehrere (Pl.) gemeint sein können, andererseits als eine nicht-diskrete, homogene, nicht begrenzte Entität, vgl. many cows (Individuativum im Pl.), a herd / three herds (zählbares Kollektivum) vs. cattle (nicht zählbares Kollektivum) (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1068), wie auch die durch die spezifische Perspektivierung eines Individuativums als Massennomen erzielte Interpretation als materielle Substanz in ein Kilogramm Huhn (Krifka 1991: 400). Somit stellt die Belebtheitshierarchie eigentlich eine „Skala des semantischen Individuierungsprozesses in der Sprache” (Link 1991: 419) dar. Andererseits hängt die Numerusmarkierung in vielen Sprachen mit der Spezifizität bzw. der Definitheit der nominalen Referenz zusammen. So wird die Numerusunterscheidung bei generisch oder indefinit verwendeten Nomina z.B. im Per-

sischen neutralisiert (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1061), und eine Numerusmarkierung ist im Koreanischen bei den pluralisierbare Lebewesen bezeichnenden Nomina nur bei spezifischer Referenz möglich (Biermann 1982: 232f.). (b) Möglichkeiten der Pluralmarkierung Greenbergs Universalie 34 bezieht sich auf die Numeruskategorien bzw. Numerussysteme in natürlichen Sprachen (3). (3) Singular > Plural > Dual > Trial/Paucal (Greenberg 1966: 94) Die Hierarchie vermittelt nicht nur, dass Sprachen, die z.B. über einen Dualis verfügen, auch einen Sg. und einen Pl. haben, sondern stellt auch eine Frequenzskala sowie eine Markiertheitshierarchie dar, die besagt, dass die formale Numerusmarkierung, die phonologische und morphologische Komplexität der entsprechenden Nomina nach rechts hin zunimmt oder gleich bleibt (Hawkins 2011: 217f.). Die Markierung des Pl. erfolgt typologisch auf unterschiedliche Weise. In Bezug auf europ. Sprachen erscheint die morphologische Markierung typischerweise am Nomen selbst bzw. die syntaktische Numerusmarkierung durch Kongruenz zentral. In zahlreichen Sprachen wird der Pl. mithilfe von Suffixen markiert (4), während Präfixe häufig in Sprachen mit präfigierten Nominalklassen wie z.B. Swahili verwendet werden (IturriozLeza/Skopeteas 2004: 1061f.). Gerade bei der Pluralmarkierung liegt in vielen Sprachen eine sehr starke Allomorphie vor. In einigen idg. Sprachen kann auch die interne Modifikation des Stamms alleine bzw. oft in Kombination mit einem Suffix den Pl. markieren (Corbett 2000: 136ff., 149, 152) ((5), (6)). (4) Woche‑n, Sitz‑e, Bild‑er, Uni‑s [Suffixe] (5) Mutter – Mütter [Stammveränderung: Umlaut] (6) Hand – Händ‑e, Amt – Ämt‑er [Umlaut + ­Suffix] Morphologische Numerusmarker treten dabei universell zwischen Stamm und morphologischem Kasusmarker auf (vgl. Universalie 39 von Greenberg 1966: 95, sowie die auf das Relevanzprinzip zurückgeführte universale Anordnung morphologischer Marker in Bybee 1985: 34). Unregelmäßigkeiten werden bei lokal unmarkierten Pluralformen beibehalten, bei denen

591 Plural der Pl. häufiger vorkommt, vgl. men, women, children, feet, teeth (Corbett 2000: 155). In nilosaharanischen Sprachen sind lokal unmarkierte Plurale sogar morphologisch unmarkiert und die sog. Singulativformen (d.h. Singularformen, die von einer transnumeralen Basis abgeleitet sind) morphologisch komplexer (Storch/Dimmendaal 2014: 7), vgl. auch walisisch dail 'Blätter' vs. deil‑en 'Blatt', mefus 'Erdbeeren' vs. mefus‑en 'Erdbeere' (Haspelmath 2002: 244; ausführlicher Biermann 1982: 234f.). Das bedeutet, dass die Opposition zwischen dem markierten Singulativ und dem transnumeralen Nomen, abgesehen von den umgekehrten Markiertheitsverhältnissen, mit der Opposition zwischen dem unmarkierten Sg. und dem Pl. bei Individuativa vergleichbar ist (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1071). Extreme Unregelmäßigkeit, nämlich die lexikalische Markierung von Pl. durch Suppletion kommt bei Pronomina sprachübergreifend häufig vor (Corbett 2000: 155), und ist bei Substantiven typischerweise für hochfrequente Nomina aus bestimmten semantischen Bereichen (vgl. Mel’čuk 2000: 519) charakteristsich (z.B. Mensch vs. Leute, person vs. people, russ. čelovek 'Mensch' vs. ljudi 'Leute') (Corbett 2000: 140). Syntaktisch kann die Numerusmarkierung durch Kongruenz innerhalb der NP bzw. mit dem Finitum erfolgen; häufig involviert sind sprachübergreifend Demonstrativartikel und Verben. Kongruenz tritt einerseits oft zusammen mit morphologischen Pluralmarkern auf (Corbett 2000: 152), andererseits kann sie sich außer auf Numerus auch auf andere Kategorien, vor allem Genus erstrecken (Corbett 2000: 136), wobei im Dt. die Genusunterscheidung im Pl. neutralisiert wird ((7)–(9)). (7) das kleine Kind → die kleinen Kinder (8) der nette Herr → die netten Herren (9) die hübsche Dame → die hübschen Damen Eine typologische Variation bei der Kongruenz innerhalb der NP bzw. mit dem Finitum liegt bei quantifizierten NPn vor. So lösen Numeralia z.B. im Ung. – im Gegensatz zum Dt. und Engl. – keine Numeruskongruenz aus, sondern sind nur mit der unmarkierten Form verträglich: köny­ v‑ekPl.‑etAkkusativ vettem 'ich habe Bücher gekauft' vs. három könyv‑etAkkusativ vettem 'ich habe drei Bücher gekauft' oder sok könyv‑etAkkusativ vettem 'ich habe viele Bücher gekauft' (vgl. Link 1991: 418).

(10) Két lánySg. beszélgetSg. ['Zwei Mädchen unterhalten sich.'] (11) The first five applicantsPl. deservePl. to succeed. (Corbett 2000: 211) Bei NPn, deren Kopf eine Körperschaft bezeichnet, kann die Kongruenz mit dem Finitum unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob sie aufgrund der Form (Sg.) oder der Bedeutung (Pl.) erfolgt (z.B. The police has/have arrested the thief), was auch z.B. im Span. möglich ist (Corbett 2000: 187ff.). Im Gegensatz dazu ist im Dt. die Kongruenz von der Form abhängig (z.B. Die Polizei hat/*haben den Dieb festgenommen). Bei koordinierten NPn hängt die Kongruenz mit dem Finitum von verschiedenen Faktoren ab. Im Ung. kann das Finitum bei belebten Referenten im Sg. oder Pl. stehen (A fiú és a lány megérkezettSg./megérkeztekPl. 'Der Junge und das Mädchen sind angekommen'), während bei unbelebten Referenten nur der Sg. möglich ist (A könyv és a kommentár megérkezettSg./*megérkeztekPl.. 'Das Buch und der Kommentar sind angekommen') (Corbett 2000: 202). Typologisch gesehen spielen weitere Markierungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. So wird der Pl. in vielen austronesischen und südostasiatischen Sprachen mit numerusmarkierenden Hilfswörtern ausgedrückt (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1053; Löbel 2009: 264f.). Im MandarinChin. erfolgt die optionale Numerusmarkierung von Substantiven z.B. mit Wörtern für ‚einige‘ oder ‚viele‘, während das bei Pronomina obligatorische Pluralsuffix äußerst selten bei Substantiven auftritt (Li/Thompson 1989: 11f.). In australischen Sprachen markiert den Pl. am häufigsten die Reduplikation von Nomina. Diese kann auch dem Ausdruck des Handlungsnumerus, also der Quantifizierung nicht von Referenten, sondern der Handlung selbst dienen (z.B. der Markierung von Iterativität) (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1061, 1058). Schließlich kann Pl. prosodisch durch den Ton ausgedrückt werden, bzw. Pluralaffixe können mit einer Akzentverschiebung im Stamm einhergehen (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1062). (c) Ort der Numerusmarkierung Typologisch gesehen unterscheiden sich numerusmarkierende Sprachen hinsichtlich des Orts der Numeruskodierung. Im Jap. kann Numerus

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Plural 592 ausschließlich beim Nomen markiert werden, während Verben keine Pluralformen haben und somit keine Kongruenz zwischen NP und Finitum vorliegen kann. Ausgehend von der Aussprache, nicht von der Orthographie, wird im Frz. der Pl. nicht am Subst. selbst, sondern am Artikel markiert (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1063). Auch im Maori erfolgt die obligatorische Numerusmarkierung nicht am Subst., sondern am Artikelwort (Booij 2005: 126). Umgekehrt wird der Pl. im Engl. in NPn mit Definitartikel nur am Subst. markiert. Einem anderen, sehr verbreiteten Muster folgen Sprachen wie Ung., Türkisch, Baskisch und Koreanisch, in denen Substantive in quantifizierten NPn keine Pluralmarkierung erhalten (10) (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1064). Im Dt. ist die typologisch häufig belegte mehrfache Kodierung desselben Numerus anzutreffen: durch Kongruenz innerhalb der NP sowie zwischen NP und Finitum (Corbett 2000: 152; Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1064) ((12), (13)). (12) Das alte Haus wird renoviert. (13) Die alten Häuser werden renoviert.

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(d) Pluralbildung bei Massennomina Bei numerusunterscheidenden Nomina signalisiert der Pl. „diskrete Vielheit“ (Biermann 1982), während Massennomina transnumeral sind, d.h. keiner direkten Numerusopposition unterliegen. Allerdings lassen die oben im Zusammenhang mit der morphologischen Numerusmarkierung erwähnten Singulativformen bereits erahnen, dass eine Numerusunterscheidung auch bei diesen Substantiven nicht unmöglich ist. Einerseits kann in bestimmten Sprachen, z.B. im Bretonischen und Arab., zu der Singulativform regelmäßig ein Pl. gebildet werden, der dann, genauso wie der Pl. von Individuativa, eine diskrete Vielheit bezeichnet (z.B. kann der bretonische Singulativ edenn 'ein Stück Korn', gebildet aus dem transnumeralen Subst. ed 'Getreide', pluralisiert werden: edennou 'Getreidekörner' bezeichnet eine diskrete Vielheit) (Biermann 1982: 234f.; Koptjevskaja-Tamm 2004: 1071). Dabei können Singulativformen nicht nur mit Affixen, sondern auch durch Komposition gebildet werden, z.B. schwed. saltkorn 'Salzkorn' (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1072). Andererseits können Massennomina in einem für Individuativa typischen Kontext pluralisiert

verwendet werden (man spricht hier von Rekategorisierung), was lexemspezifisch zu bestimmten Bedeutungsveränderungen führt. So kann der Pl. die Vielheit verschiedener Sorten bezeichnen (z.B. seltene Rebsorten – wunderbare Weine) (Biermann 1982: 236). Es stellt sich eine bestimmte Einheitenlesart ein, wenn es um bestimmte Portionen des Referenten geht (z.B. Zwei Kaffees, bitte) (Corbett 2000: 84f.). Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die sog. Klassifikatorsprachen (z.B. Chin., Vietnamesisch), in denen es keine Pluralmorpheme gibt, sondern alle Nomina transnumeral sind, und bei Kombination mit einem Numerale ein Klassifikator hinzugefügt werden muss, mit dessen Hilfe der Referent als diskrete Einheit rekategorisiert werden kann (z.B. chin. sān zhāngKLASSIFIKATOR zhuōzi 'drei Tische'; sān bĕnKLASSIFIKATOR shū 'drei Bücher'). Klassifikatoren gibt es auch im Dt. und Engl. (z.B. 30 Stück Vieh, 30 head(s) of cattle), aber in europ. Sprachen sind sie marginal (Link 1991: 419; Krifka 1991: 400). Übereinzelsprachlich ist die einfache Nebeneinanderstellung dominant (vgl. das chin. und das dt. Beispiel), während im Engl. z.B. die Präp. of auftreten muss. In einigen Sprachen wird in solchen Konstruktionen ein bestimmter Kasus verwendet, im Russ. der Genitiv (z.B. bokal vinaGenitiv 'ein Glas Wein'), im Finn. der Partitiv (z.B. säkki perunoitaPartitiv. Pl. 'ein Sack Kartoffeln') (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1072). Weniger häufig sind die „Gelegenheitslesart“ (z.B. Der Dame war eine große Ungerechtigkeit widerfahren) (Corbett 2000: 85f.) und der Abundanzplural. Dieser Pl. ist neben der sortalen Lesart bei Pluralformen möglich, die unmittelbar (also nicht via Singulativ) aus der transnumeralen Basis gebildet werden (z.B. arab. dababīn 'verschiedene/viele Fliegen' aus dem transnumeralen Subst. dəbbān 'Fliege(n)', im Gegensatz zu dem aufgrund des Singulativs dəbbāne 'eine Fliege' gebildeten diskreten Pl. dəbbānāt 'Fliegen') (Biermann 1982: 234; Corbett 2000: 32). (e) Entstehung von Pluralmorphemen Pluralmorpheme entwickeln sich häufig aus kollektivischen Morphemen. Das ide. Pluralsuffix ‑a geht wohl auf die Reanalyse der femininen Kollektivendung ‑a zurück, denn diese Kollektiva konnten verwendet werden, um Vielheit bei den vermutlich transnumeralen Neutra zu be-

593 Pluraletantum zeichnen (Biermann 1982: 236f.). Auch das ung. Pluralsuffix ‑k leitet sich von einem Kollektivsuffix ab (im Finn. dient das entsprechende Suffix weiterhin der Kollektivbildung). Das mag eine Erklärung dafür liefern, dass Pluralformen im Ung. nur bei der Bezeichnung von quantitativ unbestimmten Gruppen auftreten (a/gyors hajó‑k 'die/ schnelle Schiffe'), während bei bestimmten und unbestimmten Numeralia die unmarkierte Form obligatorisch ist (z.B. a/egy hajó 'das/ein Schiff' sowie három/sok hajó 'drei/viele Schiffe') (vgl. Biermann 1982: 237ff). Abschließend sei die sprachübergreifend verbreitete Verwendung pluralischer Personalpron. für den Ausdruck von Höflichkeit (z.B. frz. tu vs. vous), Bescheidenheit oder Solidarität erwähnt (vgl. dazu ausführlich Corbett 2000: 220ff.; Brown/Levinson 1987: 198ff.). ≡ Mehrzahl

Katalin Simon-Horváth

→ § 16; Abundanzplural; Dualis; Individuativum; Kontinuativum; Massennomen; Numerus; Numeruskongruenz; Pluraletantum; pluralis auctoris; pluralis benevolentiae; pluralis majestatis; pronominale Anredeform; Singular; Singularetantum; Sortenplural ⇀ Plural (HistSprw; CG-Dt; SemPrag) ⇁ plural (CG-Engl; Typol)

🕮 Biermann, A. [1982] Die grammatische Kategorie Numerus. In: Seiler, H.-J./ Lehmann, C. [Hg.] Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen (LgUS 1). Tübingen: 229–243 ◾ Booij, G. [2005] The Grammar of Words. An Introduction to Linguistic Morphology. Oxford ◾ Brown, P./ Levinson, S.C. [1987] Politeness. Some Universals in Language Usage (StIactSocLing 4). Cambridge ◾ Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation between Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Greenberg, J. [1966] Some universals of grammar with particular reference to the order of meaningful elements. In: Greenberg, J. [ed.] Universals of Grammar. 2nd ed. The Hague: 73–113 ◾ Haspelmath, M. [2002] Understanding Morphology. London ◾ Hawkins, J. A. [2011] Processing Efficiency and Complexity in Typological Patterns. In: Song, J.J. [ed.] The Oxford Handbook of Linguistic Typology. Oxford: 206–226 ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066 ◾ Koptjevskaja-Tamm, M. [2004] Mass and collection. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1067–1073 ◾ Krifka, M. [1991] Massennomina. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 399–418 ◾ Li, C.N./ Thompson, S.A. [1989] Mandarin Chinese. A Functional Reference Grammar. Berkeley [etc.] ◾ Link, G. [1991] Plural. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 418–440 ◾ Löbel, E. [2009] Numerus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 260–270 ◾ Mel’čuk, I.A. [2000] Suppletion. In:

Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 510–522 ◾ Storch, A./ Dimmendaal, G.J. [2014] One size fits all? On the grammar and semantics of singularity and plurality. In: Storch, A./ Dimmendaal, G.J. [eds.] Number – Con­ structions and Semantics. Case Studies from Africa, Amazonia, India and Oceania (StLgCompS 151). Amsterdam [etc.]: 1–32.

Plural, agglutinierender → agglutinierender Plural

Plural, äußerer → äußerer Plural

Plural, endungsloser → Nullplural

Plural, gebrochener → gebrochener Plural

Plural, innerer

→ gebrochener Plural

Plural, silbischer → silbischer Plural

plurale tantum

≡ Pluraletantum; Pluralwort

Pluraletantum

Substantiv, das nur pluralische Wortformen hat. ▲ plurale tantum: noun that has only a plural form. Bei einem Pluraletantum (Pl. Pluraliatantum) wird die Gegliedertheit eines Objekts als semantischer Grundzug empfunden. Hierher gehören im Dt. wie in vielen anderen Sprachen u.a. geographische Bezeichnungen (Sudeten), Personengruppen (Großeltern), Zeitbegriffe (Ferien), Krankheiten (Pocken), Finanz- und Rechtsbegriffe (Alimente), kaufmännische Begriffe (Textilien), Begriffe des menschlichen Verhaltens (Ränke) und andere Substantive (z.B. Trümmer, Realien). Allerdings verfahren Sprachen bei der Zuordnung von einzelnen Substantiven zu Pluraliatantum unterschiedlich. So stehen z.B. dt. Masern und engl. measles im Pl., poln. odra und russ. korʼ hingegen nur im Sg. Daneben kommen z.B. die Hose / die Hosen im Dt. und het broek / de broeken im Niederl. in beiden Numeri vor, während dieses Subst. in manchen anderen Sprachen nur auf den Plural beschränkt ist (engl. trousers, ital. pantaloni, russ. brjuki, poln. spodnie).

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Pluralfähigkeit 594 Zu beachten ist, dass nur ein Teil der Pluraliatantum das Merkmal 'zählbar' hat (zwei Leute, drei Lebensmittel, aber *zwei Ferien). Gelegentlich treten bei manchen Pluraliatantum auch Singularformen auf (Scherben vs. die Scherbe; Eltern vs. das/der Elter, der Elternteil). Manche Substantive, die urspr. Pluralformen sind, können heute standardspr. als Singularformen behandelt werden (vgl. im Dt. Ostern ist längst vorbei; im Engl. Measles is a very contagious disease). Edyta Błachut ≡ plurale tantum ↔ Singularetantum → Defektivität; Numerus; Plural; Singular; Substantiv ⇀ Pluraletantum (Onom; Lexik)

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Pluralfähigkeit

Fähigkeit des Nomens, eine Pluralform zu bilden. ▲ pluralizability: ability of a noun to form a plural.

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Die Pluralfähigkeit ist eine aus der Semantik der Nomina folgende Eigenschaft, aufgrund deren die Nomina des Dt. in zwei Klassen eingeteilt werden können: (a) Pluralfähige zählbare Nomina, die ein volles Paradigma bilden, da sie über Singular- und Pluralformen verfügen (1); (b) nicht pluralfähige unzählbare Nomina, die ein defektives Paradigma bilden, da sie keinen Pl. haben (Singulariatantum) (2). Zu (b) gehören im Dt. die überwiegende Mehrheit der Eigennamen, viele Kollektiva und Abstrakta sowie (von einigen speziellen Verwendungsweisen im Pl. abgesehen) die Stoffnamen. (1) Tür [Sg.] – Türen [Pl.] (2) Cicero [Eigenname]; Getreide [Kollektivum]; Neid [Abstraktum]; Mehl [Stoffname] György Scheibl

↔ Plurallosigkeit → Nomen; Plural; Pluralwort; Singularetantum; Sortenplural

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Pluralfuge

Fugenelement, das formal einem Pluralsuffix entspricht.

▲ plural linking element: linking element that is homophonous to a plural morpheme.

Als Pluralfuge werden die paradigmischen Fugenelemente -en, -n, ‑er und ‑e bezeichnet. Hauptsächlich bei formaler Opposition zur Nullfuge ist hier eine pluralische Lesart möglich: -en bei einsilbigen bzw. endbetonten Feminina (Schrift + art vs. Schriften + reihe); -n bei zweisilbigen Feminina mit stammauslautendem Schwa (Mode + macher vs. Moden + show); ‑er bei einsilbigen Neutra (Buch + rücken vs. Bücher + regal); ‑e (meist mit Umlaut) bei starken Feminina (Hand + fläche vs. Hände + druck), starken Maskulina (Arzt + praxis vs. Ärzte + kammer) und (ohne Umlaut) bei starken Neutra (Pferde + rennen). Die regelmäßige (e)‌n-Fuge bei schwachen Maskulina kann Pluralbedeutung transportieren: Kunden + dienst (aber: Bären + pfote). Trotz formaler Übereinstimmung zwischen dem Wortbildungsstamm und der Flexionsform muss die pluralische Lesart nicht zwingend gegeben sein, z.B. Kinder + wagen, Hunde + leine (generische Lesart) oder Eier + schale, Nasen + bluten (singularische Lesart). Umgekehrt ist die pluralische Lesart auch ohne Pluralfuge möglich, z.B. Tier + arzt, Hand + arbeit oder Schrift + tum. Neurolinguistische Untersuchungen zu N+NKomposita (Koester et al. 2004) zeigen, dass das Auftreten oder Fehlen der Pluralfuge keine Auswirkung auf die singularische oder pluralische Lesart des Erstglieds hat. Renata Szczepaniak

→ (e)n-Fuge; e-Fuge; Fugenelement; paradigmische Fuge; Plural

🕮 Koester, D./ Gunter, T.C./ Wagner, S./ Friederici, A.D. [2004] Morphosyntax, Prosody, and Linking Elements. The Auditory Processing of German Nominal Compounds. In: JCognNeuroSc 16/9: 1647–1668 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222.

pluralis auctoris

Verwendungsweise von pluralischen Pronomina der 1. Person zur Bezeichnung eines singularischen Referenten der 1. Person. ▲ pluralis auctoris; pluralis modestiae: special use of 1st person plural pronouns with 1st person singular meaning.

595 Pluralwort Im Dt. können die Pronomina wir und unser vor allem in wissenschaftlichen Texten in der Bedeutung von ich oder mein gebraucht werden. Als pluralis auctoris signalisieren sie eine Art Bescheidenheit seitens des Sprechers und dadurch Höflichkeit dem Leser gegenüber. Vgl. Satz (1), der von einer einzelnen Person verfasst wird: (1) In diesem Kapitel fassen wir die wichtigsten Ergebnisse zusammen. ≡ Autorenplural; pluralis modestiae

György Scheibl

→ Plural; pluralis benevolentiae; pluralis majestatis

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Verwendungsweise von pluralischen Pronomina der 1. Person zur Bezeichnung eines Referenten der 2. Person. ▲ pluralis benevolentiae: special use of 1st person plural pronouns with 2nd person meaning. Im Dt. können die Pronomina wir und unser als pluralis benevolentiae in der Bedeutung von du, ihr, dein oder euer gebraucht werden. Dieser Gebrauch ist auf spezielle Gesprächssituationen beschränkt, z.B. zwischen Arzt und Patienten bzw. zwischen Eltern und Kindern, in denen vom Sprecher Befehle erteilt, vom Hörer Befehle durchgeführt werden. Dabei wird eine Art Solidarität zwischen den Beteiligten ausgedrückt (1). (1) Und jetzt, Kinder, üben wir ein bisschen Fahrrad fahren. György Scheibl

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

pluralis generalis ≡ Sortenplural

pluralis majestatis

György Scheibl

→ Plural; pluralis auctoris; pluralis benevolentiae

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

pluralis modestiae ≡ pluralis auctoris

Plurallosigkeit

pluralis benevolentiae

→ Plural; pluralis auctoris; pluralis majestatis

Im Dt. können die Pronomina wir, ihr, unser, euer als pluralis majestatis in der Bedeutung von ich, mein, dein verwendet werden. Diese Formen dienen seit dem Mittelalter zur Bezeichnung u.a. von Fürsten und Königen (1). (1) Nur auf diese Weise können wir, König Matthias, alle Hindernisse aus dem Weg schaffen.

Verwendungsweise von pluralischen Pronomina der 1. und 2. Person zur Bezeichnung eines singularischen Referenten. ▲ pluralis majestatis: special use of 1st and 2nd person plural pronouns with singular meaning.

Eigenschaft gewisser Nomina, keinen Plural zu bilden. ▲ impluralizability: inability of some types of nouns to form the plural number. Die Plurallosigkeit folgt aus der Unzählbarkeit der Nomina, da nur zählbare Nomina pluralisierbar sind. Zu den unzählbaren Nomina, die wegen ihrer Plurallosigkeit ein numerusdefektives Paradigma bilden, gehören im Dt. die überwiegende Mehrheit der Eigennamen (Peter, Donau), viele Kollektivnomina (Schmuck, Gemüse) und Abstrakta (Fleiß, Geduld) sowie (von einigen speziellen Verwendungsweisen im Pl. abgesehen) die Stoffnamen (Mehl, Gold). György Scheibl

↔ Pluralfähigkeit → Plural; Pluraletantum; Pluralwort; Singularetantum

🕮 Eisenberg, P. [2001] Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart [etc.] ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Pluralsuffix, ideales → ideales Pluralsuffix

Pluralwort

Nomen, das ausschließlich im Plural vorkommt. ▲ plurale tantum: noun which is inflectionally restricted to the plural number. Pluralwörter bilden ein defektives Numerusparadigma, da sie ausschließlich im Pl. stehen, d.h. kein Gegenstück in den anderen Numeri haben.

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Plusquamperfekt 596 Zu diesen Nomina gehören im Dt. unterschiedliche Klassen von Nomina, u.a. Sammelnamen, Bezeichnungen für Personengruppen und Krankheiten sowie geographische Namen. In (1) sind Pluralwörter angeführt, die pluralische Referenten bezeichnen (etwa Sorten oder Gruppen). Ihre Numerusdefektivität ist daher auf semantische Faktoren zurückzuführen. Bei den Pluralwörtern in (2) ist die obligatorische Pluralform dagegen nicht semantisch motiviert. (1) Personalien, Textilien, Eltern, USA (2) Masern, Tropen, Alimente György Scheibl ≡ plurale tantum ↔ Singularetantum → Plural; Pluraletantum; Pluralfähigkeit; Plurallosigkeit

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ IturriozLeza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066.

Plusquamperfekt

Tempus, das mit der Präteritalform der Hilfsverben haben oder sein und einem Partizip II gebildet wird. ▲ pluperfect; past perfect: tense which is built from the past tense of the auxiliaries haben or sein and a perfect participle.

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Aus der kompositionalen Struktur des Plq.perf. ergibt sich wie bei den anderen Perfekt-Tempora ein doppelter Zeitbezug, d.h. eine sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) neben der primären Evaluationszeit (Sprechzeit). Die Präteritalform des Hilfsverbs ergibt eine sekundäre Evaluationszeit, die vor der primären Evaluationszeit liegt und gegenüber der Situationszeit ebenfalls vergangen ist. Neben dem Futurperf. (Futur II) ist das Plq.perf. besonders dafür geeignet, zu demonstrieren, dass es bei Tempora eine sekundäre Evaluationszeit neben der primären Evaluationszeit geben kann. Nicht zufällig beginnt daher Reichenbach (1947) die Erläuterung seines Systems mit dem (engl.) Plq.perf. (1) Emil verließ die Wohnung. Er hatte den Gashahn kontrolliert. Im Kontext des vorangehenden Präteritumsatzes wird ein Hörer das Plq.perf. (hatte kontrolliert) als ‚Vorvergangenheit‘ interpretieren. Die Situationszeit wird als vergangen nicht nur gegenüber der

primären Evaluationszeit (Sprechzeit), sondern auch gegenüber der sekundären Evaluationszeit eingeordnet. Reichenbach betrachtet alle drei Zeiten (die Sprechzeit, die Betrachtzeit und die Situationszeit) als in zeitlichen Beziehungen zueinander stehende Ereignisse. Die jeweilige Äußerung eines Sprechers (die Sprechzeit, primäre Evaluationszeit) ist das Ereignis, in Bezug auf das die Situationszeit des Ereignisses, von dem die Rede ist, primär eingeordnet wird. Mit der Betrachtzeit kommt sekundär ein weiteres Ereignis hinzu. Typisch für das Plq.perf. ist der Kontext anderer Sätze im Prät. Diese Sätze, d.h. die in diesen Sätzen denotierten Ereignisse, dienen als die Betrachtzeit (sekundäre Evaluationszeit). Darin kommt zum Ausdruck, dass Zeit und Zeitwahrnehmung grundsätzlich mit der Abfolge von Ereignissen beginnt. Beim Futurperf. und marginal auch beim Plq.perf. und Präsensperf. kann die sekundäre Evaluationszeit auch zu einem subjektiv gesetzten Zeitpunkt werden, hinter dem kein konkretes Ereignis mehr steht (2). (2) Wenn Du wieder hier bist, werden wir die Gasleitung repariert haben. (2a) Wir werden die Gasleitung morgen repariert haben. In (2a) ist morgen ein Evaluationszeitadverbial, das die sekundäre Evaluationszeit als solche markiert. Es denotiert kein Ereignis. Beim Plq.perf. funktioniert diese subjektive Setzung in der Regel nicht in gleicher Weise (3). (3) Er hatte gestern den Gashahn kontrolliert. In (3) kann man gestern nur mit Mühe oder nur künstlich (erzwungen) als Evaluationsadverbial interpretieren, auch wenn man weitere Adverbien, die den Hörer in diese Richtung lenken könnten, hinzunimmt: (4) Er hatte bereits gestern / schon gestern den Gashahn kontrolliert. Viel näher liegt es, die Temporaladverbiale in (3) und (4) als Situationszeitadverbiale zu interpretieren, d.h. als Adverbiale, die sich unmittelbar auf das denotierte Ereignis beziehen und dessen Situationszeit spezifizieren. In Sätzen mit Plq.perf., für die es keinen sprachlichen Kontext gibt, der ein drittes Ereignis denotiert, das als sekundäre Evaluationszeit dienen kann, geht die Bedeutung 'Vorvergangenheit' des Plq.perf. daher ins Leere (5). (5) Wir hatten auf S. 76 Thieroff (1992) zitiert.

597 Plusquamperfekt (5a) Wir haben auf S. 76 Thieroff (1992) zitiert. (5b) Wir zitierten auf S. 76 Thieroff (1992). Diese drei Sätze mit ihren jeweiligen Zeitformen sagen für sich genommen nur, dass ein Ereignis in der Vergangenheit stattgefunden hat. Einen wahrheitswertigen Unterschied gibt es zwischen den Sätzen nicht. Was als Reminiszenz der kompositionalen Struktur des Plq.perf. nur zurückbleiben kann, ist die Konnotation, dass es sich bei (5) um ein besonders weit zurückliegendes Ereignis handelt. Das ist der Ausdruck einer subjektiv empfundenen ‚tiefen Vergangenheit‘. Diese Konnotation ist aufhebbar. Zurück bleibt bei Aufhebung einfach ein Ausdruck der Vergangenheit. So könnte man in einem Alltagsdialog sowohl (6) als auch (6a) antreffen. Ein Hörer kann, muss aber nicht, in diese Variation einen semantischen Unterschied hineininterpretieren. (6) Gestern haben wir ihn noch gesehen. (6a) Gestern hatten wir ihn noch gesehen. Aus der Bedeutung 'Vorvergangenheit' bzw. dem konnotativen Effekt der tiefen Vergangenheit leiten sich einige weitere konnotative bzw. pragmatische Effekte ab. Erwähnt werden in der Fachlit. „Hintergrundwiedergabe“ (7) und „negativ-adversative Konnotation“ (7a) (vgl. Eroms 1983) sowie „two ways action“ (7b) (vgl. Thieroff 1992). (7) Wie berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen N.N. wegen eines Korruptionsverdachts. N.N. hatte mit der Firma X einen Millionenvertrag ausgehandelt. (7a) Emil kommt nicht, und ich hatte mich so gefreut. (7b) Hattest du das Fenster geöffnet? [Situation: Das Fenster ist geschlossen.] Die Opposition von Prät. und Plq.perf. ist wie die Opposition von Prät. und Perf. (Präsensperf.) eine Entwicklung in der Standardsprache. Im Alltag der mündlichen Kommunikation können die Sprecher auf eine Bedeutung 'Vorvergangenheit' und die mit ihr oft im Zusammenhang stehende Hypotaxe verzichten, vgl. (8) und (8a), auch (8b) vs. (1). (8) Die Feuerwehr hat alle Brände gelöscht. Dann ist sie weggefahren. (8a) Die Feuerwehr ist weggefahren. Sie hat alle Brände gelöscht. (8b) Emil verließ die Wohnung. Zuvor kontrollierte er den Gashahn. Aber auch in hypotaktischen Konstruktionen der

Standardsprache wird nicht selten das Prät. in Kontexten verwendet, in denen man das Plq.perf. wegen seiner Vorzeitigkeits-Bedeutung erwarten könnte ((9)–(12)). (9) Nachdem Emil gekommen war, ging Erna. (9a) Nachdem Emil kam, ging Erna. (10) Nachdem Emil sich ausgeruht hatte, ging Erna. (10a) ?Nachdem Emil sich ausruhte, ging Erna. (11) Nachdem Emil gekommen war, war Erna gegangen. (12) Nachdem Emil sich ausgeruht hatte, war Erna gegangen. Das Prät. erscheint im Nebensatz (9a) akzeptabel, aber nicht in (10a). Eine Erklärung ist: Kommen legt als perfektives Verb (Achievement-Verb) bereits auf Grund seiner inhärenten Aspektualität Vorzeitigkeit (und nicht Gleichzeitigkeit) nahe. Ausruhen als imperfektives Verb verweist jedoch eher auf Gleichzeitigkeit. Das aber steht im Widerspruch zur Bedeutung der Konjunktion nachdem. In (11) und (12) stehen beide Teilsätze im Plq. perf. Hier stellt sich wie in (9a) eine analoge Zeitfolge kontextuell über die Semantik von nachdem her. Typischerweise gilt, dass die Satzfolge dem Zeitpfeil entspricht, also ikonisch eine Folge in der Zeit wiedergibt (13). (13) Er kauerte vor dem kleinen, gusseisernen Ofen und hielt ein Streichholz an das zusammengeknüllte Papier und die darüber geschichteten Holzspäne. Dann schloss er die Klappe und wartete. Als er das Knistern der Flamme hörte, öffnete er die obere Klappe und warf ein paar Scheite hinein. Er wischte sich die Finger an dem Lappen ab, der neben dem Schreibtisch lag, und setzte sich. Aus einem Schubfach holte er ein Magazin heraus und blätterte darin, während er sich mit einer Hand eine einzelne Zigarette aus seiner Jackettasche angelte und sie entzündete. [Hein, Christoph [2000] Willenbrock. Frankfurt/Main: 7] Wie (13) zeigt, erlaubt im Default-Fall der alleinige Gebrauch des Prät. (oder des Präsensperf.) als Erzähltempus die Wiedergabe einer Abfolge in der Zeit. Das geschieht sowohl in der Umgangsprache als auch in der Standardsprache kontextuell. Der Hörer/Leser hat auf Grund von Implikaturen zu entscheiden, ob es sich um gleichzeitige oder

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Plusquamperfekt, gestrecktes 598

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aufeinander folgende Geschehnisse handelt. Der Sprecher/Schreiber kann das, muss es aber nicht, mit zusätzlichen semantischen Signalen (z.B. Adverbien und Konjunktionen) unterstützen. Unterstützend wirkt auch die inhärente Aspektualität des jeweiligen Verbs. Der Anlass, ein Plq.perf. in der Standardsprache auszubilden, ist durch die strukturelle Komplexität begründet, die die Schriftform mit sich bringt. Die schriftliche Fixierung erleichtert den zeitlichen Rückgriff. Bei einem zeitlichen Rückgriff dient das Plq.perf. der Verständnissicherung. Man trifft aber auch in der geschriebenen Standardsprache häufig auf Sätze, in denen man statt eines normgerecht zu erwartenden Plq.perf. ein Prät. findet. Hier überlässt der Schreiber beim Rückgriff auf eine zur Erzählzeit/Berichtzeit vergangene Zeit die Verständnissicherung ebenfalls dem Kontext. Der Hörer ist gezwungen, auf Implikaturen zurückzugreifen ((14), (15)). (14) Zwei Tage, nachdem die radikalislamischen Talibanmilizen in einer spektakulären Aktion 870 Gefangene aus einem in der Stadt Kandahar gelegenen Gefängnis befreiten, hat Präsident Hamid Karsai dem Nachbarland Pakistian indirekt den Krieg erklärt. (Berliner Zeitung, 16.06.2008) (15) Schneider, der einige Jahre in Amerika und Frankreich arbeitete, war aufrichtig erstaunt, wie schnell und beinahe schweigend im Osten „Philosophie durch Philosophie ersetzt“ wurde. Wenn man gerade aus Ländern kommt, wo Philosophen nicht von Landesregierungen ernannt werden, ist dieser Eindruck vielleicht unvermeidlich. (Tagesspiegel, 12.08.1997) ≡ vollendete Vergangenheit; Vorvergangenheit

Klaus Welke

↔ Futur des Präteritums; Futur I; Präsens → § 16; gestrecktes Plusquamperfekt; Hilfsverb; Perfekt;

Präteritum; Präteritumperfekt; Resultatsplusquamperfekt; szenisches Perfekt; Tempus; Tempussystem; Tempuswechsel; zweites Partizip ⇀ Plusquamperfekt (SemPrag; HistSprw)

🕮 Eroms, H.-W. [1983] Relativer und absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts im Deutschen. In: Askedal, J.O./ Christensen, C./ Findreng, Å./ Leirbukt, O. [Hg.] Festschrift für Laurits Saltveit. Oslo [etc.]: 58–71 ◾ Klein, W./ Stutterheim, C. von [1987] Qaestio und referentielle Bewegung in Erzählungen. In: LB 109: 163–183 ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005]

Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Plusquamperfekt, gestrecktes → gestrecktes Plusquamperfekt

polares Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die auf einer Skala in Opposition zu weiteren Adjektiven stehen. ▲ polar adjective: semantically defined subclass of adjectives which express, on a scale, opposites of other adjectives. Polare Adjektive denotieren Eigenschaften, die auf einer offenen Skala entgegengesetzte Pole bezeichnen, wobei sich dadurch Adjektivpaare bilden wie alt – jung; groß – klein; dick – dünn; leicht – schwer. Als neutral bzw. unmarkiert gilt dasjenige Adj., das das absolute, unbeschränkte Vorhandensein einer Eigenschaft ausdrückt wie alt, groß, lang. Dementsprechend werden Fragen mit eben diesen Ausdrücken gestellt ((1), (2)). (1) Was glauben Sie, wie alt [*jung] die Mädchen sind – 12 oder 11? (Braunschweiger Zeitung, 19.03.2009) (2) Wie hoch [*niedrig] ist ihr Arbeitsaufwand, wie hoch [*niedrig] ist ihr Arbeitsertrag, wie groß [*klein] ist die Lücke, und welche Argumente könnten den Arbeitgeber überzeugen? (SZ, 26.07.2014) Jussara Paranhos Zitterbart ≡ skalares Adjektiv → absolutes Adjektiv; antonymes Adjektiv; dimensionales Adjektiv; qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Polyfunktionalität

Eigenschaft sprachlicher Elemente, mehrere Funktionen ausüben zu können. ▲ polyfunctionality: property of linguistic elements that they can perform more than one function. Polyfunktionalität kann auf verschiedenen sprachlichen Ebenen beobachtet werden: (a) Auf der Ebene der Morphologie: Ein Wort kann – je nach sprachlichem Kontext – unterschiedlichen Wortarten angehören ((1), (2)) und

599 Positionsrelativ ein Wortbildungsaffix kann bei verschiedenen Stämmen unterschiedliche Bedeutungen prägen (3). (1) Peter kommt heute nicht, denn er ist krank. [Konjunktion] (2) Wie alt ist er denn? [Abtönungspartikel] (3) Unglück [Negation] – Unmenge [Verstärkung] (b) Auf der morphosyntaktischen Ebene können die morphologischen Kasus (die NPn in einem gegebenen Kasus) unterschiedliche syntaktische Funktionen ausdrücken ((4)–(6)). (4) Karl liest einen interessanten Roman. [Akkusativobjekt] (5) Karl liest den ganzen Tag. [Temporaladverbiale] (6) Inge nennt seinen Freund einen Esel. [Prädikativ] Dasselbe bezieht sich auf PPn ((7)–(9)). (7) Peter freut sich auf die lang ersehnte Reise. [Präpositionalobjekt] (8) Peter geht endlich auf die lang ersehnte Reise. [direktionales Adverbial] (9) Der Verzicht auf die lang ersehnte Reise fiel Peter schwer. [Präpositionalattribut] (c) Auf der syntaktischen Ebene können Infinitivund Partizipialkonstruktionen in verschiedenen Satzgliedfunktionen auftreten ((10)–(12)). (10) Es freut mich, dich wiederzusehen. [Subjekt] (11) Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen. [Akkusativobjekt] (12) Die Möglichkeit, dich wiederzusehen, war eine große Freude für mich. [Attribut] Krisztina Molnár

→ Kasusfunktion; morphologische Funktion; Wortart → Gram-Syntax: direktionale Präpositionalgruppe; lokale Adverbialbestimmung; Satzglied; syntaktische Funktion

⇀ Polyfunktionalität (Wobi; Textling) ⇁ polyfunctionality (TheoMethods)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Portmanteaumorphem

Morphem, in dem mindestens zwei Morpheme miteinander verschmolzen sind. ▲ portmanteaumorpheme: morpheme in which at least two morphemes are fused.

Ein Portmanteaumorphem verbindet Teile mehrerer, sonst getrennter Morpheme. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Präp. und einen bestimmten Artikel wie bei im (in + dem), ans (an + das), zur (zu + der). Portmanteaumorpheme können nicht eindeutig einer bestimmten Wortart zugeordnet werden.

Hilke Elsen ≡ Schachtelmorphem → Morphem; Präposition; verschmolzene Präposition

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Positionsadverb ≡ Lokaladverb

Positionsrelativ

Relativadverb, das sich auf den Raum bezieht. ▲ position relative: relative adverb that refers to space or place. Das Positionsrelativ, ein Terminus nach Weinrich (1993: 776), bezieht sich auf einen „meistens räumlich verstandenen Horizont“. Es handelt sich um die lokalen Relativadverbien der traditionellen Grammatik. Als Positionsrelativa des Dt. gelten das lokale w-Wort wo und die direktionalen w-Wörter woher und wohin. Das Positionsrelativ kommt mit einem Bezugselement (dort, da u.a.) in Relativsätzen (1) und ohne Bezugselement in den sog. freien Relativsätzen (2) vor. (1) Die Stadt, wo wir leben. (2) Wo ich wohne, gibt es viel zu sehen. Das Positionsrelativ wo wird auch standardspr. mit Bezug auf die temporale Dimension als metaphorische Übertragung bzw. als Grammatikalisierung des lokalen wo gebraucht. Es steht dann in Konkurrenz zu da, wenn und als. (3) Jetzt ist die Zeit, wo alle Bäume in unserem Garten blühen. Ugs. bzw. regional weist das Positionsrelativ wo spezifische Referenz mit Bezug auf Personen auf. (4) Die Frau, wo ich gesehen habe, ist seine Freundin. Das Positionsrelativ konkurriert mit komplexen Formen vom Typ Präposition + Relativum. Das betrifft seinen lokalen und temporalen Gebrauch. (5) Die Stadt, wo ich wohne [...]. (5a) Die Stadt, in der ich wohne [...].

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Positiv 600 (6) All die Jahre, wo ich tätig gewesen bin [...]. (6a) All die Jahre, in denen ich tätig gewesen bin [...]. Leitet das Positionsrelativ wo einen freien Relativsatz ein, also einen Relativsatz ohne Bezugselement, ist der Nebensatz mit dem Interrogativsatz formgleich und der Status von wo lässt sich aufgrund der syntaktischen Funktion des Nebensatzes ermitteln. In (7) ist der mit der Proform dort substituierbare Nebensatz ein lokaler Adverbialsatz und wo ein Positionsrelativ, in (8) lässt sich der Nebensatz mit der Proform das in der Funktion des Akkusativobjekts ersetzen und wo ist kein Positionsrelativ. (7) Max wohnt, wo du wohnst. ['Max wohnt dort.'] (8) Ich weiß, wo du wohnst. ['Ich weiß das.'] Das Positionsrelativ kann zur komplexen Form wo auch immer erweitert werden und der Nebensatz im Matrixsatz mit dort, da usw. wiederaufgenommen werden. (9) Wo auch immer Wissen existiert, dort ist auch Macht vorhanden. Janusz Taborek

→ Präposition; Relativadverb → Gram-Syntax: freier Relativsatz; Relativsatz; syntaktische Funktion

🕮 Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

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Positiv

Basisstufe im Komparationsparadigma eines Adjektivs oder eines Adverbs. ▲ positive: basic degree in the comparative paradigm of adjectives or adverbs. Bei der Komparation von Adjektiven (und bestimmten Adverbien) liegen verschiedene Steigerungsstufen vor, wie der Komparativ, der Superlativ u.a. Die Basisform wird als Positiv bezeichnet. (1) schön – schöner – (der) schönste / am schönsten (2) gut – besser – (der) beste / am besten Bei attributiver Verwendung steht der Positiv in der flektierten Form ((3), (4)). (3) einer schönen Frau (4) der schöne Mann Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ Grundstufe → absoluter Superlativ; Komparation; Komparativ; Superlativ ⇀ Positiv (Lexik)

⇁ positive (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Varnhorn, B. [1993] Adjektive und Komparation. Studien zur Syntax, Semantik und Pragmatik adjektivischer Vergleichskonstrukte (StDG 45). Tübingen.

Possessivartikel

deklinierte Wortart, die im Deutschen in adsubstantivischer Position auftritt und eine spezifische Zugehörigkeitsrelation ausdrückt. ▲ possessive determiner; possessive article: declined part of speech that stands in adnominal position in German and expresses a specific relation of belonging.

Nach Eisenberg (1999: 139, 181) zählen die Possessivartikel zusammen mit dem bestimmten Artikel, dem unbestimmten Artikel und dem Negationsartikel zu der Gruppe der Artikel i.e.S. In Zusammenhang mit der Abgrenzung der Termini Artikel und Pronomen weist Eisenberg darauf hin, dass in adsubstantivischer Funktion neben Artikeln auch Pronomina auftreten können. Eisenberg (1999: 139) verwendet daher zur Abgrenzung folgendes morphologisch zentrierte Kriterium: „Artikelparadigmen sind nur die, deren Formen speziell auf den adsubstantivischen Gebrauch abgestimmt sind“. In diesem Sinne lässt sich das Paradigma der Possessivartikel von dem der possessiven Pronomina klar abgrenzen, da in einigen Fällen Formunterschiede vorliegen ((1)– (3)). Auch Hoffmann (2009: 331) stützt sich auf die Existenz spezifischer Flexionsformen in der NP und argumentiert für eine Kategorisierung als eigene Wortart. (1) Mein[Possessivartikel] Wagen ist schon alt, dei­ ner[Possessivpron.] noch nicht. (2) Mein[Possessivartikel] Haus ist leider sehr klein, dein(e)s[Possessivpron.] nicht. (3) Frau Meier verkauft dein[Possessivartikel] Fahrrad, mein(e)s[Possessivpron.] aber behält sie. Eine genauere Bestimmung der Possessivartikel erfolgt nach den folgenden Merkmalsbereichen: (a) Formenbestand: Nach Person und Numerus lassen sich formale Subklassen differenzieren (1. Pers. Sg./Pl.: mein/unser; 2. Pers. Sg./Pl.: dein/unser [vertraulich]; Ihr/Ihr [distanziert]; 3. Pers. Sg.: sein [Maskulinum]; ihr [Femininum]; sein [Neutrum]; ihr [Pl.]). (b) Morphologische Merkmale: Die Possessivar-

601

possessives Determinativ

tikel stimmen wie andere Artikelwörter mit dem determinierten Nomen (Possessum) in Kasus, Numerus und Genus überein und tragen daher die entsprechenden Flexionsendungen (Endungsgenus). Sie werden außerdem nach Genus und Numerus des Possessors (Vorgängerausdruck) lexikalisch differenziert (Stammgenus) ((4)–(7)). (4) Herr Müller[Possessor] und sein Sohn[Possessum] wohnen in Madrid. (5) Frau Bauer[Possessor] und ihre Tochter[Possessum] fahren nach Frankfurt. (6) Das nette Mädchen[Possessor] und sein Hündchen[Possessum] gehen jeden Tag hier durch den Park. (7) Herr und Frau Maier[Possessor] und ihre Kinder[Possessum] machen zusammen in Santiago Urlaub. Der Possessivartikel bildet zusammen mit dem zu determinierenden Nomen (Possessum) eine NP. Dieser steht wie andere Artikelwörter vor dem attributiven Adj. und steuert die Deklination der nachfolgenden attributivisch gebrauchten Adjektive. Possessivartikel und Nomen regieren eine schwache Adjektivflexion, wenn der Artikel eine markierte Flexionsform hat, und eine starke Flexion, wenn der Artikel selbst flexivisch unmarkiert ist ((8)–(11)). (8) Ein/kein/mein alter Wagen hat eine Panne. (9) Eine/keine/meine neue Jacke passt nicht mehr. (10) Ein/kein/mein schönes Haus steht leer. (11) Keine/meine interessanten Bücher sind zu teuer. (c) Semantisch-funktionale Merkmale: Sie zeigen wie der definite Artikel an, dass die vom Nomen ausgedrückte Person, Sache oder der Sachverhalt identifiziert, also hinreichend bestimmt oder bekannt ist (Definitheitsinterpretation). Die Possessivartikel stellen eine allgemeine Zugehörigkeitsrelation und in einigen Fällen eine konkrete Besitzrelation zwischen Sprecher/Sprechergruppe, Adressat/Adressatengruppe oder anderen Verweiselementen und dem Bezugselement (Possessum) her. Entsprechend sind Possessivartikel: (a) sprecherbezogen/sprecherdeiktisch (mein/ unser); (b) hörerbezogen/hörerdeiktisch (dein/ euer [vertraulich]; Ihr [distanziert]); (c) genusdifferenzierend, personen-/gegenstandsbezogen/ phorisch (Sg.: sein/ihr/sein – Pl.: ihr). Meike Meliss

≡ Possessivum ↔ Possessivpronomen → Artikel; Deklination; Determinativum; Pronomen; Wortart; Wortklasse → Gram-Syntax: Adnominal; Possessor

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Hoffmann, L. [2009] Handbuch der Wortarten. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Possessivdativ

≡ dativus possessivus

possessiver Dativ

≡ dativus possessivus

possessives Adjektiv

≡ elliptisches Possessivpronomen; prädikatives Possessivpronomen

possessives Determinativ

determinierendes Wort, das Besitz bzw. Zugehörigkeit bezeichnet. ▲ possessive determiner: determinative with the function of marking a possession. Possessessive Determinative kennzeichnen eine Zugehörigkeit i.e.S. (sein Auto) und i.w.S. (meine Überzeugung). Eisenberg (2013: 183) unterscheidet für die dt. Sprache Possessivartikel (mein, dein, sein) und Possessivpronomina (meiner, deiner, seiner). Während sich erstere wie Artikel verhalten (mein Buch), deklinieren letztere wie Pronomina und haben Subjekt- oder Objektfunktion (Meines ist verschwunden. Sie kauft seines.). Außerdem gibt es nach Helbig/Buscha (1994) relative Possessivpronomina (Jetzt kommt der Zug, dessen Verspätung angesagt wurde) und nach der Duden-Grammatik (2005) possessive Adjektive (das meinige Buch). Christine Römer ≡ Possessivum ↔ Possessivpronomen → Determinativum; elliptisches Possessivpronomen; Possessivartikel; prädikatives Possessivpronomen

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1994] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunter-

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possessives Pronomen 602 richt. 16. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Hoffmann, L. [2007] Determinativ. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 293–356 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

possessives Pronomen ≡ Possessivpronomen

possessives Relativpronomen ≡ Relativartikel

Possessivpronomen

Pronomen, mit dem die Zugehörigkeit oder der Besitz ausgedrückt wird. ▲ possessive pronoun: pronoun that indicates possession or ownership.

PQ

Possessivpronomina bezeichnen u.a. den Besitz (1), die Zugehörigkeit (2), das Interesse (3). (1) Dort steht mein neues Auto. (2) Kommt dein Vater mit? (3) Wie ist seine Meinung? Die Formen der Possesivpronomina im Dt. sind von den Genitivformen des Personalpron. abgeleitet, z.B. meiner → mein, deiner → dein. Possessivpronomina beziehen sich auf sprechende (mein, unser), angesprochene (dein, euer, Ihr) und besprochene (sein, ihr) Personen. Possessivpronomina i.w.S. können attributiv (4) und substantivisch (5) verwendet werden. (4) Mein Haus ist groß. (5) Der Wagen ist meiner. Beim attributiven Gebrauch handelt es sich um Possessivartikel (possessive Artikel, possessive Determinative), die zur syntaktischen Wortart Artikelwort gehören. In einigen Grammatiken der dt. Sprache (z.B. Engel 2004; Duden 2005; Helbig/ Buscha 2005) wird unter Possessivpron. lediglich der substantivische Gebrauch (6) verstanden und vom Possessivartikel unterschieden. (6) Wessen Wagen ist das? – Das ist meiner. Das Inventar der Possessivpronomina ist sprachspezifisch. So verfügt das Poln. neben den personbezogenen Pronomina (mój 'mein', twój 'dein') über die Form swój, die die Referenzidentität des Subjekts mit dem Possessivpron. (8) voraussetzt. (7) To jest mój samochód. ['Das ist mein Auto.'] (8) Tu zaparkuję swój samochód. ['Hier parke ich mein Auto.'] Janusz Taborek

≡ besitzanzeigendes Fürwort; besitzanzeigendes Pronomen; possessives Pronomen; Possessivum ↔ Possessivartikel; possessives Determinativ → Determinativpronomen; elliptisches Possessivpronomen; prädikatives Possessivpronomen; Pronomen; Relativartikel; w-Determinativ ⇀ Possessivpronomen (HistSprw) ⇁ possessive pronoun (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. [2005] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil III: Possessivpronomen. Mannheim.

Possessivpronomen, elliptisches → elliptisches Possessivpronomen

Possessivpronomen, prädikatives → prädikatives Possessivpronomen

Possessivum

≡ Possessivartikel; possessives Determinativ; Possessivpronomen

Postposition

Adposition, die ihrem – gegebenenfalls kasusregierten – Komplement folgt. ▲ postposition: adposition following its – case-governed, if applicable – argument. Postpositionen sind als Subtyp der Adpositionen nicht-flektierende Kategorien, die mit Kopfeigenschaften ein adjazent positioniertes Komplement subkategorisieren und ihm einen Rektionskasus zuweisen, wenn es deklinierbar ist. Sie unterscheiden sich durch ihre Nachstellung relativ zum Komplement von Präpositionen (stehen vor dem Komplement) und Zirkumpositionen (umschließen das Komplement in Form zweier diskontinuierlich angeordneter Komponenten). Beispiele für gegenwartsdeutsche Postpositionen sind halber, wegen und nach (1)–(3). (1) der Einfachheit halber (2) des Geldes wegen (3) meiner Meinung nach Gelegentlich werden auch die nachgestellten Köpfe von Zirkumpositionen des Typs von der Brücke her und vom Berg herab als Postpositionen eingestuft. Da Adverbien wie her und heraus aber keinen Kasus regieren können, ist diese Be-

603

potentialer Konjunktiv

stimmung aus wortartentheoretischer Sicht nicht befriedigend. Klassifikatorisch schwierig können auch mutmaßliche Positionen wie hindurch und über sein: In die ganze Woche hindurch/über kann hindurch/über sowohl eine kasusregierende Postposition als auch ein nicht-kasusregierendes Adverb sein, das einer NP mit freiem adverbialen Akkusativ folgt. Einige Postpositionen können auch als Präp. vor ihrem Komplement erscheinen. In solchen Fällen wird von Ambipositionen gesprochen ((4), (5)). (4) des Geldes wegen / wegen des Geldes (5) meiner Meinung nach / nach meiner Meinung Die Prä- und die Postposition von Ambipositionen können allerdings mit morpho-syntaktischen und semantischen Unterschieden verbunden sein. So blockiert wegen als Postposition den Dativ sowie nicht-propriale Komplemente ohne Determinierer und Modifikator ((6), (7)), und nach kann als Postposition nicht direktional verwendet werden (8). (6) *dem Geld wegen / wegen dem Geld (7) *Renovierung wegen / wegen Renovierung (8) *Norden nach / nach Norden Ob es sich bei den prä- und postponierten Abfolgen nur um Stellungsvarianten je gleicher Konstruktion handelt, wie die Bezeichnung Ambiposition nahelegt, ist vor diesem Hintergrund fraglich. Syntaxtypologisch sind Postpositionen für Sprachen mit einer allgemeinen Tendenz zu kopffinaler Wortfolge wie z.B. das Türk. charakteristisch. Sie können aber auch in Sprachen wie dem Ung., das wortfolgetypologisch Züge einer Mischsprache hat, der dominante adpositionale Stellungstyp sein. Die syntaktischen Projektionen von Postpositionen werden in aller Regel ungeachtet der Finalstellung des Kopfs als PP bzw. Präpositionalgruppe bezeichnet. Auch bei den syntaktischen Funktionen wird gewöhnlich in einem generischen Sinne von Präpositionalobjekt und Präpositionalattribut gesprochen. Jörg Bücker

→ Adposition; Adverb; Ambiposition; Präposition; sekundäre Präposition; Zirkumposition

→ Gram-Syntax: Präpositionalattribut; Präpositionalobjekt ⇀ Postposition (CG-Dt) ⇁ postposition (Typol)

🕮 Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Hagège, C. [2010] Adpositions. Oxford ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/ Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Olsen, S. [1999] Komplexe Präpositionalphrasen mit postponiertem direktionalen Kopf. In: LB 180: 389–408.

potentialer Konjunktiv

Untergruppe des Konjunktivs der epistemischen Modalität, welcher die Möglichkeit eines Zustands oder Geschehens bezeichnet. ▲ potential subjunctive: subcategory of the subjunctive of the epistemic modality, which signifies the possibility of a situation or an action. Mit dem Wissen des Sprechers ist es vereinbar, dass die gemeinte Verbalhandlung in Bezug zur Wirklichkeit sowohl wahr als auch falsch sein kann („Wahrheitswert unbestimmt“). Im Gegensatz zum Irrealis lässt der Sprecher allerdings die Möglichkeit offen, dass der gemeinte Sachverhalt tatsächlich besteht oder in der Vergangenheit bestanden hat („Annahme“ mit dubitativer Qualität) oder in der Zukunft zutreffen wird („Erwartung“ mit futurisch-prospektiver Qualität). Mit dem Wissen des Sprechers ist es also vereinbar, dass diese Verbalhandlung selbst bei vom Sprechakt aus festgelegtem unbestimmten Wahrheitswert tatsächlich realisiert ist oder realisiert werden kann. Potentiale Modalitäten werden im heutigen Dt. in selbständigen Sätzen nur durch Modalverbkonstruktionen bezeichnet (1). (1) Er kann/muss/mag/soll sich einem Gerücht zufolge verspätet haben. In Nebensätzen kann der potentiale Konjunktiv kongruent mit Modalitätsausdrücken des Obersatzes gebraucht werden (2). (2) Es ist möglich / wahrscheinlich / (von jemandem) gesagt worden, dass er sich verspätet habe. Dadurch kann das entsprechende Morphem zum Dependenzzeichen werden und durch einen indikativischen Ausdruck als unmarkierte Modalität ersetzt werden.

→ Konjunktiv; Modalverb

Richard Schrodt

PQ

prädikatives Possessivpronomen 604

→ Gram-Syntax: Irrealis; Modalität

🕮 Helbig, G. [2007] Der Konjunktiv – und kein Ende. Zu einigen Kontroversen in der Beschreibung des Konjunktivs der deutschen Gegenwartssprache. In: DaF 44: 140–153 ◾ Palmer, F.R. [1986] Mood and Modality. Cambridge.

prädikatives Possessivpronomen

Possessivpronomen, das selbständig ohne Sub­ stan­tiv in der Prädikativfunktion gebraucht wird. ▲ predicative possessive pronoun: possessive pronoun that is used predicatively without a noun. Ein prädikatives Possessivpronomen (Duden 1998: 337) kommt ohne grammatische Markierung in Verbindung mit einem Kopulaverb, vorwiegend dem Verb sein vor. Sein Gebrauch wird als veraltet bzw. gehoben eingestuft. (1) Du bist unser. In Duden (2005: 288) wird vom prädikativen Gebrauch des possessiven Adj. gesprochen, Helbig/ Buscha (2005: 235) fassen das prädikative Possessivpron. unter substantivisches Possessivpron. Janusz Taborek ≡ possessives Adjektiv → Possessivartikel; possessives Determinativ; Possessivpronomen → Gram-Syntax: prädikatives Adjektiv; Prädikativkonstruktion; Prädikativum

PQ

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

praesens historicum ≡ historisches Präsens

präfigiertes Verb ≡ Präfixverb

Präfigierung

produktiver derivativer Wortbildungsuntertyp, bei dem vor das einfache oder komplexe Wort ein Präfix tritt. ▲ prefixation: productive subtype of derivative word formation whereby a prefix is placed before a simple or complex word. Die Präfigierung gehört zum ausdruckerweiternden Wortbildungshaupttyp der Derivation. Sie tritt im Dt. produktiv bei Substantiven (Un-gnade),

Verben (be-kommen) und Adjektiven (ur-alt) auf sowie unproduktiv und sehr selten auch bei Adverbien (zu-nächst) (zum Adverb vgl. Fleischer/ Barz (2012: 370), dagegen aber Altmann (2011: 175), der hier eher Kompositionalbildungen mit präpositionalem Erstglied annimmt, und Simmler (1998: 580), der die Belege von Fleischer/Barz als Zusammenrückung klassifiziert). Die Präfixe unterscheiden sich im Dt. von den anderen Wortbildungsaffixen, den Suffixen und Zirkumfixen, dadurch, dass sie keine grundsätzliche Kopffunktion haben und so nicht durchweg die Wortart des Wortbildungsprodukts bestimmen können (vgl. Fleischer/Barz 2012: 54ff., auch zum Folgenden). Die indigenen Präfixe lassen sich im Dt. in die substantivischen Präfixe (erz‑, ge‑, haupt‑, miss‑, un‑, ur‑), von denen erz‑, ge‑, miss‑, un‑ und ur‑ auch Adjektive präfigieren, und die verbalen Präfixe (be‑, ent‑, er‑, ge‑, miss‑, ver‑, zer‑, durch‑, hinter‑, über‑, um‑, unter‑, wider‑) unterteilen. Die substantivischen und adjektivischen Präfixe sind mit Ausnahme des Präfixes ge- (Ge-flatter, geheim) (vgl. Simmler 1998: 494ff., 547f.) nicht wortartverändernd, ihnen fehlt also die Kopffähigkeit. Die verbalen Präfixe dagegen treten nicht nur an verbale Basen (zer-schneiden), sondern leiten aufgrund ihrer meist gegebenen Kopffunktion substantivische (z.B. ver-sumpf-en) und adjektivische Basen (ver-arm-en) ab (vgl. aber auch die Klassifikation von Transpositionen vom Typ ver-sumpf-en als Präfix-Suffix- bzw. Zirkumfix-Bildungen und damit nicht als Präfigierungen z.B. in Simmler 1998: 616ff.). Zudem überschneiden sich die verbalen Präfixe durch‑, hinter‑, über‑, um‑, unter‑ und wider‑ mit homonymen Verbpartikeln, die Partikelverben bilden (vgl. das Präfix über- in (1) vs. die Verbpartikel über in (2)). (1) Sie über-setzt den Text. (2) Er setzt mit dem Boot über. Diese Partikelverbbildungen im Dt. zählt man mittlerweile fast durchgängig nicht mehr zur Präfigierung, sondern wertet diese als verbspezifische Wortbildung zwischen Komposition und Präfigierung. Igor Trost ≡ Präfixbildung → abgeleitetes Adjektiv; Derivation; Präfix; produktives Präfix; Suffigierung; Wort; Wortbildung

🕮 Altmann, H. [2011] Prüfungswissen Wortbildung. 3., durchges. Aufl. Göttingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung

605 der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Präfix

Affix, das vorn an eine lexikalische Basis angefügt wird. ▲ prefix: affix that precedes a lexical base. Wenn man Wörter Schritt für Schritt in ihre bedeutungstragenden Einzelteile zerlegt, bleiben oft Affixe übrig. Das sind Morpheme ohne lexikalische Kernbedeutung, die nicht als selbständige Wortformen im Satz stehen könnten und die man auch nicht untereinander zu neuen Lexemen kombinieren kann. Dazu gehören z.B. ver- in verstehen und be- in begreifen. Als Affixe gelten i.A. auch ultra- in ultrafies, post- in postoperativ, Ober- in Oberschenkel. Werden Affixe vorn an eine lexikalische Basis angefügt, so handelt es sich um Präfixe. Im Dt. und in vielen anderen Einzelsprachen dienen Präfixe der Wortbildung, also der Ableitung neuer Lexeme, und nicht der Flexion. Man kann die Präfixe unterteilen in heimische Präfixe (be-, un-) und Fremdpräfixe (ultra-, post-), nach der Wortart ihrer Ableitungsbasis oder nach der Wortart des neu gebildeten Lexems in Verbpräfixe (1) und nominale Präfixe ((2), (3), (4)). (1) be-: begreifen; ent-: entkernen; ver-: verschönern; er-, ge-, miss-, zer-; anti-, de-/des-, dis-, in-/im-/ir-, inter-, ko-/kol-/kom-/kon-/ kor-, miss-, post-, prä-, re-, trans(2) Un-: Unart, Unglück; Erz-, Ge-, Miss-, Ur-; A-/An-, Anti-, De-/Des-, Dis-, Ex-, Hyper-, Hypo‑, In-/Im-/Ir, Inter-, Ko-/Kol-/Kom-/Kon-/ Kor-, Non-, Prä-, Pro-, Re-, Trans-, Ultra(3) un-: unschön, unangenehm, unbeschwert (4) un-: unlängst Die Ableitung von Adjektiven (2), Substantiven (3) und Adverbien (4) (Letzteres ist selten) mit nominalen Präfixen führt im Dt. nicht zu einem Wortartwechsel. Ebenso wie die Partikelverben können aber Präfixverben aus einer Basis mit einer anderen Wortart abgeleitet werden (5). (5) ent#stein#en, ver#anschaulich#en, ver#oder#n Außerdem erhalten komplexe Verben im Vergleich zu einer verbalen Basis oft eine andere Aktionsart, manchmal sogar eine andere Valenz, so

Präfix, nominales dass mehr, weniger und/oder andere Ergänzungen beim Verb stehen (6). (6) sich (um etw./jmdn.) sorgen → etw. besorgen, etw. entsorgen, jmdn. umsorgen, jmdn./ etw. versorgen Die Ableitungsbasis kann einfach sein oder selbst schon komplex (un#voreingenommen, be#auftragen, ver#beamten). Ob fremde Ableitungsbasen als komplex wahrgenommen werden, hängt nicht nur von der Sprachkompetenz, sondern wesentlich auch von der Reihenbildung ab (vgl. re- in ir#relevant, ir#regulär, ir#reduzibel). Zu einigen Präfixen gibt es homonyme Verbpartikeln und homonyme selbständige Lexeme, etwa Präpositionen oder Adverbien. Trotzdem kann man die Bedeutung einer lexikalisierten Präfixableitung selten als schlichte Kombination einer Präfix-Bedeutung und einer Basisbedeutung erklären. Erst ganze Reihen von Ableitungen offenbaren dann semantische Muster, die auch mit entsprechenden Mustern in anderen europ. Sprachen verglichen werden können (7). (7) dt. unter#teilen, unter#gliedern; engl. to sub#divide; frz. sub#diviser; lat. sub#dividere, ngriech. υπο#διαιρώ (vgl. dt. hypo-) Durchsichtiger sind Gelegenheitsbildungen mit produktiven Präfixen, etwa mit dem verneinenden Präfix un- oder mit dem Präfix ver- (twittern → sich vertwittern 'sich beim Twittern vertippen' oder 'beim Twittern die Zeit vergessen'). Bei der Abgrenzung zwischen Präfix einerseits und Erstglied einer Komposition andererseits gibt es Grenzfälle, die auch als Konfixe (bio- in biologisch; Bio- in Biobauer) und Halbpräfixe bzw. Präfixoide (hoch- in hochradioaktiv; grundin grundanständig) bezeichnet werden. Franziska Münzberg

↔ Suffix → § 31; Affix; lexikalisches Morphem; Morphem; Partikelverb; Präfixverb

⇀ Präfix (Wobi; QL-Dt; CG-Dt) ⇁ prefix (Typol; CG-Engl)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

Präfix, nominales → nominales Präfix

PQ

Präfix, produktives 606

Präfix, produktives → produktives Präfix

Präfix, trennbares → Verbpartikel

Präfix, unfestes → Verbpartikel

Präfix, untrennbares → Verbpräfix

Präfix, verbales → Verbpräfix

Präfixbildung ≡ Präfigierung

Präfixverb

komplexes Verb, das mit einem Präfix gebildet ist. ▲ prefixed verb: complex verb which is formed with a prefix.

PQ

Die älteren dt. Präfixe be-, ent- (Varianten: ant/emp-), er-, ver- und zer- können mit verbalen (1), substantivischen (2) oder adjektivischen (3) Wortbildungsbasen untrennbar verbunden werden; außerdem gibt es wenige Bildungen mit Partikeln als Basen (bejahen, verneinen). Die Produkte dieses Verfahrens der Präfigierung/Präfixderivation heißen Präfixverben. (1) bedenken, entfliegen, erbauen, verglühen, zerreißen (2) bedachen, entgiften, erdolchen, verarzten, zerfleischen (3) befähigen, entheiligen, erbleichen, verarmen, zermürben Der semantische Einfluss der Präfixe innerhalb der komplexen Bildungen ist vielfältig und nicht eindeutig zuordenbar; die Präfixe signalisieren etwa Beginn (z.B. erblühen), Kontakt (z.B. bedachen), Entfernen (z.B. entkommen), Intensivierung (z.B. verhindern) oder erfolgreiche/vollständige Durchführung (z.B. erarbeiten/zerbrechen) (vgl. Kühnhold 1973). Einige Präfixverben stehen in Konkurrenz mit Partikelverben (vgl. inchoatives erblühen und aufblühen). Daneben stehen Bildungen mit den genannten Präfixen, die synchron undurchsichtig sind (z.B. begehren, verletzen). Hierzu lassen sich auch Bildungen mit den

nicht mehr produktiven Präfixen dar-, ge- und obstellen (z.B. darbieten, gedeihen, obsiegen). Neben den älteren Präfixen (zu denen auch das betont und unbetont vorkommende Präfix miss- gezählt wird) existieren jüngere Präfixe, zu denen freie Homonyme (meist Präpositionen) und homonyme, betonte Verbpartikeln bestehen: durch-, hinter-, über-, um-, unter- sowie voll-, wider-, wieder-. Die präpositionale Bedeutung der jüngeren Präfixe fließt teilweise in die Präfixbildung ein (z.B. durchlaufen 'auf der einen Seite hinein- und auf der anderen Seite herauslaufen'). Präfixverben bilden das Partizip II ohne ge- (z.B. bedacht, entflogen, verarmt). Sie können eine andere Argumentstruktur aufweisen als die zugrundeliegenden Basisverben; die Präfixe können Transitivierung (vgl. jmdm. dienen [mit Dativ] und jmdn. bedienen [mit Akkusativ]), Reflexivierung (vgl. laufen und sich verlaufen), Valenzerweiterung (vgl. schlafen [einwertig] und etwas verschlafen [zweiwertig]) oder Valenzreduktion bewirken (vgl. sie laden das Gepäck ins Auto [dreiwertiges laden] und sie beladen das Auto (mit dem Gepäck) [zweiwertiges beladen mit fakultativem dritten Argument]). Dies und insbesondere die Fähigkeit der Präfixe, Verben aus nicht-verbalen Basen zu bilden und damit die Kategorie der Bildung zu bestimmen (z.B. [be-[dach]N]V bzw. [be-[fähig]ADJ]V), spricht dafür, das Präfix als den Kopf des Präfixverbs zu analysieren. Wird eine mit der Präfigierung zusammenfallende Präfixkonversion oder eine der Präfigierung unmittelbar vorausgehende Konversion des Subst. bzw. Adj. zu einem Verb angenommen (z.B. [be-[[dach]N]V]V bzw. [be-[[fähig]ADJ]V]V), wirkt das Präfix jedoch nicht kategoriebestimmend und seine Bestimmung als Kopf des Präfixverbs ist nicht zwingend. Michael Mann ≡ präfigiertes Verb → abgeleitetes Verb; Partikelverb; Präfix; untrennbares Verb; Verb; Verbpräfix ⇀ Präfixverb (Wobi; HistSprw)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kühnhold, I. [1973] Präfixverben. In: Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Bd. 1: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf: 141–362 ◾ Schröder, J. [1992] Lexikon deutscher Präfixverben. Berlin [etc.].

607 Präposition

pränominaler Genitiv ≡ sächsischer Genitiv

Präposition

Sammelbezeichnung für Prä-, Post- und Zirkumpositionen in Absehung von ihren unterschiedlichen syntaktischen Positionen relativ zum – gegebenenfalls kasusregierten – Komplement. ▲ preposition: cover term for pre-, post- and circumpositions irrespective of their different syntactic positions relative to the – case-governed, if applicable – argument. Präpositionen sind i.w.S. nicht-flektierende Wörter, die mit Kopfeigenschaften ein adjazent positioniertes Komplement subkategorisieren und ihm einen Rektionskasus zuweisen, wenn es deklinierbar ist. I.e.S. sind Präpositionen Adpositionen, die ihrem Komplement vorangehen und sich seriell durch ihre Stellung vor dem Komplement von Postpositionen (folgen dem Komplement) und Zirkumpositionen (umschließen das Komplement in Form zweier diskontinuierlich angeordneter Komponenten) unterscheiden, z.B. seit, in, wegen (1)–(3). (1) seit dem Sturm / seit gestern (2) im Haus / in das Haus (3) wegen des Geldes / wegen dem Geld Beispiel (1) zeigt, dass einige lokale und temporale Präpositionen sowohl flektierbare als auch nichtflektierbare Komplemente zulassen. Bei flektierbaren Komplementen können gelegentlich bei ein und derselben Präp. mehrere Rektionskasus auftreten. In (2) liegt mit in eine sog. Wechselpräp. mit lokal- und temporalsemantisch motivierter Kasusalternanz vor: Mit Dativ wird das zu lokalisierende Objekt mit Positions-, mit Akkusativ hingegen mit Wegeigenschaften (Eintritt in Zielregion) verortet. Beispiel (3) ist demgegenüber als unmotivierte Kasusschwankung einzustufen: Dativ und Genitiv sind semantisch nicht distinktiv im Sinne unterschiedlicher Lesarten, auch wenn sie als Ausdruck unterschiedlicher Grade an Formalität oder sogar Sprachkompetenz wahrgenommen werden können. Kasusschwankungen zählen anders als Kasusalternanzen zur Klasse der sprachlichen Zweifelsfälle und können Gegenstand sprachkritischer und sprachpflegerischer Diskussionen werden. Einige Präpositionen können ihrem Komplement nicht nur vorangehen, sondern auch folgen. In

solchen Fällen wird von Ambipositionen gesprochen (4), (5). (4) wegen des Geldes / des Geldes wegen (5) nach meiner Meinung / meiner Meinung nach Mitunter sind die Prä- und die Postposition mutmaßlicher Ambipositionen mit morpho-syntaktischen und semantischen Unterschieden verbunden. So blockiert wegen als Postposition den Dativ sowie nicht-propriale Komplemente ohne Artikelwort und Attribut ((6), (7)), und nach kann als Postposition nicht direktional verwendet werden (8). (6) wegen dem Geld / *dem Geld wegen (7) wegen Renovierung / *Renovierung wegen (8) nach Norden / *Norden nach Dass es sich in solchen Fällen bei den prä- und postponierten Abfolgen nur mehr um bloße Stellungsvarianten derselben Konstruktion handelt, wie die Bezeichnung Ambiposition nahelegt, ist vor diesem Hintergrund fraglich. Präpositionen können sich nicht nur im Hinblick auf ihre Stellung und ihren Rektionskasus, sondern auch im Hinblick auf ihre strukturelle Komplexität voneinander unterscheiden ((9)–(11)). (9) von der Brücke (10) unterhalb des Gipfels (11) aufgrund (von) seiner Erkrankung / auf Grund (von) seiner Erkrankung Während (9) eine syntaktisch und morphologisch einfache Präp. zeigt, liegen in (10) und (11) eine morphologisch und eine syntaktisch transparent komplexe Präp. vor. In der Regel korrespondiert morphologische und syntaktische Komplexität mit einem niedrigeren Grammatizitätsgrad. Syntaxtypologisch sind Präpositionen für Sprachen mit einer allgemeinen Tendenz zu kopfini­ tialer Wortfolge wie z.B. das Engl. charakteristisch. Sie können aber auch in Sprachen wie dem Dt., das wortfolgetypologisch Züge einer Mischsprache hat, der dominante adpositionale Stellungstyp sein. Terminologisch tritt die Bezeichnung Präposition meist in generischer Verwendung an die Stelle der Bezeichnung Adposition. So wird die syntaktische Verbindung aus Adposition und Komplement in aller Regel ungeachtet der Position der Adposition als Präpositionalphrase bzw. Präpositionalgruppe bezeichnet. Auch bei den syntaktischen Funktionen wird gewöhnlich in Absehung von der Abfolge von Adposition und Komplement

PQ

Präposition, direktive 608 von Präpositionalobjekt und Präpositionalattribut gesprochen. Im Hinblick auf die gegenwartssprachlichen Verhältnisse in den idg. Sprachen kann das als terminologische Orientierung am prototypischen adpositionalen Abfolgemuster gedeutet werden, nicht jedoch in Bezug auf nichtidg. Sprachen (z.B. Türk. oder Ung.). ≡ Fallfügeteil; Fallfügteil; Verhältniswort

Jörg Bücker

→ § 9, 18, 25; Adposition; Ambiposition; Partikel; Postposition; Zirkumposition

⇀ Präposition (SemPrag; CG-Dt; HistSprw) ⇁ preposition (Typol; CG-Engl)

🕮 Breindl, E. [1989] Präpositionalobjekte und Präpositional-

objektsätze im Deutschen (LA 220). Tübingen ◾ Di Meola, C.

[1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG

62). Tübingen ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposi-

tion. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L.

[Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Hagège, C. [2010] Adpositions. Oxford ◾ Lehmann, C./ Stolz,

C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6

[Unter:

http://christianlehmann.eu/publ/ASSidUE06.pdf;

letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and

other parts of speech. Frankfurt/Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedi-

schen (LA 311). Tübingen ◾ Schierholz, S.J. [2001] Präpositio-

nalattribute. Syntaktische und semantische Analysen (LA 447). Tübingen.

PQ

Präposition, direktive → direktive Präposition

Präposition, instrumentale → instrumentale Präposition

Präposition, kausale → kausale Präposition

Präposition, komplexe → komplexe Präposition

Präposition, lokale → lokale Präposition

Präposition, modale → modale Präposition

Präposition, primäre → primäre Präposition

Präposition, sekundäre → sekundäre Präposition

Präposition, temporale → temporale Präposition

Präposition, verbregierte → verbregierte Präposition

Präposition, verschmolzene → verschmolzene Präposition

Präpositionaladverb

morphosyntaktisch definierte Teilklasse der Adverbien, die aus den Adverbien da, hier, wo plus Präposition gebildet werden. ▲ prepositional adverb: morphosyntactically defined subclass of adverbs which are composed of the adverbs da, hier, and wo plus a preposition. Der Terminus Präpositionaladverb bezieht sich auf die Form der Ausdrücke, die stets eine einfache Präp. enthalten. Sie werden aus den Adverbien da(r), hier, wo(r) plus den Präpositionen an, aus, bei, für, gegen, über, um, vor, zu u.a. gebildet, wobei das r einzufügen ist, wenn die Präp. mit einem Vokal beginnt: daran, woran, darüber, worüber. Diese Ausdrücke werden auch Pronominaladverbien genannt. Dieser Terminus bezieht sich auf ihre spezielle Proform-Funktion, für eine PP zu stehen. In dieser Hinsicht erfüllen Präpositionaladverbien ferner eine phorisch-deiktische Funktion. (1) Darauf wartet sie schon lange. [Präpositionaladverb in Präpositionalobjekt-Funktion] (1a) Auf diese Sache wartet sie schon lange. (2) Wir haben ein Anrecht darauf. [Präpositionaladverb in Attributfunktion] (2a) Wir haben ein Anrecht auf diese Sache. Präpositionaladverbien kommen außerdem in valenzgesteuerten Korrelatverbindungen vor. Diese bestehen aus einem Korrelat im Matrixsatz und einem Nebensatz bzw. einer satzwertigen Infinitivkonstruktion. Das Präpositionaladverb erfüllt eine Korrelatfunktion und weist auf den Nebensatz hin. (3) Die Fachleute verwiesen darauf, dass in den vergangenen Jahren erfolglos an drei neuen Konzepten gearbeitet worden ist. [Korrelat] Präpositionaladverbien können funktional weiteren Teilklassen der Adverbien angehören wie

609

präpositionale Verbpartikel

kausal, konsekutiv, instrumental usw. Aufgrund ihrer syntaktischen Eigenschaften können sie darüber hinaus anderen Wortarten zugeordnet werden (4a). (4) Sie treibt Sport, damit hält sie sich gesund. [Präpositionaladverb] (4a) Sie treibt Sport, damit sie sich gesund hält. [Subjunktor] Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Präposition; Pronominaladverb; Relativadverb → Gram-Syntax: Präpositionalattribut; Präpositionalobjekt ⇀ Präpositionaladverb (HistSprw)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

präpositionale Satzpartikel

Satzglied, das aus einer Präposition und einem Adverb als Kern besteht. ▲ prepositional adverb phrase: syntactic category consisting of a preposition and an adverb as the head. Der Terminus wird von Gallmann/Sitta (1992: 32f.; 2001: 104) für Satzglieder vorgeschlagen, die aus einer Präp. und aus einer Adverbphrase bestehen. (1) Ich habe die Schneiders für morgen eingeladen. (2) Der Ball kam von ganz weit hinten. (3) Seit gestern wissen wir, dass wir bald Großeltern werden. Die Duden-Grammatik behandelt dieses Phänomen unter der PP (Duden 2005: 849). Die Bezeichnung Partikel entstammt der weiten Auffassung der Wortart Partikel, wonach alle unflektierbaren Wortarten – so auch Adverbien – als Partikeln bezeichnet werden. Anna Molnár

→ Adverb; Partikel; Präposition → Gram-Syntax: Adverbphrase; Präpositionalphrase

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1992] Satzglieder in der wissenschaftlichen Diskussion und in Resultatsgrammatiken. In: ZGL 20: 137–181 ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich.

präpositionale Verbpartikel

Verbpartikel, die homonym zu einer Präposition ist. ▲ prepositional verbal particle: verbal particle which is homonymous with a preposition. Zu den präpositionalen Verbpartikeln (vgl. (1))

existieren jeweils homonyme Präpositionen (z.T. auch Adverbien; die Verbpartikel ein- entspricht der Präp. in; ab- entspricht von). (1) ab-, an-, auf-, aus-, bei-, durch-, ein-, entgegen-, entlang-, gegen-, gegenüber-, hinter-, mit-, nach-, über-, um-, unter-, vor-, wider-, zu-, zwischenNicht zu jeder Präp. liegt eine Verbpartikel vor. Die präpositionalen Verbpartikeln gehören zu den typischen Verbpartikeln, die (im Unterschied zu adjektivischen, substantivischen oder verbalen) in der Fachlit. durchwegs zu Verbpartikeln gezählt werden. Sie bringen meist eine lokale, temporale oder modale Bedeutung in das Partikelverb ein, die in vielen Fällen der Bedeutung der homonymen Präpositionen entspricht (z.B. aufsetzen, nachlaufen) (vgl. Kühnhold 1973). Daneben stehen synchron undurchsichtige Bildungen (z.B. anfangen, aufhören). Gegenüber dem zugrundeliegenden Basisverb ist die Bedeutung des Partikelverbs meist spezifiziert (vgl. durativ fahren und inchoativ anfahren, durativ essen und resultativ aufessen). Die präpositionalen Verbpartikeln können eine Veränderung der Argumentstruktur des Basisverbs bewirken (vgl. lächeln [einwertig] und jmdn. anlächeln [zweiwertig], jmdn. hören [mit Akkusativ] und jmdm. zuhören [mit Dativ]). In geringer Zahl werden mittels präpositionalen Verbpartikeln auch aus substantivischen und adjektivischen Basen Partikelverben gebildet (z.B. auftischen, ausdünnen). Ob die präpositionalen Verbpartikeln Kopfstatus haben, ist ebenso umstritten wie ihre morphologische bzw. syntaktische Kategorie: Bei Bergenholtz/Schaeder (1977: 90, 221f.) stellen sie als „Verbzusätze“ eine eigene Wortart; in Kühnhold (1973) zählen sie zu den Präfixen, nach Eisenberg (2004: 268f.) bilden die Verbpartikeln neben den Präfixen eine eigene, auf Verben beschränkte Affix-Klasse. Michael Mann

→ Partikelverb; Präfixverb; Präposition; Verbpartikel; Verbzusatz

🕮 Bergenholtz, H./ Schaeder, B. [1977] Die Wortarten des Deutschen. Versuch einer syntaktisch orientierten Klassifikation. Stuttgart ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Kühnhold, I. [1973] Präfixverben. In: Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Ten-

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präpositionales Satzadjektiv 610 denzen in der Gegenwartssprache. Bd. 1: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf: 141–362.

präpositionales Satzadjektiv

Adjektiv, das in einer Präpositionalphrase steht, deren Präposition ein Adjektiv oder eine Adjektivgruppe regiert. ▲ prepositional adjective phrase: adjective contained in a prepositional phrase whose preposition governs an adjective or adjective phrase. Die PP, die aus Präp. plus Adjektiv(gruppe) besteht, kommt in der Funktion entweder als adverbiales präpositionales Satzadj. vor (1) oder als prädikatives präpositionales Satzadj. (2) (Gallmann/Sitta 1992: 175; Duden 2005: 843f., 849). (1) Die Kinder hielten durch dick und dünn zusammen. (2) Der Arzt hielt den Patienten für gesund. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Präposition; präpositionale Satzpartikel → Gram-Syntax: Präpositionalphrase; Satzadjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1992] Satzglieder in der wissenschaftlichen Diskussion und in Resultatsgrammatiken. In: ZGL 20: 137–181 ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2015] Deutsche Grammatik. 8., unveränd. Aufl. Zürich.

Präpositionalform

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≡ Applikativ

Präpositionalglied

Präpositionalphrase mit Satzgliedwert. ▲ prepositional constituent: prepositional phrase as a part of a sentence. Eine Präp. ist der grammatische Kern (Kopf) einer PP [Präposition + abhängige(s) Wort(gruppe)], die sowohl Satzglied (1) als auch Gliedteil (2) sein kann. Das Erstere wird im Umfeld der Grammatik von Glinz als Präpositionalglied und das Letztere als Präpositionalattribut bezeichnet. (1) Das Haus steht am See. (2) Das Haus am Waldesrand ist klein. Präpostionalglieder können im Dt. Prädikative, Präpositionalobjekte und Adverbiale sein. Christine Römer

→ Präposition → Gram-Syntax: Präpositionalphrase; Satzglied

🕮 Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich.

Präpositionalkasus

Kasus, den eine Präposition verlangt und der funktional den Flexionskasus äquivalent ist. ▲ prepositional case: case which is required by a preposition and is functionally equivalent to the case inflection. Als Fügeelemente verbinden Präpositionen Inhaltswörter und setzen diese im Satz zueinander ins Verhältnis, wobei sie und nicht das übergeordnete Wort der betreffenden NP einen Kasus zuweisen. Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang der Fachterminus Präpositionalkasus (und damit Bezeichnungen wie Präpositionalakkusativ, -dativ, -genitiv) verwendet. Der Terminus wird jedoch nicht einheitlich gebraucht und bewertet: Neben seiner unreflektierten Verwendung findet sich eine Akzeptanz versehen mit der Warnung vor einer Verwechslung (Welke 2007) oder die Beurteilung als problematisch (­Boettcher 2009). Zudem hat er mehrere Lesarten. Im Sinne des Kompositums wird er als „Präposition + kasusgeprägter Textbaustein“ (Boettcher 2009: 153) gedeutet und erfasst dann sowohl präpositionale Ergänzungen als auch präpositionale Angaben. Unter sprachhist. Aspekt bezieht sich Präpositionalkasus auf präpositional eingeleitete Ergänzungen. In dieser Lesart ist er funktional dem reinen (direkten) Flexionskasus äquivalent, was hist. durch den Wechsel von reinem Kasusanschluss zu präpositional realisiertem Anschluss (1), der in vielen Sprachen Europas zu beobachten ist, leicht nachvollziehbar ist. (1) Er erinnert sich seiner glücklichen Jugend [Genitivergänzung]. (1a) Er erinnert sich an seine glückliche Jugend [Präpositionalkasus]. Im Zuge dieser Entwicklung ist in einigen Sprachen (2), aber auch in vielen mdt. und obdt. Dialekten (3) der Genitiv fast gänzlich durch den Präpositionalkasus ersetzt worden: (2) the marriage of Figaro; le nozze di Figaro [ital.]; le mariage de Figaro [frz.]; cватбата на Фигаро [bulgar.] ['die Hochzeit des Figaro'] (3) vun dem Mann [edingerisch; 'des Mannes'] [www.verbalissimo.com, letzter Zugriff: 19.03.2017] Letztere Lesart wird unterschiedlich weit gefasst. Während z.B. Wellmann (2008: 346) den Präposi-

611 Präsens tionalkasus an das Verb bindet und ihn als einen von einer festen (grammatikalisierten) Präp. geforderten Kasus definiert, bezieht Zimmermann (2015) ihn sowohl auf verbregierte Ergänzungen („Ergänzung im Präpositionalkasus“) (4) als auch auf Realisierungsformen von Attributen ((5), (6)). (4) Er belässt es bei einem Bier. (5) das Bier in der Flasche (6) Vorfreude auf sein Bier Die Gleichrangigkeit von direktem Kasus und Präpositionalkasus (als mittelbarer Kasusbestimmung) spiegelt sich u.a. in der Kasushierarchie von Pittner/Berman (2010: 60): Nominativ > Akkusativ > Dativ > Präpositionalkasus. Bedeutsam ist sie auch bei der Beschreibung von Kasustransposition, bei der es sich nach Petkov (1995: 368) um die „Ersetzung einer Kasusform durch eine andere im Wertebereich einer onomasiologischen Abbildung bei gleichbleibender Besetzung des Definitionsbereiches“ handelt. Für den dt. Präpositionalkasus liegt folgende Transpositionskette vor (7): (7) Präpositionalkasus > Akkusativ > Nominativ > Genitiv (Präpositionalkasus): über den Atlantik fliegen → den Atlantik überfliegen → der Atlantik wird überflogen → das Überfliegen des Atlantiks (das Überfliegen von Seen). Petra Szatmári ≡ analytischer Kasus; indirekter Kasus; mittelbarer Kasus → Kasus; Präposition → Gram-Syntax: präpositionale Adverbialbestimmung; Präpositionalrektion

🕮 Boettcher, W. [2009] Grammatik verstehen. Bd. 2: Einfacher Satz. Tübingen ◾ Petkov, P. [1995] Die Kasustranspositionen im Deutschen. In: Popp, H. [Hg.] Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig zum 65. Geburtstag. München: 367–376 ◾ Pittner, K./ Berman, J. [2010] Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. 4., aktual. Aufl. Tübingen ◾ Welke, K. [2007] Einführung in die Satzanalyse. Die Bestimmung der Satzglieder im Deutschen. Berlin ◾ Wellmann, H. [2008] Deutsche Grammatik. Laut. Wort. Satz. Text. Heidelberg ◾ Zimmermann, C. [2015] Systemstrukturen des Deutschen (WüelsprwAr 11/2). 2. Aufl. Würzburg. [Auch unter: https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/frontdoor/index/index/docId/11915; letzter Zugriff: 19.03.2017].

Präsens

polysemes Tempus der Nicht-Vergangenheit. ▲ present tense: polysemous tense with non-pasttense meaning.

Als weitgehend polysemes Tempus kann das Präsens im Dt. sowohl zum Ausdruck gegenwärtiger, zukünftiger oder vergangener Eventualitäten, als auch für zeitlose Aussagen oder zur Bezeichnung habitueller, wiederholter Akte und Vorgänge verwendet werden: (1) Er ist gerade beim Arzt. [aktuelles Präsens] (2) Morgen fahren wir wieder nach Hause. [futurisches Präsens] (3) 1916 stirbt Kaiser Franz Joseph I. [historisches Präsens] (4) Der Hund ist ein Säugetier. [generelles Präsens] (5) Er geht jeden Sonntag in die Kirche. [habituelles Präsens] Aufgrund dieser Sachlage kann das Präs. als eine Tempuskategorie ohne temporale Bedeutung, als Atemporalis bzw. Un-Tempus aufgefasst werden. Demnach ist das Präs. temporal unspezifiziert und trägt an sich nichts zur temporalen Bedeutung des Satzes bei; diese kommt erst durch den Kontext zu Stande. Gegen diese Auffassung spricht allerdings vor allem, dass das Präs. bei weitem nicht in jedem beliebigen Kontext gleichermaßen eingesetzt werden kann, wie es bei einer temporal unspezifizierten Form erwartbar wäre. (6) *Vor einem Jahr kaufen wir ein neues Auto. Für die temporale Markiertheit des Präs. spricht weiterhin, dass bei der Ersetzung des Prät. durch das hist. Präs. ein signifikanter semantischer Unterschied entsteht: Im Gegensatz zum Prät. beinhaltet das hist. verwendete Präs. einen mehr oder weniger deutlichen Vergegenwärtigungseffekt, der somit zwangsläufig eine inhärente temporale Bedeutungskomponente des Präs. sein muss. Des Weiteren lässt sich beobachten, dass eine kontextlos, isoliert stehende Präsensform (wie z.B. Er schläft oder Er kommt) nur auf die Gegenwart oder die Zukunft, niemals aber auf die Vergangenheit verweisen kann. Die vergangenheitsbezogene Verwendung des Präs. ist demgegenüber stark kontextgebunden: (7) *Gestern wache ich auf. (8) Gestern wache ich auf, und kaum steige ich aus dem Bett, schon klingelt das Telefon. Aufgrund dieser Befunde kann das Präs. insofern nicht atemporal sein, als eine Vergangenheitsbedeutung ihm nicht inhärent ist, sondern – wie in (8) – erst vom Kontext ausgelöst wird. Dies wiede-

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Präsens, aktuelles 612 rum legt eine Definition des Präs. als Tempus der Nicht-Vergangenheit nahe. ≡ Gegenwart

Péter Maitz

↔ Perfekt; Plusquamperfekt; Präteritum → § 16; aktuelles Präsens; Atemporalis; episches Präsens;

Futur; futurisches Präsens; generelles Präsens; historisches Präsens; Nebentempus; szenisches Präsens; Tempus; Tempuswechsel

⇀ Präsens (HistSprw; SemPrag; CG-Dt) ⇁ present tense (Typol)

→ szenisches Präsens

Präsens, zeitloses

→ generelles Präsens

Präsens, zeitunabhängiges → generelles Präsens

Präsenspartizip

🕮 Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Ek, B.-M. [1996]

≡ erstes Partizip

G. [1984] Besitzt die deutsche Sprache ein Präsens? In: Stickel,

Präsensperfekt

Tempus der Nichtvergangenheit. Stockholm ◾ Grewendorf,

G. [Hg.] Pragmatik in der Grammatik (JbIdS 1983). Düsseldorf: 224–242 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik.

Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.]

◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Leiss, E.

[1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus –

Modus – Distanz. Tübingen ◾ Vater, H. [1994] Einführung in die Zeitlinguistik. Hürth-Efferen ◾ Vennemann, T. [1987] Tempora

und Zeitrelation im Standarddeutschen. In: Sprw 12: 234–249 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines

semantischen Systems. Berlin ◾ Wunderlich, D. [1970] Tempus

und Zeitreferenz im Deutschen. München ◾ Zeller, J. [1994] Die

Syntax des Tempus. Zur strukturellen Repräsentation temporaler Ausdrücke. Opladen.

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Präsens, szenisches

Präsens, aktuelles → aktuelles Präsens

Präsens, atemporales → generelles Präsens

Präsens, episches → episches Präsens

Präsens, futurisches → futurisches Präsens

Präsens, generelles → generelles Präsens

Präsens, historisches → historisches Präsens

Präsens, narratives → szenisches Präsens

Perfekt entsprechend seiner Struktur aus dem Präsens von sein oder haben + Partizip II gebildet. ▲ present perfect: perfect according to its structure made up of the present tense of sein or haben + past participle. Der Terminus Präsensperfekt wird in neuerer Zeit dem alten Terminus Perfekt vorgezogen. Der Terminus zeigt bereits terminologisch den Zusammenhang des Perfekttempus an. Er weist außerdem terminologisch auf den Umstand hin, dass die sekundäre Evaluationszeit (die Betrachtzeit) des Präsensperf. in der Gegenwart liegt. Der Terminus Präsensperfekt hat sich im Zusammenhang mit einer so genannten kompositionalen, d.h. gleichsam syntaktischen Analyse des Perf. eingebürgert. Manche Linguisten ziehen allerdings aus der Möglichkeit einer kompositionalen Analyse den Schluss, dass das Perf. kein gesondertes Tempus, sondern eine syntaktische Konstruktion sei, die aus sein oder haben und einem Aspektausdruck Perfekt bzw. dem Infinitiv Perf. gebildet wird. Das Perf. hat sich aus syntaktischen Prädikativkonstruktionen entwickelt, das sein-Perf. aus einer Subjektsprädikativkonstruktion (Kopulakonstruktion), das haben-Perf. aus einer Objektsprädikativkonstruktion bzw. Konstruktion mit freiem Prädikativ. Der kompositionalen Analyse zufolge ist der Ursprungszustand der Prädikativkonstruktion aus sein/haben + Partizip also bewahrt geblieben. Mit dieser Generalisierung wird man jedoch der heutigen Bedeutung des Perf. nicht gerecht, auch nicht der vom Prät. unterschiedenen engeren bzw. typischen Perfektbedeutung mit der für das Präsensperf. der Standardsprache typischen sekundären Evaluationszeit (Betrachtzeit).

613 Präteritum Man kann aber das Perf. durchaus einerseits als eine morphologische analytische Verbform betrachten und es andererseits zugleich kompositional analysieren. Man kann durch diese Doppelanalyse Besonderheiten des heutigen Perf. als Spuren des früheren syntaktischen Zustands erklären. Klaus Welke

→ Imperfekt; Perfekt; Präteritum; Präteritumperfekt; Resul-

tatsperfekt; Resultatsplusquamperfekt; szenisches Perfekt

⇁ present perfect (Typol)

🕮 Bäuerle, R. [1979] Temporale Deixis, temporale Frage. Zum propositionalen Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Tübingen ◾ Klein, W. [2000] An Analysis of the German Perfekt. In: Lg 76: 358–382 ◾ Musan, R. [2002] The german perfect. Its semantic composition and its interactions with temporal adverbials. Dordrecht [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Präsensstamm

spezifische Stammbildung des Verbs, die zur Markierung Präsens-basierter Tempora verwendet wird. ▲ present stem: special type of verbal stem formation used for the marking of present-tense-based verbal forms. Eine spezifische Form der derivativen Stammbildung für den Tempusbereich 'Präsens' kennen z.B. das Idg. und Südkaukasische. Zugrunde liegt eine Aspekt-Opposition [Perfektiv: unmakiert] vs. [Imperfektiv: markiert], wobei sich die imperfektive Dimension weiter als Tempus-Domäne (Präsens-Bereich) grammatikalisieren kann (analog zu Perfektiv > Vergangenheitsbereich). Für das Idg. sind etwa belegt: -∅ (*ei-∅-mi 'ich gehe'), Reduplikation (*dhi-dhe-mi 'ich stelle'), Nasalstämme (*bhi-na/e-d-mi < *bhid-na/e-mi 'ich binde'), sk-Stämme (*gwm-sk-ō 'ich gehe') und yo-Stämme (*mone-y-ō 'ich warne'). In manchen Fällen kann vermutet werden, dass die Präsensstammmarkierung auf einen alten Antipassiv-Marker zurückgeht (z.B. Sumerisch, Georgisch, eventuell Idg.). Präsensstamm-Morpheme können oftmals weitere Subkategorisierungen anzeigen, z.B. iterativ, habituativ, inchoativ. Wolfgang Schulze

→ Aktionsart; Perfektstamm; Präsens; Stamm; Tempus; Verb → Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Szemerényi, O. [1989] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 3., vollst. neu bearb. Aufl. Darmstadt.

Präteritopräsens

Verbalform, die semantisch als Präsensform fungiert, formal aber dem Präteritalparadigma entstammt. ▲ preterite-present: verbal form that functions semantically as a present tense verb form, but that formally belongs to the paradigm of past tenses. Die germ. Präteritopräsentia (in anderen Sprachen auch Perfektopräsentia etc.) gründen in der Umdeutung einer resultativen Lesart vergangenheitsbezogener Verbformen als dauerhafte (präsentische) Bezugnahme auf das Resultat der Verbalhandlung, z.B. (semantisch) 'ich habe gesehen' > 'ich weiß, ich habe erfahren' > 'ich kann' usw. Es handelt sich also um die Ausdehnung der semantischen Ebene, nicht um einen Kategorienwechsel. In einem zweiten Schritt wird im Germ. die Präsenskomponente mit dem Ergebnis von Neubildungen präteritaler Formen mittels des schwachen Prät. verallgemeinert. Die formale Basis stellt in den germ. Sprachen (wie bei anderen starken Verben) der Reflex des idg. Perfekts, weshalb sich die Präteritopräsentia in die Systematik der Ablautreihen starker Verben einbetten lassen. Die Zahl solcher Verben hat in der dt. Sprachgeschichte konstant abgenommen (Urgerm. mindestens siebzehn, Neuhochdt. nur noch sechs (dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wissen). Wolfgang Schulze

→ Perfekt; Präsens; Präteritum; schwaches Verb; starkes Verb

🕮 Birkmann, T. [1987] Präteritopräsentia: Morphologische Entwicklungen einer Sonderklasse in den altgermanischen Sprachen. Tübingen ◾ Pauli, C. [1863] Über die deutschen Verba Präteriopräsentia. Stettin.

Präteritum

synthetische Vergangenheitsform neben den analytischen Vergangenheitsformen Perfekt/Präsensperfekt und Plusquamperfekt/Präteritumperfekt. ▲ past tense: synthetic tense of the past in addition to the analytical forms of the past, present perfect and pluperfect/ past perfect. Das synthetische Prät. erhielt im Ahd. Konkurrenz durch die analytischen Tempora Präsens­ perf. und Präteritumperf. In Dialekten, insbesondere in den obdt. Dialekten, aber auch in Umgangssprachen und im österr. gesprochenen Standard, wurde das Prät. weitgehend durch das Perf. abgelöst. In der Standardsprache erhielt

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Präteritum 614

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das Perf. einen Platz neben dem Prät. Es bildete sich eine gewisse Arbeitsteilung heraus, die von zahlreichen Überschneidungen begleitet ist. Zu bedenken ist außerdem, dass die einzelnen Varietäten sich gegenseitig beeinflussen. Die Bedeutung des Prät. differenzierte sich in der Standardsprache auf Grund der Opposition zum Perf. So entwickelte das Prät. ebenfalls eine sekundäre Evaluationszeit. Während sich beim Perf. die sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) mit der primären Evaluationszeit (der Sprechzeit) überlappt, überlappt sich beim Prät. die sekundäre Evaluationszeit mit der Situationszeit. Es ergeben sich gewisse aspektuale Imperfekt-Effekte: Vergangenheitsrelevanz, Innenperspektive, Geschehen in seinem Verlauf, Unabgeschlossenheit. Das Prät. ist auf Grund seiner sekundären Evaluationszeit das Tempus des fortlaufenden Erzählens. Erzählen verlangt einen größeren Textzusammenhang. Es ist seit Erfindung des Buchdrucks eng an die geschriebene Sprache und damit an die Standardsprache gebunden. Erzählen in der Belletristik, aber auch im Alltag und auch im mündlichen Erzählen (vgl. Thieroff 1992 in Auseinandersetzung mit Hamburger 1968) geht außerdem typischerweise in fiktionales Erzählen über. Dabei steht nicht zufällig gerade das Prät. metaphorisch für Fiktionales. Fiktionalität des Prät. ist keine pragmatische Implikatur geblieben. Aus der Implikatur ist, insbesondere in der Standardsprache, eine (übertragene) Bedeutung geworden. Ein Charakteristikum des metaphorischen Präteritumgebrauchs besteht darin, dass die ursprüngliche Vergangenheitsbedeutung mehr oder minder stark mitschwingt. Der fiktionale Gebrauch ist also keine tote Metapher. Vergangenheitsbedeutung und fiktionale Bedeutung sind keine Homonyme. Die Beschreibung des Kontrasts zwischen Prät. und Präsensperf. ist besonders umstritten. Zunächst ist festzuhalten, dass er nur für die Standardsprache in vollem Maße gilt, mit Besonderheiten des österr. Standards, wo die Unterscheidung zumindest im mündlichen Sprachgebrauch problematisch wird, weil hier ebenfalls tendenziell nur das Perf. gebraucht wird. In der Standardsprache ist aber ansonsten (abgesehen von österr. Besonderheiten) das Prät. im Wechsel mit dem für Vorzeitigkeit zuständigen Präteritumperf. das Tempus des fortlaufenden Erzählens.

Perf. und Prät. können auch in der unmittelbaren Satzfolge einen Kontrast bilden. Dabei gilt: Ein Prät. kann in einem deutlichen Kontrast zum Perf. stehen. Es kann aber auch durch das Perf. neutralisiert werden. Zum Beispiel besteht in Zeitungsberichten ein oft erwähnter Unterschied zwischen dem Perf. und dem Prät. (vgl. Behaghel 1924; Harweg 1975; Latzel 1977): Ein Text beginnt mit einem Satz im Perf. und setzt dann im Prät., in der Regel mit mehreren Präteritumsätzen, fort. Das kann man so interpretieren, dass zunächst ein Sachverhalt konstatiert wird und daraufhin fortlaufend erzählt wird. Verantwortlich dafür sind die jeweils anders gesetzten sekundären Evaluationszeiten und die daraus resultierenden Perfekt- und Imperfekt-Effekte. Der Wechsel ins Prät. ist keineswegs obligatorisch, ist aber für diese Textsorte relativ typisch. Beginnt ein Zeitungstext mit dem Prät. und setzt dann so fort, so wird bereits vom ersten Satz an eine Erzählhaltung signalisiert. Es kann aber auch der entgegengesetzte Effekt eintreten, nämlich dass das Prät. in einem Perfektkontext neutralisiert wird. Das Perf. eröffnet dann eine berichtende Mitteilung und ein folgendes Prät. wird diesem Kontext angepasst und zugunsten des Perf. neutralisiert. Grund des Wechsels kann u.a. die Vermeidung von Monotonie sein ((1), (2)). (1) Die drei neuen kategorialen Partizip-Bedeutungen sind im Zusammenhang mit der Herausbildung des Perfekts und des Passiv entstanden. Sie entstanden auf der Grundlage von Implikaturen. (2) Stiftung Warentest hat in der aktuellen Augustausgabe CD- und DVD-Rohlinge getestet. Dabei erreichten unsere Produkte das Test-Qualitätsurteil „gut“ (Aldi-Annonce, Berliner Zeitung 7.08.2008: 7) Ferner steht das komplexe Prädikat aus Hilfsverb + Infinitum typischerweise im Prät. (3). (3) Die Vorbereitungen für den Besuch des amerikanischen Präsidenten haben begonnen. An vielen Stellen wurden Straßensperren vorbereitet. Darin zeigt sich zum einen die Aufhebbarkeit des Kontrasts. Zum anderen wird deutlich, dass die Klammerstruktur als strukturelles Prinzip die Entwicklung zu analytischen Verbformen im Dt. mitbedingt. Wenn bereits eine analytische Bil-

615 Präteritum dung vorliegt, wird das Perf. oft aus diesem Grunde nicht gewählt (vgl. Sieberg 1986). Eine zusätzliche Perfektbildung würde die Struktur zu sehr komplizieren. Davon abgeleitet können Hilfsverben außerhalb von analytischen Verwendungen, ebenfalls im Prät. stehen, unabhängig davon, ob sie den Hilfsverbstatus behalten (4). (4) Wir waren im Kino/ sind im Kino gewesen. In Tempusdarstellungen wird der Kontrast zwischen Perf. und Prät. oft an Einzelsätzen demonstriert. Einem solchen Verfahren steht jedoch entgegen, dass Einsatztexte typischerweise nicht erzählen und daher im berichtenden Perf. stehen, während das Erzählen typischerweise opulentere Texte verlangt. Andererseits findet man in isolierten Sätzen in der Regel Zustandsverben und habituelle Verben im Prät. (vgl. Hauser-Suida/HoppeBeugel 1972; Latzel 1977). Das resultiert aus der Nähe von inhärenter (lexikalischer) Imperfektivität und der Imperfektivität des Prät. ((5)–(8)). (5) Die Rechnung lag auf dem Balkon. (6) Es gab keine Karten mehr. (7) Der Urmensch ging leicht gebückt. (8) Richard III. hinkte. In Nachrichten, die sich auf Einworttexte beschränken, trifft das eher nur bei Zustandsverben zu, z.B. bei einem Benachrichtigungszettel ((9), (10)). (9) Dieser Schlüssel lag auf dem Tisch. / Dieser Schlüssel hat auf dem Tisch gelegen. (10) Diesen Schlüssel habe ich auf dem Tisch gefunden. / ?Diesen Schlüssel fand ich auf dem Tisch. Dem wiederum steht die Praxis entgegen, in Lexika der Kürze wegen meist überhaupt das Prät. an Stelle des Perf. zu verwenden. Ehrich/Vater (1989) vergleichen zwei mögliche Versionen einer Titelzeile der Satire-Zeitschrift „Titanic“ zum Goethejahr 1982 (11). (11) Goethe ist gestorben. (11a) Goethe starb. Die Autoren fragen, warum das Prät. in (11a) nicht den gleichen satirischen Effekt hätte. Eine Erklärung ist: Das Perf. lässt eine konstatierende Mitteilung erwarten. Den Satz im Prät. würde man als Beginn einer Erzählung über Goethes Sterben lesen können. Der satirische Effekt würde ausbleiben. Denn es geht dann nicht um den Neuigkeitswert der Mitteilung, dass Goethe gestorben

ist, sondern vielleicht um die Erzählung, wie er gestorben ist. Im Zusammenhang mit der Erzähltechnik der sog. erlebten Rede hat sich auch die fiktionale Verwendung differenziert. Es ist zu weiteren Präteritumvarianten in der Schriftsprache gekommen. Adverbiale wie gestern, heute, morgen sind deiktische Temporaladverbiale. Sie werden originär und typischerweise auf den jeweiligen Sprechzeitpunkt bezogen. In einem Alltagsdialog wird man das Adverb in (12) auf diese Weise interpretieren. (12) Gestern war Weihnachten. Man vergleiche aber (13) aus einer angenommenen Erzählung. (13) Gestern war Weihnachten und heute, so schien es ihm, war alles wieder beim Alten. Er würde wieder am Computer sitzen und über den dämlichen Statistiken brüten und morgen schlief er dann schon wieder schlecht. Die Adverbien gestern, heute und morgen in (13) kann man nicht auf die gleiche Weise verstehen wie das Adverb gestern in (12). Denn in (13) kann sich gestern nicht auf die Zeit des Lesers/Schreibers als die primäre Evaluationszeit beziehen. Die Adverbien heute und morgen stehen außerdem überhaupt im Widerspruch zum Prät. als Vergangenheitstempus. Die Möglichkeit der Interpretation wird durch eine Deixisverschiebung der Temporaladverbiale erreicht. Diese werden nicht wie üblich auf die eigentliche (wörtliche) primäre Evaluationszeit (Schreibzeit bzw. Lesezeit) bezogen, sondern auf eine fiktive Sprechzeit (Denkzeit), nämlich die Zeit der Person, deren Gedanken uns der Autor in der erlebten Rede enthüllt. Gegenüber dieser Zeit liegt das Weihnachten, von dem die Rede ist, einen Tag zurück. Fabricius-Hansen (1986) spricht von einer geshifteten Sprechzeit. Das Prät. erhält in Kombination mit dem Vergangenheitsadverbial gestern die Bedeutung 'Vergangenheit' gegenüber diesem fiktiven Standpunkt. Es bedeutet in Kombination mit heute 'Gegenwart' und im Zusammenhang mit morgen 'Zukunft' jeweils in Bezug auf den fiktiven Sprecherstandpunkt. Die Möglichkeit dazu erwächst aus der mit der Situationszeit sich überlappenden sekundären Evaluationszeit. Die ursprüngliche sekundäre Evaluationszeit wird zu einer fiktiven primären Evaluationszeit, die

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Präteritum, episches 616

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nicht die primäre Evaluationszeit des Lesers hic et nunc ist, sondern die primäre Evaluationszeit der handelnden Person. Das Prät. wird auf diese Weise zu einem fiktiven Präs., einem Quasi-Präsens. Wie beim sprecherbezogenen Präs. ist seine Ausgangsbedeutung zunächst Überlappung mit der Evaluationszeit, also Gegenwart in Bezug auf die Evaluationszeit. (14) Heute war Weihnachten. Wie das Präs. generell, so kann auch dieses QuasiPräsens 'Zukunft' in Bezug auf die fiktive primäre (vergangene) Evaluationszeit bedeuten (15). (15) Morgen war Weihnachten. Über diese Präsens-Parallele hinaus kann das Prät. außerdem 'Vergangenheit' gegenüber diesem fiktiven Standpunkt bedeuten (ohne damit ein gleichsam hist. Präs. zu sein). Das erklärt sich aus dem Vergangenheitsbezug des nicht-fiktiven Prät. auf die primäre Evaluationszeit. (16) Gestern war Weihnachten. Mit würde + Infinitiv in der Bedeutung 'Zukunft in der Vergangenheit' haben die Sprecher außerdem ein formales und in semantischer Hinsicht indikativisches Tempus Futur Prät. geschaffen. Dieses Futur steht als 'Zukunft in der Vergangenheit' sogar typischerweise an der Stelle des Prät. Es ist zugleich das wichtigste formale Kennzeichen der erlebten Rede, in der es ja vor allem darum geht, was in einer fiktiven Zukunft geschieht. Es verhält sich zum Prät. wie das Futur (werden + Infinitiv) zum Präs.; vgl. (13) und (17). (17) […] und morgen würde er dann schon wieder schlecht schlafen. Klaus Welke ≡ erste Vergangenheit; Vergangenheit ↔ Futur I; Präsens → § 16; episches Präsens; Futur des Präteritums; historisches Präsens; Imperfekt; Nebentempus; Perfekt; Plusquamper­ fekt; Präsensperfekt; Präteritumschwund; szenisches Perfekt; szenisches Präsens; Tempus; Tempuswechsel ⇀ Präteritum (CG-Dt; HistSprw; SemPrag) ⇁ past tense (Typol)

🕮 Bäuerle, R. [1979] Temporale Deixis, temporale Frage. Zum propositionalen Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Tübingen ◾ Ehrich, V./ Vater, H. [1989] Das Perfekt im Dänischen und Deutschen. In: Abraham, W./ Jansson, T. [Hg.] Tempus – Aspekt – Modus. Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen. Tübingen: 103–132 ◾ Ehrich, V. [1992] Hier und jetzt. Studien zur lokalen und temporalen Deixis. Tübingen ◾ Fabricius-Hansen, C. [1986] Tempus fugit. Über die Interpretation temporaler Strukturen im Deutschen. Düsseldorf ◾ Hamburger, K. [1968] Die Logik der

Dichtung. 2. stark veränd. Aufl. Stuttgart ◾ Harweg, R. [1975] Perfekt und Präteritum im gesprochenen Neuhochdeutsch. Zugleich ein Beitrag zur Theorie des nichtliterarischen Erzählens. In: Orbis XXIV/1: 130–183 ◾ Hauser-Suida, U./ Hoppe-Beugel, G. [1972] Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Untersuchungen an ausgewählten Texten. München [etc.] ◾ Latzel, S. [1977] Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum. Eine Darstellung mit Bezug auf Erfordernisse des Faches „Deutsch als Fremdsprache“. München ◾ Levinson, S. [2000] Presumptive Meanings. The theory of Generalized Conversational Implicatures. Cambridge ◾ Musan, R. [1999] Die Lesarten des Perfekts. In: LiLi 113: 6–51 ◾ Musan, R. [2002] The german perfect. Its semantic composition and its interactions with temporal adverbials. Dordrecht [etc.] ◾ Sieberg, B. [1986] Zur Unterscheidung der Tempuskategorien Perfekt und Imperfekt. In: ZfdPh 48: 85–96 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Präteritum, episches → episches Präteritum

Präteritumperfekt

Plusquamperfekt entsprechend seiner Struktur aus dem Präteritum von sein oder haben + Partizip II. ▲ past perfect: pluperfect according to its structure of the past tense of sein or haben + past participle. Klaus Welke

→ Perfekt; Plusquamperfekt; Präsensperfekt; Präteritum; zweites Partizip

⇁ past perfect (Typol)

🕮 Bäuerle, R. [1979] Temporale Deixis, temporale Frage. Zum propositionalen Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Tübingen ◾ Musan, R. [2002] The german perfect. Its semantic composition and its interactions with temporal adverbials. Dordrecht [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Präteritumschwund

Verlust des Präteritums in süddeutschen Dialekten. ▲ loss of the preterite: loss of the preterite to express the past tense in southern German dialects. Im Süden des dt. Sprachraums ist ausgehend von den obdt. Dialekten das Prät. in der Umgangssprache und auch den nationalen Varianten der Standardsprache Österreichs und der Schweiz weitgehend durch das Perf. verdrängt worden. Das hat zur Folge, dass das Perf. als alleiniges Vergangenheitstempus verwendet wird. Denn die unterschiedlichen sekundären Evaluationszeiten (Betrachtzeiten) des Perf. und Imperfekts

617

primäre Präposition

und die diesen entsprechenden Perfekt-Effekte und Imperfekt-Effekte erwachsen aus dem Kontrast der beiden Tempora in der Standardsprache. Wird daher nur das Perf. als Vergangenheitstempus verwendet, so gibt es auch nicht die semantischen Effekte (Konnotationen) des Perf. oder Imperfekts. Differenzierungen, die der Differenz von Perf. und Prät. entsprechen, sind somit allein pragmatischer Art. Sie entstehen durch den jeweiligen Kontext. Auch im mittleren und nördlichen dt. Sprachgebiet überwiegt das Perf. in der Umgangssprache. Das Prät. ist aber in längeren erzählenden Passagen weiterhin anzutreffen. Hinzu kommt, dass das Prät. bestimmter Verben und das Prät. insgesamt in spezifischen nichterzählenden Kontexten auch in gesprochenen Umgangsprachen des nördlichen und mittleren Sprachgebietes verwendet wird.

→ Perfekt; Präteritum; Präteritumslinie ⇀ Präteritumschwund (Dial)

Klaus Welke

🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [1990] Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Lindgren, K.B. [1957] Über den oberdeutschen Präteritumsschwund (SuoTiT 112/1). Helsinki ◾ Weinrich, H. [1994] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Präteritumslinie

Grenze, die den südlichen Dialektbereich abgrenzt, in dem das Präteritum im Wesentlichen ausgestorben ist. ▲ preterite boundary: boundary of the southern dialect area in which the use of the preterite to express the past tense is basically obsolete.

→ Perfekt; Präteritum; Präteritumschwund

Klaus Welke

🕮 Abraham, W. [2001] Präteritumschwund und Diskursgrammatik. Präteritumschwund in gesamteuropäischen Bezügen. Areale Ausbreitung, heterogene Entstehung, Parsing sowie diskursgrammatische Grundlagen und Zusammenhänge. Amsterdam ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Lindgren, K.B. [1957] Über den oberdeutschen Präteritumsschwund (SuoTiT 112/1). Helsinki ◾ Weinrich, H. [1994] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Präteritumsschwund

→ Präteritumschwund ⇀ Präteritumsschwund (HistSprw)

Präverb

erste Konstituente eines komplexen Verbs. ▲ preverb: first constituent of a complex verb. Der Ausdruck Präverb (Pl. Präverben, auch: Präverbien) ist nur schwach terminologisiert. Er bezeichnet im Dt. in der Regel die erste Konstituente eines komplexen Verbs, also das Element, das links an den Verbstamm herangerückt ist. Dabei handelt es sich typischerweise um ein untrennbares, unbetontes Präfix (1) oder um eine trennbare, betonte Verbpartikel (2). (1) bemalen, verkaufen, zerschneiden; durchláufen, unterschreiben (2) ansehen, dúrchlaufen, heranwachsen, feststellen, teilnehmen Nach einer weiten Auffassung (etwa bei Šimečková 1994: 48ff.) werden auch die Erstglieder von Verbkomposita und verbalen Pseudokomposita zu den Präverben gezählt (z.B. bei spritzgießen, mähdreschen). Nach enger Auffassung werden nur die trennbaren Erstglieder (Verbpartikeln) als Präverben bezeichnet (etwa bei Donalies 2005: 28ff., dort die Analyse von Bildungen des Typs (2) als syntaktische Gefüge aus Verb und Präverb). Michael Mann

→ Partikelverb; Präfixverb; Verbkompositum; Verbpartikel; Verbpräfix

⇀ Präverb (Wobi) ⇁ preverb (Typol)

🕮 Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Hinderling, R. [1982] Konkurrenz und Opposition in der verbalen Wortbildung. In: Eichinger, L.M. [Hg.] Tendenzen verbaler Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache (BayBS 4). Hamburg: 81–106 ◾ Schlotthauer, S./ Zifonun, G. [2008] Zwischen Wortbildung und Syntax: Die ‘Wortigkeit’ von Partikelverben/Präverbfügungen in sprachvergleichender Perspektive. In: Eichinger, L.M./ Meliss, M./ Domínguez Vázquez, M.J. [Hg.] Wortbildung heute. Tendenzen und Kontraste in der deutschen Gegenwartssprache (StDtSp 44). Tübingen: 271–310 ◾ Šimečková, A. [1994] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen I (ActUniCar CXIX). Prag.

primäre Präposition

sprachgeschichtlich alte, morphologisch und syntaktisch einfache Adposition, die räumliche oder temporale Bedeutungsanteile hat. ▲ primary preposition: historically old, morphologically and syntactically simple adposition that has spatial or temporal aspects of meaning.

PQ

Prinzip, morphologisches 618

PQ

Traditionell werden unter primären Präpositionen Kernbereichspräpositionen verstanden, die zur ältesten Schicht der dt. Präp. mit dem höchsten Grammatizitätsgrad zählen. Im Gegenwartsdt. zeichnen sich primäre Präpositionen durch eine morphologisch und syntaktisch einfache Struktur aus, die diachron allerdings opak gewordene Wortbildungselemente enthalten kann (z.B. neben und hinter). Sie sind in aller Regel auf die Position vor ihrem Komplement festgelegt und regieren den Dativ oder den Akkusativ, nicht den Genitiv. Dabei lassen sie im Vergleich zu den sekundären Präpositionen tendenziell eher Verschmelzungen von Artikel und Präp. zu (im, zur). Semantisch können alle primären Präpositionen in freiem adverbialen Gebrauch zum Ausdruck lokaler oder temporaler Relationen verwendet werden, ohne indes darauf beschränkt sein zu müssen ((1)–(3)). (1) vor der Tür (2) vor ihrem Geburtstag (3) vor Freude In verbabhängigem Gebrauch können die syntaktischen Projektionen primärer Präpositionen die Valenzforderungen von Verben nicht nur als semantisch eigenständige und paradigmatisch austauschbare Adverbialkomplemente (4), sondern auch als desemantisierte und paradigmatisch austauschbeschränkte Präpositionalkomplemente sättigen (5). (4) vor der Stadt/ in der Stadt/ auf dem Hügel wohnen (5) sich vor etwas drücken Vor allem in lokalem und temporalem Gebrauch lassen sich einige primäre Präpositionen mit nicht-flektierbaren Komplementen verwenden ((6), (7)). (6) von dort (7) seit gestern Eine besondere Gruppe unter den primären Präpositionen stellen die sog. Wechselpräpositionen dar, bei denen lokal- und temporalsemantisch funktionale Kasusalternanz zu beobachten ist ((8), (9)). (8) vor dem Tor stehen / vor das Tor stellen (9) in der Woche arbeiten / in die Woche starten Mit Dativ wird das zu lokalisierende Objekt mit Positionseigenschaften, mit Akkusativ hingegen

mit Wegeigenschaften (Eintritt in eine Zielregion) verortet. Synchron stehen den primären Präpositionen die sekundären Präpositionen wie z.B. wegen und auf Grund (von) / aufgrund (von) gegenüber, die sprachgeschichtlich jünger sind und einen geringeren Grammatizitätsgrad haben. Diachron können sich sekundäre Präpositionen in Richtung der primären Präpositionen weiter entwickeln. So wird z.B. wegen zunehmend als dativregierende Präp. verwendet und gleicht sich damit dem Muster der primären Präpositionen an. Jörg Bücker

↔ sekundäre Präposition → Adposition; lokale Präposition; temporale Präposition; verbregierte Präposition; verschmolzene Präposition; Wechselpräposition

🕮 Breindl, E. [1989] Präpositionalobjekte und Präpositionalobjektsätze im Deutschen (LA 220). Tübingen ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposition. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/ publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Schierholz, S.J. [2001] Präpositionalattribute. Syntaktische und semantische Analysen (LA 447). Tübingen.

Prinzip, morphologisches → morphologisches Prinzip

privativer Genitiv

Genitivergänzung, mit der etwas Fehlendes bezeichnet wird. ▲ privative genitive: genitive complement denoting something which is lacking. Der privative Genitiv kommt als Ergänzung einer kleinen, aber semanisch fundierten Gruppe von Verben und Adjektiven vor ((1)–(3)). (1) Es bedurfte eines perfekten Tages, um die Hoffnungen auf das Weiterkommen zu sichern. (2) Die zitierten Klassifizierungen ermangelten eines einheitlichen Kriteriums. (3) Sie möchten helfen und sind als betroffene oft der Hilfe bedürftig. Katalin Simon-Horváth

619 Pro-Adjektiv

→ Adjektiv; Genitiv; Verb → Gram-Syntax: Genitivergänzung; Genitivobjekt

🕮 Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

privatives Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der intensionalen attributiven Adjektive, die die Negation des Bezugsworts implizieren oder diese als Option zulassen. ▲ privative adjective: semantically defined subclass of attributive adjectives that imply or optionally allow the negation of the reference word. Privative Adjektive stellen mit den affirmativen Adjektiven eine Subgruppe der intensionalen Adjektive dar, wobei sie die kleinere Gruppe bilden, z.B. angeblich, falsch, mutmaßlich. Während die affirmativen Adjektive das Denotat des Bezugsnomens bestätigen, indem sie ihm Subeigenschaften zuweisen wie etwa eine elegante Person oder ein guter Opernsänger, implizieren privative Adjektive die Negation des Bezugsworts oder lassen diese zumindest als Option gelten. (1) Der mutmaßliche Täter ist ein unbegleiteter 15-jähriger Flüchtling. (SZ, 29.01.2016) Aus (1) folgt nicht, dass ein unbegleiteter 15-jähriger Flüchtling tatsächlich der Täter ist. Aus (1) folgt aber auch nicht, dass er nicht der Täter ist. Jussara Paranhos Zitterbart

→ absolutes Adjektiv; Adjektiv; affirmatives Adjektiv; antony-

mes Adjektiv; dimensionales Adjektiv; extensionales Adjektiv; intensionales Adjektiv; intersektives Adjektiv; polares Adjektiv; qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 Gunkel, L. [2017] Qualitative Modifikation. In: Gunkel, L. et al. Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Nominal. Berlin [etc.]: 83–98 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

privatives Verb

Vertreter einer semantischen Klasse von Verben, mit denen das Entfernen oder Beseitigen von etwas ausgedrückt wird. ▲ privative verb: representative of a semantic class of verbs expressing the removal of something. Bei privativen Verben (vgl. lat. privare 'berauben') handelt es sich oft um Wortbildungen wie desubstantivische Simplizia (insbesondere bei sprachgeschichtlich älteren Verben wie häuten, schälen,

schuppen) oder Präfixbildungen (vor allem bei Verben der jüngeren dt. Sprachgeschichte; z.B. abziehen, ausradieren, desinfizieren, entgiften). Nach Leisi (1975: 49f.) bezeichnen privative Verben die Abwesenheit im „Gegensatz zum Normalen“ (Leisi 1974: 49). Dabei können zwei Subklassen unterschieden werden: (a) Verben, die die Abwesenheit eines Gegenstands oder Lebewesens ausdrücken (ausbleiben, fehlen, mangeln); (b) Verben, die das Ausbleiben eines möglichen Vorgangs oder einer möglichen Handlung zum Ausdruck bringen (bleiben, ruhen, schweigen, warten, streiken). ≡ Privativum ↔ ornatives Verb → Präfixverb; Verb

Thorsten Roelcke

🕮 Langer, S./ Schnorbusch, D. [Hg. 2005] Semantik im Lexikon (TBL 479). Tübingen ◾ Leisi, E. [1975] Der Wortinhalt. Seine Struktur im Deutschen und Englischen. 5. Aufl. Heidelberg.

Privativum

≡ privatives Verb ⇀ Privativum (Wobi)

Pro-Adjektiv

Adjektiv, das eine im Text vorher erwähnte vollständige Form ersetzt. ▲ pro-adjective: adjective which substitutes a previously mentioned, more explicit phrase. Ein Pro-Adjektiv wird als Substitut für einen komplexeren Ausdruck verwendet, der vorher im Text verwendet wurde, z.B. das Adj. damalig in die damalige Zeit für das Jahrhundert von 1800 bis 1900. Das Pro-Adjektiv gehört zu der umfassenden Gruppe der Pro-Wörter und bewirkt Kohäsion im Text, ähnlich anderen Proformen wie Pro-Verb, Pro-Adverb und Pro-Substantiv. Wie alle Pro-Wörter ist das Pro-Adjektiv syntaktisch mit der vollständigeren Form (von 1800 bis 1900) referenzidentisch, weist aber mehr semantische Verallgemeinerung (damalig) auf (Helbig 1999: 76f.). Im Engl. bezeichnet das Pro-Adjektiv ein Wort, das ein Adj. oder eine als Prädikatsadjektiv verwendete Phrase ersetzt, z.B. so in (1). (1) I am hungry. – So am I. Im Dt. wird diese Rolle von es übernommen (Duden 2005: 830); (2).

PQ

Pro-Adverb 620 (2) Die Straße ist überflüssig, und der neue Parkplatz ist es auch. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Pro-Adverb → Gram-Syntax: Kohärenz; Kohäsion; Proform; Pro-Wort ⇁ pro-adjective (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Helbig, G. [1999] Deutsche Grammatik. Grundfragen und Abriß. 4. Aufl. München.

Pro-Adverb

Adverb mit pronominaler Funktion, dessen Referenten erst durch ein anderes Wort, den Kontext oder die Situation bestimmbar ist. ▲ pro-adverb: adverb with pronominal function whose referent therefore can only be determined by means of another word, context or situation.

