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German Pages 241 [242] Year 2019
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 11
Governance-Strukturen im Energierecht Von Philip Stomberg
Duncker & Humblot · Berlin
PHILIP STOMBERG
Governance-Strukturen im Energierecht
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs
Band 11
Governance-Strukturen im Energierecht
Von Philip Stomberg
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-15416-6 (Print) ISBN 978-3-428-55416-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85416-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist das Produkt meiner Promotionszeit an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Sie wurde im März 2016 der Juristischen Fakultät vorgelegt und im WS 2017/2018 als Dissertation angenommen. Die Arbeit befindet sich grundsätzlich auf dem Stand ihrer Einreichung, eine Aktualisierung konnte noch bis zum Jahreswechsel 2017/2018 vorgenommen werden. Der erste Dank gilt meinem Doktorvater und früheren Chef am Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht der Universität Heidelberg, Herrn Professor Dr. Wolfgang Kahl, M. A. Er förderte mich bereits während meiner Studienzeit an der Universität Bayreuth und bot mir im Anschluss hieran die Möglichkeit, die vorliegende Arbeit in einer von großer Offenheit und Vertrauen geprägten Arbeitsatmosphäre zu erstellen. Für die eröffneten Chancen bin ich ihm zu tiefstem Dank verpflichtet. Herrn Professor Dr. Bernd Grzeszick, LL.M., danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und Frau Professorin Dr. Anne Peters, LL.M., für die Übernahme des Vorsitzes im Rahmen der Disputation. Der Universität Heidelberg bin ich für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums aus Mitteln der Exzellenzinitiative zu großem Dank verpflichtet. Der Kanzlei Rittershaus Rechtsanwälte, allen voran Herrn Dr. Hartmut Fischer, in dessen Abteilung für Öffentliches Recht ich während eines Teils meiner Promotionszeit gearbeitet habe, danke ich für die stets angenehme Arbeitsatmosphäre, wertvolle Einblicke in die Praxis und die gewährten Freiheiten, die die Fertigstellung dieser Arbeit ermöglichten. Den Herausgebern der vorliegenden Schriftenreihe, Herrn Professor Dr. Markus Ludwigs und Herrn Professor Dr. Ralf Brinktrine, möchte ich sehr für die ausgesprochen schnelle und unkomplizierte Aufnahme meiner Arbeit danken. Dem gesamten Team von Duncker & Humblot gilt mein Dank für die Betreuung der Veröffentlichung. In ganz besonderer Erinnerung wird mir das kollegiale, ja freundschaftliche Miteinander am Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht sowie an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg insgesamt bleiben. Das Arbeiten und Forschen in einem derart renommierten Umfeld in gleichzeitig so inspirierender und angenehmer Arbeitsatmosphäre empfand ich als besonderes Privileg. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die stetige Hilfsbereitschaft und den Austausch mit Herrn Dr. Patrick Hilbert. Ebenso gilt mein
Vorwort
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Dank Frau Dr. Yasemin Çevrim, Frau Dr. Ulrike Schuster, Herrn Dr. Marcus Schmidtchen, Frau Dr. Franziska Buchwald, Herrn Dr. Jochen Rauber sowie Herrn Professor Dr. Andreas Glaser und Herrn Professor Dr. Jan Henrik Klement. Der größte Dank gebührt mit meiner Mutter, Heike Stomberg, meinen beiden Schwestern, Yandina und Kira Stomberg, sowie meiner Partnerin, Soja Schedrinski, den Menschen, die mich in meinem Leben am meisten unterstützen. Meine Mutter gab meinen Schwestern und mir stets den Rückhalt, der es, gerade auch nach dem leider viel zu frühen Tod meines Vaters, überhaupt erst ermöglichte, den gesamten Bildungsweg zu gehen. Für ihre bedingungslose Unterstützung bin ich von Herzen dankbar. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Hannover, Februar 2019
Philip Stomberg
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Teil
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen einer rechtswissenschaftlichen Governance-Analyse, insbesondere im Energiebereich 15
§ 1 Wandel in der Energiewirtschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Staatliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Staatliche Verantwortungsstufen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 III. Änderung der Verantwortungsstufen im Energierecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes aus dem Jahr 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Bezugsrahmen für das Governance-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 V. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Grundsätzliche Tauglichkeit des Governance-Konzepts im Energiesektor . 47 II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft 49 1. Der Governance-Begriff und seine Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Weiter Governance-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Enger Governance-Begriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Steuerung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Voraussetzungen für die Anschlussfähigkeit des Governance-Begriffs in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Anforderungen der Rechtswissenschaft an Governance . . . . . . . . . . . 69 b) Governance und Systemtheorie – zwei ähnlich gelagerte Theorie angebote? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Bindungen staatlicher Akteure in Governance-Strukturen . . . . . . . . . 75 d) Governance als Herausforderung für Demokratiemodelle . . . . . . . . . 78 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
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Inhaltsverzeichnis 2. Teil
Governance-Strukturen im Energierecht 95
§ 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Governance und Rechtsetzung im Bereich der Kernenergienutzung .. 98 2. Governance und Rechtsetzung im Bereich der Kraft-WärmeKopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Kooperative Normvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Governance und Rechtsetzung im Europäischen Energierecht .. . . . . . . 113 5. Offene Methode der Koordinierung und Europäisches Energierecht .. 122 II. Governance im Bereich der Rechtsetzung und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Exekutive Governance-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Zunehmende Verdichtung der Governance-Strukturen .. . . . . . . . . . . . . . 148 a) Horizontalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Unabhängige nationale Regulierungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Weitergehende Verflechtung zwischen nationalen Regulierungs behörden, ACER und Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Governance im Bereich der Exekutive und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Der Energiecharta-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Hintergrund .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Erstes Beispiel: Vattenfall und der Atomausstieg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Zweites Beispiel: Vattenfall und das Steinkohlekraftwerk HamburgMoorburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Governance im Bereich der Rechtsprechung und Demokratie . . . . . . . . . . . . . 196 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Einleitung Einleitung
Das europäische Energierecht ist gegenwärtig durch zwei – gerade wegen ihres wechselseitigen Zusammenwirkens1 – nicht immer eindeutig voneinander zu trennende Tendenzen geprägt. Zum einen ist unverkennbar, dass die Nationalstaaten in dem sensiblen Bereich der netzgebundenen Energiewirtschaft nur schwerlich bereit sind, Einfluss zu teilen oder gar abzugeben. Das Bewahren nationalstaatlichen Einflusses im Bereich der Energiepolitik wird dabei nicht selten mit dem Erhalt nationaler Souveränität gleichgesetzt2, wie dies auch im Zuge des Rückkaufs eines EnBW-Aktienpaketes von der französischen Électricité de France (EDF) durch die baden-württembergische Landesregierung im Jahr 2010 wiederum deutlich wurde.3 Die Ursprünge einer solchen Sichtweise mögen schon darin liegen, dass die Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen zur Garantie einer funktionierenden Energieversorgung seit jeher als eine der originären Staatsaufgaben angesehen wurde, in die nicht-staatliche Akteure lange Zeit4 überhaupt keinen Eintritt finden sollten.5 Ein derart nationalstaatlich motivier1 Allgemein zum Verhältnis der nationalen Energiepolitiken zum Unionsrecht Lecheler/Recknagel, Energierecht, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht, 40. Ergänzungslieferung Juni 2016, M., Rn. 1 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang bereits das von der Kommission verabschiedete Weißbuch „Eine Energiepolitik für die Europäische Union“, KOM (95) 682 endg., S. 1, in dem diese eine vollständige Unterordnung der nationalen Energiepolitiken unter die gemeinsamen Ziele forderte, wie sie auf der Gemeinschaftsebene festgelegt würden. 2 Vgl. Franzius, Warum Governance?, KJ 2009, S. 25 (25), der in diesem Kontext bezogen auf Energieversorgungsunternehmen vom Erhalt der „national champions“ spricht. 3 Vgl. das Interview mit dem seinerzeitigen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg Stefan Mappus, FAZ.NET-Gespräch vom 06. 12. 2010, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/im-gespraech-stefan-mappusdie-schwaebische-hausfrau-wird-begeistert-sein-1572939.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018), in dem dieser bekräftigt, es sei für das Land Baden-Württemberg „niemals akzeptabel […], die Mehrheit dieses strategisch wichtigen Unternehmens an einen ausländischen Investor zu verkaufen.“ Die Anteile der EnBW befinden sich seitdem wieder zu 90 Prozent in öffentlicher Hand, vgl. Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1008). 4 Früher wurden hierfür überwiegend militärstrategische Argumente ins Feld geführt, vgl. vor diesem Hintergrund etwa die umfangreichen Ermächtigungen des Reichswirtschaftsministers zur Sicherstellung der Landesverteidigung in § 13 EnWG 1935; vgl. auch Franzius, Warum Governance?, KJ 2009, S. 25 (25). 5 So in seinem Ursprung bereits Smith, Wohlstand der Nationen, 1789, S. 582, der dem Staat originär drei Aufgaben zuerkennt: die Verteidigungspolitik des Landes, den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit durch ein zuverlässiges Justizwesen sowie die Gründung öffentli-
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Einleitung
tes Privatisierungsmisstrauen prägte das politische Handeln in vielen europäischen Staaten6 bis in die jüngste Vergangenheit.7 Aufgebrochen wurden derartige Strukturen erst durch eine weitere für das Energierecht auszumachende Tendenz: die zunehmende Einbindung der Energiewirtschaft in den europäischen Zusammenhang.8 Insbesondere durch diese ist ein Wandel im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft9 eingetreten, der die Grundlage sowohl für das Aufkommen zahlreicher neuer Akteure, als auch – in Reaktion hierauf – für die Etablierung cher Anstalten und Einrichtungen, die Private nicht sinnvoll betreiben könnten, weil der Gewinn die Kosten niemals decken könne; hierauf eingehend Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 304 f.; siehe auch bereits Hesse, Staatsaufgaben, 1979, S. 55 ff.; allgemein zur Gütererbringung durch den Staat Waechter, Verwaltungsrecht im Gewährleistungsstaat, 2008, S. 138 ff. 6 Zu Vorbehalten der französischen Politik gegenüber dem Markt in Energiefragen vgl. jüngst Schubert, Energiepolitik in Frankreich – Zaudern statt Handeln, in: FAZ.net v. 21. 08. 2013, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ energiepolitik-in-frankreich-zaudern-statt-handeln-12540085.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018); so auch Franzius, Warum Governance?, in: KJ 2009, S. 25 (25); zum Verhältnis von Staat und Markt in Europa ders., Gewährleistung im Recht, 2009, S. 364 ff.; zu Letzterem vgl. Kahl, Rezension, AöR 135 (2010), S. 452 (452 ff.). 7 Noch heute gibt es Vorschläge zu einer erneuten Verstaatlichung im Energieversorgungsbereich, insbesondere in Bezug auf die Energieversorgungsnetze. Vgl. zu den vermeintlichen Vorteilen einer Verstaatlichung Helm, Infrastructure investment, the cost of capital, and regulation: an assessment, in: Oxford Review of Economic Policy, Vol. 25/3 (2009), S. 307 (320); vgl. auch eine diesbezügliche Pressemitteilung der Partei „Die Linke“, abrufbar unter http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/abgeordnete/energienetze-verstaatlichen/ (zuletzt aufgerufen am 25. 04. 2016); vgl. in diesem Zusammenhang und im Zuge der aktuellen Debatte zur Etablierung einer europäischen Energieunion Rodi/ Behm, Die Energieunion – rechtliche und politische Gehalte einer neuen europäischen Spezialunion, ZEuS 2016, S. 177 (200), die vor dem Hintergrund anhaltender energiepolitischer Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten zu Recht die Frage aufwerfen, wie viel ein solches Vorgehen wert ist, wenn die Interdependenzen im Energiebereich, etwa mit Blick auf die nationale Importabhängigkeit von Energieressourcen, eine autonome und effektive nationalstaatliche Energiepolitik ohnehin konterkarieren. 8 Vgl. Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung 42 (2009), S. 463 (466), der die Europäisierung und Internationalisierung des Rechts als wichtigste Herausforderung für das System des deutschen Verwaltungsrechts beschreibt; ders., Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski, Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (208 ff.); ferner Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 14 f., 94 ff., der in diesem Zusammenhang gar von einer „zweiten Phase des Öffentlichen Rechts“ ausgeht; zu jüngsten Bestrebungen der Europäischen Kommission hinsichtlich der Etablierung einer „Energieunion“ Germelmann, Die Energieunion – Eine neue Perspektive für die europäische Energiepolitik, EuR 2016, S. 3 (3 ff.). 9 Zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Ausgangspunkt Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/ Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (190).
Einleitung
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der unterschiedlichsten Modi der staatlichen und gesellschaftlichen Koordination bildet. Im Rahmen dieser beiden Entwicklungen sind drei Aspekte, gleichsam Leitgedanken, auszumachen, denen das europäische Energierecht in jüngster Vergangenheit folgt. Auffällig ist (auch) im Energiebereich erstens die zunehmende Schaffung von „weichen Vorgaben“, in denen – insbesondere seitens der politikwissenschaftlichen Literatur10 – häufig ein adäquates Mittel zur Lösung staatlicher Probleme gesehen wird, zumindest so lange, wie sich klassisch formale Regulierungsversuche als vermeintlich unzureichend erweisen. Dies geht soweit, dass selbst in Bereichen, die keiner originären Zuständigkeit der Europäischen Union unterliegen, gleichsam „durch die Hintertür“ mittels soft law zumindest indirekte Bindungen der Mitgliedstaaten erzeugt werden. Allein die Annahme der vermeintlichen Zweckmäßigkeit eines europaweit einheitlichen Vorgehens scheint in diesem Zusammenhang als Rechtfertigung zu dienen. Hinzu tritt zweitens der vielfache Versuch der Etablierung einer Struktur der Selbstregulierung im Energiebereich.11 Auch wenn sich der Gesetzgeber mit der Energierechtsnovelle 2005 für eine Aufgabe der erst 1998 eingeführten regulierten Selbstregulierung mit dem Modell des sog. verhandelten Netzzugangs entschied12, so zeigen doch jüngere Vorstöße der Europäischen Union schon wieder erste in diese Richtung gehende Ansätze, wenn etwa die Verordnung (EG) Nr. 714/200913 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel bzw. die Verordnung (EG) Nr. 715/200914 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen die formale Einbindung der Über-
10 Vgl. nur Grande, The Regulatory State in the European System of Multi-Level Governance, 2006, S. 9 f.; Sanden, Die New Governance-Ansätze in der Europäischen Wirtschaftspolitik, 2009, S. 183. 11 Allgemein zu diesem Themenkomplex vgl. etwa Rauch, Selbstregulierung in der Energiewirtschaft, 2011. 12 Zur diesbezüglichen Grundentscheidung des Gesetzgebers vgl. etwa Gundel/ Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (766); Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (625). 13 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 15. 14 Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005, ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 36.
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Einleitung
tragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber in den transnationalen Regulierungsprozess vorsehen.15 Als Reaktion auf die im Zusammenhang mit den eingeführten Elementen der Selbstregulierung teilweise auftretenden Schwierigkeiten folgte – drittens – die zunehmende Einrichtung unabhängiger Akteure im Bereich der Energiepolitik, sei es in Form von unabhängigen nationalen Regulierungsbehörden, der Gründung von europäischen Agenturen, um eine effektive Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden sicherzustellen, der verbindlich vorgeschriebenen, institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern zur Harmonisierung aller Vorschriften oder dem Aufbau von unabhängigen Energieforen unterschiedlichster Art, durch die eine Institutionalisierung der unmittelbaren Interaktion privater Akteure mit dem Staat entsteht.16 In der Schaffung neutraler, der staatlichen Kontrolle zunehmend entzogener Akteure scheint vermehrt der Schlüssel zur Regulierung des europäischen Energiebinnenmarktes gesehen zu werden. Diese drei, insbesondere die Energiepolitik der Europäischen Union prägenden Leitgedanken verändern das Verhältnis zwischen klassisch staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren auf grundlegende Weise. Gemein ist den genannten Entwicklungen dabei, dass durch sie die vom Bundesverfassungsgericht17 eingeforderte, „ununterbrochene Legitimationskette“ zunehmend nicht mehr nachgewiesen werden kann. Dem Gericht gemäß bedarf die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) einer lückenlos bestehenden Verbindung vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern.18 Im supranationalen Verbund der Europäischen Union bestehen ohnehin Schwierigkeiten, einen derartigen Zurechnungszusam15 Zu europäischen Elementen der Selbstregulierung, dabei Bezüge zum US-amerikanischen Energiemarkt herstellend, Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (244). 16 Vgl. zum letztgenannten Punkt insbesondere die Ziele, wie sie sich die Europäische Kommission maßgeblich vom sog. „Dritten Legislativpaket“ für einen gemeinsamen Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarkt versprach, siehe Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament zum gemeinsamen Standpunkt des Rates über den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, KOM(2008) 904 endg., S. 2 f. 17 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. 02. 1978 – 2 BvR 134/76, 2 BvR 268/76, BVerfGE 47, S. 253 (253); hierzu Schmidt-Jortzig, Anmerkung, DVBl. 1978, S. 796 (796 ff.). 18 Vgl. Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 3, 3. Auflage 2005, § 34 Rn. 16 f.; ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 2, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11 ff.; Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 5; Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europa, 2011, S. 135 f.
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menhang stets zu verwirklichen.19 Im Bereich der Energieversorgung besteht nun umso mehr die Gefahr, dass die Sicherung des Gemeinwohls aus dem Steuerungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang der nationalen Verwaltung zunehmend herausfällt.20 Gerade der von europäischer Seite als vermeintlich vermittelnde Lösung propagierte und insbesondere durch das sogenannte Dritte Binnenmarktpaket21 stark vorangetriebene Weg, der beschriebenen Privatisierungsskepsis einerseits und der Schaffung neuer Staatsferne andererseits dadurch zu begegnen, dass eine Vielzahl unabhängiger Akteure bei der Sicherung des Gemeinwohls zusammenwirkt, birgt aus juristischer Perspektive Gefahren. Ein zentrales Steuerungssubjekt, das als Projektionsfläche für die Ausübung legitimer Macht dient und damit als Legitimationsmittler bei der Normerzeugung beteiligt ist, ist immer schwieriger auszumachen.22 Die Herrschaftsausübung im Energiebereich kann in weiten Teilen immer weniger mit den klassischen Formen der Steuerungstheorie23 beschrieben werden, sei es, weil nicht-staatliche Akteu19 In
diesem Sinne Ruffert, Institutionen, Organe und Kompetenzen – der Abschluss eines Reformprozesses als Gegenstand der Europarechtswissenschaft, EuR 2009, Beiheft 1, S. 31 (33); Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europa, 2011, S. 154 ff.; zur Frage nach der demokratischen Legitimation des Unionshandelns vgl. auch Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 1, Rn. 95 ff.; zur Einordnung der Europäischen Union und zu diesbezüglichen Defiziten vgl. Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/ Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (636 f.). 20 Vgl. im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsrecht diesbezüglich Franzius, Warum Governance?, KJ 2009, S. 25 (26); zum Legitimationssubjekt Volk und Legitimationsobjekt Staatsgewalt Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 5 f. 21 Hierzu etwa Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 ff.; Theobald/ Gey-Kern, Das dritte Energiebinnenmarktpaket der EU und die Reform des deutschen Energiewirtschaftsrechts 2011, EuZW 2011, S. 896 ff.; Gundel, Die Regulierung der europäischen Energiemärkte – Perspektiven nach dem dritten Binnenmarktpaket, WiVerw 2010, S. 127 ff.; Schreiber, Die Änderungen des Gemeinschaftsrechtsrahmens für den Energiesektor im Überblick: Das dritte Legislativpaket, N&R 2009, S. 154 (154 ff.); siehe auch Kühne, Leitplanken und Entwicklungsträger des Energierechts, KSzW 2011, S. 219 (219 ff.). 22 Vgl. in diesem Zusammenhang Lepsius, Standardsetzung und Legitimation, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 345 (356), der die Legitimationsbedürftigkeit zugleich als Folge wie Voraussetzung der Verbindlichkeit einer Norm beschreibt; zur Legitimationsbedürftigkeit auch v. Bogdandy/Dann/Goldmann, Völkerrecht als Öffentliches Recht: Konturen eines rechtlichen Rahmens für Global Governance, Der Staat 49 (2010), S. 23 (28). 23 Zum steuerungstheoretischen Ansatz vgl. etwa Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 17 ff.; jüngst Schubert, Nachhal-
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Einleitung
re zunehmend Mitwirkungsbefugnisse erhalten, sei es aufgrund der Schaffung institutioneller Autonomie bei der Politikentwicklung.24 Ein „omnipotentes“ Steuerungssubjekt existiert vielfach nicht mehr und – eben dies ist das Besondere an den neu geschaffenen Governance-Strukturen im Energiebereich – soll augenscheinlich auch gar nicht mehr existieren.25 Mehr als in wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Schriften berücksichtigt, wird die demokratische Legitimation von Entscheidungsprozessen im Energiebereich – in allen drei Gewalten – durch die geschilderten Entwicklungen ausgedünnt, ohne dass sich hiergegen bisher Widerspruch erheblichen Ausmaßes regen würde. Statt an eine Re-Demokratisierung von Entscheidungsprozessen zu denken, werden – zum Teil auch in rechtswissenschaftlichen Abhandlungen – „outputbezogene“ Denkmuster entwickelt, aus denen bei einem vermeintlich gerechten, praxistauglichen Ergebnis Rückschlüsse auf die sog. „input-Legitimation“ gezogen werden.26 Die Schaffung derartiger Strukturen von Governance im Energiebereich stellt die Rechtswissenschaft, insbesondere die Staats- und Verwaltungswissenschaft, vor neue Herausforderungen gerade unter demokratischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten.
tigkeit und Steuerungstheorie, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, 2016, S. 63 (64 ff.). 24 Vgl. v. Bogdandy/Goldmann, Die Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt durch Politikbewertung, ZaöRV 2009, S. 51 (94). 25 Zum Fehlen eines zentralen Steuerungsobjektes als Wesensmerkmal von Governance Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (636); vgl. auch Schuppert, Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (282 f.), der in der Überwindung der Staatszentriertheit und der Rolle des Staates als nur noch einem Akteur unter vielen eine der wesentlichen Errungenschaften von Governance sieht; ebenso Burris/Kempa/Shearing, Changes in Governance: A Cross-Disciplinary Review of Current Scholarship, Akron Law Review, Band 41 (2008), S. 1 ff. 26 Zu den Begriffen der „input-“ und „output-Legitimation“ kritisch insb. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 652; vgl. zur „output-Legitimation“ Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, S. 21 ff.; ders., Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, in: Schuppert/Pernice/Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 705 (711 ff.); Franzius, Modalitäten und Wirkungsfaktoren der Steuerung durch Recht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 4 Rn. 70 f.; ferner Nowrot, Föderalisierungs- und Parlamentisierungstendenzen in Netzwerkstrukturen, in: Boysen/ Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 15 (27 ff.); A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 517 ff.; vgl. auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 272 f.
1. Teil
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen einer rechtswissenschaftlichen Governance-Analyse, insbesondere im Energiebereich 1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Die vorliegend zu erörternde Frage nach der Existenz und Einordnung rechtlicher Strukturen von Governance im Bereich des Energierechts bedarf der Auseinandersetzung mit allgemeinen Verfassungsprinzipien und -normen. Dies wiederum erfordert – vorgeschaltet – eine Beschäftigung mit der Frage, welche staatlichen Verantwortlichkeiten überhaupt im Energiewirtschaftsrecht bestanden, bestehen und wie sie sich verändert haben. In diesem Zusammenhang sind spezifische Begrifflichkeiten zu klären, die im Kontext der Rollenverteilung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren im Energiebereich immer wieder verwendet werden und die in der Gesamtschau Rückschlüsse zulassen werden.
§ 1 Wandel in der Energiewirtschaft I. Staatliche Verantwortung Untrennbar mit dem Begriff der Governance verbunden und letztlich die Vorbedingung für das Entstehen von Governance-Strukturen ist der viel zitierte „Wandel von Staatlichkeit“27. Die These, dass der Staat in wesentlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nicht länger als allgegenwärtiger und „allmächti-
27 Vgl. den grundlegenden Überblick hierzu bei Schuppert, Was ist und wie misst man Wandel von Staatlichkeit, Der Staat 47 (2008), S. 325 (325 ff.); ders., Zu der sich verändernden Rolle des Staates im Spiegel des Bedeutungsgewinns nicht-staatlicher Akteure, in: Sprengel (Hrsg.), Philanthropie und Zivilgesellschaft, 2007, S. 139 (139 ff.); ders., Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft – oder: Wessen Wohl ist das Gesamtwohl?, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (189 ff.); siehe auch Zürn, Governance in einer sich wandelnden Welt – eine Zwischenbilanz, in: Schuppert/ders. (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 553 (569), der davon spricht, dass der Wandel in den Governanceformen von einem Wandel der Staatlichkeit begleitet wird; ferner Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2. Auflage 2006, S. 195 (200); aus politologischer Sicht Benz, Der moderne Staat, 2. Auflage 2008, S. 259 ff.
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
ger“ Gestalter bereit steht, sondern vielmehr nur noch einen Akteur unter vielen bildet, stellt den Ausgangspunkt aller Governance-Überlegungen dar.28 Das Auftreten des Staates, die staatliche Verantwortungsübernahme, muss sich also im Laufe der Zeit gewandelt haben.29 Im Ausgangspunkt unstreitig anzuerkennen ist, dass die Sicherstellung der Energieversorgung eine öffentliche Aufgabe30 von großer Bedeutung ist.31 Zum Bereich der Daseinsvorsorge zählend, ist sie eine Leistung, derer der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf.32 Allein aus der Qualifizierung als öffentliche Aufgabe können jedoch keine Rückschlüsse auf die jeweils aktuelle Verantwortungswahrnehmung des Staates gezogen werden.33 Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich, dass die Garantie einer funktionierenden Energieversorgung nicht zwingend mit einer staatlichen Selbsterfüllung dieser Aufgabe einhergehen muss.34 Ausschlaggebend für die Ermittlung von Art und Umfang einer staatlichen Verantwor28 Vgl. Engi, Governance – Umrisse und Problematik eines staatstheoretischen Leitbildes, Der Staat 47 (2008), S. 573 (576); Winter, Zur Architektur Globaler Governance des Klimaschutzes – TranState Working Paper No. 145, 2011, S. 2; bereits im Grundsatz kritisch gegenüber dem Governance-Ansatz wegen seines „unklaren und schillernden Bedeutungsgehalts“ Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in der Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 463 (495 ff.). 29 Von der Wandelungsfähigkeit des Staates als selbstverständlich ausgehend Reiners, Wandlungsfähigkeit des Staates, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51 (2003), S. 23 (23 ff.); zum Wandel auch Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (201 ff.). 30 Zur Definition der öffentlichen Aufgabe vgl. etwa Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, insb. S. 532 f., ferner S. 370 f., 572; Korioth, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 30 GG, Rn. 14 f.; Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 22; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 32; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 117; H. Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: FS Nipperdey, 1965, S. 877 (878); andere Ansätze zur Begriffsbestimmung bei Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 175 f. 31 Dies ausdrücklich herausstellend BVerfG, Beschluss vom 20. 03. 1984 – 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258); Le Nestour/Zinow, Rechtsfragen des „Service Public“, RdE 1994, S. 170 (171); Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 205 (226). 32 Vgl. BVerfG, Urteil vom 10. 12. 1974 – 2 BvK 1/73, 2 BvR 902/73, BVerfGE 38, 258 (270 f.); BVerfG, Urteil vom 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, BVerfGE 45, 63 (78 f.). 33 So auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 88. 34 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984 – 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (259), das explizit feststellt, dass die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe auch Privaten überantwortet werden kann.
I. Staatliche Verantwortung
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tungsübernahme im Bereich der Energieversorgung ist das im Zuge der Steuerungs- und Regulierungsdiskussion herausgearbeitete Konzept verschiedener Verantwortungsstufen, dem insbesondere im Kontext der Liberalisierungs- und Deregulierungstendenzen der 1980er und 1990er Jahre35 grundlegende Bedeutung zukam.36 Den in diesem Zeitraum aufkommenden politischen Bestrebungen ging es vorwiegend darum, an die Stelle der von natürlichen Monopolen geprägten Strukturen – etwa des Netzbetriebs im Energiebereich – Wettbewerbsstrukturen zu setzen und damit auf längere Sicht einen europäischen Binnenmarkt zu etablieren.37 Damit war auch die bisher vorherrschende Sichtweise, nach der die Erfüllung der Staatsaufgaben mit der Etablierung eines Staatsmonopols gleichgesetzt wurde,38 rechtlich nicht mehr aufrechtzuhalten. Vielmehr kam es zu dem ersten grundlegenden Wandel in Bezug auf die Formen staatlicher Verantwortungsübernahme. Erstmalig wurden differenzierte Kooperationsformen zwischen dem Staat und privaten Akteuren herausgebildet, die die bisherige Abgrenzung zwischen Staat und Privatwirtschaft zunehmend unmöglich werden ließ. Die Schwierigkeit bestand fortan weniger darin, die Begründung für eine staatliche Verantwortung einen bestimmten Sachbereich betreffend zu finden. Das Augenmerk verschob sich vielmehr auf die Frage nach einem konkreten Austarieren zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Eigeninitiative und damit einer angemessenen Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft im Einzelfall.39 Die 35 Zur Liberalisierung und Deregulierung im Energierecht vgl. etwa Bausch/Rufin, Ein neues Energierecht – Ein weiterer Schritt zur Liberalisierung, ZUR 2005, S. 471 (471 ff.); Zenke/Dessau, Neue Handelsformen: Energie, Finanzinstrumente und CO₂-Zertifikate, in: Schneider/Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Auflage 2013, § 13 Rn. 1; allgemein zur Liberalisierung und Neuordnung wichtiger Wirtschaftszweige seit dem Ende der 1980er Jahre Bullinger, Regulierung als modernes Instrument zur Ordnung liberalisierter Wirtschaftszweige, DVBl. 2003, S. 1355 (1355 ff.). 36 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 88. 37 Vgl. zu diesem Generalziel etwa Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (621) ; Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (766). 38 Zu dieser Gleichsetzung Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 152; Ossenbühl, Staatliches Fernmeldemonopol als Verfassungsgebot?, in: FS Lukes, 1989, S. 525 (528); früh auch bereits Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 62. 39 Vgl. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 152; auf diesen abstellend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 89; auch K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DöV 1975, S. 437 (437 ff., insb. S. 442), der dafür plädiert, das Augenmerk
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Erkenntnis, dass staatliche Verantwortungsübernahme nicht zwingend mit einer staatlichen Selbsterfüllung der Aufgabe einherzugehen hat, hat in der Literatur in der Folge zur Erarbeitung eines Konzepts verschiedener Verantwortungsstufen geführt,40 das als Folge des Aufbrechens der bisher vorherrschenden staatlichen Strukturen auch den Grundstein für die später aufkommende Governance-Diskussion liefert.
II. Staatliche Verantwortungsstufen Mit Blick auf Ausmaß, Form und Grund der staatlichen Verantwortungsübernahme sind zunächst die Verantwortungsbereiche der Erfüllungsverantwortung, der Gewährleistungsverantwortung, der Rahmenverantwortung, der Beobachtungsverantwortung, der Auffangverantwortung und der Privatisierungsfolgenverantwortung zu nennen, wobei dieser Liste weder Absolutheit noch stetige Überschneidungsfreiheit in Abgrenzungsfragen zugemessen werden kann.41 auf das „richtige Maß von Trennung und Verbindung“ in dem oben dargestellten Sinne zu legen. 40 Vgl. Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.); Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (441 f.); ders., Verfahrensprivatisierung als Modernisierung, in: ders./Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 (24 ff.); Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 (974 f.); ders., Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241 (244); Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (423 ff.); Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 337 ff.; Klement, Verantwortung, 2006, S. 57 ff.; auch Ehlers, Verantwortung im Öffentlichen Recht, Die Verwaltung, Band 46 (2013), S. 467 (467 ff., insb. 475 ff.); nachfolgend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 89. 41 Zu den einzelnen Verantwortungsbereichen und einer entsprechenden Zuordnung vgl. auch Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (277 ff.); Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 (550 f.); Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, DVBl. 2002, S. 1167 (1173 ff.); ferner Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.); Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (441 f.); Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 (974 f.); ders., Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241 (244); Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (423 ff.); Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 337 ff.; Klement, Verantwortung,
II. Staatliche Verantwortungsstufen
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Grundlegend für alle weiteren Ausdifferenzierungen ist an dieser Stelle der Übergang von der staatlichen Erfüllungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortung des Staates.42 Während der Staat vor dem Aufkommen der Liberalisierungs- und Deregulierungstendenzen in der Politik seiner Verantwortung im Sinne einer Erfüllungsverantwortung dadurch nachkam, dass er – insbesondere im Energiebereich – die Versorgungsaufgaben in eigener Regie erfüllte und entsprechende Leistungen selbst erbrachte, zeichnete sich der Wandel in der staatlichen Verantwortungswahrnehmung dadurch aus, dass der Staat nunmehr die eigentliche Aufgabenwahrnehmung gesellschaftlichen Akteuren überlässt.43 Insoweit lässt sich von einem teilweisen „Rückzug“ des Staates sprechen. Dies allerdings nur insoweit, dass er weiterhin innerhalb der von ihm bereitgestellten rechtlichen Strukturen für eine angemessene gesellschaftliche Problemlösung einzustehen hat.44 Das bisherige Modell eines Erfüllungsstaates wird somit letztlich weiterentwickelt, ohne dass der Staat die Letztverantwortung für die nunmehr mittels privater Aufgabenerfüllung zu erreichenden positiven gesellschaftlichen Verhältnisse und Zustände aufgäbe.45 In Abgrenzung zum Erfüllungsstaat tut der 2006, S. 57 ff.; Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 123 ff., auch 33 ff.; einen guten Überblick liefernd, wenn auch einen Governance-Zusammenhang außen vor lassend, Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 89 ff., der zu Recht betont, dass die genannte Aufzählung weder abschließend ist noch eine trennscharfe Abgrenzung der sich mitunter überschneidenden Verantwortungsarten möglich ist (ebd., S. 89 f.). 42 Zum Rückzug des Staates aus der Erfüllungsverantwortung und zur Hinwendung zur Gewährleistungsverantwortung Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (201 ff.); Möstl, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 87f GG, Rn. 73 ff.; Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 90 ff. 43 Vgl. Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 90. 44 So Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (441); Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (424); Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, DVBl. 2002, S. 1167 (1175); Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241 (241 f.); Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (201 f.); Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 90. 45 Vgl. Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 18, der betont, der Staat führe den „prinzipiellen sozialgestalterischen Anspruch des wohlfahrtsorientierten Staates“ – wenn auch auf andere Weise – fort.
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Gewährleistungsstaat dies aber gerade nicht durch eigene Leistungserbringung, vielmehr besteht sein neues Rollenverständnis darin, durch die Schaffung geeigneter rechtlicher Strukturen eine Steuerung der privaten Leistungserbringer zu ermöglichen.46 Der Übergang von der Erfüllungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortung des Staates verdeutlicht dabei, dass sich Staatlichkeit – genauer gesagt: die staatliche Aufgabenwahrnehmung – im Laufe der Zeit wandeln kann. Das Selbstverständnis einer Gesellschaft und ihre Sichtweise auf den Staat und seine Aufgabenerfüllung stehen in untrennbarem Zusammenhang zueinander. Wo früher nach einem starken, „omnipotenten“ Staat verlangt wurde, der privaten Akteuren in Kernbereiche grundsätzlich den Zutritt verwehren sollte,47 wird später der Nutzen einer Kooperation zwischen staatlichen und privaten Akteuren erkannt, sei es aus einem neuen wirtschaftlichen Grundverständnis heraus, sei es aus der schlichten Erkenntnis der Notwendigkeit, sich privaten Sachverstand zu Nutze zu machen.48 Schon die Weite der genannten Definition eines Gewährleistungsstaates verdeutlicht dabei die Verschiebung entlang der öffentlich-privaten Achse.49 Für die Erfüllung seiner Aufgaben stehen dem Staat eine Reihe von Optionen zur Verfügung, von der bloßen Schaffung finanzieller Anreize über die Setzung eines verbindlichen rechtlichen Rahmens für die private Aufgabenwahrnehmung bis hin zur Beaufsichtigung mit dem Vorbehalt eines eventuell korrigierenden Eingreifens bei Fehlentwicklungen.50 In all diesen Fällen unter46 Dies unter Rückgriff auf die englische Formulierung „enabling statt providing“ beschreibend Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (441); hierauf abstellend Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (424); den Gesichtspunkt des „enabling“ besonders herausstellend Franzius, Der Gewährleistungsstaat, VerwArch 99 (2008), S. 351 (355). 47 Vgl. in diesem Kontext die grundsätzlichen Erläuterungen von Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1789, S. 582; ferner Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 304 f.; Hesse, Staatsaufgaben, 1979, S. 55 ff.; Waechter, Verwaltungsrecht im Gewährleistungsstaat, 2008, S. 138 ff. 48 Zur Überwindung von Wissensdefiziten gerade auf Seiten staatlicher Behörden vgl. Bauer, „Collaborative Governance“ – Ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (240), der insoweit von der „Überwindung regulatorischer Informationsasymmetrien“ spricht; allgemein zum Problemkreis „Governance durch Wissen“ vgl. die Beiträge in: Schuppert/Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008. 49 Zu Veränderungen entlang der „public-private Achse“ Wendt/Dingeldey/Martens/ Starke/Zimmermann, Der Wandel des Interventionsstaates, TransState Working Paper No. 50, 2007, S. 10. 50 Zu weitergehenden Ausdifferenzierungen Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung DÖV 1997, S. 433 (441 f.); Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatlicher Verantwortung, DVBl. 2002, S. 1167 (1175); zur Weite des Begriffsverständnisses und zu den dem Staat zur Verfügung stehen-
II. Staatliche Verantwortungsstufen
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schiedlicher Intensität und Form der staatlichen Aufgabenwahrnehmung kommt der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung nach. Diese stellt sich folglich als Oberbegriff dar, unter den sich andere Elemente der Verantwortungswahrnehmung in konkreterer Ausprägung subsumieren lassen51 und unterhalb dessen sich die eigentlich relevanten Fragen einer staatlichen Steuerung im Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Akteuren stellen.52 Dabei ist anhand des Einzelfalls zu differenzieren: So kann es zur Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung ausreichen, dass der Staat sich – eine schwache Position einnehmend – darauf beschränkt, einen allgemeinen rechtlichen Rahmen für die private Aufgabenerfüllung zu setzen. Für die Einhaltung dieses Rahmens hat er dabei einzustehen, man spricht insoweit gemeinhin von einer staatlichen Rahmenverantwortung.53 Weitergehend, weil eine aktivere Rolle verlangend, ist die sogenannte Auffangverantwortung des Staates, die sich immer dann aktualisiert, wenn ein gemeinwohlrelevantes Steuerungsdefizit festzustellen ist.54 Die Auffangverantwortung stellt sich letztlich als Folge der mit der Gewährleistungsverantwortung den Optionen auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 91. 51 Hoffmann-Riem, Verfahrensprivatisierung als Modernisierung, in: ders./Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 (24 ff.). 52 So Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 338; ihm nachfolgend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 91; vgl. zur graduellen Abstufung der staatlichen Verantwortung je nach Aufgabenbereich auch Schuppert, Rückzug des Staates? – Zur Rolle des Staates zwischen Legitimationskrise und politischer Neubestimmung, DÖV 1995, S. 761 (768). 53 Vgl. Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.); von Rechtsetzungs- oder Rahmenverantwortung sprechend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 91. 54 Vgl. Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 91; Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (426 f.); Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (442); siehe auch Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (44), der in diesem Zusammenhang von einer „Einstandsverantwortung in den Fällen gesellschaftlicher Schlechterfüllung“ spricht; zur Auffangfunktion des Öffentlichen Rechts als Ertrag der Steuerungswissenschaft Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung 42 (2009), S. 463 (492 f.).
1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
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verbundenen Gefahren dar. Gerade im Fall der Leistungserbringung durch Private kann es zu unerwünschten Nebeneffekten kommen, sei es dadurch, dass diese das angestrebte Verhalten wider Erwarten überhaupt nicht bzw. nicht im gewünschten Ausmaß erbringen, sei es in Form von Schlechtleistungen, durch die die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele nicht vollständig erreicht oder durch den Eintritt unerwarteter Nebenwirkungen unterminiert werden.55 Ein gutes Beispiel für die Erforderlichkeit eines staatlichen Nachsteuerns nach Erkennen eines gemeinwohlrelevanten Steuerungsdefizits kann in einer Rückkehr zu ordnungsrechtlichen Instrumenten des Staates nach dem Versagen einer gesellschaftlichen Selbstregulierung gesehen werden. Die Rückkehrmöglichkeit des Staates zum klassischen Ordnungsrecht in Form von Ge- und Verboten hat auch bereits im Vorfeld Auswirkungen auf das Verhalten der jeweiligen Normadressaten, sofern diese ein Tätigwerden des Staates mittels hierarchischer Instrumente gerade vermeiden wollen.56 Plastisch formuliert wird an dieser Stelle häufig vom sogenannten „Schatten der Hierarchie“57 gesprochen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Rahmenverantwortung und der in ihrer Folge zum Teil notwendig werdenden Aktivierung der Auffangverantwortung des Staates steht als weiterer Unterfall der Gewährleistungsverantwortung die Kategorie der Beobachtungs- und Kontrollverantwortung.58 Sie ist letztlich Mittel zum Zweck. Überlegung ist, dass in dem Fall, in dem der Staat die Aufgabenerfüllung privaten Akteuren überlässt, er im Gemeinwohlinteresse zumindest die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung fortlaufend zu überwachen und den 55 Vgl.
Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (442), der Fälle staatlicher Auffangverantwortung etwa im Fall der korrigierenden Intervention mittels einer Betriebsuntersagung nach § 20 BImSchG oder im Fall der Gewährung von Sozialhilfe im Bereich des Versagens der arbeitsmarktpolitischen Steuerung annimmt; hierauf Bezug nehmend Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 1998, S. 415 (426 f.). 56 Auf diese Vorwirkung auf das Verhalten der Normadressaten abstellend Hoffmann-Riem, Innovationssteuerung durch die Verwaltung: Rahmenbedingungen und Beispiele, Die Verwaltung 33 (2000), S. 155 (176); ihm nachfolgend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92. 57 Vgl. Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (123 ff.). 58 Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (44) spricht an dieser Stelle von einer „Überwachungsverantwortung“ des Staates, ohne dass hieraus andere Folgen resultieren. Zur Beobachtungs- und Kontrollverantwortung vgl. auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92.
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aufgestellten Rechtsrahmen für das privatwirtschaftliche Tätigwerden auf einen möglichen Änderungsbedarf hin zu überprüfen hat.59 Überschneidungen mit den genannten Verantwortungsstufen ergeben sich mit der sogenannten Privatisierungsfolgenverantwortung. Anders als die vorgenannten Verantwortungskategorien knüpft sie jedoch nicht an die Form der staatlichen Aufgabenwahrnehmung an, sondern sie gründet sich – wie schon die Benennung verdeutlicht – allein auf deren Anlass bzw. Ursache.60 Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass der Staat auch nach Durchführung von Privatisierungsmaßnahmen nicht aus der Verantwortung entlassen wird, sondern – wenn auch in geänderter Form – einzustehen hat.61 Besonderheiten ergeben sich an dieser Stelle nicht, da die Privatisierungsfolgenverantwortung als Gewährleistungs- bzw. Rahmen- oder Auffangverantwortung ausgestaltet ist und sich damit in die zuvor genannten Verantwortungskategorien problemlos einordnen lässt.62 Vor dem Hintergrund dieser Stufen staatlicher Verantwortung lässt sich im Folgenden auch der Wandel im Energiebereich nachzeichnen.
III. Änderung der Verantwortungsstufen im Energierecht Im Ausgangspunkt festzuhalten ist dabei, dass „Energieversorgung“ und „Staat“ in Deutschland schon seit langem in vielfach problematischer, keines59 Präzise zur Beobachtungs- und Kontrollverantwortung Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (insb. S. 279 f.); ihm folgend Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 (569 f.); nachfolgend auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92; die essentielle Bedeutung einer hinlänglichen Wissensbasis für die Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung herausstellend Franzius, Der Gewährleistungsstaat, VerwArch 99 (2008), S. 351 (374 ff.). 60 So zur Privatsierungsfolgenverantwortung auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92. 61 Mit Beispielen für die Privatisierungsfolgenverantwortung Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (279); vgl. auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92. 62 So auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 92; dies ist vermutlich auch der Grund, warum etwa Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 (441 f.) sie gar nicht als eigenen Schlüsselbegriff aufführt. Entsprechendes gilt im Übrigen bei Annahme der Kategorie einer Liberalisierungsfolgenverantwortung, die der Privatisierungsfolgenverantwortung weitestgehend entspricht, vgl. diesbezüglich Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 527.
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
falls leicht auf eine Formel zu reduzierender Relation zueinander stehen.63 Das Verhältnis hat sich seit Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahre 1935 bis zur letzten grundlegenden Neugestaltung im Jahre 2011 in mehreren Schritten entscheidend gewandelt. Wesentliche Wandelungsimpulse bildeten dabei interne Liberalisierungs- und externe Europäisierungstendenzen.64 1. Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 Das Energiewirtschaftsgesetz von 193565 verstand unter Energiewirtschaft bereits die gesamte Elektrizitäts- und Gasversorgung und unterstellte sie der generellen Staatsaufsicht66.67 Den damaligen wirtschaftspolitischen Vorstellungen entsprechend sollte Wettbewerb unter den sich ohnehin in staatlicher Hand befindlichen Energieversorgungsunternehmen vermieden werden, sodass jenen durch Konzessionsverträge mit den Gemeinden und wechselseitigen Demarkationsverträgen Monopolstellungen verschafft wurden.68 Klar erkennbar war der verfolgte Zweck, eine ausreichen63 Vgl. hierzu auch Klement, Auf der Suche nach dem öffentlichen Zweck, Die Verwaltung 48 (2015), S. 55 (55 ff.), der von einer traditionell starken Verflechtung der Interessen spricht. 64 Vgl. Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, S. 635 (636); zur Daseinsvorsorge und ihren Wandelungen im Lauf der letzten Jahrzehnte Bull, Daseinsvorsorge im Wandel der Staatsformen, Der Staat 47 (2008), S. 1 (11 ff.); zur internationalen Ebene mit Bezügen zur Konstitutionalisierungsdebatte im Völkerrecht vgl. Grewlich, Geopolitik und Governance, 2011, S. 111; zu den Entwicklungstendenzen der Internationalisierung und Europäisierung Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (208 ff.); für einen guten Überblick zur Entwicklung des Energierechts vgl. auch Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 26 ff. 65 Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) vom 13. Dezember 1935, RGBl. 1935 I S. 1451. 66 Vgl. nur § 1 EnWG 1935: „Die deutsche Energiewirtschaft (Elektrizitäts- und Gasversorgung) untersteht der Aufsicht des Reichs.“ 67 Vertieft zum EnWG 1935 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 31 ff.; zur Behandlung des Gesetzentwurfs im Reichswirtschaftsministerium siehe Gröner, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft, 1975, S. 324 Anm. 806; zu den Entstehungsbedingungen auch Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 131 ff. 68 Vgl. Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 131 ff.; Leuschner, Rezension zu Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, abrufbar unter: http://www.udo-leuschner.de/rezensionen/rf9612energie recht.htm (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018); Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 32, von den Wettbewerb ausschließenden kartellrechtlichen Ausnahmebereichen sprechend ebd., Rn. 37; vgl. auch den Kurzüberblick auf wikipedia.org/wiki/Energiewirtschaftsgesetz (zuletzt aufgerufen 28. 01. 2018).
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de und jederzeit verfügbare, technisch sichere und möglichst billige Energieversorgung69 zu gewährleisten. Dies sollte der seinerzeit traditionell vom Monopol- und Kartelldenken bestimmten wirtschaftspolitischen Linie entsprechend nicht auf der Grundlage eines am Wettbewerb orientierten, sondern vielmehr mit Hilfe eines durch staatliche Aufsichtsinstrumente geprägten Ordnungsrahmens geschehen.70 Schon die dem Gesetz vorgeschaltete Präambel lässt die dominierende Stellung des Staates im Zusammenhang mit der gesamten Energieversorgung erkennen: „Um die Energiewirtschaft als wichtige Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte der Wirtschaft und der öffentlichen Gebietskörperschaften einheitlich zu führen und im Interesse des Gemeinwohls die Energiearten wirtschaftlich einzusetzen, den notwendigen öffentlichen Einfluss in allen Angelegenheiten der Energieversorgung zu sichern, volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern, einen zweckmäßigen Ausgleich durch Verbundwirtschaft zu fördern und durch all dies die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten , hat die Reichsregierung das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.“71
Die Entscheidung für eine Alleinverantwortlichkeit des Staates diente dabei ebenso wie die Stärkung der dezentralen Energieversorgung letztlich maßgeblich militärischen Absichten,72 was nicht zuletzt durch die umfangreichen Ermächtigungen des Reichswirtschaftsministers zur Sicherstellung der Landesverteidigung in § 13 EnWG 1935 deutlich wird.73 Hierin und in der häufigen Herausstellung des „Gemeinwohls“ tritt die nationalsozialistische Prägung des Gesetzes hervor.74 69 Vgl. die Präambel des EnWG 1935: „[…] durch all dies die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten […]“. 70 So Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 32. 71 Präambel zum EnWG 1935, RGBl. 1935 I S. 1451; zu den Hintergründen der Präambel Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 165 f.; Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 32a. 72 Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 169; vgl. in Bezug auf das Energiepreisrecht des Gesetzes mit Blick auf die rüstungswirtschaftlichen Erfordernisse auch Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 34. 73 Zu § 13 EnWG 1935 ausführlich Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 167 f. 74 Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 167 ff., der davon spricht, die Behandlung des (damaligen) § 13 EnWG liefere endgültigen Aufschluss über den eigentlichen (militärischen) Zweck des Gesetzes (S. 167); vgl. auch Leuschner, Rezension zu Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, abrufbar unter: http://www.udo-leuschner.de/rezensionen/rf9612energierecht.htm (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018), der in diesem Zusammenhang von einem „plakative(n) Herausstreichen des Gemeinwohls“ spricht. Vgl. auch den Kurzüberblick auf wikipedia. org/wiki/Energiewirtschaftsgesetz (zuletzt aufgerufen 28. 01. 2018).
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Der strikte Ausschluss jeglichen Wettbewerbs und damit aller nichtstaatlichen Akteure lässt das EnWG 1935 zu einem Paradebeispiel für ein staatliches Tätigwerden im Rahmen einer Erfüllungsverantwortung werden. Der Staat kam seiner Verantwortung zur Erfüllung der Daseinsvorsorge dadurch nach, dass er die Versorgungsaufgaben sämtlich in eigener Regie erfüllte und entsprechende Leistungen selbst erbrachte. Die beschriebene starke Stellung des Staates blieb dabei bis 1998 im Wesentlichen bestehen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das EnWG – von seiner „Entnazifizierung“ abgesehen – weitestgehend75 unverändert geblieben.76 Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts77 hob es erst mit Wirkung vom 29. April 1998 auf, die den Wettbewerb ausschließenden kartellrechtlichen Ausnahmebereiche (Demarkations-, Konzessionsverträge, § 103 GWB) wurden abgeschafft78, es kam zum ersten wesentlichen Wandel im Rollenverständnis des Staates in der Energiewirtschaft. 2. Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes aus dem Jahr 1998 Durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 199879 wurde das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 aufgehoben. Die seit Jahren bestehenden Liberalisierungs- und Privatisierungsbemühungen der Energiewirtschaft erhielten von außen kommend Impulse durch die EG-Stromrichtlinie von 1996.80 Durch diese war die Bundesregierung veranlasst, ihr bereits seit langem beabsichtigtes Ziel, die monopolistischen Marktstrukturen aufzubrechen, Wettbewerb zuzulassen und den Markt für private Akteure zu öffnen, nunmehr umzusetzen.81 75 Neu gefasst wurde § 7 als Ermächtigungsgrundlage für die Allgemeinen Versorgungsbedingungen, neu geschaffen die Brennstoffbevorratung gem. § 14; vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37. 76 Hierzu wie zu Reformbemühungen des EnWG 1935 Danner, Einführung, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37 ff.; ders., Der lange Weg der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte, in: FS Becker, 2006, S. 321 (323 ff.). 77 Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. 4. 1998, BGBl. I S. 730. 78 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37; zu möglichen Konsequenzen der Entstehungsgeschichte für die heutige Interpretation des EnWG vgl. Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997, S. 175 ff. 79 Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730. 80 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vom 19. Dezember 1996, ABl. Nr. L27 vom 30. Januar 1997, S. 20.
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In Abkehr vom Grundgedanken des EnWG 1935 sah die Richtlinie zur nachhaltigen Etablierung eines Elektrizitätsbinnenmarktes die Orientierung der Energieversorgung am Wettbewerbsprinzip vor. Vor diesem Hintergrund wurden vertikal integrierte Unternehmen82 angehalten, für die verschiedenen Unternehmensbereiche der Erzeugung, Übertragung und Verteilung eine getrennte Kontoführung einzurichten (sog. buchhalterische Entflechtung).83 Die Führung getrennter Konten schuf die Möglichkeit durch ein höheres Maß an Transparenz eine Trennung des natürlichen Monopols der Versorgungsnetze von der wettbewerblich ausgerichteten Stromversorgung zu erreichen.84 Der nationale Weg zur Erreichung eines liberalisierten Energiebinnenmarktes wurde den Mitgliedstaaten insofern freigestellt, als dass ihnen von europäischer Seite zwei Alternativmodelle angeboten wurden85: Das Modell des verhandelten Netzzugangs und das Modell des regulierten Netzzugangs.86 Beide bedingten einen Wandel innerhalb der Energiewirtschaft. 81
Während im Rahmen des regulierten Netzzugangs eine Regulierungsbehörde die Voraussetzungen der Netznutzung hoheitlich vorgibt, werden im Rahmen des verhandelten Netzzugangs die Einzelheiten des Netzzugangs der Regelung durch eine private Initiative von Verbänden überlassen; es wird lediglich kontrolliert, ob das Ziel, nämlich die Sicherstellung eines diskriminierungsfreien und transparenten Zugangs zu den Energieversorgungsnetzen, erreicht wird.87 Gleich für welches Modell sich die Mitgliedstaaten jeweils entschieden haben, 81 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 56. 82 Vgl. Art. 2 Nr. 19 der Stromrichtlinie (Fn. 80). 83 Zur buchhalterischen Entflechtung vgl. Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 144; vgl. auch Eder, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017 (64. EL 2009), Rn. 22. 84 Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 143 f. (zur buchhalterischen Entflechtung insb. S. 144). Siehe auch den Kurzüberblick auf wikipedia.org/wiki/ Energiewirtschaftsgesetz (zuletzt aufgerufen 28. 01. 2018). 85 Diesen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten kritisierend Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft, 1998, S. 416, der von einem „beispielhafte[n] Akt europäischer Kompromisslegislatur“ spricht; vgl. auch Lukes, Energiepolitik und Energierecht der Gemeinschaften, in: FS Großfeld, 1999, S. 745 (767): „Die EG-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG (…) bringt Überregulierung, geringe Marktöffnungsquoten (…) und wenig effektive Netzzugangsregelungen.“ 86 Vgl. Art. 17 Abs. 1 bzw. 4 der Stromrichtlinie (Fn. 80); zu den Unterschieden vgl. vgl. Theobald, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 18 ff. 87 Vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 39 f.; auch Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 143 (zur Entwicklung der Energieordnung ebd., S. 31 ff.); speziell zum regulierten und zum verhandelten Netzzugang vgl. Theobald, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 18 ff.
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ein Systemwechsel kam vorliegend in jedem Fall zustande, denn der Staat erbrachte die Leistungen der Energieversorgung nicht mehr in der bisherigen Form. Seine Verantwortungswahrnehmung wandelte sich von einer Erfüllungsverantwortung, die sich im Rahmen des EnWG 1935 noch dadurch auszeichnete, dass er die Versorgungsaufgaben in eigener Regie erfüllte, zu einer Gewährleistungsverantwortung. Er überließ nunmehr die eigentliche Wahrnehmung der Energieversorgungsleistungen gesellschaftlichen Akteuren. Für die konkrete Ausgestaltung der vom Staat bereitgestellten rechtlichen Strukturen, innerhalb derer er für eine angemessene gesellschaftliche Problemlösung einzustehen hat, ließ die Stromrichtlinie den Mitgliedstaaten – wie beschrieben – Gestaltungsspielraum. Im Unterschied zu allen anderen Mitgliedstaaten entschied sich Deutschland88 seinerzeit für das Modell des verhandelten Netzzugangs, festgeschrieben in § 6 EnWG 1998.89 Dies hatte zur Folge, dass zwischen den betroffenen privatwirtschaftlichen Akteuren fortan sogenannte Verbändevereinbarungen ausgehandelt und darin die Bedingungen des Netzzugangs festgeschrieben wurden. Auf die in § 6 Abs. 2 EnWG 1998 geregelte Ermächtigung zugunsten des Bundeswirtschaftsministeriums, die Gestaltung der Vereinbarungen (im Einvernehmen mit dem Bundesrat) auch hoheitlich im Verordnungswege regeln zu können, wurde nicht zurückgegriffen.90 Letztlich bildet das Festschreiben dieser Ermächtigung zum hilfsweisen Tätigwerden des Staates über seine Auffangverantwortung im Falle des Scheiterns der Verhandlungen zwischen Privaten, kurzum: im Falle des Marktversagens, die Art von staatlichem Auffangnetz, die im Rahmen der Governance-Diskussion unter der Formel „Schatten der Hierarchie“91 behandelt wird. Allein das In-Aussicht-Stellen eines subsidiären staatlichen Vorgehens in den klassisch-hierarchi88 Vgl. zur Entscheidung Deutschlands Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Einführung Rn. 58a; auf den deutschen „Sonderweg“ verweisend auch Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 40 (dortige Fn. 2). 89 Theobald, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 20 ff.; vgl. auch Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 58a, der im Rahmen der Verbändevereinbarungen auf die Verhandlungen von VDEW, DVG, ARE, VKU, VIK und BDI verweist. 90 Vgl. § 6 Abs. 2 EnWG 1998: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit kann, soweit dies zur Erreichung der Ziele des § 1 und zur Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs erforderlich ist, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Gestaltung der Verträge (…) regeln und Kriterien zur Bestimmung von Durchleitungsentgelten festlegen.“ Vgl. den Kurzüberblick auf wikipedia.org/wiki/Energiewirtschafts gesetz (zuletzt aufgerufen 28. 01. 2018). Zur Aushandlung dieser Verbändevereinbarungen und einer Bewertung unter Governance-Gesichtspunkten ausführlich § 3, I., 4. 91 Zum „Schatten der Hierarchie“ als Governance-Paradox Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (123 ff.).
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schen Formen erhöht den Druck auf die primär zuständigen gesellschaftlichen Akteure, was – wie vorliegend geschehen – die Erfolgsaussichten der Einigung unter ihnen maßgeblich erhöht. Die Verbändevereinigungen flankierten somit die für den Netzzugang festgeschrieben gesetzlichen Rahmenbedingungen in einem ganz erheblichen Umfang und waren Ausdruck eines energiepolitisch möglichst auf Vermeidung klassisch-hierarchischer Steuerung ausgerichteten Prozesses.92 Der beschriebene Prozess der Abkehr von der staatlichen Regulierung hin zur Selbstregulierung auf dem Energiemarkt markiert einen generellen Wandel der deutschen Gesetzgebung im Rahmen der Frage nach einer Verantwortungsverschiebung vom Staat zu privaten Akteuren, mithin einen Wandel in der staatlichen Aufgabenerfüllung. Die Ideen des „verhandelten Netzzugangs“ und der Verbändevereinbarungen weisen schon zu diesem Zeitpunkt erhebliche Schnittmengen zu dem auf, was – gerade im englischsprachigen Raum – unter dem Konzept der „Collaborative Governance“, das letztlich auch auf eine verstärkte Einbindung der Marktteilnehmer und Konsumenten in den Regulierungsprozess setzt, diskutiert wird.93 Gleiches gilt für die im Zuge der Liberalisierung ins Leben gerufenen Ansätze einer auf Kooperation ausgerichteten „Regulierung im Dialog“.94 Durch den von Seiten der Europäischen Kommission für den Strommarkt angestrengten Florenz-Prozess95 fanden fortan auf einer informellen Plattform in regelmäßigen Abständen Gespräche zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten, den nationalen Regulierungsbehörden sowie den Übertragungsnetzbetreibern, Produzenten, Verbrauchern und Stromhändlern statt. Zu den erzielten Übereinkünften zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren zählen die Gründung 92 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60; vgl. auch Börner, Erste Überlegungen zu den privaten Normierungen der Stromdurchleitung, RdE 2000, S. 94 (94 ff.); Scholtka, Die Entwicklung des Energierechts in den Jahren 2000 und 2001, NJW 2002, S. 484 (484 ff.); ders., Vorgaben im EG-Recht zur Öffnung des „Gasbinnenmarktes“, in: FS Bauer, 2002, S. 71 (71 ff.). 93 Vgl. etwa Koch, Collaborative Governance: Lessons for Europe from the US Electricity Restructuring, William & Mary Law School Research Paper No. 08 – 03, S. 1; vgl. auch Bauer, „Collaborative Governance“ – Ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (243), der das System der Verbändevereinbarung als „defekte Form“ von Governance bezeichnet. 94 Vgl. Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627). 95 Vgl. Scholtka, Die Entwicklung des Energierechts in den Jahren 2000 und 2001, NJW 2002, S. 483 (483 f.); Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627).
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der Vereinigung Europäischer Übertragungsnetzbetreiber96, die als einheitlicher Ansprechpartner der Kommission dienen sollte sowie die Bildung des Rates der europäischen Regulierungsbehörden97, der eine Bündelung der Positionen der – soweit vorhanden – unabhängigen, nationalen Regulierungsbehörden vornehmen sollte. Ziel des Vorhabens war die Schaffung einer kooperativen Suche nach Lösungen, insbesondere im Bereich der technischen Fragen.98 Der sogenannte „Wandel des Staates“ – zu verstehen als Wandel im Rahmen der Verantwortungsteilung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren – erreichte somit im Bereich der Energiepolitik im Zuge des EnWG 1998 einen vorläufigen Höhepunkt bezogen auf eine Abkehr des Staates von der Erfüllungsverantwortung hin zu einer Gewährleistungsverantwortung mit darüber hinausgehenden Elementen im Rahmen der Verantwortungsübertragung an private Akteure. 3. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2003 Das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 20. Mai 200399 stand noch stärker im Zeichen der Europäisierung. Die seinerzeitige Entscheidung Deutschlands100 als einziges Land der (damals) EG zugunsten des „Modells des verhandelten Netzzugangs“ wurde aufgrund erheblicher Defizite in der praktischen Umsetzung innerhalb der Gemeinschaft zunehmend kritisch bewertet. Die in der Bundesregierung vorherrschende Meinung, von einer ins Detail gehenden Regulierung des Netzzugangs sei abzusehen, gründete sich zum einen auf das Vertrauen in die beteiligten Wirtschaftskreise, zum anderen auf die Vorstellung, aufgrund des dort vorherrschenden Sachverstandes praxistauglichere Ergebnisse erzielen zu können.101 Der Staat zog 96
European Transmission System Operators – ETSO. Council of European Energy Regulators – CEER. 98 Hierzu Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627). 99 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrecht v. 20. Mai 2003, BGBl. I S. 686; hierzu Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 65 ff. 100 Vgl. zur Entscheidung Deutschlands Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Einführung Rn. 58a. 101 Zur diesbezüglichen Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 65 (vgl. dortige FN 1); zur Überwindung von Wissensdefiziten gerade auf Seiten staatlicher Behörden vgl. Bauer, „Collaborative Governance“ – Ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (240), der insoweit von der „Überwindung regulatorischer Informationsasymmetrien“ spricht. 97
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sich weit zurück, gab allenfalls rechtlich nicht bindende Best-Practice-Empfehlungen102 heraus und beschränkte sich ansonsten darauf, „im Schatten der Hierarchie“ die beteiligten gesellschaftlichen Akteure zu einer vertraglichen Einigung zu bewegen. Allenfalls im Rahmen einer Beratungsverantwortung103 agierte der Staat vorliegend noch. Dabei wurden der Verbändeegoismus, insbesondere auf Seiten der großen Netzbetreiber, und die hieraus resultierende Eigendynamik unterschätzt.104 Um Fehlentwicklungen entgegenzusteuern und einem drohenden Richtlinienerlass105 zuvorzukommen, wendete sich Deutschland mit dem EnWG 2003 einem etwas stärker regulierenden Ansatz zu. Dieser bestand in einem rechtlichen Nachvollzug der Verbändevereinbarungen. Um zu vermeiden, dass Netzbetreiber bei der Zugangsgewährung das Diskriminierungsverbot dadurch umgehen, dass sie von internen wie externen Netzkunden in derselben Weise unangemessene Bedingungen verlangten, was letztlich doch eine Quasi-Bevorzugung der internen Kunden zur Folge hatte, erließ man eine rechtliche Verankerung der Verbändevereinbarungen im Sinne einer „guten rechtlichen Praxis“.106 Es sollte dadurch ein Mehr an Rechtssicherheit geschaffen werden, dass die Bedingungen, zu denen Versorgungsnetzbetreiber den Netzzugang zu gewähren hatten, näher konkretisiert wurden.107 Mittels eines Verweises auf die geltenden Verbändevereinbarungen wurde der unbestimmte Rechtsbegriff konkretisiert und bei Einhalten der Verbändevereinbarungen die Übereinstimmung mit der „guten fachlichen Praxis“ gesetzlich vermutet.108 Diese Form der Re-Regulierung bedeutete einen dahingehenden Wandel der staatlichen Verantwortungswahrnehmung, dass der Staat sich vom Modell der Selbstregulierung und der ihm zukommenden reinen Beobachterrolle verab102 Zu den Best Practice-Empfehlungen der im Bundeswirtschaftsministerium angesiedelten Task Force Netzzugang vgl. http://www.enbw.com/unternehmen/presse/pressemitteilungen /presse-detailseite_8952.html (zuletzt aufgerufen am 28. 07. 2016). 103 Zur Beratungsverantwortung des Staates vgl. Schuppert, Rückzug des Staates? – Zur Rolle des Staates zwischen Legitimationskrise und politischer Neubestimmung, DÖV 1995, S. 761 (768). 104 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 65 (vgl. dortige Fn. 1). 105 Zur diesbezüglichen Bestrebung der Europäischen Kommission vgl. Theobald/ Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 70. 106 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 67. 107 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 67. 108 Auf diese Weise sollte der Missbrauchsvorwurf nach § 19 Abs. 4 bzw. § 20 Abs. 1 und 2 GWB entkräftet werden. Hierzu Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 67.
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schiedete und stattdessen eine Art paktierte Gesetzgebung anstrebte. Durch das „Umgießen“ der seitens gesellschaftlicher Akteure vorbereiteten Vereinbarung in Gesetzesform stand freilich eine Form der kooperativen Rechtserzeugung im Raum, die die noch verbleibende Funktion des eigentlich zuständigen Parlaments in Frage stellte. Es kam zu einem Nachvollzug von zwischen privaten Akteuren ausgehandelten Regelungen, und dies in einer neuen Dimension: Anders als im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlebergbaus und der deutschen Steinkohlebergbaugebiete von 1968109 oder auch den Gesetzen zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität110 bzw. für die Erhaltung, Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung111, bei denen der Staat bei den Verhandlungsprozessen, die im Vorfeld stattfanden, jeweils als Verhandlungspartner eingebunden war112, verrechtlichte der Gesetzgeber vorliegend Bestimmungen, an deren Aushandlung er nicht beteiligt war. Dies begründete eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, der nicht nur das Modell eines kooperativen Staates113, sondern sogar das einer Verbundproduktion114 bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zugrunde lag. Das Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft bei der Normproduktion im Rahmen des EnWG 2003 kann mithin als kooperative Rechtserzeugung115 beschrieben werden, die für einen Wandel von hierarchischen zu konsensualen
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Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlebergbaus und der deutschen Steinkohlebergbaugebiete vom 15. Mai 1968, BGBl. 1968 I, S. 385. 110 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vom 22. April 2002, BGBl. 2002 I, S. 1351. 111 Gesetz für die Erhaltung, Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärmekopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) vom 19. März 2002, BGBl. 2002 I, S. 1092. 112 Vgl. zum Steinkohlebergbaugesetz Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 69 (74); zum (ersten) Atomausstiegsgesetz Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/ Kneer/Köck (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (46 f.); ebenso die diesbezügliche Gesetzesbegründung, die ausdrücklich auf die getroffenen Vereinbarungen abstellt, vgl. BT-Drs. 14/7261 vom 01. 11. 2001; zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (Fn. 111) Schneider, a. a. O., S. 4 ff.; sich auf diese im Bereich der kooperativen Rechtserzeugung beziehend Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60 ff. 113 Grundlegend hierzu Ritter, Der kooperative Staat – Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, AöR 104 (1979), S. 389 ff. 114 Offe, Berufsbildungsreform – Eine Fallstudie über Reformpolitik, 1975, S. 264. 115 Zur kooperativen Rechtserzeugung Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft: Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, 2000, S. 420 (420 ff.); ders., Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60.
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Steuerungsinstrumenten steht, wobei der Staat im vorliegenden Zusammenhang allerdings nur eine sehr passive Rolle einnahm.116 4. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2005 Mit dem EnWG 2005 änderte sich die staatliche Verantwortungsübernahme im Rahmen der Energieversorgung erneut. Das EnWG 2011 behielt die im Jahre 2005 beschlossene Linie später bei, verschärfte an der einen und anderen Stelle lediglich die 2005 neu vorgenommene Grundausrichtung. Mit der zweiten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes von 2005117 setzte die Bundesregierung die sogenannten EG-Beschleunigungsrichtlinien Strom118 und Gas119 vom 26. Juni 2003 um. Durch diese waren die Regelungen des EnWG grundlegend reformbedürftig geworden. So beinhalteten die neuen Richtlinien Verpflichtungen zu regulierenden Vorgaben für den Netzbetrieb und zur Errichtung von Regulierungsbehörden sowie Regelungen zur Entflechtung des Netzbetriebs.120 Insbesondere die deutschen energiewirtschaftlichen Grundlagen basierten auf einem anderen staatlichen Rollenverständnis. So wurde der „verhandelte Netzzugang“ mit der nationalen Besonderheit der Verbändevereinbarung abgeschafft und durch einen „regulierten Netzzugang“ ersetzt.121 Sämtliche Versorgungsnetze wurden wieder einer umfang- und detailreichen staatlichen Regulierung unterworfen.122 Zu diesem Zweck wurden 116 Vgl.
Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen der Normsetzung, 2004, S. 11, der für den Erhalt des Rechts als Steuerungsoption eine „funktionelle Öffnung der Normsetzung, die sich in kooperativen und konsensualen Strukturen manifestiert“, ins Spiel bringt. Hierauf verweisend Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60. 117 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 7. Juli 2005, BGBl. I S. 1970, S. 3621; hierzu Danner, Einführung, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 68 ff. 118 Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, ABl. Nr. L 176 S. 37. 119 Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, ABl. Nr. L 176 S. 57. 120 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 68. 121 Vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 69, der vor diesem Hintergrund von einer „erhebliche(n) ordnungspolitischen Bedeutung“ des EnWG 2005 spricht. 122 Deshalb von „Re-Regulierung“ sprechend Scholz, Energiewirtschaft, in: Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 3. Auflage 2016, § 34, Rn. 5; vgl. auch Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (625).
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sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Regulierungsbehörden gegründet und die Netzbetreiber an eine Vielzahl von Veröffentlichungs-, Berichts- und Mitteilungspflichten gebunden.123 Die Re-Regulierung der Energiewirtschaft erfasste auf der Grundlage einer breitgefächerten Verordnungsgesetzgebung die Regulierung der Netzentgelte, den Netzanschluss, den Netzzugang und den Netzbetrieb. Durch sogenannte Festlegungen der Bundesnetzagentur sowie eine generelle Missbrauchsaufsicht sollte der Gesetzesvollzug garantiert werden.124 Durch die Entflechtung des Netzbetriebs von den Wettbewerbsbereichen Erzeugung und Vertrieb sollte ein diskriminierungsfreier und transparenter Netzzugang zu angemessenen Preisen sichergestellt werden.125 Auch in Bezug auf die von Seiten der Kommission 1998 ins Leben gerufene Plattform zur Schaffung einer „Regulierung im Dialog“ zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren und die damit im Rahmen des sogenannten Florenz-Prozesses geschaffene Basis für eine koordiniert-kooperative Suche nach Lösungen, erkannte man, dass mit CEER und ETSO zwar wichtige informelle Zirkel geschaffen wurden, diese aber nicht in der Lage waren, einen Rahmen für rechtsverbindliche Entscheidungen zu bieten.126 Mit der Verordnung über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel127 sollte ein rechtlich verbindlicher Rahmen für den Florenz-Prozess geschaffen und zur Formalisierung des bisher informellen Zirkels beigetragen werden.128
123 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 68 ff.; Schmidt-Preuß, Brennpunkte des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, in: Geis/ Umbach (Hrsg.), FS Richard Bartlsperger, 2006, S. 573 (573 ff.); Kühne/Brodowski, Das neue Energiewirtschaftsrecht nach der Reform 2005, NVwZ 2005, 849 (855 ff.); Lecheler/ Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (624 ff.); vgl. in diesem Zusammenhang auch Löwer, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Veranlassung und Verantwortung – Bonner Gespräch zum Energierecht, Band 6, 2012, S. 7, der in Bezug auf die mögliche Verpflichtung der Versorgungsunternehmen zu Investitionen anführt, dass der heutige Strommarkt zum Teil intensiver normativ und behördlich gesteuert ist, als es unter dem EnWG 1935 der Fall war. 124 Siehe §§ 11, 17, 20, 23a EnWG 2005; vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 70. 125 Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 70. 126 Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627). 127 Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06. 2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, ABlEU 2003 Nr. L 176, S. 1.
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Durch das EnWG 2005 erfolgte mithin eine grundsätzliche Re-Regulierung.129 Der Staat konzentrierte sich wieder mehr auf eine Wahrnehmung seiner Aufgaben in den Formen der Gewährleistungsverantwortung, das nahezu freie Spiel der gesellschaftlichen Akteure besonders im Rahmen der Netzzugangsregulierung wurde beendet. Dies kann als Beleg für ein Tätigwerden des Staates im Rahmen seiner Auffangverantwortung gewertet werden, die sich aufgrund eines nachhaltig ausbleibenden Erfolges der Verhandlungen der Marktteilnehmer in der Praxis aktualisierte. Zu beachten ist allerdings, dass es – trotz der frühzeitig bekanntgewordenen Probleme nach dem Teilrückzug des Staates insbesondere aus der Regulierung des Netzzugangs – eines europarechtlichen Impulses in Form des Erlasses der sogenannten Beschleunigungsrichtlinien bedurfte, ehe der deutsche Staat handelte. Konsequenz dieser Entwicklung ist die seitdem wieder verstärkt festgeschriebene Beobachtungsverantwortung des Staates, die sich in den umfangreichen Veröffentlichungs-, Berichts- und Mitteilungspflichten130 der privaten Akteure an den Staat zeigt. 128
Neu ist im Rahmen des EnWG 2005 jedoch die Form des staatlichen Handelns. Herausgelöst aus dem klassischen Steuerungs- und Legitimationszusammenhang agiert der Staat seit 2005 auf dem Energiemarkt maßgeblich über – weitgehend unabhängig gestellte – Regulierungsagenturen131, zu denen sich eine lückenlos bestehende Legitimationskette – wie vom Bundesverfassungsgericht132 seinerzeit gefordert – nicht mehr ohne weiteres nachweisen lässt. Mit den Regulierungs128 Vgl.
die diesbezüglich auf Verrechtlichung aufbauende Argumentation der Kommission: „Die Kommission ist daher zu dem Schluss gekommen, dass nunmehr ein Rechtsinstrument für einen klaren Entscheidungsfindungsprozess erlassen werden muss, um entscheidende Fortschritte bei der Entgeltbildung für die grenzüberschreitende Übertragung und bei der Bewältigung von Engpässen auf Verbindungsleitungen zu erzielen und um auf den im Rahmen des Forums erzielten Fortschritten aufbauen zu können.“, KOM(2001) 125 endg., S. 15; zum Florenz-Prozess als Vorläufer der Verordnung vgl. insbesondere Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627). 129 Allgemein zu Re-Regulierungstendenzen nach der Phase der Privatisierung und Deregulierung Kahl, Gewährleistung öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung durch „Staatsaufsicht“, in: Bauer/Huber/Niewiadomski (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, 2002, S. 188 (188). Dies kritisch betrachtend und eine erneute Deregulierung fordernd Bauer, „Collaborative Governance“ – Ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (244). 130 Hierzu Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 69. 131 Dazu eingehend § 4, I., 2., b), II. 132 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. 02. 1978 – 2 BvR 134/76, 2 BvR 268/76, BVerfGE 47, S. 253 (253); vgl. hierzu Schmidt-Jortzig, Anmerkung, DVBl. 1978, S. 796 (796 ff.); Bäumler, Zur Entscheidungsbefugnis bzw. Beratungsbefugnis von Bezirksausschüssen in Stadtbezirken – Verfassungsmäßigkeit, BayVBl 1994, S. 689 (689 ff.).
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agenturen wurden neue Akteure für das Energiewirtschaftsrecht geschaffen und das Geflecht innerhalb der europäischen Energiepolitik vergrößert. 5. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2011 Dieser Trend wurde durch das EnWG 2011133, mit dem der Gesetzgeber das dritte europäische Energiebinnenmarktpaket vom Sommer 2009134 umsetzte, verstärkt. Vorwiegend ging es dabei um die Schaffung weiterreichender Entflechtungsregelungen, eine stärkere Koordinierung der Netzausbauplanung und die weitergehende Unabhängigstellung der Regulierungsbehörden.135 In Bezug auf die staatliche Verantwortungsübernahme folgt das Dritte Binnenmarktpaket im Wesentlichen den bereits durch das Zweite Binnenmarktpaket vorgebildeten Strukturen. Der hierbei eingeleitete Systemwechsel136 im Regulierungsbereich wird im Wesentlichen fortgeführt. Die Hinwendung zum Modell des regulierten Netzzugangs wird beibehalten und sogar dadurch verschärft, dass nunmehr eine Pflicht zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Netzbetreiber festgeschrieben wird, um die Probleme der Marktöffnung und des gesamteuropäischen Netzausbaus besser bewerkstelligen zu können.137
133 Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011, BGBl. I 2011, S. 1554; hierzu auch Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 71. 134 ABlEU 2009 Nr. L 211, S. 1, 15, 36, 55, 94: (im Wesentlichen) die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 06. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/ EG (Stromrichtlinie) und die Richtline 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 07. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (Gasrichtlinie) lösen die Beschleunigungsrichtlinien 2003/54/EG (Strom) und 2003/55/EG (Gas) ab; Neuauflagen der Verordnungen über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel (Nr. 714/2009) sowie für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Nr. 715/2009); Verordnung (EG) Nr. 713/2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER); zu den Bestandteilen des „Dritten Binnenmarktpaketes“ vgl. Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (764). 135 Vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 71 (vgl. auch die dortige Fn. 7 zu weiteren Änderungen der Novelle); zu europarechtlichen Vorgaben Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (763 ff.); Theobald/ Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 75 ff.; Koenig/ Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 36 ff. 136 Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 33. 137 Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (766); vgl. auch Lecheler/
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Durch die EU-Stromhandel-Netzzugangsverordnung138 wird festgelegt, dass „alle Übertragungsnetzbetreiber […] auf Gemeinschaftsebene im Rahmen des [neuen Verbunds europäischer Übertragungsnetzbetreiber] ENTSO (Strom) zusammen[arbeiten], um die Vollendung und das Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts und des grenzüberschreitenden Handels zu fördern und die optimale Verwaltung, den koordinierten Betrieb und die sachgerechte technische Weiterentwicklung des europäischen Stromübertragungsnetzes zu gewährleisten.“139 Mit dem Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber140 wird somit ein neuer Akteur auf dem europäischen Energiemarkt geschaffen. Es kommt zu einer Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Netzbetreibern, die hierüber auch an der Regulierung mitwirken können. Ihre Aufgabe besteht schließlich darin, Netzkodizes zu erarbeiten, die Vorschriften für die Nutzung und Fortentwicklung der europäischen Übertragungsnetze enthalten sollen.141 Diese werden sodann von der Europäischen Kommission angenommen.142 Die privaten Netzbetreiber wirken folglich an der grenzüberschreitenden Regulierung des Energiemarktes mit. Die Rechtsnatur der Netzkodizes ist dabei nicht eindeutig bestimmt. Letztlich handelt es sich um in einem formalisierten Verfahren geschaffenes soft law, welches Verhaltensanforderungen an die Netzbetreiber stellt.143 Auf diese Weise hat wieder ein Aspekt der SelbstreguGundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energiebinnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom- und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627). 138 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 15. 139 Art. 4 der EU-Stromhandel-Netzzugangsverordnung (Fn. 138). 140 Es gibt je einen Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO) für den Strom- und für den Gasbereich. Für den Gasbereich vgl. Art. 4 EU-VO Erdgasfernleitungsnetzzugang [Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005, ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 36]; zu ENTSO auch Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und -verordnungen, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 37 ff. 141 Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767). 142 Vgl. Art. 6 Abs. 9 der EU-Stromhandel-NetzzugangsVO (Fn. 138); Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767). 143 So Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767, Fn. 50). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 6 ff. der EU-Stromhandel-Netzzugangsverordnung (Fn. 138). Allgemein zu Erscheinungsformen von soft law im internationalen, europäischen und nationalen Kontext Knauff, Der Regelungsverbund, 2010, S. 257 ff., 296 ff., 343 ff.; zur Bedeutung von soft law auch Ruffert, Rechtsquellen und Rechtsschichten des Verwaltungsrechts,
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lierung Eingang in das europäische Energierecht gefunden, der jedoch unter der Aufsicht der nationalen Regulierungsbehörden steht. Das Modell der Kooperation wird nicht nur im Bereich der privaten Netzbetreiber als ein Schlüsselmodell betrachtet, auch auf Ebene der staatlichen Regulierungsbehörden findet es durch das Dritte Binnenmarktpaket Anwendung. So tritt mit der Agentur für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden144 (ACER) ein weiterer Akteur auf, der sich nur schwer in die klassischen Strukturen des Steuerungs- und Legitimationszusammenhangs einfügen lässt. Auch die Schaffung dieser Agentur, überwiegend für Stellungnahmen und Empfehlungen zuständig,145 verdeutlicht die stetig zunehmende Komplexität der Strukturen auf dem Energiemarkt und die immer neuen Formen des staatlichen Handelns in diesem Bereich. Selbstregulierung von, Kooperation mit und Unabhängigstellung von zudem stetig zahlreicher146 auftretenden Akteuren stellen das Staats- und Verwaltungsrecht vor große Probleme der Einordnung, auch unter demokratischen Gesichtspunkten. Das Auftreten des Staates in immer anderen Formen schwankt dabei zwischen teilweisem Rückzug, Auffangverantwortung und Selbsterfüllung hin und her. Stufenweise hat sich eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft im Energiebereich entwickelt.
IV. Bezugsrahmen für das Governance-Konzept Aus den Ausführungen zu den verschiedenen Verantwortungsarten des Staates lässt sich ersehen, dass es sich bei dieser Kategorisierung in erster Linie um ein Instrument der Analyse und Ordnung verschiedener gesetzgeberischer Ausgestaltungen zur Wahrnehmung einer anderweitig begründeten Verantwortlichin: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 17 Rn. 79. 144 Vgl. Art. 2 der EU-VO Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden [Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 1]; zur Agentur und ihrem „Konzept der Kooperation“ Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767). 145 Vorwiegend zu Netzkodizes der Übertragungsnetzbetreiber oder zu Zertifizierungsentscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden, vgl. Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767). 146 In der immer größer werdenden Zahl der an der Regulierung beteiligten Akteure eine Gefahr der allmählichen Unübersichtlichkeit erblickend Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (768).
IV. Bezugsrahmen für das Governance-Konzept
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keit handelt.147 Das Ziel ist folglich eine Systematisierung staatlichen Handelns, die zu einem besseren Verständnis der verschiedenen Handlungsoptionen des Staates und seiner Akteure beiträgt. Eine unmittelbare rechtsdogmatische Funktion kommt der Auflistung der verschiedenen Formen der Verantwortungswahrnehmung dabei zwar nicht zu.148 Auch wohnt den verschiedenen Verantwortungsstufen kein normativer Gehalt inne.149 Letztlich stellt die Verantwortungsteilung somit einen sogenannten „Schlüsselbegriff“ dar, der dazu dient, die sich abzeichnenden veränderten Realbedingungen nachzuzeichnen, zu durchdenken und fortzuentwickeln.150 147 Dies deutlich herausstellend Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 204 (236); ihr folgend und ebenso deutlich Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 94 f.; zuvor bereits in diesem Sinne Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Auflage 2006, S. 170 (1. Auflage 1998, S. 154), der hervorhebt, dass rechtsdogmatische Konsequenzen aus dem Begriff Verantwortung nur bei einer normativen Basis gezogen werden können. 148 So eindeutig Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (278, vgl. insb. Fn. 178); ebenso deutlich Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 95. 149 Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, DVBl. 2002, S. 1167 (1175); vgl. auch die Kritik an der Verwendung des Begriffs der Verwaltungsverantwortung bei Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff?, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2, S. 33 (49 f.); umfangreiche Kritik ferner bei Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 433 ff., 437 f.; als heuristischen, nicht normativen Begriff sieht bereits Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1975), S. 221 (228) die Verantwortung (ebenso ders., Das allgemeine Verwaltungsrechts als Ordnungsidee, 2. Auflage 2006, S. 170 [1. Auflage 1998, S. 154]); anderer Ansicht Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 240, 749, der in staatlicher Verantwortung mehr als nur einen heuristischen Begriff erblicken will. 150 Zur Aufgabe und Funktion von Schlüsselbegriffen Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 40 ff.; gleichbedeutend mit Schlüsselbegriffen sind letztlich die sog. „interdisziplinären Verbundbegriffe“ [vgl. Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, 1999, S. 13 (14)], die sog. „Kontaktbegriffe“ [vgl. ders., Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Einige Leitmotive zum Werkstattgespräch, Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 9 (12)], die sog. „Verweisungsbegriffe“ [vgl. Gusy, „Wirklichkeit“ in der Rechtsdogmatik, JZ 1991, S. 213 (220)], auch die sog. „Brückenbegriffe“ [vgl. Hoffmann-Riem, Methoden einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 9 (61 f.)] bzw. „Vermittlungsbegriffe“ [vgl. Badura, Diskussionsbeitrag, VVDStRL, Band
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Trotz dieser Feststellungen ist dem Konzept der staatlichen Verantwortungsstufen aber ein erheblicher juristischer Mehrwert zuzumessen151, der auch für die vorliegende Arbeit wesentliche Ansatzpunkte liefert. So wird durch die verschiedenen Begriffsschöpfungen das breite Spektrum der dem Staat und seinen Akteuren im Rahmen der Aufgabenerfüllung zustehenden Instrumente in den Fokus gerückt. Gleichzeitig werden die unterschiedlichen Formen des Zusammenwirkens von Staat und Gesellschaft bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben thematisiert.152 Wie bereits angedeutet153, wird mithin deutlich, dass das bloße Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe154 in einem bestimmten Sachgebiet keine Rückschlüsse auf die konkrete Aufgabenwahrnehmung und insbesondere über die konkrete Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft zulässt.155 Spätestens mit Aufkommen des Konzepts der Gewährleistungsverantwortung und dem Leitbild des Gewährleistungsstaates156 trat ein dahingehender Wandel in Bezug auf 30 (1971), S. 327 (327), der in diesem Zusammenhang die Einstufung der Begriffe als „soziologische Begriffe“ ablehnt]. Zur Nachhaltigkeit als Schlüsselbegriff jüngst Kahl, Einleitung: Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, in: ders. (Hrsg.), Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, 2016, S. 1 (1 ff.); ders., Nachhaltige und direkte Demokratie, EurUP 2017, S. 272 (275 f.). 151 So auch Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 95. 152 Ebd. 153 Vgl. § 1, I. 154 Zur Frage, wann eine solche vorliegt, vgl. die Definition bei Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, insb. S. 532 f., ferner S. 370 f., 572; Korioth, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 30 GG, Rn. 14 f.; Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 22; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 32; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 117; H. Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: FS Nipperdey, 1965, S. 877 (878); andere Ansätze zur Begriffsbestimmung bei Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 175 f.; zur Energieversorgung als öffentliche Aufgabe vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984 – 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258); Le Nestour/Zinow, Rechtsfragen des „Service Public“, RdE 1994, S. 170 (171); Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 205 (226). 155 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 95. 156 Zu dieser Begriffsschöpfung vgl. Schuppert, Der Gewährleistungsstaat – Modisches Label oder Leitbild sich wandelnder Staatlichkeit?, in: ders. (Hrsg.), Der Gewährleistungsstaat – Ein Leitbild auf dem Prüfstand, 2005, S. 11 (11 ff.); ders., Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (190); Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 266 (284 ff., 291 ff.); auch Klement, Verantwortung, 2006, S. 57 ff., 67 f., 79 ff., 198 f.; in diesem Sinne wohl erstmalig Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 18 ff.
IV. Bezugsrahmen für das Governance-Konzept
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das Selbstverständnis des Staates ein, dass kein Automatismus mehr zwischen Annahme einer öffentlichen Aufgabe und staatlicher Selbsterfüllung bestand.157 Versorgungsaufgaben wurden nicht mehr zwingend in eigener Regie erfüllt und entsprechende Leistungen nicht mehr zwingend selbst erbracht.158 Wie aus der stufenweisen Entwicklung des Energierechts erkennbar, folgte einer zunächst umfassend verstandenen Verantwortung des Staates159 nach und nach ein diesem zur Verfügung stehendes breites Spektrum an politischen und juristischen Instrumenten.160 Das Aufkommen des Konzepts des Gewährleistungsstaates bildet dabei eine Zäsur. Es beschreibt eine veränderte Übernahme von Verantwortung und einen Wandel im Verhältnis von staatlichen zu privaten Akteuren. Die Beziehung zwischen Staat und Privatwirtschaft wird erstmals in jüngster Vergangenheit grundlegend neu definiert.161 Wie das Energierecht zeigt, kann der Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage nach einem Wechsel im Rollenverständnis des Staates im Übergang vom Interventions- zum Gewährleistungsstaat gesucht werden. Irreführend ist es, wenn in Teilen der sozialwissenschaftlichen Literatur der Eindruck erweckt wird, die Governance-Debatte bilde erstmals eine Zäsur hinsichtlich der Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Neujustierung dieses Verhältnisses schon früher ihren Ausgangspunkt fand.162 157 Vgl. Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung 2009, S. 463 (481 f.) zur staatlichen Folgenverantwortung nach materieller Privatisierung; Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 95. 158 Eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beschreibend Röber, Aufgabenplanung und Aufgabenkritik, in: Blanke/Nullmeier/Reichard/ Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Auflage 2011, S. 108 (113). 159 Hierzu schon Steiner, Verkehr und Post, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 3, 1988, § 81 Rn. 2. 160 Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 337; Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, 2012, S. 89 ff., 95. 161 Zum Wandel des Verhältnisses von Staat und Markt am Beispiel der Universaldienste vgl. Franzius, Wo bleibt der Staat? – Das Modell der Universaldienste und seine Alternativen, ZG 2010, S. 66 (66 ff.); vgl. auch Röber, Aufgabenplanung und Aufgabenkritik, in: Blanke/Nullmeier/Reichard/Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Auflage 2011, S. 108 (113); bezogen auf eine veränderte Verantwortungsübernahme von einem „Leitbild des Gewährleistungsstaates“ sprechend Schuppert, Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft – oder: Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (189 ff., insb. S. 190). 162 Instruktiv zum Näheverhältnis Gewährleistungsstaat und neuer Verantwortungsteilung Schuppert, Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Wenn also mit Begrifflichkeiten wie etwa „Zerfaserung“163, „innerer und äußerer Erosion des Staates“164 bzw. der Metapher „der Staat bekommt Gesellschaft“165 eine Neubewertung des Wirkens von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren vorgenommen werden soll, dann ist hierin zunächst einmal nicht mehr zu sehen, als eine Fortführung dessen, was – gerade auch im Energierecht – schon seit jeher versucht wird: orientiert an der Maxime einer möglichst optimalen Verwirklichung der Gemeinwohlbelange wurde die Rolle des Staates häufig neu bestimmt und damit auch die Beziehung Staat – Private jeweils neu ausgestaltet.166 Während der Staat in der Entwicklungsphase nach Inkrafttreten des EnWG 1935 als sog. Interventionsstaat auftrat, der mit seinen Institutionen und gesetzgeberischen Aktivitäten andauernd und planmäßig in das gesellschaftliche, vor allem das wirtschaftliche Leben eingreifen konnte167, trat ein Wandel ein, als das Modell des Gewährleistungsstaates168 etabliert wurde. Dieses brachte eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und privaten Akteuren im Allgemeinen mit sich.169 Das Leitbild des omnipotenten Akteurs im Interventionsstaat hinter sich lassend, kam dem Staat fortan die neue Aufgabe zu, Handlungsbeiträge staatlicher und nichtstaatlicher Akteure bei Aufrechterhaltung der Gemeinwohlverantwortung zu koordinieren. Aufgrund dieser Koordinations- und Moderationsverantwortung kann aufgezeigt werden, dass die Grundgedanken des Gewährleistungsstaates und die des Governance-Konzeptes – zumindest in ihrem Ausgangspunkt – ähnlich sind und im Folgenden der weiteren Abgrenzung bedürfen.170 – oder: Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (189 ff., insb. 190 ff., 193). 163 Zitat nach Genschel/Zangl, Die Zerfaserung von Staatlichkeit und die Zentralität des Staates, APuZ 20 – 21 (2007), S. 10 (10 ff.). 164 Zitat nach Grewlich, Geopolitik und Governance, 2011, S. 111. 165 Zitat nach Schuppert, Der Staat bekommt Gesellschaft, WZB-Mitteilungen, Heft 121 (2008), S. 15 (15 ff.). 166 Zur Verantwortungsfrage bezogen auf das Gemeinwohl Schuppert, Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft – oder: Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (189 ff.). 167 So insbesondere Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Auflage 2006, § 76 Rn. 25. 168 Zur Gewährleistungsverantwortung als Fortentwicklung der Daseinsvorsorge Kahle, Die Elektrizitätsversorgung zwischen Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit, 2009, S. 157 ff. 169 Dies zum Gewährleistungsstaat ausführend Röber, Aufgabenplanung und Aufgabenkritik, in: Blanke/Nullmeier/Reichard/Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Auflage 2011, S. 108 (113); auch Proeller/Schedler, Verwaltung im Gewährleistungsstaat, in: Blanke/Nullmeier/Reichard/Wewer (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Auflage 2011, S. 37 (37). 170 Zur Koordination der Handlunsgsbeiträge staatlicher und nicht-staatlicher Akteure als Aufgabe des Gewährleistungsstaates Schuppert, Die neue Verantwortungsteilung zwi-
V. Ergebnis
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Die Idee des Gewährleistungsstaates liefert folglich den Hintergrund für das zu diskutierende Governance-Konzept. Dieses bildet letztlich einen ersten Bezugsrahmen für die gewandelte Rollenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft, mithin zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren.171 Zahlreiche der im Rahmen der Governance-Diskussion verwendeten Begriffe wurden vorstehend bereits bei der Beschreibung der verschiedenen staatlichen Verantwortungsstufen im Energiebereich erläutert. Hierauf kann im Folgenden bei der rechtlichen Analyse des Governance-Konzepts im Energiebereich aufgebaut werden.
V. Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich das Auftreten des Staates in seiner ursprünglichen Form gewandelt hat, wie gerade das Energierecht zeigt. Auch wenn die Sicherstellung der Energieversorgung weiterhin eine öffentliche Aufgabe ist, so lässt dies doch keinen Rückschluss auf die jeweils aktuelle Verantwortungsübernahme des Staates zu. Im Laufe der Zeit hat das konkrete Austarieren zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Eigeninitiative vielmehr verschiedene Verantwortungsstufen hervorgebracht, die in gewisser Weise den Grundstein für die später aufkommende Governance-Diskussion legten. Die Verantwortungsbereiche der Erfüllungsverantwortung, der Gewährleistungsverantwortung, der Rahmenverantwortung, der Beobachtungsverantwortung, der Auffangverantwortung und der Privatisierungsfolgenverantwortung konnten auf die Entwicklung des Energierechts übertragen werden und es fiel auf, dass der Übergang von der staatlichen Erfüllungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortung dabei eine besondere Zäsur bildet. Dieser steht für einen grundlegenden Wandel im Verhältnis der Aufgabenwahrnehmung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren. Wie aufgezeigt, stellt sich die Gewährleistungsverantwortung als Oberbegriff dar, unterhalb dessen sich die relevanten Fragen einer staatlichen Steuerung im Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Akteuren neu stellen. Dem Staat kommt eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten zu, die – je nach seinem Bestreben – ein hoheitliches Wirken in jeweils unterschiedlicher Intensität bedeuten. Mit dem theoretischen Wissen
schen Staat und Gesellschaft, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (191). Zur Begründung eines Näheverhältnisses von Gewährleistungsstaat und Governance stellt dieser u. a. auf die Vergleichspaare „Management und Governance“ bzw. „Government und Governance“ ab (ebd., S. 190 f.) und beschreibt eine Mutation des Staates zum Herrschaftsmanager (ebd., S. 189). 171 So auch Schuppert, Die neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, vhw FW 4/Aug.-Sept. 2008, S. 189 (190).
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
um die denkbaren Verantwortungsstufen des Staates wurden die Möglichkeiten geschaffen, den Wandel im Energiebereich nachzuzeichnen. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich die Rolle des Staates seit Inkrafttreten des EnWG im Jahre 1935 bis zu seiner letzten grundlegenden Neugestaltung im Jahre 2011 in mehreren Einzelschritten tiefgreifend verändert hat. Auf die nationale Ebene bezogen konnten dabei als wesentliche Wandelungsimpulse interne Liberalisierungs- und externe Europäisierungstendenzen ausgemacht werden. So ging das EnWG 1935 noch von der Erfüllungsverantwortung nur des Staates für die Energieversorgung aus. Diese „Omnipotenz“ des Staates wurde bis zum Inkrafttreten des EnWG 1998 im Wesentlichen aufrechterhalten. Mit jenem trat dann ein grundlegender Wandel im Rollenverständnis des Staates in der Energiewirtschaft ein. Durch europäische Impulse veranlasst, wurden die monopolistischen Marktstrukturen des Energiemarktes aufgebrochen, Wettbewerb zugelassen und der Markt für private Akteure geöffnet. Es kam ein Systemwechsel zustande, denn der Staat erbrachte fortan die Leistungen der Energieversorgung nicht mehr in der bisherigen Form. Dies bedeutete einen Übergang von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung. Die eigentliche Wahrnehmung der Energieversorgungsleistungen oblag nunmehr gesellschaftlichen Akteuren. Indem sich Deutschland, festgeschrieben in § 6 EnWG 1998, für das Modell des verhandelten Netzzugangs entschied, wurde diesen eine besonders weitgehende Verantwortung übertragen. Bedingt dadurch, dass ihnen die Möglichkeit zum Erlass sogenannter Verbändevereinbarungen übertragen wurde, in denen die Bedingungen und damit auch die Preise des Netzzugangs von privaten Akteuren geregelt werden konnten, zog sich der Staat zum Großteil auf seine Auffangverantwortung zurück. Die gesetzlichen Strukturen waren in diesem Teilbereich auf Vermeidung klassisch-hierarchischer Steuerung ausgerichtet, es wurde auf Selbstregulierung gesetzt. Schnittmengen zu dem, was später unter dem Begriff Governance diskutiert wurde, sind dabei unübersehbar, auch vor dem Hintergrund der ins Leben gerufenen, vom Kooperationsgedanken getragenen „Regulierung im Dialog“. Der sogenannte „Wandel des Staates“ – zu verstehen als Wandel im Rahmen der Verantwortungsteilung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren – erreichte im Zuge der Neufassung des EnWG also einen vorläufigen Höhepunkt bezogen auf eine Abkehr des Staates von der Erfüllungsverantwortung hin zu einer Gewährleistungsverantwortung – mit darüber hinausgehenden Elementen. Mit Erlass des EnWG 2003 wandte sich Deutschland wieder einem stärker regulierenden Ansatz zu. Der rechtliche Nachvollzug der zuvor zwischen den gesellschaftlichen Akteuren ausgehandelten Verbändevereinbarungen bedeutete einen dahingehenden Wandel der staatlichen Verantwortungsübernahme, dass der Staat sich vom Modell der Selbstregulierung und der ihm zukommenden reinen Beobachterrolle verabschiedete und stattdessen eine Art paktierte Gesetzgebung
V. Ergebnis
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anstrebte. Anders als noch beim Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlebergbaus und der deutschen Steinkohlebergbaugebiete von 1968 oder auch den Gesetzen zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität bzw. für die Erhaltung, Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärmekopplung war der Staat jedoch nicht an im Vorfeld stattfindenden Verhandlungsprozessen zur Erarbeitung der Regelungen beteiligt, vielmehr nahm er mit dem reinen Nachvollzug eine weiterhin überaus passive Rolle ein. Bezogen auf das EnWG 2003 kann man mithin von einer deutlichen Form der kooperativen Rechtserzeugung sprechen, die sich durch ein Hinwenden zu konsensualen Steuerungsinstrumenten auszeichnete. Demgegenüber erfolgte durch das EnWG 2005, dessen Grundausrichtung mit dem EnWG 2011 später beibehalten wurde, eine grundsätzliche Re-Regulierung. Der Staat wurde wieder mehr zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in den Formen der Gewährleistungsverantwortung angehalten, das beschriebene, in Teilen freie Spiel der gesellschaftlichen Akteure – besonders im Rahmen der Netzzugangsregulierung – beendet. Veranlasst durch europarechtliche Vorgaben wurde der Staat im Rahmen seiner Auffangverantwortung tätig, was insbesondere aufgrund des nachhaltig ausbleibenden Erfolges der bisherigen Verhandlungslösungen notwendig wurde. Konsequenz dieser Entwicklung war die wieder verstärkt festgeschriebene Beobachtungsverantwortung des Staates, die in zahlreiche Veröffentlichungs-, Berichts- und Mitteilungspflichten der privaten Akteure mündete. Gleichzeitig bemerkenswert waren jedoch die Formen des staatlichen Agierens. Es wurden erstmals weitgehend unabhängig gestellte Regulierungsagenturen geschaffen, zu denen sich eine lückenlos bestehende Legitimationskette – wie vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des klassischen demokratischen Legitimationsmodells gefordert – zunehmend schwierig nachweisen ließ. Das EnWG 2011 folgt in Bezug auf die staatliche Verantwortungsübernahme – wie aufgezeigt – einerseits den bereits bestehenden Strukturen, entwickelt diese andererseits in Teilen jedoch auch fort. Letzteres bedeutete eine weitere Ausdifferenzierung des Energiemarktes, indem neue Akteure geschaffen und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen privaten Akteuren institutionalisiert wurde, die hierdurch wiederum an der Regulierung mitwirken können. Der Regelsetzungsprozess wird komplexer, neue Aspekte der Selbstregulierung finden Eingang in das europäische Energierecht, jedoch in einem stärker formalisierten Rahmen. Es zeigt sich, dass Selbstregulierung von, Kooperation mit und Unabhängigstellung von stetig zahlreicher auftretenden Akteuren das Staats- und Verwaltungsrecht vor immer größere Probleme stellen. Das Auftreten des Staates lässt sich immer schwieriger fassen, auch weil es zwischen teilweisem Rückzug, Auffangverantwortung und Selbsterfüllung hin und her schwankt. Anknüpfungspunkte für eine Diskussion des Governance-Konzeptes zeigen sich ganz deutlich.
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1. Teil, § 1 Wandel in der Energiewirtschaft
Die Ausführungen zu den verschiedenen Verantwortungsarten des Staates haben folglich wichtige Erkenntnisse geliefert, auf die im Folgenden zurückgegriffen werden kann. Wie anhand der Entwicklung des EnWGs aufgezeigt, liefern die Verantwortungsstufen einen guten Bezugsrahmen zur Systematisierung staatlichen Handelns und schaffen so ein besseres Verständnis für das Wirken des Staates und anderer energiewirtschaftlicher Akteure. Das breite Spektrum der dem Staat im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung zustehenden Instrumente wurde ebenso in den Fokus gerückt wie die unterschiedlichen Formen des Zusammenwirkens von Staat und (Zivil-)Gesellschaft bei der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Energieversorgung. Auch wurde in diesem Kapitel deutlich, dass insbesondere das Aufkommen des Konzepts der Gewährleistungsverantwortung und des Leitbildes des Gewährleistungsstaates eine erste Zäsur im Verhältnis zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren bilden. Wie der Übergang vom Interventions staat zum Gewährleistungsstaat im Rahmen des Energierechts verdeutlicht, ist es somit zumindest unpräzise, wenn in Teilen der sozialwissenschaftlichen Literatur der Eindruck erweckt wird, die Governance-Debatte ordne die Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft erstmalig grundlegend neu. Diese Neujustierung fand schon früher ihren Ausgangspunkt. Die Grundgedanken des Gewährleistungsstaates und die des Governance-Konzepts sind somit zumindest in ihrem Ausgangspunkt von ähnlicher Beschaffenheit. Für die folgende Analyse des Governance-Begriffs liefern daher die Idee des Gewährleistungsstaates und der Verantwortungsstufen wichtige Hintergrundinformationen.
§ 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich 1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
I. Grundsätzliche Tauglichkeit des GovernanceKonzepts im Energiesektor Resümiert man die im ersten Kapitel aufgezeigte Entwicklung, so werden Konturen deutlich, die Anschlüsse an den zu diskutierenden Governance-Ansatz ermöglichen. Das betrifft zum einen den steten Wandel der Aufgabenerfüllung im Energiebereich und zum anderen die zunehmende Einbindung des Themenfeldes in einen europäischen Kontext. Gerade das Festmachen des Wandels der staatlichen Aufgabenerfüllung an unterschiedlichen Verantwortungsstufen hat Blickwinkel eröffnet, die einen Einstieg in die häufig etwas konturenlos172 erscheinende Governance-Debatte ermöglichen. Dies gilt besonders für den Bereich der Energieversorgung, schließlich kommt hier – vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen und der auch hierdurch bedingten sogenannten „Energiewende“173 – im172 Den „unklaren und schillernden Bedeutungsgehalts“ des Governance-Ansatzes kritisierend Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in der Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 463 (495 ff.); die „anerkannte Uneindeutigkeit“ des Governance-Begriffs betonend v. Blumentahl, Governance – eine kritische Zwischenbilanz, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 15 (2004/5), S. 1149 (1150); sich hierauf beziehend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (45); in diesem Sinne auch Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004, S. 24, der in diesem Zusammenhang von einer „theoretischen Vielfältigkeit und Unschärfe“ spricht; vgl. auch Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 68; ebenfalls in diesem Sinne Engi, Governance – Umrisse und Problematik eines staatstheoretischen Leitbildes, Der Staat 47 (2008), S. 573 (573, 576); vom Governance-Konzept als „notoriously slippery“ sprechend Pierre/Peters, Governance, Politics and the State, 2000, S. 7; ebenso Benz/Dose, Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 13 (13); sich mit der Vorhaltung „notoriously slippery“ auseinandersetzend Schaefer, Die Umgestaltung des Verwaltungsrechts, 2016, S. 364 ff. 173 Zu einer Zwischenbilanz der sog. „Energiewende“ vgl. etwa Gundel/Lange (Hrsg.), Neuausrichtung der deutschen Energieversorgung – Zwischenbilanz der Energiewende, 2015; dies. (Hrsg.), Die Energiewirtschaft im Instrumentenmix – Wettbewerb, Regulierung und Verbraucherschutz nach der Energiewende, 2013; Kahl/Bews, Das Recht der Energiewende – Rechtspolitische Perspektiven für mehr Effektivität und Kohärenz, JZ 2015, S. 232 (232 ff.); dies., Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1004 ff.), S. 1094 (1094 ff.); zur Energiewende aus kommunaler Sicht Kahl/Schmidtchen, Kommunaler Klimaschutz durch erneuerbare Energien, 2013; zu zukünftigen Fragen der Energie-
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
mer grundsätzlicher die Frage auf, wem die Verantwortung für die Garantie einer sicheren Energieversorgung obliegt.174 Dies für die europäische Ebene untersuchend lassen sich verschiedene Instrumente, Regelungen und Vorgehensweisen unterschiedlicher Akteure in jeweils unterschiedlichen Formen des Auftretens beobachten, die allesamt – direkt oder indirekt – auf die Gewährleistung einer europäischen Energieversorgung ausgelegt sind. Zur Analyse dieser Strukturen empfiehlt sich – wie aufgezeigt werden wird – ein Rückgriff auf die bereits angesprochene Governance-Perspektive175, eben weil ein Wandel innerhalb der Verantwortungswahrnehmung stattgefunden hat. Bereits die dargestellten Änderungen der Verantwortungsstufen im Energie recht deuten einen kontinuierlichen Wandel in der staatlichen Verantwortungswahrnehmung und damit auch einen Wandel im Verständnis zwischen Staat und Gesellschaft an, auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Es ist eben diese Entwicklung, die – wenn auch nicht bezogen auf den Energiebereich – die Etablierung eines Governance-Ansatzes vorantrieb, von Gunnar Folke Schuppert beschrieben als „von Planung über Steuerung zu Governance“176. Die Energiepolitik reagierte mit jeder Änderung der Verantwortungsstufen auf neue Herausforderungen und schuf neue Strategien, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. wende Gawel/Lehmann/Korte (u. a.), Die Zukunft der Energiewende in Deutschland, ZUR 2014, S. 219 (219 ff.); zum die Energiewende maßgeblich beeinflussenden „Faktor Fuku shima“ Attendorn, Die Belange des Klimaschutzes nach Fukushima und der Energiewende, NVwZ 2012, S. 1569 (1569 ff.); zu den Folgen der Energiewende auch Koenig/Kühling/ Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 38; zu Fragen der Europäisierung Assmann, Europäisierung der Energiewende, 2016, insb. S. 55 ff.; zu einer völkerrechtlichen Perspektive Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnZW 2016, S. 243 (243 ff.); allgemein zu Rechtsproblemen der Energiewende vgl. Quaas/Deutsches Anwaltsinstitut e.V. (Hrsg.)., Rechtsprobleme der Energiewende, 2015; Rensmann/Storr (Hrsg.), Die Energiewende im rechtlichen Mehrebenensystem, 2015. 174 Vgl. für eine globale Perspektive hierzu Walter, Gewährleistungs- und Erfüllungsverantwortung auf globalen Energiemärkten, in: Leible/Lippert/ders. (Hrsg.), Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten, 2007, S. 47 (61), der die Frage aufwirft, ob es einer weltweiten „Rohstoffbeschaffungsverantwortung“ bedarf; zur globalen Perspektive auch Frey, Globale Energieversorgungssicherheit, 2013, S. 20 ff. 175 Zu völkerrechtlichen Fragestellungen der Energieversorgung Frey, Globale Energieversorgungssicherheit, 2013, S. 21 ff., insb. 30 ff. 176 Schuppert, Governance – auf der Suche nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Begriffs“, in: ders./Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, S. 13 (19); vgl. auch ders., Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft im Wandel – Von Planung über Steuerung zu Governance, AöR 133 (2008), S. 79 (79 ff.), dort auch allgemein zur Beliebtheit von „Von-Zu-Formeln“ im Verwaltungsrecht, S. 94 f.; zu Governance und Planung auch Kersten, Wasserwirtschaft und Raumordnung, in: Jarass (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen Raumplanung und Wasserwirtschaft, S. 53 (82 ff.); auf Letzteren verweisend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 233.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Mit dem Fokus auf dem Wandel der Verantwortungswahrnehmung ist es das Ziel dieser Untersuchung, neue Institutionen und Akteurskonstellationen, mithin Verantwortungsträger, auszumachen sowie deren differenzierte Handlungsinstrumente einzuordnen. Es geht mithin um die Analyse neuer Regelungsstrukturen177 im Energiebereich.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft Über das Forschungsfeld Governance ist in der Literatur bereits umfänglich geschrieben und diskutiert worden.178 Seine Ursprünge in der Ökonomik findend179, rezipiert von der Politikwissenschaft, entwickelte es sich zügig zu einem Forschungsschwerpunkt, der die gesamten Sozialwissenschaften erfasste und demgegenüber sich auch die Rechtswissenschaft zunehmend öffnet. Da die Governance-Debatte trotz ihrer Interdisziplinarität und der „Brückenfunktion“180 177 Zum Begriff der Regelungsstruktur Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, Band 37 (2004), S. 451 (457 ff.); Trute/ Kühlers/Pilniok, Rechtswissenschaftliche Perspektiven, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 240 (245 ff.); Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungsperspektiven, 2. Auflage 2006, S. 371 (382 ff.); Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (193 ff.). 178 Statt vieler vgl. nur die Überblicksdarstellungen von Schuppert, Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung 44 (2011), S. 273 (273 ff.); Benz/ Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007; Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010; Botzem/Hoffmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009; Bang (Hrsg.), Governance as social and political communication, 2003; siehe auch Kahl, Schlüsselbegriffe einer „Internationalen Staatsund Verfassungslehre“, in: Gedächtnisschrift für Winfried Brugger, 2013, S. 663 (670 ff.); jüngst zur Verwendung des Governance-Ansatzes in der Verwaltungsrechtswissenschaft auch Çevrim, Housing Improvement Districts, 2016, S. 96 ff. 179 Zum Ursprung und zur Entwicklung des Governance-Begriffs Benz/Dose, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 13 (17 ff.); auch Schuppert, Governance – Auf der Suche nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Begriffs“ in: ders./Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 13 (16 f.); Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europa, 2011, S. 38 ff.; Trute/ Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, Band 37 (2004), S. 451 (452); den früher vorrangig ökonomischen Kontext betonend ferner Frey, Globale Energieversorgungssicherheit, 2013, S. 21 ff.; Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 223 f. 180 So Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 371 (373); ders., Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (276); van Kersbergen/van Waar-
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
des Governance-Begriffs von der Politikwissenschaft dominiert wird,181 bedarf es zunächst einer Prüfung, mit welchem Inhalt der Governance-Begriff für die Rechtswissenschaft greifbar zu machen ist, um sodann speziell die GovernanceStrukturen des Energierechts bewerten zu können. Es kann dabei vorliegend nicht darum gehen, einen Gesamtüberblick über den disziplinübergreifenden Diskussionsstand zu geben.182 Vielmehr sollen die Kernthesen des Forschungsbereichs herausgearbeitet und ihr Mehrwert für die Untersuchung verdeutlicht werden. Ziel ist es, eine für die vorliegende Untersuchung weiterführende, mehrwerthaltige Verwendung des Governance-Begriffs herauszuarbeiten. 1. Der Governance-Begriff und seine Rezeption Eine nachhaltige Rezeption des Governance-Begriffs durch die Rechtswissenschaft oder gar eine Übernahme in den juristischen Sprachgebrauch hat nach wie vor überwiegend nicht stattgefunden.183 Eine Ursache für diese Zurückhaltung dürfte wohl auch in der fehlenden Einigkeit hinsichtlich einer Definition des Governance-Konzepts184 liegen. Als konsensfähig kann angesehen werden, dass das Governance-Konzept eine ganzheitliche Betrachtung eines Politikfeldes ermöglicht.185 Wie diese Betrachtung jedoch im Detail aussehen soll bzw. wie weit der Governance-Begriff zu ziehen ist, um eben diese Betrachtung zu ermöglichen, ist nicht nur inter-, sondern auch intradisziplinär umstritten. Im Wesentlichen lassen sich im Schrifttum zwei Strömungen ausmachen.
den, ,Governance‘ as a bridge between disciplines, European Journal of Political Research 43 (2004), S. 143 (143 ff.). 181 So auch Schuppert, Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (280). 182 Sich an einer Bilanzierung versuchend vgl. insb. Schuppert, Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (273 ff.). 183 Vgl. Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2. Auflage 2006, S. 195 (195 f.), der dies auch auf den der Rechtswissenschaft innenwohnenden „Begriffskonservatismus“ zurückführt; vgl. auch Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004, S. 24. Jüngst auch Reimer, Nachhaltigkeit und „Good Governance“, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, 2016, S. 43 (43), der die – im Gegensatz zum Nachhaltigkeitsbegriff – nach wie vor bestehende Vorstellungsbedürftigkeit des Konzepts hervorhebt. 184 Die fehlende Kohärenz des Governance-Konzeptes betonend auch Frederickson/ Smith, The public administration theory primer, 2003, S. 209. 185 Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 227.
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a) Weiter Governance-Begriff Nach einer stark verbreiteten Auffassung soll Governance die Erfassung „sämtlicher vorkommender Muster der Interdependenzbewältigung“186 ermöglichen, sowohl zwischen Staaten als auch – in Abkehr von der bisherigen Staatszentriertheit187 – zwischen Staaten und gesellschaftlichen Akteuren. Auf Renate Mayntz zurückgehend kann Governance damit im Kontext nationaler wie supranationaler Politik verstanden werden als „die Gesamtheit der in einer politischen Ordnung mit- und nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte“.188 Ein derart weites Begriffsverständnis umfasst letztlich die Beschreibung aller politisch relevanten Vorgänge. Engere Grenzen sind nicht gesetzt. Der Wandel von Staatlichkeit wird dabei gemeinhin mittels der Governance-Modi Hierarchie189, Verhandlung190, Netzwerke191 und Wettbewerb192 beschrieben.193 186 Zitat nach Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 9 (11). 187 Zur „Überwindung von Staatszentriertheit“ Schuppert, Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (282 f.) unter Bezugnahme auf Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 9 (11). 188 Zitat nach Mayntz, Governance im modernen Staat, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 35 (35), Hervorhebung durch Verfasser; vom gleichen Begriffsverständnis ausgehend Benz/Dose, Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2004, S. 13 (25 f.); eine sehr ähnliche Definition verwendete die Commission on Global Governance/Kommission für Weltordnungspolitik, Nachbarn in einer Welt – Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 1995, S. 4: „Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln.“ Vgl. hierzu Engi, Governance – Umrisse und Problematik eines staatstheoretischen Leitbildes, Der Staat 47 (2008), S. 573 (576 ff.); zur Eingrenzung des Begriffs auch Schuppert, Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung, Band 40 (2007), S. 463 (467 f.). Von einem weiten Verständnis ausgehend auch Zürn, Global Governance, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien, 2. Auflage 2006, S. 121 (127); Franzius, Horizontalisierung als GovernanceStruktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (642); vgl. auch v. Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: v. Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, 2010, S. 3 (7 ff.). 189 Zum Governance-Modi Hierarchie Döhler, Hierarchie, in: Benz/Lütz/Schimank/ Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 46 (46 ff.). 190 Zu Verhandlungen Benz, Verhandlungen, in: ders./Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 106 (106 ff.). 191 Zu Netzwerken Wald/Jansen, Netzwerke, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 93 (93 ff.); Schwind, Netzwerke im Europäischen Verwal-
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Da auch die Staats- und Verwaltungslehre traditionell dazu dienen, einen Wandel von Staatlichkeit in einem bestimmten Politikbereich nachzuvollziehen194, können hinsichtlich der Anschlussfähigkeit eines derart weit verstandenen Governance-Begriffs für die Rechtswissenschaft letztlich keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Wenn man Andreas Voßkuhle folgt, so erlebt die „Allgemeine Staatslehre“ im Zeitalter der Europäisierung und Internationalisierung zur Beschreibung des damit einhergehenden Wandels von Staatlichkeit gar eine „Renaissance“.195 Wenn die „Allgemeine Staatslehre“ derart auf Veränderungen und Wandlungsprozesse zu reagieren in der Lage ist, dann können grundsätzlich auch keine normativen Hürden hinsichtlich einer Integration des weiten Governance-Begriffs in die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft bestehen.196 192
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Allein die Anschlussfähigkeit eines weit verstandenen Governance-Begriffs sagt indes noch nichts über den (rechts-)wissenschaftlichen Nutzen einer solchen Rezeption aus. Schließlich geht es darum, eine für die vorliegende Untersuchung mehrwerthaltige Verwendung der Governance-Perspektive auszumachen. Auch wenn in einer weiten Öffnung des Blickwinkels, insbesondere seitens der Politikwissenschaft, häufig die eigentliche Stärke der Governance-Perspek tungsrecht, 2017; zu Netzwerkmodellen und Netzwerkdenken Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S. 151 f. 192 Zum politischen Wettbewerb Benz, Politischer Wettbewerb, in: ders./Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 54 (54 ff.). 193 Von den „schon vertrauten ‚Großen Vier‘“ sprechend Schuppert, Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung, Band 40 (2007), S. 463 (491); vgl. auch Trute/Kühlers/ Pilniok, Rechtswissenschaftliche Perspektiven, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 240 (249), die in diesem Zusammenhang von Markt, Hierarchie, Netzwerken und Gemeinschaften sprechen, was jedoch kein anderes Verständnis bedeutet. Zum weiten Governance-Begriff auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (45 f.). 194 So Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46), der diesbezüglich auf die Tradition der klassischen Allgemeinen Staatslehre um die Lehren Georg Jellineks sowie Max Webers abgestellt; hierzu näher Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, 2000, passim; sich auf Kersten beziehend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadt entwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 248. 195 Voßkuhle, Die Renaissance der „Allgemeinen Staatslehre“ im Zeitalter der Europäisierung und Internationalisierung, JuS 2004, S. 2 (2 ff.; insb. 4 ff.). 196 In diesem Zusammenhang von einer empirisch orientierten Staats- und Verwaltungslehre sprechend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46).
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tive erblickt wird197, so kann hierin kaum ein Mehrwert für die rechtswissenschaftliche Debatte gesehen werden.198 Zugespitzt könnte man an dieser Stelle behaupten, zwar lässt sich mit einem derart weiten Verständnis von Governance eine gemeinsame, disziplinübergreifende Definition finden, dies jedoch nur um den Preis, eine weitgehende Leerformel geschaffen zu haben. Mehr als ein bloßes Brücken-199 oder grenzüberschreitendes Kommunikationskonzept200 kann Governance bei einem derartigen Verständnis folglich nicht darstellen. Eine solche Konzentration „auf den kleinsten gemeinsamen Nenner“ verleiht jedoch Governance nicht den für die vorliegende Arbeit gesuchten rechtswissenschaftlichen Mehrwert. Hierzu bedarf es einer engeren Umschreibung des Begriffs.
197 Die weite Fassung des Governance-Begriffs verteidigend etwa Benz/Dose, Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: dies. (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2004, S. 13 (25). 198 Vgl. Engi, Governance – Umrisse und Problematik eines staatstheoretischen Leitbildes, Der Staat 47 (2008), S. 573 (576 ff.), der bei einem derart weiten Verständnis des Governance-Begriffs die fehlende Kontur moniert. Ebenfalls einen Mehrwert von Governance anmahnend, dann aber dennoch von einem weitem Begriffsverständnis ausgehend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (642 f.). Im Zusammenhang mit dem Versuch einer Begriffsbestimmung von Governance ist im Übrigen die (im gewissen Umfang spiegelbildliche) Diskussion zum Begriff der ‚Verwaltung‘ zu beachten, der gleichsam – aufgrund seiner Weite und Vielgestaltigkeit – schwer zu fassen ist; vgl. zu Letzterem Möllers, Methoden, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2012, § 3 Rn. 4 f. 199 Zur Brückenfunktion von Governance etwa van Kersbergen/van Waarden, Governance as a bridge between disciplines: Cross-disciplinary inspiration regarding shifts in governance and problems of governability, accountability and legitimacy, European Journal of Political Research 43 (2004), S. 143 (143 ff.); grundlegend zu Governance als interdisziplinären Brückenbegriff auch Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungsperspektiven, 2. Auflage 2006, S. 371 (373 ff.); ders., Governance-Forschung: Versuch einer Zwischenbilanz, Die Verwaltung, Band 44 (2011), S. 273 (276 f.); zur Definition von Brückenbegriffen vgl. Hoffmann-Riem, Methoden einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schmidt-Aßmann/ ders. (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 9 (61 f.); daran anknüpfend auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 230 f. 200 Zu Governance in kommunikationstheoretischer Perspektive Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungsperspektiven, 2. Auflage 2006, S. 371 (449).
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
b) Enger Governance-Begriff Nach einer engeren Definition des Begriffs sind unter Governance Regelungs-201 bzw. Koordinationsstrukturen 202 zu verstehen, die sich nicht mehr von einem Zentrum her analysieren und bewerten lassen.203 Kernaussage ist, dass dem Staat in den in verschiedenen Politikbereichen vorherrschenden Netzstrukturen keine „Omnipotenz“ mehr zukomme. Ihm fehle letztlich die Macht, alle übrigen nicht-staatlichen Akteure auf sich zu beziehen.204 Damit ist der Weg für das bereitet, was Gunnar Folke Schuppert als „von Planung über Steuerung zu Governance“205 beschreibt und was sich auch am Beispiel des Energierechts nachzeichnen lässt. aa) Planung Mit Erlass des EnWG 1935 sicherte sich der Staat seine Stellung als omnipotenter Akteur und behielt diese bis zum Außer-Kraft-Treten des Gesetzes im Jahr 201 Von Regelungsstrukturen sprechend Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, Band 37 (2004), S. 451 (457 ff.); Trute/ Kühlers/Pilniok, Rechtswissenschaftliche Perspektiven, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 240 (245), wo sie das Konzept der Regelungsstruktur als rechtswissenschaftliche Ausprägung von Governance bezeichnen; ebenso von Regelungsstrukturen sprechend Schuppert, Governance im Spiegel der Wissenschaftsdisziplinen, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungsperspektiven, 2. Auflage 2006, S. 371 (382 ff.); Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (193 ff.). 202 Von Koordinationsstrukturen sprechend Schuppert, Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung, Band 40 (2007), S. 463 (487 ff.); Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (119 f.). 203 Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46); Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, Band 37 (2004), S. 451 (460); Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (197); vgl. auch Kooiman, Governing as Governance, 2003, der in diesem Sinne von „social political governance“ spricht. 204 So zusammenfassend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46). 205 Zitat nach Schuppert, Governance – auf der Suche nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Begriffs“, in: ders./Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 13 (19); ders., Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft im Wandel – Von Planung über Steuerung zu Governance, AöR 113 (2008), S. 79 (79 ff.), ebd. auch allgemein zur Beliebtheit von „Von-Zu-Formeln“ im Verwaltungsrecht, S. 94 f.; vgl. auch Kersten, Wasserwirtschaft und Raumordnung, in: Jarass (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen Raumplanung und Wasserwirtschaft, S. 53 (82 ff.); auf Letzteren verweisend auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 233.
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1998 – mehr oder weniger unverändert – bei. Das EnWG 1935 war auf ein Wirken des Staates im Rahmen seiner Erfüllungsverantwortung konzentriert. Den damaligen – insbesondere bei Erlass des Gesetzes – vorherrschenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen von der Notwendigkeit eines „starken Staates“ entsprechend, war das Energierecht nicht am Wettbewerbsdenken orientiert, sondern auf Verhinderung des Eintritts Privater in den Energiemarkt gerichtet. Prägend war ein durch staatliche Aufsichtsinstrumente gekennzeichneter Ordnungsrahmen.206 Dem Staat kam mithin die zentrale Stellung im Energiebereich zu, er besaß die Omnipotenz, alle weiteren Akteure auf sich zu beziehen. Dieser aus der Alleinverantwortlichkeit des Staates resultierende strikte Ausschluss jeglichen Wettbewerbs und damit aller nicht-staatlichen Akteure lässt sich dabei nicht nur, wie eingangs geschehen, mit einem Tätigwerden des Staates im Rahmen seiner Erfüllungsverantwortung charakterisieren, sondern hierhinter verbirgt sich auch das, was Schuppert als „erste Entwicklungsstufe“207 auf dem Weg zum Governance-Konzept beschreibt: Planung. Planung meint in diesem Kontext die politische Vorstellung einer „primär hierarchischen, etatistischen Gestaltung gesellschaftlicher Felder durch Politik mittels der Ministerialbürokratie als zentralem Gestaltungssubjekt, das ,von oben‘ mit großer Zielgenauigkeit dirigistisch in ein jeweiliges Gestaltungsobjekt (…) hineinzuwirken vermag“208 und beschreibt damit letztlich eine ausschließlich auf das Staatsinteresse eingestellte Denk- und Gestaltungsweise.209 Eben jene prägte – wie aufgezeigt – das EnWG 1935. Der Staat kam seiner Verantwortung zur Erfüllung der Daseinsvorsorge im Energiebereich dadurch nach, dass er die Versorgungsaufgaben in eigener Regie erfüllte und notwendige Leistungen selbst erbrachte. Er agierte als Interventionsstaat mittels eines hierarchischen Vorge-
206 Siehe oben, § 1, III., 1.; zum EnWG 1935 vgl. Danner, in: ders./Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Einführung Rn. 31 ff. 207 Vgl. Schuppert, Governance – Auf der Suche nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Begriffs“, in: ders./Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 13 (19 ff.); über die zu unterscheidenden Entwicklungsstufen des Governance-Ansatzes besteht in der Literatur offenbar weitgehend Einigkeit, vgl. Mayntz, New Challenges to Governance Theory, in: Bang (Hrsg.), Governance as a Social and Political Communication, 2003, S. 27 (28 ff.); dies., Von der Steuerungstheorie zu Global Governance, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 43 (43 ff.); Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 9 (12 f.). 208 Zitat nach Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 9 (12). 209 Zur Planung auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 233 f.