PQ

Die Pro-Adverbien sind im Unterschied zu den autonomen oder absoluten Adverbien nicht semantisch selbständig, sondern verlangen wie dort, wann und dorthin in (1) und (2) durch Situation oder Kontext gegebene Referenten. Die kursiv hervorgehobenen Wörter beziehen sich auf dasselbe außersprachliche Objekt und sind somit referentenidentisch: (1) Wir fahren morgen nach Thailand, denn wir werden dort Weihnachten feiern. (2) Wann fahrt ihr dorthin? – Wir fahren um halb sieben. Die Pro-Adverbien verteilen sich auf die meisten Arten von Adverbien, wie Pronominaladverbien (auch: Präpositionaladverbien), z.B. daran, dabei, hiermit, woran, wonach, Konjunktionaladverbien (deshalb, daher, trotzdem), Interrogativadverbien (wo, wohin, wann, weshalb u.a.) und mehrere semantische Klassen, z.B. temporale Adverbien (damals, dann, jetzt, wann u.a.), Lokaladverbien (hier, dort, drüben, hierher, wo, wohin etc.). Das Adverb dort in (1) verweist auf ein Wort, das schon geäußert wurde, ist also anaphorisch. In (2) hingegen bezieht sich wann vorwegnehmend auf ein Wort, das erst nachher geäußert wird, und ist daher kataphorisch. Die pronominale Funktion kommt besonders deutlich bei den sog. Pronominaladverbien zum Ausdruck, die häufig durch pronominale Ausdrücke substituierbar sind (3).

(3)

Ich denke oft an die alte Eiche. Ich denke oft an sie. Ich denke oft daran. Kjell-Åke Forsgren

↔ autonomes Adverb → deiktisches Adverb; phorisches Adverb; Pronominaladverb; Pronominalisierung; Relativadverb

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Katapher; Pro-Wort; Referenz

⇁ pro-adverb (Typol)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

produktives Präfix

Präfix, mit dem sich über einen gegebenen Zeitraum ganze Reihen von neuen Lexemen oder Wortformen bilden lassen. ▲ productive prefix: prefix which is readily used, at a given period, in the formation of new lexemes or word forms. Im Gegenwartsdt. sind Präfixe produktiv, die spontan zur Ableitung ganzer Reihen von Gelegenheitsbildungen verwendet werden. Die neuen Ableitungen können dann ggf. lexikalisiert werden und als Neueinträge im Wb. erscheinen. Auch die produktiven Präfixe selbst werden oft in Wbb. aufgenommen. Beispiele für heimische und fremde produktive Präfixe aus dem GWDS (1999) sind: (1) a-, be-, dis-/dys-, ent-, er-, erz-, mis-/miso-, ko-, pan-, post-, prä-, re-, un-, ur-, ver-, zerEinen Beweis dafür, dass es sich bei einer morphologisch und orthographisch korrekten Ableitung um eine Gelegenheits- oder Neubildung handelt, kann es nicht geben. Hinweise sind jedoch neben Befragungsergebnissen geringe Belegzahlen, für Gelegenheitsbildungen im Idealfall 1, und die Neuaufnahme in ein Wb., bei Gelegenheitsbildungen das Fehlen in Wbb. Eine Auswahl aus den langen Reihen seltener Verben im Dudencorpus (Stand Ende 2013): (2) beraunen, bepicken, betwittern, bezüngeln, bezwinkern (3) erbaggern, erflennen, erfighten, erkraulen, errackern (4) verberlinern, vertheatralisieren, vertricksen, verwürfeln Bei manchen Präfixen lassen sich aktuell keine langen Reihen von Neubildungen belegen: Die Ableitung scheint unmöglich geworden zu sein,

621 Produktivität oder sie unterliegt engeren Restriktionen als zuvor, ist also z.B. pragmatisch markiert oder auf speziellere Bedeutungen beschränkt. Solche Präfixe sind unproduktiv (etwa hie- im nur noch regional vorkommenden Adverb hiefür) oder schwach produktiv. Schwach produktive dt. Präfixe sind gegenwärtig laut Duden (2009: 691) hinter- und unter-. Dabei sind lexikalisierte Ableitungen mit hinter- und unter- häufig, sowohl an der Menge der Wörterbucheinträge gemessen als auch gemessen an der Frequenz von Types und Tokens in gängigen Corpora. Die Produktivität eines Präfixes ist also an einen Zeitraum gebunden, nur graduell messbar und nicht dasselbe wie Transparenz, Motiviertheit oder eben Frequenz. Sie steht in einem sprachgeschichtlichen Kontext, den man sich in etwa so vorstellen kann: Aus einem Lexem (Affe, Riese, hoch) entwickelt sich durch die häufige Verwendung als Erstglied von Komposita ein Halbpräfix oder Präfixoid (Affen-, Riesen-, hoch-). Es kommt häufiger gebunden als frei vor, verliert in dieser gebundenen Verwendung an semantischem Gewicht, wird kürzer und erhält eine affixtypische Silbenstruktur. Die charakteristische Struktur für Präfixe ist nach Hall (2000: 536) einzelsprachübergreifend eine einzige Silbe mit einem Wechsel von Konsonant(en) und Vokal; einige nhd. Präfixe haben auch einen von der lexikalischen Basis gut abgrenzbaren rechten Rand aus mehr als einem Konsonanten: ent-, durch-. Als gebundenes Morphem ist das Präfix erst zunehmend, dann abnehmend produktiv, bis es zum unproduktiven, wenn auch zunächst noch gut erkennbaren (aktiven) Präfix wird. Schließlich bleibt es bei der Zerlegung der Ableitung als morphologischer Rest übrig, der immer enger mit der lexikalischen Basis zusammenwächst, bis die Ableitung nicht mehr transparent ist (vgl. Dammel/Duke/Nübling/Szczepaniak 2013: 80). Letzteres bezieht sich allerdings mehr auf Suffixe. Präfixe, die grammatische Merkmale markieren (in flektierenden Sprachen: an den linken Rand einer Wortform angefügte Flexionsmorpheme), sind grundsätzlich produktiv. Flexionspräfixe gibt es Hall (2000: 538) zufolge etwa in den Bantusprachen, im Hebräischen und im klassischen Nahuatl. Franziska Münzberg

→ Lexem; Präfix; Produktivität; Wortform

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ GWDS [1999] = Duden. Großes Wörterbuch der Deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Mannheim [etc.] ◾ Hall, C.J. [2000] Prefixation, suffixation and circumfixation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 535–545 ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Produktivität

Eigenschaft insbesondere von morphologischen Mustern, Mitteln und Einheiten zur Bildung neuer Wörter. ▲ productivity: capacity of morphological patterns, processes and units to be used for the formation of new words. Bei der Flexion neuer Verben im Dt. werden ausschließlich schwache Verbformen verwendet, vgl. chillen, chillte, gechillt; simsen, simste, gesimst. Sie sind produktiv. Die starke Flexion hingegen wird bei neuen Verben nie gebraucht, sie ist heute unproduktiv. Bei der Wortbildung sind z.B. Determinativkomposition oder explizite Derivation produktiv, nicht aber Reduplikativkomposition oder implizite Derivation. Produktivität ist ein gradueller Begriff. Die Determinativkomposition ist im Dt. hoch produktiv, deutlich weniger hingegen die Possessivkomposition. Produktivität hängt außerdem von der Sprachvarietät ab. Die Kontamination ist im Standarddt. nur schwach produktiv, in manchen Vorkommensbereichen des Dt. wie der Belletristik oder der Zeitung wird sie intensiver verwendet. Produktivität ist eine Größe des Sprachgebrauchs. Sie darf nicht mit Vorkommenshäufigkeit verwechselt werden, denn auch unproduktive Muster oder Einheiten können mehr oder weniger häufig auftreten. Hilke Elsen

→ Flexion; schwaches Verb; Wort; Wortbildung → Gram-Syntax: Produktivität ⇀ Produktivität (Gram-Syntax; Wobi; Sprachdid; HistSprw; QL-Dt; CG-Dt)

⇁ productivity (CG-Engl; Typol)

🕮 Baayen, H. [1993] On Frequency, Transparency and Productivity. In: Booij, G./ Marle, J. van [eds.] Yearbook of Morphology 1992. Dordrecht [etc.]: 181–208 ◾ Bauer, L. [2001] Morphological Productivity (CamStLing 95). Cambridge [etc.] ◾ Elsen, H.

PQ

Progressiv 622 [2011] Neologismen. Formen und Funktionen neuer Wörter in verschiedenen Varietäten des Deutschen. 2., überarb. Aufl. Tübingen ◾ Plag, I. [2006] Productivity. In: Aarts, B./ McMahon, A. [eds.] Handbook of English Linguistics. Oxford: 537–556.

Progressiv

Aspektkategorie des Verbs zur Bezeichnung eines relativ zu einem ex- oder impliziten Zeitpunkt andauernden Vorganges. ▲ progressive aspect; continuous aspect: aspect category of the verb which denotes an action in progress relative to an ex- or implicit point in time.

PQ

Im Engl. ist das Progressive (auch: continuous) gegenüber dem Simple am Verb morphologisch durch Bildung mit der entsprechenden Tempusform des Auxiliarverbs be und dem Partizip Präs. des Vollverbs auf -ing gekennzeichnet. Die Verwendung der jeweiligen Aspektform ist je nach Tempus und/oder Bedeutung unterschiedlich grammatikalisiert, z.B. Präs. We are having dinner (right now) ['zeitlich begrenzt'] vs. We (always) have dinner at 7 ['habituell']; Prät. We were having dinner when John arrived ['Eintritt eines weiteren Ereignisses nach Beginn eines bereits im Verlauf befindlichen ersteren Vorgangs']. Das Dt. unterscheidet nicht in dieser Weise zwei Verbalformen, doch findet eine am-Konstruktion zunehmend besonders in der gesprochenen Sprache Anwendung, um den Verlaufscharakter des Vorgangs zu kennzeichnen: Sie ist am Arbeiten (vgl. u.a. Hentschel/Weydt 2013: 39, 123f.). ≡ Verlaufsform

Elisabeth Bertol-Raffin

→ Tempus; Verb → Gram-Syntax: Aspekt ⇀ progressiv (SemPrag; CG-Dt; HistSprw) ⇁ progressive aspect (Typol)

🕮 Flick, J. [2016] Der am-Progressiv und parallele am V-en sein-Konstruktionen: Kompositionalität, Variabilität und Netzwerkbildung. In: BGeschDtSpLit-T 138/2: 163–196 ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Krause, O. [2002] Progressiv im Deutschen. Eine empirische Untersuchung im Kontrast mit Niederländisch und Englisch (LA462). Tübingen ◾ Pottelberge, J. van [2004] Der am-Progressiv. Tübingen ◾ Slater, A. [2012] Grammatik im Wandel: Die Verlaufsform im Deutschen und Englischen. Entwickelt das Deutsche eine „progressive form“? München.

Prohibitiv

modale Kategorie, die das Verbot einer Handlung betrifft.

▲ prohibitive: modal category associated with the

interdiction of an action.

Als Prohibitiv wird gewöhnlich der negative Imperativ bezeichnet, obwohl er in vielen Sprachen nicht analog zu sonstigen negierten Strukturen konstruiert ist. I.e.S. ist zwischen einem eigentlichen Prohibitiv, der das Eintreten einer Handlung verhindern will, und dem Inhibitiv zu unterscheiden, der auf das Beenden einer solcher Handlung abzielt. Diese beiden Ebenen können z.B. durch die Verwendung unterschiedlicher Tempusstämme markiert werden (z.B. Altgeorgisch, im Ansatz Altgriech.: Aoriststamm > Prohibitiv; Präsensstamm > Inhibitiv). Prohibitive können markiert werden (a) als negierte Imperative mit entweder spezifischer oder deklarativer Negation, (b) als spezifische Verbstämme, die wiederum mit einer gesonderten oder deklarativen Negation verbunden werden, (c) durch gesonderte lexikalische Konzepte (im Dt. z.B. aufhören oder ablassen).

↔ Permissiv → Imperativ; Modus → Gram-Syntax: Kategorie ⇁ prohibitive (Typol)

Wolfgang Schulze

🕮 Ammann, H. [1927] Die ältesten Formen des Prohibitivsatzes im Griechischen und Lateinischen. In: IdgF 45: 328–344 ◾ Meier-Brügger, M. [2002] Indogermanische Sprachwissenschaft. 8., überarb. u. erg. Aufl. Berlin [etc.].

Pronomen

deklinierbare Wortart, die ein Substantiv ersetzen oder begleiten kann und die verweisende Funktion hat. ▲ pronoun: declinable word class which can replace a noun or can appear with a noun and which has a reference function. Ein Pronomen (lat. pro nomen 'an Stelle des Nomens'; Pl. Pronomina, Pronomen), traditionell auch Fürwort, Formwort, Stellvertreter oder Wechselwort bezeichnet, kann ein Nomen bzw. eine NP ersetzen oder mit einem Nomen begleitend auftreten. Demzufolge wird ein Pron. attributiv (Artikelwort, Determinativ) oder substantivisch (Substantivwort) gebraucht. Pronomina als Wortart sind erstmals von dem alexandrinischen Philologen Dionysios Thrax als eine Klasse der antonymia von der aristotelischen arthra-Klasse (Artikel) ausgesondert worden. Apollonios Dyskolos weist auf die deiktische

623 Pronomen oder die anaphorische Funktion der antonymiaKlasse hin. In der lat. Grammatik von Aelius Donatus wird „antonymia“ mit „Pronomen“ übersetzt und als Wortart zu den acht partes orationis gezählt. In der deutschsprachigen Grammatikschreibung wird es mit „Fürwort“ wiedergegeben. Die traditionelle semantische Einteilung der Pronomina geht in der dt. Grammatikographie auf Johann Christoph Adelung zurück, der sechs Arten von Pronomen unterscheidet – persönliche, zueignende, anzeigende, fragende, beziehende und uneigentliche Fürwörter. Über die Grammatiken u.a. von Heinrich Bauer und Friedrich Blatz sind diese Klassen in die meisten dt. Grammatiken des 20. Jhs. übernommen worden und um zwei weitere Subklassen erweitert, so dass die folgenden unterschieden werden können: (a) Personalpronomina (z.B. ich, du, er, sie, es); (b) Possessivpronomina (z.B. mein, dein, unser); (c) Demonstrativpronomina (z.B. dieser, jener); (d) Interrogativpronomina (z.B. wer, was); (e) Relativpronomina (z.B. der, die, das); (f) Indefinitpronomina (z.B. man, einer); (g) Reflexivpronomina (z.B. sich); (h) Reziprokpronomina (sich und einander). Reflexivpronomina und Reziprokpronomina werden gelegentlich als Gruppen von Personalpronomina aufgefasst. Die Probleme mit dem Definieren und dem Umfang der dt. Pronomina gehen auf ihren sub­stan­ tivischen (1) und adjektivischen Gebrauch (2) zurück. (1) Wir haben ein neues Auto gekauft. (2) Unser neues Auto steht in der Garage. Jellinek (1914: 115) erklärt dieses Problem aus hist. Sicht damit, dass der Einteilung der NomenKlasse in Subst. und Adj. keine analoge Einteilung des Pron. in substantivische und adjektivische Pronomina folgte. Dementsprechend variiert die Darstellung der Pronomina in neueren dt. Grammatiken. Helbig/Buscha (2005: 19ff.) unterscheiden in ihrer syntaktischen Klassifikation der Wortarten zwischen substantivischen Pronomina, die zur Wortklasse der Substantivwörter gehören, und den adjektivisch gebrauchten Pronomina, die als Artikelwörter angesehen werden. Duden (1984) verzichtet auf die Bezeichnung Pronomen und spricht von dem „Begleiter und Stellvertreter des Substantivs“. In neueren Ausgaben der Duden-

Grammatik ist die Pronominalklasse auf substantivisch gebrauchte Pronomina beschränkt und wird von den Artikelwörtern (jeweils possessiven, demonstrativen u.a. Subklassen) unterschieden (Duden 2005: 255). Auch für Engel (2004: 363) zählen als Pron. nur die substantivisch gebrauchten Formen. Pronomina, die attributiv ein Subst. begleiten, gehen in die Klasse der Determinativa ein. Pronomina bei Eisenberg (2004: 167) umfassen die substantivisch gebrauchten Pronomina und adjektivisch gebrauchte Pronomina, wenn sie auch substantivisch gebraucht werden können. Pronomina, die nur adsubstantivisch verwendet werden, gelten als Artikel. Es ergibt sich die Unterscheidung zwischen Pronomina i.w.S., die adjektivisch und substantivisch gebrauchte Pronomina im Sinne der traditionellen Grammatik umfassen, sowie Pronomina i.e.S., zu denen nur substantivisch gebrauchte Formen gezählt werden. Adsubstantivisch gebrauchte Pronomina gehen in die Klasse der Artikel, Artikelwörter oder Determinative ein. Aus funktionaler Perspektive wird gelegentlich auf das Konzept und den Begriff des Pron. verzichtet, weil sie eine heterogene Klasse darstellen. Die als Pronomina geltenden Formen lassen sich anderen, funktional bestimmten Klassen zuordnen, meist deiktischen (3) und textverweisenden (4) Klassen – z.B. Proterme und Deiktika bei Zifonun et al. (1997). (3) Ich wohne seit fünf Jahren in Berlin. (4) Morgen kommt Peter zu uns. Endlich hat er [= Peter] Zeit gefunden. Eine textlinguistische Herangehensweise ergibt andere Klassifikationsversuche der Pronomina als die semantische, traditionelle Klassifikation. Engel (2004: 364) unterscheidet (a) Partnerpronomina (ich, wir, du, ihr, Sie) und (b) reine Verweispronomina (er, sie, es) neben den semantisch fundierten Subklassen der Pronomina (possessiv, demonstrativ, relativ, reflexiv, indefinit negativ, interrogativ). Die attributiv gebrauchten Pronomina zählt Engel zu den Determinativa. Weinrich (1993: 94ff.) spricht von (a) Rollen-Pronomina, die Gesprächsrollen ausdrücken, z.B. ich, du, wir; (b) Referenz-Pronomina, die sich auf Referenten beziehen, z.B. er, sie, es. Die adjektivisch gebrauchten Formen gehen in die Klasse der Artikel ein. Aus textlinguistischer Perspektive stellen Pro-

PQ

Pronomen, abstraktes 624 nomina als Subklasse von Proformen bzw. ProWörtern sprachliche Mittel dar, die zur (a) Textkonstitution und (b) Sprach- bzw. Textökonomie beitragen. Mit Pron. kann auf das bereits im Text Erwähnte anaphorisch (5) oder das im Text Vorausgehende kataphorisch (6) verwiesen werden. (5) Ich habe Herrn Meier kennen gelernt. Er [= Herr Meier] ist der neue Chef unserer Abteilung. (6) Nach zwei Stunden kam sie zurück. Monika war heute nicht gut gelaunt. Pronomina als Verweisformen substituieren nicht nur Substantive und NPn, sondern auch Sätze und längere Textabschnitte (7). (7) Peter kam zu spät und entschuldigte sich nicht dafür. Das [= Dass Peter zu spät kam und sich dafür nicht entschuldigte] hat mir nicht gefallen.

PQ

Janusz Taborek ≡ Anzeigewort; Fürwort; Stellvertreter; Stellvertreter des Substantivs → § 9, 15; Anredepronomen; Demonstrativpronomen; Determinativpronomen; Interrogativpronomen; Negationspronomen; Partnerpronomen; Personalpronomen; Possessivpronomen; Pronominalisierung; reines Verweispronomen; Relativpronomen; Reziprokpronomen; selbständiges Pronomen; Wortart → Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Katapher; Pro-Wort ⇀ Pronomen (HistSprw; CG-Dt; Textling; Sprachphil; SemPrag) ⇁ pronoun (CG-Engl; Typol)

🕮 Braunmüller, K. [1977] Referenz und Pronominalisierung. Zu den Deiktika und Proformen des Deutschen. Tübingen ◾ Duden [1984] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Harweg, R. [1968] Pronomina und Textkonstitution. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Jellinek, M.H. [1913–14] Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. 2 Bde. Heidelberg ◾ Taborek, J. [2002] Einige Probleme bei der Auffassung der Wortklasse Pronomina in den deutschen Grammatiken des letzten Jahrzehnts. In: Rapp, R. [Hg.] Sprachwissenschaft auf dem Weg in das dritte Jahrtausend. Frankfurt/Main: 339‑345 ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Pronomen, abstraktes → abstraktes Pronomen

Pronomen, adjektivisches

→ Determinativ; Determinativum

Pronomen, anaphorisches → anaphorisches Pronomen

Pronomen, besitzanzeigendes → Possessivpronomen

Pronomen, deiktisches → deiktisches Pronomen

Pronomen, demonstratives → Demonstrativpronomen

Pronomen, hinweisendes → Demonstrativpronomen

Pronomen, indefinites → Indefinitpronomen

Pronomen, interrogatives → Interrogativpronomen

Pronomen, kataphorisches → kataphorisches Pronomen

Pronomen, klitisches → klitisches Pronomen

Pronomen, negatives → Negationspronomen

Pronomen, persönliches → Personalpronomen

Pronomen, phorisches → phorisches Pronomen

Pronomen, possessives → Possessivpronomen

Pronomen, reflexives → Reflexivpronomen

Pronomen, relatives → Relativpronomen

625 Pronominaladverb

Pronomen, resumptives → resumptives Pronomen

Pronomen, reziprokes → Reziprokpronomen

Pronomen, rückbezügliches → Reflexivpronomen

Pronomen, selbständiges → selbständiges Pronomen

Pronomen, substantivisches → substantivisches Pronomen

Pronomen, unbestimmtes → Indefinitpronomen

Pronomen, wechselbezügliches → Reziprokpronomen

Pronominaladjektiv

Quantifikativum, das teils als flektierter Determinant, der adnominale Flexion bei darauf folgendem attributivem Adjektiv auslöst, teils lediglich als das erste von mehreren pronominal flektierten attributiven Adjektiven in der Nominalphrase aufgefasst wird. ▲ pronominal adjective: adjective which functions partly as an inflected determiner, triggering adnominal inflection in the following attributive adjective, and partly just as the first of a string of pronominally inflected attributive adjectives within the noun phrase. Der Terminus Pronominaladjektiv wird unterschiedlich verwendet: (a) als Bezeichnung für adjektivisch bzw. als Determinant gebrauchte Quantifikativa wie all-, beid-, etlich-, folgend-, manch-, sämtlich-, solch-, wenig-, die die Flexion nachfolgender attributiver Adjektive teils adnominal (1), teils pronominal (2) auslösen (Sahel 2005: 355f.). (1) alle westlichen Demokratien (2) alle westliche Demokratien (b) als Adj. wie z.B. damalig, das anaphorisch auf ein komplexeres Attribut verweist (3). (3) die damalige Politik ← die Politik der zwanziger Jahre (c) selten als Bezeichnung für stark bzw. pronominal flektiertes Adj. (z.B. braves Kind).

Im Engl. kann das Pronominaladjektiv (a) attributiv einem Subst. vorangestellt sein (4); (b) ein Subst. substituieren (5). (4) All present rise. (5) All rise. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Adjektivflexion; Quantifikativum → Gram-Syntax: attributives Adjektiv

🕮 DDUW [2003] = Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 5., überarb. Aufl. Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Marillier, J.-F. [2003] Die Deklination der Determinative und Adjektive. Stellungsprinzip vs. Klassenprinzip. In: Baudot, D./ Behr, I. [Hg.] Funktion und Bedeutung. Modelle einer syntaktischen Semantik des Deutschen (Eurog 20). Tübingen: 75–94 ◾ Sahel, S. [2005] Die Variation der Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven und einige ihrer Determinanten. Eine empirische Untersuchung. In: DS 33: 355–381 ◾ Sahel, S. [2009] Variation in German adjective inflection. A corpus study. In: Dufter, A./ Fleischer, J./ Seiler, G. [eds.] Describing and Modeling Variation in Grammar. Den Haag [etc.]: 389–406 ◾ Wiese, B. [2009] Variation in der Flexionsmorphologie. Starke und schwache Adjektivflexion nach Pronominaladjektiven. In: Konopka, M./ Strecker, B. [Hg.] Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin [etc.]: 166–194.

Pronominaladverb

zusammengesetztes Adverb mit präpositionalem Element. ▲ pronominal adverb: compound pro-adverb of which one element is prepositional.

Das Pronominaladverb wird aus da-, hier-, woplus einer Präp. gebildet: darauf, dabei, hierin, wodurch etc. Bei Präpositionen, die mit Vokal beginnen, werden statt da- bzw. wo- die Formen dar- bzw. wor- benutzt. Der Terminus entstammt der traditionellen Grammatik (vgl. Duden 1984: 356ff.; Eisenberg 1999: 194f.; Helbig/Buscha 1988: 264ff.). Das Pronominaladverb kommt u.a. als Korrelat vor satzwertigen Ergänzungen und Attributsätzen vor ((1), (2)) und wird im Pronominaladverbtest als Anapher für Präpositivergänzungen verwendet ((3), (3a)). (1) Ich ärgere mich darüber, dass ich dir das nicht gesagt habe. (2) Das Vertrauen darauf, dass er alles richtig machen wird [...]. (3) Er erinnert sich an das große Abenteuer. (3a) Er erinnert sich daran. In anderen Grammatiken wird stattdessen der Terminus Präpositionaladverb verwendet (vgl.

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Pronominaladverb, relativisches 626 Duden 2005: 585ff.; Engel 1996: 704; Weinrich 1993: 568; Zifonun et al. 1997: 54f.). Kjell-Åke Forsgren → Adverb; Präpositionaladverb; Pro-Adverb; Relativadverb → Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Präpositivergänzung; Substitutionstest ⇀ Pronominaladverb (HistSprw)

🕮 Duden [1984] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1988] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 11. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Pronominaladverb, relativisches → Relativadverb

pronominale Anredeform

pronominaler Ausdruck einer Anredeform. ▲ pronoun-based term of address: pronominal expression of a term of address.

PQ

Es handelt sich bei der pronominalen Anredeform um ein Personalpron. als unmittelbaren Ausdruck der Bezugnahme auf den Adressaten eines Sprechakts. Dabei kann der Sprecher selbst inkludiert sein (z.B. wir beide, russ. my s toboj 'wir [das heißt] mit dir') oder exkludiert sein (z.B. du, ihr). Zugleich kann die 2. Pers. nach Honorativ-Aspekten subkategorisiert werden (vgl. T[ú]/V[os]-Opposition, etwa dt. du vs. Sie), nach Sexus, etwa arab. 'anta/'anti ['duMaskulinum' vs. ­'duFemininum'] oder nach Graden der Empathie. Indirekt, d.h. ohne Integration des Adressaten in die Aktanz der Äußerung, fungiert die pronominale Anredeform gewöhnlich als Vokativ (vgl. Du! Gehen wir in die Stadt?). Pronominale Anredeformen können besonders im Honorativ-Bereich als aus Nomina abgeleitet erscheinen, vgl. span. usted ← vuestra merced 'Euer Gnaden', arab. ħadratak / ħadratik 'Deine Anwesenheit' oder brasilianisches port. o senhor / a senhora 'der Herr / die Dame'. Wolfgang Schulze

→ Anredeform; Anredemodus; Honorativ; Pronomen

🕮 Braun, F. [1988] Terms of Address. Problems of Patterns and Usage in Various Languages and Cultures. Berlin [etc.].

pronominale Deklination

Flexionsmuster, dem vorrangig Pronomina, insbesondere in baltischen, slawischen und germanischen Sprachen auch Adjektive folgen, typischerweise mit stark ausdifferenziertem Formenbestand. ▲ pronominal declension: inflectional pattern that applies primarily to pronouns and, especially in Baltic, Slavic and Germanic languages, also to adjectives, which typically shows a highly elaborate inventory of inflected forms. Bernd Wiese ≡ pronominale Flexion → Adjektivflexion; Deklination; Determinativ; nominale Deklination; Pronomen; starke Deklination

🕮 Beekes, R.P. [1988] The origin of the Indo-European pronom­ inal inflection. In: Jazayery, M.A./ Winter, W. [eds.] Languages and Cultures. Studies in Honor of Edgar C. Polomé. Berlin [etc.]: 73–87 ◾ Bierwisch, M. [1967] Syntactic features in morphology. General problems of so-called pronominal inflection in German. In: To Honor Roman Jakobson. Essays on the occasion of his seventieth birthday Vol. 1 (JanLing-Maior-H 31). The Hague [etc.]: 239–270 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Müller, G. [2002] Zwei Theorien der pronominalen Flexion im Deutschen. DS 30: 328–365 ◾ Vaillant, A. [1958] Grammaire comparée des langues slaves. Bd. II: Morphologie. 2. Teil: Flexion pronominale. Lyon [etc.].

pronominale Flexion

≡ pronominale Deklination

pronominales Paradigma

Paradigma, das die Deklinationsformen der einzelnen Subklassen der Pronomina umfasst. ▲ pronominal paradigm: paradigm to which the declination forms of the individual subclasses of the pronouns belong. Die Pronomina flektieren nach Numerus, Genus und Kasus. Die semantischen Subklassen der Pronomina weisen unterschiedliche Flexionsparadigmen auf. Zu den Subklassen gehören das Sprecher- und Hörer-Pron. (ich, du), das anaphorische Personalpron. (er, sie), das generalisierende Personalpron. (man), das Reflexivpron. (sich), das Possessivpron. (meiner), das Demonstrativpron. (dieser, jener), das w-Pron. (wer, wen), das Indefinitpron. (irgendjemand), das Quantifikativpron. (mehrer-, einig-, etlich-). Eisenberg (2004: 163ff.) beschränkt den Skopus des Terminus pronominales Paradigma auf Pronomina, die im Sg. drei Genusformen haben und

627 Pronominalisierung nicht oder nicht nur adnominal gebraucht werden (z.B. dieser, diese, dieses; meiner, meine, meines). Meike Meliss

→ Determinativ; Determinativum; Pronomen; pronominale Deklination; Pronominalisierung

⇁ pronominal paradigm (Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Pronominalisierung

Ersetzen eines sprachlichen Ausdrucks durch ein Pronomen. ▲ pronominalization: replacement of a linguistic expression with a pronoun. Im Prozess der Pronominalisierung wird das zu ersetzende Element (Substi­tuen­dum), z.B. eine NP (Subst., Substantivgruppe), ein Satz oder ein Textabschnitt, mit einem Substituens ersetzt. (1) Ein Mann war da. Er will sie sprechen. (2) Peter kommt. Das freut mich. Als Substituentia können Pronomina oder – in weiterer Auffassung der Pronominali­ sie­ rung – andere Proformen, z.B. Pro-Adverbien (3), verwendet werden. Wird die Pronominalisierung nur auf Pronomina bezogen, spricht man im letzteren Fall von der Pro-Adverbialisierung (Helbig/ Buscha 2005: 88). (3) Ich bleibe in München. Dort habe ich viele Bekannte. Hinsichtlich der Verweisrichtung weist Pronominalisierung rückweisende/ana­pho­rische (1) oder seltener, vorwiegend aus stilistischen Gründen, vorausweisen­de/ka­ta­pho­rische Funktion (4) auf. (4) Als er abdankte, war Ludwig I. ein verbitterter Mann. Das Antezendens des Pron. kann mithilfe der (a) grammatischen Merkmale, (b) der Semantik, (c) der Pragmatik identifiziert werden. (a) Das Pron. korrespondiert gewöhnlich mit seinem nominalen Bezugselement (Ante­ze­dens) in Hinsicht auf die grammatischen Kategorien Person, Numerus und Genus. (5) Mein Freund studiert Jura. Er will Jurist werden. Die Identifikation des Bezugselements lässt sich aber nicht auf die formal-grammatische Übereinstimmung zwi­schen dem Pron. und dem Bezugselement reduzieren.

(6) Der Fremde trug ein Gewand, wie sie bei Zirkusleuten üblich sind. (7) Karl hat keine Freundin, wohl aber Egon. Und sie ist auch noch nett. Das Pron. als Substituens in (6) weist nicht die grammatischen Merkmale des Elements auf, auf das syntagmatisch verwiesen wird, sondern die des paradigmatisch zu er­ setzenden Bezugselements die Gewänder (6a) (Harweg 1968: 20f.). (6a) Der Fremde trug ein Gewand, wie sie [= die Gewänder] bei Zirkusleuten üblich sind. Das fehlende Bezugselement (7) lässt sich mit der Vervollständigung des vorangehenden Satzes um getilgte Elemente ermitteln. (7a) Karl hat keine Freundin, wohl aber Egon [hat eine Freundin]. Und sie ist auch noch nett. Dass gelegentlich die formale Übereinstimmung nicht vorhanden ist, kann auf die Differenz zwischen dem grammatischen und dem natürlichen Genus zurückgeführt werden, wie das der Fall bei das Mädchen, das Weib, das Kind ist (9). (8) Karl hat das Mädchen gesehen, wie sie das Haus verließ. (b) Aus semantischer Sicht besteht zwischen dem Substituens und Substituendum die Relation der Referenzidentität (Koreferenz). Es gibt Fälle, wo das Bezugselement nicht vorhanden ist (9). (9) England versenkte einen Zerstörer und Argentinien auch, und sie gingen beide mit Mann und Maus unter. (c) Die pragmatische Interpretation des Pron. weist auf seine Eigenbedeutung hin, auch wenn der semantische Gehalt des Pron. geringer als der des Nomens ist (Eisenberg 2004: 180). Pronominalisierung hat textkonstitutiven Charakter und trägt sowohl zur Textkohäsion als auch zur Textökonomie bei. In der Syntax wird die paradigmatische Pronominalisierung als Probe verwendet, um eine Konstituente zu ermitteln (Pronominalisierungstest). Janusz Taborek

→ anaphorisches Pronomen; kataphorisches Pronomen; ProAdverb; Pronomen; Verweisform

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Katapher ⇀ Pronominalisierung (Textling; CG-Dt)

🕮 Braunmüller, K. [1977] Referenz und Pronominalisierung. Zu den Deiktika und Proformen des Deutschen. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Harweg, R. [1968] Pronomina und Textkonstitution. München ◾ Helbig, G./

PQ

proportionale Konjunktion 628 Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

proportionale Konjunktion ≡ proportionaler Subjunktor

proportionale Subjunktion ≡ proportionaler Subjunktor

proportionaler Subjunktor

Subjunktor, der den Grad oder die Ausprägung eines Ausdrucks im Nebensatz in Relation zum Grad oder der Ausprägung eines Ausdrucks im Matrixsatz setzt. ▲ proportional conjunction; proportional subjunctor: subjunctor that relates the degree or extent of an expression in the subordinate clause to the degree or extent of an expression in the matrix clause.

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Der prototypische proportionale Subjunktor ist je, in der Umgangssprache auch umso. Je erfordert im Matrixsatz obligatorisch ein Korrelat (umso, desto). Im Skopus des Subjunktors steht ein komparatives Adverbial ((1), (3)), Attribut oder Prädikativ (2), das zu einem komparativen Adj. oder Adverb im übergeordneten Satz in Beziehung gesetzt wird. (1) Je länger er wartete, desto unruhiger wurde er. (2) Je fleißiger du bist, desto schneller sind wir fertig. (3) Je schneller du arbeitest, desto mehr Freizeit hast du. Typischerweise steht der je-Satz linksversetzt. Proportionalsätze im Nachfeld wirken dagegen markiert (4). (4) Du hast umso mehr Freizeit, je schneller du arbeitest. Je fungiert nur bei idiomatischen, elliptischen Ausdrücken als Korrelat. (5) Je oller, je doller. Das Prädikat kann sowohl im Matrix- als auch im Proportionalsatz elidiert werden. (6) Je schneller du fertig bist, desto besser. (7) Je schneller, desto besser. (8) Je schneller, desto besser ist es. Melitta Gillmann ≡ proportionale Konjunktion; proportionale Subjunktion → Subjunktor → Gram-Syntax: Matrixsatz; Nebensatz; Proportionalsatz 🕮 Reis, M. [2009] Zur Struktur von Je-desto-Gefügen und Ver-

wandtem im Deutschen. In: Ehrich, V./ Fortmann, C./ Reich, I./ Reis, M. [Hg.] Koordination und Subordination im Deutschen (LB Sonderheft 16). Hamburg: 223–244 ◾ Speyer, A. [2011] Je stärker der Fokus, desto geringer die Einbettung? Zum Status des je-Satzes in je-desto-Gefügen. In: LB 225: 43–61.

Proprium

≡ Eigenname

Prosodie

Sammelbegriff für phonologische Eigenschaften von Segmentgruppen. ▲ prosody: term comprising all phonological phenomena related to more then one segment. Unter Prosodie werden suprasegmentale Phänomene subsumiert, die sich entweder im Grundfrequenz- bzw. Intensitätsverlauf äußern (Ton, Intonation oder dynamischem Akzent), die zeitliche Äußerungsstruktur betreffen (Sprachrhythmus, Quantität, Pausen) oder die interne Organisation der prosodischen Einheiten wie Silbe oder Wort garantieren. Prosodie dient der Strukturierung der Phonemkette in größere phonologische Einheiten (Silbe, Fuß, Wort, phonologische Phrase und phonologische Äußerung) und hat dabei einen unterschiedlichen Informationswert. So werden im Dt. mit Hilfe der Intonation Satzmodi markiert: ein fallender Ton für einen Deklarativsatz, ein steigender Ton für einen Interrogativsatz.

→ § 30; Akzent; suprasegmental ⇀ Prosodie (Sprachdid; Textling; Phon-Dt) ⇁ prosody (Phon-Engl)

Renata Szczepaniak

🕮 Ladd, D.R. [2008] Intonational Phonology. 2nd ed. Cambridge.

prototypisches Adjektiv

qualifizierendes oder klassifizierendes Adjektiv, das semantisch der Prototyp dieser Wortart ist. ▲ prototypical adjective: qualifying or classifying adjective considered to be the semantic prototype of this part of speech. In einer Abfolge von attributiven Adjektiven in der NP steht das prototypische Adj., zu dem auch das deverbale und das Partizipialadj. gehören, im mittleren Adjektivbereich, nach den am weitesten links stehenden Zahl- und Quantitätsadjektiven und vor den Substantivderivaten. Somit ergibt sich im attributiven Bereich der NP die

629 Pseudoadjektiv Abfolge 'artikelverwandtes Adj. – prototypisches Adj. – substantivverwandtes Adj.' (1). (1) ein großer grüner hölzerner Tisch. Morphosyntaktisch sind die Qualitäts- und Farbadjektive auch prädikativ verwendbar und generell komparierbar (2) (Eisenberg 2006: 417; Eroms 2000: 268, 270). (2) Dieser Rasen ist grüner und schöner als der andere. Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; deverbales Adjektiv; Farbadjektiv; Partizipialadjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv

🕮 Eichinger, L.M. [2007] Adjektiv (und Adkopula). In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 143–187 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin.

Pro-Verb

Verb mit minimalem semantischem Inhalt, das deshalb als Pro-Wort für Verben, Verbalphrasen oder Sätze fungieren kann. ▲ pro-verb: verb with minimal semantic content that serves as a pro-word for verbs, verb phrases or sentences.

Pro-Wörter (oV: Prowörter) teilen sich in Pronomina, die eine eigenständige Wortart darstellen, und in eine weitere Gruppe von bedeutungsarmen Wörtern, die sich ebenfalls als Anaphern eignen, aber jeweils zu einer Wortart gehören, die grundsätzlich aus semantisch autonomen Wörtern besteht. Zur letzteren Gruppe gehört neben Pro-Adverbien, Pro-Adjektiven und ProSubstantiven auch das Pro-Verb (vgl. Helbig/ Buscha 2001: 314ff.). Als Pro-Verben fungieren im Dt. zumeist die Verben tun, machen, geschehen, passieren ((1), (2)). (1) Mogeln? Das würde er nie tun/machen. (2) Und dann klingelte also das Telefon. – Wann genau ist es geschehen? Pro-Verben wie tun und machen passen zu Tätigkeitsverben, während geschehen ein Vorgangsverb ersetzt. Letzteres kann für den ganzen Vorgang stehen (2), wobei auch andere Verben (sich ereignen, los sein, vor sich gehen, sich abspielen) als Pro-Verben in Frage kommen (Weinrich 2005). Das Pro-Verb kann auch durch den Sub-

jektreferenten im Dativ oder mit + Dativ erweitert werden (3), (vgl. Helbig/Buscha 2001: 60). (3) Der Junge schlief ein. – Was geschah ihm? / Was geschah mit ihm? Auch Modalverben können zu Pro-Verben werden, wenn das weggelassene Vollverb ein ProVerb ist (vgl. Weinrich 2005) (4). (4) Was wollen Sie auf dem Standesamt (tun/ machen)? Anders als andere Pro-Wörter steht das Pro-Verb nie allein für die substituierte Phrase: Es kann nur zusammen mit einem Pron. wie was, das, dies, es seine anaphorische oder kataphorische Funktion erfüllen. Pál Uzonyi

→ Pro-Adjektiv; Pro-Adverb; Verb → Gram-Syntax: Anapher (1); Pro-Wort; Substitutionstest; Verbalphrase

⇁ pro-verb (Typol)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [2005] Textgrammatik der deutschen Sprache. 3., rev. Aufl. Hildesheim [etc.].

Pseudoadjektiv

aus einem adnominalen Substantiv im Genitiv abgeleitetes Adjektiv. ▲ pseudo-adjective: adjective derived from an adnominal possessive noun.

Im Ausdruck American attack on Colombia kann das Adj. American durch America’s substituiert werden, da sich Adj. und Genitiv genau gleich in ihrer Agens- bzw. Subjektsbeziehung zum Verbalnomen attack verhalten (Abraham 1988: 650). In der dt. Entsprechung der amerikanische (= Amerikas) Angriff auf Kolumbien liegt der gleiche Sachverhalt vor. Ähnliche Beispiele wie englisch (← Englands), belgisch (← Belgiens), die sich von einem Subst. im Genitiv ableiten lassen, werden auch als Herkunftsadj. bezeichnet (Trost 2006: 133). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Genitiv; Herkunftsadjektiv; Substantiv

🕮 Abraham, W. [1988] Terminologie zur neueren Linguistik. 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen ◾ Nowakowska, M. [2006] Are Ethnical Adjectives Pseudo-Adjectives? In: Neoph 18: 59–69 ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

PQ

Pseudoaffix 630

Pseudoaffix

affixähnliche Lautgestalt in einem Wortstamm. ▲ pseudo-affix: phonetic sequence resembling an affix.

PQ

Wenn man Deutsch als Fremdsprache lernt, arbeitet man bewusst oder unbewusst mit Regeln wie „Die meisten Feminina haben im Plural das Suffix -n und dann auch keinen Umlaut, vor allem diejenigen, die auf Schwa enden/ausgehen“. Dies gilt u.a. für Blume, Rose, Haube, Kappe, Trage, Leuchte, Rutsche, Liege, Garage. Wie dieses „Enden“ oder „Ausgehen“ auf Schwa bzw. -e jeweils zustande gekommen ist, spielt für die Flexionsregel keine Rolle. Wollte man diese Regel auf Ableitungen aus Verbstamm und Suffix beschränken, so könnte man nur noch einen Teil der Feminina auf -e damit erfassen, etwa Trage, Rutsche, Leuchte, Liege. Die Stämme blum, ros, haub oder kap gehören nicht zum Lexikoninventar des Dt. (vgl. jedoch die Diminutive Blümchen, Röslein, Häubchen, Käpplein jeweils ohne -e!). Das Schwa in dt. Blume, Rose, Haube oder Kappe scheint also kein Affix, ja überhaupt kein Morphem zu sein, sondern ein semantisch nicht weiter analysierbarer Bestandteil des Stamms. Wenn man aber annimmt, es fungiere als eine Art Flexionssuffix, lassen sich wertvolle Schlüsse auf das gesamte dt. Pluralsystem, sogar auf die schwierigen Fremdwortregeln ziehen (Duden 2009: 186f.). Statt zu fragen, ob -e ein Affix sei, fragt man also, ob es bei einem gegebenen Untersuchungsziel sinnvoll sein könnte, es als Affix zu betrachten. Und um es von den allgemein als Morphemen anerkannten Affixen abzugrenzen, wird es Pseudoaffix genannt. ≡ Scheinaffix → Affix; Pseudosuffix; Suffix ⇀ Pseudoaffix (Wobi)

Franziska Münzberg

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Pseudosuffix

Suffix, das synchron nicht mehr als solches erkennbar ist oder nur scheinbar einen Suffixstatus hat. ▲ pseudo-suffix: suffix that is synchronically no longer recognizable as such or only seemingly has a suffix status.

In der Fachlit. wird das Pseudosuffix zum einen als ein unikales Morphem mit einer Inhalts- und Ausdrucksseite, zum anderen als ein scheinbares bzw. zufälliges Suffix aufgefasst. In der Lesart als ein nicht mehr isolierbares Morphem (wie in Nacht-igall oder Mit-gift), das mit einem Wortbildungsstamm auftritt, hat das Pseudosuffix einen Pseudocharakter, weil es keine reihenbildende Funktion besitzt (Simmler 2002: 77) und sich sprachhist. auf ein Basismorphem zurückführen lässt. In der Lesart als zufällige Endung, die systematisch ausgeweitet wurde wie bei -com in Telecom, Intercom, Mobilcom (Eichinger 2000: 64), hat das Pseudosuffix einen Pseudostatus, weil der Verwendung als Suffix ein Missverständnis der Sprachbenutzer zu Grunde liegt. Dies trifft auch auf die scheinbaren Suffixe in Trepp-e oder Streifen (Eisenberg 2000: 209) zu, die keine Wortableitungen vorgenommen haben. ≡ Quasimorphem → Pseudoaffix; Suffix; unikales Morphem ⇀ Pseudosuffix (Wobi)

Christine Römer

🕮 Agricola, E. et al. [1969] Die deutsche Sprache. Leipzig ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Simmler, F. [2002] Pseudomorpheme. Ermittlungsmethoden, Typologie und Sprachgeschichte. In: Habermann, M./ Müller, P.O./ Munske, H.H. [Hg.] Historische Wortbildung des Deutschen (RGL 232). Tübingen: 75–103.

pseudotransitives Verb

Verb mit einem direkten Objekt, das im Passiv nicht zum Subjektsnominativ wird. ▲ pseudo-transitive verb: verb with a direct object which does not become the nominative subject in the passive. Pseudotransitive Verben wie enthalten (1) oder bekommen (2) fordern ein nicht subjektfähiges Akkusativobjekt. (1) Der Bierkasten enthält zwanzig Flaschen. (2) Ich habe ein Paket bekommen. Diese Verben sind weder transitiv noch intransitiv. Sie werden auch Mittelverben genannt. Sie lassen eine Passivtransformation nicht zu, weil sie kein Agens implizieren. Tamás Kispál

→ intransitiv; Mittelverb; transitiv → Gram-Syntax: direktes Objekt; Passivtransformation

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Hand-

631 buch für den Ausländerunterricht. München ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

punktuelle Aktionsart

Phasenaktionsart, die eine Handlung als mit keiner bzw. sehr geringer zeitlicher Ausdehnung charakterisiert. ▲ achievement; punctual aktionsart: phasal lexical aspect characterising an action as having no or a very limited temporal duration.

Die punktuelle Aktionsart stellt ein Geschehen so dar, als ob der Beginn und das Ende (fast) zeitgleich sind (bei Vendler 1957 achievements). Im Dt. gibt es dafür punktuelle Verben wie sterben, heiraten, ankommen, platzen, die einen bestimmten Punkt in einem Vorgang bezeichnen (1).

punktuelle Aktionsart (1) Sie ist in Jena angekommen. Sie sind mit Zeitpunktadverbialen kompatibel (2), was bei durativen Verben nicht der Fall ist, da bei diesen eine zeitliche Ausdehnung zur Bedeutung gehört (3). (2) Sie ist genau in diesem Moment am Bahnhof angekommen. (3) *Das Haus brennt in zwei Stunden.

→ Aktionsart → Gram-Syntax: Aspekt ⇁ achievement (Typol)

Christine Römer

🕮 François, J. [1985] Aktionsart, Aspekt und Zeitkonstitution. In: Schwarze, C./ Wunderlich, D. [Hg.] Handbuch der Lexikologie. Königstein/Taunus: 229–249 ◾ Vendler, Z. [1957] Verbs and times. In: PsyRev 66/2: 143–160.

PQ

Q qualifikatives Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die die Eigenschaft oder Beschaffenheit von Größen angeben. ▲ adjective of quality: semantically defined subclass of adjectives that indicates the property or quality of entities. Zu der semantischen Klasse der qualifikativen Adjektive gehören Ausdrücke, die Eigenschaften benennen wie gut, gesund, schön, klug, krank, fleißig, dumm, faul, ferner Stoffadjektive wie seiden, steinern, golden und Partizipialadjektive wie bedeutend, gesperrt, angebracht. Der Terminus qualifikatives Adjektiv wird in der Fachlit. nicht einheitlich verwendet. Jussara Paranhos Zitterbart

↔ relationales Adjektiv → Partizipialadjektiv; qualifizierendes Adjektiv; Qualitätsadjektiv; Stoffadjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

qualifizierendes Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die einer Person oder Sache eine Eigenschaft zuordnen. ▲ adjective of quality: semantically defined subclass of adjectives that indicates the property or quality of nouns or pronouns. Zur semantisch allgemeinen Klasse der qualifizierenden Adjektive gehören Ausdrücke, die Farben (rot, blau, grün), Formen (eckig, oval, lang, bergig), Geschmack/Geruch (süß, bitter, sauer), Ton (laut, leise, piepsig), Oberfläche (rau, glatt, hart), Temperatur (kalt, warm, heiß), Ästhetik (schön,

hässlich), Moral (gut, böse, durchtrieben), Intellekt (klug, dumm, witzig), räumliche Dimension (hoch, breit, flach), zeitliche Dimension (früh, spät) oder Wahrheitsgehalt (angeblich, wahrscheinlich) benennen. Der Terminus qualifizierendes Adjektiv wird in der Fachlit. nicht einheitlich verwendet. Jussara Paranhos Zitterbart

→ antonymes Adjektiv; dimensionales Adjektiv; Farbadjektiv; Formadjektiv; polares Adjektiv; qualifikatives Adjektiv; Qualitätsadjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen

Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Qualitätsadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die Personen oder Sachen komplementäre Eigenschaften zuordnen. ▲ adjective of quality: semantically defined subclass of adjectives which show complementary qualities of persons or things. Qualitätsadjektive gehören zu der allgemeineren semantischen Subklasse der qualifizierenden Adjektive. Es sind Ausdrücke wie gesund, ehrlich, klug, gut, faul. Sie bilden mit komplementären Adjektiven Adjektivpaare, die zueinander im logischen Verhältnis der Kontradiktion (A = nicht-B) stehen, das auch als ein „Entweder-OderVerhältnis“ bezeichnet werden kann: gesund – krank; ehrlich – unehrlich; schön – unschön; gut – schlecht; fröhlich – traurig; tot – lebendig. Insofern gibt es hier nicht, wie bei den semantisch relativen Adjektiven, einen gemeinsamen Bereich wie z.B. in warm – lauwarm – kalt. Der Terminus

quantifikatives Adjektiv 634 Qualitätsadjektiv wird in der Fachlit. nicht einheitlich verwendet. Jussara Paranhos Zitterbart

→ absolutes Adjektiv; antonymes Adjektiv; polares Adjektiv;

qualifikatives Adjektiv; qualifizierendes Adjektiv; relatives Adjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

quantifikatives Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine Menge oder Anzahl nennen. ▲ numeral adjective; adjective of number: semantically defined subclass of adjectives which give a certain amount or number.

PQ

Quantifikative Adjektive nennen eine Menge oder Anzahl von Größen. Dazu gehören z.B. die Kardinalzahlen 0, 1, 20 ..., 999 999, ausgenommen die höheren Kardinalzahlen wie Million, Billion usw., die als Substantive zu betrachten sind. (1) Neun Menschen soll der eine Mann dort angesteckt haben, zwei von ihnen sind gestorben. (SZ, 12.08.2014: 7) Außerdem gehören zu den quantifikativen Adjektiven auch Ausdrücke wie viel-/viel, wenig-/wenig, einig-, etlich-, manch- und mehrere. (2) Bisher gebe es aber nur wenige Bewerbungen von Bachelorabsolventen, weil erst jetzt die ersten Jahrgänge im naturwissenschaftlichen Bereich fertig würden, erklärt Klein. Viele Bachelorabsolventen […], haben vor, den Master noch nachzuholen. (Zeit Campus, 18.03.2014: 118) Besonderheiten zeigen die indeklinablen Parallelformen viel und wenig, die sowohl vor Kontinuativa oder Abstrakta (viel/wenig Senf, Zeit, Platz, Spielraum usw.) wie vor weiteren Adjektiven (viel junges Volk / wenig gute Freunde) auftreten können. (3) […], ich habe ja früher viel Krafttraining gemacht. (Zeit Wissen, 14.04.2015: 18) (4) […] und außerdem viel Geld verdienen. (Zeit Wissen, 17.02.2015: 74) (5) Und für die möchte man das Beste: die beste Ausbildung, so viel Liebe und so wenig Unangenehmes wie möglich. (Weltwoche, 31.08.2006: 050)

(6)

Viel junges Volk strömt hier zusammen, […]. (ADAC motorwelt, Juni 1973, Nr. 6: 76) Ferner weisen die quantifizierenden Ausdrücke viel-/viel, wenig-/wenig, einig-, etlich-, manch- und mehrere teils determinative, teils adjektivische Eigenschaften auf. So schwankt nach manchen dieser Ausdrücke je nach syntaktischer Konstellation die Flexion des nachfolgenden Adjektivs zwischen starken und schwachen Formen: viel/ vieler schmackhafter Senf / viele neue Sachen / mit vielem schmackhaften Senf; wenig gutes Essen / wenige gute Freunde / mit wenigem guten Essen; manche nette Leute / manche netten Leute. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adjektivflexion; bestimmtes Zahladjektiv; bestimmtes

Zahlwort; indefinites Zahladjektiv; Kardinalzahlwort; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Quantifikativum

als selbständige Nominalphrase benutztes Pronomen, das einen Teil eines Denotatbereichs oder den ganzen Denotatbereich bezeichnet. ▲ quantifier: pronoun that is used as a single noun phrase and refers to a part of the domain of the denotatum or to the entire domain. Die quantifizierenden Pronomina all-, einig-, etlich-, jed-, jedwed-, manch-, mehrer- und sämtlich-, ferner auch die negierenden Pronomina kein-, nichts und niemand werden zu den Quantifikativa gezählt, sofern sie selbständig als eingliedrige NP benutzt werden. Die meisten von ihnen können auch als Determinativ mit einem Nomen kombiniert werden; in diesem Fall wird von einem quantifikativen Determinativ gesprochen ((1), (2)). Nichts und niemand können nicht in Determinativfunktion benutzt werden. (1) Alle sind gekommen. (2) Alle Schüler sind gekommen. Semantisch ist ihnen gemeinsam, dass sie entweder eine Teilmenge aus einer Gesamtmenge oder die Gesamtmenge selbst bezeichnen. Insofern wird ein Denotatbereich mit ihrem Gebrauch quantitativ bestimmt, d.h. quantifiziert. Einen Sonderfall der Quantifikation stellen die negierenden Quantifikativa dar, indem sie eine leere Menge bezeichnen, in der kein Element der Gesamtmenge enthalten ist.

635 Quantor (3) (4)

Niemand ist gekommen. Ich habe im Geschäft letztendlich nichts gekauft. In (3) ist die Gesamtmenge die Menge derjenigen Leute, die hätten kommen können. In (4) steht die Warenmenge des Geschäfts hinter der Aussage, deren hier relevante Teilmenge eine leere Menge ist. Attila Péteri ≡ Quantifikator → Pronomen; Pronominaladjektiv; quantifizierendes Determinativ; Quantor → Gram-Syntax: Nominalphrase; Quantifikation ⇀ Quantifikativum (CG-Dt) ⇁ quantifier (CG-Engl; Typol)

🕮 Ballweg, J. [2016] Quantifikation und Nominaltypen im Deutschen (StDtSp 28). Mannheim ◾ Frosch, H. [2007] Indefinitum und Quantifikativum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 387–396 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Quantifikator

≡ Quantifikativum; Quantor ⇀ Quantifikator (CG-Dt)

quantifizierendes Determinativ

Determinativ, mit dem ein Teil des mit dem nominalen Phrasenkopf bezeichneten Denotatbereichs oder der ganze Denotatbereich abgegrenzt wird. ▲ quantificational determinative: determinative that delimits the domain of the denotatum that is defined by the nominal head of the phrase.

Die Pronomina all-, einig-, etlich-, irgendein-, irgendwelch-, jed-, jedwed-, manch-, mehrer- und kein- werden, sofern sie als Determinativ benutzt werden, zu den quantifizierenden Determinativen gezählt. Semantisch ist ihnen gemeinsam, dass sie entweder eine Teilmenge der mit dem Kopf der NP bezeichneten Gesamtmenge (1) oder die Gesamtmenge selbst (2) abgrenzen. Insofern wird ein Denotatbereich mit ihrem Gebrauch quantitativ bestimmt, d.h. quantifiziert. Zugleich leisten sie auch Determination, indem der durch den Phrasenkopf angegebene Denotatbereich näher bestimmt wird. (1) Einige Schüler sind gekommen. (2) Alle Schüler sind gekommen. Die meisten von ihnen (mit der Ausnahme von irgendein- und irgendwelch-) können auch selb-

ständig eine NP bilden. In dieser anderen Funktion werden sie Quantifikativa genannt.

→ Determinativ; Quantifikativum; Quantor → Gram-Syntax: Phrasenkopf; Quantifikation

Attila Péteri

🕮 Gil, D. [2001] Quantifiers. In: Haspelmath, M. et al. [ed.] Language Typology and Linguistic Universals (HSK 20.2). Berlin [etc.]: 1275–1294 ◾ Vater, H. [1996] Determination and Quantification. In: Koseska-Toszewa, V./ Rytel-Kuc, D. [Hg.] Semantyka a Konfrontacja językowa 1. Warschau: 117–130 ◾ Vater, H. [Hg. 1986] Zur Syntax der Determinantien (StDG 31). Tübingen.

quantifizierendes Indefinitpronomen

Pronomen, das auf eine bestimmte für den Hörer nicht-identifizierbare und zudem nicht genau bezifferbare Menge verweist, die eine erwartete Größe unter- bzw. überschreitet. ▲ quantifying indefinite pronoun: pronoun that refers to a certain set of elements which is unidentifiable for the hearer and in addition denotes an unquantifiable amount that falls short of or exceeds the expected size. Alexander Windeck

→ indefinites Zahladjektiv; Indefinitpronomen; Indefinitum; Pronomen; quantifizierendes Determinativ

🕮 Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [1984] Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2., unveränd. Aufl. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Quantor

natürlichsprachlicher oder logischer Operator, welcher eine quantifizierte Aussage über Individuen oder Ereignisse einführt. ▲ quantifier: operator in a natural or logical language which introduces a quantified statement about individuals or events. In der modernen Semantik verweist der Begriff Quantor auf drei miteinander verwandte Arten von Objekten: (a) auf die zwei Quantoren der Prädikatenlogik, nämlich den Existenz- und den Allquantor; (b) auf eine Klasse von natürlichsprachlichen Determinatoren wie jeder, ein und kein, welche eine quantifizierende Aussage über Mengen von Individuen einführen (1). (1) Jeder/Ein/Kein Student raucht. Satz (1) mit jeder sagt aus, dass alle Elemente der Menge der Studenten die Eigenschaft haben, zu rauchen; (1) mit ein sagt aus, dass mindestens ein Element der Menge der Studenten diese Eigenschaft hat, und (1) mit kein sagt aus, dass kein Ele-

PQ

Quasimorphem 636

PQ

ment der Menge der Studenten diese Eigenschaft hat. Daneben wird der Terminus Generalisierter Quantor (= GQ) von Barwise/Cooper (1981: 160) als Oberbegriff für alle Arten von nominalen Ausdrücken einschließlich Eigennamen und Pronomina verwendet, also z.B. die Determinansphrasen jeder Student, ein Student und kein Student in (1). GQen verweisen nicht auf ein Individuum, sondern auf eine Menge von Mengen von Individuen, und sind somit vom semantischen Typ . Sie fungieren semantisch als Prädikate 2. Ordnung über einfache Prädikate. So kann ein GQ z.B. ausdrücken, dass alle Elemente, oder mindestens eines, oder kein Element aus einer Menge die durch ein einfaches Prädikat P ausgedrückte Eigenschaft hat. Dieser Sachverhalt wird semantisch hergeleitet, indem der DeterminatorQuantor (= D-Quantor) zwei Mengen als Argument nimmt und eine Relation zwischen diesen ausdrückt (Barwise/Cooper 1981: 163). Dem syntaktischen Schema ‚jeder NP VPʻ aus (1) entspricht demnach das dreigeteilte semantische Interpretationsschema in (2): (2) Quantor [Restriktion] [Kernskopus]jeder {x: x ist Student} {x: x raucht} Die Bedeutung des D-Quantors jeder in (2) nimmt die Bedeutung der NP (Restriktion) und der VP (Kernskopus) als Argumente und ergibt eine wahre Aussage g.d.w. für jedes x, so dass x in der Menge der Studenten enthalten ist, gilt: x ist Ele-

ment der Menge der Raucher. Neben Mengen von Individuen können Quantoren auch Mengen von Ereignissen oder Siutationen (s) zueinander in Beziehung setzen. Dies ist z.B. mit den Quantifikationsadverbien immer, meistens, manchmal in (3) der Fall: (3) Immer/meistens/manchmal, [wenn Peter traurig ist]Restriktion, [singt er]Kernskopus.{s: Peter ist traurig in s} {s: Peter singt in s} Nach dem Interpretationsschema in (3) ist (3) wahr g.d.w. für alle bzw. die meisten bzw. ein paar Situationen s, in denen Peter traurig ist, gilt, dass Peter in s singt. Malte Zimmermann ≡ Quantifikator → Allquantor; Entität; E-Typ-Pronomen → Gram-Syntax: Existenzquantor; Operator; Quantifikation ⇀ Quantor (Sprachphil; CG-Dt; QL-Dt; SemPrag; HistSprw) ⇁ quantifier (CG-Engl; Typol)

🕮 Barwise, J./ Cooper, R. [1981] Generalized Quantifiers and Natural Language. In: LingPhil 4: 159–219 ◾ Keenan, E.L./ Stavi, J. [1986] A semantic characterization of natural language determiners. In: LingPhil 9: 253–326 ◾ Keenan, E.L. [1996] The Semantics of Determiners. In: Lappin, S. [ed.] The Handbook of Contemporary Semantic Theory. Oxford: 41–63 ◾ Löbner, S. [1987] Natural Language and Generalized Quantifier Theory. In: Gärdenfors, P. [ed.] Generalized Quantifier. Dordrecht: 181–201 ◾ Peters, S./ Westerstahl, D. [2007] Quantifiers in Language and Logic. Oxford.

Quasimorphem

≡ Pseudosuffix ⇀ Quasimorphem (Onom)

R raising verb

Verb, das Raising bzw. Hebungs- oder Anhebungskonstruktionen zulässt. ▲ raising verb: verb that permits raising of structures. Raising ist eine von der GG angenommene Transformation, bei der ein syntaktisches Argument von einer tieferen in eine höhere Strukturebene bewegt wird. So wird ein Argument des Verbs im eingebetteten, untergeordneten Satz zum Argument des Verbs im übergeordneten Matrixsatz angehoben, wobei dieses angehobene Argument nicht ein logisches im Matrixsatz, sondern ein solches nur im eingebetteten Satz ist. Subjekt-zu-Subjekt-Anhebung mit Hilfe des Anhebungsverbs scheinen liegt vor in (1). (1) Es scheint, dass die Kühe auf der Weide sind. Der Matrixsatz weist das Pron. es als Platzhalter für das Subjekt auf. Bei der Transformation zu (1a) wird das logische Subjekt des Verbs sein im untergeordneten Satz angehoben und wird zum formalen Subjekt des Anhebungsverbs scheinen mit Numeruskongruenz im Matrixsatz. (1a) Die Kühe scheinen auf der Weide zu sein. Hebung in die Objektsposition des Matrixsatzes erfolgt bei den sogenannten AcI-Konstruktionen (Akkusativ mit Infinitiv) durch Anhebungsverben wie hören oder lassen (2), wobei die NP seine politischen Gegner das logische Objekt des Verbs verhaften ist, aber durch das Anhebungsverb lassen in die Objektsposition im Matrixsatz gelangt. (2) Er lässt [seine politischen Gegner verhaften]. Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Anhebungsverb; Hebungsverb → AcI-Verb → Gram-Syntax: Akkusativ mit Infinitiv; raising; Subjektanhebung

🕮 Langacker, R.W. [1995] Raising and transparency. In: Lg 71/1: 1–62 ◾ Lee-Schoenfeld, V. [2007] Agentivity versus auxiliary choice. Evidence from pronominal binding in German AcI-con­ struc­tions. In: Aranovich, R. [ed.] Split Auxiliary Systems. Amsterdam: 129–161 ◾ Postal, P.M. [1974] On Raising. Cambridge, MA.

Randkasus

morphologischer Kasus, der angibt, dass ein Nomen in der Aussage eine periphere Stellung einnimmt. ▲ marginal case: morphological case indicating that a NP occupies a non-central place in the clause. Ein zentraler Gegensatz in Jakobsons strukturalistischer Kasustheorie (1936/1971) ist die sog. „Stellungskorrelation“ zwischen den Randkasus Instrumentalis und Dativ einerseits und den Vollkasus Nominativ und Akkusativ andererseits (Jakobson 1936/1971: 46). Ein Randkasus „setzt das Vorhandensein eines zentralen Inhaltes in der Aussage voraus“, z.B. setzt der Dativ des indirekten Objekts die Darstellung eines transitiven Sachverhalts mittels Nominativ und Akkusativ voraus. Insofern gibt der Randkasus immer einen „Nebeninhalt der Aussage“ (Jakobson 1936/1971: 46) an, was auch die generelle Fakultativität der durch einen Randkasus bezeichneten Größe gegenüber dem „Kerninhalt“ der Aussage erklärt. Dieser zentrale Inhalt muss allerdings nicht unbedingt sprachlich ausgedrückt sein, die Namensüberschrift im Dativ Ivanu Ivanoviču Ivanovu ('an/zu Händen von I.I.I.') etwa setzt lediglich einen zentralen Inhalt voraus, und zwar etwas, „was für die durch den Dativ bezeichnete Person bestimmt ist“ (Jakobson 1936/1971: 46). Ähnliches trifft übrigens auch auf die Vollkasus zu; z.B. setzt ein selbständig gebrauchter Akkusativ wie in karetu! ('den Wagen!') eine verbale Bedeutung voraus. Auch der Lokal (der heute Präpositiv genannt wird, weil er nur noch mit Präp. gebraucht wird) ist Jakobson zufolge ein Rand-

Rangierpartikel 638

R

kasus, der den Gegenstand in der Gesamtheit der Aussage als peripher kennzeichnet, wie in russ. rasskazy o vojne [Lokal] ('die Erzählungen über den Krieg/ vom Krieg/ aus dem Krieg'); vgl. bumagi zaperty v jaščike [Lokal] ('die Papiere sind/liegen in der Schublade eingeschlossen') vs. bumagi zaperty v jaščik [Akkusativ] ('die Papiere sind in die Schublade eingeschlossen'). Die Stellungskorrelation zwischen Randkasus und Vollkasus ist, in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Markiertheit, asymmetrisch. Während der Randkasus angibt, dass das Nomen eine periphere Stellung einnimmt (und daher merkmalhaltig ist), gibt ein Vollkasus nicht an, um welche Stellung es sich handelt (der Vollkasus ist somit merkmallos; in ihm ist der Gegensatz zwischen zentraler und peripherer Stellung aufgehoben). Dieser Unterschied ist von fundamentaler Bedeutung, weil sich die Unterschiede der einzelnen Kasus im russ. Kasussystem ansonsten nicht als Oppositionen erfassen ließen. Die Asymmetrie existiert auch zwischen den Kasus innerhalb einer einzelnen Gattung. So ist der Nominativ in der Gattung der Vollkasus der unmarkierte Kasus, der Akkusativ der markierte Kasus, und in der Gattung der Randkasus ist der Instrumentalis der unmarkierte Kasus und der Dativ der markierte Kasus (Jakobson 1936/1971: 51). Bemerkenswerterweise zeigt sich in den beiden Gattungen tendenziell jedoch eine entgegengesetzte Verteilung des Belebten und Unbelebten: Nominativ 'belebt' vs. Akkusativ 'unbelebt' und Instrumentalis 'unbelebt' vs. Dativ 'belebt' (Jakobson 1936/1971: 57). Klaas Willems

↔ Vollkasus → Bezugskasus; Dativ; Gestaltungskasus; Kasusbedeutung; Umfangskasus

🕮 Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288 ◾ Jakobson, R. [1971] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: Jakobson, R. [1971] Selected Writings Vol. 2. World and Language. Berlin [etc.]: 23–71.

Rangierpartikel

unveränderliches Wort, das im deutschen Satz sowohl die Vor- als auch die Mittelfeldposition einnehmen kann und ein Urteil des Sprechers über das Gesagte signalisiert. ▲ commenting adverb: invariant lexical item in the middle field or the 'Vorfeld' of the German sentence to express an evaluation of the speaker.

Rangierpartikeln sind morphologisch unflektierbar und syntaktisch innerhalb des Satzes verschiebbar. Dazu gehören im Dt. u.a. allerdings, dennoch, gleichwohl, immerhin, indessen, sonst, überhaupt, wenigstens, zwar, nach Engel (2004: 425f.) auch bedauerlicherweise, beispielsweise, eigentlich, glücklicherweise, möglichst, womöglich. Rangierpartikeln drücken keine Sachverhalte aus, sondern signalisieren eine Bewertung (z.B. Relativierung (1), Einräumung (2), Kontrastierung (3)) der vorangehenden Äußerung durch den Sprecher. (1) Überhaupt wollte er wissen, wie es den Leuten in dem Altersheim geht. (1a) Er wollte überhaupt wissen, wie es den Leuten im Altersheim geht. (2) Allerdings muss ich zugeben, dass diese großartige Idee nicht von mir stammt. (2a) Ich muss allerdings zugeben, dass diese großartige Idee nicht von mir stammt. (3) Dennoch wollte sie die alte Frau besuchen. (3a) Sie wollte die alte Frau dennoch besuchen. Wegen dieser bewertenden Funktion sind die Rangierpartikeln mit Adverbien und Abtönungspartikeln verwandt. Im Gegensatz zu den Adverbien können sie aber nicht als Antwort auf eine Frage fungieren und im Gegensatz zu den Abtönungspartikeln sind sie nicht nur auf das Mittelfeld des Satzes beschränkt, sondern können auch im Vorfeld stehen. Rangierpartikeln werden auch als Konnektivpartikeln bezeichnet (vgl. Zifonun et al. 1997), da sie durch die Bewertung von vorangehenden Äußerungen Sätze miteinander verknüpfen bzw. in Beziehung zueinander setzen. Durch diese Eigenschaft spielen sie in der Text- und Diskursorganisiation eine wichtige Rolle. ≡ Konnektivpartikel → Abtönungspartikel; Adverb; Partikel; Wort → Gram-Syntax: Mittelfeld; Vorfeld

Anna Molnár

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

redeeinleitendes Verb

Verb, von dem syntaktisch ein indirekter Aussage-, Frage- oder Aufforderungssatz abhängig ist. ▲ reporting verb: matrix verb in reported speech that has a syntactically dependent reported statement, question or imperative as its argument.

639 Reduplikation In der indirekten Rede werden Sätze in einen übergeordneten Satz (Hauptsatz) eingebettet, dessen Hauptverb ein Kommunikationsverb (z.B. Verb des Sagens, Schreibens, Meinens, Fragens, Aufforderns) oder ein ähnlicher Ausdruck ist. Mit sagen oder den anderen redeeinleitenden Verben in (1) kann der Aussagesatz (2) in den indirekten Aussagesatz (3) transformiert werden. (1) sagen, behaupten, erklären, erzählen, denken, meinen, fragen, bitten, auffordern, befehlen (2) Ich habe keine Ahnung. (3) Cicero sagt, dass er keine Ahnung habe. Redeeinleitende Verben dienen zur Markierung der nicht wörtlichen Redewiedergabe. Diese Funktion teilen sie im Dt. mit den Konjunktionen, die indirekte Aussage-, Frage- oder Aufforderungssätze einleiten, und dem für die indirekte Rede typischen Verbmodus Konjunktiv. Während im Dt. die Tempusform des Verbs im indirekten Satz von generellen Regeln des Tempus-/Modusgebrauchs bestimmt wird, so dass das redeeinleitende Verb keinen unmittelbaren Einfluss auf das Tempus des Nebensatzverbs hat, wird im Engl. und Frz. die Tempusform des Nebensatzverbs in Abhängigkeit vom Tempus des redeeinleitenden Verbs gewählt (was als consecutio temporum oder Abfolge der Tempora bezeichnet wird). So steht das Nebensatzverb im dt. Satz (4) im Gegensatz zum engl. Satz (5) unabhängig vom Tempus des redeeinletenden Verbs im Präs. (4) Cicero sagt/sagte, dass er keine Ahnung hat. (5) Cicero says that he has no idea. (5a) Cicero said that he had no idea. György Scheibl

→ Konjunktiv; Verb → Gram-Syntax: consecutio temporum; direkte Rede; indirekte

Rede; indirekter Aufforderungssatz; indirekter Aussagesatz; indirekter Fragesatz

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Redeteil

≡ Wortart ⇀ Redeteil (CG-Dt)

Reduplikation

Verfahren, in dem Laute, Lautgruppen, Wörter, Morpheme oder Teile davon verdoppelt werden. ▲ reduplication: procedure for doubling sounds, groups of sounds, words, morphemes or parts of these. Die Reduplikation kommt (a) als phonologischer Prozess und (b) in morphologischen Verfahren vor. (a) Im Spracherwerb drückt die Verdopplung von Lautmaterial in der vorsprachlichen Phase zunächst spielerisches Üben mit den Sprechwerkzeugen aus: bababa, dadada. In der Sprechphase dient die Reduplikation dann als Vereinfachungsstrategie zur Vermeidung noch nicht beherrschter Laute, komplexer Lautgruppen oder von Komplexität insgesamt, in der frühen Sprechphase etwa Meme statt Creme, Dede statt Teddy, später balbalo statt Luftballon, manimani statt Badewanne oder mamemamelade statt Brombeermarmelade (Elsen 2001). Bei Reduplizierung in der geschichtlichen Entwicklung dürften vereinfachende und rhythmische Faktoren neben poetisch-stilistischeuphonischen Aspekten ineinandergreifen. (b) In morphologischen Prozessen erfolgt die Reduplikation zum Zwecke der Flexion oder der Wortbildung. Der Prozess ist grammatikalisiert, wenn eine systematische Bedeutungsveränderung damit einhergeht und/oder wenn morphologische Einheiten verdoppelt werden (Reduplikationsbildung). Dann sind die Lexeme morphologisch komplex im Gegensatz zu lediglich lautlich motivierten Silbendopplungen wie in Wauwau, Papa, Kuckuck oder Pipi. Bei solchen Beispielen handelt es sich um Simplizia. Die Verdopplung von Morphemen bzw. Wörtern zur Wortbildung gibt es im Engl. wie im Dt. Hier ist die semantische Veränderung eher emotional intensivierend, es entstehen Komposita wie Krimskrams. Allerdings ist diese Art der Wortbildung im Dt. nicht, im Engl. nur schwach produktiv, außer in Randbereichen wie im Comic oder bei Interjektionen. Fälle wie Kindeskind, Zinseszins oder Helfershelfer dürfen nicht mit Reduplikationsbildungen verwechselt werden, da es Determinativkomposita sind. In anderen Sprachen mit neutraler Wortbildungsoder Flexionsbedeutung, z.B. Pl. oder Perf., liegen oft auch Fälle von partieller Reduplikation vor, die sich nicht an morphologische Grenzen hält,

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referentielles Adjektiv 640 vgl. lat. curr-, Perf. cucurr- 'laufen', mord-, Perf. momord- 'beißen', pend-, Perf. pepend- 'hängen'. Im idg. Sprachraum ist dieses morphologische Verfahren kaum verbreitet, dafür jedoch um so häufiger am Amazonas, in Australien, Südasien, Afrika und im Kaukasus. Reduplikationsbildungen können nach verschiedenen formalen und inhaltlichen Aspekten gegliedert werden, ohne dass es zu systematischen Form-Funktionszusammenhängen kommt. ≡ Verdoppelung → Komposition; Wortbildung → Gram-Syntax: Spracherwerb ⇀ Reduplikation (Wobi; CG-Dt; Phon-Dt; HistSprw) ⇁ reduplication (Phon-Engl; Typol)

Hilke Elsen

🕮 Elsen, H. [1991] Erstspracherwerb. Der Erwerb des deutschen Lautsystems. Wiesbaden ◾ Rubino, C. [2011] Reduplication. In: Dryer, M.S./ Haspelmath, M. [eds.] The World Atlas of Language Structures Online. München ◾ Schindler, W. [1991] Reduplizierende Wortbildung im Deutschen. In: ZPSK 44: 597– 613 ◾ Wiltshire, C./ Marantz, A. [2000] Reduplication. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 557–567.

referentielles Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die Größen räumlich und zeitlich situieren. ▲ referential adjective: semantically defined subclass of adjectives which characterise a relation to a location or time.

R

Referentielle Adjektive sind Ausdrücke wie heutig (1), gestrig, linksseitig, folgend, obengenannt, die meistens attributiv verwendet werden. Im übertragenen Sinne ist mitunter eine prädikative Verwendung möglich (2). (1) Die heutige Veranstaltung wird sicherlich spannend. (2) Kanzlerin Merkel hat kürzlich die Trennung von Ökonomie und Ökologie als gestrig bezeichnet. (Hamburger Morgenpost, 05.08.​ 2007: 4–5) Zu den referentiellen Adjektiven zählen auch die Ordinalzahlen wie erster, zweiter, dritter …, denn auch sie situieren Größen im räumlichen oder zeitlichen Kontext (3). (3) Es ist die zweite Straße hinter der Ampel. Jussara Paranhos Zitterbart

→ bestimmtes Zahladjektiv; Lokaladjektiv; Ordinalzahlwort; Relationsadjektiv; Temporaladjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4).

Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Weinrich, H. [2007] Textgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Darmstadt.

reflexiv gebrauchtes Verb

Verb, bei dem das Reflexivpronomen referenziell, in Objektfunktion verwendet wird. ▲ reflexively used verb: verb with a referentially used reflexive pronoun in an object function. ≡ partimreflexives Verb; unechtes reflexives Verb → obligatorisch reflexives Verb; reflexives Verb; Reflexivpronomen; teilreflexives Verb → Gram-Syntax: Reflexivkonstruktion

Pál Uzonyi

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725.

reflexives Pronomen ≡ Reflexivpronomen

reflexives Verb

Verb, bei dem sich das Reflexivpronomen als Prädikatsteil auf das Subjekt des Satzes bezieht und mit ihm koreferent ist. ▲ reflexive verb: verb that has a reflexive pronoun as part of the verb and whose subject and pronoun are coreferential. Verben, die immer mit dem Reflexivpron. sich (unveränderlich in Kasus und Numerus) bzw. dem entsprechenden Personalpron. der 1. und 2. Pers. (veränderlich nach Kasus und Numerus) stehen, werden im Dt. echte reflexive Verben (auch: reflexivum tantum; lexikalische Reflexiva) genannt (z.B. sich[Akkusativ] schämen, sich[Dativ] einbilden, auf sich[Präpositionalkasus] nehmen). Hier wird das Reflexivpron. zum Prädikat gezählt; somit gehört es auch zum Lexikoneintrag. Es ist nicht ersetzbar (1) und nicht erfragbar (2). (1) *Die Mutter schämt ihr Kind. (2) *Wen beeilt die Mutter? – *Sich beeilt die Mutter. Das Reflexivpron. bei diesen Verben bezieht sich auf das Subjekt, hat aber keinen Objektcharakter (formale Reflexivität). Daneben gibt es eine Reihe von Verben, bei denen das Reflexivpron. nicht obligatorisch steht (waschen : sich waschen). In dt. Grammatiken (z.B. Helbig/Buscha 2001) treten für diese Verben die

641 Reflexivmarker Bezeichnungen unechte reflexive oder partimre­ flexive Verben bzw. reflexiv gebrauchte Verben auf. Im syntaktischen Sinne ist hier das Reflexivpron. Satzglied (Objekt); es ist ersetzbar (3) und erfragbar (4). (3) Die Mutter wäscht ihr Kind. (4) Wen/Was wäscht die Mutter? Im semantischen Sinne ist dementsprechend eine Identifizierung von Subjekt und Objekt möglich (semantische Reflexivität). Verben wie verkaufen, öffnen, schließen, fahren, die in Konstruktionen mit passivischer Bedeutung immer mit hinzugesetztem Reflexivpron. verwendet werden (5), werden in der Grammatik manchmal als medioreflexive Verben bzw. Verben in medioreflexivem Gebrauch behandelt (z.B. Zifonun 2003). (5) Das Fenster öffnet sich laut. Diese reflexiven Verbvarianten bringen eine potentielle modale Komponente mit sich, die durch Erweiterung mit lassen expliziert werden kann (6). (6) Das Fenster lässt sich nicht mehr öffnen. Im Dt. und in mehreren anderen Sprachen dient das Reflexivpron. der Reflexivierung (engl. myself; frz. se; poln. się); im Russ. wird Reflexivität durch das Suffix -sja am Verb markiert. Zu beachten ist, dass die gleichbedeutenden Verben in formaler wie funktionaler Hinsicht nicht immer durch die gleichen Eigenschaften gekennzeichnet sind. Entsprechendes lässt sich z.B. für russ. učitʼsja, poln. uczyć się und dt. lernen, engl. learn, frz. apprendre feststellen. ≡ echtes reflexives Verb; Reflexivverb

Edyta Błachut

→ Mediopassiv; reflexiv gebrauchtes Verb; Reflexivmarker; Reflexivmedium; Reflexivpronomen; reziprokes Verb

→ Gram-Syntax: obligatorisch; Prädikatsteil; Zustandsreflexiv

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Musan, R. [2008] Satzglieder und Wortarten. Heidelberg ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725 ◾ Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim.

Reflexivmarker

Pronomen oder Affix, das prototypischerweise die

referenzielle Identität eines Objekts mit dem Subjekt markiert. ▲ reflexive marker: pronoun or affix that prototypically marks the referential identity of an object with the subject. Anhand des Reflexivmarkers sich in (1) ist erkennbar, dass das Subjekt und das Objekt des Sehens dieselbe Person ist; er dient somit als reflexive Anapher. In der Markierung der referenziellen Identität (Funktion (a)) steht das Reflexivpron. sich in einer Opposition zum Personalpron. sie (2), für das eine koreferente Lesart ausgeschlossen ist. (1) Sophiai sieht sichi im Spiegel. (2) Sophiai sieht siej im Spiegel. Neben dieser prototypischen Funktion können Reflexivmarker noch in einer Reihe von Kon­struk­ tio­nen vorkommen, in denen sie die Funktion (b) der Sättigung bzw. Reduzierung der Argumentstellen des Verbs (Siemund 2007; Kaufmann 2003) einnehmen. So kann sich im Dt. u.a. in sog. antikausativen Konstruktionen (3) und Medialkon­ struktionen (4) auftreten, wo es die Objektposition sättigt und so zur Valenzreduktion eines urspr. transitiven Verbs beiträgt. Der Reflexivmarker sich kommt zudem obligatorisch mit sog. inhärent-reflexiven Verben vor (5). (3) Das Tor öffnet sich. (4) Dieses Buch liest sich leicht. (5) Sie freuen sich darüber. In der Funktion (b) in (3)–(5) kann sich weder vorangestellt noch koordiniert werden. (5a) *Sich freuen sie darüber. (5b) *Sie freuen sich und ihre Eltern darüber. Sprachenübergreifend können zwei Reflexivierungsstrategien unterschieden werden: eine pronominale (starke Reflexivmarker) und eine verbzentriete (schwache Reflexivmarker) (Hole 2013). Verbzentrierte Reflexivmarker werden in vielen Sprachen als Klitika oder Affixe realisiert. Starke Reflexivmarker haben Funktion (a), während die schwachen hauptsächlich die Funktion (b) haben. So wird im Russ. Funktion (b) durch das Reflexivsuffix -sja am Verbstamm markiert (6). (6) Sofija raduet-sja. ['Sophia freut sich.'] Dieselbe Markierungsstrategie wird auch für die Beschreibung von Handlungen eingesetzt, die in der Regel selbstgerichtet sind, z.B. bei Handlungen der Körperpflege: myt’-sja 'sich waschen', brit’-sja 'sich rasieren'. Die Referenzidentität bei

R

Reflexivmedium 642 anderen Handlungen (Funktion (a)) wird durch das Reflexivpron. sebja markiert (7). (7) Sofija vidit sebja / *vidit-sja v zerkale. ['Sophia sieht sich im Spiegel.'] Im generativen Rahmen haben Reinhart/Reuland (1993) eine einflussreiche verbzentrierte Analyse der Reflexivierung vorgeschlagen. Eine eher pronomenzentrierte Analyse wird z.B. in Heim/Kratzer (1998) diskutiert. Hole (2014) vereinigt die beiden Analysestrategien, indem er Reflexivierung als Diathesephänomen behandelt und auf der Grundlage der Bindungstheorie formal modelliert.

→ reflexives Verb; Reflexivmedium → Gram-Syntax: Valenzreduktion

Ljudmila Geist

🕮 Heim, I./ Kratzer, A. [1998] Semantics in Generative Grammar. Oxford ◾ Hole, D. [2013] Binding – Data, Theory, Typology. In: Bezhanishvili, G. et al. [eds.] Tbilisi Symposium on Logic, Language, and Computation (TbiLLC) 2011 (LecNCSc 7758). Berlin [etc.]: 4–11 ◾ Hole, D. [2014] Dativ, Bindung und Diathese (StGram 78). Berlin [etc.] ◾ Kaufmann, I. [2003] Reflexive Verben im Deutschen. In: Gunkel, L. et al. [Hg.] Arbeiten zur Reflexivierung. Tübingen: 135–155 ◾ Reinhart, T./ Reuland, E. [1993] Reflexivity. In: LingInq 24: 657–720 ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725.

Reflexivmedium

R

im Russischen von transitiven Verben imperfektiven Aspekts mithilfe des reflexivierenden Postfixes -sja bzw. -s gebildete Konstruktion mit passivischer Bedeutung. ▲ reflexive medium: construction with passive meaning in the Russian language formed from transitive verbs in the imperfective aspect using the reflexive postfix -sja or -s. Das Reflexivmedium wird in erster Linie im Russ. beschrieben; in Abraham (2000: 161) findet sich auch die Bezeichnung sja-Passiv. Dort wird es von transitiven Verben imperfektiven Aspekts mithilfe des reflexivierenden Postfixes -sja bzw. -s gebildet (čitá-et-sja 'wird gelesen', vgl. Jachnow 2004: 1304), das außerdem sowohl als Reflexivierungsals auch als Intransitivierungssuffix fungieren kann (Leiss 1992; Jachnow 2004). Dabei wird das Oberflächensubjekt getilgt, so dass das direkte Objekt als einziger Aktant in die Subjektposition rückt. Aufgrund der Koreferenz des ehemals direkten Objekts mit dem Reflexivpron. ergibt sich die Passivbedeutung. Das getilgte Agenssubjekt

bleibt implizit erhalten und wird somit mitverstanden. Der periphrastischen Passivbildung sind Imperfektiva nicht zugänglich; diese ist nur bei perfektiven Verben möglich (Abraham 2000: 161). Während z.B. Jachnow (2004: 1304) eine „konsequente funktionale Trennung“ von Passiv und Reflexivmedium für schwer durchführbar hält, wird u.a. von Leiss (1992) und Kempgen (2008) die Einordnung als Passiv kritisch gesehen. So meint Leiss, dass es eigentlich nicht als Passiv klassifiziert werden dürfte, sondern eher zum Mediopassiv gehört (Leiss 1992: 178). Gelegentlich wird der Begriff auch im Dt. verwendet, u.a. bei Abraham, der folgendermaßen den Bezug zum Dt. herstellt: „[D]as Reflexivmedium im Deutschen verdankt seine passivähnliche Bedeutung der sehr allgemeinen Parallele, die universell zwischen Reflexivbindung (Koreferenz zwischen Subjekt und Objekt) und der Passivdiathese (mit Subjektzurücksetzung) besteht“ (Abraham 2000: 162).

→ imperfektive Aktionsart; transitives Verb → Gram-Syntax: imperfektiver Aspekt

Petra Szatmári

🕮 Abraham, W. [2000] Perfektpartizip: seine angebliche Passivbedeutung im Deutschen. In: ZGL 28.2: 141–166 ◾ Jachnow, H. [2004] Russisch (Indogermanisch: Slawisch). In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1300–1310 ◾ Kempgen, S. [2008] „Wortarten“ als klassifikatorisches Problem der deskriptiven Grammatik. Historische und systematische Untersuchungen am Beispiel des Russischen. 2., überarb., elektron. Aufl. Bamberg. [Unter: http://kodeks.uni-bamberg.de/slavling/downloads/SK_WortartenRussisch_v2.pdf; letzter Zugriff: 30.05.2018] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Reflexivpronomen

Reflexivitätsmarkierer, der als freies Wort vorkommt. ▲ reflexive pronoun: reflexive marker realized as a free word. Das Reflexivpronomen kommt in der Umgebung eines Verbs vor. Die reflexive Bedeutung einer Konstruktion entsteht aufgrund der Koreferenz zwischen zwei semantischen Rollen des Verbs. Im Dt. bringt das Reflexivpron. Koreferenz zum Ausdruck, wobei in der Regel Referenzidentität zwischen dem Subjekt des Satzes, das als Antezedens

643 fungiert, und dem Reflexivpron. (im Akkusativ oder Dativ) herrscht. (1) Eri wäscht sichi. (1a) Eri wäscht sichi die Haare. Zu den Reflexivitätsmarkierern im Nhd. zählt eine Reihe von Pronomina: Für die 3. Pers. das nicht-flektierbare Reflexivpron. sich und für die 1. und 2. Pers. die reflexivisch verwendeten Personalpronomina. Das Engl. verfügt über ein variables, morphologisch komplexes Reflexivpron. oneself, das hinsichtlich Pers. und Numerus markiert ist (myself, yourself, himself … themselves). Reflexivität kann in morphologischer Hinsicht durch (a) ein freies Wort (wie das Reflexivpron. im Dt.), (b) ein Klitikum (wie se im Ital.) oder (c) ein gebundenes Morphem (wie -sja im Russ.) markiert werden. Im Dt. unterscheidet man (a) Konstruktionen mit lexikalischem sich bei den inhärent-reflexiven Verben, die stets mit einem Reflexivpron. auftreten, wie z.B. sich beeilen (2). (2) Maria beeilt sich. (2a) *Maria beeilt ihn. (b) Konstruktionen mit anaphorischem sich bei reflexiv gebrauchten Verben, deren Objekt sowohl durch ein Reflexivpron. als auch durch eine andere NP realisiert sein kann (3). (3) Maria kämmt sich. (3a) Maria kämmt ihre Tochter. (c) Konstruktionen mit medialem sich (4) und antikausativem sich (5). (4) Der Roman verkauft sich gut. (5) Die Tür öffnet sich. Die unter (c) genannten Konstruktionen dienen weniger dem Ausdruck von Reflexivität als der Modifikation der Argumentstruktur eines Verbs. Die klassischen Satzgliedtests weisen darauf hin, dass das anaphorische sich eine syntaktische Funktion als Objekt übernimmt, das lexikalische sich jedoch nicht. Topologisch folgt in der Regel das Reflexivpron. seinem Antezedens im selben Teilsatz. Eine syntaktische Analyse der Reflexivpronomina erfolgt im Rahmen der GG in der Bindungstheorie. Das Reflexivpron. kann in bestimmten Kontexten auch zum Ausdruck einer reziproken Relation verwendet werden (6). (6) Die Kinder bespritzen sich. Agnes Kolmer ≡ reflexives Pronomen; Reflexivum; rückbezügliches Fürwort; rückbezügliches Pronomen

regelmäßige Konjugation

→ Pronomen; Reziprokpronomen ⇀ Reflexivpronomen (HistSprw; CG-Dt) ⇁ reflexive pronoun (Typol)

🕮 Geniušienė, E. [1987] The typology of reflexives. Berlin [etc.] ◾ Kunze, J. [1997] Typen der reflexiven Verbverwendung. In: ZS 16: 83–180 ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725 ◾ Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim.

Reflexivum

≡ Reflexivpronomen

reflexivum tantum

≡ obligatorisch reflexives Verb

Reflexivverb

≡ reflexives Verb

regelmäßige Konjugation

Konjugationsmuster mit Dentalsuffix zur Bildung des Präteritalstammes der schwachen Verben. ▲ regular conjugation: conjugational paradigm which uses a dental suffix to form the preterite of weak verbs. Das Kennzeichen regelmäßiger Konjugation ist das Dentalsuffix, mit dessen Hilfe die schwachen Verben das Prät. und das participium praeteriti unter Beibehaltung des Stammvokals des Präs. bilden, z.B. dt. lachen – lachte – gelacht, engl. laugh – laughed – laughed, wobei im Engl. das Prät. und das Partizip gleich lauten. Die von Jacob Grimm vorgeschlagene Bezeichnung und Unterscheidung zwischen starker und schwacher Konjugation geht auf die Erklärung zurück, dass schwache Verben im Gegensatz zu den starken zur Bildung des Präteritalstammes den Ablaut nicht zur Verfügung haben und somit das Zusatzelement des Dentalsuffixes benötigen. Die schwachen Verben sind eine germ., aus älterem Wortschatz abgeleitete Neuerung. Sie sind produktiv, was sowohl an Parallelformen zu ehemals rein starken Verben, z.B. glimmen – glomm/glimmte, als auch an regelmäßiger Konjugation bei Fremdwörtern wie testen – getestet zu erkennen ist. (Hentschel/Weydt 2013: 44f.) Elisabeth Bertol-Raffin

↔ unregelmäßige Konjugation → Konjugation; regelmäßiges Verb; schwaches Verb; starkes Verb

R

regelmäßiges Verb 644 🕮 Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hill, E. [2010] A case study in grammaticalized inflectional morphology: Origin and development of the Germanic weak preterite. In: Diachr 27/3: 411–458.

regelmäßiges Verb

Verb, das seine Stammformen mithilfe des Dentalsuffixes nach einem einheitlichen Muster bildet. ▲ regular verb: verb which forms its different stem forms with affixes according to a uniform pattern.

R

Der Terminus regelmäßiges Verb oder schwaches Verb beruht auf der flexionsmorphologischen Klassifizierung der Verben. Ausschlaggebend bei der Unterteilung ist die Bildung der synthetischen Formen, insbesondere die Bildung des Prät. und des Partizip II. Aufgrund der Bildung der Stammformen unterscheidet man die regelmäßigen oder schwachen Verben, die starken Verben und die sog. gemischten Verben. Letztere werden in der Fachlit. häufig als unregelmäßig bezeichnet, da sie weder ins schwache noch ins starke Schema passen (vgl. Hentschel/Vogel 2009: 459). Der Terminus unregelmäßig wird jedoch eher als Eigenschaft der starken Verben aufgeführt, was allerdings nur im gegenwärtigen Dt. vertretbar ist. Im Gegensatz zu den starken und gemischten Verben bilden die regelmäßigen oder schwachen Verben ihre Stammformen ohne Vokalwechsel mithilfe des sog. Dentalsuffixes -t, z.B. mach-te im Prät. und ge-mach-t im Partizip II. Bei der Bezeichnung schwach, die auf Jacob Grimm zurückgeht, spielt vor allem die Präteritalendung -te eine wichtige Rolle, da diese Verben nur mithilfe dieses Suffixes und nicht „aus eigener Kraft“ die Präteritalform bilden können (vgl. Vogel 2012: 66f.). Die Bezeichnung regelmäßig bezieht sich darauf, dass die große und aufgrund von Flexionsklassenwechsel (z.B. backen – buk/backte – gebacken) und Entlehnung (z.B. mailen – mailte – gemailt) immer größer werdende Gruppe der schwachen Verben ein einheitliches Muster bei der Bildung der Stammformen verwendet. Dabei werden die oben genannten Affixe zum Verbstamm addiert, der Stamm selbst wird nicht modifiziert. Es geht also um eine einheitliche Regel, die bei allen Verben dieser Gruppe anzuwenden ist. Daraus resultiert, dass die Stammformen der regelmäßigen Verben nicht einzeln gelernt werden müssen.

Die regelmäßigen oder schwachen Verben sind hist. jünger. Ihre Entstehung wird auf das Germ. datiert. In dieser Zeit entwickelte sich im Laufe eines Grammatikalisierungsprozesses das Dentalsuffix -t aus dem Verb dōn (tun) (vgl. Szczepaniak 2011). Die neue Verbklasse ist heute die einzige produktive Klasse. Viktória Dabóczi

↔ Suppletivverb; unregelmäßiges Verb → gemischtes Verb; regelmäßige Konjugation; schwaches Verb; starkes Verb; Verb

🕮 Bredel, U./ Töpler, C. [2007] Verb. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Wortarten. Berlin [etc.]: 823–901 ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [2009] Verb. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 445–463 ◾ Szczepaniak, R. [2011] Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen ◾ Vogel, P.M. [2012] Sprachgeschichte (KEinfgL 13). Heidelberg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

regierendes Verb

oberster Valenzträger, der eine bestimmte Anzahl von anderen Elementen als unmittelbare Aktanten an sich bindet. ▲ main verb; governing verb: governing verb, as the head of the clause structure, on which all immediate constituents, the arguments, are dependent. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses der von Lucien Tesnière entwickelten Dependenzgrammatik stehen die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Wörtern aufgrund von strukturalen Konnexionen. Jede Konnexion verbindet einen Übergeordneten bzw. Regens mit einem Untergeordneten bzw. Dependens. Ausgehend von einer hierarchischen Satzstruktur steht das Verb bzw. das verbale Prädikat an deren Spitze, an dem obersten Knoten. Somit wird dem Verb der oberste Status als Satzzentrum zugewiesen, weil von dem Knoten mehrere Konnexionen ausgehen können und weil er die strukturale Ordnung des Satzes steuert. Das Beispiel Mein kleines Mädchen pfeift den Winzertango (Abb. 1; Engel 1994: 47) zeigt ein dependenz- und valenzausgerichtetes Diagramm (vgl. Eroms 2000). Die Bestandteile des Satzes, die dem Verb direkt untergeordnet sind, heiβen „subordonnés inmédiats“ (Untergeordnete/Dependentien), die in zwei Klassen, nämlich Ergänzungen (valenzbedingte Dependentien) und Angaben (nicht valenzbedingte Dependentien), zerfallen. Aufgrund seiner Valenz legt das Verb einen subklassenspe-

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regierter Konjunktiv

→ Verb → Gram-Syntax: Aktant; Dependenzgrammatik; Rektion;

V pfeif Esub

mein kleines Mädchen

Valenz; Valenztheorie; Valenzträger

Eakk

den Winzertango

V pfeif

Nomn Mädchen Detn mein

Noma Winzertango Deta den

Adjn kleines Abb. 1: Dependenz- und valenzausgerichtetes Diagramm eines regierenden Verbs (sub = Subjekt; akk = Akkusativ; E = Ergänzung; Nom = Nomen; n = Nominativ; a = Akkusativ)

zifischen Satzbauplan fest, indem die Art und Anzahl von obligatorischen und fakultativen Ergänzungen bestimmt wird. Ferner regelt das Verb auch das kategorielle und relationale Signifikat, d.h. die kombinatorische Bedeutung der durch die Ergänzungen zu besetzenden Leerstellen. Neben den valenzgebundenen Satzgliedern kommen im Satz auch die freien Angaben vor, die als syntaktisch dependent aber nicht valenzgebunden aufgefasst werden. Der Terminus regierendes lässt sich mithilfe der mit der Dependenz- und Valenzgrammatik verbundenen Termini Valenz und Rektion klären: Valenz bezeichnet die Fähigkeit eines Verbs bzw. einer Wortklasse, andere Elemente an sich zu binden, Rektion hingegen ist auf die Bestimmung des Kasus anderer abhängigen Wörter durch ein übergeordnetes Wort eingeschränkt. Im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie der GG Chom­ skys (1981) befasst sich die Rektionstheorie mit der Verbindung zwischen dem Kopf (head) einer Konstruktion und den Komplementen, die von ihm gesteuert werden. María José Domínguez Vázquez

🕮 Chomsky, N. [1981] Lectures on Government and Binding. The Pisa Lectures. Berlin ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1994] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin ◾ Hyvärinen, I. [2003] Der verbale Valenzträger. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 738–764 ◾ Järven­ tausta, M. [2003] Das Verb als strukturelles Zentrum des Satzes. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 717–737 ◾ Moravcsik, E.A. [1993] Government. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 705–721 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

regierter Konjunktiv

Konjunktiv des Prädikatsverbs eines Nebensatzes, der zu einem morphologischen, semantischen oder syntaktischen Merkmal einer Regens-Konstruktion im Hauptsatz oder in der Nebensatz-Konjunktion in Beziehung steht. ▲ governed subjunctive: subjunctive of the verb of a subordinate clause, which corresponds to a morphologic, semantic or syntactic superordinate construction in a main clause or in a conjunction of a subordinate clause. Als Regens-Konstruktionen kommen vor allem Prädikatsverben des Hauptsatzes in Betracht, die das Komplementsatz-Geschehen in ihrem Wahrheitswert als unbestimmt (z.B. unsicher, gewünscht oder gefordert) voraussetzen, wobei sich bei manchen Verben Unterschiede bei positivem oder negiertem Hauptsatzverb einstellen. Als klassische Kategorie dieser mit dem regierten Konjunktiv verbundenen Prädikatsverben können die traditionellen verba dicendi et sentiendi gelten (nonfaktive Verben): Sprechakte des Behauptens oder Meinens setzen die Wahrheit des Behaupteten oder Gemeinten nicht voraus. Darüber hinaus gibt es Prädikatsverben, die nur bei Negation solche Präsuppositionsbeziehungen aufweisen (in der Terminologie Karttunens (1972) wenn-Verben wie verursachen und erzwingen sowie negative wenn-Verben wie verhindern), und solche, die nur bei Assertion ein bzgl. des Wahrheitswerts unbestimmtes Geschehen voraussetzen (nur-wenn-Verben wie können und Phrasen wie fähig sein sowie negative nurwenn-Verben wie zögern). Demgegenüber setzen

R

regierter Konjunktiv 646

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faktive Verben (bedauern), kontrafaktive Verben (vorgeben), implikative Verben (durchsetzen) und negativ-implikative Verben (vermeiden) ein Geschehen mit bestimmtem Wahrheitswert (wahr oder falsch) voraus. Bei den beiden letzterwähnten Verbklassen ändert sich der präsupponierte Wahrheitswert je nach Behauptung/Verneinung ins Gegenteil. Im Rahmen einer dreiwertigen Logik ergeben sich somit neun Verbklassen, von denen die nonfaktiven Verben und die wenn-Verben in ihren verschiedenen Unterklassen konjunktivische Rektionsbeziehungen begründen. Bei den nonfaktiven Verben wird ein definiter Wahrheitswert sowohl bei Bejahung als auch bei Verneinung des Trägersatzes weder impliziert noch präsupponiert. Sie bezeichnen ein Geschehen, das nicht unmittelbar aus der Aktivität bzw. Nicht-Aktivität des Subjekts folgt oder von ihr vorausgesetzt wird. Dadurch hat der Sprecher die Möglichkeit, sich von der aktuellen Gültigkeit des Untersatzprozesses zu distanzieren, sei es, dass er das Geschehen als nur möglich, angenommen, in der Vorstellung eines Anderen vorhanden bezeichnet oder dass er die Realisation des Untersatzprozesses in einen vom Sprechzeitpunkt verschiedenen Zeitraum verlegt (erwünschtes, erhofftes, befohlenes Geschehen). Wie bei den anderen Verben ist die Setzung einer autonomen Modalität zur Verstärkung bestimmter Bedeutungskomponenten des Trägersatzverbs möglich, doch kann der Konjunktiv auch zur Bezeichnung der syntagmatischen Abhängigkeit eingesetzt werden. Das ist bei dieser Verbgruppe besonders dann der Fall, wenn kein anderes Dependenzzeichen vorhanden ist. Die Zahl und die Bedeutungsvielfalt der nonfaktiven Verben ist im Vergleich zu den anderen Verbklassen sehr groß. Eine erste Einteilung ergibt sich durch die Nutzwerte des Konjunktivs selbst. Als nicht-zielgerichtete Modalität werden hier die Verbgruppen der Aussageverben und des Denkens zusammengefasst. Zielgerichtet sind die Trägersatzverben des Strebens und Wollens und der verbalen Handlungen, die sich an Handlungen einer anderen Person richten. Unter diesen Handlungen können je nach dem Grad der psychischen Anteilnahme des Sprechers die Gruppe des Befehlens/Verbietens und Bittens/Ratens/Erlaubens/Geziemens zusammengefasst werden. Ein zusätzlicher regierter Konjunktiv kann sich

dadurch ergeben, dass der Trägersatz selbst modalisiert ist (zielgerichtet/nicht-zielgerichtet, erfragt, nicht-faktiv eingebettet). In strukturalistischer Sicht ergeben logisch-semantische Beziehungen zwischen Regens und Dependens eine systematische Leerstelle in der Dependens-Konstruktion, die durch den regierten Konjunktiv ausgefüllt werden kann. In diesem Fall hat der Konjunktiv keine autonome Funktion, sondern er ist eine Folge der syntaktisch-semantischen Beziehung von Obersatz und Untersatz, steht damit in Konkurrenz zu den anderen Dependenzzeichen und kann daher bei bezeichneter Dependenz durch das modal nichtmarkierte Zeichen Indikativ ersetzt werden. Daneben kann der Konjunktiv auch in regierten Positionen autonome Funktionen wie in selbständigen Konstruktionen haben. Konjunktivsetzung und verschiedene Arten der formalen Dependenzbezeichnung stehen so in einem komplexen Funktionszusammenhang, der für die Erklärung sprachgeschichtlicher Veränderungen und Entwicklungen genutzt werden kann (vgl. Schrodt 1983; Petrova 2008). Der Verhältnissatztyp kann ebenso wie bestimmte Trägersatzverben strukturelle Leerstellen für den Konjunktiv des Nebensatzes festlegen, wobei das syntaktisch-semantische Verhältnis zum Bezugssatz von der Konjunktion und im Einzelfall auch von anderen syntaktischen Zeichen (z.B. Voranstellung des finiten Verbs) bezeichnet ist. Auch hier sind die gleichen Entwicklungslinien wie bei den Inhaltssätzen vorhanden: Ist die Funktion des Verhältnissatzes bereits zeichenhaft festgelegt, wird der Konjunktiv als Dependenzzeichen redundant und kann durch den Indikativ ersetzt werden, wodurch sich die autonome Modussetzung wiederherstellt. Richard Schrodt

→ Konjunktiv; semantisches Merkmal → Gram-Syntax: Modalität; Nebensatz; Regens

🕮 Karttunen, L. [1972] Die Logik englischer Prädikatkomplementkonstruktionen. In: Abraham, W./ Binnick, R.J. [Hg.] Generative Semantik. Frankfurt/Main ◾ Palmer, F.R. [1986] Mood and Modality. Cambridge ◾ Petrova, S. [2008] Die Interaktion von Tempus und Modus. Studien zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Konjunktivs (GBib 30). Heidelberg ◾ Schrodt, R. [1988] System und Norm in der Diachronie des deutschen Konjunktivs (LA 131). Tübingen.

647

reines Verweispronomen

reiner Infinitiv

Infinitiv, der nicht von einer Infinitivpartikel begleitet ist. ▲ pure infinitive: infinitive which appears without an infinitive particle.

Ein Teil der Infinitivkonstruktionen wird im Dt. mit dem Infinitiv gebildet, dem die Infinitivpartikel zu nicht vorausgeht. Es handelt sich dabei einerseits um die selbständige Verwendung des Infinitivs (1), andererseits um von Hilfsverben abhängige Infinitive, die konstruktionsspezifisch sowohl mit dem Infinitiv I als auch mit dem Infinitiv II stehen können. (1) Vor Gebrauch schütteln! Der reine Infinitiv I erscheint bei Modalverben (2), bei den Hilfsverben werden bzw. würde (2a), in Kausativkonstruktionen mit lassen (2b) und bei Wahrnehmungs- und Bewegungsverben (2c). (2) Er will diese Bücher ausleihen. (2a) Er wird/würde diese Bücher ausleihen. (2b) Er lässt mich diese Bücher ausleihen. (2c) Er geht diese Bücher ausleihen. Der reine Infinitiv II ist auf die Infinitivkonstruktionen mit Modalverben (3) und werden bzw. würde (3a) beschränkt. (3) Er könnte das Buch gelesen haben. (3a) Er wird/würde das Buch gelesen haben. György Scheibl

→ finaler Infinitiv; Infinitiv; Infinitivpartikel; Modalverb → Gram-Syntax: Infinitivkonstruktion

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

reiner Kasus

flexionsmorphologischer Ausdruck einer Kasuseigenschaft, die einem Nomen nicht durch eine Adposition, sondern direkt durch das übergeordnete Element zugewiesen wird. ▲ bare case: inflectional marking of a case feature that a noun is given not by an adposition, but directly by the governing element. Der reine Kasus (1) unterscheidet sich vom präpositionalen Kasus (Helbig/Buscha 2005: 255; Duden 1998: 221), der mittelbar durch eine Präposition bestimmt wird (2). (1) K. schreibt seinem Vater (2) K. schreibt an seinen Vater.

Laut Helbig (2001: 253) sind auch nicht regierte Kasus (z.B. Adverbialkasus) reine Kasus. Im Einklang mit der analytischen Tendenz bei der Angabe syntaktischer Funktionen (Glück/Sauer 1997: 54) wird der reine Kasus oft durch präpositionale Fügungen ersetzt. Da Flexionskategorien ein semantisch hoher Grad an Abstraktheit zugeschrieben wird (Paulfranz 2013: 31) und Präpositionen als konkreter angesehen werden, sollten präpositionale Fügungen im Sprachgebrauch attraktiver sein als reine Kasus (Schmidt 1973: 168). Giovanni Gobber ≡ direkter Kasus; Flexionskasus; unmittelbarer Kasus → Adposition; casus absolutus; Kasus; Präpositionalkasus → Gram-Syntax: Adverbialkasus; Attributkasus; Kasusrektion; Kasuszuweisung

🕮 Dittmer, E. [1980] Zur Geschichte des absoluten Akkusativs (Nominativs) im Deutschen. In: Dyhr, M./ Hyldgaard-Jensen, K./ Olsen, J. [Hg.] Festschrift für Gunnar Bech. Kopenhagen: 61–83 ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Glück, H./ Sauer, W.W. [1997] Gegenwartsdeutsch. 2., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Helbig, G. [2001] Grundzüge der Grammatik. In: Fleischer, W./ Helbig, G./ Lerchner, G. [Hg.] Kleine Enzyklopädie – Deutsche Sprache. Frankfurt/Main [etc.]: 218–309 ◾ Paulfranz, A. [2013] Kasusmarkierungen der Gegenwartssprache in deutschen Lokal- und Regionaltageszeitungen. Bamberg ◾ Schmidt, W. [1973] Grundfragen der deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre. 4., verb. Aufl. Berlin.

reines Verweispronomen

Pronomen mit Verweisfunktion, das vornehmlich ana­ pho­ risch auf vorausgehende Textstellen verweist. ▲ real reference pronoun: reference pronoun that refers mainly anaphorically to previously mentioned places in a text. Als reine Verweispronomina (Engel 2004: 366f.) gelten die Personalpronomina der 3. Pers. in der traditionellen Grammatik, im Dt. sind es er, sie, es. Sie verweisen anaphorisch auf eine vorausgehende (1) oder kataphorisch auf eine nachstehende Textstelle (2). (1) Da kommt Monika. Sie ist erst achtzehn. (2) Da kommt sie. Monika sieht heute sehr schön aus. Reine Verweispronomina, auch anaphorische Personalpronomina genannt, werden im System der Personalpronomina den deiktischen Prono-

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Rekombination 648 mina ich, du u.a. (Partnerpronomina) gegenübergestellt. Sie können gelegentlich deiktisch verwendet werden, wenn sie auf Außersprachliches in der Situation verweisen, oft von einer Geste begleitet. (3) Schau mal, was er tut! Aus der Perspektive der Dependenz können reine Verweispronomina andere Phrasen regieren ((4), (5)). (4) er auf der Treppe (5) sie, die alles gesehen hat Mit dem Attribut „rein“ werden reine Verweispronomina von Possessiv- und Demonstrativpronomina unterschieden, die ebenfalls verweisende Funktion haben und als Verweispron. gelten. Janusz Taborek

↔ Partnerpronomen → anaphorisches Pronomen; Personalpronomen; Pronomen; Verweisform; Verweispronomen

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2)

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

Rekombination

Wortbildungsprozess mit Konstituenten, die aus Lehnwörtern extrahiert werden. ▲ recombination: word formation process with constituents that are extracted from loan words.

R

Beim Entlehnungsprozess werden z.T. komplexe Wörter als Einheit aus anderen Sprachen übernommen. Diese können in der Nehmersprache reanalysiert werden, wobei sie in Teilkonstituenten aufgespalten werden, die sich auf der Basis wiederkehrender Muster in den entlehnten Wörtern ergeben und als Grundlage für Wortbildungen zur Verfügung stehen. Die so ermittelten Teilkonstituenten werden in der Nehmersprache zu neuen Wörtern zusammengefügt, die als Fremdwörter wahrgenommen werden. Wortbildungen dieser Art stehen in enger Beziehung zu Komposition und Derivation, lassen sich jedoch oft nicht ohne weiteres einem dieser Prozesse zuordnen. Rekombinationsglieder kommen anders als klassische Kompositionsglieder oder die Basen von Derivationsaffixen i.A. nicht frei vor. Ausnahmen wie Graph oder Ego sind selten und können mitunter wie z.B. Auto (von Automobil) oder öko (von ökologisch) auf Kürzungsprozesse zurückgeführt werden. Die Bedeutung einiger Rekombinationsglieder wie oid ['ähnlich']

oder itis ['Endzündung'] ist mit der von Wurzeln vergleichbar, während sie sich formal wie ein Suffix verhalten, da sie nicht nur positionsgebunden sind, sondern auch phonologisch mit lautlichem Material des vorangehenden Morphems zusammen silbifiziert werden. Um Klassifizierungsprobleme zu vermeiden, hat Schmidt (1987) für Wortbildungsprozesse mit Lehnkonstituenten den Begriff der Rekombination eingeführt, welcher den bereits bestehenden Begriff der Rekomposition ersetzt. Die nicht wortfähigen Einheiten (Konfixe, Affixe), die an Rekombinationsprozessen beteiligt sind, können als Kombineme bezeichnet werden. Diese können sich nicht nur miteinander, sondern auch mit morphologischen Konstituenten aus dem nativen Wortschatz (therm-isch, Wahl-o-mat) oder anderen Spendersprachen (Talk-o-manie, Hobbythek) verbinden. Bei suffixartigen konsonantisch anlautenden Kombinemen tritt in diesem Fall häufig die nicht-native Fuge -o- auf. Manuela Korth

→ Derivation; Fremdsuffix; Komposition; Konfix; Wortbildung

🕮 Eins, W. [2007] Muster und Konstituenten der Lehnwortbildung. Hildesheim [etc.] ◾ Schmidt, G.D. [1987] Vorschlag einer Modellierung der Kombinationen mit entlehnten Konstituenten. In: Hoppe, G. et al. [Hg.] Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten Wortbildungseinheiten im Deutschen. Tübingen: 25–35.

Relationaladjektiv

≡ relationales Adjektiv

relationale Bedeutung

Bestandteil der kombinatorischen Bedeutung, der die Beziehung zwischen einem Valenzträger als Repräsentanten eines Geschehens und seinen Argumenten angibt, die syntaktisch unterschiedlich realisiert werden können. ▲ case role; deep case: part of the meaning which shows the semantic relationship between a governing valence unit and its arguments, which can be realized differently syntactically. Die semantische Spezifizierung der Argumentstellen ist bei Fillmore (1968) Bestandteil der Generativen Semantik. Fillmores Konzeption einer Kasusgrammatik war zunächst als Ergänzung zu Chomskys Standardtheorie intendiert, indem die case roles bzw. deep case eingeführt wurden. Nach Fillmore (1968: 27ff.) sind Kasusrollen

649 kontextuelle, lexikalische semantische Eigenschaften von Verben, die deren Relation zu NPn definieren und syntaktische Relevanz aufweisen. Mit Hilfe dieser Tiefenkasus ist es möglich, die Kasusrahmenmerkmale, lexikalische Eigenschaften eines Verbs und damit die Umgebung eines Einzelverbs zu beschreiben. Der Kasusrahmen ordnet bestimmten Mitspielern des Sachverhalts semantisch-syntaktische Rollen zu. Die Kasusliste ist von Fillmore fortlaufend modifiziert worden, was erklärt, dass Kasus wie Source, Goal und Location (Fillmore 1971b) und/oder Source und Goal (Fillmore 1971a) entstehen oder die Rolle Dative (Fillmore 1971a) in Experiencer, Goal oder Object differenziert wird (vgl. Fillmore 2003: 466ff.). Diese Ausweitung in der Kasusanzahl hängt u.a. mit der Einsetzung von semantisch inhärenten Merkmalen des Nomens zwecks der Bestimmung der Rollen zusammen, wie aus der Beschreibung der Rollen Agens und Instrument bei Fillmore (1971a) hervorgeht: Das Merkmal 'belebt' leistet die Unterscheidung zwischen Agens (dem Auslöser oder belebten Urheber der Verbprädikation) und Instrument (der unbelebten Kraft/ dem unbelebten Objekt, die/das in der Handlung verwickelt ist). Weitere Abgrenzungen dieser Art belegt der Einbezug der Rolle Force sowie der Rollen Instrument und Agens (Dik 1978). Aus der Unsicherheit in der Zahl und in der Abgrenzung der einzelnen Kasus wird in der Fachlit. der Frage nachgegangen, ob andere Kasus oder Modifikatoren angesetzt werden sollen (Starosta 1981; von Polenz 1988; Helbig 1992; Engel 1996). Ferner ist die herrschende Tendenz heutzutage dadurch gekennzeichnet, die Zahl der semantischen Rollen auf zwei Protorollen – Protoagens und Protopatiens (Dowty 1991) – oder auf zwei Makrorollen – Actor und Undergoer (Foley/van Valin 1984) – zu beschränken. Aus der Annahme heraus, dass „alle übrigen Bedeutungsdifferenzierungen, die zu einer immer wechselnden Zahl ständig neuer Kasus, Thetarollen usw. Anlaß gaben, [...] in Wirklichkeit Elemente der inhärenten, nicht der kombinatorischen Verbbedeutung [sind]“ (Engel 1996: 232), entwickelt Engel eine Klassifikation der semantischen Relatoren. Dabei werden der Lokativ (LOC), Agentiv (AGT), Affektiv (AFF) und Klassifikativ (KLS) ausgesondert. Zu dem nicht indizierten Lokativ (Fragetest: wo, woher, wohin etc.; Ana-

relationale Bedeutung phertest: da und ihre abgeleiteten Ausdrücke) (1) kommen andere Subtypen hinzu. (1) Ich wohne in Santiago. Der LOCdir („Direktiv“) umfasst direktive Lokative, nämlich den LOCall („allativ“; durch wohin erfragbar) (2); den LOCabl („ablativ“; durch woher erfragt) (3); den LOCprt („präteritiv“; mit wodurch, woran, wobei erfragbar) (4). (2) Er fährt nach Spanien. (3) Er kommt aus Polen. (4) Das Flugzeug fliegt über Barcelona. Der Klassifikativ (durch wer oder was erfragbar und durch es oder so anaphorisierbar) gibt die Klassenzuordnung an. Der Klassifikativ kann untergliedert werden, insofern er die Ausgangsoder Zielklasse (erfragbar mit woraus o.Ä. bzw. wozu) bezeichnet ((5), (6)). (5) Das Mädchen heißt Annegret. (6) Er ist vom Saulus zum Paulus geworden. Der Agentiv, der in den Agentiv ersten, zweiten und dritten Grades zerfällt, und der Affektiv (AFF) können nach Engel (1996) als effektiv (die betreffende Größe wird durch das verbale Geschehen erschaffen oder vernichtet; Abkürzung: eff) ((7), (10)), mutativ (die betreffende Größe wird durch das verbale Geschehen irgendwie verändert; Abkürzung: mut) ((8), (11)) oder ferens (die betreffende Größe ist von dem verbalen Geschehen zwar betroffen, ohne aber weiter beeinflusst zu werden; Abkürzung: fer) ((9), (12)) subkategorisiert werden. (7) Das Buch erscheint im November. [AGTeff] (8) Die Rosen blühen auf. [AGTmut] (9) Deine Mutter denkt an dich. [AGTfer] (10) Ich zünde ein Feuer an. [AFFeff] (11) Sie streichen die Wohnung an. [AFFmut] (12) Renate bringt dir das Buch. [AFFfer] María José Domínguez Vázquez

→ § 28; Kasusrahmen; kombinatorische Bedeutung; strukturelle Bedeutung

→ Gram-Syntax: Argument; Kasusgrammatik; semantische Rolle; Valenzträger

🕮 Dik, S.C. [1978] Functional Grammar. Dordrecht ◾ ­Domínguez Vázquez, M.J. [2005] Die Präpositivergänzung im Deutschen und im Spanischen. Zur Semantik der Präpositionen. Frankfurt/Main ◾ Dowty, D.R. [1991] Thematic Proto-Roles and Argument Selection. In: Lg 67/3: 547–619 ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Engel, U. [1996] Semantische Relatoren. Ein Entwurf für künftige Valenzwörterbücher. In: Weber, N. [Hg.] Semantik, Lexikographie und Computeranwendung. Tübingen: 223–236 ◾ Fillmore, C.J. [1968] The Case for Case.

R

relationales Adjektiv 650 In: Bach, E./ Harms, R.T. [eds.] Universals in Linguistic Theory. New York, NY: 1–88 ◾ Fillmore, C.J. [1971a] Types of lexical information. In: Radden, G./ Dirven, R. [eds. 1987] Fillmore´s case grammar. A Reader. Heidelberg: 47–54 ◾ Fillmore, C.J. [1971b] Some Problems of Case Grammar. In: WPLing-C 10: 245–265 ◾ Fillmore, C.J. [1971c] Plädoyer für Kasus. In: Abraham, W. [Hg.] Kasustheorie. Frankfurt/Main: 1–118 ◾ Fillmore, C.J. [2003] Valency and Semantic Roles. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.1). Berlin [etc.]: 457–475 ◾ Foley, W.A./ Valin, R.D. van [1984] Functional Syntax and Universal Grammar. Cambridge ◾ Helbig, G. [1992] Probleme der Valenz- und Kasustheorie (KSL 51). Tübingen ◾ Polenz, P. von [1988] Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Lesens. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Starosta, S. [1981] Die '1-Pro-Sent'-Lösung. In: Pleines, J. [Hg.] Beiträge zum Stand der Kasustheorie. Tübingen: 45–147.

relationales Adjektiv

semantisch motivierte Gruppe von Adjektiven, die eine Beziehung oder Zugehörigkeit ausdrücken. ▲ relational adjective; classifying adjective: semantic class of adjective derivative which denotes a relation or connection.

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Relationale Adjektive drücken eine Beziehung zwischen ihrem nominalen Grundmorphem und dem Bezugsnomen aus (z.B. in schulische Leistung die Beziehung zwischen schul- und Leistung). Diese Adjektive gehören unterschiedlichen Bereichen an, z.B. Geographie (kontinental, asiatisch), Staat/Volk/Sprache (französich, englisch), Religion (katholisch, islamisch), Epoche (romanisch, romantisch), Beruf (ärztlich, polizeilich), Bereich (technisch, wirtschaftlich), Stoff (golden, hölzern), Zeitpunkt (heutig, gestrig), Lage (dortig, vorder-, link-) (Duden 2005: §459). Morphologisch sind diese Adjektive häufig Ableitungen aus Substantiven, generell aber nicht komparierbar, graduierbar, appositiv oder prädikativ verwendbar (*die Leistung ist schulisch, *die Leistung, schulisch wie sie einmal ist, *seine selten schulische Leistung, *die schulischste Leistung). Der Terminus wird manchmal mit dem Terminus relatives Adjektiv vermengt, so bei Helbig/Buscha (1998: 281). Elisabeth Bertol-Raffin ≡ Bezugsadjektiv; Relationaladjektiv; Zugehörigkeitsadjektiv ↔ qualifikatives Adjektiv → abgeleitetes Adjektiv; Adjektiv; Komparierbarkeit; Relationsadjektiv; relatives Adjektiv → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; prädikatives Adjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gunkel, L./ Zifonun, G. [2008] Constraints on relational-adjective noun constructions. A comparative view on English, German and French. In: ZAA 56:

283–302 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1998] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 18. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg ◾ Zifonun, G. [2011] Relationale Adjektive – ein „klassisches“ Muster im europäischen Vergleich. In: DS 2/11: 98–112.

relationales Adverb

Adverb, das sich auf die Relation zum Sprecher/ Schreiber bzw. zu Ort und Zeit des Sprechens/ Schreibens bezieht. ▲ relational adverb: adverb which expresses the relation to the speaker/writer or to the place or time of speaking/writing. Liegt der Bezugspunkt eines relationalen Adverbs beim Sprecher/Schreiber, so hat es eine deiktische Funktion (1). Wird der Bezugspunkt dagegen im Text bzw. in vorangehenden Kontexten gesetzt, können relationale Adverbien rück- oder vorverweisen und haben somit anaphorische (2) bzw. kataphorische Funktion. Deswegen werden relationale Adverbien auch phorisch-deiktische Adverbien genannt. (1) Hier [auf diesem Schreibtisch] liegt doch das Buch! (2) [...] äußerte sich der Professor zur Sendung vom 28. März. Dort waren Ergebnisse einer Studie zitiert worden, [...]. Jussara Paranhos Zitterbart

↔ absolutes Adverb → Adverb; phorisches Adverb → Gram-Syntax: Anapher (2); Deixis; Katapher

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

relationales Nomen

Nomen, dessen Referent sich in Abhängigkeit von einem Bezugsobjekt definiert. ▲ relational noun: noun that characterizes its referent in terms of a particular relation to some other object. Da das Bezugsobjekt, zu dem das relationale Nomen eine Relation etabliert, in der Regel durch eine possessive Konstruktion eingeführt wird, kann dieses Objekt als Possessor angesehen werden. Die Relation, die einem relationalen Nomen zugrunde liegt, muss nicht eins-zu-eins sein. In

651 Relativadverb einem gegebenen Äußerungskontext und für einen gegebenen Possessor kann es für ein relationales Nomen mehrere Referenten geben. Zu den relationalen Nomina gehören die meisten Verwandtschaftsbezeichnungen wie Schwester (von), Tante (von), Bezeichnungen für nicht-unikale Teile wie Bestandteil (von), Mitarbeiter (von) und viele deverbale Nomina wie Nutzer (von), Leser (von). Wegen der fehlenden Einzigkeit können relationale Nomina sowohl mit einem indefiniten als auch mit einem definiten Determinativ kombiniert werden. Ein Spezialfall der relationalen Nomina sind funktionale Nomina. Sie definieren ihren Referenten durch eine Eins-zu-eins-Zuordnung zu ihrem Bezugsobjekt. So ist Vater (von) ein funktionales Nomen, weil das Bezugsobjekt, eine Person, in diesem Fall in der Regel nur einen Vater hat. Das Nomen Nachbar (von) ist jedoch relational, aber nicht funktional, weil eine Person mehrere Nachbarn haben kann. Ljudmila Geist

→ funktionales Nomen; indefinites Determinativ; Nomen; possessives Determinativ

→ Gram-Syntax: Possessor ⇁ relational noun (Typol)

🕮 Barker, Ch. [2011] Possessives and relational nouns. In: Heusinger, K. von/ Maienborn, C./ Portner, P. [eds. 2011] Semantics (HSK 33.2). Berlin [etc.]: 1109–1130 ◾ Löbner, S. [1985] Definites. In: JSem 4: 279–326 ◾ Löbner, S. [2011] Concept types and determination. In: JSem 28: 279–333.

Relationsadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine Beziehung oder Zugehörigkeit ausdrücken. ▲ relational adjective: semantically defined subclass of adjectives which express a relation or belonging to something.

Relationsadjektive sind Ausdrücke wie betrieblich, wirtschaftlich, schulisch, technisch. Morphologisch handelt es sich hauptsächlich um desubstantivische Suffixderivate auf -lich oder -isch. Syntaktisch werden die Relationsadjektive meistens attributiv (1) oder adverbial (2) verwendet. Werden sie als qualifizierende Adjektive verwendet, so ist eine prädikative Verwendung (3) nicht ausgeschlossen. (1) Angestellte haben auch Anspruch auf betriebliche Altersvorsorge […]. (Zeit Campus, 16.11.2010: 122)

(2) Man kann betrieblich in einen Pensionsfonds zahlen […]. (SZ, 19.01.2002: 31) (3) Das wichtigste Hindernis für die Realisierung der Wüstenstrom-Vision ist nicht die Technik – die ist längst erprobt und gilt als wirtschaftlich. (SZ, 06.11.2012: 4). Jussara Paranhos Zitterbart ≡ Beziehungsadjektiv; Bezugsadjektiv; Zugehörigkeitsadjektiv → abgeleitetes Adjektiv; Herkunftsadjektiv; qualifizierendes Adjektiv; referentielles Adjektiv; relationales Adjektiv; Stoffadjektiv → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; attributives Adjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Relationskasus ≡ Genitiv

Relationsmorphem

gebundenes Morphem, das der Flexion dient. ▲ relational morpheme; inflectional morpheme: bound morpheme for inflection.

Relationsmorpheme (-st, -e) bilden zusammen mit den Formationsmorphemen (ver-, er-, -nis) die Gruppe der Affixe und stehen dann den Grundmorphemen (lern-, leb-) gegenüber in verlernst, lerne, erlebst, erlerne, Erlebnis, lebst. ≡ Flexionsmorphem → Affix; gebundenes Morphem; Grundmorphem

Hilke Elsen

🕮 Bergenholtz, H./ Mugdan, J. [1979] Einführung in die Morphologie. Stuttgart ◾ Bergenholtz, H. [1976] Zur Morphologie deutscher Substantive, Verben und Adjektive. Bonn ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Relativadverb

Adverb, das mit einem expliziten Korrelat so wie ein Relativpronomen einen Attributsatz einleiten kann, aber im Unterschied dazu und ohne Korrelat auch einen Nebensatz mit Satzgliedfunktion. ▲ relative adverb: adverb which, if an explicit correlative is present, introduces an attributive clause just like a relative pronoun, but, unlike a relative pronoun, can also be in the head position of a subordinate clause representing any clause element if a correlative is missing. Zu den Relativadverbien gehören was, wo, wohin,

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Relativartikel 652 weswegen, weshalb sowie Pronominaladverbien, in denen wo das erste Glied ist, z.B. worum, womit. Die Relativadverbien können ein explizites Korrelat (in den Beispielen unterstrichen) im übergeordneten Satz haben, oder ein ganzer Satz kann als Korrelat fungieren, z.B. bei weshalb, weswegen. Wenn ein Wort als Korrelat vorhanden ist, ist der vom Relativadverb eingeleitete Nebensatz immer attributiv ((1), (3), (4), (6), (7), (8)), sonst kann er die Funktion eines Satzglieds haben ((2), (5)). Die Relativadverbien sind manchmal mit einem Relativpron. und einer Präp. ersetzbar. (1) Ich brauche dir wohl nicht das zu erzählen, was du schon weißt? (2) Ich brauche dir wohl nicht zu erzählen, was du schon weißt? (3) München ist die Stadt, wo/ in der er sein ganzes Leben verbrachte. (4) München, wo er sein ganzes Leben verbrachte. (5) Wir halten und steigen aus, wo wir einen schönen Platz finden. (6) Wir halten und steigen dort aus, wo wir einen schönen Platz finden. (7) München ist die Stadt, wohin/ in die wir demnächst fahren wollen. (8) Eben das ist es, worum/ um das es geht. (9) Er war krank, weswegen/ weshalb / aus welchem Grunde er nicht in die Schule gehen konnte.

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Kjell-Åke Forsgren ≡ relativisches Pronominaladverb; Relativpartikel → Positionsrelativ; Präpositionaladverb; Pro-Adverb; Pronominaladverb; Relativpronomen → Gram-Syntax: Attributsatz; Satzglied

🕮 Duden [1984] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Relativartikel

possessives Relativpronomen im Genitiv. ▲ relative article: possessive relative pronoun in genitive case. Als Relativartikel gelten für Weinrich (1993: 780) die Genitivformen dessen (Maskulinum/Sg. und Neutrum/Sg.) und deren (Femininum/Sg. und genusneutral/Pl.). (1) Das Kind, dessen Eltern miteinander verheiratet sind, erhält den Familennamen des Vaters.

(2) Der Schiedsrichter entscheidet gegen die Mannschaft, deren Spieler den Ball zuletzt berührt hat. Zu unterscheiden sind Relativartikel von Relativpronomina im Genitiv, die in der syntaktischen Funktion des Objekts vorkommen. Der Relativartikel ist hingegen kein Objekt. (3) Die Opfer, derer wir gedenken, brauchen unsere Ehrung nicht. Relativartikel gehören semantisch zu den Possessivpronomina, weshalb sie auch als possessive Relativpronomina (Helbig/Buscha 2005: 597) bezeichnet werden. Janusz Taborek ≡ possessives Relativpronomen → Artikel; Possessivpronomen; Relativpronomen

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

relative Komparation ≡ relativer Komparativ

relativer Komparativ

Komparationsform bei relativen Adjektiven, die im Gegensatz zur absoluten Komparation den quantifizierenden Vergleich mittels einer oder mehrerer Vergleichsgrößen bei lexikalischer Bedeutungsidentität von Positiv und Komparativ erlaubt. ▲ relative comparative: comparison of relative adjectives in contrast to absolute comparison with one or more external comparandums, with identity of the adjective's lexical meaning of positive and comparative. Der Vergleich kann sowohl positivisch und nicht skalierend durch Äquationsphrasen (A ist genauso groß wie B) als auch skalierend durch die grammatische Steigerung erfolgen, d.h. durch relative Vergleichskomparation als relativer Komparativ und relativer Superlativ bei lexikalischer Bedeutungsidentität mit dem Positiv (vgl. Trost 2006: 31–90). Der relative Komparativ und der relative Superlativ liefern eine Vergleichsskala für Vergleichsgrößen, denen die Eigenschaft des Positivs in der wechselseitigen Kontrastierung in unterschiedlichem, linear anwachsendem Grad nach der Bewertungs- und Vergleichskompetenz des Vergleichenden zukommt. Dies verdeutlichen die Relationen der Antonymenpaare bei

653 der relativen bzw. absoluten Komparation primär relativer Adjektive: So ist das größere Haus unter drei großen Häusern in Straße A [relative Komparation] größer als die beiden anderen großen Häuser und alle drei Häuser in Straße A sind groß; dagegen ist das größere Haus unter drei kleinen Häusern in Straße B [absolute Komparation] zwar ebenso größer als die beiden anderen kleinen Häuser, aber alle drei Häuser und damit auch das größere Haus der drei kleinen Häuser sind nicht groß. Diese Beispiele zeigen, dass allein bei der relativen Vergleichskomparation und im Gegensatz zur absoluten Komparation eine lexikalische Bedeutungsidentität zwischen Positiv, Komparativ und Superlativ vorliegt. Die lexikalische Identität von Positiv, Komparativ und Superlativ in der relativen Komparation bestätigt deren grammatischen Status. Dieser grammatische Status der relativen Komparation bleibt auch bei einer elidierten, aber aus dem Kontext erschließbaren Vergleichsgröße bewahrt: Hanna sucht ein größeres Haus (als sie bisher hatte). Der Kontext muss dann auch Auskunft darüber geben, ob das bisherige Haus ebenfalls groß oder klein war. In dem Satz Hanna sucht ein größeres Haus ohne erschließbare Vergleichsgröße wird das relative Adj. groß in den absoluten Komparativ überführt. Durch den Wegfall des Bezugs zu einem Positiv, sei es nun der lexikalisch identische Positiv groß oder der lexikalisch antonyme Positiv klein, wird der Weg zu einer lexikalischen Modifikation des absoluten Komparativs eröffnet: Hanna sucht ein größeres Haus = Hanna sucht ein Haus, das nicht mehr klein ist, aber auch noch nicht richtig groß, wie es dem Positiv groß entspräche. Wenn es sich nämlich um ein (richtig) großes Haus handelte, dann müsste der Sprecher auch den Positiv groß verwenden, also Hanna sucht ein großes Haus. Mit der Verwendung des absoluten Komparativs erreicht der Sprecher eine deminuierende lexikalische Modifikation des Positivs groß (Steigerungsinversion). In Analogie hierzu ist auch bei urspr. absoluten Adjektiven eine relative Komparation mit Bedeutungsidentität über alle Steigerungsstufen hinweg möglich, vgl. Die Geschäfte waren gestern schon leer, aber heute sind sie noch leerer als gestern mit der Sekundärbedeutung leer (2) = fast ohne einen Menschen, d.h. schlecht

relatives Adjektiv besucht anstelle der Primärbedeutung leer (1) = nicht gefüllt, d.h. ohne einen Menschen. Igor Trost ≡ relative Komparation ↔ absoluter Komparativ → Komparation; Komparativ; Komparierbarkeit; relatives Adjektiv; Steigerungsinversion

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Gvozdanović, J. [2001] Vergleichen und Einordnen. Graduierung im Slavischen. In: Jachnow, H. [Hg.] Quantität und Graduierung in den slavischen Sprachen. Wiesbaden: 559–573 ◾ Tafel, K. [2001] Zum Wesen von Graduierung und deren Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft. In: Jachnow, H./ Norman, B./ Suprun, A.E. [Hg.] Quantität und Graduierung als kognitiv-semantische Kategorien. Wiesbaden: 20–38 ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

relatives Adjektiv

Adjektiv, das syntaktisch in Bezug auf die Valenz zumindest eine Ergänzung fordert oder das semantisch Eigenschaften wiedergibt, die auf einem Vergleich beruhen. ▲ relative adjective: adjective which, syntactically, governs at least one complement in fulfilment of its valency requirement or, semantically, whose meaning denotes a comparable quality.

Der Terminus relatives Adjektiv wird analog zu den Verben teils syntaktisch, teils semantisch verwendet. (a) In syntaktischer Bedeutung sind relative Adjektive im Gegensatz zu den absoluten solche, die einen Kasus regieren, d.h., die zumindest eine, selten auch zwei Ergänzungen haben (Duden 1998: §455). Diese Adjektive haben somit Valenz, was in prädikativer Verwendung deutlich wird ((1)–(3)). (1) Susanne[Subjekt] ist klug. (2) Heute ist es[Scheinsubjekt] kalt. (3) Mir[Dativobjekt] ist kalt. Zwei- und dreiwertige Adjektive liegen dann vor, wenn außer dem Subjekt noch weitere Ergänzungen gefordert werden ((4)–(5)). (4) Ich[Subjekt] bin jemandem[Dativobjekt] behilflich. (5) Sie[Subjekt] war ihrem Bruder[Dativobjekt] im Turnen[Präpositionalobjekt] überlegen. Nullwertige Adjektive sind sehr selten, wie z.B. im Nebensatz in (6). (6) Die Kinder spielen vergnügt, weil schulfrei ist. Bei attributiver Verwendung wird die Valenz in die NP mitgenommen, wobei das jeweilige

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relatives Pronomen 654 Bezugssubst. dem Subjekt entspricht ((7)–(8)) (Duden 2005: §  486; Hentschel/Weydt 2003: 217–220). (7) Die Schachtel[Subjekt] ist rund. (7a) → die runde Schachtel (8) Die Lehrerin[Subjekt] war mit den Leistungen[Präpositionalobjekt] zufrieden. (8a) → die mit den Leistungen zufriedene Lehrerin Im semantischen Sinn sind Adjektive wie hoch, lang, dünn, eng, jung gemeint, deren Bedeutung vom Denotat des Objekts abhängt, auf das sie sich beziehen, mit implizitem Vergleich mit Objekten der gleichen Art. Die Feststellung der Turm ist hoch besagt, dass der in Rede stehende Turm im Vergleich mit anderen Türmen relativ hoch ist (Eisenberg 2006: 236; Hentschel/Weydt 2003: 201f.). Elisabeth Bertol-Raffin

↔ absolutes Adjektiv → Adjektiv; Adjektivglied; dimensionales Adjektiv; relationales Adjektiv; relativer Komparativ

⇀ relatives Adjektiv (Wobi)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

relatives Pronomen

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≡ Relativpronomen

relativisches Pronominaladverb ≡ Relativadverb

Relativpartikel ≡ Relativadverb

Relativpronomen

Pronomen, das sich auf eine meist unmittelbar vorausgehende Nominalphrase bzw. einen Satz bezieht. ▲ relative pronoun: pronoun that refers to a preceding noun phrase or clause. Das Relativpron. ist immer transphrastisch, d.h., es überschreitet die Teilsatzgrenze und korrespondiert mit seinem Bezugselement hinsichtlich Genus und Numerus. Der Kasus des Relativpron.

hängt von der Struktur des Satzes ab, den das Pron. einleitet. (1) Das Spiel, das alle zufrieden stellt, wird es nicht geben. Das Relativpron. das in (1) übernimmt von der Phrase das Spiel die Werte der Kategorien Genus (hier: Neutrum) und Numerus (hier: Sg.) und steht im Nominativ als grammatisches Subjekt des Prädikats zufrieden stellen im attributiven Relativsatz. Das Inventar der dt. Relativpronomina umfasst die sich aus den Demonstrativpronomina entwickelten Formen der, die, das und die Interrogativpronomina welcher, wer und was. Formal gesehen bilden Relativpronomina also keine homogene Gruppe. Funktional lassen sich Relativpronomina i.w.S. in substantivisch gebrauchte relative Pronomina i.e.S. (2), die in einigen Grammatiken (z.B. Engel 2004: 370) als die einzigen Relativpronomina betrachtet werden, und adjektivisch gebrauchte relative Artikelwörter (3) einteilen. (2) Der Mann, der die Tiere liebte. (3) Der Mann, von dessen Einfluss viel abhängt. Die Relativpronomina der und welcher leiten attributive Relativsätze (4), die Pronomina wer und was sog. freie Relativsätze (5) und das Pron. was sog. weiterführende w-Relativsätze bzw. Nebensätze (6) ein. Die letzten zwei Gruppen werden nicht immer zu den Relativsätzen gezählt, weil freie Relativsätze kein Bezugselement und weiterführende Relativsätze den ganzen Satz als Bezugselement haben. (4) Hunde, die bellen, beißen nicht. (5) Wer wagt, gewinnt. (6) Monika hat das Spiel gewonnen, was mich freut. Im Engl. ist die Realisierung des Relativpron. von seiner syntaktischen Funktion in dem attributiven Relativsatz abhängig. Wenn das Relativpron. in der Objektfunktion vorkommt (7a), wird es in der Regel ausgelassen (7). (7) I cannot do my duty without the woman I love. (7a) I cannot do my duty without the woman whom I love.

Janusz Taborek ≡ Beziehungsfürwort; Beziehungspronomen; bezügliches Fürwort; relatives Pronomen; Relativum → Horizontrelativ; Interrogativadverb; Pronomen; Relativ­ adverb; Relativartikel; w-Determinativ

655

→ Gram-Syntax: freier Relativsatz; Relativsatz; weiterführender Relativsatz ⇀ Relativpronomen (HistSprw; CG-Dt) ⇁ relative pronoun (Typol)

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Schwartz, L. [2000] Pronoun and article. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 783–794 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Relativpronomen, possessives → Relativartikel

Relativum

≡ Relativpronomen

Responsivpartikel ≡ Antwortpartikel

Restriktivadverb

Adverb, das semantisch einschränkend auf ein anderes Wort oder einen anderen Satz wirkt. ▲ restrictive adverb: adverb with a semantically limiting effect on another word or clause. Restriktivadverbien bilden eine Subkategorie der Fokusadverbien. Der Terminus restriktiv ist in der Grammatik auf alle Wörter oder Sätze anwendbar, die eine inhaltliche Einschränkung eines anderen Wortes oder Satzes bewirken. Dies trifft z.B. für attributive Adjektive (1), für Relativsätze (2) und für Subjunktionen (3) zu. (1) nur rote Äpfel (2) Mir gefallen nur Äpfel, die nicht zu reif sind. (3) Das Konzert war nur insofern ein Erfolg, als es dem jüngeren Teil des Publikums sehr gut gefiel. So beschränkt in (1) das Adj. rot die Eigenschaften des Apfels in Bezug auf seine Farbe. Er ist nicht grün oder gelb, sondern eben rot. Der Geschmack des Sprechers in (2) wird auf ähnliche Weise in Bezug auf die Reife der Äpfel beschränkt. In (3) ist die Aussage im übergeordneten Satz insofern beschränkt, als das Konzert nur von einem Teil des Publikums als Erfolg aufgefasst wird. Insofern kann ferner in der Hinsicht als eine Konjunktion betrachtet werden, dass es zusammen mit der Konjunktion als eine verbindende Funktion erfüllt. Andrerseits kann es auch in (3) als Adverb verstanden und wie der untergeordnete Satz, auf den es sich auch bezieht, als adverbial betrachtet

restriktive Konjunktion werden. In (4) wird das Verhältnis noch deutlicher: (4) Das Konzert gefiel dem jüngeren Teil des Publikums sehr gut. Insofern/ Nur (in)sofern [In dieser Hinsicht] kann es als ein Erfolg betrachtet werden. In allen vier Beispielen kann die Restriktivität durch das Adverb nur verstärkt oder bestätigt werden. Das Wort nur (1) ist dabei selbst attributiv in Bezug auf rot und demnach ebenfalls re­striktiv. Restriktiv ist ferner auch das Adverb dort in (5). (5) Der Mann dort [und kein anderer] ist mein Vater. Daraus ergibt sich, dass attributiv verwendete Adverbien ebenso wie andere attributiv verwendete Einheiten einschränkend wirken können. Einige Adverbien werden auch auf Grund ihrer spezifischen lexikalischen Bedeutung häufiger restriktiv verwendet, z.B. allein, allerdings, höchstens, lediglich, mindestens, nur, soweit, wenigstens, und in etwas weiterem Sinne, weil sie als Adj. fungieren können, auch ausschließlich, bloß, einzig. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; Fokusadverb; Fokuspartikel; restriktive Konjunktion; restriktive Partikel

🕮 Kürschner, W. [2005] Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe. 5., durchges. Aufl. (UTB 1526). Tübingen [etc.].

restriktive Konjunktion

Konjunktion, die eine angegebene Handlung einschränkt. ▲ restrictive conjunction: conjunction that expresses a restriction over an action. Die restriktiven Konjunktionen schränken den Sachverhalt des vorangehenden Hauptsatzes ein (Helbig/Buscha 2001: 640). Das restriktive Verhältnis steht dem adversativen und konzessiven sehr nah. Die Vielfalt an subordinierenden restriktiven Konjunktionen ((1) bis (6)) ist im Vergleich zu den koordinierenden groß (7). (1) Sie hatte alles verstanden, außer dass sie zu Hause bleiben sollte. (2) Er hat gute Chancen auf die Arbeitsstelle, außer wenn er sich nicht im Bewerbungsgespräch anstrengt. (3) Sie verlässt das Haus nie, außer um einzukaufen.

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restriktive Partikel 656 (4) Er hatte eine wunderbare Aussprache, nur dass ihm oft die Worte fehlten. (5) Soviel ich weiß, kommt er am Montag zu Besuch. (6) Sie wird die Stelle nicht annehmen, soweit ich es verstanden habe. (7) Sie werden am Mittwoch nicht kommen können, aber am Donnerstag.

Javier Martos

→ adversative Konjunktion; Konjunktion; konzessiver Subjunktor; restriktiver Subjunktor

→ Gram-Syntax: Konzessivangabe; Sachverhalt

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1994] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 16. Aufl. Leipzig [etc.].

restriktive Partikel

zur Gruppe der Fokuspartikeln gehörendes Lexem mit der semantischen Eigenschaft, Alternativen zum Ausdruck in seinem Skopus auszuschließen. ▲ restrictive particle: lexeme belonging to the focus particles with the semantic property of excluding alternatives to the expression in its scope.

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Restriktive Partikeln (allein, ausschließlich, bloß, einzig, erst, lediglich, nur u.v.a.; engl. alone, only u.a.) bilden eine semantisch definierbare Klasse innerhalb der Fokuspartikeln, deren generelle syntaktische Eigenschaften sie weitgehend teilen: Sie können in verschiedenen Positionen im Satz auftreten, bilden zusammen mit ihrem Skopus eine syntaktische Konstituente und sind an sich nicht erfragbar. Zusammen mit ihrem Skopus, der je nach Stellung im Satz erheblich variieren kann und durch Akzentuierung (in (1) und (2) durch Versalien markiert) hervorgehoben ist, bilden sie den Fokus des Satzes. (1) Nur PETER hat gestern Wodka getrunken. (2) Peter hat gestern nur WODKA getrunken. Die grundlegende semantische Leistung der restriktiven Partikeln besteht darin, dass sie den Bezugsausdruck in ihrem Skopus einer größeren Menge zuordnen, deren Elemente mit dem Skopusausdruck zwar typengleich, jedoch nicht identisch sind. Gleichzeitig zeigen restriktive Partikeln aber auch an, dass ihr Skopus das einzige Element dieser Menge bildet, auf das die Proposition des Satzes zutrifft. In (1) ordnet somit die restriktive Partikel nur das in ihrem Skopus stehende Bezugselement Peter einer größeren Gruppe

von Personen zu, unter denen es aber ausschließlich für Peter gilt, dass er gestern Wodka getrunken hat. ≡ exklusive Partikel ↔ additive Partikel → Fokuspartikel; Partikel; Restriktivadverb → Gram-Syntax: Proposition

Péter Maitz

🕮 Zifonun, G. et al [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

restriktive Subjunktion ≡ restriktiver Subjunktor

restriktiver Konjunktiv ≡ Konjunktiv II

restriktiver Konjunktor

Konjunktor, der die Gültigkeit der Aussage im anderen Teilsatz einschränkt. ▲ restrictive conjunctor: conjunctor that restricts the validity of the proposition of the other clause. Restriktive Konjunktoren verbinden koordinierte Teilsätze und schränken die Gültigkeit des anderen, in der Regel vorausgehenden Teilsatzes ein. (1) Sie spielt gut Fußball, nur ist sie ständig verletzt. Auch das sog. „Planvereitelungs-aber“ (Breindl et al. 2014: 527) und ähnliche Konjunktoren, die ein Hindernis für das Erreichen eines im vorangehenden Hauptsatz genannten Ziels anführen, zählen zu den restriktiven Konjunktoren ((2), (3)). (2) Ich habe versucht zu kochen, aber ich bin einfach untalentiert. (3) Wir wollten umziehen, doch die städtische Wohnungslage verbietet es uns. Melitta Gillmann

→ adversativer Konjunktor; adversativer Subjunktor; konditionaler Subjunktor; Restriktivadverb; restriktive Konjunktion; restriktive Partikel → Gram-Syntax: Hauptsatz; Restriktivsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.].

restriktiver Subjunktor

Subjunktor, der einen abhängigen Restriktivsatz in den Obersatz integriert. ▲ restrictive subjunctor: subjunctor whose function

657

resultatives Adjektiv

is to integrate a restrictive clause into the main sentence. Restriktive Subjunktoren bilden Nebensätze, die eine Einschränkung in Bezug auf den Obersatz einbringen. Dies kann nach Helbig/Buscha (2007) im Dt. durch eine subjektive Stellungnahme mit soviel oder soweit erfolgen (1) oder durch den Anschluss des Nichtgeltungsbereichs (außer dass, außer wenn u.a.), (2). (1) Soviel ich weiß, gilt der Einbau von Wasseruhren als Modernisierung. (2) Es war nichts Außergewöhnliches dabei, außer dass es im ersten Stock des Elysée stattgefunden hat. (Tagesspiegel, 2.2.2008) Christine Römer ≡ restriktive Subjunktion → Konnektor; restriktive Konjunktion; restriktiver Konjunktor; Subjunktor 🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin.

restriktives Adjektiv

Adjektiv als Attribut, das den Referenzbereich des Bezugsnomens einschränkt. ▲ restrictive adjective: attributive adjective which limits the scope of the referent of the noun it modifies. Das restriktive Adjektiv schränkt das Denotat des Bezugsnomens ein, z.B., wenn sich Fuß in mein rechter Fuß nur auf einen von zwei Füßen beziehen kann. Das restriktive Adjektiv steht im Gegensatz zum nicht-restriktiven Adj., z.B. in meine liebe Mutter, wo keine Einschränkung des Referenzbereichs von Mutter bewirkt wird. Eine restriktive Adjektivphrase bezieht sich auf bzw. hat Skopus über die gesamte rechts von ihr stehende NP, wobei neue zunächst Skopus über Hunderteuroschein in [der [falsche [[neue Hunderteuroschein]]]] hat, so dass nur die neuen unter den Hunderteuroscheinen gemeint sind. Dann hat falsche Skopus über [neue Hunderteuroschein], so dass unter den neuen Hunderteuroscheinen nur jene gemeint sind, die auch falsch sind (Zifonun et al. 1997: 1991–1997). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv → Gram-Syntax: Attribut; attributives Adjektiv; Referenz; Skopus

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

resultative Aktionsart

Phasenaktionsart, die das Resultat und Ende eines Vorgangs akzentuiert. ▲ resultative aktionsart: phasal lexical aspect emphasising the result and outcome of a process. Die resultative Aktionsart zeigt die Vollendung eines Vorgangs an, z.B. einen Steinpilz finden. Neben einigen präfixlosen Verben (finden, sterben) sind die meisten Resultativa im Dt. Präfixbildungen (z.B. mit ver- oder er-: verblühen, verglühen, vergraben, erarbeiten). Bei den resultativen Verben wird oftmals das Ergebnis eines Vorgangs in die Bedeutung mit eingeschlossen, wie das restlose Aufbrauchen oder Beseitigen von etwas (z.B. aufessen, verbrennen) (Fleischer/Barz 1992: 325).

→ Aktionsart; inchoative Aktionsart → Gram-Syntax: Aspekt

Christine Römer

🕮 Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen.

resultatives Adjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die als Verbkomplement auftreten und dabei das Ergebnis der Handlung ausdrücken. ▲ resultative adjective: semantically defined subclass of adjectives which indicate, as a verb complement, the resulting state of the action taken. Ein resultatives Adj. ist der nominale Bestandteil einer resultativen Konstruktion wie sauber in sauber machen, der das Resultat der Handlung ausdrückt. Syntaktisch erfüllt das Adj. eine prädikative Funktion. (1) Ausgerüstet mit Greifzange, Handschuhen und Müllsäcken haben gestern beinahe 100 Kinder und Jugendliche ihren Stadtteil sauber gemacht: […]. (Braunschweiger Zeitung, 15.09.2007) (2) Die Watzumer Linden sind gefällt worden. Es sind Nachrichten wie diese, die mich traurig stimmen. (Braunschweiger Zeitung, 07.04.2010) Weitere Beispiele für Adjektive in resultativen Konstruktionen sind etwa glatt in glatt machen,

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resultatives Futur II 658 leer in leer trinken/essen, frisch in frisch halten oder gesund in gesund pflegen. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adjektiv; resultative Aktionsart → Gram-Syntax: freies Prädikativ; Objektsprädikativ

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

resultatives Futur II

Bedeutungsvariante des Futurs II, in welcher es zur Bezeichnung eines vermuteten Geschehens in der Vergangenheit mit resultativem Charakter gebraucht wird. ▲ resultative use of the future perfect tense: meaning of the future perfect in which it is used to denote some assumed event in the past with resultative character. Das resultative Futur II unterscheidet sich vom Vergangenheitsfutur durch das Verhältnis des Pa­ rameters Orientierungs-(Evaluations-)Zeit. Beim resultativen Futur II ist die Orientierungszeit mit der Sprechzeit identisch und beide liegen nach der Ereigniszeit (1). (1) Na, wegen irgendwas werden sie dich doch ver­donnert haben. Zum Sprechzeitpunkt, der auch als Orientierungszeitpunkt dient, gilt, dass man sich im Zustand verdonnert sein befindet. Nicht die Handlung an sich ist von Bedeutung, sondern das Resultat.

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Kateryna Panchenko → Futur II; Perfekt; Resultatsplusquamperfekt; Vergangenheits-Futur II

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ ­Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Resultatsperfekt

Bedeutungsvariante des Präsensperfekts, in der die spezifische Evaluationszeit und die spezifischen Konnotationen des Präsensperfekts enthalten sind. ▲ present perfect of result: present perfect in a meaning variant that contains the particular time of evaluation and the particular connotations of the present perfect. Der Terminus wird u.a. bei Helbig/Buscha (2001)

mit der Absicht verwendet, drei diskrete Bedeutungsvarianten des Präsensperf. zu unterscheiden. Resultatsperfekt ist die Vergangenheitsform, die mit der für das Präsensperf. in der Standardsprache typischen sekundären Evaluationszeit (Betrachtzeit) versehen ist. Das ist eine sekundäre Evaluationszeit, die sich mit der primären Evaluationszeit (der Sprechzeit) überlappt. Aus dieser sekundären Evaluationszeit resultieren die spezifischen aspektualen Perfekt-Konnotationen wie 'Resultatcharakter', 'Abgeschlossenheit' und 'Gegenwartsrelevanz' (1). Von dieser Bedeutungsvariante unterscheiden Helbig/Buscha (2001) ein Vergangenheits-Perfekt (2). Das ist ein Perf., das einfach nur 'Vergangenheit' bedeutet, also ein Perf. ohne die Evaluationszeit und ohne die Perfekt-Konnotationen, die für das Präsensperf. in der Standardsprache typisch sind, und schließlich das Präsensperf. in Zukunftsbedeutung, bei Helbig/Buscha (2001) Zukunfts-Perfekt genannt (3). (1) Wim ist erst vor einer halben Stunde eingeschlafen. (2) Wir kamen um 12 Uhr mittags an. Wir haben gegessen und dann haben wir eine erste Skiwanderung durch das tief verschneite Lappland gemacht. (3) In einer Woche bin ich schon wieder den ersten Tag in der Uni gewesen. Klaus Welke

→ Perfekt; Präsensperfekt; resultatives Futur II; Resultatsplusquamperfekt

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Resultatsplusquamperfekt

Bedeutungsvariante des Plusquamperfekts, die sich nicht mit der Bedeutungsvariante 'Vorvergangenheit' des Plusquamperfekts deckt. ▲ pluperfect of result: meaning variant of the past perfect that is different from the meaning 'time before past time'. In der von ihnen als Resultatsplusquamperfekt bezeichneten Variante des Plq.perf. betrachten Helbig/Buscha (2001) das Plq.perf. als synonym zur Default-Bedeutung des Präsensperf. in der Standardsprache mit der für das Präsensperf. typischen, sich mit der primären Evaluationszeit

659

rezessives Verb

überlappenden sekundären Evaluationszeit. Die Bezeichnung kommt dadurch zustande, dass sie diese Variante des Präsensperf. Resultastperfekt nennen. Als Beispiele finden sich bei Helbig/Bu­ scha (2001): (1) Er hatte (gestern) seine Mütze verloren. (2) Vorige Woche hatte er ihn im Krankenhaus besucht. Es handelt sich jedoch nicht in gleicher Weise wie beim Perf. um ein Resultat. Eher geht es um eine Konnotation des Plq.perf., die man als ‚tiefe Vergangenheit‘ umschreiben kann. Diese kann, muss aber nicht zustande kommen, wenn dem Plq.perf. aus dem Kontext keine sekundäre Evaluationszeit zugewiesen werden kann. Als Reminiszenz aus der typischerweise beim Plq.perf. anzulegenden sekundären Evaluationszeit kann dann der subjektive Eindruck einer ‚tiefen Vergangenheit‘, d.h. eine subjektiv empfundene, weit zurück liegende Situationszeit (Ereigniszeit) entstehen. In (1) und bei isolierter Mitteilung kann ein Hörer/Leser das Plq.perf. aber auch nur einfach als einen Vergangenheitsausdruck ohne sekundäre Evaluationszeit und ohne Konnotation deuten. Klaus Welke

→ Perfekt; Plusquamperfekt; Präsensperfekt; resultatives Futur II; Resultatsperfekt

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

resumptives Pronomen

anaphorisches Pronomen, das ein vorausgehendes Bezugsnomen wieder aufnimmt. ▲ resumptive pronoun: anaphoric pronoun referring back to a head noun phrase. Als resumptives Pron. wird in erster Linie ein Personalpron. bezeichnet, das in einem Relativsatz die syntaktische Rolle des Bezugsnomens pronominal wieder aufnimmt. Der Gebrauch eines resumptiven Pron. in dieser Funktion ist in manchen Sprachen und Varietäten, die nicht oder nur eingeschränkt über flektierende Relativpronomina verfügen, eine Strategie zur Relativsatzbildung. So erscheint z.B. im Jidd. in einem von dem nicht-flektierbaren Komplementierer vos eingeleiteten Relativsatz fakultativ ein resumptives Pron., das die syntaktische Funktion Subjekt anzeigt: a yidene, vos zi /∅ hot geheysn

Yente ['eine Hexe, die Yenta hieß'] (Jacobs et al. 1994: 416). Resumptive Personalpronomina in dieser Funktion kommen im Diasystem des Dt. nur im Alem. vor, wobei ihr Gebrauch für die Relationen Subjekt und direktes Objekt ausgeschlossen ist (vgl. Fleischer 2004). In übereinzelsprachlicher Perspektive folgt die Distribution von resumptiven Pronomina in Relativsätzen der von Keenan/Comrie (1977) postulierten accessibility hierarchy. Werden in einer Sprache oder Varietät resumptive Pronomina in der Funktion des Subjekts verwendet (wie im Jidd.), kommen sie auch in der Funktion des direkten und indirekten Objekts vor; kommen sie nicht in der Funktion des direkten Objekts vor, können sie auch nicht in der Funktion des Subjekts erscheinen (wie im Alem.). In der GG wird ein resumptives Pron. als ein Personalpron. analysiert, das in der Position einer Variable erscheint, wobei die Variable von einer wh-Phrase gebunden ist. Selten wird auch das Pron. es, das bei einem nach links herausgestellten Komplementsatz die entsprechende Argumentstelle im Matrixsatz besetzt, als resumptives Pron. bezeichnet. In ähnlichem Zusammenhang wird das Demonstrativpron., das bei einem Spaltsatz (Dem Karl, dem glaubt sie) oder einem freien Relativsatz (Wer das tut, dem glaubt sie) die nach links herausgestellte Konstituente wieder aufnimmt, als resumptiv verwendete Einheit bezeichnet (vgl. Eisenberg 2006).

→ anaphorisches Pronomen; Pronomen

Agnes Kolmer

→ Gram-Syntax: Relativsatz ⇁ resumptive pronoun (Typol)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik.

Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, J. [2004] Zur Typologie der Relativsätze in den Dialekten des

Deutschen. In: Patocka, F./ Wiesinger, P. [Hg.] Morphologie und

Syntax deutscher Dialekte und historische Dialektologie des Deutschen. Wien: 60–83 ◾ Jacobs, N.G./ Prince, E.F./ Auwera,

J. van der [1994] Yiddish. In: König, E./ Auwera, J. van der [eds.] The Germanic Languages. London [etc.]: 388–419 ◾ Keenan, E.L./ Comrie, B. [1977] Noun phrase accessibility and universal

grammar. In: LingInqu 8/1: 63–99 ◾ Sells, P. [1987] Binding resumptive pronouns. In: LingPhil 10/3: 261–298.

rezessives Verb ≡ ergatives Verb

R

Rezessivum 660

Rezessivum

≡ ergatives Verb

reziprok gebrauchtes Verb ≡ reziprokes Verb

reziprokes Pronomen ≡ Reziprokpronomen

reziprokes Verb

Verb, das einen wechselseitigen Bezug von Subjekt und Objekt ausdrückt. ▲ reciprocal verb: verb that indicates that an action is performed mutually between subject and object.

R

Im Dt. werden unterschieden (a) reziproke Verben i.e.S. (auch: reziproka tantum), die in der Grundbedeutung schon reziprok sind und meistens mit pluralischem Subjekt auftreten (z.B. sich anfreunden, sich einigen). Diesen Verben stehen reflexive Varianten mit Präpositionalobjekt zur Seite ((1) vs. (2)); (b) teilreziproke bzw. reziprok gebrauchte Verben, die nicht von der Grundbedeutung her reziprok sind (z.B. sich[Dativ] helfen, sich[Akkusativ] kämmen) (3). (1) Anja und Katja haben sich angefreundet. (2) Anja hat sich mit Katja angefreundet. (3) Anja und Katja helfen sich. In (3) gibt es eine reziproke (3a) und eine reflexive (3b) Lesart. (3a) Anja hilft Katja, (und) Katja hilft Anja. (3b) Anja hilft sich selbst, (und) Katja hilft sich selbst. Im Dt. und in mehreren anderen Sprachen werden zum Ausdruck des reziproken Verhältnisses das Reflexivpron. (z.B. dt. sich, frz. se, poln. się), das Reflexivpron. mit Adj. (dt. sich gegenseitig) bzw. Adverb (poln. się nawzajem) oder das Reziprokpron. (dt. einander, engl. one another, each other; unveränderlich nach Kasus und Numerus) verwendet. Edyta Błachut ≡ reziprok gebrauchtes Verb; Reziprokverb; wechselbezügliches Verb → reflexives Verb; Reflexivpronomen; Reziprokpronomen; teilreziprokes Verb → Gram-Syntax: Reziprokanapher; reziproke Reflexivität

🕮 Baldi, P. [1975] Reciprocal verbs and symmetric predicates. In: LB 36: 13–20 ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim

[etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein

Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Starke, G. [1993] Was sich neckt, das liebt sich. Eine Studie zur

Reziprozität im heutigen Deutsch. In: Mutterspr 102: 230–237 ◾

Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim.

Reziprokpronomen

Pronomen, das eine wechselseitige Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zum Ausdruck bringt. ▲ reciprocal pronoun: pronoun that indicates a mutual relationship between subject and object. Das Reziprokpronomen, in der traditionellen Grammatik auch wechselbezügliches Fürwort genannt, kann anstelle des Reflexivums gebraucht werden, das in einer reziproken Verwendung ambig ist. (1) Peter und Anna kämmen sich. (2) Peter und Anna kämmen einander. In (1) sind zwei Lesarten möglich: (1a) oder (1b). (1a) Peter kämmt sich. Anna kämmt sich. (1b) Peter kämmt Anna. Anna kämmt Peter. In (2) liegt diese Ambiguität hingegen nicht vor, weil das Reziprokpron. einander auf die Wechsel­ seitig­ keit der Handlung hinweist und nur die zweite Interpretation zulässt. Die Reziprozität kann im Dt. durch das Hinzufügen von gegenseitig zum Reflexivpron. ausgedrückt werden (3). Das Reziprokpron. ist nur eines der sprachlichen Mittel, um die Reziprozität auszudrücken. (3) Peter und Anna kämmen sich gegenseitig. In der Rektions- und Bindungstheorie stellt das Reziprokpron. eine gebundene Anapher dar, die von ihrem Antezedens gebunden und c-kommandiert wird. Janusz Taborek

≡ reziprokes Pronomen; wechselbezügliches Pronomen

→ Pronomen; Reflexivpronomen; reziprokes Verb → Gram-Syntax: Objekt; Subjekt ⇀ Reziprokpronomen (CG-Dt) ⇁ reciprocal pronoun (Typol)

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München

◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

Reziprokverb

≡ reziprokes Verb

661 Richtungskasus

Richtungsadverb

semantisch definierte Teilklasse der Lokaladverbien, die zusätzlich zur Position die Richtung eines Geschehens angeben. ▲ direction adverb: semantically defined subclass of position adverbs which express a direction in addition to a position. Zu der Subklasse der Richtungsadverbien zählen Adverbien, die von einer bestimmten Referenzposition aus den Ausgangspunkt oder das Ziel einer Bewegung angeben. Die Referenzposition kann sich beim Sprecher, beim Adressaten oder anderswo befinden. Die wichtigsten Richtungsadverbien sind hin und her. Zu der Teilklasse zählen auch Zusammensetzungen mit diesen beiden Adverbien wie dahin, daher, dorthin, dorther, hierhin, hierher, weitere Ausdrücke wie weg, fort, bergauf, bergab, los, zurück, heim sowie Wortbildungsprodukte mit dem Suffix -wärts (1). (1) Der Wanderweg führt von der Villa südwärts am Ort vorbei in den Osten der Insel hin zum Naturschutzpark. Mit der Wendung hin und her wird eine nicht gerichtete Bewegung ausgedrückt (2). (2) Man kann das hin und her rechnen, aber unterm Strich kommt immer dasselbe raus. Die Direktionsadverbien hin und her lassen zudem eine temporale Lesart zu. Dabei verweist her, oft mit schon kombiniert, auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit, während mit hin, oft mit noch verbunden, auf einen Zeitpunkt in der Zukunft verwiesen wird ((3), (4)). (3) Darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken. Da sind noch zwei Jahre hin. (4) Das weiß ich nicht mehr, das ist nun schon zwei Jahre her. Jussara Paranhos Zitterbart ≡ Direktionsadverb → Adverb; Lokaladverb; Richtungskasus ⇁ direction adverb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Richtungskasus

morphologischer Kasus, durch den eine Richtung bezeichnet wird. ▲ directional case: morphological case denoting a direction.

Der Terminus Richtungskasus bezeichnet einen Kasus, der traditionell zur Klasse der sog. lokalen, konkreten oder dimensionalen Kasus gezählt wird und entweder auf die Frage wohin? oder woher? stehen kann. Gelegentlich wird unter Richtungskasus nur die Dimension wohin? gefasst, was typologisch jedoch nicht sinnvoll ist, da viele Sprachen mit reichhaltigem Kasussystem für beide Dimensionen spezifische Kasus haben. In bestimmten Sprachen können verschiedene Richtungskasus i.e.S. unterschieden werden. So identifiziert Hjelmslev (1935: 138 ff.) in der kaukasischen Sprache Tabassaranisch mehr als zwanzig Kasus, die entweder eine Richtung auf ein Ziel hin oder von einem Ursprung weg bezeichnen. Im Baskischen unterscheidet man u.a. die folgenden drei Richtungskasus (wohin?): den Allativ oder unspezifischen Direktiv (etxera 'zum Haus'), den Destinativ (etxeruntz 'in Richtung auf das Haus') und den Terminativ (etxerain 'bis zum Haus') (Haase 2001: 738). Seit der frühesten hist.-vgl. Sprw. besteht Uneinigkeit darüber, ob das Ide. urspr. Richtungskasus i.e.S. hatte. Die Analysen insbesondere des Akkusativs und Ablativs sehen entsprechend anders aus. Manche Linguisten nehmen z.B. an, dass der ide. Akkusativ hist. ein Richtungskasus war, der urspr. eine dynamische räumliche Vorstellung bedeutete. Von da aus haben sich dann die allmählich abstrakteren (grammatikalisierten) Verwendungen des Akkusativs zur Bezeichnung der Ausdehnung, der Beziehung, des Objekts und des Inhalts ergeben (Meier-Brügger 2001: 270). Gegen einen solchen Lokalismus wird im 19. Jh. die Ansicht vertreten, dass der ide. Akkusativ urspr. eine allgemeine Bedeutung hatte und „lediglich zur Ergänzung des Verbums“ diente (Delbrück 1879: 29). Lokale, temporale und relationale Funktionen seien demnach Sache der Interpretation des Kasus im Kontext. Seinen Status als Kasus der Richtung und des Ziels verdankt der Akkusativ in ide. Sprachen nicht nur den Verwendungen nach Bewegungsverben wie sanskrit yadā múkhaṃ gachaty, áthodáraṃ gachati ['wenn es zum Mund geht, dann geht es zum Bauch'], altgriech. érchesthon klisíēn ['geht ihr beide zum Zelt'], lat. ire rus/ domum/Romam ['aufs Land/ nach Hause/ nach Rom gehen'], sondern auch entsprechenden Verwendungen in Verbindung mit Präpositionen wie lat. ad Genavam ['in die Nähe von Genf'], in Ae-

R

rückbezügliches Fürwort 662 gyptum ['nach Ägypten'], in hiberna in Sequanos deducere [mit doppeltem Akkusativ: 'ins Winterlager im Gebiet der Sequaner führen']. Bei rektionsvariablen direktiven Präpositionen wird der Akkusativ traditionell als Kasus der Bewegung bzw. Richtung, der Dativ als Kasus der Ruhe ausgelegt (vgl. im Dt. ins Haus gehen vs. im Haus sein), obwohl nicht alle Fälle anhand der Kategorien Bewegung/Richtung und Ruhe erfasst werden können. H. Pauls allgemeinere Unterscheidung zwischen einem „entstehenden“ (Akkusativ) und einem „bestehenden“ (Dativ) Verhältnis beschreibt die Rektion von Wechselpräpositionen adäquater (Leys 1989). Klaas Willems

→ Akkusativ; Dativ; direktive Präposition; Kasus; Kasusbedeutung

🕮 Delbrück, B. [1879] Die Grundlagen der griechischen Syntax. Halle/Saale ◾ Haase, M. [2001] Lokalkasus und Adpositionen. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [Hg.] Sprachtypologie und sprachliche Universalien (HSK 20.1). Berlin [etc.]: 736–740 ◾ Hjelmslev, L. [1935–1937/1972] La catégorie des cas (IBAllLing 25). München ◾ Leys, O. [1989] Aspekt und Rektion räumlicher Präpositionen. In: DS 17: 97–113 ◾ MeierBrügger, M. [2001] Indogermanische Sprachwissenschaft. Berlin.

rückbezügliches Fürwort ≡ Reflexivpronomen

rückbezügliches Pronomen ≡ Reflexivpronomen

R

Rückbildung

≡ Suffixtilgung ⇀ Rückbildung (Wobi; HistSprw)

Rückumlaut

im Paradigma der jan-Verben stattfindender Wechsel zwischen umgelauteten Präsens- und unumgelauteten Präteritalformen. ▲ reverse umlaut; rückumlaut; back umlaut: in the paradigm of the so called jan-verbs occurring alternation between umlauted present and not-umlauted past tense forms. Die von Jacob Grimm stammende Bezeichnung rührt von der Annahme her, dass der urspr. vorhandene Umlaut in Präteritalformen im (Vor-) Ahd. rückgängig gemacht wurde. Tatsächlich wurde die Präteritalform der langsilbigen jan-

Verben jedoch nie umgelautet, da das Folge-i (vgl. got. brannida) bereits vor dem Einsetzen des Umlauts synkopiert wurde: westgerm. *brannida > brannda > ahd. branta 'brannte'. Kurzsilbige janVerben haben dagegen auch im Prät. Umlautung erfahren, z.B. germ. *narjan/narita > ahd. nerien/nerita (vgl. nhd. ernähren/ernährte). Die im Ahd. umfangreiche Klasse der rückumlautenden Verben, die im Mhd. durch morphologischen Umlaut noch Zuwachs erfahren hat, ist im Nhd. auf sechs Verben geschrumpft: brennen, rennen, kennen, nennen, senden, wenden (die beiden letzteren Verben mit lexikalisch funktionalisierter Formschwankung sandte/sendete und wandte/wendete). Renata Szczepaniak

→ Präsens; Präteritum; rückumlautende Verbflexion; Rückumlautverb; Umlaut

⇀ Rückumlaut (HistSprw)

🕮 Ronneberger-Sibold, E. [1990] The formation and disinte­ gration of the back umlaut in weak verbs. In: LSt 208: 119–132 ◾ Vennemann, T. [1986] Rückumlaut. In: Kastovsky, D./ Schwedek, A. [eds.] Linguistics across historical and geographical bound­ a­ries. Berlin: 701–723.

rückumlautende Verbflexion

Bezeichnung für nicht-umgelautete Formen im Präteritum und participium präteriti bei germanischen schwachen -jan-Verben mit langer Stammsilbe. ▲ verb inflection with rückumlaut; verb inflection with back umlaut: term for the absence of the umlaut in the past tense and past participle of Germanic weak -jan-verbs with a long root syllable. Die Bezeichnung geht auf Jacob Grimms falsche Annahme zurück, dass der im Präs. vorhandene Umlaut des Stammvokals der langsilbigen, mit dem Suffix -jan gebildeten germ. schwachen Verben im Prät./ participium präteriti rückgängig gemacht worden ist. Das -j- des Suffixes hat die Umlautung des vorangehenden Stammvokals bewirkt, daher germ. *brannjan > ahd. brennen mit Primärumlauts-e in den Präsensformen. Im Prät. wurde das -j- des Suffixes zu -i- zwischen der Stammsilbe und dem Dentalsuffix, daher germ. *brannida. Da das -i- ebenfalls Umlautung bewirkt hat, wäre ahd. *brenta zu erwarten, aber es liegen umlautlose Formen bis in die Gegenwart vor: ahd. branta, mhd. brante. Tatsächlich war der Stammvokal dieser Verben nie umgelautet, da das -i- nach langen Stammsilben bereits so

663 Rückumlautverb früh durch Synkope geschwunden war, dass es nicht mehr umlautend wirken konnte. Durch Analogiebildung wiesen manche ahd./mhd. Verben, bei denen die Voraussetzung der langen Stammsilbe zur Umlautlosigkeit fehlte, auch eine solche Alternanz im Stammvokal auf, so ahd. zellen – zalta – gizalt 'erzählen'. Auch schwand der Rückumlaut zunehmend durch Paradigmenausgleich bei vielen Verben, wo er urspr. vorhanden gewesen war, z.B. nhd. stellen, stellte. Im Gegenwartsdt. gibt es nur mehr sechs Verben mit Rückumlaut: brennen, kennen, nennen, rennen, senden, wenden (vgl. Duden 2005: 455). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Rückumlaut; Rückumlautverb; Umlaut; unregelmäßige Konjugation

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Ronneberger-Sibold, E. [1990] Zum Auf- und Abbau des Rückumlauts bei den schwachen Verben. In: LSt 208: 119–132 ◾ Vennemann, T. [1986] Ruck­ ümläut. In: Kastovsky, D./ Szwedek, A. [eds.] Linguistics across historical and geographical boundaries. Berlin: 701–723.

Rückumlautverb

schwaches Verb mit Wurzelvokalwechsel in den Grundformen. ▲ verb with rückumlaut; verb with back umlaut: weak verb with root-vowel change in the tense forms. Der Terminus wurde von Jacob Grimm geprägt. Es handelt sich um eine Gruppe schwacher Verben der 1. Klasse, deren Ableitungssuffix auf das idg. *-ejó/*-ijó zurückgeht und dem gemeingerm. Suffix *-ja(n) entspricht. Im Frühahd. hatte dieses Suffix die Form -ie(n), welche später zu -e(n) abgeschwächt wurde. Unter dem Einfluss des Vokals i der Suffixsilbe wurde im Ahd. zunächst das kurze a der Wurzelsilbe zu e umgelautet (Primärumlaut), worauf dann im Mhd. andere, kurze wie lange, umlautfähige Monophthonge und Diphthonge folgten (Sekundärumlaut). Einige schwache Verben der 1. Klasse haben den Umlaut jedoch nur im Präsensstamm, während der Stammvokal des Prät. und des Partizips II nicht umgelautet wurde, vgl. ahd. brennit, mhd. brennet

'brennt' vs. ahd. bran(n)ta, mhd. bran(n)te 'brannte', ahd. (gi)bran(n)t, mhd. (ge)bran(n)t 'gebrannt', nhd. brennen – brannte – gebrannt; mhd. vüeret 'führt' vs. vuorte 'führte', gevuort 'geführt' etc. J. Grimm vermutete, dass auf den Umlaut im Präsensstamm ein Rückumlaut in anderen Grundformen folgte, daher der Terminus. Eine Erklärung für dieses Phänomen wurde aber erst später gefunden: Bei sämtlichen Rückumlautverben liegt eine lange Stammsilbe vor, nach der bei den Präterital- und Partizip II-Formen das -i des Suffixes schon früh ausgefallen war, so dass der phonetische Grund für den Umlaut des Wurzelvokals entfiel. Im Nhd. bleiben nur noch sechs Verben mit sog. Rückumlaut erhalten (brennen, rennen, nennen, kennen, senden, wenden), die in synchron konzipierten Grammatiken zu der Klasse der unregelmäßigen Verben mit Merkmalen schwacher (Dentalsuffix) und zugleich starker (Wurzelvokalwechsel) Verben gezählt werden. Aus sprachhist. Sicht ist diese Zuordnung falsch, da es sich hier – anders als bei echten starken Verben – bei dem Wurzelvokalwechsel im Präs. nicht um Ablaut, sondern um Umlaut handelt. Die Verben denken und bringen werden seltener zu den Rückumlautverben gezählt (z.B. Mater 1968: 105), da ihre Stämme neben den vokalischen auch konsonantische Veränderungen aufweisen. Die Grundformen anderer Verben mit umlautfähigen Stammvokalen, die ebenfalls urspr. eine lange Stammsilbe und demgemäß keinen Umlaut im Prät. und im Partizip II hatten, sind im Gegenwartsdt. den regelmäßig gebildeten Formen der Verben mit Umlaut angeglichen worden, z.B. führen – führte – geführt. Michaił L. Kotin

→ Grundform; Rückumlaut; rückumlautende Verbflexion; schwaches Verb

🕮 Boor, H. de/ Wisniewski, R. [1984] Mittelhochdeutsche Grammatik. 9. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Braune, W./ Eggers, H. [2007] Althochdeutsche Grammatik. 15. Aufl. Tübingen ◾ Mater, E. [1968] Deutsche Verben. Bd. V: Flexionsklassen. Leipzig ◾ Schmidt, W. [2013] Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium. 11., verb. u. erw. Aufl. Stuttgart.

R

S sächsischer Genitiv

Genitivattribut, das dem Bezugsnomen vorangestellt ist. ▲ Saxon genitive: genitive attribute which is placed before the noun of relationship. Im Gegenwartsdeutschen gilt der sächsische Genitiv als stilistisch unmarkiert, wenn es sich (a) um einen Eigennamen und (b) um einen s-Genitiv handelt ((1)–(3)), eventuell mit Einschränkungen bei (3). s-Genitive von Nicht-Eigennamen gelten als markiert (4), Genitive, die nicht mit s gebildet sind (Feminina und schwache Genitive), gelten stilistisch als zu vermeiden (5) bzw. sind auf feste Wendungen u.ä. beschränkt (6). (1) Rainers Fahrrad (2) Hildegards Vorschlag (3) Belgiens Präsident (4) des Kaisers neue Kleider (5) der Kaiserin neue Kleider (6) der Widerspenstigen Zähmung Für alle sächsischen Genitive ist charakteristisch, dass die NP insgesamt (sächsischer Genitiv + Bezugsnomen) zum einen keinen Artikel hat (und auch nicht haben kann), zum anderen aber definit zu interpretieren ist. Dies führt zu dem Problem in der theoretischen Beschreibung, ob und wie dem sächsischen Genitiv gleichzeitig die Funktion des Attributs und des Determinativs zugeschrieben werden kann. Der Terminus sächsischer Genitiv wird auf die Grammatikschreibung des Engl. zurückgeführt, da es sich dort um den letzten verbliebenen Fall einer Kasuskennzeichnung am Subst. handelt, also den letzten (angel-)sächsischen Kasus – auch wenn für das Engl. andere Analysen vorliegen, die das ’s in Peter’s bicycle nicht morphologisch, sondern als Klitikum, also syntaktisch interpre-

tieren. Entsprechend wird der Terminus für das Dt. nicht durchgängig verwendet. Oliver Teuber ≡ pränominaler Genitiv; vorangestellter Genitiv → Eigenname; Genitiv → Gram-Syntax: Genitivattribut

🕮 Autorenk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Sammelbezeichnung ≡ Kollektivum

Sammelname

≡ Kollektivum ⇀ Sammelname (Onom)

Sammelzahl

Zahl, mit der man eine gewöhnlich bestimmte Anzahl von Personen oder Nicht-Personen zusammenfasst. ▲ collective number; collective numeral: number which describes a usually countable group of persons or things gathered together. Sammelzahlen (z.B. beide; Dutzend) bilden einen Sondertyp der Numeralia. Dt. Grammatiken (z.B. Helbig/Buscha 2001: 290f.; Duden 2006: 384f.), sehen alle Sammelzahlen als Kardinalia (Kardinalzahlen, Grundzahlen) an. Die Sammelzahlen wie Dutzend oder Gros (= 12 Dutzend) u.a., die Reste der alten Duodezimalzählung sind, werden gelegentlich als Kollektivzahlen bezeichnet (vgl. Hentschel/Weydt 2013: 236). In den slaw. Sprachen (z.B. Poln., Russ.) bilden Sammelzahlen (auch Kollektivzahlen) eine eigenständige Gruppe der Numeralia, zu der neben beide auch andere

Sandhi 666 bestimmte und unbestimmte Kardinalzahlen im (sprach)spezifischen Gebrauch gehören, vgl. russ. troje[Sammelzahl] synoviej 'drei Söhne' [Maskulinum], aber tri[Kardinalzahl] dočeri/doma 'drei Töchter/Häuser' [Nicht-Maskulinum/ unbelebtes Maskulinum]; poln. kilkoro[Sammelzahl] turystów/drzwi 'einige Touristen/Türen' [Personen beider Geschlechter/ Pluraliatantum], aber kilku[Kardinalzahl] turystów 'einige Touristen' [nur Männer]; kilka[Kardinalzahl] turystek/​ domów/drzwi 'einige Touristinnen/Häuser/Türen'. Verschiedene Sammelzahlen sind im Dt. Substantive bzw. Substantivierungen (z.B. drei Dutzend; ein halbes Hundert) oder Zahladjektive (dazu Helbig/Buscha 2001: 290ff.; Duden 2006: 384ff.), wobei sie i.A. wie Adjektive flektiert werden (seine beiden Kinder) oder als substantivisch gebrauchte Adjektive vorkommen (mit beidem – für zwei vorerwähnte Nicht-Personen). Sie können sowohl singularisch (beides; mit beidem; das zweite Tausend) als auch pluralisch (beide; Hunderte von Fans; tausende Fans) gebraucht werden. Auf Grund ihrer Bedeutung geben Sammelzahlen gewöhnlich eine exakte Zahl an. Die Zahlen hundert und tausend können aber z.B. im Pl. auch mit der Bedeutung der Unbestimmtheit gebraucht werden ((1)–(3)). (1) Hunderte von Fans (2) (viele) Tausende demonstrierender Menschen (3) etwa hundert Demonstranten Edyta Błachut

→ bestimmtes Zahlwort; Kollektivzahl; Numerale; unbestimmtes Zahlwort; Zahladjektiv; Zahlpronomen

S

🕮 Dalewska-Greń, H. [2012] Języki słowiańskie. Warschau ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ ­Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Sandhi

phonologischer Prozess, der über Morphem- oder Wortgrenzen hinweg auf benachbarte Segmentsequenzen wirkt. ▲ sandhi: phonological process which applies across morpheme or word boundaries to neighboring segments. Es wird zwischen internem und externem Sandhi unterschieden. Interne Sandhi-Prozesse

wirken auf Segmentsequenzen, die zwischen benachbarten Morphemen innerhalb eines Worts u.a. als Kontaktassimilation auftreten. Externe Sandhi-Prozesse wirken auf Segmentsequenzen, zwischen denen eine Wortgrenze liegt, vgl. die verschiedenen Artikelformen im Engl. in Abhängigkeit des Anlauts des Nomens ([ðə] man, [ðiː] ape; [ə] man, [ən] ape) oder die liaison-Effekte im Frz. (grand ami, grand livre). Sandhi-Prozesse sind erstmals in der altindischen Grammatik für das Sanskrit beschrieben worden. Auch in Tonsprachen treten Sandhi-Phänomene auf. Agnes Kolmer

→ Morphemgrenze ⇀ Sandhi (Phon-Dt; HistSprw) ⇁ sandhi (Phon-Engl)

🕮 Andersen, H. [ed. 1986] Sandhi Phenomena in the Languages of Europe (TLingStM 33). Berlin [etc.].

Satzadjektiv, präpositionales → präpositionales Satzadjektiv

Satzadverb

Einzelwort, das als Satzadverbial verwendet wird. ▲ sentence adverb: single word that is used as a sentence adverbial. Mit einem Satzadverb wird eine adverbiale Modifikation auf Satzebene vorgenommen. Semantisch kann dies epistemische Modifikatoren wie wahrscheinlich, evaluierende Modifikatoren wie leider, gültigkeitsspezifizierende oder temporale Modifikatoren wie normalerweise und andere Bedeutungskategorien, die nicht das durch das Verb ausgedrückte Event selber modifizieren, betreffen. Alternativ ist der Terminus Modalwort gebräuchlich. Hagen Hirschmann

→ Adverb; Modalwort → Gram-Syntax: epistemische Modalität; Satzadverbial; Verbadverbial

⇀ Satzadverb (Lexik)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Satzband

≡ Kopulaverb

667

schwache Deklination

Satzgliednegation

≡ kontrastierende Negation

Satzpartikel, präpositionale → präpositionale Satzpartikel

Satzschlusszeichen

Interpunktionszeichen, das einen orthographischen Satzschluss markiert und Satzmodi indiziert. ▲ sentence closing sign: punctuation mark that marks the orthographic end of a sentence and indicates sentence types. Katharina Siedschlag

→ Ausrufezeichen; Fragezeichen; Interpunktion → Gram-Syntax: Ganzsatz; Satzmodus ⇀ Satzschlusszeichen (Schrling)

🕮 Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Schachtelmorphem

≡ Portmanteaumorphem

Schaltwort

≡ Modalwort

Scheinaffix

≡ Pseudoaffix ⇀ Scheinaffix (HistSprw)

Schemakonstanz

≡ Morphemkonstanz

Schemakonstanzprinzip ≡ morphologisches Prinzip

schmückendes Beiwort ≡ epitheton ornans

schwache Deklination

Hauptklasse der Nominalflexion in den germanischen Sprachen, die die Flexion der indoeuropäischen n-Stämme fortsetzt. ▲ weak declension: major type of nominal inflection in the Germanic languages which continues the inflection of Indo-European n-stems. Die Flexion der Substantive in älteren ide. Sprachen wird traditionell im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung beschrieben, die sich an

den stammbildenden Suffixen bzw. den Stammausgängen orientiert (Szemerényi 1990: 171–203). Die dominierende Unterklasse der konsonantischen Stämme – Stämme mit konsonantisch auslautendem Stammbildungssuffix – bilden im Germ. die n-Stämme, deren Flexion Grimm (1819: 133–138, 247f.) als ‚schwache Deklination‘ allen übrigen Deklinationsklassen (zusammengefasst als ‚starke Deklination‘) gegenüberstellt. Im Germ. verschmelzen die Stammausgänge mit den antretenden Kasusflexiven oder die früheren Stammausgänge (hier: n) erscheinen nach Schwund der Flexive im Wortausgang und werden damit selbst zu Flexionskennzeichen. Im Ahd. (Braune 2004: 207, 226) umfasst die schwache Deklination eine große Zahl Maskulina wie hano ['Hahn'] und Feminina wie zunga ['Zunge'] sowie einige Neutra wie hërza ['Herz']; der charakteristische Konsonant n erscheint in obliquen Kasus (so im Genitiv Sg.: hanen, zungūn, hërzen) und im Plural (Nominativ Pl.: hanon, zungūn, hërzun). Im Nominativ Sg. ist er bereits in vorgerm. Zeit geschwunden; vgl. lat. homō [Nominativ Sg.], homin-is [Genitiv Sg.]. Im Mhd. und im Nhd. besitzen die betreffenden Paradigmen nur noch je zwei Formen; vgl. mhd. hane [Nominativ Sg.], hanen [sonst.], nhd. Affe [Nominativ Sg.], Affen [sonst.] und – ohne den klassentypischen Ausgang auf e im Nominativ Sg. – Mensch [Nominativ Sg.], Menschen [sonst.]. Im Nhd. ist die Klasse der schwachen Substantive (durch Deklinationswechsel und -umstrukturierung) auf eine kleinere Klasse von Maskulina, in der Regel Bezeichnungen für belebte Wesen, beschränkt worden; Neuzugänge bilden Fremdwörter, vor allem, aber nicht nur, solche auf -and, -ant, -ent, -ist wie Doktorand, Musikant, Student, Jurist (Klein/Solms/Wegera 2018: 59f.). Ehemals schwache Feminina folgen im Nhd. der gemischten Deklination und zeigen nur im Plural Formen auf n (vgl. Zungen [Nominativ/Akkusativ/Dativ/Genitiv Pl.], dagegen Zunge [Nominativ/Akkusativ/Dativ/ Genitiv Sg.]). Als eines der herausragenden Charakteristika des Germ. gilt die Ausbildung einer doppelten Flexion der Adjektive, die (abhängig vom Verwendungszusammenhang) zwischen starker und schwacher Deklination wechseln (Jasanoff 2008: 205, „one of the most characteristic features of Germanic“). Während die (aus der ide. Grundsprache überkommene) starke Adjektivflexion urspr.

S

schwaches Maskulinum 668

S

den Mustern der vokalischen Substantivstämme folgt, geht die schwache Adjektivflexion auf das Muster der n-Stämme zurück und stimmt im Ahd. und Mhd. mit der der schwachen Substantive des entsprechenden Genus überein; ebenso im Nhd. – nach Untergang der schwachen Feminina und Neutra – im Maskulinum. Dabei zeigen schwache Adjektive im Nominativ Sg. immer den Ausgang -e (wie in der/die/das gute, Maskulinum/Femininum/Neutrum); der Akkusativ fällt (wie auch sonst im Nhd.) im Fem. und Neutr. mit dem Nominativ zusammen. In den übrigen Kasus-NumerusKombinationen erscheint die auf n auslautende Form (guten). Die vergleichsweise schwach ausgebildete Formendifferenzierung lieferte Grimm (1819: 135) ein wesentliches Benennungsmotiv für diesen Deklinationstyp. Im Germ. fungiert das schwache Adj. zunächst als Mittel zur Kennzeichnung definiter NPn, während das starke Adj. von Hause aus bzgl. (In-) Definitheit indifferent ist und erst in der Opposition zum neu entstandenen schwachen Adj. tendentiell auf indefinite Lesarten festgelegt wird (Behaghel 1923: 169–225, besonders 170f.). (Zur Entstehung der schwachen Adjektivflexion – ausgehend von Substantivierungen starker Adjektive unter Verwendung eines n-Suffixes – s. Osthoff (1876); Delbrück (1909).) Im Ahd. ist dementsprechend schwache Flexion gefordert, wo dem Adj. ein Demonstrativpron. (bzw. der bestimmte Artikel) vorausgeht, andernfalls aber starke Flexion („Sinnregel“, Hotzenköcherle 1968). Mit dem Aufkommen des definiten Artikels wird die definitheitsmarkierende Funktion des schwachen Adjektivs letztlich obsolet, und die Sinnregel wird durch die „Formregel“ abgelöst (Klein 2007): Nach Determinativformen, die starke Flexionsendungen aufweisen, stehen (auch beim indefiniten Artikel wie in ein-em alt-en Mann) regelmäßig schwache Adjektivformen. Zu unterschiedlichen Entwicklungen der Stark-schwach-Unterscheidung bei Adjektiven in den verschiedenen germ. Sprachen s. Harbert (2007: 130–137). Bernd Wiese

→ § 16; attribuierende Deklination; gemischte Deklination;

Monoflexion; n-Deklination; schwaches Maskulinum; starke Deklination; starkes Substantiv

🕮 Behaghel, O. [1923] Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. I: Die Wortklassen und Wortformen. A. Nomen. Pronomen. Heidelberg ◾ Braune, W. [2004] Althochdeutsche

Grammatik. 15. Aufl. Bd. 1. Laut- und Formenlehre. Tübingen ◾ Delbrück, B. [1909] Das schwache Adjektivum und der Artikel im Germanischen. In: IdgF 26: 187–199 ◾ Grimm, J. [1819] Deutsche Grammatik. Erster Theil. Göttingen ◾ Harbert, W. [2007] The Germanic Languages. Cambridge ◾ Hotzenköcherle, R. [1968] Gegenwartsprobleme im deutschen Adjektivsystem. In: NphMit 69: 1–28 ◾ Jasanoff, J.H. [2008] Gothic. In: Woodard, R.D. [ed.] The Ancient Languages of Europe. Cambridge: 189–214 ◾ Klein, T./ Solms, H.-J./ Wegera, K.-P. [2018] Mittelhochdeutsche Grammatik. Teil II. Flexionsmorphologie. Berlin [etc.] ◾ Klein, T. [2007] Von der semantischen zur morphologischen Steuerung. Zum Wandel der Adjektivdeklination in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit. In: Fix, H. [Hg.] Beiträge zur Morphologie. Germanisch, Baltisch, Ostseefinnisch. Odense: 193–225 ◾ Osthoff, H. [1876] Zur Geschichte des schwachen deutschen Adjectivums. Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung ­(FidgnomStamm 2). Jena ◾ Szemerényi, O. [1990] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 4., durchges. Aufl. Darmstadt.

schwaches Maskulinum

maskulines Substantiv, das in den obliquen Kasus auf -en auslautet. ▲ weak masculine noun: masculine noun that takes the ending -en in all cases but the nominative singular.

Substantive wie Löwe, Mensch, Quotient werden als schwache Maskulina bezeichnet, da sie in allen Kasus außer dem Nominativ Sg. auf -en auslauten. Zu dieser Gruppe gehören (a) Maskulina wie Zeuge, Rabe, Löwe, die Lebewesen benennen und auf -e auslauten; (b) maskuline Personenund Tierbezeichnungen, die den Plural auf -n/-en bilden (Prinz, Bär); (c) Maskulina mit fremden Wortausgängen, bei denen die letzte Silbe betont ist (Cellist, Demonstrant, Präsident, Quotient, Doktorand, Summand) (vgl. Duden 2006: 215ff.; Eisenberg 2004: 293f.). Winfried Thielmann

→ Maskulinum; nomen varians; schwache Deklination; schwaches Substantiv; starke Deklination; starkes Substantiv

→ Gram-Syntax: casus obliquus

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

schwaches Substantiv

Substantiv, das der schwachen Deklinationsklasse angehört und sowohl den Genitiv Singular als auch den Plural mit dem Suffix -n bzw. -en bildet. ▲ weak noun: noun belonging to the weak declen-

669

schwaches Verb

sion class and forming the genitive singular as well as the plural with the suffix -n or -en. Die meisten schwachen Substantive des Dt. bezeichnen Referenten mit dem semantischen Merkmal [+human] (z.B. Mensch, Bote), einige bezeichnen Entitäten mit dem Merkmal [+belebt] (z.B. Bär, Falke). Besonders häufig sind die schwachen Maskulina bei Wörtern mit den Fremdsuffixen -ist (Journalist), -at (Literat), -(i)ent (Dirigent), -ant (Spekulant), -it (Eremit). Schwache Substantive, die Unbelebtes bezeichnen, haben die Tendenz, in die gemischte oder in die starke Deklinationsklasse überzutreten (z.B. des Magneten, die Magneten zu des Magnets, die Magnete). Rolf Thieroff

↔ starkes Substantiv → Deklinationsklasse; gemischte Deklination; Genitiv; schwa-

che Deklination; schwaches Maskulinum; Substantivflexion

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Köpcke, K.-M. [1995] Die Klassifikation der schwachen Maskulina in der deutschen Gegenwartssprache. In: ZS 14: 159–180 ◾ Thieroff, R. [2003] Die Bedienung des Automatens durch den Mensch. Deklination der schwachen Maskulina als Zweifelsfall. In: Linguistik-onl 16, 4/03.

schwaches Verb

Verb ohne Wurzelablaut, dessen Präterital- und Partizip II-Formen mithilfe des Dentalsuffixes gebildet werden. ▲ weak verb; regular verb: verb without root-ablaut, whose past tense and past participle forms are constructed with the help of the dental suffix. Schwache Verben sind, wie auch starke Verben, eine germ. Neuerung im idg. Verbalsystem. Urspr. sind alle schwachen Verben abgeleitet gewesen, und zwar entweder von starken Verben (z.B. setzen ← sitzen, stellen ← stehen, führen ← fahren) oder von anderen Wortarten bzw. Wortformen (z.B. landen ← Land, rühmen ← Ruhm, verbessern ← besser, verallgemeinern ← allgemein). Auch aus Fremdsprachen entlehnte Verben sind schwach (z.B. realisieren, spekulieren). Einige ehemalige starke Verben sind in die Gruppe der schwachen Verben übergegangen, z.B. fragen – fragte – gefragt (vgl. ahd. fragan – fruog – fruogun – gifragan, mhd. vragen – vruoc – vruogen – gevragen, frühnhd. fragen – frug/fragte – gefragen/gefragt). Einige wenige Verben haben auch im Gegenwartsdt. neben schwachen starke Formen bei-

behalten, die meist als veraltet oder veraltend empfunden werden, z.B. buk/backte, gepflogen/ gepflegt. In der dt. Gegenwartssprache bilden schwache Verben die einzige produktive Gruppe, d.h., sämtliche neu gebildeten oder entlehnten Verben gehören zur schwachen Konjugation. Die Form des Prät. Indikativ wird bei den schwachen Verben mithilfe des Suffixes -te gebildet, das sich aus dem dentalen Konsonanten t und dem daran angefügten Vokal e zusammensetzt. Bei den präteritalen Konjunktivformen fällt das e des Präteritalsuffixes mit dem Konjunktivsuffix -e zusammen. Das Präteritalsuffix folgt unmittelbar auf den Verbalstamm oder, falls dieser auf -d bzw. -t ausgeht, auf den davor eingeschobenen Vokal -e-: mach-te, frag-te, reparier-te, arbeit-e-te, münd-ete. Die jeweiligen Personalendungen stehen nach dem Präteritalsuffix: mach-te-st, frag-te-t, arbeite-te-n. Die Form des Partizips II wird mithilfe des Präfixes ge- (welches bei präfigierten Verben sowie bei mehrsilbigen Verben mit fremdsprachigen Suffixen -ier/-isier entfällt) und des Dentalsuffixes -t gebildet, vor das nach den Konsonanten -d und -t des Verbalstamms der Vokal e eingefügt wird: ge-mach-t, ge-frag-t, ge-arbeit-e-t, ge-red-e-t, ge-brauch-t, er-wähl-t, ver-ab-red-e-t, repar-ier-t, signal-isier-t. Bei Entlehnungen gibt es in Einzelfällen Schwankungen zwischen präfigierter und präfixloser Formenbildung des Partizips II, vgl. (ge)downloadet. Die Rückumlautverben senden und wenden bilden die Formen des Prät. und Partizips II ohne eingeschobenes e nach dem dentalen Konsonanten des Stamms: wandte/sandte – gewandt/gesandt. Die (später entstandenen) regulären Formen dieser Verben (mit einer anderen Bedeutung) haben dagegen das eingeschobene e: wendete/sendete – gewendet/gesendet. Die Präteritalformen des Verbs haben weichen von dem Grundmuster der Formenbildung schwacher Verben ab: Indikativ hatte, Konjunktiv hätte, ebenfalls die mit dem Wurzelumlaut gebildete Form des Konjunktivs Prät. des Verbs brauchen: bräuchte. Mithilfe des Dentalsuffixes und somit schwach werden ferner Präterital- und Partizip II-Formen der Präteritopräsentia und der Rückumlautverben und einiger anderer unregelmäßiger Verben gebildet, z.B. musste – gemusst, kannte – gekannt, dachte – gedacht, brachte – gebracht. Michaił L. Kotin

S

Schwafuge 670

↔ gemischtes Verb; starkes Verb → § 16; Präteritopräsens; Rückumlautverb ⇀ schwaches Verb (HistSprw)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Paul, H. [1917] Deutsche Grammatik. Bd. II. Flexionslehre. Halle/Saale ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Schwafuge ≡ e-Fuge

s-Deklination

Deklinationsklasse, die durch das Auftreten einer morphologischen Markierung charakterisiert ist, die den Konsonanten s einschließt. ▲ s-declension: declension class that is characterised by the occurrence of a morphological marker that includes the consonant s.

S

Im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. gemäß der Bildung der Singularformen stellt die s-Deklination – auch „(e)s-Deklination“ (Darski 1980: 64), „(e)s-Flexion“ (Augst 1979: 223) oder „starke Deklination“ (Admoni 1982: 104) – einen der drei Haupttypen dar (neben der Nulldeklination und der n-Deklination) (Gallmann/Sitta 1996: 56). Zur s-Deklination gehören im Gegenwartsdt. die Mehrheit der Maskulina (starke Maskulina) und die Neutra. Diese Substantive bilden Genitiv-Sg.-Formen auf -es oder -s (vgl. Mannes, Genitiv Sg. von Mann; Kindes, Genitiv Sg. von Kind). Eine Sonderklasse (‚Mischtyp‘) stellen maskuline Substantive dar, die grundsätzlich dem Muster der n-Deklination folgen, aber zusätzlich das Genitiv-Sg.-Suffix der s-Deklination annehmen (vgl. Name-n-s, Genitiv Sg. von Name). Personennamen folgen bei selbständigem (artikellosem) Gebrauch unabhängig vom Genus der s-Deklination wie in Petras Auto; bei sibilantisch auslautenden Eigennamen wie Hans entfällt die Endung wie in Hans‘ Auto. Bei schriftlicher Wiedergabe wird ein Apostroph gesetzt. Daneben bezeichnet „s-Flexion“ im Rahmen einer Deklinationsklasseneinteilung der Substantive des Dt. unter Berücksichtigung der Bildung der Pluralformen bei Eisenberg (2013: 162) einen

(genusunabhängigen) Deklinationstyp mit dem Pluralmarker -s; vgl. Parks (Maskulinum), Muttis (Femininum), Autos (Neutrum). Bei Thieroff (2003: 114) werden nur die Maskulina und Neutra mit s-Endung im Genitiv Sg. und im Pl. zur „s-Deklinationsklasse“ gezählt. In hist. Grammatiken wird unter s-Deklination die Deklination der ide. s-Stämme – Stämme mit der „Bildesilbe“ -es/os (Braune 2004: 188) – verstanden, auf deren Flexionsmuster die Pluralbildung auf -er im Dt. (wie in Lämmer, Nominativ Pl. von Lamm) zurückgeht (vgl. Werner 1969: 103); siehe auch Chambers/Wilkie (2014) („s-declension“) und Schenker (1971) („es/os-Flexion“). Vgl. lat. opus, Genitiv Sg.: op-er-is (mit r aus s). Allgemein wird der Terminus s-Deklination (oder sdeclension) in Beschreibungen verschiedener Sprachen zur Bezeichnung von Deklinationsklassen verwendet, die unterschiedliche charakteristische Formenbildungen auf s zeigen, z.B. die s-Pluralbildung des Engl. (Millar 2008: 53) oder die Nominativ-Singular-Bildung auf s bei maskulinen Substantiven im Lettischen (Fennell/Gelsen 1980: 1). Bernd Wiese

→ Deklinationsklasse; n-Deklination; Nulldeklination; s-Flexion; starke Deklination; starkes Substantiv

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Augst, G. [1979] Neuere Forschungen zur Substantivflexion. In: ZGL 7: 220–232 ◾ Braune, W. [2004] Althochdeutsche Grammatik. 15. Aufl. Bd. 1. Laut- und Formenlehre. Tübingen ◾ Chambers, W.W./ Wilkie, J.R. [2014] A Short History of the German Language. London ◾ Darski, J. [1980] Die Deklinationstypen der Substantive im Deutschen. In: StGermP 9: 55–70 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fennell, T.G./ Gelsen, H. [1980] A Grammar of Modern Latvian. Vol. I. The Hague [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Millar, R.M. [2008] History of English Morphology. In: Momma, H./ Matto, M. [eds.] A Com­ pan­ion to the History of the English Language. Chichester: 43–56 ◾ Schenker, W. [1971] es/os-Flexion und es/os-Stämme im Germanischen. In: BGeschDtSpLit-T 93: 46–58 ◾ Thieroff, R. [2003] Die Bedienung des Automatens durch den Mensch. Deklination der schwachen Maskulina als Zweifelsfall. In: Linguistik-onl 16, 4/03 ◾ Werner, O. [1969] Das deutsche Pluralsystem. Strukturelle Diachronie. In: Sprache. Gegenwart und Geschichte. Probleme der Synchronie und Diachronie (JbIdS 1968). Düsseldorf: 92–128.

Segmentierung

elementares operationales Verfahren in der strukturalistischen Analyse sprachlicher Einheiten und Grundlage deren Klassifizierung.

671 sein-Perfekt ▲ segmentation: fundamental procedure for ana-

lysing linguistic items structurally and the basis for their classification. Mit einer Segmentierung werden sprachliche Minimaleinheiten isoliert; Kriterium ist dabei die Substituierbarkeit des segmentierten Elements mit anderen Mitgliedern der gleichen Klasse. Die klassische Hierarchie von Segmenten ist dabei „Phonem – Silbe – Morphem – Wort – Satz – Text“. Die kleinstmögliche Einheit in einer syntaktischen Segmentierung ist die einzelne Wortform, die größtmögliche der Satz, wobei zwischen diesen weitere Analyseebenen wie Wortarten, Phrasenkategorien, Konstituenten und Satzglieder angesetzt werden. Gisella Ferraresi

→ § 10; Klassifikation → Gram-Syntax: paradigmatische Beziehung; Substitutionstest; syntagmatische Beziehung

⇀ Segmentierung (Wobi; Phon-Dt) ⇁ segmentation (TheoMethods; Phon-Engl)

🕮 Bense, E./ Eisenberg, P./ Haberland, H. [Hg. 1976] Beschreibungsmethoden des amerikanischen Strukturalismus. München ◾ Brinker, K. [1977] Modelle und Methoden der strukturalistischen Syntax. Stuttgart ◾ Glinz, H. [1965] Grundbegriffe und Methoden der strukturalistischen Text- und Sprachanalyse. Düsseldorf ◾ Harris, Z.S. [1951] Methods in Structural Linguistics. Chicago, IL ◾ Saussure, F. de [1916] Cours de linguistique générale. Publié par Ch. Bally et A. Sechehaye avec la collaboration de A. Riedlinger. Lausanne [etc.].

sein-Perfekt

Perfektform, die im Deutschen aus dem Hilfsverb sein im Präsens, Präteritum oder Futur und dem Partizip II gebildet wird. ▲ sein-perfect: form of the perfect that is built in German by the auxiliary sein in the present, past, or future tense and the past participle. Sein-Perfekt und haben-Perfekt sind Perfektformen mit identischer Bedeutung. Ihr Nebeneinander folgt aus einer unterschiedlichen Geschichte. Das sein-Perfekt ist aus einer syntaktischen Subjektsprädikativkonstruktion sein + Partizip II intransitiver perfektiver Verben hervorgegangen (1). (1) Er ist gekommen. ['Er ist ein Gekommener.'] Urspr. wurden nur zu perfektiven Verben Partizipien II gebildet (vgl. Oubouzar 1974). Zu intransitiven imperfektiven Verben wurde also (und wird auch in der Gegenwartssprache typischerweise)

kein attributives oder prädikatives Partizip II gebildet (2). (2) *Er ist geschlafen/gelebt/geholfen. Auch in der Gegenwartssprache wirkt die semantische Restriktion z.T. noch nach. Das zeigt sich in Differenzierungen wie in (3) und (4). (3) Er hat früher viel getanzt. [imperfektiv] (3a) Er ist durch den Raum getanzt. [perfektiv] (4) Er hat geschlafen/gelebt. [imperfektiv] (4a) Er ist eingeschalfen. [perfektiv] Es gibt Vorkommen von sein + Partizip II intransitiver perfektiver Verben, in denen der ursprüngliche Zustand, also die syntaktische Subjektsprädikativkonstruktion, bewahrt ist. Den Satz (5) z.B. kann man als Subjektsprädikativkonstruktion in der Bedeutung (5a) lesen oder als Perfekt in der Bedeutung (5b). (5) Der Apfel ist verfault. (5a) Der Apfel befindet sich im Zustand des Verfaultseins. (5b) Der Apfel ist in der Vergangenheit verfault/ befand sich in der Vergangenheit im Vorgang des Verfaulens. Die meisten intransitiven imperfektiven Verben lassen in der Gegenwartssprache die Nachzustandslesart nicht bzw. nur noch eingeschränkt zu. Das zeigt sich z.B. daran, dass es nicht möglich ist, das Partizip II gewesen anzuschließen, durch das ein als Kopula gebrauchtes sein ins Perfekt gestellt würde ((6), (7)). (6) Der Apfel ist reif gewesen. (6a) Der Apfel ist verfault gewesen. (7) *?Der Mann ist gekommen/gestürzt/gesprungen gewesen. Nur die Konstruktion ist verfault (6a) kann entweder als ein Perfekt oder als Kopulakonstruktion bzw. Resultativkonstruktion mit der Bedeutung 'Nachzustand' des Partizips aufgefasst werden. Die meisten Verben, die ein sein-Perfekt bilden, erlauben keine Nachzustandslesart, besitzen also keine Bedeutungsvariante, die man als Bedeutung einer syntaktischen Resultativkonstruktion interpretieren kann. Man kann folglich nicht, wie es gelegentlich vorgeschlagen wird, das seinPerfekt als Resultativkonstruktion interpretieren. Diesen Begriff kann man nur auf Prädikativkonstruktionen anwenden, die es in der Gegenwartssprache noch gelegentlich mit einigen Verben in

S

Sekundäradjektiv 672 bestimmten Kontexten gibt. Auch das sein-Perfekt ist also ein Tempus.

Klaus Welke

→ Futur; haben-Perfekt; Hilfsverb; Perfekt; Präsens; Präteritum; zweites Partizip

→ Gram-Syntax: Subjektsprädikativ

🕮 Dal, I. [1966] Kurze deutsche Syntax. 3., verb. Aufl. (SkGrgermD-B 7). Tübingen ◾ Ebert, R.P./ Reichmann, O./ Solms, H.-J./ Wegera, K.-P. [1993] Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Oubouzar, E. [1974] Über die Ausbildung der zusammengesetzten Verbformen im deutschen Verbalsystem. In: BGeschDtSpLit-H 95: 5–96 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Sekundäradjektiv ≡ Partizipialadjektiv

sekundäre Präposition

sprachgeschichtlich jüngere, morphologisch oder syntaktisch komplexe Adposition, die häufig keine räumlichen oder temporalen Bedeutungsanteile hat. ▲ secondary preposition: historically younger, morphologically or syntactically complex adposition, which often does not have spatial or temporal aspects of meaning.

S

Traditionell werden unter sekundären Präpositionen solche verstanden, die zu jüngeren Schichten der dt. Präpositionen zählen und einen niedrigeren Grammatizitätsgrad haben. Da diese Gruppe nicht nur vorangestellte Präpositionen i.e.S. umfasst, ist die Bezeichnung Präposition generisch zu verstehen. Im Gegenwartsdt. zeichnen sich sekundäre Präpositionen durch eine morphologisch oder syntaktisch komplexe Struktur aus, und sie regieren anders als primäre Präpositionen oft den Genitiv. Semantisch bringen einige sekundäre Präpositionen lokale oder temporale Relationen zum Ausdruck ((1), (2)), mehrheitlich sind aber insbesondere die syntaktisch komplexen Vertreter auf andere Funktionsbereiche spezialisiert ((3), (4)). (1) oberhalb des Gipfels (2) außerhalb der Geschäftszeiten (3) den Nachrichten zufolge (4) im Hinblick auf ihr Schreiben Sekundäre Präpositionen können in einigen Fällen Valenzforderungen von Verben als seman-

tisch eigenständige und paradigmatisch austauschbare Adverbialkomplemente sättigen (5), aber anders als primäre Präpositionen treten sie nicht als desemantisierte und paradigmatisch austauschbeschränkte Präpositionalkomplemente in Erscheinung (5). (5) oberhalb des Gipfels / auf dem Gipfel / am Gipfel / [...] wachsen Bei sekundären Präpositionen ist der Gebrauch mit nicht-flektierbaren Komplementen wie da, dort und hier eher selten, und lokal- und temporalsemantisch motivierte Kasusalternanz (wie bei den Wechselpräpositionen) ist nicht zu beobachten. Nicht-motivierte Kasusschwankungen hingegen können durchaus vorkommen, normgrammatische Zweifelsfälle ergeben sich dabei vor allem bei einem Schwanken zwischen Genitiv und Dativ ((6), (7)). (6) wegen des Geldes / wegen dem Geld (7) statt des Geldes / statt dem Geld Ein Schwanken zwischen Prä- und Postponierung als Ambiposition ist im Gegenwartsdt. für sekundäre Präpositionen wie wegen und gegenüber typischer als für primäre Präpositionen ((8), (9)). (8) wegen des Geldes / des Geldes wegen (9) gegenüber ihm / ihm gegenüber Synchron stehen den sekundären Präpositionen die primären Präpositionen wie z.B. auf und vor gegenüber, die sprachgeschichtlich älter sind und einen höheren Grammatizitätsgrad haben. Diachron können sich sekundäre Präpositionen in Richtung der primären Präpositionen weiter entwickeln. So wird z.B. wegen zunehmend als dativregierende Präp. verwendet und gleicht sich damit dem Muster der primären Präpositionen an. Jörg Bücker

↔ primäre Präposition → Adposition; Halbpräposition; komplexe Präposition; Präposition; Zirkumposition

🕮 Beneš, E. [1974] Präpositionswertige Präpositionalfügungen. In: Engel, U./ Grebe, P. [Hg.] Sprachsystem und Sprachgebrauch. Düsseldorf: 33–52 ◾ Breindl, E. [1989] Präpositionalobjekte und Präpositionalobjektsätze im Deutschen (LA 220). Tübingen ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1979] Syntax und Semantik der denominalen Präpositionen des Deutschen. In: Weydt, H. [Hg.] Die Partikeln der deutschen Sprache. Berlin [etc.]: 518–527 ◾ Eroms, H.-W. [1981] Valenz, Kasus und Präposition. Untersuchung zur Syntax und Semantik präpositionaler Konstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L.

673 Selektion [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/ publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Schierholz, S.J. [2001] Präpositionalattribute. Syntaktische und semantische Analysen (LA 447). Tübingen ◾ Wellmann, H. [1985] Aus Anlaß einer Feier. Grammatische Halbelemente im Umfeld der Präpositionen. In: Koller, E./ Moser, H. [Hg.] Studien zur deutschen Grammatik. Innsbruck: 375–393.

Sekundärsuffix

Suffix, das durch Verschmelzung zweier Elemente entstanden ist. ▲ secondary suffix: suffix which has arisen from the fusion of two elements. Die meisten der im heutigen Dt. noch lebendigen Suffixe sind durch Verschmelzung entstanden. (Paul 1920: 47). Das nhd. -keit ist z.B. aus dem mhd. -ec + -heit entstanden, weil -heit häufig an Adj. auf -ec/-ig getreten ist. Später kommt es auch bei Nomina vor, die keine Verbindung mit einem Adj. auf -ig sind (z.B. in Tapferkeit) (Henzen 1957: 113 f.). Günstig für eine Verschmelzung von Suffixen erscheinen Paul (1920: 162) der „Pleonasmus von Bildungselementen“, die „doppelte Suffigierung“ bei fremden Stämmen und die systembedingte Mehrfachsuffigierung. Unter einem „Pleonasmus von Bildungselementen“ versteht er die häufige Kombination von Suffixen mit ähnlicher Funktion. Dies trifft z.B. auf die dt. Diminutivsuffixe -chen (-k + -în) und -lein (-l + -în) zu. Zur doppelten Suffigierung von Fremdwörtern kommt es, wenn die Benutzer das fremde Suffix nicht erkennen und eine dt. Entsprechung zur Verdeutlichung hinzufügen (physik-a-lisch). Die systembedingte Mehrfachsuffigierung liegt vor, wenn ein bereits suffigiertes Wort mit einem funktional verschiedenen Suffix nochmal abgeleitet wird und es später zu einer Verschmelzung der beiden Suffixe kommt, u.a. „weil eines der beiden Suffixe ungebräuchlich“ wird und seine Transparenz verliert (Fuhrhop 1998: 41) wie in -erei (Plauderei, Rennerei). Christine Römer ≡ Suffixfusion; Suffixverbindung → Suffix; Suffixentstehung; Suffixerweiterung ⇀ Sekundärsuffix (Wobi)

🕮 Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Henzen, W. [1957] Deutsche Wortbildung. Tübingen ◾ Knobloch, J. [Hg. 1986] Sprachwissenschaftliches Wörterbuch. Bd. 1. Heidelberg ◾ Paul, H. [1920] Deutsche Grammatik. Bd. V: Wortbildungslehre. Halle/Saale.

selbständiges Pronomen

Pronomen, das in einer Äußerungssituation iden­ tifiziert wird und seine grammatischen Eigen­ schaften, insbe­son­dere das Genus und den Nume­ rus, nicht durch den Be­zug auf den Text gewinnt. ▲ independent pronoun: pronoun that is identified in a situation and that does not get its grammatical features like gender and number from reference to the text. Als Prototyp selbständiger Pronomina (Eisenberg 2004: 167f.) gelten die traditionellen Personalpronomina. Die Personalpronomina der 1. und 2. ­ Per­ s. werden fast ausschließlich selbständig ver­wen­det und beziehen sich auf den Sprecher oder den Adressaten. Die Pronomina der 3. Pers. können selbständig (1) oder unselbständig, d.h. phorisch (2) gebraucht, sein. (1) Ich kenne ihn. [Mit Hinweis auf einen Jungen.] (2) Kennst du Monika? Ich stelle sie dir vor. Selbständige Pronomina werden den unselbständigen (phorischen) Pronomina gegenübergestellt. Ob ein Pro­no­men selb­stän­dig oder unselbständig ist, hängt von seiner konkreten Verwendung ab. Janusz Taborek

↔ phorisches Pronomen → deiktisches Element; deiktisches Pronomen; Genus; Numerus; Pronomen

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.].

Selektion

Auswahlvorgang sprachlicher Einheiten vom einzelnen Laut bis zum Satz auf paradigmatischer Ebene, für den auch die Substitution als zweite Erscheinungsform derselben Operation kennzeichnend ist. ▲ selection: process of the choice of linguistic entities from single sounds to sentences on the para­ digmatic level, of which substitution as another manifestation of the same operation is also a typical feature. Bei der Selektion handelt es sich i.A. um die Eigenschaft vieler Wörter, eine Anzahl von Wörtern mit bestimmten Eigenschaften in ihrem

S

Semantem 674

S

Umfeld zu verlangen; hierbei spricht man vom Theta-Raster oder Selektionsraster eines Wortes. So dürfen nämlich Verben wie gehen, laufen in der Hauptlesart nur mit Substantiven, die belebte Referent/innen bezeichnen, kombiniert werden. Selektion ist ein Terminus der GG. Gelegentlich wird hier auch noch der Ausdruck Subkategorisierung gebraucht, der auf Chomskys Modell von 1957 verweist, wo die Wortartkategorien in Subkategorien eingeteilt wurden. In der europ. Ling. wird statt von Selektion auch von Valenz gesprochen (vgl. Tesniėre 1959; Engel 1977); anstelle von Selektionsraster erscheint die Bezeichnung Valenzrahmen. In ähnlicher Weise wird die Verträglichkeit zwischen morphologischen Einheiten durch semantische Eigenschaften gesteuert (morphologische Selektion). Bei jeder Verbindung von Morphen oder Morphgruppen gibt es einen Selektor und eine von ihm selektierte Einheit. So kann z.B. das Grundwort -verkauf gemäß seinem Theta-Raster u.a. mit einer Einheit mit der Theta-Rolle Thema verbunden werden. Diese Beziehung wird z.B. durch die Kombination mit Kleider- in Kleiderverkauf realisiert. Die Selektion von morphologischen Einheiten durch andere morphologische Einheiten kann auch über eine Redundanzregel zustande kommen. So kann das Grundwort -verkauf mit einem anderen nominalen Element verbunden werden, das sich z.B. thematisch als Ort verstehen lässt: der Straßenverkauf. Das Grundwort -verkauf ruft die Konstituente Straßen- auf und weist ihr die thematische Rolle Ort zu. Die Selektion der Theta-Rolle kann im Selektionsraster des Selektors vorangelegt sein. Lexikalische Selektion, definiert i.A. als Selektion kompatibler lexikalischer Einheiten auf Grund syntaktisch-semantischer Eigenschaften, findet sich z.B. im Konzept der lexikalischen Solidaritäten von Coseriu (1967). Coseriu differenziert zwischen Archilexemen (als determinierenden Lexemen) und einzelnen (determinierten) Lexemen. So ist bei der Selektion die Solidarität zwischen Schiff und fahren durch das Archilexem Fahrzeug gegeben, so dass Schiff nur durch Lexeme mit demselben Archilexem, etwa Auto, Wagen, Bus, Boot usw. ersetzt werden kann. Sonst müsste für fahren ein anderes Lexem gewählt werden, z.B. fliegen bei Flugzeug. In der Glossematik ist die Fähigkeit zur Selektion

eine Form der Determination (einseitige Abhängigkeit in der Theorie von Hjelmslev). Es handelt sich um eine Abhängigkeitsrelation zwischen zwei sprachlichen Einheiten, wobei die eine die andere voraussetzt, aber nicht umgekehrt. So bestimmt z.B. bei einer PP die Präp. den Kasus des regierten Elements. Man spricht hier auch von Rektion. Edyta Błachut

→ Determination (2) → Gram-Syntax: Argumentselektion; Generative Grammatik;

Kasusselektion; lexikalische Selektion; Selektionsbeschränkung; Subkategorisierung ⇀ Selektion (CG-Dt; Lexik; Textling) ⇁ selection (TheoMethods)

🕮 Chomsky, N. [1957] Syntactic Structures (JanLing-Minor-H 4). The Hague ◾ Coseriu, E. [1967] Lexikalische Solidaritäten. In: Poet-A 1: 293–303 ◾ Elsen, H. [2014] Linguistische Theorien. Tübingen ◾ Engel, U. [1977] Syntax der deutschen Gegenwartssprache. Berlin ◾ Gallmann, P. [1990] Kategoriell komplexe Wortformen. Das Zusammenwirken von Morphologie und Syntax bei der Flexion von Nomen und Adjektiv (RGL 108). Tübingen ◾ Hjelmslev, L./ Uldall, H.J. [1936] Synoptischer Abriß der Glossematik. In: Hjelmslev, L. [Hg. 1974] Aufsätze zur Sprachwissenschaft. Stuttgart: 1–6 ◾ Hjelmslev, L. [1935–1937/1972] La catégorie des cas (IBAllLing 25). München ◾ Püschel, U. [1975] Semantisch-syntaktische Relationen. Untersuchungen zur Kompatibilität lexikalischer Einheiten im Deutschen. Tübingen ◾ Tesniėre, L. [1959] Éléments de syntaxe structurale. Paris.

Semantem

semantische Grundeinheit in der strukturellen Semantik. ▲ semantem: semantic basic unit in structural semantics. Der Terminus Semantem wird in der Fachlit. mit unterschiedlichen Inhalten verknüpft: (a) Von Noreen (1923) wird das Semantem im Sinne von Lexem (lexikalische Grundeinheit) eingeführt. (b) Bei Helbig (1969) ist das Semantem ein minimales Bedeutungselement. (c) In der semantischen Satzanalyse (Glinz 1965) ist das Semantem ein inhaltlicher Klassenbegriff (eine „verallgemeinerte verbale Wortkette“).

→ Lexem → Gram-Syntax: Satzanalyse ⇀ Semantem (Lexik)

Christine Römer

🕮 Glinz, H. [1965] Grundbegriffe und Methoden der strukturalistischen Text- und Sprachanalyse. Düsseldorf ◾ Helbig, G. [1969] Kleines Wörterbuch linguistischer Termini (Beilage zu DaF 2). Leipzig ◾ Noreen, A. [1923] Einführung in die wissenschaftliche Betrachtung der Sprache. Halle.

675

semantisches Passiv

semantische Genusdetermination

Prinzip, wonach das Genus eines Substantivs mit dessen semantischen Merkmalen korrespondiert und zu einem gewissen Grade voraussagbar ist. ▲ semantic gender assignment: principle that the grammatical gender of a noun corresponds with its semantic features and therefore is predictable to a certain degree. Jan Seifert

→ Genus; Genusdetermination; semantisches Merkmal; Substantiv

🕮 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Fischer, R.J. [2005] Genuszuordnung. Theorie und Praxis am Beispiel des Deutschen. Frankfurt/Main ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [1996] Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch typologisch (JbIdS 1995). Berlin [etc.]: 473–491 ◾ Köpcke, K.-M./ Zubin, D.A. [2009] Genus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 132–154 ◾ Köpcke, K.-M. [1982] Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

semantisches Merkmal

kleinster Bedeutungsbaustein eines sprachlichen Ausdrucks. ▲ semantic feature; semantic marker: smallest component of meaning of a linguistic expression. Semantische Merkmale sind Instrument und Ergebnis der Komponentenanalyse und Merkmalsemantik. Diese Ansätze gehen von der Grundannahme aus, dass sich die Gesamtbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks aus einer Menge von atomaren Bedeutungsbausteinen konzeptueller Art, den semantischen Merkmalen, zusammensetzt. Zur Benennung der semantischen Merkmale dienen objektsprachliche Ausdrücke (Simplizia, aber auch Wortgruppen), deren Notation meist in eckigen Klammern und häufig zusätzlich in Versalien oder Kapitälchen erfolgt, wodurch ihr postulierter metasprachlicher Charakter angezeigt wird. Durch semantische Merkmale kann sowohl die Bedeutung eines einzelnen Ausdrucks beschrieben als insbesondere auch in der Gegenüberstellung der gemeinsamen und distinktiven semantischen Merkmale mehrerer Ausdrücke die Relationen zwischen diesen Ausdrücken analysiert und herausgestellt werden, wie im folgenden Beispiel: Frau: [+MENSCHLICH], [+WEIBLICH], [+ERWACHSEN]

Mädchen: [+MENSCHLICH], [+WEIBLICH], [-ERWACHSEN] Mann: [+MENSCHLICH], [-WEIBLICH], [+ERWACHSEN] Junge: [+MENSCHLICH], [-WEIBLICH], [-ERWACHSEN] Ausdrücke, die bis auf ein einziges distinktives Merkmal dieselben semantischen Merkmale haben, sind Kohyponyme; so sind etwa Mädchen und Junge, die sich nur im Merkmal [WEIBLICH] unterscheiden, Hyponyme zum lexikalisierten Hyperonym Kind: [+MENSCHLICH], [-ERWACHSEN]. Die Menge der semantischen Merkmale zur Beschreibung der Ausdrücke einer oder – sofern ein Universalitätsanspruch gestellt wird – aller Sprachen muss finit sein; ein solches vollständiges Inventar wurde allerdings noch nicht ermittelt. Selbst innerhalb einer Sprache gibt es Ausdrücke – z.B. Abstrakta oder ganze Wortklassen wie Pronomen –, deren Beschreibung durch semantische Merkmale Probleme aufwirft. Weitere kritisch diskutierte Aspekte dieses Ansatzes sind (a) das Verfahren der objektsprachlichen Benennung, das die Gefahr zirkulärer oder tautologischer Beschreibungen birgt; (b) die Frage, ob die semantischen Merkmale in der psychologischen Realität aller Sprecher einer Sprache gleich repräsentiert sind; (c) der Umgang mit Sonderfällen in der außersprachlichen Wirklichkeit, wenn z.B. dem Ausdruck Vogel das semantische Merkmal [+FLUGFÄHIG] zugewiesen wird, Strauß als Hyponym jedoch ein Objekt der Klasse der Vögel bezeichnet, das nicht fliegen kann. Michael Mann

→ binäres Merkmal; Merkmal; Merkmalanalyse; Semantem → Gram-Syntax: Metasprache ⇀ semantisches Merkmal (Lexik; SemPrag)

🕮 Geeraerts, D. [2006] Componential Analysis. In: Brown, K. [ed.] Encyclopedia of Language & Linguistics. 2nd ed. Amsterdam [etc.]: 709–712 ◾ Lutzeier, P.R. [1985] Linguistische Semantik. Stuttgart ◾ Lyons, J. [1980] Semantik 1. München.

semantisches Passiv

semantische Variante des Passivs mit werden und dem Partizip II. ▲ semantic passive: semantic variant of the passive with werden and the past participle. Das semantische Passiv ist im Gegensatz zum syntaktischen Passiv mit werden und Partizip II

S

semifinite Verbform 676 (1) in der syntaktischen Form nicht als solches erkennbar. (1) Den Kunden wird frische Ware geliefert. Das semantische Passiv ist mit den Passivvarianten (Passivumschreibungen) gleichzusetzen, z.B. mit sein + zu + Infinitiv (2), mit dem bekommenPassiv (3) oder mit einem Funktionsverbgefüge (4). (2) Den Kunden ist frische Ware zu liefern. (3) Die Kunden bekommen frische Ware geliefert. (4) Die frische Ware kommt zur Lieferung. Tamás Kispál

→ Passivvariante; syntaktisches Passiv → Gram-Syntax: bekommen-Passiv; Funktionsverbgefüge; Passivumschreibung

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Helbig, G. [1997] Das Passiv. Leipzig.

semifinite Verbform

imperativische Verbform, die nur nach Numerus, nicht aber nach Person bestimmt ist. ▲ semi-finite verb form: imperative verb form that is specified for number only, not for person.

S

Die Formen des verbalen Paradigmas lassen sich nach Finitheit in infinite, finite und semifinite Klassen gliedern, auch wenn bzgl. Finitheit unterschiedliche Auffassungen bestehen (Eisenberg 2013: 190f.). Zu den infiniten Verbformen werden allgemein der Infinitiv und die beiden Partizipien gezählt, zu den finiten die übrigen, bzgl. der verbalen Kategorien bestimmten Formen. Donhauser (1986: 124ff.) schlägt für die Einordnung des Imperativs im Dt. den Terminus semifinite Verbform vor, denn während finite Verben im Gegensatz zu infiniten in Bezug auf Person und Numerus bestimmt sind, ist der Imperativ nur nach Numerus spezifiziert. Die traditionell der sog. 2. Pers. Sg. Imperativ zugeschriebene Personenmarkiertheit sei diesem aus zwei Gründen abzusprechen: (a) anstatt der ansonsten einheitlichen Kennzeichnung der 2. Pers. Sg. mit -st stehen beim Imperativ die e-haltigen und die e-losen Formen als zwei „im Prinzip gleichberechtigte [...] Bildungsprinzipien“ nebeneinander (Donhauser 1986: 265); (b) die Kombinierbarkeit des Sg. Imperativ mit Nominativen der 3. Pers. (z.B. einer, jeder). „Nominative beim Imperativ werden wie die Verbform allein […] mit Bezug auf den Adres-

saten der Äußerung gelesen“, ähnlich wie selbständig gebrauchte Infinitive und Partizipien II: Hereinspaziert! Das Fenster geschlossen halten! (Donhauser 1986: 126). Auch dies lege für den Imperativ die Bestimmung als „eine Verbform ohne Spezifikation der Personenkategorie“ nahe (Donhauser 1986: 126, auch Glinz 1952). Somit weist das Subjekt beim Imperativ die „Bindung nur über einen Kongruenzweg“ (Numerus) auf, während es bei finiten Verben eine maximale Bindung (Person und Numerus) und bei infiniten überhaupt keine aufweist (Donhauser 1986: 127). Das erklärt wiederum „sowohl die prinzipielle Weglassbarkeit des Subjekts bei der 2. Person Sg. Imperativ [das Subjekt ist nur in markierten Fällen zu erwarten] wie auch die Möglichkeit von Subjekten, die normalerweise Kongruenz im Sinne der 3. Person verlangen“ (Donhauser 1986: 128ff.). Anna Vargyas

→ Finitheit; Imperativ; infinite Verbform; Numerus; Person → Gram-Syntax: Infinitheit

🕮 Donhauser, K. [1986] Der Imperativ im Deutschen. Studien zur Syntax und Semantik des deutschen Modussystems. Hamburg ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Glinz, H. [1952] Die innere Form des Deutschen: Eine neue deutsche Grammatik. Bern [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Sequenzadverb

Adverb, das auf die zeitliche Abfolge eines Geschehens bezogen ist. ▲ sequential adverb: adverb referring to temporal succession or extension of the verb content. Sequenzadverbien bilden bei Weinrich (1993: 576ff.) eine Subkategorie der Tempus- oder Temporaladverbien. Sie beziehen sich verschiedenartig auf die zeitlichen Extreme 'früher – später' oder 'Anfang – Schluss', wie z.B. vorher – dann/ sodann, zuvor – nachher, eher – darauf/daraufhin bzw. zuerst – schließlich, anfangs – endlich, zunächst – zuletzt. Einen Zeitpunkt zwischen den Extremen oder Gleichzeitigkeit bezeichnen ferner Adverbien wie inzwischen, zugleich, unterdessen, einstweilen, währenddessen, mittlerweile. Adverbien wie seitdem und bisher bezeichnen den Bezug zu einem mit dem Verbinhalt gegebe-

677 Sexus nen Vorgang, das erstere zu dessen Anfang (1), das letztere zu dem in der Situation / dem Kontext aktuellsten Zeitpunkt (2). (1) Seitdem wir in die Stadt zogen, gehen wir jeden Monat ins Theater. (2) Wir haben bisher nicht weniger als 50 Vorstellungen gesehen. Den (vom Sprecher) als extrem beurteilten Anfangs- oder Schlusspunkt bezeichnen frühestens, spätestens (3), und längstens (4) bezeichnet eine entsprechend extreme Dauer. (3) Er kommt frühestens/spätestens um Viertel nach zwei. (4) Die Vorstellung dauert längstens drei Stunden. Eine rein seriale Abfolge bezeichnen weiterhin die Adverbien (zu)erst – dann. (5) Zuerst gingen wir ins Theater, dann ins Café. Eine andere Hauptgruppe von Sequenzadverbien sind mit Erwartungen in Bezug auf einen Zeitpunkt oder den zeitlichen Ablauf eines Geschehens verbunden. Das Adverb schon bezeichnet einen früheren Zeitpunkt als erwartet und erst einen späteren. (6) Der Zug ist schon drei Minuten vor der angegeben Ankunftszeit angekommen. (7) Der Zug war um eine Stunde verspätet und kam erst um 13.20 an. Schon und erst werden häufig mit anderen temporalen Adverbien verbunden, z.B. schon jetzt, erst morgen. Noch bedeutet einen Zeitpunkt, der länger als erwartet auf sich warten lässt. (8) Der Zug hat Verspätung und ist noch nicht gekommen. Übliche Kombinationen mit noch sind: noch nicht, immer noch, noch immer, noch bis, noch mehr, noch länger, heute noch u.a.

→ Adverb; Temporaladverb

Kjell-Åke Forsgren

🕮 Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Sexus

natürliches Geschlecht mit den Werten männlich und weiblich, das sich in manchen Sprachen im grammatischen Geschlecht der Substantive, Adjektive und Pronomina mit den Werten Maskulinum und Femininum niederschlägt. ▲ sex; biological gender: biological male and female

sex that is linked with the grammatical masculine and feminine gender of nouns, adjectives and pronouns in many of the world’s languages. Allgemein dient das Genus zur Signalisierung des natürlichen (auch: biologischen) Geschlechts bei den Personenbezeichnungen und bestimmten Bezeichnungen für Tiere, bei denen Geschlechterformen existieren. Viele Gruppen von diesen Bezeichnungen sind hinsichtlich des natürlichen Geschlechts symmetrisch aufgebaut (vgl. im Dt. die Frau – der Mann; die Kuh – der Stier). Bezogen auf die gesamte nominale Lexik einer Sprache dominiert allerdings häufig der generische (geschlechtsneutrale, sexusunspezifische) Gebrauch, im Dt. z.B. bei den Tieren: der Hund, der Tiger, das Pferd; bei Bezug auf männliche und weibliche Personen: jeder Student, einige Politiker, mancher etc., was (nicht nur) innerhalb der ling. Genderforschung (z.B. Pusch 1980; Cameron 1992; Cameron 1995) als die Dominanz der Männer über die Frauen diskutiert wurde. Die sprachkritische Diskussion hat z.T. Veränderungen bzw. bestimmte Vorschläge bewirkt. Im geschriebenen Dt. (im gesprochenen u.a. bei Reden) werden z.B. Paarformen (Bürgerinnen und Bürger) statt maskuline Substantive für beide Geschlechter (Bürger) gebraucht bzw. verschiedene Varianten für die amtliche Rechtschreibung vorgeschlagen (Bürger/-innen, Bürger/innen, BürgerInnen u.a.; vgl. Duden 2006: 156). Das Engl. favorisiert auf Grund struktureller Voraussetzungen pronominales Splitting (a teacher and her or his students). Bei Sprachen mit einem produktiven und vielfältigen Wortbildungssystem (z.B. Dt., Poln.) stehen oft regelmäßige feminine Bezeichnungen neben den generischen (Ministerin, Amtsfrau, Hündin). Andere Vorschläge haben sich nicht etabliert, z.B. hat Pusch (1980) folgende Regelung für das Dt. vorgeschlagen: männlich: der Lehrer / die männlichen Lehrers; weiblich: die Lehrer / die weiblichen Lehrers; neutral: das Lehrer / die Lehrers. Edyta Błachut ≡ Geschlecht; natürliches Geschlecht ↔ Genus → Differentialgenus; Femininum; generisches Maskulinum; Genusdetermination; Geschlechtsspezifikation; Maskulinum; Movierung; Neutrum ⇀ Sexus (SemPrag)

🕮 Cameron, D. [1992] Feminism and Linguistic Theory. 2. ed. London ◾ Cameron, D. [1995] Verbal Hygiene. London ◾

S

s-Flexion 678 Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hellinger, M. [Hg. 1985] Sprachwandel und feministische Sprachpolitik: Internationale Perspektiven. Opladen ◾ Leiss, E. [1994] Genus und Sexus. Kritische Anmerkungen zur Sexualisierung von Grammatik. In: LB 152: 281–300 ◾ Posti, G. [1991] Weibliches Sprechen. Feministische Entwürfe zu Sprache und Geschlecht. Wien ◾ Pusch, L.F. [1980] Das Deutsche als Männersprache – Diagnose und Therapievorschläge. In: LB 69: 59–74.

s-Flexion

Flexionstyp, der alle Substantive mit s-Plural beinhaltet. ▲ s-inflection: inflection class of all nouns that form the plural with -s.

S

Die genusunabhängige s-Flexion wird in Eisenberg (2006: 168f.) als ein Flexionstyp angenommen, der Substantive mit s-Plural aller Genera in einer Klasse zusammenfasst (Hits; Autos; Omas). Darüber hinaus wird in der s-Flexion das Genitiv‑s Sg. bei den Maskulina (des Hits) und Neutra (des Autos) realisiert. Dieser Flexionstyp als eine eigene, von der starken unterschiedene s-Klasse wird inzwischen häufiger angenommen (vgl. Wegener 2007). Thieroff (2016: 8) spricht sich für fünf Deklinationsklassen (stark, schwach, gemischt, feminin, -s) aus, wobei die s-Flexionsklasse auf die Nicht-Feminina (vom Typ Opa, Auto) mit dem s-Marker im Genitiv Sg. und dem s-Pl. beschränkt sei. In den Grammatiken ergeben sich bzgl. des s-Plurals unterschiedliche Zuordnungen der Substantive nach dem Flexionstyp. In Engel (2004: 275f.) gehören alle Plurale auf s in eine Deklinationsklasse, weil hier allein die Pluralbildung (neben s auch (e)n, e, er und ohne Pluralendung) zur Grundlage von fünf Deklinationsklassen gemacht wird. In Duden (2005: 184ff.) tritt der s-Pl. insbesondere in bestimmten lexikalischen Klassen wie den Eigennamen, dazu in zahlreichen Fremdwörtern, Abkürzungen und Kurzwörtern auf, und somit werden Substantive mit s-Pl. unter keinem Flexionstyp eingeordnet. Maskuline und neutrale Substantive, die den Genitiv Sg. mit Hilfe der Endung -s/-es bilden, flektieren in Duden (2005) nach dem Flexionstyp II, der traditionell stark genannt wird. Der genusun-

abhängige s-Genitiv Sg. gehört ebenda in einen Flexionstyp: stark – Eigennamendeklination. Edyta Błachut

→ (e)s-Genitiv; Deklination; Flexion; Plural; s-Deklination; Substantiv

🕮 Bornschein, M./ Butt, M. [1987] Zum Status des s-Plurals im gegenwärtigen Deutsch. In: Abraham, W./ Århammer, R. [Hg.] Linguistik in Deutschland. Tübingen: 135–153 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Thieroff, R. [2016] Deklinationsklassen und Distinktionsklassen. In: Bittner, A./ Spieẞ, C. [Hg.] Formen und Funktionen: Morphosemantik und grammatische Konstruktion. Berlin [etc.]: 1–20 ◾ Wegener, H. [2007] Entwicklungen im heutigen Deutsch – wird deutsch einfacher? In: DS 35: 35–62.

Silbenstruktur

Grundaufbau von Silben nach sprachspezifischen Phonotaktik-Regeln zur Kombinatorik von Phonemen als lautlichen Bausteinen. ▲ syllable structure: basic construction of syllables based on language-specific phonotactic rules of the combinatorics of phonemes as phonetic elements. Hang Ferrer Mora

→ Vollsilbe ⇀ Silbenstruktur (Schrling; Phon-Dt; QL-Dt; Sprachdid) ⇁ syllable structure (Phon-Engl)

🕮 Maddieson, I. [2005] Syllable structure. In: Haspelmath, M./ Dryer, M.S./ Gil, D./ Comrie, B. [eds.] The World Atlas of Language Structures. Oxford: 54–57 ◾ Vennemann, T. [1982] Zur Silbenstruktur der deutschen Standardsprache. In: Vennemann, T. [Hg.] Silben, Segmente, Akzente. Tübingen: 261–305.

silbenzählend

sprachrhythmisches Prinzip, nach dem Silben in gleichmäßigen Zeitabständen aufeinander folgen. ▲ syllable-timed: principle of rhythmic organisation of a language based on syllable recurrence in equal time intervals. Die Unterscheidung zwischen zwei phonetischen Sprachtypen, dem silben- und dem akzentzählenden, geht auf Pike (1953) zurück (sog. IsochronieHypothese). Im Gegensatz zum akzentzählenden Typus (z.B. Engl.) sind die Silben in einer silbenzählenden Sprache (z.B. Frz.) gleich lang. Die phonetische Dauer eines Wortes (und damit der gesamten Phrase) steigt mit jeder Silbe gleichmäßig an. Bis heute ist die Isochronie-Hypothese nur indirekt nachgewiesen (Grabe/Low 2002): Je geringer die Variabilität der Vokaldauer, desto größer

679 Simplex die Wahrscheinlichkeit, dass der Rhythmus als silbenzählend empfunden wird. Nach Auer (2001) sind die Rhythmustypen in der Phonologie einer Sprache begründet. Tendiert die Sprache zum gleichmäßigen, optimalen Silbenbau unabhängig von der Wortposition (sog. Silbensprache), ist ihr Rhythmus silbenzählend. Eine variable, von der Wortposition abhängige Silbenstruktur ist für das entgegengesetzte phonologische Extrem, sog. Wortsprache, charakteristisch (akzentzählender Rhythmus).

→ § 30; Silbenstruktur; Wort ⇀ silbenzählend (Phon-Dt)

Renata Szczepaniak

🕮 Auer, P./ Uhmann, S. [1988] Silben- und akzentzählende Sprachen. Literaturüberblick und Diskussion. In: ZS 7: 214–259 ◾ Auer, P. [2001] Silben- und akzentzählende Sprachen. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [Hg.] Sprachtypologie und sprachliche Universalien (HSK 20.2). Berlin [etc.]: 1391–1399 ◾ Grabe, E./ Low, E.L. [2002] Durational Variability in Speech and the Rhythm Class Hypothesis. In: PLabPhon 7: 515–546 ◾ Szczepaniak, R. [2007] Der phonologisch-typologische Wandel des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache (StLingGerm 85). Berlin [etc.].

silbischer Plural

Pluralmarker bei Nomina, der einen Vokal enthält und dadurch eine Silbe bildet. ▲ syllabic plural: plural marker which contains a vowel and is therefore syllabic.

Der silbische Plural umfasst im Dt. Pluralsuffixe, die ein Schwa enthalten: -e, -en und -er. Einen silbischen Plural haben im Dt. nicht nur diverse Klassen der (einsilbigen) Simplizia (1), sondern auch abgeleitete Nomina, deren Derivationsmorphem einen Vollvokal enthält (2). (1) Gas-e, Tür-en, Kind-er (2) Jüngling-e, Gewerkschaft-en, Irrtüm-er György Scheibl

→ äußerer Plural; Nomen; Plural; silbisches Flexionssuffix

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066 ◾ Wegener, H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen.

silbisches Flexionssuffix

silbenbildendes Suffix als Mittel des flexionsmorphologischen Formenbaus.

▲ syllabic inflectional ending: syllable-forming affix attached at the end of a root word that creates a different grammatical form.

Flexionssuffixe werden an einen Stamm angehängt und bilden dadurch eine Wortform. Sie können gleichzeitig verschiedene grammatische Kategorien markieren (z.B. Kasus und Numerus). In der Flexionsmorphologie des Dt. unterscheidet man nach der Silbenbildung silbische und nicht silbische Flexionssuffixe. In Zeit + en führt das Suffix zu Zweisilbigkeit. Ein nicht silbisches Suffix ist dagegen -n in Gabel + n, weil die Form auch ohne Suffix zweisilbig ist. Nach Eisenberg (2006: 156) ist das phonologische Gewicht ein Ordnungskriterium für Flexionsmarker. Silbische Suffixe wie in Zeiten sind demzufolge schwerer als nicht silbische wie in Gabeln.

→ Flexion; Flexionsform; silbischer Plural

Edyta Błachut

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Köpcke, K.-M. [1995] Die Klassifikation der schwachen Maskulina in der deutschen Gegenwartssprache. In: ZS 14: 159–180 ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg.

Simplex

Wort, das kein Derivat und kein Kompositum ist. ▲ simplex word: word that is neither derived nor a compound. Die Zahl der Simplizia, d.h. der nicht abgeleiteten und nicht zusammengesetzten Wörter der dt. Standardsprache beläuft sich auf einige Tausende, aus denen mithilfe der Mittel der Wortbildung Hunderttausende von Lexemen entstehen konnten und können (vgl. Duden 1998: 408f.). Ein Simplex ist in der Regel morphologisch mit einem Stammmorphem (samt eventuellen Flexiven) identisch, das sowohl zum germ. Erbe (z.B. Frau, gut, geht) als auch zum Lehngut (z.B. Prinz, kurz, passt) gehören kann. Synchron gelten Wörter mit verblasster Motiviertheit (wie z.B. Zaum < ziehen) bzw. mit nicht transparenter fremder Morphemstruktur (wie z.B. Atom < griech. á-tomos 'un + teilbar') ebenfalls als Simplizia. Pál Uzonyi

→ Derivation; Flexiv; freies Morphem; komplexer Stamm; Kompositum; Wortbildung

⇀ Simplex (Wobi; Lexik)

S

Simplexverb 680 🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Simplexverb

Verb, das aus einem Verbalstamm ohne Ableitungsmorpheme besteht. ▲ simplex verb: verb consisting of a verbal stem without derivation affixes.

S

Simplizia sind Verben, die weder zusammengesetzt noch abgeleitet sind, d.h., sie bestehen aus nur einem Verbalstamm und haben keine lexikalischen Präfixe, Halbpräfixe (Präfixoide) sowie keine lexikalischen Suffixe bzw. Halbsuffixe (Suffixoide). So sind die Verben gehen, machen, denken, spazieren Simplizia, während die Verben weggehen, abmachen, erdenken, spazieren gehen abgeleitet bzw. (das Letztere) zusammengesetzt sind. Von Substantiven, Adjektiven und anderen Wortarten gebildete Verben werden, sofern sie keine speziellen Ableitungssuffixe außer dem Infinitivsuffix -(e)n haben, ebenfalls zu den Simplizia gezählt, da die Ableitung dieser Art als Konversion (d.h. Wortartwechsel ohne lexikalisch-semantische Ableitung) behandelt wird, vgl. landen ← Land, arbeiten ← Arbeit, grünen ← grün, stoppen ← stopp, klicken ← klick!, muhen ← muh! etc. In manchen Fällen kann die Unterscheidung zwischen Simplex und Ableitung schwer fallen. So hängt die Entscheidung, ob z.B. das Verb standardisieren abgeleitet ist oder nicht, lediglich davon ab, ob man das fremdsprachige Suffix -isierals ein selbständiges lexikalisches Morphem oder aber als ein (erweitertes) grammatisches Verbalsuffix behandelt. Ähnlich sieht es mit den Verben des Typs verstehen, gehören, gefallen aus. Aus synchron-semantischer Sicht sind es Simplizia, da in der Gegenwartssprache kein semantischer Bezug auf die entsprechenden Verben stehen, hören, fallen (mehr) besteht. Aber die ursprüngliche Verwandtschaft mit diesen Verben lebt in der phonomorphologischen Struktur dieser genuinen Ableitungen fort: So sind ihre Präfixe rein formal gut feststellbar. Sie gehören zu denselben Mustern der morphologischen Formenbildung. Aus sprachhist. Sicht sind nur starke Wurzelverben genuine Simplizia. Sämtliche schwachen Verben sind urspr. mithilfe spezieller Suffixe von starken Verben, Substantiven, Adjektiven oder anderen

Wortarten abgeleitet worden. Da aber die einstigen Ableitungssuffixe in Folge der Abschwächung der unbetonten (darunter auch suffixalen) Vokale der Nebensilben bereits in mhd. Zeit zusammengefallen sind, werden heutzutage auch schwache Verben zu den Simplizia gezählt, sofern sie keine anderen Ableitungsmorpheme haben.

↔ abgeleitetes Verb → Simplex; Stamm; Verb

Michaił L. Kotin

🕮 Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2007] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 3. Aufl. Tübingen ◾ Kühnhold, I./ Wellmann, H. [1973] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 1. Hauptteil: Das Verb (SdG 29). Düsseldorf.

Singular

Numerus zur Bezeichnung einer als diskret konzeptualisierten Entität. ▲ singular: grammatical number referring to a single entity that is conceptualised as discrete. Die Kategorie Singular ist für Sprachen anzunehmen, die über ein Numerussystem mit mindestens zwei Werten verfügen. Im Einklang mit Greenbergs Universalie 34 über die Hierarchie der Numeruskategorien (1) muss hierbei zumindest eine Opposition zwischen Sg. und Pl. vorliegen, denn das Vorhandensein eines weiteren Numerus (eines Dualis, Trialis oder Paucalis) impliziert, dass die jeweilige Einzelsprache auch über einen Plural verfügt. (1) Sg. > Pl. > Dual > Trial/Paucal (Greenberg 1966: 94) In nichtgenerischen Aussagen dient der Sg. von Individuativa dazu, einen einzelnen Referenten zu bezeichnen (2). (2) Das/Dieses/Sein Auto ist alt. (3) Die/Diese/Seine Autos sind alt. In diesen Fällen erweist sich der Sg. in vielen Sprachen sowohl in semantischer als auch in morphologischer Hinsicht als die unmarkierte Basiskategorie, die sich oft durch das Fehlen einer expliziten Numerusmarkierung auszeichnet. (a) Nomina mit Numerusdifferenzierung Sprachtypologisch variieren Sprachen hinsichtlich des Skopus der Numerusdifferenzierung, also darin, welche Nomina einer Numerusunterscheidung unterliegen müssen bzw. können. In Bezug

681 Singular auf das Vorliegen einer Numerusopposition und somit der Kategorie Sg. bei Nomina kommt der folgenden, von Corbett modifizierten Belebtheitshierarchie („animacy hierarchy“) universelle Gültigkeit zu (4). (4) Sprecher (Pron. der 1. Pers.) > Angesprochene(r) (Pron. der 2. Pers.) > 3. Pers. > verwandt > menschlich > belebt > unbelebt (Corbett 2000: 56) Die in der Hierarchie genannten Klassen von Nomina sind in den natürlichen Sprachen mit abnehmender Leichtigkeit pluralisierbar (Link 1991: 419), wobei die Opposition zwischen Sg. und Pl. immer für ein höher angeordnetes, zusammenhängendes Segment der Belebtheitshierarchie gilt (Corbett 2000: 55ff.). Die Lage im Dt., mit einer Numerusopposition für alle Positionen der Hierarchie, ist daher nicht universell. Im Jap. ist eine Numerusdifferenzierung z.B. nur bei Nomina mit Referenz auf belebte Entitäten möglich, und nur bei Personalpronomina und Personeneigennamen obligatorisch (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1060); auch in vielen nordamerik. Indianersprachen ist eine Unterscheidung zwischen Sg. und Pl. auf Lebewesen bezeichnende Nomina beschränkt (Biermann 1982: 231). Im Mandarin-Chin. ist die Numerusdifferenzierung noch weiter eingeschränkt und nur bei Pronomina obligatorisch (Li/Thompson 1989: 11f.). In sehr vielen Sprachen gibt es bestimmte Nomina, die sich einer unmittelbaren Numerusdifferenzierung entziehen, d.h. numerusindifferent und transnumeral sind. Diese Substantive werden in europ. Sprachen gewöhnlich Kontinuativa genannt. Es handelt sich hierbei um Stoffnamen (z.B. Bier, Silber), Kollektiva (z.B. Vieh, Schmuck) und Abstrakta (z.B. Glück, Frieden) (Krifka 1991: 399; Löbel 2009: 266f.). Diese Substantive zeichnen sich semantisch dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den Individuativa als unbegrenzte, nicht-diskrete Objekte konzeptualisierte und somit nicht direkt zählbare Entitäten benennen. Dementsprechend haben sie wegen der Aufhebung der Numerusunterscheidung ein defektes Paradigma und können entweder nur im Sg. (als Singulariatantum, wie die erwähnten Sub­ stantive) oder nur im Pl. (als Pluraliatantum, z.B. Flitterwochen, Masern, Möbel) stehen (Link 1991: 418; Krifka 1991: 399f.; Koptjevskaja-Tamm 2004: 1067), wobei im Dt. die Mehrheit der Massenno-

mina Singulariatantum sind. Jedoch handelt es sich hierbei wegen der fehlenden Numerusopposition um transnumerale Nomina und keine eigentlichen Singular- bzw. Pluralformen (Biermann 1982: 230). Bei der Unterscheidung zwischen zählbaren Individuativa und unzählbaren Kontinuativa liegt zwischen den Referenten der Substantive kein ontologischer Unterschied in der außersprachlichen Realität vor. Vielmehr geht es um zwei mögliche Konzeptualisierungen, einmal als diskrete, abgegrenzte, individuierte Entität, von der eine (Sg.) oder mehrere (Pl.) gemeint sein können, andererseits als eine nicht-diskrete, homogene, nicht begrenzte Entität. Neben der Belebtheit der Referenten hängt die Numerusunterscheidung in vielen Sprachen mit der Spezifizität bzw. der Definitheit der nominalen Referenz zusammen. So wird die Numerusunterscheidung bei generisch oder indefinit verwendeten Nomina z.B. im Persischen neutralisiert (Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1061) und ist im Koreanischen bei den überhaupt numerusdifferenzierenden, Lebewesen bezeichnenden Nomina nur bei spezifischer Referenz möglich (Biermann 1982: 232f.). (b) Markierung des Singulars Da bei Individuativa der Sg. die unmarkierte Kategorie darstellt, ist in diesem Zusammenhang nur die syntaktische Numerusmarkierung durch Kongruenz innerhalb der NP bzw. mit dem Finitum relevant. Hier sind sprachübergeifend häufig Demonstrativartikel und Verben involviert. Kongruenz erstreckt sich im Sg. häufiger auch auf andere Kategorien, vor allem auf das Genus (Corbett 2000: 136) ((5)–(7)). (5) das schöne Haus (6) der letzte Satz (7) die alte Stadt Eine typologische Variation bei der Kongruenz innerhalb der NP bzw. mit dem Finitum liegt bei quantifizierten NPn vor. So lösen Numeralia z.B. im Ung. keine Numeruskongruenz innerhalb der NP aus, sondern sind nur mit der unmarkierten Form verträglich: könyv‑ekPl.‑etAkkusativ vettem ['ich habe Bücher gekauft'] vs. három könyv‑etAkkusativ vettem ['ich habe drei Bücher gekauft'] oder sok könyv‑etAkkusativ vettem ['ich habe viele Bücher gekauft'] (vgl. Link 1991: 418). Das Finitum steht bei

S

Singular 682 Kongruenz mit solchen quantifizierten NPn im Sg. (8). (8) Sok madárSg. énekelSg. ['Viele Vögel singen.'] Bei NPn, deren Kopf eine Körperschaft bezeichnet, kann die Kongruenz mit dem Finitum unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob sie aufgrund der Form (Sg.) oder der Bedeutung (Pl.) erfolgt (z.B. The police has/have arrested the thief), was auch z.B. im Span. möglich ist (Corbett 2000: 187ff.). Im Gegensatz dazu ist im Dt. die Kongruenz von der Form abhängig (z.B. Die Polizei hat/*haben den Dieb festgenommen).

S

(c) Möglichkeiten der Rekategorisierung von transnumeralen Substantiven Bei numerusunterscheidenden Nomina (Individuativa) signalisiert der Sg. eine zählbare „diskrete Ganzheit“ (Biermann 1982: 229), während Kontinuativa transnumeral sind, d.h. keiner direkten Numerusopposition unterliegen. Allerdings können auch transnumerale Substantive rekategorisiert werden, um eine diskrete Einheit zu bezeichnen. Das kann sprachübergreifend unterschiedlich erfolgen. In vielen Sprachen, z.B. im Arab., Bretonischen und Walisischen stehen Affixe zur Bildung sog. Singulativformen zur Verfügung (z.B. arab. dəbbāne ['eine Fliege'] aus dem transnumeralen Subst. dəbbān ['Fliege(n)'], bretonisch edenn ['ein Stück Korn'] aus ed ['Getreide'], walisisch pluen ['eine Feder'] aus plu ['Feder(n)']) (Biermann 1982: 234f.). Die Opposition zwischen diesem markierten Singulativ und dem transnumeralen Basisnomen ist dabei, abgesehen von den umgekehrten Markiertheitsverhältnissen, mit der Opposition zwischen dem unmarkierten Sg. und dem Pl. bei Individuativa vergleichbar (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1071). Außerdem können individuierte Substantive auch durch Komposition (z.B. schwed. saltkorn ['Salzkorn'] (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1072), dt. Elternteil, Schmuckstück) gebildet werden. Ferner führt die Verwendung eines transnumeralen Subst. in bestimmten syntaktischen Konstruktionen zu seiner Rekategorisierung. So besteht einerseits die Möglichkeit, ein transnumerales Subst. einfach mit dem Numerale eins zu kombinieren und dadurch zu quantifizieren, was lexemspezifisch mit bestimmten Bedeutungsver-

änderungen einhergeht (vgl. Biermann 1982: 236; Corbett 2000: 84f.) ((9)–(11)). (9) Ich habe einen wunderbaren Wein getrunken. [Sortenlesart] (10) Einen Kaffee, bitte. [Einheitenlesart] (11) Der Dame war eine große Ungerechtigkeit widerfahren. [Gelegenheitslesart] Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind die sog. Klassifikatorsprachen (z.B. Chin., Vietnamesisch), in denen es bei Substantiven keine Numerusopposition gibt, sondern alle Nomina transnumeral sind. Bei Kombination mit einem Numerale muss ein Klassifikator hinzugefügt werden, mit dessen Hilfe der Referent als diskrete Einheit rekategorisiert werden kann (z.B. chin. yī zhāngKLASSIFIKATOR zhuōzi ['ein Tisch'], yī bĕnKLASSIFIKATOR shū ['ein Buch']). Klassifikatoren gibt es auch im Dt. und Engl. (z.B. ein Stück Vieh, a head of cattle). In europ. Sprachen sind sie allerdings marginal (Link 1991: 419; Krifka 1991: 400). Bei der Verwendung von Klassifikatoren ist übereinzelsprachlich die einfache Nebeneinanderstellung dominant (vgl. das chin. und das dt. Beispiel), während im Engl. z.B. die Präp. of auftreten muss. In anderen Sprachen wird in solchen Konstruktionen ein bestimmter Kasus verwendet, im Russ. der Genitiv (z.B. bokal vinaGenitiv ['ein Glas Wein']), im Finn. der Partitiv (z.B. säkki perunoitaPARTITIV. Pl. ['ein Sack Kartoffeln']) (Koptjevskaja-Tamm 2004: 1072). Katalin Simon-Horváth ≡ Einzahl → § 16; arbiträrer Dual; Dualis; Individuativum; Kontinuativum; Massennomen; Numerus; Numeruskongruenz; Pluraletantum; Singularetantum; Universalie ⇀ Singular (CG-Dt; SemPrag) ⇁ singular (Typol)

🕮 Biermann, A. [1982] Die grammatische Kategorie Numerus. In: Seiler, H.-J./ Lehmann, C. [Hg.] Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen (LgUS 1). Tübingen: 229–243 ◾ Corbett, G.G. [2000] Number. Cambridge ◾ Greenberg, J. [1966] Some universals of grammar with particular reference to the order of meaningful elements. In: Greenberg, J. [ed.] Universals of Grammar. 2nd ed. The Hague: 73–113 ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066 ◾ Koptjevskaja-Tamm, M. [2004] Mass and collection. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1067–1073 ◾ Krifka, M. [1991] Massennomina. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 399–418 ◾ Li, C.N./ Thompson, S.A. [1989] Mandarin Chinese. A Functional Reference Grammar. Berkeley [etc.] ◾ Link, G. [1991] Plural. In: Stechow, A. von/

683 Situationsadverb Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 418–440 ◾ Löbel, E. [2009] Numerus. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 260–270.

singulare tantum ≡ Singularetantum

Singularetantum

Substantiv, das nur singularische Wortformen hat. ▲ singulare tantum: noun that has only the singular form. Beim Singularetantum (Pl. Singulariatantum) wird die Ungegliedertheit eines Objekts als semantischer Grundzug empfunden, und deshalb sind diejenigen Substantive, die als ungegliedert aufgefasst werden, auf den Sg. beschränkt. Hierher gehören u.a. Eigennamen (Warschau, Rhein, Helga), Kollektivbezeichnungen (Laub, Gebirge, Adel, Schmuck), Abstrakta (Kälte, Hass, darunter auch Substantivierungen wie das Gehen, das Schöne), Stoffbezeichnungen (Gold, Wasser, Schnee), Maß- und Mengenbezeichnungen (Gramm, Pfund). Allerdings weisen die meisten Substantive eine gewisse Spannbreite im Gebrauch auf. Pluralformen erscheinen z.B. beim Wechsel zum Gebrauch als eine andere semantische Substantivklasse (drei Helgas: drei Personen namens Helga; die Havannas als Produktbezeichnung), in Fachsprachen (Unendlichkeiten), im fachspr. Gebrauch in der sog. Sortenlesart (Sande/ Sände, Wässer, Unkräuter) und in der Literatursprache. Zusätzliche Möglichkeiten des pluralischen Gebrauchs von Substantiven, die nur im Sg. auftreten, bieten lexikalische Mittel (zwei Stück Obst, drei Flaschen Wein), oder man bildet Zusammensetzungen (drei Mehlarten, zwei Getreidesorten; Schmuckwaren, Regenfälle; vgl. Duden 2006: 175). Manchmal schwanken die Numerusformen (zwei Kaffee / seltener: zwei Kaffees; einige Prozent / einige Prozente; in Euro / in Euros). Edyta Błachut ≡ singulare tantum; Singularwort ↔ Pluraletantum; Pluralwort → Abundanzplural; Defektivität; Numerus; Plural; Singular ⇀ Singularetantum (Lexik)

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./

­Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Singularwort

≡ Singularetantum

Sinnbezirk

≡ Wortfeld ⇀ Sinnbezirk (1) (Lexik); Sinnbezirk (2) (Lexik)

Situationsadverb

einziges Element der semantisch definierten Teilklasse der Lokaladverbien, das besondere Funktionen aufweist, nämlich das Deiktikum da. ▲ situational adverb: sole element of the semantically defined class of local adverbs with special functions. Da gehört zwar zu der Teilklasse der Lokaladverbien bzw. der Deiktika da, hier und dort, hat aber weitere Merkmale und Funktionen. Es ist das häufigste, wichtigste und neutralste Lokaladverb. Seine Bedeutung ist mit dem Merkmal umfassend angegeben. Dieses Merkmal impliziert eine Neutralität bzgl. der Sprecher-, Hörer- und Referenzrolle und umfasst neben der lokalen auch die temporale sowie die konditionale Lesart. Zudem kann das Adverb da auf der Textebene eine wiederaufnehmende Funktion für ganze Texte oder Textabschnitte erfüllen. In diesem Fall steht da meistens im Vorfeld. (1) Zuerst gehen wir auf die Demo, da ist es immer lustig. [wiederaufnehmende Funktion und lokale Lesart] (2) An der Treppe hat er mich gegen die Wand gestoßen. Da hatte er das Messer schon in der Hand. [wiederaufnehmende Funktion und temporale Lesart; prädikativer Gebrauch] (3) Depression ist eine körperliche Erkrankung. Da hilft keine Psychoanalyse. [wiederaufnehmende Funktion und konditional-restriktive Lesart] (4) Hier liebt man es sehr luftig, im Süden ist man da etwas dezenter. [wiederaufnehmende Funktion und relationale Lesart] In Linksversetzungsstrukturen erscheint da ebenso als wiederaufnehmendes Element im Vorfeld; ferner wird es prädikativ gebraucht. (5) Vor ein paar Jahren, da fehlte mir schon die

S

skalares Adjektiv 684

(6)

Mutter. Ich hätte mir gewünscht, sie wäre da und [...]. [wiederaufnehmende Funktion und temporale Lesart] Wo man gerade nicht ist, da ist es immer am Schönsten! [wiederaufnehmende Funktion und lokale Lesart]

→ Adverb; Lokaladverb → Gram-Syntax: Deixis

Jussara Paranhos Zitterbart

🕮 Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

skalares Adjektiv ≡ polares Adjektiv

Sondernegation

Negation, die sich nicht auf den ganzen Satz, sondern nur auf einen Teil davon bezieht. ▲ special negation: negation which does not apply to the whole sentence but only to a part of it.