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hens in den Handlungsformen Gesetz, Verordnung, Satzung, Organisation, Plan, Verwaltungsakt.210 Bestärkt durch die Implementationsforschung211 setzte sich ab den 1970er Jahren beim Gesetzgeber zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese planerische Form der Politikgestaltung allgemein immer weniger funktionierte. Ausgemachte Vollzugsdefizite und die Erkenntnis, dass sich bessere Ergebnisse erzielen ließen, wenn man das jeweilige Gestaltungsobjekt nicht länger als bloß passiven Gegenstand begriff, führten zu einem Umdenken beim Versuch, Lösungen für auftauchende (Rechts-)Probleme zu finden.212 Anstatt an einer bloß hierarchischen Gestaltung gesellschaftlicher Felder festzuhalten, ging das neue Verständnis zunehmend dazu über, die einzelnen Gestaltungsobjekte nicht mehr nur als passive „Befehlsempfänger“ eines interventionistisch auftretenden Staates zu begreifen, sondern in ihnen komplexe Konstellationen individueller und – vor allem 210 Zu Begriff und Handlungsformen des Interventionsstaates Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Auflage 2006, § 76 Rn. 25; im Kontext der Handlungsformenlehre der Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft vgl. auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (47). 211 Vgl. hier das für die policy-Forschung wohl grundlegende Werk Pressman/Wildavsky, Implementation: How great expectations in Washington are dashed in Oakland; or, why it’s amazing that federal programs work at all, 1974; zu empirischen Implementationsstudien vgl. ferner Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht, 1975; Mayntz/Bohne (Hrsg.), Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; hierauf aufbauend Bohne, Der informale Rechtsstaaat, 1981. 212 Vgl. Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 10, der die Ergebnisse der Implementationsforschung als zwar eigentlich nicht neu, aber „von der Rechtswissenschaft (…) bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend ignoriert“ beschreibt; vgl. auch Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 9 (12); grundlegend für den neu aufkommenden Kooperationsgedanken Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), S. 389 ff.; seiner Zeit insoweit weit voraus Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 10. Auflage 1973, S. 73 f.: „Die Berührung des Einzelnen mit dem Staate aktualisiert sich nicht mehr in Einzelakten wie einer gelegentlichen Polizeiverfügung oder einer einmaligen Erlaubniserteilung. Sie ist Dauerzustand. Damit verschieben sich die Aspekte grundsätzlich. Für den Einzelnen kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, im einzelnen Falle, in dem ihm Unrecht geschieht, sein Recht zu erstreiten, sondern diesen Dauerzustand so reibungslos und vorteilhaft wie möglich zu gestalten. Je mächtiger er ist, umso mehr Möglichkeiten bieten sich ihm dafür, ‚Möglichkeiten‘, die nicht mehr durch Einlegung von Rechtsmitteln, sondern im Verhandlungswege wahrgenommen werden. Man arrangiert sich nach den Regeln des ‚do ut des‘. Die Verwaltung hat an solchen Arrangements ebenfalls ein Interesse, da sie, je mehr sie in das Sozialleben ausgreift, auf eine Kooperation mit den Sozialfaktoren angewiesen ist.“
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– kooperativer Akteure zu erblicken, die je eigene Interessen, aber auch nutzbare Einflusspotentiale haben.213 Dies zog einen Übergang zur Steuerungsdiskussion nach sich. bb) Steuerung Wenn auch der Steuerungsbegriff interdisziplinär zum Teil unterschiedlich aufgefasst wird und demzufolge unterschiedliche Steuerungsbegriffe und -theorien miteinander konkurrieren und teilweise unterschiedliche Akzente setzen 214, so lässt sich diesbezüglich doch eine konsensfähige Kernaussage treffen: In Abkehr von einer ausschließlich hierarchisch agierenden Planung seitens des Staates stand jetzt die Suche nach Möglichkeiten und Wirksamkeitsbedingungen einer „konzeptionell orientierten Gestaltung der gesellschaftlichen Umwelt durch politische Instanzen“215 im Mittelpunkt.216 Letztlich hat der Steuerungsbegriff somit zu einer wesentlichen Erweiterung des Blickwinkels geführt.217 Das primäre Au213 Vgl.
Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 9 (12), die die bisherigen Gestaltungsobjekte als aktiv und eigendynamisch Steuerungsimpulse verarbeitend bezeichnen; sich auf diese beziehend auch Schuppert, Governance – Auf der Suche nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Begriffs“, in: ders./Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 13 (19). 214 Eine Übersicht über die verschiedenen Ansätze findet sich etwa bei Görlitz/Burth, Politische Steuerung, 2. Auflage 1998, S. 77 ff.; hieran anknüpfend Schweizer, Politische Steuerung selbstorganisierter Netzwerke, 2003, S. 31 ff.; vgl. auch Dose, Problemorientierte staatliche Steuerung, 2008, S. 29 ff.; generell zur Entwicklung und Ausdifferenzierung von Steuerung Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie, in: dies. (Hrsg.), Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 263 ff. 215 Mayntz, Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme, in: dies. (Hrsg.), Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 186 (189). 216 Zum Steuerungsbegriff und zur Steuerungstheorie vgl. Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 18 ff.; Kahl, Parlamentarische Steuerung der internationalen Verwaltungsvorgänge, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 71 (71 f.); Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 108 ff.; zur Steuerung als interdisziplinärem Thema ferner Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource – Einleitende Problemskizze, in: ders./Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9 (15 ff.); auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 235 ff. 217 Vgl. Kahl, Parlamentarische Steuerung der internationalen Verwaltungsvorgänge, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 71 (72); ders., Über einige Pfade und Tendenzen in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 463 (491); von einer „substantiellen interdisziplinären Perspektiven erweiterung“ sprechend ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 335 (335 f.); Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund: in:
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genmerk der Steuerungswissenschaft richtete sich zwar weiterhin auf die „rechtsstaatliche Disziplinierung“ eines Steuerungsobjektes durch ein Steuerungssubjekt, zugleich wurde jedoch mit der „Effektuierung des Verwaltungshandelns“ eine Perspektivenerweiterung vorgenommen.218 Neben den klassisch materiellen Gesetzesprogrammen, die insbesondere durch die Eingriffsverwaltung – wie sie auch das EnWG 1935219 prägte – bestimmt waren, rückten fortan auch das Verfahrens- und Organisationsrecht als relevante Steuerungsressourcen in den Fokus; neben einem ausschließlich hoheitlichen Gesetzesvollzug kamen konsensuale und sogar informale Umsetzungstechniken in Betracht; neben das klassische Interventions- und Ordnungsrecht trat das sogenannte Gewährleistungsverwaltungsrecht und somit der Wandel von einer staatlichen Erfüllungsverantwortung zu einer Gewährleistungsverantwortung des Staates.220 Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 5; Scherzberg, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen, VVDStRL 63 (2004), S. 214 (225); eine andere Auffassung vertretend Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung durch Innovationen?, VVDStRL 63 (2004), S. 264 (286 ff., insb. S. 288), der die Begriffe Steuerung und Steuerungswissenschaft im juristischen Kontext generell vermeiden will, da hierdurch nur „unangemessene Erwartungshaltungen“ geschaffen würden; zu einem generellen, kritischen Blick auf die Prämissen der Steuerungsdiskussion vgl. ders., Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 10 ff. 218 Vgl. Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 6 sowie Kahl, Parlamentarische Steuerung der internationalen Verwaltungsvorgänge, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 71 (72), die in diesem Zusammenhang von einem „Doppelauftrag des Verwaltungsrechts“ sprechen; hierzu detailliert Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Auflage 2006, Kap. 1 Rn. 30 ff.; ähnlich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung, Band 25 (1992), S. 21 (27), der eine Parallele zum Doppelauftrag der Handlungsformenlehre zieht; ähnlich auch Schulze-Fielitz, Kooperatives Recht im Spannungsfeld von Rechtsstaatsprinzip und Verfahrensökonomie, DVBl. 1994, S. 657 (661 f.); ferner v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 5, der von einer „Doppelfunktionalität des Verwaltungsrechts als rechtliche Ordnung“ spricht; ausführlich ders., ebd., S. 45 ff. 219 Hierzu ausführlich Kapitel 1, III., 1. 220 Zu den einzelnen Perspektiven des verwaltungsrechtlichen Denkens unter der Steuerungswissenschaft siehe Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 5; auch Kersten/Lenski, Die Entwicklungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 501 (513 ff.); Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 235 ff.; ferner Schuppert, Die Verwaltungswissenschaft als Impulsgeberin der Verwaltungsrechtsreform, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Offene Rechtswissenschaft, S. 1041 (1041 ff., insb. S. 1050 ff.).
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Generell interessierte bei der Wahl der Steuerungsinstrumente nicht mehr vorrangig die Frage des Rangverhältnisses der Rechtsquellen und -formen, vielmehr rückten Fragen der Wirksamkeit der Steuerungsinstrumente im Vergleich in den Fokus.221 Dies öffnete das Spektrum der Handlungsformen. Neben die klassisch-hierarchisch geprägten traten nunmehr vermehrt auch sogenannte „weiche“ Formen der Steuerung, von denen man sich – gerade auch für den Energiebereich – den Erhalt einer gewissen Flexibilität und Innovationsfähigkeit versprach.222 So wurde dem Energierecht – wie im Übrigen dem gesamten öffentlichen Wirtschaftsrecht223 – durch den Perspektivenwechsel von Planung zu Steuerung aufgrund der ordnungs-, leistungs-, kooperations- und wettbewerbsrechtlichen Ausdifferenzierung eine neue Spannbreite an Handlungsformen eröffnet. Nur wenn man die Rechtswissenschaft fortan als Steuerungswissenschaft begriff, bestand die Möglichkeit, den 1998 mit dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes eingeleiteten Wandel im Energierecht hinreichend zu erfassen und zu analysieren. Das Energierecht – ein ohnehin schwer zu umreißendes Rechtsgebiet224 – stellte sich seit dieser europarechtlich225 angestoßenen Reform nämlich weitaus heterogener dar, als es noch unter dem EnWG 1935 der Fall war. Die Spannbreite der Instrumente reichte seitdem von tradierten, hierarchischen Steuerungsformen wie dem Verordnungserlass bis hin zu ganz unterschiedlich ausdifferenzierten Regulierungsstrategien: Von der aktiven Begleitung des Energiemarktes durch Regulierungsrecht über Formen der regulierten Selbstregulierung bis hin zu informalen Absprachen einzelner Akteure und dem Ziel des Erreichens von Selbstverpflichtungserklärungen seitens der Energiewirtschaft öffnete sich das Energierecht neuen Gestaltungsformen. Generell lässt sich konstatieren, dass – dem Steuerungsmodell entsprechend – den einzelnen Akteuren des Energiemarktes eine größere – insbesondere organisatorische – Eigenverantwortung zugestanden wurde, mag diese auch nicht immer von Dauer gewesen sein:
221 In diesem Zusammenhang auf die bereits frühe Herausarbeitung des „effet utile“-Gedankens im EU-Recht verweisend Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 5. 222 Vgl. Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 5. 223 Eben dies für das öffentliche Wirtschaftsrecht konstatierend Kersten/Lenski, Die Entwicklungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 501 (516). 224 Zur dogmatisch Einordnung des Energierechts im Schnittpunkt von öffentlichem Recht und Privatrecht Lecheler, Die Bedeutung des öffentlichen Rechts für das Energie recht, NVwZ 1995, S. 8 ff. 225 Zu europarechtlichen Anstößen im Energierecht vgl. bereits Kapitel 1, I. ff.
1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
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Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland mit dem Modell des verhandelten Netzzugangs (vgl. § 6 EnWG 1998)226 etwa dafür entschied, es privaten energiewirtschaftlichen Akteuren zu überlassen, untereinander sogenannte Verbändevereinbarungen auszuhandeln, in denen die Bedingungen und Preise für den Netzzugang geregelt wurden, dann hat sich der Staat insofern aus einem für die Energieregulierung ganz wesentlichen Bereich zurückgezogen. Zwar hat er mit dem EnWG die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür geschaffen und sich über § 6 Abs. 2 EnWG die Option offen gehalten, jederzeit regulierend einzugreifen. Doch hat er seine unter dem EnWG 1935 noch zentrale Stellung in Netzzugangsfragen aufgegeben. Seit dem EnWG 1998 trat der Staat im Energiewirtschaftsrecht häufig nur noch leitend bzw. koordinierend auf. Die Motivelage reicht dabei von der Überwindung etwaiger Wissensdefizite227 bis zur Verbesserung der Regulierungs- und Wettbewerbsergebnisse. Verwaltungsrechtswissenschaftlich eingeordnet entstanden im Energie recht Strukturen, die sich in dogmatischer Hinsicht durch ein Zusammenwirken von Gesetz, Verordnung, Selbstorganisation und teils hybriden, aus dem klassisch-staatlichen Steuerungs- und Legitimationszusammenhang herausfallenden Akteuren zusammensetzten. Die erhebliche Weiterentwicklung des staatlichen Auftretens in verschiedenen Politikfeldern und die damit einhergehende Einbindung der unterschiedlichsten Akteure in die Regelsetzung ließen jedoch ab einem gewissen Punkt die Überlegung aufkommen, ob sich nicht jedenfalls einige Bereiche der öffentlichen Verwaltung auch mit der Steuerungstheorie nicht mehr zuverlässig darstellen ließen. Das Aufkommen des engen Governance-Begriffes reflektiert letztlich eben diese These.228
226
Siehe oben, § 1, III., 2. Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (240) spricht insoweit von der „Überwindung regulatorischer Informationsasymmetrien“; zur „Governance durch Wissen“ vgl. auch die Beiträge in Schuppert/Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008. 228 Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46); Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 237 ff.; Trute/Denkhaus/ Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 (458); vgl. ferner Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl. 1996, S. 950 (950 ff.); Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 415 (415 ff.). 227
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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cc) Governance Auch wenn die Steuerungswissenschaft, wie dargestellt, zu einer Erweiterung des Blickwinkels führte, so blieb es dennoch ihre zentrale Prämisse, dass zwischen Steuerungsobjekt und Steuerungssubjekt differenziert werden könne. Es gehört zu ihrem Grundverständnis, dass das Steuerungssubjekt mit Steuerungsinstrumenten auf das Steuerungsobjekt einwirkt und so einen – wenn auch nicht mehr zwingend kausal-linearen – dem Steuerungssubjekt zurechenbaren Steuerungserfolg bewirkt.229 Der Zurechnungszusammenhang zwischen demokratisch legitimiertem Steuerungssubjekt und dem Steuerungsobjekt ist letztlich Kernelement der Steuerungstheorie und gleichzeitig der sicherste Weg, die demokratische Legitimation der Entscheidung zu gewährleisten.230 Diese Zurechnung funktioniert in weiten Teilen des Energierechts auch nach wie vor. Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass mit der Ablösung des EnWG 1998 durch das EnWG 2005 der Versuch einer privaten Akteuren überlassenen Selbstregulierung im Bereich des Netzzugangs wieder zurückgenommen und einer staatlichen Re-Regulierung zugeführt wurde.231 Auch darüber hinaus war und ist der Staat meistens zentraler Akteur im europäischen Energierecht. Gleichzeitig ist aber zu konstatieren, dass kaum ein anderes Rechtsgebiet eine solche Dichotomie zwischen Staat und Zivilgesellschaft aufweist wie das Energierecht.232 Bereits im Jahre 1984 stellte Hans-Jürgen Papier fest, dass im Energiebereich eine unauflösliche Verschränkung von Staat und Großunternehmen zu existieren scheine, die teilweise „kooperative Planungssysteme“ hervorgebracht habe.233 Hans D. Jarass sprach bezogen auf die Elektrizitätswirtschaft gar von „Formen der Gleichordnung“.234 Diese sich bereits früh andeutende gegenseitige 229 Zu eben diesen Grundelementen von „Steuerung“ Kahl, Parlamentarische Steuerung der internationalen Verwaltungsvorgänge, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 71 (72); Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46); auch Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 22 ff. 230 Zu dieser Legitimationsanforderung vgl. Gärditz, Europäisches Regulierungsverwaltungsrecht auf Abwegen, AöR 135 (2010), S. 251 (284 f.); auch Kahl, Kooperative Rechtsangleichung, in: FS Spellenberg, 2010, S. 697 (711 f.). 231 Vgl. diesbezüglich die Ausführungen in § 1, III., 4. 232 Vgl. Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 33. 233 Papier, Staatliche Einwirkungen auf die Energiewirtschaft, in: Wilke (Hrsg.), Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 529 (530). 234 Jarass, Formen staatlicher Einwirkung auf die Energiewirtschaft, Der Staat 17 (1978), S. 507 (522).
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
Abhängigkeit von staatlichen und privaten Akteuren hat mittlerweile, insbesondere bedingt durch europäische Impulse, zu einem sehr ausdifferenzierten Verhältnis von privater Verantwortungswahrnehmung und einer modifiziert fortbestehenden staatlichen Verantwortungswahrnehmung geführt.235 In Teilbereichen des Europäischen Energierechts ist die Politikgestaltung über das Steuerungsmodell hinausgegangen oder ist dabei, dies zu tun: Nichtstaatliche Akteure werden in den Regulierungsprozess eingebunden, unabhängige, der staatlichen Kontrolle ebenfalls zunehmend entzogene Akteure wirken mit, sogenanntes soft law enthält eine stetig wahrnehmbare Bedeutung. Die Prozesse der Entscheidungsfindung werden immer ausdifferenzierter und auch auf administrativer Ebene kommt es zu weitreichenden institutionellen Verflechtungen. Letztlich agieren die unterschiedlichsten Akteure mit ihren unterschiedlichsten Handlungsformen in Netzstrukturen, in denen die Zurechnung eines bestimmten Steuerungserfolges zu einem bestimmten, demokratisch legitimierten Steuerungssubjekt immer weniger nachweisbar ist.236 Dies birgt in Teilen nicht nur die Gefahr, dass die Sicherung der gemeinwohlrelevanten Energieversorgung zunehmend aus dem klassischen Steuerungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang einer hierarchisch organisierten Staatlichkeit herausfällt, sondern zeigt zugleich die Grenzen des tradierten Steuerungsmodells auf. Die in der Politikwissenschaft zunehmend gestellte Frage „Wer steuert eigentlich wen?“237 ist auch für den europäischen Energiebereich in Teilen zunehmend schwerer zu beantworten. Es war diese Entwicklung, die Renate Mayntz einen Perspektivwechsel von Steuerung zu Governance einfordern ließ. Sie ging dabei in ihrer Forderung so weit, dass sie einen Abschied von der akteurzentrierten Steuerungsperspektive 235 In diesem Kontext eine fehlende gesetzgeberische Zuordnung kritisierend Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 33; grundsätzlich zum Diskurs um eine Verantwortungsteilung zwischen staatlichen und privaten Akteuren Klement, Verantwortung, 2006, S. 55 ff. 236 Vgl. Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46), der in diesem Zusammenhang davon spricht, dass „in einigen Sektoren der öffentlichen Verwaltung (…) die Realität (…) über das Steuerungsmodell hinweggegangen (ist).“ Ihm nachfolgend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 236; vgl. auch Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2. Auflage 2006, S. 195 (198); zur Relevanz der Distinktion von Staat und Gesellschaft Kahl, Die rechtliche Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Jura 2002, S. 721 (721 ff.). 237 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, Band 37 (2004), S. 451 (461); bezugnehmend auf diese Frage wirft auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (46) für Netzstrukturen die Frage nach den Grenzen des tradierten Steuerungsmodells auf.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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und eine Hinwendung zu einer den institutionellen Rahmen bildenden Regelungsstruktur forderte.238 Während diese semantische Wende von Teilen der Rechtswissenschaft, insbesondere von Gunnar Folke Schuppert, als „Steilvorlage“ an die rechtswissenschaftliche Disziplin begrüßt wurde, da sich durch Governance die Koordination und das Zusammenführen von staatlicher und privater Handlungskompetenz besser abbilden und nachvollziehen lasse,239 stieß die Rezeption des Governance-Begriffs in weiten Teilen des juristischen Schrifttums auf Bedenken, vorwiegend dogmatischer Art.240 Der wohl am meisten verbreitete Einwand beruht auf der Annahme, die das Verwaltungsrecht prägende Dogmatik gehe bei einer Rezeption von Governance verloren.241 Derart pauschal kann dem jedoch nicht gefolgt werden. Zuzugestehen ist, dass die Anschlussfähigkeit des engen Governance-Begriffs an die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft engen Grenzen unterliegt.242 238 Vgl. Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie?, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung – Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien, 2. Auflage 2006, S. 11 (11 ff., insb. S. 13); dies., Governance im modernen Staat, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 37 (38 f.); berichtend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (47). 239 Vgl. Schuppert, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 336 (336 f.); ders., Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung 40 (2007), S. 463 (489 f.); sich gegen eine „methodologische Skepsis“ in Bezug auf eine Rezeption von Governance in die Staatsund Verwaltungswissenschaft wendend auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (47 f.). 240 Zur zurückhaltenden Rezeption des Begriffs vgl. Ruffert, Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004, S. 24; Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 70. Vgl. auch Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2. Auflage 2006, S. 195 (195 f.), der jedoch persönlich von einem Mehrwert der Governance-Perspektive für die Rechtswissenschaft ausgeht (insb. S. 198) und insoweit den „Begriffskonservativismus“ von Rechtswissenschaftlern und Rechtsanwendern anprangert (vgl. S. 195); kritisch gegenüber dem Governance-Ansatz wegen seines „unklaren und schillernden Bedeutungsgehalts“ Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in der Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 463 (495 ff.). 241 In diesem Sinne Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 21; dem widersprechend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der GovernanceForschung, 2009, S. 45 (47). 242 Zur Rezeption von Governance vgl. Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung,
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Für Fragen der juristischen Rezeptionsfähigkeit des Governance-Begriffs lohnt es sich aber, einen genaueren, exemplarischen Blick auf die Verantwortungsteilung im Energierecht zu werfen. Ebenso wie die Einstufung des staatlichen Wirkens in unterschiedliche Verantwortungskategorien dient auch der Governance-Begriff dazu, veränderte Realbedingungen nachzuzeichnen, zu durchdenken und fortzuentwickeln. Auch bei Governance handelt es sich somit um einen „Schlüsselbegriff“.243 Schlüsselbegriffe analysieren nicht vom Rechtssatz her, arbeiten also nicht streng normbezogen. Vielmehr geht es ihnen darum, ein sich in der Realität abzeichnendes Problem zu beschreiben und hierfür Lösungsansätze zu entwickeln, die es sodann rechtsdogmatisch zu konstruieren gilt.244 Das eben dies mit dem Begriff Governance versucht wird, kann wiederrum am Beispiel des Europäischen Energierechts verdeutlicht werden. Eine besondere Herausforderung für das Europäische Energierecht stellen die grenzüberschreitenden Transportwege dar.245 Ihre Ausgestaltung ist zwingende Voraussetzung für die Etablierung eines europäischen Energiebinnenmarktes. Bedingt durch die zunächst jeweils auf das nationale Versorgungsgebiet ausgerichtete Struktur der Netze kam es jedoch häufig zu Engpässen an den Grenzkuppelstellen, denen sich der Unionsgesetzgeber mit Erlass der Energiebinnenmarkt-Richtlinien auf jeweils unterschiedliche Weise annahm.246 Auch wenn die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Regulierung bereits bei Erlass des Ersten Energiebinnenmarktpakets in den Jahren 1996/1998 erkannt wurde, überließ der 2009, S. 45 (49 ff.); ihm im Wesentlichen folgend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 245 ff. 243 Zur Funktion von Schlüsselbegriffen in der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 40 f.; ders., „Schlüsselbegriffe“ der Verwaltungsrechtsreform, VerwArch 92 (2001), S. 184 (184 ff., insb. S. 196 ff.); ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 343 (343); Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (47). 244 Vgl. Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (47), der Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang als „Kompaktbegriffe“ beschreibt. 245 Vgl. hierzu Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37; zum Problem der Engpässe an Grenzkuppelstellen Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 90 f.; allgemein zum grenzüberschreitenden Stromhandel Presser, Grenzüberschreitender Stromhandel, 2011. 246 Vgl. zur schrittweisen Entwicklung des Energiebinnenmarktes insb. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37 ff.; vgl. auch Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 92 ff.; Schneider, Vorgaben des europäischen Energierechts, in: ders./ Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Auflage 2013, § 2 Rn. 33 ff.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Gesetzgeber die Regulierung der spezifischen grenzüberschreitenden Probleme in diesem Bereich dennoch – ganz bewusst – einer informellen Selbstregulierung durch die sogenannten Regulierungsforen für Strom und Gas, namentlich das Europäische Forum für Elektrizitätsregulierung in Florenz und das Europäische Forum für Erdgasregulierung in Madrid.247 Diese stellten letztlich nichts anderes dar, als lose Zusammenkünfte der marktbeteiligten Unternehmen und Behörden mit dem vorrangigen Ziel der Ausarbeitung von Leitlinien für die Ausgestaltung des grenzüberschreitenden Netzbetriebs.248 Diese sogenannten „Good Practice Guidelines“ richteten sich unmittelbar an die einzelnen Marktteilnehmer (insbesondere Netzbetreiber), waren für sich genommen jedoch unverbindlich.249 Die Kommission selbst beschränkte sich dabei auf die Rolle der Moderatorin der Treffen.250 Der Grund für ihre Passivität lag in dem Ziel, durch die Einbindung des privaten Sachverstandes der Beteiligten praxistauglichere Ergebnisse zu erzielen.251 Der Idee des sogenannten „Neuen Steuerungsmodells“252 folgend wurde den von der Regulierung unmittelbar betroffenen Akteuren somit eine weitreichende Eigenverantwortung zugestanden, die sich in den „Good Practice Guidelines“ aktualisierte.253 Dieser Schritt zur Neuausgestaltung der Strukturen im Bereich des grenzüberschreitenden Netzbetriebes konnte zwar einerseits Fortschritte verzeichnen, andererseits stieß das gewählte Modell jedoch auch an seine Grenzen. Beides lässt sich anhand des Umstandes belegen, dass die in den Foren gefundenen Lösungen zum Teil als Sekundärrecht nachvollzogen wurden.254 Es wurden also (augen247 Zu diesen beiden Foren Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37; Hancher/del Guayo, in: Barton/Barrera-Hernández/Lucas/Rønne (Hrsg.), Regulating Energy and Natural Resources, 2006, S. 243 ff.; Arndt, Vollzugssteuerung im Regulierungsverbund, Die Verwaltung 39 (2006), S. 100 (105 ff.). 248 Zu deren Arbeit vgl. die Mitteilung der Kommission zur Vollendung des Energiebinnenmarktes vom 13. 03. 2001, KOM(2001) 125 endg., S. 12 ff. 249 Vgl. Weiß, Der Europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß, Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 5. 250 Vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energie recht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37. 251 Zur Bedeutung der Mobilisierung externen Sachverstands von Seiten betroffener Marktteilnehmer vgl. Schneider, Kooperative Netzzugangsregulierung und europäische Verbundverwaltung im Elektrizitätsbinnenmarkt, ZWeR 2003, S. 381 (384). 252 Zum neuen Steuerungsmodell als Konkretisierung des New Public Management-Ansatzes vgl. Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Auflage 2012, § 1 Rn. 53 ff. 253 Ausführlich zu diesen Foren vgl. § 4, I., 1. (m.w.N.). 254 Vgl. etwa den 3. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. September 2005 über die Bedingungen für den
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scheinlich) zwar praktikable Fortschritte und Lösungen zwischen den Foren-Teilnehmern ausgehandelt, gleichwohl schien dem Gesetzgeber zum angemessenen Vollzug der gefundenen Regelungen ein hoheitliches Tätigwerden durch Aufnahme der Regelungen in einen verbindlichen Rechtsakt erforderlich, auch wenn dem letztlich ein reiner Nachvollzug und somit eine Art Verbundproduktion von Normen zugrunde lag.255 Da in dem Forenprinzip der Einvernehmlichkeit der Lösungsfindung jedoch zusehends ein „Handicap“ gesehen wurde, folgten die nachfolgenden Binnenmarkt-Pakete vermehrt einem Modell, das ganz auf der Governance-Linie liegt: einer noch stärkeren Vernetzung256 der unterschiedlichen Akteure. Auch wenn die informale Foren-Rechtsetzung, insbesondere aufgrund von Vollzugsproblemen, nicht zur Gänze den erhofften Erfolg bei der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebs brachte, so nahm man dennoch nicht von einer Inverantwortungnahme der privaten Marktteilnehmer beim Regulierungsprozess Abstand. Gleichzeitig setzt das dritte EU-Binnenmarktpaket auf eine stärke Formalisierung, Institutionalisierung257 und Einhegung des seitens nicht-staatlicher Akteure gewonnenen Wissens. So sehen die dem Paket zugrunde liegenden Verordnungen den Zusammenschluss aller Übertragungsnetzbetreiber in je einem Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber Strom bzw. Gas vor – dem European Network of Transmission System Operators, kurz: ENTSO.258 Die Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (FerngasVO), in dem ausgeführt wird: „[…] das Ziel der vorliegenden Verordnung ist, auf der Grundlage jener Leitlinien Grundprinzipien und Regeln für den Netzzugang und für Dienstleistungen für den Netzzugang Dritter, für das Engpassmanagement, die Transparenz, den Ausgleich von Mengenabweichungen und den Handel mit Kapazitätsrechten festzulegen.“ In diesem Sinne vgl. auch den 2., 18. und 19. Erwägungsgrund der FerngasVO; zur Übernahme der Leitlinien als Sekundärrecht auch Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37. 255 Zur Verbundproduktion bereits § 1, III., 3. Zu den Problemen des Foren-Prinzips und der daraus folgenden Erkenntnis künftig einen stärkeren Akzent auf verbindlichere Regelungen zu setzen vgl. auch Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 37. 256 Allgemein zu Netzwerken als Ausprägung von Governance Wald/Jansen, Netzwerke, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 93 (93 ff.). 257 Zur institutionellen Struktur nach dem dritten Binnenmarktpaket Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 59 ff.; ders./Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (763, insb. 764 ff.); auch Theobald/ Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 75 ff. 258 Vgl. Art. 4 f. StromVO/GasVO; hierzu wie zum Netzwerk der Europäischen Netzbetreiber (ENTSO) allgemein Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 59 ff.; auch Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 77; detailliert zu den Strukturen von
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Aufgabe der privaten Übertragungsnetzbetreiber in diesem Verbund ist es, Netzkodizes für Angelegenheiten der grenzüberschreitenden Netze zu entwickeln.259 Zudem wirken die ENTSO auch an der Koordination des grenzüberschreitenden Netzbetriebs mit und erarbeiten Netzentwicklungspläne.260 Letztlich erzeugen die unmittelbar Betroffenen also weiterhin das sie später bindende Recht. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird dieser Aspekt der Selbstregulierung jedoch eingehegt, wodurch eine gewisse Abweichung der „Verbände-Rechtsetzung“ auf europäischer Ebene zu den bereits beschriebenen 261 Verbändevereinbarungen im EnWG 1998 auszumachen ist. So steht ENTSO in einem Verbund mit ACER und der Kommission, die im Vorfeld der Regelsetzung sogenannte „nicht bindende Rahmenleitlinien“ erlassen.262 Gleichzeitig haben diese für den Erlass der Rahmenleitlinien jedoch wiederum im Vorfeld alle einschlägigen Marktteilnehmer zu konsultieren und die Ergebnisse zu veröffentlichen.263 Auch ist zugunsten der Kommission eine Auffangverantwortung insbesondere für den Fall der Untätigkeit der ENTSOs vorgesehen.264 Neben in Teilen verstärkten Re-Regulierungsbemühungen zeichnet sich das Europäische Energierecht nach Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes durch eine – wie es Jens Kersten in anderem Zusammenhang ausdrückte – „aktivierende Vernetzung endogener zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Potentiale
ENTSO Schneller, Aufgaben und Funktionen des ENTSO-E aus Sicht der Übertragungsnetzbetreiber, in: Gundel/Lange (Hrsg.), Die Umsetzung des 3. Energiebinnenmarktpakets, 2011, S. 25 (25 ff., insb. 31 ff.); vgl. auch Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und -verordnungen, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 37. 259 Vgl. Art. 6 ff. StromVO/GasVO. 260 Vgl. Art. 8 Abs. 3 StromVO/GasVO. Zu den Aufgaben von ENTSO Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 59. 261 Zu den Regelungen unter dem EnWG 1998 § 1, III., 2. 262 Vgl. Art. 6 Abs. 2 StromVO/GasVO; zur verfahrensrechtlichen Einhegung auch Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60 f.; vgl. ferner Storr, Energy Governance, in: FS Raschauer, 2013, S. 575 (575 ff.); Thole, Der europäische Grid Code Gas, IR 2011, S. 218 (218 ff); Weiß, Dezentrale Agenturen in der EU-Rechtsetzung, EuR 2016, S. 631 (634 f.). 263 Vgl. Art. 10 StromVO/GasVO. 264 Vgl. Art. 6 Abs. 11 StromVO/GasVO, Art. 7 Abs. 3 StromVO/GasVO zu Änderungs-, Ergänzungs- oder Erlassmöglichkeiten durch die Kommission; zur Möglichkeit des Leitlinienerlasses vgl. ferner Art. 18 Abs. 3 lit. d StromVO/23 Abs. 1 lit. e GasVO; auch Art. 6 Abs. 12 StromVO/GasVO. Zur Regelsetzung durch Netzkodizes vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60 f.
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
[aus]“265, deren Zusammenwirken vom Staat koordinierend unterstützt wird. Im ausdifferenzierten Zusammenspiel der unterschiedlichsten Akteure und in der Einbindung privaten Sachverstandes in diesen Prozess wird inzwischen die Lösung einer effektiven Regulierung gesehen.266 Zwar hat der Staat die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einbindung nicht-staatlicher Akteure und die unterschiedlichen Vernetzungen im Energie recht geschaffen. Dennoch ist zu konstatieren, dass in den entstandenen Regelungs- und Koordinationsstrukturen des „Energienetzwerks“ der Staat nicht mehr flächendeckend die zentrale Stellung einnimmt. In verwaltungsrechtswissenschaftlicher Hinsicht herrscht im Europäischen Energierecht somit letztlich eine Governance-Struktur vor, die sich in dogmatischer Hinsicht durch ein Konglomerat verschiedener Handlungsformen auszeichnet – von hoheitlich ausgeformten Regelungen über Formen der Selbstorganisation bis hin zu weichen Steuerungsformen wie dem sogenannten soft law. Erst eine Gesamtbetrachtung ermöglicht die vollständige Erfassung der vielfältigen normativen Vorgaben. Governance als verwaltungsrechtswissenschaftlicher Schlüsselbegriff ermöglicht eben jene Gesamtbetrachtung.267 Sie garantiert die Analyse der vielschichtigen Regelungs- und Koordinationsstrukturen im Energiebereich zwischen dem anvisierten Ziel der Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas268 und dessen verwaltungsrechtsdogmatischer Umsetzung. Dem Governance-Begriff kommt damit letztlich eine neue „Ordnungsfunktion“ zu.269 Sein Fokus richtet sich gerade auf die Herausbildung neuer Akteure oder Akteurskonstellationen, wie sie durch das Dritte Binnenmarktpaket zahlreich geschaffen wurden, auf die Emergenz neuartiger institutioneller Arrangements oder Regelungsstrukturen, auf Grenzverwischungen zwischen formal und informal, wie sie das Regulierungsrecht im Energiebereich vielfach prägen, sowie auf die Entstehung neuartiger Legitimati265 So zur Urban Governance im Bereich der Schulpolitik Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (48). 266 Ausführlich zu exekutiven Verflechtungen im Energiebereich § 4 (m.w.N.). 267 Zur Ermöglichung einer ganzheitlichen Betrachtung eines Politikfeldes durch Governance Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 227; zur Ausgestaltung der Governance-Struktur im Rahmen von Urban Governance und zur dortigen Rolle von Governance als verwaltungsrechtswissenschaftlicher Schlüsselbegriff Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (48). 268 Vgl. § 1 Abs. 1 EnWG. 269 So Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (48).
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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onsanforderungen und -konzepte.270 Die Governance-Perspektive ist daher sehr gut geeignet, um als staats- und verwaltungsrechtlicher Schlüsselbegriff das sich dynamisch entwickelnde Feld der europäischen Energiepolitik zu analysieren. 2. Voraussetzungen für die Anschlussfähigkeit des GovernanceBegriffs in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft Für eine juristische Analyse des Energierechts mittels Governance muss der Begriff jedoch nicht nur die energiepolitischen Realitäten richtig erfassen, sondern auch grundsätzlich an die rechtliche Dogmatik anschlussfähig sein. Zwar kommt dem beschriebenen engen Governance-Begriff 271 die erforderliche spezifische Prägnanz zu, so dass die Verwendung von Governance als Schlüsselbegriff in der Rechtswissenschaft, insbesondere der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, im Ergebnis keinen grundlegenden Bedenken begegnet. Jedoch kann die Rezeption nicht bedingungslos erfolgen.272 a) Anforderungen der Rechtswissenschaft an Governance Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der in der Governance-Debatte auszumachenden Tendenz, den maßgeblichen Ebenen- und Perspektivenwandel in der Wende von Akteuren zu Strukturen zu erblicken. So sieht etwa Claudio Franzius eine „konzeptionelle Wende“ darin, dass mit dem Übergang von Steuerung zu Governance ein Übergang von einer akteurszentrierten Sichtweise zu einer Betrachtung erfolgt sei, die ausschließlich die das Handeln der Akteure koordinierenden Strukturen in den Blick nähme.273 270 Zum diesbezüglichen Fokus von Governance vgl. Schuppert, Was ist und wozu Governance, Die Verwaltung 40 (2007), S. 463 (494), der vorschlägt, in die Governance-Forschung von vornherein eine prozessorientierte Perspektive einzuführen, die im Fokus darauf gerichtet ist, signifikante Veränderungsprozesse zu identifizieren und zu analysieren; ähnlich und die Dynamik von Governance-Formen betonend Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 9 (21). Vgl. auch Klement, Verantwortung, 2006, S. 447, der den Governance-Begriff als denjenigen herausstellt, der auf das Fehlen klarer Grenzen von Herrschaftsbereichen antwortet. 271 Vgl. Kapitel 2, II., 1., b). 272 Zu den Bedingungen der Rezeption des Governance-Begriffs vgl. auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 259 ff.; Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (49 ff.); grundsätzlich zu den Schwierigkeiten der Rezeption von Erkenntnissen der Nachbarwissenschaften durch die Rechtswissenschaft Lüdemann, Netzwerke, Öffentliches Recht und Rezeptionstheorie, in: Boysen/ Bühring/Franzius u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 266 (269 ff.). 273 Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (189, 199 ff.); ähnlich Appel, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 360 (364), der aller-
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
Ähnlich wie in der Wissenschaftssoziologie274 und der ihr immanenten Abgrenzung der Akteurs- von der Systemtheorie wird somit auch in der Hinwendung zu Governance zum Teil eine Abkehr von der auf den Akteur ausgerichteten Steuerungstheorie gesehen. Letztlich kommt es bei einem solchen Verständnis von Governance zu den Grundsatzfragen, wie sie bereits beim Aufeinandertreffen der theoretischen Modellannahmen der Systemtheorie275 einerseits und den normativen Grundlagen der Rechtsordnung andererseits auszumachen waren. b) Governance und Systemtheorie – zwei ähnlich gelagerte Theorieangebote? Auch die Systemtheorie276 geht von einer Neuorientierung aus, wenn sie mit dem subjekt-orientierten Verständnis der Rechtsordnung bricht. Einen Paradigmenwechsel ausrufend 277, verfolgt sie eine grundlegende Abkehr von den erkenntnistheoretischen Grundkategorien – wie eben der Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt.278 Die insbesondere auf Niklas Luhmann zurückführ-
dings vorschlägt, die akteurs- und regelungsstrukturbezogenen Argumentationslinien zu verbinden und die Erträge der Steuerungsdiskussion in die Governancediskussion einzubringen; kritisch hierzu und von einer „wissenschaftstheoretisch bemerkenswerten Engführung“ sprechend Pitschas, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 342 (342 f.). 274 Zu den Strukturen von Wissenschaft im Allgemeinen und der Wissenschaftssoziologie im Besonderen vgl. Battis/Kersten, Institut auf Zeit, 2002, S. 23 ff., 28 ff. 275 Zur Systemtheorie berichtend (dabei selbst kritisch) Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 63 ff.; einen Vergleich von Governance zur Systemtheorie andeutend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (49). 276 Jüngst zu den Grundkoordinaten eines allgemeinen Systembegriffs Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S. 3 ff., zur Systemkritik ebd., S. 109 ff. 277 Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 15 ff. 278 Vgl. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 63, der das prinzipielle Abrücken der Systemtheorie von den Unterscheidungen Erkenntnisverfahren – Erkenntnisgegenstand, Subjekt – Objekt, Sein – Sollen anspricht; grundlegend zu den Konsequenzen der Systemtheorie Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 647 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 16 ff. (insb. S. 18, 20, 32 f.); speziell zur Hinfälligkeit der Unterscheidung in Sein – Sollen ders., Legitimation durch Verfahren, 3. Auflage 1978, S. 239 f.; vgl. auch Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in Normen- und systemtheoretischer Perspektive, Rechtstheorie 24 (1993), S. 81 (98 ff.), der noch zwischen „Systemtheorie“ und „allgemeiner Systemtheorie“ unterscheidet; Bjarup, Niklas Luhmann’s Paradigm and his Theory of Laws, Rechtstheorie 23 (1992), S. 311 (320 ff.); ähnlich zum Paradigmenwechsel im Rechts- und Sozialverhältnis Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 90 ff.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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bare Systemtheorie betrachtet jene „Subjekt/Objekt-Schematik“ als überholt279, vielmehr entwirft sie eine andere Wirklichkeit: Luhmann sieht die Emergenz einer neuen Ebene der Wirklichkeit. So sei die Erkenntnis selbstreferentieller Systeme eine emergente Realität, die sich nicht auf Merkmale zurückführen lasse, die im Objekt oder im Subjekt schon vorlägen. Diese Einsicht sprenge wiederrum die „Subjekt/Objekt-Schematik“ der Erkenntnistheorie.280 Im Ausgangspunkt geht es der Systemtheorie somit um eine Beschreibung der Gesellschaft, aus der letztlich jedoch die theoretische Konstruktion eines neuen Gesellschaftsmodells wird. Als neues erkenntnisfähiges Subjekt wird das System begriffen, welches zugleich auch Erkenntnisobjekt ist, sodass – in der Logik der Systemtheorie bleibend – das Aufrechterhalten der Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Erkenntnisverfahren und Erkenntnisgegenstand folgerichtig obsolet erscheint.281 Der Hauptgrund, warum diese disziplinübergreifend angelegte Theorie in der Rechtswissenschaft nicht – zumindest nicht nachhaltig – zu reüssieren vermochte, lässt sich mit eben jener Abkehr von der Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, und damit letztlich von einer auf den Akteur ausgerichteten Perspektive, erklären. Oliver Lepsius spricht im Zusammenhang mit der Systemtheorie Luhmanns von einer „verfassungstheoretischen Skepsis“ gegenüber deren Erklärungsansatz und verortet diese darin, dass die systemtheoretischen Annahmen mit den Strukturentscheidungen des Grundgesetzes nicht vereinbar seien.282 Auffällig ist, dass die zur Unvereinbarkeit der Systemtheorie mit der Rechtswissenschaft vorgebrachten Argumente im Kontext der Governance-Debatte wieder aktuell werden und sich zum Teil übertragen lassen. Dies mag seine Ursache darin haben, dass beide Modellangebote – die Systemtheorie Luhmanns wie auch die Governance-Theorie, verstanden im Sinne von Franzius als Abkehr von einer akteurszentrierten Sichtweise – einen ähnlichen „Paradigmenwechsel“283 proklamieren. Beide gehen – wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten – im Ergebnis von einer prinzipiellen Abkehr vom akteurszentrierten Denken 279 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 658; von einer „Überholung“ der Erkenntnistheorie sprechend ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 32. 280 Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 658; zum Verschwimmen der Subjekt/Objekt-Vorstellung vgl. auch Di Fabio, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 56 (1997), S. 315 (317). 281 Vgl. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 67. 282 Vgl. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 52 ff., 64, 68 ff., 72. 283 Vom Paradigmenwechsel der Systemtheorie sprechend Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 15 ff.; einen ebensolchen meint letztlich auch Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (200), wenn er im Rahmen der GovernanceDebatte von einer „konzeptionelle[n] Wende von den Akteuren zu Strukturen“ spricht.
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
aus. Während das Governance-Verständnis von Franzius hierfür eine zusehends verschwimmende Unterscheidbarkeit von Subjekt und Objekt ausmacht284, empfindet die Systemtheorie285 diese Aufspaltung – wie gesehen – als vergebliche Bemühung und Relikt einer angeblich „längst überholten“ Erkenntnistheorie. Unabhängig davon, wie man das Aufkommen der beiden – in ihren Ursprüngen völlig unterschiedlichen – Strömungen theoretisch bewertet, so lässt sich doch generell konstatieren, dass ein Lossagen vom akteurszentrierten Denken mit der von der Staats- und Verwaltungswissenschaft, wie letztlich von der Rechtswissenschaft generell, vorausgesetzten normativen Ordnung nicht in Einklang zu bringen ist. Die seitens der Rechtswissenschaft gegen die Systemtheorie vorgebrachten Argumente lassen sich auf die Ablehnung eines ausschließlich institutionellen Governance-Verständnisses übertragen. Ebenso wie der Systemtheorie Luhmanns kann auch einer Governance-Theorie im Sinne von Franzius entgegengehalten werden, dass ein Aufgeben des „Subjekt-Objekt“-Bezugs zu einer mit der Rechtswissenschaft nicht vereinbaren Perspektive führt.286 Beide Theorien – wenn auch von großen Unterschieden geprägt – haben doch gemein, dass sie den Akteur als Ausgangspunkt und Projektionsfläche überwinden wollen. Was für Systemtheoretiker als Überwindung einer „längst überholten Erkenntnistheorie“287 gilt, feiern einige GovernanceTheoretiker als Hinwendung zu einer den gesellschaftlichen Verhältnissen angeblich viel eher angemessenen und nicht im ‚Klein-Klein‘ verhafteten „Es regelt sich“288-Perspektive. Das Problematische an beiden Sichtweisen ist: Auch wenn man einen gesellschaftlichen Wandel feststellt und eine damit zusammenhängende, andere Form der Politikgestaltung ausmacht, so liefert dies doch keine ausreichende Basis dafür, hieraus juristische Schlussfolgerungen ableiten oder gar die Rechtswissenschaft prägende Wesensmerkmale außer Acht lassen zu können. Neue Gesellschaftstheorien können eigene Bilder entwickeln und ihre eigenen Ausgangspunkte wählen, doch müssen diese an rechtsnormative, insbesondere konstitutionelle, Vorgaben anknüpfen, um durch die (dogmatische) Rechtswissenschaft rezipiert werden zu können. 284 Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (201 ff.). 285 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 32. 286 Vgl. die entsprechende Kritik an der Systemtheorie bei Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, insb. S. 52 ff., 61 f., 71 f. 287 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 32. 288 Mit dieser Formulierung seine Kritik an einigen Auswüchsen von Governance zuspitzend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (49), der eine Ausblendung des Akteurs ebenfalls ablehnt.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Beide Sichtweisen, sowohl die Steuerungstheorie als auch ein GovernanceVerständnis, welches die Akteursperspektive ausblendet, nehmen nicht beim Individuum ihren Ausgangspunkt. Nicht mehr der Einzelne stellt nach Luhmann das zur Erkenntnis fähige Subjekt dar, vielmehr soll nur noch das System als solches diese Leistung vollbringen können.289 Und wenn Franzius davon spricht, dass mit Governance ein Ebenen- und Perspektivenwechsel stattfindet, der über die handlungstheoretischen Hintergrundannahmen des akteurszentrierten Steuerungsparadigmas hinausreiche, was letztlich eine „konzeptionelle Wende von den Akteuren zu Strukturen“ nach sich ziehe290, dann deutet sich hierin die gleiche Konsequenz an. In beiden Fällen dient das Individuum, mithin der Akteur, nicht mehr als Projektionsfläche. Ebendies ist mit der normativen Ordnung, wie sie der Rechtswissenschaft zugrunde liegt, nicht vereinbar. Für die Rechtswissenschaft ist der Akteur der Ausgangspunkt aller rechtlichen Konstruktionen wie Gesetzgebung und Normsetzung.291 Es bedarf stets eines Adressaten, an dem sich das juristische Denken orientieren und dessen Wirken es darstellen und gegebenenfalls beeinflussen kann. Versucht man sich an einer Definition der Rechtswissenschaft, so wird man als ihre Aufgabe die Erforschung des Rechts mit dem Ziel der – erläuternden – Darstellung durch Interpretation und Argumentation ausmachen können.292 Das juristische Denken ist dabei ein problemorientiertes.293 Von einem Problem oder Interessenkonflikt ausgehend, erarbeitet der Jurist in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre Lösungen. Diese Lösungen richten sich stets an einen Akteur, den Normadressaten. Fiele dieser weg, gäbe es keine Projektionsfläche für die 289 Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 19 f.; zum Verhältnis von Rechtsubjekt und Gesellschaft vgl. auch Ladeur, Selbstorganisation sozialer Systeme und Prozeduralisierung des Rechts, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 187 (199 ff.). 290 So Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (200); auch Appel, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 360 (364) sieht in Governance keine akteursbezogene Perspektive, mahnt jedoch an, einen so verstandenen Governance-Begriff nicht gegen auf den Akteur ausgerichtete Sichtweisen auszuspielen. 291 Vgl. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 57, der vor dem Hintergrund systemtheoretischer Modellannahmen von der Würde des Menschen gem. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausgangspunkt des Grundgesetzes spricht; vgl. auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (49), der von der Rechtswissenschaft als Akteurswissenschaft spricht. 292 Vgl. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5. Auflage 2011, § 2 Rn. 40. 293 Vgl. Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage 2011, S. 138, der in diesem Kontext von einem „Schubladen- und Registerdenken“ spricht; ähnlich zum Wesen der Rechtswissenschaft Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (49).
1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
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erarbeitete Lösung mehr. Dem rechtswissenschaftlichen Denken und Wirken ist daher ein Akteursbezug wesensimmanent. Er kann nicht umgangen werden. Diese, aus einem Vergleich von Governance und Systemtheorie gewonnene Erkenntnis bestätigt sich, wenn man einen Blick auf den bereits angesprochenen Nutzen der Governance-Perspektive für die Analyse des Europäischen Energiemarktes wirft. Das Europäische Energierecht ist durch das (Zusammen-)Wirken einer Vielzahl unterschiedlichster Akteure geprägt.294 Durch die Vernetzung dieser Akteure, seien sie staatlichen, zwischenstaatlichen oder privaten Ursprungs, wird ein – vor einigen Jahren so noch nicht vorstellbares – Geflecht geschaffen. Auch wenn durch eine Abkehr vom Modell des „verhandelten Netzzugangs“ die Annäherungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren jenseits eines hierarchischen Verhältnisses zunächst weniger geworden zu sein schienen, so herrscht auch im heutigen Europäischen Energierecht noch eine Struktur des regen Zusammenwirkens der unterschiedlichen Akteure jenseits eines klassischen Ordnungsmodells ‚Hierarchie‘ vor. Die Einbindung diverser Akteure, die in einem nicht zwingend hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, in eine Struktur zur Verfolgung eines spezifischen Gemeininteresses, in diesem Fall der Sicherstellung der europäischen Energieversorgung, ist dabei kennzeichnend für ein europäisches Energienetzwerk.295 In diesem wirken die jeweiligen Akteure ihren Rollen und ihrer Interessenlage entsprechend, sodass im Ergebnis eine Governance-Struktur, geprägt von Kooperation und Hierarchie, hoheitlichem und privatem Handeln, formeller und informeller Steuerung, entsteht. Innerhalb dieses Netzwerks ist der Staat, der unterschiedlichen Ausprägung der Governance-Struktur wegen, nicht mehr durchgängig der alleinige, „omnipotente“ Gestalter. Das Zusammenwirken auch mit nicht-staatlichen Akteuren schafft vielmehr ein einzigartiges Energienetzwerk. Entsprechende Strukturen lassen sich inzwischen in allen drei Gewalten (Rechtsetzung, Exekutive, Rechtsprechung) nachweisen. 294
Eingehend dazu im 2. Teil der Arbeit (§ 3, 4 und 5). Begriff des Netzwerkes vgl. Schöndorf-Haubold, Netzwerke in der deutschen und europäischen Sicherheitsarchitektur, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 149 (151), die zu Recht darauf hinweist, dass der Netzwerkbegriff kein Rechtsbegriff im eigentlichen Sinne ist; auch Herzmann, Konsultationen als Instrument zur Regulierung des Energiesektors, in: ebd., S. 172 (173); zu den theoretischen Grundlagen des Netzwerkbegriffs Schwind, Netzwerke im Europäischen Verwaltungsrecht, 2017, S. 17 ff.; speziell zum Netzwerkverständnis in der Governancelehre ebd., S. 69 ff; zu einer Gesamtbetrachtung der einzelnen Netzwerktheorien ebd., S. 131 ff.; grundlegend Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 26, der von „Formen verdichteter und verstetigter Zusammenarbeit“ spricht; Ibáñez, The administrative supervision and enforcement of EC Law, 1999, S. 298, der jene definiert als „permanent framework for administrative cooperation“. 295 Zum
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Zu dieser Feststellung kann man nur gelangen, wenn man von den unterschiedlichen Akteuren her denkt: Nur wenn man die einzelnen, das Energienetzwerk prägenden Akteure identifiziert, ist man in der Lage, ihr Zusammenwirken nachzuvollziehen. Nur wenn man eine Akteursperspektive wählt, ist feststellbar, welcher Akteur, sich mit welcher seiner Interessen durchgesetzt hat. Betrachtet man etwa erneut die Regelungs- und Koordinationsstruktur im Bereich des grenzüberschreitenden Netzbetriebes, fällt die starke Formalisierung und Institutionalisierung der Einbindung Privater in den Regulierungsprozess auf.296 Der Staat will die Übertragungsnetzbetreiber bzw. das ihnen eigene Wissen 297 für seine Zwecke nutzen und bindet sie in einem Verbund (ENTSO) zusammen. Bei der folgenden Erarbeitung von Netzkodizes für den grenzüberschreitenden Bereich wirkt sich aus, dass die privaten Netzbetreiber von anderen Motiven geleitet werden, als der auf das Gemeinwohl verpflichtete Staat. Die vorherrschende Governance-Struktur muss diese unterschiedlichen Motivlagen normativ umhegen. Der Ausgleich gelingt dabei dadurch, dass die Kommission in Absprache mit ACER die Arbeitsplanung der Verbünde festlegt, mittels nicht bindender Rahmenleitlinien versucht, das Ergebnis vorzustrukturieren und später für die Annahme des von ENTSO beschlossenen Kodex zuständig ist. Gleichzeitig sind im Rahmen der Erarbeitung der Netzkodizes alle einschlägigen Marktteilnehmer zu konsultieren.298 Die rechtsdogmatische Rekonstruktion der in diesen komplexen Prozess eingebrachten vielfältigen Interessen und Interessengegensätze kann nur gelingen, wenn man auf die jeweiligen mitwirkenden Akteure und ihre Interessen blickt und daraufhin den Ertrag ihres Zusammenwirkens begutachtet. Ein Ausblenden der Akteursperspektive scheint auch vor diesem Hintergrund in normativer Hinsicht nicht möglich. c) Bindungen staatlicher Akteure in Governance-Strukturen Im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Motivlagen der Akteure ist ein weiterer Belang beachtlich. Staatliche Akteure sind – eben dies unterscheidet sie von zivilgesellschaftlichen Kräften – in besonderem Maße auf das Gemeinwohl verpflichtet. Art. 1 Abs. 3 GG bindet die gesamte staatliche Gewalt an die Grund296 Vgl. zum Themenfeld des grenzüberschreitenden Netzbetriebes Gundel, Europä isches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 59 ff.; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 3. Auflage 2013, S. 75 ff., insb. S. 77. 297 Von Netzwerken als Einheiten, über die neues Wissen geniert werden soll, sprechend Kemmerer, Der normative Knoten, in: Boysen/Bühring/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 195 (198). 298 Zu den energierechtlichen Details siehe § 3, I., 4., S. 119 ff.; zur Regelsetzung durch Netzkodizes Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energie recht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60.
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
rechte299, aus Art. 20 Abs. 1, 2 und 3 GG resultiert ihre Verpflichtung unter anderem auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip300. Dieser Bindung können sich staatliche Akteure – gleich einer „Flucht in Netzstrukturen“301 – auch im Rahmen von Governance-Strukturen nicht entziehen. Nur eine auch den Akteur im Blick behaltende Sichtweise ermöglicht es an dieser Stelle, die Rolle des Staates in einem neue Impulse erzeugendem Netzwerk abzubilden302: Während der Staat durch Art. 1 Abs. 3 bzw. Art. 20 Abs. 1 - 3 GG gebunden und dem Gemeinwohl verantwortlich ist, fällt es ihm in einem Netzwerk, in dem die Gestaltung und Rechtsetzung nur im Zusammenwirken mit nicht-staatlichen Akteuren erfolgt, die diesen Bindungen gerade nicht unterliegen, zunehmend schwerer, jenen Anforderungen gerecht zu werden. Im bestehenden (Energie-)Netzwerk zur Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes versucht der Staat, seiner Verpflichtung auf Recht und Gemeinwohl dadurch zu genügen, dass er im Rahmen der Ausgestaltung der Regelungsstruktur darauf achtet, dass ihm die Letztverantwortung für die erarbeiteten Netzkodizes zukommt. Durch die Annahme des von ENTSO beschlossenen Kodex durch die Kommission versucht diese, alle im Netzwerk aktiven Akteure auf das Gemeinwohl zu verpflichten.303 Diese „janusköpfige“ Rolle des Staates zwischen Einbeziehung Privater in den Regelsetzungsprozess und gleichzeitiger Wahrung der Gemeinwohlorientierung lässt sich nur analysieren und bewerten, wenn die einzelnen, in ihrer Rollenverteilung und Motivation höchst unterschiedlichen Akteure, individuell in den Blick genommen werden. Auch dies spricht in normativer Hinsicht gegen ein Governance-Verständnis, das von einer Verabschiedung des Akteurs geprägt ist. Würde die Hinwendung zu Governance tatsächlich die angesprochene „konzeptionelle Wende“ von einer akteurszentrierten Sichtweise zu einer ausschließ299 Zur Bindungswirkung der Grundrechte für die staatliche Gewalt Kahl, in: ders./ Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2017, Art. 1 Abs. 3, Rn. 1 ff., insb. Rn. 214 ff. 300 Zum Demokratie- bzw. Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes Robbers, in: Kahl/ Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2017, Art. 20 Abs. 1, Rn. 406 ff. bzw. 1718 ff.; zum Rechtsstaatsprinzip bezogen auf nachhaltige Entwicklungen Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, 2006, S. 238 ff. 301 So – im Folgenden bezogen auf ein Beispiel zur Entwicklung der Frankfurter Airport-City – Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/ May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (50 f.); zur Bindung staatlicher Akteure in Netzstrukturen auch Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 261 ff., insb. S. 262. 302 So auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (50). 303 Zur diesbezüglichen „Veto-Position“ der Kommission und ihrer rechtlichen Herleitung vgl. eingehend § 3, I., 4.; zur den exekutiven Verflechtungen auf dem Energiemarkt § 4.
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lich auf Strukturen ausgerichteten Betrachtung bedeuten, zöge dies folglich einen grundlegenden Konflikt mit den Prinzipien des Verfassungsrechts nach sich. Die Gesetzesbindung staatlicher Akteure wäre nicht nachweisbar, das Produkt des Zusammenwirkens aller beteiligten Akteure, die Regelung, ließe sich nicht auf ihren demokratischen Ursprung hin überprüfen. Ein Governance-Verständnis im Sinne von Franzius brächte verfassungsrechtliche Verschiebungen mit sich, die erhebliche Auswirkungen auf das rechtsstaatliche und demokratische Legitimationssystem hätten.304 Die Frage, ob Governance einen Abschied vom Akteur bedeutet oder nicht, hat also auch in grundgesetzlicher Hinsicht folgenschwere Bedeutung. Dass dieser Frage um die Rolle des Akteurs eine solch grundlegende Bedeutung zukommt, mag auch in der zentralen Schlussfolgerung der Verfechter einer Aufgabe der akteurszentrierten Sichtweise begründet liegen: Rekurrierend auf die Chiffre eines „Wandels von Staatlichkeit“305, der sich nach innen und außen manifestiere, wird das Überschreiten traditioneller Grenzen für erforderlich gehalten.306 Insbesondere auf der supranationalen Ebene ließen sich die Gegebenheiten mit einer akteurszentrierten Betrachtung nicht mehr richtig abbilden, so dass – obwohl es zu einer Multiplizierung der Akteure gekommen sei – nur eine
304 Ähnliche Befürchtungen wurden vereinzelt bereits beim Ablösen der früher vom Staat übernommenen Erfüllungsverantwortung von der Gewährleistungs- bzw. Rahmenverantwortung des Staates (dazu siehe § 1, II.) laut, wie es etwa die grundsätzliche Kritik Hoffmann-Riems, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: ders./Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 11 (18 f.) nahe legt, der von einer Neuausrichtung des „rechtsnormativen Demokratiekonzepts“ spricht und in diesem Kontext „radikale Konzeptänderungen“ anstehen sieht. Sich auf diesen beziehend Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 6, der im Zusammenhang mit der Steuerungsdebatte ebenfalls verfassungsrechtliche Verschiebungen befürchtet. Zur verfassungsrechtlichen Bindung von staatlichen Akteuren in Netzstrukturen auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (50 f.). 305 Vgl. hierzu Schuppert, Was ist und wie misst man Wandel von Staatlichkeit, Der Staat 47 (2008), S. 325 (325 ff.); ders., Zu der sich verändernden Rolle des Staates im Spiegel des Bedeutungsgewinns nicht-staatlicher Akteure, in: Sprengel (Hrsg.), Philanthropie und Zivilgesellschaft, 2007, S. 139 (139 ff.); siehe auch Zürn, Governance in einer sich wandelnden Welt – eine Zwischenbilanz, in: Schuppert/ders. (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 553 (569), der davon spricht, dass der Wandel in den Governanceformen von einem Wandel der Staatlichkeit begleitet wird; ferner Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), GovernanceForschung, 2. Auflage 2006, S. 195 (200); aus politologischer Sicht Benz, Der moderne Staat, 2. Auflage 2008, S. 259 ff. 306 Vgl. Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (189 ff.).
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Betrachtung, die vom Akteur abstrahiere und stärker auf Strukturen und Institutionen abstelle, eine adäquate Perspektive liefere.307 Diese Argumentation lässt sich – zugespitzt formuliert – mit den Worten zusammenfassen: Die Realität hat sich geändert, dass Recht muss folgen – auch wenn sich dessen normative Grundprinzipien dabei nicht aufrechterhalten lassen. In der empirisch gestützten Erkenntnis, dass es zu einem Wandel gekommen ist, wird damit letztlich eine Rechtfertigung dafür gesehen, grundgesetzlich verankerte Bindungen und Muster einer Anpassung bzw. – genauer – einer Relativierung zu unterziehen. Diese Schlussfolgerung tritt zwar bei den Verfechtern eines rein institutionellen Governance-Verständnisses nicht so deutlich zu Tage, insbesondere, weil die gesamte Diskussion um Governance und deren Nutzen eher verwaltungsrechtswissenschaftlich betrachtet wird und unter dem Dogma steht, für die sich stellende Realität passende Konzepte zu finden. Auch ein auszumachender Wandel im Bereich der Politikgestaltung oder Rechtsetzung vermag jedoch keine derart gravierende Änderung des normativen Rechtssystems zu bewirken, dass verfassungsrechtliche Bindungen aufzugeben wären.308 Die bereits im Jahre 1971, also fernab jeder Governance- oder auch nur Steuerungsdiskussion, geäußerte Warnung Winfried Brohms, damit die Normativität des Rechts nicht der Faktizität der Entwicklung weiche, müsse die Fortentwicklung der Dogmatik Grenzen haben309, wird im Kontext der erst Jahrzehnte später aufkommenden Governance-Diskussion also überraschend aktuell. d) Governance als Herausforderung für Demokratiemodelle Gerade für die demokratische Legitimation von Europäischen Governance- Strukturen bleibt eine auf den Akteur ausgerichtete Sichtweise essentiell. Der Veranschaulichung der Problematik dient der erneute Blick ins Energierecht. Zur Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes wurde durch das Dritte EU-Binnenmarktpaket310 das bereits dargelegte Netzwerk geschaffen, wel307 Vgl. Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (200). 308 In anderem Zusammenhang, nämlich dem der steuerungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, vorliegend aber durchaus passend, da auch im Rahmen von sich verändernden Wirklichkeiten geäußert, warnt Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 6 vor „Sein-Sollen-Fehlschlüssen“. 309 Vgl. Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1971), S. 245 (251 f.), der weiter ausführt: „Sie ergeben sich unter dem Grundgesetz aus dem Wortlaut der Verfassung und des demokratisch legitimierten Gesetzes. Denn in einer pluralistischen Gesellschaft, wie sie das Grundgesetz voraussetzt und konstituiert, kann sich die Verbindlichkeit dogmatischer Fixierungen nicht etwa auf eine teleologische Geschichtsphilosophie stützen, sondern allein auf die vom demokratischen Gesetzgeber getroffenen Wertungen.“
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ches sich insbesondere durch eine Multiplizierung von Akteuren auszeichnet: das European Network of Transmission System Operators, kurz: ENTSO, die betroffenen Marktteilnehmer, ACER, die Kommission – sie alle wirken an der Regelsetzung durch Netzkodizes mit. Zwar haben der Europäische Rat und das Europäisches Parlament mit Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes die entsprechenden Regeln vorstrukturiert. Jedoch ist diese europarechtliche Vorstrukturierung nicht mit einer unmittelbaren sachlich-inhaltlichen Vorstrukturierung vergleichbar, wie sie etwa durch ein nationales, unmittelbar demokratisch legitimiertes Parlament vorgenommen werden kann.311 Schon bedingt durch den Umstand, dass dem Europäischen Parlament eine schwächere demokratische Legitimation zukommt als den nationalen Parlamenten,312 gestaltet sich die demokratische Legitimation europäischer Governance-Strukturen schwieriger. 310
Die demokratische Legitimation des europäischen Energienetzwerkes kann daher nur gelingen, wenn man – zusätzlich zur normativen Vorstrukturierung durch das Europäische Parlament – auf einen „Legitimations-Input“ durch die 310 Zu den Bestandteilen des Binnenmarktpakets, welches aus insgesamt fünf Rechtsakten besteht (vgl. ABlEU 2009 Nr. L 211, S. 1, 15, 36, 55, 94) Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (764); Schreiber, Die Änderungen des Gemeinschaftsrechtsrahmens für den Energiesektor im Überblick: das dritte Legislativpaket, N&R 2009, S. 154 (154 ff.). 311 Zu Fragen der Vorstrukturierung von Regelungsstrukturen vgl. Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (54 ff.), der in diesem Zusammenhang ein Beispiel aus dem Bereich der Territorialen Agenda der Europäischen Union (TAEU) wählt. 312 Zur schwächeren Legitimation des EU-Parlaments führt das BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 ff., Rn. 280 (sog. „Lissabon-Urteil) aus: „Gemessen an verfassungsstaatlichen Erfordernissen fehlt es der Europäischen Union auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon an einem durch gleiche Wahl aller Unionsbürger zustande gekommenen politischen Entscheidungsorgan mit der Fähigkeit zur einheitlichen Repräsentation des Volkswillens. Es fehlt, damit zusammenhängend, zudem an einem System der Herrschaftsorganisation, in dem ein europäischer Mehrheitswille die Regierungsbildung so trägt, dass er auf freie und gleiche Wahlentscheidungen zurückreicht und ein echter und für die Bürger transparenter Wettstreit zwischen Regierung und Opposition entstehen kann. Das Europäische Parlament ist auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. Dies spiegelt sich darin, dass es als Vertretung der Völker in den jeweils zugewiesenen nationalen Kontingenten von Abgeordneten nicht als Vertretung der Unionsbürger als ununterschiedene Einheit nach dem Prinzip der Wahlgleichheit angelegt ist.“ Zum Demokratiedefizit auf Unionsebene auch Ruffert, in: Calliess/ders. (Hrsg.), EUV/ AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 9 EUV Rn. 1 ff., der hierin ein „Urproblem des Integrationsprozesses“ sieht. Zu der der Wahl des Europäischen Parlaments normativ zugedachten demokratischen Legitimationsvermittlung Grzeszick, Demokratie und Parlamentarismus im europäischen Staatenverbund, in: FS Eibe Riedel, 2013, S. 441 (445 ff.).