S

In herkömmlichen Grammatiken und Ansätzen (z.B. Duden 1998; Helbig/Albrecht 1993) wird je nach dem Wirkungsbereich des Negationsträgers zwischen zwei Typen der Negation unterschieden. Negation, die sich nur auf einen Teil des Satzes bezieht, wird als Sondernegation (auch Wortnegation, Konstituentennegation) bezeichnet (2), im Unterschied zur Negation, die den ganzen Satz betrifft (1). (1) Sie wartet nicht auf Hans. [Satznegation] (2) Nicht sie wartet auf Hans. [Sondernegation] Während die Satznegation zum rechten Rand des Satzes tendiert, steht die Sondernegation unmittelbar vor dem negierten Satzteil. Probleme bei einer solchen Unterscheidung entstehen bei intonatorischer Hervorhebung (Fokussierung) und/oder Topikalisierung einzelner Satzteile. Fokussiert man in (1) das Subjekt, so gerät es in den Wirkungsbereich (Skopus) der Negation und wäre demensprechend als Sondernegation zu deuten, die jedoch vor dem Negationsträger steht (3). (3) Sie wartet nicht auf Hans. In alternativen Ansätzen zur Negation geht man davon aus, dass der Negation immer ein logischer Satz unterliegt (vgl. Jacobs 1982) und dass sich der Typ der Negation aus dem Zusammenspiel der Wortfolge, der Akzentuierung eines Satzteils

mit dem höchsten Informationswert (Fokus) und/ oder aus dem Kontext des Negationsträgers ergibt. Dementsprechend wird zwischen drei Abarten der Negation unterschieden: der neutralen (pauschalen), der kontrastierenden und der fokusbezogenen Negation (vgl. Zifonun et al. 1997). Der Satz in (1) beinhaltet eine pauschale Negation, für die unmarkierte Wortfolge, neutrale Intonation und Mittelfeldposition im Verbzweitsatz eigen sind. In (2) handelt es sich um eine kontrastierende Negation, die neben der Negation des Satzes dessen Wortgruppen oder einzelne Wörter kontrastieren und dadurch Alternativen für das kontrastierte Material eröffnen kann ((4)–(6)). (4) Peter ist nicht nach Berlin gefahren (sondern zu Hause geblieben). (5) Peter hat nicht mich begrüßt (sondern Anna). (6) Peter hat die Flasche nicht entkorkt (sondern verkorkt). Nur bei kontrastierender Negation kann die Existenz des Sachverhalts angenommen werden. Die Negation in (3) stellt die fokussierende Negation dar, durch die negiert wird, dass 'sie auf Hans wartet'. Dabei bleibt es offen, ob eine andere Person auf Hans wartet. Alla Paslawska ≡ partielle Negation → Konstituentennegation; kontrastierende Negation; Negation; nicht-kontrastierende Negation → Gram-Syntax: Satznegation ⇀ Sondernegation (SemPrag)

🕮 Blühdorn, H. [2012] Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik (StDtSp 48). Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Albrecht, H. [1993] Die Negation. Zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. 6. Aufl. Leipzig [etc.] ◾ Jacobs, J. [1982] Syntax und Semantik der Negation im Deutschen. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Sortenplural

Verwendung des Plurals bei Massennomina zur Bezeichnung von Unterarten. ▲ sortal plural: special kind of plural indicating different types of referents of mass nouns. Kontinuativa und Abstrakta sind im Dt. nichtzählbare Nomina. Folglich sind sie normalerweise nicht pluralfähig. Falls sie trotzdem in Plural-

685 Sprachform form erscheinen, entsteht eine lexemspezifische und kontextabhängige Lesart, in der Sorten/Arten der vom Nomen bezeichneten Größe unterschieden werden. Im Dt. wird der Sortenplural durch reguläre Pluralbildung, d.h. flexivisch (1) oder durch Zusammensetzungen (2) gebildet. (1) Weine, Hölzer (2) Weinsorten, Holzarten Der Sortenplural wird zusammen mit dem Abundanzplural auch großer Plural genannt. György Scheibl ≡ Artenplural; pluralis generalis → Abstraktum; Abundanzplural; Kontinuativum; Massennomen; Plural; Pluralfähigkeit ⇀ Sortenplural (SemPrag)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Link, G. [1991] Plural. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 418–440.

spezifisch onymisches Morph

Morphem, das den Namenstatus eines Lexems anzeigt. ▲ specific onymic morph: morpheme which marks a lexeme as a name. Beim spezifisch onymischen Morph (auch: propriales Morph, onomastisches Morph) handelt es sich um ein Affix, z.B. im Schwed. -son, das Familiennamen kennzeichnet (Gustavsson, Balson) oder im Dt. -ing, -ingen für Ortsnamen (Tübingen, Solingen, Freising).

→ Ableitungssuffix; Affix; Morphem

Hilke Elsen

🕮 Harnisch, R. [2004] Namenkunde. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1901–1910 ◾ Koẞ, G. [2002] Namenforschung. Eine Einführung in die Onomastik. 3., aktual. Aufl. Tübingen.

Sprache, flektierende → flektierende Sprache

Sprachform

Ausdruck, der zur Bezeichnung unterschiedlicher Teilaspekte des Sprachzeichens und der Sprache verwendet wird. ▲ linguistic form; form of language; phonetic form: expression referring to various aspects of the linguistic sign and of natural language in general.

Mit dem Terminus Sprachform bezeichnet man in der Sprw. mindestens fünf verschiedene (bzw. deutlich zu unterscheidende) Objekte: (a) die Ausdrucksseite eines Sprachzeichens, sofern sie sich von der Inhaltsseite unterscheidet: phōne bei Aristoteles, phōne oder semainon bei den Stoikern (im Lat. als signans übersetzt), Laut(form) bei Humboldt, sôme (physisch), aposème (Lautgestalt im Sprechen) oder signifiant (psychisch, als Gegenstück des signifié) bei Saussure, phonetic form bei Bloomfield, udtryk bzw. expression bei Hjelmslev, Phonetic Form (= PF) bei Chomsky, einfach form in der kognitiven Sprw. In diesem Verständnis sind Sprachformen in der Lautsprache in Phoneme, in der Gebärdensprache in manuelle Phoneme (früher Chereme genannt) analysierbar. (b) Ein durch seine Form erkennbares Sprachzeichen, das eine Ausdrucks- und eine Inhaltsseite aufweist, d.h. also semainon + semainómenon (lat. signans + signatum), signifiant + signifié, Ausdruck/ Laut(form) + Bedeutung, udtryk + indhold bzw. expression + content, PF + LF (= Logical Form); form + meaning; „la forme revêtue de son idée“ bei Saussure (1916/1968: 2025), linguistic form bei Bloomfield (1933: 138). Darunter sind nicht nur Wörter, sondern auch Konstruktionen (Syntagmen) wie Wortgruppen und Satzmuster zu verstehen. (c) Die flektierte Form eines Sprachzeichens, die auf einen Stamm zurückgeht, weshalb die Beschreibung der Flexion (Deklination und Konjugation) von Wörtern, gelegentlich zusätzlich auch von Wortbildungen, in der traditionellen Sprw. als Formenlehre oder Morphologie bezeichnet wird. (d) In Verbindung mit dem Adj. „innere“ die „geistige Eigentümlichkeit“ einer Sprache, worunter Humboldt die „semantische Gestaltung“ versteht, die „in jeder Sprache eine verschiedene Organisation der lexikalischen und grammatikalischen Bedeutungen bewirkt“ (Di Cesare 1998: 85). Der „inneren (Sprach-)Form“ stellt Humboldt die „äußere (Sprach-)Form“, das spezifische Lautsystem einer Sprache, entgegen. (e) Als Variante von „Form der Sprache“, womit Humboldt das Wesen der Sprache schlechthin meint: „ihr ganzes Streben ist formal“ (Humboldt 1820/1905: 17). Die Form der Sprache ist das ursprüngliche und fundamentale dynamische Bildungsprinzip der Sprache überhaupt, die forma formans im aristotelischen Sinne, die im jedesmaligen Sprechen über das sprachlich bereits Produ-

S

sprachliche Form 686 zierte (forma formata) hinausgeht (enérgeia). Von dieser Form stellt die „innere Form“ nur einen Aspekt dar. Der „Form der Sprache“ steht bei Humboldt der „Stoff“ gegenüber. Zwischen beiden sind verschiedene Stufen zu unterscheiden; so bildet die Außenwelt den „Stoff“ für die „Form“ der Wörter, diese sind ihrerseits der „Stoff“ für die „Form“ der Grammatik usw. Die Formbegriffe von Autoren wie Saussure und Hjelmslev (1943/1961: § 21) weisen mit Humboldts Konzeption wichtige Übereinstimmungen auf. Die Saussure zugeschriebene Ansicht, Sprachzeichen gingen aus einer Verbindung von Ideen mit Lauten hervor und „cette combinaison produit une forme, non une substance“ (Saussure 1916/1968: 1837), stammt nicht von Saussure, sondern von den Herausgebern des Cours. Klaas Willems

→ § 8; Form; Formenlehre; sprachliche Form; Sprachzeichen; Zeichen

🕮 Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY [etc.] ◾ Di Cesare, D. [ed. 1998] Wilhelm von Humboldt. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Paderborn [etc.] ◾ Hjelmslev, L. [1961] Prolegomena to a Theory of Lan­ guage. Madison, WI ◾ Humboldt, W. von [1820/1905] Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung. In: Leitzmann, A. et al. [Hg.] Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften. Bd. 4. Berlin: 1–34 ◾ Saussure, F. de [1916/1968] Cours de linguistique générale. Ed. critique par R. Engler. Wiesbaden.

sprachliche Form

S

bedeutungstragende Einheit einer Sprache, sei es ein Morphem, ein Wort, eine Phrase oder ein Satz. ▲ linguistic form: meaningful unit or pattern of language, such as a morpheme, a word, a phrase or a sentence. Der oft zitierte Satz, Sprache sei „eine Form, keine Substanz“, stammt aus dem Strukturalismus und leitet dessen Theorie der Sprache als Zeichensystem ein. Damit wird die Untersuchung von Sprache, verstanden als ein abstraktes System von Zeichen (langue), als einziger und relevanter Gegenstand der Sprw. begriffen. Die Sprache wird also von Sprechen (parole) abgelöst und kann davon unabhängig analysiert werden. Langue kann schließlich als eine intersubjektive und gesellschaftliche Institution betrachtet werden, wobei sie als mentales Depot jeder Einzelsprache fungiert. Erst aber durch die Parole, den

konkreten Sprechakt, findet die individuelle und raum-zeitliche Realisierung des Systems statt. Ferdinand de Saussure (1916) formulierte als erster den fundamentalen Unterschied zwischen Bezeichnetem (Vorstellung) und Bezeichnendem (Laut). Dabei sieht er die Sprache als ein Wertsystem und begreift sprachliche Zeichen als lautmateriale Einheiten, deren Bedeutungen mit Formen assoziiert sind und zugesprochen werden können. Das sprachliche Zeichen (signe linguistique) ist dementsprechend eine vielschichtige mentale und physiologische Einheit, die im Vorgang der Artikulation erzeugt wird. Als Bestandteile der Sprache nennt er die Vorstellungen und die Laute. Beide sind für sich genommen eine unbestimmte Masse: Die Sprache setzt sich erst aus diesen beiden gestaltlosen Bestandteilen zusammen. So kann die Sprache nicht Ausdrucksmittel des Denkens sein, sondern ist nur das Verbindungsglied zwischen Denken und Lauten. Die Gestalt der Sprache entsteht also aus Lauten und Vorstellungen und kann nicht getrennt werden. Als erklärendes Beispiel der Verbindung zwischen Denken und Lauten wird es oft mit einem Blatt Papier verglichen: Es ist nicht möglich, eine Seite des Blattes zu zerschneiden, ohne dessen Rückseite auch zu zerschneiden. Ebenso verhält es sich mit Laut und Gedanke. Sprache ist also keine Substanz, die alles bestimmt, sondern eine Form, in der die Zuordnung eines Gedankens zu einem Laut und eines Lautes zu einem Gedanken völlig beliebig ist. Bedeutung wird für Saussure konkret erst im sozialen Austausch erzeugt. Die Bedeutung wird einem Zeichen also willkürlich zugewiesen, da es im Zeichen selbst keine Eigenschaft gibt, die eine bestimmte Bedeutung rechtfertigen könnte. Das ist das Arbitraritätsprinzip sprachlicher Zeichen: Bedeutung ist keine Eigenschaft von Zeichen, sondern ein Effekt ihrer Verwendung durch die Sprachgemeinschaft. Es folgt darauf hin, dass verschiedene Sprachen verschiedene Zeichen für gleiche Bedeutungen verwenden und im Laufe der Zeit sich auch die Bedeutungen selbst vom ursprünglichen Zeichen verändern können. Neben dem Prinzip der Arbitrarität ist die Linearität der Laute eine Voraussetzung für die Zeichenbestimmung. Demnach vollzieht sich der Sprechvorgang linear: Wörter werden nacheinander geäußert. Der Prozess der Artikulation gliedert und zer-

687 Sprachzeichen gliedert den Strom der Gedanken und erst damit werden die Unterscheidbarkeit und Identifizierbarkeit sprachlicher Einheiten ermöglicht. Eine weitere Charaktereigenschaft der Sprache ist ihre zeitliche Kontinuität sowie ihre fortwährende Transformation. Die Kontinuität der Sprache betont ihre hist. Tatsache und ist dementsprechend Grundlage ihres sozialen Charakters. Die Bewegung der Sprache ist durchgehend und unausgesetzt und ihr Wesen ist daher, wie von Christian Stetter (1996) behauptet, die Fluktuanz: eine „nicht seiende sondern beständig werdende und insofern sich kontinuierlich verändernde Substanz“. In der Glossematik versteht man unter sprachlicher Form eine der beiden Komponenten des sprachlichen Zeichens, Inhaltsform oder Ausdrucksform, und erst ihr Zusammenspiel ist für die Struktur einer jeden Sprache grundlegend. Nach Hjelmslev (1943/1974) besteht jedes Zeichensystem bzw. jede Sprache aus einer Gegenüberstellung zwischen Ausdrucks- und Inhaltsform. Da in der Glossematik die Hypothese aufgestellt wird, dass jedes komplexe Zeichen (z.B. Periode) aus kleineren Zeichen (z.B. Sätzen) besteht, in denen es noch kleinere Zeichen (z.B. Wörter) gibt, ergibt sich sowohl für die Ausdrucksformen als auch für die Inhaltsformen eine Hierarchie: die Ausdruckslinie bzw. die Inhaltslinie. Lilia Schürcks

→ § 8; Form; Glossem; Morphem; Sprachform; Sprachzeichen; Wort; Zeichen

→ Gram-Syntax: Phrase; Satz; Sprachsystem

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1999] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart [etc.] ◾ Hjelmslev, L. [1943/1974] Omkring sprogteoriens grundlæggelse. København. Dt. Übers.: Prolegomena zu einer Sprachtheorie (LR 9). München ◾ Saussure, F. de [1916/1967] Cours de Linguistique Générale. Paris. Dt. Übersetzung: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin ◾ Stetter, C. [1996] Strukturale Sprachwissenschaft. In: Borsche, T. [Hg.] Klassiker der Sprachphilosophie. München: 421–445 ◾ Trabant, J. [1996] Elemente der Semiotik. Tübingen.

Sprachzeichen

Zeichen einer natürlichen Sprache. ▲ linguistic sign: sign of a natural language. Sprachzeichen stellen eine Subklasse von Zeichen i.A. dar, und entsprechend ist die Sprw. – wie jede Wissenschaft, die sich mit sprachlichen Artefak-

ten beschäftigt – eine Teildisziplin der Semiotik (Saussure 1916/1968). Sprachzeichen kommen in zwei Modi vor, als Lautsprache oder als Gebärdensprache; die Schrift stellt eine sekundäre Realisierungsform von Sprachzeichen dar (vgl. aber die Schrifttheorie Derridas). Unter Sprachzeichen versteht man in der modernen Sprw. nicht nur Morpheme und Morphemgruppen, sondern auch grammatische Konstruktionen (z.B. Argumentstrukturen), die alle Eigenschaften von Sprachzeichen aufweisen, wenn auch z.T. in abstrakterer Form. Die Definition des Sprachzeichens variiert je nach Autor erheblich. Zu den definitorischen Merkmalen gehören traditionell aber die Bilateralität, Semantizität, Arbitrarität, Historizität, Intersubjektivität, Kreativität und Linearität des Sprachzeichens. Die Termini überlappen sich z.T., andere wiederum beziehen sich nicht strikt auf die Definition des Sprachzeichens (vgl. einige der „design features of language“ bei Hockett 1960). Dafür, dass bilaterale Sprachzeichen aus einem Ausdruck und einer Bedeutung bestehen, die arbiträr (konventionell) miteinander verbunden sind, verwenden unter anderem Aristoteles, Peirce, Morris und Coseriu den Terminus Symbol, der bei anderen Autoren, u.a. Humboldt und Saussure, eine andere Bedeutung hat. Von Martinet (1960) stammt der Terminus doppelte Artikulation, der ergänzend zum Ausdruck bringen soll, dass Sprachzeichen zweimal gegliedert sind, nämlich in bedeutungstragende Einheiten (Moneme) und in nur bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme). Jede Gliederung stellt für sich allein noch kein Sprachzeichen dar. Die Semantizität – die Tatsache, dass Sprachzeichen funktionelle Bedeutungen besitzen (Coseriu 2001: 14, 76) – weist die Sprw. als empirische Kulturwissenschaft aus, was Bezüge zu naturwissenschaftlichen und psychologischen Fragestellungen aber nicht ausschließt. Die Geschichtlichkeit und Intersubjektivität von Sprachzeichen besagen, dass Sprachzeichen das Produkt der sprachlichen Aktivität einzelner Individuen in hist. sich entwickelnden Sprachgemeinschaften sind, in denen Menschen sprachlich miteinander interagieren. Das impliziert seinerseits eine sprachliche Kreativität des Einzelnen, diasystematische Variabilität (Soziolekte, Regiolekte usw.) sowie Sprachwandel. Die Linearität von Sprachzeichen betrifft die Realisierung von Sprachzeichen in der

S

Stamm 688 Zeit (und im Raum). Anders als z.B. die Musik, in der Mehrstimmigkeit und Akkorde üblich sind, wird Sprache linear realisiert. In der Gebärdensprache ist allerdings ein gewisses Maß an Simultaneität möglich. Die Linearität korreliert mit der Tatsache, dass einzelne Sprachzeichen miteinander kombiniert werden, so dass komplexe, hierarchisch strukturierte Gebilde (Wortgruppen, Sätze, Texte) entstehen. In der Nachfolge von Autoren wie Bühler und Jakobson haben manche Linguisten anhand von z.T. anders konzipierten Kommunikations- und Textmodellen (vgl. das Organonmodell in Bühler 1934) dargelegt, welche die vielfältigen Funktionen von Sprachzeichen im Sprechen bzw. Sprachgebrauch und in Texten sind. In der modernen Sprw. schließlich ist es heute gebräuchlich, in Anlehnung an semiotische Termini, die auf Peirce zurückgehen, zwischen symbolischen, indexikalischen und ikonischen Sprachzeichen zu unterscheiden. Klaas Willems

→ § 8, 15, 16; doppelte Artikulation; ikonisches Zeichen; indexikalisches Zeichen; Isomorphie; Sprachform; sprachliche Form; symbolisches Zeichen; Zeichen ⇁ linguistic sign (Typol)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Coseriu, E. [2001] L’homme et son langage. Louvain [etc.] ◾ Hockett, C. [1960] The Origin of Speech. In: SciAm 203: 89–97 ◾ Martinet, A. [1960] Éléments de linguistique générale. Paris ◾ Saussure, F. de [1916/1968] Cours de linguistique générale. Ed. critique par R. Engler. Wiesbaden.

Stamm

S

wortfähiges einfaches Morphem oder wortfähige Morphemkombination, das bzw. die prinzipiell als Ausgangseinheit für Flexionsformen und/oder Wortbildungen dienen kann und prototypisch mit einer lexikalischen Bedeutung assoziiert ist. ▲ stem; base: morpheme or morpheme combination which can occur as a word on its own, serves in principle as a base unit for inflection and/or word formation and prototypically has a lexical meaning. Mit dem Kriterium der Wortfähigkeit können im Dt. alle Morpheme oder Morphemkombinationen als Stämme erfasst werden, die mit oder ohne Flexionsaffixe frei im Satz vorkommen können (und so auch über ihr syntaktisches Verhalten einer Wortart zuzuordnen sind). Substantiv- und Adjektivstämme treten typischerweise sowohl mit als auch ohne Flexionsaffixe auf (Tisch, Tisch-e;

schnell, schnell-es), Verbstämme für gewöhnlich nur mit Flexionsaffixen (lern-en, hör-t, ge-spiel-t; aber: lies, spring). In den genannten Beispielen handelt es sich um Stämme, die aus einfachen Morphemen bestehen und daher auch einfache Stämme genannt werden. Liegt eine durch Wortbildung entstandene Morphemkombination vor, spricht man auch von komplexen Stämmen. Das sind typischerweise durch Derivation (un + schön, freund + lich) oder Komposition (Holz + tisch, Hör + buch) gebildete Stämme, an die ihrerseits wieder Flexionsaffixe treten können (freundlich-es) oder die durch weitere Wortbildungsprozesse zu noch komplexeren Stämmen ausbaubar sind (Freundlich + keit, Holztisch + bein). In diesem doppelten Verständnis als einfacher und komplexer Stamm ist der Terminus in der Fachlit. üblich (z.B. Barz 2005: 660–663; Eisenberg 2013: 209f., mit dem Unterschied, dass hier einfache Stämme als Stammformen und komplexe Stämme als Stammgruppen bezeichnet werden). Das Kriterium der Wortfähigkeit zielt primär darauf ab, Stämme von Affixen (Flexions- und Derivationsaffixe) abzugrenzen, die ihrerseits nur gebunden – nämlich an Stämme – auftreten. Die beiden Begriffe bedingen einander, so dass sich die terminologische Rolle des Stammbegriffs erst im Horizont der Analyse morphologisch komplexer Wortformen sinnvoll begründen und nachvollziehen lässt, insofern sich erst hier die Frage nach einer Gliederung in morphologisch unterscheidbare Einheiten unterhalb der Wortebene stellt. Das betrifft im Dt. vornehmlich Substantive, Adjektive und Verben, also diejenigen Wortarten, die nicht nur flektierbar sind, sondern auch am häufigsten in Wortbildungsprozesse eingehen und eine lexikalische Bedeutung haben. Über paradigmatische Vergleiche innerhalb von Flexionsparadigmen oder Wortfamilien können dabei die Stämme entweder als lexikalisches Zentrum (Flexion), lexikalische Basis (Derivation) oder lexikalische Teilkomponente (Komposition) analysiert werden. In diesem Sinne lassen sie sich als die mit einer lexikalischen Bedeutung assoziierten Ausgangseinheiten für die tatsächlich im Satz vorkommenden Flexionsformen und/oder für mögliche Wortbildungen bezeichnen. Mit diesem definitorischen Zuschnitt ist die in der Fachlit. verbreitete Verwendung des Stammbegriffs eingeholt. Keine im Sinne dieser Definition pro-

689 Stammalternation totypischen Stämme liegen bei Pronomina und Artikeln vor (ihr, ein). Diese sind zwar flektierbar, gehen aber nicht in Wortbildungsprozesse ein und haben keine lexikalische Bedeutung. Ebenfalls als nicht prototypische Stämme klassifizierbar sind Präpositionen. Sie können, wenn auch marginal, in die Wortbildung eingehen (Zwischen + raum), flektieren aber nicht und haben allenfalls in eingeschränkter Weise eine lexikalische Bedeutung. Manchmal wird synonym zu einem engen Stammbegriff, der den allen Wörtern einer Wortfamilie gemeinsamen einfachen Stamm meint, auch von Wurzel oder Basismorphem gesprochen. Karsten Schmidt

→ § 16, 31; Grundmorphem; Morphem; stammbildendes Suffix; Stammform; Tempusstamm; Wurzel

⇀ Stamm (Wobi; HistSprw; CG-Dt) ⇁ stem (Typol)

🕮 Barz, I. [2005] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik, 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. Mannheim [etc.]: 641–772 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1. Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Stamm, kategorienloser → kategorienloser Stamm

Stamm, komplexer → komplexer Stamm

Stammalternation

Veränderung eines Stammes je nach flexions- oder wortbildungsmorphologischen Kontexten, in denen er auftritt. ▲ stem alternation: alteration of a stem depending on the morphological context it appears in. In funktionaler Perspektive sind die bei einem Stamm beobachtbaren Veränderungen – vor allem Vokal- und Konsonantenwechsel – als Mittel der Kodierung morphologischer Kategorien – insbesondere von Flexionskategorien – interpretierbar. In diesem Sinne nutzen die Sprachen der Welt Stammalternation als morphologisches Mittel (neben oder in Kombination mit der Affigierung), um z.B. die Tempuskategorien innerhalb von Verbparadigmen oder den Plural vom Singular zu unterscheiden. Beispiele für die Unterscheidung von Tempora durch Vokal- oder/ und Konsonantenwechsel finden sich im Lat. oder Engl. ebenso wie im Dt. (siehe die Tempus-

stammformen zu lat. ponere 'setzen, stellen, legen': pone-, posu- und posit-; engl. to sing 'singen': sing, sang und sung; dt. springen: spring, sprang und ge-sprung-en). Vokal- oder/und Konsonantenwechsel zur Numerusunterscheidung finden sich z.B. im Arab., im Kaschmiri oder im Tschetschenischen (vgl. Iturrioz-Leza/Skopeteas 2004: 1062), außerdem auch in der Form des Umlauts im Dt. (als alleiniges Mittel der substantivischen Pluralmarkierung wie bei Mutter – Mütter oder in Kombination mit Suffixen wie bei Ton – Tön-e). In dt. Grammatiken ist der Begriff der Stammalternation wenig gebräuchlich. Hier wird meist von vornherein terminologisch differenziert zwischen den für das Dt. relevanten Teilphänomenen: Das sind vor allem der Ablaut bei den starken Verben (Bildung des Prät. und des Partizips II) und der Umlaut bei Substantiven (Pluralbildung), Adjektiven (Komparation wie bei groß – größer) und Verben (Konjunktivbildung der starken Verben wie bei flog – flöge), außerdem konsonantische Wechsel wie bei bring-en – brach-te und schließlich der sog. Suppletivismus (auch: Suppletion) beim Verb sein (sei-n, war, ge-wes-en; bin, bist, ist) mit seinem kompletten Stammwechsel zur Bildung der Flexionsformen (vgl. z.B. Thieroff/Vogel 2009: 2, 9). Außer in der Flexion tritt Stammalternation im Dt. auch in der Wortbildung auf, so der Umlaut bei Derivationen (Vögel+chen) oder die Bindung von Fugenelementen bei der Komposition (Arbeits + amt). Je nach morphologischen Kontexten lassen sich entsprechend verschiedene Stammformen ansetzen und zu einem Stammparadigma zusammenfassen: z.B. das Stammparadigma von Hund mit {hund} als Flexionsstammform (Hund-e, Hund-es), {hünd} als Derivationsstammform (Hünd + chen, hünd+isch) und {hunde} als Kompositionsstammform (Hunde + hütte, Hunde + leine) (vgl. Fuhrhop 1998: 22ff.; zusammenfassend Eisenberg 2013: 26–28, 211–213). Karsten Schmidt

→ Ablaut; Ersetzungsmorph; innere Flexion; Stamm; Stammform; Tempusstamm; Umlaut

⇀ Stammalternation (Wobi)

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Iturrioz-Leza, J.L./ Skopeteas, S. [2004] Numerus. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J./ Skopeteas, S. [Hg.] Morphologie (HSK

S

stammbildendes Morphem 690 17.2). Berlin [etc.]: 1053–1066 ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg.

stammbildendes Morphem

Morphem, das mit anderen zusammen den Stamm bildet, der dann weiter flektiert oder abgleitet werden kann. ▲ stem-forming morpheme: morpheme added to other morphemes to form a stem which can further be inflected or derived. Im Ahd. bestanden einfache Wörter meist aus Wurzel, stammbildendem Morphem und Flexionsendung. So zeigte das ê in ahd. frag-ê-nt ['(sie) fragen'] die Konjugationsklasse der schwachen Verben an. Dabei bildete frag-ê den Stamm, frag die Wurzel, vgl. auch den Genitiv Pl. im lat. hort-o-rum mit der Wurzel für 'Garten' und dem stammbildenden Morphem o. Hilke Elsen

→ Morphem; Stamm; stammbildendes Suffix; Wurzel

🕮 Aronoff, M. [1994] Morphology by Itself. Stems and Inflectional Classes (LingInquMonogr 22). Cambridge, MA [etc.] ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Weddige, H. [2015] Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 9. Aufl. München.

stammbildendes Suffix

Suffix, das einen neuen Stamm bildet. ▲ stem-forming suffix: suffix which forms a new stem.

S

Der Terminus stammbildendes Suffix betont bei Derivationsaffixen ihre Funktion, an ein schon vorhandenes sprachliches Element (Stamm) zu treten und ein neues Wort (neuen Stamm) zu bilden. Der Ausgangsstamm kann selbst schon ein Wortbildungsprodukt sein. (1) befrei(en) + -ung → Befreiung Ausgangsstämme sind von stammformbildenden Einheiten zu unterscheiden, die Wortformen (Stammformen) mit Flexionssuffixen (2), Kompositionsstammformen mit Fugenelementen (3) und Derivationsstammformen (4) mit Interfixen ableiten (Fuhrhop 1998). (2) Befreiung + -en → Befreiungen (3) Heirat + -s + Antrag → Heiratsantrag (4) Brasilien → brasilianIn (4) ist brasilian die Derivationsstammform für Brasilianer und brasilianisch. Christine Römer

≡ Derivationssuffix

→ Stamm; stammbildendes Morphem; Suffix

🕮 Aronoff, M. [1994] Morphology by Itself. Stems and Inflectional Classes (LingInquMonogr 22). Cambridge, MA [etc.] ◾ Carstairs-McCarthy, A. [2000] Category and feature. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 264–272 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen.

Stammbildung

Wortbildung durch Wortartwechsel ohne die Verwendung von Derivationsaffixen. ▲ stem formation: word formation by a change in the word class without the use of any derivational affixes. Unter Stammbildungen versteht man einen Wortbildungstypus, bei dem ohne Zusatz von Derivationsaffixen verbale Konvertate aus Substantiven (der Fisch → fischen) oder Adjektiven (weit → weiten) und weniger aus Wörtern anderer Wortarten (buh → buhen) gebildet werden (Duden 2016: 716 ff.). Engel (2004: 228) unterscheidet folgende semantische Subklassen: 1. Empfindungsverben: die Furcht – fürchten, der Traum – träumen, der Zweifel – zweifeln 2. Vergleichsverben: der Aal – sich aalen, der Hamster – hamstern 3. Ergebnisverben (Resultatverben): faul – faulen 4. Übergangsverben (Transitionsverben): der Rost – rosten, der Schimmel – schimmeln 5. Aktualisierungsverben: der Fluch – fluchen, der Scherz – scherzen 6. Verben des Hervorbringens (Effektverben): das Kalb – kalben, der Most – mosten 7. Absonderungsverben (Sekretionsverben): das Blut – bluten, der Eiter – eitern, die Träne – tränen 8. Ausstattungsverben (ornative Verben): das Fett – fetten, das Öl – ölen, das Polster – polstern 9. Entzugsverben (privative Verben): die Pelle – pellen, die Schale – schälen 10. Raumverben (lokative Verben): das Land – landen, der Strand – stranden, die Schulter – schultern 11. Veränderungsverben (mutative Verben): sau­ ber – säubern 12. Instrumentverben: die Hupe – hupen, das Zelt – zelten Bei dieser Art von Stammbildungen spricht man auch von Konversionsbildungen (Duden 2016: 716). Die Basis für desubstantivische Stamm-

691 Stammsilbe bildungen bzw. Konversionsprodukte können einfach (die Qual – quälen) oder komplex (der Haushalt – haushalten; der Schauspieler – schauspielern) sein. Die Grundstammform und die Konversionsstammform können sich formal durch Umlautung unterscheiden (der Traum – träumen). Meike Meliss

→ Affix; Derivation; Konversion; Stamm; Wortbildung

🕮 Barz, I. [2016] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 644–774 ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Stammflexion

Bildung aller Formen eines Paradigmas von einem Stamm. ▲ stem inflection: process of creating all inflected forms from a stem form.

Die Stammflexion geht zumeist mit fusionierender Suffigierung einher, wobei jede Wortform des Paradigmas ein Suffix erhält. Im Dt. und Poln. erfolgt z.B. die Konjugation durch Stammflexion, vgl. leg-e, leg-st, leg-t, leg-en, leg-e/-∅ usw.; pisz-∅ę ['ich schreibe'], pisz-e-sz ['du schreibst'], pisz-e-∅ ['er schreibt'] usw. Im betrachteten Präsensparadigma hat das Verb in allen Formen zumindest ein fakultatives Suffix, vgl. die dt. Imperativform mit fakultativem -e. Die Deklination im Dt. und die Konjugation im Konjunktiv im Poln. erfolgen dagegen überwiegend durch Grundformflexion.

↔ Grundformflexion → Flexionsparadigma; Stamm ⇀ Stammflexion (HistSprw)

Edyta Błachut

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Konopka, M. [2016] Stammflexion. [Unter: http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/sysgram.ansicht?v_typ=d&v_id=2763; letzter Zugriff: 20.11.2016].

Stammform

verbale Form, aus der man alle weiteren Formen des Konjugationsparadigmas ableiten kann. ▲ principal part: part of a verb from which all the forms of the conjugational paradigm can be derived. An der Infinitivform eines Verbs kann man nicht ablesen, zu welcher Konjugationsklasse das Verb gezählt wird, so dass nicht zu erkennen

ist, ob ein Verb schwach, stark oder unregelmäßig konjugiert wird. Aus diesem Grund werden normalerweise für die starken und unregelmäßigen Verben neben dem Infinitiv zwei weitere Stammformen angegeben. Die unterschiedlichen Stammformen dt. Verben ergeben sich durch eine Stammvokalalternanz (Ablaut). Entsprechend kann man die starken Verben in Ablautreihen, die an unterschiedlichen Stammformen ablesbar sind, gliedern. Um also den Konjugationstyp sowohl eines starken als auch eines unregelmäßigen Verbs (gemischtes Verb) zu erkennen, ist es üblich, neben dem Infinitiv zwei weitere verbale Stammformen aufzuführen: 3. Pers. Sg. Ind. Prät. und das Partizip II (geben – gab – gegeben; denken – dachte – gedacht). Wenn man die drei Stammformen eines Verbs kennt, kann man das entsprechende Verb unter Anwendung der Regeln in allen Formen konjugieren. In einigen Fällen muss auch die 3. Pers. Sg. Ind. Präs. berücksichtigt werden (helfen – hilft – half – geholfen). Für schwache Verben wird normalerweise nur eine Stammform (Infinitiv) ausgewiesen, da sie keine Stammvokalalternation (Ablaut) aufweisen. Die Stammformen werden oft in alphabetisch angeordneter Reihenfolge aufgelistet (vgl. Duden 2016: 441ff.; Engel 2014: 204ff.), um sie z.B. für die Sprachkonsultation in übersichtlicher Form bereitzustellen. Meike Meliss

→ Ablaut; gemischtes Verb; Konjugation; schwaches Verb; Stammvokal; starkes Verb

⇀ Stammform (Wobi; HistSprw)

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

Stammmorphem ≡ Grundmorphem

Stammsilbe

zum Stamm gehörende, daher sinntragende Silbe. ▲ stem syllable: syllable belonging to the stem and thus bearing lexical meaning. Ein morphologisch einfacher Stamm im dt. Kernwortschatz enthält in der Regel genau eine Stammsilbe (z.B. gut oder Kind). Sie bildet den phonologisch prominentesten Teil des Stamms, der ggf. noch eine weitere, nicht-betonbare Silbe umfasst (z.B. Hímmel, múnter, ségel + n, trócken) oder an den unmittelbar die ebenfalls unbeton-

S

Stammvokal 692 baren Flexionssuffixe treten, z.B. gúte, Kínder. Auf diese Weise dient der Akzent im Dt. der Identifizierung des Stamms.

→ Akzent; Stamm ⇀ Stammsilbe (HistSprw)

Renata Szczepaniak

🕮 Eisenberg, P. [1991] Syllabische Struktur und Wortakzent. Prinzipien der Prosodik deutscher Wörter. In: ZS 10/1: 37–64.

Stammvokal

Vokal eines Wortstamms, der sich im Flexionsparadigma ändern kann. ▲ stem vowel: vowel of a word stem which may change within its inflectional paradigm.

S

Verben, Nomen und Adjektive verfügen im Dt. über Stammvokale, die sich unter bestimmten Bedingungen ändern können. Bei schwachen Verben findet kein Wechsel des Stammvokals statt (legen, lege, legte, gelegt). Bei allen starken Verben ändert sich der Stammvokal bei der Bildung des Prät. (rufen, rufe, rief, gerufen) und bei manchen auch bei der des zweiten Partizips (singen, singe, sang, gesungen) (Ablaut). Bei zahlreichen starken Verben ist zusätzlich die 2. und 3. Pers. Sg. durch einen Wechsel des Stammvokals (Vokalhebung bzw. Umlaut) gekennzeichnet (lesen, du/er liest; fahren, du fährst, er fährt). Die Modalverben (mit Ausnahme von sollen) weisen einen regelmäßigen Wechsel des Stammvokals auf (dürfen, es darf, es durfte). Bei Nomina und Adjektiven findet häufig eine Umlautung von umlautfähigen Vokalen statt. Zentrale und hintere Vokale werden auf diesem Weg durch vordere Vokale ersetzt (das Loch – die Löcher; die Maus – die Mäuse; stark – stärker) (Eisenberg 2013: 242). Andreas Krafft

→ Ablaut; Flexionsparadigma; Rückumlaut; starkes Verb; Umlaut; Vokalwechsel

⇀ Stammvokal (HistSprw)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Meibauer, J. [2002] Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart [etc.] ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.].

starke Deklination

Hauptklasse der Nominalflexion in den germanischen Sprachen, die die Flexion der indoeuropäischen vokalischen Stämme fortsetzt.

▲ strong declension: major type of nominal inflection in the Germanic languages which continues the inflection of Indo-European vocalic stems.

Grimm (1819: 133) unterscheidet als Hauptklassen innerhalb der Deklination der Substantive in den germ. Sprachen die schwache Deklination (traditionell auch: Deklination der n-Stämme) und die starke Deklination, die alle übrigen Stammklassen umfasst. Die dominierenden Typen der starken Deklination (gemäß der traditionellen an den germ. stammbildenden Suffixen bzw. den Stammausgängen orientierten Klassifikation) bilden im Ahd. (Braune 2004: 184–206) die Substantive der a-Deklination (Maskulina wie tag 'Tag' und Neutra wie wort 'Wort') und der ō-Deklination (Feminina wie gëba 'Gabe') sowie der i-Deklination (Maskulina wie gast 'Gast'; Feminina wie kraft 'Kraft'); unter den kleineren Klassen ist der Typ lamb 'Lamm' wegen der Pluralformen auf ‑ir (wie lembir, Nominativ Pl.) bemerkenswert, in denen sich das Stammbildungssuffix der ide. s-Stämme (mit r < s) fortsetzt (vgl. Schenker 1971). Er bildet den Ausgangspunkt für die nhd. Pluralbildung auf -er (mit Umlaut) – bei Neutra, auch einigen Maskulina – und damit zugleich für die Trennung von Numerus- und Kasusmarkierung wie in Kind-er-n, Dativ Pl. zu Kind (Werner 1969). Aus der i-Deklination geht die Pluralbildung auf ‑e mit Umlaut hervor (im Nhd. bei Maskulina wie Gäste, einigen Feminina wie Kräfte und vereinzelt bei Neutra wie Flöße), aus der a-Deklination die nhd. Pluralbildung auf ‑e ohne Umlaut (wie in Hund-e, Maskulinum, Schaf-e, Neutrum). Bei den Feminina vereinigen sich ō-Deklination und schwache Deklination auf dem Weg zum Nhd. in der sog. gemischten Deklination (ohne Formendifferenzierung im Sg., vgl. Gabe, Zunge; mit Formen auf -(e)‌n in allen Pluralkasus, vgl. Gaben, Zungen). Für das Mhd./Nhd. können die Genitiv Sg.- und Nominativ Pl.-Formen als Kennformen betrachtet werden, anhand derer die Deklinationsklassenzugehörigkeit der Substantive bestimmt wird (Klein/Solms/Wegera 2018: 71–80; Duden 2016: 219); charakteristisch für die starke Deklination im Mhd./Nhd. ist die Genitiv Sg.-Bildung auf -(e)‌s bei Non-Feminina (Maskulina/Neutra) wie in mhd. tag-es sowie ohne konsonantisches Flexiv bei Feminina (wie in mhd. gębe, krėft-e) – im Unterschied zum Genitiv Sg. auf ‑n in der schwa-

693

starkes Verb

chen Deklination. Die starke Deklination der Substantive zeichnet sich durch die weitgehende Durchsetzung einer deutlichen Numerusunterscheidung aus („Profilierung der Numeruskategorie“, Hotzenköcherle 1962: 329), während die Kasusmarkierung weitgehend abgebaut ist und im Gegenwartsdt. neben dem -(e)s-Flexiv (sowie dem obsoleten Dativ Sg.-Flexiv -e, ebenfalls beschränkt auf Non-Feminina) nur noch ein (genus­ unspezifisches) Dativ Pl.-Flexiv umfasst (‑n wie in Tagen, Kräften, Lämmern). Komplex bleibt das System durch die Konkurrenz der unterschiedlichen Pluralbildungen. Adjektive wechseln im Dt. zwischen starker und schwacher Deklination; die starke Adjektivdeklination folgt urspr. den substantivischen (‚nominalen‘) Flexionsmustern (insbesondere der a-Stämme im Non-Femininum und der ō-Stämme im Femininum), doch sind schon im Germ. vielfach Endungen aus der Flexion der Pronomina übernommen worden (Sievers 1876); vgl. z.B. got. Dativ Sg. Maskulinum/Neutrum: blind-amma zu blinds ('blind') wie þamma zum Demonstrativum sa/so/þata (Krause 1968: 175f., 195). Im Ergebnis hebt sich die starke Deklination der Adjektive (wie die Benennung andeutet) von der schwachen Deklination durch eine deutlich stärker ausgebaute Formendifferenzierung ab und fällt weitgehend mit der pronominalen Deklination zusammen. Auszunehmen ist hier nur die endungslose (unflektierte) Form nach nominalem Muster, vergleichbar mit endungslosen Nominativ Sg.-Formen bei Substantiven. Sie konkurriert im Ahd. im Nominativ Sg. aller Genera (und im Akkusativ Sg. Neutrum) noch mit pronominal flektierten Formen (blint vs. blintēr[Maskulinum]; blintiu[Feminimum]; blintaʒ[Neutrum]). Im Gegenwartsdt. wird sie prädikativ (ohne Genus-/Numerus-/Kasusdifferenzierung) verwendet (bin/ist/sind/… blind). (Endungslose Formen bewahren auch der indefinite Artikel und die Possessiva im Nominativ Sg. Maskulinum/Neutrum und im Akkusativ Sg. Neutrum wie in ein/mein/unser/… Haus.) Im Genitiv Sg. Maskulinum/Neutrum ist die starke Flexion (‑(e)s) bei Adjektiven im Gegenwartsdt. aufgegeben und durch die schwache Form auf ‑en ersetzt worden, wenn der Kasus schon am Subst. deutlich markiert ist wie in voll süß-en Wein-s (Paul 1919: 102; Steche 1927: 167). Bernd Wiese

→ § 16; gemischte Deklination; nominale Deklination; pro-

nominale Deklination; schwache Deklination; s-Deklination

🕮 Braune, W. [2004] Althochdeutsche Grammatik. 15. Aufl. Bd. 1. Laut- und Formenlehre. Tübingen ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Grimm, J. [1819] Deutsche Grammatik. Erster Theil. Göttingen ◾ Hotzenköcherle, R. [1962] Entwicklungsgeschichtliche Grundzüge des Neuhochdeutschen. In: WW 12: 321–331 ◾ Klein, T./ Solms, H.-J./ Wegera, K.-P. [2018] Mittelhochdeutsche Grammatik. Teil II. Flexionsmorphologie. Berlin [etc.] ◾ Krause, W. [1968] Handbuch des Gotischen. 3., neubearb. Aufl. München ◾ Paul, H. [1919] Deutsche Grammatik. Bd. III. Syntax (Erste Hälfte). Halle/Saale ◾ Schenker, W. [1971] es/os-Flexion und es/os-Stämme im Germanischen. In: BGeschDtSpLit-T 93: 46–58 ◾ Sievers, E. [1876] Die starke Adjectivdeclination. BGeschDtSpLit-H 2: 98–124 ◾ Steche, T. [1927] Die neuhochdeutsche Wortbiegung unter besonderer Berücksichtigung der Sprachentwicklung im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Die Wortklassen – Die Beugung. Breslau ◾ Werner, O. [1969] Das deutsche Pluralsystem. Strukturelle Diachronie. In: Sprache. Gegenwart und Geschichte. Probleme der Synchronie und Diachronie (JbIdS 1968). Düsseldorf: 92–128.

starkes Substantiv

Substantiv, das der starken Deklinationsklasse angehört und weder den Genitiv Singular noch den Plural mit dem Suffix -n bzw. -en bildet. ▲ strong noun: noun belonging to the strong declension class, forming neither the genitive singular nor the plural with the suffix -n or -en. Zu den starken Substantiven werden heute meist nur die Nicht-Feminina, also Maskulina und Neutra gezählt. Der Genitiv endet auf -(e)s (des Berges, des Kindes), der Pl. auf -e mit oder ohne Umlaut (die Hunde, die Wölfe), auf -er (die Kinder, die Wälder) oder er ist suffixlos mit oder ohne Umlaut (die Balken, die Väter). Substantive, die auch den Pl. auf -s bilden (die Autos) werden meist zu einer eigenen, der s-Deklinationsklasse gezählt. Rolf Thieroff

↔ schwaches Substantiv → Deklinationsklasse; gemischte Deklination; Genitiv; s-Deklination; Substantivflexion

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2012] Flexion. 2., aktual. Aufl. Heidelberg ◾ Thieroff, R. [2016] Deklinationsklassen und Distinktionsklassen. In: Bittner, A./ Spieẞ, C. [Hg.] Formen und Funktionen: Morphosemantik und grammatische Konstruktion. Berlin [etc.]: 1–20.

starkes Verb

Verb, dessen Grundformen mithilfe des Wurzelablauts gebildet werden.

S

statisches Verb 694 ▲ strong verb; irregular verb: verb with root-ablaut in

the tense and past-participle forms.

S

Starke Verben sind eine germ. Neuerung im Konjugationssystem der idg. Sprachen. Der Wurzelablaut, mit dessen Hilfe ihre Grundformen gebildet werden, findet sich zwar sporadisch auch bei anderen idg. Verben, aber in keiner anderen Gruppe der idg. Sprachfamilie ist der Ablaut als phonomorphologisches Mittel der Formenbildung systematisiert worden. Die starken Verben bilden in den neugerm. Sprachen, darunter im Dt., eine geschlossene Gruppe, da die ablautbedingte Formenbildung heute nicht mehr produktiv ist. In der dt. Gegenwartssprache gibt es über 180 starke (Simplex-)Verben. Sie werden je nach der zu Grunde liegenden Ablautreihe in sieben bzw. acht Gruppen eingeteilt: 1. schreiben – schrieb – geschrieben, reiten – ritt – geritten u.a.; 2. gießen – goss – gegossen, fließen – floss – geflossen u.a.; 3. schwimmen – schwamm – geschwommen, binden – band – gebunden u.a.; 4. nehmen – nahm – genommen, sprechen – sprach – gesprochen u.a.; 5. geben – gab – gegeben, sehen – sah – gesehen u.a.; 6. fahren – fuhr – gefahren, graben – grub – gegraben u.a.; 7. heißen – hieß – geheißen, schlafen – schlief – geschlafen u.a.; (8) heben – hob – gehoben, wiegen – wog – gewogen u.a. Hist. gesehen kann jedes starke Verb einer der sieben Ablautreihen zugeordnet werden, aber wegen unterschiedlicher Lautwandelprozesse lassen sich die starken Verben in der Gegenwartssprache nur sehr schwer nach Ablautreihen klassifizieren. Aus diachroner Sicht geht es bei dem Ablaut um einen qualitativ (nach Vokalqualität) wie quantitativ (nach Vokallänge) bedingten Vokalwechsel (Abtönung respektive Abstufung). Man unterscheidet demgemäß bei den Ablautreihen 1–5 zwischen der Vollstufe e (zu Grunde liegt das idg. kurze e), der Vollstufe o (zu Grunde liegt das idg. kurze o), der Null- bzw. Schwundstufe (d.h. Ausfall des Ablautvokals) und der Dehnstufe (zu Grunde liegt das idg. bzw. gemeingerm. lange ê). Bei den Ablautreihen 6 und 7 liegen andere ursprüngliche Typen des Wurzelvokalwechsels vor. Einige starke Verben haben neben Wurzelvokalwechsel den – ebenfalls hist. bedingten – Wechsel des auf den Wurzelvokal folgenden Konsonanten (sog. grammatischer Wechsel, der mit ursprünglichen Akzentverhältnissen im Idg. bzw. Gemeingerm. laut

Verners Gesetz zusammenhängt), z.B. leiden – litt – gelitten, ziehen – zog – gezogen, erkiesen – erkor – erkoren. Neben dem grammatischen Wechsel können auch andere hist. bedingte Faktoren den Konsonantenwechsel in der Wurzel verursachen, vgl. stehen – stand – gestanden, gehen – ging – gegangen. Die Form des Partizips II der starken Verben wird mithilfe des Präfixes ge-, des Wurzelablauts und des Suffixes -en gebildet. Das Präfix ge- entfällt bei präfigierten Verben (verschoben, erstanden, gewonnen etc.). Zu den starken Verben gehören auch die Verben sein, tun und werden mit von den jeweiligen Grundmustern abweichender (bei sein z.T. suppletiver) Grundformenbildung: sein – war – gewesen, tun – tat – getan, werden – wurde – geworden. Die starken Verben mit dem Vokal e im Präsensstamm wechseln das e zu i in der 2. und 3. Pers. Präs. Sg. (sog. Hebung), einige davon haben außerdem den Wechsel des darauf folgenden Konsonanten: siehst/sieht, liest/ liest, gibst/gibt, nimmst/nimmt u.a. Umlautfähige Wurzelvokale starker Verben bekommen den Umlaut in der 2. und 3. Pers. Präs. Sg.: stößt/stößt, läufst/läuft, fährst/fährt u.a. Michaił L. Kotin

↔ gemischtes Verb; schwaches Verb → § 16; Präteritopräsens; Tempusstamm; unregelmäßiges Verb

🕮 Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Paul, H. [1917] Deutsche Grammatik. Bd. II. Flexionslehre. Halle/Saale ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

statisches Verb ≡ Zustandsverb

Status, morphologischer → morphologischer Status

Statusadverb

Adverb, durch das etwas inhaltlich hervorgehoben wird. ▲ status adverb: adverb by means of which aspects of content are expressed or emphasized. Mit einem Statusadverb können Aspekte der Form, Qualität, Quantität und des Informationswerts eines dargestellten Sachverhalts in einem

695

Stellvertreter des Substantivs

Text oder in der kommunikativen Situation zum Ausdruck gebracht oder hervorgehoben werden. Der Terminus wird von Weinrich (1993: 582ff.) für eine der vier Hauptgruppen semantisch gegliederter Adverbien verwendet. Die anderen drei sind Positions-Adverbien, Tempus-Adverbien und Argumentations-Adverbien. Kjell-Åke Forsgren

→ Fokusadverb; Gradadverb; Modaladverb

🕮 Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Steigerbarkeit

≡ Komparierbarkeit

Steigerung

≡ Komparation

Steigerungsfähigkeit ≡ Komparierbarkeit

Steigerungsform ≡ Komparativ

Steigerungsinversion

lexikalisch abschwächender, also diminuierender absoluter Komparativ, der im Gegensatz zum relativen Komparativ eine Komparativform ohne externe Vergleichsgröße, jedoch mit lexikalischer Modifikation der Positivbedeutung darstellt. ▲ inverted comparison: lexically diminutive absolute comparison that is – in contrast to relative comparison – a gradation without an external comparandum, but with a lexical modification of the positive's meaning. Die absolute Komparation bildet im Gegensatz zur relativen Komparation keine Vergleichsskala für Vergleichsgrößen heraus, denen die Eigenschaft des Positivs in der wechselseitigen Kontrastierung in unterschiedlichem, linear anwachsendem Grad nach der Bewertungs- und Vergleichskompetenz des Vergleichenden zukommt. So ist eine ältere Dame (ältere = hier absoluter Komparativ bei fehlender externer Vergleichsgröße) weniger alt und damit jünger als eine alte Dame; eine ältere Dame ist also noch nicht im eigentlichen Sinne alt, sondern nur nahe daran. Es liegt damit bei dem absoluten Komparativ ältere im Gegensatz zum relativen Komparativ keine lexikalische Be-

deutungsidentität zwischen Positiv und Komparativ vor. Vielmehr handelt es sich um einen den Positiv alt lexikalisch abschwächenden Komparativ, einen Deminutionskomparativ. Wenn der Sprecher allerdings den absoluten Komparativ nur aus Gründen der Höflichkeit, also zur Abmilderung verwendet, während die gemeinte Dame tatsächlich bereits alt ist, liegt in der sprachlichen Außenwirkung ein den Positiv alt durch lexikalische Modifikation abschwächender Deminutionskomparativ vor, im sprachlichen Innenverhältnis dagegen ein mit dem Positiv alt lexikalisch übereinstimmender Abmilderungs- oder Mitigationskomparativ. Wenn allen Kommunikationsbeteiligten die Absicht des Sprechenden erkennbar ist, fällt im Mitigationskomparativ die Außenwirkung mit dem Innenverhältnis zusammen; dann liegt keine lexikalisch modifizierende Steigerungsinversion mehr vor. Igor Trost ≡ absoluter Deminutionskomparativ; Approximationskomparativ; Diszessionskomparativ; Komparationsinversion → absoluter Komparativ; Komparation; relativer Komparativ

🕮 Becker, T. [2005] Warum eine alte Dame älter ist als eine ältere Dame. Zum absoluten Komparativ im Deutschen. In: DS 33: 97–116 ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Gvozdanović, J. [2001] Vergleichen und Einordnen. Graduierung im Slavischen. In: Jachnow, H. [Hg.] Quantität und Graduierung in den slavischen Sprachen. Wiesbaden: 559–573 ◾ Jachnow, H. [2001] Komparationstheorie und Graduierung im Kroatischen/Serbischen. In: Jachnow, H./ Norman, B./ Suprun, A.E. [Hg.] Quantität und Graduierung als kognitiv-semantische Kategorien. Wiesbaden: 483–511 ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Steigerungspartikel

≡ Intensitäts-Adverb; Intensitätspartikel

Steigerungsstufe, erste → Komparativ

Steigerungsstufe, zweite → Superlativ

Stellvertreter ≡ Pronomen

Stellvertreter des Substantivs ≡ Pronomen

S

Stoffadjektiv 696

Stoffadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stoff angeben. ▲ material adjective: semantically defined subclass of adjectives which express the raw material or texture of the objects. Stoffadjektive sind Ausdrücke wie bleiern, golden, gläsern, hölzern, ledern, steinern, seiden, metallen. Morphologisch handelt es sich um desubstantivische Suffixderivate auf -ern oder -en. Syntaktisch werden die Stoffadjektive meistens attributiv (1), mitunter auch adverbial (2) gebraucht. Werden sie als qualifizierende Adjektive verwendet, so ist eine prädikative Verwendung (3) ebenso möglich. (1) Der durchgestylte, gläserne Firmensitz gleicht einem riesigen Kreativlabor. (SZ, 24.04.2012) (2) Dank treibender Dramaturgie in luftiger, gläsern wirkender Kulisse einer irrealen Bergwelt […]. (Braunschweiger Zeitung, 26.09.2005) (3) In Zukunft wird der Kunde auch offline gläsern sein. (FOCUS, 15.09.2014) Jussara Paranhos Zitterbart

→ abgeleitetes Adjektiv; Kontinuativum; qualifizierendes Adjektiv; Relationsadjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Gram-

matik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

S

Stoffbezeichnung ≡ Kontinuativum

Stoffname

≡ Kontinuativum ⇀ Stoffname (Lexik)

Stoffsubstantiv ≡ Kontinuativum

Struktur, lexikalische → lexikalische Struktur

Struktur, morphologische → morphologische Struktur

strukturelle Bedeutung

Bestandteil der Bedeutung eines Wortes bzw. eines Satzes, die aus den grammatischen Kategorien sowie syntagmatischen Relationen hervorgeht. ▲ structural meaning: part of the meaning of a word or sentence which results from the grammatical categories as well as from the syntagmatic relationships. Im Gegensatz zu der lexikalischen Bedeutung umfasst die strukturelle die Inhalte der grammatischen Mittel (z.B. Präsens, Konjunktiv, Genitiv) bzw. der grammatischen Kategorien (Tempus, Modus, Kasus). Dazu werden auch die Valenz und die Kombinierbarkeit, die Wortstellung und die Wortformänderungen (Affixe usw.) gezählt. Während die inhärente Bedeutung auf der lexikalischen Ebene fassbar wird, entfaltet sich die grammatische Bedeutung meist auf der syntaktischen Ebene bzw. in Verbindung mit anderen Wörtern (1). (1) Die Schwester des Studenten kommt morgen. Die Genitivform des Artikels des sowie die Endung -en des Substantivs Studenten geben das Genus, den Numerus und den Kasus wieder. Ferner wird die Beziehung zum übergeordneten Subst. Schwester hergestellt. Die Endung -t des Verbs kommen kennzeichnet die 3. Pers. Sg. Präs. Indikativ Aktiv. Die Bestimmung der grammatischen Bedeutung ist weniger konkret als die der lexikalischen, und die Träger der grammatischen Bedeutung werden einer finiten bzw. geschlossenen Klasse zugeschrieben, was an die Unterscheidung zwischen Autosemantika und Synsemantika anknüpft. Die zuerst genannten (Adjektive, Adverbien, Substantive, Verben) verfügen über eine lexikalische bzw. inhärente Bedeutung und werden als zu einem offenen Inventar gehörend aufgefasst. Die Synsemantika (Artikel, Konjunktion, Präpositionen u.a.) tragen eine grammatische Bedeutung. Ferner erweisen sie sich als nicht begriffstragende Wörter geschlossener Klassen. In diesem Zusammenhang spricht der taxonomische Strukturalismus von structural meaning. María José Domínguez Vázquez

→ Kasusbedeutung; kombinatorische Bedeutung; relationale Bedeutung

→ Gram-Syntax: grammatische Bedeutung

697 Subjunktor 🕮 Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Schippan, T. [2002] Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. 2., unveränd. Aufl. Tübingen ◾ Sommerfeldt, K.-E./ Starke, G. [1988] Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 2., neu bearb. Aufl. Tübingen.

Strukturwort

≡ Synsemantikon

Stützwort ≡ Klitikon

subjektloses Vorgangspassiv ≡ unpersönliches Passiv

Subjunktion

≡ Subjunktor ⇀ Subjunktion (Sprachphil; HistSprw)

Subjunktion, adversative → adversativer Subjunktor

Subjunktion, finale → finaler Subjunktor

Subjunktion, instrumentale → instrumentaler Subjunktor

Subjunktion, kausale → kausaler Subjunktor

Subjunktion, komitative → komitativer Subjunktor

Subjunktion, konditionale → konditionaler Subjunktor

Subjunktion, konsekutive → konsekutiver Subjunktor

Subjunktion, konzessive → konzessiver Subjunktor

Subjunktion, modale → modaler Subjunktor

Subjunktion, proportionale → proportionaler Subjunktor

Subjunktion, restriktive → restriktiver Subjunktor

Subjunktion, substitutive → substitutiver Subjunktor

Subjunktion, temporale → temporaler Subjunktor

Subjunktiv

≡ Konjunktiv ⇀ Subjunktiv (CG-Dt)

Subjunktor

Element, das einen abhängigen Teilsatz in einen Matrixsatz einbettet und beide Teilsätze semantisch verknüpft. ▲ subjunctor; subordinating conjunction: element embedding a dependent clause in a matrix clause and linking both clauses semantically. Subjunktoren gehören wie Konjunktoren zu den nicht-flektierbaren, nicht-kasusfordernden Wortarten. Sie betten abhängige Teilsätze bzw. satzwertige Einheiten syntaktisch in einen Matrixsatz ein. Im Dt. wird die syntaktische Einbettung von Sätzen durch die Letztstellung des finiten Verbs angezeigt (Pasch et al. 2003: 230) (1). (1) Wir freuen uns, wenn das Freibad endlich wieder öffnet. Der Subjunktor, der unmittelbar am Anfang des eingebetteten Teilsatzes steht, bildet zusammen mit dem finiten Verb die sog. Satzklammer (Gallmann 2009: 874; kritisch hierzu Pasch et al. 2003: 68, 97). Im Gegensatz zu Konjunktoren verknüpfen Subjunktoren die Teilsätze asymmetrisch (Pasch et al. 2003: 6), da in der Regel der eingebettete Satz eine syntaktische Funktion im übergeordneten Matrixsatz erfüllt und ein topologisches Stellungsfeld des Matrixsatzes besetzt (Wöllstein 2010). Überdies kann die Einbettungsrelation der Teilsätze nicht vertauscht werden, ohne dass sich der Wahrheitswert ändert ((2) vs. (3)). Grundsätzlich können durch Subjunktoren eingebettete Teilsätze im Vor- und Nachfeld des Matrixsatzes stehen ((1), (3)). Sog. „Postponierer“ (Breindl et al. 2014: 18) erlauben nur die Nachstellung des eingebetteten Teilsatzes (z.B. als dass, auf dass, so dass, zumal), ((5), (6)).

S

Subjunktor 698 (2)

S

Jonas ist glücklich, weil er ein neues Handy hat. (3) ??Jonas hat ein neues Handy, weil er glücklich ist. (4) Weil er ein neues Handy hat, ist Jonas glücklich. (5) Jonas ist glücklich, zumal er ein neues Handy hat. (6) *Zumal er ein neues Handy hat, ist Jonas glücklich. Subjunktoren bilden selbst keine Konstituente des eingebetteten Satzes und erfüllen damit auch keine syntaktische Funktion (Zifonun et al. 1997: 2240). Sie stellen aber den Kopf des Teilsatzes dar, der deshalb auch als „Subordinatorphrase“ (Pasch et al. 2003: 96) bezeichnet wird. Der Kopfstatus zeigt sich darin, dass der Subjunktor festlegt, welche syntaktische Funktion der eingebettete Satz im Matrixsatz erfüllt. So leiten die sog. „Komplementierer“ (Breindl et al. 2014: 96–97) dass und ob Komplementsätze ein, die entweder die syntaktische Funktion des Subjekts (7) oder des Objekts (8) erfüllen. (7) Dass wir uns heute getroffen haben, freut mich sehr. (8) Sie fragte sich, ob alles umsonst gewesen war. Subjunktoren spezifizieren die textsemantische Relation zwischen den durch die Teilsätze bezeichneten Sachverhalten (Breindl et al. 2014). Ähnlich wie die Konjunktoren lassen sich die adverbialsatzeinleitenden Subjunktoren danach klassifizieren, welche textsemantischen Relationen sie herstellen. Diese Klassen können hier nur exemplarisch angeführt werden. So wird durch temporale Subjunktoren die zeitliche Abfolge der Sachverhalte zweier Teilsätze spezifiziert ((9), (10)). Kausale Subjunktoren bezeichnen eine faktische, konditionale eine nicht-faktische GrundFolge-Relation (Volodina 2006), ((11), (12)). Konzessive Subjunktoren markieren dagegen eine Relation, die gegen eine Erwartungserhaltung verstößt und die deshalb eine Kontrastlesart besitzt (13) (genauer Breindl 2004; Di Meola 2004), wohingegen adversative Subjunktoren einen Gegensatz ausdrücken, der zwischen beiden Teilsätzen besteht (14). (9) Gab es eine Zivilisation auf Erden, bevor es Menschen gab? [temporal] (10) Nachdem die Dinosaurier ausgestorben

waren, begann die rasante Entwicklung der Säugetiere. [temporal] (11) Weil es regnet, geht Kathrin nicht spazieren. [kausal] (12) Wenn es regnet, geht Kathrin nicht spazieren. [konditional] (13) Obwohl es regnet, geht Kathrin spazieren. [konzessiv] (14) Während Kathrin in Mainz wohnt, wohnt Marius in Wiesbaden. [adversativ] Viele Subjunktoren sind durch Polysemie charakterisiert, die auf nicht abgeschlossene Grammatikalisierungsprozesse zurückzuführen ist. Dabei besteht die sprachhist. ältere Quellrelation, die semantisch konkreter ist, neben der jüngeren und abstrakteren Zielrelation. Bei den semantischen Übertragungen handelt es sich meist um spatiotemporale Metaphern. So stellt der Subjunktor wenn im Dt. neben der älteren temporalen Relation auch konditionale Beziehungen her. Nach Volodina (2006) ist zur Unterscheidung dieser Lesarten insbesondere die Faktizität (bei temporalen Verwendungen) bzw. Nicht-Faktizität (bei konditionalen Verwendungen) ausschlaggebend ((15), (16)). (15) Wenn wir gewinnen, feiern wir. [nicht-faktisch = konditional] (16) Wenn ich heute Abend nach Hause komme, seid ihr bitte im Bett. [faktisch = temporal] Der Subjunktor nachdem zeigt dagegen nur diatopisch Polysemie (17). So erlaubt er in südd. Varietäten, insbesondere in Österreich neben der ursprünglichen und überregional verbreiteten temporalen bzw. ambigen auch die rein kausale Verwendung (Gillmann 2018), (18). (17) Nachdem wir gewonnen haben, feiern wir. [ambig] (18) Nachdem wir den gleichen Einzugsbereich haben, sollten die Veranstaltungen nicht zur gleichen Zeit stattfinden. [atemporal = kausal] Weiterhin ist mit Blick auf Subjunktoren zwischen propositionalen und präsupponierenden Subjunktoren zu unterscheiden (Pasch 1999). Ob die Semantik eines Subjunktors zur Proposition gehört, ist u.a. daran sichtbar, dass sie fokussierbar ist oder im Skopus einer Negationspartikel stehen kann. Präsupponierende Subjunktoren erlauben dies nicht (19). (19) Ich gehe nicht zur Party, WEIL mein Ex-

699 freund kommt (, sondern OBWOHL er kommt). (19a) Ich gehe nicht zur Party, *DA mein Exfreund kommt (, sondern OBWOHL er kommt). Sog. „Verbzweitsatz-Einbetter“ (Breindl et al. 2014: 19) betten einen abhängigen Teilsatz ein, bewirken jedoch keine Letztstellung des finiten Verbs (20). Diese sprachhist. jungen Marker sind schwach grammatikalisiert und stehen an der Schwelle zwischen Konjunktionaladverb und Subjunktor. (20) Angenommen/Vorausgesetzt, wir gewinnen [...] . (21) Im Falle, dass es brennt, nutzen Sie bitte die Notausgänge. Durch einen geringen Grammatikalisierungsgrad zeichnen sich auch „phraseologische Subjunktoren“ (Breindl et al. 2014: 43) aus (21); sie bestehen strukturell häufig aus einer Präp. sowie einem Nomen, das die textsemantische Relation spezifiziert und durch den Subjunktor dass erweitert ist (im Falle, dass ..., angesichts der Tatsache, dass ...). Die Subjunktoren um, anstatt, ohne, außer leiten keine Nebensätze, sondern satzwertige Infinitivphrasen ein (22). (22) Marius zieht nach Mainz, um in der Nähe seiner Eltern zu wohnen. Daneben ist Einbettung auch ohne Subjunktoren möglich, wie im Falle der V1-Konditionalsätze (23) oder der eingebetteten V2-Sätze (24). (23) Scheint die Sonne, geht Kathrin spazieren. (24) Sie sagt, Marius ist Polizist. Melitta Gillmann ≡ Subjunktion; subordinierende Konjunktion; unterordnende Konjunktion → § 9, 17; adverbialbildender Subjunktor; finaler Subjunktor; Fügewort; kausaler Subjunktor; komparative Konjunktion; Konjunktionaladverb; modaler Subjunktor; restriktiver Subjunktor; temporaler Subjunktor; termbildender Subjunktor → Gram-Syntax: eingeleiteter Nebensatz; Hypotaxe; Nebenordnung; Nebensatz; Subordination

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren. Bd. 2: Semantik. Berlin [etc.] ◾ Breindl, E./ Walter, M. [2009] Der Ausdruck von Kausalität im Deutschen: eine korpusbasierte Studie zum Zusammenspiel von Konnektoren, Kontextmerkmalen und Diskursrelationen. Mannheim ◾ Breindl, E. [2004] Konzessivität und konzessive Konnektoren im Deutschen. In: DS 32/1: 2–31 ◾ Breindl, E. [2004] Relationsbedeutung und Konnektorbedeutung. Additivität, Adversativität und Konzessivität. In: Breindl, E./ Blühdorn, H./ Waẞner, U. [Hg.] Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. Berlin [etc.]: 225–253 ◾ Di Meola, C. [2004]

Subjunktor, konsekutiver Ikonische Beziehungen zwischen Konzessivrelation und Konzessivkonnektoren. In: Blühdorn, H./ Breindl, E./ Waẞner, U. [Hg.] Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. Ber-

lin [etc.] ◾ Gallmann, P. [2009] Der Satz. In: Duden. Die Gram-

matik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 775– 1067 ◾ Gillman, M. [2018] Causal inference or conventionalized

meaning? A corpus study of the German connector nachdem ‘after’ in regional standard varieties. In: FoL 52/2: 483–522 ◾ Nübling, D. [2009] Die nicht flektierbaren Wortarten. In: Duden.

Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 567–625 ◾ Pasch, R./ Brauẞe, U./ Breindl, E./ Waẞner, U. [2003] Handbuch der Konnektoren. Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln).

Berlin [etc.] ◾ Pasch, R. [1999] Der subordinierende Konnektor wo: kausal oder konzessiv? In: Freudenberg-Findeisen, R. [Hg.]

Ausdrucksgrammatik versus Inhaltsgrammatik. Linguistische

und didaktische Aspekte der Grammatik. Festschrift für Joachim Buscha. München ◾ Volodina, A. [2006] wenn-Relationen:

Schnittstelle zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik. In:

Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen. Analysen und Reflexionen. Tübingen: 359–379 ◾

Wöllstein, A. [2010] Topologisches Satzmodell. Heidelberg ◾ Zifonun, G. et. al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.3). Berlin [etc.].

Subjunktor, adverbialbildender → adverbialbildender Subjunktor

Subjunktor, adversativer → adversativer Subjunktor

Subjunktor, finaler → finaler Subjunktor

Subjunktor, instrumentaler → instrumentaler Subjunktor

Subjunktor, kausaler → kausaler Subjunktor

Subjunktor, komitativer → komitativer Subjunktor

Subjunktor, konditionaler → konditionaler Subjunktor

Subjunktor, konfrontativer → adversativer Subjunktor

Subjunktor, konsekutiver → konsekutiver Subjunktor

S

Subjunktor, konzessiver 700 🕮 Kittilä, S./ Ylikoski J. [2011] Remarks on the coding of Direction, Recipient and Vicinal Direction in European Uralic. In: Kittilä, S./ Västi, K./ Ylikoski, J. [eds.] Case, Animacy and Semantic Roles. Amsterdam: 29–64 ◾ Szent-Iványi, B. [1995] Der ungarische Sprachbau. Hamburg ◾ Toivainen, J. [1985] The acquisition of Finnish. In: Slobin, D.I. [ed.] The crosslinguistic study of language acquisition 4. Mahwah, NJ: 87–182.

Subjunktor, konzessiver → konzessiver Subjunktor

Subjunktor, modaler → modaler Subjunktor

Subjunktor, proportionaler

Submorph

→ proportionaler Subjunktor

Lautfolge im Zwischenbereich von Phonologie und Morphologie. ▲ submorph: sequence of sounds intermediate between phonology and morphology.

Subjunktor, restriktiver → restriktiver Subjunktor

Subjunktor, substitutiver → substitutiver Subjunktor

Subjunktor, temporaler → temporaler Subjunktor

Subjunktor, termbildender → termbildender Subjunktor

Sublativ

Benennung eines Lokalkasus in den uralischen Sprachen, der die Bewegung auf ein Objekt bezeichnet. ▲ sublative: in the Uralic languages, the name of a local case denoting movement onto an object.

S

Der Sublativ wird im Ung. durch die Endung -ra/-re ausgedrückt, die auf Grund der Vokalharmonie gewählt wird: Wenn der Wortstamm einen hinteren (velaren) Vokal hat, tritt -ra auf (asztal ['Tisch'], az asztalra ['auf den Tisch']; utca ['Straße'], az utcára ['auf die Straße']). Enthält der Stamm vordere (palatale) Vokale, wird im Sublativ -re verwendet (emelet ['Etage'], a harmadik emeletre ['auf die dritte Etage']). Der Sublativ steht im Gegensatz zum Superessiv, der den Zustand angibt (az asztalon ['auf dem Tisch'], az utcán ['auf der Straße'], a harmadik emeleten ['auf der dritten Etage']) und zum Delativ, der die Wegbewegung von der Oberfläche eines Objekts herab bezeichnet (az asztalról ['vom Tisch'], az utcáról ['von der Straße'], a második emeletről ['von der zweiten Etage']). Vereinzelt tritt der Sublativ in einigen pronominalen Wortformen des Finn. auf, die auf -nne enden, wie sinne ['zu diesem Ort hin'], minne ['wohin?', 'zu welchem Ort?'].

→ Kasus; Richtungskasus → Gram-Syntax: Adverbialkasus

Giovanni Gobber

Bei submorphemischen Einheiten gibt es keine klare Referenz oder Bedeutung und es kommt zu Segmentations- und Klassifikationsproblemen, vgl. present, presence, absent, absence. Es handelt sich um Lautfolgen, die auf dem Wege sind, Einheitsstatus zu erlangen, und die häufiger im Zusammenhang mit verwandten Bedeutungen auftreten, ohne dass sie als Morpheme eingeordnet werden könnten. Dazu gehören schwer klassifizierbare Wortreste wie -ceive in receive, con­ ceive sowie Phonästheme und Pseudomorpheme. „Phonästheme sind wiederholte, über die Zufallsgrenze hinausgehende Form-Funktionseinheiten unterhalb der Größe des Morphems. Ihr Gebrauch ist nicht regelgeleitet. Sie sind möglicherweise sprach- bzw. sprachfamilienspezifisch“ (Elsen 2016: 140), vgl. gl- in glimmen, glitzern, gleißen, glitter, glisten, glint, glimmer, gleam, glow, glare. Auch bei Pseudomorphemen „ist der Status reiner Silben nicht mehr gegeben [...] -in, -it, -ol, -on etc. [vermitteln] die Vorstellung ‚wissenschaftlich, seriös, wirkungsvollʻ und [werden] mittlerweile mit Substanznamen assoziiert. [...] Sie können daher weder als willkürlich gewählt noch als bloße Silben betrachtet werden. Da sie natürlich keine Bedeutung im Sinne von Referenz tragen und nicht einheitlich verwendet werden, handelt es sich nicht um Morpheme“ (Elsen 2006: 247), vgl. Aspirin, Gust-in, Bind-ol, Valor-on, Eros-an. Hilke Elsen

→ Affix; Morph; Morphem; Morphemanalyse; morphologischer Status

⇀ Submorph (Wobi)

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie. Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2006] Pseudomorpheme. Namen im Übergangsbereich von Phonologie und Morphologie. In: Mutterspr 116: 242–248 ◾ Elsen, H. [2016] Einführung in die Lautsymbolik. Berlin ◾ Kubrjakova, E.S. [2000]

701 Substantiv Submorphemische Einheiten. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 417–426 ◾ Simmler, F. [2002] Pseudomorpheme. Ermittlungsmethoden, Typologie und Sprachgeschichte. In: Habermann, M./ Müller, P.O./ Munske, H.H. [Hg.] Historische Wortbildung des Deutschen (RGL 232). Tübingen: 75–103.

subordinierende Konjunktion ≡ Subjunktor

Substantiv

Vertreter einer universellen Hauptwortart, die im Deutschen deklinierbar, artikelfähig, kopfbildend und autosemantisch ist. ▲ noun; substantive: member of a major part of speech which is declinable, can have an article, is head-forming and is autosemantic.

Die Substantive machen im Dt. über die Hälfte aller Wörter aus. Das Subst. wird auch als Nomen bezeichnet. Der Terminus Substantiv geht auf substantivum (16. Jh.) zurück, das aus nomen substantivum hervorgegangen ist und in dt. Grammatiken als Haupt-, Nenn- bzw. Dingwort eingedeutscht wurde. Diese dt. Benennungen zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen Ontologie, Diskursfunktionen und Morphosyntax angenommen wird. Bereits bei Dionysios Thrax heißt es in seiner „grammatischen Wissenschaft“ (2. Jh. v. Chr.): „Das Nomen ist ein kasusbildender Satzteil, welcher ein Ding, z.B. Stein, oder eine Handlung, z.B. Erziehung, bezeichnet und allgemein, z.B. Mensch, Pferd, und besonders, z.B. Sokrates, gebraucht wird. Das Nomen hat fünf verschiedene Begleiterscheinungen: Geschlecht (= Genus), Art (= einfach vs. deriviert), Form (= Simplex vs. Kompositum), Zahl (= Numerus), Kasus“ (Übersetzung von Arens 1969: 23). Bei der Anwendung der griech.-lat. Kategorien auf das Dt. überwogen „meist semantisch-ontologische Kriterien bei der Bestimmung der Hauptwortarten, wenn auch schon früh die Schwierigkeiten der Abgrenzung erkannt“ wurden (Thielmann 2007: 797). So stellt Paul fest, dass beim Versuch, Substantive auf Grund ihrer Bedeutung zu isolieren, es „auch substantivische Bezeichnungen der Eigenschaft und des Geschehens“ gibt (Paul 1880: 252). Gegenwärtig überwiegen in den wissenschaftlichen Untersuchungen die grammatischen Kriterien bei der Beschreibung der Wortklasse. In den neueren Grammatikmodellen wird in der

Regel angenommen, dass eine Nomen-Verb-Distinktion universell ist, also für alle Sprachen gilt. Das Nomen- bzw. Verbsein wird über spezifische, einzelsprachliche grammatische Merkmale bestimmt. Es gibt aber auch Einsprüche dagegen, z.B. von Helmbrecht (2005): „Besonders durch das Studium von nicht-europäischen eher ,exotischen‘ Sprachen ist man auf sprachspezifische Wortartenklassifikationen gestoßen, die durch die Universalitätshypothese weder erwartbar noch erklärbar sind. Daß etwas mit der Universalität von Nomen und Verben nicht stimmen kann, hat man zuerst mit Bezug auf die Grammatik der Wakash- und der Salish-Sprachen entdeckt.“ (Helmbrecht 2005: 11). Chomsky (1970) nimmt [N]- und [V]-Merkmale an, um die lexikalischen Hauptkategorien Subst., Verb, Adj. und Präp. zu charakterisieren. Die Wortarten sind bei ihm die kleinsten syntaktischen Kategorien (weiter dazu Römer 2006: Abschnitt 3.4.4). Mit dem Zusammenfassen von Wörtern zu Wortarten ist die Annahme verbunden, dass die Vertreter der jeweiligen Klasse gemeinsame Charakteristika bzw. Merkmale haben. Welche dabei primär und welche sekundär sind, ist in den einzelnen grammatischen Modellen unterschiedlich. Die GG geht syntaktisch von der Phrasenstruktur aus. Substantive sind die Kerne oder Köpfe von Substantivphrasen (NPn). Ob der

DP D' D

das

NP AdjP

N'

Adj

N

rote Kleid NP

Det

N' AP

das

N

rote Kleid

Abb. 1: Determinansphrase und Nominalphrase

S

Substantiv 702

S

Artikel zur Substantivphrase gehört oder der syntaktische Kopf einer Determinansphrase (DP) ist, in die NP eingebettet ist, ist strittig (Abb. 1). Für dt. Substantive werden spezifische Eigenschaften bzw. morphosyntaktisch-lexikalische Merkmale angenommen, die über morphologisch-formale, syntaktische, ontologische und diskurspragmatische Parameter abgeleitet werden. (a) Als morphologisch-formale Charakteristika der Substantive werden in der Regel die Flexion und Derivation angenommen. Die für das Dt. wichtigste Substantiv-Flexionskategorie ist die Deklination, die auch bei Pronomina, Adjektiven und Artikeln vorkommt. Kategorien sind nicht unanalysierbar, sondern komplexe Gebilde. Für das Dt. sind Genus, Numerus und Kasus die Hauptdeklinations­kategorien, die mittels Affixen/Flexiven (1) bzw. Umlautungen (2) und in den Artikelwörtern (Substantivbegleitern, Determinatoren) morphosyntaktisch angezeigt werden können. Diese kategorienbestimmenden Merkmale sind ihrerseits wieder komplex und enthalten Merkmale bzgl. der Anwendbarkeit morphologischer Regeln, z.B. [Deklination]­ [Numerus] [+/– Plural]. (1) Kleid [N [s-Genitiv, neutrum]] -(e)s [Flexiv [Genitiv, Singular]] (2) Büch [N [Plural-Umlaut, n-Dativ]] -er [Flexiv [Plural]] -n [Flexiv[Dativ]] Substantive haben im Dt. in der Regel ein festes Genus (grammatisches Geschlecht: maskulin, feminin oder neutrum), sind hinsichtlich des Numerus (Sg. oder Pl.) und des Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) bestimmt. Gallmann/ Sitta (1996: 55) unterscheiden auf der Basis der Form des Genitivs (Kennform) die Nulldeklination (der Frau), die s-Deklination (des Mannes) und die n-Deklination (des Menschen). Für die Numerusflexion kann die Dativ-Pluralform als Kennfall verwendet werden, um zwei Klassen zu unterscheiden: diejenigen mit -n im Dativ (Lehrer-n) und die ohne (die Menschen). Es kann aber z.B. auch über das Vorhandensein eines Pluralmorphems (Kennfall) oder dessen nicht Vorhandensein klassifiziert werden: der/die Gärtner vs. der Motor/ die Motoren). Jedoch sind die Kasus im Dt. nur noch marginal markiert; die meisten werden am Subst. formal nicht angezeigt ((3), (4)). (3) der Gärtner-∅, des Gärtner-s, dem Gärtner-∅, den Gärtner-∅

(4)

die Gärtner-∅, der Gärtner-∅, den Gärtnern, die Gärtner-∅ Deshalb wird diskutiert, ob es sinnvoll ist, Flexionsklassen (Deklinationstypen) für die dt. Deklination abzuleiten. So meint z.B. Wiese (2010), dass sich die Flexionsklassen für praktische Zwecke zwar bewährt haben, für Sprachen mit weit abgebautem Flexionssystem (wie das Dt.) wenig geeignet seien. Er sieht in der Annahme von „unterspezifizierten Paradigmen“ eine „Möglichkeit, den Bau der Deklinationen durchsichtiger zu machen“ (Wiese 2010: 5). Den Kasus werden im Rahmen funktionaler und inhaltsbezogener Sprachuntersuchungen Kasusfunktionen zugeschrieben. So hat nach Willems (1997: 196) die mit dem Dativ markierte Einheit die Funktion der „Inkohärenzstiftung“, da sie relativ unabhängig von der beschriebenen Handlung sei (Willems 1997). Die Zuweisung des Genus ist z.T. willkürlich. Wenn die bezeichneten Denotate ein natürliches Geschlecht (Sexus: weiblich vs. männlich) aufweisen, besteht oft eine diesbezügliche Kongruenz: die Frau, der Mann, das Kind, aber das Weib (weiter dazu Duden 2016: Kap. Das Wort). Die Ausprägung der Deklination ist sprachspezifisch. So hat das moderne Russ. sechs Kasus (zusätzlich Instrumental und Präpositiv). Derart gibt es im Engl. keine Genera und deshalb auch keine flektierten Adjektive, die sich im Gegensatz zum Dt. dann auch nicht an das Genus des Bezugsnomens anpassen müssen ((5), (6)). (5) a nice girl / a nice boy (6) eine nette Frau / ein netter Mann (b) Die syntaktische Haupteigenschaft des Subst. ist die Fähigkeit, Kopf einer Nominalphrase (NP → Det + N) bzw. eines Satzgliedes sein zu können. Ein Subst. kann ein Satzglied (Subjekt, Objekt, Prädikativ, Adverbialbestimmung) oder Attribut sein und kann in der Regel ein Artikelwort (Determinativ) und ein Adj. vor sich und ein weiteres Subst. im Genitiv und/oder im Präpositionalkasus als Modifikator nach sich haben (7). (7) der wissenschaftliche Dienst des Bundestags in Berlin Das Subst. kann Träger der Valenz (Fügungspotenz) sein, wenn es Teil des nominalen Prädikats (Abb. 2) oder Kern der Bedeutung von Wortgruppen (Abb. 3) ist.

703 Substantiv

ist Lehrerin

Sie

Abb. 2: Nominales Prädikat

die Spur des Schlittens

im Schnee

Abb. 3: Substantiv in einer Wortgruppe

Sehr viele substantivische Valenzträger sind Ableitungen von Verben und Adjektiven. Ob es auch obligatorische Aktanten beim Subst. gibt oder nur fakultative Ergänzungen vorkommen, ist ebenso strittig, wie die Frage, ob die substantivische Valenz mit dem Beschreibungsinstrumentarium der verbalen Valenz erfassbar ist. In der GG spricht man in Bezug auf die Fügungspotenz von Subkategorisierungen. In Abb. 3 subkategorisiert die Spur zwei Ergänzungen: eine NP im Genitiv (des Schlittens) und eine PP (im Schnee). In welchem Kasus die Substantive stehen, hängt also von den Wörtern ab, von denen sie abhängig sind bzw. subkategorisiert werden. Bei helfen wird z.B. durch das Verb festgelegt, dass das abhängige Objekt im Dativ steht (dem Studenten helfen). Die Kasus werden auch in Abhängigkeit von deren syntaktischen Phrasenfunktionen, Satzgliedstatus und semantischen Rollen vergeben. So steht z.B. das Subjekt eines Satzes prototypisch im Nominativ. Den subkategorisierten Oberflächenkasus werden im Satz Tiefenkasus (semantische Rollen) zugewiesen. Der Wind schüttelt den Baum. schüttelt der Wind [Subjekt, Nominativ, Agens]

den Baum [Objekt, Akkusativ, Patiens]

Abb. 4: Oberflächen- und Tiefenkasus

Nach (Helbig/Buscha 2001: 19, 205) sind Wortarten primär syntaktisch durch ihre Distribution bestimmbar. Nur Substantive und substantivische Pronomina können in die Substitutionsrahmen in (8) bis (11) eingesetzt werden, wenn ein grammatikalisch korrekter Satz erzeugt werden soll. (8) Der … arbeitet fleißig. [Schüler] (9) Das … war gut. [Essen] (10) Ich sehe den … [Freund]

(11) Sie sprachen von der … [Reise] Allerdings werden dabei semantische Unkorrektheiten und Zirkularitäten in Kauf genommen: Der Maurer arbeitet fleißig vs. Der Stein arbeitet fleißig. Bei der Substantivwortbildung werden alle produktiven Typen (Römer 2015a: Abschnitt 3.3) verwendet. Besonders häufig treten in der dt. Gegenwartssprache die Komposition und explizite Derivation auf. Sie „sind Domänen des Substantivs. Bei Zusammensetzungen wie expliziten Ableitungen ist die überaus große Modellvielfalt ein charakteristisches Merkmal. Eine ebenfalls hohe Produktivität entwickelt die Konversion“ (Lohde 2006: 63). Fuhrhop/Werner (2016: 130) stellen die Prognose auf, dass die Suffixe „zunehmend aus der produktiven Wortbildung zugunsten nicht explizit durch ein Formmerkmal gekennzeichnete Formen“ verschwinden. Speziell die substantivische Konversion (auch Nullableitung, Nullderivation, implizite Derivation genannt) mit den Formen morphologische (der Lauf) und syntaktische Konversion (das Laufen) ist Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Dies trifft auch auf die Abgrenzung von usuell gewordenen Sub­ stantivierungen (das Essen schmeckt) und jenen, die nicht usuell sind (das gezielte Anprangern) zu. Es stellt sich dabei die Frage, ob sowohl die usuellen als auch die Gelegenheitsbildungen Substantive sind (Römer 2015b: Abschnitt 5.1). Aus kognitiver Sicht sind die nominalen Kollokationen, typische, gebräuchliche, binär strukturierte Wortverbindungen mit einem Subst. von Interesse (z.B. Abschied nehmen), weil sie die Syntagmenbildung im Sprachgebrauch lenken und einschränken, und wichtig für die angemessene Sprachkompetenz sind. (c) Ontologisch-semantische Klassen werden für das Subst. als wichtig angenommen. So wird eine „kategoriale Bedeutung“ vorausgesetzt, „die dem Angehörigen einer Wortart qua Wortart eignet“. Das Subst. erfasse danach „die außersprachliche Welt als ‚Substanz‘, als ‚Ding‘“ (Meineke 1996: 83). Diese Annahme einer kategorialen Bedeutung ist jedoch kritisch zu bewerten, da Substantive nicht nur Dinge bezeichnen, wie auch z.B. Adjektive nicht nur Eigenschaften bezeichnen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, die Substantivklasse semantisch zu beschreiben und zu klassifizieren, da die lexikalische Bedeutung für das gramma-

S

Substantiv 704

S

tische Verhalten der Substantive relevant sein kann (vgl. Numerus und Genus). Die Semantik ist aber nicht als konstituierendes Wortartenkriterium geeignet, da keine eindeutige Interaktion mit der Flexion besteht. „Eine rein semantische Worttypologie arbeitet dabei mit eigenen Kriterien, sie liegt quer zur syntaktischen Einteilung von Wortkategorien“ (Busse 1997: 239). Speziell für das Dt. spielt die kategoriale Bedeutung für die Orthographie, die Großschreibung der Sub­ stantive, eine Rolle. Sie wird in der Regel mit Leseerleichterungen begründet: „die satzinterne Groß- und Kleinschreibung erleichtert die Orientierung innerhalb des Textes“ bzw. „die Markierung syntaktischer Relationen. Nicht Substantive, sondern Kerne nominaler Gruppen werden großgeschrieben“ (Müller 2014: 1f.). Die Substantive haben in der dt. Sprache und auch innerhalb der europ. Sprachen durch die generelle Großschreibung (seit dem 17. Jh.) orthographisch eine hervorgehobene Stellung unter den Wortarten. Wobei die Majuskeln auch andere Funktionen haben und bei anderen Wortarten mit spezifischer Verwendungsweise auftreten: Am Anfang von Überschriften und Ganzsätzen, Substantivierungen, Eigennamen und ihre nichtsubstantivischen Bestandteile, bestimmte feste nominale Wortgruppen mit nichtsubstantivischen Bestandteilen, Anredepronomen und Anreden. Orthographische Probleme bei der Substantivgroßschreibung ergeben sich besonders bei den Grenzfällen: bei Substantivierungen (allgemein → das Allgemeine) als auch den Desubstantivierungen (Schuld → schuld) und den Eigennamen (Stiller Ozean) (Nerius 2001: Abschnitt 6.2.3.4). Semantisch sind Substantive Autosemantika, die eine selbständige lexikalische Bedeutung haben, was auch auf andere Wortarten zutrifft. Wie in Duden (2016: Kap. Das Wort 1.2) dargelegt, sind folgende Bedeutungsdifferenzierungen der Sub­ stantive für ihr grammatisches Verhalten relevant: (i) [+/– Gegenständlichkeit]: Konkreta (haben gegenständliche Bedeutung) vs. Abstrakta (ab­ strakte Begriffe). Die Abstrakta können z.B. nicht im Pl. stehen, wenn sie eine Ungegliedertheit bezeichnen (das Vertrauen); wenn sie zählbar sind, ist es möglich (die Freiheiten). (ii) [+/– Singularität]: Eigennamen vs. Gattungsnamen (Appellativa). Prototypische Eigennamen

können nicht im Pl. stehen, jedoch ist es bei Familiennamen möglich (die Schulzes). (iii) [+/– Belebtheit]: In den slaw. Sprachen erfolgen Unterscheidungen in Flexionsparadigmen nach der Belebtheit. (iv) [+/– Zählbarkeit]: Zählbare Substantive mit dem Merkmal [+ zählbar] haben einen Sg. und einen Pl.; diejenigen mit dem Merkmal [– zählbar] haben gewöhnlich keinen Pl. (sugar), vgl. (12). (12) two books / much sugar In den logikbasierten, formalen Kategorialgrammatiken, die mittels algorithmischer Verfahren die Wohlgeformtheit von Sätzen überprüfen, spielen die primären Kategorienunterscheidungen Satz (= S) und Nomen (= N) eine zentrale Rolle. Syntaktischen Ausdrücken werden semantische Typen zugeordnet bzw. entsprechen ihnen, so N-Kategorien der semantische Typ 'entity' (e) und S-Kategorien der Typ 'thruth value' (t). Eine prototypische NP wie der Tisch bekommt dann die Kategorisierung [N/N N] und dies besagt, dass ein Substantiv [N] mit einem Substantivbegleiter [N/N] zu einer wohlgeformten NP kombiniert werden kann, indem sich beim Artikel ein N wegkürzen kann, seine offene Stelle geschlossen wird, und so die richtige Kategorie N entsteht (vgl. Lohnstein 2011: Kap. 7). Da der Formalismus sehr allgemein ist, kann man strukturelle Mechanismen der Syntax-Semantik-Relation erklären, natürlichsprachliche semantische Feinheiten werden jedoch nicht erfasst. (d) Als diskurspragmatische Haupteigenschaft von Substantiven wird die Referenzmöglichkeit angenommen: das in einem sprachlichen oder außersprachlichen Kontext mögliche Beziehen mit dem Ausdruck auf ein Denotat (hat Darstellungsfunktion). Definite NPn (13) und demonstrative NPn (14) verdeutlichen, dass die Referenz bei den Appellativa nicht inhärent ist. Sie müssen einen Determinator haben, um dies zu können. (Eigen-)Namen sind dagegen inhärent referentiell (15), da sie direkt für bestimmte Personen, Länder etc. stehen. (13) das rote Auto, das ihr gehört (14) dieses Auto mit den braunen Ledersitzen (15) Thüringen In der GG hat man mit den Bindungsprinzipien Referenzbeziehungen erklärt. So ist in der Rektions- und Bindungstheorie festgelegt, dass ein

705 Substantivabstraktum R-Ausdruck (selbständig referierende NP) überall frei ist, d.h. R-Ausdrücke referieren unabhängig auf die Denotate. Dagegen ist die Referenz von Pronomina abhängig von der Referenz vorangehender R-Ausdrücke, mit denen sie in Pers., Genus und Numerus übereinstimmen müssen bzw. aus dem außersprachlichen Kontext erschließbar sein sollen ((16) vs. (17); Stechow/Sternefeld 1988: Kap. 6.2). (16) Das Mädchen liest. (17) Das Mädchenj wäscht sichj . Christine Römer

≡ Dingwort; Hauptwort; Nennwort → § 9, 15, 16; Artikel; Deklination; Nomen; nomen acti; nomen actionis; nomen instrumenti; nomen invarians; nomen loci; nomen patientis; nomen qualitatis; nomen rectum; nomen varians; substantivisches Pronomen; Substanznomen; Wortart → Gram-Syntax: Nominalphrase; Referenz; Subjekt; Subkategorisierung ⇀ Substantiv (Sprachdid; CG-Dt; SemPrag) ⇁ noun (Typol; CG-Engl)

🕮 Arens, H. [1969] Sprachwissenschaft. Bd. 1: Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zum 19. Jahrhundert. Frankfurt/ Main ◾ Busse, D. [1997] Wortarten und semantische Typen. In: Dürscheid, C./ Ramers, K.H./ Schwarz, M. [Hg.] Sprache im Fokus. Festschrift für Heinz Vater zum 65. Geburtstag. Tübingen: 219–240 ◾ Chomsky, N. [1970] Remarks on nominalization. In: Jacobs, R./ Rosenbaum, P. [eds.] Readings in English Transformational Grammar. Waltham, MA: 184–221 ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Fuhrhop, N./ Werner, M. [2016] Die Zukunft der Derivation oder Derivation 2.0. In: Linguistik-onl 3/16. [Unter: http:// dx.doi.org/10.13092/lo.77.2909; letzter Zugriff: 23.02.2017] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [1996] Deutsche Grammatik. Zürich ◾ Glinz, H. [1994] Grammatiken im Vergleich. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Helmbrecht, J. [2005] Das Problem der Universalität der Nomen/ Verb-Distinktion. Erfurt ◾ Hölzner, M. [2007] Substantivvalenz. Korpusgestützte Untersuchungen zu Argumentrealisierungen deutscher Substantive (RGL 274). Tübingen ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen ◾ Lohnstein, H. [2011] Formale Semantik und natürliche Sprache. 2. durchges. u. erw. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Meineke, E. [1996] Das Substantiv in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Müller, H.-G. [2014] Zur textpragmatischen Funktion der Groß- und Kleinschreibung des Deutschen. In: ZGL 42/1: 1–25 ◾ Nerius, D. [2001] Graphematik/Orthographie. In: Fleischer, W./ Helbig, G./ Lerchner, G. [Hg.] Kleine Enzyklopädie – Deutsche Sprache. Frankfurt/Main: 325–350 ◾ Paul, H. [1880/1970] Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Römer, C. [2015a] Die Elemente des Worts. In: Haẞ, U./ Storjohann, P. [Hg.] Handbuch Wort und Wortschatz. Berlin [etc.]: 320–343 ◾ Römer, C. [2015b] Morphologische Ka-

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Substantiv, deadjektivisches → deadjektivisches Substantiv

Substantiv, generisches → generisches Substantiv

Substantiv, schwaches → schwaches Substantiv

Substantiv, starkes → starkes Substantiv

Substantivabstraktum

abgeleitetes Substantiv mit nominaler Basis und abstrakter Bedeutung. ▲ denominal state noun: abstract noun, denoting a state, which is derived from a noun.

Der Terminus wird seit dem 19. Jh. uneinheitlich gebraucht (vgl. Luschützky 2015: 1288f.). Da das Erstglied des Kompositums Substantivabstraktum die Derivationsbasis der in Rede stehenden Wortbildungsprodukte bezeichnet (vgl. Verbalabstraktum), wird es i.e.S. ausschließlich für desubstantivische Derivate gebraucht, z.B. Kindheit, und ist von deadjektivischen Bildungen (z.B. Einigkeit) abzugrenzen. Produktive Suffixe zur Bildung desubstantivischer Abstrakta sind z.B. -heit, -igkeit (Oberle 1990; Fleischer/Barz 2012: 213f.), -schaft (Fleischer/Barz 2012: 221) und -tum (Fleischer/ Barz 2012: 223f.). Als Wortbildungsbedeutungen sind Zustände (Luschützky 2015), Eigenschaften (Kennerschaft), 'bestimmtes Verhalten', 'geistige Richtung' (Bürokratentum, Luthertum), Relationen (Freundschaft, Vaterschaft) und Bereiche i.w.S. (Kindheit) relevant. Jan Seifert

→ Abstraktum; Derivation; Grundmorphem; Produktivität; Substantiv; Verbalabstraktum

⇀ Substantivabstraktum (Wobi)

S

Substantivflexion 706 🕮 Barz, I. [2016] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 644–774 ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Luschützky, H.C. [2015] Status nouns. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.2). Berlin [etc.]: 1285–1304 ◾ Oberle, B. [1990] Das System der Ableitungen auf -heit, -keit und -igkeit in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg ◾ Porzig, W. [1930] Die Leistung der Abstrakta in der Sprache. In: BldtPhil 4: 66–77.

Substantivflexion

regelhafte Veränderung eines Substantivs hinsichtlich der grammatischen Merkmalklassen Kasus und Numerus. ▲ noun inflection: regular modification of a noun concerning the grammatical categories case and number. Jan Seifert

→ Flexion; Flexionskategorie; Numerus; Substantiv

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P. [2016] Die flektierbaren Wortarten. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 149–394 ◾ Köpcke, K.-M. [1995] Die Klassifikation der schwachen Maskulina in der deutschen Gegenwartssprache. In: ZS 14: 159–180 ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2012] Flexion. 2., aktual. Aufl. Heidelberg ◾ Wegener, H. [1995] Die Nominalflexion des Deutschen – verstanden als Lerngegenstand. Tübingen.

substantivierter Infinitiv

deverbales Substantiv, das aus der Infinitivform des Verbs durch ein Nullsuffix gebildet wird. ▲ nominalized infinitive: deverbal noun created by zero-derivation from the infinitive of a verb.

S

Morphologisch liegt bei substantivierten Infinitiven Konversion vor, da das Verb ohne Beteiligung von Affixen in die Wortart Substantiv überführt wird (1). Der substantivierte Infinitiv hat im Dt. neutrales Genus, ist normalerweise nicht pluralfähig und drückt ein Geschehen oder einen Zustand aus. (1) das Lesen / das Verstehen / das Buchstabieren Dieses Wortbildungsmuster gilt im Dt. als äußerst produktiv, auf diese Weise können nicht nur Verben, sondern auch Verbalphrasen substantiviert werden (2): (2) das Händchenhalten / das Zueinandergehören / das In-Kraft-Treten. György Scheibl ≡ nominalisierter Infinitiv → Infinitiv; Konversion; Nullsuffix; Pluralfähigkeit; Substantiv

⇀ substantivierter Infinitiv (Wobi)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.].

substantiviertes Adjektiv

Konversion eines Adjektivs zu einem Substantiv. ▲ nominalized adjective: adjective functioning as a noun.

Die Substantiviering betrifft vor allem Adjektive, die dann als Substantive mit Differentialgenus für das jeweilige natürliche Geschlecht als neutrale Abstraktbegriffe (das Gute, das Böse) oder als Personenbezeichnungen (der/die Schöne) erscheinen und wie ein schwaches Subst. bzw. attributives Adj. flektieren (Eisenberg 2006: 155). Neben den flektierten syntaktischen gibt es auch lexikalisierte Substantivierungen, die generell endungslos mit schwankendem Genitiv-s sind, z.B. das Grün, des Grün(s). Ursprüngliche Substantivierungen wie der Invalide, ein Gläubiger verhalten sich heute wie normale starke oder schwache Substantive (Duden 2005: § 474–476). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Adjektiv; Differentialgenus; Konversion; Substantiv; ­Substantivierung

⇀ substantiviertes Adjektiv (Wobi)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Substantivierung

substantivische Transposition aus nichtsubstantivischen Wortarten durch Wortbildung. ▲ nominalization: nominal transposition from a non-nominal word class by word formation.

Basen einer Substantivierung sind im Dt. vor allem Verben (das Lesen, die Lesung) und Adjektive inklusive der Numeraladjektive und der Partizipialadjektive (das Grün, eine Eins, die Studierenden), aber auch Syntagmen (Vergissmeinnicht, Auftraggeber), Pronomina (das Ich), Adverbien (im Hier und Jetzt) und Präpositionen (das Für und Wider). Die Substantivierung gilt als „Kernfall der Konversion“ (Eichinger 2000: 168), kann aber auch

707

substantivisches Pronomen

das Ergebnis einer Derivation sein (vgl. Fleischer/Barz 2012: 89, 121; Motsch 2004: 324, 328f.; dagegen Duden 2009: 1259, wo unter Substantivierung nur die „Bildung von Substantiven ohne Wortbildungselement“, d.h. als Konversion verstanden wird). Bei der adsubstantivischen Konversion sind im Dt. sowohl morphologische Konversionen (laufen → Lauf; mit Stammallomorphie als implizite Ableitung: werfen → Wurf) als auch syntaktische Konversionen (laufen → das Laufen, als Zusammenrückung eines Syntagmas: Dreikäsehoch) möglich (vgl. Fleischer/Barz 2012: 89). Bei der Derivation erfolgt die Substantivierung im Dt. meist als Suffigierung (Lehr-er), weniger häufig sind Präfigierungen (Ge-bell), Zirkumfigierungen (Gesing-e) und Zusammenbildungen (Gesetzgeber). Die deverbalen Substantivierungen lassen sich in nomina actionis (Verbalabstrakta wie Sprung und Denken), nomina acti/patientis (Aufkleb-er), nomina agentis (Sieg-er), nomina instrumenti (Druck-er), nomina loci (Tank-e) und Personenbezeichnungen (Töpf-er) subklassifizieren, die deadjektivischen Substantivierungen wiederum in nomina qualitatis (das Wahre) und Personen- sowie Sachbezeichnungen (Schwächling, das Gehackte) (Motsch 2004: 324ff.; Fleischer/Barz 2012: 121ff., zu weiteren Subklassen vgl. Duden 2009: 726ff.). Igor Trost

→ Konversion; Nominalisierung; Substantiv; substantiviertes Adjektiv; Wortbildung

⇀ Substantivierung (Wobi) ⇁ nominalization (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.].

substantivisches Determinans

erster – einfacher oder komplexer – Bestandteil eines Determinativkompositums der Wortart Sub­ stantiv, der als Bestimmungswort das Determinatum semantisch näher bestimmt oder determiniert. ▲ nominal determinans: first, simple or complex, nominal constituent of a determinative compound, which semantically modifies or determines the determinatum. Anna Vargyas

→ Determinans (2); Determinatum; Erstglied; Komposition → Gram-Syntax: determinative Apposition

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I.[2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Olsen, S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 364–386 ◾ Ortner, L. et al. [1991] Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. 4. Hauptteil: Substantivkomposita (SdG 79). Berlin [etc.].

substantivisches Pronomen

Pronomen, das ein Substantiv oder eine Substantivgruppe ersetzt und grundsätzlich ohne Artikelwort und Adjektiv auftreten kann. ▲ nominal pronoun: pronoun which replaces a noun or a noun group and which can generally appear without a determiner and adjective. Substantivische Pronomina bilden zusammen mit Substantiven die Wortklasse der Substantivwörter (Helbig/Buscha 2001: 205). Aufgrund grammatisch-semantischer Merkmale lassen sich bei substantivischen Pronomina Personal-, Interrogativ-, Demonstrativ-, Indefinit-, Possessiv- und Relativpronomina unterscheiden. Das substantivische Pronomen als eine Subklasse der Substantivwörter unterscheidet sich vom Substantiv darin, dass es (a) die ganze Substantivgruppe zusammen mit dem Artikelwort und dem voran- bzw. nachgestellten Attribut ersetzt und (b) sich gewöhnlich nicht mit einem Artikelwort und einem voran- bzw. nachgestellten Attribut kombinieren lässt. Die letztgenannte Bedingung gilt nur eingeschränkt. Bei Personal-, Interrogativ-, Demonstrativ- und Indefinitpronomina ist ein Attribut in Form einer Genitiv-NP bzw. einer PP durchaus möglich. (1) Ich habe keines seiner Bücher gelesen. (2) Es war keiner von Jena anwesend. (3) Irgendeiner aus der Klasse 9b hat es mir gesagt. Das substantivische Pronomen ist vom adjektivischen Pron. zu unterscheiden, das wegen seiner syntaktischen Eigenschaften zu der Wortklasse Artikelwort gezählt wird. (4) Allen hat es gefallen. (5) Allen Schülern hat es gefallen. In (4) ist allen ein substantivisches Pronomen, in

S

Substantivkompositum 708 (5) liegt ein Artikelwort vor. Die Unterscheidung zwischen substantivischem Pronomen (Stellvertreter) und adjektivischem Pronomen (Begleiter) ist die Konsequenz der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Subst. und Adj.

↔ Determinativum → Adjektiv; Pronomen; Substantiv

Janusz Taborek

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Schwartz, L. [2000] Pronoun and article. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 783–794.

Substantivkompositum

Wortbildungsprodukt, das durch Kombination mindestens zweier Stämme entstanden ist und das der Wortkategorie Substantiv angehört. ▲ nominal compound: word which is formed from at least two stems and that belongs to the category noun. Jan Seifert

→ Komposition; Kompositum; Stamm; Substantiv; Verbkompositum; Wortbildung → Gram-Syntax: syntaktische Wortkategorie ⇁ nominal compound (Typol)

S

🕮 Barz, I. [2016] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin: 644–774 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Olsen, S. [2015] Composition. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 364–386 ◾ Schlücker, B. [2012] Die deutsche Kompositionsfreudigkeit. Übersicht und Einführung. In: Gaeta, L./ Schlücker, B. [Hg.] Das Deutsche als kompositionsfreudige Sprache. Strukturelle Eigenschaften und systembezogene Aspekte. Berlin [etc.]: 1–25.

Substanzausdruck ≡ Substanznomen

Substanznomen

Substantiv, das eine Substanz benennt. ▲ mass noun: noun that names a substance.

Substanznomen ist eine semantische Kategorie, die diejenigen Substantive erfasst, die kontinuierliche, nicht individuierbare Substanzen benennen (z.B. Brot, Wasser, Eisen). Die Sub­ stanz­nomina zeigen ein spezifisches Determinationsverhalten. So können sie in der Regel nur

unter bestimmten pragmatischen Bedingungen (Ich hätte gerne ein Wasser bitte oder Und als wir dann Kaffee getrunken haben, da hatte er doch tatsächlich den Zucker in einem Marmeladenglas!) oder bei restriktiver Attribution (z.B. das Wasser des Rheins) mit Artikel auftreten. Auch sind Sub­ stanznomina in der Regel nicht pluralfähig. Hiervon ausgenommen ist der sog. Sortenplural (z.B. Die Firma hat zehn Wässer im Sortiment oder Die österreichische Schwerindustrie ist auf Stähle für besondere Anwendungen spezialisiert). ≡ Substanzausdruck → Kontinuativum; Nomen; Substantiv ⇁ mass noun (Typol)

Winfried Thielmann

🕮 Lehmann, C./ Moravcsik, E. [2000] Noun. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 732–757.

substitutive Konjunktion ≡ substitutiver Subjunktor

substitutive Subjunktion ≡ substitutiver Subjunktor

substitutiver Subjunktor

Subjunktor, der den im Hauptsatz enthaltenen Sachverhalt als nicht realisierte, aber mögliche Alternative zum Sachverhalt im Nebensatz präsentiert. ▲ substitutive subjunctor: subordinating conjunction marking that the non-factual event presented in the main clause is an alternative to the factual event in the subordinate clause. Zu den substitutiven Subjunktoren zählen vor allem der komplexe Subjunktor (an)statt dass bzw. der Subjunktor (an)statt, der Infinitivkonstruktionen mit zu einleitet. Häufig – aber nicht immer – ist der im Hauptsatz genannte Sachverhalt der aus Sicht des Sprechers bzw. der Sprecherin bevorzugte. (1) Anstatt dass du fernsiehst, könntest du dein Zimmer aufräumen. Beide Teilsätze enthalten ein agentives Subjekt sowie eine kontrollierbare Handlung. Dies bildet die Voraussetzung dafür, dass der Adressat tatsächlich zwischen den beiden Handlungsalternativen wählen kann. (2) Anstatt zu lesen, räum bitte mal dein Zimmer auf! Wie in (2) können Substitutivsätze auch auf illo-

709 Suffix kutiver Verknüpfungsebene operieren (Sweetser 1990). Melitta Gillmann ≡ substitutive Konjunktion; substitutive Subjunktion → mehrteilige Konjunktion; Subjunktor → Gram-Syntax: Hauptsatz; Nebensatz; Sachverhalt; Sprechakt; Substitutivsatz

🕮 Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Sweetser, E.E. [1990] From etymology to pragmatics. Metaphorical and cultural aspects of semantic structure. Cambridge.

Subtraktionsfuge

durch Tilgung des Stammauslauts gebildete Nahtstelle zwischen den unmittelbaren Konstituenten eines Kompositums. ▲ subtractive linking element: formation of a boundary between two immediate constituents of a compound by means of the deletion of the final sound of the stem.

Im Gegensatz zu additiven Fugenelementen entsteht die Subtraktionsfuge durch Auslassung eines finalen Stammelements, z.B. Sprache – Sprachwissenschaft, Erde – Erdöl. Selten wird das subtrahierte Element durch ein anderes Fugenelement ersetzt, z.B. Hilfe – Hilfs + organisation oder Geschichte – Geschichts + buch. Die Subtraktion betrifft meist ein stammauslautendes Schwa (ohne derivationelle Funktion), z.B. Erdöl, aber Pflegefall (Pflege als ein mit Schwa abgeleitetes deverbales Substantiv). Renata Szczepaniak

→ Adjektivfuge; Fugenelement; Kompositum → Gram-Syntax: Konstituente

🕮 Fuhrhop, N. [1996] Fugenelemente. In: Lang, E./ Zifonun, G. [Hg.] Deutsch – typologisch. Berlin [etc.]: 525–550 ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2008] On the Way from Morphology to Phonology. German Linking Elements and the Role of the Phonological Word. In: Morph 18: 1–25 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222.

Suffigierung

Bildung eines neuen Worts oder einer grammatischen Wortform durch das Anfügen eines Suffixes. ▲ suffixation: word-formation process of deriving a new word or a word form by adding a suffix to the lexical base.

Die Suffigierung ist als Wortbildungsmuster eine Form der expliziten Derivation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Suffix an ein Wort gefügt wird und so das Wort formal verlängert und inhaltlich modifiziert: Aus Esel plus -ei wird Eselei, wobei -ei die Bedeutung 'Art und Weise' innehat und somit Eselei 'wie ein Esel' bedeutet. Im Dt. wird das Suffix als grammatischer Kopf angesehen, weil es die grammatische Kategorisierung des Gesamtworts festlegt. Es gibt spezifische Suffixe für alle Haupwortarten. Als Basis der Suffigierung können im Dt. Basismorpheme (Acht-ung), Mor­phem­konstruktionen (Programmier-ung), Kon­fixe (authent-isch), Wortgruppen (haarspalter-isch) dienen. Wenn ein Suffix gleichzeitig mit einem Präfix an ein Wort tritt (Ge-renne), handelt es sich um eine kombinatorische Derivation (Zir­kum­fix­derivation). Wenn die Flexive, wie im Dt. und Engl., rechts an das Wort treten, sind es Flexionssuffixe. Die Suffigierung in der Flexionsmorphologie hat eine rein grammatische Funktion, weil die Flexionssuffixe weder eine Wortkategorienveränderung noch eine Bedeutungsmodifizierung vornehmen. Christine Römer

→ abgeleitetes Adjektiv; Affix; Nullfuge; Suffix; Wortform

🕮 Altmann, H./ Kemmerling, S. [2005] Wortbildung fürs Examen. 2., überarb. Aufl. (LingEx 2). Göttingen ◾ Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Lohde, M. [2006] Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen ◾ Römer, C./ Matzke, B. [2005] Lexikologie des Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. 2. Aufl. Tübingen: Kap. 3.

Suffix

gebundenes Affix, das an eine Wurzel oder einen Wortstamm treten kann, um eine Wortform oder ein neues Wort abzuleiten. ▲ suffix: bound morpheme that attaches to a root or stem. Nach ihrer Funktion unterscheidet man Ableitungssuffixe, die der Wortbildung dienen, und Flexionssuffixe. Ableitungssuffixe sind aus ehemals selbständigen Wörtern entstanden, die ihre semantische und lautliche Selbständigkeit verloren haben. So war das Suffix -haft noch im Mhd. ein selbständiges Wort mit der Grundbedeutung 'mit etwas behaftet, mit etwas versehen' (Schmidt 1964: 115). Diese spezielle Bedeutung verlor -haft als Ableitungs-

S

Suffix, heimisches 710 suffix. Es zeigt allgemeiner eine Eigenschaft an (krankhaft, wohnhaft). Ableitungssuffixe sind reihenbildend. In der dt. und engl. Sprache sind sie wortartenspezifisch und legen die Wortart des Worts, an das sie treten, fest. So bilden z.B. die Suffixe -able/-ible, -al, -ary, -ed, -esque, -ful, -ic/-ical, -ing, -ish, -ive, -less, -ly oder -ous Adjektive im Engl. (Plag 2003). Flexionssuffixe nehmen eine geregelte Formänderung am Wortende bei spezifischen Wortarten vor, um die jeweilige grammatische Verwendung (z.B. books [Pl.]) oder grammatische Funktion (z.B. Napoleon’s defeat [objektiver Genitiv]) eines Worts im Satz anzuzeigen. Christine Römer

↔ Präfix → § 16, 31; Ableitungssuffix; Adjektivsuffix; Affix; äußerer

Plural; Fremdsuffix; Halbsuffix; heimisches Suffix; kategorienveränderndes Suffix; Nullsuffix; Sekundärsuffix; stammbildendes Suffix; Suffigierung; Suffixkombination; Suffixposition; Suffixtausch; Suffixtilgung; Wurzel ⇀ Suffix (Wobi; Onom; CG-Dt) ⇁ suffix (CG-Engl; Typol)

🕮 Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Naumann, B./ Vogel, P.M. [2000] Derivation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 929–943 ◾ Plag, I. [2003] Word-Formation in English (CamTbLing 46). Cambridge ◾ Schmidt, W. [1965] Deutsche Sprachkunde. Berlin.

Suffix, heimisches → heimisches Suffix

Suffix, kategorienerhaltendes

S

→ kategorienerhaltendes Suffix

Suffix, kategorienveränderndes → kategorienveränderndes Suffix

Suffix, stammbildendes → stammbildendes Suffix

Suffixaufnahme

Wiederaufnahme des Kasusmarkers eines Possessums im Possessor. ▲ case stacking: copying of the case marker of a possessum onto its possessor. Die Suffixaufnahme beinhaltet ein Echo-Verfahren, in dem formale Kasuseigenschaften des Possessums einer Possessionskonstruktion im

zugeordneten Possessor abgebildet werden, etwa Possessum-Akkusativ + Possessor-Genitiv-Akkusativ. I.e.S. liegt eine Kasuskongruenz vor, wobei der Possessor als Apposition zum Possessum konstruiert wird, wie etwa den Hund [(nämlich) den = der Frau], vgl. Georgisch c'q'oba-sa mt'erta-sa [Angriff-Dativ Feind-Pl.:Oblativ-Dativ; 'dem Angriff der Feinde'; 'dem Angriff, dem = der Feinde']. Suffixaufnahme ist in unterschiedlichen Formen und unterschiedlichem Umfang in einer Reihe von Sprachen etwa des kaukasischen und australischen Areals belegt.

→ Kasus; Suffix → Gram-Syntax: Apposition; Possessor ⇁ case stacking (Typol)

Wolfgang Schulze

🕮 Plank, F. [ed. 1995] Double Case. Agreement by Suffixaufnahme. New York, NY.

Suffixentstehung

Vorgang, der zur Bildung eines neuen Suffixes führt. ▲ suffix formation: process of creating a new suffix. Zur Suffixentstehung schreibt Paul (1920: 46f.): „Es kann nicht bezweifelt werden, daß Ableitungssuffixe ebenso wie die Flexionssuffixe aus ursprünglich selbständigen Wörtern entstanden sind. Aber man darf nicht damit rechnen, daß sie die Lautgestalt bewahrt haben, die sie als selbständige Wörter hatten.“ In Nübling (2006: 69) wird der Prozess der Suffixentstehung bildhaft als „Zwiebelmodell“ beschrieben, bei dem ein selbständiges Wort aus der äußeren, lexikalischen Schicht als Derivationsaffix in den morphologischen Kernbereich der Sprache eindringt (wie z.B. ahd. tuom 'Urteil, Macht' → -tum). Paul verweist auch darauf, dass die meisten der jetzt im Dt. noch lebendigen Suffixe durch Verschmelzung entstanden sind. Diese Verschmelzungsprozesse wurden und werden u.a. durch die Regeln der dt. Silbenstruktur, Betonungsüblichkeiten und Anpassungen an analoge Suffixstrukturen motiviert. Semantisch kommt es bei der Herausbildung von Derivationssuffixen zu einer Bedeutungsentleerung, zu einer Entkonkretisierung gegenüber den Ausgangslexemen. Auch in der Gegenwart entstehen neue Derivationssuffixe aus freien Wörtern. Den Prozess der Entstehung von Flexionssuffixen nennt man Grammatikalisierung. Christine Römer

711 Suffixtausch

→ Halbsuffix; Sekundärsuffix; Suffix → Gram-Syntax: Grammatikalisierung ⇀ Suffixentstehung (Wobi; HistSprw)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Henzen, W. [1957] Deutsche Wortbildung. Tübingen ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2006] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. Tübingen ◾ Paul, H. [1920] Deutsche Grammatik. Bd. V: Wortbildungslehre. Halle/Saale.

Suffixerweiterung

Ausdehnung eines Suffixes durch Grenzverschiebung. ▲ extension of a suffix: extension of suffixes by shifting of the boundary. Eine spezielle Form der Sekundärsuffixe sind solche mit Suffixerweiterung, die, wie bei -ler (Nörgler) und -ner (Lügner) im Dt., durch Abspaltung eines Verbstammteils ihre ursprüngliche vokalisch anlautende Formativstruktur (-er) um einen Konsonanten erweitern.

→ Sekundärsuffix; Suffix; Suffixvariante ⇀ Suffixerweiterung (Wobi)

Christine Römer

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [1998] Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen ◾ Jespersen, O. [1925] Die Sprache. Ihre Natur, Entwicklung und Entstehung. Heidelberg.

Suffixfusion

≡ Sekundärsuffix

Suffixkombination

Abfolge mehrerer Suffixe. ▲ combination of suffixes: sequence of several suffixes. Neben mehreren Derivationssuffixen (in (1) -t-, -ig, -ung, wobei -t- ein idg. Suffix ist) können im Dt. auch Derivationssuffixe mit Flexionssuffixen (2) oder mehrere Flexionssuffixe (3) kombiniert werden. (1) Vergewal-t-ig-ung (2) Hoffn-ung-en (3) lieb-t-en Speziell in Bezug auf die Verbindung von Derivationssuffixen und Flexionssuffixen gibt es im Dt. zahlreiche phonologische Restriktionen. So hat Nichtbetonbarkeit die Konsequenz, sich nicht mit silbischen Flexionssuffixen zu verbinden (Eisenberg 2006: 271).

Relativ selten sind „Derivate der zweiten und besonders jeder weiteren Ableitungsstufe (Wirkungs-los-ig-keit)“ (Fleischer/Barz 1992: 40). Sehr selten werden direkt nacheinander Suffixe zur Ableitung der gleichen Wortart benutzt. Eine Ausnahme bilden Kombinationen mit -er und -ler (4). (4) Lehr-er-in, Schreib-er-ling, Streb-er-tum, Wissen-schaft-ler

↔ Suffixtilgung → Ableitungssuffix; Suffix; Suffixvariante ⇀ Suffixkombination (Wobi)

Christine Römer

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Henzen, W. [1957] Deutsche Wortbildung. Tübingen.

Suffixoid

≡ Halbsuffix ⇀ Suffixoid (Wobi; HistSprw)

Suffixposition

Positionsbeschränkung für ein Suffix. ▲ suffix position: restriction on the position of a suffix. Suffixe stehen rechts von der Derivationsbasis, können aber weiteren positionellen distributionellen Beschränkungen unterliegen. Für das Dt. unterscheidet Eisenberg (2006) fußbildende und nicht fußbildende Suffixpositionen. Wenn das Suffix unmittelbar einer betonten Stammsilbe folgt, kann es niemals einen Fuß bilden, denn es ist dann prosodisch als Nichtkern in einen Fuß integriert, z.B. Klúgheit. Fußbildend ist hingegen die Position nach der Schwasilbe, z.B. Sícherheit (vgl. Eisenberg 2006: 142).

→ Derivation; Suffix → Gram-Syntax: Beschränkung

Christine Römer

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

Suffixsubstitution ≡ Suffixtausch

Suffixtausch

diachroner Austausch eines Suffixes. ▲ suffix substitution: historical substitution of a suffix.

S

Suffixtilgung 712 Ein Suffixtausch kann z.B. durch eine Reanalyse (einen Grammatikwandel, der aus einer Verbesserung der Segmentierung resultiert) zu Stande kommen. Im Dt. trifft dies u.a. auf nicht konsonantisch anlautende Suffixe zu, die erweitert sind (z.B. -ing → -ling, winz-ig → Winz-ling) (vgl. Plank 1981; Fleischer 2000). Der Suffixtausch kann auch aus Gründen der Verdeutlichung erfolgt sein, wie Erben (2000) für den Ersatz von -heit durch -keit erläutert. ≡ Suffixsubstitution; Suffixwechsel → Suffix → Gram-Syntax: Reanalyse

Christine Römer

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Erben, J. [2004] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 4. Aufl. Berlin ◾ Schmidt, W. [2013] Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium. 11., verb. u. erw. Aufl. Stuttgart ◾ Wunderlich, D. [1987] Schriftstellern ist mutmaßen, ist hochstapeln, ist Regeln mißachten. Über komplexe Verben im Deutschen. In: Asbach-Schnitker, B./ Roggenhofer, J. [Hg.] Neuere Forschungen zur Wortbildung und Historiographie der Linguistik. Tübingen: 91–107.

Suffixvariante

🕮 Erben, J. [2004] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 4. Aufl. Berlin ◾ Fleischer, W. [2000] Die Klassifikation von Wortbildungsprozessen. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 886–897 ◾ Plank, F. [1981] Morphologische [Ir-]Regularitäten. Tübingen.

Suffixtilgung

Weglassen eines Suffixes im Zuge der Wort- oder Wortformenbildung. ▲ suffix deletion: deletion of a suffix in the course of formation of a word or word form.

S

≡ Rückbildung

↔ Suffixkombination → Suffix; Wortform

Bei einer synchronen Betrachtung von Wortbildungsprodukten ergibt sich bei Verben wie notlanden oder kurpfuschen, wie die Paraphrasierungen ihres Wortinhalts zeigen, die Notwendigkeit, sie von den Substantiven Notlandung und Kurpfuscher her motiviert und als Rückbildungen mit Tilgungen der Suffixe -ung bzw. -er anzusehen (Erben 2000: 37). Dafür spricht auch, dass Verbkomposita unüblich sind (Wunderlich 1987). Auch beim Wechsel von Adjektiven zu Substantiven kommt das Muster der Suffixtilgung vor (großmäulig → Großmaul, pazifistisch → Pazifist). Diachronisch gesehen gibt es auch Fälle, bei denen ehemals vorhandene Flexionssuffixe auf Grund der Grundmorphembetonung schwinden und die entstandenen Wortformen ohne sie die grammatischen Funktionen übernehmen. Dies ist z.B. bei ahd. tag (a-Deklination) der Fall, wo das Suffix -e zur Markierung des Dativ Sg. im Nhd. weggefallen ist. In der dt. Gegenwartssprache kann generell der Verlust des Dativ-e beobachtet werden, das fakultativ geworden ist (der König – dem König(e), der Wald – im Wald(e)). Christine Römer

Formvariante eines Suffixes. ▲ suffix variant: form variant of a suffix. Besonders bei entlehnten Suffixen treten neben der Normalform Varianten auf. So gibt es im Dt. zu -ation (Kapitulation) die Varianten -ition (Addition) und -tion (Intervention) und die Kurzform -ion (Exekution) (Erben 2000: 94). Häufig treten regionale Suffixvarianten auf. Das dt. Diminutivsuffix -lein „erscheint in den Mundarten als -l, -le, -el, -erl“ (Dirndl, Männle, Weibel, Hunderl) (Schmidt 1968: 113). Die Alternationen der Suffixvarianten sind z.T. mit regelmäßigem Distributionsverhalten verbunden wie bei -ier(en) vs. -isier(en). „-isier(en) folgt der betonten Silbe der Basis, bei Basisauslaut -se mit zusätzlichem -t: narkotisieren [...] , wobei das -e im Basisauslaut wie auch -ie getilgt werden: harmonisieren.“ Die Variante -ifizier(en) „kommt nur bei wenigen desubstantivischen Verben vor: exemplifizieren (mit Tilgung des schwachtonigen e der Basis)“ (Fleischer/Barz 1992: 311). Christine Römer

→ Suffix; Suffixerweiterung; Suffixkombination ⇀ Suffixvariante (Wobi)

🕮 Erben, J. [2004] Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 4. Aufl. Berlin ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Schmidt, V. [1968] Die Streckformen des deutschen Verbums. Halle/ Saale.

Suffixverbindung ≡ Sekundärsuffix

Suffixwechsel

≡ Suffixtausch ⇀ Suffixwechsel (Onom)

713 Supinum

Superlativ

höchste Stufe im Komparationsparadigma von Adjektiven und Adverbien. ▲ superlative: highest degree in the comparative paradigm of adjectives and adverbs. Der Superlativ zeigt an, dass eine Person oder eine Sache die höchste Stufe einer spezifischen Eigenschaft aufweist. Der Superlativ wird im Dt. synthetisch durch die Suffigierung von -st (1) gebildet (bzw. -est bei bestimmten Adjektiven und Adverbien, die auf eine Konsonantenfolge enden (2)). Bei vielen einsilbigen Stämmen werden umlautfähige Vokale umgelautet (3). (1) schön – adjektivisch: der schönste Mann in der Gruppe – adverbial: am schönsten (2) bekannt – die bekannteste Frau in der Gesellschaft (3) jung – das jüngste Kind der Schule Auch Suppletivformen sind zu finden. (4) gut – der beste Mann (5) gern – am liebsten Andere Sprachen verwenden darüber hinaus analytische Formen, die durch Steigerungspartikeln oder andere lexikalische Mittel gebildet werden. Im Engl. wird der Superlativ u.a. durch die Verwendung von most gebildet. (6) the most beautiful girl in the city Wenn der Superlativ in Bezug auf eine Auswahlmenge gebraucht wird ((1)–(3)), kann er als relativer Superlativ bezeichnet werden. Wenn jedoch kein Vergleich mit anderen Personen oder Sachen erfolgt (4), spricht man von einem absoluten Superlativ (bzw. Norm-Superlativ oder auch Elativ).

Anna Cardinaletti, Marco Coniglio ≡ zweite Steigerungsstufe → § 16; absoluter Superlativ; Adjektiv; Adverb; Intensitätspartikel; Komparation; Komparierbarkeit ⇀ Superlativ (Wobi; CG-Dt; Lexik) ⇁ superlative (CG-Engl; Typol) 🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München.

Superlativ, absoluter → absoluter Superlativ

Superlativadverb

Adverb, das von einer Superlativform gebildet ist.

▲ superlative adverb: adverb derived from the su-

perlative of an adjective or adverb.

Einige Superlativadverbien werden mit Hilfe der Suffixe -ens aus der adverbiellen oder prädikativen Superlativform (am +) -sten und einem adverbiellen Genitiv-s oder dem Suffix -falls, gebildet, so z.B. bestens, höchstens, meistens, mindestens, spätestens, wenigstens, bestenfalls, geringstenfalls, günstigstenfalls, schlimmstenfalls. Sie können u.a. einen hohen Grad (1), eine hohe oder höchste Frequenz (2) oder eine Grenze (3) ausdrücken. (1) Er hat die Aufgabe bestens erledigt. (2) Meistens ist er derselben Ansicht. (3) Du musst mindestens/höchstens/bestenfalls/schlimmstenfalls zwei Wochen warten. Suffixlose Superlativstämme sind äußerst, höchst, zumindest u.a.; die zwei ersteren dienen zur Intensivierung oder Verstärkung eines Adj. (4), zumindest ist mit mindestens und wenigstens synonym (5). (4) Es war ihm nicht nur peinlich, sondern höchst/äußerst unangenehm. (5) Du musst zumindest zwei Wochen warten.

→ Adverb; Komparation; Superlativ

Kjell-Åke Forsgren

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Supinstamm

Verbstammform im Lateinischen. ▲ supine stem: verb stem in Latin. Der Supinstamm gehört neben dem Präsensstamm und dem Perfektstamm zu den drei Verbstämmen im Lat., mit denen die einzelnen Tempora gebildet werden. Vom Supinstamm werden gebildet: die Passivformen des Perf., des Plq.perf. und des Futur II. Außerdem dient er zur Bildung der Supina wie auch von Infinitiven und Partizipien. Karsten Schmidt

→ Perfektstamm; Präsensstamm; Supinum; Tempusstamm

🕮 Rubenbauer, H./ Hofmann, J.B./ Heine, R. [1995] Lateinische Grammatik. 12., neubearb. Aufl. Bamberg [etc.].

Supinum

nicht-deklinierbares Infinitum im Deutschen. ▲ supine: infinitive in German that cannot be declined.

S

Suppletion 714

S

Der Terminus Supinum (Pl. Supina) bezeichnet im Lat. die infinite verbale Stammform der vierten Deklination. Das Lat. kennt zwei Arten von Supina, die einen eingeschränkten Gebrauch aufweisen. Die eine Variante wird durch -um gebildet und drückt Finalität im Zusammenhang mit Bewegungsverben aus (1). Das mit -u gebildete Supinum gilt als Ablativ der Spezifikation (2), (Greenough 1903). (1) venerunt questum iniurias ['sie kamen, um sich über Falsches zu beschweren'] (2) horribile dictu ['es ist furchtbar zu sagen'] Supina werden im Dt. zur Klassifizierung von Infinitiven herangezogen (Bech 1983). Bech klassifiziert die infiniten Verbformen des Dt. nach zwei Stufen und drei Status. Die erste Stufe nennt er Supinum, die zweite Partizipium. Beide Stufen sind weiter nach Status unterteilt: Supinum umfasst den reinen Infinitiv (1. Status, z.B. suchen), den zu-Infinitiv (2. Status, z.B. zu suchen) und das Perfektpartizip (zweites Partizip) (3. Status, z.B. gesucht). Das nominal deklinierbare Partizipium weist das Präsenspartizip (1. Status, z.B. suchend(er)), das Gerundivum (2. Status, z.B. zu suchend(er)) und das Perfektpartizip (3. Status, z.B. gesucht(er)) auf. Jedes Verb regiert einen ganz bestimmten Status infiniter Verbformen (= Statusrektion). Die Modalverben sowie das Verb werden regieren den einfachen Infinitiv (Supinum, 1. Status). Vollverben wie etwa vorhaben, wünschen regieren in der Regel einen zu-Infinitiv (Supinum, 2. Status), genauso wie einige von Verben abgeleitete Sub­ stantive (3) und manche prädikative Adjektivkonstruktionen (4). (3) die Vorstellung, fliegen zu können / zu fliegen (4) Er war so glücklich, den Minister zu treffen. Die Hilfsverben haben und sein sowie werden als Passivhilfsverb und einige Vollverben wie bekommen oder gehören regieren ein Partizip (Supinum, 3. Status). Eine Ausnahme bilden hier lediglich die Ersatzinfinitive: Bei diesen regiert das Verb haben ein Modalverb, weshalb Letzteres im ersten Status (statt des dritten) steht (5). (5) […], dass er das Haus hat renovieren müssen. Die Statusrektion bestimmt auf weiten Strecken die Serialisierung in einem mehrgliedrigen Verbalkomplex (6).

(6) […], dass er alles [VK [V4 reparieren] [V3 zu können] [V2 behauptet] [V1 hat]] Im Verbalkomplex reparieren zu können behauptet hat regiert die finite Verbform (V1) den dritten Status von behaupten (V2), dieses regiert den zweiten Status von können (V3) und dieses wiederum den ersten Status von reparieren (V4). Diese Serialisierungsregel wird häufig als Rechtsdeterminiert-links-Prinzip bezeichnet. Sie hat zu unterschiedlichen methodologischen und theoretischen Überlegungen geführt (vgl. u.a. Ágel 2001). Imre Szigeti

→ infinite Verbform; Infinitiv; Supinstamm; Verbaladjektiv; Verbalsubstantiv

⇀ Supinum (HistSprw) ⇁ supine (Typol)

🕮 Ágel, V. [2001] Gegenwartsgrammatik und Sprachgeschichte. Methodologische Überlegungen am Beispiel der Serialisierung im Verbalkomplex. In: ZGL 29: 319–331 ◾ Bech, G. [1983] Studien über das deutsche Verbum Infinitum. 2., unveränd Aufl. (LA 139). Tübingen ◾ Gallmann, P. [2009] Der Satz: Vom Verb zum Satz. In: Duden. Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.]: 763–1056 ◾ Greenough, J.B. et al. [eds. 1903] New Latin Grammar. Boston, MA.

Suppletion

Ausdruck einheitlicher semantischer Bedeutung durch irreguläre Formen. ▲ suppletion: expression of consistent semantic meaning with irregular forms. Suppletion liegt vor, wenn im Flexionsparadigma eines Wortes mindestens ein von der Grundform des Wortstammes abweichender Stamm erscheint. Ein typisches Beispiel dafür ist im Dt. die Konjugation des Kopulaverbs sein (sein – bin – ist – war – gewesen) oder die Komparation des Adjektivs gut (bess-er – best-) (vgl. auch engl. go – went; frz. je vais – j’allais – j’irai; ung. van ['ist'] – volt ['war'] – lesz ['wird (sein)']). Diese Definition bezieht sich auf die Suppletion in der Flexion (vgl. auch Ronneberger-Sibold 1988; Duden 2005; Hentschel/Vogel 2009; Elsen 2011). Man kann aber auch in der Derivation Suppletion annehmen (engl.: father – patern) (vgl. Dressler 1985; Mel’čuk 2000). In Anlehnung an Osthoff (1899) werden traditionell nur Formen mit unterschiedlicher etymologischer Herkunft als suppletiv anerkannt (vgl. Rudes 1980). In neueren Auffassungen gilt die etymologische Verwandtschaft nicht als Bedingung bei der Bestimmung von Supple-

715

suppletiver Komparativ

tion (vgl. Ronneberger-Sibold 1988). Generell wird zwischen starker und schwacher Suppletion in Abhängigkeit davon, ob die Suppletivformen irgendein phonologisches Material gemeinsam haben (z.B. ziehen – zog) oder nicht (z.B. ist – war) (vgl. Dressler 1985; Bittner 1988; Wurzel 1990; Plank 2016), ein Unterschied gemacht. Damit sind zwei Endpole (vollständige Regularität bzw. vollständige Irregularität) eines Kontinuums mit kontinuierlichen Übergängen gemeint. Laut sprachübergreifenden Studien kommt Suppletion nicht nur im Ide., sondern in vielen, typologisch und genetisch unterschiedlichen Sprachen vor (vgl. Rudes 1980; Bybee 1985), wobei sie in flektierenden Sprachen häufiger erscheint als in agglutinierenden (Mel’čuk 2000). Eszter Kukorelli

→ Flexion; Flexionsparadigma; innere Flexion; suppletiver

Komparativ; Suppletivform; Suppletivstamm; Suppletivverb

⇀ Suppletion (Wobi; HistSprw; CG-Dt) ⇁ suppletion (Typol)

🕮 Bittner, A. [1988] Reguläre Irregularitäten. Zur Suppletion im Konzept der Natürlichen Morphologie. In: ZPSK 41: 416–425 ◾ Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Dressler, W.U. [1985] Suppletion in word-formation. In: Fisiak, J. [Hg.] Historical semantics, historical word-formation. Berlin: 97–112 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Elsen, H. [2011] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Mel’čuk, I.A. [2000] Suppletion. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 510–522 ◾ Osthoff, H. [1899] Vom Suppletivwesen der indogermanischen Sprachen. Heidelberg ◾ Plank, F. [2016] Vom Suppletiv(un)wesen, in Beziehung zur Paradigmenstruktur. In: Bittner, A. et al. [Hg.] Regularität und Irregularität in Phonologie und Morphologie. Berlin [etc.]: 1–28 ◾ Ronneberger-Sibold, E. [1988] Entstehung von Suppletion und Natürliche Morphologie. In: ZPSK 41/4: 453–462 ◾ Rudes, B.A. [1980] On the nature of verbal suppletion. In: Ling 18: 655–676 ◾ Wurzel, W. U. [1990] Gedanken zu Suppletion und Natürlichkeit. In: ZPSK 43: 86–91.

suppletive Form ≡ Suppletivform

suppletiver Komparativ

unregelmäßige Komparativform, deren Stamm von dem des Positivs abweicht. ▲ suppletive comparative form: irregular comparative with a stem that is distinct from that of the positive. Während die Formbildung des Komparativs im

Dt. weitgehend regelmäßig durch Anhängen des Komparativsuffixes -er an den Positivstamm erfolgt, gibt es einige Adjektive, die ihren Komparativ (= Komp.) und Superlativ (= Sup.) mit Suppletivstämmen bilden: gut, besser [Komp.], best- [Sup.]; viel, mehr [Komp.], meist [Sup.]. Bei wenig werden neben den regulären Formen weniger [Komp.], wenigst [Sup.] die Suppletivformen minder [Komp.] und mindest [Sup.] verwendet, „am ehesten in festen Verbindungen“ (Duden 2016: 376). Obwohl Adverbien nicht systematisch komparierbar sind, lassen sich unter ihnen einige steigern. Sie sind singuläre Analogiebildungen (Eisenberg 2013: 171ff.). Von diesen bilden bald, gern(e) und sehr ihre Komparationsformen mit Suppletivstämmen: bald, eher [Komp.], am ehesten [Sup.; 'früh, schnell']; gern(e), lieber [Komp.], am liebsten [Sup.]; sehr, mehr [Komp.], am meisten [Sup.]. Jacob Grimm (1890: 582f.) erläutert dieses Phänomen unter „anomaler Komparation“ und nennt die Wörter für 'gut', 'übel', 'groß', 'klein', 'viel', 'wenig', 'alt', 'jung' und das nhd. Adverb gern. Suppletion ist auch in den Komparationsformen der anderen idg. Sprachen häufig: lat. māgnus, māior [Komp.], māximus [Sup.; 'groß'] durch regelmäßigen Lautwandel aus: mag-nos – mag-iōs – mag-sumos; span. bueno, mejor [Komp.], el mejor [Sup.; 'gut']; malo, peor [Komp.], el peor [Sup.; 'schlecht']; russ. malen’kij, men’še [prädikativer Komp.], men’šij [attributiver Komp./Sup.; 'klein']. Auf der Basis von mehr als 20 Sprachen, in denen unterschiedliche formale Mittel der Graduierung zur Verfügung stehen, kommt Wurzel (1987: 487) zum Ergebnis, dass in „Sprachen, die über Komparationskategorien verfügen und diese mit morphologischen Mitteln bilden, […] im allgemeinen bei den Dimensionsadjektiven auch suppletive Komparationsformen“ erscheinen. Suppletive morphologische Formen „kommen sogar in einzelnen Sprachen [vor], die die Komparationsformen [sonst] regelmäßig syntaktisch bilden“: frz. petit, moindre [Komp.], le/la moindre [Sup.; 'klein'] (Wurzel 1987: 487). Suppletion kann auf unterschiedlichen Wegen entstehen und betrifft somit im Prinzip die gesamte Lexik. Doch bleiben Suppletivformen nur in bestimmten Domänen erhalten, nämlich im „Bereich des dem Sprecher Nächstliegenden“, da sie in der Regel ausgeglichen werden (Wurzel

S

Suppletivform 716 1987: 488f.). Wurzel führt die folgenden Beispiele an: schwed. god und ond haben jeweils suppletive und reguläre Komparationsformen; dabei tragen die unregelmäßigen die grundlegenderen Bedeutungen: god, bättre [Komp.], bäst [Sup.; 'gut'] und ond, värre [Komp.], värst [Sup.; 'schlecht'], während die regulären Formen god, god-are [Komp.], god-ast [Sup.] die Bedeutung 'wohlschmeckend' und ond, ond-are [Komp.], ond-ast [Sup.] die Bedeutung 'böse' haben. Anna Vargyas

→ Komparation; Komparativ; Superlativ; Suppletion; Suppletivform

🕮 Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Grimm, J. [1890] Deutsche Grammatik III. Teil. Neuer, verm. Abdruck besorgt durch G. Roethe u. E. Schroeder. Gütersloh ◾ Wurzel, W.U. [1987] Zur Morphologie der Dimensionsadjektive. In: Bierwisch, M./ Lang, E. [Hg.] Grammatische und konzeptuelle Aspekte von Dimensionsadjektiven (StGram XXVI-XXVII). Berlin: 459–516.

Suppletivform

sprachliches Zeichen, das in Bezug auf ein anderes semantisch regulär, aber formal irregulär ist. ▲ suppletive form: linguistic sign which is semantically regular with respect to another, but is formally irregular.

S

Die Beziehung zweier minimaler segmentaler Zeichen einer Sprache gilt als suppletiv, wenn die Bezeichnenden sich synchron nicht voneinander oder aus einer gemeinsamen Quelle ableiten lassen, während die Bezeichneten entweder identisch sind (wie in frz. all-ons 'gehen–1. Pers. Präs. Pl.' – i-r-ons 'gehen–1. Pers. Futur Pl.'), oder die semantischen Unterschiede zwischen ihnen regulär sind: Es kann sich um unterschiedliche Flexionsformen handeln (wie engl. am 'sein–1. Pers. Präs. Sg.' – was 'sein–1. Pers. Prät. Sg.') oder – nicht allgemein vertreten – um derivationell in Zusammenhang stehende Lexeme (wie engl. father 'Vater' – paternal 'väterlich') (vgl. Melʼčuk 2000). Suppletivformen können als Wurzeln (vgl. oben) oder als Affixe (ung. cipő-k 'Schuhe-Pl.' – cipő-im 'Schuhe-Pl.-POSS–1.Sg.'; Bildung von nomina agentis im Niederl.: strijd-er 'Kämpfer' – spaar-der 'Sparer' – trommel-aar 'Trommler') auftreten und Morphe, Portmanteaumorphe oder Idiome sein.

In Bezug auf den Grad der Suppletion kann man zwischen starker/echter und schwacher/Quasisuppletion unterscheiden. Gewöhnlich wird das formal verstanden: Es gibt Suppletivformen mit (engl. little – less) oder ohne gemeinsame Phoneme (frz. all- – i-, s.o.), es kann aber auch in Bezug auf ihren semantischen Unterschied verwendet werden (flexivische Suppletion gilt als stark, derivationelle als schwach). Obwohl in der Nachfolge von Osthoff (1899) traditionell nur etymologisch nicht verwandte Zeichen als Suppletivformen betrachtet werden (s.u. (d)), sind bei einer synchronen Definition auch andere Entstehungswege möglich (Ronneberger-Sibold 1988): (a) Suppletivformen können trotz gemeinsamen Ursprungs voneinander durch regelmäßigen Lautwandel abweichen (wie dt. mehr – meist aus urgerm. ma-iz-a – ma-iz-ta). (b) Bei hochfrequenten Wörtern spielt unregelmäßiger Lautwandel eine Rolle, wie im Falle der Kontraktion von mhd. haben zu hān, wobei die Kurzformen vor allem in periphrastischen Verbalformen neben konjunktivischen Formen mit dem hab-Stamm gebraucht wurden. (c) Morphologischer Wandel tritt bei der Vermischung von Formen aus verwandten Paradigmen auf, z.B. der Kurz- und Langformen von mhd. haben zum nhd. Paradigma mit haben – hast. (d) Lexikalischer Wandel entsteht durch die Vermischung der Formen zweier Lexeme (nhd. gern – lieber; bin – ist – war). Eine weitere Möglichkeit ist nach Nübling die Entstehung durch Entlehnung (engl. Pronominalformen dän. Herkunft wie they). Sie charakterisiert die „Suppletivform als Koppelung von maximaler Differenzierung und Kürze“ (Nüb­ ling 1999: 83). Suppletivformen treten in agglutinierenden Sprachen seltener auf als in flektierenden, und sprachübergreifend bevorzugt bei den häufigsten Wörtern. Semantisch handelt es sich um grundlegende Bereiche, so bei den Substantiven um die Bezeichnungen für 'Gott', 'Mensch', 'Verwandschaftsbeziehungen', 'Körperteile', 'Haustiere', 'Zeit' etc., unter den Verben um 'sein', 'werden', 'haben', 'machen', 'sehen' etc., bei den Adjektiven um 'gut', 'schlecht', 'jung', 'alt', 'viel', 'wenig', Dimensionsadjektive und die Ordinalzahlen 'erste' und 'zweite'. Auch im Bereich der Artikel und Pronomina sind Suppletivformen häufig (vgl. Melʼčuk 2000). Bybee (1985: 92f.) stellt fest, dass

717 Suppletivverb Suppletivformen bevorzugt im verbalen Bereich und dort vor allem zur Markierung von Aspekt-, Tempus- sowie Modusunterschieden auftreten. Anna Vargyas ≡ suppletive Form → § 16; Adjektivflexion; Flexion; Substantivflexion; Suppletion; suppletiver Komparativ; Suppletivstamm; Suppletivverb; Verbflexion

🕮 Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Mel’čuk, I.A. [2000] Suppletion. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 510–522 ◾ Nübling, D. [1999] Zur Funktionalität von Suppletion. In: Butt, M./ Fuhrhop, N. [Hg.] Variation und Wortstruktur. Untersuchungen zu Entwicklung, Erwerb und Varietäten des Deutschen und anderer Sprachen (GL 141–142). Hildesheim [etc.]: 77–101 ◾ Osthoff, H. [1899] Vom Suppletivwesen der indogermanischen Sprachen. Heidelberg ◾ Ronneberger-Sibold, E. [1988] Entstehung von Suppletion und Natürliche Morphologie. In: ZPSK 41/4: 453–462.

Suppletivstamm

irregulär gebildeter Ersatzstamm im Paradigma. ▲ suppletive stem: irregular stem within a paradigm. Als Suppletivstamm bezeichnet man einen Stamm im Flexionsparadigma eines Wortes, der formal von der Grundform des Wortstamms abweicht und davon nach den phonologischen und morphologischen Regeln der Sprache nicht abgeleitet werden kann (vgl. Wurzel 1985: 128; Bittner 1988: 418; Ronneberger-Sibold 1988: 454). Suppletivstämme erscheinen z.B. im Paradigma des Verbs sein (sein/sind, bin/bist, war/gewesen) oder des Adjektivs gut (bess-). Häufig haben die Suppletivstämme eine andere etymologische Herkunft als der Grundstamm. Suppletivstämme entstehen typischerweise im Paradigma häufig gebrauchter Wörter und sind vor allem im verbalen Bereich zur Markierung von Tempus- und Aspektformen verbreitet (Bybee 1985; Rudes 1980). Die (Ir)regularität der Form des Suppletivstammes ist graduell zu verstehen, die von absoluter Unähnlichkeit (viel – mehr) bis zur relativen Ähnlichkeit (haben – hat) reichen kann (vgl. Bittner 1988; Wurzel 1990). Eszter Kukorelli

→ Flexion; Flexionsparadigma; Suppletion; Suppletivform; Suppletivverb ⇀ Suppletivstamm (HistSprw)

🕮 Bittner, A. [1988] Reguläre Irregularitäten. Zur Suppletion im Konzept der Natürlichen Morphologie. In: ZPSK 41: 416–425 ◾ Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­

tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾ Dressler, W.U. [1985] Suppletion in word-formation. In: Fisiak, J. [ed.] Historical semantics, historical word-formation. Berlin: 97–112 ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg. 2009] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.] ◾ Rudes, B.A. [1980] On the nature of verbal suppletion. In: Ling 18: 655–676.

Suppletivverb

Verb, dessen Formen von verschiedenen Verbalstämmen gebildet werden. ▲ suppletive verb: verb the forms of which are built from different verbal roots. Im Unterschied zu den grammatischen Formen sonstiger Verben, die mithilfe der grammatischen Suffixe sowie der inneren (Wurzelablaut) oder äußeren (Personalendungen) Flexion gebildet werden, wobei der Verbalstamm in seiner materiellen Gestalt weitgehend konstant bleibt, gehen die Formen eines Suppletivverbs auf unterschiedliche Verbalstämme zurück. Dadurch ist das Konjugationsparadigma eines Suppletivverbs heterogen, vgl. ausgewählte Formen des Suppletivverbs sein: bin, ist, seid, sind, war, sei, gewesen. Die Anzahl der Suppletivverben ist in allen Sprachen, wo diese Verben vorhanden sind, extrem klein. So kann in der dt. Gegenwartssprache nur das Verb sein als ein echtes Suppletivum gelten. Im modernen Engl. ist – neben be – das Verb go suppletiv (vgl. die Past-Form went). Suppletivverben gibt es auch in vielen anderen germ. (vgl. got. Infinitiv gaggan, Prät. iddja 'gehen') und idg. Sprachen (vgl. russ. Inf. bytʼ, 'sein', 3. Pers. Sg. Präs. jestʼ , Prät. byl) sowie in den Sprachen anderer Sprachfamilien. Die Suppletivität entsteht durch eine Kontamination (Mischung) verschiedener Stämme mit gleicher oder ähnlicher Semantik bei der Ausbildung des Formenparadigmas. Im Ergebnis werden diese Mischformen als Formen ein und desselben Verbs empfunden. So stammen z.B. die Konjugationsformen des nhd. Verbs sein aus drei idg. Verbalstämmen mit der ursprünglichen Bedeutung 'leben', 'existieren', 'vorhanden sein': *es- (vgl. ist), *ues- (vgl. war, gewesen) und *bheu-/*bhu- (vgl. bin, bist). Michaił L. Kotin

↔ regelmäßiges Verb → Konjugation; Suppletivform; Suppletivstamm; unregelmäßiges Verb; Verbparadigma

🕮 Bybee, J.L. [1985] Morphology: A Study of the Relation be­ tween Meaning and Form (TypStLg 9). Amsterdam [etc.] ◾

S

suprasegmental 718 Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

suprasegmental

lautübergreifende Eigenschaft, die sich als unabhängiges Merkmal über mehrere Segmente erstreckt. ▲ suprasegmental: speech feature extending as an independent component over more than one segment. Suprasegmentalia oder prosodische Merkmale bilden ein multifunktionales Signalisierungssystem von phonetischen Merkmalen, die segment-übergreifend verstanden werden müssen. Diese Funktionen sind vielfältig und können je nach Sprache z.B. zum Ausdruck phonologisch relevanter oder expressiver, emotionaler Werte dienen. Sie lassen sich grob in drei Merkmalsbereiche (Lehiste 1970) einteilen: (a) Quantität: zeitliche Dauer der sprachlichen Einheit, aber auch Sprechgeschwindigkeit; (b) Intensität: Akzentuierung, Betonung; (c) Intonation: Tonhöhenverlauf und andere melodische Variationen. Zu den wichtigsten darunter zählen der Wortakzent (oder die Wortbetonung), die Länge von Vokalen und Konsonanten, die Intonation oder der Tonverlauf als Änderung der normalen Grundfrequenz sowie der (lexikalische) Ton bei Tonsprachen. Hang Ferrer Mora

→ § 30; Akzent; Akzentstelle; Prosodie; Wortakzent → Gram-Syntax: Intonationsstruktur; terminale Intonation ⇀ suprasegmental (Phon-Dt)

S

🕮 Hall, T.A. [2000] Phonologie. Eine Einführung. Berlin [etc.] ◾ Lehiste, I. [1970] Suprasegmentals. Cambridge, MA ◾ Maas, U. [2006] Phonologie. Einführung in die funktionale Phonetik des Deutschen. 2. Aufl. (StLing 2). Göttingen ◾ Pompino-Marschall, B. [2003] Einführung in die Phonetik. Berlin ◾ Wiese, R. [1996] The Phonology of German. Oxford.

Syllabierung

Einteilung des Wortes in Silben. ▲ syllabification: separation of the word into syllables. Die Syllabierung unterliegt universellen und sprachspezifischen Regeln zur Silbenstruktur und zum Silbenkontakt. Die universellen Regeln basieren auf der Sonorität, einer graduellen Eigenschaft der Phoneme. Die Gruppierung der Phoneme innerhalb des Wortes richtet sich nach dem Sonoritätswert, der von Obstruenten über Nasale

und Liquide bis zu Vokalen ansteigt. Konsonanten werden um die Vokale, die Silbengipfel bilden, so gruppiert, dass eine Sonoritätskurve entsteht, z.B. Tag. Die Grenze zwischen den Silben (der sog. Silbenkontakt) wird nach universellen Regeln vor dem am wenigsten sonoren Laut platziert, z.B. Ta.‌ge. Einzelsprachliche Regelungen blockieren jedoch meist die optimale Syllabierung durch Bezug auf morphologische Grenzen, die ungeachtet des Sonoritätswerts mit Silbengrenzen zusammenfallen z.B. Wand.uhr, nicht *Wan.duhr oder ein. zig.ar.tig, nicht *ein.zi.gar.tig. Bleiben die morphologischen Grenzen unbeachtet, kommt es zur sog. Resyllabierung/Resilbifizierung, d.h. einer Verschiebung der Silbengrenze über die Wortgrenze hinweg, z.B. frz. vous allez [vu.za.le] 'ihr geht'.

→ § 30; Silbenstruktur; Wort ⇁ syllabification (Phon-Engl)

Renata Szczepaniak

🕮 Eisenberg, P. [2000] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Korr. Nachdruck. Stuttgart [etc.] ◾ Vennemann, T. [2002] Preference laws for syllable structure and the explanation of sound change. Berlin [etc.] ◾ Wiese, R. [1996] The Phonology of German. Oxford.

symbolisches Zeichen

Zeichentyp der Semiotik, bei dem die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem auf einer Gesetzmäßigkeit bzw. Konvention beruht. ▲ symbolic sign: type of sign in semiotics in which the relation between sign and denotation is based on a regularity or convention. Symbolische Zeichen (auch Symbole genannt) werden in erster Linie auf Grund von Peirce‘ Zeichentheorie in Abgrenzung von den sog. Ikonen und Indexen definiert. Während die Beziehung von Zeichen und Objekt bei Ikonen auf Ähnlichkeit und bei Indexen auf raum-zeitlicher Kontiguität oder Kausalität basiert, verbindet sie im Fall von Symbolen ein Gesetz oder eine Regularität (Peirce CP 2.293). Anstelle von Gesetzmäßigkeit oder Regularität erscheint in anderen Ansätzen vielfach der Terminus Konvention. Damit wird die Verbindung zwischen Objekt und Zeichen als auf gesellschaftlicher Übereinkunft basierend definiert – im Gegensatz zu Peirce‘ Bestimmung, die außer den konventionellen auch natürliche Symbole zulässt. In Peirce‘ Ansatz sind die sprachlichen Zeichen Symbole par excellence, weil ihr Zeichencharakter aus ihrer

719 synkategorematisch Verwendung als Zeichen resultiert – anders als z.B. im Fall der meisten Piktogramme, die wegen ihrer ikonischen Ähnlichkeit als Zeichen funktionieren, oder von Phänomenen wie Rauch, der auf Grund einer kausalen Beziehung als Zeichen für Feuer gedeutet wird. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass Symbole in Peirce‘ Auffassung prinzipiell nicht von Ikonen und Indexen getrennt werden können, denn ohne eine referentielle (auf Außersprachliches Bezug nehmende, deshalb indexikalische) und eine mentale (abbildende, daher ikonische) Komponente wäre die Symbolbeziehung eine leere Abstraktion. In Ferdinand de Saussures (1916) Interpretation enthalten Symbole zumindest noch einen Rest einer natürlichen (nicht-arbiträren) Verbindung zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem, während das sprachliche Zeichen arbiträr sei und auf Konvention beruhe. In dieser Auffassung gelten daher sprachliche Zeichen nicht als Symbole. Eine weitere einflussreiche Symbolinterpretation stammt von Karl Bühler (1934), in dessen Sicht Symbole die Funktion der Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten haben (Darstellungsfunktion). Sie werden von den Symptomen (die die Innerlichkeit des Senders ausdrücken) und den Signalen (die das äußere oder innere Verhalten des Hörers steuern) abgehoben. Das sprachliche Zeichen sei Symbol, Symptom und Signal gleichzeitig, wobei unterschiedliche Aspekte stärker in den Vordergrund treten können. Bernadett Modrián-Horváth ↔ ikonisches Zeichen; indexikalisches Zeichen → Motivierung; Sprachzeichen; Zeichen ⇀ symbolisches Zeichen (SemPrag; CG-Dt)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Nöth, W. [2000] Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Peirce, C.S. [1931–1958] Collected Papers. 8 Vols. Cambridge, MA ◾ Saussure, F. de [1916/2001] Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hrsg. v. C. Bally u. A. Sechehaye. Unter Mitwirkung v. A. Riedlinger. Übers. v. H. Lommel. Mit einem Nachwort v. P. Ernst. 3. Aufl. Berlin [etc.].

Synaffix

Kombination aus Affixen, die gemeinsam eine Funktion haben. ▲ synaffix: combination of two affixes that has one function. Wenn ein Präfix und ein Suffix – die ansonsten auch getrennt voneinander vorkommen können

– gemeinsam eine Funktion erfüllen, spricht man von einem Zirkumfix: Zirkumfix be...ig(en) + Adj. g(e)rad(e) → begradig(en). Es gibt auch Sprachen, in denen zwei Präfixe zusammen oder zwei Suffixe zusammen etwas ausdrücken. Hall (2000: 543) nennt dazu Pawnee und Kubachi. Der Oberbegriff für Zirkumfix, Präfix-Präfix-Kombination und Suffix-Suffix-Kombination ist Synaffix. Der von Bauer (1988) geprägte Terminus bezeichnet also nicht eines der beiden beteiligten Affixe, sondern beide zusammen. In dt. Wortformen dient von zwei aufeinanderfolgenden Suffixen meistens das erste der Wortbildung und das zweite der Flexion (Verbesser#ung#en). Es ist also nicht sinnvoll, hierfür ein Synsuffix -ungen anzusetzen. Auch Wortbildungen mit mehreren dt. Präfixen hintereinander lassen sich in der Regel in zwei Schritten erklären, wobei man jedem einzelnen Affix einen Beitrag zur Semantik zuweist (ver#un#stalten ← un#(ge)stalt + ver-). In solchen Fällen ist nicht von einem Synaffix auszugehen.

→ Affix; Präfix; Suffix; Zirkumfix → Gram-Syntax: Funktion ⇀ Synaffix (Wobi)

Franziska Münzberg

🕮 Bauer, L. [2004] A glossary of morphology. Washington, D.C. ◾ Hall, C.J. [2000] Prefixation, suffixation and circumfixation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 535–545.

Synärese

≡ Kontraktion ⇀ Synärese (Phon-Dt)

synkategorematisch

semantisch unselbständig und daher auf die Verbindung mit anderen bedeutungstragenden Sprachelementen angewiesen. ▲ syncategorematic; synsemantic: semantically nonautonomous and therefore dependent on the conjunction with other meaningful linguistic elements. Der Unterschied zwischen kategorematisch und synkategorematisch geht auf die lat. Grammatik zurück und spielte auch in der scholastischen Sprachtheorie und Logik eine wichtige Rolle. Als Kategoreme bezeichnet Priscianus das Nomen und das Verbum (Rhema, Prädikat), weil sie selbständige Bedeutungen haben und miteinander verbunden einen vollständigen Satz ergeben, im

S

Synkope 720

S

Gegensatz zu synkategorematischen Wörtern, die auch „consignificantia“ heißen und funktionell auf die Verbindung mit Kategoremen angewiesen sind (Kretzmann 1982: 211–214; Meier-Oeser 1998: 787–793). Welche Wörter als Synkategoreme gelten können, war unter Scholasten über Jhe. eine Streitfrage. Die Termini kategorematisch und synkategorematisch begegnen noch in sprachphilos. und logischen Schriften des 19. und 20. Jhs.; in der modernen Sprw. werden sie dagegen nur noch selten gebraucht. Die Unterscheidung dürfte mit neueren (u.a. kognitiven und anderen holistischen) Ansätzen in der Sprw. kaum noch verträglich sein. Für Hentschel/Weydt (2003: 17–22) sind die beiden Termini gleichbedeutend mit „autosemantisch“ (oder „lexikalisch“) bzw. „synsemantisch“; zusammen mit den Termini deiktische Bedeutung und kategorielle (oder Wortart-)Bedeutung bezeichnen sie nach Hentschel/Weydt (2003: 17) die vier grundlegenden Typen von Bedeutungen in der Sprache. Zu den Kategoremen zählen Hentschel/Weydt die Verben, Substantive und Adjektive, daneben auch bestimmte Adverbien. Ihnen ist gemeinsam, dass sie „einen bestimmten Bereich aus der außersprachlichen Wirklichkeit aus[gliedern]“ (2003: 17). Die Klasse der Synkategoreme bildet die große Gruppe der Partikeln (i.w.S.), sofern sie weder kategorielle noch lexikalische noch deiktische Bedeutung haben. Dazu gehören nicht nur Präpositionen, Konjunktionen und Modalwörter wie vielleicht und sicherlich, sondern auch Abtönungs-, Intensiv-, Fokus-, Antwort- und Negationspartikeln sowie bestimmte Konjunktionaladverbien (oder Pronominaladverbien, z.B. deshalb, trotzdem) (Hentschel/Weydt 2003: 274). Außer deiktisch oder koreferenziell gebrauchten Pronomina, die auf jeden Fall über eine kategorielle Bedeutung verfügen, sind auch viele Interjektionen und Onomatopoetika (z.B. kracks) keine Synkategoreme. Die ergiebigste Parallele zu synkategorematisch weist in der modernen Ling. Coserius Kategorie der „instrumentalen Bedeutung“ auf. Im Anschluss an Husserls Diskussion der kategorematischen („selbständigen“) und synkategorematischen („unselbständigen“) Bedeutungen (Husserl 1913/1980: 302–321) steht „instrumentale Bedeutung“ in Coserius strukturell-funktionellem Syntaxmodell für diejenige Art von Sprachbedeutung, die den Elementen und Verfahren in den grammatischen Kombinierungen eignet,

d.h. außer den Artikeln, Präpositionen und Konjunktionen auch Affixen, Endungen, Wortfolge, Intonation (Coseriu 1987: 149). Der Terminus instrumentale Bedeutung trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die semantischen Funktionen solcher (Funktions-)Wörter und grammatischen Verfahren erst durch ihre Kombination mit lexikalischen und/oder kategoriellen Bedeutungen gegeben sind. Klaas Willems ≡ synsemantisch → Autosemantikon; Funktionswort; Synsemantikon ⇀ synkategorematisch (Sprachphil)

🕮 Coseriu, E. [1987] Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik. Tübingen ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Husserl, E. [1913/1980] Logische Untersuchungen. Bd. 2.1: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Tübingen ◾ Kretzmann, N. [1982] Syncategoremata, exponibilia, sophismata. In: Kretzmann, N./ Kenny, A./ Pinborg, J./ Stump, E. [eds.] The Cambridge History of Later Medieval Philosophy. Cambridge: 211–245 ◾ Meier-Oeser, S. [1998] Synkategorem; synkategorematisch; synsemantisch. In: Ritter, J./ Gründer, K. [Hg.] Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 10. Basel: 787–799.

Synkope

Schwund eines unbetonten Vokals im Wortinneren. ▲ syncope: loss of an unstressed word-internal vowel. Die Synkope ist ein phonologischer Prozess der Elision bzw. der Tilgung, wie z.B. in einer diachronen Entwicklung bei mhd. geloube zu nhd. Glaube oder mhd. nemet zu nhd. nehmt. Die Synkope tritt auf synchroner Ebene häufig bei Allegroformen auf, vgl. engl. ['memərɪ] mit der Allegroform ['memrɪ]. Die Synkope hat meist Auswirkungen auf die Silbenstruktur eines Wortes, indem die Anzahl der Silben um eine Silbe reduziert wird. Agnes Kolmer ≡ Ausstoßung ↔ Apokope ⇀ Synkope (Onom; Wobi; Phon-Dt; Textling; HistSprw) ⇁ syncope (Phon-Engl)

🕮 Löhken, S.C. [1997] Deutsche Wortprosodie. Abschwächungs- und Tilgungsvorgänge. Tübingen.

Synkretismus

Formzusammenfall innerhalb eines Flexionsparadigmas. ▲ syncretism: coincidence of forms in inflectional paradigms.

721 Synsemantikon Unterschiedliche grammatische Merkmale werden im Idealfall durch unterschiedliche phonologische Formen repräsentiert. Jedoch lassen sich in klassischen Flexionsparadigmen häufig Einträge finden, bei denen einer phonologischen Form verschiedene Merkmalskomplexe zugeordnet werden. Dieser formale Zusammenfall wird als Synkretismus bezeichnet, von dem i.A. zwei Varianten unterschieden werden, der systematische sowie der zufällige Synkretismus (vgl. u.a. Blevins 1995). Stump (2001) wählt eine Unterteilung des Synkretismus in vier Varianten, welche jedoch umstritten ist (vgl. Wunderlich 2004). Der systematische Synkretismus entspricht einer Vereinfachung des Merkmalsystems und kann durch Unterspezifikation erfasst werden. Im Flexionsparadigma der dt. Verben wird zwischen drei Personenformen und zwei Numeri differenziert. Damit ergeben sich sechs Kombinationsmöglichkeiten. Betrachtet man exemplarisch das Paradigma von singen im Prät. Indikativ, so zeigen sich nur vier verschiedene phonologische Ausprägungen (sang, sangen, sangst, sangt). Die erste und die dritte Pers. sind sowohl im Sg. als auch im Pl. jeweils formidentisch. Die Merkmalsopposition ist an dieser Stelle neutralisiert. In einem System mit binären grammatischen Merkmalen reichen deshalb zwei Merkmale mit jeweils zwei Werten, um alle distinkten Oppositionen anzuzeigen. Für die Flexionsaffixe im vorliegenden Fall ergeben sich folgende Korrespondenzen aus Form und Funktion: -∅ [-Pl., –2. Pers.], -(e)n [+Pl., –2. Pers.], -st [-Pl., +2. Pers.], -t [+Pl., +2. Pers.]. Ein System mit privativen Merkmalen führt unter Berücksichtigung von Unterspezifikation zu einer weiteren Vereinfachung, da das Nullmorphem entfällt. Es bleiben die Flexionsaffixe -(e)n [Pl.], -st [2. Pers.], -t [Pl., 2. Pers.]. Für die Auswahl der korrekten Flexionsform wird dabei angenommen, dass ein allgemeineres Affix überall dort Anwendung findet, wo kein spezifischeres vorhanden ist. So kann der Merkmalskomplex [Pl., 2. Pers.] nicht durch die Affixe -(e)n [Pl.] und -st [2. Pers.] instanziiert werden (vgl. *sangenst), da mit -t [Pl., 2. Pers.] ein spezifischeres Affix zur Verfügung steht, welches beide Merkmale in einer Form vereint. Unter der Annahme wortbasierter Lexikoneinträge sind statt der Affixe die Wortformen mit den entsprechenden binären oder privativen Merkmalen gespeichert, z.B. sang [V, Prät.], san-

gen [V, Prät., Pl.], sangst [V, Prät., 2. Pers.], sangt [V, Prät., Pl., 2. Pers.]. Beim zufälligen Synkretismus hingegen ist die phonologische Gleichheit verschiedener Flexionsformen nicht durch Unterspezifikation zu erklären, da die repräsentierten Merkmale keine natürlichen Klassen bilden. Im Genussystem des Dt. lassen sich phonologisch identische Flexionsformen im Maskulinum und Neutrum (altem Kuchen/ Brot) zur Klasse der nichtfemininen Formen zusammenfassen. Im Kasussystem können Genitiv und Dativ (alter Butter) zur Klasse der obliquen, Akkusativ und Nominativ (altes Brot) zur Klasse der nichtobliquen Kasus gruppiert werden. Eine phonologische Übereinstimmung zeigt sich allerdings auch zwischen Formen im Nominativ Maskulinum (alter Kuchen) und im Obliquus Femininum (alter Butter), doch weder die Genera Maskulinum und Femininum noch die Kasus Nominativ und Obliquus bilden im Dt. natürliche Klassen. Der Formenzusammenfall ist somit nicht systematisch, sondern zufällig. Synkretismus kann diachron durch phonologische Reduktionsprozesse (z.B. Nebensilbenabschwächung) zustande kommen, wodurch urspr. distinkte Formen homophon werden. Manuela Korth ≡ Formensynkretismus; Formenzusammenfall → § 16; binäres Merkmal; Merkmal; unvollständiges Paradigma ⇀ Synkretismus (Wobi; Lexik) ⇁ syncretism (Typol)

🕮 Blevins, J.P. [1995] Syncretism and paradigmatic opposition. In: LingPhil 18: 113–152 ◾ Stump, G.T. [2001] Inflectional Morphology. A theory of paradigm structure. Cambridge ◾ Wunderlich, D. [2004] Is there any need for the concept of directional syncretism? In: Müller, G./ Gunkel, L./ Zifonun, G. [Hg.] Explorations in nominal inflection. Berlin.

Synsemantikon

Wort, das eine geringe bzw. keine lexikalische Bedeutung hat. ▲ synsemantic word: word that has a minimal or no lexical meaning. Traditionell werden Synsemantika in einen Gegensatz zu den Autosemantika gesetzt, da sie primär eine grammatische Funktion haben, hinter die die Inhaltskomponente zurücktritt. „Inhaltsarme Formwörter, die erst der Bezug auf ein Gemeintes, in Kontext oder Sprechsituation Erhaltenes ‚gehaltvoll‛ werden läßt“ (Erben 1980: 211). In der Re-

S

synsemantisch 722 gel werden die Hilfswörter und Funktionswörter (Präpositionen, Konjunktionen) darunter verstanden. Dabei reicht das Spektrum von einer größeren Inhaltskomponente (z.B. bei den Modalverben oder neueren Präpositionen wie mangels) bis zu keiner lexikalischen Bedeutung (Hilfsverben, die Präp. zu oder die Konjunktion dass). Bei den prototypischen Synsemantika dominiert die grammatische Bedeutung, die allgemeiner und abstrakter als die lexikalische ist. Sie betrifft Kategorien wie Genus, Kasus, Numerus, Person, Tempus oder Modus. Es kann auch die relationale Funktion wie bei der Präp. zu der Inhalt sein. Christine Römer ≡ Leerwort; Strukturwort ↔ Autosemantikon → Abtönungspartikel; Funktionswort; Konjunktor; modales Hilfsverb; Präposition ⇀ Synsemantikon (Sprachphil; SemPrag)

🕮 Brauẞe, U. [1994] Lexikalische Funktionen der Synsemantika. Tübingen ◾ Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München.

synsemantisch

≡ synkategorematisch

syntaktisches Paradigma

Gesamtmenge aller syntaktischen Wörter, d.h. aller Wortformen eines Lexems. ▲ syntactic paradigm: total set of all syntactic words, i.e. of all word forms of a lexeme.

S

Rebekka Studler ≡ grammatisches Paradigma; Wortparadigma → Flexionsparadigma; Lexem; lexikalisches Paradigma; morphologisches Paradigma; Paradigma; Wortform

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.].

syntaktisches Passiv

Passivkonstruktion mit werden und dem Partizip II.

▲ syntactic passive: passive construction with werden

and the past participle.

Das syntaktische Passiv wird mit werden und dem zweiten Partizip gebildet (1). (1) Den Kunden wird frische Ware geliefert.

Das syntaktische Passiv ist in der syntaktischen Form als solches erkennbar, im Gegensatz zum semantischen Passiv, d.h. Passivvarianten z.B. mit sein + zu + Infinitiv (2), bekommen-Passiv (3) oder Funktionsverbgefüge (4). (2) Den Kunden ist frische Ware zu liefern. (3) Die Kunden bekommen frische Ware geliefert. (4) Die frische Ware kommt zur Lieferung. Tamás Kispál

→ Passivvariante; semantisches Passiv; zweites Partizip → Gram-Syntax: bekommen-Passiv; Funktionsverbgefüge; Vorgangspassiv

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München.

synthetische Form

Form, in der die grammatischen Merkmale morphologisch als Affixe anstelle von eigenständigen Wörtern realisiert werden. ▲ synthetic form: form in which grammatical features are morphologically realized by means of affixes and not as independent words. Bei synthetischen Formen werden mehrere grammatische Merkmale durch Affixe innerhalb eines Wortes morphologisch realisiert. Im Gegensatz dazu werden bei analytischen Formen ein oder mehrere grammatische Merkmale morphologisch durch ein selbständiges Wort realisiert. Das Possessivum -im (dt. mein) im Türk., einer agglutinierenden Sprache, wird als Suffix direkt an das Wort (z.B. ev-; dt. Haus) angefügt. Das Wort evim entspricht also dem dt. mein Haus. Im Dt. hingegen ist die Possessivform analytisch und wird, genau wie das Subst., als ein eigenes Wort realisiert. Beispiele synthetischer Formen aus dem verbalen Bereich stammen aus dem Lat., einer fusionierenden Sprache, die dank ihrer umfangreichen verbalen Morphologie viele Formen synthetisch realisieren kann, wie z.B. lego (dt. ich lese), legi (dt. ich las / ich habe gelesen), legam (dt. ich werde lesen) oder legero (dt. ich werde gelesen haben). Der Vergleich mit den entsprechenden dt. Übersetzungen der lat. Formen zeigt die unterschiedlichen Aufbauprinzipien der beiden Sprachen. In vielen europ. Sprachen kann man die Tendenz beobachten, dass synthetische durch analytische Formen ersetzt werden, wie etwa in einigen Va-

723

synthetische Verbform

rietäten des Dt., in denen sich die verallgemeinerte Verwendung des Perf. (z.B. ich habe gegessen) statt des Prät. (z.B. ich aß) feststellen lässt. Viel seltener kann man die umgekehrte Tendenz nachweisen, wie etwa bei der Entstehung der synthetischen Formen des Konditionals und des Futurs in den roman. Sprachen. Solche Formen stammen aus analytischen Formen, die aus der Nebeneinanderstellung des Infinitivs des lexikalischen Verbs und der konjugierten Formen des Verbs haben bestanden. Die 3. Pers. des Futurs des Verbs singen (wird singen) z.B. kommt aus dem Lat. (cantare habet; dt. singen hat) (1). (1) ital. canterà, span. cantarà, frz. chantera ← lat. cantare + habet Agglutinierende (z.B. Türk.) und flektierende bzw. fusionierende Sprachen (z.B. Lat., Altgriech.) sind von polysynthetischen Sprachen zu unterscheiden, bei denen synthetische Formen durch lexikalische Elemente gebildet werden. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

↔ analytische Form → § 16; Affigierung; Affix; flektierende Sprache; Form; synthetische Verbform

🕮 Baker, M.C. [1988] Incorporation. A Theory of Grammatical Function Changing. Chicago, IL [etc.] ◾ Renzi, L./ Andreose, A. [2009] Manuale di linguistica e filologia romanza. 3rd ed. Bologna.

synthetische Verbform

einteilige Verbform, die ohne Zuhilfenahme von Hilfswörtern gebildet wird und daher sowohl die lexikalischen als auch die grammatischen Informationen in einer Wortform vereint. ▲ synthetic verb form: verbal form consisting of only one word which is formed without any auxiliary elements and thus expresses both lexical and grammatical meaning. Die Bezeichnung synthetisch geht auf den altgriech. Ausdruck sýnthesis ['Zusammensetzung'] zurück. Bei synthetischen Verbformen werden grammatische Kategorien des Verbs – im Gegensatz zu den mehrgliedrigen, analytischen Formen – durch eine einzige Wortform ausgedrückt. Die Bildung von synthetischen Verbformen kann durch Veränderungen im Wortinnern (z.B. Umlaut oder Ablaut) (1), durch Einfügen, Voranstellen oder Anhängen von grammatischen Morphemen (2) oder durch eine Kombination von diesen (3) erfolgen.

(1) (2) (3)

sah [Verbstamm: seh-; Ablaut] hör-te [Verbstamm: hör-; Suffix -te] säh-en [Verbstamm: seh-; Kombination von Ablaut, Umlaut + Suffix -en] Die Segmentierung der Ausdrucksmittel der einzelnen Kategorien ist in flektierenden Sprachen meistens nicht möglich (nur beim agglutinierenden Verfahren, das begrenzt auch im Dt. vorkommt). Andererseits bleiben bestimmte grammatische Kategorien in synthetischen Bildungen oftmals segmental unmarkiert (z.B. der Modus Indikativ in (1) und (2) oder das genus verbi Aktiv in (1) bis (3)). Analytisch (periphrastisch, d.h. durch Hilfswörter) gebildete Formen bilden nicht den „Gegenstand der Flexionsmorphologie im engeren Sinne” (Eisenberg 2013: 145). Das Flexionsparadigma (in Eisenbergs Terminologie) umfasst nur synthetische Formen. Die vorrangige Behandlung der synthetischen Formen lässt sich u.a. auf eine auf lat. Tradition beruhende Grammatikographie zurückführen, denn im Lat. können alle Verbalkategorien und die meisten Kombinationen von diesen synthetisch gebildet werden (z.B. vidēberis 'wirst gesehen werden'). Wie in der lat. coniugatio periphrastica drücken dt. analytische Formen tendenziell komplexere semantische Inhalte aus (z.B. Passiv, Perfektum). Im Dt. erscheinen nur die Verbalkategorien Person und Numerus immer synthetisch am Verb. Unter den Tempora sind lediglich das Präs. (z.B. gehe) und das Prät. (z.B. ging, ginge) synthetisch bildbar, aber auch diese nicht in allen Modi (häufige analytische Ersatzform für Konjunktiv Prät.: würde gehen); bei den genera verbi sind Passivformen immer analytisch aufgebaut (z.B. ist getan / wird getan / sei getan worden). Somit können im Dt. nur Verbformen im Aktiv Präs. und Aktiv Prät. synthetisch gebildet werden. Hist. können synthetische Bildungen aus analytischen Fügungen durch Grammatikalisierung entstehen; z.B. entstand wahrscheinlich das Dentalsuffix des Prät. der schwachen Flexionsklasse (dt. -te-) in der germ. Zeit aus der periphrastischen Verwendung des Verbs *dōn ['tun'] (vgl. Szczepaniak 2011: 114ff.), nach dem Muster 'salben tat > salbte'. ≡ einfache Verbform ↔ analytische Verbform

Bernadett Modrián-Horváth

S

szenisches Perfekt 724

→ § 16; Flexionsparadigma; Form; Hilfsverb; synthetische Form; Verbflexion; Verbform

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Szczepaniak, R. [2011] Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. 2., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

szenisches Perfekt

Perfekt als Vorvergangenheitstempus in Bezug auf das szenische Präsens. ▲ scenic perfect: perfect as the tense of a time before past time relating to the scenic present.

S

Dem Präs. in der Bedeutung 'Gegenwart' steht als Vergangenheitstempus typischerweise das Perf. gegenüber. Dem Präs. in der Bedeutung 'Vergangenheit' (dem sog. szenischen oder hist. Präs.) steht das Perf. als Vorvergangenheitstempus (szenisches Perf.) gegenüber, so wie dem Prät. das Plq.‌perf. als Vorvergangenheitstempus gegenübersteht. In der Duden-Grammatik (Duden 1998) wird die Variation an einem Thomas-Mann-Satz (1) verdeutlicht. Zunächst wird (Duden 1998: 148) dieser Satz in seiner Originalversion als Beispiel für ein szenisches (hist.) Präs. gegeben. In dieser Originalversion steht als Vorvergangenheit das Plq.‌perf. gemäß seiner Funktion in dem präteritalen Erzähl-Kontext, in den dieser Satz gehört. Zum Zwecke der Demonstration des szenischen Perf. (Duden 1998: 152) wird dann das Plq.perf. durch das Perf. (1a) ersetzt; vgl. außerdem (1b) mit dem normalen Wechsel von Prät. und Plq.perf. (1) Und aus einem kleinen Tor, das […] sich plötzlich aufgetan hatte, bricht – ich wähle hier die Gegenwart, weil das Ereignis mir so sehr gegenwärtig ist – etwas Elementares hervor […]. (1a) Und aus einem kleinen Tor, das […] sich plötzlich aufgetan hat, bricht etwas Elementares hervor […].

(1b) Und aus einem kleinen Tor, das […] sich plötzlich aufgetan hatte, brach etwas Elementares hervor […]. Klaus Welke

→ Perfekt; Plusquamperfekt; Präsensperfekt; Präteritum; szenisches Präsens; Tempuswechsel

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

szenisches Präsens

Verwendungsform des Präsens zum Ausdruck vergegenwärtigter Vergangenheit. ▲ narrative present: present tense use signalling presentified past. Als semantisch-stilistische Variante des historischen Präsens dient das szenische Präsens der Vergegenwärtigung bzw. Verlebendigung der erzählten Vergangenheit. Charakteristischerweise wird es bei Erzählungen vergangener Ereignisse verwendet, zumeist abwechselnd zum Prät. (1). (1) Letzten Sonntag war ich in Budapest. Da sitze ich gerade im Café New York, als plötzlich mein alter Berliner Schulkamerad auf mich zutritt. Auch diese szenisch-vergangenheitsbezogene Bedeutung des Präs. wird (zu sämtlichen hist. Präsensbedeutungen ähnlich) erst vom Kontext auf das Verb übertragen; eine Vergangenheitsbedeutung ist bei kontextlosen, isolierten Verbformen grundsätzlich nicht möglich. Péter Maitz ≡ narratives Präsens ↔ episches Präsens → historisches Präsens; Präsens; Präteritum; szenisches Perfekt; Tempus; Tempuswechsel

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Rothstein, B. [2007] Tempus (KEinfgL 5). Heidelberg ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

T Tagmem

Grundeinheit der grammatischen Analyse, die als Slot-Filler-Korrelation besteht, welche sich aus der syntagmatischen Funktion oder Leerstelle, z.B. Subjekt, Objekt, und der paradigmatischen Füllung, z.B. Eigenname, Personalpronomen, Nomen, ergibt. ▲ tagmeme: basic unit of grammatical analysis which exists as a slot-filler correlation, being a result of the syntagmatic function or gap, e.g. subject or object, and the paradigmatic filling, e.g. proper name, personal pronoun, noun. Stefan J. Schierholz

→ Flexionsgrammem; Grammem → Gram-Syntax: syntagmatische Beziehung ⇀ Tagmem (Lexik; SemPrag)

🕮 Pike, K.L. [1943] Taxemes and immediate constituents. In: Lg 19/2: 65–82 ◾ Pike, K.L. [1982] Linguistic Concepts. An Introduction to Tagmemics. Lincoln.

Tatform

≡ Aktiv (1)

Tätigkeitsform ≡ Aktiv (1)

Tätigkeitsnomen ≡ nomen actionis

Tätigkeitsverb

≡ Handlungsverb

Tätigkeitswort ≡ Verb

taxonomisch

die Taxonomie betreffend, nach der Methode der Taxonomie vorgehend.

▲ taxonomic: relating to taxonomy, using the taxon-

omy method.

Der Terminus taxonomisch (auch: klassifizierend, systematisierend) ist ein aus der Biologie übernommener Ausdruck, der in der Sprw. zur Bezeichnung von Analysen verwendet wird, in denen durch Segmentierung (Zerlegung komplexer Einheiten) und Klassifikation (Zuordnung zu Klassen und Unterklassen) sprachlicher Einheiten der Aufbau eines Sprachsystems beschrieben wird. Informell und manchmal pejorativ spricht man von Taxonomischem Strukturalismus, der seine stärkste Ausprägung in Arbeiten von Bloomfield (1933) und Harris (1965) fand. In der Fachlit. erscheint taxonomisch gelegentlich auch in der Bezeichnung Taxonomische Grammatik für die Phrasenstrukturgrammatik u.a. in generativen Grammatiken. Dies ist auf die Vorstellung zurückzuführen, dass Phrasenstrukturen eines Satzes hierarchisch aufgebaut werden, sowie auf den für Phrasenstrukturgrammatiken typischen klassifikatorischen Charakter. Edyta Błachut

→ Distribution; Klassifikation; Segmentierung → Gram-Syntax: deskriptive Grammatik; Phrasenstrukturgrammatik; Sprachsystem

🕮 Bloomfield, L. [1933] Language. New York, NY ◾ Bloomfield, L. [2001] Die Sprache. Deutsche Erstausgabe. Wien ◾ Chomsky, N. [1965/1987] Aspekte der Syntax-Theorie. 4. Aufl. Übers. v. E. Lang. Frankfurt/Main ◾ Elsen, H. [2014] Linguistische Theorien. Tübingen ◾ Harris, Z.S. [1951] Methods in Structural Linguistics. Chicago, IL ◾ Harris, Z.S. [1965] Transformational theory. In: Lg 41: 363–401.

teilreflexives Verb

polysemes Verb, das in der einen Bedeutung mit einem Reflexivpronomen echtes Reflexivverb, in der anderen ein nicht reflexives Verb ist.

teilreziprokes Verb 726 ▲ partial reflexive verb: polysemous verb which is re-

flexive in one meaning with a reflexive pronoun and is a non-reflexive verb in another meaning. Wird das teilreflexive Verb in Kombination mit einem Reflexivpron. verwendet, ist das Pron. inhaltlich leer, nicht weglassbar und hat keine Satzgliedfunktion (z.B. Klaus ärgert sich). In der nicht refl. Verwendungsweise haben teilrefl. Verben eine andere Bedeutung (z.B. Das ärgert ihn). Teilreflexive Verben sind u.a. ängstigen – sich ängstigen, erinnern – sich erinnern, freuen – sich freuen, aufhalten – sich aufhalten, entscheiden – sich entscheiden. Im Gegensatz zu refl. gebrauchten Verben (wie z.B. sich waschen, sich kämmen) verhalten sich teilrefl. Verben, falls sie mit einem Reflexivpron. verwendet werden, wie obligatorisch refl. Verben. Pál Uzonyi

→ obligatorisch reflexives Verb; reflexiv gebrauchtes Verb; reflexives Verb; Reflexivpronomen; teilreziprokes Verb

→ Gram-Syntax: Reflexivkonstruktion

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Siemund, P. [2007] Das Reflexivum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der Wortarten. Berlin: 707–725.

teilreziprokes Verb

Verb, das unter bestimmten Bedingungen reziprok verwendet wird. ▲ semireciprocal verb: verb that is used reciprocally under certain circumstances.

T

Das reziproke (wechselseitige) Verhältnis zwischen den Personen wird im Dt. durch die Pronomina sich (uns, euch) und einander sowie das Adj. gegenseitig, das nicht für, sondern neben sich steht, markiert. Hier lassen sich hauptsächlich zwei Gruppen von Verben unterscheiden, bei denen die teilreziproke Relation bestehen kann: (a) Refl. gebrauchte (partimreflexive) Verben (1). Sie kommen nur im Pl. vor und sind zweideutig, d.h., sie können refl. und reziprok gedeutet werden. (1) Marie und Anna waschen sich. [refl., reziprok] (1a) Marie wäscht sich und Anna wäscht sich. [refl.] (1b) Marie wäscht Anna und Anna wäscht Marie. [reziprok] Das reziproke Verhältnis kann durch das Pron. einander oder das Adj. gegenseitig verdeutlicht werden (2).

(2) Marie und Anna waschen einander/ sich gegenseitig. Zu den refl. gebrauchten Verben gehören u.a. an-/ ausziehen, berichtigen, duschen, einseifen, frisieren, kämmen, rasieren, schminken, verletzen, verpflichten, verteidigen, waschen. (b) Reziproke Bedeutungsvarianten von bestimmten Verben (vgl. Duden 1998) (3). (3) Die Kinder haben sich versöhnt. [reziprok] (4) Die Mutter hat die Kinder versöhnt. [nicht reziprok] Ähnlich verhalten sich z.B. folgende Verben: (sich) aussprechen, (sich) beraten, (sich) einigen, (sich) treffen, (sich) vereinigen, (sich) vertragen. Ähnliche Typen der teilreziproken Verben gibt es im Poln. ((5) als Übersetzung von (1)). (5) Maria i Anna myją się. [refl., reziprok] Das Reflexivpron. się 'sich' ist hier doppeldeutig, weil es sich um ein unechtes refl. Verb handelt. Anders liegen die Verhältnisse im Engl., wo die Reflexivpronomina über keine reziproke Bedeutung verfügen und im Zusammenhang damit diese durch besondere reziproke Formen zum Ausdruck gebracht wird. So muss der ambige Satz (1) ins Engl. mit zwei unterschiedlichen Formen übersetzt werden ((6), (7)). (6) Mary and Ann wash themselves. (7) Mary and Ann wash each other/ one an­oth­ er. Zifonun (2003: 82ff.) weist darauf hin, dass diese disjunkte Verwendung der Reziprokpronomina auch fürs Niederl. und Ung. sowie für skandinavische Sprachen charakteristisch ist. Andrzej Kątny

→ reflexiv gebrauchtes Verb; reflexives Verb; reziprokes Verb; Reziprokpronomen; teilreflexives Verb

→ Gram-Syntax: reziproke Reflexivität

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. [2003] Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich. Das Pronomen. Teil II: Reflexiv- und Reziprokpronomen (amades 1/03). Mannheim ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

telische Aktionsart

Aktionsart von Verben und Verbalphrasen, die das Streben zu einem Grenz- oder Kulminationspunkt bezeichnen. ▲ telic aktionsart: lexical aspect of verbs and verbal phrases expressing the striving towards a boundary or culmination.

727 Temporaladjektiv Telische Verben „beschreiben punktuelle oder notwendig zeitbezogene Vorgänge oder Handlungen, d.h. Ereignisse, die einen Kulminations- oder Endpunkt voraussetzen, ohne den ein Geschehen des betreffenden Typs nicht vorliegen würde“ Duden (2016: 416). Dazu gehören Simplex-, Präfix- oder Partikelverben und Verbphrasen, die Zustands- oder Ortsveränderung oder „abgeschlossene Vorgänge ohne Zustandswechsel oder Grenzphasenbezug“ (Duden 2016: 416) bezeichnen: (1) sterben, finden, einschlafen, erblühen, erfrieren, losrennen, hinausgehen, in den Wald laufen Außer den oben erwähnten Mitteln dienen u.a. die Funktionsverbgefüge (2) und Resultativkon­ struktionen (3) zur Umgestaltung der atelischen Verben zu telischen. (2) mit dem Funktionsverb finden: Anerkennung, Anwendung, Beachtung, Beschäftigung, Gehör u.a.; mit bringen: zur Anwendung, Aufführung, Einweihung; zum Kochen, Lachen, Schmelzen, Sprechen, Stehen; mit kommen: in Bewegung, Gang, Gebrauch, ins Laufen (3) glatt bügeln, sich satt essen, (den Wagen) kaputt/ zu Schrott fahren, sich müde laufen, sich satt/müde lesen, sich tot/krank saufen, sich gesund schlafen, etwas grün streichen, sich glücklich trinken, (die Flasche) leer trinken, sauber waschen Die unter (3) erwähnten Konstruktionen sind erweiterungsfähig; denn es entstehen neue, insbesondere im gesprochenen Dt., vor allem in der Werbung. Manche von ihnen können teilidiomatisch sein. Der Begriff der Grenze wird bei Andersson (1972: 34) ausführlich diskutiert: „Als Grenze können verschiedene Tatbestände dienen: die Erschaffung von irgendetwas, die Erreichung eines Resultats oder eines Ortes, der Übertritt in einen neuen Zustand, das Verlassen eines Ausgangspunkts usw.“. In der Fachlit. gibt es auch andere Auffassungen bzgl. der Grenze, d.h. der Telizität von Verben und VPn. In der Anglistik wird in der Regel der Terminus telic (griech.: télos 'Ziel, Ende') verwendet, der auf Garey zurückgeht. Die telischen Verben bezeichnen „an action tending toward goal“, während die atelischen solche Situationen beschreiben, die „are realized as soon as they begin“ (Garey 1957: 106 zit. nach Fi-

lip 2012: 721). In der Fachlit. wird darauf verwiesen, dass diese Unterscheidung auf Aristoteles, der zwischen kinêsis und energeia unterscheidet (vgl. u.a. Binnick 1991: 142f.), zurückgeht. Statt von Aktionsarten wird von Prädikatsklassen, Situationstypen oder Zeitschemata gesprochen. Diese Klassifikation bezieht sich auf Verben und VPn. Die bekannteste Klassifikation stammt von Vendler (1967), der zwischen states (Zustände), activities (Aktivitäten), accomplishments (ausgedehnter Zustandswechsel [+dynamisch, +telisch, +durativ]) und achievements (Ereignisse, punktueller Zustandswechsel [+dynamisch, +telisch, -durativ]) unterscheidet. Grundlage für die Aussonderung dieser vier Klassen und ihnen entsprechenden Verben waren drei Eigenschaften: Dynamik, Telizität und Dauer. Vendlers Beispiele zeigen, dass sich seine Analyse meistens auf VPn bezieht. In späteren Studien wird der Analyse von nominalen Ergänzungen und Adverbialien und deren Zusammenspiel mit den Verben (aktionalen Verbeigenschaften: +/- telisch) mehr Aufmerksamkeit geschenkt; die Analyse verschiebt sich auf die Satzebene, so dass sich die Grenzen zwischen den Prädikatsklassen (d.h. Aktionsarten, lexical/inner aspect) und dem grammatical (viewpoint) aspect verwischen. Andrzej Kątny

↔ atelische Aktionsart → kursives Verb; mutatives Verb; terminative Aktionsart; transformative Aktionsart

→ Gram-Syntax: perfektiver Aspekt

🕮 Andersson, S.-G. [1972] Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. Uppsala ◾ Binnick, R.I. [1991] Time and the verb. Oxford ◾ Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Filip, H. [2012] Lexical aspect. In: Binnick, R.I. [ed.] The Oxford handbook of tense and aspect. Oxford: 721–751 ◾ Sioupi, A. [2014] Aspektdistinktionen im Vergleich. Deutsch/Englisch – Griechisch. Tübingen ◾ Vendler, Z. [1967] Verbs and Times. In: Vendler, Z. [ed.] Linguistics in Philosophy. Ithaka, NY: 97–121.

Temporaladjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine temporale Beziehung bezeichnen. ▲ temporal adjective: semantically defined subclass of adjectives which characterize a relation to time. Temporaladjektive sind besondere Ausdrücke wie damalig, ehemalig, gestrig, heutig, morgig, jetzig, sofortig. Morphologisch handelt es sich um

T

Temporaladverb 728 deadverbiale Suffixderivate auf -ig. Syntaktisch werden die Temporaladjektive meistens attributiv (1), mitunter auch adverbial (2) gebraucht. Werden sie als qualifizierende Adjektive verwendet, so ist eine prädikative Verwendung (3) ebenso möglich. (1) Das Netzwerk am Turm will […] für die sofortige Beendigung der Kämpfe eintreten. (Rhein-Zeitung, 07.01.2009) (2) […] während sich ein Gutteil der Regisseure […] die alten Geschichten lieber neu und heutig erzählt. (SZ, 16.04.2004) (3) Die 6/8-Takt-Ballade „Love Will Set You Free“ ist sympathisch gestrig – mit einem Hauch von Broadway. (Hannoversche Allgemeine, 26.05.2012) Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverbialadjektiv; qualifizierendes Adjektiv; referentielles Adjektiv; Relationsadjektiv

→ Gram-Syntax: adjektivisches Adverbial; adjektivisches Prädikativ; adverbiales Adjektiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Temporaladverb

semantisch definierte Teilklasse der Adverbien, die einen Sachverhalt innerhalb eines Zeitrahmens situieren oder die Dauer bzw. die Häufigkeit eines Geschehens angeben. ▲ adverb of time: semantically defined subclass of adverbs which situate circumstances within a timeframe or express the duration or the frequency of events.

T

Zu den Temporaladverbien werden Ausdrücke gezählt wie z.B. anfangs, bald, bisher, bislang, da, dann, danach, darauf, eben, einst, fortan, gerade, gleich, heute, heutzutage, irgendwann, jemals, jetzt, längst, manchmal, morgen, nachher, samstags, seitdem, sofort, unterdessen, wann, weiterhin, zuerst. Funktional können mehrere Gruppen unterschieden werden. Zur ersten Gruppe gehören die zeitrelativen Temporaladverbien, welche den Sachverhalt innerhalb eines Zeitrahmens und im Zusammenhang mit dem Tempussystem situieren. Dazu zählen Adverbien (gestern, heute, morgen), die den Sachverhalt relativ zum Sprechzeitpunkt situieren ((1), (2)), aber auch Ausdrücke

wie inzwischen, vorher, nachher, die den Sachverhalt kontextverankert situieren. (1) Morgen aktualisiert die Börse die Zusammensetzung der Aktienindizes. (2) Die imposante Anlage mit ihrem großen Innenhof entstand im 19. Jahrhundert. Vorher war dieser Bereich unbebautes Brach- oder Gartenland. Zur zweiten Gruppe werden die durativen Temporaladverbien gezählt, welche die Dauer eines Geschehens angeben wie bislang, lange, stets u.a. Die dritte Gruppe stellen iterative Temporaladverbien dar, welche sich auf die Häufigkeit des Geschehens beziehen wie mehrmals, morgens, nochmals, oft, zweimal. Durative und iterative Temporaladverbien unterscheiden sich von den zeitrelativen, situierenden Temporaladverbien durch ihre Eigenschaft, über Ereignisse bzw. Sachverhalte zu quantifizieren. Sie werden deswegen in der Fachlit. auch als Quantoren bezeichnet. Bei manchen Adverbien hängt die Lesart vom Kontext ab ((3), (4)). (3) Vor allem nachts kommt es erneut zu Gefechten. ['jede Nacht'; iterative Lesart] (4) Einen besonders tragischen Fall verhandelte jetzt das Amtsgericht. Ein Autofahrer hatte nachts einen jungen Mopedfahrer gestreift. ['in einer bestimmten Nacht'; zeitrelative Lesart] Jussara Paranhos Zitterbart ≡ temporales Adverb → Adverb; Sequenzadverb; Temporalpartikel → Gram-Syntax: Sachverhalt; Temporalangabe

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

temporale Konjunktion ≡ temporaler Subjunktor

temporale Präposition

Präposition, mit der ein Zeitpunkt oder eine Dauer zum Ausdruck gebracht wird. ▲ temporal preposition; time preposition: preposition denoting a point in time or a length of time. Wie in der hist.-vgl. Sprw. des 19. Jhs. geht man in der aktuellen Kognitiven Ling. davon aus, dass viele der häufigsten temporalen Präpositionen (an, nach, vor, von ... an, zwischen, in, um u.a.) auf lokale Grundbedeutungen zurückgehen und dass

729

temporaler Subjunktor

sowohl diachronisch als auch synchronisch zwischen den primären lokalen und den sekundären temporalen Verwendungen mancherlei Verbindungen (Polysemie, Metapher, Extension usw.) bestehen (Melis 2003: 45–103). Eine ganz andere Ansicht vertraten strukturalistische Sprachwissenschaftler, u.a. Brøndal (1950), bei dem die Präpositionen für abstrakte Kategorien stehen, „qui ne font qu’apparaître – ou peuvent apparaître – par ex. sous la forme de l’espace ou du temps“ (wofür sich Brøndal übrigens auf eine Analogie zur modernen Physik beruft) (1950: 8; vgl. 25f.). Rein deskriptiv gibt es einen Unterschied zwischen temporalen Präpositionen i.w.S. und i.e.S. Erstere können zwar temporal verwendet werden, sind jedoch nicht auf temporale Verwendungen beschränkt, z.B. in, an, nach, vor, innerhalb, um, bis, ab, bei, gegen, zwischen, unter u.a. in Fügungen wie in einer Stunde, am Nachmittag, nach vielen Jahren, vor einem Monat, innerhalb weniger Minuten, um die Mittagszeit, bis dahin, ab morgen, bei Morgengrauen, gegen Abend. Die temporalen Präpositionen i.e.S. haben dagegen sprachsystematisch temporale Bedeutungen. Im Dt. sind das die Präpositionen seit, während, binnen und die nur in den schweiz. und österr. Varianten übliche Präp. innert; hinzu kommt die Präp. zeit, die nur noch in der erstarrten Verbindung zeit meines, seines usw. Lebens vorkommt. Die Tatsache, dass der Bezug auf die Zeit zur Bedeutung der temporalen Präpositionen i.e.S. gehört, hat zur Folge, dass eine temporale Interpretation der Äußerung auch dann gefordert ist (Koerzion), wenn die Präp. eine NP regiert, die lexikalisch-semantisch nicht in den temporalen Bereich gehört, wie z.B. in Was ist seit München [z.B. dem Jahr 1972] passiert? und Seit Linz fahren wir links der Donau entlang (Eroms 1981: 160). Klaas Willems

→ lokale Präposition; modale Präposition; Präposition; Temporaladverb

🕮 Brøndal, V. [1950] Théorie des prépositions. Kopenhagen ◾ Cuyckens, H./ Radden, G. [Hg. 2002] Perspectives on prepositions. Tübingen ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Guimier, C. [1981] Prepositions. An analytical bibliography. Amsterdam [etc.] ◾ Melis, L. [2003] La préposition en français. Gap.

temporale Subjunktion ≡ temporaler Subjunktor

temporaler Subjunktor

Subjunktor von Nebensätzen, die als Bezugssachverhalt für die zeitliche Verortung der Proposition des Hauptsatzes dienen. ▲ temporal subjunctor: subjunctor introducing subordinate clauses that provide a reference point in order to temporally localize the event of the main clause. Unterschieden werden Subjunktoren, die wie während, wenn, als oder sooft die zeitliche Überlappung der Konnekte (sog. Koinzidenzkonnektoren) oder ihre zeitliche Abfolge (sog. Sequenzkonnektoren) bezeichnen (Breindl et al. 2014: 274–387). Letztere können das Geschehen im Matrixsatz als nachzeitig (1) bzw. vorzeitig (2) markieren. (1) Nachzeitigkeit: Ich gehe schlafen [lokalisierter Sachverhalt], nachdem ich mir die Zähne geputzt habe [Referenzpunkt]. (2) Vorzeitigkeit: Ich putze mir die Zähne [lokalisierter Sachverhalt], bevor ich schlafen gehe [Referenzpunkt]. So bringt (1) zum Ausdruck, dass die Proposition des Matrixsatzes ('schlafen gehen') zeitlich nach dem im nachdem-Satz bezeichneten Sachverhalt ('Zähne putzen') stattfindet. Im Vergleich dazu ist das zeitliche Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz durch den Subjunktor bevor umgekehrt (2). Häufig wird die temporale Relation der Teilsätze durch die verbale Tempusflexion unterstützt ((1), (2)). Während bildet im Dt. den prototyischen Koinzidenzsubjunktor. (3) Während es schneit [Referenzpunkt], bleibe ich zu Hause. [lokalisierter Sachverhalt] (4) Tobi ist Anwalt geworden, während sein Bruder eine Karriere als Rockstar eingeschlagen hat. [kontrastiv] Aufgrund ihrer relativen semantischen Unterspezifikation laden temporale Subjunktoren zu einer pragmatischen Anreicherung mittels kausaler oder kontrastiver Implikatur ein, die sich beim wiederholten Auftreten auf der Bedeutungsseite festsetzen kann (König/Traugott 1991). So entwickelt während neben der in (3) veranschaulichten temporalen Funktion eine kontrastive (4). Der ursprügliche temporale Subjunktor da entwickelt eine kausale Funktion (Arndt 1960); vgl. ((5), (6)). (5) Da es Abend wurde, erreichten sie das Haus. [temporal]

T

temporales Adverb 730 (6)

Da es spät war, entschieden sie, nach Hause zurückzukehren. [kausal]

Melitta Gillmann ≡ temporale Konjunktion; temporale Subjunktion → adversativer Subjunktor; kausaler Konjunktor; Subjunktor → Gram-Syntax: Nachzeitigkeit; Temporalsatz; Vorzeitigkeit

🕮 Arndt, E. [1960] Begründendes da neben weil im Nhd. In: BGeschDtSprLit-H 82: 242–260 ◾ Breindl, E./ Volodina, A./ Waẞner, U.H. [2014] Handbuch der deutschen Konnektoren 2: Semantik der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 13). Berlin [etc.] ◾ Traugott, E.C. / König, E. [1991] The semantics and pragmatics of grammaticalization revisited. In: Traugott, E.C./ Heine, B. [eds.] Approaches to Grammaticalization. Vol. I. Amsterdam: 189–218.

temporales Adverb ≡ Temporaladverb

Temporalität

zusammenfassender Terminus für zeitliche Bezüge. ▲ temporality: cover term for relations of tense.

T

Der Terminus wird gelegentlich zusammenfassend für sprachliche Mittel verwendet, die sich auf Zeit beziehen. Das ist in der dt. Sprache, in der sich ein Tempussystem entwickelt hat, in erster Hinsicht dieses Tempussystem. Aber auch in Sprachen ohne Tempora, z.B. im Chin., wird Temporalität ausgedrückt. Temporalität lässt sich direkt und indirekt ausdrücken. Einem (relativ) direkten Ausdruck von Temporalität dienen Tempora, Temporaladverbiale und temporale Konjunktionen, allein oder in Kombination miteinander. Als ein indirekter (metaphorischer) Ausdruck dienen häufig Lokaladverbiale. Aus einer Ortsbestimmung kann auf eine zeitliche Situierung geschlossen werden. Auf diese Weise können aus Implikaturen temporale Bedeutungen entstehen. Temporale Präpositionen und Konjunktionen können auf metaphorische Übertragungen zurückgehen, z.B. die temporalen Präpositionen in, nach oder die temporale Konjunktion nachdem. Ein ebenfalls indirekter Ausdruck von Temporalität mit fließenden Übergängen zur Temporalität selbst ist der Aspekt bzw. die Aktionsart. Verben besitzen eine inhärente Aspektualität. Perfektive Verben implizieren ein Resultat. Dieses Resultat folgt, wenn es realisiert wird, dem Resultat zeitlich als Nachzustand. Klaus Welke

→ Futur II; Perfekt; Präsens; Präteritum; Tempus ⇀ Temporalität (CG-Dt)

⇁ temporality (Media)

🕮 Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Dahl, Ö. [1985] T­ ense and Aspect Systems. Oxford ◾ Klein, W. [1994] Time in lan­ guage. London [etc.] ◾ Parsons, T. [1990] Events in the semantics of English. Cambridge, MA ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Temporalpartikel

Fokuspartikel mit temporaler Bedeutung. ▲ temporal particle: focus particle with a temporal meaning.

Das syntaktische Verhalten der Temporalpartikeln (dt. erst, noch, schon u.a.; engl. already, still u.a.; frz. déjà, encore u.a.) stimmt mit dem der Fokuspartikeln weitgehend überein. Die Temporalpartikeln bilden ein klar strukturiertes semantisches Feld. Sie ordnen die Proposition des Satzes zeitlich ein, unterscheiden sich aber von der Klasse der Temporaladverbien (wie z.B. immer, lange, zuerst) vor allem insofern, als ihre Bedeutung eine klare Erwartungs- bzw. Bewertungskomponente enthält: Temporalpartikeln signalisieren eine deutliche Opposition zwischen den zeitlichen Erwartungen des Sprechers und der Realität, die durch die Zeitangabe im (durch Satzakzent gekennzeichneten) Skopus der Partikel ausgedrückt wird. (1) Peter ist erst heute angekommen. (2) Peter ist schon heute angekommen. So zeigt die Temporalpartikel erst in (1) an, dass der Sprecher Peters Ankunft für einen früheren Zeitpunkt als den heutigen Tag erwartet hatte und seine reale Ankunftszeit somit als spät bewertet. In (2) signalisiert hingegen die Partikel schon, dass Peters Ankunft für einen späteren Zeitpunkt als den heutigen Tag erwartet war und in diesem Sinne vom Sprecher als früh bewertet wird.

→ Fokuspartikel; Partikel; Temporaladverb

Péter Maitz

🕮 Brauẞe, U. [1987] Bedeutungsdarstellung bei Funktionswörtern. Die Temporalpartikeln schon, noch und erst als lexikalisches Feld. In: Autorenk. [unter Leit. v. E. Agricola] Studien zu einem Komplexwörterbuch der lexikalischen Mikro-, Medio- und Makrostrukturen (LSt 169). Berlin: 110–149 ◾ Hoepelman, J./ Rohrer, C. [1981] Remarks on noch and schon in German. In: Tedeschi, P.J./ Zaenen, A. [eds.] Tense and Aspect (SynSem 14). New York, NY [etc.]: 103–126 ◾ König, E. [1991] Gradpartikeln. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin [etc.]: 786– 803 ◾ Löbner, S. [1989] German schon – erst – noch: an integrated analysis. In: LingPhil 12: 167–212 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

731 Tempus

Tempus

formal am weitesten ausdifferenzierte Verbalkategorie, die zur Kennzeichnung der Beziehung zwischen Sprechzeit und Ereigniszeit dient, wobei das durch eine Aussage mitgeteilte Geschehen zum zeitlichen Standpunkt des Sprechenden in Relation gesetzt wird. ▲ tense: formally the most differentiated verbal category, which marks the relation between the time of speaking and the time of the event by relating the expressed event to the perspective of the speaker. Ein einfaches Tempus-Modell benötigt zunächst zwei Bestimmungen: Die Ereigniszeit (auch Situationszeit oder Aktzeit genannt) und die Sprechzeit (auch Evaluationszeit oder Äußerungszeit genannt) (vgl. Welke 2005: 7ff.). Als Ereigniszeit wird die Zeit bezeichnet, zu der das ausgedrückte Geschehen stattfindet, während die Sprechzeit die Zeit ist, aus deren Perspektive die Ereigniszeit eingeordnet wird. Die Zeit, die mit der Sprechzeit zusammenfällt, wird Gegenwart genannt, eine vor der Sprechzeit liegende Zeit Vergangenheit und eine der Sprechzeit folgende Zeit Zukunft. Es existieren detaillierte Beschreibungen der Tempussysteme verschiedener Sprachen, vgl. etwa für das Dt. Weinrich (2001) und Rödel (2007), für eine Analyse einer Reihe anderer Sprachen vgl. Hollebrandse/Van Hout/Vet (2005). Als klassisches, übereinzelsprachliches Tempusmodell gilt Reichenbachs (1947) Ansatz, der außer Sprechzeit und Ereigniszeit auch die Referenzzeit einer Äußerung in seine Theorie einbezieht. Letztere bezeichnet die Zeit, zu der das in der Äußerung ausgedrückte Geschehen in Beziehung gesetzt wird. Für das Dt. lassen sich sechs Tempora unterscheiden, deren Grundbedeutungen folgendermaßen skizziert werden können: (a) Präsens (Gegenwart): Die Ereigniszeit fällt mit der Sprechzeit zusammen. (b) Präteritum (Vergangenheit): Die Ereigniszeit liegt vor der Sprechzeit. (c) Futur I (Zukunft): Die Ereigniszeit liegt nach der Sprechzeit. (d) Plusquamperfekt (Vorvergangenheit): Die Ereigniszeit bezieht sich auf ein vor der Sprechzeit liegendes Geschehen, das vor einem weiteren vergangenen Ereignis liegt. (e) Perfekt (vollendete Gegenwart): Die Ereigniszeit liegt vor der Sprechzeit mit Bezug zur Sprechzeit. (f) Futur II (Vorzukunft): Die Ereigniszeit liegt nach

der Sprechzeit und bezieht sich auf ein Geschehen, das vor einem weiteren zukünftigen Ereignis liegt. Allerdings besteht keine lineare Beziehung zwischen den sechs grammatischen Tempora und den sechs Tempusbedeutungen bzw. den entsprechenden Zeiten in der außersprachlichen Wirklichkeit. Das Präs. kann auch mit futurischer Bedeutung verwendet werden; zudem wird es in fiktionalen und poetischen Texten als Erzähltempus häufig mit Bezug auf Vergangenes gebraucht (vgl. Avanessian/Henning 2012). Tempusbedeutungen werden auch mit lexikalischen Mitteln, z.B. mit Hilfe von temporalen Konjunktionen (z.B. als, nachdem) oder Adverbien, ausgedrückt (z.B. Ich hole Dich morgen vom Bahnhof ab) (vgl. Helbig/Buscha 2001: 127 ff.). Während ein Geschehen mit lexikalischen Mitteln zeitlich exakt bestimmt werden kann (Er reist morgen um 16:10 Uhr ab), wird durch die Verbalkategorie des Tempus ein Ereignis in zeitlicher Hinsicht nur ungefähr eingeordnet, indem es temporal zur Sprechzeit in Beziehung gesetzt wird (vgl. Zeller 1994: 23). Tempussysteme weisen in den verschiedenen Sprachen der Welt eine unterschiedliche Struktur auf. Als allgemeine Bestimmung lässt sich festhalten, dass nach einem Ein-Tempus-System zunächst eine Unterscheidung in Präs. und Prät. folgt. Aus diesem Zweiersystem entwickelt sich anschließend eine Dreierstruktur, die zusätzlich das Futur unterscheidet. Zur Realisierung dieser Dreierstruktur (und verstärkt bei einer noch weiteren Ausdifferenzierung) werden in der idg. Sprachfamilie über synthetische Ausdrucksmittel hinaus häufig analytische Verbformen verwendet, z.B. im Dt. (Er wird schreiben). Tempus wird auch als der „grammatikalisierte Ausdruck der Lokalisierung eines Ereignisses in der Zeit“ (Comrie 1985: 9) bezeichnet, wobei neben syntaktisch bzw. strukturell orientierten Tempusmodellen (z.B. Zeller 1994) auch semantische Tempustheorien existieren, die auf die Erklärung der Bedeutung der Tempora zielen (z.B. Herweg 1990). Sprachgeschichtlich gesehen unterliegt die Entwicklung der Tempora einer Wellenbewegung: Bei der Ausdifferenzierung von Systemen kommt es durch die Überlagerung von Formen und/oder Funktionen zu Vereinfachungen, wodurch die so entstandenen Lücken mit anderen Formen ausgefüllt werden müssen, so dass sich weitere Differenzierungsprozesse anschließen.

T

Tempusform, zusammengesetzte 732 Die Verbalkategorie Tempus ist eng verbunden mit der grammatischen Kategorie des Aspekts und der tendenziell eher auf der lexikalischen Ebene angesiedelten Kategorie der Aktionsarten. Während mit Hilfe der verbalen Kategorie des Aspekts das in einem Satz ausgedrückte Geschehen aus einer bestimmten Perspektive relativ zur Zeit betrachtet wird, betreffen die Aktionsarten die innere zeitliche Gliederung von Situationen, d.h., dass ein Geschehen nicht als zielgerichtet oder als auf ein Ziel hin ausgerichtet, als zeitlich nicht ausgedehnt oder als in zeitlicher Hinsicht ausgedehnt präsentiert werden kann (vgl. Herweg 1990: 9). Eine klare Abgrenzung in Bezug darauf, ob es sich bei bestimmten Formen um Tempus- oder Aspektformen handelt, ist nicht immer möglich. Ebenso ist die Abgrenzung zur Verbalkategorie des Modus nicht immer eindeutig (vgl. Abraham/Janssen 1989; Heinold 2015). So wird im Engl. das simple past auch in Konditionalsätzen mit einer Funktion verwendet, die derjenigen des Subjunktivs in anderen Sprachen ähnelt (If you invited me vs. If you invite me). In manchen Sprachen werden die gleichen Flexionsendungen gebraucht, um Aspekt, Tempus und Modus zu kennzeichnen (vgl. Matthews 2005: 374). Die Verbindung einzelner Tempora mit dem perfektiven oder imperfektiven Aspekt unterliegt in der Regel gewissen Restriktionen. Im Russ. wird die Verwendung einer Präsensform im perfektiven Aspekt als Futur ausgelegt. Die Herausbildung des Aspektsystems resultiert in den slaw. Sprachen vor allem aus den geringen Differenzierungsmöglichkeiten im Bereich der Tempora. ≡ Zeit; Zeitform

T

Marijana Kresić

→ § 8, 16; aktuelles Präsens; episches Präsens; Futur; Futur

des Präteritums; Futur I; futurisches Präsens; generelles Präsens; historisches Präsens; Konditional; Perfekt; Präsens; szenisches Präsens; Tempussystem; Universalie; Verbalkategorie → Gram-Syntax: Aspekt ⇀ Tempus (CG-Dt; SemPrag; HistSprw) ⇁ tense (CG-Engl; Phon-Engl; Typol)

🕮 Abraham, W./ Janssen, T. [Hg. 1989] Tempus – Aspekt – Modus. Tübingen ◾ Avanessian, A./ Henning, A. [2012] Präsens. Poetik eines Tempus. Zürich ◾ Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Heinold, S. [2015] Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Ein Studienbuch. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Herweg, M. [1990] Zeitaspekte. Die Bedeutung von Tempus, Aspekt und temporalen Konjunktionen.

Wiesbaden ◾ Hollebrandse, B./ Hout, A. van/ Vet, C. [eds. 2005] Crosslinguistic Views on Tense, Aspect and Modality. Amsterdam ◾ Matthews, P.H. [2007] The Concise Oxford Dictionary of Linguistics. 2nd ed. Oxford ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Rödel, M. [2007] Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen (StDG 74). Tübingen ◾ Weinrich, H. [2001] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. 6., erw. Aufl. Stuttgart ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin ◾ Zeller, J. [1994] Die Syntax des Tempus. Zur strukturellen Repräsentation temporaler Ausdrücke. Opladen.

Tempusform, zusammengesetzte → analytische Verbform

tempusneutrale Form

Präsens als Zeitform, die in Bezug auf den Ausdruck von Temporalität maximal unmarkiert ist. ▲ tense-neutral form: present tense as a form that is maximally unmarked regarding the expression of time.

→ Atemporalis; Präsens; Temporalität; Tempus

Klaus Welke

🕮 Ballweg, J. [1984] Praesentia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. In: Stickel, G. [Hg.] Pragmatik in der Grammatik. Düsseldorf: 243–261 ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Mugler, A. [1988] Tempus und Aspekt als Zeitbeziehungen. München ◾ Ronneberger-Sibold, E. [2004] Deutsch (Indogermanisch: Germanisch). In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1267–1285 ◾ Vennemann, T. [1987] Tempora und Zeitrelation im Standarddeutschen. In: Sprw 12: 234–249 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Tempusstamm

tempusmarkierte Verbform, die die Basis für weitere Tempusbildungen stellen kann. ▲ tense stem: tense-marked verbal stem that can serve to derive further tense forms. In vielen Sprachen werden derivative Verfahren herangezogen, um die Einbettung der Verbalhandlung in unterschiedliche Zeit-Dimensionen anzuzeigen. Die Semantik der entsprechenden Verbalform wird über eine unterschiedliche Stammbildung also Tempus-bezogen 'aufgeladen'. Gängig ist die Unterscheidung eines Präsensstamms von dem eines vergangenheitsbezogenen Verbstamms, die beide (als prozessbezogen) einem Zuständlichkeit anzeigenden, perfektiven Verbstamm gegenübergestellt werden können. Oftmals liegen den unterschiedlichen Tempus-

733 Tempussystem stämmen ältere Aspektstämme (Imperfektiv/ Perfektiv/Stativ u.a.) zugrunde. I.w.S. gehören Tempusstämme zum Bereich der Stammformen (etwa Dt. die Stammformen der starken Verben (Ablautreihen), z.B. auf singen – sang – gesungen). Wolfgang Schulze

→ Ablautreihe; Stamm; starkes Verb; Verbform

🕮 Rubenbauer, H./ Hofmann, J.B./ Heine, R. [1995] Lateinische Grammatik. 12., neubearb. Aufl. Bamberg [etc.] ◾ Schmidt, W. [2006] Geschichte der deutschen Sprache. Stuttgart ◾ Szemerényi, O. [1989] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 3., vollst. neu bearb. Aufl. Darmstadt.

Tempussystem

System der Tempora in einer Sprache bzw. in einer Sprachvarietät. ▲ system of tenses: system of tenses in a language or in a variety of a language. Ein Tempussystem liegt vor, wenn sich in einer Sprache ein System von Verbformen ausgebildet hat, die unterschiedliche temporale Bezüge ausdrücken. Es sind Agglomerationen von verbalen Formen, die in Bedeutungsvarianten in Opposition zueinander geraten sind und sich dadurch wechselseitig determinieren. Eine Schwierigkeit der Beschreibung besteht darin, dass sprachliche Systeme nur relativ geschlossen sind. So sind Tempora einerseits, so weit sie sich diachron zurückverfolgen lassen, aus nicht-temporalen Formen und Bedeutungen hervorgegangen, z.B. sprachübergreifend das Futur (vgl. Heine 1995). Andererseits entstehen aus temporalen Bedeutungen wiederum nicht-temporale Bedeutungen. Dabei können die nicht temporalen zeitgleich mit den temporalen weiter existieren, wie auch die nicht temporalen Vorformen zusammen mit den temporalen Varianten weiter existieren können. Die Kombination werden + Infinitiv (also das Futur) hat neben der temporalen eine epistemische Bedeutungsvariante. Es ist in dieser Variante nicht auf einen Zeitbezug, sondern auf den Ausdruck von epistemischer Möglichkeit gerichtet (1). (1) Das wird wahr sein. [= Das kann/könnte/ dürfte wahr sein. = Das ist vielleicht wahr.] Mit dem Präs. kann man von einem Zeitbezug überhaupt absehen (2). (2) Zwei mal zwei ist vier. Das Prät. bedeutet in fiktionalen Erzählungen nicht im wörtlichen Sinne 'Vergangenheit'. In der Kombination von sein + Partizip II kann das Par-

tizip einiger intransitiver perfektiver Verben eine Nachzustandslesart besitzen. Die Kombination ist dann die syntaktische Vorform des Perfekts: Kopula + Prädikativum ((3) vs. (3a). (3) Der See ist stark zugefroren. [Kopulakonstruktion: 'gegenwärtiger Nachzustand'] (3a) Der See ist gestern zugefroren. [Perfekt: 'Vergangenheit'] Tempustheorien (insbesondere auch moderne formale Theorien) versuchen meist invariante Bedeutungen (traditionell oft Grundbedeutungen genannt) zu formulieren. Sie sind, auch unter dem Einfluss logischer Tempustheorien, auf ein widerspruchsfreies System gerichtet, das es in dieser strengen Form nicht gibt. Nicht wenige der vorgeschlagenen Bedeutungen sind theoretisch denkbare Verallgemeinerungen, deren reale Existenz im Bewusstsein der Sprecher/Hörer zweifelhaft ist. Eine Folge ist auch, dass nach diesen Theorien eigentlich alle Tempora aufhören, als Tempora zu existieren. Nach einer verbreiteten Ansicht drückt z.B. werden + Infinitiv generell Modalität aus und nicht Zukunft. Wenn das Präs. gelegentlich als Atemporalis bezeichnet wird, wird zum Ausdruck gebracht, dass man es nicht als Tempus ansieht. Die Unmöglichkeit, Tempusbedeutungen invariant voneinander abzugrenzen, zeigt sich z.B. am Verhältnis von Präs. und Futur und von Perfekt und Prät. Insbesondere Perf. und Prät. scheinen gelegentlich deutlich voneinander abgrenzbar, sehr oft aber auch ohne Verlust an Bedeutungseffekten austauschbar. Zu diesen Schwierigkeiten einer Systembeschreibung kommt die Varietätenproblematik hinzu. Ein Tempussystem des Dt. mit seinen kanonischen sechs Tempora existiert in dieser Weise in Annäherung nur in der Standardsprache, mit zusätzlichen Besonderheiten im österr. Standard. So verliert ein Perf. sprachübergreifend stets nach einiger Zeit seine Besonderheiten und wird zu einem undifferenzierten einfachen Vergangenheitstempus, wenn man die Besonderheit der Standardsprache und der Schriftlichkeit ausklammert (vgl. Litvinov/Nedjalkov 1988). Die Entwicklung zu einem periphrastischen Futur haben Dialekte und auch Umgangssprachen im Dt. im Wesentlichen nicht mitgemacht. Hier ist das Präs. im Prinzip alleiniger Zukunftsausdruck geblieben. In der Standardsprache und ins-

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Tempuswechsel 734 besondere in schriftlichen Texten ist ein Tempus Futur jedoch vorhanden. Allerdings wird es auch in der Standardsprache weniger häufig als die anderen Tempora verwendet, da es in Konkurrenz zu wollen/sollen + Infinitiv mit Zukunftsimplikatur steht. In Dialekten und Umgangssprachen hat andererseits das Perf. das Prät. weitgehend verdrängt. In diesem Fall ist das Perf. das neutrale Vergangenheitstempus ohne die Perfekteffekte, die es sonst vom Prät. und dessen Imperfekteffekten unterscheiden. Berücksichtigen muss man auch, dass es zwischen Standardsprache, Umgangssprachen und Dialekten keine scharfen Grenzen gibt. Da für die Standardsprache die Schriftlichkeit wesentlich ist und da Umgangssprache meist nur mündlich gebraucht wird, überlagert sich das Problem auch mit dem Unterschied von Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Man muss diese komplizierte Lage berücksichtigen. Wenn daher andererseits unter dem Eindruck von Mündlichkeit und Umgangssprache gelegentlich behauptet wird, dass es im Dt. die in den Grammatiken postulierten Unterschiede zwischen Prät. und Perf. gar nicht gebe, so wird das der Vielschichtigkeit des Problems nicht gerecht. Klaus Welke

→ § 16; Atemporalis; Nebentempus; Perfekt; Plusquamperfekt; Tempus; Tempuswechsel

⇀ Tempussystem (SemPrag)

🕮 Comrie, B. [1985] Tense. Cambridge ◾ Heine, B. [1995] On the German werden future. In: Abraham, W./ Givón, T./ Thomp­ son, S.A. [eds.] Discourse grammar and typology. Papers in honor of John W.M. Verhaar. Amsterdam [etc.]: 119–138 ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

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Tempuswechsel

Wechsel von synonymen Tempusformen in einem Text und dessen Regularitäten. ▲ change of tense: change of synonymous tense forms in a text and its regularities. Der Terminus bezieht sich auf den Wechsel von bedeutungsgleichen Tempusformen im Verhältnis zum semantisch diskreten Gebrauch dieser Tempora, d.h. zum Wechsel dieser Formen als bedeutungsverschiedene Tempusvarianten. Es geht somit um jene Wechsel der Formen im Verlauf eines Textes, die etwas mit den zahlreichen se-

mantischen Überschneidungen zwischen Tempora zu tun haben. Standardfälle sind der Wechsel von Prät. und Plq.perf., von Perf. und Prät. und von Präs. und Futur. Beim Wechsel von Prät. und Plq.perf. geht es zunächst um den Wechsel von einfacher Vergangenheit (Prät.) und Vorvergangenheit (Plq.perf.). Interessant sind dann in diesem Zusammenhang aber auch die nicht seltenen Fälle, in denen an der Stelle des Plq.perf. ein Prät. steht, obwohl es sich um Vorvergangenheit handelt. Beim Perfekt-Präteritum-Wechsel handelt es sich einerseits um typische Perfekt-Kontexte wie den Kontext des Berichtens, in denen an der Stelle des zu erwartenden Perf. ein Prät. steht, und um die semantischen, pragmatischen und formalgrammatischen Ursachen und Bedingungen des Wechsels. Andererseits geht es um die Bedingungen des Wechsels zum Perf. in einem Präteritum-Kontext wie dem Erzählen. Der Futur-Präteritum-Wechsel ist der Wechsel von Futur und Präs. als Zukunftstempora. Es geht u.a. darum, ob sich die beiden Tempora als Zukunftstempora in Nuancen unterscheiden. Es geht aber auch um die Varietätenzugehörigkeit (Umgangssprache – Standardsprache, gesprochene Sprache – geschriebene Sprache) und um formalgrammatische Bedingungen. Darüber hinaus gibt es weitere Überschneidungen wie den Wechsel von Prät. und Präs., vgl. den Terminus des historischen bzw. szenischen Präsens, den Wechsel von Plq.perf. und Perf. oder den Wechsel von Prät. und Futur Prät. Klaus Welke

→ Futur des Präteritums; Futur I; historisches Präsens;

Perfekt; Plusquamperfekt; Präsens; Präteritum; szenisches Perfekt; szenisches Präsens; Tempus; Tempussystem

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

termbildender Subjunktor

Subjunktor, der einen Satz in einen anderen als Term einbettet. ▲ term-forming subordinating conjuction: subjunctor whose function is to subordinate a clause as a term. Termbildende Subjunktoren wie im Dt. dass und

735 Tilde ob kategorisieren logisch-semantisch den abhängigen Satz, den sie einleiten, in Bezug auf den Obersatz, auf den sie sich beziehen, als Term. Das bedeutet: Aus dem Satz wird ein Argument zum Verb des Obersatzes (Ich sehe, [Term [Term/VP dass] [VP es regnet.]] = 'Ich sehe '). Der mit dass eingeleitete Satz wird zu einem Nebensatz, der als eine Entität des Obersatzes zu interpretieren ist.

↔ adverbialbildender Subjunktor → Konnektor; Subjunktor → Gram-Syntax: Ergänzungssatz; Term

Christine Römer

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.2). Berlin [etc.].

terminative Aktionsart

Phasenaktionsart, die ein Geschehen als zeitlich begrenzt und abgeschlossen kennzeichnet. ▲ terminative aktionsart: phasal lexical aspect marking an action as temporally limited and completed. Terminative Verben werden auch als Endstationsverben bezeichnet (Schlegel 2002: 23). Sie haben in ihrer Bedeutung einen Endpunkt, eine innere Grenze, mit deren Erreichen sich die Handlung erschöpft, z.B. durchqueren, einschlafen, erwachen.

→ Aktionsart; kursives Verb → Gram-Syntax: Aspekt

Christine Römer

🕮 Nicolay, N. [2007] Aktionsarten im Deutschen. Prozessualität und Stativität. Tübingen ◾ Schlegel, H. [2002] Bildung, Bedeutung und Gebrauch des russischen Verbalaspekts. Teil1: Theoretische Grundlagen. München.

Themavokal

zwischen dem Grundmorphem und den Flexionssuffixen auftretender Vokal. ▲ theme vowel; thematic vowel: vowel separating the stem from the following inflectional suffixes. In vielen ide. Sprachen dient der semantisch leere Themavokal (meist derivationellen Ursprungs) als Grundlage für die Unterscheidung der Konjugations- bzw. Deklinationsklassen (z.B. Verbklassen im Span. cant-a-r 'singen', com-e-r 'essen', dorm-i-r 'schlafen') und entscheidet über die Wahl der Flexionssuffixe, z.B. Indikativ Imperfekt canta-ba, mov-ía, dorm-ía. Gemäß der Analyse der dt. Verbalflexion nach Kloeke (1993) sei das auslautende Schwa in der 1. Pers. Sg. Präs. Indikativ ein Themavokal (z.B. ich denk-e-∅), da es auch in ho-

monymen Formen 1./3. Pers. Sg. Präs. Konjunktiv auftrete und daher keine Personmarkierung sei. Im Gegensatz zur thematischen Flexion tritt die Flexionsendung bei athematischen Verben oder Substantiven direkt an das nicht weiter analysierbare Grundmorphem. Geht man davon aus, dass das auslautende Schwa in 1. Pers. Sg. Präs. Indikativ eine Person/Numerus-Endung ist, so gilt die dt. Flexion als athematisch: (ich) denk-e, (du) denk-st. Themavokale, auch stammbildende Suffixe genannt, stammen meist von einstigen Derivationssuffixen ab. In der ide. Ursprache bilden sie gemeinsam mit dem Grundmorphem (Wurzel) den Stamm, an den die Flexionselemente treten (z.B. ghost-i-s 'Gast'). Während die stammbildenden Suffixe noch im Germ. die Deklinationsklassen bestimmen (u.a. i-Stämme wie gast-i-z 'Gast'), führt ihr sukzessiver Abbau in der Entwicklung des Dt. zum Übergang zur athematischen Nominalflexion (z.B. Gäst-e).

→ Flexion; Stamm; Wurzel ⇀ Themavokal (HistSprw)

Renata Szczepaniak

🕮 Kloeke, W. van Lessen [1993] Die finiten Formen des deutschen Verbs. Eine morphologische Analyse. In: Laisina, I./ Kloeke, W. van Lessen/ Ester, H. [Hg.] Zäsur. Zum Abschied von Gregor Pompen am 1. September 1993. Nijmegen: 81–93.

Tilde

Schriftzeichen in Form einer kleinen Wellenlinie. ▲ tilde; swung dash: character with the form of a little wavy line. Die Tilde, dargestellt durch das Symbol „~“, kann als diakritisches Zeichen in bestimmten Sprachen in Verbindung mit einzelnen Buchstaben und anderen Diakritika verwendet werden. Die Tilde dient zur Bezeichnung phonologischer Phänomene wie Vokalqualität bei einem Einzelphonem, Nasalierung, Palatalisierung, zur Tonhöhe bei Tonsprachen sowie Länge von Vokalen und Konsonanten. Die Tilde ist in einigen Sprachen (z.B. im Dt. und Engl.) auch ein eigenständiges Satzzeichen (z.B. in Wörterbuchartikeltexten als Platzhalter) und wird in Fachsprachen wie Mathematik, Physik, Logik und Informatik als Symbolzeichen mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Hang Ferrer Mora

→ Akut; Interpunktion ⇀ Tilde (HistSprw); Tilde (1) (Schrling); Tilde (2) (Schrling)

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Tmesis 736 🕮 Gallmann, P. [1985] Graphische Elemente der geschriebenen Sprache. Grundlagen für eine Reform der Orthographie

(RGL 60). Tübingen ◾ Kramer, J. [1996] Verschriftungsarten und -tendenzen in der Romania. In: Holtus, G./ Metzeltin, M./

Schmitt, C. [Hg.] Lexikon der Romanistischen Linguistik 2/1. Tübingen: 584‑597 ◾ Nohl, M. [2007] Workshop Typografie & Printdesign: ein Lern- und Arbeitsbuch. Heidelberg.

Tmesis

Trennung eines Wortes durch den Einschub anderer Morpheme oder Wortformen. ▲ tmesis: separation of a word by the insertion of other morphemes or words.

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Der Terminus Tmesis hat eine lat.-griech. Herkunft und klingt nicht zufällig wie eine Bezeichnung für eine Stilfigur: Tatsächlich ist damit in der Rhetorik das Zerschneiden einer Wortform durch den Einschub anderer Elemente gemeint (Lausberg 1990: 109). Im Dt. und in einigen anderen Sprachen können oder müssen Wörter regelmäßig zerschnitten werden, um ihre Bestandteile in eine andere Reihenfolge zu bringen oder um andere Morpheme und Wortformen einzuschieben. Damit soll meistens kein besonderer stilistischer Effekt erzielt werden ((1)–(4)). (1) Da habe ich mir nichts Besonderes bei gedacht. [Rattenfängerkonstruktion als Alternative zu (1a)] (1a) Dabei habe ich mir nichts Besonderes gedacht. (2) Ich habe dich gebeten, auf deinen kleinen Bruder aufzupassen. Du hast gut aufgepasst. Bitte pass auf! Du passt jetzt auf deinen kleinen Bruder auf. In (2) liegen morphologische oder syntaktische Trennungen vor. Die Distanzstellung von Verbpartikel und Verbstamm ist bei Partikelverben wie aufpassen alternativlos. (3) Wo geht ihr am liebsten hin? Hier liegt Tmesis wo ... hin vor oder das Frageadverb wo + das Partikelverb hingehen als Alternative zu (3a). (3a) Wohin geht ihr am liebsten? (4) This picture you talked about. [preposition stranding] Die spezielleren Termini morphologische Trennung, syntaktische Trennung, Distanzstellung, Stranding und Rattenfängerkonstruktion sind in

der Grammatik gebräuchlicher als das veraltende Fachwort Tmesis. Franziska Münzberg

→ Morphem; Partikelverb; Wortform → Gram-Syntax: Distanzstellung; Rattenfängerkonstruktion; Scrambling

⇀ Tmesis (Wobi; HistSprw; Phon-Dt; Lexik) ⇁ tmesis (Phon-Engl)

🕮 Lausberg, H. [1990] Elemente der literarischen Rhetorik. 10. Aufl. Ismaning.

Träger-Dativ

Dativ-Phrase, die den Träger eines Kleidungsstückes bezeichnet. ▲ wearer dative: dative phrase which designates the person who wears a piece of clothing. In der Fachlit. (vgl. u.a. Helbig/Buscha 2001: 263; Wegener 1985: 92, 104f.) wird z.T. zwischen Pertinenzdativ (1) und Träger-Dativ (2) unterschieden. Ersterer drückt eine haben-Beziehung aus, der zweite bezeichnet den „Träger“ von Kleidungsstücken. Helbig/Buscha (2001: 264) definieren die Träger-Relation wie folgt: „X trägt Y / X hat Y an“. (1) Mir schmerzt der Arm. (2) Ich ziehe mir deine Jacke an. Wegener (1985: 104–115) plädiert dafür, den Träger-Dativ als Hyponym bzw. Variante des Pertinenzdativs (als Hyperonyms) zu betrachten. Fabio Mollica

→ dativus possessivus; freier Dativ; Objektsdativ; Pertinenzdativ; Zugehörigkeitsdativ

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen.

Transfix

Affix, dessen einzelne Teile an mehreren Stellen in einen Stamm eingefügt werden. ▲ transfix; intercalated affix: affix whose elements are discontinually inserted into a root. Transfixe dienen der Transfigierung. Hauptsächlich in den semitischen Sprachen werden die Stämme, die aus Konsonanten bestehen, mithilfe der mehrvokaligen Transfixe flektiert. Transfixe können mit anderen Affixen kombiniert werden, vgl. arab. ktb 'schreiben', katab 'er schrieb', kitabi 'geschrieben', kitab 'Buch', kutub 'Bücher', maktaba 'Bibliothek'. Diese Art der Affigierung kommt auch in den afro-asiatischen Sprachen vor. Der

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transitives Adverb

Begriff wird nicht von allen akzeptiert, da oft alternative morphologische Analysen möglich sind. Hilke Elsen

→ Affix; gebundenes Morphem; Morphem; Stamm ⇀ Transfix (Wobi) ⇁ transfix (Typol)

🕮 Broselow, E. [2000] Transfixation. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 552–557 ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301.

transformative Aktionsart

Phasenaktionsart, die eine Zustandsveränderung ausdrückt. ▲ transformative aktionsart: phasal lexical aspect describing a change of state. Transformative Verben wie werden, verlieren, altern kennzeichnen die Überführung eines Zustands (Vorzustand) in einen anderen Zustand (Nachzustand). Diese Veränderung bezeichnet oft das Gegenteil des Ausgangszustands (altern → nicht mehr jung sein). Christine Römer

↔ intransformative Aktionsart → Aktionsart; Ereignisverb; inchoative Aktionsart; mutatives Verb; Phasenaktionsart

→ Gram-Syntax: Aspekt

🕮 Fabricius-Hansen, C. [1975] Transformative, intransformative und kursive Verben. Tübingen. ◾ Nicolay, N. [2007] Aktionsarten im Deutschen. Prozessualität und Stativität. Tübingen ◾ Wunderlich, D. [1970] Tempus und Zeitreferenz im Deutschen. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

transformatives Verb ≡ mutatives Verb

transitiv

Eigenschaft von Verben, die ein Akkusativobjekt zulassen, das im Passiv zum Subjekt im Nominativ wird. ▲ transitive: verbs selecting an accusative object which becomes the nominative subject in the passive. Transitive Verben sind u.a. essen, lieben, sehen, schreiben, entwickeln. (1) Albert Einstein entwickelte die Relativitätstheorie. (2) Die Relativitätstheorie wurde von Albert Einstein entwickelt.

Das Akkusativobjekt die Relativitätstheorie (1) wird zum Subjekt im Passivsatz (2). Das ursprüngliche Subjekt Albert Einstein hingegen wird durch eine PP realisiert. Das transitive Verb entwickeln steht im Passivsatz mit dem Hilfsverb werden. Bei transitiven Verben kann das direkte Objekt obligatorisch (3) oder fakultativ sein ((4), (5)). (3) Der Forscher hat eine neue Theorie entwickelt. (3a) *Der Forscher hat entwickelt. (4) Der Forscher hat (einen Artikel) gelesen. (5) Frau Müller hat (den Kaffee) gekocht. Auch wenn kein direktes Objekt vorhanden ist, spricht man von transitiven Verben, die in einem solchen Fall intransitiv benutzt werden. Eine Passivierung ist mit den sog. pseudotransitiven Verben bzw. Mittelverben (wie z.B. bekommen, besitzen, enthalten, erhalten, kriegen) nicht möglich: (6) Die Tasche enthält ein Portemonnaie. (7) *Ein Portemonnaie wird von der Tasche enthalten. Einige Verben (z.B. backen, brechen, hängen, kochen) können sowohl transitiv als auch intransitiv verwendet werden. Im letzten Fall wird das Objekt des transitiven Verbs zum Subjekt des intransitiven: (8) Ich habe das Wasser gekocht. (9) Das Wasser hat gekocht. Manchmal wird dieser Unterschied morphologisch ausgedrückt: (10) Die Behörden haben den Preis des Öls gesenkt. (11) Der Preis des Öls ist gesunken. Anna Cardinaletti, Marco Coniglio

↔ intransitiv → Mittelverb; Passiv; pseudotransitives Verb; transitives Verb → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; direktes Objekt

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

transitives Adverb

funktional definierte Teilklasse der unflektierbaren Wörter, die eine NP regieren können. ▲ transitive adverb: functionally defined subclass of uninflectable words which are able to take complements. Der Terminus transitives Adverb ist eine besondere Bezeichnung für Ausdrücke, die zwar katego-

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transitives Verb 738 rial zu den Präpositionen zählen, aber sich funktional wie Adverbien verhalten. Dies wird z.B. an der funktionalen Verwandtschaft zwischen adverbialen Präpositionalgruppen und Adverbien ersichtlich. Die transitiven Adverbien setzen wie Präpositionen zwei Größen zueinander in Bezug, werden autonom oder frei gebraucht und regieren eine NP (deshalb die Bezeichnung transitiv) und haben eine konkrete lexikalische Bedeutung. (1) Eine Gruppe junger Jäger rastet auf einer Felsformation. (Nürnberger Nachrichten, 09.11.2011: 7) (2) Man schläft in geräumigen Zimmern, über den Betten hängen Baldachine […]. (SZ, 08.09.2016: 36) Umgekehrt können Adverbien wie hier, da oder dort in der Fachlit. als intransitive Präpositionen bezeichnet werden. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Präposition; Transitivität; verbregierte Präposition → Gram-Syntax: Kasusrektion

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Wunderlich, D. [1984] Zur Syntax der Präpositionalphrase im Deutschen. In: ZS 3: 65–99.

transitives Verb

Verb mit einem direkten Objekt, das im Passiv zum Subjekt wird. ▲ transitive verb: verb with a direct object which becomes the nominative subject in the passive.

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Verben, die transitiv sind, eröffnen eine Subjektleerstelle und fordern ein Akkusativobjekt (1), das im Passiv zum Subjekt wird (2). (1) Wir verkaufen das Haus. (2) Das Haus wird verkauft. In der Typologie wird jedes Verb als transitiv bezeichnet, das ein Objekt bei sich haben kann, d.h. ein Dativobjekt (3), ein Genitivobjekt (4) oder ein Präpositionalobjekt (5). (3) Ich bin meiner Kollegin begegnet. (4) Sie bedarf unserer Hilfe. (5) Ich warte auf Norbert. Tamás Kispál

→ be-Verb; intransitiv; intransitives Verb; transitiv → Gram-Syntax: Akkusativobjekt; direktes Objekt; Objekt ⇀ transitives Verb (CG-Dt) ⇁ transitive verb (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4).

Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E. [Hg. 2010] Deutsche Grammatik. Berlin [etc.].

transitiv-intransitives Verb

Verb, das sowohl ergativisch als auch absolutivisch konstruiert ist. ▲ transitive-intransitive verb: verb that is constructed both as an ergative and as an absolutive. Verben, die sowohl ergativisch als auch absolutivisch konstruiert werden, kommen in einigen kaukasischen Sprachen vor. Der Ergativ markiert das Agens, der Absolutiv markiert die Subjekte intransitiver und die Objekte transitiver Verben. Diese werden auch als diffuses Verb oder labiles Verb bezeichnet. Tamás Kispál ≡ labiles Verb → Absolutiv; Ergativ; intransitives Verb; transitives Verb

🕮 Ágel, V. [2007] Die Commonsense-Perspektivierung von labilen Verben im Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie rezessiv-kausativer Alternationen. In: Lenk, H.E.H./ Walter, M. [Hg.] Wahlverwandtschaften. Valenzen – Verben – Varietäten. Festschrift für Klaus Welke zum 70. Geburtstag. Hildesheim [etc.]: 65–88 ◾ Chicobava, A.S. [1942] The problem of ergative construction in Caucasian languages: stabile vs. labile variants of this con­ struction (Izvestija Instituta jazyka, istorii i material'noj kul'tury XII). Tbilisi ◾ Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity (CamStLing 69). Cambridge.

Transitivität

Valenzeigenschaft der Teilklasse von Verben, die als obligatorische oder fakultative Ergänzung ein direktes Objekt fordern. ▲ transitivity: valency-related property of a verbal subclass which requires a direct object as an obligatory or facultative complement. Im Dt. enthält ein typischer Satz mit transitivem Verb (1) drei Komponenten – ein Subjekt (Ich), ein direktes Objekt (das Buch) und ein Prädikat (kaufe). (1) Ich kaufe das Buch. Bei der Passivbildung rückt das direkte Objekt transitiver Verben an die Stelle des Subjekts. (1a) Das Buch wird gekauft. In Erweiterung dazu werden aber auch solche Verben als transitiv bezeichnet, die indirekte Objekte fordern (z.B. vertrauen oder glauben). Transitive Verben können auch in intransitiver Verwendung auftreten, wenn z.B. keine aktuelle Realisierung des direkten Objekts vorliegt:

739 (2) Er schreibt einen Brief. (2a) Er schreibt viel. Ebenso können intransitive Verben transitiv gebraucht werden, was selten und z.B. in poetischen Texten vorkommt (vgl. Helbig/Buscha 2001: 49): (3) Die Glocke tönt einen traurigen Gesang. Es wird davon ausgegangen, dass die syntaktischen Rollen des Subjekts und des direkten Objekts im transitiven Satz typischerweise den semantischen Rollen des Agens und des Patiens entsprechen. Transitivität wird im Zusammenhang mit syntaktischer Valenz diskutiert, wobei Van Valin/LaPolla (1997: 147–154) zu dem Schluss kommen, dass Transitivität nicht durch die Anzahl der syntaktischen Argumente eines Verbs charakterisiert werden kann. Diese ist vielmehr in Bezug auf seine Makrorollen, d.h. seine generalisierten semantischen Rollentypen (Van Valin/LaPolla 1997: 141) zu definieren. Im Anschluss an Narashiman (1998) wird demzufolge zwischen S-Transitivität (= syntaktische Transitivität im Sinne der Anzahl der syntaktischen Argumente eines Prädikats) und M-Transitivität (= Anzahl der in der Ereignisstruktur vorliegenden Makrorollen) unterschieden. So ist das ditransitive Verb geben zwar in syntaktischer Hinsicht dreistellig, da es ein Subjekt, ein direktes Objekt und ein indirektes Objekt fordert. Die Anzahl der Makrorollen ist allerdings auf zwei („actor“ und „undergoer“, vgl. Van Valin/LaPolla 1997: 150f.) beschränkt, weshalb es in dieser Hinsicht als zweistellig bzw. transitiv eingestuft wird. Der Kognitiven Grammatik zufolge ist die Struktur des transitiven Satzes besonders gut für die Enkodierung des kanonischen Ereignismodells geeignet (vgl. Smirnova/Mortelmans 2010: 122f.), das auf folgende Weise charakterisiert wird: "it represents the canonical way of apprehending what is arguably the most typical kind of occurrence. […] this occurrence is identified as a bounded, forceful event in which an agent […] acts on a patient […] to induce a change of state" (Langacker 2008: 357). In universalgrammatischen Ansätzen wird eine Diskussion über unterschiedliche Grade von Transitivität geführt, die von verschiedenen Transitivitätsfaktoren wie etwa der Form der Negation, der Belebtheit oder der Aktionsart abhängen. Hopper/Thompson (1980) haben mit Belegen aus unterschiedlichen Sprachen gezeigt, dass bei

trennbares Verb der Transitivitätsmarkierung eines Satzes mit Hilfe von Verbflexion, Kasus oder Adpositionen jeder der Transitivitätsfaktoren von Relevanz ist. In ihrer Theorie wird semantische Transitivität als ein Bündel von miteinander verwobenen, semantischen Komponenten dargestellt (vgl. Kibrik 1993: 48). Semantische Komponenten der Transitivität sind diesem Ansatz zufolge die Agentivität, die Zahl der Teilnehmer, die Betroffenheit des Patiens, der Aspekt und die Volitionalität (vgl. Hopper/Thomson 1980: 252). Marijana Kresić

→ § 11, 20; Passiv; Verb → Gram-Syntax: direktes Objekt; Ergänzung; fakultative Er-

gänzung; obligatorische Ergänzung; Universalgrammatik; Valenz ⇀ Transitivität (SemPrag; QL-Dt; CG-Dt) ⇁ transitivity (CG-Engl; Typol)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hopper, P.J./ Thompson, S.A. [1980] Transitivity in grammar and discourse. In: Lg 56: 251–299 ◾ Kribrik, A. [1993] Transitiv­ ity increase in Athabaskan languages. In: Comrie, B./ Polinsky, M. [eds.] Causatives and Ergativity. Amsterdam [etc.]: 47–67 ◾ Langacker, R.W. [2008] Cognitive Grammar. A Basic Introduction. Oxford ◾ Narasimhan, B. [1998] A lexical semantic explanation for 'quirky' case marking in Hindi. In: StL 52: 48–76 ◾ Smirnova, E./ Mortelmans, T. [2010] Funktionale Grammatik. Konzepte und Theorien. Berlin [etc.] ◾ Van Valin, R.D./ Lapolla, R.J. [1997] Syntax: Structure, Meaning and Function. Cambridge.

trennbares Präfix ≡ Verbpartikel

trennbares Verb

komplexes Verb, dessen Konstituenten in bestimmten syntaktischen Konstruktionen eine Wortform bilden, in anderen syntaktischen Konstruktionen aber voneinander getrennt stehen. ▲ separable verb: complex verb whose constituents form one word form in particular syntactic constructions but are separated in other syntactic constructions. Viele verbale Bildungen des Dt. bestehen aus zwei nicht-flexivischen Konstituenten – einem Erstglied und einem Verbstamm –, die im Infinitiv und bei Verbletztstellung zusammengeschrieben werden, in anderen Konstruktionen aber zwei orthographische Wörter, d.h. getrennte, diskontinuierliche Konstituenten bilden. Die Erstglieder sind häufig präpositionale und adverbiale, aber

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Trennstrich 740

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auch adjektivische, substantivische und verbale Elemente (1). (1) abschlachten, hinrichten, kaltmachen, teilnehmen, kennenlernen Eine morphologische Trennung der Konstituenten liegt vor, wenn bei der Bildung von Infinitivkonstruktionen mit zu oder des Partizips II die Infinitivpartikel bzw. der Morphemteil ‑gedes Partizipmorphems zwischen Erstglied und Stamm geschoben wird ((2), (3)). Das Resultat bleibt eine Wortform. (2) um abzuschlachten/kaltzumachen/kennenzulernen (3) abgeschlachtet/kaltgemacht/kennengelernt haben Eine syntaktische Trennung liegt vor, wenn bei Verberst- oder Verbzweitstellung die flektierte, zweite Konstituente als linke Satzklammer fungiert und das Erstglied die rechte Satzklammer bildet ((4), (5)) oder (seltener) ins Vorfeld rückt. (4) Wir schlachten ihn heute ab. (5) Macht ihr sie morgen kalt? Prototypische trennbare Verben sind morphologisch und syntaktisch trennbar. Ist ein Verb syntaktisch trennbar, so ist es auch morphologisch trennbar. Über den morphologischen bzw. syntaktischen Status der syntaktisch trennbaren Verben (Partikelverben) herrscht keine Übereinstimmung: Sie werden als Wortbildungsprodukte analysiert, aber auch als syntaktische Verbindungen von Verben und nur in bestimmten Fällen mit fest an diese herantretende Verbzusätze. Nur morphologisch trennbar sind meist Rückbildungs- und Konversionsprodukte sowie Komposita aus zwei Verbstämmen (z.B. bergsteigen: Ich bin berggestiegen; aber: ??Ich steige berg; ähnlich haushalten, spritzgießen). Ihr Gebrauch ist häufig auf Infinitiv und Partizip II beschränkt; Akzeptanzurteile zur möglichen Trennbarkeit und zur finiten Verwendung fallen unterschiedlich aus (vgl. Freywald/Simon 2007). Diese Verben sind einer Übergangszone zwischen trennbaren und untrennbaren Verben zuzuordnen. Im Engl. wird von trennbaren Verben gespro-

chen, wenn bei den sog. phrasal verbs Satzglieder zwischen Verb und Partikel treten können; vgl. (6) und (6a) mit dem (trennbaren) phrasal verb turn on. (6) They turned the TV on. (6a) They turned on the TV. Michael Mann

↔ untrennbares Verb → § 16; Partikelverb; Verb; Verbzusatz; Wortform → Gram-Syntax: Konstituente ⇀ trennbares Verb (Wobi)

🕮 Freywald, U./ Simon, H.J. [2007] Wenn die Wortbildung die Syntax stört. Über Verben, die nicht in V2 stehen können. In: Kauffer, M./ Métrich, R. [Hg.] Verbale Wortbildung – im Spannungsfeld zwischen Wortsemantik, Syntax und Rechtschreibung (Eurog 26). Tübingen: 181–194 ◾ Fuhrhop, N. [2007] Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Tübingen ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Šimečková, A. [1994] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen I (ActUniCar CXIX). Prag ◾ Šimečková, A. [2002] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen II. Funktionalisierung von Trennbarkeit und Untrennbarkeit beim komplexen Verb ­(ActUniCar CXXXVII). Prag.

Trennstrich

Wortzeichen mit der Funktion, Worttrennungen am Zeilenende anzuzeigen. ▲ hyphen at the end of a line: word punctuation mark with the function of indicating the division of a word at the end of a line. Katharina Siedschlag

→ Bindestrich; Ergänzungsstrich; Gedankenstrich; Interpunktion

⇀ Trennstrich (Schrling)

🕮 Bredel, U. [2008] Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens (LA 522). Tübingen ◾ Gallmann, P. [1996] Interpunktion (Syngrapheme). In: Günther, H./ Ludwig, O. [Hg.] Schrift und Schriftlichkeit (HSK 10.2). Berlin [etc.]: 1456–1467.

Tunwort ≡ Verb

Tuwort

≡ Verb

U Übergeneralisierung

sprachlicher Fehler, der darauf basiert, dass ein vertrautes Muster oder eine gelernte Regel über den eigentlichen, normativ akzeptierten Geltungsbereich hinaus angewandt wird. ▲ overgeneralization; hypergeneralization: linguistic mistake based on the transfer of a once learned pattern or rule to a domain where the application of the pattern or rule is normatively not accepted.

Die Übergeneralisierung ist ein vor allem für die Spracherwerbsforschung und die Sprachdidaktik relevantes Phänomen. Ein typisches und immer wieder beobachtbares Beispiel für Übergeneralisierungen bei Lernern des Dt. – insbesondere beim Mutterspracherwerb von Kindern – ist die Übertragung der Formenbildung des Prät. bei schwachen Verben auf starke Verben (z.B. fliegte für flog, sitzte für saß). Ein anderes Beispiel ist die über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinausschießende Anwendung des s-Pl. (z.B. die Ritters anstelle des normativ verankerten Nullpl. die Ritter). Übergeneralisierungen zeigen einen bereits erfolgreichen Lernprozess an, insofern sie voraussetzen, dass ein Lerner vorhandene sprachliche Muster bzw. Regeln erkannt hat. Karsten Schmidt

→ schwaches Verb; starkes Verb → Gram-Syntax: Regel; Spracherwerb ⇀ Übergeneralisierung (Sprachdid; SemPrag)

🕮 Linke, A./ Nussbaumer, M./ Portmann, P. [2004] Studienbuch Linguistik (RGL 121). 5., erw. Aufl. Tübingen ◾ Tracy, R. [2008] Wie Kinder Sprachen lernen und wie wir sie dabei unterstützen können. 2. Aufl. Tübingen.