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einzelnen, die Regelungsstruktur prägenden Akteure setzt.313 Die Kommission und ACER bringen die ihnen eigene demokratische Legitimation in das Energienetzwerk ein, indem sie am Zustandekommen der Netzkodizes mitwirken. Auch die Einbindung der privaten Akteure in die Regelsetzung – sei es durch die Konsultation der einschlägigen Marktteilnehmer, sei es durch den festgelegten Zusammenschluss der Übertragungsnetzbetreiber in je einem Europäischen Verbund (ENTSO) – trägt zur demokratischen Legitimation des Netzwerkes bei. Die Idee der Integration nicht-staatlicher Akteure in das Netzwerk war es schließlich, auf diese Weise deren Wissen im Energiebereich für die Regelsetzung zu gewinnen.314 Das Bundesverfassungsgericht hat explizit hervorgehoben, dass ein wirksames Mitspracherecht Betroffener und die Aktivierung verwaltungsexternen Sachverstandes einen sachgerechten Interessenausgleich erleichtern und so dazu beitragen könne, Ziele effektiver zu erreichen, wodurch – im Ergebnis – das demokratische Prinzip ergänzt und verstärkt werde.315 Es hat damit klargestellt, dass sowohl das Demokratieprinzip in seiner traditionellen 313 In Bezug auf Governance-Strukturen für eine stärkere Differenzierung zwischen In- und Outputlegitimation plädierend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 272 f.; zur demokratischen Legitimation von Governance-Netzen auf die Akteure setzend Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (54 ff.); ders., „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (116 ff.); allgemein zu Demokratie und Legitimation im Rahmen von Governance aus politikwissenschaftlicher Sicht Blatter, Demokratie und Legitimation, in: Benz/ Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 271 (271 ff.); einen rechtlichen Ansatz verfolgend Ruffert, Was ist Democratic Governance?, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (55 ff.). 314 Vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energie recht, 94. EL Juli 2017, Rn. 61, der jedoch den mit diesem Vorhaben verbundenen Aufwand kritisch sieht; demgegenüber für mehr Einbindung privaten Sachverstandes werbend, da hierdurch flexiblere und innovativere Regulierungsregelungen zustande kämen und der Staat bei einer Alleinverantwortung zudem überfordert sei, Bauer, „Collaborative Governance“ – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte, ZfE 34 (2010), S. 237 (240, 242); generell zur Wissensgenerierung durch die Einbindung Privater in den Regulierungsprozess Schuppert, Governance durch Wissen, in: ders./Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008, S. 259 (259 ff.); auch Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: ebd., S. 13 (13 ff., insb. S. 19 ff.). 315 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 –, BVerfGE 107, S. 59, Rn. 144. Zu diesem Beschluss und seinen Auswirkungen auch Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (113 ff.), der in diesem Kontext von einer „flexibilisierenden Erweiterung“ der demokratischen Legitimation spricht; hierzu auch bereits ders., Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (53). Zur partizipatorischen Demokratie bereits Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda/ders./Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 12 Rn. 99.
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Ausprägung316 einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette als auch die organisierte Beteiligung sachnaher Betroffener an den sie berührenden Entscheidungen zur Verwirklichung eines hinreichenden Legitimationsniveaus beitragen können.317 An dieses Verständnis eines entwicklungsoffenen Demokratieprinzips knüpft das Gericht in seiner Lissabon-Entscheidung letztlich an, indem es – gerade bezogen auf europäische netzwerkartige Strukturen – von einem verflochtenen, aber (weiterhin) demokratischen System spricht.318 Zwar ändert der Vertrag von Lissabon – dem Bundesverfassungsgericht nach – nichts daran, dass der Bundestag als Repräsentationsorgan des Deutschen Volkes im Mittelpunkt dieses verflochtenen demokratischen Systems steht, dennoch ist es auch nach Ansicht der Richter möglich und notwendig, althergebrachte Legitimationsmodelle durch neue, insbesondere in Art. 10 und 11 EUV verankerte Legitimationsformen zu ergänzen.319 So hebt das Gericht explizit hervor, dass es der Europäischen Union frei stehe mit zusätzlichen neueren Formen transparenter oder partizipativ angelegter politischer Entscheidungsverfahren nach eigenen Wegen demokratischer 316 Zur traditionellen Form der demokratischen Legitimation Grzeszick, Die Voraussetzungen demokratischer Legitimation der Verwaltung und deren Konzeptualisierung in der Verfassungsrechtsdogmatik, in: Gedächtnisschrift für Winfried Brugger, 2013, S. 601 (602 ff.); zur Kritik am tradierten Legitimationsmodell und zur Öffnung für andere Legitimationsformen, Letzterer jedoch kritisch gegenüberstehend, da das tradierte Modell hinreichend offen und flexibel sei, um auf geänderte Umstände und spezifische Kostellationen reagieren zu können, ebd., S. 610 ff., 617 ff.; ders., in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 20 Abs. 2, Rn. 152 ff. 317 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 –, BVerfGE 107, S. 59, Rn. 144, wo davon die Rede ist, dass beide Ausprägungen des Demokratieprinzips gemeinsam die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung verwirklichen; kritisch Gärditz, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip im Recht der Wasser- und Entsorgungsverbände, AbfallR 2004, S. 235 (236 ff.); instruktiv und detailliert zur Entwicklung des Demokratieverständnisses durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (108 ff.); zum Demokratiekonzept als „offenem Verfassungskonzept“, das auf „normative Weiterentwicklung“ angelegt ist, auch bereits ders., Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (52 ff.). 318 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (371): „verflochtenen demokratischen Systems“. Dazu Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (116 ff.), der von einer „normativen Öffnung“ des (klassischen) Demokratiemodells durch das BVerfG spricht. Vgl. ferner Grzeszick, Die Europäisierung des Rechts und die Demokratisierung Europas, Die Verwaltung, Beiheft 10 (2010), S. 95 (97 ff.). 319 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (369, 377, 379).
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Ergänzung zu suchen.320 Elementen partizipatorischer Demokratie, wie dem Gebot, den Unionsbürgern und „repräsentativen“ Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit zu geben, ihre Ansichten einzubringen, sowie Elementen assoziativer und direkter Demokratie wird eine ergänzende Funktion bei der Legitimation von (europäischer) Hoheitsgewalt ausdrücklich zugestanden.321 In solchen Annahmen zu Demokratieprinzip und Legitimationsmodellen liegt dabei kein – grundsätzlich abzulehnender322 – „Sein-Sollen-Fehlschluss“, getreu dem Motto: Die Ausdifferenzierung europäischer Netzwerkstrukturen ist komplexer geworden, das Demokratiemodell muss folgen und daher grundlegend überarbeitet werden. Vielmehr zeigt diese Argumentation eine – im Grundgesetz und in den Europäischen Verträgen bereits seit jeher angelegte – Entwicklungsoffenheit323 des Demokratieprinzips, mit der es gelingt, auch heute vorherrschende, rechtlich komplexe Ausformungen und Strukturen noch einzufangen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Anerkennung eines „verflochtenen (aber noch) demokratischen Systems“ – letztlich ganz im Sinne des hiesigen Governance-Verständnisses – das Aufbrechen klassischer, althergebrachter Steuerungsmuster anerkannt und auf Demokratie- und Legitimationsmuster übertragen.324 Erkennt man in diesem Sinne den Beitrag der in die Entscheidungsfindung einbezogenen, unmittelbar betroffenen Marktteilnehmer zur demokratischen Legitimation des Netzwerkes an325, so findet ein Stück weit eine Erweiterung des Legitimationsverständnisses statt: Im Ausgangspunkt zurückgehend auf Fritz Scharpf wird von der Modellvorstellung eines politischen Systems ausgegangen, das politische inputs (also insbesondere artikulierte Interessen) aus der gesellschaftlichen Umwelt aufnimmt und zu politischen outputs (also insbesondere verbindlichen Entscheidungen) verarbeitet, sodass auch normative Demokratietheorien danach unterschieden werden können, ob sie das politische 320 BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (369). 321 BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (377, 379 f.). 322 Zur Ablehnung dessen eingehend § 2, II., 2., b). 323 Vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 170; Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (119). 324 Siehe Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (116 f.), der das Zitat des Gerichts („verflochtenes demokratisches System, vgl. Fn. 318) zum „System verflochtener Demokratie“ weiterformt. 325 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kahl, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 67 (2008), S. 335 (335), der von der Möglichkeit einer „differenzierten und pluralistischen demokratischen Legitimation“ spricht; zu unterschiedlichen Formen demokratischer Legitimation im Rahmen von hybriden Behördenstrukturen vgl. Kersten, Arbeitsgemeinschaften (§ 44 b SGB II), ZfPR 5 (2005), S. 130 (134 f.).
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System primär von seinen inputs oder von seinen outputs her zu rationalisieren versuchen.326 Während sich in den Zeiten, in denen der Staat im Rahmen seiner Erfüllungsoder auch noch Gewährleistungsverantwortung tätig wurde und die politischen Entscheidungen von einer hierarchisch strukturierten Verwaltung getroffen wurden, das Bestehen eines hinreichenden Legitimationsniveaus der öffentlichen Gewaltausübung noch relativ einfach überprüfen ließ, indem man den ununterbrochenen Zurechnungszusammenhang zwischen Organwalter und Volk nachvollzog, gestalten sich die Fragen in Zeiten der Existenz von ausdifferenzierten Netzwerken schwieriger. Wenn staatliche und nicht-staatliche Akteure in Netzstrukturen mehr oder weniger gleichberechtigt zusammenwirken, rückt zwangsläufig die Frage in den Mittelpunkt, ob neben die input-orientierten, formalen Ableitungszusammenhänge auch – ergänzend – eine Form der Output-Legitimation treten kann.327 Hielte man ausschließlich am klassischen Demokratiekonzept der deutschen Staatsrechtswissenschaft einer ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette fest, gelangte man schnell zu der Erkenntnis, dass zahlrei326 Vgl. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, S. 21; hiermit im Zusammenhang stehen letztlich auch die von A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 517 ff. entwickelten Kategorisierungen der Legitimationsmuster in Ex-ante- und Ex-post-Strategien; hierauf abstellend zum Erfordernis eines Perspektivenwandels im Legitimationsverständnis Nowrot, Föderalisierungs- und Parlamentarisierungstendenzen in Netzwerkstrukturen, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 15 (28 ff.); sich auf Scharpf und Nowrot beziehend vgl. auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (53). 327 Dies befürwortend Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 53; Nowrot, Föderalisierungs- und Parlamentarisierungstendenzen in Netzwerkstrukturen, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 15 (28 ff.); Viellechner, Können Netzwerke die Demokratie ersetzen?, in: ebd., S. 36 (36 ff.); Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-Aßmann/ders. (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 317 (375), der meint, Netzwerkstrukturen und ihre Regelbildung liefen dem Denken in einer linearen Legitimationskette zuwider und erforderten deshalb ein andersartiges Legitimationskonzept; Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (52 f.); Bärenbrinker, Nachhaltige Stadt entwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 270 ff.; Bredt, Constitutional Economics und gewaltenteiliges Demokratieverständnis, Der Staat 46 (2007), S. 589 (594 f.), der von einer „offensichtlichen Notwendigkeit“, neue methodische Wege zu beschreiten, spricht; vgl. zur Verbindung von Input- und Output-Elementen ferner Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 58 (2010), S. 137 (144 ff., insb. 148 ff.); diesbezüglich kritisch Gärditz, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip im Recht der Wasser- und Entsorgungsverbände, AbfallR 2004, S. 235 (237).
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che auf europäischer Ebene im Energierecht getroffene Entscheidungen nicht hinreichend demokratisch legitimiert sind.328 Dieses ausschließliche Denken in Legitimationsketten reicht jedoch nicht mehr aus in Zeiten, in denen der Staat ganz bewusst Entscheidungsbefugnisse teilt und auch auf private Akteure delegiert. Ein solches Denken geht in seinem Ursprung davon aus, dass das nationale Parlament als zentrales Entscheidungsorgan auftritt. De facto ist dies heutzutage jedoch nicht mehr der Fall, es laufen nicht mehr alle wichtigen politischen Entscheidungen dort zusammen und werden von dort aus gesteuert.329 Unter der aktuellen, netzwerkartig ausgestalteten Regelungsstruktur lässt sich die Regelsetzung nicht auf einen zentralen, hinreichend demokratisch legitimierten Akteur zurückführen, wie es für ein ausschließliches Denken in Legitimationsketten jedoch erforderlich wäre. Verflechtungen unterschiedlicher Akteure sind Netzwerken wesensimmanent330, so auch im Energiebereich. Ebenso wie nach dem Ersten Binnenmarktpaket331 gestalten auch heute die privaten Übertragungsnetzbetreiber den grenzüberschreitenden Netzbetrieb letztlich selbst aus, wenn deren Wirken auch stärker als bisher verfahrensrechtlich eingehegt ist und ACER sowie insbesondere der Kommission stärkere Kontrollrechte zukommen.332 Der Ansatz, den Übertragungsnetzbetreibern als unmittelbar Betroffenen die Rechtsetzung in eigenen Angelegenheiten zu übertragen, bleibt jedoch erhalten.333 328 Allgemein zur Frage eines Demokratiedefizites in der EU Scholz, Parlamentarische Demokratie in der Bewährung, 2012, S. 375 ff. 329 Vgl. Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 58 (2010), S. 137 (138), der in diesem Zusammenhang exemplarisch auf das Wirken der International Organization for Standardization (ISO) verweist. 330 Vgl. zum Begriff des Netzwerkes Schöndorf-Haubold, Netzwerke in der deutschen und europäischen Sicherheitsarchitektur, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 149 (151); Schmidt-Aßmann, Verfassungsprinzipien für den Europäischen Verwaltungsverbund, in: Hoffmann-Riem/ders./Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Auflage 2012, § 5 Rn. 26: „Formen verdichteter und verstetigter Zusammenarbeit“; jüngst Simantrias, Netzwerke im europäischen Verwaltungsverbund, 2016, S. 19 ff., zur Interdisziplinarität des Begriffs S. 22 ff. 331 Zur Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes nach dem Ersten Binnenmarktpaket vgl. bereits § 2, II., 1., b), cc), S. 64 ff. 332 Vgl. zur Regelsetzung durch Netzkodizes Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60 f. 333 Kritisch zu diesem Ansatz etwa Britz, Verbundstrukturen in der Mehrebenenverwaltung, Die Verwaltung, Beiheft 8 (2009), S. 71 (99 f.); Neveling, Verschärfte Regulierung der Strom- und Gasmärkte in der EU – Vorschläge der Kommission für ein 3. Richtlinienpaket, ZNER 2007, S. 378 (379); Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 61; den Ansatz insgesamt positiver bewertend Fischerauer, Zwischen Regulierung und Selbstregulierung – Zur Ausarbeitung europäischer Netzkodizes im Energiesektor, ZNER 2012, S. 453 (459), der durch die Ein-
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Mit der Etablierung einer rechtlich verselbstständigten Figur der Übertragungsnetzbetreiber und der Übertragung weitgehender Normierungsbefugnisse auf diese im Bereich der grenzüberschreitenden Netznutzung hat der Staat seinen absoluten Steuerungsanspruch aufgegeben. Auch wenn die Kommission in Abstimmung mit ACER im Vorfeld sog. „nicht bindende Rahmenleitlinien“ vorgibt und im Anschluss eine Annahme des von ENTSO beschlossenen Kodex durch die Kommission vorgesehen ist, so bleibt Letzterer allein schon aufgrund der Komplexität und Dynamik dieser Aufgabe334 faktisch kaum eine andere Wahl, als die ausgearbeitete Regelung zu bestätigen. Mit der bewussten Aufgabe seines Steuerungsanspruchs und dem „Vorbereiten-Lassen“ der Regelsetzung durch Private liegt ein neuer Fall der Entparlamentarisierung vor, schließlich wird die Regelsetzung im Fall des grenzüberschreitenden Netzbetriebes von einem Verbund nicht-staatlicher Akteure vorbereitet und in einem Netzwerk, in das auch staatliche Akteure eingebunden sind, verabschiedet. Dieses Beispiel stellt dabei keinen Einzelfall dar. Wie im 2. Teil der Untersuchung noch ausführlich dargelegt, werden energiepolitische Entscheidungen von privaten Akteuren vorgezeichnet bzw. getroffen oder auf neuartige, zum Teil unabhängig gestellte Gremien verlagert. Regelungen werden innerhalb eines Netzwerkes zwischen einer Vielzahl verschiedener Akteure ausgehandelt, wobei der Staat bei diesem Prozess zwar noch mitwirkt, allerdings nicht mehr in klassisch hierarchischer Form, sondern als „einer unter vielen“. Ein Zentrum, auf welches sich die getroffenen Entscheidungen projizieren lassen, ist innerhalb der Netzwerkstruktur nicht mehr eindeutig auszumachen. Wer vermag im gewählten Beispiel der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes335 zu sagen, welcher der beschriebenen Akteure im Rahmen der Regelsetzung das Zentrum der Entscheidungsfindung bildet: Zusammengeschlossen in einem neu geschaffenen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber erarbeiten private Akteure Netzkodizes, ihre Arbeitsplanung wird dabei von staatlicher Seite (Kommission in Abstimmung mit ACER) vorgenommen. Diese nehmen auch eine inhaltliche Vorstrukturierung des Entscheidungsfindungsprozesses dahingehend vor, dass sie vorab „Rahmenleitlinien“ erlassen, die gleichzeitig jedoch nicht bindend sind. Die von den privaten Netzbetreibern, nach einer Konsultation aller einschlägigen Marktteilnehmer getroffene Entscheidung, ist dann wiederum von der Kommisbeziehung der Netzbetreiber insbesondere die hinreichende Praxistauglichkeit der Netzkodizes gewährleistet sieht. 334 Davon sprechend, dass hoheitliche Steuerung bei der Abwicklung der grenzüberschreitenden Netznutzung angesichts der Komplexität und Dynamik der Aufgabe an ihre Grenzen stößt Britz, Verbundstrukturen in der Mehrebenenverwaltung, Die Verwaltung, Beiheft 8 (2009), S. 71 (99). 335 Zur Organisation des Netzbetriebs Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 59 ff.
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
sion anzunehmen, wobei sie aufgrund der Komplexität und Dynamik des Prozesses diese Veto-Position336 nur eingeschränkt ausüben kann. Bei einem solchen Netzwerk ohne klassisches Zentrum, auf das sich die Entscheidungsfindung projizieren lässt und das den Anknüpfungspunkt für das tradierte deutsche Demokratieverständnis im Sinne einer ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette bildet, kann eine demokratische Legitimation folglich nur gelingen, wenn man die Möglichkeiten der demokratischen Legitimation – ebenso wie vom Bundesverfassungsgericht angedacht – erweitert. Diese Erweiterung darf dabei – der Vergleichs zur Systemtheorie verdeutlicht dies337 – nicht darin münden, dass sich über die Aufgabe des akteurszentrierten Denkens eine sachlich-inhaltliche Legitimation der staatlichen Akteure durch Bindung an Recht und Gemeinwohl nicht mehr konstruieren lässt. Gleichwohl ist über die vom Bundesverfassungsgericht angesprochene Betroffenenpartizipation und die damit einhergehenden Modi der Outputlegitimation eine Erweiterung des klassischen deutschen Verständnisses demokratischer Legitimation anzuraten.338 Nur so ist im Rahmen der anstehenden Frage nach einer hinreichenden demokratischen Legitimation der einzelnen Governance-Strukturen feststellbar, welche Akteure des energiepolitischen Mehrebenensystems wie miteinander verbunden sind. Indem man bei der demokratischen Legitimation europäischer Energienetzwerke die Möglichkeit der auch outputorientierten Legitimation anerkennt, rücken die einzelnen Akteure stärker in den Fokus des Betrachters.339 Dies ermöglicht eine Analyse der oft komplexen Netzwerkstruktur im Europäischen Energierecht.
336 Zu Vetorechten der Kommission auch Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und -verordnungen, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 15 ff. 337 Vgl. § 2, II., 2., b). 338 Vgl. hierzu das Beispiel Kerstens zur European territorial governance Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (54 f.), der ebenfalls für eine Erweiterung plädiert; ebenso Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 284 f.; vgl. auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 719, der zu Recht darauf hinweist, dass prinzipiell kein „numerus clausus der Legitimationsarten“ existiert; sich auf diesen berufend Nowrot, Föderalisierungs- und Parlamentarisierungstendenzen in Netzwerkstrukturen, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 15 (29 f.); ähnlich Groß, Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 152 (175). 339 Vom Akteur als „zentraler Figur“ sprechend Bärenbrinker, Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Governance, 2012, S. 284.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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Europäischer Rat und Europäisches Parlament haben mit Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes die Regelungsstruktur im Bereich des grenzüberschreitenden Netzbetriebes vorstrukturiert. Da diese Vorstrukturierung jedoch schwächer ausfällt als jene auf nationaler Ebene durch ein unmittelbar demokratisch legitimiertes Parlament, muss zur sachlich-inhaltlichen Strukturierung ein akteurszentrierter, personaler Legitimationsstrang hinzutreten. Die legitimierten staatlichen Akteure Kommission und ACER bringen ihre demokratische Legitimation in das Energienetzwerk ein, indem sie in dieses eingebunden sind und an der Regelsetzung mitwirken. Durch die Einbindung der privaten Marktakteure in das Netzwerk erfolgt eine zusätzliche Stärkung des Legitimationsniveaus im Sinne der Betroffenenpartizipation. Die organisierte Beteiligung sachnaher Betroffener an den sie berührenden Entscheidungen und die Nutzbarmachung des ihnen eigenen Wissens tragen zur Verwirklichung eines hinreichenden Legitimationsniveaus bei. Wie sich zeigt, ist man im Rahmen der komplexen Strukturen des Europäischen Energierechts stärker als im nationalen Rahmen auf die gesamte Breite der theoretischen Demokratiemodelle angewiesen.340 In besonderem Maße muss auf die einzelnen Akteure eines Netzwerkes abgestellt werden, um ein hinreichendes Legitimationsniveau zu erzielen. Dabei bildet die Betroffenenpartizipation einen wesentlichen Legitimationsbaustein.341 Ihre Bedeutung für die demokratische Legitimation der europäischen Rechtsetzung lässt sich bereits daran ablesen, dass sie frühzeitig im Weißbuch „Europäisches Regieren“ der Europäischen Kommission342 als einer der fünf „Grundsätze guten Regierens“ und Bezugspunkt der 340 Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/ Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (65); Bekkers/Edwards, Legitimacy and Democracy: A Conceptual Framework for Assessing Governance Practices, in: Bekkers (Hrsg.), Governance and the Democratic Deficit, 2007, S. 35 (35); siehe auch Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (118), der – rekurrierend auf die von Jürgen Habermas angemahnte „institutionelle Phantasie“ (vgl. Habermas, Rettet die Würde der Demokratie, FAZ vom 05. 11. 2011, S. 31) – „demokratische Leistungspotentiale“ voll ausschöpfen und zur Entfaltung bringen will. 341 Vgl. Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (117 ff.); zu partizipatorischen Demokratietheorien vgl. den Überblick bei Schmidt, Demokratietheorien, 5. Auflage 2010, S. 251 ff.; Roth, Partizipative Demokratie, in: Brink/ Wolff (Hrsg.), Gemeinwohl und Verantwortung, 2004, S. 761 (761 ff.). 342 Vgl. Mitteilung der Kommission vom 25. Juli 2001 „Europäisches Regieren - Ein Weißbuch“, KOM(2001) 428 endgültig, Amtsblatt C 287 vom 12. 10. 2001. Als die fünf „einander ergänzenden Grundsätze guten Regierens“ werden dort genannt: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Diese Grundsätze ähneln dabei in Teilen den fünf „unverzichtbaren Charakteristika des Gesetzgebungsverfahrens als Gemeinwohlverfahren im demokratischen Verfassungsstaat“, die Schulze-Fielitz, Gesetzgebung als materielles Verfassungsverfahren, NVwZ 1983, S. 709 (711) bereits früh für den nationalen Bereich herausgearbeitet hat: Diskussionen, Informationsgewinnung, Offenheit, Öffentlichkeit des Verfahrens, Mehrheitsprinzip.
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
Offenheit bzw. Transparenz verankert wurde.343 Im Energierecht erfolgt die Umsetzung dessen regelmäßig durch die Einrichtung von Gruppen unterschiedlicher organisatorischer Verdichtung, die häufig unter dem Stichwort „Zivilgesellschaft“ zusammengefasst werden und das Meinungsbild der Betroffenen kanalisieren sollen, ehe dann – ganz im Sinne des Art. 11 Abs. 2 EUV – ein Austausch mit den Unionsorganen stattfindet.344 Die Einrichtung der unmittelbar in den Regulierungsprozess einbezogenen Verbünde der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO) sind hierfür ein gutes Beispiel. Mit dieser formalisierten und institutionalisierten Form der Partizipation gehen Beratungsprozesse mit betroffenen Marktteilnehmern im Vorfeld der Regelsetzung einher. Diese „Vorabaustäusche“ mit Privaten im Rahmen der Entscheidungsfindung sind aus dem Bereich der europäischen Energiepolitik nicht mehr wegzudenken.345 Orientiert am Modell der deliberativen Demokratietheorie346, nach dem für alle Betroffenen oder deren Repräsentanten zunächst eine Teilnahme am Diskurs über die Begründbarkeit der Entscheidung vorzusehen ist, bevor die Entscheidung ergeht, wird in dieser Vorgehensweise somit keine zu enge, in demokratischer Hinsicht bedenkliche Verflechtung zwischen staatlichen und privaten Akteuren mit der ihr innewohnenden Gefahr des Erhalts eines Minimalkonsenses gesehen; vielmehr wird in der Zusammenarbeit und dem „Sich-Austauschen“ der Akteure ein rationaler Prozess erblickt, der dabei hilft, dass die letztlich gefunde343 Dementsprechend kann das Öffentlichkeitsprinzip zutreffend durchaus als „quasi-plebiszitär“ bezeichnet werden; so Kahl, Das Transparenzdefizit im Rechtssetzungsprozess der EU, ZG 11 (1996), S. 224 (233); Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (66); grundlegend zur Bedeutung der Öffentlichkeit und der Partizipation Betroffener im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 354. Die Bedeutung, die seitens der Unionsebene partizipativen Elementen zur Stärkung der Legitimationsstruktur zugemessen wird, lässt sich im Übrigen auch an Art. 11 Abs. 4 EUV und der Etablierung eines europäischen Bürgerbegehrens ablesen. 344 Im Zusammenhang mit partizipativen Ansätzen auf Unionsebene von assoziativen Demokratievorstellungen sprechend Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/ Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (66); ebenso Britz/Schmidt, The Institutionalised Participation of Management and Labour in the Legislative Activities of the European Community, European Law Journal 6 (2000), S. 45 (45 ff., insb. S. 56 ff.); Hirst, Democracy and Governance, in: Pierre (Hrsg.), Debatting Governance, 2006, S. 13 (29 ff.); Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (117). 345 Dies gilt im Übrigen auch im nationalen Bereich und ist letztlich eine Konsequenz des sog. „Kooperativen Staates“. Klassisch zu Letzterem Ritter, Der kooperative Staat – Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, AöR 104 (1979), S. 389 (389 ff.); vgl. auch Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60 ff. 346 Vgl. hierzu Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/ Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (66); jüngst zur Demokratietheorie Alcántara, Demokratietheorie und Partizipationspraxis, 2016.
II. Governance – Begriff und Leistungspotenzial für die Rechtswissenschaft
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ne Entscheidung Anspruch auf Anerkennung haben kann.347 Mehr noch: Es zeigt sich, dass für die Legitimation von Governance-Strukturen auf europäischer Ebene auf ein Konglomerat einzelner „Legitimationsbausteine“ zu setzen ist. Die personelle Legitimation einzelner staatlicher Akteure und die sachlich-inhaltliche Legitimation mittels gesetzlicher Vorstrukturierung einer Regelungsstruktur behalten auch im Zuge von Governance ihre Bedeutung, stellen jedoch nicht mehr die einzigen Legitimationsstränge dar.348 Hinzutreten vielmehr Formen der output-Legitimation und der Betroffenenpartizipation, sodass sich letztlich ein „Pool“ an Legitimationselementen ergibt, aus dem geschöpft werden kann.349 Erforderlich ist stets, dass im Einzelfall in der Summe ein ausreichendes Legitimationsniveau sichergestellt ist. So kommt den beschriebenen „neuen“ Legitimationsbausteinen auch eine kompensierende Rolle zu, wenn sich „klassische“ Formen der Legitimationssicherung in Governance-Strukturen nicht mehr ausreichend wiederfinden lassen.350 Diesen Einzelelementen der Legitimationssicherung und dem Kompensationsgedanken ist in Zeiten der komplexen Regelungsstrukturen im Energierecht offen gegenüberzutreten. Sie werden letztlich immer wichtiger, je weniger die faktischen Strukturen auf eine hierarchisch übergeordnete Einheit
347 Kritisch zur Deliberation vgl. Möllers, Transnationale Behördenkooperation – Verfassungs- und völkerrechtliche Probleme transnationaler administrativer Standardsetzung, ZaöRV 2005, S. 351 (382 ff.); skeptisch auch Sanders, Against Deliberation, Political Theory 25 (1997), S. 347 (347 ff.); vgl. ebenso Papadopoulos, Governance und Demokratie, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 225 (229), der bei der Einbindung von Interessengruppen – nicht zu Unrecht – die Gefahr der Entstehung einer „demokratischen Elitenherrschaft“ sieht; demgegenüber positiv Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/ Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (66), der die Deliberation sowohl als nützlich bei der Formulierung normativer Entscheidungen als auch bei ihrem Vollzug ansieht. 348 So letztlich auch das BVerfG in seiner Lissabon-Entscheidung, BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (369, 377, 379 f.), wenn es die Bedeutung von Parlament und Gesetz zur demokratischen Legitimation zwar weiterhin ausdrücklich hervorhebt, gleichzeitig aber auch andere, neue Legitimationsformen anerkennt und von einem Ergänzungsverhältnis ausgeht. 349 Vgl. in diesem Zusammenhang Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (210), der eine Bereitschaft anmahnt, sich von „Reinformen“ der Legitimation zu lösen; ebenso Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (54), der von einer „zentralen Bedeutung“ der Erweiterung der klassischen Legitimationsbausteine durch neue spricht; ders., „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (117 f.). 350 Wiederum kritisch Möllers, European Governance: Meaning and Value of a Concept, Common Market Law Review 43 (2006), S. 313 (320 ff.).
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
ausgerichtet sind und damit klassisch einseitige Legitimationsmuster überfordern.351 Die Governance-Perspektive hilft somit darzustellen, wie und ob die aus unterschiedlichen Verantwortungsträgern zusammengesetzten Regelungsstrukturen einer demokratischen Legitimation zugeführt werden können.352 Wie im Rahmen der neu gestalteten Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes, kann im Rahmen der Überprüfung des Bestehens einer hinreichenden demokratischen Legitimation einer Governance-Struktur somit gleichzeitig analysiert werden, welche beteiligten Akteure wie innerhalb der Netzwerkstrukturen miteinander verflochten sind. In der Governance-Perspektive liegt mithin ein spezifischer Mehrwert, immer vorausgesetzt, die Akteure werden in ihrer Bedeutung nicht ausgeblendet.
III. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich das Folgende festhalten: Das Festmachen des Wandels der staatlichen Aufgabenerfüllung im Energiebereich an unterschiedlichen Verantwortungsstufen hat Blickwinkel eröffnet, die einen Einstieg in die Governance-Debatte ermöglichten. Es ließ sich aufzeigen, dass auf europäischer Ebene Geflechte aus verschiedenen Akteuren existieren, die – auf zum Teil unübersichtliche Weise – die heutige Energiepolitik prägen. Es hat ein erheblicher Wandel innerhalb der Verantwortungswahrnehmung stattgefunden, zu dessen Darstellung und Analyse es eines Rückgriffs auf die Governance-Perspektive bedarf. Dieser Begriff ist bereits fester Bestandteil anderer, nicht-juristischer Forschungsbereiche und die europäische Politik traut Strukturen von Governance im Energiebereich ein erhebliches Problemlösungspotential zu. Nichtsdestotrotz tut sich die Rechtswissenschaft, allen voran die Staats- und Verwaltungsrechts351 Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, VerwArch 97 (2006), S. 186 (210); Benz, Ansatzpunkte für ein europafähiges Demokratiekonzept, in: Kohler-Koch (Hrsg.), Regieren in entgrenzten Räumen, 1998, S. 345 (364 f.); Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 587 ff., der von „pluraler Legitimation“ spricht und eine Weiterentwicklung des Konzepts der demokratischen Legitimation anmahnt, damit den neuen Herrschaftsstrukturen ausreichend Rechnung getragen wird. Ähnlich Kersten Governance in der Staats- und Verwaltungswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (52 ff.), der von einer Herausforderung des „klassischen Legitimationsmodells“ ausgeht und ebenfalls eine Weiterentwicklung des althergebrachten Demokratieverständnisses befürwortet. 352 Diesbezüglich an den anglo-amerikanischen accountability-Gedanken anknüpfend Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (66); dazu Grant/Keohane, Accountability and Abuses of Power in World Politics, The American Political Science Review 99 (2005), S. 29 (29 ff.); Cohen/Sabel, Global Democracy?, New York University Journal of International Law and Politics 37 (2004/2005), S. 763 (772 ff.).
III. Ergebnis
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wissenschaft, mit einer Rezeption des Konzepts nach wie vor schwer; Letzteres vermutlich auch, weil selbst Jahre nach dem erstmaligen Gebrauch der Begrifflichkeit noch immer Uneinigkeit hinsichtlich einer genauen Definition des Konzepts vorherrscht. Am Beispiel der Europäischen Energiepolitik konnte aufgezeigt werden, dass eine Übernahme des Governance-Konzepts in die juristische Lehre grundsätzlich sinnvoll ist, aber gleichwohl nicht bedingungsfrei erfolgen kann. Eine Rezeption des weiten Governance-Begriffs begegnet erheblich weniger Bedenken, als die Übernahme eines engeren Begriffsverständnisses. Da es vorliegend um die Etablierung einer für die Jurisprudenz mehrwerthaltigen Governance-Perspektive geht, ist Ersterer jedoch abzulehnen. Zwar bietet der weite Governance-Begriff die Möglichkeit einer gemeinsamen, disziplinübergreifenden Definition, so dass die Übernahme in die juristische Lehre keinen durchgreifenden normativen Bedenken begegnet, jedoch wäre dies nur um den Preis möglich, eine weitgehende Leerformel geschaffen zu haben. Geeigneter zur Analyse der rechtlichen Strukturen im Europäischen Energierecht erscheint ein enger umgrenztes Governance-Konzept, auch wenn dessen Rezeption in eine normative Wissenschaft gewissen Voraussetzungen unterliegt. Versteht man unter Governance dementsprechend Regelungs- bzw. Koordinationsstrukturen, die sich nicht mehr von einem Zentrum her analysieren und bewerten lassen, so konnte unter Rückgriff auf die im ersten Kapitel erläuterten unterschiedlichen Verantwortungsstufen aufgezeigt werden, dass – in Weiterentwicklung von den einstigen Zwischenschritten ‚Planung‘ und ‚Steuerung‘ – im Europäischen Energierecht derartige Strukturen inzwischen vorherrschen. Das EnWG 1935 schrieb dem Staat noch die Rolle des zentralen, omnipotenten Akteurs zu, woran sich bis zum Außer-Kraft-Treten des Gesetzes im Jahre 1998 nichts grundlegend änderte. Diese Alleinverantwortlichkeit des Staates ließ sich dabei nicht nur mit einem Tätigwerden des Staates im Rahmen seiner Erfüllungsverantwortung charakterisieren, vielmehr verbarg sich hierhinter letztlich nichts anderes, als das, was Schuppert als „erste Entwicklungsstufe“ auf dem Weg zu Governance beschreibt: Planung. Die hierarchische Gestaltung der Energiepolitik mittels einer interventionistischen Ministerialbürokratie als zentralem Gestaltungssubjekt war kennzeichnend für das EnWG 1935. Dieses Bild wandelte sich im Energiebereich erst grundlegend, als mit dem EnWG 1998 neben das klassische Interventions- und Ordnungsrecht das Gewährleistungsverwaltungsrecht trat. Dieses war insbesondere durch eine Erweiterung des Spektrums der Handlungsformen gekennzeichnet. Es kam zu einer ordnungs-, leistungs-, kooperations- und wettbewerbsrechtlichen Ausdifferenzierung im Energierecht. Dem Steuerungsmodell entsprechend wurde den einzelnen Akteuren des Energiemarktes eine größere – insbesondere organisatorische – Eigenverantwortung zugestanden. Als Beispiel hierfür konnte das in § 6 EnWG 1998 festgeschriebene
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
Modell des verhandelten Netzzugangs ausgemacht werden. Geleitet von der Idee, auf diese Weise etwaige Wissensdefizite auf Seiten der staatlichen Behörden zu überwinden, zog sich der Staat aus seiner omnipotenten Stellung zurück. Damit endete die Entwicklung jedoch nicht. Vielmehr verstetigte sich die Ausdifferenzierung des Energiemarktes derart, dass sich bald Strukturen ausmachen ließen, die in dogmatischer Hinsicht durch ein Zusammenwirken von Gesetz, Verordnung, Selbstorganisation und teils hybriden, aus dem klassisch-staatlichen Steuerungs- und Legitimationszusammenhang herausfallenden Akteuren geprägt sind. Es konnte aufgezeigt werden, dass eben diese Entwicklung Teilbereiche des Energierechts aufkommen ließ, die sich mit der Steuerungstheorie nicht mehr zuverlässig darstellen lassen. Schließlich gehört es zu deren Grundverständnis, dass ein Steuerungssubjekt mit Steuerungsinstrumenten auf ein Steuerungsobjekt einwirkt und so einen, eindeutig dem Steuerungssubjekt zurechenbaren, Steuerungserfolg bewirkt. Diese Zurechnung funktioniert im heutigen Energierecht jedoch zunehmend nicht mehr, denn es kommt dort zu Verflechtungen zahlreicher mitwirkender Akteure in Netzstrukturen. Nicht-staatliche Akteure werden in den Regulierungsprozess eingebunden, unabhängige, der staatlichen Kontrolle zunehmend entzogene Akteure gestalten mit, sogenanntes soft law enthält eine stetig wachsende Bedeutung. Anhand der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes konnte belegt werden, dass die Prozesse der Entscheidungsfindung immer ausdifferenzierter werden, es kommt zu institutionellen Verflechtungen. Es ist der beschriebene enge Governance-Begriff, der diese Entwicklung reflektiert und einfängt. Er bietet als Schlüsselbegriff der Rechtswissenschaft nicht nur allgemein den Mehrwert einer Gesamtbetrachtungsmöglichkeit, sondern hilft auch dabei, rechtliche Strukturen als Folge einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Energiepolitik zu etablieren, die Übersichtlichkeit in das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure bringen. Governance kommt mithin ein Mehrwert – auch im Vergleich zur Steuerungstheorie – zu. Die Europäische Energiepolitik folgt dem Governance-Gedanken zunehmend, in verwaltungsrechtswissenschaftlicher Hinsicht herrscht im Europäischen Energierecht längst eine Governance-Struktur vor. Auch die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtslehre wird sich diesem Governance-Verständnis nicht auf Dauer versagen können. Hierzu besteht im Übrigen auch kein Anlass, auch nicht in dogmatischer Hinsicht, zumindest dann nicht, wenn bei einer Übernahme von Governance keine Wesensmerkmale der normativ geprägten Staats- und Verwaltungslehre aufgegeben werden: Erstens: Ein Übergang von Steuerung zu Governance kann keinen Übergang von einer akteurszentrierten Sichtweise zu einer Betrachtung bedeuten, die ausschließlich die das Handeln der Akteure koordinierenden Strukturen in den Blick nimmt. Ein Vergleich zu den theoretischen Modellannahmen der Systemtheorie verdeutlicht, dass ein solches Governance-Verständnis mit der von der Staats-
III. Ergebnis
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und Verwaltungsrechtswissenschaft vorausgesetzten normativen Ordnung nicht in Einklang gebracht werden kann. Die einst gegen die Systemtheorie Luhmanns vorgebrachten Argumente führten zu der wichtigen Erkenntnis, dass die Rechtswissenschaft den Akteur als Projektionsfläche zwingend benötigt, ihr ein Akteursbezug wesensimmanent ist. Diese Erkenntnis konnte durch einen Blick auf den Nutzen der Governance-Perspektive für die Analyse des Europäischen Energiemarktes verdeutlicht werden. Ein solcher stellt sich nur ein, wenn man von den unterschiedlichen Akteuren her denkt. Zweitens: Die neue, „janusköpfige“ Rolle des Staates im Europäischen Energierecht zwischen der Einbeziehung Privater in den Regelungsprozess einerseits und der gleichzeitigen Wahrung seiner Gemeinwohlbindung andererseits lässt sich nur analysieren und bewerten, wenn die einzelnen, in ihrer Rollenverteilung und Motivation höchst unterschiedlichen Akteure individuell in den Blick genommen werden. Bei einem Governance-Konzept, welches die Akteure verabschiedet, wäre die Gesetzesbindung staatlicher Akteure nicht nachweisbar, das Produkt des Zusammenwirkens aller Beteiligten, die Regelung, ließe sich nicht auf ihren demokratischen Ursprung hin überprüfen. Auch ein faktischer Wandel im Bereich der Energiepolitik vermag keine derart gravierenden Änderungen des normativen Rechtssystems zu bewirken, dass verfassungsrechtliche Bindungen des Staates (hier: Art 20 Abs. 2 Satz 1 GG) aufzugeben wären. Drittens: Dieser Schluss bedeutet gleichwohl nicht, dass für die demokratische Legitimation von Governance-Strukturen nicht über eine Weiterentwicklung des „klassischen“ (etatistischen) Demokratiemodells nachzudenken wäre. Wie das Beispiel der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebs zeigt, gelingt die demokratische Legitimation europäischer Governance-Strukturen, wenn man zusätzlich zur normativen Vorstrukturierung durch das Europäische Parlament auf einen „Legitimations-Input“ der einzelnen, die Regelungsstruktur prägenden Akteure setzt. Das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückführbaren Legitimationskette ist durch Elemente einer Betroffenenpartizipation anzureichern. Ein zentraler, hinreichend demokratisch legitimierter staatlicher Akteur, auf den sich die Regelsetzung zurückführen ließe, ist vielfach nicht mehr auszumachen. Erkennt man – in einer Fortführung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Betroffenenpartizipation und die damit einhergehenden Modi der Outputlegitimation als zusätzliche Legitimationsbausteine an, so ist auch die aufgezeigte Regelungsstruktur im Bereich des grenzüberschreitenden Netzbetriebes hinreichend demokratisch legitimiert. Staatliche und private Akteure tragen zusammen mit der Vorstrukturierung der Netzstruktur durch den europäischen Gesetzgeber zur Verwirklichung eines einheitlichen Legitimationsniveaus bei. Die persönliche Legitimation einzelner staatlicher Akteure und die sachlich-inhaltliche Legitimation mittels gesetzlicher Vorstrukturierung bilden zusammen
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1. Teil, § 2 Das Governance-Konzept im Energiebereich
mit den Formen der Outputlegitimation und der Betroffenenpartizipation einen „Pool“ an Legitimationselementen, aus dem geschöpft werden kann. Auch vor diesem Hintergrund bringt die Governance-Perspektive folglich einen Mehrwert in die Staats- und Verwaltungsrechtslehre ein. Sie ermöglicht nicht nur eine „ganzheitliche“ Betrachtung eines Politikfeldes und hilft rechtliche Strukturen in Bereichen zu entwickeln, die durch eine umfassende Ausdifferenzierung der Energiepolitik geprägt sind; vielmehr vermag sie auch darzustellen, wie demokratische Legitimation und Verantwortungsübernahme miteinander verschränkt sind. Sie bringt damit neue Einsichten. Sofern die Akteure dabei nicht aus dem Blick geraten, bestehen für die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft keine grundlegenden Hindernisse, den Governance-Begriff zu rezipieren.
2. Teil
Governance-Strukturen im Energierecht 2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
Wodurch zeichnen sich die Governance-Strukturen gerade im Energierecht aus? Welche rechtlichen Strukturen lassen sich ausmachen? Wie aufgezeigt werden wird, lässt sich im Energiebereich mittlerweile eine grundlegende Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft nachzeichnen – und dies in allen drei Gewalten: Sowohl auf der Ebene der Rechtsetzung bzw. – allgemeiner und präziser formuliert, da auch Elemente der informalen und „weichen“ Steuerung erfasst werden – der Entscheidungsfindungsebene, wie auch auf der Verwaltungs- und sogar der Rechtsprechungsebene lassen sich inzwischen Strukturen ausmachen, die sich nicht mehr zwingend von einem Zentrum her analysieren lassen, sondern maßgeblich auch durch private Akteure geprägt sind und die sich einer Einordnung in den klassischen Steuerungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang einer hierarchisch organisierten Staatlichkeit entziehen. In allen drei Gewalten finden sich – in unterschiedlichem Ausmaß – Tendenzen, in denen die Gestaltung zu Governance übergegangen ist. Die Zurechnung eines bestimmten energierechtlichen Steuerungserfolges zu einem bestimmten demokratisch legitimierten Steuerungssubjekt ist dabei in Teilen immer weniger nachweisbar – und soll dies augenscheinlich auch gar nicht mehr sein. Eben dies ist das Wesensmerkmal von Governance.353 Die verschiedenartigen Formen des Wirkens, die im Energiebereich in den drei Gewalten angewandt werden, machen eine am Governance-Konzept orientierte Analyse unverzichtbar, gerade auch um die netzwerkartigen Verflechtungen im Mehrebenensystem richtig einordnen zu können.354
353
Vgl. insoweit bereits die Einleitung, S. 13 f. (insb. auch Fn. 25). insbesondere für den Bereich der European Governance betonend Ruffert, Was ist Democratic Governance?, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (58 ff.); speziell zu European Governance Börzel, European Governance – nicht neu, aber anders, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung - Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien, 2. Auflage 2006, S. 72 (72 ff.); auch Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Governance in der Europäischen Union, in: Benz (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2004, S. 77 (77 ff.); Eising/Lenschow, Europäische Union, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 325 (325 ff.); Möllers, European Governance: Meaning and Value of a Concept, Common Market Law Review 43 (2006), S. 313 (313 ff.). 354 Dies
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
Unter Zugrundelegung der Erkenntnisse aus dem ersten Teil sollen im Folgenden für die Bereiche der Legislative, der Exekutive und der Judikative Strukturen aufgezeigt und rechtlich eingeordnet werden, die das Zusammenspiel und die Vernetzung der staatlichen und privaten Kräfte im Energiebereich verdeutlichen. Diese Strukturen bedürfen dabei nicht zuletzt auch einer Bewertung unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten.
§ 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung Energierecht ist Regulierungsrecht, zumindest dann, wenn man den Begriff restriktiv auslegt und netzbezogen355 begreift.356 Eine wesentliche Eingrenzung hinsichtlich dessen, was dies für die Normsetzung im Energierecht bedeutet, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Ebenso wie dem Governance-Begriff 357 wird auch dem Regulierungsbegriff in zahlreichen Schriften eine „notorische Unschärfe“ und Konturenlosigkeit unterstellt.358 Keinesfalls kann unter Regulierung im Energierecht heutzutage eine nur staatszentrierte Regulierung gefasst werden, die Rechtsetzung findet in diesem Bereich vielmehr gleichsam zwischen Staat und Gesellschaft statt. Wie im ersten Teil bereits an zahlreichen Beispielen belegt, haben wir es nicht nur mit einer Pluralität von Normproduzenten zu tun, sondern auch mit einer Pluralität unterschiedlicher Normen, Normsetzungsverfahren bzw. Steuerungsinstrumenten. Rechtsetzung erfolgt nicht mehr allein oder überwiegend durch den Staat mittels klassisch-hierarchischer Steuerung, sondern zwischen Staat und Gesellschaft und auch in gänzlich ausdifferenzierter 355 Zum Netzbegriff Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 40 ff., demnach hierunter „besondere, komplexe und raumübergreifend angelegte Systeme“ zu verstehen sind (vgl. S. 44). 356 Zum unterschiedlich weiten Verständnis des Begriffs „Regulierung“ vgl. Ludwigs, Netzregulierungsrecht, in: Schmidt/Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Auflage 2016, S. 528 (528 f.), wonach zwischen drei Regulierungstypen differenziert werden kann; zum Begriffsverständnis vgl. auch Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Auflage 2016, § 13 Rn. 3 ff. 357 Den Governance-Ansatz als „unklar und schillernd“ kritisierend Kahl, Über einige Pfade und Tendenzen in der Verwaltungsrechtswissenschaft – Ein Zwischenbericht, Die Verwaltung, Band 42 (2009), S. 463 (495 ff.). 358 So etwa Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 253, der in diesem Zusammenhang davon spricht, es sei schwierig, „einen solchen Begriffspudding (…) an die Wand zu nageln.“ Vgl. auch Ruffert, Regulierung im System des Verwaltungsrechts, AöR 124 (1999), S. 237 (241); Ludwigs, Netzregulierungsrecht, in: Schmidt/Wollenschläger (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Auflage 2016, S. 528 (528), der von einer „verwirrenden Bedeutungsvielfalt“ spricht; siehe auch Ogus, Regulation: Legal Form and Economic Theory, 2004, S. 1: „It (=regulation) is not a term of art, and unfortunately it has acquired a bewildering variety of meanings“.
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
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Art und Weise.359 Betrachtet man dieses Abweichen der Normsetzung von einer klassisch-hierarchischen Steuerung des Staates, so lassen sich verschiedene Einordnungen treffen.
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich Im Energierecht lassen sich schon auf nationaler Ebene zahlreiche Belege dafür finden, dass der Staat sich auch im Bereich der Normsetzung gezielt der für den sogenannten kooperativen Staat360 typischen Verbundproduktion361 bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben362 zugewandt hat.363 So lässt sich in Teilen neben einem kooperativen Rechtsvollzug364 und einer kooperativen Rechtskonkretisierung365 auch von einer kooperativen Rechtserzeugung366 sprechen, die nichts anderes darstellt als einen Übergang von einem hierarchischen zu einem konsensualen Vorgehen.367 Im Energierecht setzt die kooperative Rechtserzeugung dabei zuweilen in einem frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses an. An zahlreichen Beispielen lässt sich eine bereits „normvorbereitende Kooperation“368 ausmachen. 359 In diesem Kontext von „gewandelter Staatlichkeit“ sprechend und dieses Vorgehen unter „Regulatory Choice“ einordnend Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 291 ff.; zu den Voraussetzungen gelungener Rechtsetzung Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S. 157 ff. 360 Dazu grundlegend Ritter, Der kooperative Staat – Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, AöR 104 (1979), S. 389 (389 ff.). 361 Offe, Berufsbildungsreform – Eine Fallstudie über Reformpolitik, 1975, S. 264. 362 Ausführlich zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Kooperationsspektrum zwischen staatlichen und privaten Akteuren Schuppert, Verwaltungswissenschaft – Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, 2000, S. 277 ff.; zur Definition der öffentlichen Aufgabe vgl. etwa Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, insb. S. 532 f., ferner S. 370 f., 572. 363 Zur Kooperationalisierung der Rechtsetzung als Konsequenz des kooperativen Staates Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60 ff. 364 Für den Bereich der Umweltpolitik grundlegend Mayntz/Bohne (Hrsg.), Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978. 365 Hierzu bereits Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung – Verfahren zur Erarbeitung von Umwelt und Technikstandards, 1995. 366 Zur Rolle des Rechts bei der Strukturierung von Kooperationsbeziehungen Schuppert, Verwaltungswissenschaft – Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, 2000, S. 420 ff. 367 Vgl. Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 60; siehe auch Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen der Normsetzung, 2004, S. 11, der in diesem Zusammenhang von einer „funktionellen Öffnung der Normsetzung“ spricht. 368 Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 69 (insb. S. 74).
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
1. Governance und Rechtsetzung im Bereich der Kernenergienutzung Zu nennen ist an dieser Stelle zuvörderst der bereits kurz angesprochene vereinbarte Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie.369 Dieser stellt auf nationaler Ebene nach wie vor das Paradebeispiel für einen Gesetzgebungsakt dar, der „auf Augenhöhe“ mit der Privatwirtschaft verhandelt wurde. Das Kernanliegen der „rot-grünen“ Bundesregierung war von vornherein konsensorientiert als paktierte Gesetzgebung geplant, insbesondere um Entschädigungsansprüche der Energieversorgungsunternehmen zu vermeiden.370 So einigten sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Koalitionsvertag vom 20. Oktober 1998 darauf, dass „die neue Bundesregierung die Energieversorgungsunternehmen zu Gesprächen einladen [wird], um eine neue Energiepolitik, Schritte zur Beendigung der Atomenergie und Entsorgungsfragen möglichst im Konsens zu vereinbaren.“371
Dem Interesse der Bundesregierung an einem Rechtsmittelverzicht der betroffenen Energieversorgungsunternehmen stand deren Interesse gegenüber, sich in die Ausgestaltung des politisch ohnehin gewollten Atomausstiegs noch einbringen zu können, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen und auf diese Weise möglichst rasch Rechts- und Planungssicherheit zu erlangen.372 Der Gesetzgebungsprozess zum Erlass einer Atomgesetz-Novelle begann folglich nicht in den Fachausschüssen des Parlamentes oder mit dem Entwurf des Gesetzes nach den Vorstellungen der Regierung in den zuständigen Ministerien, sondern mit umfangreichen und 369 Dazu Schorkopf, Die ‹‹vereinbarte›› Novellierung des Atomgesetzes, NVwZ 2000, S. 1111 ff.; Böhm, Der Ausstieg aus der Kernenergienutzung – Rechtliche Probleme und Möglichkeiten, NuR 1999, S. 661 ff.; Köck, Der Atomausstieg im Konsens – Ein Paradebeispiel des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips?, NuR 2001, S. 1 ff.; Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 62 ff.; Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (44 f.); zu Fragen des Atomausstiegs aus völkerrechtlicher Perspektive Schmidt-Preuß, Rechtsfragen des Ausstiegs aus der Kernenergie, 2000, S. 20 ff.; frühzeitig zu diesem Thema Borgmann, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen des Ausstiegs aus der Kernenergie, 1994, insb. S. 215 ff.; eingehend zum Atomausstieg auch Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1007 ff.). 370 Dieses Motiv herausstellend Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Koopera tive Umweltpolitik, 2003, S. 43 (44). 371 Vgl. die Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und Bündnis 90/Die GRÜNEN „Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert“ vom 20. Oktober 1998, S. 16, abrufbar unter: https://www. spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Bundesparteitag/koalitionsvertrag_bundesparteitag_bonn_1998.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 372 Allgemein zu den vermeintlichen Vorteilen einer Verhandlungslösung vgl. Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (242).
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langandauernden Verhandlungen zwischen Bundesregierung und der Mehrzahl der Kraftwerksbetreiber, die am 14. Juni 2000373 in eine „Vereinbarung zum Atomausstieg“374 mündete. Kernpunkte der erzielten Übereinkunft waren das Verbot neuer nuklearer Stromerzeugungsanlagen für die Zukunft sowie eine flexibilisierte Reststrommengenregelung ohne Entschädigungszahlungen auf der Basis von 32 Kalenderjahren Restlaufzeit, wobei Reststrommengen von den Betreibern auf andere Anlagen übertragen werden konnten.375 Bemerkenswert sind dabei insbesondere zwei Aspekte: Zum einen der Wortlaut des Übereinkommens zwischen Politik und Privatwirtschaft. Dieser lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Übereinkunft als Grundlage zur Novellierung des Atomgesetzes dienen sollte. So wird explizit hervorgehoben, dass beide Seiten, also Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen, „ihren Teil dazu beitragen [wollen], dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage dieser Eckpunkte einen Entwurf zur Novelle des Atomgesetzes erarbeiten.“376
Die erzielte Verständigung wird als wichtiger Beitrag zu einem umfassenden Energiekonsens verstanden und beide Seiten hegen die Absicht, auch in Zukunft gemeinsam daran zu arbeiten, eine umweltverträgliche und im europäischen Markt wettbewerbsfähige Energieversorgung am Standort Deutschland weiterzuentwickeln.377 Zum anderen ist für das Vorgehen in Form der „paktierten Rechtserzeugung“378 auch die amtliche Begründung der Bundesregierung zum „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität“ (KBeendG)379 interessant, in der auf die in den Verhandlungen erzielten Übereinkünfte mit den Energieversorgungsunternehmen ausdrücklich verwiesen wird: 373 Damit wurde das im Koalitionsvertrag genannte Ziel, eine solche Übereinkunft in den ersten 100 Tagen zu erzielen, verfehlt; vgl. ebd. (Fn. 371), S. 16. 374 Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/ bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/atomkonsens.pdf (zuletzt aufgerufen am 05. 03. 2017). 375 Vgl. die „Vereinbarung zum Atomausstieg“ (Fn. 374), S. 4 ff.; zur erzielten Übereinkunft vgl. Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (44 f.); zu diesen „Energiekonsensgesprächen“ vgl. auch Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 45 ff. 376 Vgl. die „Vereinbarung zum Atomausstieg“ (Fn. 374), S. 11. 377 Vgl. die „Vereinbarung zum Atomausstieg“ (Fn. 374), S. 3. 378 Vgl. Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 64. 379 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vom 22. April 2002, BGBl. Jg. 2002, Teil I Nr. 26, S. 1351 ff.
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„Der Gesetzentwurf regelt die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität durch eine Neuordnung des Kernenergie rechts. Andererseits soll für die verbleibende Nutzungsdauer auf einem hohen Sicherheitsniveau der geordnete Betrieb der Kernkraftwerke sichergestellt bleiben. Das sind die wesentlichen Elemente der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000, die mit diesem Gesetzentwurf umgesetzt wird.“380
Alle zwischen den Verhandlungspartnern erzielten Ergebnisse wurden in Gesetzesform überführt (vgl. Art. 1 KBeendG, durch das insbesondere § 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1, Abs. 1a-1d AtG381 geändert wurden). Von einem klassischen, hierarchisch organisierten Gesetzgebungsverfahren lässt sich hier kaum noch sprechen. Der Willensbildungsprozess war vielmehr ausgelagert auf ein informelles Gremium, in dem Energieversorgungsunternehmen ihre eigenen Interessen mit denen der Bundesregierung zu vereinen suchten. Die Frage nach der verbleibenden Rolle der Gesetzgebungsorgane382 wurde sodann auch im Rahmen der Ple narsitzungen kontrovers diskutiert.383 Trotz der Kritik am Vorgehen der seinerzeitigen Bundesregierung bleibt die Frage des Atomausstiegs unter Governance-Gesichtspunkten aktuell, gerade bezogen auf die jüngere Vergangenheit. Die im Jahre 2009 gebildete Koalition aus Union und FDP sah in der Kernenergie eine Art „Brückentechnologie“, die solange weiter eingesetzt werden sollte, bis sie durch erneuerbare Ener gien vollständig ersetzt werden könne.384 Anstatt diesen Wiedereinstieg in die Atomenergie385 jedoch mittels klassisch hierarchischer Gesetzgebung zu vollziehen, versuchte sich auch die neue Bundesregierung an einer konsensualen Lösung mit den Normadressaten. So schloss die Bundesregierung mit den vier betroffenen Energieversorgungsunternehmen am 9. September 2010 einen sog. 380 Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, BT-Drs. 14/7261 vom 01. 11. 2001, S. 1. 381 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985, BGBl. Jg. 1985, Teil I, S. 1565. 382 Diese Frage auch aufwerfend, ohne jedoch eine Antwort hierauf zu geben vgl. Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 64. 383 Vgl. etwa den Wortbeitrag des Abgeordneten Dr. Christian Ruck (CDU/CSU-Fraktion), Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 14. Wahlperiode, 190. Sitzung vom 27. September 2001, Plenarprotokoll 14/190, S. 18585 (D), der der Bundesregierung vorwarf, die Abgeordneten „zu reinen Abnickautomaten“ degradiert zu haben. 384 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, 2009, S. 29, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ministerium/koalitionsvertrag. pdf?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 05. 03. 2017). 385 Gelegentlich als „Ausstieg aus dem Ausstieg“ beschrieben, vgl. etwa DIE ZEIT Nr. 13/2011, 24. März 2011, S. 1, online abrufbar unter: http://www.zeit.de/2011/13/Regierungsvertrauen (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018).