Umfangskasus

morphologischer Kasus, der den Umfang des durch das Nomen bezeichneten Gegenstands angibt. ▲ case of extent; case of limited scope: morphological

case indicating the extent or scope of the object denoted by the nominal phrase. Von den russ. Kasus bezeichnet Jakobson (1936/1971) den Genitiv und den Lokal als Umfangskasus. Beide Kasus gliedern sich in zwei getrennte Kasus, nämlich die reinen (merkmallosen) Umfangskasus Genitiv I und Lokal I, die den bezeichneten Gegenstand jeweils „als Gestalt“ darstellen, und die merkmalhaltigen Genitiv II und Lokal II, die zugleich Umfangskasus und Gestaltungskasus sind und den Gegenstand im Sachverhalt der Aussage als „etwas Gestaltendes oder zu Gestaltendes“ darstellen (Jakobson 1936/1971: 62). Allgemein drückt der Genitiv „die Grenze der Teilnahme des bezeichneten Gegenstandes am Sachverhalte der Aussage“ aus (Jakobson 1936/1971: 38), d.h., der Umfang der Teilnahme am ausgedrückten Sachverhalt ist geringer als der gesamte Umfang des Gegenstands. Diese Definition trifft nach Jakobson auf alle Verwendungen des Genitivs zu, also nicht nur auf den adnominalen und adverbalen Genitiv (den partitiven Objektsgenitiv, den Genitiv der Grenze, der Trennung, des Ziels, der Negation usw.), sondern auch auf den Genitiv bei Adjektiven, den Subjektsgenitiv und den Genitiv in nominalen Fügungen; vgl. russ. stakan vody [Genitiv] ('ein Glas Wasser'), nabiraet deneg [Genitiv] ('er sammelt Geld'), ljudei [Genitiv] sobralos’ ('es haben sich Leute angesammelt'). Der Genitiv steht zu den beiden Vollkasus Nominativ und Akkusativ, die keine Umfangsverhältnisse anzeigen, in einer Umfangskorrelation. Diese Umfangskorrelation weist Jakobson zufolge Ähnlichkeiten mit der verbalen Aspektkorrelation auf, vgl. russ. el [Imperfekt] chleb [Akkusativ] ('aß Brot') vs. poel [Perfekt] chleba [Genitiv] ('aß das Brot'). Im Gegensatz zum imperfekti-

Umlaut 742 ven Aspekt kennzeichnet der perfektive Aspekt „die absolute Grenze der Handlung“ (Jakobson 1936/1971: 40), also wie der Genitiv den „Umfang“ des Bezeichneten; vgl. aber auch: vypil [Perfekt] vino [Akkusativ] ('trank den Wein aus') vs. vypil [Perfekt] vina [Genitiv] ('trank etwas Wein aus') [partitiver Genitiv]. Schließlich ist auch der Lokal ein Umfangskasus, weil ein Nomen im Lokal einen Gegenstand bezeichnet, der „in der Aussage nicht in seinem vollen Umfange vertreten“ ist (Jakobson 1936/1971: 59). Der Lokal ist darüber hinaus zugleich ein Randkasus und weil er – im Gegensatz zu allen anderen präpositionalen Kasus – ausschließlich präpositional gebraucht werden kann, ist er „der Antipode des absolut merkmallosen“ Vollkasus Nominativ (Jakobson 1936/1971: 60). Ferner verhält sich der Lokal I zum Lokal II genau wie der Genitiv I zum Genitiv II. Der Lokal II ist somit Umfangskasus, Randkasus und Gestaltungskasus in einem. Klaas Willems

→ Genitiv; Gestaltungskasus; Kasusbedeutung; Markiertheitstheorie; Randkasus; Vollkasus

🕮 Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288 ◾ Jakobson, R. [1971] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: Jakobson, R. [1971] Selected Writings Vol. 2. World and Language. Berlin [etc.]: 23–71.

Umlaut

Assimilation des Vokals der Haupttonsilbe an den Vokal der neben- oder unbetonten Silbe. ▲ umlaut: assimilation of the vowel of the main stressed syllable to the vowel of the next or of the weakly stressed syllable.

U

Der von Jakob Grimm geprägte Ausdruck Umlaut bezeichnet (a) einen Typ des Vokalwechsels bzw. (b) einen bestimmten Typ Vokal (Duden 2009). (a) Der Vokalwechsel ist Prozess und Ergebnis der antizipierenden und partiellen Angleichung des Vokals der Haupttonsilbe an den Vokal der folgenden neben- oder unbetonten Silbe. Dabei kann zwischen Palatalisierung, Velarisierung, Hebung und Senkung unterschieden werden. Ein wichtiges Beispiel für Umlaute ist der in allen germ. Dialekten (mit Ausnahme des Got.) vorhandene i-Umlaut, der eine Palatalisierung hinterer und eine Palatalisierung und Hebung tiefer Vo-

kale bewirkte. Nach der phonologischen Deutung der Tatsachen waren die umgelauteten Vokale und Diphthonge ü, ä, üe, öu während der ahd. Periode in der Sprache als phonetische Laute vorhanden, aber sie fungierten nur als bedingte oder kombinatorische Varianten der Grundvokale. Ihr Erscheinen innerhalb eines Wortes oder einer Wortform war von einem folgenden umlautbewirkenden Faktor abhängig und wurde von diesem Faktor automatisch hervorgerufen. Solange die umlautbewirkenden i und j noch in der Sprache vorhanden waren, wurden die palatalen Varianten oder Allophone von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft nicht als selbständige Phoneme empfunden, und es bestand auch kein Bedürfnis, sie in der Schrift zu kennzeichnen (Dal 1967). Nach dem Verschwinden der i-haltigen Silben im Mhd. wurden die vorherigen Umlaut-Allophone zu eigenen Phonemen (Phonemspaltung), der Umlaut damit zu einer morphologischen Regel bei der Pluralbildung: Gast → Gäste; Vogel → Vögel. (b) Die nichtalternierenden Umlautvokale ä, ö, ü wie z.B. in Tür, Schüssel, schön, Hölle, Säge, Bär und Säule stellen im Nhd. ganz normale, selbständige Vokalphoneme bzw. Kombinationen von Phonemen dar. Sie sind als solche in den Lexikoneintragungen der Wörter repräsentiert und haben in dieser Hinsicht keinen anderen Status als die übrigen Vokale und Diphthonge (Wurzel 1984: 648). Andreas Osterroth

→ Akzentstelle; Stammsilbe; Stammvokal; Vokalwechsel ⇀ Umlaut (HistSprw; Wobi); Umlaut (1) (Phon-Dt); Umlaut (2) (Phon-Dt)

⇁ umlaut (1) (Phon-Engl); umlaut (2) (Phon-Engl)

🕮 Dal, I. [1967] Über den i-Umlaut im Deutschen. In: NphMit 68.1: 47–64 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Wurzel, W.U. [1984] Was bezeichnet der Umlaut im Deutschen? In: ZPSK 37/6: 647–663.

Umlaut, morphologischer → morphologischer Umlaut

Umlaut, obligatorischer → obligatorischer Umlaut

umschreibende Konjugation ≡ periphrastische Konjugation

743

unbestimmtes Zahlwort

Umstandswort

der Fortbewegung (Der Mann ist gegangen, aber nicht: *der gegangene Mann).

unakkusativisches Verb

→ ergatives Verb; intransitiv; intransitives Verb; transitiv; Verb → Gram-Syntax: Unakkusativitätshypothese ⇁ unaccusative verb (Typol)

≡ Adverb

intransitives Verb, dessen Subjekt Eigenschaften eines Objekts eines transitiven Verbs aufweist. ▲ unaccusative verb: intransitive verb whose subject has features of the object of a transitive verb. Ein unakkusativisches Verb ist ein intransitives Verb, das spezifische Eigenschaften hat, die bei anderen intransitiven Verben nicht vorzufinden sind. Ein häufig genannter Fall ist der in (1). (1) Er zerbricht das Glas. (1a) Das Glas zerbricht. Die Subjektergänzung von zerbrechen in (1a) hat dieselben Eigenschaften wie die Objektergänzung von zerbrechen in (1); das Subjekt in (1a) entspricht dem Objekt in (1). Dass die Konstituente in (1a) als Subjekt auftritt, liegt nach der Unakkusativitätshypothese daran, dass in Sprachen wie dem Dt. ein Satz im Aktiv zwingend ein Subjekt im Nominativ haben muss und dass direkte Objekte im Akkusativ nur in transitiven Sätzen zugelassen sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen unakkusativischen Verben und anderen intransitiven Verben ist der folgende: Bei transitiven Verben bezieht sich das attributiv gebrauchte Partizip II auf das Objekt des Verbs, von dem es abgeleitet ist. (2) Der Gärtner hat den Rasen gemäht. (2a) der gemähte Rasen (2b) *der gemähte Gärtner Bei gewöhnlichen intransitiven Verben ist ein attributives Partizip II nicht möglich, da kein Objekt vorhanden ist. (3) Die Kinder spielen im Garten. (3a) *die gespielten Kinder Hingegen kann bei unakkusativischen Verben ein Partizip attributiv auf das Subjekt bezogen sein: (4) Der Garten verwildert. (4a) der verwilderte Garten Als weitere Eigenschaft unakkusativischer Verben wird häufig genannt, dass sie ihr Perf. mit dem Hilfsverb sein bildeten (Das Glas ist zerbrochen; Der Garten ist verwildert); doch gibt es im Dt. auch nicht unakkusativische Verben, die ihr Perf. mit sein bilden, wie etwa die Verben

Rolf Thieroff

🕮 Burzio, L. [1981] Intransitive Verbs and Italian Auxiliaries. Ph.D., MIT ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen

Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Perlmutter, D.M. [1978] Impersonal passives and the unaccusative hypothesis. In: PBerkLingSo 4: 157–189 ◾ Zifo-

nun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

unbestimmte Verbform ≡ infinite Verbform

unbestimmter Artikel ≡ indefiniter Artikel

unbestimmtes Adverb ≡ Indefinitadverb

unbestimmtes Fürwort ≡ Indefinitpronomen

unbestimmtes Pronomen ≡ Indefinitpronomen

unbestimmtes Zahladjektiv ≡ indefinites Zahladjektiv

unbestimmtes Zahlwort

Wort, das eine unbestimmte Zahl ausdrückt und unterschiedliche Wortartprägung aufweisen kann. ▲ indefinite number; indefinite numeral word: word which expresses an indefinite number and may belong to various parts of speech. Nach grammatischen Gesichtspunkten werden unbestimmte Zahlwörter in Zahladjektive (in letzter Minute, der nächste Kunde), Zahlpronomina (etwas/einiges vergessen), Zahlsubstantive (eine Anzahl / eine Gruppe Studenten), Zahladverbien (zunächst, zuletzt) und Artikelwörter (jedes Kind, alle Briefe) eingeteilt, wobei sie weiter in folgende Gruppen (z.B. nach Duden 2006) unterteilt werden: (a) Mengenangabe (einige, Gruppe, Teil); (b) Ordinalzahl (Ordnungszahlen) (der Nächste, letz-

U

unechtes reflexives Verb 744 te); (c) Multiplikativum (mehrfach); (d) Gattungszahlwort (keinerlei).

Edyta Błachut ≡ Indefinitnumerale ↔ bestimmtes Zahlwort → Gattungszahlwort; Ordinalzahlwort; Zahladjektiv; Zahladverb; Zahlpronomen → Gram-Syntax: attributives Adjektiv; Mengenangabe

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

unechtes reflexives Verb ≡ reflexiv gebrauchtes Verb

unfestes Präfix ≡ Verbpartikel

unflektierbar

Eigenschaft einer Wortform, weder konjugierbar noch deklinierbar zu sein, so dass die Wortform formal nicht an das syntaktische Umfeld eines Satzes bzw. einer Phrase angepasst wird. ▲ uninflected: feature of a word form that is neither conjugable nor declinable and is not adapted to the syntactic surroundings of a sentence or a phrase. Benjamin Jakob Uhl

↔ flektierbar → Deklination; Konjugation; Partikel; Wortform

🕮 Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

unflektiertes Adjektiv

U

Form des Adjektivs, die weder eine starke noch eine schwache, sondern keine Flexion aufweist und somit endungslos ist. ▲ uninflected adjective: adjective which does not mark case, number and gender and is hence uninflected.

Generell unflektiert ist das nicht komparierbare oder komparierbare Prädikatsadj. im Positiv und Komparativ (der Tisch ist eckig, das Wetter ist schön, das Wetter ist schöner), das in Verbindung mit Verben wie sein, werden, wirken, finden und das sowohl subjekt- (die Wohnung ist zu klein) als auch objektbezogen (ich finde das Buch langweilig) vorkommt. Ebenfalls unflektiert ist das adverbiale Adj. (sie singt schön, er läuft schnell)

und das als Gradattribut beim Adverb oder einem anderen Adj. verwendete Adj. (er ist schön dumm, das Dorf liegt weit unten, das ist höchst unerfreulich) (Duden 2005: § 487). Attributiv ist das unflektierte Adj. die Ausnahme, z.B. (a) in festen und formelhaften Verbindungen meist als Rest alten Sprachgebrauchs und vor dem Subst., z.B. kein schöner Land, auf gut Glück; (b) dem Subst. nachgestellt, meist als Produktbezeichnung und in der Fachspr., z.B. Forelle blau, Henkell trocken. Außerdem gibt es eine relativ große Gruppe an generell unveränderlichen Adjektiven, z.B. einige wenige Lehnadjektive wie rosa, lila (das rosa Hemd, ein lila Kleid) mit ugs. Neigung zum Einschub eines -n- und Flexion (das rosane Hemd). Vor allem werden viele Herkunftsadjektive und die meisten Kardinalzahlen auch als Attribute nicht flektiert, z.B. die Hamburger Innenstadt, drei Hunde (Duden 2005: § 465–470). Mit Nullartikel vor geographischen Bezeichnungen werden ganz und halb nicht flektiert, z.B. ganz Leipzig, halb Europa gegenüber das ganze Leipzig, das halbe Europa mit flektierter Form nach bestimmtem Artikel (Engel 1996: 560). Elisabeth Bertol-Raffin

↔ flektiertes Adjektiv → Adjektiv; Adjektivadverb → Gram-Syntax: adverbiales Adjektiv; prädikatives Adjektiv; Satzadjektiv

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Trost, I. [2007] Die nicht-flektierten Adjektive. In: ZGL 34/3: 374–393.

unikales Morphem

Morphem, das nur in einem einzigen Wort einer Sprache vorkommt. ▲ cranberry morpheme: morpheme that appears in one single lexical unit of a language. Einmalige Einheiten wie bei cran-berry oder Himbeere und Brom-beere stehen in Reihe mit eindeutigen Komposita (Vogelbeere, Stachelbeere, Waldbeere). Ihr erster Teil wird als Kompositionsglied gewertet und muss, um zur Reihe zu passen, als lexikalisch analysiert werden. Hist. ist das richtig, weil ahd. hintberi, brāmberi zu ahd. hinta 'Hirschkuh' bzw. brāma 'Dornstrauch' gebildet wurden. Die Simplizia sind verloren gegangen und heu-

745 Universalie te sind diese Elemente in ihrer Bedeutung und in ihrem Morphemstatus nicht mehr aus sich heraus erkennbar. Sie sind in jedem Fall gebunden und einmalig und nur durch den Status in der Reihe bzw. durch die Verbindung mit einem anderen Morphem als lexikalische Morpheme bestimmbar. Solchen Elementen den Morphemstatus zu verweigern führt zu der Frage, als was Brombeere zu klassifizieren ist – als Simplex wäre nicht nachvollziehbar, da {beere} bereits ein Morphem bzw. Simplex ist, an das weiteres Material angehängt wird. So ist die Analyse als Kompositum immer noch die plausiblere Lösung. Analog dazu ist bei Nachtigall das Morphem {nacht} herauslösbar in Verbindung mit dem unikalen Morphem (i)gall, bei Schornstein {stein}. Andere unikale Morpheme sind Auerhahn, Damhirsch, Lindwurm, Fledermaus, Bräutigam, Butzenscheibe, Brackwasser, Samstag, ruchlos. Bei Verben sind sie selten (radebrechen). Hilke Elsen

→ gebundenes Morphem; Morphem; morphologischer Status ⇀ unikales Morphem (Wobi; Lexik; HistSprw; CG-Dt) ⇁ cranberry morpheme (CG-Engl)

🕮 Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Univerbierung

Zusammenwachsen mehrerer Wörter zu einem neuen. ▲ univerbation: process during which groups of words become a new word. Der Begriff der Univerbierung tritt teilweise wie der der Zusammenrückung auf, um Fälle wie Dreikäsehoch, Handvoll, Nimmersatt oder Vergissmeinnicht von den Komposita abzugrenzen. Der Terminus kann sich auf die hist. Sicht beziehen, bei der dann eine Abgrenzung zur Komposition nicht mehr möglich ist (Gotteshand), oder aber auch synchron auf Neologismen bezogen werden (das Sichimschneewälzen).

→ Komposition; Wortbildung ⇀ Univerbierung (Wobi; Lexik; HistSprw)

Hilke Elsen

🕮 Booij, G. [2005] The Grammar of Words. An Introduction to Linguistic Morphology. Oxford [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013]

Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Universalie

Eigenschaft der Sprachstruktur, die alle natürlichen Sprachen teilen. ▲ language universal: property of linguistic structure shared by all natural languages. Der Terminus Universalie (lat. universalis 'allgemein') bezeichnet Sprachstrukturen und -charakteristika, die allen Sprachen der Welt gemeinsam sind. In der Universalienforschung unterscheidet zuerst Chomsky (1969) zwischen substantiellen und formalen Universalien. Zu den substantiellen gehört die Annahme, dass alle Sprachen bestimmte syntaktische Kategorien besitzen. Zu den formalen zählen abstraktere Bedingungen, wie z.B., dass die Syntax Transformationsregeln enthalten solle. Greenberg (2005) geht von den beschreibbaren Korrelationen zwischen Struktureigenschaften von Sprachen aus. In seiner Universalienforschung hat er sich zunächst mit 40 Sprachen detailliert und danach mit 142 Sprachen gröber befasst, wobei er ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Rahmen einer Strukturtypik untersucht hat. Ausgangspunkt ist dabei die unmarkierte Folge der zentralen Satzglieder (Subjekt, Objekt, Verb) im Satz. Auf dieser Grundlage kann ermittelt werden, welche morphosyntaktischen Eigenschaften mit welchen Stellungstypen zusammen vorkommen und welche fast gar nicht korrelieren. Greenberg (2005) zeigt, dass linguistische Oppositionen wie z.B. Singular/Plural und positiv/negativ in allen Sprachen beobachtet werden können. Er entwickelte folgende Universalientypologie: (a) uneingeschränkte Universalien (Jede Sprache besitzt Vokale.); (b) universelle Implikationen (Wenn eine Sprache den Dualis aufweist, dann hat sie auch den Plural.); (c) beschränkte Äquivalenz; (d) statistische Universalien; (e) statistische Korrelationen; (f) universelle Häufigkeitsvorstellungen. Die Herausforderung für universalistische Hypothesen im Rahmen der Syntax besteht darin, dass der enge Zusammenhang mit der semanti-

U

Universalquantor 746

U

schen Dimension zu berücksichtigen ist. In den 70er Jahren des 20. Jhs. kommt es verstärkt zur Erforschung europ. Sprachen, wobei europ. Universalien, sog. Europeme, festgestellt werden. Es werden 65 europ. Sprachen untersucht, u.a. mit dem Ergebnis, dass alle die Kategorie Tempus als grammatische Zeit kennen, zudem unterscheiden alle formal die Modi Indikativ, Konditional, Imperativ. In aktuellen Untersuchungen zu sprachlichen Universalien wird der Universalität grammatischer Funktionen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Grammatische Funktionen gelten als grundlegend für die Determinierung von Eigenschaften syntaktischer Konstruktionen. Dixon (1994) unterscheidet split-S-Sprachen, d.h. Sprachen mit semantisch fundierten Markierungen, und fluid-S-Sprachen. Diese Unterscheidungen beziehen sich im Wesentlichen auf den Typ der Kasusmarkierung und -kongruenz. Falk (2006) geht davon aus, dass eine universale Struktur der Konstituenten in allen Sprachen vorhanden ist, während die Unterschiede in ihrem Verhältnis zu den grammatischen Funktionen liegen. In diesem Kontext wird auch die Frage nach dem Subjekt und seiner Relevanz für universale grammatische Relationen gestellt. So untersucht Falk (2006) den Stellenwert des Subjekts in verschiedenen Sprachen. Gegenüber Dixon (1994) und Van Valin/LaPolla (1997), die behaupten, grammatische Relationen wären nicht universal, kommt Falk (2006) in seinen Untersuchungen zu einem anderen Ergebnis. Diese Studien fokussieren anstelle von Relationen grammatische Funktionen und besagen, dass bestimmte Argument-Funktionen in jeder Sprache vorkommen. Eine zentrale, offenbar in jeder Sprache vorkommende Argument-Funktion ist das Subjekt als Ausdruck der prominentesten Argument-Funktion des Verbs, wobei die Zuordnung zu thematischen Rollen sprachübergreifend nicht einheitlich erfolgt. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass es Sprachen ohne Pivot gibt (Falk 2006). Die Existenz sprachlicher Universalien wird meistens entweder logisch bzw. psychologisch auf allgemein gültige Eigenschaften des menschlichen Denkens oder auf Gegebenheiten der sprachlich bezeichneten Wirklichkeit zurückgeführt. Croft (2010) betont, dass die Anzahl sog. typologischer Universalien größer sei als die Zahl sprachlicher Universalien. Grundsätzlich sei nicht einmal von

der Existenz konzeptueller Universalien (Croft 2010) auszugehen, sondern vielmehr von der Universalität der Konzeptualisierung bestimmter Situationstypen und ihrer Beziehungen zueinander. Marijana Kresić

→ § 1, 6, 24; Modus; Plural; Singular; Tempus → Gram-Syntax: Generative Grammatik; Pivot-Struktur; Satzglied; Stellungstyp; Struktur; Subjekt; Syntax

⇀ Universalie (CG-Dt) ⇁ language universal (Typol)

🕮 Bach, E./ Harms, R.T. [eds. 1968] Universals in Linguistic Theory. New York, NY ◾ Chomsky, N. [1969] Aspekte der Syntax-Theorie. Berlin ◾ Croft, W. [2010] Relativity, linguistic var­ iation and language universals. In: CogniT-onl 4/2010. [Unter: http://cognitextes.revues.org/303; letzter Zugriff: 24.02.2016] ◾ Dixon, R.M.W. [1994] Ergativity (CamStLing 69). Cambridge ◾ Falk, Y.N. [2006] Subjects and Universal Grammar. An Explan­ atory Theory. Cambridge ◾ Greenberg, J.H. [1966/2005] Lan­ guage universals. With special reference to feature hierarchies. The Hague [etc.] ◾ Haarmann, H. [1976] Grundzüge der Sprachtypologie. Stuttgart ◾ Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [eds. 2001] Language Typology and Language Universals. 2 Vols. (HSK 20). Berlin [etc.] ◾ Van Valin, R.D./ Lapolla, R.J. [1997] Syntax: Structure, Meaning and Function. Cambridge.

Universalquantor ≡ Allquantor

unmarkierter Flexionstyp

Flexionstyp, der in Sprachen mit Flexionsklassen am häufigsten vorkommt und am meisten den allgemeinen flexionsmorphologischen Regeln der Sprache entspricht. ▲ unmarked inflection type: inflection type which in languages with different inflection classes appears most frequently and corresponds most to the general inflection rules of the language. In Sprachen mit verschiedenen Flexionsklassen gibt es in der Regel einen unmarkierten Flexionstyp, der sich durch eine Reihe von Eigenschaften auszeichnet. So ist im Dt. die schwache Flexion des Verbs der unmarkierte Flexionstyp. Wurzel (2001: 72f.) nennt für diese Verben u.a. die folgenden Eigenschaften: (a) ihre Anzahl ist sehr viel größer als die der starken Verben; (b) starke Verben treten zu den schwachen über (backen, buk zu backen, backte), das Umgekehrte kommt nicht vor; (c) Neuwörter flektieren schwach (filmen, funken, streiken); (d) Nonsenswörter werden von Testpersonen schwach flektiert; (e) Versprecher wie greifte, gegreift für griff, gegriffen kommen

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unpersönliches Passiv

eher vor als Versprecher wie riff, geriffen für reifte, gereift; (f) die Regeln zur Bildung schwacher Formen werden sowohl im kindlichen Erstspracherwerb als auch beim Fremdsprachlernen früher beherrscht. All dies sind Eigenschaften eines unmarkierten Flexionstyps. Beim Subst. ist die Frage, welche Deklinationsklasse der unmarkierte Flexionstyp ist, weniger eindeutig. So ist zwar einerseits klar, dass bei den Nicht-Feminina der e-Plural der unmarkierte ist, doch ist umstritten, ob die Klasse mit Umlaut (Wolf – Wölfe) oder die Klasse ohne Umlaut (Hund – Hunde) der unmarkierte Flexionstyp ist. Rolf Thieroff

→ Flexion; Flexionsmorphologie; markierte Flexionskategorie → Gram-Syntax: Markiertheit

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Thieroff, R. [2009] Über den Pluralumlaut beim Substantiv. In: Eins, W./ Schmöe, F. [Hg.] Wie wir sprechen und schreiben. Festschrift für Helmut Glück zum 60. Geburtstag. Wiesbaden: 29–43 ◾ Wurzel, W. U. [2001] Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. 2. Aufl. Berlin.

unmarkiertes Genus

Genus, das natürlicher und allgemeiner, geschlechtsübergreifend oder geschlechtslos wirkt. ▲ unspecified gender; unmarked gender: more natural and universal gender used when a given form isn’t considered to be male or female. Beim Genus ist das Maskulinum in seiner generischen Funktion syntaktisch, semantisch und in der Wortbildung als unmarkiertes Genus verankert. So kann das Subst. in der NP der Student geschlechtsübergreifend verwendet werden. Die abgeleitete feminine Form die Student + in ist gegenüber der maskulinen formal komplexer aufgebaut (sie enthält zusätzlich ein Movierungssuffix) und ist in ihrem Gebrauch von vornherein auf Frauen beschränkt. Somit wird die feminine Form als markiert betrachtet. Darüber hinaus wird die semantische Aufwertung des Maskulinums als Default-Genus durch die Genusverteilung von Personen- und Tierbezeichnungen in Bezug auf das natürliche Geschlecht (Sexus) gestützt. Bzgl. der Markiertheitsverhältnisse gilt auch in manchen Grammatiken (vgl. Eisenberg 2006: 173), dass das Neutrum als Bezeichnung für die geschlechtslose Gattung (das Kind, das Tier) dem

Femininum gegenüber auch als unmarkiert betrachtet wird. Edyta Błachut

→ Differentialgenus; Genus; Genusmarkierung; Sexus → Gram-Syntax: Markiertheit

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2015] Deutsche Grammatik. 8., unveränd. Aufl. Zürich.

unmittelbarer Kasus ≡ reiner Kasus

unpersönliches Passiv

subjektlose Passivform, die dadurch entsteht, dass nach der Zurückstufung des Subjekts des Aktivsatzes kein anderes Argument an dessen Stelle zum Subjekt wird. ▲ impersonal passive: subjectless verbal passive construction that occurs if the downgraded subject of the active sentence cannot be replaced by another argument. Die Bezeichnung unpersönliches Passiv ist ein Oberbegriff für die Passivformen, bei denen kein Objekt des Aktivsatzes in die Subjektsposition des Passivsatzes vorgestuft wird. Dies gilt vor allem für das Passiv intransitiver Verben (1). (1) Hans arbeitet/tanzt/lacht/hustet. (1a) Es wird gearbeitet/getanzt/gelacht/gehustet. In vielen Sprachen ist für die Zugänglichkeit von Verben zum unpersönlichen Passiv deren Agentivität maßgeblich. Je geringer diese ausgeprägt ist, umso problematischer werden unpersönliche, d.h. subjektlose Bildungen, weil bei jedem unpersönlichen Passiv ein menschliches Agens implizit mitgedacht wird. Anhand einer Reihung von Verben mit abnehmender Agentivität wird dies deutlich ((2)–(4)). (2) Der Mann läuft/ hält an/ steht/sitzt/träumt/ stirbt/ kommt an. (2a) Es wird gelaufen/angehalten/?gestanden/?gesessen/?geträumt/?gestorben/*angekommen. (3) Der Plan gelingt. (3a) *Es wird gelungen. (4) Die Scheibe zerbricht. (4a) *Es wird zerbrochen. So können auch subjektlose Verben, z.B. Witterungsverben, kein Passiv bilden (*Es wird geschneit/geregnet/gehagelt). Das Pron. es (expleti-

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unpersönliches Verb 748 ves es) hat die Funktion, das Vorfeld zu besetzen. Es kann somit auch durch andere Satzglieder überschrieben werden (5). (5) Es wird gearbeitet. (5a) Hier/heute/ von den Leuten wird gearbeitet. Anders als im Dt. ist im Türk. das unpersönliche Passiv nicht auf agentive intransitive Verben beschränkt, sondern auf Verben mit menschlichem Subjekt; (6) vs. (7). (6) Burada öl-ün-ür. [hier sterb [-Passiv-Aorist]; dt.: Hier wird gestorben.] (7) Burada sol-un-ur. [hier welk [-Passiv-Aorist]; dt.: *Hier wird verwelkt.] Während das Vorgangspassiv transitiver Verben im Dt. nur unpersönlich konstruiert werden kann, wenn das Akkusativobjekt implizit bleibt (8), erlauben einige Sprachen auch ein unpersönliches Passiv mit Akkusativobjekt (z.B. Irisch; vgl. (9) aus Keenan/Dryer 2007: 348). (8) Der Autor schreibt einen Brief. (8a) Es wird geschrieben. (9) Buaileadh (lei) e. [schlag [Passiv] (mit ihr) ihn; wörtlich: Ihn wurde (von ihr) geschlagen.] In kognitiver Hinsicht hat das unpersönliche Passiv die Funktion der Außenperspektivierung der Verbalszene. Perspektiviert wird vorrangig die Verbalhandlung als solche. Markus Hundt ≡ subjektloses Vorgangspassiv; unpersönliches Vorgangspassiv → Passiv; persönliches Passiv → Gram-Syntax: Argument; expletives es; Subjekt ⇁ impersonal passive (Typol)

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🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Keenan, E.L./ Dryer, M.S. [2007] Passive in the world's languages. In: Shopen, T. [ed.] Language Typology and Syntactic Description. Vol. I: Clause Structure. 2nd ed. Cambridge: 325–361 ◾ Özkaragöz, I. [1980] Evidence from Turkish for the Unaccusative Hypothesis. In: Caron, B.R./ Hoffman, M.A.B./ Silva, M./ Oosten, J. van [eds.] PBerkLingSo. Sixth Annual Meeting. Berkeley: 411–421.

unpersönliches Verb

Verb, das als Prädikat eines Aktivsatzes auftritt, der entweder kein oder ein durch das unpersönliche Pronomen es ausgedrücktes formales Subjekt hat. ▲ impersonal verb: verb occurring as the predicate of a sentence in the active form without a subject, or with a formal subject denoted by the pronoun it. Die unpersönlichen Verben sind aus dependenz-

grammatischer Sicht nullwertig, d.h., sie besitzen keine semantisch bestimmbare Valenz. Aus syntaktischer Sicht können sie in zwei Gruppen eingeteilt werden: (a) Verben, die sich obligatorisch mit dem unpersönlichen Pron. es verbinden, (b) Verben, bei denen es ein reines Korrelat ist, obligatorisch nur im Vorfeld erscheint und dadurch die Zweitstellung der finiten Verbform gewährleistet. Zu der ersten Gruppe gehören somit unpersönliche Verben, die ein formales Satzsubjekt fordern. Dies sind vor allem die verba meteorologica (Witterungsverben) wie regnen, hageln, schneien u.a. ((1)–(3)). (1) Es regnet. (2) Gestern regnete es den ganzen Tag. (3) Schneit es? Die zweite Gruppe bilden unpersönliche Verben, die kein formales Subjekt fordern. Als Satzprädikate beziehen sie sich weder semantisch noch syntaktisch auf ein Subjekt. Das unpersönliche Pron. es tritt als reines formales Korrelat, als Platzhalter der Subjektposition auf ((4), (5)). (4) Es friert mich. (5) Mich friert. – Friert (es) dich? ≡ Impersonale ↔ persönliches Verb → Pronomen; Verb → Gram-Syntax: formales Subjekt; Korrelat ⇀ unpersönliches Verb (Wobi)

Michaił L. Kotin

🕮 Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

unpersönliches Vorgangspassiv ≡ unpersönliches Passiv

unregelmäßige Konjugation

Konjugation, die von der regelmäßigen Verbkonjugation abweicht. ▲ irregular conjugation: conjugation which differs from that of regular verbs. Der Terminus unregelmäßige Konjugation wird in der Fachlit. uneinheitlich verwendet. Oft werden die starken Verben dazu gezählt, wobei sie im Engl. im Sprachunterricht generell als „irregular verbs“ klassifiziert werden. Im weitesten Sinn

749

unregelmäßiges Verb

bezieht sich dieser Begriff auf alle Konjugationsmuster, die von dem regelmäßigen abweichen, inklusive der starken Verben (finden – fand – gefunden), der rückumlautenden (senden – sandte), solcher mit konsonantischen Abweichungen inkl. Rückumlaut (denken – dachte), der Verben sein, haben, werden (auch als Hilfsverben) mit stark abweichenden Tempusformen sowie der Praeteritopraesentia dürfen, können, sollen, müssen, mögen, wissen (Duden 1998: 123ff). Hentschel/Weydt (2013: 45f.) bezeichnen unregelmäßige Verben auch als gemischte, weil sie sowohl vokalische als auch konsonantische Veränderungen innerhalb der Konjugation aufweisen. Zwei Gruppen sind zu unterscheiden: (a) rückumlautende schwache Verben mit Vokalwechsel und Dentalsuffix wie brennen – brannte – gebrannt; (b) starke Verben mit Ablaut und zusätzlich Konsonantenveränderung im Stamm, z.B. stehen – stand – gestanden. Hinzu kommen die Verben denken – dachte – gedacht und bringen – brachte – gebracht, die Mischformen mit allen genannten Möglichkeiten aufweisen: Vokal- und Konsonantenwechsel sowie Dentalsuffix. Suppletivstämme, bei denen völlig unterschiedliche Wortstämme zur Bildung der Tempora herangezogen werden, werden ebenfalls zu den Verben mit unregelmäßiger Konjugation gezählt. Das klassische Beispiel für diese Bildungsweise ist das Verb sein, engl. be, dessen Tempusformen auf den ide. Stämmen *ues: dt. gewesen, engl. was; *es: dt. ist, engl. is; *bheu: dt. bin, engl. be beruhen. Elisabeth Bertol-Raffin

↔ regelmäßige Konjugation → Konjugation; schwaches Verb; starkes Verb; unregelmäßiges Verb; Verb

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2013] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

unregelmäßiges Verb

Verb, dessen Flexion keinem der in der entsprechenden Sprache üblichen Muster folgt. ▲ irregular verb: verb whose conjugation doesn't follow one of the typical patterns of a language.

Starke Verben (im Dt. etwa 170 Stämme ohne Derivationen) bilden im Gegensatz zu schwachen Verben das Prät. ohne t(e)-Suffix und mit Ablaut (Wechsel des Stammvokals). Zudem bilden sie das Partizip II mit ge-en (singen, singe, sang, gesungen). Unter diachroner Perspektive handelt es sich hier um völlig regelmäßige Muster, die aber heute nicht mehr transparent sind, weshalb die starken Verben häufig zu den unregelmäßigen Verben gezählt werden (Eisenberg 2013: 178). Verben mit gemischter Konjugation (unregelmäßige Verben i.e.S.) weisen eine Stammvokaländerung auf, verwenden aber ebenso wie schwache Verben das Suffix -t(e) (brennen, brenne, brannte, gebrannt). Teilweise treten auch weitere Änderungen am Wortstamm auf (bringen, bringe, brachte, gebracht; gehen, gehe, ging, gegangen). Präteritopräsentia bilden die Personalformen im Präs. mit den Suffixen, die bei regelmäßigen Verben im Prät. auftreten. Dies betrifft wissen sowie alle Modalverben (wollen, will, wollte, gewollt). Eine kleine Anzahl häufig verwendeter Verben weist Suppletivformen (Stammformänderungen ohne erkennbare Regelmäßigkeit) auf (sein, bin, war, gewesen). Unregelmäßige Verben sind häufig Anlass für Übergeneralisierungen im Erst- oder Zweitspracherwerb (im Falle der Präteritopräsentia z.B. ich *weiße nicht; ich *musse jetzt ins Bett). Unregelmäßige Verben bilden grundsätzlich kein produktives Muster: Entlehnungen (skypen, blanchieren) flektieren schwach. Teilweise übernehmen auch unregelmäßige Verben im Zuge des Sprachwandels regelmäßige Flexionsmuster (z.B. backen: buk/backte). Selten bilden sich für urspr. schwache Verben auch unregelmäßige Formen heraus (z.B. verderben: verderbt/verdorben) (Meibauer 2002: 24). Andreas Krafft

↔ regelmäßiges Verb → Präteritopräsens; schwaches Verb; Stammvokal; starkes Verb; unregelmäßige Konjugation

🕮 Bredel, U./ Töpler, C. [2007] Verb. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Wortarten. Berlin [etc.]: 823–901 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Meibauer, J. [2002] Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart [etc.] ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Solms, H.-J. [1984] Die morphologischen Veränderungen der Stammvokale der starken Verben im Frühneu-

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unterbrochene Konstituente 750 hochdeutschen. Bonn ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg.

unterbrochene Konstituente ≡ diskontinuierliche Konstituente

unterordnende Konjunktion

≡ Subjunktor ⇀ unterordnende Konjunktion (CG-Dt)

unterspezifiziertes Paradigma

Paradigma, das nicht für jede Merkmalsdimension verschiedene Ausprägungen oder Merkmale besitzt, sondern homonyme Formen, jedoch nur sich untereinander unterscheidende Formen bzw. Elemente erfasst. ▲ underspecified paradigm: paradigm that has homonymous forms, but only includes elements or features which differ from each other.

Nicole Palliwoda

→ Paradigma; Synkretismus; unvollständiges Paradigma

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Wiese, B. [1999] Unterspezifizierte Paradigmen. Form und Funktion in der pronominalen Deklination. In: Linguistik-onl 4/3. [Unter: https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/1034; letzter Zugriff: 12.04.2017] ◾ Wiese, B. [2006] Zum Problem des Formensynkretismus: Nominalparadigmen des Gegenwartsdeutschen. In: Breindl, E./ Gunkel, L./ Strecker, B. [Hg.] Grammatische Untersuchungen, Analysen und Reflexionen. Gisela Zifonun zum 60. Geburtstag. Tübingen: 15–31 [Unter: https:// ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/4235; letzter Zugriff: 24.02.2018] ◾ Wiese, B. [2008] Categories and Paradigms. On Underspecification in Russian Declension. In: Müller G./ Gunkel, L./ Zifonun, G. [eds.] Explorations in Nominal Inflection (InterfE 10). Berlin: 321–372.

untrennbares Präfix ≡ Verbpräfix

untrennbares Verb

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komplexes Verb, das in allen syntaktischen Kon­ struk­tionen eine Wortform bildet. ▲ inseparable verb: complex verb which forms one word form in any syntactic construction. Zu den untrennbaren Verben im Dt. gehören die Präfixverben mit älteren (1a) und jüngeren (1b), jeweils unbetonten Präfixen sowie einige der verbalen Pseudokomposita, die auch auf dem Erstglied betont sein können: komplexe Verben als Produkte von Konversion (1c) oder Rückbildung (1d).

(1a) bemalen, erblühen, zerschneiden (1b) durchschwimmen, umfahren, unterschreiben (1c) frühstücken, maßregeln, schauspielern (1d) kurpfuschen, mutmaßen, überreagieren Im Unterschied zu den trennbaren Verben bilden untrennbare Verben in Verberst- und Verbzweitstellung die linke Satzklammer als eine Wortform ((2), (3)); die Infinitivpartikel zu und der Morphemteil ge- des Partizipmorphems werden nicht zwischen die Konstituenten geschoben, sondern treten links daneben ((4), (5)). (2) Frühstücken/Kurpfuschen sie? (3) Sie bemalen/durchschwimmen es. (4) um zu bemalen/ zu durchschwimmen/ zu frühstücken/ zu kurpfuschen (5) gefrühstückt/gekurpfuscht haben Verbale Pseudokomposita und Verbkomposita, bei denen das Partizip-ge zwischen die Konstituenten geschoben wird (morphologische Trennung, z.B. spritzgegossen zu spritzgießen), bilden eine Übergangszone zwischen trennbaren und untrennbaren Verben. Im Engl. wird von untrennbaren Verben gesprochen, wenn bei den sog. phrasal verbs keine Satzglieder zwischen Verb und Partikel treten können; vgl. (6) vs. (6a) mit dem (untrennbaren) phrasal verb carry on. (6) The next day, they carried on the discussion. (6a) *The next day, they carried the discussion on. Michael Mann

↔ trennbares Verb → § 16; Partikelverb; Präfixverb; Verb; Wortform ⇀ untrennbares Verb (Wobi)

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Šimečková, A. [1994] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen I (ActUniCar CXIX). Prag ◾ Šimečková, A. [2002] Untersuchungen zum ‚trennbaren‘ Verb im Deutschen II. Funktionalisierung von Trennbarkeit und Untrennbarkeit beim komplexen Verb (ActUniCar CXXXVII). Prag.

unvollendete Zukunft ≡ Futur I

unvollständiges Paradigma

Paradigma, das eine oder mehrere Lücken aufweist. ▲ defective paradigm: paradigm with one or more missing forms.

751 Ein unvollständiges Paradigma liegt vor, wenn nicht sämtliche grammatischen Kategorien (wie z.B. Numerus oder Kasus) oder deren Werte (wie z.B. Plural oder Genitiv) uneingeschränkt, d.h. für alle Positionen im Paradigma, morphologisch ausgedrückt werden können. Es handelt sich um eine defizitäre Ausbildung des Paradigmas: Obwohl die Position im Paradigma anhand der grammatischen Kategorien definiert werden könnte, fehlt der morphologische Ausdruck dazu. Dies kann grammatische, aber auch semantische Gründe haben (wie z.B. eine fehlende Singularform für Nomen wie Leute oder keine Steigerungsform für Adjektive wie verheiratet). Unvollständige Paradigmen können auch auf nicht abgeschlossene Sprachwandelprozesse (Grammatikalisierung, Degrammatikalisierung) hindeuten. Häufig werden solche Lücken im Paradigma durch Suppletivformen ausgefüllt: Wenn ein Wortstamm (z.B. im Engl. good) keinen morphologischen Ausdruck für bestimmte Formen hat (z.B. für die Steigerungsformen), werden diese von einem anderen Wortstamm übernommen (vgl. better – best). Verwandt mit der Defektivität eines Paradigmas ist der sog. Synkretismus. Von Synkretismus spricht man, wenn zwar keine Lücken im

unvollständiges Paradigma Paradigma vorliegen, aber mehrere Positionen denselben morphologischen Ausdruck aufweisen: Das syntaktische Wort Koffer z.B. steht im Paradigma an mehreren Stellen (Nominativ Sg., Akkusativ Sg., Dativ Sg., Nominativ Pl., Genitiv Pl., Akkusativ Pl.). Das unvollständige Paradigma muss zudem vom uneigentlichen Paradigma abgegrenzt werden: Beim uneigentlichen Paradigma besteht ‒ bedingt durch die Unveränderbarkeit des Lexems ‒ das gesamte Paradigma aus nur einem Element. Dies ist bei unveränderbaren Wortarten, die per definitionem keine unterschiedlichen grammatischen Kategorien aufweisen (wie z.B. Konjunktionen oder Präpositionen), der Fall. Rebekka Studler

→ § 11, 16; Defektivität; lexikalisches Paradigma; morphologisches Paradigma; Paradigma; Synkretismus; syntaktisches Paradigma

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Karlsson, F. [2000] Defectivity. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [eds.] Morphology (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 647–654 ◾ Lieb, H.-H. [1993] Paradigma und Klassifikation. Explikation des Paradigmenbegriffs. In: ZS 11/1: 3–46 ◾ Plank, F. [ed. 1991] Paradigms. The Economy of Inflection. Berlin [etc.].

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V Variante, kombinatorische → kombinatorische Variante

veränderliches Adverb

Adverb, das wie ein Adjektiv Komparationsformen hat. ▲ comparison adverb: adverb that – like an adjective – has comparison forms. Der Terminus wird von Engel (1996: 755) verwendet und bezieht sich auf die Adverbien bald, gern, oft und sehr, denen verschiedene Komparationsformen zuzuführen sind ((1)–(4)). (1) bald – ?bälder/ eher/ früher – am ehesten/ frühesten (2) gern – lieber – am liebsten (3) oft – öfter/ häufiger – am häufigsten (4) sehr – mehr – am meisten Diese Adverbien werden gewöhnlich zur Kategorie der Partikeln gezählt, die definitionsgemäß unbeugbar sind. Sie sind zwar nicht deklinierbar, d.h., sie haben im Unterschied zu den Adjektiven keine Kasus- oder Kongruenzformen, wohl aber Komparationsformen und sind demnach teilweise als Ausnahmefälle zu betrachten. Kjell-Åke Forsgren

→ Adjektiv; Adverb; Komparation; Partikel

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

Veranlassungsverb ≡ Kausativum

Verb

konjugierbare Wortart, die eine Tätigkeit, einen Vorgang, einen Zustand, ein Ereignis oder einen Sachverhalt bezeichnet und im Satz allein oder in Verbindung mit anderen Wortarten als Prädikat auftritt.

▲ verb: inflectional part of speech encoding an action, a process, a state, an event, or a matter of fact and occurring in a sentence alone or in combination with other parts of speech as a predicate.

Das Verb ist die zentrale satzbildende Wortart. Seit der Antike wird es in den Grammatiken neben dem Subst. als die wichtigste grammatische Kategorie behandelt. In vielen modernen Sprachtheorien, vor allem in der Dependenzgrammtik und Valenztheorie, wird dem Verb die genuine satzkonstituierende Funktion zugesprochen. Bereits in der Aristotelischen Grammatik wird grundsätzlich zwischen Subjekt und Prädikat einer Aussage und somit zwischen den ihnen entsprechenden Wortarten Subst. und Verb unterschieden. In der dt. Grammatikschreibung des 19. Jhs. wird das Verb einerseits im Rahmen der hist.vgl. Sprw. (vor allem in der Deutschen Grammatik von Jacob Grimm) und später der Junggrammatik (vgl. u.a. die Grammatik von Hermann Paul) vorwiegend hist. untersucht und beschrieben. Zugleich wird u.a. in K.F. Beckers Grammatik die Tradition der frz. (cartesianischen) Schule fortgeführt, wo die Stellung des Verbs im grammatischen System nicht hist.-rekonstruktiv (wie bei Grimm oder Schleicher) bzw. hist.-psychologisch (wie bei Paul), sondern vor allem universell-logisch begründet wird. Mit der Entwicklung des Strukturalismus wird die Untersuchung des Verbalsystems – vorwiegend synchron – als System von verschiedenartigen Relationen zwischen deren Elementen sowie zwischen dem Verb und anderen Wortarten favorisiert. Zugleich wird aber auch die Tradition der hist.-genealogisch basierten Verbforschung fortgesetzt, für die insbesondere die Arbeiten von G.O. Curme einschlägig sind.

Verb 754

V

Mit dem Aufkommen strukturalistisch und kognitivistisch basierter Syntaxmodelle, vor allem der GG (Noam Chomsky) und der Valenztheorie und Dependenzgrammatik (Lucien Tesnière), wird die Stellung des Verbs vorwiegend aus der Sicht seines syntagmatischen Potentials begründet. In der generativ geprägten Forschung wird dabei betont, dass das Verb als Kopf („head“) der VP sich in der gleichen hierarchischen Position wie das Nomen als Kopf der NP in der Tiefenstruktur des Satzes befindet. Es regiert bzw. bindet verbabhängige Argumente und Adjunkte. Dagegen behauptet die klassische, verbozentrische Dependenzgrammatik, das Verb (als prototypisches Satzprädikat) sei dem Nomen (als prototypischem Satzsubjekt) nicht gleich-, sondern übergeordnet. Es sei demgemäß der einzige strukturelle Satznukleus und binde im Satz nicht nur Objekte und Adverbialbestimmungen (in der Terminologie der klassischen Valenztheorie Aktanten und Cicumstanten und in der Terminologie der modernen Dependenzgrammatik Ergänzungen und Angaben), sondern auch das Subjekt (das dependenzgrammatisch ebenso als Aktant/Ergänzung gilt wie das Objekt). In der nichtgenerativistisch konzipierten Sprachtypologie und Universalienforschung wird dem Verb ebenfalls die zentrale Stellung eingeräumt, so u.a. bei J. Greenberg und W.P. Lehmann. Dabei wird behauptet, die Relation Verb – Objekt sei im Satz, darunter bei der Bestimmung des dominierenden Typs der jeweiligen Sprache, sogar wichtiger als die Relation Verb – Subjekt (vgl. Lehmann 1978: 8). 1. Die morphologischen Klassifikationen von Verben basieren auf deren Zugehörigkeit zu verschiedenen Konjugationsklassen sowie auf deren grammatischen Kategorien. So werden die Verben der dt. Sprache nach dem erstgenannten Kriterium in starke (lesen), schwache (machen) und präteritopräsentische (können) Verben eingeteilt, einschließlich der Gruppen und Sondergruppen innerhalb jeder der drei Klassen (sein, tun, werden; haben, brennen). Nach dem letzteren Kriterium können die Verben der dt. Sprache u.a. in (a) aktiva tantum und passivfähige Verben, (b) Verben, die ihre Perfekt- und Plusquamperfektformen mit den Auxiliaren haben vs. sein bilden, (c) persönliche und unpersönliche Verben klassifiziert werden. In den Aspektsprachen (z.B. in der Slavia) werden die Verben zusätzlich in Im-

perfektiva und Perfektiva eingeteilt. Im Dt. gibt es Verben, die kategorialsemantische Merkmale besitzen, durch die eine Zuordnung zu den entsprechenden Aktionsarten möglich ist, u.a. Durativa (dauern, blühen), Inchoativa (beginnen, erblühen), Resultativa (enden, verblühen). Die Aktionsarten liegen an der Grenze zwischen lexikalischer Semantik (Verbbedeutung) und Kategorialgrammatik (Verbalaspekt) und können daher als morphosemantische Verbalklassen behandelt werden. Zu den morphosemantischen Merkmalen können ferner Komponenten der Verbsemantik gezählt werden, welche in die Nähe der Funktion des genus verbi (Diathese) kommen, wie u.a. Kausativität (setzen), Medialität (sieden), Ergativität (sterben). 2. Die Klassifikation der Verben nach deren syntaktischen Eigenschaften hängt weitgehend von der jeweiligen Syntaxtheorie ab und kann daher relativ schwer theorieneutral vorgenommen werden. Traditionell werden die Verben nach dem syntaktischen Kriterium in Transitiva (töten, legen), Intransitiva (sterben, liegen, helfen) und Reflexiva (sich sehnen, sich erinnern) mit der Unterklasse reziproker Verben (sich küssen) eingeteilt. Diese allgemeine Klassifikation ist in der jüngeren Grammatikforschung, insbesondere im Rahmen der Dependenzgrammatik, wesentlich präzisiert worden. Die Verben werden je nach deren Valenzeigenschaften, d.h. deren Potenz, sog. Leerstellen zu eröffnen, welche durch die verbdependenten Satzglieder besetzt werden, in null-, ein-, zwei- und dreistellige (bzw. -wertige) Valenzträger eingeteilt. So ist z.B. das Verb schneien nullwertig, da es keine Klasse von Nomina als Ergänzungen selegiert. Eröffnet das Verb eine Leerstelle (welche in der Regel für das Subjekt eines potentiellen Satzes reserviert ist), ist es einwertig bzw. einstellig, vgl. schlafen (1). (1) Peter schläft. Bei zwei Ergänzungen (am häufigsten sind es Subjekt und Objekt, aber statt des Objekts kann auch eine obligatorische Adverbialergänzung auftreten), spricht man von einem zweistelligen Verb, z.B. schneiden, begegnen, sich erinnern, wohnen ((2)–(5)). (2) Sabine schneidet Brot. (3) Peter begegnete der Sabine. (4) Peter erinnert sich an Sabine. (5) Peter wohnt in Berlin.

755 Verb Bei drei obligatorischen Ergänzungen ist das jeweilige Verb entsprechend dreistellig, z.B. geben, gleichsetzen, legen ((6)–(8)). (6) Peter gibt dem Kind ein Buch. (7) Peter will das nicht mit einem Verrat gleichsetzen. (8) Peter legt das Buch auf den Tisch. Einige Verben können ihre Valenz kontextbedingt unvollständig realisieren, andere dagegen nicht, vgl. Peter schreibt einen Brief – Peter schreibt, aber *Peter schneidet. Mit der Valenz ist die Verbalrektion eng verbunden, also die syntaktische Eigenschaft, die grammatisch-morphologische Form der verbdependenten Objekte zu bestimmen. Die transitiven Verben regieren direkte Objekte, d.h. Objekte, die im Akkusativ ohne Präp. stehen (9). (9) Er hat seinen besten Freund verraten. Objekte, die in anderen obliquen Kasus ohne Präp. auftreten, sind indirekt ((10), (11)). (10) Sie hilft ihrem Bruder. (11) Wir gedenken der gefallenen Helden. Bei der präpositionalen Rektion bestimmt das Verb die jeweilige Präp. und – falls diese verschiedene Kasus zulässt – auch die Kasuswahl ((12)–(15)). (12) Wolfgang erinnert sich gern an seine letzte Italienreise. (13) Die meisten Studenten haben an der Abschlussfeier teilgenommen. (14) Ich warte auf ihre Antwort. (15) Er träumt von diesem Job. Außer der Rektion gibt es zwei weitere Typen der syntaktischen Verbindung zwischen dem Verb und verbdependenten Satzgliedern: Kongruenz und Anschluss. Eine Kongruenz charakterisiert die syntaktische Relation zwischen Verb als Prädikat und dem Satzsubjekt. Im Dt. ist das formale Merkmal einer Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat die Kongruenz im Numerus und ggf. in der Pers. ((16), (17)). (16) Das Kind spielt – Die Kinder spielen. (17) Ich lese. – Du liest. – Sie lesen. Ein Anschluss liegt vor, wenn das verbdependente Satzglied keine formal-morphologischen Kennzeichen seiner semantisch-syntaktischen Abhängigkeit vom Verb aufweist (18). (18) Er kam am Montag. Der Unterschied zwischen Verbalrektion und Anschluss kann am Beispiel verbdependenter

Ergänzungen (Objekte) (19) und Angaben (Adverbialbestimmungen) (20) mit Präp. gezeigt werden. (19) Er arbeitet an einem neuen Buch. [Rektion] (20) Er arbeitet an einem neuen Tisch. [Anschluss] 3. Die semantische Klassifikation von Verben beruht auf deren Einteilung in Klassen bzw. Gruppen entsprechend den Bedeutungsmerkmalen, welche die Typen von Sätzen konstituieren, in denen die jeweiligen Verben als Prädikate (und somit als Valenzträger) auftreten. Man unterscheidet u.a. Verben der Bewegung/ verba movendi (gehen, fahren, laufen), Verben des Sprechens bzw. Sagens/ verba dicendi (sprechen, sagen, erzählen), Verben des Gebens/ verba dandi (geben, schenken, leihen), Witterungsverben (regnen, schneien, hageln), Verben der sinnlichen Wahrnehmung/ verba sentiendi (sehen, fühlen, hören), Verben des Denkens/ verba cogitandi (denken, grübeln, überlegen) sowie einige weitere Typen. Die semantischen Merkmale von Verben sind mit deren syntaktischen Eigenschaften eng verbunden. So sind die Verben des Handelns (verba actionis) in der Regel zugleich auch Transitiva und Kausativa; alle verba meteorologica sind unpersönlich und somit nullwertig; die verba dandi sind dreistellig und transitiv. 4. Die statusmäßig-funktionale Klassifikation von Verben beruht auf deren Funktion bei der Bildung von potentiellen Sätzen (syntagmatische Dimension) und somit auf deren Status im Sprachsystem (paradigmatische Dimension). Hier unterscheidet man zwischen Vollverben, Funktionsverben, Modal- und Halbmodalverben, Kopulaverben und Auxiliarverben. Vollverben (gehen, lieben, träumen, geben) können selbständig als Prädikate von Sätzen auftreten, da sie die dafür notwendigen semantischen Eigenschaften besitzen ((21), (22)). (21) Er geht nach Hause. (22) Sabine liebt Peter. Funktionsverben erscheinen im Satz als finite Teile komplexer Prädikate (Funktionsverbgefüge) zusammen mit (nominalen) Komplementen, die ihre diffuse Semantik präzisieren ((23), (24)). (23) Er gab ihr Bescheid. (24) Die Aufführung machte auf alle einen großen Eindruck. Modalverben (müssen, wollen, können) bilden das Satzprädikat zusammen mit Vollverben und modifizieren diese entweder entsprechend ihrer

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Grundbedeutung (Wurzelmodalität, deontische bzw. nicht-deiktische Modalität) oder aber aus der Sicht des Sprechers als seine Vermutung, Überzeugung etc. (epistemische bzw. deiktische Modalität) ((25), (26)). (25) Leider kann Peter heute nicht kommen. (26) Peter kann jetzt zu Hause sein. Die Halbmodalverben bzw. Modalitätsverben (scheinen, drohen, versprechen) modifizieren das mit der Partikel zu angeschlossene Vollverb im Infinitiv, indem sie eine Vermutung des Sprechers (scheinen) bzw. des Agens (glauben) oder aber eine Absicht des Agens zum Ausdruck bringen ((27)–(29)). (27) Peter scheint krank zu sein. (28) Sie glaubt die Arbeit fehlerfrei geschrieben zu haben. (29) Wolfgang versprach zu kommen. Die Kopulaverben sein, werden, scheinen, bleiben treten als grammatisch-lexikalische Bindeelemente zwischen dem Satzsubjekt und dem durch ein Subst., Adj. oder adjektivisches Partizip ausgedrückten Prädikativum auf ((30)–(34)). (30) Peter ist Lehrer. (31) Peter ist klug. (32) Sie wurde rot vor Wut. (33) Sabine scheint krank. (34) Das Geschäft bleibt heute geschlossen. Die Hilfsverben haben, sein und werden sind lexikalisch extrem diffuse (quasi semantisch leere) finite Entitäten, die in Verbindung mit einem Vollverb im Infinitiv oder Partizip II zusammengesetzte (analytische bzw. periphrastische) Formen des Tempus (Perf., Plq.perf., Futur I und II), genus verbi (Passiv) und Modus (Konditional I und II) bilden ((35)–(38)). (35) Er hat/hatte sein Zimmer in Ordnung gebracht. (36) Wir werden das Buch suchen. (37) Sabine wurde gelobt. (38) Peter würde das gerne wissen. 5. Das Verb hat in den flektierenden Sprachen, darunter auch das Dt., ein formenreiches Paradigma. Die Anzahl der Verbalformen hängt mit der Anzahl der Verbalkategorien in der jeweiligen Sprache zusammen. Das dt. Verb hat – laut klassischen Grammatiken – fünf grammatische Kategorien: (a) Person (1., 2., 3. Pers.), (b) Numerus (Sg., Pl.), (c) Tempus (Präs., Prät., Perf., Plq.perf., Futur

I, Futur II), (d) Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ), (e) genus verbi (Aktiv, Passiv). Die Kategorie der Person wird synthetisch, mithilfe der Personalendungen kodiert. Hinzu kommen häufig die entsprechenden Personalpronomina: ich fahr-e, er kam-, wir arbeitete-n, du will-st, er sieh-t, das Haus brannte-. Man unterscheidet die 1., die sprechende, die 2., die angesprochene, und die 3., die besprochene Person. Wird das Satzsubjekt durch ein Subst. ausgedrückt, steht das entsprechende Prädikat immer in der Form der 3. Pers. Eine relativ große Gruppe von Verben hat in Bezug auf die Kategorie der Pers. ein defektes Paradigma, d.h., die Verben dieser Gruppe besitzen keine Person-Kategorie und werden nur in der Form der 3. Pers. Sg. (sehr häufig in Verbindung mit dem unpersönlichen Pron. es) verwendet. Zu den unpersönlichen Verben gehören u.a. die verba meteorologica (regnen, hageln, tauen etc.) (39). (39) Es regnet. Mehrere Verben besitzen neben der persönlichen die unpersönliche Verwendung (40). (40) Ich friere – Mich friert. Die Kategorie des Numerus wird ebenfalls synthetisch durch Endungen kodiert; vgl. ich fahr-e : wir fahr-en; du malte-st : ihr malte-t. Somit markiert die Endungsflexion eines jeden Verbs zugleich Pers. und Numerus. Der Numerus drückt die Gegenüberstellung von Einzahl und Mehrzahl der am Verbalgeschehen beteiligten Satzsubjekte aus und signalisiert damit, dass diesen auch die Opposition von Singularität und Pluralität der jeweiligen Verbalgeschehen ikonisch entspricht. Die unpersönlichen Verben haben zugleich auch keine Numerus-Kategorie, da sie formal stets in der 3. Pers. Sg. verwendet werden. Die Kategorie des Tempus wird im Dt. sowohl synthetisch als auch analytisch kodiert. Synthetisch sind im Dt. die Formen des Präs. und des Prät. Bei den starken Verben ist es die innere Flexion (Wurzelablaut) (springe – sprang, nimmst – nahmst). Bei den Präteritopräsentia wird der Wurzelablaut nur zur Bildung der Präsensformen des Sg. verwendet: darf, mag, kannst. Bei den schwachen Verben, darunter den Rückumlautverben, und den Präteritopräsentia ist das Kodierungsmittel des Prät. in der Germania das sog. Dentalsuffix (im Dt. ist es das Präteritalsuffix -te): mal-te, brann-te, soll-te. Alle anderen Tempusformen

757 Verb werden analytisch gebildet, d.h. mithilfe eines Auxiliarverbs (haben, sein oder werden) und der infiniten Form (Infinitiv I bzw. II oder Partizip II) des entsprechenden Vollverbs. Die Verbindung der Auxiliare haben bzw. sein, jeweils im Präs. und Prät., mit dem Partizip II des Vollverbs ist die Kodierungsform für das Perf. bzw. Plq.perf. des Aktivs (hat/hatte geschlafen; ist/war gekommen). Die Selektion des Auxiliars erfolgt generell nach syntaktischen und kategorialsemantischen Merkmalen. So selegieren die Transitiva und Reflexiva grundsätzlich das Hilfsverb haben: hat/hatte gelesen, hat/hatte geschnitten, hat/hatte (jmdn. zum Bahnhof) gefahren, hat/hatte sich erinnert. Es gibt nur einzelne Ausnahmen von dieser Regel (41). (41) Er ist/war ihn losgeworden. Die Intransitiva selegieren ebenfalls das Auxiliar haben, sofern sie keine (in der Regel zielgerichtete) Bewegung oder eine Zustandsänderung bezeichnen: hat/hatte gelacht, hat/hatte geholfen, hat/hatte gelebt, hat/hatte gesessen. Die intransitiven Verben einer zielgerichteten Bewegung (verba movendi) und einer Zustandsänderung (mutative Verben) bilden das Perf. bzw. Plq.‌perf. mit dem Auxiliar sein: ist/war gegangen, ist/war gekommen, ist/war aufgestanden, ist/war eingeschlafen, ist/war geworden. Die verba movendi können auch das Auxiliar haben (neben sein) selegieren, sofern sie eine nicht zielgerichtete Bewegung bezeichnen, vgl. hat/ist lange (im Schwimmbad) geschwommen. Keine verba movendi bzw. mutativen Verben, die trotzdem das Auxiliar sein selegieren, sind sein und bleiben. Die zusammengesetzten verbalen Prädikate mit Modal- und Vollverb bilden ihre Perfekt- und Plusquamperfektformen, falls das jeweilige Modalverb nicht epistemisch verwendet wird, nicht mithilfe des Partizips II, sondern mithilfe des sog. Ersatzinfinitivs: hat/hatte arbeiten müssen. Die Formen des Futurs I und II werden mithilfe des Auxiliars werden und des Infinitivs I bzw. II des entsprechenden Vollverbs gebildet: werde schreiben, wirst bleiben, werden gehen bzw. werde geschrieben haben, wirst geblieben sein, werden gegangen sein. 6. Die Funktionen der einzelnen Tempusformen lassen sich u.a. mithilfe des sog. ReichenbachSchemas (vgl. Reichenbach 1965) darstellen, das mutatis mutandis in die meisten modernen Grammatiken, darunter Helbig/Buscha (2001)

und Zifonun et al. (1997), übernommen wird. Auf diesem Schema werden die außersprachlichen Tempuskonzepte (Zeitstufen) den sprachlichen (grammatischen) Tempora (Zeitformen) zugeordnet. Dabei wird zwischen der Sprechzeit ('time of speech'), der Aktzeit ('time of act') und der Referenzzeit ('time of reference') unterschieden. Die Sprechzeit ist der Moment des Sprechens und somit stets die hic-et-nunc-Zeit. Beim Kodieren der Gegenwart fällt sie mit der Aktzeit (also der Zeit der Handlung, des Vorgangs) zusammen (42). Beim Kodieren der Vergangenheit liegt die Aktzeit vor der Sprechzeit (42a). Beim Kodieren der Zukunft liegt die Konstellation Aktzeit nach Sprechzeit vor (43). (42) Peter schläft. (42a) Peter schlief, hat/hatte geschlafen (43) Peter wird das Buch suchen. Die Referenzzeit bringt die interne temporale Konstellation innerhalb der jeweiligen Tempusstufe zum Ausdruck. Liegt sie vor der Aktzeit, spricht man von Vorzeitigkeit (resp. in der Gegenwart, Zukunft oder Vergangenheit). Fällt sie mit der Aktzeit zusammen, liegt Gleichzeitigkeit in der jeweiligen Tempusstufe vor. Ist sie später als die Aktzeit, handelt es sich um Nachzeitigkeit ((44), (45)). (44) Als Peter gekommen war, konnten wir die Besprechung beginnen. [Vorzeitigkeit in der Vergangenheit] (45) Er wartet, bis alle weggegangen sind. [Nachzeitigkeit in der Gegenwart] Die Beschreibung der Tempusfunktion mittels Zuordnung der jeweiligen Tempusform zu der entsprechenden Tempusstufe auf der Reichenbachʼschen Zeitachse ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit für die Bestimmung der Funktionen von Tempusformen. H. Glinz (1973) versucht die dt. Tempora weitgehend aspektual zu deuten, indem er z.B. das Prät. dem Perf. auf Grund des aspektualen Merkmals der Nicht-Abgeschlossenheit vs. Abgeschlossenheit der Verbalhandlung gegenüberstellt. Auf eine enge Verbundenheit zwischen Tempus und Aspektualität weist auch E. Leiss (1992) hin. H. Weinrich (2001) unterscheidet zwischen den Tempora der „besprochenen“ und „erzählten“ Welt und ordnet z.B. das Präs. und das Perf. der Ersten, dagegen das Prät. und das Plq.perf. der Letzteren zu. Ferner wird das Tempus mit den Begriffen „Deixis“

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(vgl. u.a. Diewald 1991) und „Distanz“ (vgl. Thieroff 1991) in Verbindung gesetzt. 7. Die Kategorie des verbalen Modus wird sowohl synthetisch als auch analytisch kodiert. (a) Die synthetischen Mittel der Moduskodierung sind (i) das Konjunktivsuffix -e (mach-e-st, schrieb-e-), (ii) der Umlaut des (umlautfähigen) Wurzelvokals im Prät. der starken und einiger schwacher Verben (gäb-e-st, wär-e, hätt-e-t, bräuch-te-n), (iii) die Nullflexion bzw. bei einigen Verben die (oft fakultative) Endung -e der 2. Pers. Imperativ Sg. (gib!, mach-(e)!, arbeit-e!, öffn-e!), die Endung -(e)t der 2. Pers. Imperativ Pl. (geb-t!, mach-t!, arbeit-et!, öffn-et!). (b) Die analytischen Mittel der Moduskodierung sind: (i) die Verbindung des Auxiliars werden in der Form des Konjunktivs Prät. würde mit dem Infinitiv I (der sog. Konditionalis I) bzw. Infinitiv II (der sog. Konditionalis II) (würde machen/gehen bzw. würde gemacht haben/ gegangen sein), (ii) die Verbindung der 1. Pers. Pl. des Vollverbs mit dem nachgestellten Personalpron. wir bzw. die Verbindung der 1. Pers. Pl. des Modalverbs wollen mit dem Personalpron. wir und dem Infinitiv des Vollverbs zum Ausdruck des Imperativs der 1. Pers. Pl. (gehen wir!, wollen wir gehen!), (iii) die Verbindung der 3. Pers. Pl. des Vollverbs mit dem nachgestellten Personalpron. Sie als Höflichkeitsform des Imperativs der 2. Pers. Sg. oder Pl. (gehen Sie!). Der direkte Modus bzw. Modus der Faktizität ist der Indikativ. Die beiden indirekten Modi sind der Konjunktiv und der Imperativ. Der Konjunktiv wird in den meisten Grammatiken des Dt. in den Konjunktiv I und den Konjunktiv II eingeteilt. Der Konjunktiv I, zu dem sämtliche Konjunktivformen gehören, bei denen das jeweilige Finitum im Präs. steht, wird nur begrenzt verwendet, hauptsächlich zum Ausdruck indirekter Rede im Nebensatz (46) sowie in stehenden Wendungen (47) und speziellen Texten, z.B. in Kochrezepten (48). (46) Er behauptet, sein Vorschlag sei der beste (gewesen). (47) Hoch lebe die Kunst! (48) Man nehme drei Pfund Schafskäse und gebe ein Eigelb und etwas Salz und Pfeffer dazu. Der Konjunktiv II umfasst sämtliche konjunktivischen Entitäten mit der Präteritalform des jeweiligen Finitums, darunter auch den Konditionalis I und II. Er kodiert Optionen, Wünsche bzw. Nicht-

faktizität i.w.S., darunter irreale oder prognostizierte Bedingungen, Folgen aus bestimmten Bedingungen etc. ((49)–(52)). (49) Ich würde Sie gern besuchen. (50) Wenn er gesund wäre, könnte er uns heute besuchen. (51) Wenn ich bloß Zeit hätte! (52) Hätte er das gewusst, wäre er in Berlin geblieben. Darüber hinaus können die Formen des Konjunktivs II in der indirekten Rede (die Periphrase mit würde auch in der erlebten Rede und zum Kodieren des Futurs in der Vergangenheit) verwendet werden ((53)–(55)). (53) Er sagte, seine Schwester wäre krank (gewesen). (54) Sie überlegte noch eine Weile: Bestimmt würde er heute nicht kommen. (55) Schon damals wusste er, dass seine Familie zu ihm zwei Jahre später ziehen würde. Der Imperativ drückt diverse Arten von Verordnungen, Befehlen, Empfehlungen, Wünschen, Anweisungen etc. aus ((56)–(61)). (56) Schließe die Tür! (57) Schlaf schön! (58) Bleib ruhig! (59) Kommt her! (60) Gehen wir nach Hause! (61) Bitte, nehmen Sie Platz! Die Kategorie des genus verbi (Diathese) wird im Dt. synthetisch und analytisch (Aktiv) sowie durchweg analytisch (Passiv) kodiert. Die unmarkierte Diathese ist das Aktiv. In einem Aktivsatz ist das Subjekt in der Regel aktiv, d.h., der durch das Verb kodierte Sachverhalt wird als vom Subjekt ausgehend interpretiert ((62)–(64)). (62) Peter liest ein Buch. (63) Peter erinnert sich an Sabine. (64) Peter geht in die Uni. Auch wenn das Subjekt eines Aktivsatzes keine handelnde Person oder kein Agens i.w.S. ist, spricht man vom Aktiv, entsprechend der grammatischen Form des Prädikats ((65)–(67)). (65) Das Buch liegt auf dem Tisch. (66) Das Bild gefällt mir. (67) Die Suppe kocht. Zu der markierten Diathese gehört vor allem das sog. Vorgangspassiv, auch werden-Passiv genannt. Es wird mithilfe des Auxiliars werden in Verbindung mit dem Partizip II des Vollverbs gebildet:

759 Verb werde gefragt, wurde gebracht, wirst gelobt, ist gewaschen worden, war überprüft worden, wird mitgeteilt werden etc. In einigen Grammatiken wird auch das sog. Zustandspassiv, das sein-Passiv, zum Passivparadigma gezählt: ist/war geschlossen (gewesen), wird gestrichen sein etc. Andere Linguisten behandeln das Zustandspassiv als eine Kopula-Prädikativ-Konstruktion, ähnlich zu sonstigen zusammengesetzten nominalen Prädikaten mit Kopulaverb und einem Adj. als Prädikativum (68). (68) Die Wände sind weiß. (68a) Die Wände sind gestrichen. Beim Vorgangspassiv ist das Subjekt des Satzes affiziert, d.h., die durch das Prädikat kodierte Handlung ist darauf gerichtet ((69), (70)). (69) Peter wird gelobt. (70) Die Tür wurde geöffnet. Fehlt im Passivsatz das Satzsubjekt, spricht man von einem subjektlosen oder unpersönlichen Passiv ((71)–(73)). (71) Es wird laut gesprochen. (72) Hier wurde getanzt. (73) Darüber wird gern erzählt. Da in einem Passivsatz im Unterschied zum Aktivsatz das Agens kein Satzsubjekt sein kann und außerdem generell fakultativ ist, wird das Passiv als eine täter- bzw. agensabgewandte Diathese definiert (vgl. Weisgerber 1963; Heidolph/Flämig/Motsch 1981) – im Gegensatz zum täter- bzw. agensbezogenen Aktiv. Wird das Agens (oder das Instrument bzw. die Ursache) in einem Passivsatz erwähnt, übernimmt es die syntaktische Funktion einer mit von, seltener mit durch oder mit angeschlossenen Präpositionalergänzung ((74)– (76)). (74) Peter wird vom Lehrer gelobt. (75) Das Fenster wurde durch einen Windstoß geöffnet. (76) Das Feld ist mit dem Traktor bearbeitet worden. Auch unpersönliche Passivsätze können das Agens enthalten (77). (77) Von den Zuschauern wurde laut gelacht. Die Frage, ob der Vorgangspassiv-Satz eine Transformation bzw. Konversion des entsprechenden Aktivsatzes oder aber eine selbständige syntaktische Konstruktion darstellt, ist Gegenstand einer aktuellen Diskussion. Für die letztere These

spricht u.a. die Tatsache, dass nicht jeder Passivsatz eine aktivische Entsprechung hat (78). (78) Zucker wird im warmen Wasser schnell aufgelöst. Das Zustandspassiv wird in der Regel nur von transitiven Verben mit resultativer Aktionsart-Semantik gebildet, ein Agens wird bis auf einige wenige Ausnahmen nicht angeschlossen ((79)–(83)). (79) Das Buch ist/war gefunden. (80) Die Bücher sind/waren ausverkauft. (81) Der Soldat ist/war verwundet. (82) *Das Buch ist/war gesucht. (83) *Die Bücher sind/waren vom Verkäufer ausverkauft. Ein unpersönlicher (subjektloser) Zustandspassiv-Satz ist in aller Regel nicht bildbar. Neben den konjugierbaren (finiten) existieren nicht konjugierbare (infinite) Verbformen. Im Dt. gehören dazu der Infinitiv I bzw. der Infinitiv II Aktiv und Passiv, das Partizip I und das Partizip II. In der Form des Infinitivs I Aktiv (Grundform) werden Verben in Wbb. als Lemma angesetzt. Diese Form gilt als eine neutrale Ausgangsform des Verbs (z.B. fahren, machen, sein, brennen, tun). Aus hist. Sicht ist der Infinitiv jedoch ein vom Präsensstamm abgeleitetes Subst. mit dem Suffix -(e) n, das urspr. wie jedes andere Subst. dekliniert wurde. Auch in der Gegenwartssprache besitzt der Infinitiv neben den verbalen auch nominale Eigenschaften. So tritt er als Ergänzung finiter Modalverben und der Verben gehen, kommen, helfen sowie des Auxiliars werden bei der Bildung von zusammengesetzten verbalen Prädikaten bzw. der analytischen Futur I-Form auf: muss gehen, will schlafen, ließ renovieren, ging schlafen, wird arbeiten. Die Halbmodalverben (und auch die Verben haben und sein in den Infinitivkon­ struktionen) schließen den Infinitiv mit der Partikel zu an (welche urspr. eine Präp. gewesen ist): versprach zu kommen, wünscht zu wissen, weiß zu schätzen, hat zu machen, ist zu erledigen. Im Satz kann der Infinitiv mehrere Funktionen haben. Neben dem infiniten Teil des zusammengesetzten verbalen Prädikats bzw. einer infiniten Ergänzung in Konstruktionen mit semantisch diffusen Finita kann es u.a. in Äußerungen ohne Finitum eine Ersatzform für den Imperativ (Ruhig bleiben!) sein. Jeder Infinitiv kann substantiviert werden und somit eine NP bilden ((84), (85)). (84) Rauchen ist ungesund.

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(85) Sein Kommen war unerwartet. In den syntaktischen Gefügen mit den Finita haben bzw. sein und der Partikel zu tritt der Infinitiv als Ergänzung zur Bezeichnung einer bevorstehenden Tätigkeit auf, die das Agens ausführen soll/muss (haben ... zu + Infinitiv) bzw. die ausgeführt werden muss/soll/kann (sein ... zu + Infinitiv) ((86), (87)). (86) Wolfgang hat noch viel zu tun. (87) Die Aufgabe ist schnell/leicht zu lösen. Mithilfe des Infinitivs II (Partizip II des Vollverbs + Infinitiv I von haben bzw. sein) werden das Futur II sowie die vergangenheits- und (seltener) zukunftsbezogenen Modalverbkonstruktionen in epistemischer (viel seltener auch in deontischer) Lesart gebildet ((88)–(91)). (88) Bis morgen wird er die Arbeit abgegeben haben. (89) Peter wird/muss/soll/kann/dürfte das gewusst haben. (90) Sie wird/muss/kann/soll/dürfte/mag dort gewesen sein. (91) Diesen Film müssen Sie gesehen haben! Auch die Form des Konditionalis II wird mithilfe des Infinitivs II gebildet (92). (92) Er würde das genauer überprüft haben (, wenn ...). Der Infinitiv kann ferner als Bestandteil (prädikatives Attribut) in der AcI-Konstruktion (Akkusativ mit Infinitiv) in Verbindung mit den verba sentiendi (93) auftreten. (93) Er hörte sein Herz klopfen. Im Passiv-Paradigma gibt es ebenfalls die beiden Infinitivformen: gefragt werden bzw. gefragt worden sein. Das Partizip I (Partizip Präs., Partizip Aktiv) wird vom jeweiligen Präsensstamm mithilfe des Suffixes -(e)nd gebildet: lauf-end, lach-end, feder-nd etc. Im Satz kann es die Funktionen eines prädikativen Attributs (94) oder eines (oft erweiterten) Attributs in der NP mit aktivischer imperfektivischer Semantik (95) übernehmen. (94) Singend ging er an mir vorbei. (95) Der heute um 8 Uhr abfahrende Zug hat 5 Minuten Verspätung. In Verbindung mit der Partikel zu bezeichnet das Partizip I ein inaktivisches/passivisches und zugleich imperfektivisches sowie modal markiertes (Notwendigkeit) Merkmal des entsprechenden Nomens (96).

(96) Die auszufüllenden Dokumente lagen in der Aktentasche. Das Partizip II (Partizip Perfekt, Partizip Passiv) wird vom jeweiligen Verbalstamm mithilfe des Präfixes ge-, des Wurzelablauts und des Suffixes -(e)n bei den starken Verben bzw. mithilfe des Präfixes ge- und des Suffixes -(e)t bei den schwachen Verben und den Präteritopräsentia gebildet: ge-bund-en, ge-ta-n, ge-öffn-et, ge-wag-t, ge-konn-t. Das Präfix ge- entfällt bei Verben mit unbetonter Vorsilbe sowie bei Verben mit betonten fremdsprachigen Suffixen -ier und -isier: ver-lor-en, vollzog-en, be-frag-t, repar-ier-t, standard-isier-t. Die Funktionen des Partizips II sind mannigfaltig. Es dient zur Bildung von analytischen Formen des Perf. und Plq.perf., des Futurs II, des Konditionalis II, des Passivs sowie der syntaktischen Gefüge mit Modalverben in epistemischer Lesart: hat/hatte gemacht, ist/war gewesen; wird/würde gearbeitet haben/ gegangen sein; wird/wurde gefragt; ist/war gefunden; wird/würde gefragt/gefunden werden; muss/soll/kann/dürfte/mag geschrieben haben/ gewesen sein etc. Als Prädikativ kann es neben dem Subst. und dem Adj. in einer Kopula-PrädikativKonstruktion auftreten (97). (97) Er war geliebt und geachtet. Als (oft erweitertes) Attribut in der NP bezeichnet das Partizip II transitiver Verben ein inaktives – perfektives oder imperfektives – Merkmal (98) und das Partizip II intransitiver Verben ein aktives perfektives Merkmal (99) des jeweiligen Nomens. (98) die jetzt/bereits vorgespielte Klaviersonate (99) der eingeschlafene Junge Michaił L. Kotin ≡ Aussagewort; Tätigkeitswort; Tunwort; Tuwort; verbum; Zeitwort → § 9, 15, 16; Aktionsart; Autosemantikon; Funktionsverb; genus verbi; Halbmodale; Hauptwortart; Modalverb; Modus; Partikelverb; Person; Präfixverb; Simplexverb; Tempus; Verbkompositum; verbum substantivum; Vollverb; Vorgangsverb → Gram-Syntax: Diathese; Funktionsverbgefüge; Kongruenz; Prädikat; Valenz; zentrales Verb ⇀ Verb (SemPrag; CG-Dt; HistSprw; Sprachdid) ⇁ verb (Typol; CG-Engl)

🕮 Abraham, W. [2005] Deutsche Syntax im Sprachenvergleich. Grundlegung einer typologischen Syntax des Deutschen. Tübingen ◾ Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Ágel, V. et al. [Hg. 2003–2006] Dependenz und Valenz. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 2 Bde. (HSK 25). Berlin ◾ Becker, K.F.

761 [1837/1970] Ausführliche deutsche Grammatik als Kommentar der Schulgrammatik. Nachdruck. Hildesheim [etc.] ◾ Bondzio, W. [1971] Valenz, Bedeutung und Satzmodelle. In: Helbig, G. [Hg.] Beiträge zur Valenztheorie. Halle/Saale [etc.]: 85–106 ◾ Brinkmann, H. [1971] Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. 2. Aufl. Düsseldorf ◾ Chomsky, N. [1965] Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, MA ◾ Chomsky, N. [1986] Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use. New York, NY [etc.] ◾ Curme, G.O. [1964] A Grammar of the German Language. 2nd ed. New York, NY ◾ Diewald, G. [1991] Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Erben, J. [1980] Deutsche Grammatik. Ein Abriß. 12. Aufl. München ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Glinz, H. [1973] Die innere Form des Deutschen. Eine neue deutsche Grammatik. 6. Aufl. Bern [etc.] ◾ Greenberg, J.H. [ed. 1966] Universals of Language. Cambridge, MA ◾ Grimm, J. [1989] Deutsche Grammatik. Neuaufl. Leipzig ◾ Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [Hg. 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg. 1993/1995] Syntax. 2 Bde. (HSK 9). Berlin [etc.] ◾ Lehmann, W.P. [ed. 1978] Syntactic Typology. Studies in the Phenomenology of Language. Austin, TX [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Paul, H. [1955] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Halle/Saale ◾ Reichenbach, H. [1965] Elements of Symbolic Logic. 2nd ed. New York, NY ◾ Tesnière, L. [1959] Éléments de syntaxe structurale. Paris ◾ Tesnière, L. [1976] Éléments de syntaxe structurale. 2nd rev. ed. Paris ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Weinrich, H. [2001] Tempus. Besprochene und erzählte Welt. 6., erw. Aufl. Stuttgart ◾ Weisgerber, L. [1963] Von den vier Stufen in der Erforschung der Sprache. Düsseldorf ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Verb, abgeleitetes → abgeleitetes Verb

Verb, direktives

Verb, mediales

Verb, faktitives → faktitives Verb

Verb, faktives → faktives Verb

Verb, finites

→ finite Verbform

Verb, gemischtes → gemischtes Verb

Verb, implikatives → faktives Verb

Verb, infinites

→ infinite Verbform

Verb, infinitregierendes → Infinitverb

Verb, ingressives → ingressives Verb

Verb, inkrementelles → inkrementelles Verb

Verb, intensivierendes → intensivierendes Verb

Verb, intransitives → intransitives Verb

Verb, kognitives → kognitives Verb

→ direktives Verb

Verb, kopulatives

→ dynamisches Verb

Verb, kursives

→ reflexives Verb

Verb, effektives

Verb, labiles

→ effektives Verb

Verb, ergatives

Verb, mediales

Verb, dynamisches Verb, echtes reflexives

→ ergatives Verb

→ Kopulaverb

→ kursives Verb

→ transitiv-intransitives Verb → mediales Verb

V

Verb, modalverbähnliches 762

Verb, modalverbähnliches

Verb, reziprokes

Verb, modifizierendes

Verb, schwaches

Verb, mutatives

Verb, starkes

Verb, obligatorisch reflexives

Verb, statisches

Verb, partimreflexives

Verb, teilreflexives

Verb, passivfähiges

Verb, teilreziprokes

Verb, präfigiertes

Verb, transformatives

Verb, privatives

Verb, transitives

Verb, pseudotransitives

Verb, transitiv-intransitives

Verb, redeeinleitendes

Verb, trennbares

Verb, reflexiv gebrauchtes

Verb, unakkusativisches

Verb, reflexives

Verb, unechtes reflexives

Verb, regelmäßiges

Verb, unpersönliches

Verb, regierendes

Verb, unregelmäßiges

Verb, rezessives

Verb, untrennbares

Verb, reziprok gebrauchtes

Verb, wechselbezügliches

→ modalverbähnliches Verb → Modalitätsverb → mutatives Verb

→ obligatorisch reflexives Verb → reflexiv gebrauchtes Verb → passivfähiges Verb → Präfixverb

→ privatives Verb

→ pseudotransitives Verb → redeeinleitendes Verb

→ reflexiv gebrauchtes Verb → reflexives Verb

V

→ regelmäßiges Verb

→ regierendes Verb → ergatives Verb

→ reziprokes Verb

→ reziprokes Verb

→ schwaches Verb → starkes Verb

→ Zustandsverb

→ teilreflexives Verb

→ teilreziprokes Verb → mutatives Verb

→ transitives Verb

→ transitiv-intransitives Verb → trennbares Verb

→ unakkusativisches Verb

→ reflexiv gebrauchtes Verb → unpersönliches Verb

→ unregelmäßiges Verb → untrennbares Verb → reziprokes Verb

763 Verbaladjektiv

Verbalabstraktion ≡ Verbalsubstantiv

Verbalabstraktum

von einem Verb abgeleitetes Substantiv mit ab­ strak­ter Bedeutung, das eine Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand bezeichnet. ▲ abstract noun derived from a verb: abstract noun derived from a verb, denoting an action, a process or a state.

Für die Bildung deverbaler Abstrakta kommen grundsätzlich verschiedene morphologische Verfahren in Betracht (Übersicht in Fleischer/Barz 2012: 122): Konversion des Verbstamms (Kauf < kaufen, Dreh < drehen), Konversion des Infinitivs (das Kaufen, das Drehen) (vgl. Eisenberg 2013: 279ff.) und Ableitung durch Suffigierung (Drehung) (vgl. Eisenberg 2013: 264f.) sowie Zirkumfigierung (Ge-heul-e). Nicht mehr produktiv ist die implizite Ableitung durch Stammvokalwechsel bei starken Verben (Sprung < springen, Griff < greifen) (vgl. Fleischer/Barz 2012: 89; Eisenberg 2013: 280). Als Suffixe zur Bildung von Verbalabstrakta fungieren z.B. -e (Schreib-e), -er (Rülps-er), -s (Knacks), -(er)ei (Fress-erei, Nörgel-ei) und -(at)ion (Klassifik-ation). Das wichtigste und produktivste, „semantisch offene und wenig festgelegte“ Muster (Fleischer/Barz 2012: 225) ist die -ung-Derivation (vgl. Eisenberg 2013: 264f.). Dennoch sind im Vergleich mit der Infinitivkonversion, die immer möglich ist (vgl. Wurzel 1988), Beschränkungen und Fälle von Blockierung festzustellen (*Rufung, *Fangung, *Kaufung). Wird „der Begriff der Produktivität nicht auf die Zahl der belegten Lexeme, sondern auf die Größe der Anwendungsdomäne dieser Wortbildungsregel bezogen“, ist in diachroner Perspektive ein Rückgang der Produktivität festzustellen (Demske 2000: 370), da sich die Bildungen zunehmend auf abgeschlossene Zeitintervalle beziehen und eine wachsende „Nominalisierung“ erkennen lassen (Demske 2000: 398). Das Bedeutungsspektrum deverbaler Abstrakta wird mit dem ebenfalls gängigen Terminus nomen actionis nur unzureichend erfasst. Die in Rede stehenden Bildungen lassen sich wie die verbalen Basen unterschiedlichen Prädikatsklassen zuordnen. Sie bezeichnen somit nicht nur Handlungen, sondern auch Vorgänge, Zustände

oder Eigenschaften (vgl. v. Polenz 2008: 165). Die Bildungen können auch metonymisch als Personenbezeichnung (nomen agentis) oder als nomen acti gebraucht werden: Bedienung 'Handlung/ Vorgang' oder 'Person, die bedient'; Anleitung 'Vorgang' oder 'Schriftstück‘. Insbesondere bei der -ung-Derivation ist ein hohes Maß an Polysemie festzustellen (Fleischer/Barz 2012: 229). Als „syntaktische Nominalisierungen“ sind Verbalabstrakta Kennzeichen des Nominalstils und Ausdruck des komprimiert-ökonomischen Satzbaus seit dem 19. Jh. (vgl. v. Polenz 2008: 33). In Nominalisierungs- und Funktionsverbgefügen (vgl. v. Polenz 1987) fungieren sie als zentrale Elemente analytischer Prädikatsausdrücke. Jan Seifert

→ § 31; Derivation; Grundmorphem; Konversion; nomen acti;

nomen actionis; nomen agentis; Nominalisierung; Produktivität; Zirkumfigierung ⇀ Verbalabstraktum (Lexik; HistSprw; Wobi)

🕮 Demske, U. [2000] Zur Geschichte der ung-Nominalisierung im Deutschen. Ein Wandel morphologischer Produktivität. In: PBB 122: 365–411 ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Polenz, P. von [1987] Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. Vorschläge zur satzsemantischen Lexikographie. In: ZGL 15/2: 169–189 ◾ Polenz, P. von [2008] Deutsche Satzsemantik. 3. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wurzel, W.U. [1988] Derivation, Flexion und Blockierung. In: ZPSK 41: 179–198.

Verbaladjektiv

aus dem Partizip I mit zu gebildetes attributives Adjektiv zur Bezeichnung einer Handlung mit der modalen Bedeutung der Notwendigkeit oder Möglichkeit. ▲ gerundive; verbal adjective: adjective form derived from the present participle of a verb and denoting the concept of necessity or possibility. Das Verbaladjektiv ist ein vor allem in der geschriebenen Sprache verwendetes (Engel 1996: 557), von transitiven Verben abgeleitetes Adj. mit passivischer und modalisierender Bedeutung (vgl. Eroms 2000: 278) (1). (1) die leicht zu lösende Aufgabe ['die Aufgabe, die leicht gelöst werden kann'] Die Bildung kann nicht prädikativ (*die Handlung ist durchzuführend) verwendet werden und ist nicht komparierbar (*die zu lösendere Aufgabe). Elisabeth Bertol-Raffin

V

Verbaladverb 764

→ abgeleitetes Adjektiv; erstes Partizip; Gerundivum; Supinum → Gram-Syntax: attributives Adjektiv ⇀ Verbaladjektiv (Wobi) ⇁ gerundive (Typol)

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Engel, U. [2009] Deutsche Grammatik. Neubearb. 2., durchges. Aufl. München ◾ Eroms, H.-W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin.

verbale Kategorie

morphologische bzw. lexikalisch-grammatische Eigenschaft, die den Verbformen eines Paradigmenteils respektive den Vertretern einer Verbklasse gemeinsam ist. ▲ verbal category: morphological or lexical-grammatical property that marks the common features of verbal forms of a given part of the verbal paradigm or the common features of items of a verb class. Die verbalen Kategorien können grundsätzlich in morphologische und lexikalisch-grammatische bzw. lexikalisch-syntaktische eingeteilt werden. (a) Die morphologischen Kategorien des dt. Verbs sind Numerus (Sg. vs. Pl.), Person (1., 2., 3. Pers.), Tempus (Präs., Prät., Perf., Plq.perf., Futur I, Futur II), Modus (Indikativ, Imperativ, Konjunktiv) und genus verbi (Aktiv vs. Passiv). Jede synthetisch oder analytisch gebildete Verbalform weist entweder sämtliche oder zumindest einige morphologische Kategorien auf, vgl. schläft (3. Pers. Sg. Präs. Indikativ Aktiv), wäret gefragt worden (2. Pers. Pl. Plq.perf. Konjunktiv Passiv), lies! (2. Pers. Sg. Imperativ). (b) Die lexikalisch-grammatischen Kategorien sind u.a. Aktionsart, Transitivität, Modalität. Michaił L. Kotin

→ Aktionsart; Transitivität; Verb; verbales Paradigma; Verbalkategorie; Verbform; Verbparadigma

→ Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; Modalität

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

≡ Verbpartikel

Nicole Palliwoda

thetische Verbform; Verb; Verbalkategorie; Verbparadigma; verbum substantivum

≡ Gerundium

verbales Halbpräfix

Gesamtheit aller synthetischen und analytischen sowie der dazugehörigen finiten und infiniten Verbformen. ▲ verbal paradigm: totality of all synthetic and periphrastic verbal constructions with the corresponding finite and nonfinite forms.

→ analytische Verbform; Flexionsparadigma; Paradigma; syn-

Verbaladverb

V

verbales Paradigma

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Ronneberger-Sibold, E. [2004] Deutsch (Indogermanisch: Germanisch). In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.2). Berlin [etc.]: 1267–1285.

verbales Präfix

≡ Verbpräfix ⇀ verbales Präfix (Wobi)

Verbalgenus

≡ genus verbi

Verbalkategorie

Kategorie, die Bestandteil des verbalen Paradigmas ist und sich auf Person, Numerus, Tempus, Modus und genus verbi bezieht. ▲ verbal category: category which is part of the verbal paradigm and covers person, number, tense, mood and voice. Aus kategorisierungstheoretischer Sicht ist folgende Differenzierung notwendig: Der Terminus Kategorie bezeichnet das Hyponym, während das Hyperonym Kategorisierung lautet (Eisenberg 2006, Satz: 18). Die Termini Tempus, Modus, genus verbi, Person und Numerus sind also Verbalkategorisierungen, Verbalkategorien sind die diesen Kategorisierungen zuordenbaren Kategorien Präs., Prät., Konjunktiv, Indikativ etc. Die fünf traditionellen Verbalkategorisierungen sind Kategorien der Finitheit: Jede finite Verbform ist in Bezug auf diese fünf Kategorisierungen kategorisierbar. Aber auch die infiniten Verbformen verfügen über ein Kategoriensystem (Thieroff 1992: 8; Eisenberg 2006, Wort: 208). Bei der ling. Beschäftigung mit Verbalkategorisierungen stehen im Mittelpunkt des Interesses: (a) Allgemeine Zusammenhänge grammatischer Kategorisierung: Zunehmend wird für eine über-

765 Verbalsubstantiv greifende Betrachtung verbaler Kategorisierungen plädiert (Leiss 1992: 1ff.). Der Grundgedanke dabei ist, dass sich alle Kategorisierungen aus einer Grunddifferenzierung ableiten lassen. Dieser Grundgedanke führt zu der Frage nach einer Kategorisierungshierarchie, d.h. danach, welche Kategorie die Grunddifferenzierung darstellt und welche Kategorisierungen daraus abgeleitet sind. Leiss plädiert für die Reihenfolge „Aspekt – Genus – Tempus – Modus“ (Leiss 1992: 284) und geht davon aus, dass es auch Übergangskategorien geben kann, wie z.B. das von ihr postulierte „Resultativum“ zwischen Aspekt und Passiv. Für das Gegenwartsdt. skizziert Eisenberg die Hierarchie „Genus verbi – Tempus – Modus – Numerus – Person“ (Eisenberg 2006, Wort: 205). (b) Umfang des Kategorien- und Kategorisierungssystems: Der Umfang der Verbalkategorisierungen und -kategorien des Dt. ist nicht zwingend auf die eingangs genannten Kategorisierungen und die traditionell diesen Kategorisierungen zugeordneten Kategorien beschränkt. Sowohl auf der Ebene der Kategorisierungen als auch der Kategorien werden immer wieder einzelne Elemente in Frage gestellt oder weitere Elemente hinzu gezählt. Auf der Ebene der Kategorisierungen nimmt Leiss eine Kategorisierung Resultativum an, mit der sie die Form ‚sein + Partizip II‘ erfasst, d.h., sie fasst die traditionellen Kategorien sein-Perfekt und sein-Passiv zu einer Kategorisierung zusammen. Ein weiteres Beispiel für eine Erweiterung des Umfangs der Verbalkategorisierungen ist der sog. ‚am-Progressiv‘ (vgl. van Pottelberge 2004). Auf Kategorienebene wird der Umfang der einer Kategorisierung zuzuordnenden Kategorien besonders häufig im Bereich des Tempus diskutiert (Thieroff 1992: 62ff.). Dabei werden einerseits einzelne Tempuskategorien in Frage gestellt (z.B. die Futurformen wegen ihres häufigen modalen Gebrauchs), andererseits weitere Tempuskategorien angenommen. Den Status allgemein anerkannter Tempusformen erreichen dabei wohl am ehesten die doppelten Perfektbildungen (vgl. Litvinov/Radčenko), da sie immer häufiger Eingang in Grammatikhandbücher finden. Mathilde Hennig

→ § 9, 16; Paradigma; Tempus; verbale Kategorie; verbales Paradigma; Verbform; Verbparadigma

→ Gram-Syntax: Kategorie

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik.

Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Litvinov, V.P./ Radčenko, V. [1998] Doppelte Perfektbildungen in der deutschen Literatursprache. Tübingen ◾ Pottelberge, J. van [2004] Der am-Progressiv. Tübingen ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

Verbalkonstituente

Verbalphrase, die aus einem Verb sowie den von ihm gesteuerten Mitspielern mit Ausnahme des Subjekts besteht. ▲ verbal constituent: verbal constituent which is composed of at least one verb and its dependents with the exception of the subject. Dieser in der Konstituentenstrukturgrammatik und in der Generativen Transformationsgrammatik verwendete Terminus geht auf eine hierarchische binäre Einteilung des Satzes in NP und VP zurück. Die NP und die VP, beide von S (= Satz) dominiert, stehen im Strukturbaum auf der gleichen Ebene. Die Verbalkonstituente entspricht dem „Prädikatverband“ (Duden 1998: 678), d.h. dem Prädikat und den von ihm abhängigen Ergänzungen auβer der Subjektergänzung. In der Dependenzgrammatik hingegen werden alle Mitspieler, folglich auch die Subjektergänzung, dem am obersten Knoten der Satzstruktur regierenden Verb untergeordnet. María José Domínguez Vázquez

→ Verb → Gram-Syntax: Konstituente; Mitspieler; Nominalphrase; Subjekt; Verbalphrase

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2003] Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.].

Verbalsubstantiv

deverbales Substantiv, welches ein Geschehen oder einen Zustand bezeichnet. ▲ verbal noun: deverbal noun that describes an event, a process or a state. Das Verbalsubst. ist eine deverbale Wortbildung, bei der ein Wort von einer Wortklasse in eine andere transponiert wird. Transponierte Wortarten entstehen durch Derivation und Konversion (Fleischer/Barz 2012: 121), z.B. schreiben – Schreiben, wachen – Wache, zustimmen – Zustimmung.

V

Verbalsystem 766

V

Transpositionsarten können nach morphologischen oder semantischen Kriterien gegliedert werden. Nach der Basiswortart Verb (Infinitiv, Infinitivstamm, Präterital- oder Partizipialstamm) erfolgt eine Einordnung als deverbales Subst. (Duden 2016: 738f.). In einer semantischen Zuordnung treten bei deverbalen Substantiven neben Personenbezeichnungen [nomina agentis (der Ruderer)], Gegenstands- oder Personenbezeichnungen [nomina acti/patientis (die Stickerei, die Spende)], Ortsbezeichnungen [nomina loci (die Näherei)], Instrumentbezeichnungen [nomina instrumenti (der Erhitzer)] und Geschehens- und Zustandsbezeichnungen [nomina actionis] als Transpositionsarten auf. Basis für die letztere Transpositionsart sind Verbstämme (der Ruf) und verbale Syntagmen (die Stellungnahme). Im Gegensatz zu Geschehens- oder Zustandsbezeichnungen benennen Gegenstands- oder Personenbezeichnungen Referenten, die Resultat oder Betroffene eines Geschehens sind. Die Basis für diese Transpositionsart ist ein Verb. Alle Bildungen der Gegenstands- oder Personenbezeichnungen werden oft ebenfalls als Verbalsubstantive interpretiert. Dies betrifft die Typen 'Verb + -e' (Wache), 'Verb + Ge-...-e' (Geschreibe), 'Verb + -nis' (Zeugnis), 'Verb + -ung' (Sammlung) und die Konversion des Infinitivs (Essen) (vgl. Fleischer/Barz 2012: 121–123). Wenn die spezifischen Lesarten (z.B. Sammlung im Sinne von 'das Gesammelte' statt 'das Sammeln') keine Einzelfälle sind, werden sie nicht als gelegentliche Metonymie, sondern als Wortbildungmodelle eingestuft, die durch eine Polyfunktionalität des Affixes der Derivation oder eine weitere Wortbildungsbedeutung der Konversion entstehen. Sie werden nicht als Verbalsubstantiv interpretiert, da synchron der Bildungsweg über eine Geschehens- und Zustandsbezeichnung unwahrscheinlich ist (z.B. Erzeugnis, Gefängnis; vgl. Duden 2016: 739f.). Motsch (2004: 325) erklärt viele Bildungen, die Eigenschaften von reinen Nominalisierungen als nomina actionis haben, als lexikalisiert, auch die semantische Repräsentation des Verbs übernehmend. Bei Fleischer/Barz (2012: 121) sind Verbalsubstantive nur Substantivierungen mit verbnaher Bedeutung und verfügen über zusätzliche Bedeutungskomponenten (z.B. Gesinge 'das

Singen', iterativ abwertend). Aufgrund von Mehrdeutigkeit können innerhalb der Geschehensund Zustandsbezeichnungen verschiedene Subtypen morphologisch gekennzeichnet sein (z.B. Lesen 'Geschehen als Kontinuum') oder durch dasselbe Modell zum Ausdruck kommen (z.B. Untersuchung 'Geschehen als Kontinuum' oder 'Geschehen als Resultat'). Diese semantischen Distinktionen lassen sich durch eine Untergliederung der Verbalsubstantive in Geschehen als Einzelakt, Kontinuum, Kontinuum und Resultat, iteratives, unerwünschtes Geschehen oder als Resultat vornehmen. Sie werden durch verschiedene Formen als Derivationstypen mit nativen Affixen (-e/-er; Ge-/Ge-...-e; -ei/-erei; -nis; -s; -ung, z.B. Suche, Gespiele, Spielerei, Erlaubnis, Knacks, Vergebung), Fremdsuffixen (-age; -ement; -atur; -ing; -tion usw., z.B. Sabotage, Bombardement, Reparatur, Mobbing, Interpretation) und Konversionstypen (z.B. Spielen) ausgedrückt (Duden 2016: 738–740). Maria Schädler ≡ Verbalabstraktion → Derivation; Deverbativum; Konversion; Substantiv; Substantivierung → Gram-Syntax: Funktionsverbgefüge ⇀ Verbalsubstantiv (Wobi; Lexik) ⇁ verbal noun (Typol)

🕮 Duden [2016] Die Grammatik. 9., vollst. überarb. u. aktual. Aufl. (Duden 4). Berlin ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.].

Verbalsystem

Gesamtheit der Verbformen und -funktionen einer Sprache einschließlich ihrer Wechselbeziehungen. ▲ verbal system: totality of verbal forms and functions of a language including their correlations. Die Verbalsysteme natürlicher Sprachen sind unterschiedlich beschaffen. Bei flektierenden Sprachen sind sie in aller Regel stark verzweigt und enthalten grundsätzlich die meisten grammatischen Formen, die es in der jeweiligen Sprache überhaupt gibt. Ein dt. Verb kann, je nach seinen grammatischen und semantischen Eigenschaften, bis über 200 Formen haben. Die Verbalformen kodieren Personen (trag-e, träg-st, träg-t etc.), Numeri (träg-st vs. trag-t etc.), Tempora (träg-t, trug, hat ge-trag-en, wird trag-en etc.), Modi (träg-e,

767 Verbform würd-e trag-en) und genera verbi bzw. Diathesen (träg-t vs. wird ge-trag-en). In vielen Sprachen gibt es darüber hinaus andere grammatsiche Kategorien, z.B. den Verbalaspekt. Außerdem enthalten die meisten Verbalsysteme, darunter das Dt., infinite (d.h. nicht konjugierte) Formen wie Infinitiv (trag-en) und Partizipien I (trag-e-nd) und II (getrag-en). Zu den lexikalisch-grammatischen Kategorien gehören u.a. Aktionsarten (vgl. dt. blühen – erblühen – verblühen) und Transitivität vs. Intransitivität vs. Reflexivität (vgl. dt. setzen – sitzen – sich setzen). Je nach dem funktionalen Status können die Verben in Vollverben (lesen), Modalverben (müssen), Modalitätsverben (pflegen ... zu + Infinitiv), Kopulaverben (sein, werden mit Subst. oder Adj.) und Auxiliarverben/Hilfsverben (haben mit Partizip II, sein mit Partizip II, werden mit Partizip II bzw. Infinitiv) eingeteilt werden. Michaił L. Kotin

→ analytische Verbform; infinite Verbform; Verbalkategorie; Verbform; Verbparadigma

→ Gram-Syntax: Funktion

🕮 Bybee, J.L. [2000] Verb. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 794–808 ◾ Coseriu, E. [1976] Das romanische Verbalsystem. Hrsg. u. bearb. von H. Bertsch. Tübingen ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Verbflexion

Veränderung des Verbs nach grammatischen Kategorien. ▲ verbal inflection: modification of a verb to express different grammatical categories. Ein Verb bezeichnet typischerweise Handlungen, Vorgänge oder Zustände und stellt das semantische Zentrum eines Satzes bzw. Teilsatzes dar. Zur Verankerung des Ereignisses werden die Verben nach entsprechenden grammatischen Kategorien verändert. Als solche gelten in erster Linie die obligatorisch auszudrückenden Kategorien; im Dt. sind das die Person, der Numerus, der Modus, das Tempus und (nach den meisten Auffassungen) das genus verbi. Die Modifizierung eines Verbstamms kann synthetisch, d.h. innerhalb einer Wortform (1), oder analytisch, durch Zuhilfenahme von Hilfsverben (2) erfolgen. (1) essen – isst [synthetischer Ausdruck von

Pers., Numerus, Modus, Tempus und aktivischem genus verbi] (2) essen – sei gegessen worden [analytischer Ausdruck von Konjunktiv Perf. und Passiv] Als Flexion i.e.S. wird nur die synthetische Flexion betrachtet, was sich auch in der lat. Bezeichnung der Verbflexion, Konjugation (aus lat. coniūgāre – 'verbinden') widerspiegelt. Jedoch kann im Laufe der dt. Sprachgeschichte und im Gegenwartsdt. eine starke Tendenz zur Analytisierung beobachtet werden, d.h. synthetische Formen (etwa Indikativ und Konjunktiv Prät.) werden zurückgedrängt und vermehrt durch analytische Formen (Indikativ Perf., würde-Konjunktiv; (3)) ersetzt. (3) äße – würde essen [in der Gegenwartssprache präferiert] Die Mittel der Konjugation sind sprachspezifisch ausgebildet; für das dt. Konjugationssystem ist die formale Unterscheidung von starken (Verben mit Stammvokaländerung, z.B. essen – aß), schwachen (Verben, die im Präteritumstamm und im Partizip Perf. das Dentalsuffix -t- aufweisen; z.B. kaufen – kaufte) und unregelmäßigen Verben grundlegend. In agglutinierenden Sprachen werden einzelne Verbalkategorien durch stabile Affixe ausgedrückt wie z.B. im Türk., in flektierenden Sprachen durch eine Vielzahl von Allomorphen sowie durch Stammvokaländerungen. Das Dt. stellt einen Mischtyp dar, der verschiedene Markierungsstrategien verwendet. Bernadett Modrián-Horváth

→ analytische Verbform; Flexion; Flexionsparadigma; synthetische Verbform; Verb; Verbparadigma

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Verbflexion, rückumlautende → rückumlautende Verbflexion

Verbform

Form, die finit oder infinit sein kann. ▲ verbal form: form which can be finite or non-finite. Verben gehören – neben Substantiven, Adjektiven, Artikeln und Pronomina – zu den flektierenden Wortarten und werden konjugiert. Es wird je nach Konjugiertheit zwischen finiten (lat. finītus 'begrenzt') und infiniten (lat. īnfinītus 'un-

V

Verbform, analytische 768 begrenzt') Verbformen unterschieden (Duden 2005: 435). Der dt. einfache Satz kann in der Regel nur eine finite Verbform enthalten. Das Vorkommen einer finiten und mindestens einer infiniten Verbform in der linearen Struktur des einfachen Satzes bildet den Verbalkomplex (Zifonun et al. 1997: 1241). Fabio Mollica

→ finite Verbform; infinite Verbform; Konjugation; semifinite Verbform; Verbparadigma; Wortart

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Verbform, analytische → analytische Verbform

Verbform, bestimmte → finite Verbform

Verbform, einfache

→ synthetische Verbform

Verbform, finite → finite Verbform

Verbform, infinite → infinite Verbform

Verbform, komplexe → analytische Verbform

Verbform, mehrteilige → analytische Verbform

Verbform, periphrastische → analytische Verbform

Verbform, semifinite

V

→ semifinite Verbform

Verbform, synthetische → synthetische Verbform

Verbform, unbestimmte → infinite Verbform

Verbform, zusammengesetzte → analytische Verbform

Verbkompositum

Kompositum mit einem Verb als Grundwort. ▲ compound verb: compound whose head is a verb.

Von den als Verbkomposita in Frage kommenden komplexen verbalen Bildungen wird in der Fachlit. lediglich ein Typ unumstritten als Kompositum bezeichnet: die Zusammensetzung zweier Verbstämme (1), obwohl diese z.T. im Partizip II durch das Partizip-ge getrennt werden können (1a). (1) grinskeuchen, rührbraten, spritzgießen, trennschleifen (1a) ?grinsgekeucht/rührgebraten/spritzgegossen/trenngeschleift haben Diese Verbkomposita werden überwiegend im Infinitiv (auch substantiviert) verwendet, selten flektiert; im Vorkommen sind sie weitgehend auf belletristische und fachspr. Texte beschränkt (vgl. Duden 2009). Ihr Status als Determinativ- oder Kopulativkompositum ist umstritten (vgl. Donalies 1996). Häufig sind beide Interpretationen möglich, etwa grinskeuchen: 'auf eine grinsende Weise keuchen' [determinativ]; 'keuchen und dabei grinsen' [kopulativ]. Weitere, in der Fachlit. ebenfalls als Verbkomposita bezeichnete Wortbildungen können alternativ analysiert werden. (a) als Rückbildungen (sog. verbale Pseudokomposita, z.B. mähdreschen ← Mähdrescher, notlanden ← Notlandung); (b) als Präfixverben (mit unbetonten Erstgliedern, z.B. überkleben, unterfordern); als Partikelverben i.w.S. (z.B. entgegennehmen, festfrieren, stehenbleiben). Vor allem in älteren und diachron ausgerichteten Darstellungen werden auch Partikelverben i.e.S. (mit präpositionaler und adverbialer Verbpartikel) zu den „unfesten Komposita“ gefasst (z.B. vorkommen, hingehen; vgl. Henzen 1965: 85ff.). Michael Mann ≡ Verbzusammensetzung → Kompositum; Partikelverb; Präfixverb; Verb; zweites Partizip

🕮 Donalies, E. [1996] Da grinskeuchte sie süßsäuerlich. Über kopulative Verb- und Adjektivkomposita. In: ZGL 24: 273–286 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [2007] Verbale Komposition. Sind brustschwimmen und radfahren Komposita? In: Kauffer, M./ Métrich, R. [Hg.] Verbale Wortbildung im Spannungsfeld zwischen Wortsemantik, Syntax und Rechtschreibung (Eurog 26). Tübingen: 49–58 ◾ Henzen, W. [1965] Deutsche Wortbildung. 3., durchges. u. erg. Aufl. (SkGrgermD-B 5). Tübingen.

769 Verbmodus

Verbmodifikation

Ergebnis eines Wortbildungsverfahrens, das eine semantische, grammatische oder pragmatische Abwandlung beim Verb bewirkt. ▲ verbal modification: result of a word formation process which produces a semantic, grammatical or pragmatic modification of the verb. Bei der Modifikation gehört das durch den Wortbildungsprozess entstandene Wort der gleichen Kategorie wie das Ausgangswort an. Im verbalen Bereich erfolgt die Modifikation durch Präfixbildung, wobei drei Abwandlungen voneinander abzugrenzen sind, nämlich die semantische, die grammatische und die pragmatische (Duden 1998: 453ff.): (a) Bei der semantischen Abwandlung ergeben sich bei dem resultierenden Verb gegenüber dem Ausgangsverb neue semantische Nuancen, die unterschiedlicher Art sein können: Eine räumliche Einordnung geht aus dem präfigierten Verb hervor (überflieβen, absteigen, untertauchen, vorlaufen, einwandern u.a.). Duden (1998: 457) nennt in diesem Zusammenhang bis zu 15 entstandene richtungsbezogene Bedingungen. Eine zeitliche Einordnung kann ebenso wiedergegeben werden (nachbestellen gegenüber bestellen). Hinzu kommt auch eine Einteilung nach den Aktionsarten: Es wird der Beginn eines Vorgangs angegeben (inchoative Verben wie anfahren gegenüber fahren), das Ende wird gekennzeichnet (perfektive Verben wie verheilen gegenüber heilen), die Dauer der Handlung kommt zum Ausdruck (durative Verben wie durchfeiern gegenüber feiern). Fleischer/Barz (1992: 318) zählen auch die modale Spezifizierung des Geschehens dazu, wie die Bedeutungskomponente 'falsch' bei sich verrechnen oder 'geschlossen' bei zuklappen. Weitere semantische Differenzen können auch mithilfe der verbalen Präfigierung zu Stande kommen, wie z.B. die Möglichkeit, dass eine Handlung rückgängig gemacht wird (etw. bestellen – etw. abbestellen) oder die Mitteilung einer bestimmten Bewertung von Seiten des Sprechers (miss- in der Bedeutung 'falsch' bei missbrauchen, ver- in der Bedeutung 'verkehrt' bei sich verlesen). (b) Häufig geht die semantische Abwandlung mit einer grammatischen Modifikation einher, die sich in quantitative und qualitative Veränderungen gegenüber dem Basisverb einteilen lässt. Eine Verringerung oder Erhöhung der Valenzstellen sowie die Transitivierung

und Objektverschiebung ist bei quantitativen Änderungen vorhanden. Die Verringerung der Valenz liegt beim Paar flieβen und überflieβen vor (1). (1) Die Milch flieβt über den Rand des Topfes. (1a) Die Milch flieβt über. Eine Erhöhung der Valenz ist vor allem bei der Präfigierung einwertiger, seltener zweiwertiger Verben festzustellen (2). (2) Der Schüler trödelt. (2a) Der Schüler vertrödelt seine Zeit. Die qualitativen Änderungen betreffen die Art der Kasusbeziehung zwischen dem präfigiertem Verb und den von ihm gesteuerten Ergänzungen. Ersichtlich wird dieses Phänomen bei den deverbalen be-Präfigierungen. Die Derivate sind grundsätzlich transitive Verben (in einer Villa wohnen – eine Villa bewohnen, jmdm. dienen – jmdn. bedienen). Das Objekt wird in den Mittelpunkt gerückt ((3) nach Donalies 2005: 114). (3) Hans-Peter streicht Nutella auf sein Knäckebrot. (3a) Hans-Peter bestreicht sein Knäckebrot mit Nutella. Weitere Beispiele sind jmdn. lieben – sich in jmdn. verlieben, jmdm. schmeicheln – sich bei jmdm. einschmeicheln, über jmdn. spotten – jmdn. verspotten, auf etw. hämmern – etw. zerhämmern. Die stilistisch-pragmatische Abwandlung weist keine systematische Tendenz auf. Die beim abgeleiteten Verb hervortretenden Unterschiede gegenüber dem Ausgangsverb sind nicht auf den Inhalt des Derivats, sondern auf seinen Gebrauchswert zurückzuführen, darunter z.B. seine Zugehörigkeit zu einer gehobenen Stilschicht, wie (an einem Ort) verbleiben (statt bleiben), sich behelfen (statt helfen). María José Domínguez Vázquez

→ Aktionsart; Präfigierung; Verb; Wortbildung → Gram-Syntax: Modifikation

🕮 Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eichinger, L.M. [2001] Deutsche Wortbildung. Tübingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Verbmodus

morphologische Verbalkategorie, die einen Sachverhalt hinsichtlich seiner Faktizität aus der Sprecherperspektive kodiert.

V

Verbparadigma 770 ▲ verbal mood: morphological category of the verb

denoting an action or a state in its relation to the criterium of the facticity from the speaker's point of view.

V

Der modus verbi ist neben Tempus und Diathese (genus verbi) eine grundlegende paradigmenbildende Verbalkategorie. Sie besteht aus drei Teilparadigmata: Indikativ, Imperativ und Konjunktiv. Der Indikativ als neutraler, merkmalloser Modus stellt einen Sachverhalt als wirklich bzw. faktisch dar ((1), (2)). (1) Der Rhein mündet in die Nordsee. (2) Ihr Manuskript ist angenommen worden. Der Imperativ drückt Anordnungen, Befehle u.a. aus, die der Sprecher an die angesprochenen Personen richtet, und kodiert somit die Verbalhandlung als (noch) nicht realisiert ((3)–(5)). (3) Steh auf! (4) Schreibt mit! (5) Lesen Sie bitte diesen Abschnitt noch einmal vor! Der Imperativ kann selten auch eine faktische Handlung bezeichnen, falls diese nach dem Wunsch des Sprechers fortgesetzt werden soll (6). (6) Lies ruhig weiter! Der Konjunktiv stellt einen Sachverhalt als gewünscht und möglich, aber (noch) nicht wirklich (7) oder als gewünscht, aber unmöglich (8) bzw. als nicht stattgefunden (9) dar. (7) Wir wären Ihnen dafür dankbar. (8) Wenn ich du wäre! (9) Peter wäre gestern länger geblieben. Außerdem kann der Konjunktiv die indirekte Rede kodieren (10). (10) Peter sagt, er sei/wäre zu Hause (gewesen). Das Teilparadigma des Konjunktivs ist dem Teilparadigma des Indikativs symmetrisch, d.h., es enthält alle Personalformen des Verbs im Sg. und Pl. sämtlicher Tempora und genera verbi. Dagegen ist das Teilparadigma des Imperativs defekt; es besteht nur aus den Formen der 2. Pers. Sg. und 2. Pers. Pl. sowie der speziellen Höflichkeitsform und hat nicht die Kategorien des Tempus und genus verbi. Die Modusformen werden synthetisch und analytisch gebildet. Die Imperativformen entstehen im Sg. durch Hinzufügung der Endung -e zum Präsensstamm oder sind endungslos: öffn-e!, lies! Die Form des Imperativs Pl. wird mithilfe der Endung -(e)t gebildet: öffn-et!,

les-t! Die Höflichkeitsform des Imperativs ist analytisch und besteht aus der Form der 3. Pers. Pl. und dem Personalpron. der 3. Pers. Pl.: öffnen Sie!, lesen Sie! Die Konjunktivformen werden durch Hinzufügung des grammatischen Suffixes -e zum Präsens- bzw. Präteritalstamm des Verbs gebildet; dabei bekommen die umlautfähigen Stammvokale starker sowie einiger schwacher und präteritopräsentischer Verben im Prät. Konjunktiv den Umlaut (11). (11) (er) hab-e, hätt-e; komm-e, käm-e; bräuch-te; dürf-t-e. Der Konjunktiv Präs. vom Verb sein weist Sonderformen auf: sei, sei-e-st, sei, sei-e-n, sei-e-t, sei-e-n. Als eine analytisch gebildete Konjunktiv-Periphrase kann die Verbalfügung würde mit Infinitiv I (der sog. Konditionalis I) sowie mit Infinitiv II (der sog. Konditionalis II) fungieren ((12), (13)). (12) Er würde Sie gern heute anrufen. (13) Er würde die Post früher verschickt haben. Michaił L. Kotin

→ Faktizität; Imperativ; Indikativ; Konditional; Konjunktiv; Modus; Verbalkategorie

→ Gram-Syntax: Sachverhalt ⇀ Verbmodus (SemPrag)

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Verbparadigma

Gesamtheit der finiten und infiniten Verbalformen einer Sprache. ▲ verbal paradigm: totality of finite and non-finite verbal forms of a language. Ein Verbparadigma umfasst sämtliche Konjugationsformen sowie Infinitive und Partizipien. Die Anzahl der Konjugationsformen in einer flektierenden Sprache kann bei verschiedenen Verben von 3–5 bis über 200 betragen. Sie hängt von der Anzahl der grammatischen Kategorien im Verbalsystem einer gegebenen Sprache sowie von der Bildbarkeit der jeweiligen Formen beim konkreten Verb ab. So haben z.B. die unpersönlichen Verben viel weniger Formen als die persönlichen, vgl. regnen vs. geben. Außerdem sind die Teilparadigmata bestimmter Kategorien defekt, z.B. das Teilparadigma des Imperativs im Formenbestand des verbalen Modus. Das dt. Verbparadigma besteht

771 Verbpartikel aus drei großen Teilen, den (Teil)paradigmata des Tempus, des Modus und des genus verbi (der Diathese). Jedes Teilparadigma enthält – je nach der Anzahl der darin vorhandenen morphologischen Oppositionen – zwei bzw. drei (Genus), drei (Modus) oder sechs (Tempus) Konjugationsmodelle. Dabei wird das Verb in drei Personen und zwei Numeri konjugiert. Die Hierarchie der Verbparadigmatik bestimmt somit die Konfiguration der Konjugationsmuster: die untere Ebene bildet die Kategorie der Person (drei Formen), darauf folgt die Kategorie des Numerus (zwei Formen). In jedem der drei großen Teile des Verbparadigmas gibt es somit entweder alle sechs oder aber (bei defekten Paradigmata, z.B. im Imperativ) weniger Formen, z.B. Präs. Indikativ Aktiv gebe, gibst, gibt, geben, gebt, geben; Prät. Konjunktiv Passiv würde gegeben, würdest gegeben, würde gegeben, würden gegeben, würdet gegeben, würden gegeben; Imperativ gib!, gebt!, geben wir!, geben Sie! etc. Das Verbparadigma umfasst synthetische und analytische Verbalformen. Die synthetischen Formen werden mithilfe der Flexionsendungen, der grammatischen Suffixe und der inneren Flexion (des Ablauts) gebildet, die analytischen mithilfe der Auxiliarverben in Verbindung mit dem Infinitiv oder dem Partizip II des Vollverbs, vgl. mach-te-st, wär-e vs. hast gemacht, wäre gefahren, wird geben, wurde getragen. Synthetisch werden im Dt. die Formen des Präs. und Prät. Indikativ und Konjunktiv sowie die 2. Pers. Imperativ Sg. und Pl. gebildet, analytisch alle anderen Verbalformen. Die analytischen Sonderformen sind die Formen des Konditionalis I (würde geben/fahren) und II (würde gegeben haben/gefahren sein). Zu den infiniten Formen des dt. Verbparadigmas gehören das Partizip I (lachend, schreiend) und II (gelacht, geschrien) sowie der Infinitiv I (lachen, schreien) und II (gelacht haben, geschrien haben, gefahren sein). Michaił L. Kotin → § 11, 16; analytische Verbform; Indikativ; Paradigma; Suppletivverb; synthetische Verbform; Verbflexion; Verbform

🕮 Admoni, W.G. [1982] Der deutsche Sprachbau. 4., überarb. u. erw. Aufl. München ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1999] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Jarceva, V.N. et al. [1976–1978] Istorikotipologičeskaja morfologija germanskich jazykov. 3 Bde. Moskau ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein

Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Verbpartikel

morphologisch und syntaktisch trennbares Element komplexer Verben mit Homonym in einer anderen Wortart. ▲ verb particle: morphologically and syntactically separable part of a complex verb with a homonym in another word class. Im Dt. treten Verbpartikeln (im Gegensatz etwa zum Engl.) als Erstglieder von abgeleiteten oder zusammengesetzten Verben auf. Von den Verbpräfixen lassen sie sich aufgrund von zwei Eigenschaften unterschieden: Verbpartikeln sind stets betont (vgl. ábsagen, heránwachsen) und von ihrem Basisverb morphologisch und syntaktisch trennbar. Ihre morphologische Trennbarkeit zeigt sich vor allem beim Partizip II sowie bei zu-Infinitiven (abgesagt, herangewachsen bzw. abzusagen, heranzuwachsen), ihre syntaktische Trennbarkeit ist besonders in Verberst- und Verbzweitsätzen erkennbar, in denen sie zusammen mit der Basis des Finitums eine sog. Verbalklammer bilden: (1) Sag das für morgen vereinbarte Treffen ab! (2) Warum sagst du das für morgen vereinbarte Treffen nicht ab? Nach der Wortartenzugehörigkeit ihrer Homonyme können Verbpartikeln präpositional (abgeben, mitnehmen), adverbial (zuvorkommen, zurückgeben), adjektivisch (gutschreiben, schönreden), substantivisch (heimreisen, teilnehmen) oder seltener auch verbal-infinitivisch (kennenlernen, liegenlassen) sein. Péter Maitz

≡ Kompositionspartikel; trennbares Präfix; unfestes Präfix; verbales Halbpräfix

→ Partikel; Partikelverb; Präfixverb; präpositionale Verbpartikel; Präverb; Verbpräfigierung; Verbpräfix; Verbzusatz

→ Gram-Syntax: Verbalklammer ⇀ Verbpartikel (Wobi)

🕮 Donalies, E. [1999] Präfixverben, Halbpräfixverben, Partikelverben, Konstitutionsverben oder verbale Gefüge? Ein Analyse-

problem der deutschen Wortbildung. In: StGerm 3/2: 127–143 ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4).

Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stutt-

gart [etc.] ◾ Lüdeling, A. [2001] On particle verbs and similar constructions in German. Stanford, CA.

V

Verbpartikel, präpositionale 772

Verbpartikel, präpositionale → präpositionale Verbpartikel

Verbpräfigierung

produktiver verbaler derivativer Wortbildungsuntertyp, bei dem vor das einfache oder komplexe Wort ein Präfix tritt. ▲ verbal prefixation: productive subtype of verbal derivative word formation whereby a prefix is placed before a simple or complex word.

V

Die Verbpräfigierung gehört zum Wortbildungshaupttyp der Derivation. Im Gegensatz zur Partikelverbbildung mit trennbaren Verbpartikeln erfolgt die Präfigierung der Verben mit nichttrennbaren Präfixen (vgl. er-wachen → ich er-wache vs. auf-wachen → ich wache auf). Verbpräfigierungen werden regelhaft mit verbaler (er-kennen), substantivischer oder adjektivischer Basis (ent-grät-en, er-blind-en) gebildet, während andere Wortarten als Basis selten sind (ver-nein-en). Ihre Basis kann simplizisch (z.B. er-suchen) oder komplex (ver-ein-heit-lichen) sein (vgl. Fleischer/Barz 2012: 380). Neben der Partikelverbbildung ist die Präfigierung der produktivste verbale Wortbildungstyp. Mit der Partikelverbbildung weist die Verbpräfigierung Überschneidungen auf: Sie teilen sich viele sog. janusköpfige Präfixe/Verbpartikeln, die sowohl untrennbar in Präfigierungen als auch trennbar in Partikelverbbildungen teilweise in Kombination mit ein und derselben verbalen Basis auftreten. Als phonetisch unterscheidendes Merkmal liegt die Hauptbetonung des Wortbildungsprodukts bei den Verbpräfigierungen auf der Wortbildungsbasis und bei den Partikelverbbildungen auf der trennbaren Verbpartikel, vgl. durch- (Verbpräfigierung durch-láufen vs. Partikelverbbildung dúrch-laufen), hinter- (hinter-géhen vs. hínter-gehen), über- (über-sétzen vs. űber-setzen), um- (umfáhren vs. úm-fahren), unter- (unter-stéllen vs. únter-stellen), wider- (wider-spréchen vs. wíderspiegeln). Dagegen treten die Präfixe be-, ent-, er-, miss-, ver- und zer- ebenso wie Fremdpräfixe (z.B. de‑/des-, dis-, in-, ko-/kom-/kon-/kor- und re-) nur bei Verbpräfigierungen auf, da sie immer nichttrennbar sind (vgl. Fleischer/Barz 2012: 383ff., 395f.). Die Verbpräfigierung führt wie die Partikelverbbildung oft durch die mit der Wortbildung ein-

hergehende semantische Modifikation zu Veränderungen der syntaktisch-semantischen Valenz (dienen + Dat. → be-dienen + Akk.) sowie der Hilfsverben (ich habe gewacht vs. ich bin erwacht) (vgl. Duden 2009: 689; Eisenberg 1998: 244ff., 252f.). Igor Trost

→ Derivation; Partikelverb; Präfixverb; Präverb; Verbpartikel; Verbpräfix

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. Stuttgart ◾ Fleischer W./ Barz I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Auflage von I. Barz unter Mitarbeit von M. Schröder. Tübingen ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. Berlin [etc.].

Verbpräfix

Präfix, das der Ableitung von Verben aus einer lexikalischen Basis dient. ▲ verbal prefix: prefix used for the derivation of verbs from a lexical base. Verbpräfixe werden an Verbstämme, manchmal auch an lexikalische Basen aus anderen Wortarten vorne angefügt, um komplexe Verben zu bilden. Präfixverben sind anders als Partikelverben morphologisch und syntaktisch untrennbar. Typisch sind im Dt. kurze, unbetonte Verbpräfixe (1). (1) be-, ent-, er-, ge-, ver-, zerIm Gegenwartsdt. ist das Ableitungspräfix ge(ge#brauch#en) zu unterscheiden vom ersten Bestandteil des Zirkumfixes, mit dem das Partizip II gebildet wird (ge#frag#t). Hist. gehören beide zusammen, denn bis ins Frnhd. hinein konnte geauch in finiten Formen eine Handlung als abgeschlossen kennzeichnen (vgl. auch den luzerndt. Infinitiv nach Fischer 1960: 359: Er mags gässe [Er vermag es aufzuessen], aber Er mags ässe [Er isst es gern]). Wegen dieser Semantik fällt der Bestandteil ge- des Partizips II bis ins 18. Jh. oft weg, in regionalen Varietäten westlich des Rheins sogar heute noch über die Schweiz hinaus bei Partizipien II von ohnehin telischen/resultativen Verben. Bei Präfixverben (verstanden, erdacht) und bei Partikelverben, deren Basis ein Präfixverb ist (ausbedungen), bildet man wie bei Verben mit dem Fremdsuffix -ier- das Partizip II auch stan­ darddt. ohne zusätzliches ge-. Ein Partizip II wie

773 gebraucht ist damit ambig; es kann sowohl zum Infinitiv brauchen gehören als auch zum Infinitiv gebrauchen mit Verbpräfix ge-. Die übrigen Verbpräfixe aus (1) sind im Gegenwartsdt. produktiv. An Gelegenheitsbildungen wie beraunen, betwittern, erflennen, erfighten, verberlinern, vertricksen, verwürfeln lässt sich erkennen, was das Verbpräfix zur Bedeutung des neuen Lexems beiträgt: Das Präfix er- kennzeichnet hier eine erfolgreiche Handlung, durch die das im direkten Objekt (Akkusativobjekt) Bezeichnete erlangt wird. Das Präfix ver- kann u.a. das Misslingen einer Handlung kennzeichnen (sich verwürfeln), auch den Verlust (sein ganzes Vermögen verspielen) oder die Umgestaltung des im direkten Objekt Bezeichneten (etw. verberlinern). Allgemeiner: Aus atelischen Simplizia werden telische bzw. resultative Präfixverben. Valenzänderungen im Vergleich zum Simplex sind besonders eingehend für die be-Präfigierung beschrieben worden. Eine zweite Gruppe von Verbpräfixen hat Lexeme und Verbpartikeln als Homonyme; die Partikel ist jeweils betont und das Präfix unbetont (úmfahren → úmzufahren vs. umfáhren → zu umfáhren): (2) durch-, hinter-, über-, um-, unter-, voll-, wider-, wiederBetont wird ein solches Präfix jedoch auch in ungetrennten Formen, wenn die Ableitungsbasis komplex ist (du über-, unterbewertest etw.). Daher kann der Wortakzent auch auf dem Verbpräfix miss- (missverstehen im Gegensatz zu misstrauen) liegen, und so entwickeln sich manchmal konkurrierende getrennte Varianten. Zu den folgenden Präfixen werden trotz häufig abweichender Betonungsmuster (Kontrastbetonung auf Fremdpräfixen) keine homonymen Partikeln angesetzt: (3) anti-, de-/des-, dis-, in-, inter-, ko-/kol-/kom-/ kon-/kor-, miss-, post-, prä-, re- [re, re:], transIn den Formen anerkenne, anberaume, anvertraue, die vereinzelt auch außerhalb Österreichs und der Schweiz in Verbzweitsätzen vorkommen, ist das betonte an- ebenfalls Verbpräfix. Wie ein Verbpräfix verhält sich auch re- in du hast recycelt, rebootet (ohne ge-). Keine Verbpräfixe sind erste Bestandteile von Ableitungen aus komplexen Substantiven wie fachsimpeln, uraufführen, sandstrahlen – nicht nur wegen des Wortbildungstyps, der Rückbildung: Falls morphologisch

verbregierte Präposition ungetrennte Partizipien II gebildet werden, bleibt ge- erhalten (du hast gefachsimpelt). Gelegentlich werden die Termini Verbpräfix, verbal prefix als Oberbegriff für Verbpräfix und Verbpartikel oder gar speziell für Verbpartikel in Di­ stanzstellung als Wortart gebraucht.