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„Förderfondsvertrag“386, eine Art Eckpunktevereinbarung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren, in der festgelegt wurde, dass die bis 1980 gebauten Kernkraftwerke weitere Strommengen zugeteilt bekommen, mit denen sie durchschnittlich acht Jahre länger hätten laufen können; für neuere Anlagen waren gar zusätzliche Strommengen für weitere 14 Jahre Laufzeit vorgesehen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Energieversorgungsunternehmen eine sogenannte „Brennelementesteuer“387 zu zahlen, die der Förderung erneuerbarer Energien zugutekommen sollte.388 Die erzielte Übereinkunft wurde wiederum in Gesetzesform389 überführt, ein erneuter Fall des reinen Nachvollzugs einer auf Augenhöhe mit den betroffenen Normadressaten erzielten Verhandlungsergebnisses. Von klassisch hierarchisch-hoheitlicher Rechtsetzung lässt sich auch in diesem Kontext mithin nicht sprechen. Beachtlich ist dabei zudem die Art „Tauschgeschäft“390, welches Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen vereinbarten: Gewährung von Laufzeitverlängerungen zugunsten Privater im Gegenzug zur Generierung von Einnahmen zugunsten des Staates. Nachdem es am 11. März 2011 im japanischen Fukushima zur Nuklearkatastrophe gekommen war, sah die Bundesregierung eine neue Bewertungsgrundlage gegeben391 und leitete wiederum eine Wende in der bundesdeutschen Atompolitik ein.392 Nachdem zunächst ein – rechtlich umstrittenes – sog. Moratorium die sieben ältesten Kraftwerke und das Kraftwerk Krümmel sofort stilllegte und für die übrigen 17 eine Sicherheitsüberprüfung anordnete393, bereitete man ein Ge386 Förderfondsvertrag: Term Sheet aus Besprechung Bund – EVU, 06. 09. 2010, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/_Anlagen/ 2010/2010 – 09 – 09-foerderfondsvertrag.pdf;jsessionid=3719546533201616FD0E6ADD12 C9ED1F.s4t1?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 387 Zu deren Europarechtskonformität vgl. EuGH, Urteil vom 04. 06. 2015, C-5/14, NVwZ 2015, S. 1122 (1122 ff.) = EnWZ 2015, S. 363 (363 ff.) = ZUR 2015, S. 408 (408 ff.). 388 Vgl. zum Inhalt der Vereinbarung Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (216). 389 Elftes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 08. 12. 2010, BGBl. Jg. 2010, Teil I, S. 1814; Kernbrennstoffsteuergesetz vom 08. 12. 2010, BGBl. Jg. 2010, Teil I, S. 1804. 390 Von einem „Tausch“ sprechend Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (216). 391 Vgl. zur Argumentation der Bundesregierung nach dem Atomunglück Bach, Deutsche Atompolitik im Wandel – Welchen Unterschied machen die Parteien, 2012, S. 44. 392 Den „unsteten Zick-Zack-Kurs“ im Atomrecht als in der Sache „unschön und inkonsistent“ kritisierend Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, § 2, Rn. 172. 393 Der VGH Kassel hat später die Rechtswidrigkeit dieser Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung für das Kernkraftwerk Biblis Blöcke A und B festgestellt, vgl. VGH Kassel, Urteil vom 27. 02. 2013 – 6 C 824/11.T, ZUR 2013, S. 367 (367 ff.); zustimmend Gärditz, „Atommoratorium“ rechtsstaatlich betrachtet, EurUP 2013, S. 222 (222 ff.); das BVerwG hat die gegen dieses Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 1 VwGO) abgelehnt, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. 12. 2013 – 7 B 18/13, ZUR
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setzgebungsvorhaben zum (Wieder-)Ausstieg aus der Atomenergie vor: Um einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens für die erneute gesetzgeberische Kehrtwende zu erhalten wurde im Auftrag der Bundeskanzlerin Angela Merkel und unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer eine sog. „Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung“394 eingesetzt, deren Aufgabe darin bestand „die verantwortungsethischen Entscheidungsgrundlagen und ihre Schlussfolgerungen ganzheitlich zu betrachten“ und eine am Nachhaltigkeitsgedanken ausgerichtete Energieversorgung für Deutschland vorzuschlagen.395 Die Kommission plädierte in ihrem Abschlussbericht dafür, an der durch das Moratorium angeordneten Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke und des Kraftwerks Krümmel festzuhalten396 und es für die übrigen Anlagen bei der 2002 festgelegten Restnutzungsdauer zu belassen.397 Diese Kommissionsvorschläge zugrunde legend, wurde sodann ein Gesetzespaket beschlossen, welches das Atomgesetz erneut änderte398 und parallel 2014, S. 236 (236 ff.); zustimmend Kahl, Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umweltrecht – Teil 1, JZ 2014, S. 722 (723 f.). Davon ausgehend, das Moratorium entbehre jedweder gesetzlichen Grundlage Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Auflage 2017, § 6 Rn. 100; siehe auch Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1013 ff.), die das Moratorium mangels Vorliegen einer Gefahr i. S. d. § 19 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AtG als rechtswidrig ansehen; vgl. auch Ewer/Behnsen, Das „Atom-Moratorium“ der Bundesregierung und das geltende Atomrecht, NJW 2011, S. 1182 (1182 ff.), zu dessen Rechtmäßigkeit, insbesondere zur Frage, ob § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellte, vgl. ebd., insb. S. 1183 ff. 394 Co-Vorsitzender war der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Matthias Kleiner. Die weiteren Mitglieder der Kommission waren Ulrich Beck, Klaus von Dohnanyi, Bischof Ulrich Fischer, Alois Glück, Jörg Hacker, Jürgen Hambrecht, Volker Hauff, Walter Hirche, Reinhard Hüttl, Weyma Lübbe, Kardinal Reinhard Marx, Lucia Reisch, Ortwin Renn, Miranda Schreurs und Michael Vassiliadis. 395 Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30. Mai 2011, S. 17 f., abrufbar unter: https:// www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Wissenschaft/pdf/Ethik-Kommission_Deutsch lands-Energiewende.pdf (zuletzt aufgerufen am 31. 08. 2016); zu ethischen Überlegungen im Kontext der Atomenergie-Debatte Potthast, Atomausstieg und Energiewende – ethische Perspektiven, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 67 (70 ff.). 396 Als Begründung wurde angeführt, dass deren einstweilige Stilllegung zeige, dass ihre 8,5 Gigawatt-Leistung durch eine risikoärmere Energieversorgung ersetzt werden kann, vgl. ebd. (Fn. 395), S. 14 f. 397 Zum Inhalt des Berichts der Ethik-Kommission, in dem neben Vorschlägen zur Beendigung der Kernenergienutzung auch periodisch strenge Sicherheitsprüfungen gefordert und Vorschläge zur Entwicklung erneuerbarer Energiequellen und zur vorübergehenden Nutzung der Kohle gemacht werden Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (217). 398 Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. 7. 2011, BGBl. Jg. 2011, Teil I, Nr. 43, S. 1704.
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verschiedene andere energiewirtschaftliche Gesetze umgestaltete bzw. schuf.399 Die seitens der Ethik-Kommission gemachten Vorschläge wurden dabei übernommen, insbesondere wurde die Gewährung zusätzlicher Strommengen durch die Gesetzesnovelle von 2010 wieder zurückgenommen und die durch das Moratorium vorläufig vom Netz genommenen Anlagen wurden dauerhaft stillgelegt, wobei die Reststrommengen auf andere Anlagen übertragen werden konnten (§ 7 Abs. 1b AtG400).401 Der bundesdeutsche Gesetzgeber blieb also auch bei dieser Änderung des Atomgesetzes seiner bisher gewählten Linie insoweit treu, als dass er den für das Gesetzgebungsverfahren entscheidenden Willensbildungsprozess wiederum auf ein informelles Gremium, in diesem Fall die sog. Ethik-Kommission, vorverlagerte. Von einer Einbeziehung der künftigen Normadressaten, also der Kraftwerkbetreiber, in den Gesetzgebungsprozess nahm man jedoch Abstand. Letzteres mag mit ein Grund dafür sein, dass die Atomindustrie die Bundesrepublik in zahlreichen Schadensersatzverfahren vor Gericht verklagte402 – ein befürchteter 399 Zum Inhalt des Gesetzespaktes vgl. Sellner/Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011 – das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, S. 1025 (1025 ff.); Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (217); zu rechtlichen Folgen des beschleunigten Atomausstiegs vgl. auch Ludwigs, Der Atomausstieg und die Folgen: Fordert der Paradigmenwechsel in der Energiepolitik einen Paradigmenwechsel beim Eigentumsschutz?, NVwZ 2016, S. 1 (1 ff.); Moench, Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 13 (18 ff.). 400 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren – Atomgesetz, BGBl. Jg. 1985 I, S. 1565. 401 Vgl. auch Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (217), der in diesem Zusammenhang von einem Tauschgeschäft „Ausstieg gegen Erleichterung des Einstiegs in erneuerbare Energien“ spricht. 402 In Folge des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur 13. Novelle des Atomgesetzes [BVerfG, Urteil vom 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12, 1 BvR 321/12, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 9 (9 ff.); zu diesem Urteil Ludwigs, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstiegsgesetz 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (3 ff.); Frenz, Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – Atomgesetznovelle im Wesentlichen mit dem GG vereinbar, DVBl. 2017, S. 121 (121 ff.); ausführlich wird auf dieses Urteil im Kontext der Strukturen von Governance im Bereich der Rechtsprechung eingegangen, vgl. § 5, I., 2.], mit dem der (erneute) Atomausstieg 2011 für im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt wurde, wenn auch – mit Blick auf die Unmöglichkeit einer konzerninternen Verstromung – dem Gesetzgeber aufgegeben wurde, den in diesem Kontext festgestellten, nicht zur Nichtigkeit des § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG führenden Verfassungsverstößen bis zum 30. 06. 2018 abzuhelfen [was auch durch die Kompensation von Verstromungsdefiziten geschehen kann, vgl. Ludwigs, a. a. O., S. 3 (5, 7)] sowie eine Ausgleichsregelung für frustrierte Investitionen zu schaffen, verabschiedete der Gesetzgeber am 15./16. Dezember 2016 ein Artikelgesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (BT-Drs. 768/16). Unmittelbar vor der
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Umstand, der den Gesetzgeber im Zuge des ersten Atomausstiegs im Jahre 2002 noch dazu veranlasst hatte, mit den Kraftwerksbetreibern gemeinsam eine „paktierte Rechtserzeugung“ vorzunehmen.403 2. Governance und Rechtsetzung im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung Bedeutend weniger Aufmerksamkeit als die Kernenergiepolitik erregend, aber für den Bereich der paktierten Gesetzgebung auf nationaler Ebene nicht minder relevant, ist die Entstehung des Gesetzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, KWKG), welches in Deutschland seit Anfang 2002 die Einspeisung und Vergütung des Stroms aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen regelt.404 Ausweislich dessen amtlicher Begründung galt es, mit dem Gesetz auf die sinkenden Strompreise zu reagieren, die als Folge der europäischen Liberalisierungsbemühungen405 im Bereich des Strommarktes die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Betrieb der KWK-Anlagen wesentlich erschwerten.406 Neben dem Ziel der Bestandssicherung zielte das Gesetz auch auf die Modernisierung und den Ausbau Verabschiedung teilten die Energiekonzerne ihre Absicht mit, die zahlreichen im Atombereich anhängigen (Schadensersatz-)Klagen und Rechtsbehelfe (u. a. wegen des vorigen Moratoriums) nunmehr zurückzunehmen [vgl. Ludwigs, a. a. O., S. 3 (8)]. Nicht gelten soll dies jedoch für die von Vattenfall vor einem (privaten) internationalen Schiedsgericht gegen die Bundesrepublik eingereichte (auf den Energiecharta-Vertrag gestützte) Schadensersatzklage, was Probleme in rechtsstaatlicher und demokratietheoretischer Hinsicht aufwirft, dazu § 5, I., 2. Vor staatlichen Gerichten forderte der größte deutsche Energieversorger Eon ursprünglich von der Bundesregierung mindestens acht Milliarden Euro Schadenersatz für den (erneuten) Atomausstieg. Zusammen mit den Forderungen des Energieversorgers RWE beliefen sich die Forderungen auf mindestens zehn Milliarden Euro, vgl. beck-aktuell vom 13. Juni 2012, becklink 1020810 (beck-online). Einigen Medienberichten zufolge ging die Atomindustrie auch von einem Energiewendeschaden von insgesamt bis zu 90 Milliarden Euro aus, Jung/Bünder, FAZ v. 5. 12. 2016, S. 17, sich hierauf beziehend auch Ludwigs, a. a. O., S. 3 (3). Vgl. zum Atomausstieg und damit einhergehenden Entschädigungsfragen auch Ewer, Der neuerliche Ausstieg aus der Kernenergie – verfassungskonform und entschädigungsfrei?, NVwZ 2011, S. 1035 (1035 ff.); Bruch/ Greve, Atomausstieg 2011 als Verletzung der Grundrechte der Kernkraftwerksbetreiber? – Zur Verfassungsmäßigkeit der 13. Atomgesetznovelle, DÖV 2011, S. 794 (794 ff.); siehe auch Sellner/Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011 – das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, S. 1025 (1025 ff.); Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1007, insb. 1015 ff.). 403 Siehe oben, § 3, I., 1. 404 Gesetz für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz – KWKG) vom 19. März 2002, BGBl. Jg. 2002, Teil I Nr. 19, S. 1092. 405 Zu europäischen Liberalisierungsbemühen im Energierecht vgl. bereits § 1, III., 2. 406 Vgl. die amtliche Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/7024, S. 9.
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
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der Kraft-Wärme-Kopplung, die ein immer bedeutenderer Faktor für den Ressourcen- und Klimaschutz wurde.407 Als ein erster Gesetzgebungsversuch des Bundes über klassisch-hierarchische Steuerungsbemühungen am Widerstand einer Koalition aus nordrhein-westfälischer Landesregierung, IG Bergbau Chemie Energie, der Stromverbundunternehmen sowie der Ruhrgas AG scheiterte,408 strebte die Bundesregierung auch in diesem Bereich eine Verbundproduktion des Gesetzes zusammen mit der deutschen Wirtschaft an. So kam es zum Abschluss einer schriftlichen „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Minderung der CO₂-Emissionen und der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung in Ergänzung zur Klimavereinbarung vom 09. 11. 2000“.409 In diesem am 25. 06. 2001 unterzeichneten410 Abkommen erklärte sich die deutsche Energiewirtschaft bereit, in größerem Umfang zur Erreichung des nationalen und des internationalen Klimaschutzziels beizutragen und ging auf diese Weise eine normersetzende Selbstverpflichtung ein, an die der Gesetzgeber sodann anknüpfte. 407 Ebd.; zur Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung für den Klimaschutz vgl. Schmidtchen, Klimagerechte Energieversorgung im Raumordnungsrecht, 2014, S. 39 ff., 73 f.; Kahl/ders., Kommunaler Klimaschutz durch Erneuerbare Energien, 2013, S. 51 ff., 288 ff., 314 ff., 331; zur Entstehung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/ Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (45 ff.); zu aktuellen Entwicklungen Kachel, Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz 2016, EnWZ 2016, S. 51 (51 ff.). 408 Zum Scheitern der zunächst angestrebten Einführung einer sog. „grünen Zertifikatslösung“ vgl. Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (46). 409 Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Minderung der CO₂-Emissionen und der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung in Ergänzung zur Klimavereinbarung vom 09. 11. 2000, geschlossen am 25. Juni 2001, abrufbar unter: http://www.bkwk.de/infothek/politik/detail/artikel/ vereinbarung-zur-minderung-der-co2-emissionen-und-zur-foerderung-der-kwk/(zuletzt aufgerufen am 03. 08. 2016); zur Vereinbarung auch Anderl, Gesetzgebung und kooperatives Regierungshandeln, 2006, S. 56 ff.; zu staatlich induzierten Selbstverpflichtungen den Klimaschutz betreffend vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme im Umweltrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Selbstverpflichtungen, 2001, S. 202 ff. 410 Für die Bundesregierung unterzeichneten der damalige Bundeskanzler Schröder, der Bundeswirtschaftsminister Dr. Müller und der Bundesumweltminister Trittin. Für die deutsche Energiewirtschaft unterschrieben Herr Dr. Rogowski (Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie e.V.), Herr Marquis (Präsident des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft e.V.), Herr Dr. Harig (Vorsitzender des Verbandes der deutschen Verbundwirtschaft e.V.), Herr Widder (Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen e.V.), Herr Dr. Scholle (Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft e.V.) sowie Herr Wolf (Vorsitzender des VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V.).
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
Zur Erreichung des Ziels einer CO₂-Minderung von mindestens 20 Mio. t/Jahr bis zum Jahr 2010411 verpflichteten sich die Stromwirtschaft und die industrielle Kraftwirtschaft zum Erhalt, zur Modernisierung und zum Zubau von KWK-Anlagen. Die Stromwirtschaft verpflichtete sich zu Maßnahmen zur Modernisierung des Kraftwerkparks, zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien sowie zu Energieeffizienzkampagnen. Zu Maßnahmen zur Verbesserung der Heizungs- und Warmwassertechnik verpflichteten sich die Gaswirtschaft und die Mineralölwirtschaft.412 Im Wesentlichen sollte der Ausbau im KWK-Bereich folglich von der Energiewirtschaft ohne staatlich abgesicherten Fördermechanismus vorgenommen werden.413 Im Gegenzug sicherte die Bundesregierung vertraglich zu, „unter Beachtung marktwirtschaftlicher Grundsätze“ den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ökologisch effizienter KWK einzubringen.414 Die Bundesregierung sagte dabei ausdrücklich zu, bei der Ausfertigung des Gesetzes die in einer Anlage zur Vereinbarung gemachten Vorschläge der Energiewirtschaft zur gesetzlichen Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung zu berücksichtigen.415 Das gemeinsame Vorgehen mit den Wirtschaftsakteuren war mithin nur auf eine teilweise Umsetzung in Gesetzesform ausgerichtet. Beachtlich ist, dass sich die Bundesregierung darauf einließ, den wesentlichen umweltpolitischen Erfolg, nämlich den erforderlichen Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, an eine normersetzende Selbstverpflichtung der Wirtschaft zu knüpfen.416 So versicherten die Vertreter der Bundesregierung, dass, solange die getroffene Vereinbarung erfolgreich umgesetzt werde, die Regierung in den von der Übereinkunft erfassten Bereichen der Energiewirtschaft keine Initiativen ergreifen werde, um die kli411 Vgl. die damalige Zielbestimmung in § 1 Abs. 1 KWKG 2002: „Bis zum Jahr 2005 soll im Vergleich zum Basisjahr 1998 durch die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung eine Minderung der jährlichen Kohlendioxid-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland in einer Größenordnung von 10 Millionen Tonnen und bis zum Jahr 2010 von insgesamt bis zu 23 Millionen Tonnen, mindestens aber 20 Millionen Tonnen, erzielt werden.“ 412 Vgl. zu diesen Zusagen der deutschen Energiewirtschaft die am 25. Juni 2001 geschlossene Vereinbarung (Fn. 409), S. 2. 413 Vgl. Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (46). 414 Zu den Zusagen der Bundesregierung vgl. die am 25. Juni 2001 geschlossene Vereinbarung (Fn. 409), S. 3 f. Hier werden auch die Eckpunkte der künftigen gesetzlichen Regelung festgehalten: 1. Definition der KWK-Anlagen, die Förderung erhalten, und des begünstigten Stroms, 2. Übergangsregelungen für den Anlagenbestand, 3. Regelungen für die KWK-Modernisierung, 4. Regelungen für den KWK-Zubau, 5. Finanzierungs- und Weiterwälzungsregelungen. 415 Sog. „Eckpunkte für eine gemeinsame Position zur KWK“, Anlage zur Vereinbarung vom 25. Juni 2001 (Fn. 409), S. 10 ff. 416 Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (46).
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maschutzpolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichem Wege zu erreichen.417 Diese Formulierung hebt hervor, dass die gesamte Kooperation im „Schatten der Hierarchie“ stattfand.418 Auch wenn das vom Bundestag beschlossene KWKG 2002 – anders als das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität (KBeendG)419 – in Teilen durchaus noch modifiziert wurde420, so stellt diese im Wege von Verhandlungen mit der Privatwirtschaft erreichte Verbindung von hoheitlicher Regelung und Selbstverpflichtungserklärung der Energiewirtschaft421 gleichwohl eine weitere bemerkenswerte Erscheinungsform paktierter Gesetzgebung dar. In beiden geschilderten Bereichen (Kernenergiewirtschaft, Kraft-Wärme- Kopplung) hat der Staat, vertreten durch die Bundesregierung, zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Gesetzgebungsverfahren den Weg einer hierarchischen Steuerung ausgeschlagen und ist in Verhandlungen mit Privaten, in der Regel sogar den späteren Normadressaten, eingetreten, um eine möglichst einvernehmliche Lösung zu erzielen. Diese Form der kooperativen Normerzeugung mag Vorteile für beide Verhandlungsseiten haben: Der Staat versuchte in den beiden genannten Feldern Widerstände auf Seiten der Normadressaten zu vermeiden bzw. diese zumindest so gering wie möglich zu halten, auch um – etwa im Fall der Gesetzgebung zum Atomausstieg – Schadensersatzansprüchen der Energieversorger zu entgehen.422 Häufig soll durch die Einbindung privater Akteure in den Norm417 Vgl. die am 25. Juni 2001 geschlossene Vereinbarung (Fn. 409), S. 4. Auch die amtliche Gesetzesbegründung verweist diesbezüglich auf den aus der Selbstverpflichtungserklärung der Energiewirtschaft resultierenden, fehlenden gesetzlichen Regelungsbedarf, BT-Drs. 14/7024, S. 12. 418 Vgl. die Ausführungen in § 1, S. 22, 28, 31; zum „Schatten der Hierarchie“ als Governance-Paradox Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (123 ff.); vgl. auch Anderl, Gesetzgebung und kooperatives Regierungshandeln, 2006, S. 57. 419 Vgl. Fn. 379. 420 Dies betraf insbesondere die Förderungswirkung des Gesetzes. Eine übersichtliche Darstellung über die einzelnen Änderungen findet sich in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8059, S. 3 ff., der der Bundestag nach kurzer Beratung folgte, vgl. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 213. Sitzung vom 25. Januar 2002, Plenarprotokoll 14/213, S. 21148 (B). Zu den Modifikationen auch Schneider, Paktierte Gesetze als aktuelle Erscheinungsform kooperativer Umweltpolitik, in: Hansjürgens/Köck/ Kneer (Hrsg.), Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 43 (47). 421 Ein solche Kooperation von Staat und Energiewirtschaft war im Übrigen erstmals im Rahmen des Erlasses des Erdölbevorratungsgesetzes aus dem Jahre 1969 zu beobachten, vgl. dazu Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbstständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 289 f. 422 Die Vermeidung solcher Ansprüche seitens der Kraftwerksbetreiber war das zentrale Anliegen der Bundesregierung, vgl. insoweit den entsprechenden Abschnitt in der „Vereinbarung zum Atomausstieg“ (Fn. 374), S. 3, der auf Betreiben der Bundesregie-
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
setzungsprozess aber auch deren Wissen um schwierigere Regulierungsfragen gleichsam nutzbar gemacht werden.423 Dieser letzte Aspekt spielt insbesondere bei den Regulierungsbemühungen im Europäischen Energierecht eine zentrale Rolle, wo Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu Normvermeidungszwecken vermehrt vorkommen. 3. Kooperative Normvermeidung Der Aspekt der kooperativen Rechtserzeugung ist im Energiebereich eng verknüpft mit Aspekten der „kooperativen Normvermeidung“424, wobei Normvermeidung in diesem Zusammenhang die Vermeidung klassisch-hoheitlicher Rechtsetzung meint. Dass ein auf Normvermeidung zielendes Vorgehen im Energierecht von staatlicher Seite gelegentlich angedacht wird, zeigt wiederum der Blick auf die Verhandlungen zum Atomausstieg im Jahre 2002. So hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Dr. Müller zunächst vorgeschlagen, den Zeitrahmen und die Art und Weise der Stilllegung der einzelnen Atomkraftwerke in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Energieversorgungsunternehmen zu regeln.425 Diese zunächst geplante „Verständigung über Eckpunkte zur Beendigung der Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke in Deutschland zwischen der Bundesregierung (BR) und den Eigentümern/Betreibern der in Deutschland errichteten Kernkraftwerkskapazitäten (E/B)“ aus dem Juni 1999 (sog. „Müller-Papier“)426 sollte anstatt einer Änderung des Atomgesetzes mit den relevanten Energieversorgungsunternehmen abgeschlossen werden, sodass ihr eine normrung aufgenommen wurde: „Bundesregierung und Versorgungsunternehmen gehen davon aus, dass diese Vereinbarung und ihre Umsetzung nicht zu Entschädigungsansprüchen zwischen den Beteiligten führt.“ Zu den rechtlichen Fragen etwaiger Entschädigungsansprüche vgl. Schmidt-Preuß, Atomausstieg und Eigentum, NJW 2000, S. 1524 (1524 ff.); Koch, Der Atomausstieg und der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, NJW 2000, S. 1529 (1529 ff.); Wagner, Atomkompromiss und Ausstiegsgesetz, NVwZ 2001, S. 1089 (1089 ff.). Zu jüngeren Entwicklungen nach dem beschleunigten Kernenergieausstieg im Jahre 2011, der allerdings nicht im Zusammenspiel mit privaten Akteuren, sondern gänzlich hierarchisch beschlossen wurde, vgl. Ludwigs, Der Atomausstieg und die Folgen: Fordert der Paradigmenwechsel in der Energiepolitik einen Paradigmenwechsel beim Eigentumsschutz?, NVwZ 2016, S. 1 (1 ff.). 423 Dies als „Governance durch Wissen“ bezeichnend Schuppert, Governance durch Wissen, in: ders./Voßkuhle (Hrsg.) Governance von und durch Wissen, 2008, S. 259 (260 ff.). 424 Vgl. Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 65 ff.; zu normvermeidenden Absprachen im Umweltrecht vgl. Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Auflage 2017, § 4 Rn. 117. 425 Hierzu Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 270 f. 426 Zu dessen Details vgl. Koch/Roßnagel, Neue Energiepolitik und Ausstieg aus der Kernenergie, NVwZ 2000, S. 1 (1 f.).
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vermeidende Funktion zugekommen wäre. Dass es zum Abschluss eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrages seinerzeit nicht kam, sondern stattdessen der geschilderte Atomkonsens samt Absprachen mit politischer Bindungswirkung erzielt wurde, wird nicht zuletzt an den zahlreichen, vorwiegend in der juristischen Literatur erhobenen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Abschlusses eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrages gelegen haben.427 Nichtsdestotrotz zeigt dieser Vorstoß, wie weit auch staatliche Akteure grundsätzlich zu gehen bereit sind, um mit privaten Akteuren gemeinsam Recht zu setzen. Ein Beispiel für vollzogene, normvermeidende Absprachen sind die Selbstverpflichtungen428 der Energiewirtschaft, welche vorwiegend im Bereich des Energieumweltrechts anzutreffen sind. Auf dem Gebiet des Immissionsschutzrechtes hat die Abwendung nachträglicher Anordnungen gem. § 17 BImSchG durch informale Absprachen schon eine verhältnismäßig lange Tradition.429 Gerade die Informalität dieses kooperativen Handelns wird dabei sowohl von den beteiligten staatlichen wie auch privaten Akteuren als vorteilhaft beim Finden von Lösungen angesehen,430 so etwa bei den Selbstverpflichtungserklärungen der deutschen Elektrizitätswirtschaft zur Klimavorsorge. 427 Diese Schlussfolgerung hinsichtlich des Scheiterns der Bemühungen des Bundeswirtschaftsministers ziehend Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 271. Sich gegen die Zulässigkeit eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrages aussprechend Roßnagel, Rechtsprobleme des Ausstiegs aus der Kernenergie, ZUR 1999, S. 241 (243). 428 Frühe Einwürfe zu diesem Thema liefern etwa Kaiser, Industrielle Absprachen im öffentlichen Interesse, NJW 1971, S. 585 (585 ff., insb. 588), der in dem hoheitlichen und privatwirtschaftlichen Zusammenwirken eine „pragmatische und speditive Form der Steuerung von Marktvorgängen und anderen Abläufen“ sieht; v. Zezschwitz, Wirtschaftsrechtliche Lenkungstechniken: Selbstbeschränkungsabkommen, Gentlemen’s Agreement, Moral Suasion, Zwangskartell, JA 1978, S. 497 (497 ff.). 429 Vgl. Song, Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts, 2000, S. 19, der in diesem Zusammenhang von einer teilweise fragwürdigen Kombination aus Druck und Gegenleistung (z. B. Gewährung von Fristen, Abweichung von Emissionswerten) seitens der zuständigen Immissionsschutzbehörden spricht. 430 Auf den Vorteil der Flexibilität informeller Beziehungen abstellend bereits Bauer, Informelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, VerwArch 78 (1987), S. 241 (253); vgl. auch Schuppert, Governance und Rechtsetzung, 2011, S. 66, der an dieser Stelle die Frage aufwirft, ob es eine sinnvolle Strategie darstellen würde, eine Verrechtlichung des informalen Verwaltungshandelns vorzunehmen – etwa durch eine Kodifizierung der Handlungsform „Absprachen“ im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) –, was aber wohl dem Sinn dieses Governance-Modus, außerhalb gesetzlich vorgezeichneter und hierarchisch vorgegebener Strukturen zu handeln, zuwiderlaufen würde; zu den Gründen für eine Informalisierung des Verwaltungshandelns auch Schulze-Fielitz, Informales oder illegales Verwaltungshandeln?, in: Benz/Seibel (Hrsg.), Zwischen Kooperation und Korruption – Abweichendes Verhalten in der Verwaltung, 1992, S. 233 (244 f.), der dieser Entwicklung jedoch kritisch gegenübersteht.
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Im Jahre 1990 setzte sich die Bundesregierung erstmals das Ziel, die CO₂-Emissionen in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2005 um 25 – 30 Prozent des Ausstoßes im Jahr 1987 zu reduzieren.431 Dieses Vorhaben stieß auf zum Teil starken Widerstand innerhalb der Energiewirtschaft, die durch die Verteuerung der Energie Arbeitsplätze in erheblichem Umfang gefährdet sah und sich deshalb um eine einvernehmliche Erzielung „freiwilliger Lösungen“ bemühte.432 Die Bundesregierung ließ sich auf dieses Ansinnen ein und führte Gespräche mit Vertretern verschiedener Industrieverbände unter der Führung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Zunächst in den Zielvorstellungen noch weit auseinanderliegend433 wurde schließlich eine Übereinkunft erzielt.434 Dem Gedanken des BDI folgend, die Politik solle in Abstimmung mit der Wirtschaft realisierbare Ziele festlegen und es dann den Unternehmen überlassen, wo und mit welchen Mitteln diese die Ziele erreichen435, kam es im März 1995 zu einer sog. „Vereinbarung zur Klimavorsorge“436, die im März des darauffolgenden Jahres aktualisiert und konkretisiert wurde. In dieser „Aktualisierten Erklärung der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge“ kam es zur Gesamtzusage der deutschen Wirtschaft437 431 Beschluss der Bundesregierung zur Verminderung der CO₂-Emissionen und anderer Treibhausgasemissionen in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Dritten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO₂-Reduktion“ (IMA „CO₂-Reduktion“), BT-Drs. 12/8557, Teil V, Anhang 1, S. 153 ff. 432 Vgl. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 25. 433 Vgl. Umweltbundesamt, Jahresbericht 1993, S. 167. 434 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 24 ff.; siehe auch Beisheim, Fit für Global Governance? – Transnationale Interessengruppenaktivitäten als Demokratisierungspotential – am Beispiel der Klimapolitik, 2004, S. 143 f. 435 BDI/DIHT/BGW/VDEW/VIK/VKK (Hrsg.), Initiative der deutschen Wirtschaft für eine weltweite Klimavorsorge, 1991, S. 2; vgl. auch Beisheim, Fit für Global Governance? – Transnationale Interessengruppenaktivitäten als Demokratisierungspotential – am Beispiel der Klimapolitik, 2004, S. 144, die an dieser Stelle den damaligen BDI-Präsidenten Henkel mit den Worten zitiert: „Das Motto sollte also viel öfter lauten: Die Politik vereinbart die Ziele, die Industrie findet den effizientesten Weg, sie zu erreichen.“ 436 Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Erklärung der Deutschen Industrie zur Klimavorsorge, Köln vom 10. März 1995; hierauf verweisend Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 26. 437 Zur Aufzählung der Verbände, die sich der Erklärung auf Seiten der „deutschen Wirtschaft“ angeschlossen hatten, vgl. BT-Drs. 13/6704 vom 14. 01. 1997, S. 4 f. Es handelte sich neben dem BDI um 19 weitere Verbände, darunter den Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT), den Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft e. V. (BGW), die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke e. V. (VDEW) und den Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Daneben hatte der Verband der deutschen Automobilindustrie eine Erklärung abgegeben, die in dieselbe Richtung zielte.
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„auf freiwilliger Basis besondere Anstrengungen zu unternehmen, die spezifischen CO₂-Emissionen bzw. den spezifischen Energieverbrauch bis zum Jahre 2005 auf Basis des Jahres 1990 um 20% zu verringern“.438
Die Bundesregierung hatte sich vor diesem Hintergrund bereit erklärt, „zusätzliche ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Klimavorsorge auszusetzen und der Privatinitiative der deutschen Wirtschaft Vorrang zu gewähren“.439 Damit jedoch nicht genug, hat sich die Bundesregierung am 27. März 1996 ferner dahingehend geäußert, dass sie sich im Falle europäischer CO₂- bzw. Energiebesteuerungsvorhaben dafür einsetzen werde, dass die an der Selbstverpflichtungsaktion teilnehmende Wirtschaft von solchen Bestrebungen ausgenommen werde oder ihre dabei erreichten CO₂-Minderungen zumindest voll angerechnet würden.440 Von ihrer ursprünglichen Idee der Einführung einer CO₂-Steuer und einer Wärmenutzungsverordnung hat die damalige CDU/CSU-geführte Bundesregierung nach der Selbstverpflichtung der Wirtschaft Abstand genommen.441 Dieses Beispiel ist ein weiterer Beleg dafür, wie sehr eine Bundesregierung sich darum bemühte, Einvernehmen mit der Wirtschaft in einem wesentlichen Gesetzgebungsvorhaben zu erzielen und wie sehr die privaten Wirtschaftsakteure dabei konkrete Gestaltungswünsche in die Verhandlung über die Selbstverpflichtungserklärung einfließen lassen können. So führte der Verzicht auf jede Form des klassisch-hierarchischen Vorgehens mit ordnungsrechtlichen Instrumenten dazu, dass die ausgehandelten Zielvorhaben hinsichtlich des Ausstoßes von CO₂-Emissionen nicht sehr ambitioniert gewählt waren. Dies zeigte eine bereits ein Jahr später eingeholte Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), das die Kontrolle der Einhaltung des erzielten Übereinkommens übernommen hatte und zu dem Ergebnis kam, dass die Energiewirtschaft ihren Kohlendioxidausstoß zwischen 1990 und 1996 um 42,3 Millionen Tonnen verringern konnte und damit ihre Reduktionszusage bereits zu 77 Prozent erreicht hatte.442 Als die Bundesregierung daraufhin Nachbesserungen an der Übereinkunft und eine weitergehende Verpflichtung der Wirtschaft verlang-
438 Vgl.
zu dieser Übereinkunft BT-Drs. 13/6704 vom 14. 01. 1997, S. 4; in der Erklärung des Vorjahres (Fn. 436) war noch – weit unkonkreter – eine Verminderung von „bis zu 20 Prozent“ (Hervorhebung durch Verfasser) und das Bezugsjahr 1987 vereinbart worden, was letztlich eine Verschärfung der Vorgaben für die Industrie bedeutete, vgl. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 26 f. 439 BT-Drs. 13/6704 vom 14. 01. 1997, S. 4. 440 BT-Drs. 13/6704 vom 14. 01. 1997, S. 4. 441 Vgl. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 27. 442 Vgl. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 27.
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te, lehnten dies die Vertreter der Energiewirtschaft ab.443 Die im Jahr 1998 neu gewählte SPD-geführte Bundesregierung unternahm sodann auch keine weiteren Anstrengungen, ein neues Selbstverpflichtungsabkommen zu erzielen, sondern griff auf ihr aus Art. 76 Abs. 1 GG folgendes Gesetzesinitiativrecht zurück und brachte einen Gesetzentwurf zur Einführung der sog. „Ökosteuer“ auf den Weg. Das „Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform“ trat am 01. 04. 1999 in Kraft444 und markiert damit letztlich das Ende der kooperativen Rechtserzeugung im Rahmen der Bemühungen um eine CO₂-Reduktion in Deutschland. Das Modell des kooperativen Staates mit der für ihn typischen Verbundproduktion hinter sich lassend, kehrte man in diesem Feld zur klassisch-hierarchischen Steuerung zurück. Derzeit spielen im Umweltenergierecht Selbstverpflichtungserklärungen der geschilderten Art auf nationaler Ebene eine eher untergeordnete Rolle. So sind in umweltrechtlicher Hinsicht die folgenden Selbstverpflichtungen relevant: Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber vom 05. 12. 2001445, Selbstverpflichtung der SF6-Produzenten, Hersteller und Betreiber von elektrischen Betriebsmitteln > 1kV zur elektrischen Energieübertragung und -verteilung in der Bundesrepublik Deutschland zu SF6 als Isolier- und Löschgas vom Mai 2005446, Selbstverpflichtungen durch TEGEWA und TVI-Verband zur Klassifizierung von Textil443 Vgl.
S. 27.
Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001,
444 „Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform“ vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 378), mit dem unter anderem eine Stromsteuer eingeführt und die Mineralölsteuer erhöht wurde, vgl. hierzu Drozda/Storm, Die Stromsteuer - nur eine neue Verbrauchsteuer?, NJW 1999, S. 2333 (2333 ff.). Des Weiteren trat am 01. Januar 2000 das „Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16. Dezember 1999“ (BGBl. I 1999, S. 2432) in Kraft, durch das insbesondere eine stufenweise Anhebung der Steuersätze der Mineralöl- und Stromsteuer erfolgte; vgl. hierzu Hey, Fortführung der ökologischen Steuerreform – Übergang zur Routine?, NJW 2000, S. 640 (640 ff.). Zum Ganzen Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 27 f. 445 „Maßnahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz, Information und vertrauensbildende Maßnahmen beim Ausbau der Mobilfunknetze“ der Unternehmen Deutsche Telekom, E-Plus, Mannesmann Mobilfunk u. a. (Mobilfunkbetreiber), eingegangen im Bundeskanzleramt am 06. 12. 2011. Die wesentlichen Ziele dieser Selbstverpflichtung sind die Klärung offener Forschungsfragen und die Verbesserung der Transparenz beim Netzausbau und bei den tatsächlich gemessenen Immissionen. Abrufbar unter http://www.bmub.bund.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/strahlenschutz/atomenergie-strahlenschutz-download/artikel/selbst-verpflichtung-der-mobilfunkbetreiber-vom-05122001/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=1705 (zuletzt aufgerufen am 13. 08. 2016). 446 Mit dieser Selbstverpflichtungserklärung soll der Ausstoß des Treibhausgases Schwefelhexafluorid, das beispielsweise als Isolier- und Löschgas in elektrischen Anlagen verwendet wird, auch begrenzt werden; abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/service/ publikationen/downloads/details/artikel/selbstverpflichtung-der-sfsub6sub-produzen-
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hilfsmitteln nach ihrer Gewässerrelevanz447, Selbstverpflichtung der Verbände der graphischen Papierkette für eine Rücknahme und Verwertung gebrauchter graphischer Papiere448.449 Kernbereiche des Energierechts sind hiervon nicht betroffen. Es geht eher um technische Randprobleme. 4. Governance und Rechtsetzung im Europäischen Energierecht Ein anderer Blick ergibt sich, wenn man das Europäische Energieregulierungsrecht mit in die Überlegungen einbezieht. Während Versuche der EU, im Klimaschutzrecht klassisch-hoheitlich gesetztes Recht mit privatwirtschaftlicher Selbstregulierung in ein Ergänzungsverhältnis zu bringen, auch auf Unionsebene nicht sonderlich erfolgreich waren450, haben seit Verabschiedung der EG-Stromrichtlinie von 1996451 und der mit ihr einhergehenden europäischen Privatisierungs- und Liberalisierungsbemühungen immer wieder Aspekte von Governance Eingang in das Energieregulierungsrecht gefunden. Der Staat war fortan bereit, private Akteure – in über die Zeit unterschiedlichem Ausmaß – ten-hersteller-und-betreiber-von-elektrischen-betriebsmitteln-1kv-zur-elektrischen-energieuebertragun/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=1705 (zuletzt aufgerufen am 13. 08. 2016). 447 Selbstverpflichtungserklärung vom April 1998, abrufbar unter: http://www.bmub. bund.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen/wirtschaft-und-umwelt/selbstverpflich tungen/selbstverpflichtungen-durch-tegewa-und-tvi-verband-zur-klassifizierung-vontextilhilfsmitteln-nach-ihrer-gewaesserrelevanz/ (zuletzt aufgerufen am 13. 08. 2016). 448 Selbstverpflichtungserklärung vom September 1994 bzw. September 2001, abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/themen/wasser-abfall-boden/abfallwirtschaft/abfallar tenabfallstroeme/altpapier/abfallwirtschaft-altpapier-selbstverpflichtung/ (zuletzt aufgerufen am 13. 08. 2016). 449 Eine Auflistung der aktuellen, den umweltrechtlichen Bereich betreffenden Selbstverpflichtungserklärungen, die bundesweit in Kraft sind, findet sich auf der Internetseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen/wirt schaft-und-umwelt/selbstverpflichtungen/selbstverpflichtungen-aktuell/# (zuletzt aufgerufen am 13. 08. 2016). 450 Zu nennen ist das nicht eingehaltene Versprechen der europäischen Autoindustrie, die CO₂-Emissionen ihrer Fahrzeuge zu reduzieren, woraufhin der Unionsgesetzgeber diesen Governance-Ansatz für gescheitert erklärte, hoheitlich tätig wurde und die Grenz werte rechtlich verbindlich machte, vgl. Verordnung (EG) Nr. 443/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen im Rahmen des Gesamtkonzepts der Gemeinschaft zur Verringerung der CO₂-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, ABl. EU Nr. L 140 vom 5. 6. 2009. Zu diesem Versprechen einer Selbstorganisation Winter, Zur Architektur globaler Governance des Klimaschutzes, ZaöRV 2012, S. 103 (126), der von einem Versagen der Organisationskapazität des zuständigen Verbandes spricht. 451 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vom 19. Dezember 1996, ABl. Nr. L27 vom 30. Januar 1997, S. 20.
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an der Regelsetzung im Energiebereich zu beteiligen und eine mit den von der Normsetzung betroffenen Akteuren einvernehmliche Lösung zu erzielen. Angetrieben von der Idee dessen, was Schuppert als „Governance durch Wissen“452 bezeichnet, bemühte man sich mit dem in § 6 EnWG 1998 festgeschriebenen Modell des verhandelten Netzzugangs in Deutschland darum, wesentliche energierechtliche Regulierungsfragen den betroffenen privaten Akteuren selbst zu überlassen. Mit der Zulassung „privatisierten Rechts“ erhoffte sich der Gesetzgeber einen Zugriff auf das den Energieversorgungsunternehmen eigene Wissen in Regulierungsfragen. So entschied sich dieser, im Bereich der Stromversorgung die Regelung von Durchleitungsfragen der Ausgestaltung privater Akteure zu überlassen und verzichtete damit auf eine hoheitliche Regulierung. Die Regelungen zur Bestimmung der Durchleitungsentgelte waren vollständig in den sog. Verbändevereinbarungen enthalten, die zwischen VDEW453, VDN454, ARE 455, VKU456, VIK457 und – erneut458 – BDI459 ausgehandelt wurden. Die Vereinbarungen datieren vom 22. 05. 1998, dann vom 13. 12. 1999 und schließlich vom 13. 12. 2001 [sog. Verbändevereinbarung (VV) II plus460].461 Die letzte Verhandlungsrunde war insbesondere notwendig geworden, weil sich die vorigen Vereinbarungen zunehmend der Kritik ausgesetzt sahen, dass bestimmte Interessenvertreter, insbesondere der Stromkonsumenten, systematisch von den Verhandlungen 452 Schuppert, Governance durch Wissen – Überlegungen zum Verhältnis von Macht und Wissen aus governancetheoretischer Perspektive, in: ders./Voßkuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen, 2008, S. 259 (260 ff., insb. 277), der in diesem Zusammenhang Recht als Form des „geronnenen Wissens“ bezeichnet; zur Verbindung von Governance und Wissen Straßheim, Die Governance des Wissens, in: ebd., S. 49 (49 ff.); vgl. auch Kersten, Veränderung von Verfassung und Verwaltung durch Wissen – am Beispiel des demographischen Wandels, in: ebd., S. 189 (189 ff., insb. S. 198), der generell für einen Abschied von den „standardisierten Wissens- und Handlungsroutinen des Wohlfahrtstaates“ und für die Hinwendung zu flexiblen Handlungsformen plädiert. 453 Verband der Elektrizitätswirtschaft e.V. (VDEW); heute: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). 454 Verband der Netzbetreiber beim VDEW e.V. (VDN). 455 Arbeitsgemeinschaft regionaler Energieversorgungsunternehmen e.V. (ARE). 456 Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU). 457 Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V. (VIK). 458 Vgl. zu dessen Rolle bereits § 3, I., 3. 459 Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI). 460 Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001, abrufbar unter: http://www.iwr.de/re/eu/recht/VVIIplus.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 461 Vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 58a.
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ausgeschlossen waren und damit auch über keine Möglichkeit verfügten, auf das Verhandlungsresultat Einfluss zu nehmen.462 Vor diesem Hintergrund waren zu der letzten Verhandlungsrunde erstmals auch Vertreter des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen eingeladen, was zu einer Verbesserung der Ergebnisse im Hinblick auf Transparenz und Vergleichbarkeit der Netznutzungsentgelte führen sollte.463 Im Einzelnen wurden von den privaten Akteuren in der „VV II plus“ insbesondere Bestimmungen über die Organisation des Netzzugangs und die Netznutzungsentgelte festgelegt sowie die Bildung, Abwicklung und Abrechnung von Bilanzkreisen über ein Schlichtungsverfahren geregelt.464 Mit dem Verzicht auf eine hoheitlich-sektorspezifische Regulierung und der Aushandlung der Netzzugangsbedingungen und Netzentgelte 465 durch die Marktakteure wurde die Regelsetzung in einem für den Strommarkt wichtigen Bereich privaten Akteuren überlassen.466 Dieses von der deutschen Bundesregierung explizit gewünschte, auf Vermeidung staatlicher Regelsetzung ausgerichtete Vorgehen467 fand seine Grenzen lediglich in einer in § 6 Abs. 2 462 Zu Kritik an den Verbändevereinbarungen vgl. Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (243); siehe auch Frenzel, Stromhandel und staatliche Ordnungspolitik, 2007, S. 235 f. 463 Vgl. aber Frenzel, Stromhandel und staatliche Ordnungspolitik, 2007, S. 235 f., die in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die Einladung des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, als sich die übrigen Akteure dem Grunde nach schon auf eine Ausarbeitung verständigt hatten. Die Vertreter des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes rügten daher, dass die Möglichkeit zu einer gleichberechtigten Mitwirkung nicht bestanden habe. Eine andere Ansicht vertritt insofern Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 58a, der von „deutlichen Verbesserungen im Hinblick auf Transparenz und Vergleichbarkeit der Netznutzungsentgelte“ spricht. 464 Vgl. Danner, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 58a. 465 Ausführlich zur Netzentgeltregulierung Theobald/Zenke/Lange, Netzentgeltregulierung, in: Schneider/Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Auflage 2013, § 17 Rn. 1 ff., zum Rechtsrahmen der Entgeltbildung insb. Rn. 36 ff. 466 Die Bedeutung eines fairen Netzzugangs und fairer Netzentgelte ist ein für das Erreichen einer gesamteuropäischen Energiestrategie entscheidender Faktor. Man beachte in diesem Zusammenhang nur die Zielsetzung der europäischen Energiepolitik in Art. 194 Abs. 1 AEUV, hierzu Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 9 ff. Zu den zentralen Zielsetzungen der europäischen Energiepolitik vgl. auch Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (24 ff.). 467 Vgl. Danner, Einführung, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60, der darauf hinweist (vgl. dortige Fn. 3), dass eben diese Zielsetzung mit „erheblichem, der Glaubwürdigkeit der deutschen Energiepolitik im Inland und in der Europäischen Gemeinschaft nicht immer förderlichen politischem Druck der Bundesregierung verbunden (war)“.
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EnWG 1998 festgeschriebenen Verordnungsermächtigung des Staates, die im Falle des Scheiterns der privaten Akteure den Erlass von Netzzugangs- und Netzentgeltverordnungen vorsah. Diese Rückabsicherung des Staates kann als Aktualisierung seiner Auffangverantwortung für den Fall des vollständigen Marktversagens verstanden werden. Bewertet man dieses System der Verbändevereinbarungen unter Governance-Gesichtspunkten, so ergibt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits markiert das beschriebene Vorgehen eine „Hochphase“ der privaten Rechtsetzung im Europäischen Energieregulierungsrecht, andererseits muss diese Governance-Ausprägung als letztlich gescheitert angesehen werden.468 So zog sich der Staat nahezu komplett aus der Regulierung des Netzzugangs und der Netzentgelte zurück, überließ sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ des Netzzugriffs von Marktakteuren eben diesen in Eigenregie; der Staat gab seine Erfüllungsverantwortung auf und überantwortete das Ergebnis eines gerechten Netzzugangs den privaten Akteuren. Gleichzeitig führte jedoch die Aufgabe der hoheitlichen Rechtsetzung in der Folgezeit zu erheblichen Problemen in der praktischen Umsetzung. Während Elemente der Betroffenenpartizipation häufig als Stärke von Governance angesehen werden, weil hierdurch die Öffentlichkeit ihre Interessen einbringen und den Politikprozess überwachen könne469, wurde diese – vermeintliche – Stärke von Governance im Rahmen der Verbändevereinbarungen nur unzureichend umgesetzt. Die ohnehin schwierig zu beantwortende Frage, wer denn die Öffentlichkeit bzw. die Betroffenen sind, die in den Regelsetzungsprozess eingebunden werden sollen, wurde im Rahmen des EnWG 1998 dahingehend beantwortet, dass zwar Vertreter der Energiewirtschaft und der Industrie an den Verhandlungen beteiligt wurden, Vertreter der Stromkonsumenten jedoch nahezu systematisch ausgeschlossen blieben.470 Da auch eine staatliche Kontrolle der von privaten Akteuren erzielten Übereinkünfte lediglich über eine nachträgliche Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden stattfand (§ 19 Abs. 4, § 20 Abs. 1 und 2 GWB), diese 468 Vgl. Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (243), der bezüglich des Systems der Verbändevereinbarungen von einer „defekten Form“ von Governance spricht; zu den Verbändevereinbarungen und deren Scheitern auch Koenig/Kühling/Rasbach, Energie recht, 3. Auflage 2013, S. 31 ff.; ebenso Bausch/Rufin, Ein neues Energierecht – ein weiterer Schritt zur Liberalisierung, ZUR 2005, S. 471 (471 ff.). 469 So Walk, Partizipative Governance – Beteiligungsformen und Beteiligungsrechte im Mehrebenensystem der Klimapolitik, 2008, S. 82, die in dieser „öffentlichen Sphäre“ eine Schlüsselrolle von Governance sieht; zur Betroffenenpartizipation im Rahmen von Governance vgl. auch Kersten, Governance in der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grande/May (Hrsg.), Perspektiven der Governance-Forschung, 2009, S. 45 (54); allgemein zum Grundsatz der Betroffenenpartizipation Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 487. 470 Vgl. Frenzel, Stromhandel und staatliche Ordnungspolitik, 2007, S. 235 f., die in diesem Zusammenhang von einer „Exklusivität der Verbändevereinbarung“ spricht.
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sich aber als zu schwerfällig erwies, um Fehlentwicklungen entgegenzusteuern471, kam es in der Folge zu einer weitreichenden Diskriminierung bestimmter Marktteilnehmer durch die vertikal integrierten Netzbetreiber.472 Die Rechtsprechung sah in den Verhandlungen und Beschlussfassungen zur Verbändevereinbarung gar eine unzulässige Kartellabsprache, da die Anbieter der Durchleitungsnetze, vertreten durch ihre Unternehmensvereinigungen, darin gemeinsame Regelungen über den Zugang zu den Leitungsnetzen getroffen hätten, die geeignet gewesen seien, den Wettbewerb zu beschränken.473 Durch das sog. „Beschleunigungspaket“ von 2003474 und das sog. Dritte Binnenmarktpaket von 2009475 wurde der Europäische Energiemarkt schließlich in wesentlichen Feldern neu gestaltet und insbesondere das System des „verhandelten Netzzugangs“ nicht fortgeführt.476 Zumindest vordergründig wandte sich 471 Vgl. Hellwig, Netzwettbewerb durch Regulierung, in: Leprich/Georgi/Evers (Hrsg.), Strommarktliberalisierung durch Netzregulierung, 2004, S. 29 (32 ff.). 472 Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (243); auch Lücking, Netzzugang aus Sicht der Energiehändler, in: Leprich/Georgi/Evers (Hrsg.), Strommarktliberalisierung durch Netzregulierung, 2004, S. 111 (113 ff.); positiv zu den Vereinbarungen im Strombereich, dabei anmerkend, dass diese zu einer Absenkung der Netzentgelte geführt haben, Glachant/Dubois/Perez, Deregulating with no regulator: Is the German electricity transmission regime institutionally correct?, Energy Policy 36 (2008), S. 1600 (1604). 473 So – bezogen auf die Verbändevereinbarungen im Gasbereich, aber auf den Strommarkt durchaus übertragbar – LG Berlin, Urteil vom 06. März 2003 – 16 O 78/03 –, juris. 474 ABl. EU Nr. L 176, S. 37: (im Wesentlichen) Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG v. 26. 06. 2003; ABl. EU Nr. L 176, S. 57: Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/ EG v. 26. 06. 2003.; vgl. hierzu Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energie-Binnenmarktes, EuZW 2003, S. 621 (621 ff.). 475 ABlEU 2009 Nr. L 211, S. 1, 15, 36, 55, 94: (im Wesentlichen) die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 06. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/ EG (Stromrichtlinie) und die Richtline 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 07. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (Gasrichtlinie) lösen die Beschleunigungsrichtlinien 2003/54/EG (Strom) und 2003/55/EG (Gas) ab; Neuauflagen der Verordnungen über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel (Nr. 714/2009) sowie für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Nr. 715/2009); Verordnung (EG) Nr. 713/2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER); zu den Bestandteilen des „Dritten Binnenmarktpaketes“ vgl. Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (764). 476 Zu der Neugestaltung des Europäischen Energierechts durch das „Dritte Binnenmarktpaket“ Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energie
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der europäische Gesetzgeber damit einem wieder stärker hoheitlich regulierenden Ansatz zu, wobei sich auch hier Verhandlungslösungen im „Schatten der Hierarchie“477 und damit Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung ausmachen lassen.478 Dass der Unionsgesetzgeber sich dem Governance-Modell trotz neuer hoheitlicher Regulierungsbestrebungen nicht gänzlich verschließen würde, war bei genauem Betrachten bereits im Vorfeld erkennbar. Der Anwendung alternativer Verfahren, insbesondere eines Kombinationsmodells aus „Ko-Regulierung“ und Selbstregulierung, hatten sich Europäisches Parlament, Rat und Kommission unter dem Stichwort „Bessere Rechtssetzung“ bereits seit Längerem verschrieben.479 Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit480 betonend gaben diese drei Organe bereits im Jahre 2003 eine ganz im Sinne des Governance-Modells liegende Erklärung ab: „Die drei Organe erinnern an die Verpflichtung der Gemeinschaft, gemäß dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Rechtsvorschriften nur soweit erforderlich zu erlassen. Sie erkennen an, dass es zweckmäßig ist, in geeigneten Fällen und sofern der EG-Vertrag nicht die Verwendung eines bestimmten Rechtsinstruments vorschreibt, auf alternative Regulierungsmechanismen zurückzugreifen.“481
recht, 94. EL Juli 2017, Rn. 46 ff.; ders./Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (763 ff.). 477 Vgl. Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (123 ff.). 478 Bauer, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (244) spricht im Rahmen der Neugestaltung des Energiemarktes insoweit davon, dass sich der Gesetzgeber für die (Wieder-) Einführung eines „ordnungsrechtlichen Behördenmodells“ entschieden habe. 479 Zum Aspekt der Ko-Regulierung im Rahmen der Anwendung alternativer Regulierungsverfahren Verbruggen, Does Co-Regulation Strengthen EU Legitimacy?, European Law Journal, Vol. 15 (2009), S. 425 (425 ff.). 480 Zu den Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV) der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Unionsrecht vgl. Röben, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 58. EL 2016, Art. 67 AEUV, Rn. 125 ff.; Leible/Schröder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 114 AEUV, Rn. 63 ff.; grundsätzlich zu Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3b EG-Vertrag, in: AöR 118 (1993), S. 414 (414 ff.); jüngst zu Fragen der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips König, Das Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität und europäischer Gesetzgebung, in: Feld/Köhler/Schnellenbach (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität, 2016, S. 91 (91 ff.). 481 Vgl. die Interinstitutionelle Vereinbarung – „Bessere Rechtsetzung“, ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1, Gliederungspunkt 16; Kursivierungen durch Verfasser.
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Eben jenes (governancebasierte) Kombinationsmodell482 wurde im Ergebnis durch das „Beschleunigungspaket“ von 2003 und fortgeführt durch das sog. Dritte Binnenmarktpaket von 2009 im Europäischen Energierecht verankert. So sehen die Art. 4 und 5 der Verordnung über die Netzzugangsbedingungen für den grenz überschreitenden Stromhandel (StromVO)483 den Zusammenschluss der Übertragungsnetzbetreiber in einem Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-Strom) vor.484 Es ist die Aufgabe dieses neu geschaffenen Verbundes, der letztlich nichts anderes als einen (Zwangs-)Zusammenschluss der privaten Netzbetreiber darstellt, sogenannte Netzkodizes zu entwickeln, die im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Netzbetrieb Fragen der Netzsicherheit und -zuverlässigkeit, der Interoperabilität sowie der Kapazitätsvergabe und des Engpassmanagements, insbesondere aber des Netzanschlusses und -zugangs, regeln.485 Diese Kodizes müssen schließlich von der Kommission angenommen werden.486 Hierin kann erneut ein Beispiel für geteilte Entscheidungsspielräume und eine letztlich einvernehmliche Entscheidungsfindung zwischen privaten und staatlichen Akteuren im Bereich der energierechtlichen Rechtsetzung gesehen werden. Der europäische Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, ENTSO an der Koordination des grenzüberschreitenden Netzbetriebes mitwirken zu lassen, diesem sogar die originäre Formulierung der Netzkodizes, also des (Netzzugangs-) Rechts, zu überlassen. Im Unterschied zur mit dem Ersten Binnenmarktpaket 482 Unter Ko-Regulierung wird dabei ein Mechanismus verstanden, durch den ein gemeinschaftlicher Rechtsakt die Verwirklichung der von der Rechtsetzungsbehörde festgelegten Ziele den in dem betreffenden Bereich anerkannten Parteien überträgt (insbesondere den Wirtschaftsteilnehmern, den Sozialpartnern, den Nichtregierungsorganisationen oder den Verbänden). Unter Selbstregulierung wird die Möglichkeit verstanden, dass Wirtschaftsteilnehmer, Sozialpartner, Nichtregierungsorganisationen oder Verbände untereinander und für sich (freiwillig) gemeinsame Leitlinien auf europäischer Ebene (unter anderem Verhaltenskodizes oder sektorale Vereinbarungen) annehmen; vgl. ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1, Gliederungspunkte 18 und 22. 483 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (StromVO). 484 Selbiges gilt für den Zusammenschluss der Übertragungsnetzbetreiber auf dem Gasmarkt, vgl. Art. 4 und 5 der Verordnung über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 – GasVO). 485 Des Weiteren sind die ENTSOs Strom und Gas zuständig für den zehnjährigen „gemeinschaftsweiten Netzentwicklungsplan“ sowie für weitere Instrumente und Forschungspläne zum Netzbetrieb, vgl. Hermes, Energierecht, in: Schulze/Zuleeg/Kandelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage 2015, § 35 Rn. 125; zu den Netzbetreiberverbünden auch Ludwigs, Energierecht, in: Ruffert (Hrsg.), Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht (EnzEuR Bd. 5), 2013, § 5 Rn. 143 ff. 486 Vgl. Art. 6 ff. StromVO (Fn. 483); Art. 6 ff. GasVO (Fn. 484).
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ermöglichten Verbändevereinbarung handelt es sich nunmehr um ein formalisierteres Verfahren der Regelerzeugung unter Beteiligung privater und staatlicher Akteure: So bestimmen zunächst die Kommission und ACER die Arbeitsplanung des ENTSO (vgl. Art. 6 Abs. 1 Strom/GasVO)487 und bereiten „Rahmenleitlinien“ vor, die zwar gewisse Vorgaben für die im Folgenden von ENTSO zu erarbeitenden Kodizes machen, gleichzeitig für diesen Verbund der privaten Übertragungsnetzbetreiber aber nicht bindend sind (Art. 6 Abs. 2 StromVO/GasVO).488 ENTSO kommt mithin eine Ausgestaltungsfreiheit zu, die er – nach Einbeziehung aller einschlägigen (privaten) Marktteilnehmer in den Prozess489 – seinen eigenen Vorstellungen entsprechend zu nutzen weiß. Zwar schreiben die StromVO bzw. GasVO vor, dass der von ENTSO beschlossene Kodex durch die Kommission anzunehmen ist und diese die Kodizes ändern bzw. ergänzen oder alle von den Kodizes geregelten Fragen selbst durch den Erlass von Leitlinien regeln kann, was ihr letztlich eine Art „Veto-Position“ einräumt. Da der europäische Gesetzgeber jedoch primär von einer inhaltlichen Ausgestaltung der Normen durch private Akteure ausgeht, allein schon, um auf deren Wissen in komplexen Regulierungsfragen490 zurückgreifen zu können, ist hierin nicht mehr als das Festschreiben einer Auffangverantwortung zugunsten des Staates zu sehen, die im Fall des Marktversagens greifen soll. Diese Auffangverantwortung stellt zwar ein Mehr an Rechtssicherheit im Vergleich zur bisherigen, nur informellen Koordination der Foren unter dem Ersten Binnenmarktpaket dar, ändert aber gleichzeitig nichts an dem Umstand, dass den Übertragungsnetzbetreibern als unmittelbar Betroffenen die Rechtsetzung in eigenen Angelegenheiten überantwortet wird.491 487 Vgl. den Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2012 zur Aufstellung jährlicher Prioritätenlisten für die Ausarbeitung von Netzkodizes und Leitlinien für 2013, ABl. EU Nr. L 192, S. 32; vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass im Rahmen der ENTSO-Rechtsetzung ACER vor allem die Rolle eines Zuarbeiters für die Kommission zugedacht ist (vgl. ebd., Fn. 7). 488 Zu diesen „nicht bindenden Rahmenleitlinien“ vgl. Gundel, Europäisches Energie recht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 60. 489 Zur Konsultation der einschlägigen Marktteilnehmer vgl. Art. 10 Abs. 1 StromVO/ GasVO, wo festgelegt ist, dass die betroffenen Marktteilnehmer, insbesondere die Organisationen, die alle Akteure vertreten, „umfassend, frühzeitig und auf offene und transparente Weise“ zu beteiligen sind. Art. 10 Abs. 2 Strom/GasVO schreibt zudem vor, dass alle Unterlagen und Sitzungsprotokolle zu den in Absatz 1 genannten Konsultationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. 490 Die Komplexität und Dynamik der Regulierung der grenzüberschreitenden Netznutzung betonend Britz, Verbundstrukturen in der Mehrebenenverwaltung: Erscheinungsformen, Funktion und verfassungsrechtliche Grenzen am Beispiel der europäischen und deutschen Energiemarktregulierung, Die Verwaltung, Beiheft 8 (2009), S. 71 (99). 491 Dieses Ansatz als weiterhin „fragwürdig“ kritisierend Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 61; kritisch hier-
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Die nunmehr verfahrensrechtliche Einhegung492 der Entscheidungsfindung auf Seiten der privaten Akteure durch die Beteiligung staatlicher Organe grenzt den Normierungsprozess um den Netzzugang zwar von dem System der Verbändevereinbarungen ab, in dem der Staat seinen Steuerungsanspruch nahezu gänzlich aufgegeben hatte; gleichwohl kommt der Kommission als Vertreterin des Staates auch nach der aktuellen Rechtslage im Ergebnis lediglich die Aufgabe einer „Absegnung“493 der unter Privaten ausgehandelten Ergebnisse zu. Es lässt sich also weiterhin von einer Einbeziehung Privater in den Regulierungsprozess bis hin zu einem Überantworten der Entscheidungsfindung an die Privaten sprechen. Bei den Netzkodizes handelt es sich um im Wege der Selbstregulierung erlassenes soft law494, das unter Aufsicht staatlicher Akteure von privaten Marktteilnehmern ausgehandelt wird und für das die staatliche Seite die Ergebnisverantwortung trägt. In der Regelsetzung unter Einbeziehung Privater scheint die EU jedenfalls weiterhin einen gangbaren Weg zu sehen, welcher ganz im Sinne des Governance-Konzepts ausgestaltet ist. Ob diese faktische Aufgabe des hoheitlichen Steuerungsanspruchs allein dadurch gerechtfertigt werden kann, dass sich mit der Einbeziehung privater Akteure und deren Wissen Informationsasymmetrien besser lösen ließen495, ist dabei mehr als fraglich und ein zu-
zu auch Britz, Verbundstrukturen in der Mehrebenenverwaltung: Erscheinungsformen, Funktion und verfassungsrechtliche Grenzen am Beispiel der europäischen und deutschen Energiemarktregulierung, Die Verwaltung, Beiheft 8 (2009), S. 71 (99); ebenso Neveling, Verschärfte Regulierung der Strom- und Gasmärkte in der EU - Vorschläge der Kommission für ein 3. Richtlinienpaket, ZNER 2007, S. 378 (378 f.); demgegenüber positiver eingestellt Fischerauer, Zwischen Regulierung und Selbstregulierung – Zur Ausarbeitung europäischer Netzkodizes im Energiesektor, ZNER 2012, S. 453 (459). 492 Vgl. hierzu Storr, Energy Governance, in: FS Raschauer, 2013, S. 575 (579 ff.); bezogen auf den Gasbereich auch Thole, Der europäische Grid Code Gas – Regelungsrahmen und Auswirkungen auf das deutsche Gasnetzzugangssystem, IR 2011, S. 218 (218 ff.). 493 Britz, Verbundstrukturen in der Mehrebenenverwaltung: Erscheinungsformen, Funktion und verfassungsrechtliche Grenzen am Beispiel der europäischen und deutschen Energiemarktregulierung, Die Verwaltung, Beiheft 8 (2009), S. 71 (99). 494 Zur Rechtnatur der Netzkodizes Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (767); zur begrifflich Eingrenzung des soft laws vgl. Müller-Graff, Das „Soft Law“ der europäischen Organisationen, EUR 2012, S. 18 (18ff., insb. 22); einen etwas anderen Ansatz wählend Schwarze, Soft Law im Recht der Europäischen Union, EUR 2011, S. 3 (5); zur Definition auch Rodi/Behm, Die Energieunion – rechtliche und politische Gehalte einer neuen europäischen Spezialunion, ZEuS 2016, S. 177 (198). 495 Für den Einbezug gesellschaftlicher Akteure zur Lösung vermeintlicher Informationsasymmetrien in bestimmten Bereichen plädierend Frenzel, Stromhandel und staatliche Ordnungspolitik, 2007, S. 303 ff., die in diesem Zusammenhang auf „positive Erfahrungen beim Umweltaudit“ verweist; sich auf diese beziehend und sich ebenfalls für eine stärkere Einbeziehung der „stakeholder“ auf nationaler und europäischer Ebene aussprechend Bau-
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
mindest in dieser Pauschalität wiederum abzulehnender „Sein-Sollen“-(Fehl-) Schluss496. Die konsensuale Entscheidungsfindung zwischen staatlichen und privaten Akteuren in Bereich der Energiepolitik kann insgesamt als Governance-Struktur bezeichnet werden, sowohl bezogen auf den nationalen Bereich wie auch im supranationalen Gefüge der Europäischen Union. Die Einbeziehung Privater in den Rechtsetzungsprozess und der Aufbau von Verhandlungssystemen zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren haben in wesentlichen Bereichen der Energiepolitik zur Aufgabe der klassisch-hierarchisch hoheitlichen Rechtsetzung geführt. 5. Offene Methode der Koordinierung und Europäisches Energierecht Ein Bestreben zur Aufgabe der klassisch-hierarchischen hoheitlichen Recht setzung lässt sich seit Kurzem auch in einem anderen Feld der Europäischen Energiepolitik beobachten. Immer stärker versucht die Europäische Union auf ein Mittel der „weichen Koordinierung“ zurückzugreifen, dem sie in anderen Politikfeldern bereits seit Längerem eine eigenständige Bedeutung neben dem „harten Recht“497 zumisst. So verankerte die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“498 im Jahre 2001 den neuen Politikmodus der sog. „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK) und umschrieb diesen wie folgt: „Die ‚offene Koordinierungsmethode‘ wird fallweise angewandt. Sie fördert die Zusammenarbeit, den Austausch bewährter Verfahren sowie die Vereinbarung gemeinsamer Ziele und Leitlinien von Mitgliedstaaten, die manchmal wie im Falle der Beschäftigung und der sozialen Ausgrenzung durch Aktionspläne von Mitgliedstaaten unterstützt werden. Diese Methode beruht auf einer regelmäßigen Überwachung der bei der Verwirklichung dieser Ziele erreichten Fortschritte und bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Anstrengungen zu vergleichen und aus den Erfahrungen der anderen zu lernen.“499 er, Collaborative Governance – ein neues Konzept für die Regulierung der europäischen Strom- und Gasmärkte?, ZfE 2010, S. 237 (244 f.). 496 Zu den Problemen von „Sein-Sollen-Schlüssen“ bereits Kapitel 2, II., 2. 497 Zur Unterscheidung zwischen „weicher“ und „harter“ Koordinierung vgl. Eising/ Lenschow, Europäische Union, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 2007, S. 325 (331). 498 Im Englischen ist das Weißbuch – letztlich zutreffender – überschrieben mit „European Governance – A White Paper“. 499 Kommission, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM(2001) 428 endg., ABl. EG C 287 vom 12. 10. 2001, S. 18; hierzu auch Ruffert, Demokratie und Governance in Europa, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 319 (329 ff.).
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
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Der Ursprungsidee entsprechend500 wurde die OMK bislang in Politikfeldern angewandt, in denen die Europäische Union keine ausreichende Kompetenzgrundlage zur angestrebten Zielerreichung hatte bzw. in denen sie auf Unterstützungs- oder Koordinierungsmaßnahmen beschränkt war, was insbesondere den Bereich der Sozialpolitik (Art. 153 AEUV) betraf.501 Gestützt auf Art. 121 Abs. 4 bzw. Art. 136 AEUV wurde dieser Regulierungsansatz vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise502 im Rahmen einer neuen makroökonomischen Governance zur „besseren wirtschaftspolitische Steuerung der EU“ auf die Wirtschaftspolitik übertragen (sog. „Europäisches Semester der Politikkoordinierung“).503 Nun bestehen spätestens seit Schaffung des Art. 194 AEUV durch den Vertrag von Lissabon504 weitreichende Kompetenzen der Union im Bereich der Energiepolitik.505 Mit Normierung dieses eigenständigen Energietitels im Primärrecht 500
Zu Hintergründen und Entstehung dieser Regulierungsform vgl. Preunkert, Chancen für ein soziales Europa? – Die Offene Methode der Koordinierung als neue Regulierungsform, 2009, S. 17 ff., 27 ff., 53 ff.; vgl. auch Bodewig/Voß, Die „offene Methode der Koordinierung“ in der Europäischen Union – „schleichende Harmonisierung“ oder notwendige „Konsentierung“ zur Erreichung der Ziele der EU?, EuR 2003, S. 310 (310 ff.). 501 Vgl. Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (107). 502 Zur durch die Finanzkrise bedingten Reform des „Krisenbewältigungsmechanismus“ der EU vgl. Weber, Die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion in der Finanzkrise, EuZW 2011, S. 935 (935 ff.). 503 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung – Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU, KOM(2010) 367 endg., insb. S. 1 ff., 6, 26 (Anhang 2); vgl. auch Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (107). 504 ABl. 2001 C 80, S. 1. 505 Zur Entwicklung der Energiepolitik auf europäischer Ebene auch ohne eigenen Kompetenztitel vgl. Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (29 f., 51 f.), der betont, dass auch vor Einführung des neuen Kompetenztitels weitreichende Befugnisse im Energierecht für die europäische Ebene bestanden und der „neue“ Art. 194 AEUV überwiegend eine klarstellende und politische Bedeutung hat; vgl. auch Görlitz, Europäischer Verfassungsvertrag und künftige EU-Kompetenzen, DÖV 2004, S. 374 (381), der diesbezüglich von einer „inhaltliche(n) Klarstellung schon bisher bestehender EG-Kompetenzen“ spricht; ebenso Schmidt-Preuß, Europäische Energiepolitik, in: FS Rupert Scholz, 2007, S. 903 (914); zur Entwicklung der europäischen Energiepolitik
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
ist der EU auch die Entwicklung und Durchsetzung eines umfassenden energiepolitischen Gesamtkonzepts „aus einem Guss“506 möglich und sie hat hiervon in vielerlei Hinsicht Gebrauch gemacht.507 Das sogenannte Dritte Binnenmarkt-Paket hat durch seine insgesamt fünf Rechtsakte zur weiteren Vertiefung eines kohärenten, europäischen Energiebinnenmarktes entscheidend beigetragen508 – ein Ziel, das die Kommission bereits seit Ende der 1980er Jahre verfolgt hat.509 Ihre Kompetenzen sukzessive ausweitend510 verfügt die EU heute über diverse Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Energiepolitik.511 Neben der speziellen energierechtlichen Kompetenzgrundlage des Art. 194 Abs. 2 UA 1 (i.V.m. Abs. 1) AEUV512, die der Union die Sicherstellung des Funktionieren des Energiemarkts (lit. a), die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union (lit. b), die Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen (lit. c) und die Förderung der Interkonnektion der Energienetze (lit. d) ermöglicht, gibt es eine Reihe weiterer Kompetenzgrundlagen, die ihre Möglichkeiten im Energierecht abrunden. Dies betrifft die (geteilten513) Binnenkompetenzen für Rechtsangleiauch bereits Jarass, Europäisches Energierecht, 1996, S. 81 ff.; Pernice, Umweltschutz und Energiepolitik, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 105 (106 ff.); Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, S. 313 (314 ff.). 506 So Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (51). 507 Von einer „kohärente(n), langfristig geplante(n) und nachhaltige(n) Energiepolitik“ sprechend Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 2; bereits früh von einer „relativ weitgehenden“ Kompetenz der Union ausgehend vgl. ders., in: ders./Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2006, Art. I-14 VerfEU, Rn. 18. 508 Dieses wurde insbesondere auf Art. 47 Abs. 2 und die Art. 55 und 95 EG gestützt. Zu den Bestandteilen des „Dritten Binnenmarktpaketes“ vgl. Fn. 475. 509 Vgl. das Arbeitsdokument der Kommission „Der Binnenmarkt für Energie“, KOM (1998) 238 endg. v. 2. 5. 1998. 510 Zur Etablierung des Energiebinnenmarktes vgl. Gundel, Europäisches Energie recht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 1 ff. 511 Vgl. zur Kompetenzverteilung im Energierecht nach dem Vertrag von Lissabon Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (45 ff.). 512 Zu den kompetenzbegründenden Zielen des Art. 194 Abs. 1 AEUV vgl. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 9 ff.; auch Bings, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 194 AEUV, Rn. 17 ff.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 58. EL 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 14 ff. 513 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. a, e, h, Abs. 3 AEUV; zu zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Auflage 2010, S. 107 ff.
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
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chung (Art. 114 AEUV), den Umweltschutz (Art. 192 AEUV), die transeuropäischen Netze (Art. 172 Abs. 1 AEUV) sowie die Forschung und technologische Entwicklung (Art. 181 AEUV). Aus den Art. 192 AEUV, 21 ff. EUV und 205 ff. AEUV resultiert eine Unionszuständigkeit für eine Energieaußenpolitik.514 Als indirekte Energiekompetenzen stehen Art. 122 Abs. 1 AEUV515 sowie die sog. Vertragsabrundungskompetenz des Art. 352 AEUV zur Verfügung.516 Gleichzeitig enthält der AEUV – eingerichtet insbesondere als „Gegenpol“ zur Erweiterung der energierechtlichen Kompetenzen der Union durch die Einführung von Art. 194 AEUV – Souveränitätsvorbehalte zugunsten der Mitgliedstaaten.517 So schützt Art. 194 Abs. 2 UA 1 AEUV das Recht der Nationalstaaten die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen und insbesondere seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung selbst zu bestimmen.518 Diese Bestimmung, aufgenommen wegen der in den einzelnen Nationalstaaten zum Teil „hitzig“ geführten Energieträgerdebatte, die insbesondere die Streitfrage um die friedliche Nutzung der Kernenergie zum Gegenstand hatte519, hat mit der nunmehr wohl endgültigen Aufgabe dieser Form der Energiegewinnung in Deutschland520 für die bundesrepublikanische Energiedebatte zwar an Bedeutung verloren. Dennoch folgt hieraus allgemein, dass die EU zwar eine weitgehende, aber keine gänzlich umfassende Energiepolitik zu gestalten vermag. Die Entscheidung eines Mitgliedstaates für eine bestimmte Form der Energiegewinnung etwa muss von der EU als nationale Vorentscheidung respektiert werden, eine europäische Energiepolitik kann nur 514 Zur Außendimension des europäischen Energierechts vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 86 ff. Vgl. auch die Art. 18, 27 EUV, die die Funktion des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik regeln. 515 Art. 122 Abs. 1 AEUV ermöglicht ein Eingreifen der Union insbesondere im Fall von Versorgungsengpässen. Vgl. ferner Art. 222 AEUV, der jedoch als lex generalis hinter die spezielle energiepolitische Solidaritätsklausel zurücktritt. 516 Vgl. Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (47 f.). 517 Vgl. Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (52), der in diesem Zusammenhang von „Integrationsbremsen“ zugunsten der mitgliedstaatlichen Rechte spricht. 518 Zur materiellen Kompetenzgrenze des Art. 194 Abs. 2 UA 2 AEUV vgl. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 29; auch Hamer, in: v. d. Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 194 AEUV, Rn. 27. 519 Vgl. Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag, 2005, S. 371. 520 Zur Historie der Nutzung der Kernenergie in Deutschland, insbesondere nach der Katastrophe von Fukushima, vgl. Winter, Aufstieg und Fall der Kernenergie in Deutschland: Verläufe, Erklärungen und die Rolle des Rechts, ZfU 2012, S. 209 (209 ff.).
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
auf dieser aufbauen.521 So war Deutschland in der Lage, eine „nationale Energiewende“522 zu beschließen, eine „europäische Energiewende“523 hätte die Union mangels Kompetenz hingegen nicht beschließen können.524 Indirekte Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Formen der nationalen Energiegewinnung kommen der EU dennoch zu, etwa indem sie europaweit verbindliche Klimaschutzziele durchsetzt. Zuvörderst über die Umweltschutzkompetenz des Art. 192 Abs. 1 AEUV kann die Union Klimaschutzmaßnahmen treffen.525 Im Einzelfall kann es vor diesem Hintergrund zu einem Konflikt zwischen dem beschriebenen nationalen Souveränitätsvorbehalt im Bereich der Energiepolitik und sich ergebenden mittelbaren Einschränkungen durch verbindlich gesetzte Klimaschutzziele kommen.526 Zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses 521 Vgl. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 29. 522 Zur der sog. „Energiewende“ vgl. Kahl/Bews, Das Recht der Energiewende – Rechtspolitische Perspektiven für mehr Effektivität und Kohärenz, JZ 2015, S. 232 (232 ff.); dies., Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1004 ff.), S. 1094 (1094 ff.); zur Energiewende aus kommunaler Sicht Kahl/Schmidtchen, Kommunaler Klimaschutz durch erneuerbare Energien, 2013; vgl. auch Gundel/Lange (Hrsg.), Neuausrichtung der deutschen Energieversorgung – Zwischenbilanz der Energiewende, 2015; dies. (Hrsg.), Die Energiewirtschaft im Instrumentenmix – Wettbewerb, Regulierung und Verbraucherschutz nach der Energiewende, 2013; Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745 (745 ff.); Ludwigs, Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema, in: Korte/ ders. u. a. (Hrsg.), Energiewende und Finanzkrise als aktuelle Herausforderungen des Europarechts, 2016, S. 9 (10 ff.); zu zukünftigen Fragen der Energiewende Gawel/Lehmann/ Korte, Die Zukunft der Energiewende in Deutschland, ZUR 2014, S. 219 (219 ff.); zur Energiewende vor dem Hintergrund des Atomunglücks in Fukushima vgl. Attendorn, Die Belange des Klimaschutzes nach Fukushima und der Energiewende, NVwZ 2012, S. 1569 (1569 ff.); zu den Folgen der Energiewende auch Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 38. 523 Zur Sichtweise, die deutsche Energiewende müsse „europäisiert“ werden, Gawel/ Strunz/Lehmann, Wie viel Europa braucht die Energiewende?, UFZ Discussion Papers 4/2014, abrufbar unter: http://www.ufz.de/export/data/global/56659_DP_4_2014_ Gawel_ et_al_Europa.pdf (zuletzt aufgerufen am 25. 08. 2016); zu Fragen der Europäisierung auch Assmann, Europäisierung der Energiewende, 2016, insb. S. 55 ff. 524 Vgl. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 194 AEUV, Rn. 29. 525 Zur Rechtsetzungstätigkeit der EU bezogen auf die Kompetenzgrundlage des Art. 192 Abs. 1 AEUV vgl. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 192 AEUV, Rn. 11 ff., der darauf hinweist, dass in Deutschland 67 % der in das Umweltressort des Bundes fallenden Gesetze auf entsprechende Impulse der EU zurückgehen; zum Tätigwerden der EU im Bereich des Klimaschutzes vgl. auch ders., in: ebd., Art. 191, Rn. 15. 526 Zum in Teilen unklaren Verhältnis von Art. 194 AEUV und Art. 192 AEUV, vor allem mit Blick auf das Recht der erneuerbaren Energien, vgl. Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz/Müller (Hrsg.),
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scheint die Union nun einen unter Governance-Gesichtspunkten interessanten Weg zunehmend in Betracht zu ziehen, wie ein Blick auf die Mitteilungen der Kommission im Rahmen der aktuell stattfindenden Debatte zum europäischen Klima- und Energierahmen 2030527 zeigt. So beschreibt die Kommission unter der Überschrift „Europäische Governance für den Politikrahmen bis 2030“528 Methoden, die starke Parallelen zur dargelegten sog. „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK) aufweisen.529 Diese zeichnet sich in ihren bisherigen Anwendungsfeldern durch die Aspekte Zusammenarbeit, Austausch bewährter Verfahren sowie Vereinbarung gemeinsamer, für sich gesehen rechtlich nicht bindender Ziele und Leitlinien aus530 und ist damit als Abkehr vom hierarchischen Steuerungsmodell zu verstehen. Es bestehen insoweit Parallelen zur sog. „Governance durch (politisches) Lernen“531, der auch nicht-hierarchische Regelungsmodi zugrunde liegen und die die Kommission bereits im Jahre 2001 in ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ als vielversprechenden Ansatz explizit herausgestellt hat.532 Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 21 (60); zum Kompetenzgeflecht in der Energiepolitik nach dem Vertrag von Lissabon ders., Die Kompetenzen der EU in der Energiepolitik nach Lissabon, EuR 2009, S. 601 (601 ff.), zur Abgrenzung von Art. 194 AEUV und Art. 192 AEUV vgl. insb. S. 618 ff. 527 Vgl. hierzu Europäischer Rat, Ratsschlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. Oktober 2014 zum „2030 Klima- und Energierahmen“, SN 79/14. 528 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020 – 2030, 22. 1. 2014, COM(2014) 15 final, S. 14 ff. 529 Von einer „gesteuerten Methode der Koordinierung“ sprechend Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (96, 105 ff.); die OMK als „New Governance-Ansatz“ beschreibend Sanden, Die New Governance-Ansätze in der Europäischen Wirtschaftspolitik am Beispiel der Energiepolitik, 2009, insb. S. 307 ff. 530 Vgl. oben, § 3, I., 5. (zu Beginn). 531 Zur Verknüpfung von Governance, Lernen und Verbindlichkeit vgl. Köhling/Pamme/Wissing, Governance, Lernen und Verbindlichkeit am Beispiel der Kommunalisierung sozialer Hilfen in Hessen, in: Deutsches Jugendinstitut e. V. – Projektgruppe E&C und LOS (Hrsg.), Governance-Strategien und lokale Sozialpolitik, 2007, S. 13 (14 f.); zur Governance durch politisches Lernen vgl. auch Bothfeld/Kuhl, Gleichstellungspolitik und feministische Politikwissenschaft, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 330 (344). 532 Vgl. Kommission, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM(2001) 428 endg., ABl. EG C 287 vom 12. 10. 2001, S. 18; hierauf eingehend auch Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Governance in der Europäischen Union, in: Benz/Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Auflage 2010, S. 69 (81).
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
Ganz in diesem Sinne stellt sich die Kommission den energie- und klimapolitischen Rahmen bis 2030 vor: Getragen von dem Gedanken den einzelnen Mitgliedstaaten größtmögliche Flexibilität533 zur Umsetzung einer nachhaltigen Energiestrategie zu ermöglichen, ist sie bestrebt, auf rechtlich verbindliche Vorgaben zu verzichten und nur im Falle eines Versagens des kooperativen Ansatzes die angedachte Governance-Struktur in einem Rechtsakt zu verankern.534 Dieses nicht-hierarchische Vorgehen favorisiert die EU in drei Etappen:535 Demnach will die Kommission zunächst detaillierte, aber rechtlich unverbindliche Leitlinien insbesondere zum Inhalt nachfolgend von den Mitgliedstaaten zu erstellender nationalen Pläne ausarbeiten. Dabei sollen Umfang, Planziele sowie Rahmenbedingungen festgelegt werden, die aufzeigen, wie der einzelne Mitgliedstaat zum Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele auf Unionsebene beitragen kann. Insbesondere soll aus den (nationalen) Plänen hervorgehen, wie die Mitgliedstaaten die Treibhausgasemissionsminderungen erzielen wollen, wie hoch der Anteil erneuerbarer Energien und wie hoch die Energieeinsparungen bis 2030 unter Berücksichtigung der vorhandenen Rechtsvorschriften und Konzepte der EU sein sollen. Die Mitgliedstaaten sollen dabei in ihren Plänen politische Maßnahmen beschreiben, die sich auf den nationalen Energiemix auswirken, etwa durch die Installation neuer Kernenergiekapazitäten, die Einführung der CO₂-Abscheidung und -Speicherung, den Umstieg auf CO₂-ärmere Brennstoffe, den Ausbau der heimischen Energieversorgung, durch Infrastrukturpläne z. B. für neue Verbindungsleitungen, nationale Steuer- und Förderregelungen, die direkte oder indirekte Auswirkungen haben, die Einführung intelligenter Netze etc. Bei der Ausarbeitung der Pläne soll – nach den Vorstellungen der Kommission – die Konsultation mit den Nachbarländern eine zentrale Rolle spielen, um einen grenzüberschreitenden, ganzheitlichen Ansatz zu gewährleisten.536 In einer dritten und letzten Stufe will die Kommission die national erstellten Pläne dann daraufhin prüfen, ob die anvisierten Maßnahmen und Zusagen der Mitgliedstaaten ihrer Ansicht nach ausreichen, um die klima- und energiepolitischen Ziele der Union zu erreichen. Erachtet die Kommission den Plan nach Überprüfung als unzureichend, würde allerdings immer noch nicht auf unionsrechtlich erzeugtes „hard law“ zurückgegriffen, sondern erst ein „tiefgreifender interativer 533 Zum Gewinn an Flexibilität durch Governance-Strukturen vgl. auch v. Schnurbein, Nonprofit Governance in Verbänden – Theorie und Umsetzung am Beispiel von Schweizer Wirtschaftsverbänden, 2008, S. 102 f. 534 COM(2014) 15 final, S. 16. 535 Vgl. zur Umsetzung des Verfahrens in drei Etappen COM(2014) 15 final, S. 15 f.; hierzu auch Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (105 f.). 536 COM(2014) 15 final, S. 15.
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
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rozess“537 mit den betreffenden Mitgliedstaaten stattfinden, der das Ziel hat, den P Plan inhaltlich zu stärken. Erst wenn auch dieser kooperative Ansatz nicht wirkt, zieht es die Kommission in Betracht, letztlich in Aktivierung ihrer Auffangverantwortung, die aufgezeigte Governance-Struktur hoheitlich in einem Rechtsakt verbindlich zu verankern.538 Dieser Kommissionsansatz entspricht der eingangs beschriebenen, bisher vorwiegend in anderen Politikfeldern praktizierten OMK-Methode. Mithilfe von unverbindlichen Leitlinien sollen sich die Mitgliedstaaten in Plänen Ziele setzen. Die Konsultation und Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten untereinander soll eine zentrale Rolle einnehmen. Die Kommission wird das Vorgehen der Mitgliedstaaten zwar überwachen, setzt aber gleichzeitig auf eine Zusammenarbeit von unionaler und nationaler Ebene „auf Augenhöhe“ in einem iterativen (Austausch-)Prozess. Nur subsidiär ist die Kommission bestrebt „aus dem Schatten der Hierarchie herauszutreten“ und den kooperativen Ansatz durch ein hoheitliches Vorgehen zu ersetzen. Damit unterscheidet sich das Kommissionskonzept vom bisherigen, noch durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2009539 praktizierten Ansatz540, durch welchen den Mitgliedstaaten von vornherein verbindliche nationale Ausbauziele541 vorgegeben werden, um bis zum Jahr 2020 in der EU einen Anteil von erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch von mindestens 20 Prozent zu erreichen.542 Dass die Union im Rahmen der Erneuerbare-Energien-Regulierung zur Erreichung ihres neuen Ziels, den Ausstoß von Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu senken543, nunmehr ei537
COM(2014) 15 final, S. 16. COM(2014) 15 final, S. 16. 539 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG, ABl. EU Nr. L 140/16 vom 05. Juni 2009; vgl. hierzu Kahl, Alte und neue Kompetenzprobleme im EG-Umweltrecht – Die geplante Richtlinie zur Förderung Erneuerbarer Energien, NVwZ 2009, S. 265 (265 ff.). 540 In Bezug auf die OMK von einem „Paradigmenwechsel“ sprechend Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (105). 541 Vgl. die verbindlichen nationalen Gesamtziele für den Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Endenergieverbrauch im Zieljahr 2020 in Anhang I der Richtlinie 2009/28/EG (Fn. 539), S. 46. 542 Hierzu Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Auflage 2017, § 6 Rn. 2. 543 Council Of The European Union, Presidency Conclusions, 29./30. 10. 2009, 15265/09 CONCL 3, S. 3, II. 7.: „The European Council calls upon all Parties to embrace the 2°C objective and to agree to global emission reductions of at least 50%, and aggregate developed country emission reductions of at least 80 – 95%, as part of such global emission reductions, by 2050 compared to 1990 levels; such objectives should provide both the as538
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
nen anderen, ganz im Sinne von Governance liegenden Ansatz favorisiert, bietet Vor- und Nachteile zugleich. Der Vorteil eines derartigen weichen, konsensualen Governance-Ansatzes liegt darin, dass die Union mittels ihrer Leitlinien auch auf Felder der Energiepolitik einzuwirken vermag, die eigentlich vom nationalen Souveränitätsvorbehalt umfasst wären. So würde die Kommission – wie gesehen – in ihren Leitlinien auch vorgeben, dass die Mitgliedstaaten in ihren Plänen politische Maßnahmen beschreiben, die sich auf den nationalen Energiemix auswirken, etwa durch die Installation neuer Kernenergiekapazitäten. Damit nähme sie auf einen Bereich der Rechtsetzung Einfluss, der gem. Art. 194 Abs. 2 UA 1 AEUV an sich der Kompetenz der Mitgliedstaaten unterfällt oder gem. Art. 192 Abs. 2 lit. c AEUV zumindest dem Einstimmigkeitserfordernis unterliegt.544 Da die Leitlinien-Vorgaben jedoch unverbindlicher Natur wären und die Mitgliedstaaten die letztlichen Details hinsichtlich der Struktur der Energieversorgung festlegten, stößt diese mögliche Ausweitung des Gestaltungsspielraums seitens des Unionsgesetzgebers auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Etwaige Probleme in Bezug auf den Souveränitätsvorbehalt würden umgangen. Durch Vorlage der einzelnen nationalen Pläne zur Senkung der Treibhausgasemissionen gegenüber der Kommission könnten zudem europaweit sukzessive „Standards“ definiert werden, die über die Idee der „best-practice-rules“, also das gegenseitige „Voneinander-Lernen“, einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber Vorbildwirkung entfalten könnten.545 Der Weg, über die Schutzverstärkungs-546 bzw. Schutzergänzungspiration and the yardstick to establish mid-term goals, subject to regular scientific review. It supports an EU objective, in the context of necessary reductions according to the IPCC by developed countries as a group, to reduce emissions by 80 – 95% by 2050 compared to 1990 levels.“ 544 Zur – im Einzelfall schwierigen – Abgrenzung der Energiekompetenz gem. Art. 194 AEUV von der Umweltkompetenz nach Art. 192 AEUV vgl. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 192 AEUV, Rn. 90 ff.; vgl. Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (97 f.), der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die gem. Art. 192 Abs. 2 lit. c AEUV erforderliche Einstimmigkeit in der gegenwärtigen Lage nur schwerlich erreicht werden dürfte; die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten in Fragen der Kernkraft betonend Germelmann, Die Energieunion – Eine neue Perspektive für die europäische Energiepolitik?, EuR 2016, S. 3 (8). 545 Zu dieser Idee Kerwer, Von der nationalstaatlichen Regulierung zur transnationalen Standardisierung, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess – Koordinationsformen im Wandel, 2009, S. 343 (343 f.). 546 So wohl die zumindest in Deutschland vorherrschende Bezeichnung, vgl. Calliess, Das EU-Umweltrecht im politischen Dilemma zwischen Einheit und Vielfalt, EurUP 2007, S. 54 (67 m. Fn. 134).
I. Governance und Rechtsetzung im Energiebereich
131
klausel547 (Art. 193 AEUV) im Einzelfall national verschärfte Umweltschutzmaßnahmen zu erlassen, ist dem einzelnen Mitgliedstaat bei auf Art. 192 AEUV gestützten EU-Maßnahmen ohnehin nicht versperrt.548 Als nachteilig sind die mit einem solchen, auf Kooperation und Freiwilligkeit setzenden Konzept verbundenen Risiken zu bewerten. Ohne die Vorgabe verbindlicher nationaler Ausbauziele für erneuerbare Energien (wie noch nach der Richtlinie 2009/28/EG) könnte der Anreiz, den Ausbau voranzutreiben, geringer sein und im Einzelfall anderen, etwa kollidierenden Wirtschaftsinteressen549, der Vorzug gegeben werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass sämtliche Pläne seitens der Mitgliedstaaten der Kommission vorzulegen sind. Ist diese von deren Inhalt nicht überzeugt, hat sie das Recht, mit den betreffenden Staaten in einen tiefergehenden iterativen Nachverhandlungsprozess einzutreten. Sollte auch dieser kein den Vorstellungen der Kommission entsprechendes Ergebnis bringen, könnte ein klassisch-hoheitliches Vorgehen im Sinne einer Verankerung der Governance-Struktur in einem Rechtsakt folgen.550 Der sog. „Schatten der Hierarchie“551 dürfte den Mitgliedstaaten also bei der Ausarbeitung ihrer Pläne stetig präsent sein, von einem gänzlich auf Kooperation und Freiwilligkeit beruhenden Ansatz kann damit auch im Rahmen der angedachten „Europäischen Governance für den Politikrahmen bis 2030“552 nicht gesprochen werden.553 Unabhängig davon, ob diese von der Kommission angedachte Methode der Konzeption einer europäischen Regulierung im Bereich der erneuerbaren Energien letztlich umgesetzt wird oder nicht554, ist der von ihr angedachte Gover547 Vgl.
Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 41 ff. verstärkten Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 193 AEUV, Rn. 2 ff.; vgl. auch Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (108). 549 Zum Verhältnis zwischen Umwelt- und Wirtschaftsinteressen vgl. Stein/Thoms, Zum Einfluss der Umwelt- und Energiepolitik auf das Wirtschafts- und Steuerrecht, BB 2009, S. 1451 (1451 ff.). 550 COM(2014) 15 final, S. 16. 551 Vgl. Börzel, Der Schatten der Hierarchie, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 118 (123 ff.). 552 COM(2014) 15 final, S. 14. 553 Diesbezüglich von einer gesteuerten Methode der Koordinierung sprechend Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative Integration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (96, 105 ff.). 554 Zu verschiedenen Grundkonzeptionen für eine europäische Erneuerbare Energien-Regulierung vgl. Rodi, Optionen für eine Fortschreibung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie – Angleichung mit Instrumentenwettbewerb, Harmonisierung, negative In548 Zu
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
nance-Ansatz jedenfalls ein weiterer Beleg für das europäische Bestreben, die klassisch-hierarchische Steuerung im Bereich der (Energie-)Rechtsetzung immer häufiger zu verlassen und zu kooperativen Steuerungsmodi überzugehen.
II. Governance im Bereich der Rechtsetzung und Demokratie Neben den soeben geschilderten Kommissionsbestrebungen zur Installation weicher, konsensualer Governance-Ansätze im Energiebereich, über die auf Kompetenzfelder Einfluss genommen werden könnte, die vom nationalen Souveränitätsvorbehalt umfasst sind, wenn auch nur mittels unverbindlicher Leitlinienvorgaben, fällt im vorangegangenen Kapitel vor allem eines auf: Die enge Verflechtung zwischen staatlichen und privaten Akteuren im Bereich der Recht setzung. Wie herausgearbeitet, gibt es bereits seit geraumer Zeit ein zunehmendes Bestreben der originär zur Gesetzgebung berufenen Akteure, Rechtsetzung in enger Abstimmung mit Privaten, insbesondere der Privatwirtschaft, vorzunehmen. Aus den unterschiedlichsten Motiven heraus wird die Nähe zu ihnen bewusst gesucht, sei es um deren Wissen im Gesetzgebungsprozess abzurufen, sei es um die Wahrscheinlichkeit etwaiger Gerichtsprozesse im Zusammenhang mit den geplanten Gesetzesvorhaben zu vermeiden. Die gesetzgeberischen Kehrtwenden im nationalen Atomenergiebereich555 sind hierfür ein guter Beleg. Beinahe scheint es, als scheute der Gesetzgeber die Konfrontation mit den wirtschaftsstarken Normadressaten und als traute er sich nicht mehr zu, Gesetzgebung in das Gemeinwesen stark beeinflussenden Bereichen im hierfür vorgesehenen Parlamentsbetrieb zu erarbeiten. Auch wenn in den aufgezeigten Beispielen der Atomenergiegesetzgebung und der Kraft-Wärme-Kopplung in formal-rechtlicher Hinsicht nichts zu beanstanden war, da das Parlament als zuständiges Entscheidungsorgan die Gesetzesnovellen stets ordnungsgemäß beschloss und auch gegen Aspekte der Normvermeidung wegen des Abschlusses freiwilliger Selbstverpflichtungen seitens der Energiewirtschaft zunächst nichts einzuwenden ist, schließlich obliegt es dem Gesetzgeber, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative556 zu entscheiden, wann er hoheitlich regulierend eingreifen will, so ist die aufgezeigte Entwicklung in demokratietheoretischer Hinsicht dennoch nicht unbedenklich. Die Theorie, wonach das Parlament das zentrale Entscheidungsorgan ist, in dem alle wichtigen politischen Entscheidungen zusammenlaufen tegration oder gesteuerte Methode der Koordination, in: Müller/Kahl (Hrsg.), Erneuerbare Energien in Europa, 2015, S. 95 (100 ff.); zur Wahrscheinlichkeit der Umsetzung vgl. auch ders./Behm, Die Energieunion – rechtliche und politische Gehalte einer neuen europäischen Spezialunion, ZEUS 2016, S. 177 (insb. 183). 555 Vgl. Kapitel 3, I., 1. 556 Zu Einschätzungsprärogativen etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 197 ff.
II. Governance im Bereich der Rechtsetzung und Demokratie
133
und gesteuert werden und in dem die politische Willensbildung in ihrer Finalität stattfindet, ist in der Realität – zumindest teilweise – nicht mehr stimmig.557 Wegweisende politische Entscheidungen im Energiebereich werden auf außerhalb der staatlichen Legitimationskette stehende Gremien und Kommissionen verlagert, in der Regel unter Einbindung Privater in den Willensbildungsprozess. Der originär zur Entscheidung berufene Gesetzgeber wird in seinem materiellen Gestaltungsspielraum eingeengt558 – wobei er diese Entwicklung selbst angestoßen und forciert hat. Wohin diese Einengung und Abhängigkeit von privaten Akteuren führen kann, hat ein Blick in europäische Rechtsetzungsprozesse verdeutlicht. Es konnten Bereiche eruiert werden, in denen man offensichtlich mittlerweile davon ausgeht, aufgrund des Privaten eigenen Wissens keine andere Wahl mehr zu haben, als wesentliche energierechtliche Regulierungsfragen den betroffenen Akteuren selbst zu überlassen oder sie zumindest im Einvernehmen mit den Privaten zu erarbeiten. Nun stellt die Betroffenenpartizipation, wie bereits im ersten Teil der Arbeit herausgearbeitet559, einen durchaus wesentlichen Legitimationsbaustein dar, der für die demokratische Legitimierung von Rechtsetzung herangezogen werden kann. Jedoch sind im vorliegenden Zusammenhang insbesondere drei Aspekte zu beachten: Erstens: Die Einbindung Betroffener zu Legitimationszwecken gründet sich zu einem wesentlichen Teil darauf, dass hierdurch ein Bezugspunkt der Offenheit und Transparenz im Rahmen der Entscheidungsfindung verankert wird.560 Das Aushandeln von Kompromissen zwischen Wirtschaft und Staat in – polemisch formuliert – „politischen Hinterzimmern“ und die nachfolgende de facto-Degradierung des Parlaments zu einem „Abnickautomaten“, wie im Rahmen der Atom energiegesetzgebung561, oder die Überantwortung exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse562 auf einen Zusammenschluss privater Netzbetreiber, deren Ergebnis die Kommission – trotz formal bestehender „Veto-Position“ – in der Regel schon 557
Hierzu auch Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 58 (2010), S. 137 (138). „Entparlamentarisierung“ ausmachend Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 58 (2010), S. 137 (138). 559 Vgl. insbesondere § 2, II., 2., d). 560 Vgl. S. 87 ff. 561 Vgl. § 3, I., 1. sowie den Wortbeitrag des Abgeordneten Dr. Christian Ruck (CDU/ CSU-Fraktion), Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 14. Wahlperiode, 190. Sitzung vom 27. September 2001, Plenarprotokoll 14/190, S. 18585 (D), der der Bundesregierung im Rahmen der Beschlussfassungen zur Atomgesetznovelle vorwarf, die Abgeordneten „zu reinen Abnickautomaten“ degradiert zu haben. 562 Zur Übertragung abstrakt-genereller Normsetzung auf mitgliedstaatliche Behörden durch die sog. Netzneutralitätsverordnung [Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015, ABl. L 310 vom 26. 11. 2015, S. 1 ff.] Klement, Netzneutralität: der Europäische Verwaltungsverbund als Legislative, EuR 2017, S. 532 (532 ff.), zu Kritik daran am Maßstab des Demokratiegebots ebd., S. 556 ff. 558 Eine
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
aufgrund der Komplexität der Materie „abzusegnen“ pflegt563, lassen unter Transparenzgesichtspunkten jedoch eher einen Rückschritt annehmen. Zweitens: Gerade bei Anerkennung der Betroffenenpartizipation als ein Baustein zur demokratischen Legitimierung von Rechtsetzung ist sicherzustellen, dass auch wirklich alle „Betroffenen“ die Möglichkeit zur Mitwirkung haben. Die dargelegte, lange Zeit bestehende Nichtberücksichtigung von Stromkonsumenten im Rahmen der Aushandlung von Verbändevereinbarungen im Energiebereich stieß vor diesem Hintergrund zu Recht auf Kritik.564 Drittens: Auch bei Anerkennung der Betroffenenpartizipation als Baustein zur Legitimierung von Rechtsetzung gilt es zu beachten, dass der parlamentarische Repräsentationsmechanismus nicht ausgehebelt werden darf.565 Die Stärkung der gebündelten Interessenwahrnehmung birgt schließlich stets die Gefahr, einer Ausblendung oder zumindest einer verzerrten Darstellung des Gemeinwohls.566 In den Rechtsetzungsprozess eingebundene Energieversorgungsunternehmen bewerten das erzielte gesetzgeberische Resultat nach anderen Maßstäben als nicht am Gewinnmaximierungsprinzip orientierte staatliche Organe. Folglich zeichnen sich die Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung häufig durch ein Missverhältnis zwischen staatlicher Gemeinwohlsicherung und Einbindung privatwirtschaftlicher Akteure zur Wissensgenerierung aus. Es hat den Anschein, dass die Schwächen der Betroffenenpartizipation seitens der Gesetzgeber teils ausgeblendet und zu eindimensional betrachtet werden, um den Gesetzgebungsprozess zu erleichtern. Im Sinne einer demokratischen Governance gilt es hier entgegenzusteuern567 und Gesetzgebungsprozesse zur Sicherung des Gemeinwohls wieder stärker in staatliche Strukturen zu überführen.
III. Ergebnis Resümierend lässt sich festhalten, dass sich Governance-Strukturen wie ein roter Faden durch die energiepolitische Rechtsetzung ziehen. Aus den unterschiedlichsten Bestrebungen heraus versuchten und versuchen originär für die Gesetzgebung zuständige staatliche Stellen, private Akteure mit in den Regelsetzungsprozess einzubinden und Alternativen zum klassisch-hoheitlichen Gesetzgebungsverfahren zu finden. Zahlreiche Beispiele aus dem nationalen und euro563
Vgl. diesbezüglich § 3., I., 4. Vgl. die Ausführungen in § 3, I., 4. 565 So auch Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (118). 566 Von der Gefahr eines „gesellschaftlichen overstrech“ sprechend Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (118). 567 Für eine stetige Reflexion und gegenenfalls Nachsteuerung eintretend Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (118 f.). 564
III. Ergebnis
135
päischen Energierecht belegen, dass sich der Staat im Bereich der Normsetzung gezielt der für den kooperativen Staat typischen Verbundproduktion zuwendet und – unter Abkehr von hierarchischer Regelsetzung – in der Konsensbildung mit nicht-staatlichen Akteuren häufig das Mittel zur Regulierung des Energiemarktes erblickt. Zuweilen setzt der Prozess der kooperativen Normerzeugung dabei in einem frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses an, wie gerade die Rechtsetzung im Bereich der Kernenergienutzung (Stichwort: Atomausstieg) verdeutlicht. Von vornherein konsensorientiert und als paktierte Gesetzgebung geplant, um Entschädigungsansprüche seitens der Energieversorgungsunternehmen zu vermeiden, kam es zu umfangreichen Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den späteren Normadressaten, die am 14. Juni 2000 in eine „Vereinbarung zum Atomausstieg“ mündeten. Diese Übereinkunft wurde sodann als Grundlage zur Novellierung des Atomgesetzes herangezogen. Der 1:1-Nachvollzug mit privaten Akteuren erzielter Ergebnisse stellt die Frage nach der verbleibenden Rolle der eigentlichen Gesetzgebungsorgane neu. Das im Jahre 2010 geschlossene „Tauschgeschäft“ zwischen Bundesregierung und Energiewirtschaft der Gewährung von Laufzeitverlängerungen gegen die Generierung von Staatseinnahmen durch die neu erfundene sog. „Brennelementesteuer“ stellt einen weiteren Aspekt der Governance-orientierten Rechtsetzung dar. Diese gesetzgeberische Linie setzt sich bis in die jüngste Vergangenheit fort, wie der Gesetzgebungsprozess im Zuge des Wiederausstiegs aus der Atomenergie nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima am 11. März 2011 verdeutlicht. Der für das Gesetzgebungsverfahren entscheidende Willensbildungsprozess wurde wiederum auf ein informelles Gremium, die sog. Ethik-Kommission, vorverlagert, dessen Vorschläge für die erneute Novellierung des Atomgesetzes anschließend vom Gesetzgeber übernommen wurden. Dass sich dieser am Governance-Konzept orientierte Weg der Rechtsetzung nicht auf den Bereich der Atomenergie beschränkt, zeigte ein Blick auf die Entstehung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Als ein erster Gesetzgebungsversuch über klassisch-hierarchische Steuerungsbemühungen scheiterte, kam es auch in diesem Themenfeld zu einer Verbundproduktion von staatlichen und privaten Akteuren. In Verhandlungen ließ sich die Bundesregierung darauf ein, die dargelegten umweltpolitischen Erfolge an eine normersetzende Selbstverpflichtung der Wirtschaft zu knüpfen. Weitere Beispiele für derartige Selbstverpflichtungserklärungen zu Normvermeidungszwecken liefert auch das Europäische Energierecht. Während Versuche der EU, im Klimaschutzrecht klassisch-hoheitlich gesetztes Recht mit privatwirtschaftlicher Selbstregulierung in ein Ergänzungsverhältnis zu bringen, noch scheiterten, wie ein Hinweis auf die nicht eingehaltenen Versprechen der europäischen Automobilindustrie zur Reduktion des CO₂-Ausstoßes belegte, haben seit Verabschiedung der EG-Stromrichtlinie von 1996 und
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2. Teil, § 3 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung
der mit ihr einhergehenden europäischen Privatisierungs- und Liberalisierungsbemühungen immer wieder Aspekte von Governance Eingang in das Energieregulierungsrecht gefunden und sind dort auch aktuell auszumachen. Mit dem Ersten Binnenmarktpaket eröffnete die EU im Jahre 1996 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Regelung von Durchleitungsfragen vollständig der Ausgestaltung privater Akteure zu überlassen und auf eine hoheitliche Regulierung in klassisch-demokratisch verfassten Strukturen zu verzichten. Die Verbändevereinbarungen, mit denen sich die betroffenen Normadressaten selbst regulierten, bestimmten insbesondere die Organisation des Netzzugangs und der Netznutzungsentgelte und markierten damit eine „Hochphase“ der privaten Rechtsetzung im Europäischen Energieregulierungsrecht. Der Staat gab seine Erfüllungsverantwortung in bisher nicht gekanntem Umfang auf und überantwortete das Ergebnis eines gerechten Netzzugangs privaten Akteuren, eine staatliche Kontrolle fand lediglich über eine nachträgliche Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden statt. Aufgrund von Fehlentwicklungen wurde diese Governance-Struktur durch das Zweite Binnenmarktpaket von 2003 (auch als „Beschleunigungspaket“ bekannt) und das Dritte Binnenmarktpaket von 2009 zwar aufgebrochen, jedoch wandte sich der europäische Gesetzgeber auch hiermit letztlich nur vordergründig einem wieder stärker hoheitlich regulierenden Ansatz zu. So sehen die Art. 4 und 5 der EU-StromVO den Zusammenschluss der Übertragungsnetzbetreiber in einem Europäischen Verbund (ENTSO) vor und überantworten diesem Zwangszusammenschluss privater Akteure weiterhin die Entwicklung der Netzkodizes, die im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Netzbetrieb insbesondere Fragen des Netzanschlusses und -zugangs regeln. Zwar müssen diese Kodizes von der Kommission angenommen werden, doch zeichnen sich geteilte Entscheidungsspielräume und ein formalisierter Regelerzeugungsprozess zwischen privaten und staatlichen Akteuren ab, bei dem ENTSO eine weitreichende Ausgestaltungsfreiheit zukommt. „Der Staat“ hat sich weitgehend auf seine Auffangverantwortung zurückgezogen, die im Grunde lediglich im Fall des vollständigen Marktversagens aktualisiert wird. Die Aufgabe der hoheitlichen Rechtsetzung setzt sich in den Plänen der Kommission zunehmend fort. Trotz weitreichender Kompetenzen zur Gestaltung des Energiemarktes zeigt die Kommission im Rahmen der Debatte zum europäischen Klima- und Energierahmen 2030 Methoden auf, die starke Parallelen zu der bereits aus anderen Politikfeldern bekannten „Offenen Methode der Koordinierung“ aufweisen und als Abkehr vom klassisch-hierarchischen Steuerungsmodell zu verstehen sind. Getragen vom Gedanken, den Mitgliedstaaten größtmögliche Flexibilität zur Umsetzung einer nachhaltigen Energiestrategie zu gewähren, brachte sie den Vorschlag ein, auf rechtlich verbindliche Vorgaben (wie noch nach der Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2009) zu verzichten. Zwar behielte sich
III. Ergebnis
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die Kommission auch in dem Fall vor, bei einem Versagen des dreistufigen, kooperativen Ansatzes die Governance-Struktur in einem Rechtsakt zu verankern, jedoch soll diese Aktivierung ihrer staatlichen Auffangverantwortung nur ultima ratio sein. Primär würde auf Kooperation, Freiwilligkeit, Aspekte des Voneinander-Lernens und Verhandlungen „auf Augenhöhe“ mit den Mitgliedstaaten gesetzt. Insbesondere die enge Verflechtung zwischen staatlichen und privaten Akteuren im Bereich der Rechtsetzung wirft dabei zum Teil Probleme in demokratietheoretischer Hinsicht auf. So ist das zunehmende Bestreben originär zur Gesetzgebung berufener Akteure, Rechtsetzung in gemeinwohlrelevanten Bereichen nur noch in enger Abstimmung mit Privaten, insbesondere der Privatwirtschaft, vorzunehmen, nicht unbedenklich. Denn in dem Moment, in dem wegweisende politische Entscheidungen auf außerhalb der staatlichen Legitimationskette stehende, ausdifferenziert zusammengesetzte Gremien und Kommissionen verlagert werden, wird der verfassungsgemäß zur Entscheidung berufene und demokratisch legimitierte Gesetzgeber in seinem materiellen Gestaltungsspielraum de facto eingeengt. Zwar kann die Einbindung Betroffener einen Baustein zur Legitimierung von Rechtsetzung darstellen, jedoch gilt es dabei mehrere Aspekte zu beachten: Die Betroffenenpartizipation gründet sich zu einem wesentlichen Teil darauf, dass hierdurch ein Bezugspunkt der Offenheit und Transparenz im Rahmen der Entscheidungsfindung verankert wird, was – wie gesehen – im Bereich der Energiepolitik aber häufig gerade nicht der Fall ist. Die politische Auswahl der „Betroffenen“ geschieht im Energiebereich häufig sehr einseitig und zulasten der nicht strategisch aufgestellten (End-)Verbraucher. Die Einbindung „Betroffener“ in den Rechtsetzungsprozess darf ferner nicht dazu führen, dass der parlamentarische Repäsentationsmechanismus seines „Gemeinwohlwahrungsauftrags“ beraubt wird. Im Sinne einer demokratischen Governance gilt es hier teilweise gegenzusteuern und Gesetzgebungsprozesse wieder verstärkt in staatliche Strukturen zu überführen.
§ 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive 2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
Für das Feld der Regelsetzung ließen sich sowohl auf der nationalen wie auch auf der unionalen Ebene Governance-Strukturen ausmachen. Vielfach wurden zur Rechtsetzung regelrechte Verhandlungssysteme568 mit nicht-staatlichen Akteuren etabliert, von einem hierarchisch organisierten, hoheitlichen Regel-Setzen in klassischen Legitimationsstrukturen lässt sich in Teilen nicht mehr sprechen. Die Governance-Perspektive rückt vielmehr Strukturen selbstregulativer Regelsetzung in den Fokus, durch welche das einstige Monopol klassisch-hierarchischer, staatlich-hoheitlicher Rechtsetzung569 aufgebrochen wurde.570 Die Politikformulierung ist vielfach nur durch eine gesamthafte Betrachtung der Entscheidungsprozesse zu begreifen.571 Diese gewandelte Form der Gestaltung 568 Von „multipolaren Verhandlungssystemen“ sprechend Benz, Policy-making and accountability in EU multilevel governance, in: ders./Papadopoulos (Hrsg.), Governance and Democracy, 2006, S. 99 (101); vgl. auch bereits ders., Compounded Representation in EU Multi-Level-Governance, in: Kohler-Koch (Hrsg.), Linking EU and National Governance, 2003, S. 82 (82). 569 Vgl. zum staatlichen Souveränitätsdogma Hofmann, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, Der Staat 44 (2005), S. 171 (171 ff.), zu Schwierigkeiten der Aufrechterhaltung dessen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Europäisierung ebd., S. 185 f.; zur Frage, ob nur ein staatlicher Souverän als Garant des Rechts in Frage kommt Ladwig, Das Recht der Souveränität und seine Grenzen, in: Stein/Buchstein/Offe (Hrsg.), Souveränität, Recht, Moral, 2007, S. 280 (280 ff.); ebenfalls über die Geltungsquellen des Rechts nachdenkend Stein, Zur Rechtsbegründung bei Hobbes und Rousseau im Kontext des Verhältnisses von Politik und Religion, in: ebd., S. 36 (36 ff.); zur Überholung des klassischen Souveränitätsverständnisses Schuppert, Souveränität – Überholter Begriff, wandlungsfähiges Konzept oder „born 1576, but still going strong“?, in: ebd., S. 251 (251 ff.); zu den strukturellen Herausforderungen, die eine supranationale Einbindung der Nationalstaaten mit sich bringt, Vasilache, Globalisierung, in: Voigt (Hrsg.), Staatsdenken – Zum Stand der Staatstheorie heute, 2016, S. 465 (465 ff., insb. 468 ff.); zum daraus folgenden Souveränitätsverlust des Staates und ihrem eventuellen Übergang auf supranationale Organisationen Grimm, Souveränitätsverlust?, in: ebd., S. 472 (472 ff., 478); jüngst zur Staatensouveränität als Rechtsprinzip Rauber, Strukturwandel als Prinzipienwandel, 2018, S. 286 ff. 570 Von einer „Mobilisierung selbstregulativer Regelsetzung“ durch Governance sprechend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur“ in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (642). 571 Vgl. in diesem Zusammenhang Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (59), der jedoch – im Gegensatz zu den vorstehenden Erwägungen in dieser Untersuchung – von einer nicht mehr möglichen akteurszentrierten Betrachtung des Verhandlungssystems ausgeht.
I. Exekutive Governance-Strukturen
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von Energiepolitik auf Ebene der Rechtsetzung setzt sich auf der administrativen Ebene fort. Auf der Verwaltungsebene etabliert sich als Governance-Struktur zum einen die Verflechtung im Rahmen eines europäischen Energienetzwerkes572, in dem europäische und nationale Stellen zur gemeinsamen Aufgabenerledigung zusammenwirken und gegenseitig voneinander abhängig sind, so dass sich bereits von einer institutionellen Verknüpfung sprechen lässt. Zum anderen ist eine neue – und durch aktuelle Bestrebungen zur Bildung einer sog. europäischen „Energie union“573 anscheinend als ausbaufähig erachtete – Tendenz im Energierecht zu beobachten: Für den Einzelnen durchaus gewichtige Entscheidungen werden von Behörden getroffen, die zunehmend unabhängig gestellt werden und die damit aus dem originären, staatlichen Steuerungs- und Legitimationszusammenhang partiell herausfallen.574 Auch in diesem Zusammenhang scheint seitens der Europäischen Union der Governance-Gedanke Pate zu stehen.
I. Exekutive Governance-Strukturen Bei der heute erreichten Integrationsstufe folgt der behördliche Vollzug des unionalen Energierechts kaum mehr dem klassischen Unterscheidungsansatz 572 Zum Netzwerkgedanken im Energierecht vgl. Herzmann, Konsultationen als Instrument der Regulierung des Energiesektors, in: Boysen/Bührung/Franzius/Herbst u. a. (Hrsg.), Netzwerke, 2007, S. 172 (172 ff.); dies andeutend auch Ruffert, Was ist Democratic Governance, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 55 (59 f.), der von einer „institutionellen Verknüpfung durch transnationale Behördennetzwerke“ spricht; zu den Netzwerken europäischer Energieregulierungsbehörden auch Schwind, Netzwerke im Europäischen Verwaltungsrecht, 2017, S. 257 ff.; zum Netzwerkgedanken im Rahmen von Governance vgl. Wald/Jansen, Netzwerke, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 93 (93 ff.). 573 Zu den diesbezüglichen Vorschlägen der Union vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank, Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie (Paket zur Energieunion), COM(2015) 80 final v. 25. 2. 2015; zu Bestrebungen zur Errichtung einer Energieunion vgl. Germelmann, Die Energieunion – Eine neue Perspektive für die europäische Energiepolitik?, EuR 2016, S. 3 (3 ff.); Rodi/Behm, Die Energieunion – rechtliche und politische Gehalte einer neuen europäischen Spezialunion, ZEuS 2016, S. 177 (177 ff.); Kafsack, „Energieunion“ und der „Weg nach Paris“ – zentrale Projekte der Juncker-Kommission, ET 1 – 2/2015, S. 45 (45 ff.); aus einem eher kritischen Blickwinkel ders., Die Energieunion wird zugeschnitten, ET 3/2015, S. 7 (7 ff.); ausführlich Andoura/Vinois, Von der Europäischen Energiegemeinschaft zur Energieunion – ein kurz- und langfristiger Politikvorschlag, 2015. 574 Vgl. für die Lage im Telekommunikationsrecht Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640).
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zwischen übergeordnet-zentraler, das heißt europäischer Rechtsetzung und nachgeordneter, nationaler Umsetzung und Vollziehung des Rechts. Auch wenn der Grundsatz des mitgliedstaatlichen (dezentralen) Vollzugs seit jeher zum Kern der europäischen Strukturen gehörte575 und dieser nunmehr in Art. 197, 291 Abs. 1 AEUV festgeschrieben ist, so zeigt ein Blick auf die Verwaltungsrealität im energierechtlichen Vollzug ein anderes Bild. Vorherrschend sind nämlich eher Kooperations- und Mischformen; die nationale und europäische Ebene sind miteinander verschränkt, wiederum unter Einbindung auch privater Akteure.576 Wie bereits aufgezeigt577, kommt es schon zu Verschränkungen und Auflösungen klassischhierarchischer Steuerungsmuster im Bereich der – exekutiven – Rechtsetzung, wenn die Kommission, ACER und ENTSO unter Beteiligung der privaten Marktteilnehmer bei der Entwicklung von Netzkodizes zusammenarbeiten und im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Netzbetrieb Fragen der Netzsicherheit und -zuverlässigkeit, der Interoperabilität sowie der Kapazitätsvergabe und des Engpassmanagements, insbesondere aber des Netzanschlusses und -zugangs, in einer Governance-Struktur gemeinsam regeln. Diese Governance-Struktur liefert bereits einen Hinweis auf die Verflechtung der behördlichen Strukturen im Europäischen Energierecht. Netzwerke nationaler Behörden, europäischer Stellen, sei es der Kommission selbst, sei es spezieller Unionsenergieagenturen, ebenso wie die stetige Zunahme von Akteuren auf europäischer Ebene578 sind Beleg nicht nur einer integrierten Europäischen Verwaltung579, sondern – durch das Hinzutreten 575 Vgl. die Erklärung 43 zur Schlussakte des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Erklärung zum Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit), S. 140: „Die Hohen Vertragsparteien bekräftigen zum einen die der Schlussakte zum Vertrag über die Europäische Union beigefügte Erklärung zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zum anderen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Essen, wonach die administrative Durchführung des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bleibt. (…)“ 576 Vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 1 ff. 577 Vgl. Kapitel 3., I., 4. Es kommt mithin auch zu einer Verknüpfung der Bereiche Rechtsetzung und Exekutive. 578 Vgl. insoweit das letztlich leergelaufene, von der Kommission ausgerufene Moratorium in Bezug auf die stetig wachsende Zahl von Agenturen, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 11. März 2008: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM (2008) 135 endg.; zum europäischen Agenturwesen vgl. auch Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 159 ff. 579 So zum europäischen Regulierungsverbund Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 1, der – in Anlehnung an die Begrifflichkeiten des „Staatenverbundes“ (wohl erstmals BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 – 2 BvR
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verschiedener Kooperations- und Verflechtungsformen – auch einer horizontal ausgerichteten Governance-Struktur im Bereich der Exekutive. Schließlich lässt sich in dem so ausgestalteten Regulierungsverbund580 die Regulierung und das Wirken der einzelnen Akteure immer weniger über das Modell der Steuerungstheorie nachvollziehen, weil ein zentrales, hierarchisch agierendes Steuerungssubjekt, das auf die anderen Steuerungsobjekte einwirkt, immer schwieriger auszumachen ist und – dem Grundgedanken der europäischen Regulierung, nämlich der Gewährung größtmöglicher Flexibilität581, folgend – augenscheinlich auch gar nicht mehr auszumachen sein soll.582 Vorgänge von energiepolitischer Bedeutung werden aus dem althergebrachten Steuerungs- und Legitimationszusammenhang herausgelöst, stattdessen kommt es zu einer Verknüpfung der Akteure in vielfach horizontaler und nicht mehr vertikaler Hinsicht.583 Konkret zeigt sich die exekutive Governance-Struktur darin, dass die EU beim Versuch der Erreichung größtmöglicher Flexibilität in der Politikgestaltung (auch zugunsten der einzelnen Mitgliedstaaten) und dem parallelen Bestreben, hierbei 2134/92, 2 BvR 2159/92 –, BVerfGE 89, 155, 8. Leitsatz) und des „Verfassungsverbundes“ (zur EU als Staaten- und Verfassungsverbund Calliess, in: ders./Ruffert [Hrsg.], EUV/ AEUV, 5. Auflage 2016, EU-Vertrag (Lissabon) Art. 1 Rn. 41 ff.) – von einem „Verwaltungsverbund“ spricht; hierzu auch Britz, Vom Europäischen Verwaltungsverbund zum Regulierungsverbund?, EUR 2006, S. 46 (46 ff., insb. 58 ff.); Kahl, Der Europäische Verwaltungsverbund, Der Staat 50 (2011), S. 353 (362 f., 377 ff.); jüngst zum Netzwerkgedanken im Europäischen Verwaltungsverbund Simantrias, Netzwerke im europäischen Verwaltungsverbund, 2016, S. 19 ff. 580 Zum Regulierungsverbund und diesen für den Telekommunikationsbereich untersuchend Ladeur/Möllers, Der europäische Regulierungsverbund der Telekommunikation im deutschen Verwaltungsrecht, DVBl. 2005, S. 525 (525 ff., insb. 526 ff.); zum Regulierungsverbund im Telekommunikationssektor auch Britz, Vom Europäischen Verwaltungsverbund zum Regulierungsverbund?, EUR 2006, S. 46 (53 ff.); Schwind, Netzwerke im Europäischen Verwaltungsrecht, 2017, S. 242 ff.; grundlegend für dieses Feld Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation – ein neues Modell europäisierter Verwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 565 (565 ff.). 581 Vgl. COM(2014) 15 final (Fn. 452), S. 5. 582 In diesem Zusammenhang von Horizontalisierung als Governance ausgehend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/ Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (636). 583 Von einer „Neuverkoppelung in ebenentranszendierender Hinsicht“ sprechend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/ Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (638); dies am Beispiel des europäischen Migrationsrechts festmachend Bast, Transnationale Verwaltung des Europäischen Migrationsraumes, Der Staat 46 (2007), S. 1 (1): „transnationale Regelungsstruktur“; allgemein zu horizontalen Verbundstrukturen Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes, in: FS Jürgen Meyer, 2006, S. 359 (359 ff.); von Arnauld, Zum Status quo des europäischen Verwaltungsrechts, in: Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2011, § 2 Rn. 8 ff., 11 ff.
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stetig neue Wege zu erproben584, energiepolitisch relevante Vorgänge zunehmend der europäischen Ebene überantwortet wissen will, wo sie sodann von einer Vielzahl, zum Teil rechtlich unabhängig gestellter Akteure, verarbeitet werden. Damit einhergehend kommt den Mitgliedstaaten immer weniger das Recht zu, die Unionsvorgaben eigenständig und nationalem Verwaltungs- und Verfahrensrecht entsprechend zu vollziehen. Kooperationsgeflechte, die nur noch wenig in klassische Steuerungsvorgänge eingebettet sind und reduzierte staatliche Einwirkungsmöglichkeiten bieten, sind die Folge.585 1. Anfänge Der heute gefestigte Energieverbund586 zwischen nationalen und Unionsregulierern ging aus informalen Kooperationsstrukturen hervor – Strukturen, die auch heute noch existieren und abseits des „hard law“ ein relativ loses Diskussionsforum zur Lösung energierechtlicher Problemlagen bieten.587 So wurden zur Ermöglichung einer grenzüberschreitenden Kooperation der jeweils national zuständigen Regulierungsbehörden auf Initiative der Kommission durch die ersten Binnenmarktrichtlinien in den Jahren 1998 und 1999 die sog. Florenz- und Madrid-Regulierungsforen588 ins Leben gerufen.589 Diese heute in der Regel alle zwei Jahre zusammenkommenden Plattformen sollen zur Etablierung eines integrierten europäischen Binnenmarktes beitragen, indem sie in die584 Das Bestreben der EU, stetig neue Lösungsansätze zu entwickeln, zeigt sich bereits an den drei unterschiedlichen Ausgestaltungen, die der Energiemarkt durch die Binnenmarktrichtlinien 1996/1998, das Beschleunigungspaket vom Sommer 2003 und schließlich das Dritte Binnenmarktpaket vom Sommer 2009 erfahren hat, siehe bereits § 1, III. 585 Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (638) spricht davon, dass der Verbund die dualistische Vorstellung getrennter Ebenen „zugunsten einer Ausbalancierung von Dezentralisierung und Zentralisierung in der Vielfalt des Politischen unter der Idee des Rechts“ relativiert. 586 Zum Stand der Integration des Energieverbundes nach dem Dritten Binnenmarktpaket im Jahre 2009 vgl. Gundel, Die Regulierung der europäischen Energiemärkte – Perspektiven nach dem Dritten Binnenmarktpaket, WiVerw 2010, S. 127 (127 ff.); zur Rechtslage vor dem Dritten Binnenmarktpaket Schneider, Stand und Perspektiven der Energiemarktregulierung, in: Lüdemann (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 100 (100 ff.). 587 Zu seitens der EU ins Leben gerufenen Koordinationsforen Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 4 ff. 588 Das Europäische Forum für Elektrizitätsregulierung in Florenz (1998) und das Europäische Forum für Erdgasregulierung in Madrid (1999). 589 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Vollendung des Energiebinnenmarktes, KOM(2001) 125 endg. v. 13. 3. 2001, S. 12.