Franziska Münzberg ≡ untrennbares Präfix; verbales Präfix → § 31; be-Verb; Präfix; Präfixverb; Präverb; Verbpartikel

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2011] Richtiges und gutes Deutsch. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. 7., vollst. überarb. Aufl. (Duden 9). Mannheim [etc.] ◾ Ebert, R.P./ Reichmann, O./ Solms, H.-J./ Wegera, K.-P. [1993] Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen ◾ Fischer, L. [1960] Luzerndeutsche Grammatik und Wegweiser zur guten Mundart. Zürich ◾ Paul, H. [2007] Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Aufl., neu bearb. von T. Klein, H.-J. Solms, K.-P. Wegera u. H.-P. Prell (­ SkGrgermD-A 2). Tübingen.

verbregierte Präposition

Präposition, die von einem Verb gefordert wird. ▲ verb-governed preposition: preposition required by a verb. Unter Rektion i.e.S. (von lat. regere 'regieren') ist traditionell die Kasusrektion, d.h. die Fähigkeit eines Wortes zu verstehen, den Kasus eines weiteren, abhängigen Wortes zu bestimmen. Diese Fähigkeit besitzt das Verb, aber auch das Adj. und die Präp. Verben können im Dt. die drei obliquen Kasus Akkusativ (1), Dativ (2) und Genitiv (3) regieren oder aber mittels einer PP (4) die Rektion vornehmen (Hentschel/Weydt 2013: 50), wobei die Präp. in der PP vom Verb regiert ist. (1) Er liebt seinen Hund. (2) Ich danke dir. (3) Wir gedenken des Opfers. (4) Er wartet auf den Bus. Verbregierte Präpositionen sind gebunden, da sie meist ihre eigentliche Bedeutung verloren haben, ohne Änderung der Satzbedeutung nicht austauschbar sind und somit auch neutrale oder leere Präpositionen genannt werden. Fast alle einfachen Präpositionen können von einem Verb (über etwas nachdenken), aber auch von einem Subst. (Lust auf mehr) oder Adj. (traurig über den Verlust), gefordert werden, und in solchen Verbindungen entfalten sie nicht ihre eigentliche lexikalische Bedeutung. Bisweilen treten verbregierte Präpositionen im FVG auf (in Verlegenheit bringen), aber am häufigsten im Präpositionalob-

V

verbum 774 jekt (Präpositivkomplement), wo die Objektbeziehung mit Hilfe einer fest mit dem Verb verbundenen, nicht frei wählbaren Präp. zustandekommt, die auch den Kasus des nominalen Teils der PP bestimmt (Duden 2005: §902f., 909; Hentschel/ Weydt 2013: 339). Beispiele wie (5) mit Präpositionalobjekt und mit reinem Dativ (5a) verdeutlichen die Objektbeziehung mit Hilfe der PP mit gebundener, d.h. verbregierter Präp. (5) Ich schreibe einen Brief an meinen Freund. (5a) Ich schreibe meinem Freund einen Brief. Die Unterscheidung zwischen Adverbialbestimmung und Präpositionalobjekt bereitet oft Schwierigkeiten, da die gleiche Präp. sowohl verbregiert im Präpositionalobjekt (6) als auch nicht-verbregiert in der Adverbialbestimmung (7) vorkommen kann. (6) Wir unterhalten uns mit unseren Freunden. (7) Wir fahren mit unseren Freunden nach Italien. Während die PP in (6) von der Valenz des Verbs sich unterhalten gefordert wird, ist sie dies nicht in (7), sondern eine freie Angabe, da 'Begleitung' nicht im Stellenplan des Verbs fahren verankert ist, obwohl Valenzgebundenheit, für sich allein genommen, noch kein ausreichendes Kriterium für ein Präpositionalobjekt ist, da manche Verben auch obligatorische Adverbialbestimmungen fordern (z.B. wohnen) (vgl. Lerot 1982: 267). Elisabeth Bertol-Raffin

→ Präposition; Präpositionalkasus → Gram-Syntax: adverbiale Präpositionalgruppe; casus obli-

quus; Kasusrektion; obliques Objekt; Präpositionalobjekt; Präpositionalrektion; Präpositivergänzung; Präpositivkomplement; Rektion

V

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Lerot, J. [1982] Die verbregierten Präpositionen in Präpositionalobjekten. In: Abraham, W. [Hg.] Satzglieder im Deutschen. Vorschläge zur syntaktischen, semantischen und pragmatischen Fundierung. Tübingen: 261–291.

verbum ≡ Verb

verbum curandi

Vertreter einer semantischen Klasse von Verben, die ein Besorgtsein um etwas zum Ausdruck bringen.

▲ verbum curandi: representative of a semantic class of verbs expressing concern.

Der Terminus (vgl. lat. curare 'Sorge tragen') ist insbesondere in der Altphilologie verbreitet. Ein verbum curandi dient als Matrixverb eines Begehr- oder Finalsatzes. Die entsprechenden Nebensätze werden im Lat. mit ut ['dass', 'damit'] bzw. ne ['dass', 'damit nicht'] eingeleitet (1). (1) Videant consules ne quid res publica detrimenti capiat (Cicero, In Catilinam) ['Die Konsuln sollen zusehen, dass das Gemeinwesen keinen Schaden nimmt.']

→ Verb → Gram-Syntax: Finalsatz; Matrixsatz ⇀ verbum curandi (HistSprw)

Thorsten Roelcke

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

verbum defectivum

Vertreter einer Klasse von Verben, deren Flexionsparadigma jeweils unvollständig ist. ▲ verbum defectivum; defective verb: representative of a class of verbs that have an incomplete inflectional paradigm. Der Terminus (vgl. lat. defectivus 'unvollständig') findet insbesondere in der Altphilologie Verwendung, wobei zwei Subklassen solcher Verben zu unterscheiden sind: (a) Verben, die allein in einem Tempusstamm erscheinen (z.B. lat. coepi 'ich habe begonnen' im Perfektstamm mit perfektiver Bedeutungskomponente vs. incipio 'ich beginne' im Präsensstamm mit imperfektiver Bedeutungskomponente). (b) Verben, von denen lediglich einzelne Flexionsformen bestehen (z.B. lat. aio 'ich sage' oder inquit 'er/sie sagt'). Thorsten Roelcke

→ Flexionsparadigma; Tempusstamm; Verb ⇀ verbum defectivum (HistSprw)

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

verbum dicendi

semantische Gruppe von Verben, die einen Sprechoder Denkvorgang ausdrücken. ▲ verbum dicendi: semantic group of verbs expressing a process of saying or thinking.

775

verbum proprium

Verba dicendi, auch Verben des Sagens und Denkens genannt, stellen eine semantische Gruppe von Verben dar, die eine sprachliche Aktivität oder einen Denkvorgang ausdrücken (sagen, denken, meinen, glauben, vermuten, schreiben). Gemeinsam ist diesen Verben, dass sie eine obligatorische Objektergänzung fordern. Dabei bilden verba dicendi das Prädikat von Matrixsätzen, während das Gesagte oder Gedachte in Form von Objektsätzen realisiert wird. Im Sinne von Bäuerle (1991: 709) drücken die Objektsätze die Proposition und die Matrixverben die „Einstellung zu dieser Proposition“ aus. Die Realisierungsform der Objektsätze zeigt nach verba dicendi Alternativen: Neben der klassischen Nebensatzform mit einem Subjunktor als Einleitungselement und Verbletztstellung kommen sowohl in der geschriebenen als auch in der gesprochenen Sprache nicht-eingeleitete Konstruktionen mit Verbzweitstellung vor, die Auer (1998) als abhängige Hauptsätze bezeichnet. Dabei werden abhängige Hauptsätze in der gesprochenen Sprache häufiger verwendet, Auer zeigt jedoch, dass diese Tendenz bei einzelnen Verben unterschiedlich ausgeprägt ist (vgl. Auer 1998: 286ff.). Viktória Dabóczi

→ Matrixverb; redeeinleitendes Verb; Verb → Gram-Syntax: nicht-eingeleiteter Nebensatz; Objektsatz ⇀ verbum dicendi (HistSprw)

🕮 Auer, P. [1998] Zwischen Parataxe und Hypotaxe. ‚Abhängige Hauptsätze‘ im gesprochenen und geschriebenen Deutsch. In: ZGL 26/3: 284–307 ◾ Bäuerle, R. [1991] Verben der propositionalen Einstellung. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Semantik (HSK 6). Berlin: 709–722 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Schwitalla, J. [2003] Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. 2., überarbeitete Aufl. Berlin.

verbum finitum ≡ finite Verbform

verbum impediendi

Vertreter einer semantischen Klasse von Verben, die ein Hindern von etwas zum Ausdruck bringen. ▲ verbum impediendi: representative of a semantic class of verbs expressing the prevention of something. Der Terminus (vgl. lat. impedire 'hindern') findet insbesondere in der Altphilologie Verwendung.

Verben des Lat. wie prohibere 'verhindern', deterrere 'abschrecken' oder obstare 'im Wege stehen' erscheinen als Matrixverben von Begehr- oder Finalsätzen, die die Hoffnung ausdrücken, dass etwas nicht geschehen möge. Die entsprechenden Nebensätze werden daher mit ne, quin, quominus 'dass, damit nicht' (im Dt. mit dass bzw. Infinitivkonstruktion wiederzugeben) eingeleitet (1). (1) Cicero Catilinam impedivid, quin rei publicae noceret. ['Cicero hinderte Catalina daran, dem Staat Schaden zuzufügen.']

→ Verb → Gram-Syntax: Finalsatz; Matrixsatz

Thorsten Roelcke

🕮 Menge, H. [2000] Lehrbuch der lateinischen Syntax und Se-

mantik. Völlig neu bearb. von T. Burkard und M. Schauer. Darmstadt.

verbum infinitum ≡ infinite Verbform

verbum meteorologicum ≡ Witterungsverb

verbum proprium

Wort, das im Rahmen eines Tropus, insbesondere einer Metapher, durch ein anderes Wort ersetzt wird. ▲ verbum proprium: expression that is substituted by another expression within a trope, especially a metaphor. Bei einem Tropus (einer Metapher) wird ein ursprünglicher Ausdruck (Substitutum, verbum proprium) durch einen anderen, neuen Ausdruck (Substituens, Tropus im eigentlichen Sinne) ersetzt. Der Kontext dient dabei als Indikator, dass eine solche Substitution vorliegt. (1) Klaus hat die Chopin-Etüde gehämmert. In (1) ist gehämmert der Tropus, hart gespielt das verbum proprium und Musik der Kontext der Substitution.

→ Verb ⇀ verbum proprium (HistSprw)

Thorsten Roelcke

🕮 Lakoff, G./ Johnson, M. [1980] Metaphors We Live By. Chicago, IL ◾ Lausberg, H. [2008] Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 4. Aufl. Stuttgart ◾ Rolf, E. [2005] Metaphertheorien. Berlin.

V

verbum sentiendi 776

verbum sentiendi

semantische Gruppe von Verben, die Wahrnehmung oder geistliche Prozesse ausdrücken. ▲ perception verb: semantic group of verbs expressing perception or cognitive processes. Verba sentiendi sind sog. Wahrnehmungsverben, die Wahrnehmung oder geistliche Prozesse ausdrücken (sehen, hören, hoffen, annehmen, wissen, vergessen). Verba sentiendi fordern eine obligatorische Objektergänzung, die häufig als Objektsatz realisiert wird, während das verbum sentiendi das Prädikat des Matrixsatzes bildet. Zumindest bei Verben, die geistliche Prozesse ausdrücken, zeigt Bäuerle (1991: 709), dass die Objektsätze die Proposition und die Matrixverben die „Einstellung zu dieser Proposition“ ausdrücken. Objektsätze können nach verba dicendi und auch nach verba sentiendi sowohl in der klassischen eingeleiteten Nebensatzform (mit Verbletztstellung und Subjunktor) als auch nicht-eingeleitet mit Verbzweitstellung vorkommen. Letztere bezeichnet Auer (1998) als abhängigen Hauptsatz. Dieser kommt in der gesprochenen Sprache tendenziell zwar häufiger vor, der Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache divergiert jedoch bei den einzelnen Verben erheblich. Gerade bei den Verben der Sinneswahrnehmung (speziell bei sehen und hören) ist die Häufigkeit von abhängigen Hauptsätzen in der gesprochenen und geschriebenen Sprache ausgeglichen (vgl. Auer 1998: 286ff.). Die Verben der Sinneswahrnehmung (insbesondere sehen und hören) unterscheiden sich auch bzgl. der Rektion von Verben, die geistliche Prozesse ausdrücken. Sie regieren neben dem Akkusativ auch den reinen Infinitiv und werden als AcI-Verben bezeichnet ((1); Duden 2005: 434). (1) Ich hörte den Chor singen.

V

Viktória Dabóczi ≡ Wahrnehmungsverb → AcI-Verb; Matrixverb; Verb → Gram-Syntax: Akkusativ mit Infinitiv; nicht-eingeleiteter Nebensatz; Objektsatz ⇀ verbum sentiendi (HistSprw) ⇁ perception verb (Typol)

🕮 Auer, P. [1998] Zwischen Parataxe und Hypotaxe. ‚Abhängige Hauptsätze‘ im gesprochenen und geschriebenen Deutsch. In: ZGL 26/3: 284–307 ◾ Bäuerle, R. [1991] Verben der propositionalen Einstellung. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [Hg.] Se-

mantik (HSK 6). Berlin: 709–722 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

verbum substantivum

im Deutschen das Verb sein, im Englischen to be bzw. im Lateinischen esse . ▲ verbum substantivum: the verb to be. In der lat. Grammatiktradition wurde urspr. das Subst. als verbum substantivum (eigentlich: Sub­ stanzwort, vgl. lat. substantia) bezeichnet. Der heute verwendete Terminus verbum substantivum ist die hist. Bezeichnung für das unregelmäßig konjugierte Verb sein (ahd. uuesan, mhd. wesen, sîn). Er stammt von der ursprünglichen Bedeutung dieses Verbs, das keine Handlung bzw. keinen Vorgang, sondern die Existenz, das Dasein denotiert. Da das Verb sein auch heute noch, wenngleich selten, in dieser Bedeutung verwendet werden kann (vgl. Gott ist), ist auch seine Bezeichnung als verbum substantivum nach wie vor motiviert. Aber auch in einigen anderen Funktionen, als ergänzungsbedürftiges Vollverb sowie als Kopula, realisert sein – zumindest teilweise – seine genuinen Eigenschaften als Daseinsverb ((1)–(3)). (1) Peter ist jetzt zu Hause. (2) Peter ist Lehrer. (3) Peter ist reich. Abgeschwächt tritt diese Bedeutung im Zustandspassiv auf, wo die kopulative Funktion von sein zwar noch fortbesteht, seine Eigenbedeutung jedoch stark abgebaut ist ((4), (5)). (4) Das Fenster ist geöffnet. (5) Die Bücher waren ausverkauft. Bei dem sein-Perfekt bzw. -Plusquamperfekt tritt sein in der Funktion eines Auxiliars auf, wodurch seine Eigenbedeutung und somit auch der Status eines verbum substantivum weitgehend verloren gehen. (6) Peter ist/war aus Berlin zurückgekehrt.

↔ Handlungsverb; Vorgangsverb → Kopulaverb; Verb; verbales Paradigma ⇀ verbum substantivum (HistSprw)

Michaił L. Kotin

🕮 Grimm, J. [1989] Deutsche Grammatik. Neuaufl. Leipzig.

Verbzusammensetzung ≡ Verbkompositum

777 Vergangenheits-Perfekt

Verbzusatz

Konstituente eines komplexen Verbs, die mit dem Verbstamm eine einzige Wortform bilden kann, aber auch von diesem getrennt stehen kann. ▲ verbal particle: constituent of a complex verb which forms one word form with the verb stem in some syntactic constructions but is separated from the stem in other syntactic constructions. Geprägt von Glinz (1952: 259, 389ff.), ist der Ausdruck Verbzusatz nur schwach terminologisiert und weitgehend gleichbedeutend mit Verbpartikel – bezeichnet also diejenige Konstituente komplexer Verben, die im Infinitiv und in Verbletztstellung mit dem Verbstamm zusammengeschrieben wird, die bei Verberst- oder Verbzweitstellung aber vom Verbstamm getrennt die rechte Satzklammer bildet; vgl. abbiegen in (1), (1a) und hinaufsteigen in (2), (2a). (1) Als Nadio und Michael zum Jingshan-Park abbiegen, [...]. (2) Bevor Nadio und Michael den Kohlenberg hinaufsteigen, [...]. (1a) Nadio und Michael biegen zum JingshanPark ab. (2a) Nadio und Michael steigen den Kohlenberg hinauf. Bergenholtz/Schaeder (1977: 90, 221f.) klassifizieren die Verbzusätze als eigene Wortart innerhalb der geschlossenen Wortarten; andernorts werden sie als „abtrennbare Präfixe“ charakterisiert (Engel 2004: 229) oder noch innerhalb der abtrennbaren Elemente als relativ bedeutungskonstante Erstglieder (insbesondere mit räumlicher Bedeutung, etwa vor-, zu-, entgegen-) von anderen, polysemen „Halbpräfixen“ (etwa ab-, ein-, unter-) unterschieden (vgl. Duden 1998: 463–471). Mit Duden (2005) wird diese Unterscheidung aufgehoben, Verbzusatz wird synonym zu Verbpartikel (in einer weiten Auffassung) und nur sekundär zu dem letztgenannten Terminus gebraucht. Michael Mann

→ Partikelverb; trennbares Verb; Verb; Verbpartikel ⇀ Verbzusatz (Wobi)

🕮 Bergenholtz, H./ Schaeder, B. [1977] Die Wortarten des Deutschen. Versuch einer syntaktisch orientierten Klassifikation. Stuttgart ◾ Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Gram-

matik. Neubearb. München ◾ Glinz, H. [1952] Die innere Form des Deutschen: Eine neue deutsche Grammatik. Bern [etc.].

Verdoppelung

≡ Reduplikation ⇀ Verdoppelung (Lexik)

Vergangenheit

≡ Präteritum ⇀ Vergangenheit (SemPrag)

Vergangenheit, erste → Präteritum

Vergangenheit, vollendete → Plusquamperfekt

Vergangenheits-Futur II

Bedeutungsvariante des Futurs II, in welcher es zur Bezeichnung eines vermuteten Geschehens in der Vergangenheit gebraucht wird. ▲ future perfect tense referring to the past: meaning of the future perfect in which it is used to denote some assumed event in the past. Für das Vergangenheitsfutur sind die Orientierungs- bzw. Evaluationszeit und die Ereigniszeit identisch, die Sprechzeit liegt nach ihnen. Somit bezeichnet das Vergangenheitsfutur ein vergangenes Geschehen. In dieser Verwendung deckt sich die temporale Komponente des Futurs II völlig mit der des Perfekts. Gegenseitige Austauschbarkeit dieser Formen verhindert die modale Bedeutung des Futurs II, die beim Perfekt nur durch Modalwörter der Vermutung, wie wohl, wahrscheinlich u.a. ergänzt werden kann ((1), (2)). (1) Die Geburtenrate wird 2007 um fünf Prozent gestiegen sein. (2) Die Geburtenrate ist 2007 wohl um fünf Prozent gestiegen.

→ Futur; Futur II; resultatives Futur II

Kateryna Panchenko

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Vergangenheits-Perfekt

Perfekt, das einfache Vergangenheit ausdrückt ohne eine sekundäre Evaluationszeit.

V

Vergangenheits-Plusquamperfekt 778 ▲ perfect denoting simple past tense: perfect that

expresses simple past tense without a secondary evaluation time. In Umgangssprachen und in Dialekten ist das Perf. ein einfaches Vergangenheitstempus ohne sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit). Auch in der Standdardsprache kann das Perf. ein Vergangheitstempus ohne Betrachtzeit sein.

Klaus Welke → Doppelperfekt; Perfekt; Plusquamperfekt; Präteritum

🕮 Eroms, H.-W. [1983] Relativer und absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts im Deutschen. In: Askedal, J.O./ Christensen, C./ Findreng, Å./ Leirbukt, O. [Hg.] Festschrift für Laurits Saltveit. Oslo [etc.]: 58–71 ◾ Klein, W./ Stutterheim, C. von [1987] Qaestio und referentielle Bewegung in Erzählungen. In: LB 109: 163–183 ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

Vergangenheits-Plusquamperfekt

Plusqamperfekt, das in bestimmten Kontexten eine einfache Vergangenheit wie das Präteritum oder das Perfekt ausdrückt. ▲ pluperfect denoting simple past tense: pluperfect which expresses simple past tense like the preterite or perfect in particular contexts.

V

Wenn es keinen Vergangenheitskontext (kein Prät. oder Perf.) gibt, der für das Plq.perf. als sekundäre Evaluationszeit (Betrachtzeit) dienen kann, dann realisieren die Hörer oft keine sekundäre Evaluationszeit. Das Plq.perf. wird zu einem neutralen Vergangenheitstempus ohne sekundäre Evaluationszeit. Als Spur seiner Verwendung als Vor-Vorzeitigkeitstempus kann aber auch (unterstützt eventuell durch weitere Signale) übrigbleiben, dass der Hörer die Plusquamperfektverwendung als Hinweis auf eine als besonders weit zurück liegend empfundene Vergangenheit interpretiert, nämlich als ‚Vor-Vorvergangenheit‛ ((1)–(1b)). (1) Gestern glaubte er noch, dass [...]. (1a) Gestern hat er noch geglaubt, dass […]. (1b) Gestern hatte er noch geglaubt, dass [...]. Klaus Welke

→ Doppelperfekt; Plusquamperfekt; Präteritum; Tempussystem

🕮 Eroms, H.-W. [1983] Relativer und absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts im Deutschen. In: Askedal, J.O./ Christensen, C./ Findreng, Å./ Leirbukt, O. [Hg.] Festschrift für Laurits Salt-

veit. Oslo [etc.]: 58–71 ◾ Klein, W./ Stutterheim, C. von [1987] Qaestio und referentielle Bewegung in Erzählungen. In: LB 109: 163–183 ◾ Reichenbach, H. [1947] Elements of Symbolic Logic. New York, NY ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

vergleichende Konjunktion ≡ komparative Konjunktion

Vergleichsbildung

≡ Komparation ⇀ Vergleichsbildung (Wobi)

Vergleichsform ≡ Komparation

Vergleichskonstrukt

Komparationsglied bei einem adjektivalen oder adverbialen Vergleich. ▲ second term of the comparison; comparative structure: comparative member in an adjectival or adverbial comparison. Bei der Bildung der Vergleichsformen von Adjektiven und Adverbien sind drei Steigerungsstufen zu unterscheiden: Positiv bzw. Grundstufe (1), Komparativ bzw. Vergleichsstufe (2), Superlativ bzw. Höchststufe (3). (1) Renate ist so alt wie Hartmut. (2) Renate ist älter als Hartmut. (3) Renate ist die älteste von allen. Beim Positiv wird im Dt. die Vergleichskonstruktion durch die Partikel wie eingeleitet, als Korrelat gilt das Verweiselement so (4). (4) Peter ist so intelligent wie Barbara. Analoge Bildungen sind im Engl. (4a) und im Span. (4b) zu finden. (4a) Peter is as intelligent as Barbara. (4b) Pedro es tan inteligente como Barbara. Der dt. Komparativ besteht aus einem Adj. in der Vergleichsstufe sowie aus einer durch die Vergleichspartikel als eingeleitete Struktur (5). (5) London ist teurer als Madrid. In definiten NPn kann nur eine Auswahlmenge (die intelligentere Frau von beiden), in indefiniten NPn nur eine Vergleichskonstruktion angeschlossen werden (eine intelligentere Frau als früher). Für das Engl. ist der Anschluss than ((5a), (5b)) und für das Span. que (5c) vorhanden.

779 Vergleichspartikel (5a) London is more expensive than Madrid. (5b) Mary ist richer than Peter. (5c) Londres es más cara que Madrid. Beim Superlativ wird das dt. Adj. in dieser Stufe stets mit dem definiten Artikel gebildet. Ferner weist die Vergleichsstruktur unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten auf: Im Dt. kommt häufig eine PP (mit der Präp. von oder unter) oder eine Genitivphrase (die Schönste der Gruppe) vor. Anstelle der Auswahlmenge kann auch eine Situativbestimmung (die Schönste hier) realisiert werden. Bei prädikativer Verwendung sind zwei Realisierungen möglich (6). (6) Susana war die schnellste. (6a) Susana war am schnellsten. Das Engl. ((7), (8)) und das Span. (7a) verfügen über vergleichbare Ausdrucksmöglichkeiten. (7) Santiago is the noisiest city in Spain. (8) This chair is the most comfortable of them. (7a) Santiago es la ciudad más bonita de España. Vergleichskonstruktionen können satzförmig aufgebaut werden. Das relativ komparierte Adj. bewirkt eine Valenzerhöhung. Somit unterscheidet Engel (2004: 356ff.) zwischen der Graduativergänzung, einer spezifizierenden Bestimmung bzw. dem Geltungsbereich (9), und der Vergleichsergänzung, einer Vergleichskonstruktion (10). (9) Monika ist 25 Jahre alt. (10) Monika ist so alt wie Antje. Bzgl. der Graduativergänzung (Engel 2004: 356f.) liegen folgende Fälle vor: (i.) die Graduativergänzung zum Positiv, die mit der Anapher so geprüft werden kann (11). (11) Die Brücke war 70 Tonnen schwer. (ii.) die Graduativergänzung zum Komparativ, die mit der Anapher (um) soviel getestet werden kann (12). (12) Das um 12 Euro günstigere Hemd. (iii.) die Graduativergänzung zum Superlativ, zu der es keine Anapher gibt (13). (13) Sie war die weitaus intelligenteste im Team. Die Vergleichsergänzung, die prinzipiell nur bei relativer Komparation vorhanden ist, enthält folgende Untergruppen (Engel 2002: 358): (i.) die Vergleichsergänzung zum Positiv (14). (14) Er hat die Arbeit so gut wie möglich gemacht. Als Anapher gilt wie + Pron./Adverb. Die Vergleichsergänzung kann satzförmig zum Ausdruck

gebracht werden (15), und auch in der absoluten Komparation (16) realisiert werden. (15) Ihr Gesang war so perfekt, wie man es sich kaum vorstellen konnte. (16) Alt war er wie ein Rabe. (ii.) die Vergleichsergänzung zum Komparativ (17). (17) Santiago ist ruhiger als Frankfurt. Die Anapher lautet als + Pron./Adverb. Diese Ergänzung lässt satzförmige Realisierungen zu (18). (18) ein gefährlicheres Unternehmen, als es der Afghanistaneinsatz war (iii.) die Vergleichsergänzung zum Superlativ (19), bei der als Anaphern davon, darunter und da zur Verfügung stehen. (19) der glücklichste Tag von allen (20) das intelligenteste Kind hier Auf der Grundlage des Geschehenstests schreibt Eroms (2002: 212) die Engelʼsche Vergleichsergänzung auch dem Ergänzungsbereich zu. Eisenberg (2006: 390ff.) spricht diesbezüglich von den Argumenten des Adjektivs. María José Domínguez Vázquez

→ Adjektiv; Adverb; Komparation; Komparativ; Positiv; Superlativ; Vergleichspartikel

→ Gram-Syntax: Komparativsatz; Vergleichsergänzung

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Eroms, H.W. [2000] Syntax der deutschen Sprache. Berlin ◾ Varnhorn, B. [1993] Adjektive und Komparation. Studien zur Syntax, Semantik und Pragmatik adjektivischer Vergleichskonstrukte (StDG 45). Tübingen.

Vergleichspartikel

unflektierbares Wort zur Herstellung einer vergleichenden, identifizierenden, klassifizierenden, quantifizierenden oder spezifizierenden Relation zwischen zwei Größen. ▲ comparative particle: inflected word to establish a comparing, identifying, classifying, quantifying or specifying relation between two entities.

Funktional betrachtet stellen Vergleichspartikeln (dt. wie, als; engl. as, than) Adjunktoren dar, indem sie aus einer Phrase oder einem Satz ein Adjunkt mit eigenständiger syntaktischer Funktion machen. Vergleichspartikeln gehören insofern nicht zum Kernbestand der Partikeln, als sie (infolge ihrer junktiven Funktion) nicht weglassbar

V

Vergleichsstufe 780 sind, ohne dass die syntaktische Struktur des betroffenen Satzes ungrammatisch wird: (1) Sie gilt *(als) Expertin ihres Faches. Vergleichspartikeln werden gelegentlich auch als Präp. klassifiziert. Dagegen spricht jedoch, dass Vergleichspartikeln im Unterschied zu den Präpositionen keinen Kasus regieren. Die zwei durch die Vergleichspartikel verknüpften Größen müssen im Hinblick auf ihren Kasus kongruent sein: (2) Sie hat ihn als Experten eingeladen. (3) Er wurde als Experte eingeladen. Werden Vergleichspartikeln zur Bildung von Komparativstrukturen eingesetzt, so wird im Standarddt. im Falle von Gleichheit die Vergleichspartikel wie (4), bei Ungleichheit hingegen die Partikel als (5) verwendet: (4) Er ist so groß wie sein Bruder. (5) Er ist größer als sein Bruder.

→ Konnektor; Partikel; Vergleichskonstrukt → Gram-Syntax: Adjunktion; Vergleichsergänzung

Péter Maitz

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Pasch, R./ Brauẞe, U./ Breindl, E./ Waẞner, U.H. [2003] Handbuch der deutschen Konnektoren 1: Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (SchIDS 9). Berlin [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Vergleichsstufe ≡ Komparativ

Vergleichsverb

denominales Verb, dessen Basissubstantiv als subjektbezogenes Komparationsglied gilt. ▲ comparative denominal verb: comparative denominal verb which is formed on the basis of a noun and whose meaning is basically motivated by this noun.

V

Die Vergleichsverben lassen sich auf eine grobe Umformulierung der Art „jemand oder etwas verhält sich/ arbeitet als X/ wie ein X“ zurückführen (1). (1) Er ist als Kellner tätig → Er kellnert. Zur Bildung denominaler Vergleichsverben, deren Bedeutung grundsätzlich durch die Bedeutung der Basissubstantive motiviert ist, stehen unterschiedliche Wortbildungsprozesse zur Verfügung: (a) Konvertierte Verben (vgl. die Stammbildungen bei Engel 1988) sind ohne Zuhilfenahme

von Wortbildungsmorphemen entstanden. Die genaue Bedeutungsparaphrase lautet „als jmd. arbeiten/ tätig sein, sich wie jmd./etw. verhalten“ (Fleischer/Barz 1992: 306). Als Basen sind hauptsächlich Personen, die nach Herkunft, Beruf oder Handlungsweise bezeichnet werden (2), Tierbezeichnungen (3) und seltener Sachbezeichnungen (4) vorhanden: (1) der Berliner → berlinern; der Schauspieler → schauspielern; der Schriftsteller → schriftstellern (2) der Büffel → büffeln; der Hamster → hamstern (3) die Feder → federn; die Schaukel → schaukeln (b) Explizite Derivation durch Präfigierung trägt zur Bildung denominaler Verben bei, die auf die Formulierung „sich wie jmd./etw. verhalten“ zurückgehen. Explizite Ableitungen mit dem Präfix be-, vereinzelt auch mit ver-, haben grundsätzlich Personenbezeichnungen (be-mutter-n, ver-arzten) und Tierbezeichnungen (jmdn. nachäffen) zur Grundlage. (c) Die durch die explizite Derivation mittels der Suffigierung mit -ier(en) bzw. -isier(en) gebildeten Verben geben in diesem Zusammenhang die Bedeutung 'als jmd. tätig sein, sich wie jmd. verhalten' wieder, wie z.B. spion-ieren, jmdn. tyrannisieren. María José Domínguez Vázquez

→ Komparation; Verb; Vergleichspartikel

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [1991] Deutsche Grammatik. 2., verb. Aufl. Heidelberg ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1992] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

Verhaltensadjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Adjektive, die eine aktivisch-modale Bedeutung aufweisen. ▲ adjective indicating attitude: semantically defined subclass of adjectives which have an active modal meaning. Verhaltensadjektive sind deverbale Adjektive mit aktivisch-modaler Bedeutung. Sie geben an, dass eine Fähigkeit oder Neigung zum jeweils vom Verb genannten Verhalten existiert. Dabei handelt es sich um Wortbildungsprodukte, die mittels verschiedener Suffixe gebildet werden wie -ig, -lich, -sam, -haft, -(er)isch, -ant/-ent, -(at)‌iv,

781

verschmolzene Präposition

-abel oder -fähig: zittrig, hinderlich, zaghaft, angeberisch, amüsant, kongruent, informativ, spendabel, lernfähig. (1) Viele Großunternehmen verordnen sich derzeit eine Revolution. An die Stelle fester Hierarchien treten veränderliche Netze. (Die Zeit-online, 17.02.2000) (2) Die repräsentative Studie basiert auf Angaben von rund 500 Lehrern. (Hamburger Morgenpost, 27.05.2008: 5) Z.T. können Bildungen wie angeberisch auch auf ein Subst. zurückgeführt werden (Subst. Angeber + Suffix -isch oder Verbstamm angeb- + Suffixvariante -erisch). Mitunter begegnen auch Negationsbildungen mit dem Suffix -lich, zu denen es keine positive Entsprechung gibt wie unermüdlich oder unaufhörlich. Jussara Paranhos Zitterbart

→ abgeleitetes Adjektiv; Adjektiv; Adjektivsuffix; deverbales Adjektiv; Relationsadjektiv

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Trost, I. [2006] Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg.

Verhältniswort ≡ Präposition

Verkleinerung ≡ Diminution

Verkleinerungsbildung ≡ Diminutiv

Verkleinerungsform ≡ Diminutiv

Verlaufsform

≡ Progressiv ⇀ Verlaufsform (CG-Dt)

Verneinung ≡ Negation

Verneinung, doppelte → doppelte Negation

Verschmelzung

≡ Kontraktion ⇀ Verschmelzung (Phon-Dt; CG-Dt)

Verschmelzungsform ≡ Kontraktion

verschmolzene Präposition

Resultat eines Klitisierungsprozesses, bei dem ein Artikel enklitisch mit einer präpositionalen Basis verbunden wird. ▲ contracted preposition; amalgamated preposition: result of a cliticization process where an article fuses enclitically with a preposition. Unter den verschmolzenen Präpositionen lassen sich solche ausmachen, bei denen nur die Form des Artikels reduziert ist (z.B. zur ← zu + der, ins ← in + das; bei weniger gebräuchlichen Verschmelzungen häufig mit Apostroph an der Morphemgrenze zwischen Präp. und reduziertem Artikel, z.B. in’n ← in den), und solche, bei denen auch die Präp. an Substanz verliert (z.B. im ← in + dem, vom ← von + dem). Der enklitische Artikel, meist ein bestimmter, hat als sich anlehnendes Morphem einen Status zwischen Wort und gebundenem Morphem (vgl. Nübling 1992). In einigen Fällen ist die verschmolzene Form obligatorisch oder nur in definierten Kontexten durch die jeweiligen Vollformen zu ersetzen, etwa bei Datumsangaben (am 25. Juli; an dem 25. Juli nur bei genau determiniertem Zeitpunkt), bei substantivierten Infinitiven (beim Laufen), festen Wendungen (Sie drückte ihm den Eisbeutel aufs/ auf das Auge, aber: Sie drückte ihm die Arbeit aufs Auge/ *auf das Auge) etc. (vgl. detailliert Nübling 2005). Da verschmolzene Präpositionen genus-, numerusund kasusmarkiert sind, werden sie auch als flektierte Präpositionen angesehen. Verschmolzene Präpositionen treten außer im Dt. auch in anderen Sprachen auf, vgl. etwa frz. des ← de + les, ital. della ← di + la, niederl. in’t ← in het. Michael Mann

→ Artikel; Klitisierung; Kontraktion; Portmanteaumorphem; Präposition

🕮 Nübling, D. [1992] Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte (ScrOr 42). Tübingen ◾ Nübling, D. [2005] Von in die über in’n und ins bis im. Die Klitisierung von Präposition und Artikel als „Grammatikalisierungsbaustelle“. In: Leuschner, T./ Mortelmans, T./ Groodt, S. de [Hg.] Grammatikalisierung im Deutschen (LingI&T 9). Berlin [etc.]: 105–131 ◾ Schmöe, F. [2004] Fahr zur Hölle! Über Verschmelzungen aus Präpositionen und bestimmtem Artikel und ihre Grammatikalisiertheit. In: NphMit 105: 209–230.

V

vertrauliche Form 782

vertrauliche Form

direkte, nicht-honorative Form des Imperativs. ▲ confidential form: direct, non-honorific form of the imperative. Mit Engel (1996: 426f.) wird der einfache Imperativ als vertrauliche Form bezeichnet. Ihm stehen eine oder mehrere Distanzformen gegenüber, die Honorativ-Aspekte beinhalten (vgl. Dt. komm! vs. kommen Sie!).

→ Anredeform; Honorativ; Imperativ

Wolfgang Schulze

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg.

Vervielfältigungszahlwort ≡ Multiplikativum

Verweisform

sprachlicher Ausdruck, der auf einen vorangehenden oder nachfolgenden Bezugsausdruck verweist und diesen ersetzt, wodurch eine semantische Beziehung zwischen beiden Textbestandteilen hergestellt wird. ▲ pro-form: linguistic expression which refers to an expression in the accompanying text by replacing it, thus creating a semantic relation between the two.

V

Bei der Verweisform wird die anaphorische (rückbeziehend, der in (1)) und die kataphorische Verweisform (auf später folgende Informationen bezogen, vgl. sie in (2)) unterschieden. (1) Es war einmal ein Mann. Der hatte einen Sohn. (2) Bevor sie ihre Mutter anrufen konnte, musste Anna ihr Mobiltelefon aufladen. U.a. können folgende Elemente als Verweisformen verwendet werden: Reine Verweispronomina (er, sie, es), Demonstrativpronomina (der, die, das; dieser, diese, dieses; jener, jene, jenes u.a.), definite Artikel, possessive Pronominal- und Determinativformen, Pro-Verben (z.B. machen, tun), aber auch verschiedene Formen von Adverbien und Partikeln sowie Eigennamen und Prädikatoren. Lena Heine

→ phorisches Adverb; phorisches Pronomen; Pronominalisierung; reines Verweispronomen

→ Gram-Syntax: Anapher (1); Katapher ⇀ Verweisform (Lexik) ⇁ pro-form (CG-Engl; Typol)

🕮 Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidel-

berg ◾ Halliday, M.A.K./ Hasan, R. [1976] Cohesion in English. London ◾ Koeppel, R. [1993] Satzbezogene Verweisformen. Eine datenbankgestützte Untersuchung zu ihrer Distribution und Funktion in mündlichen Texten, schriftlichen Texten und schriftlichen Fachtexten des Deutschen. Tübingen ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Verweispronomen

Pronomen, das sich als Stellvertreter meist anaphorisch auf vorherstehende Textstellen bezieht. ▲ reference pronoun: pronoun that refers, mostly anaphorically, to preceding parts of the text. Im Gegensatz zu den Determinativen zeichnen sich Pronomina dadurch aus, dass sie NPn ersetzen, aber nie begleiten (Engel, 2004: 363). Als reine Verweispronomina werden er, sie und es eingestuft. Bei diesen ist neben ihrer Verweisfunktion eine deiktische Verwendung nicht auszuschlieβen (Sie oder Er als Aufschrift an Toilettentüren). Als Beispiele für diese Pronomenklasse werden folgende angeführt: (1) er auf dem Stuhl (2) sie, die alles beobachtet hat (3) sie beide (4) sie mit dem Hut Weitere Pronomenklassen mit Verweisfunktion sind die Possessiva (5) und Demonstrativa (6). (5) Isabelles Fahrrad wurde gestohlen. Meines wird immer im Keller aufbewahrt. (6) Es waren einmal ein König und eine Königin. Die hatten zwei Kinder. In anderen Grammatiken, z.B. Duden (1998), werden Verweispronomina zwar nicht als eigene Klasse herausgehoben, jedoch zunächst als Personalpronomina der 3. Pers. aufgefasst, die von den Personalpronomina der 1. oder 2. Pers. abgegrenzt sind. María José Domínguez Vázquez

→ Determinativ; Pronomen; reines Verweispronomen; Verweisform

→ Gram-Syntax: Anapher (1)

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München.

Verweispronomen, reines → reines Verweispronomen

vierter Fall

≡ Akkusativ

783

Vokalwechsel

systematischer Wechsel des Stammvokals in Flexionsformen oder etymologisch verwandten Wörtern. ▲ vowel change; vowel alternation: systematic vowel alternation in inflectional forms or cognates. Der Vokalwechsel ist im Dt. ein Mittel zur Kennzeichnung morphologischer Informationen in den drei Hauptwortarten (Verb, Substantiv, Adjektiv). Man unterscheidet zwischen (a) dem Ablaut, der bei Verben Tempus anzeigt (werfen – warf – geworfen) und in sog. impliziten Ableitungen (deverbalen Substantiven) auftritt (werfen – Wurf); (b) dem Umlaut, der bei Substantiven Numerus (Haus – Häuser), bei Verben 2./3. Pers. Sg. (ich fahre – du fährst, sog. Wechselflexion) und bei Adjektiven Komparativ und Superlativ markiert (stark – stärker – am stärksten); (c) dem Tempus ausdrückenden Rückumlaut (rennen – rannte); (d) der Vokalhebung, die analog zum Umlaut bei Verben 2./3. Pers. Sg. kennzeichnet (ich gebe – du gibst). Alle heutigen Vokalwechselphänomene waren urspr. phonetisch-phonologische Prozesse, die morphologisiert worden sind.

Renata Szczepaniak → Ablaut; Rückumlaut; rückumlautende Verbflexion; Rückumlautverb; Umlaut

🕮 Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.].

Vokativ

Kasus, der den Adressaten des Sprechers kennzeichnet. ▲ vocative: case used to denote the addressee of the speaker. Der Vokativ (von lat. casus vocativus 'zum Rufen, Anreden dienlicher Fall', zu vocāre 'rufen') ist in den ide. Sprachen älterer Sprachstufe ein morphologisch eigens gekennzeichneter Kasus, z.B. lat. Quo vadis, Marce? 'Wohin gehst du, Marcus?'. Mehrere moderne ide. Sprachen bewahren einen eigenen Vokativkasus, so z.B. Bulg., Mazedonisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Poln., Tschech., Ukrainisch, Sorbisch, Russ., Litauisch, Lettisch, Ngriech., Rum. Im Dt., Engl. und den meisten roman. Sprachen wird die Anredefunktion allgemein vom Nominativ als eigenem satzwertigem Ausdruck übernommen, z.B. ital. Dove vai, Marco?, so auch im Dt.: Mein Lieber, […]; Sehr geehrte

volitiver Konjunktiv Frau Wagner, […]. Der Vokativ bzw. Anredenominativ wird i.A. nicht als eigentlicher Bestandteil des Satzes angesehen, da er keine syntaktischen Beziehungen eingeht (Duden 2005: 822; Hentschel/Weydt 2013: 155). ≡ Anredefall → Kasus ⇀ Vokativ (HistSprw)

Elisabeth Bertol-Raffin

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Stetter, C. [2013] On the case of the vocative. In: Sonnenhauser, B./ Noel, P. [Hg.] Vocative! Addressing between System and Performance (TLingStM 261). Berlin: 305–318.

volitiver Konjunktiv

Untergruppe des Konjunktivs der deontischen Modalität, welcher den Wunsch bzw. die Forderung eines Zustands oder Geschehens bezeichnet. ▲ volitive subjunctive: subgroup of the subjunctive of the deontic modality which signifies the wish or demand for a situation or an action. Volitive Konjunktivformen werden im heutigen Dt. vor allem bei Aufforderung an einen Dritten (in der Gesprächssituation nicht Anwesenden) gebraucht (manchmal auch Heischesatz genannt) ((1)–(4)). (1) Man nehme einen kräftigeren Oxydator, zum Beispiel Fluor! (2) A sei ein Punkt auf einer Geraden x. (3) Käme er doch! (4) Er lebe hoch! In abhängigen Sätzen erscheinen diese Sätze nach entsprechenden Obersätzen des Wunsches, der Absicht, der Bitte und der Forderung (5) und in Adverbialsätzen mit finaler Semantik (6). (5) Der Bundeskanzler wünschte ihm, er möge noch lange zum Wohl des Landes wirken. (5a) Der Bundeskanzler wünschte ihm, dass er noch lange zum Wohl des Landes wirken möge. (6) […] damit ihm ein langes Leben beschieden sei. Sonst gelten entsprechende Konstruktionen meist als poetisch oder veraltet; Schneider (1959: 252) spricht hier „von einem konservativen Formwillen, der überkommene Ausdrucksmöglichkeiten nicht gern preisgibt“: Eh dein grösster ruhm

V

vollendete Gegenwart 784 ersterbe / Schmücke dich im weissen bade / Dass er noch zum wettbewerbe Alle hermen vor sich lade (St. George); … damit die Sachlage deutlich werde und recht aufgehe, was eng zusammengeschrumpft durch Gewesenheit (Th. Mann). Der Konjunktiv II „formuliert, was außerhalb des gegebenen Horizonts liegt“ (Brinkmann 1971: 373), so in Wunschsätzen wie Wäre ich doch jung! Wäre mir doch ein Wiedersehen beschieden!, aber auch mit regulärer Hauptsatz-Zweitstellung des Verbs (7). (7) Ich hätte dennoch nicht kommen können. In vielen Fällen ist eine deutliche Unterscheidung von volitiver, potentialer und irrealer Modalität nicht möglich; auch zur Modalität der indirekten Rede gibt es funktionale Übereinstimmungen. Volitive Modalitäten werden im heutigen Dt. in selbständigen Sätzen oft durch Modalverbkon­ struktionen ausgedrückt (8). (8) Jeder muss/soll sich mit gültigen Ausweispapieren versehen. In Nebensätzen kann der volitive Konjunktiv kongruent mit Modalitätsausdrücken des Obersatzes und entsprechender Konjunktion gebraucht werden, wodurch der Konjunktiv zum Dependenzzeichen werden kann und durch einen indikativischen Ausdruck als unmarkierte Modalität ersetzt werden kann. ≡ Jussiv

Richard Schrodt

→ Konjunktiv; optativer Konjunktiv; potentialer Konjunktiv → Gram-Syntax: indirekte Rede; objektive Modalität; Wunschsatz

🕮 Brinkmann, H. [1971] Die deutsche Sprache. Gestalt und Leis-

tung. 2. Aufl. Düsseldorf ◾ Helbig, G. [2007] Der Konjunktiv –

und kein Ende. Zu einigen Kontroversen in der Beschreibung des Konjunktivs der deutschen Gegenwartssprache. In: DaF 44:

140–153 ◾ Palmer, F.R. [2001] Mood and Modality. 2nd ed. Cambridge ◾ Schneider, W. [1959] Stilistische deutsche Grammatik. Freiburg/Breisgau.

V

vollendete Gegenwart ≡ Perfekt

vollendete Vergangenheit ≡ Plusquamperfekt

vollendete Zukunft ≡ Futur II

Vollkasus

morphologischer Kasus, der angibt, dass ein Nomen in der Aussage eine zentrale Stellung einnimmt. ▲ central case: morphological case indicating that a nominal phrase occupies a central place in the clause. Der Terminus Vollkasus bezeichnet eine der insgesamt fünf Kasusklassen (Vollkasus, Bezugskasus, Randkasus, Umfangskasus und Gestaltungskasus), die Jakobson (1936/1971) unterscheidet, um im strukturalistischen Sinne anhand von systematischen Oppositionen und über das Konzept der Markiertheit die sog. Gesamtbedeutungen eines jeden Kasus des russ. Kasussystems herzuleiten. Die Gesamtbedeutungen sind erstens durch das ganze Kasussystem der Sprache bedingt, bei ihrer Beschreibung ist es nach Jakobson (1936/1971: 29) daher unumgänglich, „vom Gesamtsystem der Kasusgegensätze“ auszugehen, die anhand des Unterschieds zwischen „markiert“ (merkmalhaltig) und „unmarkiert“ (merkmallos) beschrieben werden. Zweitens seien die Gesamtbedeutungen der Kasus nicht universal, sondern einzelsprachspezifisch, und sie seien weder als „starre Grundbedeutungen“ (Jakobson 1936/1971: 26) noch als die Summe einzelner „Sonderbedeutungen“ (Jakobson 1936/1971: 35) zu verstehen. Drittens dürfe man die Gesamtbedeutungen nicht als syntaktische Funktionen (etwa Nominativ als „Subjekts- und Prädikatskasus“) auffassen, sondern sie stellen nach Jakobson einheitliche morphologische Funktionen dar. Das Russ. zählt zwar sechs Kasus, nämlich Nominativ, Akkusativ, Dativ, Instrumental, Genitiv und Lokal (bzw. „Lokativ“, heute „Präpositiv“ genannt, weil er ausschließlich mit Präpositionen vorkommt), die Analyse der „morphologischen Korrelationen, aus denen das System der modernen russ. Deklination besteht“ (Jakobson 1936/1971: 30), und die Aufstellung der fünf Kasusklassen veranlassen Jakobson jedoch, insgesamt acht verschiedene Kasusfunktionen im modernen Russ. zu unterscheiden (der Genitiv und der Lokal gliedern sich jeweils in zwei Kasus, die nicht unter eine Definition fallen, nämlich Genitiv I und II bzw. Lokal I und II). Jakobson postuliert für das Russ. vier Vollkasus (Nominativ, Akkusativ, Genitiv I und Genitiv II) und vier Randkasus (Dativ, Inst-

785 Vollverb rumental, Lokal I und Lokal II). Der Nominativ ist der Vollkasus, der in der Aussage die „reine Nennfunktion“ erfüllt und nicht mit einer Präp. verbunden werden kann. Der Akkusativ ist ein Vollkasus, der zugleich ein Bezugskasus ist; die beiden Genitive sind Vollkasus, die zugleich Umfangskasus sind. Den zentralen Gegensatz zwischen den beiden wichtigsten Vollkasus Nominativ und Akkusativ einerseits und den beiden wichtigsten Randkasus Instrumental und Dativ andererseits bezeichnet Jakobson (1936/1971: 46) als „Stellungskorrelation“. Die Unterscheidung in Vollkasus, Randkasus usw. sowie die Auswahl der semantischen Merkmale, mit denen die Kasus bestimmt werden, sind nicht unbestritten (vgl. Helbig 1973). Klaas Willems

↔ Randkasus → Bezugskasus; Gestaltungskasus; Kasus; Umfangskasus → Gram-Syntax: semantischer Kasus

🕮 Helbig, G. [1973] Die Funktionen der substantivischen Kasus in der deutschen Gegenwartssprache. Halle/Saale ◾ Jakobson, R. [1936] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: PLingCP 6: 240–288 ◾ Jakobson, R. [1971] Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre. Gesamtbedeutungen der russischen Kasus. In: Jakobson, R. [1971] Selected Writings Vol. 2. World and Language. Berlin [etc.]: 23–71.

Vollmodus

Verbmodus, der hinsichtlich der anderen Verbkategorien, im Deutschen nach Person, Numerus, Tempus und genus verbi ein vollständiges Paradigma hat. ▲ verbal mood with complete paradigm: mood, in that the verb conjugated completely according to other categories: person, number, tense and voice. Im Dt. sind der Indikativ und der Konjunktiv Vollmodi, da sie in allen Tempora, in beiden Genera und auch in allen drei Personen bzw. beiden Numeri gebildet werden können (im Gegensatz zum Halbmodus Imperativ, der ein defektives Paradigma hat). Der dt. Konjunktiv ist funktional in Konjunktiv I (Präs., Präsensperf. und Futur) sowie in Konjunktiv II (Prät. und Präteritumperf.) aufgeteilt. Der Indikativ als neutraler Modus liegt in allen europ. Sprachen vor. In den meisten Sprachen im Westen Europas gibt es einen syntaktisch an bestimmte Satztypen gebundenen Konjunktiv (auch Subjunktiv genannt), in einigen Sprachen (z.B. im Ital.) darüber hinaus einen getrennten

Konditional für die modal markierten deklarativen Hauptsätze. In Nebensätzen und in nicht deklarativen Hauptsätzen wird für die modale Markierung auch im Ital. der Konjunktiv benutzt. Im Osten von Europa (slaw. Sprachen, Ung.) liegt i.A. ein Konditional für modal markierte Inhalte ohne syntaktische Beschränkung vor. In einigen Sprachen (z.B. Albanisch, Türk.) gibt es weitere Vollmodi. Attila Péteri

↔ Halbmodus → Indikativ; Konditional; Konjunktiv; Verbmodus

🕮 Palmer, F.R. [1986] Mood and Modality. Cambridge ◾ Rothstein, B./ Thieroff, R. [2010] Mood in the Languages of Europe. Amsterdam [etc.] ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

Vollsilbe

betonbare Silbe, die im Nukleus einen Vollvokal enthält. ▲ strong syllable: stressable syllable with a full vowel in the nucleus. Vollsilben enthalten einen betonbaren Vokal, was sie zu potenziellen Akzentträgern macht. Sprachen können entweder nur Vollsilben enthalten oder wie das Dt. zwischen Voll- (betonbaren) und Reduktions- (Schwa-/unbetonbaren) Silben unterscheiden. Renata Szczepaniak

→ § 30; Akzent; Akzentstelle; Prosodie; Silbenstruktur; Wortakzent

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Vollverb

Verb mit lexikalischer Bedeutung, das im Satz allein das Prädikat bilden kann und eine syntaktisch-semantische Valenz hat. ▲ full verb: verb with lexical meaning and valency which can form the predicate alone in a sentence. Vollverben, häufig auch Hauptverben genannt, haben eine lexikalische Bedeutung. Sie bezeichnen i.w.S. Handlungen oder Ereignisse. Dabei kann es sich um Aktivitäten oder dynamische Prozesse handeln. Darüber hinaus können Vollverben Relationen oder Zustände ausdrücken. In finiter Form bilden Vollverben allein das Prädikat im Satz. Im heutigen Dt. geht es um Verbformen im Präs. (1) oder Prät. (2) im Indikativ oder

V

Vollwort 786 Konjunktiv Aktiv (3) sowie um Imperativformen (4), d.h. um synthetische Formen. (1) Er isst einen Apfel. (2) Er saß gemütlich auf dem Sofa. (3) Ich käme heute gerne früher. (4) Nimm deine Mütze mit! In infiniter Form bildet das Vollverb zusammen mit einem Modalverb (5), Hilfsverb (6) oder Halbmodale das Prädikat. (5) Anna muss am Monatsende lange arbeiten. (6) Ich habe gut geschlafen. Vollverb und Hilfsverb bilden zusammen eine analytische Verbform. Vollverben werden nach dem jeweiligen Flexionsmuster morphologisch in starke, schwache und gemischte Verben unterteilt und unterschiedlich flektiert (schwach z.B. machen – machte – gemacht; stark z.B. essen – aß – gegessen; gemischt z.B. denken – dachte – gedacht). Vollverben haben syntaktisch-semantische Valenz und sind für sich Valenzträger im Satz. Durch ihre Valenz bestimmen sie die Anzahl und die Art der von ihnen geforderten Elemente (Ergänzungen oder Komplemente) in einem Aktivsatz. Darüber hinaus legen sie auch die semantische Rolle der jeweiligen Ergänzung fest. In (7) sind Peter, ihrer Freundin und einen Blumenstrauß Ergänzungen, die das Verb schenken fordert. (7) Peter schenkt ihrer Freundin einen Blumenstrauß Peter als Nominativergänzung (Subjekt) nimmt die semantische Rolle Agens ein, ihrer Freundin als Dativergänzung ist Rezipient und einen Blumenstrauß als Akkusativergänzung Patiens im Satz. Viktória Dabóczi

↔ Funktionsverb; Halbmodale; Hilfsverb; Kopulaverb; Modal-

V

verb → analytische Form; Objektsinfinitiv; synthetische Form; synthetische Verbform; Verb → Gram-Syntax: Prädikat; Satz; Valenz

🕮 Bredel, U./ Töpler, C. [2007] Verb. In: Hoffmann, L. [Hg.] Deutsche Wortarten. Berlin [etc.]: 823–901 ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Hentschel, E./ Vogel, P.M. [2009] Verb. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin [etc.]: 445–463 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Vollwort

≡ Autosemantikon ⇀ Vollwort (Wobi)

vorangestellter Genitiv ≡ sächsischer Genitiv

vorausweisendes Demonstrativpronomen

substantivisch gebrauchtes Demonstrativpronomen, das auf eine Person bzw. eine Personengruppe verweist, die in einem folgenden Relativsatz näher bestimmt wird. ▲ cataphoric demonstrative pronoun: demonstrative pronoun that refers to a person or a group which is specified more precisely in a following relative clause. Die vorausweisenden Demonstrativpronomina der, derjenige, dieser, jener, (ein) solcher sind sub­ stantivisch gebrauchte Pronomina. Sie stehen für eine Person oder eine Personengruppe, die in einem nachfolgenden Relativsatz bestimmt wird. (1) Wir grüßen alle Eltern und solche, die es bald werden. Im Fall des vorausweisenden Demonstrativpron. derjenige ist der Relativsatz, der die bekannte/n Person/en näher bestimmt, oft als Zwischensatz realisiert. (2) Diejenigen, denen der Fußmarsch zu anstrengend war, fuhren mit dem Bus. Agnes Kolmer

↔ zurückweisendes Demonstrativpronomen → Demonstrativpronomen; kataphorisches Pronomen → Gram-Syntax: Katapher; Relativsatz

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin.

Vorgangspassiv, persönliches → persönliches Passiv

Vorgangspassiv, subjektloses → unpersönliches Passiv

Vorgangspassiv, unpersönliches → unpersönliches Passiv

Vorgangsverb

intransitives Verb, das als Satzprädikat einen Prozess bezeichnet, dem das Satzsubjekt unterzogen wird. ▲ process verb: intransitive verb denoting in the function of a sentence predicate a process the subject of the sentence undergoes.

787 Vorstellungsraum Typische Vorgangsverben sind z.B. geschehen, scheitern, sterben, zerfallen. Aus syntaktischer Sicht stehen die Vorgangsverben den transitiven Handlungsverben gegenüber, vgl. Der Förster fällt den Baum vs. Der Baum fällt. Aus semantischer Sicht unterscheiden sie sich einerseits von den Tätigkeitsverben (arbeiten, spielen) und andererseits von den Zustandsverben (liegen, sein). Als Satzprädikate stehen die Vorgangsverben den von den transitiven Verben gebildeten passivischen Prädikaten am nächsten und sind somit den ergativen Verben ähnlich, vgl. Das Haus wurde gesprengt – Das Haus explodierte. Die Vorgangsverben können sowohl dauernde Vorgänge als auch Zustandsänderungen bezeichnen: rollen, kochen [intransitiv] vs. sterben, zerfallen. Viele Vorgangsverben bilden das Perfekt mithilfe des Auxiliars sein, z.B. fahren, erwachen, zerbrechen [intransitiv]. Michaił L. Kotin ≡ Geschehensverb ↔ Handlungsverb; verbum substantivum; Zustandsverb → ergatives Verb; Verb

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Engelberg, S. [2000] Verben, Ereignisse und das Lexikon (LA 414). Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Vorgegenwart ≡ Perfekt

Vorsilbe

Affix, das vor eine lexikalische Basis gesetzt wird. ▲ prefix: affix that precedes a lexical base. In älteren Schulbüchern und teilweise in der populärwiss. Fachlit. wird das Präfix als Vorsilbe bezeichnet (Duden 2009: 1261 mit Verweis von „Vorsilbe“ auf „Präfix“ im Fachwortregister). Der Terminus Silbe ist jedoch meist auf die Sprechsilbe zu beziehen, nicht auf das Morphem. Unterschiede zwischen Sprechsilben, die in der Schreibdidaktik u.a. wegen der Worttrennung am Zeilenende eine Rolle spielen, und Morphemen treten bei Suffixen (Nachsilben) klarer zutage als bei Präfixen (Vorsilben) ((1), (2)). (1) Be#geist#er#ung mit den Morphemen {Be-}, {geist}, {-er}, {-ung}

(2) [bə.ˈɡaɪ̯ s.tə.rʊŋ] mit der orthographischen Silbentrennung

→ Affix; Morphem; Präfix; Vollsilbe ⇁ prefix (Typol; CG-Engl)

Franziska Münzberg

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

Vorstellungsraum

mentale Repräsentation eines imaginären räumlichen Szenarios, die durch Verweis auf Vorstellbares geschaffen wird. ▲ deixis am phantasma: mental space created through reference to an imaginative concept. Der Vorstellungsraum bezeichnet einen Modus des deiktischen Verweisraums oder Zeigfelds, in dem der Sprecher vorgestellte Entitäten in einem umgebenden Raum lokalisiert. „‚Ich hier – er dort – da ist der Bach‘, so beginnt der Erzähler mit hinweisenden Gebärden und die Bühne ist fertig, der präsente Raum ist zur Bühne umgestaltet“ (Bühler 1934/1982: 139). Das im Vorstellungsraum erzeugte Referenzanalogon wird nicht, etwa durch Aufmalen des Sachverhalts, materiell fixiert, und bleibt damit nur als vorübergehendes Phänomen in der Gesprächssituation bestehen. Das Besondere am Vorstellungsraum ist, dass die Referenz durch Verbaldeiktika oder Zeigegesten im Sinne eines Zeichens für das intendierte Referenzobjekt erschaffen wird und nicht wie im Wahrnehmungsraum (demonstratio ad oculos) Demonstratum und Referenzobjekt zusammenfallen. Das Phänomen des Vorstellungsraums ist dadurch erklärbar, dass der Mensch seinen Körper im Verhältnis zu seiner visuellen Orientierung wahrnimmt und ihn daher zeigend einsetzen kann. Diese Empfindung ist dabei in den Vorstellungsraum versetzbar, so dass Sprecher und Hörer Zeigewörter wie in der primären Wahrnehmungssituation zu interpretieren in der Lage sind. ≡ Deixis am Phantasma; Gedächtnisraum → § 33; deiktisches Element → Gram-Syntax: Deixis

Lena Heine

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena [Ungek. Neudruck: Stuttgart 1982] ◾ Fricke,

V

Vorvergangenheit 788 E. [2007] Origo, Geste und Raum. Lokaldeixis im Deutschen. Berlin ◾ Klein, W. [2001] Deiktische Orientierung. In: Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. [Hg.] Sprachtypologie und sprachliche Universalien (HSK 20.1). Berlin [etc.]: 575–590.

Vorvergangenheit ≡ Plusquamperfekt

Vor-Vorvergangenheit

Zeit vor einer Vorvergangenheit, die typischerweise durch ein Plusquamperfekt in Bezug auf ein weiteres Plusquamperfekt ausgedrückt wird, aber auch durch ein Doppelplusquamperfekt formal kodiert werden kann.

V

▲ time before a time before a past time: time before a time before a past time that is typically denoted by a pluperfect in relation to a further pluperfect; it can also be formally coded through a double pluperfect.

→ Doppelplusquamperfekt; Plusquamperfekt

Klaus Welke

🕮 Eroms, H.-W. [1983] Relativer und absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts im Deutschen. In: Askedal, J.O./ Christensen, C./ Findreng, Å./ Leirbukt, O. [Hg.] Festschrift für Laurits Saltveit. Oslo [etc.]: 58–71 ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

W w-Adverb

Adverb, dessen Anfangsbuchstabe w ist. ▲ wh-adverb: adverb beginning with the letters wh. Zu den w-Adverbien gehören u.a. wann, warum, wie, wo und Zusammensetzungen wie weshalb, wieso, woher, wohin, die meistens interrogative ((1), (2), (4)), subjunktionale ((2), (4), (5)) und/oder relative ((3), (5)) Funktion haben. (1) Wo wohnt er? (2) Ich weiß nicht, wohin er fährt. (3) Das ist der Ort, woher er kommt. (4) Er erklärte nicht, warum er nicht gekommen war. (5) Er wurde plötzlich krank, weshalb die Vorlesung ausfiel. Je nach Anfangsbuchstabe werden Adverbien außerdem in d-Adverbien (da, dort, dorthin etc.), h-Wörter (hier, hierher, her, heraus etc.) und nWörter (nicht, nie, nirgends etc.) eingeteilt. Kjell-Åke Forsgren

→ Adverb; Interrogativadverb; Relativadverb; Relativpronomen; w-Wort

🕮 Autorenk. [unter Leit. v. K.E. Heidolph 1981] Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Wahrnehmungsverb ≡ verbum sentiendi

w-Deixis

durch ein mit w- beginnendes Interrogativum ausgedrückte Deixis. ▲ wh-deixis: deixis expressed by means of an interrogative starting with wh-. W-Deixis, ausgedrückt durch w-Wörter oder wPhrasen (Zifonun et al. 1997: 41), stellt eine spezifische Form der Deixis dar. Sie grenzt sich von

deiktischen Ausdrücken „im engeren Sinne“ ab (Zifonun et al. 1997: 311) wie ich, jetzt, hier sowie Ausdrücken wie oben/unten, links/rechts, heute/ gestern/morgen, die als „deiktisch im weiteren Sinne“ (Zifonun et al. 1997: 312) bezeichnet werden können, weil ein zusätzliches perspektivisches Bezugssytem für ein Verständnis ihrer Bedeutung notwendig ist (z.B. die Körpersymmetrie für ein Verständnis von links und rechts); denn sie spezifiziert ihren Gegenstand lediglich vage und erfordert vom Hörer mehr Vervollständigung der gegebenen Informationen aus seinem Wissen. W-deiktische Elemente „umreißen/charakterisieren eine syntaktische Leerstelle als Interrogativ [...], ohne den Leerstelleninhalt im einzelnen zu nennen“ (Heidolph/Flämig/Motsch 1981: 687). W-Deixis kann, je nach ausgedrücktem Inhalt, als w-Temporaldeixis (wann), w-Lokaldeixis (wo, worauf, worin), w-Direktionaldeixis (wohin, woher), w-Finaldeixis (wofür, wozu) oder w-Objektdeixis (wer, wessen) spezifiziert werden. Im Gegensatz zu anderen deiktischen Wörtern kommt w-Deixis in drei typischen Funktionen vor, die mit spezifischen Strukturen einhergehen: (1) Wessen Tasche ist das? Wohin gehst du? Wozu macht er das? [interrogativ] (2) Er fragte, wann ich kommen wolle. Wir fragten uns, wo er blieb. [relativ] (3) Was du nicht sagst! [exklamativ] (4) Wen kennt der nicht alles. [exklamativ] In einer Ergänzungsfrage (1) kann der Sprecher ein Wissensdefizit andeuten, das der Hörer in einer Antwort auflösen soll. Steht die w-Deixis am Satzanfang, geht sie mit Verbletzt- (3) oder Verbzweitposition (4) einher. Darüber hinaus kann w-Objektdeixis als unspezifischer Verweis verwendet werden (5).

w-Determinativ 790 (5) Ich habe wen getroffen / Ich habe was gegessen.

→ deiktisches Element; w-Wort → Gram-Syntax: deiktischer Ausdruck; Deixis

Lena Heine

🕮 Heidolph, K.E./ Flämig, W./ Motsch, W. [1984] Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2., unveränd. Aufl. Berlin ◾ Holler, A. [2007] Interrogativum. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 445–481 ◾ Weissenborn, J./ Klein, W. [eds. 1982] Here and There. Cross-linguistic Studies on Deixis and Demonstration. New York, NY ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

w-Determinativ

w-Wort, das mit Nomina und Nominalphrasen eine einen Satz einleitende Phrase bildet. ▲ wh-determiner: wh-word that builds with nouns or nominal phrases a phrase introducing a sentence. Als w-Determinative gelten die traditionellen Fragepronomina welcher, wie viele, was für ein und wessen. W-Determinative kommen ausschließlich mit einem Nomen bzw. einer NP vor, die einen einfachen Satz – Interrogativsatz ((1)–(3)) – oder einen eingebetteten Satz (4) einleiten. (1) Welchen Zug wollen wir fahren? (2) Wie vielem neuen Unsinn sind wir schon aufgesessen? (3) Was für ein Auto hat er? (4) Weißt du eigentlich, was für ein Glück es ist? Die Formen welcher und wie viele können unflektiert als w-Determinative welch und wie viel verwendet werden. Bei Fragesätzen überwiegt welch + ein. (5) Welch ein Jammer stürzt auf dich? (6) Wie viel Löffel hast du genommen? Janusz Taborek

→ Determinativ; Interrogativpronomen; Possessivpronomen; Relativpronomen

→ Gram-Syntax: Nominalphrase

W

🕮 Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Wechselpräposition

Präposition, die eine Nominalphrase im Dativ oder im Akkusativ fordert, je nachdem, ob sie die Lage oder ob sie die Richtung bezeichnet. ▲ two-case preposition; two-way preposition: preposition followed by a noun phrase in the dative or the accusative case that indicates location or direction. Kasusvariante Präpositionen sind u.a. an, auf, in, unter, über, vor, zwischen. Die Kasuswahl korreliert mit funktionalen Unterschieden. Bei lokaler (statischer) Verwendung regieren diese Präpositionen den Dativ (in der Schule). Bezeichnen sie eine Richtung, eine Bewegung oder die (dynamische und direktionale) Ortsveränderung, werden sie mit dem Akkusativ (in die Schule) verbunden. Einige dieser Präpositionen können temporal verwendet werden. Sie verhalten sich in der Kasuswahl ähnlich: Sie regieren den eher statischen Dativ mit der Frage wann? (1) oder den Akkusativ (2), wenn eine gewisse Dynamik oder Direktionalität vorliegt. (1) Zwischen dem 1. und 5. Juli [...] (2) Das Jubiläum fällt zwischen das Weihnachtsfest und Neujahr. Von den Wechselpräpositionen sind solche zu unterscheiden, bei denen der Kasusgebrauch schwankt (z.B. wegen, trotz mit dem Genitiv oder Dativ).

→ Kasus; Präposition; Wortart → Gram-Syntax: Kasusrektion; Nominalphrase

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Smith, M.B. [1995] Semantic Motivation vs. Arbitrariness in Grammar: Toward a More General Account of the DAT/ACC Contrast with German Two-Way Prepositions. In: Rauch, I./ Carr, G. [eds.] Insights in Germanic Linguistics I. Berlin: 293–323 ◾ Wunderlich, D./ Herweg, M. [1991] Lokale und Direktionale. In: Stechow, A. von/ Wunderlich, D. [eds.] Semantics (HSK 6). Berlin [etc.]: 758–785.

weibliches Geschlecht ≡ Femininum

wechselbezügliches Pronomen

Wemfall

wechselbezügliches Verb

Wenfall

≡ Reziprokpronomen ≡ reziprokes Verb

Edyta Błachut

≡ Dativ

≡ Akkusativ

791 Witterungsverb

Werfall

≡ Nominativ

Wesfall

≡ Genitiv

Wetterverb

≡ Witterungsverb

Wiederholungszahl ≡ Iterativzahl

Wiewort

≡ Adjektiv

Wirklichkeitsform ≡ Indikativ

Witterungsimpersonale ≡ Witterungsverb

Witterungsverb

Verb, das Wetter- und Witterungsphänomene beschreibt. ▲ weather verb: verb which refers to weather phenomena. Bei den Witterungsverben handelt es sich um eine kleine, jedoch eine zentrale Stellung unter den sog. nullstelligen Verben einnehmende semantisch definierte Verbsubklasse, die unterteilt werden kann in Niederschlag-Verben (hageln), Gewitter-Verben (blitzen) und Verben der Luftbewegung (stürmen). Diese Verben werden mit dem es-Subjekt (auch: expletives es, fixes es) gebraucht, das sprachgeschichtlich regelmäßig erst im Mhd. hinzugefügt wurde. Auch gegenwärtig scheinen in anderen Sprachen ähnliche Grammatikalisierungsprozesse abzulaufen, z.B. im Finn., wo diese Verben im heutigen Standardfinn. subjektlos sind, aber ugs. das Auftreten eines expletiven se [ꞌesꞌ] zu beobachten ist (Kolehmainen 2005: 318). Der Status von es ist umstritten. Einerseits wird es als „integraler Bestandteil des Verbs“ (Engel 1991: 190) aufgefasst, andererseits wird davon ausgegangen, dass es die „formale Besetzung der Subjektstelle“ ist (Eroms 2000: 190). Ebenso wird die Bedeutung von es kontrovers gesehen. Während es zumeist als semantisch leeres Element betrachtet wird (u.a. Eisenberg 2006:

176), taucht auch die Ansicht auf, dass dem es neben der syntaktischen eine semantisch-pragmatische Bedeutung zukommt, indem es den Satz vervollständige im Sinne des lat. expleo (vgl. Ogawa 2012: 210). Angemerkt sei noch, dass z.B. in der Konstruktionsgrammatik Verwendungen wie es regnet als es-Konstruktion im konstruktionsgrammatischen Sinne, formal repräsentiert durch „es + einstelliges Verb“, aufgefasst werden (vgl. Miyashita 2013: 105). Die primäre Valenz eines Witterungsverbs variiert allerdings, denn der aktuelle Ergänzungsrahmen des Verbs lässt weitere Lesarten zu: Demnach gebraucht man Witterungsverben (a) transitiv mit es-Subjekt (für mich soll’s rote Rosen regnen); (b) transitiv mit referentiellem Subjekt (schneit der Himmel weiße Sterne); (c) intransitiv mit referentiellem Subjekt (Blütenblätter schneiten auf die Straße), wobei dann meist als zweites Argument eine Direktionalergänzung obligatorisch wird. Die Valenzerhöhung, der ein- oder mehrstellige Gebrauch, ist im Dt. metaphorisch bedingt; in anderen Sprachen, z.B. im Finn., kann sie auch durch die Witterungssituation ausgelöst werden. Die metaphorischen Lexemvarianten sind als visuelle Wahrnehmungsverben (ihre Augen blitzten vor Übermut), Bewegungsverben (eine Geröll-Lawine donnerte ins Tal) oder verba dicendi (er donnerte ihr die ganze Wahrheit ins Gesicht) zu interpretieren. Dabei kann dieselbe Entität als Subjekt bzw. als Akkusativergänzung auftreten, wenn der NPReferent konkret ist (Geld regnet / es regnet Geld). Das bevorzugte Auftreten abstrakter Referenten als Akkusativergänzung (es regnete Anfragen) erklärt Kolehmainen (2008) mit deren geringerer Agenshaftigkeit. Während Witterungsverben im primären Gebrauch ihr Perfekt mit haben bilden, kann die Perfektbildung bei den metaphorischen Lexemvarianten sowohl mit haben als auch mit sein erfolgen (1). (1) Es hat Blütenblätter geregnet. (1a) Blütenblätter sind von den Bäumen geregnet. Das sein-Perfekt ergibt sich aus der mit der Valenzerhöhung verbundenen Uminterpretierung zu Bewegungsverben mit den neuen Argumentpositionen für Patiens und Direktional (vgl. Strietz 2007: 139). Einige Sprachen bilden „pleonastische SubjektVerb-Paare als gleichsam ‚kognate‘ Konstruktio-

W

Wort 792 nen“, vgl. russ. Grom gremit. ['Donner donnern'] 'Es donnert.', lett. Sniegs snieg. ['Schnee schneien'] 'Es schneit.', jap. Kaminari-ga naru. ['Gottesgong gongen'] 'Es donnert.' (Ogawa 2012: 202). Auch das Dt. kennt kognate Konstruktionen (2). (2) Der Wind weht. Verschiedene Witterungsverben lassen sich in Resultativkonstruktionen transitiv verwenden (3) oder erlauben die Bildung von Resultativkonstruktionen mit persönlichem Subjekt (4). (3) Es schneite den Rekord in die Höhe. (4) Der Eimer regnet voll. Nach Kolehmainen (2005: 341) führt eine gelegentliche Kombination von Witterungsverben mit Partikeln zur Bildung von sog. „lexikalisierten partikelverbförmigen Resultativkonstruktionen“ (ein-/zuschneien), die häufiger ohne es vorkommen (5). (5) Das Dorf war völlig eingeschneit/zugeschneit. Manche Partikelverbkombinationen lassen überdies eine Reflexivierung zu (6). (6) Es hat ausgeregnet [aufhören zu regnen]. (6a) Es/ Der Himmel hat sich ausgeregnet [so lange regnen, bis alles vollständig abgeregnet ist]. Daneben gibt es als Witterungsverben gebrauchte Verben, die primär keine sind ((7), (8)). (7) Es goss in Strömen. (8) Es friert. Petra Szatmári ≡ verbum meteorologicum; Wetterverb; Witterungsimpersonale → unpersönliches Verb → Gram-Syntax: expletives es; unpersönliches es; Valenzerhöhung ⇁ weather verb (Typol)

W

🕮 Kolehmainen, L. [2005] Präfix- und Partikelverben im deutsch-finnischen Kontrast. Frankfurt/Main ◾ Kolehmainen, L. [2008] Es schneit wattebauschgroße Schneeflocken: Valenz, Proto-Rollen und Argumentstruktur-Konstruktionen bei deutschen und finnischen Witterungsverben. In: Enell-Nilsson, M./ Männikkö, T. [Hg.] Erikoiskielet, käännösteoria ja monikielisyys. VAKKI-symposiumi XXVIII. Vaasa 8.–9. 2. 2008. Vaasa: 100–112. [Auch unter: http://www.vakki.net/publications/2008/ VAKKI2008_Kolehmainen.pdf; letzter Zugriff: 09.01.2017] ◾ Miya­shita, H. [2013] Synchronie und Diachronie einer unpersönlichen es-Konstruktion mit fixem es. Eine konstruktionsgrammatische Perspektive. In: Japanische Gesellschaft für Germanistik [Hg.] Beiträge zur deutschen Sprachwissenschaft. Akten des 38. Linguisten-Seminars, Hayama 2010 und des 39. Linguisten-Seminars, Kyoto 2011. München: 103–117 ◾ Ogawa, A. [2012] Zur Typologie der Witterungs-, Klima- und daran angrenzenden Prädikate – unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen

und des Japanischen. In: Redder, A./ Ogawa, A./ Kameyama, S. [Hg.] Unpersönliche Konstruktionen: Prädikatsformen funktional und sprachübergreifend betrachtet. München: 201–212 ◾ Strietz, M. [2007] Argument-Perspektivierung in Verbmetaphern. In: Lenk, H.E.H./ Walter, M. [Hg.] Wahlverwandtschaften. Valenzen – Verben – Varietäten (GL 188–189). Hildesheim [etc.]: 137–150.

Wort

einfache oder komplexe sprachliche Einheit, die im Lexikon als Lexem mit Wortartzugehörigkeit gespeichert ist und im Satz als Wortform erscheint. ▲ word: simple or complex linguistic unit that is stored in the lexicon as a lexeme with a characterization of its part of speech and which appears within a sentence as a word form. Der Terminus Wort kann je nach Bezug zu den grammatischen Subsystemen oder zu anderen Systemen wie etwa Orthographie unterschiedlich definiert werden. Die Menge der möglichen Bestimmungen reicht daher von rein orthographisch und computerlinguistisch motivierten Begriffen über sprechtechnisch ausgerichteten Definitionen bis zu formal-syntaktisch oder strukturell-grammatisch angeleiteten Bestimmungen. Es wird entweder ein einziger Aspekt für die Definition herausgestellt oder die größtmögliche Breite der relevanten Aspekte berücksichtigt, wobei die Bestimmungskriterien häufig uneinheitlich bleiben (müssen). Die hier gewählte, morphosyntaktisch motivierte Definition versteht sich vor diesem Hintergrund als kleinster gemeinsamer Nenner. Wörter und das Wissen über diese Wörter sind im Lexikon der jeweiligen Sprache enthalten (wobei Lexikon hier strukturell-linguistisch und nicht kognitiv verstanden wird). Solche lexikalischen Wörter (in diesem Sinne auch Lexeme genannt) werden in einem Lexikoneintrag, der alle grammatisch relevanten Informationen sowie Hinweise zur Pragmatik des Lexems enthält, charakterisiert (Lexikoneinträge sind je nach theoretischer Ausrichtung unterschiedlich, vgl. u.a. Szigeti 2017). Dabei spielen morphosyntaktische Merkmale die ausschlaggebende Rolle. Ein Lexem ist mit einer Menge morphosyntaktischer Merkmale assoziiert, die je nach Wortart unterschiedliche Ausprägungen liefern. So bilden Verben andere Flexionsformen als Substantive oder Adjektive. Wortarten sind unter dieser Perspektive als Lexemklassen (Wortklassen) zu ver-

793 Wort stehen, die durch eine Menge ähnlicher Merkmale charakterisiert werden. In der aktuellen Fachlit. geht man vor einem streng morphosyntaktischen Hintergrund von einer Fünfwortartenlehre aus (Gallmann 2009); ein Beispiel für eine Zehnwortartenlehre liefern Helbig/Buscha (1991). Erstere basiert auf der Formenbildung der Elemente. Die Wörter, deren Form unveränderbar ist, gehören zu der nichtflektierbaren Wortart. Die flektierbaren Wortarten unterteilen sich danach, welcher Art die Flexion ist. Konjugierbar sind nur die Verben. Die deklinierbaren Wortarten umfassen das Subst. (mit festem Genus), das Adj. (zusätzlich oft komparierbar) und das Pron. (das die meisten Artikelwörter mit einschließt). Formveränderungen werden wie folgt damit verbunden: (a) ein Verb bildet Formen nach genus verbi, Person, Numerus, Tempus und Modus; (b) ein Subst. wird mit festem Genus stark oder schwach nach Numerus und Kasus dekliniert; (c) ein Adj. kann – mit Ausnahme einiger Subklassen – kompariert werden und wird nach Numerus, Genus und Kasus gebeugt; (d) ein Pron. hat oft ein variables Genus und wird nach Genus, Kasus und Numerus dekliniert. Jedes Lexem als Repräsentant einer Lexemklasse ist mit einer Menge der obigen Merkmale ausgestattet. Es erscheint im Lexikon in seiner Nennform (Grundform). Die Nennform der Lexeme ist je nach Sprache unterschiedlich, im Dt. bei Verben der Infinitiv (Aktiv), bei Substantiven der Nominativ Sg., bei Adjektiven der Positiv und bei den Pronomina die jeweilige Genusvariante im Nominativ (z.B. er, sein, dieses). Durch die Veränderung der Grundform nach mindestens einer (normalerweise mehrerer) der oben genannten Kategorien(klassen) entsteht eine Wortform. Die Gesamtheit aller (möglichen) Wortformen eines Lexems bildet das Paradigma. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Wortbegriffe oft nur ein Subsystem des Sprachsystems berücksichtigen. So wird das Lexem häufig als lexikalisches Wort bezeichnet, eine durch Flexion geänderte Form des Wortes auch flexivisches Wort genannt. Letzteres wäre dann mit der oben definierten Wortform identisch (einem Lexem entspräche dann eine Menge flexivischer Wörter). In phonologisch orientierten Ansätzen wird dagegen der Begriff des phonologischen Worts verwendet. Das Wort wird hier auf Grund von Fußstruktur und/oder (Haupt-)Akzentstelle be-

stimmt. Solche Definitionen haben gemeinsam, dass sie nur einen Aspekt der Bedeutung zur Bestimmung benutzen. Diesen gegenüber erscheint der Begriff syntaktisches Wort als primär. Dieses vereint alle notwendigen Merkmale der Wortigkeit in sich. Die denkbar einfache Definition des syntaktischen Wortes als Wortform im Satzkontext trägt folgenden Eigenschaften Rechnung: (a) eine Wortform deutet an, welche Rolle das Wort im Satz einnimmt (so zeigt z.B. -st in sagst, dass das Verb mit einem (nominativischen) Subjekt der 2. Pers. Sg. steht; der Stamm fordert andererseits ein Objekt); (b) die Bedeutung eines syntaktischen Wortes kann kompositionell erschlossen werden und unterliegt dadurch einem unabhängig motivierbaren semantischen Prinzip; (c) das syntaktische Wort kann durch pragmatische Informationen angereichert werden (vgl. etwa -erei als Suffix in Laberei oder Quertreiberei); (d) das syntaktische Wort kann auch phonologische Informationen berücksichtigen (da es eine phonologische Form hat). Ein syntaktisches Wort kann zudem einfach oder komplex sein, zumal die Verwendung in einem Satz die notwendige Bedeutung hergibt. Partikelverben wie z.B. aussteigen sind komplex. Durch die Eigenschaft, auch nach der Trennung der Partikel vom Stamm zusammenzugehören (vgl. er stieg aus), bleiben sie komplex. Somit ist die Trennbarkeit von Verbpartikeln eine Besonderheit der (syntaktischen) Wortformbildung. In Theorien nach einer strengen lexikalistischen Hypothese (vgl. u.a. Di Sciullo/Williams 1987) wird auch Wortbildungsaffixen die Eigenschaft zugesprochen, einen eigenen, voll spezifizierten Lexikoneintrag zu haben. Diese Auffassung ist jedoch mit der Definition des syntaktischen Wortes nicht vereinbar, zumal Wortbildungsaffixe nicht als Wortformen eines Lexems gedeutet werden könnten. Sie teilen nur eine Eigenschaft des Wortes: Sie weisen Wortartmerkmale auf. Imre Szigeti

→ § 1, 9, 10, 15; Funktionswort; kompositionelle Wortbedeu-

tung; Lexem; nicht-flektierendes Wort; Wortart; Wortbildung; Wortfeld; Wortform; Wortgrammatik; Wortklasse; Wortstruktur → Gram-Syntax: Lexikon (1); mentales Lexikon; syntaktische Wortkategorie ⇀ Wort (Wobi; CG-Dt; Sprachphil; Lexik); Wort (1) (QL-Dt); Wort (2) (QL-Dt) ⇁ word (Typol)

W

Wort, nicht-flektierendes 794 🕮 Ágel, V./ Kehrein, R. [2002] Das Wort – Sprech- und/oder Schreibzeichen? Ein empirischer Beitrag zum latenten Gegenstand der Linguistik. In: Ágel, V./ Gardt, A./ Haẞ-Zumkehr, U./ Roelcke, T. [Hg.] Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. Tübingen: 3–28 ◾ Bauer, L. [2000] Word. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 247–257 ◾ Di Sciullo, A.-M./ Williams, E. [1987] On the Definition of Word (LingInquMonogr 14). Cambridge, MA [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [2008] Das graphematische Wort (im Deutschen). Eine erste Annäherung. In: ZS 27/2: 189–228 ◾ Gallmann, P. [2009] Was ist ein Wort? In: Duden. Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. Mannheim [etc.]: 132–138 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Herbermann, C.-P. [2002] Das Wort als lexikalische Einheit. In: Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.R. [Hg.] Lexikologie (HSK 21.1). Berlin [etc.]: 14–33 ◾ Knobloch, C./ Schaeder, B. [2007] Das Wort. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin [etc.]: 21–50 ◾ Szigeti, I. [2017] Derivation. Heidelberg ◾ Wurzel, W.U. [2000] Was ist ein Wort. In: Thieroff, R. et al. [Hg.] Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: 29–42.

Wort, nicht-flektierendes → nicht-flektierendes Wort

Wort, zusammengesetztes → Kompositum

Wortakzent

lautliche Prominenz einer Silbe einer mehrsilbigen Wortform gegenüber den anderen. ▲ word stress: emphasis placed on a specific syllable in a multi-syllabic word.

W

In Sprachen, in denen mehrsilbige Wörter vorkommen, wird eine Silbe mit einer lautlichen Prominenz, dem Wortakzent (= WA), versehen und dadurch hervorgehoben. Der WA (im Gegensatz zum Satzakzent) ist auf einer Silbe festgelegt (lexikalischer Akzent). Je nach der Intensität des WA werden drei Silbentypen differenziert: (a) Silbe mit Hauptakzent; (b) Silbe mit Nebenakzent; (c) unbetonte Silbe. Nach der Silbenposition des WA ergibt sich folgende Klassifizierung von Wörtern: Ultima (WA auf der letzten Silbe); Pänultima (WA auf der vorletzten Silbe); Antepänultima (WA auf der vorvorletzten Silbe). Es gibt Sprachen, in denen der WA auf einer bestimmten Wortposition festgelegt ist (gebundener WA); die akzenttragende Silbe markiert somit die Wortgrenze (z.B. im Frz., Poln., Finn.). In anderen

Sprachen (z.B. im Dt., Engl., Span.) ist der WA frei beweglich (freier WA) und dessen phonologische Relevanz bildet Minimalpaare (z.B. span. término 'Terminus' – termino 'ich beende' – terminó 'er/sie beendete'). Hang Ferrer Mora

→ Akzent; Akzentstelle; Prosodie; silbenzählend; suprasegmental; Vollsilbe

⇀ Wortakzent (Phon-Dt; HistSprw)

🕮 Eisenberg, P. [1991] Syllabische Struktur und Wortakzent. Prinzipien der Prosodik deutscher Wörter. In: ZS 10/1: 37–64 ◾ Maas, U. [2006] Phonologie. Einführung in die funktionale Phonetik des Deutschen. 2. Aufl. (StLing 2). Göttingen ◾ Wiese, R. [1996] The Phonology of German. Oxford.

Wortart

kategorielle, einzelsprachliche Einordnung von Wörtern mit gemeinsamen grammatischen Eigenschaften, die sich in der spezifischen formalen und funktionalen Verwendung im Satz zeigt. ▲ part of speech; word class; grammatical category: categorial ordering that is specific to a particular language, dealing with words and grammatical features that they have in common as shown in the formal and functional use of these words in the clause. Schon in der Antike wird versucht, Wörter von Einzelsprachen zu klassifizieren. Bei Dionysios Thrax (ca. 170–90 v. Chr.), der als „Verfasser der ersten Grammatik im Abendland“ (Arens 1969: 21) gilt, findet man ein System mit acht Wortarten (Redeteile), das noch heute als das Fundament für die Wortartenklassifikationen der ide. Sprachen dient. Es werden die Redeteile Nomen, Verbum, Partizip, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb, Konjunktion unterschieden. Über die Klassifikationskriterien und deren Anwendung sowie zu den Wortartensystemen existieren heute in der Grammatiktheorie unterschiedliche Auffassungen. Zur Kategorisierung der Wörter werden morphologische, syntaktische, semantische und/oder pragmatische Kriterien eingesetzt. Mit ihnen können Wortartensysteme abgeleitet werden. Dies erfolgt in der Regel systematisch auf der Basis von Kreuzklassifikationen. Homogene Systeme, die auf einem einzigen Kriterium aufbauen, sind für die meisten Sprachen nicht sinnvoll. Das morphologische Kriterium kategorisiert die Wörter danach, ob eine Wortform im Satz variiert. Danach können zwei Hauptklassen gebildet werden: die Flektierbaren, die Wortformen

795 Wortart • Die Flektierbaren: [+ flektierbar] – Verben: [+ flektierbar], [+ konjugierbar] – Substantive: [+ flektierbar], [– konjugierbar], [+ deklinierbar], [+ artikelfähig] – Adjektive: [+ flektierbar], [– konjugierbar], [+ deklinierbar], [– artikelfähig], [+ komparierbar] – Pronomen: [+ flektierbar], [– konjugierbar], [+ deklinierbar], [– artikelfähig], [– komparierbar] • Die Unflektierbaren: [– flektierbar] – Adverbien: [– flektierend], [+ selbstständig], [+ Prädikatsbezug] – Partikeln: [– flektierend], [– selbstständig], [+ modifizierend]  Abtönungspartikeln [– flektierend], [– selbstständig], [+ Illokution modifizierend]  Gradpartikeln [– flektierend], [– selbstständig], [+ modifizierend], [+ skalierend]  Vergleichspartikeln [– flektierend], [– selbstständig], [+ modifizierend], [+ vergleichend]

 Negationspartikeln [– flektierend], [– selbstständig], [+ Wahrheitswert modifizierend] – Satzwörter:

[– flektierend], [+ selbstständig], [+ Satzbezug]  Satzadverbien [– flektierend], [+ selbstständig], [+ Satzbezug], [+ Sprechereinstellung]  Reaktive [– flektierend], [+ selbstständig], [+ Satzbezug], [+ Handlungsbezung]  Interjektionen [– flektierend], [+ selbstständig], [+ Satzbezug], [+ Emotion] – Die Fügewörter: [– flektierend], [– selbstständig], [+ verbindend]  Konjunktoren: [– flektierend], [– selbstständig], [+ koordinierend verbindend], [– kasusfordernd]  Subjunktoren: [– flektierend], [– selbstständig], [+ subordinierend verbindend], [– kasusfordernd]  Präpositionen: [– flektierend], [– selbstständig], [+ subordinierend verbindend], [+ kasusfordernd] Abb. 1: „Lexikon“-System nach Römer (2006: 82–84)

W

Wortart 796

Satzwort

– flektierbar

+ flektierbar

+ konjugierbar + deklinierbar Verb

+ artikelfähig Substantiv

– artikelfähig

+ komparierbar Adjektiv

– Fügewort

+ Fügewort

+ Kasusforderung Präposition

– komparierbar Pronomen

– Kasusforderung Konjunktion

+ Satzgliedposition

+ Satzglied-/ Gliedteilwert Adverb

– Satzgliedposition Partikel

– Satzglied-/ Gliedteilwert Modalwort

Abb. 2: „Satzwort“-System nach Sommerfeldt et al. (1985: 53)

W

bilden, und die Unflektierbaren. Es kann nur bei Sprachen zur Anwendung kommen, die eine Flexionsmorphologie besitzen. Für die russ. Sprache, die eine ausgeprägte Flexionsmorphologie aufweist, hat Kempgen (1981) die komplexen morphologischen Merkmale weiter differenziert und ist damit zu 24 morphologischen Wortklassen bei zehn morphologischen Merkmalen gelangt. Syntaktische Kriterien beziehen sich auf das Verhalten der Wörter beim Aufbau von Wortgruppen und Sätzen. Unterschiedliches Distributionsverhalten oder die spezifische Repräsentanz von syntaktischen Funktionen können zur Ableitung von Wortarten führen. Helbig/Buscha (1991: 19) unterscheiden in ihrer Grammatik nach der Einsetzbarkeit in vier Satzmustern vier distributionell bestimmte Wortarten: Subst. (1), Verb (2), Adj. (3), Adverb (4). (1) Der … arbeitet fleißig. (2) Der Lehrer … fleißig. (3) Er sieht einen … Arbeiter. (4) Der Lehrer arbeitet … . Das semantische Kriterium ist für die Festlegung und Bestimmung von grammatischen Wortklassen umstritten und weniger geeignet, weil es keine eindeutige Zuordnung von semantischen und formalen Worteigenschaften gibt. Im folgenden Beispiel bezeichnet Essen einmal etwas Konkretes/Dingliches (5), einmal eine Tätigkeit (6). (5) Das Essen schmeckte gut.

(6) Das Essen bereitet ihm Mühe. Pragmatische Kriterien beziehen sich auf die kommunikativen Funktionen von Wörtern in Sätzen. Damit können im Dt. und Engl. die Interjektionen von den anderen Wortarten abgetrennt werden. Sie haben ausschließlich die kommunikative Funktion, Emotionen oder Bewertungen sichtbar zu machen. Im Gegensatz zu den anderen Wortarten sind sie keine integrierten Teile eines Satzes (7). Da sie mit dem Satz keine syntaktische Verbindung eingehen, werden sie teilweise als „Pseudowörter“ aus den Wortartensystemen ausgeschlossen. (7) „Ach, Sie tun mir weh“, sagte er. Wortartensysteme werden in der Regel einzelsprachlich gebildet und teilen die Wörter auf Grund gemeinsamer grammatischer Merkmale in Klassen ein. Die GG geht hingegen von einem universellen Ansatz aus, indem sie mit den universellen Merkmalen [+ oder − Subst.] und [+ oder − Verb] vier Merkmalskombinationen und vier Klassen definiert (vgl. Chomsky 1970). [+ Verb] [− Subst.]: Verb [− Verb] [+ Subst.]: Substantiv [+ Verb] [+ Subst.]: Adjektiv [− Verb] [− Subst.]: Präposition Welchen Inhalt die beiden universellen Merkmalsbündel haben, ist einzelsprachlich spezifisch. Die Wortartensysteme unterscheiden sich auch

797 Wortartenbedeutung danach, ob sie auf der Basis des Lexikonworts oder aus der Verwendung des Worts im Satz gewonnen werden. In dem System von Römer (2006) (vgl. Abb. 1) wird vom Lexikonwort ausgegangen, und Wortarten werden als Klassen von Wörtern mit gemeinsamen Bündeln von Merkmalsspezifikationen, die Prädikate für grammatische Charakteristika sind, verstanden. Die Merkmale bilden hier Hierarchien und können vererbt werden. Ein tieferes Merkmal erbt von den über ihm stehenden Merkmalen diejenigen Informationen, die es nicht selbst spezifiziert. So schließt das Merkmal [+ artikelfähig] die Merkmale [+ flektierbar], [− konjugierbar], [+ deklinierbar] ein. Die Wortartenmerkmale werden als im Lexikon kodiert angenommen und umfassen das Wissen um die prototypischen Wortartenvertreter. Das Wortartensystem von Flämig/Sommerfeldt geht vom Satzwort aus (vgl. Abb. 2 nach Sommerfeldt et al. 1985: 53). Das Wort eben in (9) erhält in diesem System die Merkmale [− flektierbar], [− Fügewort], [− Satzgliedposition], da eben nicht allein im Vorfeld stehen kann (9a), und somit als Partikel eingeordnet wird. (9) Ich weiß nicht, er ist nun eben mein Freund. (9a) *Ich weiß nicht, eben ist er nun mein Freund. Probleme bereitet diese Einteilung, wenn die Lexeme nicht in der prototypischen Weise verwendet werden, z.B. Adjektive (wie in (10)), die aufgrund ihrer Bedeutung nicht kompariert werden können, oder Pronomina (11), die nicht deklinierbar sind. (10) Das rote/uralte/einzige/… Kleid (11) Man freute sich. Hinsichtlich der Gewinnung von Wortartensystemen ist es sinnvoll, sie auf Einzelsprachen zu beschränken, systematisch die grammatischen Kriterien anzuwenden (ausgehend von den morphologischen und syntaktischen Charakteristika) und prototypische Vertreter der Wortklassen im Lexikon anzunehmen. Christine Römer ≡ Redeteil → § 2, 8, 9, 15, 22; geschlossene Klasse; Hauptwortart; kategorienveränderndes Suffix; Nomen; offene Klasse; Wort; Wortartenbedeutung; Wortartenkontinuum; Wortklasse → Gram-Syntax: syntaktische Kategorie ⇀ Wortart (Wobi; HistSprw; CG-Dt; Sprachdid; QL-Dt) ⇁ part of speech (CG-Engl)

🕮 Arens, H. [1969] Sprachwissenschaft. München ◾ Bergenholtz, H. [1976] Zur Morphologie deutscher Substantive, Verben und Adjektive. Bonn ◾ Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg. 2000] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.] ◾ Chomsky, N. [1970] Remarks on nominalization. In: Jacobs, R./ Rosenbaum, P. [eds.] Readings in English Transformational Grammar. Waltham, MA: 184–221 ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [1991] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig [etc.] ◾ Helbig, G. [Hg. 1977] Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten. Leipzig ◾ Kempgen, S. [1981] ‚Wortarten‘ als klassifikatorisches Problem der deskriptiven Grammatik. Historische und systematische Untersuchungen am Beispiel des Russischen (SIB 143). München ◾ Knobloch, C./ Schaeder. B. [Hg. 1992] Wortarten. Tübingen ◾ Römer, C. [2006] Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen [etc.] ◾ Sommerfeldt, K.-E./ Starke, G./ Nerius, D. [Hg. 1985] Einführung in die Grammatik und Orthographie der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Wortartenbedeutung

begrifflich-kategoriale Prägung der Wörter einer grammatischen Wortklasse. ▲ word class meaning: conceptual-categorical character of the words of a grammatical word class. Ob es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Wörtern und ihren grammatischen Funktionen gibt, ist in der Linguistik umstritten. Zwar gibt es die problematische Annahme, dass die Welt der Dinge ihren sprachlichen Niederschlag in den Substantiven, die Kennzeichnung von Eigenschaften in den Adjektiven, die Beschreibung von Tätigkeiten und Vorgängen in den Verben, der Beziehungen in den Adverbien, der Verhältnismarkierung in den Präpositionen und der Verbindungen von Sachen und Sachverhalten in den Konjunktionen finde (vgl. z.B. Jung 1966), aber eine derart eindeutige Zuordnung zwischen den Realia und den sprachlichen Formen ist nicht vorhanden. I.w.S. wird den grammatischen Wortklassen eine „verallgemeinerte abstrahierte Bedeutung im Prozeß des Denkens“ zugesprochen (u.a. bei Admoni 1970; Erben 1968: 39). So würden z.B. Substantive im Denken nicht einfach Dinge bezeichnen, sondern Wörter sein, die vom Denken als Dinge oder Größen gefasst und abgebildet werden. Adjektive würden nicht einfach Eigenschaften bezeichnen, sondern Wörter sein, die bestimmte Sachverhalte als Eigenschaften fassen bzw. darstellen. Wortarten werden danach als logisch-semanti-

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Wortartenhierarchie 798 sche Kategorien der Welterfassung bzw. Widerspiegelung verstanden.

→ Wort; Wortart → Gram-Syntax: syntaktische Funktion

Christine Römer

Adjektiv

enge Bedeutung statisch konkret kategorial Referenz

Verb weite Bedeutung dynamisch abstrakt relational Prädikation

🕮 Admoni, W. [1970] Der deutsche Sprachbau. 3., durchges.

Abb. 1: Substantiv-Verb-Kontinuum (Eisenberg 1998: 36)

Ein Leitfaden. Frankfurt/Main ◾ Jung, W. [1966] Grammatik

≡ Wortartenhierarchie → Wortart

u. erw. Aufl. München ◾ Erben, J. [1968] Deutsche Grammatik.

der deutschen Sprache. Leipzig ◾ Knobloch, C./ Schaeder, B. [2000] Kriterien für die Definition von Wortarten. In: Booij, G./

Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 674–692.

Wortartenhierarchie ≡ Wortartenkontinuum

Wortartenkontinuum

kontinuierlicher Übergang zwischen Wortarten in einer Wortartenhierarchie. ▲ part-of-speech continuum: continuous transition between parts of speech in a part-of-speech hierarchy.

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Substantiv

Im Zusammenhang mit der Erklärung von Grammatikalisierungsprozessen bzw. typologischen Beschreibungen wird teilweise eine Wortartenhierarchie angenommen. So ist Leiss (1992: 129ff.) der Meinung, dass es die Hierarchie (1) bei den Wortarten gibt, die auch die Spracherwerbsreihenfolge reflektiere. (1) Substantiv > attributives Adjektiv > prädikatives Adjektiv > Verb Diese Ordnung gibt die denotative und referentielle Kapazität der Wortarten wieder. Prototypischerweise seien (konkrete) Substantive stark intensional, mit vielen semantischen Merkmalen und vorwiegend referentieller Funktion versehen. Dagegen nehme in Richtung der Verben die referentielle Kapazität und die Anzahl der semantischen Merkmale immer mehr ab. Eisenberg (1998: 36) verweist darauf, dass diese Annahme „ziemlich vage“ und auch „problematisch“ sei. Die Einordnung der Wortarten mit ihren spezifischen morphosyntaktischen Charakteristika zwischen die Pole in Abb. 1 ist für die Klassen jeweils als Ganzes schwierig, da die Merkmale semantischer Natur sind und es bei diesen keine regelhafte direkte Zuordnung zu morphosyntaktischen Eigenschaften gibt.

Christine Römer

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.].

Wortartwechsel ≡ Konversion

Wortausgang

Gesamtheit der Grapheme zwischen dem letzten Wortkern einer Wortform und dem darauffolgenden Spatium oder Interpunktionszeichen. ▲ word coda; coda of a word: group of graphemes between the last syllabic nucleus of a word and the following space or punctuation mark. Pál Uzonyi

→ Interpunktion; Wortbrücke; Worteingang; Wortkern

🕮 Eisenberg, P./ Butt, M. [1990] Schreibsilbe und Sprechsilbe. In: Stetter, C. [Hg.] Zu einer Theorie der Orthographie. Interdisziplinäre Aspekte gegenwärtiger Schrift- und Orthographieforschung. Tübingen: 33–64 ◾ Eisenberg, P. [1989] Die Schreibsilbe im Deutschen. In: Eisenberg, P./ Günther, H. [Hg.] Schriftsystem und Orthographie (RGL 97). Tübingen: 57–84 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Wortbedeutung, kompositionelle → kompositionelle Wortbedeutung

Wortbildung

morphologisches Verfahren zur Versprachlichung von Konzepten und damit zur Erweiterung des Wortschatzes um komplexe Wörter durch die Kombination von bereits vorhandenen sprachlichen Elementen oder durch Abbau von Wortbildungsaffixen. ▲ word formation: morphological procedure for verbalizing concepts and therefore for expanding the lexicon with complex words by the combination of already existing units or by the reduction of derivational affixes.

799 Wortbildung Die Wortbildung komplexer Wörter ist Bestandteil der Grammatik (Fleischer/Barz 2012: 1) und wird deshalb auch als Wortbildungsmorphologie und lexikalische Morphologie bezeichnet (Plank 1981: 2f.; Simmler 1998: 23–28). Dabei ist die Systematik der Wortbildung einer Sprache nicht nur durch deren morphologische Gesetzmäßigkeiten geprägt, sondern auch durch deren Phonologie und Syntax. Die Phonologie bewirkt die Herausbildung von phonotaktisch bedingten Fugenelementen zwischen den Bestandteilen komplexer Wörter, restringiert nicht-silbifizierbare Wortbildungen (z.B. öffnen zu öffenbar statt *öffnbar) und führt zu einer Präferenz einer trochäischen und damit zweisilbigen offenen Silbenstruktur mit Vollvokal bei Kurzwörtern (z.B. Navi = Navigationsgerät, Studi = Student) (zum Zusammenhang von Wortbildung und Phonologie vgl. Plank 1981; Wegener 2003; Eisenberg 2006; Fuhrhop 2007; Ronneberger-Sibold 2007; Nübling/Szczepaniak 2009; Fleischer/Barz 2012). Die Syntax steuert z.B. die semantische Relation zwischen den Bestandteilen von Kompositionalbildungen bei den Rektionskomposita und beeinflusst die verbale Wortbildung (zum Zusammenhang von Dependenz in der Wortbildung vgl. Eichinger 2006: 1065ff.). Fleischer/Barz (2012: 12) erkennen demnach „Grenzgänger“ im „Grenzbereich zwischen Syntagma und Lexem (Rad fahren, eislaufen)“, also an der Syntax-Wortbildungsschnittstelle ebenso wie „Äquivalenzbeziehungen zwischen bestimmten Wortbildungen und Syntagmen, vgl. Nachtwanderung – nächtliche Wanderung – Wanderung des Nachts / bei Nacht“, aber auch „syntaktische Restriktionen bzw. Folgerungen für das Bildungsergebnis“. Der Überschneidungsbereich zwischen Wortbildung und Syntax kann in flexionslosen oder -schwachen Sprachen zu größeren Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Grenze zwischen den beiden Bereichen führen, so im Engl. bei der Komposition (Plag 2016: 2412). Neben den grammatischen Restriktionen bei der Wortbildung existieren aber auch lexikalische Blockaden (z.B. stehlen ↛ *Stehler ↔ Dieb, groß ↛ *Großheit ↔ Größe, vgl. zur Blockierung Motsch 2004: 19) und semantische Restriktionen (z.B. die Inkompatibilität des Suffixes -er mit den psychischen Verben: *Freu-er, vgl. Eisenberg 2006: 211)

(zu den Restriktionen insgesamt vgl. Gaeta 2015: 859ff.). Die sprachsystemimmanenten Wortbildungsbeschränkungen werden zusätzlich „von außersprachlichen Akzeptabilitätsbedingungen“ „überlagert“ (Barz 2009: 678, auch zum Folgenden). So müssen neue Wortbildungen „begrifflich sinnvoll und für die Kommunikation relevant sein“, um „ein ‚Bleiberecht‘ in der Sprache beanspruchen“ zu können. Es existiert keine Movierung bei Floh (→ *Flöhin), jedoch bei Hund (→ Hündin). Ob Akzeptabilität bei einer Wortneubildung vorliegt, ist also nicht nur von einer „modellgerecht[en] und systemkonform[en]“ Bildung abhängig, sondern auch vom Lexikon und der „außersprachlichen Realität“ (Fleischer/Barz 2012: 80). Allerdings existieren auch „kulturellsemantische Restriktionen durchbrechende Kontexte“ wie etwa „in der Dichtung, in der Kindersprache, im Wortspiel, im polemischen Reizstil“, in denen normalerweise inakzeptable Wortbildungen akzeptabel sein können (v. Polenz 1972: 408). Im Gegensatz zu den arbiträren einfachen Wörtern sind die durch Wortbildung entstandenen komplexen Wörter „strukturell motiviert“ und deshalb sehr häufig morphologisch wie semantisch transparent (Eisenberg 2006: 211). So ist das Suffix ‑er als Wortbildungmarker der deverbalen nomina agentis in (1) durchsichtig: (1) x-er → jemand, der x-t (1a) Lehr-er → jemand, der lehr-t Die semantische Transparenz kann jedoch durch Demotivierung verloren gehen (Eisenberg 2006: 211). Es liegt dann nur mehr eine morphologische Motivierung vor (1b). (1b) Spann-er → *jemand, der spann-t Die Wortbildung Spanner ist aufgrund ihrer Demotivierung idiomatisiert und lexikalisiert. Nach Eisenberg (2006: 215) ist eine Idiomatisierung keine Voraussetzung für die Lexikalisierung einer Wortbildung. Lexikalisierung liege nämlich dann vor, wenn „ein Wort zum Wortschatz gehört, als solches bekannt oder ‚usualisiert‘ ist“, also „in ‚normalem Gebrauch‘ der Sprecher einer Sprache oder von bestimmten Sprechergruppen ist, die ihr ‚Speziallexikon‘ haben.“ Dagegen sehen Fleischer/Barz (2012: 68) „bei lexikalisierten Wortbildungen immer Demotivierungsprozesse“, zu denen sich außer bei vollständiger Demoti-

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Wortbildung 800

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vation „Bildungsmodelle ermitteln“ lassen. Bei lexikalisierten Wortbildungen stehe die Wortbildungsbedeutung „in der Regel“ fest, wohingegen „Ad-hoc-Bildungen“, also situationsgebundene Neubildungen, „außerhalb ihres Verwendungszusammenhangs mitunter Mehrfachinterpretationen“ zulassen, wie „z.B. Goethebild 'Bild, das Goethe darstellt, das Goethe gemalt hat, das man sich von ihm macht'“. Wenn eine Wortbildungsregel „zu einer gegebenen Zeit“ neue Wörter bildet, ist sie produktiv (Eisenberg 2006: 215). Die Produktivität eines Wortbildungstyps wird durch verschiedene quantitative und qualitative Faktoren bestimmt (Rainer 1987: 188ff.; Gaeta/Ricca 2015: 848ff.). Das sind (a) die Anzahl der Wörter, die eine Wortbildungsregel insgesamt bzw. innerhalb einer gewissen Zeitspanne hervorbringt; (b) die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit neuer Wortbildungen; (c) die Anzahl der möglichen Wortbildungen und deren Relation zu den tatsächlichen Wortbildungen. Hochproduktiv sind Wortbildungen, die „nur wenige Restriktionen in Bezug auf phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Eigenschaften des Inputs aufweisen (qualitatives Kriterium) und in hohem Maße auch für Neubildungen genutzt werden (quantitatives Kriterium)“, wie z.B. die deverbalen Adjektivbildungen mit dem Suffix -bar (Fleischer/Barz 2012: 75). Schwach produktiv sind nach Fleischer/Barz Wortbildungsregeln, die „nur selten Neubildungen“ hervorbringen (z.B. das substantivische Präfix Erz-), und unproduktiv sind Modelle, nach denen „höchst selten neue Lexeme gebildet“ werden (z.B. Schwieger- in der von Fleischer/Barz angeführten Internet-Neubildung Schwiegerhund). Neben dem Terminus Produktivität wird in der Wortbildungsforschung auch der Terminus Aktivität zur Beschreibung der Häufigkeit der Realisierung von Wortbildungen verwendet. Motsch (2004: 20) setzt hierbei Aktivität mit Produktivität gleich. Bei Fleischer/Barz (2012: 81) ist Wortbildungsaktivität „die Eigenschaft von Wortbildungseinheiten, für neue Wortbildungen verwendbar zu sein“, was in der Slavistik der Terminus Wortbildungspotenz beschreibt (vgl. Ohnheiser 1981: 29). Bei Eisenberg (2006: 215f.) hingegen werden mit dem Terminus aktiv nur die im Sinne von Fleischer/Barz schwach produktiven

und unproduktiven Wortbildungsmodelle klassifiziert, nicht jedoch die hochproduktiven. Die Analysen der Wortbildungsmorphologie erfolgen in der Wortbildungsforschung strukturalistisch zumeist in binären Strukturen, obwohl Kompositionalbildungen im Dt. (vgl. das Lehrbuchbeispiel Donau-dampf-schiff-fahrt-s-gesellschaft), aber auch in anderen Sprachen wie dem Engl., Dän. oder Ung. (vgl. Donalies 2009: 469) aus weit mehr als zwei Konstituenten bestehen können, die sich oft semantisch nicht eindeutig in zwei Einheiten aufteilen lassen. Dennoch lassen sich nach Barz (2009: 660) „die meisten Wortbildungen des Deutschen“ in Wortbildungsarten mit einer binären Struktur unmittelbarer Konstituenten (= UK) und ohne eine binäre UK-Struktur untergliedern. Die Wortbildungen mit UK-Struktur bestehen entweder als Kompositionen (= Zusammensetzungen) aus zwei wortfähigen UKn (z.B. Haus + Tür → Haustür = Basismorphem + Basismorphem → Komposition) oder aus nur einer wortfähigen UK, die mit einem Wortbildungsaffix (Präfix, Suffix oder Zirkumfix) als zweiter UK zu einer Derivation (= Ableitung) kombiniert werden (z.B. blau + ‑lich → bläulich = Basismorphem + Suffix → Derivation). Dabei kann es sowohl bei der Komposition (z.B. Adj. grün + Subst. Span → Subst. Grünspan) als auch bei der Derivation durch Suffigierung (z.B. Subst. Gift + Suffix ‑ig → Adj. giftig) oder Zirkumfigierung (z.B. Verb reden + Zirkumfix Ge-...-e → Subst. Gerede) zu einem Wortartwechsel des Wortbildungsprodukts im Vergleich zur Wortart der ersten Konstituente kommen. Auch durch Präfigierung ist im Dt. – wenn auch selten – ein Wortartwechsel möglich, hier der zweiten Konstituente (z.B. Präfix ge- + Subst. Trost → Adj. getrost; vgl. Simmler 1998: 547). Die Partikelverbbildungen bestehen ebenfalls wie die Komposita aus zwei wortfähigen Konstituenten. Barz (2009: 669) spricht ihnen aber wegen „ihrer spezifischen Eigenschaften“ eine Analyse durch einen binären UK-Algorithmus ab. Partikelverbbildungen sind im Dt. verbale Bildungen aus einem morphologisch und syntaktisch trennbaren Erstglied, der Verbpartikel (auch abtrennbares Präfix, Präfixoid, Halbpräfix, Nachverb, Präverb oder in der Syntax Verbzusatz genannt, vgl. Fleischer/Barz 2012: 91) und einem Verb, selten auch Subst. oder Adj. (z.B. Verbpartikel auf +

801 Wortbildung Verb stehen: auf-stehen, ich stehe auf, aufgestanden). Im Gegensatz zum Dt. und Niederl. sind die Verbpartikeln im Engl. nicht in Voranstellung und Zusammenschreibung möglich, sondern stehen immer getrennt nach dem Verb (z.B. to stand up, auch in Distanzstellung she put her hat on) (McIntyre 2015: 440ff.; Booij 2016: 2429f.). Donalies (2005: 30) lehnt aber auch für dt. Partikelverbbildungen – sie nennt diese Präverbfügungen – den Wortstatus und damit den Wortbildungsstatus ab und spricht wie bei den engl. Partikelverbbildungen von „syntaktischen Gefügen“. Neben den wortfähigen Konstituenten können auch nicht-wortfähige, aber dennoch bedeutungstragende UKn als Konfixe (vgl. Müller 2015a: 1622) insbesondere bei der Fremdwortbildung Komposita sowohl mit anderen nicht-wortfähigen bedeutungstragenden UKn (z.B. Konfixkompositum aus zwei Konfixen Geo-logie) als auch mit anderen wortfähigen UKn (z.B. Fremdkonfix Bio in Bio-müll-eimer, aber auch indigenes Konfix Schwieger- in Schwieger-mutter) bilden. Auch Derivationen von nicht-wortfähigen bedeutungstragenden UKn (z.B. Fremdkonfix mit Fremdsuffix Chem-ie oder aber auch Fremdkonfix mit nativem Suffix Poliz-ei) sind möglich (Eisenberg 2006: 242ff., 418; Fleischer/Barz 2012: 63f.). Dasselbe gilt auch für Komposita (z.B. Him-beere) und Derivationen (z.B. deft-ig) mit als sprachgeschichtlichen „Relikten“ nur einmal vorhandenen Morphemen, den „unikalen Morphemen“ (Donalies 2005: 41). Die Zusammenbildungen (z.B. zweitürig) stellen eine Kombination aus Komposition und Derivation dar. Manche Forscher wie Fleischer/Barz (2012: 86) subsumieren die Zusammenbildungen dennoch insgesamt dem Begriff der Derivation. Eichinger (2000: 31, 61) klassifiziert sie dagegen als „lexikalische(n) Typ der Inkorporation“, bei denen „die semanto-syntaktische Nachbarschaft zur allmählichen Univerbierung der Bildungen führt“, also „Kodierungstechniken von Syntax und Wortbildung“ Anwendung finden. Die Zusammenbildungen bestehen in der Regel aus zwei wortfähigen und einer nicht-wortfähigen Konstituente (zwei-tür-ig), die sich nicht binär (zwei +*türig, *zweitür + -ig), sondern nur trinär, also in einem Analyseschritt in drei Analyseprodukte (zwei + Tür + ig) aufspalten lassen (vgl. Donalies 2005: 91f.). Bei den unären Wortbildungen ohne UK-Struktur, die sich nicht aufspalten las-

sen, unterscheidet Barz (2009: 660) Wortbildungen mit und ohne Wortartwechsel. Durch einen Wortartwechsel zeichnen sich die Konversionen (z.B. Adj. grün → Subst. das Grün) aus. Konversionen können syntaktisch unter Beibehaltung der Flexionsmorpheme der Ausgangswortart (Verb laufen → Subst. das Laufen) oder aber morphologisch bei Umsetzung allein des Basismorphems (Verb laufen → Subst. der Lauf) erfolgen (Eisenberg 2006: 295). Eichinger (2000: 73) und Fleischer/Barz (2012: 89) zählen auch die sog. impliziten Ableitungen (z.B. schließen → Schluss) „als eine Art historischer Sonderfall“ zu den morphologischen Konversionen, hier nur mit einer Stammallomorphie (ie → u). Für Eisenberg (2006: 295) gehören die impliziten Ableitungen „ausdrücklich nicht zu den Konversionen“, sondern sind für ihn „Derivat(e) durch einen Vokalwechsel“, also durch ein Infix. Keinen Wortartwechsel weisen die Kurzwortbildungen (z.B. Subst. Personenkraftwagen → Subst. PKW) auf. Die Kurzwortbildungen beziehen sich wiederum auf Vollformen mit UK-Struktur, nämlich „vielgliedrige, meist lexikalisierte Wortbildungen, aber auch syntaktische Fügungen, selten ganze Sätze“ (Fleischer/Barz 2012: 277). Zu den häufigen Wortbildungstypen der Komposition, der Derivation, der Partikelverbbildung, der Konversion und der Kurzwortbildung sowie der Zusammenbildung als Kombination von Komposition und Derivation treten noch die Kontamination (auch: Wortkreuzungen, Wortverschmelzungen) und die Reduplikation. Beide werden in der Forschung entweder als Sonderfall der Komposition betrachtet (vgl. Donalies 2009: 470) oder aber als eigene Wortbildungsarten geführt (vgl. Fleischer/Barz 2012: 93ff.). Wie bei den Kurzwörtern kommt es bei den Kontaminationen (z.B. ja + nein → jein, Kur + Urlaub → Kurlaub) zu Kürzungen, jedoch erfolgt die Kürzung bereits im Rahmen der Komposition und nicht erst danach wie bei der Kurzwortbildung. Auch sind die Ausgangskomplemente bei Kontaminationen im Gegensatz zu Kurzwörtern nicht immer ungekürzt als Komposita bildbar (*janein, aber Kururlaub). Dabei wird meist in der ersten Komponente der Nukleus und der Silbenauslaut der letzten Silbe und in der zweiten Komponente der Silbenanlaut der ersten Silbe gekürzt (ja + nein → j-ein), oder es kommt zu einer Überlap-

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Wortbildung 802

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pung gleichlautender Silbenaus- bzw. -anlaute und Silbennuklei: Kur + Urlaub → K-ur-laub). Bei der Reduplikation wird „eine Art Echowert durch lautassoziative Doppelung gebildet […]: Schickimicki, Mischmasch“ (Donalies 2009: 470). Die Kontamination lässt sich auf zwei wortfähige Konstituenten, die Reduplikation jedoch nur auf eine wortfähige Konstituente zurückführen. Einen Sonderfall der Wortbildung stellt die Rückbildung dar, bei der ein Wortbildungsprodukt, das primär nicht auf die Suffigierung eines Basismorphems zurückgeht, um ein Wortbildungssuffix reduziert wird. Die Rückbildung ist „nicht binär erklärbar, sondern als Ganzes auf das motivierende komplexe Ausgangslexem zu beziehen“ (Fleischer/Barz 2012: 92). Sehr häufig werden hier Komposita mit suffigiertem Zweitglied vom Typ [(Basismorphem/Wortbildungsprodukt)1 + (Basismorphem/Wortbildungsprodukt + Suffix)2] wie z.B. sanft + (müt-ig), um + (sicht-ig) und Zwangs + (räum-ung) entgegen der ursprünglichen Wortbildungsgenese als suffigierte Komposita vom Typ [(Basismorphem/Wortbildungsprodukt1 + Basismorphem/Wortbildungsprodukt2) + Suffix] reinterpretiert und die vermeintliche Wortbildungsbasis der Suffigierung im Rahmen der Rückbildung rekonstruiert, so bei Sanft + Mut, Um + Sicht und zwangs + räumen. Aber auch eine Desuffigierung von Konfix-Suffix-Bildungen wie Elast aus elast-isch und ein Suffixaustausch wie bei missinterpret-ieren aus Missinterpret-ation wird als Rückbildung klassifiziert (zu den Belegen vgl. Fleischer/Barz 2012: 92, 388). Das Forschungsinteresse der Wortbildungsforschung hat sich in den letzten Jahren stark auf die klassifikatorischen Problemfälle, aber auch auf Sprachwandelprozesse wie Grammatikalisierung und Remotivierung fokussiert (zur diachronen Wortbildungsforschung vgl. Müller 2015b; zur Grammatikalisierung vgl. Habermann 2015). Die Wortbildungsarten und insbesondere die Komposition ermöglichen bisweilen viele Lesarten. Heringer (1984: 2) veranschaulicht dies an Fischfrau, die die 'Frau, die Fisch verkauft' sein kann, aber auch die 'Frau des Fischs', die 'Frau, die im Sternbild der Fische geboren' ist, die 'Frau und Fisch (= Nixe)' zugleich ist, die 'Frau, die Fisch is(s)t', die 'Frau, die Fisch produziert', die 'Frau, die vom Fisch abstammt', die 'Frau, die kühl wie ein Fisch ist', die 'Frau, die Fisch gebracht hat', die

'Frau, die bei dem Fisch steht' „undsoweiter“. Die Lesarten sind durch die unterschiedlichsten Sprecher- und Hörerintentionen motiviert und gehen deshalb auf unterschiedliche Wortbildungsmuster zurück. Die wichtigsten Wortbildungsmuster sind dabei die Diminution (Häns-chen) und Augmentation (Mega-show), die Movierung (Lehrer + in, Witw(e) + er) sowie die Bildung von Kollektiva (Mann-schaft), von nomina qualitatis (Trockenheit), von nomina actionis (Versuch-ung), von nomina agentis (Läuf-er) und von nomina patientis (Prüf-ling) (Donalies 2009: 473ff.). Igor Trost

↔ Flexion → § 3, 15, 31; Analogiebildung; Derivation; kategorienver-

änderndes Suffix; Komposition; Kompositum; Kontamination; Konversion; morphologische Funktion; motivierte Wortbildung; Produktivität; Reduplikation; Stammbildung; Suffixtilgung; Wort; Zusammenbildung → Gram-Syntax: Konstituente ⇀ Wortbildung (CG-Dt; Sprachdid) ⇁ word formation (CG-Engl; TheoMethods; Typol)

🕮 Barz, I. [2009] Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.]: 634–762 ◾ Booij, G. [2016] Dutch. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.4). Berlin [etc.]: 2427–2451 ◾ Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Donalies, E. [2009] Wortbildung. In: Hentschel, E./ Vogel, P.M. [Hg.] Deutsche Morphologie. Berlin: 465–478 ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Eichinger, L.M. [2006] Dependenz in der Wortbildung. In: Ágel, V. et al. [Hg.] Dependenz und Valenz (HSK 25.2). Berlin [etc.]: 1065–1080 ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Fuhrhop, N. [2007] Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Tübingen ◾ Gaeta, L./ Ricca, D. [2015] Productivity. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 842–858 ◾ Gaeta, L. [2015] Restrictions in word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 859–875 ◾ Habermann, M. [2015] Grammaticalization in German wordformation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.3). Berlin [etc.]: 1794–1810 ◾ Heringer, H.J. [1984] Wortbildung. Sinn aus dem Chaos. In: DS 12/1984: 1–13 ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.] ◾ Müller, P. O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds. 2015/16] Word-Formation. An International Handbook of the Languages of Europe (HSK 40.1–40.5). Berlin [etc.] ◾ Müller, P.O. [2015a] Foreign word-formation in German. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.3). Berlin [etc.]: 1615–1637 ◾ Müller, P.O. [2015b] Historical word-forma-

803 Wortfamilie tion in German. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.3). Berlin [etc.]: 1867–1914 ◾ Nübling, D./ Szczepaniak, R. [2009] Religion+s+freiheit, Stabilität+s+pakt und Subjekt(+s+)pronomen. Fugenelemente als Marker phonologischer Wortgrenzen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 195–222 ◾ Ohnheiser, I. [1981] Sprachkonfrontation auf dem Gebiet der Wortbildung. Diss. Leipzig ◾ Plag, I. [2016] Englisch. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.4). Berlin [etc.]: 2411–2427 ◾ Plank, F. [1981] Morphologische [Ir-] Regularitäten. Tübingen ◾ Polenz, P. v. [1972] Neue Ziele und Methoden der Wortbildungslehre. In: PBB (West) 94: 204–225, 398–428 ◾ Rainer, F. [1987] Produktivitätsbegriffe in der Wortbildungslehre. In: Dietrich, W./ Gauger, H.-M./ Geckeler, H. [Hg.] Grammatik und Wortbildung romanischer Sprachen. Tübingen: 187–202 ◾ Ronneberger-Sibold, E. [2009] Thermodur, Blend-a-med, Sivitrex. Konfixe in deutschen Markennamen: Typen ̶ Geschichte ̶ Funktionen. In: Müller, P.O. [Hg.] Studien zur Fremdwortbildung. Hildesheim [etc.]: 141–193 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin ◾ Wegener, H. [2007] Entwicklungen im heutigen Deutsch – wird deutsch einfacher? In: DS 35: 35–62.

Wortbildung, motivierte → motivierte Wortbildung

Wortbrücke

Gesamtheit der Grapheme zwischen zwei benachbarten Wortkernen einer Wortform. ▲ internuclear cluster: group of graphemes between two neighboring syllabic nuclei of a word. Pál Uzonyi

→ Wortausgang; Worteingang; Wortform; Wortkern

🕮 Eisenberg, P./ Butt, M. [1990] Schreibsilbe und Sprechsilbe. In: Stetter, C. [Hg.] Zu einer Theorie der Orthographie. Interdisziplinäre Aspekte gegenwärtiger Schrift- und Orthographieforschung. Tübingen: 33–64 ◾ Eisenberg, P. [1989] Die Schreibsilbe im Deutschen. In: Eisenberg, P./ Günther, H. [Hg.] Schriftsystem und Orthographie (RGL 97). Tübingen: 57–84 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Worteingang

Gesamtheit der Grapheme zwischen dem Wortspatium und dem ersten Wortkern. ▲ word onset: group of graphemes between a word space and the first syllabic nucleus. Pál Uzonyi

→ Interpunktion; Wortausgang; Wortbrücke; Wortkern

🕮 Eisenberg, P./ Butt, M. [1990] Schreibsilbe und Sprechsilbe. In: Stetter, C. [Hg.] Zu einer Theorie der Orthographie. Interdisziplinäre Aspekte gegenwärtiger Schrift- und Orthographieforschung. Tübingen: 33–64 ◾ Eisenberg, P. [1989] Die Schreibsilbe im Deutschen. In: Eisenberg, P./ Günther, H. [Hg.] Schriftsystem und Orthographie (RGL 97). Tübingen: 57–84 ◾ Zifonun, G. et

al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Wortfamilie

lexikalisches Paradigma etymologisch verwandter Wörter. ▲ word family: lexical paradigm of etymologically related words.

Wortbildungen mit ein und demselben Wort als Bestandteil, dem Kernwort, bilden sog. Wortfamilien (1). (1) klug: altklug, neunmalklug, überklug, unklug, Klugheit etc. Aufgrund des identischen Kernworts stehen alle Mitglieder einer Wortfamilie in dem lexikalischsemantischen Zusammenhang der Stammverwandtschaft. Sie können durch einen (ziehen – erziehen) oder mehrere Wortbildungsschritte (ziehen – Erziehbarkeit) voneinander entfernt sein, d.h., sie sind durch das Kernwort entweder unmittelbar oder mittelbar morphosemantisch motiviert“ (Duden 2009: 679). Der Begriff der Wortfamilie umfasst aber auch etymologische Aspekte, und so können Wörter zu einer Wortfamilie gehören, die synchron nur mit Wissen über die Sprachgeschichte verbunden werden können: „So gehörte im Mhd. noch fertig zu fahren, im Ahd. noch Furt, Ferge, im Indogermanischen sogar porös“ (Augst 2009: XXXV). Je nachdem, wie eng das betreffende Lexem etymologisch gefasst wird, kann die Größe der zugehörigen Wortfamilie variieren. Es gibt im Dt. sehr große Wortfamilien mit bis zu 500 Mitgliedern, aber auch viele Lemmata, die nur einen einzigen Eintrag umfassen (Augst 1998: XI). Neben diesen alleinstehenden Lexemen kann es dazu kommen, dass Wortfamilien gänzlich aus der Sprache verschwinden (Cruse 2002: 696). Abzugrenzen sind Wortfamilien von Wortfeldern, die sich rein auf semantische Zusammenhänge beziehen, und Wortnestern, „die in ihrer Struktur über ein formal und semantisch identisches Grundmorphem verfügen, das das Kernwort des Nestes darstellt“ (Fleischer/Barz 1995: 71) und damit den etymologischen Aspekt unberücksichtigt lassen. In Wbb. ist die Anordnung von Lexemen nach Wortfamilien eine Alternative zur klassischen alphabetisch-semasiologischen Anordnung. Dies

W

Wortfeld 804 wird z.B. von Augst (2009) so gehandhabt. Die Darstellung von Wortfamilien findet außerhalb von Wbb. entweder in Baumgraphen, TabellenDarstellungen oder TAB-Schreibweisen statt (Heringer 2009: 111). Didaktisch gesehen sind die „Kenntnis von Wortfamilien und der reguläre Zusammenhang in einer Familie [...] wichtig für die produktive wie für die rezeptive Sprachkompetenz“ (Heringer 2009: 111). Andreas Osterroth

→ § 15, 31; lexikalisches Paradigma; Wort; Wortbildung; Wortfeld

⇀ Wortfamilie (Wobi; Lexik; Sprachdid)

🕮 Augst, G. [2009] Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen ◾ Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.R. [Hg. 2002/2005] Lexikologie. 2 Bde. (HSK 21). Berlin [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [1995] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchges. u. erg. Aufl. Tübingen ◾ Heringer, H.J. [2009] Morphologie. Paderborn.

Wortfeld

strukturierte Menge von begriffsverwandten Wörtern. ▲ lexical field; semantic field: system of interrelated lexical networks.