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sem Zusammenhang auftretende Probleme ausmachen, bewerten und anschließend als Lösungsvorschläge deklarierte Empfehlungen aussprechen sowie „Good Practice Guidelines“ entwickeln.590 Sie setzen sich zusammen aus Vertretern der nationalen Regulierungsbehörden, der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission sowie – von privater Seite – aus Vertretern der Übertragungsnetzbetreiber, der Elektrizitäts- und Erdgasversorgungsunternehmen und -händler, der Verbraucher sowie der Strom- und Erdgasbörsen.591 Die Kommission war sich bei Einrichtung der Foren durchaus bewusst, dass es dabei auch galt, Fragen zu diskutieren und Lösungen für Bereiche zu entwickeln, die eigentlich – dem Subsidiaritätsprinzip folgend – der Zuständigkeit der nationalen Regulierungsbehörden überantwortet waren. In diesem Zusammenhang war es ihr jedoch wichtig zu betonen, dass die „nationalen Mechanismen“ einer „Gesamtkoordinierung und -überwachung“ der europäischen Ebene unterliegen, „um zu gewährleisten, dass die potenziell unterschiedlichen Ansätze der Mitgliedstaaten nicht zu einer unangemessenen Verzerrung des Elektrizitätsbinnenmarktes führen.“592
Die Foren schienen vor diesem Hintergrund ein gangbarer Weg für einen Kompromiss zwischen Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und Sicherung einer ausreichenden europäischen Einflussnahme und gegenseitiger Abstimmung. Das Besondere an den Foren ist, neben der Tatsache, dass auch private Akteure zu den Treffen eingeladen werden und somit direkten Zugang zu staatlichen Regulierungsakteuren erhalten593, der Umstand, dass es sich hierbei um rein informelle Gremien ohne jegliche Rechtsgrundlage und (formelle) Regulierungskompetenzen handelt. Auch haben die Foren keine konsistente Struktur, vergleichbar Ausschüssen oder eingerichteten Arbeitsgruppen.594 Es war vielmehr wiederum gerade die Flexibilität dieser Foren, die die Kommission zu ihrer Gründung veranlasste. Dabei spielte erneut eine Rolle, dass man meinte, der Komplexität der Regulierungsaufgaben nur sinnvoll begegnen zu können, wenn man private Akteure und deren Wissen einband und mit diesen zusammen neue, unkonventionelle Wege ging.595 590 Vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 5. 591 KOM(2001) 125 endg., S. 12. 592 KOM(2001) 125 endg., S. 13. 593 Zu Bedeutsamkeit der Forenarbeit für das spätere Tätigwerden der Union vgl. Herrmann, Europäische Vorgaben zur Regulierung der Energienetze, 2005, S. 317. 594 Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 5. 595 Vgl. KOM(2001) 125 endg. (Fn. 522), S. 12: „Die vorstehenden Themen sind technischer Art, von der Sache her komplex und unterliegen einem raschen Wandel, und die Foren sind ein flexibles Instrument, das geeignet ist, um Fortschritte zu erzielen.“
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Wie soll jedoch ein Gremium, das weder auf einer Rechtsgrundlage fußt, noch Kompetenzen oder gar eine beständige Struktur besitzt, in klassische Steuerungsund Legitimationszusammenhänge eingebunden werden? Dies ist schwer möglich und war bei Schaffung der Foren, ganz im Sinne der Idee von Governance, augenscheinlich auch nicht beabsichtigt. Es handelt sich vielmehr um einen Akteur, der nur sehr lose in staatliche und europäische Steuerungszusammenhänge eingegliedert ist, der aber gleichzeitig den europäischen Regulierungsprozess durch seine Arbeit sehr beeinflussen kann.596 Der staatliche Steuerungsanspruch wurde hier somit zugunsten von Governance vernachlässigt. Im März 2000 wurde auf Betreiben nationaler Energieregulierungsbehörden der Council of European Energy Regulators (CEER) errichtet. Hierbei handelt es sich um eine nach belgischem Recht gegründete Vereinigung der nationalen Energieregulierer Europas.597 Auch CEER wurde als loses Kooperationsforum ins Leben gerufen. Bei seiner Gründung hatten sich die nationalen Behörden598 zum Ziel gesetzt, die Kooperation untereinander auszubauen und die Zusammenarbeit der nationalen Stellen mit den europäischen Organen zu verbessern.599 So findet in diesem Rahmen eine (freiwillige) Koordination der einzelnen nationalen Regulierungsbehörden in Bezug auf jeweils aktuelle Fragen von Bedeutung für die Energieversorgung in Europa statt, mittlerweile ist auch die neue EU-Agentur ACER in diesen Prozess eingebunden.600 Entscheidend ist, dass CEER zum Meinungs- und Informationsaustausch auf mitgliedstaatliche Initiative hin und ohne europarechtliche Veranlassung geschaffen wurde, um einer eventuell uneinheitlichen Handhabung der nationalen Regulierungspraxis zuvorzukommen. Es geht mithin um das gleiche Bestreben, das die Kommission 596 Zur Relevanz der Forenarbeit auch für die Rechtsetzungstätigkeit der EU Herrmann, Europäische Vorgaben zur Regulierung der Energienetze, 2005, S. 317. 597 Eine Beschränkung auf EU-Staaten geht damit nicht einher. Vgl. hierzu Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 6. 598 Inzwischen repräsentiert CEER 33 Mitglieder: die Energieregulierungsbehörden der 28 EU-Mitgliedstaaten plus Island, Norwegen, die Schweiz, Montenegro und die Republik Mazedonien; zur Einbindung der Drittstaaten Gundel, Regulierung und Internationalisierung, in: Schmidt-Preuß/Körber (Hrsg.), Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 312 (321 f.). 599 Vgl. Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 253 f. 600 Zur Einrichtung von CEER vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 6; Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 3. Auflage 2013, S. 253 f.; Herzmann, Zur Kooperation der Energieregulierungsbehörden in Europa, ZNER 2005, S. 216 (216 ff.); Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 8 f.; zu dessen Anfängen auch Lecheler/ders., Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energie-Binnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom und Gas, EuZW 2003, S. 621 (627).
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schon bei Initiierung des Forenprozesses verfolgte. Die Kooperation mitgliedstaatlicher Behörden zur Erreichung eines integrierten EU-Energiemarktes steht im Vordergrund. Die „non-profit“-Organisation CEER ist wiederrum allenfalls lose in staatliche und europäische Steuerungszusammenhänge eingebunden, dennoch können durch die gegenseitige Kooperation und den Informationsaustausch Auswirkungen auf das Vorgehen der insbesondere mitgliedstaatlichen, aber auch unionalen Organe die Folge sein. Da die Gründung auf mitgliedstaatliche Initiative hin geschah, waren die für den Vollzug zuständigen Mitgliedstaaten im Interesse der gegenseitigen Kooperation bereit, ihre Steuerungshoheit insoweit zurückzunehmen. Letztlich inspiriert von der Idee der mitgliedstaatlichen Regulierungsbehörden zur freiwilligen Organisation im Rahmen von CEER und angelehnt601 an den Verbund der nationalen Behörden im Telekommunikationsbereich (European Regulators Group for Electronic Communications Networks and Services, ERG) hat die Kommission im Jahre 2003 den Entschluss gefasst, eine europäische Plattform für die nationalen Regulierer nunmehr auch formal verbindlich vorzugeben. In Rahmen des Verfahrens zum Erlass der (Strom-)Richtlinie 2003/54/EG602 hatte die Kommission bereits mitgeteilt: „dass sie beabsichtigt, eine europäische Gruppe der Regulierungsbehörden für Elektrizität und Gas einzurichten, die einen geeigneten Beratungsmechanismus zur Stärkung der Zusammenarbeit und der Koordinierung der nationalen Regulierungsbehörden darstellen würde, um die Entwicklung des Binnenmarkts für Elektrizität und Gas zu fördern und in allen Mitgliedstaaten zu einer konsistenten Anwendung der Bestimmungen beizutragen (…).“603
Die Erwägungen der Kommission im Rahmen des Richtlinienerlasses sind dabei insofern beachtlich, als sie das Bestreben dokumentieren, eine den nationalen Behörden übertragene Zuständigkeit auf Unionsebene zu spiegeln. Zum Zwecke der Kooperation und des Ziels, eine einheitliche Regulierungspraxis in den Mitgliedstaaten zu fördern, wird dabei auch – zumindest indirekt – Druck auf die Unabhängigkeit604 der nationalen Regulierer ausgeübt.
601 Vgl. Herzmann, Zur Kooperation der Energieregulierungsbehörden in Europa, ZNER 2005, S. 216 (218), der darauf hinweist, dass die jeweiligen Einsetzungsbeschlüsse nahezu gleichlautende Formulierungen aufweisen. 602 Vgl. Fn. 118. 603 Vgl. den 16. Erwägungsgrund im Rahmen des Erlasses der (Strom-)Richtlinie 2003/54/EG (FN 118), ABl. EU Nr. L 176 v. 15. 7. 2003, S. 38. Dieser Erwägungsgrund entspricht dem 14. Erwägungsgrund im Rahmen des Erlasses der (Gas-)Richtlinie 2003/55/ EG (Fn. 119), ABl. EU Nr. L 176 v. 15. 7. 2003, S. 58. 604 Zur Unabhängigkeit der nationalen Regulierer siehe unten, § 4, I., 2., b).
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Durch einen auf zumindest zweifelhafter Rechtsgrundlage605 basierenden Beschluss hat die Kommission ihrer Ankündigung entsprechend sodann im Jahre 2003 die Europäische Gruppe der Regulierungsbehörden für Elektrizität und Gas (European Regulators‘ Group for Electricity and Gas, ERGEG) errichtet606, welche sich aus den Leitern der nationalen Regulierungsbehörden und der Kommission zusammensetzte.607 Die national zuständigen Regulierungsbehörden sollten zum einen untereinander eine stärkere Abstimmung erfahren, zum anderen auch mit der Kommission. Letztere wollte in die nationale Umsetzung der Richtlinien608 im Interesse einer kohärenten, einheitlichen Anwendung des EU-Rechts von vornherein stärker eingebunden werden.609 Wie sich noch zeigen wird, hat sich eben dieses Streben der Kommission nach frühzeitiger Einbindung und Kooperation bis heute weiter verstärkt, was durch eine noch intensivere Verflechtung der Akteure aller Ebenen und durch die stetige Gründung neuer Institutionen verdeutlicht wird. Damit zeichnen sich immer stärker Governance-Strukturen ab: Auf die Einrichtung neuer, unabhängig gestellter, aber nationaler Behörden folgt die europarechtlich vorgegebene Institutionalisierung ihrer Kooperation und Abstimmung.610 ERGEG, später abgelöst durch die neue EU-Energieagentur ACER, verdeutlicht dies exemplarisch: Bis zur Schaffung von ACER nahm sie eine leitende Rolle im Energiesektor ein. Die nationalen Regulierungsbehörden erarbeiteten hier – unverbindliche – Guidelines, die auf ihre praktische Arbeit 605 Vgl. zu diesbezüglichen Zweifeln Arndt, Vollzugssteuerung im Regulierungsverbund, Die Verwaltung 39 (2006), S. 100 (114), der zunächst feststellt, dass keine sekundärrechtliche Rechtsgrundlage für die Einrichtung von ERGEG durch die Kommission besteht, dann aber – unter Verweis auf den Grundsatz der „impliziten Kompetenz“ im engeren Sinne – auf die an bestehende Entscheidungsbefugnisse der Kommission anknüpfende Organisationshoheit abstellt und hierin eine ausreichende Rechtsgrundlage für den ERGEG-Beschluss der Kommission erblickt. Vgl. auch Herrmann, Europäische Vorgaben zur Regulierung der Energienetze, 2005, S. 315 f., der den Beschluss der Kommission als „internen Organisationsakt“ einstuft. 606 Beschluss der Kommission vom 11. 11. 2003 zur Einsetzung der Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Erdgas, ABl. EU Nr. L 296 v. 14. 11. 2003, S. 34. 607 Zu ERGEG vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 7; auch Herzmann, Zur Kooperation der Energieregulierungsbehörden in Europa, ZNER 2005, S. 216 (217). 608 Zur Umsetzungskompetenz der Mitgliedstaaten vgl. Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 192 AEUV, Rn. 54 ff. 609 Zu den Motiven der Kommission vgl. auch Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 7. 610 Einen Vergleich zum Kartellrecht ziehend Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 7.
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einen großen Einfluss hatten.611 Zwar rechtlich unverbindlich, aber in ihrer praktischen Bedeutung nicht zu unterschätzen war die Rolle des Netzwerks als Beratungs- und Unterstützungsinstanz für die Kommission insbesondere im Bereich der Vorbereitung von Umsetzungs-, aber auch Rechtsetzungsmaßnahmen.612 Bis zu seiner Ablösung durch ACER war ERGEG ein entscheidender Akteur im Bereich der europäischen Energiepolitik, wenngleich einer, der sich aufgrund der Informalität seiner Maßnahmen wiederum nur lose in klassische Steuerungszusammenhänge einbinden ließ. Dass die Absetzung von ERGEG derart informales Wirken im Bereich der europäischen Energiepolitik nicht beendete zeigt schon der Beschluss der Kommission vom 15. 11. 2012 zur Einsetzung der Koordinierungsgruppe „Strom“613, die bis heute existiert.614 Mit Institutionalisierung dieser „Expertengruppen“615 sollte wiederum ein informelles Forum im Elektrizitätsbereich geschaffen werden, mit dessen Hilfe die Zusammenarbeit und die Koordinierung zwischen den
611 Hierzu, wie zur einst führenden Rolle von EREG im Energiesektor Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 7 f.; auch Herzmann, Zur Kooperation der Energieregulierungsbehörden in Europa, ZNER 2005, S. 216 (217 f.). 612 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa den 18. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 06. 2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, ABl. EU Nr. L 176 v. 15. 07. 2003, S. 2, in der die Kommission im Zusammenhang mit der Tarifierung und Kapazitätsausweisung im Strombereich ausführte: „Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sollten Verfahren vorgesehen werden, nach denen die Kommission Entscheidungen und Leitlinien unter anderem für die Tarifierung und Kapazitätszuweisung erlassen kann und die gleichzeitig die Beteiligung der Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten an diesem Prozess – gegebenenfalls durch ihren europäischen Verband – gewährleisten. Den Regulierungsbehörden kommt, zusammen mit anderen einschlägigen Behörden der Mitgliedstaaten, im Hinblick auf ihren Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarktes eine wichtige Rolle zu.“ Vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 8, der auch für den Bereich des Engpassmanagements im Gasbereich auf die Einbindung der „sachdienlichen Hinweise“ von ERGEG abstellt. 613 Beschluss der Kommission vom 15. 11. 2012 zur Einsetzung der Koordinierungsgruppe „Strom“, ABl. EU Nr. C 353 v. 17. 11. 2012, S. 2. 614 Zur Koordinierungsgruppe Strom Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 73; Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 9. 615 Vgl. Erwägungsgrund 10 des Einsetzungsbeschlusses der Kommission (Fn. 613), ABl. EU Nr. C 353 v. 17. 11. 2012, S. 3.
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Mitgliedstaaten und der Kommission zur Erreichung eines integrierten Energiebinnenmarktes weiter vorangetrieben wird.616 Beachtlich ist die Zusammensetzung dieser Gruppe: Neben den Behörden der Mitgliedstaaten (insbesondere den für Energie zuständigen Ministerien), den nationalen Energieregulierungsbehörden und der (neuen) Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden ACER sind über den Europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO) wiederrum private Akteure auf dieser Plattform vertreten.617 Dem Aufgabenbereich der Koordinierungsgruppe entsprechend618 werden sie in den Austausch von Informationen und die Koordinierung von politischen Maßnahmen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen einbezogen. Erneut war es das Fachwissen der privaten Netzbetreiber in den komplexen Regulierungsfragen, das für ihre Berufung maßgeblich war619; schließlich zählt der Austausch von Erfahrungen und besten Praktiken, sprich Fachwissen, zum Gründungszweck der Plattform.620 Die Akteure der verschiedenen Ebenen werden auch in diesem Rahmen lose miteinander vernetzt, privaten Akteuren kommt die Aufgabe der Unterstützung der Kommission bei der Konzipierung politischer Initiativen zu. 2. Zunehmende Verdichtung der Governance-Strukturen a) Horizontalisierung Auch das Dritte Binnenmarktpaket621 der EU (2009), durch das die mit dem Beschleunigungspaket622 von 2003 begonnene, vertiefte Integration des europäischen Energiebinnenmarktes fortgesetzt wird, regelt die verbundartigen Governance-Strukturen zwischen nationalen Behörden untereinander sowie im Zusammenspiel mit europäischen Akteuren nicht explizit. Beide Energiepakete 616 Vgl. Erwägungsgrund 11 des Einsetzungsbeschlusses der Kommission (Fn. 613), ABl. EU Nr. C 353 v. 17. 11. 2012, S. 3. 617 Vgl. Art. 4 des Einsetzungsbeschlusses (Fn. 613). 618 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a des Einsetzungsbeschlusses (Fn. 613). 619 Vgl. Erwägungsgrund 9 des Einsetzungsbeschlusses der Kommission (Fn. 613), ABl. EU Nr. C 353 v. 17. 11. 2012, S. 2: „Diese [bisherigen] Sitzungen hochrangiger Vertreter haben sich für die Kommission und alle beteiligten Akteure als sehr nützlich erwiesen. Sie lieferten wertvolle Einblicke in Angelegenheiten, die den Elektrizitätsbinnenmarkt und die Versorgungssicherheit betreffen, und ermöglichten eine Diskussion über verschiedene Möglichkeiten zur Lösung bestehender Problem. (…)“ 620 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a des Einsetzungsbeschlusses der Kommission (Fn. 613). 621 Dazu Gundel/Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (763 ff.). 622 Hierzu Lecheler/Gundel, Ein weiterer Schritt zur Vollendung des Energie-Binnenmarktes: Die Beschleunigungs-Rechtsakte für den Binnenmarkt für Strom und Gas, EuZW 2003, S. 621 (621 ff.).
I. Exekutive Governance-Strukturen
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verdeutlichen jedoch das zunehmende Bestreben der Union, die transnationale Kooperation aller Regulierer weiter – und in unterschiedlichen Formen – voranzutreiben.623 Während durch die Stromrichtlinie von 1996 den Mitgliedstaaten noch weitgehende Ausgestaltungs- und Vollzugsbefugnisse überlassen wurden, erkannte der europäische Gesetzgeber im weiteren Verlauf die zunehmenden Fehlentwicklungen, die eine solche Regelungsstruktur mit sich brachte. Insbesondere das Versagen der Mitgliedstaaten bei der diskriminierungsfreien Netzöffnung und die Bevorzugung ‚nationaler Champions‘ in diesem Zusammenhang ließen die Überlegung reifen, man brauche eine stärkere Europäisierung. Diese europäische, institutionelle Vernetzung der einzelnen Regulierungsakteure sollte dabei jedoch nicht durch eine Vertikalisierung im Sinne einer ausschließlichen Hierarchisierung zugunsten eines europäischen Akteurs, allen voran der Europäischen Kommission, erfolgen. Vielmehr stellte man die Horizontalisierung, sprich die am Kooperationsgedanken ausgerichtete Vernetzung beider Ebenen und ihrer Akteure, (weiterhin) in den Vordergrund.624 So ist das Dritte Binnenmarktpaket entscheidend auf das Ziel zugeschnitten, die mitgliedstaatlichen Regulierungsbehörden mit der europäischen Ebene zu vernetzen, die im Folgenden auch nicht mehr ausschließlich aus der Kommission625, sondern zusätzlich auch aus einer neuen Energieagentur626 besteht. Die stärkere Strukturierung der Kooperation der nationalen Behörden untereinander sowie mit Kommission und Agentur führte das Europäische Energierecht auf eine neue Stufe.627 Dies geht zwar einerseits mit einer – häufig indirekten – Verringerung der Gestaltungsspielräume für die nationalen Regulierer einher628, andererseits sorgt die verstärkte Unabhängigstel623 Die Notwendigkeit der transnationalen Zusammenarbeit betonend Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 10 f., der darauf hinweist, auch der Verbundbegriff bleibe in den europäischen Rechtsakten weitgehend unerwähnt. 624 Zur Horizontalisierung im Sinne einer Vernetzung der Akteure am Beispiel des Telekommunikationsrechts Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (638 f.). 625 Ausführlich zur Rolle der Kommission im Verbund nach Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und –verordnungen, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 2 ff. 626 Zur Energieagentur ACER Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und –verordnungen, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 35 f. 627 Vgl. zum Ziel des Dritten Binnenmarktpaketes Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 10. 628 Vgl. Schneider, Stand und Perspektiven der Energiemarktregulierung, in: Lüdemann (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Bahn, 2008, S. 100 (115).
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
lung insbesondere auch der nationalen Regulierungsbehörden und deren gleichzeitige Einbindung in europäische Gruppen, an denen auch die Kommission beteiligt ist, die von Beginn an mit allen Akteuren zusammenarbeitet, dafür, dass die Kommission auf die Ausübung von Veto-Rechten629 im Sinne einer klassisch hierarchischen Aufsicht häufig verzichten kann.630 Die Verringerung nationaler Spielräume geht deshalb nicht zwingend mit einer hierarchisch organisierten, europäischen Zentrumsbildung einher. Die zunehmende Europäisierung des Energierechts erfolgt vielmehr unter Aufgabe klassischer Steuerungsmuster und Projektionsflächen für die Ausübung staatlicher Macht. Sie lässt sich nur noch schwierig staatlichen und europäischen Steuerungszusammenhängen originärer Prägung zuordnen. Eben dies kennzeichnet den Lösungsansatz, den die exekutiven Governance-Strukturen im Unionsenergiebereich verfolgen. b) Unabhängige nationale Regulierungsbehörden Schon durch das Energie-Beschleunigungspaket aus dem Jahre 2003 wurde den einzelnen Mitgliedstaaten die Schaffung nationaler Regulierungsbehörden vorgegeben und auch die rechtliche Fixierung ihrer Unabhängigkeit vorgesehen.631 Die Vorgabe jener Unabhängigkeit bezog sich indes vorwiegend auf eine Unabhängigkeit von den Interessen der Elektrizitäts- bzw. Erdgaswirtschaft632, in der Konsequenz633 lag hierin jedoch auch eine gewisse Unabhängigkeit von Regierung und Ministerialverwaltung begründet.634 Auch wenn schon damals die Absicht des Unionsgesetzgebers auszumachen war, von jeglichen externen Zwängen und Interessen befreites Expertenwissen zur Vollziehung des EU629 Allgemein zur Problematik des Verzichts auf solche Rechte Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit, 2005, S. 46, 49, 63. 630 Dies für das europäische Telekommunikationsrecht ausmachend und in diesem Kontext von einer „Europäisierung ohne Zentralisierung“ sprechend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (638). 631 Art. 23 Abs. 3 Stromrichtlinie 2003 (Fn. 118), Art. 25 Abs. 3 Gasrichtlinie 2003 (Fn. 119). 632 Vgl. Pirstner-Ebner, Regulierungsbehörden der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft – Neuerungen auf Gemeinschaftsebene, NVwZ 2004, S. 69 (70). 633 Aufgrund tatsächlich ausbleibender Weisungen wurde der Bundesnetzagentur auch schon unter der damaligen Rechtslage eine „faktischen Unabhängigkeit“ attestiert, vgl. Weißgärber, Die Legitimation unabhängiger europäischer und nationaler Agenturen, 2016, S. 361, 365. 634 Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 15; Britz, Erweiterung des Instrumentariums administrativer Normsetzung zur Realisierung gemeinschaftsrechtlicher Regulierungsaufträge, EuZW 2004, S. 462 (464); dies., Markt(er)öffnung durch Regulierung – Neue Regulierungsaufgaben nach den Beschleunigungsrichtlinien und der Stromhandelsverordnung, in: FS Zezschwitz, 2005, S. 374 (379).
I. Exekutive Governance-Strukturen
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Rechts zu institutionalisieren, um in der Folge sachlich neutrale (Regulierungs-) Entscheidungen zu erhalten635, worin sich erneut die Figur „Governance durch Wissen“636 widerspiegelt, gelang es Kommission und Europäischem Parlament dennoch nicht, ein gänzlich umfassendes Gebot der politischen Unabhängigkeit in den Richtlinien zu verankern.637 Im Zuge des Dritten Binnenmarktpaketes von 2009 wurde dieses nachgeholt. So wurde durch Art. 35 der Stromrichtlinie638 festgeschrieben, dass jeder Mitgliedstaat auf nationaler Ebene eine einzige639 nationale Regulierungsbehörde zu benennen (Abs. 1) und deren Unabhängigkeit zu garantieren hat; hierzu ist zu gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt (Abs. 4 Satz 1). Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die Regulierungsbehörde rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist (Abs. 4 Satz 2 lit. a) und dass ihr Personal und Management unabhängig von Marktinteressen handeln kann (Abs. 4 Satz 2 lit. b, UA 1) sowie bei Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt (Abs. 4 Satz 2 lit. b, UA 2).640 Getragen von dem Ziel, die Gemeinwohlsicherung im Bereich der Energiepolitik durch eine sachverständige, scheinbar verwissenschaftlichte641 Fachverwaltung zu erreichen, die marktrelevante Entscheidungen entpolitisiert642, wurde die 635 Zur Unabhängigkeit als (möglicher) Antwort auf Interessenkonflikte Masing, Die Regulierungsbehörde im Spannungsfeld von Unabhängigkeit und parlamentarischer Verantwortung, in: FS Reiner Schmidt, 2006, S. 521 (529); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 162; auch Röhl, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, JZ 2006, S. 831 (835, 837 f.); ferner Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation, in: FS Peter Selmer, 2004, S. 565 (579), der bezogen auf das Telekommunikationsrecht meint, dass erst partielle Unabhängigkeit „die Entkopplung von partikularistischen nationalen Einflussversuchen“ bewirke. 636 Vgl. oben, § 3, I., 4, Fn. 452. 637 Vgl. Pirstner-Ebner, Regulierungsbehörden der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft – Neuerungen auf Gemeinschaftsebene, NVwZ 2004, S. 69 (70); Britz, Erweiterung des Instrumentariums administrativer Normsetzung zur Realisierung gemeinschaftsrechtlicher Regulierungsaufträge, EuZW 2004, S. 462 (464, Fn. 16). 638 Richtlinie 2009/72/EG, vgl. Fn. 475. 639 Zur diesbezüglichen Kompetenzkonzentration Hofmann, Regulierung und Wettbewerb, 2013, S. 139. 640 Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 39 Abs. 4 der Gasrichtlinie 2009/73/EG (vgl. Fn. 475). 641 Zur dahinterstehenden Grundidee, die wiederum auf der Komplexität der administrativen Gestaltungsaufgabe fußt, vgl. Schorkopf, Regulierung nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, JZ 2008, S. 20 (24 f.). 642 Vgl. Gärditz, Europäisches Regulierungsverwaltungsrecht auf Abwegen, AöR 135 (2010), S. 251 (276).
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
Bundesnetzagentur aus der üblichen Einbindung in die hierarchischen Entscheidungswege herausgelöst.643 Das Anliegen der Union ist es somit, Regulierungsfragen in sensiblen Themenfeldern von jeglicher externer, auch nationalstaatlich-politischer Beeinflussung, freizustellen644 – ein Bestreben, dass die Union seit den negativen Erfahrungen gerade auch mit den in Deutschland verfolgten Verbändevereinbarungen im Rahmen des sog. verhandelten Netzzugangs (seinerzeit festgeschrieben in § 6 EnWG 1998) kontinuierlich verfolgt hat.645 Einher geht diese Reduktion des nationalstaatlichen Einflusses auf die Regulierungsagentur freilich mit der – begründeten – Hoffnung, hierdurch den unionsrechtlichen Einfluss zu stärken: Indem die mitgliedstaatliche, politische Einflussnahme ausgeschaltet wird, gleichzeitig aber eine umfangreiche Einbindung der Bundesnetzagentur in europäische Foren und Einrichtungen stattfindet, ist es aus Unionssicht erheblich leichter zu garantieren, dass Recht seitens der nationalen Regulierungsbehörden im Sinne der europäischen Bestrebungen vollzogen wird. So ist die Bundesnetzagentur für den Bereich der Elektrizitätsregulierung Mitglied des 1998 ins Leben gerufenen Florenz-Forums, für den Bereich der Gasregulierung Mitglied des 1999 ins Leben gerufenen Madrid-Forums, um dort unter anderem646 mit der Europäischen Kommission auch Fragen zu diskutieren und Lösungen zu entwickeln, die der (Vollzugs-)Zuständigkeit der nationalen Behörden unterfallen. Die von der Kommission dabei angestrebte „Gesamtkoordinierung und -überwachung“647 ermöglicht dieser – bedingt durch die Informalität der Foren – eine zumindest indirekte Einflussnahme auf den originär nach nationalem Recht vorzunehmenden Vollzug. Dass die nationalen Behörden zur Erleichterung der ihnen überantworteten komplexen Regulierungsaufgabe durchaus selbst bestrebt sind, die unionale 643 Zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 84 ff.; Masing, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, DJT-Gutachten 66 (2006), D 73 ff.; vgl. zu unabhängigen Agenturen in mitgliedstaatlichen Verwaltungen Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 162; speziell zur unionsrechtlich determinierten Unabhängigkeit nationaler Behörden Ruffert, Die neue Unabhängigkeit, in: FS Scheuing, 2011, S. 399 (407 ff.); zu einem Vergleich mit Independent (Regulatory) Agencies nach US-amerikanischem Recht Ludwigs, Die Bundesnetzagentur auf dem Weg zur Independent Agency?, Die Verwaltung 44 (2011), S. 41 (41 ff.); zu einem vergleichenden Blick auf die US-amerikanische Regulierung auch Schorkopf, Regulierung nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, JZ 2008, S. 20 (22 f.); allgemein zu den Aufgaben der Bundesnetzagentur Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Auflage 2015, Rn. 188 ff. 644 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 162. 645 Zum Modell des verhandelten Netzzugangs in Deutschland vgl. § 1, III., 2. 646 Zum Foren-Prozess, dessen Struktur und Zusammensetzung vgl. § 4., I., 1. 647 KOM(2001) 125 endg., S. 13.
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Ebene zur Abstimmung und gemeinsamen Problemlösung in ihren Entscheidungsprozess einzubinden, zeigt die auf eigene Veranlassung hin geschaffene Organisation CEER. Diese lose Kooperationsplattform der nationalen Energieregulierer Europas hat sich zum Ziel gesetzt, im Wirkungsbereich der mitgliedstaatlichen, unabhängigen Agenturen die Zusammenarbeit mit den europäischen Organen und Einrichtungen zu verbessern.648 In diesen Prozess der freiwilligen Koordination ist auch die neue Energieagentur ACER eingebunden, sodass im Rahmen des gegenseitigen Meinungs- und Informationsaustausches für die Unionsebene wiederrum die Option besteht, gleichsam an der nationalen Ausgestaltung der Bundesnetzagentur vorbei auf den mitgliedstaatlichen Vollzug einzuwirken. Selbiges, nur in verfassteren Strukturen, galt bezüglich der Einbindung der Bundesnetzagentur in die europäische Gruppe der Regulierungsbehörden für Elektrizität und Gas (ERGEG).649 Diese wurde errichtet, um im Interesse einer Steigerung der Kohärenz und Einheitlichkeit seitens der Union auf den mitgliedstaatlichen Rechtsvollzug Einfluss zu nehmen. Auch die von der Kommission erst im Jahre 2012 eingesetzte „Koordinierungsgruppe Strom“ dient der Institutionalisierung dieses Ziels.650 Die sich abzeichnende Governance-Struktur aus Unabhängigstellung der Bundesnetzagentur und damit einhergehender Herauslösung aus einem klassischen nationalen Steuerungszusammenhang sowie gleichzeitiger Einbindung in einen losen, am Kooperationsgedanken ausgerichteten europäischen Kontext651 mit dessen zahlreichen Akteuren verdeutlicht zunehmend die Relativierung der nationalen Vollzugsebene und die parallele Ausbildung einer neuartigen europäischen Regulierungskultur.652 Diese These wird noch unterstrichen, wenn man sich das durch das Dritte Binnenmarktpaket geschaffene Zusammenspiel insbesondere zwischen Bundesnetzagentur, ACER und Kommission ansieht.
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Zu CEER, dessen Ausgestaltung und Zielsetzung vgl. § 4., I., 1. Zu ERGEG, dessen Struktur und Zielsetzung vgl. § 4., I., 1. 650 Zur Koordinierungsgruppe Strom vgl. § 4., I., 1. 651 Allgemein zu Verbundcharakter und Kooperationsprinzip der EU Kahl, Kooperative Rechtsangleichung, in: FS Ulrich Spellenberg, 2010, S. 697 (702 f.). 652 Diese Kultur für das europäische Telekommunikationsrecht ausmachend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/ Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640). 649
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
c) Weitergehende Verflechtung zwischen nationalen Regulierungsbehörden, ACER und Kommission Ein Merkmal jedes durch Governance-Strukturen geprägten Verbundes ist die Verknüpfung ursprünglich unterschiedlicher Ebenen653 und ein Abstandnehmen des Dirigierens von zentraler Stelle aus.654 Auch wenn die (Aufsichts-)Rechte der Europäischen Kommission mit dem Energiebinnenmarktpaket von 2009 ausgebaut wurden655, sind die ebenenübergreifenden Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren doch weiterhin sehr am Kooperationsgedanken und einer Aufweichung des hierarchischen Anweisens orientiert. Die bereits erörterten kooperativen Verflechtungen zwischen nationalen Regulierungsbehörden, Regulierungsforen, CEER, der Koordinierungsgruppe Strom sowie dem (früheren) Wirken von ERGEG zeigten dies, gerade auch bei Einbeziehung des Zusammenschlusses privater Netzbetreiber im Verbund ENTSO, bereits. Insbesondere die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden untereinander sowie mit der Kommission und der neuen Energieagentur ACER wird mit dem Dritten Binnenmarktpaket nochmals verstärkt.656 Das Anliegen der noch intensiveren Verflechtung 653 Von einer „Relativierung der dualistischen Vorstellung getrennter Ebenen“ sprechend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (638); zur Ausdifferenzierung unterschiedlicher Vollzugs- und Kooperationsmodelle auf europäischer Ebene Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 122 ff. 654 Vgl. zum europäischen Verwaltungsverbund und dessen zentralen und dezentralen Vollzugsinstanzen Schmidt-Aßmann, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Rolle des Europäischen Verwaltungsrechts, in: ders./Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, S. 1 (22 f.); vgl. auch Simantrias, Netzwerke im europäischen Verwaltungsverbund, 2016, S. 19 ff., insb. S. 22 ff. 655 Zu den Aufgaben der Kommission nach Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/SchmidtPreuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 18 ff.; auch Ludwigs, Regulative Teilkompetenzen der EU-Kommission nach Binnenmarktrichtlinien und -verordnungen, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 31 Rn. 2 ff. 656 Zu den Neuerungen des Dritten Binnenmarktpaketes Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 32 ff.; Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 46 ff., zur intensiveren Verflechtung zwischen nationaler und EU-Ebene Rn. 55 ff.; ders., Die Regulierung der europäischen Energiemärkte – Perspektiven nach dem dritten Binnenmarktpaket, WiVerw 2010, S. 127 (127 ff.); ders./Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 (764 ff.); Theobald/ Gey-Kern, Das dritte Energiebinnenmarktpaket der EU und die Reform des deutschen Energiewirtschaftsrechts 2011, EuZW 2011, S. 896 (896 ff.); Schreiber, Die Änderungen des Gemeinschaftsrechtsrahmens für den Energiesektor im Überblick: Das dritte Legislativpaket, N&R 2009, S. 154 (154 ff.); Ludwigs, Das veränderte Machtgefüge der Institutio-
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wird in den einschlägigen Rechtsakten explizit herausgestellt. So schreibt Art. 36 lit. a der Stromrichtlinie 2009/72/EG vor, die Förderung eines wettbewerbsbestimmten, sicheren und ökologisch nachhaltigen Elektrizitätsbinnenmarktes in der Gemeinschaft in enger Zusammenarbeit der Agentur, der Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission zu erfüllen.657 Ganz im Sinne jenes verstärkten Kooperationsgedankens wurde schließlich die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) geschaffen.658 Diese Gemeinschaftseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 der AgenturVO) wurde eingerichtet, um einen formellen Rahmen für eine gegenseitige Kooperation der nationalen wie europäischen Ebene zu etablieren.659 Gem. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 der AgenturVO fördert sie die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regulierungsbehörden und zwischen den Regulierern auf europäischer Ebene. Sie ist in ihrer Arbeit dabei eher auf weiche Instrumente der Koordination angewiesen. So trägt sie dem Ergebnis der Zusammenarbeit überwiegend durch Ausarbeitung von Stellungnahmen, Empfehlungen und Beschlüssen Rechnung. Ist sie der Auffassung, dass verbindliche Regeln in ihrem Zuständigkeitsbereich erforderlich sind, so richtet sie entsprechende Empfehlungen an die Kommission (vgl. Art. 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der AgenturVO). Die drei Schwerpunkte des Aufgabenspektrums660 der Energieagentur sind gänzlich vom europäischen Governance-Denken geprägt: Indem sie erstens auf eine verstärkte Zusammenarbeit der nationalen Regulierer zielt und deren Tätig-
nen nach dem Dritten EU-Binnenmarktpaket, DVBl. 2011, S. 61 (61 ff.); zu Verbundstrukturen Haller, Der Verwaltungsverbund in der Energieregulierung, 2013, S. 55 ff. 657 Vgl. auch Art. 37 Abs. 1 lit. c sowie Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72/EG: „Die Regulierungsbehörden konsultieren einander, arbeiten eng zusammen und übermitteln einander und der Agentur sämtliche für die Erfüllung ihrer Aufgaben gemäß dieser Richtlinie erforderlichen Informationen.“ Zu parallelen Vorgaben den Gasbereich betreffend vgl. Art. 40 lit. a, 41 Abs. 1 lit. c, 42 Abs. 1 der Gasrichtlinie 2009/73. In Bezug auf den Netzzugang sind Art. 19 Satz 2 der StromVO 714/2009 („Soweit dies zur Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung angebracht ist, arbeiten die Regulierungsbehörden untereinander, mit der Kommission und mit der Agentur (…) zusammen.“) sowie – parallel hierzu – Art. 24 Satz 2 der GasnetzzugangsVO 715/2009 relevant. 658 Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (AgenturVO), ABl. Nr. L 211 vom 14. 08. 2009, S. 1 ff. 659 Ausführlich zu ACER Ludwigs, Das veränderte Machtgefüge der Institutionen nach dem Dritten EU-Binnenmarktpaket, DVBl. 2011, S. 61 (62); Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 25 ff.; Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 55. 660 Zum Aufgabenspektrum vgl. auch Weiß, Der europäische Verwaltungsverbund, 2010, S. 145 ff.
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
keit im Rahmen von ACER koordiniert661, kommt es zu einer starken Verflechtung der originär für die nationalen Regulierer zuständigen mitgliedstaatlichen Ebene mit der Unionsebene. Mit Zuschnitt des Tätigkeitsbereichs von ACER nimmt die Union – am nationalen Gesetzgeber vorbei – auf den Vollzug Einfluss, spiegelt ihn letztlich „durch die Hintertür“ auf die europäische Ebene und trägt so zur Ausbildung einer einheitlichen, europäischen Regulierungskultur in den einzelnen nationalen Behörden bei.662 Indem die Energieagentur zweitens als Unterstützerin und Beraterin der Kommission agiert663, wird die Verflechtung der einzelnen Akteure weiter vorangetrieben, die zu treffende Entscheidung ausdifferenziert und die Zuordnung zu einem entscheidenden Zentrum erschwert. Dadurch, dass die Agentur Entscheidungen der nationalen Regulierer auf ihre Vereinbarkeit mit seitens der Kommission an diese ausgegebene Leitlinien zu untersuchen hat (Art. 7 Abs. 4 der AgenturVO), werden exemplarisch wiederum die Verknüpfung der Entscheidungsspielräume und die Eingriffe in die originär den Mitgliedstaaten obliegenden Vollzugsentscheidungen verdeutlicht. Die Agentur selbst kann zwar nur („weiche“) Empfehlungen festlegen, um die Regulierungsbehörden und Marktteilnehmer beim Austausch bewährter Verfahren zu unterstützen (Art. 7 Abs. 2 der AgenturVO), indem sie der Kommission aber den Erlass verbindlicher Regeln für die Zusammenarbeit der Regulierer empfehlen kann (Art. 7 Abs. 3 AgenturVO)664, kommt – gleichsam im Zusammenspiel der Akteure – doch auch der ultimative Einsatz von „hard law“ in Betracht. Schließlich obliegt ACER – drittens – die Aufsicht über die (bereits thematisierten665) neuen europäischen Verbünde der Stromübertragungs- und Gasfernleitungsnetzbetreiber ENTSO (Art. 6 [insb. Abs. 2] der AgenturVO)666, womit die Einbindung 661 Ludwigs, Das veränderte Machtgefüge der Institutionen nach dem Dritten EU-Binnenmarktpaket, DVBl. 2011, S. 61 (62); Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 25. 662 Vgl. dazu am Beispiel des europäischen Telekommunikationsrechts Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640). 663 Ludwigs, Das veränderte Machtgefüge der Institutionen nach dem Dritten EU-Binnenmarktpaket, DVBl. 2011, S. 61 (62); Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 25. 664 Vgl. hierzu und zu den sehr begrenzten eigenen Regulierungskompetenzen der Agentur (vorwiegend Einzelfallentscheidungen technische Fragen betreffend) Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 25 f. 665 Zur Einbindung von ENTSO in den Prozess der exekutiven Rechtsetzung vgl. § 3, I., 4. 666 Ludwigs, Das veränderte Machtgefüge der Institutionen nach dem Dritten EU-Binnenmarktpaket, DVBl. 2011, S. 61 (62); Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im
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und damit Legitimierung dieses, mit privaten Akteuren besetzten Selbstregulierungsgremiums in den europäischen Akteursverbund erfolgt. Zu den beachtlichen wechselseitigen, im Zeichen von Governance stehenden Kooperationsbeziehungen zählt neben dem Zusammenwirken des Netzwerkes aus Kommission, ACER und ENTSO im Bereich der Organisation des grenz überschreitenden Netzbetriebes667 auch die Entscheidungsverflechtung zwischen nationalen Regulierungsbehörden, ACER und der Kommission im Rahmen der Zertifizierung der Übertragungsnetzbetreiber.668 Vergegenwärtigt man sich nochmals die bedeutende Rolle, die Übertragungsnetzbetreibern, insbesondere durch ihren Zusammenschluss im Verbund ENTSO, zukommt669, so zeigt sich die Relevanz, die mit einer solchen Zertifizierung einhergeht. Bevor ein Unternehmen als Übertragungsnetzbetreiber zugelassen und benannt wird, muss es gemäß eines in Art. 10 Abs. 4, 5 und 6 der Stromrichtlinie 2009/72/EG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Stromverordnung 714/2009 dargelegten Verfahrens zertifiziert werden (Art. 10 Abs. 1 Stromrichtlinie 2009/72/ EG). Für diese Zertifizierung ist grundsätzlich die Bundesnetzagentur zuständig (Art. 3 Abs. 2 Stromverordnung 714/2009). Vor dem Hintergrund des beachtlichen Einflusses, der einem solchen Unternehmen nach seiner Zertifizierung, insbesondere über ENTSO im Bereich der exekutiven Rechtsetzung, zukommt, wird damit erneut eine folgenschwere Entscheidung durch eine unabhängige Regulierungsbehörde getroffen, die aus dem staatlichen Steuerungs-, Legitimations- und Zurechnungszusammenhang partiell herausgenommen ist. Diese unionsrechtlich gewünschte Zurückdrängung (national)staatlicher Politik670 wird in der Folge nur unwesentlich dadurch eingefangen, dass die nationale Behörde sich mit der Kommission im Vorfeld abzustimmen und deren Stellungnahme einzuholen hat Energierecht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 27. 667 Zu den Governance-Strukturen im Bereich der (exekutiven) Rechtsetzung § 3, I., 4. 668 Allgemein zu Entscheidungsverflechtungen zwischen nationalen Regulierungsbehörden und Kommission vgl. Weiß, Der europäische Regulierungsverbund im Energie recht, in: Baur/Salje/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Auflage 2016, Kap. 32 Rn. 37 ff.; Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 55 ff. 669 Zur Rolle von ENTSO im Rahmen der Entwicklung sog. Netzkodizes vgl. § 3, I., 4. (insb. S. 119 ff.); zu ENTSO und Governance auch bereits § 2, II., 1., b), cc) (insb. S. 66 ff.). 670 Vgl. Masing, Die Regulierungsbehörde im Spannungsfeld von Unabhängigkeit und parlamentarischer Verantwortung, in: FS Reiner Schmidt, 2006, S. 521 (529), der in der europarechtlich gewollten Unabhängigstellung nationaler Regulierungsbehörden neben dem Wunsch nach Unparteilichkeit gegenüber Monopolisten auch eine angestrebte „Überwindung von Nationalinteressen“ erblickt; Röhl, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, JZ 2006, S. 831 (835): „hinreichende Distanz zu nationalen Administrationen“.
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
(vgl. Art. 3 Abs. 1 Stromverordnung 714/2009).671 Innerhalb von zwei Monaten nach Eingang einer Stellungnahme der Kommission trifft die nationale Regulierungsbehörde ihre endgültige Entscheidung bezüglich der Zertifizierung des Übertragungsnetzbetreibers, dabei hat sie die Stellungnahme der Kommission „so weit wie möglich“ zu berücksichtigen (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Stromverordnung 714/2009). Diese Berücksichtigungspflicht macht die Stellungnahme der Kommission nicht zu einem die nationale Behörde bindenden Beschluss.672 Als vorbereitende Unionshandlung im Rahmen eines Verfahrens, das zum Erlass einer nationalen Maßnahme durch die betreffende nationale Regulierungsbehörde führt,673 ist ihr gleichwohl eine rechtliche Bedeutung beizumessen674, die als indirekte Einflussnahme der EU-Organe auf eine originär den Mitgliedstaaten überantwortete Kompetenz mittels weicher Koordinierung gewertet werden kann. De facto handelt es sich bei der (formal unverbindlichen) Stellungnahme der Kommission jedoch um eine Vorprägung der Entscheidung zulasten des Entscheidungsspielraums der Bundesnetzagentur, von der diese nur in begründeten Ausnahmefällen abweichen wird.675 Formal entscheidet die nationale Regulierungsbehörde zwar weiterhin auf Basis der nationalen Bestimmungen, letztlich kann die europäische Ebene durch Mittel der weichen Koordinierung jedoch wieder am nationalen „hard law“ vorbei auf den mitgliedstaatlichen Vollzug
671 Zu einem Beispiel aus dem Telekommunikationsrecht Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640), der bezogen auf die Berücksichtigungspflicht der nationalen Behörde davon spricht, dass diese zugunsten der Kohärenz des europäischen Rechtsrahmens gesteigert sei. Allgemein zum Kohärenzprinzip in der EU vgl. auch Ohlendorf, Grundrechte als Maßstab des Steuerrechts in der Europäischen Union, 2015, S. 229, 270 ff. 672 Die Stellungnahme der Kommission ist somit auch kein angreifbarer Rechtsakt, vgl. Gundel, Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 57 (ebd., Fn. 8); vgl. insoweit auch die Rechtsprechung des EuG zu einer parallelen Regelung im Telekommunikationsrecht (Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2002/21/ EG), EuG, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – T-109/06, Slg. 2007, II-5151, Rn. 150: „Folglich ergibt sich weder aus dem Inhalt der angefochtenen Handlung noch aus dem rechtlichen Zusammenhang, in dem sie erlassen wurde, dass sie eine Handlung mit verbindlichen Rechtswirkungen darstellt.“ 673 Vgl. zur Parallelwertung bezogen auf das Telekommunikationsrecht EuG, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – T-109/06, Slg. 2007, II-5151, Rn. 97. 674 Zur rechtlichen Bedeutung von Stellungnahmen und Empfehlungen vgl. Schaller, Die Intensivierung des Europäischen Verwaltungsverbundes, in: FS Dieter H. Scheuing, 2011, S. 415 (424). 675 Etwa bei von europäischen Standards abweichenden nationalen Besonderheiten, vgl. Schaller, Die Intensivierung des Europäischen Verwaltungsverbundes, in: FS Dieter H. Scheuing, 2011, S. 415 (424 f.).
I. Exekutive Governance-Strukturen
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einwirken und zur Etablierung einer einheitlichen europäischen Vollzugskultur beitragen.676 d) Zwischenergebnis Zu den europäischen Governance-Strukturen im Bereich der behördlichen Verflechtungen im Energierecht lässt sich damit Folgendes konstatieren: Die Regulierung im Energiebereich ist nahezu durchgängig in einen europäischen Gesamtzusammenhang eingebettet. Auch dort, wo eine nationale behördliche Zuständigkeit besteht, erfolgen unionsrechtliche Durchgriffe auf die mitgliedstaatliche Vollzugsautonomie gleichsam „durch die Hintertür“. Die energierechtliche Regulierung kann vor diesem Hintergrund zunehmend weniger mit den Kategorien der klassischen Steuerungstheorie nachvollzogen werden.677 Diese, verstanden als normativer Zurechnungszusammenhang678, wird sowohl durch die Existenz unabhängig gestellter, aus dem Modell der hierarchisch organisierten Ministerialverwaltung herausfallender Behörden679, wie auch durch das kooperative Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen vor Herausforderungen gestellt. So lässt sich die Frage „wer steuert wen“ in Anbetracht der zahlreichen Verflechtungen der einzelnen Akteure im europäischen Energieregulierungsverbund zunehmend schwieriger beantworten, da Entscheidungen erst nach einer Vielzahl von Abstimmungs-, Vorstrukturierungs- und (häufig informalen) Konsultationsprozessen fallen. Die originär zur Entscheidung in Vollzugsfragen berufene Bundesnetzagentur gibt durch ihre Einbindung in den europäischen Zusammenhang ihre Steuerungshoheit in Teilen auf. Gleichzeitig greift die dadurch an Einfluss gewinnende Europäische Union zunehmend auf informale und „weiche“ Koordinierungsmechanismen zurück. Auf diese Weise wird von einem hierarchischen Steuern zugunsten eines am Kooperationsgedanken ausgerichteten, wechselseitigen aufeinander Einwirkens Abstand genommen. Um eine größtmögliche Flexibilität im europäischen Energierecht zu garantieren, erfolgt die Vernetzung der 676 Die derartige Ausbildung einer einheitlichen europäischen Regulierungskultur im Bereich des Telekommunikationsrecht kritisierend Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640). 677 Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (636). 678 Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/ Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (636, 643); Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 264; auch Trute/Kühlers/Pilniok, Governance als verwaltungsrechtswissenschaftliches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, S. 173 (173). 679 Von einer „von der Regierung abhängigen Verwaltung“ als Organisationsform sprechend Franzius, Die Bundesnetzagentur zwischen politischer Steuerung und gerichtlicher Kontrolle, DÖV 2013, S. 714 (714).
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
immer zahlreicheren Akteure in relativ losen Governance-Strukturen.680 Feste Steuerungsmuster sind trotz des Bedeutungszuwachses der Europäischen Kommission nach dem Dritten Energiebinnenmarktpaket von 2009 eher die Ausnahme. In unterschiedlichen Foren und Institutionen wird vielmehr versucht, alle Akteure „auf Augenhöhe“ zusammenzubringen, um möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden. Dies schließt die Existenz von Veto-Positionen und Auffangverantwortungen zugunsten der Kommission im Einzelfall nicht aus. Durch die frühzeitige Vernetzung aller Behörden und Organe, einschließlich privater Marktteilnehmer, besteht zwischen deren theoretischer Existenz und praktischer Aktualisierung aber zunehmend eine Diskrepanz.
II. Governance im Bereich der Exekutive und Demokratie Die erläuterten Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive bringen Herausforderungen für das klassische Demokratiekonzept der deutschen Staatsrechtswissenschaft mit sich. Das Letzterem immanente Denken der Verwaltung in Legitimationsketten681 gilt zwar gemeinhin als „gelungenes Lehrstück der Verbindung von rechtswissenschaftlicher Theorie und Dogmatik“682, bezogen auf die Strukturen im Europäischen Energierecht gerät es jedoch unter Druck. Die geschilderte Pluralisierung der Akteure, die zunehmende Einbindung der Verwaltung in einen europäischen Kontext, oft in nur losen und am Flexibilitätsgedanken orientierten Strukturen, und die Unabhängigstellung von Akteuren, allen voran der Bundesnetzagentur, die einer Herauslösung aus klassischen Steuerungsmustern einer hierarchisch organisierten Ministerialverwaltung683 680 Zum „Flexibilitäts-Kohärenz-Dilemma“ in der Europäischen Union Trute, Der europäische Regulierungsverbund in der Telekommunikation, in: FS Peter Selmer, 2004, S. 565 (567 ff.); auch Britz, Vom Europäischen Verwaltungsverbund zum Regulierungsverbund, EUR 2006, S. 46 (55 ff.); ihnen nachfolgend auch Franzius, Horizontalisierung als Governance-Struktur, in: Botzem/Hofmann/Quack/Schuppert/Straßheim (Hrsg.), Governance als Prozess, 2009, S. 635 (640 ff.). 681 Vgl. die vom BVerfG, Beschluss vom 15. 02. 1978 – 2 BvR 134/76, 2 BvR 268/76, BVerfGE 47, S. 253 (253) im Jahr 1978 in diesem Zusammenhang eingeforderte „ununterbrochene Legitimationskette“. Hierzu auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 20 Abs. 2 GG, Rn. 107 ff., zum grundgesetzlichen Erfordernis der Legitimationsvermittlung Rn. 117 ff. 682 So Petersen, Demokratie und Grundgesetz, JöR 58 (2010), S. 137 (138) über Lepsius während eines Vortrages zu „Inter- und Intradisziplinarität in der Rechtswissenschaft“ am 17. 12. 2007 in Bonn. 683 Das Ministerialsystem als „Zusammenfassung von Behörden zu Verwaltungshierarchien, an deren Spitze jeweils ein [demokratisch legitimierter] Minister steht“ beschreibend Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 91 (1966), S. 297 (297); zur Hierarchie als Bauprinzip der Exekutive Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 141 ff.
II. Governance im Bereich der Exekutive und Demokratie
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gleichkommt, machen reguläre demokratische Rückbindungen684 schwierig. Für Letztere ist insbesondere eine von der Regierung abhängige, mittels Gesetz und Weisung (Aufsicht, Hierarchie) gesteuerte Verwaltung die hergebrachte Organisationsform zum Nachweis eines demokratisch legitimierten Handelns der einzelnen Verwaltungsakteure.685 Wie bereits im ersten Teil der Untersuchung dargelegt, greift das alleinige Festhalten am bisherigen Legitimationsmodell jedoch zu kurz. Ganz im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich spätestens mit der Lissabon-Entscheidung686 in Richtung einer demokratischen Governance-Perspektive geöffnet hat687, sind zur Legitimation der „verflochtenen“ europäischen Energienetzwerkstrukturen neben Rückbindungen staatlicher Akteure und gesetzlicher Vorstrukturierungen auch neue Legitimationsmuster heranzuziehen. Gerade Elemente der assoziativen Demokratie, zu denen das Bundesverfassungsgericht den Dialog staatlicher und unionaler Akteure mit „repräsentativen“ Verbänden und der Zivilgesellschaft rechnet, können zur Ergänzung klassischer Legitimationselemente hinzutreten.688 Ein hinreichendes Legitimationsniveau kann sich in diesem Zusammenhang aus verschiedenen „Legitimationsbausteinen“ zusammensetzen, auch wenn klassischen Input-Legitimationssträngen weiterhin eine zentrale Rolle zukommt – aber eben nicht mehr die alleingültige.689 Vor diesem Hintergrund lässt sich für den auf den Kooperationsgedanken ausgerichteten europäischen Governanceverbund im Energierecht im Wesentlichen ein hinreichendes Legitimationsniveau konstatieren.
684 Zu dieser Rückbindung Kahl, Kooperative Rechtsangleichung, in: FS Spellenberg, 2010, S. 697 (711). 685 Die ministerialunterworfene Verwaltung in diesem Zusammenhang als Normalfall und Bedingung einer ordnungsrechtlich geprägten Aufsicht charakterisierend Masing, Unabhängige Behörden und ihr Aufgabenprofil, in: ders./Marcou (Hrsg.), Unabhängige Regulierungsbehörden, 2010, S. 181 (182 ff.); Franzius, Die Bundesnetzagentur zwischen politischer Steuerung und gerichtlicher Kontrolle, DÖV 2013, S. 714 (714); Löhr, Bundesbehörden zwischen Privatisierungsgebot und Infrastrukturauftrag, 2006, S. 173 ff.; eingehend zur demokratischen Legitimation der vollziehenden Gewalt Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 20 Abs. 2 GG, Rn. 136 ff. 686 Zu Governance als Herausforderung für Demokratiemodelle § 2, II., 2., d) (Lissabon-Urteil siehe Fn. 318). 687 Vgl. Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (116 f.). 688 Sich insoweit auf Art. 11 EUV beziehend BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (377). 689 So auch Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, 2013, S. 103 (118).
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
Die Einrichtung neuer Akteure, die rechtlich verbindliche Vorgaben machen können, fußt stets auf ausreichenden Rechtsgrundlagen. Europäischer Rat und Europäisches Parlament haben mit Erlass des Dritten Binnenmarktpaketes eine normative Vorstruktuierung vorgenommen, in die sie die ihnen eigene Legitimation einbringen. Wo dies nicht der Fall ist, etwa im Rahmen der von den nationalen Behörden als loses Kooperationsforum ins Leben gerufenen Vereinigung CEER, gilt es zu beachten, dass diese Zusammenkünfte den gegenseitigen Informations- und Erfahrungsaustausch zum Gegenstand haben, ohne dass dem Forum die Kompetenz zur rechtlich verbindlichen Steuerung zukommt. Dass die nationalen Behörden mit der Gründung von CEER im Interesse der gegenseitigen Kooperation und des Wissensaustauschs bereit waren, ihre Steuerungshoheit nicht von vornherein allein auszuüben, begegnet in rechtlicher Hinsicht so lange keinen Bedenken, wie die originär zur rechtlich verbindlichen Entscheidung berufenen Akteure ihren Steuerungsspielraum weiterhin ausüben können. Ein voriger Erfahrungs- und Wissensaustausch mit anderen kann vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität der Regulierungsaufgaben letztlich nicht als bedenklich eingestuft werden. Ähnliches gilt für die Einbindung privater Akteure in den Verbund, allen voran ENTSO, dem aus demokratietheoretischer Perspektive ebenfalls nicht von vornherein mit Kritik begegnet werden kann. Schließlich können Elemente partizipatorischer Demokratie zur Ergänzung des tradierten Legitimationsmodells herangezogen werden.690 Es muss jedoch – wie bei der Einbindung Privater in den Rechtsetzungsprozess691 – garantiert sein, dass durch diese Form der fokussierten Interessenwahrnehmung durch Private in einem gemeinwohlrelevanten Bereich die klassisch hoheitliche Repräsentation nicht zu kurz kommt. Staatlich und europäisch legitimierte Akteure dürfen ihre institutionelle Legitimationsbreite nicht einer ausufernden Betroffenenpartizipation unterordnen und auf diese Weise die Ausblendung gemeinwohlrelevanter energierechtlicher Belange riskieren.692 Schließlich werden die im Rahmen von ENTSO organisierten Energieversorgungsunternehmen ihr Wirken im europäischen Governance-Verbund an anderen Erfolgsmaßstäben orientieren als die Europäische Kommission oder die Bundesnetzagentur. Vor diesem Hintergrund ist es bedeutungsvoll, dass sowohl die Kommission als auch die Bundesnetzagentur als demokratisch legitimierte Akteure ihre Auffangverantwortung auch tatsächlich noch wahrnehmen können 690 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (377, 379 f.). Ausführlich hierzu § 2, II., 2., d). 691 Siehe dazu § 3. 692 Vgl. Kersten, „System verflochtener Demokratie“, in: FS Hans-Jürgen Papier, S. 103 (118), der in diesem Zusammenhang bezogen auf die einzelnen Legitimationspotentiale von der Gefahr eines „gesellschaftlichen overstrech“ spricht.
II. Governance im Bereich der Exekutive und Demokratie
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und sich nicht auf ein reines „Durchwinken“ andernorts getroffener Entscheidungen beschränken. Das Bestehen stabiler Vetopositionen originär demokratisch legitimierter staatlicher und europäischer Repräsentationsorgane trägt dazu bei, dass Entscheidungen ausreichend am Gemeinwohl orientiert sind und kein Ungleichgewicht zwischen den Interessen, etwa der Energieversorger und der Bürger bzw. Stromendkunden, verursachen. Insofern sind einerseits Tendenzen, auch Verbraucherverbände in den europäischen Governance-Verbund einzubeziehen693, zu begrüßen. Ein Abstellen auf das Element der Betroffenenpartizipation zu Legitimationszwecken kann schließlich nur funktionieren, wenn auch alle „Betroffenen“ ausreichend repräsentiert sind. Andererseits stellt die europarechtlich vorgegebene Unabhängigstellung der Bundesnetzagentur in diesem Kontext ein Problem dar. Wenn es im Rahmen des vom Bundesverfassungsgericht so bezeichneten entwicklungsoffenen Demokratiemodells darum geht, dass sich einzelne demokratische Legitimationsformen gegenseitig zu ergänzen vermögen, dann bedeutet dies letztlich auch, das nicht ein „Legitimationsbaustein“ einen anderen verdrängen darf. Insbesondere der klassische, auf allgemeinen Wahlen (und Abstimmungen) aufbauende Legitimationszusammenhang, von dem die Regierung und nachgeordnet deren Behörden ihre demokatische Legitimation beziehen, darf nicht ersetzt werden, sondern ist allenfalls im beschriebenen Maße durch andere Legitimationsformen anzureichern.694 Gerade wenn neue Elemente der partizipatorischen Demokratie, wie beschrieben, hinzutreten, gilt es – allein schon aufgrund der erheblichen Gemeinwohlbedeutung einer funktionierenden Energieversorgung – eine gänzliche Abschwächung klassischer unionaler und staatlicher Rückbindungen zu vermeiden. Eben dies geschieht aber, wenn beim europarechtlich vorgegebenen Ausbau neuer, am Kooperationsgedanken orientierter Entscheidungswege unter Einbindung repräsentativer Verbände gleichzeitig klassisch-staatliche Legitimationsstrukturen durch die Unabhängigstellung staatlicher Akteure ausgedünnt werden. Die Etablierung unabhängiger Verwaltungseinrichtungen (wie der Bundesnetzagentur) sorgt für massive Einschnitte in den Bereich der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation695, da diese neben dem Gesetz eben gerade durch die Weisungsmöglichkeit des zuständigen
693 Vgl. etwa deren Einbindung in den Foren-Prozess, § 4., I., 1. Selbst im Rahmen des frühren Modells eines verhandelten Netzzugangs im Energiebereich erkannte man die Notwendigkeit einer Einbindung der Verbraucherzentralen – wenn auch spät, vgl. insoweit § 3., I., 4. 694 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 –, BVerfGE 123, S. 267 (379), das in diesem Kontext von der Vermeidung einer gänzlich „neuen Entwicklungsstufe der Demokratie“ spricht. 695 Zur sachlich-inhaltlichen demokratische Legitimation Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 20 Abs. 2 GG, Rn. 122.
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Ministers garantiert wird.696 Solche europarechtlichen Eingriffe in die mitgliedstaatliche Verfassungsidentität sind zur Vermeidung eines Ungleichgewichts bei der demokratischen Legitimation von Hoheitsgewalt im Energierecht abzulehnen. Auch die Einführung neuer partizipatorischer Demokratieelemente ist nicht in der Lage, eine Rückbindung jeder Verwaltungsentscheidung an das vom Volk unmittelbar gewählte Parlament zu ersetzen.697 Durch die Unabhängigstellung der Bundesnetzagentur – und ihre damit einhergehende Herauslösung aus der klassischen Legitimationskette – fehlt ein nicht zu kompensierender Legitimationsbaustein, den sie als staatlicher Akteur in das Energienetzwerk grundsätzlich einzubringen in der Lage wäre.
III. Ergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich auch für den Bereich der Exekutive in der Energiepolitik rechtliche Governance-Strukturen nachweisen und einordnen lassen. Anstelle klassischer Steuerungsmuster herrschen unterschiedliche Formen der Kooperation zwischen den einzelnen energierechtlichen Akteuren vor, die die nationale und europäische Ebene zunehmend miteinander verschränken, und dies wiederum unter Einbindung privater Akteure. Vorgänge von energiepolitischer Bedeutung werden aus tradierten hierarchischen Steuerungs- und Legitimationsmustern herausgelöst und es kommt zu den unterschiedlichsten Formen horizontaler Interaktion. Dabei ging der heutige energierechtliche Verbund aus informalen Strukturen hervor, die abseits des „hard law“ ein wechselseitiges Miteinander im Interesse der größtmöglichen Flexibilität und Kooperation bieten. So werden in den Florenz- und Madrid-Regulierungsforen zwischen nationalstaatlichen, unionalen und privaten Akteuren Regulierungsfragen diskutiert und Lösungsvorschläge für Bereiche entwickelt, die der ursprünglichen, rechtlichen Zuweisung nach jeweils nur einem Akteur, häufig der nationalen Regulierungsbehörde, überantwortet sind. Gerade in der Informalität dieser – ohne jegliche 696 So Kahl, Kooperative Rechtsangleichung, in: FS Ulrich Spellenberg, 2010, S. 697 (711), der vor diesem Hintergrund die Einrichtung ressortfreier Verwaltungseinrichtungen außerhalb der verfassungsrechtlich explizit vorgesehenen Einzelfälle (ministerialfreie Räume) ablehnt. 697 Zur Bedeutung der Bewahrung dieses Rückbindungserfordernisses Kahl, Kooperative Rechtsangleichung, in: FS Ulrich Spellenberg, 2010, S. 697 (711 f.); eingehend Gärditz, Regulierungsrechtliche Grundfragen des Legislativpakets für die europäischen Strom- und Gasbinnenmärkte, in: Löwer (Hrsg.), Neue europäische Vorgaben für den Energiebinnenmarkt, 2010, S. 23 (47 ff.); keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip ausmachend hingegen Franzius, Die Bundesnetzagentur zwischen politischer Steuerung und gerichtlicher Kontrolle, DÖV 2013, S. 714 (716 f.); weniger kritisch auch Ludwigs, Die Bundesnetzagentur auf dem Weg zur Independend Agency?, Die Verwaltung 44 (2011), S. 41 (46 ff., 55).