W

Der Terminus Wortfeld ist von Jost Trier (1931) zur Bezeichnung einer Gruppe von sinnverwandten Wörtern eingeführt worden. Die sich daran entwickelnde Wortfeldtheorie ist eine zentrale Komponente der Inhaltbezogenen Grammatik (Weisgerber 1962–1971). Der Gedanke de Saussures, dass die sprachlichen Zeichen ihren eigentlichen Wert erst durch die assoziativen (heute paradigmatisch genannten) Relationen, in denen sie stehen, erhalten, ist vertieft und mit teilweise problematischen sprachphilos. Implikationen („Durch die Zwischenwelt der Sprache hindurch ist uns das Sein gegeben.“ Felder sind „Intellektualfelder“. Trier 1972: 145, 150) versehen worden. In jüngerer Zeit hat sich vor allem Lutzeier (1993) mit dem Feldbegiff in Bezug auf die dt. Sprache beschäftigt, ihn weiterentwickelt und von den ursprünglichen sprachphilos. Implikationen abgelöst. Folgende primäre Feldprinzipien hat er ermittelt: (a) Die Felder haben eine Form- und Inhaltsseite. Formal gehören die Feldelemente der gleichen Wortart an und inhaltlich haben sie eine

semantische Ähnlichkeit. (b) Jedes Feldelement wird bestimmt durch die anderen Feldmitglieder. (c) Die Felder sind inhaltlich strukturiert und in Teilfelder zerlegbar. Die Hauptarten von Wortfeldern sind (a) onomasiologische (Bezeichnungs-)Felder: Im Zentrum steht ein außer- bzw. übersprachliches Konzept, das unabhängig von Einzelsprachen ist; (b) semasiologische (Bedeutungs-)Felder: Sie werden wie z.B. bei Schlaefer (1987) auf der Basis von distributionellen bzw. kollokativen Merkmalen gebildet. Paradigmatische und syntagmatische Relationen werden in die Feldkonstituierung einbezogen; (c) funktional-semantische Felder: Hier geht es um die Erfassung der vielfältigen (morphologischen, syntaktischen, lexiko-grammatischen und lexikalischen) Ausdrucksmittel einer spezifischen semantischen Kategorie (etwas verstehen). Methodisch zentral ist für das Erstellen von Wortfeldern das Aufdecken von Oppositionsbeziehungen zwischen den Feldmitgliedern. Interdisziplinäre Anknüpfungen enthält die Wortfeldtheorie zur kognitiven Wissenstheorie (Frames, Prototypen, Scripts) und zur maschinellen Sprachverarbeitung. Traditionell besteht eine enge Verbindung zur Sprachphilos., Anthropologie und kontrastiven Ling. Christine Römer ≡ Sinnbezirk → § 15; Lexem; Wort → Gram-Syntax: Inhaltbezogene Grammatik; Lexikon (1); Lexikon (2) ⇀ Wortfeld (Wobi; Sprachdid; Lexik; SemPrag; HistSprw; Dial)

🕮 Buscha, J./ Freudenberg-Findeisen, R. [Hg. 2007] Feldergrammatik in der Diskussion. Frankfurt/Main ◾ Dörschner, N. [1996] Lexikalische Strukturen. Wortfeldkonzeption und Theorie der Prototypen im Vergleich. Münster ◾ Ehlich, K. [1999] Sprachliche Felder. In: Freudenberg-Findeisen, R. [Hg.] Ausdrucksgrammatik versus Inhaltsgrammatik. Linguistische und didaktische Aspekte der Grammatik. München: 39–49 ◾ Hoberg, R. [1970] Die Lehre vom sprachlichen Feld. Düsseldorf ◾ Lehrer, A./ Kittay, E.F. [eds. 1992] Frames, Fields and Contrasts. New Essays in Semantic and Lexical Organization. Hillsdale, NJ ◾ Lutzeier, P. [Hg. 1993] Studien zur Wortfeldtheorie. Studies in Lexical Field Theory (LA 288). Tübingen ◾ Lutzeier P.R. [2001] Lexikologie. Ein Arbeitsbuch. Tübingen ◾ Römer, C. [2005] Lexikologie des Deutschen. 2. Aufl. Tübingen ◾ Saussure, F. de [1916/1967] Cours de Linguistique Générale. Paris. Dt. Übersetzung: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin ◾ Schlaefer, M. [1987] Studien zur Ermittlung und Beschreibung des lexikalischen Paradigmas „lachen“ im Deutschen. Heidelberg ◾ Trier, J. [1931] Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes. Heidelberg ◾ Trier,

805 Wortklasse J. [1972] Das sprachliche Feld. Eine Auseinandersetzung. In: Lee, A. van der/ Reichmann, O. [Hg.] Aufsätze und Vorträge zur Wortfeldtheorie. The Hague ◾ Weisgerber, L. [1962–1971] Von den Kräften der deutschen Sprache. Düsseldorf.

Wortform

im konkreten Sprachgebrauch realisierte Form eines Lexems. ▲ word form: form of a lexeme realized in concrete language usage. Wortformen werden durch Flexion eines flektierbaren Lexems gebildet. Bei der Formbildung spielen sowohl die kategorialen Eigenschaften des Lexems als auch der syntaktische Kontext der Wortform eine Rolle. Was die Bildung von Wortformen bei Substantiven angeht, unterscheidet Eisenberg (2006: 19) zwischen Wortkategorien (Genus) und syntaktisch bedingten Einheitenkategorien (Kasus, Numerus). Die verschiedenen Formen der Einheitenkategorien bilden das substantivische Flexionsparadigma: „Mit Kasus und Numerus kategorisieren wir einzelne Formen, mit dem Genus dagegen Substantive im Sinne von lexikalischen Wörtern“ (Eisenberg 2006: 19). Bei der verbalen Flexion werden Wortformen gebildet, indem die Kongruenzkategorien (Pers./Numerus) mit den inhärenten Kategorien (Tempus/Modus) und den relationalen Kategorien (genus verbi) interagieren (Thieroff 1992). Die Formen der Kongruenzkategorien bilden dann das verbale Flexionsparadigma, das je nach temporaler, modaler und relationaler Realisierung auszudifferenzieren ist. Bei nichtflektierbaren Lexemen sind Lexem und Wortform formal identisch (z.B. und, aber, zu).

→ § 15, 16; Flexion; Form; Lexem ⇀ Wortform (Wobi; Lexik)

Benjamin Jakob Uhl

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Thieroff, R./ Vogel, P.M. [2009] Flexion. Heidelberg ◾ Thieroff, R. [1992] Das finite Verb im Deutschen. Tempus – Modus – Distanz. Tübingen.

Wortformbildung ≡ Flexion

Wortgrammatik

grammatische Beschreibung des Wortes. ▲ word grammar: grammatical description of the word.

Mit dem Terminus Wortgrammatik (Eisenberg 1998: 5, 14) wird begrifflich die Phonologie, Phonetik, Morphologie und Orthographie des Wortes als grammatische Basiseinheit zusammengefasst und der Satzgrammatik (Syntax) gegenübergestellt. In der angelsächsischen Ling. ist der Terminus word grammar mit einer Sprachtheorie verbunden, die Anfang der 80er Jahre des 20. Jhs. von Richard Hudson (1984) entwickelt worden ist. Ausgangspunkt ist das Vokabular einer Sprache, das unter semantischen, morphologischen, syntaktischen und soziolinguistischen, noch nicht aber phonologischen Aspekten als ein kognitives Netzwerk betrachtet wird. Die Word-GrammarTheorie wurzelt in der systemisch-funktionalen Theorie Michael A.K. Hallidays (1994), teilt viele Züge mit der kognitiven Ling. und hat sich von der generativen Sprachtheorie Noam Chomskys entfernt. Kjell-Åke Forsgren

→ Morphologie; Natürliche Morphologie → Gram-Syntax: funktionale Grammatik; Generative Grammatik; Satzgrammatik

⇁ word grammar (TheoMethods)

🕮 Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Halliday, M.A.K. [1994] An Introduction to Functional Grammar. 2nd ed. London ◾ Hudson, R.A. [1984] Word Grammar. Oxford ◾ Hudson, R.A. [2007] Language Networks: The New Word Grammar. Oxford.

Wortkern

Graphem der Schreibsilbe, das den Kern einer entsprechenden phonetischen Silbe nach den Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz darstellt. ▲ graphemic syllabic nucleus: grapheme of the orthographic syllable that corresponds to the nucleus of a related phonetic syllable according to phoneme-grapheme correspondence rules. Pál Uzonyi

→ Vollsilbe; Wortausgang; Wortbrücke; Worteingang

🕮 Eisenberg, P./ Butt, M. [1990] Schreibsilbe und Sprechsilbe. In: Stetter, C. [Hg.] Zu einer Theorie der Orthographie. Interdisziplinäre Aspekte gegenwärtiger Schrift- und Orthographieforschung. Tübingen: 33–64 ◾ Eisenberg, P. [1989] Die Schreibsilbe im Deutschen. In: Eisenberg, P./ Günther, H. [Hg.] Schriftsystem und Orthographie (RGL 97). Tübingen: 57–84 ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Wortklasse

Ergebnis der Klassifizierung von Wörtern nach gemeinsamen Merkmalen.

W

Wortparadigma 806 ▲ word class; part of speech: result of the classification of words according to common criteria.

Wortklassen (oder Wortarten) stellen das Ergebnis der Gruppierung und Organisation von Wörtern anhand gemeinsamer Eigenschaften dar. Da der Wortbegriff in der Ling. als problematisch gilt (vgl. Dabóczi 2017), werden häufig exaktere Termini wie Lexem und Wortform verwendet. In diesem Fall versteht man unter Wortklassen in der Regel Lexemklassen. Als Kriterien der Wortartenklassifikation werden semantische, morphologische, syntaktische und funktionale Kriterien verwendet (vgl. Zifonun et al. 1997). Dabei können funktionale und semantische Kriterien sprachübergreifend genutzt werden, während morphologische und syntaktische Kriterien nur einzelsprachenspezifisch herangezogen werden. Methodologisch lassen sich homogene (mit nur einem Kriterium) und heterogene Klassifikationen (durch mehrere Kriterien) unterscheiden (vgl. Stepanova/Helbig 1981). Das morphologische Kriterium wird in der dt. Grammatikschreibung häufig als zu eng angesehen, da es eine Ausdifferenzierung der unflektierbaren Wörter nicht ermöglicht. Daher wird das morphologische Kriterium häufig als erstes grobes Kriterium angewendet, und in der weiteren Unterscheidung werden syntaktische und funktionale Kriterien hinzugenommen (vgl. Zifonun et al. 1997). Die Termini Wortklasse und Wortart werden häufig als Synonyme verwendet. Helbig/Buscha (2005) machen dagegen einen deutlichen Unterschied, indem sie Wortart für die allgemein tradierte und eher lexikalisch orientierte Begrifflichkeit verwenden, und unter Wortklasse spezifisch 'Wortart im syntaktischen Sinne' verstehen. In diesem Sinne können Wortklassen nur mithilfe des syntaktischen Kriteriums gewonnen werden, was nur eine einzelsprachenspezifische und möglicherweise nicht vollständige Klassifikation ermöglicht.

W

Viktória Dabóczi

→ § 9; Klassifikation; Merkmal; Wort; Wortart → Gram-Syntax: Kategorie ⇀ Wortklasse (QL-Dt) ⇁ word class (CG-Engl)

🕮 Dabóczi, V. [2017] Wort und Wortarten aus Sicht der gesprochenen Sprache. Identifikation von Wort aus Sicht der gesprochenen Sprache und deren Auswirkung auf die Wortar-

tenklassifikationen im Deutschen (TheoVermSp 60). Frankfurt/ Main ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2005] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Neubearb. 5. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Knobloch, C./ Schaeder, B. [2000] Kriterien für die Definition von Wortarten. In: Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. [Hg.] Morphologie (HSK 17.1). Berlin [etc.]: 674–692 ◾ Stepanova, M./ Helbig, G. [1981] Wortarten und das Problem der Valenz in der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Leipzig ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache (SchIDS 7.1). Berlin [etc.].

Wortparadigma

≡ syntaktisches Paradigma

Wortstruktur

Aufbau komplexer Wörter mit Beschreibung ihrer Bestandteile. ▲ word structure: composition of complex words with a description of their elements. Die Analyse und Beschreibung von Wortstrukturen bildet traditionell den zentralen Untersuchungsgegenstand der Morphologie. Dabei werden die grundlegenden Bausteine von Wörtern, die Morpheme, identifiziert und klassifiziert. Die wichtigsten Klassifizierungskriterien sind die Selbständigkeit, nach der freie und gebundene Morpheme, und die Funktion, nach der lexikalische und grammatische Morpheme unterschieden werden. So kann z.B. das Wort Freundschaften in drei Morpheme segmentiert werden: Freund [freies, lexikalisches Morphem, Stamm]; -schaft [gebundenes, grammatisches Morphem, Wortbildungssuffix]; -en [gebundenes, grammatisches Morphem, Flexionssuffix]. Die Morphemanalyse liefert nicht nur das Morpheminventar einer Sprache, sondern ermöglicht auch die Beschreibung zum Aufbau komplexer Wörter aus diesen Morphemen. Die interne Struktur von Wörtern folgt sprachspezifischen Regeln. So ist z.B. im Dt. (und auch in anderen Sprachen) nur die Reihenfolge „Stamm-WortbildungssuffixFlexionssuffix“ (1) möglich. Zur Beschreibung der Wortstruktur gehören ferner die Beschreibung der Flexionseigenschaften einer Sprache, die Erstellung von Flexionsparadigmen sowie die Beschreibung der Möglichkeiten zur Wortbildung. In neueren Ansätzen zur Wortbildung versucht man, die Wortstruktur gemäß syntaktischen Prinzipien zu beschreiben (daher die Bezeichnung Wortsyntax). Dabei wird ähnlich wie bei Phrasenstrukturgrammatiken von einer endozentrischen

807 Wurzel Relation ausgegangen und eine hierarchische Struktur der Konstituenten aufgestellt, welche mit Baumdiagrammen oder Klammerungen dargestellt wird: (1) [[[Freund] – schaft] – en] (2) [[[[Be – [wohn]] – er] – in] – nen] Diese Hierarchie stellt gleichzeitig die Einzelschrittabfolge zur Bildung des Wortes dar. Krisztina Molnár

→ § 10, 16, 31; Flexion; Morph; Morphem; morphologische

Konstituentenstruktur; morphologischer Kopf; Wortbildung

→ Gram-Syntax: Baumgraph; Phrasenstrukturgrammatik ⇀ Wortstruktur (Lexik; QL-Dt)

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Fanselow, G. [1988] ‘Word Syntax’ and Semantic Principles. In: Booij, G./ Marle J. van [eds.] Yearbook of Morphology 1988. Dordrecht: 95–122 ◾ Naumann, B. [1992] Das Wort und seine Bausteine. In: Ágel, V./ Hessky, R. [Hg.] Offene Fragen und offene Antworten in der Sprachgermanistik. Tübingen: 95–109.

Wunschmodus

Satzmodus, durch den der Wunsch des Sprechers zum Ausdruck gebracht wird. ▲ optative sentence mood: sentence mood that expresses the wish of the speaker. Im Gegensatz zum Aussagemodus, mit dem die reale (oder zumindest vom Sprecher als real wahrgenommene) Welt zum Gegenstand der Prädikation wird, bilden beim Wunschmodus zwei Welten, die vom Sprecher als real wahrgenommene sowie die von ihm erwünschte Welt den modalen Hintergrund der Äußerung. Erst wenn diese zwei Welten zur Deckung gebracht werden, wird der Wunsch erfüllt. Zum Wunschmodus gehören zwei grammatikalisierte formale Satztypen, nämlich der VerberstWunschsatz (1) sowie der Verbletzt-Wunschsatz (2). (1) Wäre das Wetter doch/nur/bloß/wenigstens ein bisschen besser! (2) Wenn das Wetter doch/nur/bloß/wenigstens ein bisschen besser wäre! In beiden Typen gehören der Konjunktiv II, das fallende, jedoch von der Defaultintonation sich durch seine Intensität unterscheidende Tonmuster sowie der obligatorische Partikelgebrauch zu den ergänzenden Formmerkmalen des Wunschsatzes. Von den Modalpartikeln doch/nur/bloß bzw. der Gradpartikel wenigstens ist mindestens eine obligatorisch. Sie können aber auch kom-

biniert werden, wodurch dem ausgedrückten Wunsch größere Expressivität verliehen wird. In der veralteten Form des Wunschsatzes, die mit dem Subjunktor dass eingeleitet wird, scheint die Modalpartikel doch obligatorisch zu sein (3). (3) Oh, daß ich doch/?bloß/?nur ein Königssohn wär! (Altmann 1993: 1025) Wunschsätze haben typischerweise einen Gegenwarts- oder Zukunftsbezug. Mit Vergangenheitsbezug sind sie zwar auch denkbar, allerdings drücken sie dann einen unerfüllbaren Wunsch aus (4). (4) Wäre ich doch nicht so dumm gewesen! Attila Péteri

→ Konjunktiv; Modus → Gram-Syntax: Aussagemodus; Prädikation; Satzmodus; Wunschsatz

🕮 Altmann, H. [1993] Satzmodus. In: Jacobs, J./ Stechow, A. von/ Sternefeld, W./ Vennemann, T. [Hg.] Syntax (HSK 9.1). Berlin [etc.]: 1006–1029 ◾ Rosengren, I. [1993] Imperativsatz und „Wunschsatz“ – zu ihrer Grammatik und Pragmatik. In: Rosengren, I. [Hg.] Satz und Illokution. Bd. 2. Tübingen: 1–47.

Wurzel

lexikalisches Grundmorphem, das nach Tilgung aller Affixe oder anderer Grundmorpheme übrig bleibt. ▲ root: lexical base morpheme which remains after all other morphemes are deleted. Viele Wörter lassen sich morphologisch nicht zerlegen, z.B. Glück, Schuh, Haus. Daher werden sie als Simplex (Pl. Simplizia) bezeichnet. Die Simplizia sind gleichzeitig freie Morpheme und gehen hist. auf eine, in der Regel rekonstruierte, Ausgangsform zurück, die als Wurzel bezeichnet wird. Der Terminus Wurzel als morphologische Einheit verbindet diesen hist. Aspekt mit der Tatsache, dass sich das Morphem nicht weiter zerlegen lässt und damit auch die Wurzel des Wortes ist. Ein komplexes Wort baut in der Regel auf einem lexikalischen Grundmorphem bzw. einer Wurzel auf. Die Termini Wurzel und Grundmorphem können bei der morphologischen Analyse ausgetauscht werden. In der Wortgeschichtsforschung hat der Terminus Wurzel eine eigene Bedeutung. Hilke Elsen

→ Affix; freies Morphem; Grundmorphem; Simplex; Stamm ⇀ Wurzel (Wobi; HistSprw; CG-Dt) ⇁ root (Typol)

W

Wurzelflexion 808 🕮 Elsen, H. [2014] Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Mugdan, J. [2015] Units of word-formation. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] Word-Formation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 253–301 ◾ Simmler, F. [1998] Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. Berlin.

Wurzelflexion

≡ innere Flexion

Wurzelverb

Verben des Indogermanischen, die keinen stammbildenden Thema-Vokal aufweisen. ▲ root verb: verbal stems in Indo-European that lack an additional thematic vowel. In Wurzelverben des Idg. treten (z.T. Tempus- oder Aspekt-spezifische) Personalendungen unmittelbar an das Verb bzw. einen Tempus/Aspekt-Marker. In idg. Sprachen fehlt hier der Themavokal, weshalb man auch von athematischen Verben spricht (z.B. im Mhd. sîn 'sein', tuon 'tun', gân/gên 'gehen', stân/stên 'stehen'). Wurzelverben müssen nicht Simplexverben sein, d.h. ohne jedes derivative Element erscheinen, vgl. Dt. auftun, weggehen, die – obschon (ehemalige) Wurzelverben – komplexer Natur sind. Inwieweit die thematischen Verben als Nicht-Wurzelverben derivativer Natur sind, ist umstritten. Bislang lässt sich dem Themavokal (vgl. -e-/-o-) keine eindeutige semantische oder syntaktische Funktion zuweisen, weshalb auch thematische Verben als Simplexverben betrachtet werden können. Außerhalb des Idg. werden oftmals solche Verben als Wurzelverben bezeichnet, die keine spezifische Tempus- oder Aspektmarkierung aufweisen, etwa in den austronesischen Sprachen.

→ Themavokal; Verb ⇀ Wurzelverb (HistSprw)

Wolfgang Schulze

🕮 Szemerényi, O. [1989] Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 3., vollst. neu bearb. Aufl. Darmstadt.

W

Wurzelvokal

zur Wurzel zugehöriger Vokal. ▲ root vowel: vowel belonging to the root morpheme. In einem Wortparadigma mit Vokalwechsel ist der Wurzelvokal Teil des lexikalischen Morphems. Er hebt sich von den Vokalen in anderen Wortformen ab, die Träger grammatischer Informationen sind. So ist i der Wurzelvokal von sing-en, während die Vokale a und u im Präteritum- (sang) und Perfektstamm (ge-sung-en) das Tempus anzeigen.

→ Ablaut; Stammvokal; Themavokal ⇀ Wurzelvokal (HistSprw)

Renata Szczepaniak

🕮 Eisenberg, P. [2013] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 4., aktual. u. überarb. Aufl. Stuttgart [etc.].

w-Wort

Wort, das mit w beginnt und meist als Fragewort auftritt. ▲ wh-word: word beginning with w that usually functions as a question word. Der Terminus w-Wort ist eine Eindeutschung des engl. wh-word. Das w-Wort hat die Funktion, eine semantische Leerstelle in einem Fragesatz zu markieren. Im Dt. gehören die Interrogativpronomina (wer, was, welcher u.a.), die flektierbar sind, und die unflektierbaren Frageadverbien (wo, wohin, wie lange u.a.) dazu. Christine Römer

→ Interrogativadverb; Interrogativpronomen; Interrogativum

🕮 Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Lutz, U. [ed. 2000] Wh-scope marking. Amsterdam [etc.] ◾ Sabel, J. [1993] W-Infinitive, Nominalsubjekte und das Wh-Criterion. Frankfurt/ Main.

Z Zahladjektiv

semantisch definierte Teilklasse der Zahlwörter, die der grammatischen Wortart Adjektiv zugeordnet werden. ▲ numeral adjective: semantically defined subclass of numerals which can be subsumed under the word class of adjectives. Zahladjektive sind Wörter, die – wie Adjektive – attributiv bei einem Subst. gebraucht werden und die zwischen Determinativ und Subst. stehen können: drei Zimmer, hundert Zuschauer, seine drei Bleistifte oder das vierte Konzert, jeder hundertste Teilnehmer, der zweite Februar. Sie dienen dazu, die absolute Zahl der Elemente einer Menge anzugeben oder aus einer Folge von als gleichartig charakterisierten Gegenständen ein Element herauszugreifen. Erstere werden Kardinalzahladjektive (1), letztere Ordinalzahladjektive (2) genannt. (1) Wenn in einer Anzeige von drei Zimmern die Rede ist, dann muss die Wohnung mindestens drei Zimmer haben. (2) Aber am fünfzehnten oder sechzehnten Tag stand der Name Haidenthaller schwarz umrandet und groß in der Zeitung. (Die Zeit-online, 19.02.2009) Das Zahladj. eins ist immer stark betont und kann somit vom indefiniten Artikel eins unterschieden werden. In NPn ohne Artikel wird es wie kein, nach definitem Artikel wird es schwach wie jedes andere Adj. flektiert. (3) Ich habe jetzt zwei Freunde statt eines. (4) Zelle 28, Block 3, Hadarim-Gefängnis, 30 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv: Hier sitzt der eine Mann, der in den nächsten Monaten den Nahen Osten aufmischen könnte. (Der Spiegel, 31.08.2009: 84) Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adjektiv; Determinativ; Kardinalzahlwort; Ordinalzahlwort; Quantor; Zahlpronomen

→ Gram-Syntax: attributives Adjektiv; Nominalphrase

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Zahladjektiv, bestimmtes → bestimmtes Zahladjektiv

Zahladjektiv, indefinites → indefinites Zahladjektiv

Zahladjektiv, unbestimmtes → indefinites Zahladjektiv

Zahladverb

semantisch definierte Teilklasse der Zahlwörter, die der grammatischen Wortart Adverb zugeordnet werden. ▲ ordinal adverb: semantically defined subclass of numerals which are grammatically classed as adverbs. Zahladverbien geben einen bestimmten Punkt oder eine bestimmte Stelle in einer geordneten, abzählbaren Reihe an. Unter Zahladverb werden die Ableitungen aus Ordinalzahl + Suffix -ns verstanden wie erstens, zweitens, drittens usw. (1) Erstens ist es ein wunderschöner Schuh, zweitens ein sehr großer Schuh und drittens ein Schuh, den ich noch nie besessen habe. Jussara Paranhos Zitterbart

→ Adverb; Ordinaladverb; Ordinalzahlwort; Zahladjektiv; Zahlpronomen

🕮 Duden [1998] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.].

Zahlpronomen 810

Zahlpronomen

Pronomen, das eine bestimmte oder eine unbestimmte Zahl ausdrückt. ▲ numeral pronoun: pronoun which indicates precise or imprecise quantity. Beim Zahlpron. handelt es sich um einen semantischen Begriff. Bestimmte Zahlpronomina werden weiter in Kardinalzahlen (Grundzahlen) (beides) und Gattungszahlwörter (zweierlei, hunderterlei) unterteilt, unbestimmte Zahlpronomina in Mengenangaben (wenig, weniges, alle, etwas) und Gattungszahlwörter (vielerlei) (vgl. Duden 2006). In syntaktischer und morphologischer Hinsicht verhalten sie sich wie definite und indefinite Pronomina. Edyta Błachut

→ bestimmtes Zahlwort; Gattungszahlwort; Kardinalzahlwort; Numerale; Pronomen; unbestimmtes Zahlwort

→ Gram-Syntax: Mengenangabe

🕮 Duden [2006] Die Grammatik. Nach den Regeln der neuen dt. Rechtschreibung 2006 überarb. Nachdruck der 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Gallmann, P./ Sitta, H. [2001] Deutsche Grammatik. 3. Aufl. Zürich.

Zahlwort

≡ Numerale

Zählwort

≡ Numerale

Zahlwort, bestimmtes → bestimmtes Zahlwort

Zahlwort, unbestimmtes → unbestimmtes Zahlwort

Zeichen

Ergebnis eines semiotischen Prozesses. ▲ sign: result of a semiotic process.

Z

Im alltäglichen Verständnis wird unter Zeichen etwas verstanden, was etwas Anderes (ein Objekt) repräsentiert, weil entweder beide traditionell zusammengehören oder zusammen gedacht werden, oder weil Lebewesen, insbesondere Menschen, die Absicht haben, vermittels Zeichen zu kommunizieren. Auch der traditionelle Zeichenbegriff in der westlichen Kultur war seit der Antike einem Repräsentationsmodell verhaftet, in dem die Zeichenfunktion als dyadisches

Verhältnis aufgefasst wird, wie es prägnant in der mittelalterlichen scholastischen Formel aliquid stat pro aliquo hervortritt. Für bestimmte Zeichen, insbesondere Sprachzeichen, erkannte man allerdings von Anfang an, dass die Repräsentation eines Objekts durch ein Zeichen über eine Vorstellung verläuft: Aristoteles spricht mit Bezug auf Sprachzeichen von pathémata, die Scholasten von conceptus („Vox significat rem mediantibus conceptibus“), Frege von der „Art des Gegebenseins“ des Bezeichneten (für eine hist. Übersicht Meier-Oeser/Frank 2004). Erst im 19. Jh. wird das Repräsentationsmodell durch das Interpretationsmodell abgelöst. Es impliziert, dass Zeichen von kontinuierlichen Interpretationen in unbegrenzten Zeichenprozessen abhängig gemacht werden und nicht als selbständige Dinge gelten, sondern Zeichensystemen unterschiedlicher Komplexität zugeordnet werden (Eschbach 1980: 44). Unter den semiotischen Objekten kommt spätestens seit Augustinus den intentionalen und kausalen Zeichen besondere Bedeutung zu. Ein intentionales Zeichen kann finalistisch als das zu interpretierende Produkt eines gezielten Zeichenprozesses definiert werden; darunter fallen die Zeichen der natürlichen Sprache und artifizieller Codes (Logik, Mathematik u.a.) und alle Produkte menschlicher Kreativität, insbesondere die von Menschen geschaffenen Kunstformen, die allesamt als Träger von Informationen gedeutet werden. Ein kausales Zeichen ist dagegen die interpretierbare Wirkung eines natürlichen Vorgangs; diese Klasse von Zeichen umfasst zwar alle in der Pflanzen- und Tierwelt vorkommenden Erscheinungen, sofern sie für ein anderes Lebewesen Träger von Informationen sein können (Biosemiotik); zu ihrem Kernbereich gehören aber die von Tieren gebildeten Zeichen, die das Objekt der Zoosemiotik (ein Teilgebiet der Verhaltensforschung) darstellen. Früher gab es Uneinigkeit in der Frage, ob kausale oder natürliche Zeichen (dazu gehören auch Impulse und Reize) überhaupt Zeichen sind. Heute wird dies positiv beantwortet, zumal die Grenze zwischen intentionalen und kausalen Zeichen fließend ist: (a) Nicht alle Zeichen in der Tierwelt können rein kausal gedeutet werden (z.B. produzieren bestimmte Arten, etwa Delphine, z.T. intentional Signale). (b) Intentionale Zeichen sind arbiträr, sofern sie

811 Zeichen niemals reine Abbildungen ihrer Objekte sind (Cassirer 1923–1929/1977); auch kausale Zeichen aber können arbiträr sein (so sind bestimmte Zeichen der Bienensprache zwar nicht intentional, sie stehen aber in einem willkürlichen Verhältnis zu ihrem Objekt). (c) Die intentionalen Zeichen menschlicher Semiose haben außer kulturellen auch kausale, physikalische und physiologische Eigenschaften; darüber hinaus sind sie auf ihre materielle Realisierung (als Laut- und Gebärdensprache, Schriftsprache oder in der Form anderer Codes) angewiesen, so dass sie – wenn auch nicht in ihrer Totalität – auch von einem nat.wiss. Standpunkt analysiert werden können. Für die zeitgenössische wissenschaftliche Beschäftigung mit Zeichen und besonders mit Sprachzeichen sind mehrere Zeichenmodelle wichtig. Von herausragender Bedeutung sind die Modelle von Peirce, Saussure, Ogden/Richards und Bühler, die ihrerseits Anregungen für weitere Modelle gegeben haben. Peirce entwickelt ab ca. 1865, unabhängig von der sich etablierenden Sprw., eine umfassende Zeichentheorie, die, meist vermittelt über andere Gelehrte (u.a. Morris, Jakobson, Derrida und Eco), das zeitgenössische Denken über (Sprach-) Zeichen nachhaltig beeinflusst hat. Nach Peirce (CP 8.328–342) gibt es drei zeichentheoretisch fundamentale Kategorien, die nicht voneinander trennbar sind, aber auch nicht aufeinander reduziert werden können, weshalb Peirce sie allg. Firstness, Secondness und Thirdness nennt. (a) Erst­heit ist die Seinsweise („mode of being“) einer Qualität, eines Gefühls, einer Eigenschaft (z.B. eine Farbe); sie ist zeichentheoretisch unabdingbar, jedoch monadisch und somit nur als mögliches Zeichen zu begreifen. (b) Zweitheit ist eine reale dyadische Beziehung zwischen zwei Entitäten in Zeit und Raum, wobei zwischen beiden eine bestimmte Wirkung auftritt, z.B., wenn eine Kraft etwas verursacht; auch die Zweitheit ist allenfalls ein potenzielles Zeichen. (c) Drittheit ist eine triadische Beziehung, wie sie einem Zeichen eignet; sie umfasst notwendigerweise eine mentale Dimension, die sich durch ihre Allgemeinheit von allen faktischen und rein dyadischen Beziehungen abhebt; Repräsentation eines Objekts erreicht sie aufgrund eines interpretativen Akts, z.B. durch Sprachzeichen. Peirce integriert die drei Kategorien dergestalt, dass

er bald die Qualität, bald die Relation und bald die Repräsentation möglicher und realer Zeichen beschreiben und begründen kann. Unter den Trichotomien, die sich daraus ergeben, hat sich vor allem diejenige durchgesetzt, die die Kategorien in ihrer Objektrelation erfasst und woraus sich die Differenzierung in Ikone, Indizes und Symbole ergibt. Sie wird in der Forschung oft zu vereinfacht dargestellt. Von Peirces Standpunkt aus ist alles potenziell ein Zeichen („Pansemiotismus“, Nöth 2000: 61); Zeichen kommen aber grundsätzlich nur als das Ergebnis semiotischer Prozesse zustande. Das bedeutet, dass sie eine triadische Struktur haben, wobei einem Objekt ein Repräsentamen (ein „Zeichenträger“, gelegentlich auch Zeichen/sign genannt) zugeordnet ist, das im Geist einen Interpretanten bestimmt. Morris hat diese Struktur weiter vertieft. Die behavioristischen Grundannahmen von Morris werden heute nicht mehr geteilt, seine Unterscheidungen sind aber nach wie vor wichtig, zumal er daraus drei Teildisziplinen der Semiotik ableitet, die seitdem zu den Grundlagen der Disziplin gehören (Morris 1938 und 1971; vgl. Nöth 2000: 88–90): (a) Die Semantik beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen einem Zeichenträger (sign vehicle) und einem als Klassenbegriff verstandenen designatum oder significatum, das als Bedingung („condition“) für die Bezeichnung eines Objekts (denotatum) aufgefasst wird. (b) Gegenstand der Pragmatik ist die Beziehung zwischen dem Zeichenträger und dem Interpretanten, den Morris als die Wirkung eines Zeichens auf einen Interpreten und später als die durch ein Zeichen hervorgerufene Disposition auffasst. (c) Die semiotische Syntax bzw. Syntaktik beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen dem Zeichenträger und anderen Zeichenträgern, worunter man nicht nur formale Verknüpfungsregeln, sondern auch deren psychologische Gesetze sowie die Bildung von komplexen Zeichen zu verstehen hat. Von einem ganz anderen Standpunkt aus konzipiert Saussure (1916/1968) um die Jahrhundertwende seine Theorie des Sprachzeichens als Teil einer allgemeinen Zeichentheorie („sémiologie“). Saussures Einsichten prägen durch verschiedene sprw. Modelle struktureller Orientierung (insbesondere bei Jakobson, Hjelmslev, Lévi-Strauss, Barthes, Coseriu) die zeichentheoretischen Reflexionen bis heute (vgl. Nöth 2000: Abt. II),

Z

Zeichen 812

Z

und seit Saussure betrachten viele die Sprw. als semiotische Leitwissenschaft. Saussure hebt Sprachzeichen dadurch von anderen Zeichen ab, dass er nicht nur ihre paradigmatische („assoziative“) und syntagmatische Relationalität, sondern vor allem ihre Bilateralität hervorhebt: Ein Sprachzeichen ist ein differenzielles, durch Oppositionen zu anderen definiertes Zeichen, das aus der Verbindung eines signifié (Bedeutung) mit einem signifiant (Ausdruck) hervorgeht. Nicht nur diese Verbindung, sondern auch beide Seiten des Zeichens selbst sind arbiträr, d.h., sie spiegeln keine ihnen externe Wirklichkeit wider (Willems 2005). Dieser Gedanke ist von Hjelmslev (1943/1963) unter Rekurs auf den Begriff Form konsequent zu Ende gedacht worden: Sowohl im Ausdruck als auch in der Bedeutung unterscheidet Hjelmslev jeweils eine Form und eine Substanz, und er weist der Sprw. als ihren Gegenstand auf beiden Ebenen nur die Formen der Sprache zu. Die sprachlich geformte Substanz wird dabei streng vom nichtsprachlichen, noch ungeformten Stoff (purport) unterschieden, der für Hjelmslev kein sprw. Objekt ist. Während die Sprw. damit auf eine rein immanente Wissenschaft beschränkt wird, haben sich Hjelmslevs Unterscheidungen vor allem in der Semiotik als einflussreich erwiesen (vgl. Barthes und Eco), die u.a. Hjelmslevs Programm einer „konnotativen Semiotik“ aufgriffen. Etwa zeitgleich mit dem Bekanntwerden von Saussures Theorie fasst sowohl in der Semiotik als auch in der Sprachtheorie das sog. semiotische Dreieck von Ogden/Richards (1923) Fuß, das im Nachhinein oft umgedeutet worden ist. Es weist Ähnlichkeiten mit dem scholastischen Zeichenbegriff auf, weil Ogden/Richards zwischen „symbol“, „thought or reference“ und „referent“ jeweils dyadische kausale Beziehungen annehmen und die Meinung vertreten, das Symbol stehe für – „stands for (an imputed relation)“ (1923: 11) – einen Referenten. Vor allem aber ist das Dreieck, womit Ogden/Richards ausdrücklich das referierende Zeichen in einem Gebrauchskontext modellieren, einer behavioristischen Perspektive verpflichtet (Lyons 1977: 98) und kündigt dadurch, dass es die Sprachbedeutung im Saussure’schen Sinne nicht eigens unterscheidet, die bis heute einflussreiche „meaning as use“-Theorie an (vgl. Wittgenstein 1953/2001 sowie später das

„usage based model“ der kognitiven Sprw., Langacker 1987; 1991). Eines der einflussreichsten psychologischen Modelle des Sprachzeichens stammt von Bühler. Das Organonmodell, das er in der Auseinandersetzung mit Husserls Phänomenologie entwickelt, ist für die Semiotik i.A. relevant, wird aber aufgrund von Jakobsons Umdeutung insbesondere für die Sprach- und Literaturtheorie maßgeblich. Bühler (1934: 28) nennt das Sprachzeichen ein Werkzeug (griech. organon), weil es in einem kommunikativen Sprechereignis ein Symptom (Index) der Innerlichkeit des Senders, ein Symbol aufgrund seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten sowie ein Signal kraft seines Appells an den Hörer ist. Jakobson (1960) hat diesen drei Funktionen drei weitere hinzugefügt: Sprachzeichen können darüber hinaus phatische (Beziehungen herstellende), metalinguale und poetische Textfunktionen erfüllen. Klaas Willems

→ § 2, 8, 15; ikonisches Zeichen; indexikalisches Zeichen; Sprachform; Sprachzeichen

⇀ Zeichen (Wobi; Sprachphil; SemPrag; Lexik; CG-Dt; QL-Dt) ⇁ sign (Media)

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena [Ungek. Neudruck: Stuttgart 1982] ◾ Cassi-

rer, E. [1923–1929/1977] Philosophie der symbolischen Formen. 3 Bde. Darmstadt ◾ Eco, U. [1977] Zeichen. Frankfurt/Main ◾

Eschbach, A. [1980] Semiotik. In: Althaus, H.P. et al. [Hg.] Lexikon der Germanistischen Linguistik, I: 41–57 ◾ Jakobson, R. [1960] Linguistics and Poetics: Closing Statement. In: Sebeok, T.

[ed.] Style in Language. New York, NY: 350–377 ◾ Langacker, R.W. [1987] Foundations of Cognitive Grammar. Vol. 1: Theoret­

ical Prerequisites. Stanford, CA ◾ Langacker, R.W. [1991] Foundations of Cognitive Grammar. Vol. 2: Descriptive Application. Stanford, CA ◾ Lyons, J. [1977] Semantics. 2 vols. Cambridge [etc.] ◾ Meier-Oeser, S./ Frank, H. [2004] Zeichen. In: Ritter, J. et

al. [Hg.] Historisches Wörterbuch der Philosophie 12: 1155–1179

◾ Morris, C. [1938] Foundations of the Theory of Signs. Chicago, IL ◾ Morris, C. [1971] Writings on the General Theory of

Signs. The Hague ◾ Nöth, W. [2000] Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Ogden, C.K./

Richards, I.A. [1923] The Meaning of Meaning. A Study of the

Influence of Language Upon Thought and of the Science of Symbolism. London ◾ Peirce, C.S. [1931–1958] Collected Papers.

8 Vols. Cambridge, MA ◾ Saussure, F. de [1916/1968] Cours de

linguistique générale. Ed. critique par R. Engler. Wiesbaden ◾ Willems, K. [2005] Die Grenzen der Ikonizität der Sprache. Saus-

sures Konzeption des „fait linguistique“ revisited. In: Kod 28:

243–272 ◾ Wittgenstein, L. [1953/2001] Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/Main.

813 Zirkumfix

Zeichen, ikonisches

zeitloses Präsens

Zeichen, indexikalisches

zeitunabhängiges Präsens

Zeichen, nennlexikalisches

Zeitwort

Zeichen, symbolisches

Zirkumfigierung

≡ generelles Präsens

→ ikonisches Zeichen

≡ generelles Präsens

→ indexikalisches Zeichen

≡ Verb

→ nennlexikalisches Zeichen → symbolisches Zeichen

Bildung eines neuen Lexems oder einer grammatischen Wortform durch das Umschließen anderer Morpheme mit einem Zirkumfix. ▲ circumfixation: derivation of a new lexeme or a word form by enclosing other morphemes in a circumfix.

Zeichensetzung

≡ Interpunktion ⇀ Zeichensetzung (Sprachdid)

Zeigwort

lexikalisches Element, bei dem ein zentraler Bestandteil der Wortbedeutung an die jeweilige Äußerungssituation gebunden ist. ▲ indexical: lexical element a central part of whose lexical meaning depends on the situational context.

Ein Zeigwort ist ein lexikalisches Element, das zentral mit einer deiktischen Bedeutung verknüpft ist. Typische Repräsentanten sind insbesondere Pronomina (ich, hier, du, jetzt, dann, heute). Zeigwörter unterscheiden sich z.B. durch symbolische Nominalformen, indem sie sich zwar auf personen-, ort- oder temporaldeiktische Konstanten beziehen (so referiert ich auf den jeweiligen Sprecher, hier auf den Ort, jetzt auf den Zeitpunkt der Äußerung), die genaue Referenz jedoch kontextuell gebunden und damit variabel ist.

→ deiktisches Element; Pronomen → Gram-Syntax: Deixis ⇀ Zeigwort (SemPrag)

Lena Heine

🕮 Bühler, K. [1934] Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena ◾ Diewald, G. [2001] Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen ◾ Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Mey, J. [2001] Pragmatics. 2nd ed. Malden, MA.

Zeit

≡ Tempus ⇀ Zeit (SemPrag; CG-Dt)

Zeitform

≡ Tempus

Als Wortbildungsmuster ist die Zirkumfigierung eine Form der Ableitung. Das Zirkumfix umschließt die lexikalische Basis: tu(n) + Ge…e → Ge#tu#e. Umstritten ist, ob sich Wortbildungen wie be- + Obacht + -en → beobachten besser als Präfigierungen oder besser als Zirkumfigierungen erklären lassen. Auch Wortformen zum gleichen Lexem können durch Zirkumfigierung erzeugt werden. Für die Flexion mithilfe von dt. Zirkumfixen wird in der Regel nur ein Beispiel angeführt, die Bildung des Partizips II von Simplizia: sag(en) + ge…t → gesagt; trag(en) + ge…en → getragen. Bei Partizipien II starker Verben werden oft Stammveränderungen wie der Ablaut als Flexionsmerkmale mit dem Zirkumfix kombiniert: sprech(en) + ge…en + Ablaut o → gesprochen.

→ be-Verb; Lexem; Morphem; Zirkumfix ⇀ Zirkumfigierung (Wobi)

Franziska Münzberg

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Zirkumfix

umschließendes zweiteiliges Affix. ▲ circumfix: enclosing two-part affix. Bei der Zerlegung einer Wortform in ihre unmittelbaren Konstituenten erhält man in einigen Fällen gleichzeitig ein Präfix und ein Suffix. (1) Getue ← tu- + Ge…e

Z

Zirkumposition 814 Eine festgelegte Kombination aus Präfix (Ge-) und Suffix (-e), mit der sich ganze Reihen neuer Lexeme oder Wortformen bilden lassen, wird als ein einziges diskontinuierliches Affix angesehen bzw. als Zirkumfix (Ge…e) bezeichnet (Beispiele für die Bildung von Adjektiven und Verben aus Duden (2009: 658). (5) unausstehlich ← aussteh- + un…lich (6) begradig(en) ← grad- + be…ig Häufige Kookkurrenzen von Präfix und Suffix allein führen allerdings nicht zwingend zur Analyse als Zirkumfix. Bei der Ableitung Vertretung kann man nicht von einem Zirkumfix Ver…ung sprechen: Die Präfigierung von tret mit ver- → ver#treten und die Suffigierung vertret → Vertret#ung lassen sich unabhängig voneinander in zwei Schritten erklären. Anders als die Präfigierung und die Suffigierung ist die Zirkumfigierung im Dt. kein zentrales Wortbildungsmuster. Auch grammatische Merkmale werden im Dt. üblicherweise nicht durch Zirkumfixe, sondern durch Flexionsendungen, also Suffixe, angezeigt. Allerdings kann man beim Partizip II der schwachen Verben, sag(en) → ge#sag#t, durchaus von einem Zirkumfix ge…t sprechen (Dammel/Duke/Nübling/Szczepaniak 2013: 44). Die Partizipien II ohne ge-, z.B. versagen → versag#t, studieren → studier#t, erklärt man dann zu Ausnahmen. Die Entsprechung bei den starken Verben ist ge…en. Die grammatische Funktion, das Partizip II zu markieren, übernimmt bei den starken Verben aber in der Regel nicht das Zirkumfix allein (Stammveränderung, Duden 2009: 136). Franziska Münzberg

→ § 16, 31; Affix; diskontinuierliche Konstituente; morphologische Konstituente; Präfix; Suffix; Zirkumfigierung

⇀ Zirkumfix (Wobi) ⇁ circumfix (Typol)

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Nübling, D./ Dammel, A./ Duke, J./ Szczepaniak, R. [2013] Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett überarb. u. erw. Aufl. Tübingen.

Zirkumposition

Z

diskontinuierliche Adposition, die ihr – gegebenenfalls kasusregiertes – Komplement klammerbildend umschließt. ▲ circumposition: discontinuous adposition that en-

closes its – case-governed, if applicable – argument as with brackets. Zirkumpositionen sind als Subtyp der Adpositionen nicht-flektierende Kategorien, die mit Kopfeigenschaften ein adjazent positioniertes Komplement subkategorisieren und ihm einen Rektionskasus zuweisen, wenn es deklinierbar ist. Sie unterscheiden sich durch die diskontinuierlich-klammernde Anordung des Kopfmaterials um das Komplement von Präpositionen (diese stehen vor dem Komplement) und Postpositionen (diese folgen dem Komplement). Beispiele für gegenwartsdt. Zirkumpositionen sind von – wegen, von – her und um – herum ((1)–(3)). (1) von Amts wegen (2) von der Brücke her (3) um Dortmund herum Bei den Zirkumpositionen in (2) und (3) ist der rechte Klammerteil ein dekategorisiertes Nomen und der Genitiv des Komplements ein reanalysierter attributiver Genitiv. Diese Struktur ist gegenwartssprachlich noch bei Beispielen wie an seiner statt erkennbar, die sowohl als reguläre PP (an seiner Stelle) als auch als Zirkumposition wahrgenommen werden können. Bei Zirkumpositionen des Typs von der Brücke her und um Dortmund herum handelt es sich um Verbindungen einer PP mit einem syntaktisch übergeordneten postponierten Adverb. Gelegentlich werden die postponierten Adverbien als Postpositionen bezeichnet, aber da sie keinen Kasus regieren, ist diese Zuordnung aus wortartentheoretischer Sicht wenig befriedigend. Die syntaktischen Projektionen von Zirkumpositionen werden in aller Regel ungeachtet des klammerbildenden Strukturrahmens um das Komplement als Präpositionalphrase bzw. Präpositionalgruppe bezeichnet. Auch bei den syntaktischen Funktionen wird gewöhnlich in einem generischen Sinne von Präpositionalobjekt und Präpositionalattribut gesprochen. Jörg Bücker ≡ Circumposition → Adposition; Halbpräposition; komplexe Präposition; Postposition; Präposition; sekundäre Präposition → Gram-Syntax: Präpositionalattribut; Präpositionalobjekt; Präpositionalphrase

🕮 Di Meola, C. [1999] Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen (StDG 62). Tübingen ◾ Grieẞhaber, W. [2009] Präposition. In: Hoffmann, L. [Hg.] Handbuch der deutschen

815 Wortarten. Tübingen: 629–655 ◾ Hagège, C. [2010] Adpositions. Oxford ◾ Lehmann, C./ Stolz, C. [1992] Bildung von Adpositionen im Deutschen. In: ASSIDUE 6 [Unter: http://christianlehmann.eu/publ/ASSidUE06.pdf; letzter Zugriff: 17.09.2016] ◾ Libert, A. [2013] Adpositions and other parts of speech. Frankfurt/ Main ◾ Lindqvist, C. [1994] Zur Entstehung von Präpositionen im Deutschen und Schwedischen (LA 311). Tübingen ◾ Olsen, S. [1999] Komplexe Präpositionalphrasen mit postponiertem direktionalen Kopf. In: LB 180: 389–408 ◾ Zeller, J. [2001] Lexical particles, semi-lexical postpositions. In: Corver, N./ Riemsdijk, H. van [eds.] Semi-lexical categories. Berlin: 505–550.

Zitierform

≡ Nennform

Zugehörigkeitsadjektiv

≡ relationales Adjektiv; Relationsadjektiv

Zugehörigkeitsdativ

Dativ-Phrase, die ein Besitzverhältnis bzw. eine Teilvon-Relation zum Ausdruck bringt. ▲ possessive dative: dative phrase which expresses a relation of possession or a part-of relation. Der Terminus Zugehörigkeitsdativ wird u.a. in der Duden-Grammatik (Duden 1995: 634) verwendet, um ein Element im Dativ zu bezeichnen, das ein Besitzverhältnis, eine Teil-von-Relation zum Ausdruck bringt. Er bezeichnet den Besitzer z.B. eines Körperteils oder eines Gegenstands (z.B. Kleidungsstück). Weitere (und verbreitetere) Bezeichnungen sind Pertinenzdativ oder dativus possessivus. In der Fachlit. (u.a. Helbig/Buscha 2001: 263) wird z.T. zwischen Zugehörigkeitsdativ (1) und TrägerDativ unterschieden. Ersterer drückt eine habenBeziehung aus, Letzterer bezeichnet den Träger von Kleidungsstücken, wobei der Träger-Dativ eher als Hyponym bzw. Variante des dativus possessivus zu verstehen ist (Wegener 1985: 104–115). Der Zugehörigkeitsdativ kann sich auf das Subjekt (1), auf das Objekt (2) oder auf ein Adverbial (3) beziehen (Helbig/Buscha 2001: 262f.). (1) Mir schmerzt der Arm. (2) Er zieht ihr den Mantel an. (3) Er sah seiner Frau in die Augen. Der Zugehörigkeitsdativ kann durch ein Possessivpron. bzw. ein Genitivattribut ersetzt werden ((4), (5)). (4) Mir brennt das Auge. → Mein Auge brennt. (5) Er streichelte dem Kind den Kopf. → Er streichelte den Kopf des Kindes.

Zukunft, vollendete Wie die Duden-Grammatik (Duden 2005: 826) ausführt, wird beim dativus possessivus die Dativphrase als Ganzes von dem jeweiligen Vorgang betroffen. Es liegt also eine Überlappung der semantischen Rollen Possessor und Benefaktiv (bzw. Malefizient) vor (vgl. auch Ekberg 2012: 4). Der Status des Zugehörigkeitsdativs ist in der dt. Grammatikographie umstritten. Die Diskussion betrifft vor allem seine Valenzgebundenheit (Komplement vs. Supplement). Für einen Überblick sei auf Welke (2011: 202–205) und Ekberg (2012) verwiesen. So wird z.B. der Zugehörigkeitsdativ von Zifonun et al. (1997: 1889) als subklassenspezifisches Satzglied des Verbs (Komplement des Randbereichs) und von Engel (1996: 630f.) als Ergänzung zum Nomen betrachtet. Eine andere Position vertreten Helbig/Buscha (2001: 263), die den Zugehörigkeitsdativ – so wie die anderen freien Dative – als ein sekundäres Satzglied ansehen, das nicht direkt vom Verb selegiert wird, sondern von einer anderen Struktur abzuleiten ist. Fabio Mollica

→ Dativ; dativus possessivus; freier Dativ; Pertinenzdativ; Träger-Dativ

⇁ possessive dative (Typol)

🕮 Duden [1995] Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Ekberg, J. [2012] Aspekte des Dativs. Zur Relation zwischen der Dativ-DP und der Ereignisstruktur der Verben in ditransitiven Konstruktionen im Deutschen. Lund ◾ Engel, U. [1996] Deutsche Grammatik. 3., korr. Aufl. Heidelberg ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2001] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 20. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Wegener, H. [1985] Der Dativ im heutigen Deutsch. Tübingen ◾ Welke, K. [2011] Valenzgrammatik des Deutschen. Eine Einführung. Berlin ◾ Zifonun, G. [2015] Der rechte Rand der IDS-Grammatik: Evidenzen und Probleme. In: Vinckel-Roisin, H. [Hg.] Das Nachfeld im Deutschen. Theorie und Empirie. Berlin [etc.]: 25–51.

Zukunft

≡ Futur ⇀ Zukunft (SemPrag)

Zukunft, unvollendete → Futur I

Zukunft, vollendete → Futur II

Z

zurückweisendes Demonstrativpronomen 816

zurückweisendes Demonstrativpronomen

substantivisch gebrauchtes Demonstrativpronomen, das für eine vorerwähnte Person oder Personengruppe, eine Sache oder einen vorerwähnten Sachverhalt steht. ▲ anaphoric demonstrative pronoun: demonstrative pronoun referring to a person, thing or statement previously mentioned. Im Dt. können die substantivisch gebrauchten Demonstrativpronomina der, derjenige, dieser, jener, ein solcher anaphorisch auf bereits eingeführte Referenten oder Aussagen zurückverweisen. (1) Deine Regenjacke ist praktisch. Eine solche werde ich auch kaufen. (2) Er hat die Prüfung bestanden. Das hat uns alle sehr gefreut. Das Demonstrativpron. in (2) bezieht sich auf vorher Erwähntes (Sache, Person, Sachverhalt, eine ganze Aussage). Es handelt sich um eine textdeiktische Funktion der Demonstrativpronomina, bei der Referenten und Sachverhalte fokussiert werden, die entweder situativ verankert oder vorerwähnt sind. Agnes Kolmer

↔ vorausweisendes Demonstrativpronomen → anaphorisches Pronomen; Demonstrativpronomen → Gram-Syntax: Anapher (1); Anapher (2); Sachverhalt

🕮 Eisenberg, P. [2004] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾ Helbig, G./ Buscha, J. [2007] Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 6. Aufl. Berlin ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Weinrich, H. [1993] Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim [etc.].

Zusammenbildung

relativ produktiver Wortbildungstyp in westgermanischen Sprachen, bei dem das ternäre Wortbildungsprodukt nicht binär in einer Analyse der unmittelbaren Konstituenten zerlegt werden kann. ▲ synthetic compound: quite productive type of word formation in West Germanic languages that gives rise to a new ternary complex word whose immediate constituents cannot be analysed binarily.

Z

Unter dem Terminus Zusammenbildung werden in der germanistischen Ling. Wortbildungsprodukte unterschiedlicher Genese zusammengefasst, die aus mindestens drei Morphemen bestehen und sich nicht durch Abtrennung eines

Morphems auf ein usualisiertes oder lexikalisiertes zweigliedriges Wortbildungsprodukt (vgl. Altmann 2011: 33) zurückführen lassen. Motsch (2004: 9), Altmann (2011: 33) und Neef (2015: 584) verstehen unter Zusammenbildungen (a) nominale, adjektivische und adverbiale Suffigierungen ganzer syntaktischer Fügungen (Appetit-hemm-er, blau-äug-ig, zeit-leben-s); (b) dreigliedrige Zusammenfügungen nach dem Muster N+V+N (Zahn-putz-glas) oder nach dem Muster A+N+N (Alt-weiber-sommer, Fünf-gang-getriebe). Altmann (2011: 33) weist zurecht auf typologische Überschneidungen des Typs (b), die er als dreigliedrige Determinativkomposita bezeichnet, mit den Zusammenrückungen hin. Deshalb fassen andere wie Fleischer/Barz (2012: 86) die Zusammenbildung enger als Derivate von Syntagmen (Typ (a)). Donalies (2005: 93) lehnt den Wortbildungstyp der Zusammenbildung als unnötig ab und analysiert seine Wortbildungsprodukte als Determinativkomposita und explizite Derivate. Auch der engl. Terminus synthetic compound fasst die Zusammenbildung schon allein terminologisch nur als Subtyp der Komposition auf. Eichinger (2000: 61, 214) verortet die Zusammenbildung als Univerbierung im Übergangsbereich der Syntax zur Wortbildung und klassifiziert sie als Untertyp der Inkorporation.

→ Komposition; Univerbierung; Wortbildung → Gram-Syntax: unmittelbare Konstituente ⇀ Zusammenbildung (Wobi; Lexik) ⇁ synthetic compound (Woform)

Igor Trost

🕮 Altmann, H. [2011] Prüfungswissen Wortbildung. Göttingen ◾ Donalies, E. [2005] Die Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2., überarb. Aufl. (StDtSp 27). Tübingen ◾ Eichinger, L.M. [2000] Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen ◾ Fleischer, W./ Barz, I. [2012] Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Hentschel, E./ Weydt, H. [2013] Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollst. überarb. Aufl. Berlin [etc.] ◾ Motsch, W. [2004] Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2., überarb. Aufl. (SchIDS 8). Berlin [etc.] ◾ Neef, M. [2015] Synthetic compounds in German. In: Müller, P.O./ Ohnheiser, I./ Olsen, S./ Rainer, F. [eds.] WordFormation (HSK 40.1). Berlin [etc.]: 582–593.

zusammengesetzte Tempusform ≡ analytische Verbform

zusammengesetzte Verbform ≡ analytische Verbform

817

zusammengesetztes Wort ≡ Kompositum

Zusammenschreibung

Verzicht auf die Setzung von Leerzeichen zwischen bestimmten grammatischen Einheiten in der geschriebenen Sprache. ▲ compound spelling: doing without placing of spaces between specific grammatical units in written language. Das Phänomen der Zusammenschreibung wird besonders intensiv in Bezug auf das Schriftsystem des Dt. diskutiert. Dabei taucht der Terminus Zusammenschreibung zumeist mit seinem Gegenstück auf, mit Getrenntschreibung. Grundsätzlich geht es hierbei um die Frage, ob bestimmte in linearer Abfolge auftretende grammatische Einheiten bei ihrer Verschriftlichung durch ein Leerzeichen voneinander zu trennen sind oder nicht. Im letzteren Fall liegt Zusammenschreibung vor. Der Normalfall von Zusammenschreibung ist, dass die peripheren Buchstaben der betroffenen grammatischen Einheiten in der Schreibung unmittelbar aufeinandertreffen, also durch keinerlei Schriftzeichen unterbrochen werden. Allerdings zählt auch als Zusammenschreibung, wenn zwischen diesen Buchstaben Wortzeichen (als Teilmenge der Interpunktionszeichen) stehen. Im gegenwärtigen Dt. ist dies vor allem möglich für den Divis – sowohl bei Bindestrichschreibungen (See-Elefant) wie auch bei der Worttrennung am Zeilenende – den Apostroph (Andrea’s), Klammern (Freund(inn)en), den Schrägstrich (Freund/ in) und den Unterstrich (Freund_in). Bzgl. der lat. Schrift galt bis zur Einführung der scriptio discontinua im Mittelalter Zusammenschreibung aller grammatischen Einheiten. Insbesondere wurden, anders als im heutigen Dt., aber so wie im gegenwärtigen Chin., zwischen Wörter keine Leerzeichen gesetzt. Als Grundeinheit der Zusammenschreibung ist für das heutige Dt. genauer gesagt die Einheit des grammatischen Wortes anzusetzen, nicht die des lexikalischen Wortes; so werden trennbare Verblexeme wie einkaufen in geeigneten syntaktischen Kontexten getrennt geschrieben. Für Komposita gilt ansonsten grundsätzlich Zusammenschreibung (abgesehen von solchen mit dem Kopf sein, die als Ausnahme zu bewerten sind). Da die entsprechende

Zusammensetzung, exozentrische Regel für Komposita im Engl. weniger eindeutig ist, verwundert es nicht, dass aus dieser Sprache ins Dt. entlehnte Komposita häufig auch getrennt geschrieben werden wie z.B. Heavy Metal. In der dt. Sprache ist die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung problematisch, wie sich an verschiedenen orthographischen Normierungsversuchen zeigt, die allesamt auf Kritik gestoßen sind. Dies liegt an der grammatischen Basis, konkret an der Frage, was ein grammatisches Wort konstituiert. Diachron lässt sich eine Entwicklung von phrasaler Konstruktion zu Wortstatus beobachten. Betroffen sind insbesondere Fälle wie Univerbierung und Inkorporation. Bildungen wie Eislaufen werden tendenziell als komplexe Lexeme analysiert, wobei das nominale Erstglied als Verbpartikel fungiert. Konstruktionen wie Auto fahren dagegen werden als Syntagmen eingeschätzt mit einem artikellosen Akkusativobjekt in erster Position. Grammatisch gesehen liegt hier möglicherweise strukturelle Ambiguität vor, die sich orthographisch in variabler Schreibung widerspiegeln müsste. Bedeutsame theoretische Modellierungen der Getrennt- und Zusammenschreibung im Dt. liegen mit Jacobs (2005) vor, der eine Modellierung im Rahmen der Optimalitätstheorie anbietet, sowie mit Fuhrhop (2007), die eine prototypenbasierte Modellierung vorschlägt. Martin Neef

↔ Getrenntschreibung → § 34; Apostroph; Komposition; Univerbierung; Wort ⇀ Zusammenschreibung (Schrling; HistSprw)

🕮 Fuhrhop, N. [2007] Zwischen Wort und Syntagma. Zur grammatischen Fundierung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Tübingen ◾ Gallmann, P. [1999] Wortbegriff und Nomen-Verb-Verbindungen. In: ZS 18.2: 269–304 ◾ Herpel, S. [2015] Die Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen von 1700–1900. Frankfurt/Main ◾ Jacobs, J. [2005] Spatien. Zum System der Getrennt- und Zusammenschreibung im heutigen Deutsch (LingI&T 8). Berlin [etc.] ◾ Lawrenz, B. [2006] Moderne deutsche Wortbildung. Phrasale Wortbildung im Deutschen: Linguistische Untersuchung und sprachdidaktische Behandlung. Hamburg.

Zusammensetzung, endozentrische → endozentrische Zusammensetzung

Zusammensetzung, exozentrische → exozentrische Zusammensetzung

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Zusammenziehung 818

Zusammenziehung ≡ Kontraktion

Zustandsform

aus Auxiliar und Partizip II bestehende Konstruktion, die bzgl. der korrelierenden verbalen Kon­ struk­tion einen nach- oder gleichzeitigen Zustand bezeichnet. ▲ statal construction: construction consisting of an auxiliary and a past participle which denotes a following or simultaneous state relating to the correlated verbal construction.

Z

Als Zustandsformen werden im Dt. bestimmte Konstruktionen bezeichnet, die aus einem Hilfsverb und einem Partizip II bestehen. Das prototypische Hilfsverb ist sein, neben dem „parasitäre“ Verben wie bleiben, lassen und haben mit dem Partizip II einen Zustand ausdrücken können (vgl. Zifonun et al. 1997: 1850). Zustandsformen mit sein können konverse und nicht-konverse Konstruktionen sein. Zu Ersteren gehört einerseits das sein-Passiv, das bei transformativen Verben mit einem vorzeitigen (1), bei nicht-transformativen mit einem gleichzeitigen, synonymen werden-Passiv (2) korreliert, andererseits die „allgemeine sein-Konverse“, die zwar gegenüber dem Aktiv konvers ist, aber mit keinem werden-Passiv korreliert (vgl. Zifonun et al. 1997: 1817f.) (3). (1) Das Fenster ist geschlossen. [← Das Fenster ist geschlossen worden.] (2) Der Dom ist abends beleuchtet. [= Der Dom wird abends beleuchtet.] (3) Er war erstaunt über den Vorfall. [= Der Vorfall erstaunte ihn.] Das Subjekt von nicht-konversen Zustandsformen ist identisch mit dem der korrelierenden aktivischen Konstruktion, die mit (4) oder ohne Reflexivum (5) steht. Ersteres wird auch Zustandsreflexiv genannt. (4) Herr Müller ist wieder erkältet. [← Herr Müller hat sich wieder erkältet.] (5) Der Teich im Park ist seit November zugefroren. [← Der Teich im Park ist im November zugefroren.] Bei Zifonun et al. (1997: 1809) liegt in (5) eine kontextbedingte „Zustandslesart“ einer Tempusform vor, nämlich des sein-Perfekts. Litvinov/Nedjalkov (1988) sprechen bzgl. dieser Zustandsform von einem „Subjektsresultativ“, Uzonyi (2013)

von einem „Zustandsaktiv“, das ebenso wie das Zustandspassiv (sein-Passiv) ein vollständiges Tempusparadigma hat. Was hier nach einem Perfekt aussieht, ist dementsprechend das Präs. dieser aktivischen Zustandsform. Die mit anderen Hilfsverben gebildeten Zustandsformen sind teils konverse, teils nicht-konverse Konstruktionen. Die mit bleiben entsprechen passivischen ((6)–(8)) wie aktivischen ((9), (10)) seinKonstruktionen. (6) Die Tür blieb den ganzen Tag verschlossen. [transformatives Verb] (7) Die Burg bleibt die ganze Nacht beleuchtet. [nicht-transformatives Verb] (8) Sie bleibt mit Sicherheit daran interessiert. [allgemeine sein-Konverse] (9) Er bleibt nie lange verliebt. [Aktiv, refl.] (10) Der gefährliche Häftling bleibt verschwunden. [Aktiv, nicht-refl.] Bei lassen ist das Partizip II nach Zifonun et al. (1997: 1850) ein auf das Akkusativkomplement bezogenes Prädikativkomplement (11). (11) Wanda ließ den Apparat eingeschaltet. Mit dieser Einstufung wird lassen zu einem Verb wie nennen oder finden, die mit einem Gleichsetzungsakkusativ stehen. Das bekommen-Passiv ist ein Vorgangspassiv, dessen Zustandspassiv-Variante mit haben gebildet wird (12). (12) Ein Bad, das einen Whirlpool eingebaut hat, ist supermodern. [← Ein Bad, das einen Whirlpool eingebaut bekommen hat, ist supermodern.] Ein sein + Partizip II muss nicht in jedem Fall eine paradigmatische Form des Vollverbs sein, das in partizipialer Form erscheint. Alternativ lässt sich dies mit Kopula + Adjektiv analysieren, was mit einem vollständigen Tempusparadigma des Kopulaverbs sein einhergeht. In Zifonun et al. (1997: 1821ff.) wird dies zwar problematisiert, aber letztlich wird das sein-Passiv samt anderen Zustandsformen als analytische Verbform eingestuft. Zu einer alternativen Betrachtung kommt u.a. Welke (2005: 317). Pál Uzonyi

→ § 16; allgemeine Zustandsform; Kopulaverb; Resultatsperfekt; sein-Perfekt; Zustandsverb

→ Gram-Syntax: Prädikativkomplement; Zustandspassiv; Zustandsreflexiv

🕮 Duden [2009] Die Grammatik. 8., überarb. Aufl. (Duden 4).

819 Zustandsverb Mannheim [etc.] ◾ Leiss, E. [1992] Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung (StLingGerm 31). Berlin [etc.] ◾ Litvinov, V.P./ Nedjalkov, V.P. [1988] Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen ◾ Uzonyi, P. [2013] Das Paradigma von Zustandsaktiv und anderen Zustandsformen. In: Knipf-Komlósi, E./ Öhl, P./ Péteri, A./ V. Rada, R. [Hg.] Dynamik der Sprache(n) und der Disziplinen. 21. internationale Linguistiktage der Gesellschaft für Sprache und Sprachen in Budapest (BudBG 70). Budapest: 33–39 ◾ Welke, K. [2005] Deutsche Syntax funktional. Perspektiviertheit syntaktischer Strukturen. 2., bearb. Aufl. Tübingen ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Zustandsform, allgemeine → allgemeine Zustandsform

Zustandsverb

verbaler Ausdruck, der eine Eigenschaft oder Relation bezeichnet, die sich nicht von selbst verändern würde. ▲ stative verb: verbal expression that denotes a property or relation that would not change on its own.

Zustandsverben sind in der Aspektsemantik Teil einer Klasse verbaler Zustandsausdrücke (Prädikate). Da auch nichtverbale Konstituenten aspektuell relevant sein können (z.B. erzeugt die Modifikation durch das Adverb gerade statische Prädikate), kann eine aspektuelle Klassifikation oft erst auf VP- oder Satzebene erfolgen. Das im Weiteren Gesagte gilt für alle Zustandsprädikate. Sie können auch von Substantiven, Adjektiven oder Präpositionen eingeführt werden (z.B. Mann, blau, bei). Zustandsprädikate bezeichnen Eigenschaften oder Relationen wie klug sein, sehen oder enthalten, die sich nicht von selbst verändern würden, deren Fortdauern also weder unerwartet ist noch aufrechterhalten werden muss. Damit gelten Prädikate als dynamisch, die das Fortdauern und/oder Aufrechterhalten eines Zustands bezeichnen (inklusive Positionsverben), z.B. bleiben, lauschen, stehen. Zustandsprädikate lassen sich durch Tests motivieren (Kompatibilität mit bestimmten Kontexten). Für Zustandsprädikate werden hier u.a. der fehlende Imperativ, Kompatibilität mit Zeitpunktadverbialen (um fünf Uhr) und im Engl. die Inkompatibilität mit dem Progressiv angeführt. (1) *Besitze ein Haus! (2) um fünf Uhr in der Kneipe sein

(3) #John is being silly. Diese Urteile gelten für wörtliche Lesarten, die aber z.T. durch aspektuelle Reinterpretation (coercion) wieder akzeptabel werden (durch „#“ angezeigt), so kann man be silly in (3) dynamisch verstehen („sich kindisch benehmen“). Nicht alle diese Tests sind passgenau: Imperative selegieren eigentlich agentive Prädikate; Zeitpunktadverbiale sind mit allen Prädikaten kompatibel, deren Extension Sachverhalte mit sehr kurzer Laufzeit enthält. Daher erscheinen auch einige dynamische Prädikate nicht im Imperativ, aber als Modifikanden dieser Adverbiale (z.B. ankommen). In manchen ereignissemantischen Ansätzen (die Sachverhalte als weitere Argumente der vom Verb denotierten Relationen reifizieren; Davidson 1967) führen Zustandsprädikate keine oder spezielle Sachverhaltsargumente ein: Nach Parsons (1990) führen Zustandsprädikate (er zählt Prädikate für das Fortdauern oder Aufrechterhalten eines Zustands dazu) „Zustände“, und dynamische Prädikate „Ereignisse“ ein, während Maienborn (2007) Zustandsprädikaten im hier definierten Sinn sehr abstrakte Sachverhaltsargumente zuweist. Diese Sachverhalte seien anders als die für dynamische Prädikate nicht wahrnehmbar und nur zeitlich, nicht aber räumlich lokalisierbar (hier scheint es aber Ausnahmen wie in Japan beliebt sein zu geben). Kratzer (1995) argumentiert dagegen, dass diejenigen der Zustandsprädikate kein Sachverhaltsargument einführten, die als Individuenprädikate zeitlich unveränderliche Eigenschaften von Individuen (z.B. Mann oder blond) denotieren und so mit Stadienprädikaten kontrastierten, die vorübergehende Eigenschaften von Individuen, oder Eigenschaften zeitlicher Stadien von Individuen bezeichnen (müde, traurig) (Carlson 1977). Damit lasse sich z.B. der Kontrast zwischen (4) und (5) erklären: Das dynamische speak, nicht aber das statische know führe ein Sachverhaltsargument ein, über das when quantifizieren könne: (4) *When Mary knows French, she knows it well. (5) When Mary speaks French, she speaks it well. Die Klassen der Individuen- und Zustandsprädikate korrespondieren jedoch nicht vollständig; z.B. sind im Engl. progressive Prädikate Zustandsund Stadienprädikate.

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zweifache Gliederung 820 Zustandsprädikate sind divisiv, da jeder Teil eines Sachverhalts in der Extension eines Zustandsprädikats P ebenfalls unter P fällt. (Dies grenzt Zustandsprädikate nur dann gegen dynamische Prädikate wie blitzen ab, wenn die Domäne der Sachverhalte nicht atomar ist, d.h., keine minimalen Elemente hat.) Die Divisivität macht Zustandsprädikate mit Zeitpunktadverbialen kompatibel: Wie kurz die in den Adverbialen eingeführte Zeit t auch ist, gibt es immer einen Sachverhalt in der Extension dieser Prädikate, dessen Laufzeit t ist. Wenn man die Gegenwart als minimales Zeitintervall ansieht, erklärt dies auch, warum das einfache Präs. des Engl. mit Zustandsprädikaten kompatibel ist. Das Progressiv eines Zustandsprädikats kann pragmatisch als redundant blockiert werden: Es ist aufgrund der Divisivität dieser Prädikate semantisch äquivalent zu den Prädikaten selbst, aber komplexer als diese. In narrativen Texten bieten Zustandsprädikate Hintergrundinformation und lassen die Erzählzeit nicht voranschreiten. Markus Egg ≡ statisches Verb ↔ dynamisches Verb; mutatives Verb; Vorgangsverb → Aktionsart ⇁ stative verb (Typol)

🕮 Carlson, G.N. [1977] A unified analysis of the English bare plural. In: LingPhil 1: 413–457 ◾ Davidson, D. [1967] The logical form of action sentences. In: Rescher, N. [ed.] The logic of decision and action. Pittsburgh, PA: 81–95 ◾ Kratzer, A. [1995] Stage-level and individual-level predicates. In: Carlson, G.N./ Pelletier, F.J. [eds.] The Generic Book. Chicago, IL: 125–175 ◾ Maienborn, C. [2007] On Davidsonian and Kimian states. In: Comorovski, I./ Heusinger, K. von [eds.] Existence. Semantics and syntax. Dordrecht: 107–130 ◾ Parsons, T. [1990] Events in the semantics of English. Cambridge, MA.

zweifache Gliederung ≡ doppelte Artikulation

zweite Steigerungsstufe ≡ Superlativ

zweiter Fall ≡ Genitiv

zweites Partizip

Z

infinite Verbform, die sowohl frei als auch als Bestandteil komplexer Verbformen wie dem Perfekt auftritt.

▲ past participle: infinite verb form that occurs au-

tonomously and in complex verb forms such as the present perfect.

Das zweite Partizip wird bei schwachen Verben mit dem Zirkumfix ge...t und dem Verbstamm (gefragt), bei starken Verben mit ge...en und der hist. 4. Ablautstufe gebildet (gesungen). Enthält das Basisverb ein Präfix mit Reduktions- bzw. nebenbetontem Vokal, wird ge- nicht realisiert (z.B. vergangen, ent-lassen, be-antwortet, um-gangen). Am frequentesten tritt das zweite Partizip heute als Bestandteil komplexer Verbformen wie den Perfektkonstruktionen und dem Vorgangs- und Zustandspassiv auf ((1)–(3)). (1) Sie hat gelacht. [haben-Perfekt] (2) Sie ist gefallen. [sein-Perfekt] (3) Der Zaun wird gestrichen. [Vorgangspassiv] (3a) Der Zaun ist gestrichen. [Zustandspassiv] Da diese Verbkonstruktionen grammatikalisiert sind und als Ganze Bedeutung tragen, lassen sie nicht die eigentliche Funktion bzw. Bildungsbeschränkungen des zweiten Partizips erkennen. Diese zeigen sich nur am autonomen, d.h. attributiven Gebrauch und ergeben sich sowohl aus der Argumentstruktur als auch aus der Aktionsart des zugrunde liegenden Verbs. So bezieht sich das zweite Partizip bei transitiven Verben passivisch auf das Argument, das im finiten Satz als Akkusativobjekt realisiert wird, bei intransitiven Verben hingegen aktivisch auf das Subjekt. (4) Die Römer zerstören Karthago. [transitiv] (4a) das zerstörte Karthago [passives Partizip] (5) Karthago fällt. [intransitiv] (5a) das gefallene Karthago [aktives Partizip] Prototypischerweise erfüllt das zweite Partizip resultative Funktion (Haspelmath 1994); es bezeichnet einen andauernden Zustand, der aus einem zeitlich vorausgehenden Ereignis resultiert. Aufgrund dieser resultativen Funktion ist es grundsätzlich auf telische Verben beschränkt. Vereinzelt erlaubt das passive Partizip aber atelische Verben und erzielt stative Funktion ((6), (7)). (6) ein von Pferden gezogener Wagen (7) unser geliebtes Kind Melitta Gillmann ≡ Partizip II; Partizip Perfekt; Perfektpartizip → atelische Aktionsart; erstes Partizip; Infinitiv Perfekt; Partizip; Passiv; Perfekt; telische Aktionsart

821

→ Gram-Syntax: attributives Partizip; Partizipialkonstruktion; Partizipialsatz ⇁ past participle (CG-Engl; Typol)

🕮 Gillmann, M. [2016] Perfektkonstruktionen mit haben und sein. Eine Korpusuntersuchung im Althochdeutschen, Altsäch-

zweites Partizip sischen und Neuhochdeutschen. Berlin [etc.] ◾ Haspelmath, M. [1994] Passive participles across languages. In: Fox, B./ Hopper, P.J. [eds.] Voice. Form and Function. Amsterdam: 151–177 ◾ Welke, K. [2005] Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin.

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8. Alphabetisches Verzeichnis sekundärer Quellen Abraham, W. [1988] Terminologie zur neueren Linguistik (Germanistische Arbeitshefte. Ergänzungsreihe 1). 2., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Tübingen. Buẞmann, H. [Hg. 2002] Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erw. Aufl. Stuttgart. Buẞmann, H. [Hg. 2008] Lexikon der Sprachwissenschaft. 4., durchges. und bibliogr. erg. Aufl. Stuttgart. Glück, H. [Hg. 2000] Metzler Lexikon Sprache. 2., überarb. u. erw. Aufl. mit 70 Abbildungen, davon 17 Karten. Stuttgart [etc.]. Glück, H. [Hg. 2005] Metzler Lexikon Sprache. 3., neubearb. Aufl. mit 40 Abbildungen und 12 vierfarbigen Karten. Stuttgart [etc.]. Glück, H./ Rödel, M. [Hg. 2016] Metzler Lexikon Sprache. 4. Aufl. Stuttgart. Kürschner, W. [1997] Grammatisches Kompendium: sytematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe. 3., verm. und bearb. Aufl. Tübingen [etc.]. Kürschner, W. [2005] Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe. 5., durchges. Aufl. Tübingen [etc.] Lewandowski, T. [1990] Linguistisches Wörterbuch. 3 Bde. 5., überarb. Aufl. Heidelberg [etc.].

9. Alphabetisches Verzeichnis der Autoren und Autorinnen in WSK 1.1 Battefeld, Malte (Gent) Bertol-Raffin, Elisabeth (Wien) Błachut, Edyta (Wrocław) Brand, Svenja (Göttingen) Bücker, Jörg (Münster) Cardinaletti, Anna (Venedig) Coniglio, Marco (Berlin) Dabóczi, Viktória (Siegen) Diewald, Gabriele (Hannover) Domínguez Vázquez, María José (Santiago de Compostela) Dürscheid, Christa (Zürich) Egg, Markus (Berlin) Elsen, Hilke (München) Ferraresi, Gisella (Bamberg) Ferrer Mora, Hang (València) Flagner, Heidi (Bukarest) Fobbe, Eilika (Göttingen) Forsgren, Kjell-Åke (Umeå) Gaschkowa, Margarita (Stuttgart) Geist, Ljudmila (Stuttgart) Giger, Nadio (Zürich) Gillmann, Melitta (Hamburg) Gobber, Giovanni (Mailand) Gvozdanovic, Jadranka (Heidelberg) Heine, Antje (Greifswald) Heine, Lena (Bochum) Hennig, Mathilde (Kassel) Hirschmann, Hagen (Berlin) Hundt, Markus (Kiel) Kątny, Andrzej (Gdańsk) Kaufmann, Ingrid (Tokyo) Kispál, Tamás (Göttingen) Kolmer, Agnes (Zürich) Korth, Manuela (Stuttgart) Kotin, Michaił L. (Zielona Góra) Krafft, Andreas (Freiburg) Kresić, Marijana (Zadar) Kukorelli, Eszter (Budapest) Lettner, Khrystyna (Erlangen) Maitz, Péter (Debrecen) Mann, Michael (Erlangen) Martos, Javier (Sevilla) Meliss, Meike (Santiago de Compostela)

825

9. Alphabetisches Verzeichnis der Autoren und Autorinnen in WSK 1.1

Modrián-Horváth, Bernadett (Szeged) Möller, Max (Berlin) Mollica, Fabio (Jena) Molnár, Anna (Debrecen) Molnár, Krisztina (Pécs) Münzberg, Franziska (Aachen) Neef, Martin (Braunschweig) Osterroth, Andreas (Landau) Palliwoda, Nicole (Siegen) Panchenko, Kateryna (L‘viv) Paranhos Zitterbart, Jussara (Erlangen) Paslawska, Alla (L‘viv) Péteri, Attila (Budapest) Roelcke, Thorsten (Berlin) Römer, Christine (Jena) Rothstein, Björn (Bochum) Sahel, Said (Bielefeld) Schädler, Maria (Erlangen) Scheibl, György (Szeged) Schierholz, Stefan J. (Erlangen) Schmidt, Karsten (Osnabrück) Schrodt, Richard (Wien) Schürcks, Lilia (Potsdam) Schulze, Wolfgang (München) Seifert, Jan (Bonn) Siedschlag, Katharina (Salzburg) Simon-Horváth, Katalin (Budapest) Struckmeier, Volker (Köln) Studler, Rebekka (Basel) Szatmári, Petra (Budapest) Szatzker, Szilvia (Budapest) Szczepaniak, Renata (Hamburg) Szigeti, Imre (Ho-Chi-Min-Stadt) Taborek, Janusz (Poznań) Teuber, Oliver (Oldenburg) Thielmann, Winfried (Chemnitz) Thieroff, Rolf (Osnabrück) Trost, Igor (Passau) Uhl, Benjamin Jakob (Paderborn) Uzonyi, Pál (Budapest) Vargyas, Anna (Budapest) Welke, Klaus (Berlin) Wiese, Bernd (Mannheim) Willems, Klaas (Gent) Windeck, Alexander (Siegburg) Wratil, Melani (Wuppertal) Zimmermann, Malte (Potsdam)

10. Englisch-Deutsches Register Das Englisch-Deutsche Äquivalentzugriffsregister bietet Ihnen die Möglichkeit, von einem englischsprachigen Terminus aus, der in WSK 1.1 als Äquivalent zu einem deutschsprachigen Lemma angesetzt ist, auf den jeweiligen Wörterbuchartikel zu diesem Lemma zuzugreifen. ability adjective ability to have passive ablative ablaut ablaut series absolute ablative absolute accusative absolute adjective absolute adverb absolute case absolute comparative absolute dative absolute genitive absolute superlative absolutive abstract noun abstract noun derived from a verb abstract pronoun accent accusative accusative conversion accusative object accusative of the external possessor achievement aci verb action noun action noun action verb active active active active affix acute accent adcopula adcopula additive conjunction additive particle adjectival adverb adjectival derivative adjectival suffix

Eignungsadjektiv Passivfähigkeit Ablativ Ablaut Ablautreihe ablativus absolutus accusativus absolutus absolutes Adjektiv absolutes Adverb casus absolutus absoluter Komparativ dativus absolutus genitivus absolutus absoluter Superlativ Absolutiv Abstraktum Verbalabstraktum abstraktes Pronomen Akzent Akkusativ Akkusativkonversion Objektsakkusativ Pertinenzakkusativ punktuelle Aktionsart AcI-Verb nomen acti nomen actionis Handlungsverb Aktiv (1) Aktiv (2) aktivisch aktives Affix Akut Adkopula Kopulapartikel additiver Konjunktor additive Partikel Adjektivadverb abgeleitetes Adjektiv Adjektivsuffix

827 adjective adjective adjective indicating attitude adjective inflection adjective linking element adjective of number adjective of number adjective of quality adjective of quality adjective of quality adjective with a demonstrative meaning adposition adverb adverb of degree adverb of intensity adverb of negation adverb of stance adverb of time adverb of validity adverbial accusative adverbial accusative case adverbial subjunctor adversative conjunction adversative conjunctor affirmative adjective affix affix form affixation affixoid agent nominalization agent noun agglutination agglutinative plural agreement in gender agreement in number aktionsart allomorph alternative conjunctor amalgamated preposition ambiposition amount term analogy formation analysis of morphemes analytic form analytic genitive anaphoric demonstrative pronoun anaphoric pronoun antecedent anticausative

10. Englisch-Deutsches Register Adjektiv Beiwort Verhaltensadjektiv Adjektivflexion Adjektivfuge bestimmtes Zahladjektiv quantifikatives Adjektiv qualifikatives Adjektiv qualifizierendes Adjektiv Qualitätsadjektiv demonstratives Adjektiv Adposition Adverb graduatives Adverb Intensitäts-Adverb Negationsadverb Modalpartikel Temporaladverb Geltungsadverb Adverbialakkusativ freier Akkusativ adverbialbildender Subjunktor adversative Konjunktion adversativer Konjunktor affirmatives Adjektiv Affix Affixform Affigierung Halbaffix Agensnominalisierung nomen agentis Agglutination agglutinierender Plural Genusrektion Numeruskongruenz Aktionsart Allomorph alternativer Konjunktor verschmolzene Präposition Ambiposition Maßausdruck Analogiebildung Morphemanalyse analytische Form analytischer Genitiv zurückweisendes Demonstrativpronomen anaphorisches Pronomen Antezedens Antikausativ

10. Englisch-Deutsches Register 828 antonymous adjective apocope apophony apostrophe appellative noun applicative arbitrary dual article article inflection aspect language assumption indicator atelic aktionsart atemporalis attributive declension augmentative-iterative aktionsart augmentative-semelfactive autonomous adverb autosemantic word auxiliary auxiliary complex auxiliary verb auxiliary verb auxiliary verb with infinitive back umlaut bare case base base modification base morpheme basic form basic form inflection be-prefixation be-verb binary feature biological gender blending bound morpheme bound stem broken plural Bybee Hierarchy cardinal numeral case case alignment case change case form case frame case function case meaning case morpheme case of extent

antonymes Adjektiv Apokope Ablaut Apostroph Appellativum Applikativ arbiträrer Dual Artikel Artikelflexion Aspektsprache Hypothesenindikator atelische Aktionsart Atemporalis attribuierende Deklination intensiv-iterative Aktionsart intensiv-semelfaktiv autonomes Adverb Autosemantikon Auxiliar Auxiliarkomplex Hilfsverb Nebenverb Infinitivverb Rückumlaut reiner Kasus Stamm innere Flexion Grundmorphem Grundform Grundformflexion be-Präfigierung be-Verb binäres Merkmal Sexus Kontamination gebundenes Morphem kategorienloser Stamm gebrochener Plural Bybee-Hierarchie Kardinalzahlwort Kasus Kasusangleichung Kasuswechsel Kasusform Kasusrahmen Kasusfunktion Kasusbedeutung Kasusmorphem Umfangskasus

829 case of formative process case of limited scope case of relationship case reduction case role case stacking case subscript case syncretism cataphoric demonstrative pronoun cataphoric pronoun category changing suffix category sustaining suffix causal adverb causal conjunction causal conjunctor causal dative causal preposition causal subjunctor causative central case change of declension change of tense circumfix circumfixation circumposition citation form citation form classification classifier classifying adjective clitic clitic pronoun cliticization closed class closed word class close-introducing word coda of a word cognitive verb cohortative collective noun collective number collective number collective numeral collective numeral collocationally constrained adjective colon colour adjective combination of suffixes combinatorial meaning

10. Englisch-Deutsches Register Gestaltungskasus Umfangskasus Bezugskasus Kasusabbau relationale Bedeutung Suffixaufnahme Kasusindex Kasussynkretismus vorausweisendes Demonstrativpronomen kataphorisches Pronomen kategorienveränderndes Suffix kategorienerhaltendes Suffix Kausaladverb kausale Konjunktion kausaler Konjunktor dativus causae kausale Präposition kausaler Subjunktor Kausativum Vollkasus Deklinationswechsel Tempuswechsel Zirkumfix Zirkumfigierung Zirkumposition Grundform Nennform Klassifikation Klassifikator relationales Adjektiv Klitikon klitisches Pronomen Klitisierung geschlossene Klasse geschlossene Klasse Einleitewort Wortausgang kognitives Verb Adhortativ Kollektivum Kollektivzahl Sammelzahl Kollektivzahl Sammelzahl objektgebundenes Adjektiv Doppelpunkt Farbadjektiv Suffixkombination kombinatorische Bedeutung

10. Englisch-Deutsches Register 830 combinatorial variant comitative adverb comitative dative comitative subjunctor comma comment adverb commenting adverb common noun common noun comparability comparative comparative conjunction comparative denominal verb comparative particle comparative structure comparison comparison adverb complex conjunction complex preposition complex stem componential analysis composition compositional word meaning compositionality compound compound spelling compound verb compounding concessive adverb concessive subjunctor concrete noun conditional conditional adverb conditional subjunctor confidential form confix conjugation conjugation pattern conjunction conjunction conjunctional adverb conjunctional phrase conjunctor connect connector consecutive adverb consecutive subjunctor constituent negation constituent of an adjective

kombinatorische Variante Komitativadverb dativus comitativus komitativer Subjunktor Komma Kommentaradverb Rangierpartikel Appellativum nomen commune Komparierbarkeit Komparativ komparative Konjunktion Vergleichsverb Vergleichspartikel Vergleichskonstrukt Komparation veränderliches Adverb mehrteilige Konjunktion komplexe Präposition komplexer Stamm Merkmalanalyse Komposition kompositionelle Wortbedeutung Kompositionalität Kompositum Zusammenschreibung Verbkompositum Komposition Konzessivadverb konzessiver Subjunktor Konkretum Konditional Konditionaladverb konditionaler Subjunktor vertrauliche Form Konfix Konjugation Konjugationsmuster Konjunktion Konnektor Konjunktionaladverb Konjunktionalglied Konjunktor Konnekt Konnektor Konsekutivadverb konsekutiver Subjunktor Konstituentennegation Adjektivglied

831 continuous aspect contracted preposition contraction contrastive negation conversational filler conversational particle conversion cooperative inflection copular particle copular verb count noun count noun cranberry morpheme current present tense dash dative dative absolute dative conversion dative object dative of accompaniment dative of advantage dative of agency dative of association dative of cause dative of comparison dative of degree dative of degree of difference dative of disadvantage dative of instrument dative of manner dative of means dative of measure dative of place dative of possession dative of possession and advantage dative of possession and disadvantage dative of profit dative of purpose dative of reference dative of state or condition dative of the external possessor dative of the person judging dative of time dative shift dative verb dative-e deadjectival noun deadverbial adjective declension

10. Englisch-Deutsches Register Progressiv verschmolzene Präposition Kontraktion kontrastierende Negation Gesprächspartikel Gesprächspartikel Konversion Monoflexion Kopulapartikel Kopulaverb Appellativum Individuativum unikales Morphem aktuelles Präsens Gedankenstrich Dativ dativus absolutus Dativkonversion Objektsdativ dativus comitativus dativus commodi dativus auctoris dativus sociativus dativus causae dativus comparationis dativus discriminis dativus discriminis dativus incommodi dativus instrumenti dativus modi dativus instrumenti dativus mensurae dativus localis dativus possessivus dativus commodi possessivus dativus incommodi possessivus dativus commodi dativus finalis dativus iudicantis Dativ des Zustandsträgers Pertinenzdativ dativus iudicantis dativus temporis Dativanhebung Dativverb Dativ-e deadjektivisches Substantiv Adverbialadjektiv Deklination

10. Englisch-Deutsches Register 832 declension class declensional class deep case defective adjective defective paradigm defective verb defectiveness defectivity definite article definite description definite distributive pronoun definite number definite numeral adjective definite numeral word degree degree adverb deictic adverb deictic determinative deictic expression deictic pronoun deixis am phantasma delimitative aktionsart demonstrative determinative demonstrative pronoun denial denominal state noun derivation derivational affix derivational morpheme derivational morpheme derivative gender derivative suffix derived adjective derived adverb derived verb determinant determination determination determinative determinative pronoun determinatum determiner determiner deverbal adjective deverbal word deverbally derived adjective deverbative diathesis dimension adverb

Deklinationsklasse Deklinationsklasse relationale Bedeutung defektives Adjektiv unvollständiges Paradigma verbum defectivum Defektivität Defektivität definiter Artikel definite Kennzeichnung definites Distributivpronomen bestimmtes Zahlwort bestimmtes Zahladjektiv bestimmtes Zahlwort Komparation Gradadverb deiktisches Adverb deiktisches Determinativ deiktisches Element deiktisches Pronomen Vorstellungsraum delimitative Aktionsart demonstratives Determinativ Demonstrativpronomen Negierung Substantivabstraktum Derivation Ableitungsaffix Formationsmorphem Formativ derivationelles Genus Ableitungssuffix abgeleitetes Adjektiv abgeleitetes Adverb abgeleitetes Verb Determinans (2) Determination (1) Determination (2) Determinativ Determinativpronomen Determinatum Determinans (1) Determinativum deverbales Adjektiv Deverbativum deverbales Adjektiv Deverbativum genus verbi Dimensionsadverb

833 dimensional adjective diminutive diminutive diminutive formation diminutive-iterative aktionsart diminutive-iterative manner of action direction adverb directional case directional preposition directive adverb directive verb discontinuous conjunction discontinuous constituent discourse marker discourse particle discourse particle dislocated determinative distance indicator distribution distributive number distributive numeral ditransitive double articulation double dative double gender double gender double negation double-perfect double-pluperfect dual dual pronoun duale tantum durative aktionsart durative verb dynamic verb e-deletion egressive aktionsart e-insertion ellipsis point elliptical possessive pronoun elongated pluperfect empty verb endocentric compound endocentricity energetic mode (e)n-genitive entity epic present epistemic modal auxiliary

10. Englisch-Deutsches Register dimensionales Adjektiv diminutiv Diminutiv Diminution diminutiv-iterative Aktionsart diminutiv-iterative Aktionsart Richtungsadverb Richtungskasus direktive Präposition direktives Adverb direktives Verb paarige Konjunktion diskontinuierliche Konstituente Diskurswort Diskurspartikel Diskurswort dislozierbares Determinativ Distanzindikator Distribution Distributivum Distributivum ditransitiv doppelte Artikulation doppelter Dativ Differentialgenus doppeltes Genus doppelte Negation Doppelperfekt Doppelplusquamperfekt Dualis Dualpronomen duale tantum durative Aktionsart kursives Verb dynamisches Verb e-Tilgung egressive Aktionsart e-Erweiterung Auslassungspunkt elliptisches Possessivpronomen gestrecktes Plusquamperfekt Funktionsverb endozentrische Zusammensetzung Endozentrizität Energikus (e)n-Genitiv Entität episches Präsens inferentielles Modalverb

10. Englisch-Deutsches Register 834 epithet epitheton ornans equivalence dual ergative case ergative verb (e)s-genitive ethical dative e-type pronoun event nominal in light verb constructions event verb eventive verb excessive exclamation mark exclamation point exocentric compound experiencer extension of a suffix extensional adjective external plural extra-subjective modality extra-subjective use of a modal verb facticity factitive verb factitive verb factive adverb factive verb feature feminine feminine gender final adverb final dative final infinitive final subjunctor finite verb form finite verb form finiteness first constituent floating element focus adverb focus particle focusing adjunct foreign prefix foreign suffix form form class form of language formation morpheme formation morpheme formative

Beiwort epitheton ornans Äquivalenzdual Ergativ ergatives Verb (e)s-Genitiv dativus ethicus E-Typ-Pronomen Gefügenomen Ereignisverb Ereignisverb Exzessiv-Stufe Ausrufezeichen Ausrufezeichen exozentrische Zusammensetzung nomen patientis Suffixerweiterung extensionales Adjektiv äußerer Plural extrasubjektive Modalverbverwendung extrasubjektive Modalverbverwendung Faktizität faktitives Verb Faktitivum faktives Adverb faktives Verb Merkmal Femininum Femininum Finaladverb finaler Dativ finaler Infinitiv finaler Subjunktor finite Verbform Personalform Finitheit Erstglied dislozierbares Element Fokusadverb Fokuspartikel Fokuspartikel Fremdpräfix Fremdsuffix Form Formklasse Sprachform Formationsmorphem Formativ Formationsmorphem

835 formative fortitive-iterative manner of action fortitive-semelfactive fractional number fractional numeral free dative free morpheme full verb function word functional noun functional verb fusion future perfect tense future perfect tense referring to the past future simple tense future tense future-in-the-past tense futuristic present gender gender assignment gender change gender determination gender indication gender marking gender specification gender suffix gender variation gender-neutral word for referring to persons general present general stative form generalized indefinite personal pronoun generic masculine generic noun genitive genitive-s genitivus absolutus genitivus auctoris genitivus causae genitivus comparationis genitivus criminis genitivus definitivus genitivus explicativus genitivus obiectivus genitivus partitivus genitivus possessivus genitivus qualitatis genitivus subiectivus gerund gerundive

10. Englisch-Deutsches Register Formativ intensiv-iterative Aktionsart intensiv-semelfaktiv Bruchzahlwort Bruchzahlwort freier Dativ freies Morphem Vollverb Funktionswort funktionales Nomen Funktionsverb Fusion Futur II Vergangenheits-Futur II Futur I Futur Futur des Präteritums futurisches Präsens Genus Genusmarkierung Genuswechsel Genusdetermination Movierung Genusmarkierung Geschlechtsspezifikation Movierungssuffix Genusschwankung geschlechtsneutrale Personenbezeichnung generelles Präsens allgemeine Zustandsform generalisierendes indefinites Personalpronomen generisches Maskulinum generisches Substantiv Genitiv Genitiv-s genitivus absolutus genitivus auctoris genitivus causae genitivus comparationis genitivus criminis genitivus definitivus genitivus explicativus genitivus objectivus genitivus partitivus genitivus possessivus genitivus qualitatis genitivus subjectivus Gerundium Gerundivum

10. Englisch-Deutsches Register 836 gerundive glosseme governed noun governed subjunctive governing verb grammatical agreement grammatical category grammatical morpheme grammatical word grammeme graphemic syllabic nucleus haben-perfect haben-zu-construction hanging hyphen have-perfect having no ending hedge historical present honorific horizon relative pronoun human-male gender hypergeneralization hyphen hyphen at the end of a line hypothesis indicator icon iconic sign ideal plural suffix imperative imperative paradigm imperative-like conditional imperfect imperfective aktionsart impersonal passive impersonal verb impluralizability impression verb inchoative aktionsart incremental verb indefinite adverb indefinite article indefinite determinative indefinite distributive pronoun indefinite number indefinite numeral adjective indefinite numeral word indefinite pronoun indefinite pronoun independent pronoun

Verbaladjektiv Glossem nomen rectum regierter Konjunktiv regierendes Verb grammatische Kongruenz Wortart grammatisches Morphem Funktionswort Grammem Wortkern haben-Perfekt haben-zu-Konstruktion Ergänzungsstrich haben-Perfekt Endungslosigkeit Heckenausdruck historisches Präsens Honorativ Horizontrelativ männlich-personales Genus Übergeneralisierung Bindestrich Trennstrich Hypothesenindikator ikonisches Zeichen ikonisches Zeichen ideales Pluralsuffix Imperativ Imperativparadigma konditionaler Imperativ Imperfekt imperfektive Aktionsart unpersönliches Passiv unpersönliches Verb Plurallosigkeit Eindrucksverb inchoative Aktionsart inkrementelles Verb Indefinitadverb indefiniter Artikel indefinites Determinativ indefinites Distributivpronomen unbestimmtes Zahlwort indefinites Zahladjektiv unbestimmtes Zahlwort Indefinitpronomen Indefinitum selbständiges Pronomen

837 index indexical indexical sign indicative inessive infinite verb form infinitive infinitive as direct object infinitive particle infinitive perfect infinitivus pro participio infix inflectable inflected nominal pre-modifier inflection inflectional category inflectional feature inflectional form inflectional grammeme inflectional language inflectional morpheme inflectional morpheme inflectional morphology inflectional morphology inflectional paradigm inflexion ingressive ingressive verb ingressive verb inseparable verb instrumental instrumental adverb instrumental dative instrumental noun instrumental preposition instrumental subjunctor intensifier intensifier intensifier intensifying modifier intensifying verb intensional adjective intercalated affix interjection interjection particle internal inflection internal plural internuclear cluster interrogative adverb

10. Englisch-Deutsches Register indexikalisches Zeichen Zeigwort indexikalisches Zeichen Indikativ Inessiv infinite Verbform Infinitiv Objektsinfinitiv Infinitivpartikel Infinitiv Perfekt Ersatzinfinitiv Infix flektierbar nomen varians Flexion Flexionskategorie Flexionsmerkmal Flexionsform Flexionsgrammem flektierende Sprache Flexiv Relationsmorphem Flexionsmorphologie Formenlehre Flexionsparadigma Flexion ingressiv ingressives Verb Ingressivum untrennbares Verb Instrumental Instrumentaladverb dativus instrumenti nomen instrumenti instrumentale Präposition instrumentaler Subjunktor Intensifikator Intensitätspartikel Intensivierwort Intensitätsmodifikator intensivierendes Verb intensionales Adjektiv Transfix Interjektion Interjektionspartikel innere Flexion gebrochener Plural Wortbrücke Interrogativadverb

10. Englisch-Deutsches Register 838 interrogative determinative interrogative determiner interrogative pronoun interrogative word intersective adjective intransitive intransitive verb intransitivization intra-subjective use of a modal verb inverted comma inverted comparison irregular conjugation irregular verb irregular verb isomorphism iteration number iteration numeral iterative aktionsart Jespersen’s cycle kāraka lack of articles language universal latent dative lexeme lexical aspect lexical case lexical category lexical field lexical interjection lexical morpheme lexical paradigm lexical structure lexicalization light verb light verb construction linguistic form linguistic form linguistic sign linking -(e)n linking -(e)ns linking -(e)s linking -e linking element linking -s linking word loan suffix local adjective local adverb localist hypothesis

interrogatives Determinativ Interrogativartikel Interrogativpronomen Interrogativum intersektives Adjektiv intransitiv intransitives Verb Intransitivierung intrasubjektive Modalverbverwendung Anführungszeichen Steigerungsinversion unregelmäßige Konjugation starkes Verb unregelmäßiges Verb Isomorphie Iterativzahl Iterativzahl iterative Aktionsart Negations-Zyklus Kāraka Artikellosigkeit Universalie latenter Dativ Lexem Aktionsart lexikalischer Kasus lexikalische Kategorie Wortfeld Lexeminterjektion lexikalisches Morphem lexikalisches Paradigma lexikalische Struktur Lexikalisierung Nominalisierungsverb Nominalisierungsverbgefüge Sprachform sprachliche Form Sprachzeichen (e)n-Fuge (e)ns-Fuge (e)s-Fuge e-Fuge Fugenelement Fugen-s Fügewort Fremdsuffix Lokaladjektiv Lokaladverb lokalistische Hypothese

839 location of accent locative dative logical adverb long passive loss of the preterite main tense main verb main verb major word class manner adverb manner of action marginal case mark of omission marked inflectional category markedness theory marker masculine masculine gender mass noun mass noun mass noun mass term mass term material adjective matrix verb measurement term measuring unit mediative messaging verb middle verb middle verb middle voice mixed conjugation mixed declension mixed verb modal adverb modal adverb modal auxiliary modal auxiliary modal auxiliary in the inference reading modal auxiliary verb modal expression modal particle modal particle modal preposition modal subjunctor modal verb mode of address modifying adverb

10. Englisch-Deutsches Register Akzentstelle dativus localis logisches Adverb langes Passiv Präteritumschwund Haupttempus Hauptverb regierendes Verb Hauptwortart Adverb der Art und Weise Aktionsart Randkasus Auslassungspunkt markierte Flexionskategorie Markiertheitstheorie Merkmal Maskulinum Maskulinum Kontinuativum Massennomen Substanznomen Kontinuativum Massennomen Stoffadjektiv Matrixverb Maßbezeichnung Maßeinheit Mediativ Mitteilungsverb mediales Verb Mittelverb Mediopassiv Mischkonjugation gemischte Deklination gemischtes Verb Modaladverb Modalwort modales Hilfsverb Modalverb inferentielles Modalverb modales Hilfsverb Modalwort Abtönungspartikel Modalpartikel modale Präposition modaler Subjunktor Modalverb Anredemodus modifikatives Adverb

10. Englisch-Deutsches Register 840 modus dicendi monem monolexemic conjunction mood morph morpheme morpheme boundary morpheme class morpheme constancy principle morphological basic form morphological category morphological component morphological constituent morphological constituent structure morphological function morphological gender determination morphological head morphological paradigm morphological principle morphological principle morphological status morphological structure morphological umlaut morphologization morphologization morphology morphology morphophonology morphosyntax motivated word formation motivation multiple gender multiplicative number multiplicative numeral mutation mutative verb naming case narrative past tense narrative present native suffix Natural Morphology n-declension necessitative negation negation carrier negation strengthening negative concord negative determinative negative particle

modus dicendi Monem einteilige Konjunktion Modus Morph Morphem Morphemgrenze Morphemklasse morphologisches Prinzip morphologische Grundform morphologische Kategorie morphologische Komponente morphologische Konstituente morphologische Konstituentenstruktur morphologische Funktion morphologische Genusdetermination morphologischer Kopf morphologisches Paradigma Morphemkonstanz morphologisches Prinzip morphologischer Status morphologische Struktur morphologischer Umlaut Morphologisierung (1) Morphologisierung (2) Formenlehre Morphologie Morphonologie Morphosyntax motivierte Wortbildung Motivierung Differentialgenus Multiplikativum Multiplikativum Mutation mutatives Verb Benennungskasus episches Präteritum szenisches Präsens heimisches Suffix Natürliche Morphologie n-Deklination Debitiv Negation Negationsträger Negationsverstärkung Mehrfachnegation negatives Determinativ Negationspartikel

841 negative particle negative pronoun negative word neuter neuter gender neutral passive nomen sacrum nominal compound nominal declension nominal determinans nominal prefix nominal pronoun nominalization nominalization nominalization transformation nominalized adjective nominalized infinitive nominative non-contrastive negation non-inflected nominal pre-modifier non-paradigmatic linking element non-transformative aktionsart noun noun noun inflection noun referring to a person noun referring to an object null allomorph number numeral numeral adjective numeral adjective numeral pronoun numerative object case objective case obligatorily reflexive verb obligatory dative obligatory umlaut obviative onomatopoetic interjection open class open word class optative sentence mood ordinal adverb ordinal adverb ordinal numeral origin adjective overgeneralization

10. Englisch-Deutsches Register Negationswort Negationspronomen Negativum Neutrum Neutrum neutrales Passiv nomen sacrum Substantivkompositum nominale Deklination substantivisches Determinans nominales Präfix substantivisches Pronomen Nominalisierung Substantivierung Nominalisierungstransformation substantiviertes Adjektiv substantivierter Infinitiv Nominativ nicht-kontrastierende Negation nomen invarians nicht-paradigmische Fuge intransformative Aktionsart Nomen Substantiv Substantivflexion Personenbezeichnung Gegenstandsbezeichnung Nullallomorph Numerus Numerale quantifikatives Adjektiv Zahladjektiv Zahlpronomen Mengenbezeichnung Objektskasus Objektskasus obligatorisch reflexives Verb obligatorischer Dativ obligatorischer Umlaut Obviativ onomatopoetische Interjektion offene Klasse offene Klasse Wunschmodus Ordinaladverb Zahladverb Ordinalzahlwort Herkunftsadjektiv Übergeneralisierung

10. Englisch-Deutsches Register 842 paradigm paradigmatics paradigmic linking element parallel declension parallel inflection part of speech part of speech partial reflexive verb participial adjective participle particle particle verb partner pronoun part-of-speech continuum passive converse passive voice passive-capable verb past participle past perfect past perfect past tense past tense of aesthetes patient noun perception verb perdurative aktionsart perfect denoting simple past tense perfect stem perfect tense perfective aktionsart perfective formation peripheral case periphrastic conjugation periphrastic verbal construction permissive mood person personal ending personal name personal passive personal pronoun pertinence construction phasal manner of action phasal verb phase aktionsart phonetic form phonological gender assignment phoric adverb phoric pronoun phrasal verb place noun

Paradigma Paradigmatik paradigmische Fuge parallele Deklination parallele Flexion Wortart Wortklasse teilreflexives Verb Partizipialadjektiv Partizip Partikel Partikelverb Partnerpronomen Wortartenkontinuum Passivkonverse Passiv passivfähiges Verb zweites Partizip Plusquamperfekt Präteritumperfekt Präteritum Ästheten-Präteritum nomen patientis verbum sentiendi perdurative Aktionsart Vergangenheits-Perfekt Perfektstamm Perfekt perfektive Aktionsart Perfektivbildung peripherer Kasus periphrastische Konjugation analytische Verbform Permissiv Person Personalendung Personenname persönliches Passiv Personalpronomen Pertinenzkonstruktion Phasenaktionsart Phasenverb Phasenaktionsart Sprachform phonologische Genusdetermination phorisches Adverb phorisches Pronomen Partikelverb nomen loci

843 plerem pluperfect pluperfect denoting simple past tense pluperfect of result plural plural linking element plural of abundance plurale tantum plurale tantum pluralis auctoris pluralis benevolentiae pluralis majestatis pluralis modestiae pluralizability polar adjective polyfunctionality portmanteaumorpheme position relative positive possessive article possessive case possessive dative possessive dative possessive determiner possessive determiner possessive pronoun postposition potential subjunctive predicative adjective predicative adjective predicative possessive pronoun prefix prefix prefixation prefixed verb prefixoid preposition preposition of manner prepositional adjective phrase prepositional adverb prepositional adverb phrase prepositional case prepositional constituent prepositional verbal particle present participle present perfect present perfect of result present stem present tense

10. Englisch-Deutsches Register Plerem Plusquamperfekt Vergangenheits-Plusquamperfekt Resultatsplusquamperfekt Plural Pluralfuge Abundanzplural Pluraletantum Pluralwort pluralis auctoris pluralis benevolentiae pluralis majestatis pluralis auctoris Pluralfähigkeit polares Adjektiv Polyfunktionalität Portmanteaumorphem Positionsrelativ Positiv Possessivartikel Genitiv dativus possessivus Zugehörigkeitsdativ Possessivartikel possessives Determinativ Possessivpronomen Postposition potentialer Konjunktiv intersektives Adjektiv Kopulapartikel prädikatives Possessivpronomen Präfix Vorsilbe Präfigierung Präfixverb Halbpräfix Präposition modale Präposition präpositionales Satzadjektiv Präpositionaladverb präpositionale Satzpartikel Präpositionalkasus Präpositionalglied präpositionale Verbpartikel erstes Partizip Präsensperfekt Resultatsperfekt Präsensstamm Präsens

10. Englisch-Deutsches Register 844 preterite boundary preterite-present preverb primary preposition principal part principle of morpheme consistency privative adjective privative genitive privative verb pro-adjective pro-adverb process verb productive prefix productivity pro-form progressive aspect prohibitive pronominal adjective pronominal adverb pronominal declension pronominal paradigm pronominalization pronoun pronoun of address pronoun-based term of address proper name proper noun proportional conjunction proportional subjunctor prosody prototypical adjective pro-verb pseudo-adjective pseudo-affix pseudo-suffix pseudo-transitive verb pseudo-transitive verb punctual aktionsart punctuation pure infinitive qualitative ablaut quality noun quantificational determinative quantifier quantifier quantifier of species quantifying indefinite pronoun quantitative ablaut quasi-modal particle

Präteritumslinie Präteritopräsens Präverb primäre Präposition Stammform Morphemkonstanz privatives Adjektiv privativer Genitiv privatives Verb Pro-Adjektiv Pro-Adverb Vorgangsverb produktives Präfix Produktivität Verweisform Progressiv Prohibitiv Pronominaladjektiv Pronominaladverb pronominale Deklination pronominales Paradigma Pronominalisierung Pronomen Anredepronomen pronominale Anredeform Eigenname Eigenname proportionaler Subjunktor proportionaler Subjunktor Prosodie prototypisches Adjektiv Pro-Verb Pseudoadjektiv Pseudoaffix Pseudosuffix Mittelverb pseudotransitives Verb punktuelle Aktionsart Interpunktion reiner Infinitiv Abtönung nomen qualitatis quantifizierendes Determinativ Quantifikativum Quantor Gattungszahlwort quantifizierendes Indefinitpronomen Abstufung abtönungsfähige Partikel

845 question mark quotation mark quote sign raising verb ranging adverb real reference pronoun reciprocal pronoun reciprocal verb recombination reduplication reference pronoun referential adjective referential lexical sign reflexive marker reflexive medium reflexive pronoun reflexive verb reflexively used verb regular conjugation regular verb regular verb relational adjective relational adjective relational adverb relational morpheme relational noun relative adjective relative adverb relative article relative comparative relative pronoun replacive morph reporting verb response particle restrictive adjective restrictive adverb restrictive conjunction restrictive conjunctor restrictive particle restrictive subjunctor resultative adjective resultative aktionsart resultative use of the future perfect tense resultative verb resumptive pronoun reverse umlaut root root verb root vowel

10. Englisch-Deutsches Register Fragezeichen Anführungszeichen Anführungszeichen raising verb Einordnungsadverb reines Verweispronomen Reziprokpronomen reziprokes Verb Rekombination Reduplikation Verweispronomen referentielles Adjektiv nennlexikalisches Zeichen Reflexivmarker Reflexivmedium Reflexivpronomen reflexives Verb reflexiv gebrauchtes Verb regelmäßige Konjugation regelmäßiges Verb schwaches Verb relationales Adjektiv Relationsadjektiv relationales Adverb Relationsmorphem relationales Nomen relatives Adjektiv Relativadverb Relativartikel relativer Komparativ Relativpronomen Ersetzungsmorph redeeinleitendes Verb Antwortpartikel restriktives Adjektiv Restriktivadverb restriktive Konjunktion restriktiver Konjunktor restriktive Partikel restriktiver Subjunktor resultatives Adjektiv resultative Aktionsart resultatives Futur II effektives Verb resumptives Pronomen Rückumlaut Wurzel Wurzelverb Wurzelvokal

10. Englisch-Deutsches Register 846 rückumlaut sandhi Saxon genitive scenic perfect s-declension second term of the comparison secondary preposition secondary suffix secondary tense segmentation segmentation phenomenon sein-perfect selection semantem semantic feature semantic feature analysis semantic field semantic gender assignment semantic marker semantic passive semi-finite verb form semi-modal semi-modal semi-modal particle semi-preposition semireciprocal verb semi-suffix sentence adverb sentence closing sign sentence mood separable adjective separable adverb separable verb separate spelling sequential adverb sex sex indication shape adjective sign simple comma simplex verb simplex word s-inflection singular singulare tantum situational adverb sortal plural sound plural spatial preposition

Rückumlaut Sandhi sächsischer Genitiv szenisches Perfekt s-Deklination Vergleichskonstrukt sekundäre Präposition Sekundärsuffix Nebentempus Segmentierung Gliederungssignal sein-Perfekt Selektion Semantem semantisches Merkmal Merkmalanalyse Wortfeld semantische Genusdetermination semantisches Merkmal semantisches Passiv semifinite Verbform Halbmodale Modalitätsverb abtönungsfähige Partikel Halbpräposition teilreziprokes Verb Halbsuffix Satzadverb Satzschlusszeichen modus dicendi dislozierbares Adjektiv diskontinuierliches Adverb trennbares Verb Getrenntschreibung Sequenzadverb Sexus Movierung Formadjektiv Zeichen einfaches Komma Simplexverb Simplex s-Flexion Singular Singularetantum Situationsadverb Sortenplural äußerer Plural lokale Präposition

847 special negation special negation specific onymic morph split construction statal construction stative verb status adverb stem stem alternation stem constancy principle stem formation stem inflection stem principle stem syllable stem vowel stem-forming morpheme stem-forming suffix stress stress placement strong declension strong noun strong syllable strong verb structural meaning subjunctive subjunctive I subjunctive II subjunctive in the optative mood subjunctive mood subjunctive of unreal comparison subjunctor sublative submorph subordinate clause verb subordinating adversative conjunction subordinating conjunction substantive substitutional morph substitutive infinitive substitutive subjunctor subtractive linking element suffix suffix deletion suffix formation suffix position suffix substitution suffix variant suffixation superlative

10. Englisch-Deutsches Register kontrastierende Negation Sondernegation spezifisch onymisches Morph dislozierbares Element Zustandsform Zustandsverb Statusadverb Stamm Stammalternation morphologisches Prinzip Stammbildung Stammflexion Morphemkonstanz Stammsilbe Stammvokal stammbildendes Morphem stammbildendes Suffix Akzent Akzentstelle starke Deklination starkes Substantiv Vollsilbe starkes Verb strukturelle Bedeutung Konditional Konjunktiv I Konjunktiv II optativer Konjunktiv Konjunktiv Konjunktiv des irrealen Vergleichs Subjunktor Sublativ Submorph Nebensatzverb adversativer Subjunktor Subjunktor Substantiv Ersetzungsmorph Ersatzinfinitiv substitutiver Subjunktor Subtraktionsfuge Suffix Suffixtilgung Suffixentstehung Suffixposition Suffixtausch Suffixvariante Suffigierung Superlativ

10. Englisch-Deutsches Register 848 superlative adverb supine supine stem suppletion suppletive comparative form suppletive form suppletive stem suppletive verb support verb support verb construction suprasegmental suspended hyphen suspension point suspensive hyphen swung dash syllabic inflectional ending syllabic plural syllabification syllable structure syllable-timed symbolic sign sympathetic dative synaffix syncategorematic syncope syncretism synsemantic synsemantic word syntactic paradigm syntactic passive synthetic compound synthetic form synthetic verb form system of tenses tagmeme taxonomic telic aktionsart temporal adjective temporal dative temporal particle temporal preposition temporal subjunctor temporality tense tense stem tense-neutral form term of address term-forming subordinating conjuction terminative aktionsart

Superlativadverb Supinum Supinstamm Suppletion suppletiver Komparativ Suppletivform Suppletivstamm Suppletivverb Nominalisierungsverb Nominalisierungsverbgefüge suprasegmental Ergänzungsstrich Auslassungspunkt Ergänzungsstrich Tilde silbisches Flexionssuffix silbischer Plural Syllabierung Silbenstruktur silbenzählend symbolisches Zeichen dativus sympatheticus Synaffix synkategorematisch Synkope Synkretismus synkategorematisch Synsemantikon syntaktisches Paradigma syntaktisches Passiv Zusammenbildung synthetische Form synthetische Verbform Tempussystem Tagmem taxonomisch telische Aktionsart Temporaladjektiv dativus temporis Temporalpartikel temporale Präposition temporaler Subjunktor Temporalität Tempus Tempusstamm tempusneutrale Form Anredeform termbildender Subjunktor terminative Aktionsart

849 thematic vowel theme vowel tilde time before a time before a past time time preposition tmesis transfix transformative aktionsart transitive transitive adverb transitive verb transitive-intransitive verb transitivity two-case preposition two-way preposition umlaut unaccusative verb unaccusative verb uncategorizable stem uncountable noun underspecified paradigm uninflected uninflected adjective uninflected word univerbation universal quantifier unmarked case unmarked gender unmarked inflection type unspecified gender vacillation in declension variant of the passive verb verb inflection with back umlaut verb inflection with rückumlaut verb of change verb of inversion verb of nominative-accusative inversion verb of nominative-dative inversion verb particle verb related to modal verbs verb taking a nonfinite verb form verb with back umlaut verb with rückumlaut verbal adjective verbal category verbal category verbal constituent verbal derivative

10. Englisch-Deutsches Register Themavokal Themavokal Tilde Vor-Vorvergangenheit temporale Präposition Tmesis Transfix transformative Aktionsart transitiv transitives Adverb transitives Verb transitiv-intransitives Verb Transitivität Wechselpräposition Wechselpräposition Umlaut ergatives Verb unakkusativisches Verb kategorienloser Stamm Massennomen unterspezifiziertes Paradigma unflektierbar unflektiertes Adjektiv nicht-flektierendes Wort Univerbierung Allquantor merkmalloser Kasus unmarkiertes Genus unmarkierter Flexionstyp unmarkiertes Genus Deklinationsschwankung Passivvariante Verb rückumlautende Verbflexion rückumlautende Verbflexion mutatives Verb Inversionsverb Akkusativinversionsverb Dativinversionsverb Verbpartikel modalverbähnliches Verb Infinitverb Rückumlautverb Rückumlautverb Verbaladjektiv verbale Kategorie Verbalkategorie Verbalkonstituente abgeleitetes Verb

10. Englisch-Deutsches Register 850 verbal form verbal inflection verbal modification verbal mood verbal mood with complete paradigm verbal mood with defective paradigm verbal noun verbal paradigm verbal paradigm verbal particle verbal prefix verbal prefixation verbal system verb-governed preposition verbum curandi verbum defectivum verbum dicendi verbum impediendi verbum proprium verbum substantivum vocative voice volitive subjunctive vowel alternation vowel change vowel gradation weak declension weak masculine noun weak noun weak verb wearer dative weather verb wh-adverb wh-deixis wh-determiner wh-word word word class word class word class meaning word coda word family word form word formation word grammar word onset word stress word structure zero allomorph

Verbform Verbflexion Verbmodifikation Verbmodus Vollmodus Halbmodus Verbalsubstantiv verbales Paradigma Verbparadigma Verbzusatz Verbpräfix Verbpräfigierung Verbalsystem verbregierte Präposition verbum curandi verbum defectivum verbum dicendi verbum impediendi verbum proprium verbum substantivum Vokativ genus verbi volitiver Konjunktiv Vokalwechsel Vokalwechsel Ablaut schwache Deklination schwaches Maskulinum schwaches Substantiv schwaches Verb Träger-Dativ Witterungsverb w-Adverb w-Deixis w-Determinativ w-Wort Wort Wortart Wortklasse Wortartenbedeutung Wortausgang Wortfamilie Wortform Wortbildung Wortgrammatik Worteingang Wortakzent Wortstruktur Nullallomorph

851 zero article zero declension zero linking element zero morph zero plural zero suffix

10. Englisch-Deutsches Register Nullartikel Nulldeklination Nullfuge Nullmorph Nullplural Nullsuffix

Äußere Zugriffspfade, interne Verweiswege und Artikelaufbau in WSK 1.1 A B C D

von der Systematischen Einführung zum Synopseartikel vom Synopseartikel zu den Einzel- oder Synopseartikeln vom Synopseartikel zur Systematischen Einführung vom Einzelartikel zum Synopseartikel

E vom Einzelartikel zum Einzelartikel F vom engl.-dt. Register zum Einzel- oder Synopseartikel G vom Verweisartikel zum Einzelartikel

Synopseartikel

Differentialgenus Flexionsmerkmal Genusdetermination Genusmarkierung Genusrektion Genusschwankung Merkmal morphologische Kategorie unmarkiertes Genus

Merkmalklasse vieler Sprachen bei allen deklinierbaren Wortarten. ▲ gender: property of many languages in all declinable word classes. Mit der nominalen grammatischen Kategorie des Genus (oder Kategorisierung, vgl. z.B. Eisenberg 2006, Bd. 2: 18ff.) werden Substantive im Sinne von lexikalischen Wörtern kategorisiert. Ein bestimmtes Subst. hat ein festgelegtes Genus, wobei das Dt. drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum) hat. Andere nominale Wortarten (Artikelwörter, Adjektive, Pronomen) haben kein Genus als Wortkategorie. Sie sind aber meist nach dem Genus flektierbar und können somit in allen drei Genera vorkommen. [...]

C

F

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ [...]◾Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾[...]

Synonym(en)angabe

≡ Halbmodalverb

Systematische Einführung

WSK 1.1: Adjektiv; Affix; Akkusativ; Aktionsart; Aktiv (1); Aktiv (2); Dativ; Deklination; Flexion; Form; Formenlehre; Futur; Genitiv; Genus; Indikativ; Kasus; Komparation; Konjugation; Konjunktiv; Modus; Morph; Morphem; Morphologie; Nominativ; Numerus; Passiv; Perfekt; Person; Plural; Plusquamperfekt; Präsens; Präteritum; Singular; Substantiv; Suffix; Tempus; Verb WSK 1.2: Funktion; Kategorie

deutsche Definiensangabe englische Äquivalentangabe englische Definiensangabe

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

Literaturangaben

E

Einzelartikel in WSK 1.2 Verbalkomplex

Beispielangaben

Angabe des Autorennamens

Michaił L. Kotin

↔ Modalverb; Vollverb → haben-zu-Konstruktion; Modalitätsverb; Partikel; Verb → Gram-Syntax: Verbalkomplex

Antonym(en)angabe

Verweisposition am Ende von § 16

Einzelartikel

Das Halbmodale ist ein Modalitätsverb, welches das im Infinitiv stehende Vollverb aus der Subjekt- bzw. der Sprecherperspektive modifiziert. Es bezeichnet Annahmen, Vermutungen, Absichten oder sonstige Kommentare, die entweder aus der Perspektive des Agens in der Funktion des Satzsubjekts geäußert werden oder die der Sprecher bzgl. des durch das Vollverb denotierten Sachverhalts zum Ausdruck bringt. (1) ist ein Beispiel für die agensbezogene Modalität, (2) für die sprecherbezogene Modalität. (1) Die Regierung verspricht in diesem Finanzjahr von Steuererhöhungen abzusehen. (2) Wolfgang scheint das Problem zu begreifen. Zu den Halbmodalen gehören sämtliche Verben, die nicht alleine das Prädikat bilden können, sondern einer Infinitivergänzung mit zu bedürfen, unabhängig von ihrer Semantik, vgl. u.a. pflegen ['gewohnheitsmäßig tun'], drohen, versprechen, scheinen ['wahrscheinlich sein'], beabsichtigen [mit zu + Infinitivergänzung], glauben ['behaupten'].

Verweis(e) auf das graphemgleiche Lemma in einem deutschsprachigen WSK-Band

§ 16 Flexion

G

Verb, das in Verbindung mit der Partikel zu und der Infinitivform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bildet. ▲ semi-modal: verb that, in connection with the particle to and the infinitive of another verb, forms a complex sentence predicate.

weiterführende Erklärungen als Angabetext

Verweis(e) auf das Lemma in einem englischsprachigen WSK-Band, das graphemgleich mit dem englischen Äquivalent ist

Halbmodalverb ≡ Halbmodale

Halbmodale

Lemma

B

Edyta Błachut ≡ Geschlecht; grammatisches Geschlecht ↔ Sexus → § 9, 15, 16; Differentialgenus; Flexionsmerkmal; Genus­de­ ter­mination; Genusmarkierung; Genusrektion; Genus­ schwan­kung; Merkmal; morphologische Kategorie; unmarkiertes Genus → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; Kongruenz ⇀ Genus (CG-Dt; HistSprw; Sprachphil; Onom) ⇁ gender (CG-Engl; Typol; Media)

Verweisartikel

gender  Genus […] […] semi-modal  Halbmodale

F

Einzelartikel in WSK 1.1

Genus

A

englisches Äquivalentzugriffsregister

Verweise auf Lemmata in WSK 1.1 Verweise auf Lemmata in WSK 1.2

D E

Einzel- und Synopseartikel haben-zu-Konstruktion Modalitätsverb Partikel Verb

Outer access routes, internal cross-reference routes and article structure in WSK 1.1 A B C D

from the Systematic Introduction to a synopsis article E from a synopsis article to single articles or synopsis articles F from a synopsis article to the Systematic Introduction from a single article to a synopsis article G

from a single article to a single article from the English-German register to a single article or synopsis article from a cross-reference article to a single article

synopsis article

Differentialgenus Flexionsmerkmal Genusdetermination Genusmarkierung Genusrektion Genusschwankung Merkmal morphologische Kategorie unmarkiertes Genus

Merkmalklasse vieler Sprachen bei allen deklinierbaren Wortarten. ▲ gender: property of many languages in all declinable word classes. Mit der nominalen grammatischen Kategorie des Genus (oder Kategorisierung, vgl. z.B. Eisenberg 2006, Bd. 2: 18ff.) werden Substantive im Sinne von lexikalischen Wörtern kategorisiert. Ein bestimmtes Subst. hat ein festgelegtes Genus, wobei das Dt. drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum) hat. Andere nominale Wortarten (Artikelwörter, Adjektive, Pronomen) haben kein Genus als Wortkategorie. Sie sind aber meist nach dem Genus flektierbar und können somit in allen drei Genera vorkommen. [...]

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F

🕮 Bańko, M. [2005] Wykłady z polskiej fleksji. Warschau ◾ Booij, G. [2002] The Morphology of Dutch. Oxford ◾ Corbett, G.G. [1991] Gender. Cambridge ◾ Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ [...]◾Eisenberg, P. [2006] Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchges. Aufl. Stuttgart [etc.] ◾[...]

§ 16 Flexion cross-reference position at the end of § 16 WSK 1.1: Adjektiv; Affix; Akkusativ; Aktionsart; Aktiv (1); Aktiv (2); Dativ; Deklination; Flexion; Form; Formenlehre; Futur; Genitiv; Genus; Indikativ; Kasus; Komparation; Konjugation; Konjunktiv; Modus; Morph; Morphem; Morphologie; Nominativ; Numerus; Passiv; Perfekt; Person; Plural; Plusquamperfekt; Präsens; Präteritum; Singular; Substantiv; Suffix; Tempus; Verb WSK 1.2: Funktion; Kategorie

single article

item giving the German definiens item giving the English equivalent item giving the English definiens

Das Halbmodale ist ein Modalitätsverb, welches das im Infinitiv stehende Vollverb aus der Subjekt- bzw. der Sprecherperspektive modifiziert. Es bezeichnet Annahmen, Vermutungen, Absichten oder sonstige Kommentare, die entweder aus der Perspektive des Agens in der Funktion des Satzsubjekts geäußert werden oder die der Sprecher bzgl. des durch das Vollverb denotierten Sachverhalts zum Ausdruck bringt. (1) ist ein Beispiel für die agensbezogene Modalität, (2) für die sprecherbezogene Modalität. (1) Die Regierung verspricht in diesem Finanzjahr von Steuererhöhungen abzusehen. (2) Wolfgang scheint das Problem zu begreifen. Zu den Halbmodalen gehören sämtliche Verben, die nicht alleine das Prädikat bilden können, sondern einer Infinitivergänzung mit zu bedürfen, unabhängig von ihrer Semantik, vgl. u.a. pflegen ['gewohnheitsmäßig tun'], drohen, versprechen, scheinen ['wahrscheinlich sein'], beabsichtigen [mit zu + Infinitivergänzung], glauben ['behaupten'].

cross-reference(s) to the ­grapheme-like lemma in a ­German language WSK volume

Systematic Introduction

G

Verb, das in Verbindung mit der Partikel zu und der Infinitivform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bildet. ▲ semi-modal: verb that, in connection with the particle to and the infinitive of another verb, forms a complex sentence predicate.

further explanations as item text

cross reference(s) to the lemma in an English-language WSK volume that is grapheme-like with the English equivalent

Halbmodalverb ≡ Halbmodale

Halbmodale

lemma

B

Edyta Błachut ≡ Geschlecht; grammatisches Geschlecht ↔ Sexus → § 9, 15, 16; Differentialgenus; Flexionsmerkmal; Genus­de­ ter­mination; Genusmarkierung; Genusrektion; Genus­ schwan­kung; Merkmal; morphologische Kategorie; unmarkiertes Genus → Gram-Syntax: Kategorie; Kategorisierung; Kongruenz ⇀ Genus (CG-Dt; HistSprw; Sprachphil; Onom) ⇁ gender (CG-Engl; Typol; Media)

cross-reference article

gender  Genus […] […] semi-modal  Halbmodale

F

single article in WSK 1.1

Genus

A

English-German access register

item giving a synonym

Michaił L. Kotin ≡ Halbmodalverb ↔ Modalverb; Vollverb → haben-zu-Konstruktion; Modalitätsverb; Partikel; Verb → Gram-Syntax: Verbalkomplex

item giving an antonym

🕮 Duden [2005] Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erw. Aufl. (Duden 4). Mannheim [etc.] ◾ Eisenberg, P. [1998] Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart [etc.] ◾ Engel, U. [2004] Deutsche Grammatik. Neubearb. München ◾ Zifonun, G. et al. [1997] Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (SchIDS 7). Berlin [etc.].

item giving bibliographic references

E

single article in WSK 1.2 Verbalkomplex

items giving an example

item giving the name of the author(s) cross-references to lemmata in WSK 1.1 cross-references to lemmata in WSK 1.2

D E

single articles and synopsis articles haben-zu-Konstruktion Modalitätsverb Partikel Verb