III. Ergebnis
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Rechtsgrundlage und formelle Regulierungskompetenzen handelnden – Akteure wird die Lösung zur Überwindung des Spannungsverhältnisses von Subsidiarität und Sicherung einer ausreichenden europäischen Einflussnahme gesehen. Die nur lose Einbindung der Akteure in staatliche und unionale Steuerungszusammenhänge wird dabei bewusst in Kauf genommen, auf einen Steuerungsanspruch der öffentlichen Gewalt wird zugunsten von Governance verzichtet. Mit CEER wurde ein weiteres loses Kooperationsforum ins Leben gerufen – und zwar auf mitgliedstaatliche Initiative hin und ohne europäische Veranlassung. Die Kooperation der einzelnen Mitglieder zur Erreichung eines integrierten Energiebinnenmarktes steht auch hier im Vordergrund, sie war ausreichender Anlass für die nationalen Akteure, ihre Steuerungshoheit zurückzustellen. Auf zweifelhafter Rechtsgrundlage basierend errichtete die Kommission ERGEG, die heute abgelöste Europäische Gruppe der Regulierungsbehörden für Elektrizität und Gas. Sie bildete eine formal verbindliche Plattform für die nationalen Regulierungsbehörden, die zu deren europäischer Koordinierung und zu einer einheitlich-konsistenten Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten beitragen sollte. Damit wurde eine den nationalen Behörden überantwortete Zuständigkeit auf die Unionsebene gespiegelt und so – zumindest indirekt – Druck auf die eigentlich statuierte Unabhängigkeit der nationalen Regulierer ausgeübt. Die Kommission wurde auf diese Weise in die nationale Umsetzung der Richtlinien eingebunden. In diesem Bestreben der frühzeitigen Einbindung und Kooperation auch mit der Unionsebene liegt ein Trend, der sich zunehmend weiter verstärkt hat und der für Governance-Strukturen typisch ist. Auf die Errichtung neuer, unabhängig gestellter, aber nationaler Behörden folgt deren unionsrechtlich vorgegebene Institutionalisierung und Abstimmung. Diese Einbindung in den europäischen Kontext darf, auch wenn sie häufig auf (nur) informale, weiche Koordinierungsinstrumente gestützt wird, nicht unterschätzt werden. Die Schaffung von ERGEG, später abgelöst durch die neue EU-Agentur ACER, verdeutlichte dies exemplarisch. Dass die Auflösung von ERGEG derart informales Wirken im Bereich der europäischen Energiepolitik nicht beendete, zeigte indes schon die nachfolgende Einsetzung der Koordinierungsgruppe „Strom“. Die einzelnen Akteure wurden wiederum ebenenübergreifend lose miteinander vernetzt, private Akteure mit in die Abstimmungsprozesse eingebunden. Das Dritte Binnenmarktpaket der EU (2009) setzte das Bestreben der Unionsebene, die transnationale Kooperation aller Regulierer weiter voranzutreiben, fort und sorgte so für eine weitere Verdichtung der Governance-Strukturen. Angetrieben vom Ziel der Europäisierung erfolgte eine noch stärkere europäische, institutionelle Vernetzung der einzelnen Regulierungsakteure – allerdings nicht vorwiegend im Sinne einer Vertikalisierung bzw. Hierarchisierung zugunsten der Unionsebene, sondern vielmehr enstand eine am Kooperationsgedanken orientierte Horizontalisierung. Die stärkere Strukturierung der Zusammenarbeit bei-
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
der Ebenen führte das Europäische Energierecht auf eine neue Stufe. Diese geht verstärkt mit einer – häufig indirekten – Verringerung der Gestaltungsspielräume für die nationale Ebene einher. Zugleich sorgt die verstärkte Unabhängigstellung insbesondere der nationalen Regulierungsbehörden und deren gleichzeitige Einbindung in europäische Gruppen, an denen auch die Kommission beteiligt ist, dafür, dass die Kommission auf die Ausübung ihrer Veto-Rechte im Sinne einer klassisch hierarchischen Aufsicht häufig verzichten kann. Vielmehr erfolgt die zunehmende Europäisierung des Energierechts unter vermehrter Aufgabe klassischer Steuerungsmodi. So wurde – unionsrechtlich vorgegeben und getragen von der Idee einer Entpolitisierung – die Bundesnetzagentur unabhängig gestellt und aus der üblichen Einbindung in die hierarchische Ministerialverwaltung herausgelöst. Mit der vollzogenen Ausschaltung der mitgliedstaatlichen, politischen Einflussnahme wurde gleichzeitig der unionsrechtliche Einfluss gestärkt, schließlich ist auch die Bundesnetzagentur vielschichtig in europäische Foren und Einrichtungen eingebunden. Die Mitgliedschaft der nationalen Regulierungsbehörden in den Florenz-Foren ermöglicht allen voran der Kommission im Wege der von ihr angestrebten „Gesamtkoordinierung- und -überwachung“ eine zumindest indirekte Einflussnahme auf den grundsätzlich der mitgliedstaatlichen Ebene überantworteten Vollzug. Durch die Informalität der Foren wird dieser Prozess noch erleichtert. Dass die nationalen Regulierer gleichwohl selbst bestrebt sind, zum Zwecke der Abstimmung und Konsultation in die europäische Ebene eingebunden zu werden, zeigt die auf ihre Veranlassung hin geschaffene lose Kooperationsplattform CEER. Selbiges, nur in verfassteren Strukturen, galt bezüglich der Einbindung der Bundesnetzagentur in die europäische Gruppe der Regulierungsbehörden für Elektrizität und Gas (ERGEG) und auch die Koordinierungsgruppe Strom dient der Institutionalisierung dieses Ziels. Diese sich hiermit bereits abzeichnende Governance-Struktur aus Unabhängigstellung der nationalen Regulierungsbehörde und damit einhergehender Herauslösung aus dem klassisch-nationalen Steuerungszusammenhang sowie deren gleichzeitiger Einbindung in einen losen, am Kooperationsgedanken ausgerichteten europäischen Kontext wird noch deutlicher, wenn man sich das Zusammenspiel zwischen Bundesnetzagentur, ACER und Kommission vergegenwärtigt. Auch wenn die (Aufsichts-)Rechte der Kommission im Dritten Energiebinnenmarktpaket ausgeweitet wurden, so lassen sich doch ebenenübergreifende Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren nachweisen, die sehr am Kooperationsgedanken und einer Aufweichung hierarchischen Steuerns orientiert sind. Neben den dargelegten kooperativen Verflechtungen zwischen nationalen Regulierungsbehörden, Regulierungsforen, CEER, der Koordinierungsgruppe Strom sowie dem (früheren) Wirken von ERGEG und der Einbeziehung privater Netzbetreiber im Rahmen von ENTSO wurde die durch das Dritte Binnenmarktpaket etablierte Energieagentur ACER ganz im Sinne der verstärkten ebenenübergrei-
III. Ergebnis
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fenden Kooperation errichtet. Die zugrundeliegende AgenturVO schafft hierfür einen formellen Rahmen. Die drei Aufgabenschwerpunkte der Energieagentur sind dabei vom europäischen Governance-Konzepts geprägt: Die Etablierung von ACER zielt erstens auf eine Zusammenarbeit und europäische Koordinierung der Tätigkeiten der nationalen Regulierer, sorgt damit für ebenenübergreifende Verflechtungen und verhilft der Unionsebene so, am nationalen Gesetzgeber vorbei, auf den originär den Mitgliedstaaten übertragenen Vollzug mittels weicher Koordinierung Einfluss zu nehmen. Indem der Agentur – zweitens – die Rolle der Unterstützerin und Beraterin der Kommission zukommt wird die Verflechtung der einzelnen Akteure weiter vorangetrieben, die zu treffende Entscheidung ausdifferenziert und ihre Zuordnung zu einem entscheidenden Zentrum erschwert. Die Entscheidungsspielräume werden dabei miteinander verknüpft. Schließlich kommt der Agentur – drittens – die Aufsicht über die Europäischen Verbünde der Stromübertragungs- und Gasfernleitungsnetzbetreiber ENTSO zu, womit die Einbindung und der Versuch einer „de facto-Legitimierung“ dieses, mit privaten Akteuren besetzten Selbstregulierungsgremiums in den europäischen Akteursverbund vorangetrieben wird. Neben den wechselseitigen, im Zeichen von Governance stehenden Kooperationsbeziehungen zwischen Kommission, ACER und ENTSO im Bereich der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes ist des Weiteren die Entscheidungsverflechtung zwischen nationaler Regulierungsbehörde, ACER und Kommission im Rahmen der Zertifizierung der Übertragungsnetzbetreiber beachtlich. Neben der Tatsache, dass hier eine folgenreiche Entscheidung durch eine unabhängige Behörde getroffen wird, die aus dem staatlichen Steuerungs-, Legitimations- und Zurechnungszusammenhang partiell herausgenommen ist, ist aus Governance-Sicht auch relevant, wie es hier wieder zu Entscheidungsverflechtungen und -vorprägungen durch Mittel der weichen Koordinierung kommt, die eine Zuordnung der Entscheidung zu einem Zentrum unmöglich machen. Die Regulierung im Energiebereich ist mithin durchgängig in einen europäischen Verbund-Kontext eingebettet, der Einordnungen entsprechend der klassischen Steuerungstheorie zunehmend erschwert. Sowohl die Existenz unabhängig gestellter Akteure wie auch das kooperative Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen auf vielfältige Art und Weise mittels häufig informaler und weicher Koordinierungsmechanismen macht es schwer, die Frage „wer steuert wen“ zu beantworten. Dies liegt auch an dem vermehrten Bestreben der Union, die Akteure „auf Augenhöhe“ zusammenzubringen und möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden. Die staatliche Auffangverantwortung wird in diesem Kontext, ganz im Sinne von Governance, häufig nicht mehr aktualisiert. Auch unter demokratietheoretischen Aspekten bringt Governance im Energiebereich Herausforderungen mit sich. Die Ausdifferenzierung der Akteursvielfalt und ihre fortschreitende Einbindung in einen europäischen Kontext, zumal häu-
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2. Teil, § 4 Governance-Strukturen im Bereich der Exekutive
fig in losen und am Flexibilitätsgedanken orientierten Strukturen, sowie die europarechtlich vorgegebene Unabhängigstellung von Akteuren machen „reguläre“ demokratische Rückbindungen im Sinne des (klassischen) „Legitimationskettenmodells“ des Bundesverfassungsgerichts schwierig. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts macht jedoch deutlich, dass zur Legitimation der verflochtenen europäischen Energienetzwerkstrukturen neben Rückbindungen staatlicher Akteure und gesetzlichen Vorstrukturierungen auch neue Legitimationsmuster ergänzend herangezogen werden können. Zur Erreichung eines hinreichenden Legitimationsniveaus kann auf „klassische“ Legitimationsbausteine (Input-Legitimation) gleichwohl nicht verzichtet werden. Staatliche und unionale Akteure dürfen ihre demokratische Legitimation nicht einer ausufernden Betroffenenpartizipation unterordnen und auf diese Weise die Ausblendung gemeinwohlrelevanter energierechtlicher Belange riskieren. Die unionsrechtlich vorgegebene Unabhängigstellung staatlicher Akteure stellt in diesem Zusammenhang ein Problem dar.
§ 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung 2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
Das Für und Wider eines Freihandelsabkommens mit den USA und Kanada ist politisch stark umstritten.698 Dabei stehen insbesondere Binnenaspekte der wirtschaftlichen Integration im Fokus, die sich auf Fragen der Wohlfahrtssteigerung, der Angleichung von Produktstandards sowie Investitionsschutzvorschriften beziehen.699 Zunehmend kritisch betrachtet wird jedoch auch die – insbesondere seitens der USA gewünschte – Installation internationaler Schiedsgerichte, die den Investitionsschutz sicherstellen sollen, in den Augen vieler Kritiker jedoch als sog. „Geheimgerichte“ eine Aushöhlung (Regulatory Freeze) des nationalen Rechts- und Demokratiesystems betreiben würden.700 Übersehen wird in diesem Zusammenhang, dass die Möglichkeit, eine Streitbeilegung durch Rechtsprechung außerhalb staatlicher Gerichte zu erreichen, im Energierecht seit Langem bereits besteht – und insbesondere von privaten Investoren regelmäßig genutzt wird. Eine bis dato der breiten Öffentlichkeit und auch politischen Akteuren oft wenig bekannte Regelung701 im 1994 ratifizierten und 1998 in Kraft getretenen Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, EnCT)702 bietet privaten Unter698 Vgl.
Kafsack, Warum TTIP und Ceta die Menschen aufregen, FAZ.net vom 16. 09. 2016, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/sosteht-es-um-ttip-ceta-und-das-sind-die-knackpunkte-14437113.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 699 Vgl. zu den rechtlichen Aspekten der aktuellen Debatte Germelmann, Perspektiven bilateraler und regionaler Freihandelsabkommen im Welthandelsrecht, EuZW 2016, S. 207 (207, 207 ff.). 700 Vgl. zu dieser Diskussion den Gastbeitrag von Basedow, Das Problem mit den Geheimgerichten, FAZ.net vom 27. 09. 2014, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/ wirtschaft/wirtschaftspolitik/freihandelsabkommen-das-problem-mit-den-geheimgerichten-13173663-p5.html?printPagedArticle=true#pageIndex_5 (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 701 So äußerte die ehemalige Senatorin der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) im Rahmen der ARD-Dokumentation „Die Story im Ersten“ vom 19. 10. 2015: „Für mich war das auch neu, dass die Energiecharta (…) herausgekramt wurde, um parallel zusätzliche Rechtswege zu bestreiten.“, Sendung in der Mediathek abrufbar unter: http://www.daserste.de/ information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/konzerne-klagen-wir-zahlen-102. html (zuletzt aufgerufen am 08. 10. 2016). 702 Die dem Vertrag zu Grunde liegende Energiecharta wurde als politische Absichtserklärung bereits im Dezember 1991 in Den Haag unterschrieben. Rechtsverbindlichkeit erlangte der Energiecharta-Vertrag (EnCV) jedoch erst mit seiner Ratifikation im Dezem-
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
nehmen schon jetzt die Möglichkeit, staatliche Entscheidungen, die Regierungen getroffen haben, vor privaten Schiedsgerichten anzufechten und Schadensersatz zu erstreiten.703 Neben Strukturen von Governance im Bereich der Rechtsetzung und der Exekutive lassen sich somit auch im Bereich der Dritten Gewalt, der Rechtsprechung, mittlerweile Aspekte von Governance nachweisen. Außerhalb von zur Aufhebung staatlicher Entscheidungen und zum Zuspruch von Schadensersatz berufener Gerichte, die – ungeachtet ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit704 – als Organe des Staates einzustufen sind705, wird auch durch außerstaatliche Akteure Recht gesprochen. Der Einfluss, den deren Wirken auf energiepolitische Entscheidungen souveräner Staaten haben kann, ist – wie im Folgenden an Beispielen aufgezeigt werden soll – beachtlich und ein weiterer Aspekt des Agierens von nicht-staatlichen Akteuren in einem an sich originär dem Staat überantworteten Hoheitsbereich.
I. Der Energiecharta-Vertrag 1. Hintergrund Hintergrund des „Energiecharta-Prozesses“ und damit auch des Energiecharta-Vertrages (EnCV) als dessen Kernstück waren die sich abzeichnenden Veränderungen der Ost-West-Zusammenarbeit im Energiesektor nach dem Ende des ber 1994 in Lissabon. In Kraft getreten ist der Vertrag sodann im April 1998, siehe die Unterrichtung im ABl. EG v. 09. 03. 1998 Nr. L 69, S. 116; zur Entstehung des EnCV Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 303 ff. 703 Zur Bedeutung des Energiecharta-Vertrages Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 4. Auflage 2017, Rn. 562 ff., zur generellen Bedeutung von Streitbeilegungsverfahren für private Investoren ebd., Rn. 651 ff. 704 Vgl. Art. 97 GG, aber auch § 1 VwGO, § 1 GVG und § 25 DRiG; zur verfassungsrechtlich garantierten sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vgl. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar Grundgesetz, 35. Edition, Stand: 15. 11. 2017, Art. 97 GG, Rn. 4 ff., 14 ff.; Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 97 GG, Rn. 75 ff., 98 ff. 705 Zur entsprechenden völkerrechtlichen Einordnung Oellers-Frahm, Der Staat im Völkerrecht, in: FS Eckart Klein, 2013, S. 823 (823 f.); Payandeh, Staatenimmunität und Menschenrechte, JZ 2012, S. 949 (949 ff., insb. S. 953 f.); sich auf das IHG-Urteil v. 03. 12. 2012 – Jurisdiction Immunities of State (Germany vs. Italy: Greece intervening), Judgment, I.C.J. Reports 2012, S. 99 (99 ff.) beziehend auch Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (249); ausführlich zu diesem Urteil Kloth/Brunner, Staatenimmunität im Zivilprozess bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen, ArchVR 50 (2012), S. 218 (218 ff.); zur Ausübung von Staatsgewalt durch Gerichte auch Rennert, Legitimation und Legitimität des Richters, JZ 2015, S. 529 (529).
I. Der Energiecharta-Vertrag
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sog. „Kalten Krieges“.706 Die dadurch in Aussicht stehende Erschließung von Energieressourcen in den ehemaligen Ostblock-Staaten bot unübersehbare Chancen für die Energieversorgung auch westeuropäischer Staaten; beabsichtigte Investitionen in diesem Bereich mussten aber gleichzeitig gegen Risiken abgesichert werden.707 Immerhin bestand in vielen dieser Länder seinerzeit kein westlichen Standards entsprechendes, ausgereiftes Rechts(schutz)system. Es galt daher, eine völkerrechtlich bindende Rechtsgrundlage zu etablieren, die auch eine gesicherte Rechtsprechung im Bereich des Investitionsschutzes garantieren sollte. Vor diesem Hintergrund wurde auf Initiative des damaligen niederländischen Ministerpräsidenten Ruud Lubbers am 16. bzw. 17. Dezember 1991 in Den Haag zunächst die Erklärung einer Europäischen Energiecharta („declaration constituting the ‚European Energy Charter‘“)708 verabschiedet, die von 51 Staaten und (gesondert) der EU unterschrieben wurde, bemerkenswerter Weise auch von außereuropäischen OECD-Mitgliedern, insbesondere von Kanada und den USA, was die Bedeutung der Erklärung – trotz ihrer völkerrechtlich noch nicht bindenden Wirkung709 – nochmals unterstrich.710 Auf ihr aufbauend und nach weiteren drei Jahre dauernden Verhandlungen konnte – nunmehr völkerrechtlich auch 706 Zur Entstehung des Energiecharter-Vertrages Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 303 ff.; ders., Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (244 f.); ders., Regionales Wirtschaftsvölkerrecht in der Entwicklung: Das Beispiel des Energiecharta-Vertrages, ArchVR 42 (2004), S. 157 (157 ff.): „Der Energiecharta-Vertrag als europäische Reaktion auf das Ende des Ost-West-Konflikts“; Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 4 f. Zum Energiecharter-Vertrag als Schutzmechanismus im Investitionsrecht auch Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, § 23 Rn. 26. 707 Die Zielsetzungen der Versorgungssicherheit, des Wettbewerbs, der Liberalisierung und des Investitionsschutzes betonend Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 6 ff.; für einen allgemeinen Überblick zur Entwicklung des internationalen Investitionsschutzes vgl. Griebel/Hölken, Die Diskussion um den (europäischen) Schutz ausländischer Investitionen, KSzW 2016, S. 79 (79 ff.). 708 Zugrunde lag der Charta ein Entwurf der EU-Kommission, KOM (91) 36 endg. vom 14. 02. 1991; abgedruckt ist der Text bei Wälde (Hrsg.), Energy Charta Treaty, 1996, S. 603 ff. 709 Vgl. Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 5: „nicht rechtsverbindliche politische Absichtserklärung“. 710 Vgl. Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 304, der ebenfalls die fehlende völkerrechtliche Bindungswirkung dieser Absichtserklärung betont, weshalb sie auch nicht als Vertrag nach Art. 102 der UN-Charta zu registrieren war. Zu Inhalt und Entstehung der Europäischen Energiecharta vgl. auch Lukes, Die Europäische Energiecharta, EuZW 1992, S. 401 (401 ff.).
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
bindend – der Energiecharta-Vertrag (EnCV) am 17. Dezember 1994 in Lissabon unterzeichnet werden.711 Aus der Vertragsbezeichnung wurde die Beschränkung auf Europa bewusst herausgenommen und in Art. 41 EnCV der Beitritt für alle interessierten Staaten weltweit offengehalten712, wobei es sich gemessen an dem Unterzeichnerkreis bislang de facto um einen „europäischen“ oder zumindest „eurasischen“ Vertrag handelt.713 So haben bislang 51 Staaten den EnCV ratifiziert, von denen die EU-Mitgliedstaaten die Mehrheit stellen.714 Das Abkommen trat am 16. 04. 1998 in Kraft.715 Entsprechend seinem politischen Hintergrund enthält der EnCV bestimmte, für den grenzüberschreitenden Energiehandel bedeutsame Transitregelungen (insb. Art. 7 EnCV)716, diverse Handelsbestimmungen (Art. 3 – 9 EnCV)717, die sich im Wesentlichen an die Bestimmungen des GATT718 anlehnen719, sowie – schwerpunktmäßig – Regelungen zum Investitionsschutz.720 711 Vgl. die Schlussakte der Europäischen Energiechartakonferenz ABl. EG Nr. L 380 vom 31. 12. 1994, S. 3 ff.; zum Vertrag über die Energiecharta ebd., Anhang 1, S. 24 ff.; Beschlüsse zum Vertrag über die Energiecharta ebd., Anhang 2, S. 89 ff.; zum Energiechartaprotokoll über Energieeffizienz und damit verbundenen Umweltaspekten ebd., Anhang 3, S. 91 ff. 712 Zu den Beitrittsvoraussetzungen Liesen, Der Vertrag über die Energiecharta vom 17. 12. 1994, 2004, S. 215 ff. 713 Vgl. Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 305. 714 Derzeit haben 51 Staaten, die EU und EURATOM den Vertrag unterzeichnet, womit die Gesamtzahl der Mitglieder bei insgesamt 53 liegt (Stand: 28. 01. 2018). Von den Staaten außerhalb Europas haben Japan und Australien unterzeichnet. Zum Stand der Ratifikationen: www.encharter.org. Vgl. zum aktuellen Stand auch Weiß, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 58. EL 2016, Art. 207 AEUV, Rn. 241. 715 Vgl. Unterrichtung über das Inkrafttreten des Vertrags über die Energiecharta und des Energiechartaprotokolls über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte, ABl. EG Nr. L 69 vom 9. März 1998, S. 116. 716 Zu den Transitregeln Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 342 ff.; Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 170 ff. 717 Zu den Handelsbestimmungen Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 348 ff.; Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 165 ff. 718 General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), geschlossen am 30. Oktober 1947. 719 Zu den Handelsbestimmungen von GATT und dem Energiecharta-Vertrag Frasl, The Trade Rules of GATT and Related Instruments and the Energy Charter Treaty, in: Wälde (Hrsg.), The Energy Charter Treaty, 1996, S. 459 (459 ff.). 720 Zum Investitionsschutz Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 318 ff.; Germelmann, Internationaler
I. Der Energiecharta-Vertrag
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Die Bestimmungen zum grenzüberschreitenden Investitionsschutz stellen den praxisrelevantesten721 Teil des EnCV dar, konkret gilt dies für die Art. 10 – 17 EnCV (Förderung und Schutz von Investitionen) sowie den diesen in besonderem Maße zur Durchsetzung verhelfenden Mechanismus des Art. 26 EnCV (Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investor und einer Vertragspartei). Mit dieser letztgenannten verfahrensrechtlichen Absicherung sollte insbesondere sichergestellt werden, dass sich ausländische Investoren gegen unrechtmäßige staatliche Eingriffe auch dort zur Wehr setzen können, wo – kurz nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ – noch keine stabilen nationalen, rechtsstaatlichen Systeme errichtet waren, auf die potentielle (vor allem westliche) Investoren vertrauen konnten. Gerade in Anbetracht des doch sehr hohen Einsatzkapitals im Energiebereich sollte etwaigen Befürchtungen privater Investoren mit der Installation eines außerstaatlichen Rechtsprechungsmechanismus begegnet und so deren Investitionsbereitschaft erhöht werden.722 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die ursprünglichen Hoffnungen hinsichtlich einer nachhaltigen Ost-West-Annäherung im Energiebereich, die die Schöpfer des Energiecharta-Prozesses in den Anfängen der 1990er Jahre in diesen setzten, durch das Abkommen nicht nachhaltig erfüllt werden konnten723, der Vertrag auf dem Feld des energierechtlichen Investitionsschutzes in der letzten
Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 50 ff.; vgl. auch Moench/ Lennartz, Der Energiecharta-Vertrag im Geflecht des internationalen Investitionsschutzes, RdE 2015, S. 153 (153 ff., insb. 157 ff.). 721 Zur generellen Bedeutung investitionsschützender Regelungen in völkerrechtlichen Abkommen Baumgartner, Wie ist die Einbettung von investitionsschützenden Regeln in auch andere Politikbereiche umfassende Abkommen, insbesondere Freihandelsabkommen, zu bewerten?, KSzW 2016, S. 84 (84 ff.). 722 Zur Entstehung und Zielsetzung des Energiecharta-Prozesses nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 4 ff., 9 ff.; Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 47 (50 ff.); auch Kulick, Electrabel locuta, causa finita? – Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten unter dem Energiecharta-Vertrag, SchiedsVZ 2013, S. 81 (86); zu den Gründen für die Installation von außerstaatlichen Streitbeilegungsmethoden vgl. auch Schill, Sind Regelungen zur Investor-Staat-Streitbeilegung in EU-Freihandelsabkommen sinnvoll?, KSzW 2016, S. 115 (116 ff.). 723 Vgl. zu nicht erfüllten Erwartungen Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 303, 306, 361 f., der die nur schleppend verlaufende Ratifikation des EnCV, die mühsamen Verhandlungen über Ergänzungsabkommen und die Nicht-Ratifikation durch Russland als Ursachen ausmacht, dem geschaffenen System aber dennoch nicht das Zukunftspotential absprechen will.
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
Zeit aber dennoch eine erhebliche Eigendynamik724 entfaltete – wenn auch eine, die von den politischen Initiatoren so nicht vorhergesehen wurde. Die Grunddynamik des EnCV resultiert daraus, dass der Vertragsprozess zwar einerseits eingeleitet wurde, um potentiellen Investoren gerade dort Rechtssicherheit durch außerstaatliche Schiedsgerichte zu garantieren, wo der Staat selbst diese durch eigene Einrichtungen (noch) nicht gewährleisten kann, sich aber andererseits aus den Regelungen des EnCV eine Beschränkung auf eben solche Fälle nicht ergibt. So schreibt die maßgebliche Verfahrensvorschrift des multilateralen Investitionsschutzabkommens725 (Art. 26 Abs. 1 EnCV) lediglich das Folgende fest: „Disputes between a Contracting Party and an Investor of another Contracting Party relating to an Investment of the latter in the Area of the former, which concern an alleged breach of an obligation of the former under Part III shall, if possible, be settled amicably.“726
Evident folgt aus der Formulierung „Investor of another Contracting Party“ kein Ausschluss der Klagebefugnis privater Investoren aus EU-Mitgliedstaaten, die Klage gegen einen anderen EU-Mitgliedstaat einreichen wollen. Da die EU den EnCV selbst ratifiziert hat, ist sie Vertragspartei (Art. 1 Nr. 2 EnCV), ebenso jeder ihrer Mitgliedstaaten. Jedes Unionsmitglied ist folglich auch „another Contracting Party“ und jeder Investor aus einem Mitgliedstaat „an investor from another contracting party“.727 Entsprechend hat sich ein internationales Schiedsgericht, gestützt auf Art. 26 EnCV, in einem Rechtsstreit zwischen dem in Belgien registrierten Unternehmen Electrabel S.A. gegen den EU-Mitgliedstaat Ungarn für zuständig erklärt und die entsprechende Klage des belgischen Energiever724 So ging Rittstieg, Unternehmensverfassung und transnationale Eigentumsrechte, 1991, S. 50 zu Beginn des Energiecharta-Prozesses in Bezug auf Schiedsklauseln in Investitionsschutzverträgen angesichts von allgemeinen „zwischenstaatlichen Klärungsmöglichkeiten“ noch davon aus, dass der juristischen Vertragsinterpretation „ohnehin nur hypothetischer Charakter“ zukäme. Bezogen auf die zuletzt jedoch rapide angestiegene Zahl von Investor-Staat-Streitigkeiten von einem „dynamischen Eigenleben“ des Investitionsschutzrechts sprechend Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (82). 725 Zur Vorbildwirkung des NAFTA-Vertrages bzw. bilateraler Investitionsschutz-Verträge Gundel, Regionales Wirtschaftsvölkerrecht in der Entwicklung: Das Beispiel des Energiecharta-Vertrages, ArchVR 42 (2004), S. 157 (161). 726 In deutscher Übersetzung: „Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor einer anderen Vertragspartei über eine Investition des letzteren im Gebiet der ersteren, die sich auf einen behaupteten Verstoß der ersteren Vertragspartei gegen eine Verpflichtung aus Teil III beziehen, sind nach Möglichkeit gütlich beizulegen.“ 727 Zur Zuständigkeit des Investitionstribunals nach Art. 26 Abs. 1 EnCV in diesem Sinne auch Kulick, Electrabel locuta, causa finita? – Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten unter dem Energiecharta-Vertrag, SchiedsVZ 2013, S. 81 (86 f.).
I. Der Energiecharta-Vertrag
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sorgers zugelassen, obwohl auch eine Anrufung (mitglied-)staatlicher Gerichte möglich gewesen wäre.728 Es eröffnet sich für private Investoren im Rahmen des Schutzbereiches des EnCV mithin schon heute die Möglichkeit, auf die Anrufung nationaler oder europäischer Gerichte zu verzichten bzw. parallel laufende Verfahren vor staatlichen Gerichten und außerstaatlichen Gerichten wegen derselben Rechtssache anzustrengen.729 Es zeichnen sich damit ganz im Sinne des Governance-Konzepts liegende Strukturen ab: Private Akteure können, gestützt auf den besonders weitreichenden Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus des Art. 26 EnCV, originär zur Entscheidung berufene staatliche Rechtsschutzsysteme umgehen und stattdessen (oder zusätzlich) außerstaatliche, nämlich internationale Schiedsgerichte im Streitfall um eine Entscheidung bitten, die vor staatlichen Gerichten sodann auch nicht mehr anfechtbar und direkt vollstreckbar ist.730 Klassisch-staatliche Strukturen der Entscheidungsfindung werden mithin auch im Bereich der Rechtsprechung verlassen, außerstaatliche Akteure nehmen ursprünglich dem Staat überantwortete Aufgaben war. Der „Einfall“ des Governance-Konzepts in alle drei staatliche Gewalten ist damit komplettiert. Eine Einordnung der Elemente von Governance im Bereich der Rechtsprechung lässt sich anhand zweier aktueller energierechtlicher Fälle nachzeichnen.
728 Vgl. die Schiedsgerichtsentscheidung International Centre for Settlement of Invest ment Disputes, Washington D.C. (ICSD), Case No. ARB/07/19, Electrabel S.A. vs. The Republic of Hungary, Decision on Jurisdiction, Applicable Law and Liability, 30. 11. 2012, Rn. 5.31 ff. Insbesondere die EU-Kommission hatte vor dem Hintergrund dieses Schiedsgerichtverfahrens wiederholt Einwände erhoben, da die EU bei ihrem Beitritt zum EnCV nie beabsichtigt habe, für EU-Investoren alternative Streitbeilegungsforen zu nationalen (oder auch EU-Gerichten) zu schaffen; hierzu auch Kulick, Electrabel locuta, causa finita? – Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten unter dem Energiecharta-Vertrag, SchiedsVZ 2013, S. 81 (84). 729 Von der Option, eine parallele Anrufung staatlicher und außerstaatlicher Gerichte auszuschließen, hat Deutschland – im Gegensatz zu anderen Staaten (aufgeführt in Anlage ID des EnCV, u. a. Kanada, Finnland, Griechenland, Italien, Norwegen, Russland, USA) – keinen Gebrauch gemacht, vgl. Art. 26 Abs. 3 lit. b Ziff. I EnCV. Zu dieser Ausschlussmöglichkeit Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 337. 730 Vgl. Art. 54 ICSID-Convention: „Each Contracting State shall recognize an award rendered pursuant to this Convention as binding and enforce the pecuniary obligations imposed by that award within its territories as if it were a final judgment of a court in that State.“ Zur Unanfechtbarkeit der Entscheidungen von Investitionsschiedsgerichten vgl. auch Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (88 f.); Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (246); ders., Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 47 (55).
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
2. Erstes Beispiel: Vattenfall und der Atomausstieg Das Politikfeld der Kernenergie lieferte bereits wichtige Erkenntnisse zu Strukturen von Governance im Bereich der Rechtsetzung.731 Gerade die von mehreren Gesetzgebungsinitiativen gekennzeichnete Debatte732 um den Atomausstieg ließ die Bedeutung privater Akteure in der Gesetzgebung exemplarisch hervortreten. Die Atomkatastrophe von Fukushima am 11. 03. 2011 und die darauf folgende plötzliche Kehrtwende733 der Bundesregierung in Sachen weitere Kernenergienutzung in Deutschland liefert jedoch auch einen Ansatz für die Verdeutlichung von Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung. So verabschiedete der Deutsche Bundestag 2011 auf Initiative der damaligen „schwarz-gelben“ Bundesregierung und in Abkehr von deren vormaliger Haltung eine (erneute) Novelle des Atomgesetzes734, die einen grundsätzlichen und beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergienutzung zum Gegenstand hatte. Nur ein Dreivierteljahr, nachdem die neugewählte Regierung aus CDU/CSU und FDP die Laufzeit für die 17 deutschen Kernkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert735 und die weitere Nutzung der Kernenergie auch gegenüber den Energieversorgungsunternehmen zu einer der zentralen Säulen des Energiekonzepts der Bundesregierung736 erklärt hatte, wurde nunmehr – letztlich „über Nacht“ – der frühestmögliche (Wieder-)Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die sieben ältesten Reaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1 sowie das Kernkraftwerk Krümmel wurden unmittelbar stillgelegt.737 Spätestens Ende 2022 sollen mit Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen (§ 7 Abs. 1a Nr. 6 731
Siehe oben, § 3, I., 1. einem unschönen und inkonsistenten „Zick-Zack-Kurs“ im Atomrecht sprechend Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, § 2, Rn. 172. 733 Vgl. stellvertretend hierfür die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Energiepolitik am 09. 06. 2011: „So sehr ich mich im Herbst letzten Jahres im Rahmen unseres umfassenden Energiekonzepts auch für die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke eingesetzt habe, so unmissverständlich stelle ich heute vor diesem Haus fest: Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert.“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Regierungserklaerung/2011/2011 – 06 – 09-merkel-energie-zukunft.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 734 Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. 7. 2011, BGBl. Jg. 2011, Teil I, Nr. 43, S. 1704 (vgl. § 3., I. 1.). 735 Elftes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 08. 12. 2010, BGBl. Jg. 2010, Teil I, S. 1814 (vgl. § 3, I., 1.). 736 Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, BT-Drs. 17/3049 v. 28. 09. 2010. 737 Zum – rechtswidrigen – Moratorium vgl. bereits § 3, I., 1. (Fn. 393). 732 Von
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AtG).738 Es war insbesondere diese abrupt vollzogene und im Gegensatz zu ihren vorigen Ankündigungen stehende Kehrtwende der Bundesregierung, die die Atomkraftwerksbetreiber eine Debatte über Vertrauensschutz beginnen ließ.739 Da sich im Zusammenhang mit diesem Politikwechsel weitere verfassungsrechtliche Probleme ausmachen ließen, insbesondere vor dem Hintergrund des durch Art. 14 GG gewährleisteten Eigentumsschutzes und der Frage, ob die nunmehrige Reduzierung der Laufzeiten entschädigungslos hinzunehmen ist740, erhoben die von der Gesetzesänderung betroffenen741 Energieunternehmen E.ON, RWE und Vattenfall im Juni bzw. Juli 2012 Verfassungsbeschwerde gegen das Atomausstiegsgesetz.742 738 Zu den diesbezüglichen Details vgl. Ziehm, Atomausstieg und Energiewende, ZNER 2012, S. 221 (221 f.). 739 Vgl. Schröder, Verfassungsrechtlicher Investitionsschutz beim Atomausstieg, NVwZ 2013, S. 105 (106 f.); Muckel, Gesetzgebung und Planungssicherheit, ZG 27 (2012), S. 21 (21 ff., insb. 26 ff.); Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1016 f.); allgemein zum Vertrauensschutz als Grundbedingung des Rechtsstaates Kahl, § 27 Vertrauen (Kontinuität), in: Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 1, 2013, S. 297 (297 ff.). 740 Dazu auch Schröder, Verfassungsrechtlicher Investitionsschutz beim Atomausstieg, NVwZ 2013, S. 105 (107 ff.); Ziehm, Atomausstieg und Energiewende, ZNER 2012, S. 221 (222 ff.); Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1015 ff.). 741 Betroffen ist auch der Energiekonzern EnBW, der jedoch – seit dem Rückkauf der von der französischen Électricité de France (EdF) gehaltenen Anteile durch das Land Baden-Württemberg im Jahr 2010 (siehe Einleitung, S. 9) wieder zu 90 Prozent in öffentlicher Hand – auch vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Lehre vom personalen Substrat von einer fehlenden Grundrechtsfähigkeit ausging und seine Erfolgsaussichten als gering einschätzte, weswegen von einer Beschwerde Abstand genommen wurde; inhaltlich teilte man jedoch das Vorbringen der drei Beschwerdeführer, vgl. FAZ v. 31. 07. 2012, S. 13 („ENBW klagt nicht gegen Atomausstieg“). Zur Grundrechtsfähigkeit der vorliegend betroffenen Energieversorgungsunternehmen Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1008 f.), die jedoch von einer Grundrechtsberechtigung EnBWs ausgehen, da dem Grundrechtsschutz der privaten Anteilseigner der EnBW (wenn auch hinsichtlich der Anteilsverhältnisse in der Minderheit) Vorrang vor der Gefahr staatlicher „Grundrechtserschleichung“ einzuräumen sei. Bruch/ Greve, Atomausstieg 2011 als Verletzung der Grundrechte der Kernkraftwerksbetreiber?, DÖV 2011, S. 794 (796) sehen EnBW demgegenüber als nach Art. 1 Abs. 3 GG grundrechtsverpflichtet und nicht grundrechtsberechtigt an. Zur Lehre vom personalen Substrat vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. April 1997 – 1 BvR 48/94 –, BVerfGE 95, 267 (317); Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 3, Rn. 224; Remmert, in: Maunz/Dürig (Begr.) Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 19 Abs. 3, Rn. 35. 742 Zu dieser Klage Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (89 ff.); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitions-
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Am 06. 12. 2016 erging die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die die 13. AtG-Novelle für im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte, zugleich aber Einschränkungen in Bezug auf die Gewährleistung einer konzerninternen Verstromung der bereits 2002 zugewiesenen Reststrommengen sowie zum Ausgleich für etwaige, im Vertrauen auf die Laufzeitverlängerungen von 2010 getätigte, nunmehr frustrierte Investitionen machte.743 Im Ergebnis stellt das Urteil einen Ausgleich zwischen den Positionen der Beschwerdeführer und der Bundesregierung her: Der Gesetzgeber darf seine Normierung im Wesentlichen bestehenlassen und muss bis zum 30. 06. 2018744 nur in geringem Außmaß Korrekturen vornehmen.745 Gleichzeitig sind zugunsten der Atomkraftwerksbetreiber „angemessene“ Ausgleichsregelungen vorzusehen, damit die Inhalts- und Schrankenbestimmung vor Art. 14 GG Bestand hat.746 Bezüglich dieser „angemessenen“ Entschädigung können sich die Energiekonzerne zum einen auf die ihnen 2002 zugestandenen Reststrommengen stützten, die dem Urteil nach konzernintern voll ausschöpfbar sein müssen747, zum anderen sind die durch den plötzlichen Atomausstieg im Jahre 2011 nutzlos gewordenen Aufwendungen bezogen auf die (Wieder-)Verlängerung der Laufzeiten Ende 2010748 ersatzfähig, da die Kraftwerksbetreiber sich durch die 11. AtG-Novelle zu Investitionen in ihre Anlagen ermutigt fühlen durften749 und der insoweit bestehende Vertrauensschutz durch die rasche Kehrtwende des Gesetzgebers verletzt worden sei.750 abkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (399 ff.); Wollenteit, Vom Ende des Restrisikos, ZUR 2013, S. 323 (323 ff.); vgl. auch Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (243 f.); ders., Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs, in: Ludwigs (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 47 (47 ff.); aktuell Ludwigs, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (3 ff.). 743 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 9 (9 ff.) = NJW 2017, S. 217 (217 ff.) = DVBl. 2017, S. 113 (113 ff.); zu diesem Urteil Ludwigs, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (3 ff.); Frenz, Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – Atomgesetznovelle im Wesentlichen mit dem GG vereinbar, DVBl. 2017, S. 121 (121 ff.); vgl. auch Froese, Der Eigentumsentzug ohne Güterbeschaffung als Enteignung „light“?, NJW 2017, S. 444 (444 ff.). 744 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 399. 745 Zum Anpassungsbedarf vgl. BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 400 ff. 746 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 258, 281, 372, 397. 747 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 396. 748 Ausführlich zu den einzelnen gesetzgeberischen Kehrtwenden im Bereich der Kernenergienutzung § 3, I., 1. 749 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 397. 750 Die Grundgesetzkonformität einerseits sowie die Ausgleichspflichtigkeit andererseits prägnant zusammenfassend Frenz, Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1
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Damit haben die Kernkraftwerksbetreiber zwar einen Erfolg zu verbuchen751, eine etwaige Kompensationshöhe wird allerdings weit geringer ausfallen, als von den Energiekonzernen im Vorfeld geltend gemacht.752 So weist der Erste Senat mit Blick auf die konzerninternen Verstromungskapazitäten der 2002 zugesagten Reststrommengen darauf hin, dass dem Gesetzgeber hier verschiedene Ausgleichsmöglichkeiten753 zukämen, die Kompensation in jedem Fall aber nur das zur Herstellung der Angemessenheit erforderliche Maß erreichen muss. Voller Wertersatz ist damit ausdrücklich nicht gefordert.754 Gleiches gilt bezogen auf die gerichtlich eingeforderte gesetzliche Grundlage für Ausgleichsansprüche wegen frustrierter Investitionen.755 Über diese dem Gesetzgeber auferlegte Verpflichtung zur Schaffung eines angemessen Ausgleichs zugunsten der Kernkraftwerksbetreiber hinaus ist das Urteil auch aus einem anderen Gesichtspunkt bedeutsam: Auch an den zu 100 Prozent vom schwedischen Staat beherrschten Energieversorger Vattenfall ist ein „angemessener“ Ausgleich zu leisten. Möglich ist dies, weil das Bundesverfassungsgericht – entgegen der vorherrschenden Meinung in der Literatur756 und BvR 2821/11 u. a. – Atomgesetznovelle im Wesentlichen mit dem GG vereinbar, DVBl. 2017, S. 121 (121); zu den Kernaussagen des Ersten Senats vgl. auch Ludwigs, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (4 ff.). 751 Der EuGH hat demgegenüber das parallel zur Laufzeitverlängerung verabschiedete Kernbrennstoffsteuergesetz (BGBl. I 2010, S. 1804), mit dem für den Zeitraum vom 01. 01. 2011 bis zum 31. 12. 2016 eine Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff für die gewerbliche Stromerzeugung eingeführt wurde, für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt, EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, C-5/14 (vgl. Fn. 387). 752 Medienberichten zufolge wurde der erlittene „Energiewendeschaden“ seitens der Energiekonzerne in diesem Zusammenhang auf bis zu 19 Milliarden Euro beziffert, vgl. Jung/Bünder, FAZ v. 05. 12. 2016, S. 17; sich hierauf beziehend Ludwigs, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstiegsgesetz 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (3); ebenfalls hierauf rekurrierend Frenz, Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – Atomgesetznovelle im Wesentlichen mit dem GG vereinbar, DVBl. 2017, S. 121 (121). 753 Das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers betonend BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 403. 754 So ausdrücklich BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 404: „Der Ausgleich braucht auch nur das zur Herstellung der Angemessenheit erforderliche Maß zu erreichen, das nicht zwingend dem vollen Wertersatz entsprechen muss.“ Vgl. Ludwigs, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstiegsgesetz 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (8), der vor diesem Hintergrund weiteren Diskussionsbedarf zwischen den Parteien als „vorprogrammiert“ erachtet. 755 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 406. 756 Eine Grundrechtsfähigkeit Vattenfalls im Vorfeld verneinend Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1008 f.); Ludwigs, Der Atomausstieg und die Folgen: Fordert der Paradigmenwechsel in der Energiepolitik einen Paradigmenwech-
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unter Abkehr der von ihm selbst entwickelten Lehre vom personellen Substrat757 – erstmals einer vollständig von einem Mitgliedstaat der EU getragenen juristischen Person des Privatrechts Grundrechtsfähigkeit bescheinigte.758 Zwar betont das Gericht in diesem Zusammenhang, dass dies eine aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls gebotene Ausnahme darstelle759, dennoch ist diese offene Form der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG ein beachtliches Novum. Es bleibt sel beim Eigentumsschutz?, NVwZ 2016, S. 1 (2); Schlömer, Der beschleunigte Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, 2013, S. 98 f.; Bruch/Greve, Atomausstieg 2011 als Verletzung der Grundrechte der Kernkraftwerksbetreiber?, DÖV 2011, S. 794 (796); auch Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (248); zu einer anderen Einschätzung tendierend (sich aber nicht festlegend) Klöpfer, 13. Atomgesetznovelle und Grundrechte, DVBl. 2011, S. 1437 (1438 f.), der zu bedenken gibt, dass der schwedische Staat nicht an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist. 757 Vgl. zu dieser noch BVerfG, Beschluss vom 08. April 1997 – 1 BvR 48/94 –, BVerf GE 95, 267 (317); Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 3, Rn. 224; Remmert, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 19 Abs. 3, Rn. 35. 758 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 185 ff. In früheren Prozessen hatte sich das Gericht noch skeptischer zur Grundrechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen des Privatrechts, die sich vollständig in staatlicher Hand befinden, geäußert. So führte es in einem Beschluss aus dem Jahr 2009 zur Grundrechtsfähigkeit einer Tochtergesellschaft der Vattenfall Europe AG (unter Verweis auf die sonstige Unbegündetheit der Klage) an, dass „die Bildung und Betätigung der Beschwerdeführerin ebenso wenig als Ausdruck der freien Entfaltung natürlicher Personen angesehen werden, wie dies grundsätzlich bei juristischen Personen der Fall ist, die vollständig von einem deutschen Hoheitsträger beherrscht werden.“, vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 21. Dezember 2009 – 1 BvR 2738/08, Rn. 18. In einer früheren Entscheidung konkretisierte es diese Zweifel und machte deutlich, dass „für eine Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (…) sich keine Anhaltspunkte (ergeben). Danach sind ausländische wie inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts auf die Geltendmachung einzelner Prozessgrundrechte wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt.“, vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08. Februar 2006 – 2 BvR 575/05, Rn. 12. In beiden Fällen blieb das Gericht bei seiner bisherigen Rechtsprechungslinie und stellte darauf ab, ob ein zu schützendes personelles Substrat hinter der juristischen Person des öffentliches Recht steht. Zu diesen Entscheidungen auch Schlömer, Der beschleunigte Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, 2013, S. 98 f. 759 Das Gericht argumentiert damit, dass zwar auch im Fall einer ausländischen staatlichen Rechtsträgerschaft kein Durchgriff auf ein hinter der juristischen Person stehendes personelles Substrat möglich sei, aber andererseits sei vorliegend kein Raum für das ansonsten kumulativ hinzukommende Konfusionsargument, nach dem der (deutsche) Staat nicht zugleich grundrechtsberechtigt und -verpflichtet sein könne. Auch die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, die Niederlassungsfreiheit (Art. 54 Abs. 1 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV) und das Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) geböten die Annahme der Grundrechtsfähigkeit von Vattenfall; vgl. BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 185 ff.; sich mit der Argumentationslinie des Gerichts
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abzuwarten, wie sich das Gericht zukünftig in dieser Frage positionieren wird; absehbar ist dies derzeit, auch aufgrund der an dieser Stelle gewählten offenen Formulierungen des Gerichts, die nicht zwingend auf eine endgültige Korrektur der (bisherigen) Rechtsprechungslinie schließen lassen, nicht. Nichtsdestotrotz folgt aus der Annahme der Grundrechtsfähigkeit Vattenfalls gerade in Bezug auf die daraus resultierenden, dem schwedischen Energieversorger zustehenden Möglichkeiten zur Erlangung von Kompensationsleistungen Bemerkenswertes. So kommt auch Vattenfall in Folge dieses höchstrichterlichen Urteils (in begrenztem Ausmaß) eine Kompensation für durch den Staat erlittenes Unrecht zu. Das Bundesverfassungsgericht kam damit (in einem rechtsstaatlichen Verfahren) zu dem Ergebnis, dass die 13. AtG-Novelle angesichts der gesetzlich festgelegten Restlaufzeiten der Anlagen und wegen des in diesem Fall besonders verbürgten Vertrauensschutzes eine unzumutbare Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums enthält, soweit dies dazu führt, dass die Beschwerdeführer substantielle Teile ihrer Reststrommengen von 2002 nicht konzernintern nutzen können760 und dass die Novelle gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt soweit sie keine Übergangsfristen, Entschädigungsklauseln oder sonstige Ausgleichsregelungen für den Fall vorsieht, dass Investitionen in Kernkraftwerke durch die Streichung der 2010 zugeteilten Zusatzstrommengen entwertet worden sind.761 Schadensersatz konnte den Beschwerdeführern trotz des – teilweisen – Obsiegens nicht unmittelbar zuerkannt werden762, hierfür müssten die betroffenen Energieversorger vielmehr vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit erneut klagen detailliert auseinandersetzend Ludwigs, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (4). 760 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 310. 761 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 369. 762 Dem Bundesverfassungsgericht war es nur möglich festzustellen, dass die Novellierung des Atomgesetzes nur gegen (teilweise) Kompensationsleistungen an die betroffenen Konzerne verfassungskonform auszugestalten ist. Der Beschluss hierüber, einschließlich der Festsetzung der konkreten Höhe für die Ausgleichszahlung, ist Aufgabe der nationalen Gesetzgebungsorgane. Diese Vorgehensweise war auch in der Vergangenheit schon übliche Praxis, vgl. BVerfG, Beschluss v. 02. 03. 1999 – 1 BvL 7/91 –, BVerfGE 100, S. 226 (Leitsätze, 226 ff.), mit dem die Verfassungswidrigkeit der Regelung des rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetzes über die Beseitigung eines Kulturdenkmals festgestellt wurde; vgl. insb. Leitsatz 3: „Wie der Gesetzgeber auf normativer Ebene mit der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch Voraussetzungen, Art und Umfang des Ausgleichs sonst unverhältnismäßiger Belastungen zu regeln hat, muss die Verwaltung bei der Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entscheiden. Die Voraussetzungen dafür muss der Gesetzgeber schaffen.“ – Hervorhebung durch Verf. Zu den Möglichkeiten des BVerfG im Falle des Erfolges von Verfassungsbeschwerden auch Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (90).
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oder – derzeit wahrscheinlicher – mit der Bundesregierung vor dem Hintergrund des staatlichen Richterspruchs eine Übereinkunft erzielen. Entsprechende Gesprächsofferten seitens der Beschwerdeführer an die Bundesregierung wurden bereits ausgesprochen.763 Dass den Energiekonzernen nicht unbedingt an einer weiteren Auseinandersetzung vor staatlichen Gerichten mit der Bundesrepublik gelegen ist, zeigt bereits ein Blick auf die Diskussionen um das am 15./16. 12. 2016 vom Bundestag bzw. Bundesrat verabschiedete Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung764, das unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg verabschiedet wurde und dabei noch unter dem Eindruck des jüngsten Urteils stand. Die Energieversorgungsunternehmen bekräftigten unmittelbar vor der Verabschiedung des Artikelgesetzes, zahlreiche von ihnen eingereichte, den Atomausstieg betreffende Klagen nunmehr zurückzunehmen.765 Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Zurückhaltung des Energieversorgers Vattenfalls, einen von diesem beschrittenen, anderen Weg zur Erlangung von Schadensersatz im Zusammenhang mit dem deutschen Atomausstieg betreffend. Das Energieversorgungsunternehmen Vattenfall, Betreiber des von der sofortigen Stilllegung durch das Gesetz von 2011 betroffenen Atomkraftwerkes Brunsbüttel sowie des bereits 2007 vom Netz genommenen Atommeilers Krümmel, befindet sich nämlich in einer, für die vorliegende Arbeit besonders interessanten, privilegierten Lage: Der fünftgrößte Stromerzeuger Europas ist – wie erwähnt – ein schwedisches Unternehmen. Gemäß den zuvor geschilderten Grundsätzen war es dem Beschwerdeführer Vattenfall damit als einzigem der vor dem Bundesverfassungsgericht prozessierenden Energieversorger möglich, gestützt auf den V. Teil des EnCV766 ein (paralleles) Streitbeilegungsverfahren vor einem außerstaatlichen Schiedsgericht zu initiieren. Noch vor Einreichung der Verfassungsbeschwerde hat Vattenfall diese Option wahrgenommen und im Mai 2012 beim ICSID-Sekretariat einen sog. investitionsschutzrechtlichen Streit 763 So die Äußerung einer RWE-Sprecherin im Anschluss an das Urteil: „Hier (= Bezüglich der Kompensationshöhe – der Verf.) ist zunächst auch mal der Gesetzgeber gefordert. Wenn der mit uns darüber Gespräche führen will, sind wir dazu natürlich gerne bereit und offen.“, vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesverfassungsgericht-zum-atomausstieg-energie-konzerne-haben-anspruch-auf-entschaedigung-a-1124612.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 764 BR-Drs. 620/16; zu einem Überblick über die zentralen Regelungsinhalte Däuper/ Dietzel, Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung, EnWZ 2016, S. 542 (542 ff.). 765 Zu dieser Ankündigung auch Ludwigs, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstiegsgesetz 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (8). 766 Art. 26 bis 28 EnCV – „Streitbeilegung“.
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mit der Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegs registrieren lassen.767 Das Gericht konstituierte sich erstmals im Dezember 2012.768 Die Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 1 EnCV sind insoweit erfüllt: Die Streitigkeit um die Beendigung der Nutzung der Kernkraft zur Energieerzeugung in Deutschland ist eine zwischen der Bundesrepublik als Vertragspartei des EnCV und dem Energieversorgungsunternehmen Vattenfall als Investor aus dem Land Schweden, mithin einer anderen Vertragspartei, die eine Investition769 auf dem Gebiet der Bundesrepublik, nämlich das Betreiben von Atommeilern, zum Gegenstand hat. Der schwedische Investor kann dabei auch einen Verstoß Deutschlands gegen übernommene Verpflichtungen aus Teil III des EnCV770 behaupten. So wird er insbesondere angeführt haben, Deutschland habe mit seiner erneuten Kehrtwende in der Atompolitik gegen die in Art. 10 Abs. 1 EnCV verankerten materiellen Schutzstandards verstoßen, nämlich gegen den Grundsatz der gerechten und fairen Behandlung („fair and equitable treatment“ [FET]).771 Die genaue Argumentationslinie Vattenfalls zur Begründung der Klage kann nicht nachgezeichnet werden, denn die Verhandlungen der privaten Investitionsschiedsgerichte sind grundsätzlich nicht öffentlich.772 Auch müssen ihre Entscheidungen nicht veröffentlicht werden, wenngleich von Letzterem in jüngster Vergangenheit Ausnahmen festzustellen sind.773 Die Unbestimmtheit und Wei767 Die Registrierung läuft unter: Vattenfall AB vs. Federal Republic of Germany, ICSID Case No. ARB/12/12. Das Verfahren dauert an („Status of Proceeding: Pending“). Wann eine Entscheidung fällt ist – auch aufgrund der Intransparenz der Schiedsgerichtsverfahren – nicht absehbar (Stand: 28. 01. 2018). Informationen, soweit abrufbar, finden sich unter: https://icsid.worldbank.org/en/Pages/cases/casedetail.aspx?CaseNo=ARB%2f12%2 f12 (zuletzt aufgerufen am: 28. 01. 2018). 768 Vgl. zum diesbezüglichen Stand auch Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (90). 769 Ausführlich zum Begriff der Investition Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/ Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 51 f. 770 Art. 10 - 17 EnCV – „Förderung und Schutz von Investitionen“. 771 Zu den materiellen Schutzstandards des EnCV Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (351 f.); ausführlich Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 319 ff.; Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 50 ff.; Moench/Lennartz, Der Energiecharta-Vertrag im Geflecht des internationalen Investitionsschutzes, RdE 2015, S. 153 (158 ff.). 772 Die aus der Nichtöffentlichkeit folgende Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens als Vorteil für die Streitparteien (im Gegensatz zum öffentlichen Gerichtsverfahren) herausstellend A. Peters, Völkerrecht, 4. Auflage 2016, Kap. 14, Rn. 15. 773 Vgl. Moench/Lennartz, Der Energiecharta-Vertrag im Geflecht des internationalen Investitionsschutzes, RdE 2015, S. 153 (154) zu Rule 33 Abs. 3 der ICSID-rules of
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te774 des aufgezeigten Grundsatzes bietet den prozessierenden Unternehmen jedoch einen stets erfolgversprechenden Klagegrund und wird deshalb regelmäßig zum Mittelpunkt der schiedsgerichtlichen Auseinandersetzung gemacht. Den Privatinvestoren werden auf diese Weise Klageoptionen und Erfolgsaussichten in Fällen eröffnet, die mit jenen vor staatlichen Gerichten – zumal dort mit einem ungleich größeren Begründungsaufwand verbunden – nicht gleichgesetzt werden können. So stellten Schiedsgerichte in der Vergangenheit im Rahmen der Frage, ob eine schadensersatzpflichtige Verletzung des „fair and equitable treatment“ angenommen werden kann, häufig allein auf die bloßen Erwartungen des Investors, insbesondere bezüglich eines sicheren Investitionsumfeldes, ab und bejahten eine Verletzung im Rahmen von Maßnahmen, die zuvor getätigten Zusagen widersprachen oder die auf plötzliche und nicht vorhersehbare Änderung des regulativen Umfeldes zurückführbar waren.775 Eben jene Argumentation drängt sich im Fall des zweiten Atomausstiegs geradezu auf, berücksichtigt man, dass die damalige schwarz-gelbe Koalition aus Union und FDP nach der Bundestagswahl 2009 im Rahmen ihres Energiekonzepts die Kernkraft zur „tragenden Säule“ erklärte, um dann nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima Anfang 2011 eine „180-Grad-Kehrtwende“ zu vollziehen.776 Die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 EnCV ist hinsichtlich ihres Wortlauts im Rahmen des Energiecharta-Prozesses bewusst offen gehalten worden, um potentiellen Investoren in den ehemaligen Ostblock-Staaten Rechtsschutz und -sicherheit gewährleisten zu können.777 Durch die angerufenen Schiedsgerichte wird deshalb procedure: „The Centre shall not publish the report without the consent of the parties.“; zur grundsätzlichen Nicht-Veröffentlichung der Schiedssprüche bei Nicht-Zustimmung der Parteien auch Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 128; zu diesbezüglicher Kritik trotz einer punktuellen Zunahme an Transparenz Krajewski, Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (398). 774 Zur Tendenz der Schiedsgerichte, in ihren Entscheidungen auf den allgemeinen Maßstab der „fairen und gerechten Behandlung“ abzustellen, der sogar in der „pre-invest ment“-Phase gilt, und die speziellen Grundsätze von Inländerbehandlung und Meistbegünstigung zu vernachlässigen, vgl. Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 322. 775 Vgl. Krajewski, Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (397), der die damit im Zusammenhang stehenden potentiellen Auswirkungen auf die Regulierungs- und Verwaltungsautonomie eines Staates beklagt. 776 Vgl. § 3, I., 1. 777 Die „dauerhafte Gewährleistung von Schutz und Sicherheit“ betonend und für umfängliche Rechtssicherheit als Voraussetzung für Investitionen plädierend Moench/ Lennartz, Der Energiecharta-Vertrag im Geflecht des internationalen Investitionsschut-
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nach wie vor eine nicht abstrakt-generell bestimmte „stability and predictability“ zugunsten der Investoren verlangt.778 Zwar ist die – national aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende – Rechtssicherheit Strukturprinzip779 einer jeden rechtsstaatlichen Ordnung und gehört es im Interesse der Investitionssicherheit zu den grundlegenden Aufgaben des Rechts, eine verlässliche Verhaltensordnung zu schaffen.780 Jedoch kann das Bestreben zugunsten des Investitionsschutzes einen möglichst weitreichenden Vertrauensschutz zu verankern, nicht nur in eine Richtung gedacht werden. Gerade in Bezug auf die Vorhersehbarkeit rechtskonformen Verhaltens ist jeglicher Normgeber vorrangig aufgerufen, das Spannungsverhältnis von Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit gerecht aufzulösen.781 Vor diesem Hintergrund verlangt das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, dass gesetzliche Anforderungen so gefasst sind, dass alle Betroffenen die Rechtslage im Vorfeld zu erkennen vermögen, um sich nach den aufgestellten Anforderungen richten zu können.782 Rechtsfolgen dürfen keine Überraschung beinhalten, weil ihr Eintritt oder Nichteintritt – trotz Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen – zu sehr im Ungewissen liegt. Der den Rechtsprechungsorganen zustehende (Norm-)Interpretationsspielraum darf nicht derart ausgeweitet werden, dass an die Stelle einer Kontrolle der Einhaltung des Rechts in jedem Fall die Neufassung rechtlicher Anforderungen tritt. Andernfalls wäre der Grundsatz der Gewaltenzes, RdE 2015, S. 153 (158); ausführlich zur Zielsetzung des Energiecharta-Prozesses Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 6 ff.; zur Unbestimmtheit des Art. 10 Abs. 1 EnCV ebd., Rn. 128; Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 303 ff. 778 Vgl. die Schiedsgerichtsentscheidung London Court of International Arbitration, Administered Case No. UN 3467, Occidental Exploration and Production Company vs. The Republic of Ecuador, Final Award in the Matter of an Uncitral Arbitration, 01. 07. 2004, Rn. 191. 779 Von Konstitutionsprinzip sprechend Robbers, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2017, Art. 20 Abs. 1, Rn. 1984; für einen Überblick über die Staatsstrukturprinzipien vgl. von Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Auflage 2016, Rn. 68 ff. 780 Zum Grundsatz der Rechtssicherheit Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar Grundgesetz, 35. Edition, Stand: 15. 11. 2017, Art. 20 GG, Rn. 181; ferner von Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Auflage 2016, Rn. 652, 660. 781 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar Grundgesetz, 35. Edition, Stand: 15. 11. 2017, Art. 20 GG, Rn. 188; vgl. bereits BVerfG, Urteil vom 18. 12. 1953 - 1 BvL 106/53, BVerfGE 3, S. 225 (237 f.); BVerfG, Beschluss vom 14. 3. 1963 - 1 BvL 28/62, BVerfGE 15, S. 313 (319 f.); BVerfG, Beschluss vom 16. 12. 1981 1 BvR 898/79 (u. a.), BVerfGE 59, S. 128 (164 ff.). 782 Näher zum Bestimmtheitsgebot Robbers, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2017, Art. 20 Abs. 1, Rn. 2128 ff., 2130; von Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Auflage 2016, Rn. 652 f., 659.
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teilung aufgehoben, weder der zur Normsetzung berufene Gesetzgeber noch die zur Kontrolle berufenen Rechtsprechungsorgane hätten ihren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllt.783 Eben jene für staatliche Gerichte geltenden hohen Anforderungen drohen durch das von Vattenfall angestrengte Parallelverfahren vor dem ICSID-Schiedsgericht über den „fair and equitable treatment“-Grundsatz des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EnCV in ihrer Bedeutung ausgehebelt zu werden. Ob in der Entscheidung der Bundesregierung und nachfolgend des Parlamentes, die Nutzung der Kernenergie zu Energiegewinnungszwecken zu beenden, eine Verletzung des Grundsatzes auf „faire und gerechte Behandlung“ zu sehen ist, obliegt mangels Spezifizierung im Text des EnCV maßgeblich der Einschätzung der drei berufenen Schiedsrichter – Richtern wohlgemerkt, deren Stellung und Unabhängigkeit nicht mit originär zur Rechtsprechung berufenen staatlichen Richterinnen und Richtern verglichen werden kann.784 Während die Unabhängigkeit Letzterer in besonderem Maße verfassungsrechtlich785 und europarechtlich786 verbürgt ist, soll sie vor den außerstaatlichen Schiedsgerichten maßgeblich über die Parteiautonomie erreicht werden.787 So obliegt es den Parteien (im vorliegenden Fall Vattenfall und der Bundesrepublik Deutschland) die Zusammensetzung der Schiedskommission zu bestimmen. In der Regel benennt jede Seite einen Schiedsrichter, auf den dritten, Vorsitzenden Richter einigt man sich. Das in Washington tagende Schiedsgericht im Verfahren Vattenfall AB vs. Federal Republic of Germany (ICSID Case 783 Zum – national in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten – Grundsatz der Gewaltenteilung vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 79 GG, Rn. 145 ff. 784 Dies letztlich verkennend, indem er auch im Zusammenhang mit Schiedsrichtern pauschal von „unabhängigen Dritten“ spricht Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (248); zur Rechtsstellung und Unabhängigkeit von Richtern und Richterinnen von Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Auflage 2016, Rn. 532 ff.; zur Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte im Kontext der Auswahl oberster Richter in Europa vgl. Seibert-Fohr, Richterbestellung im Verfassungswandel, Der Staat 49 (2010), S. 130 (130 ff., insb. 145 ff.). 785 Vgl. Art. 97 Abs. 1 GG. Zur grundgesetzlich vorgegebenen Bedeutung und zum Rechtscharakter der Garantie richterlicher Unabhängigkeit Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 97 GG, Rn. 1 ff.; auch Pieroth, in: Jarass/ders., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 14. Auflage 2016, Art. 97 Rn. 2 ff. 786 Vgl. Art. 47 Satz 2 GRCh; auch Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 EUV, Art. 253 Abs. 1, 254 Abs. 2 Satz 1 AEUV. Vgl. zur europarechtlich vorgegebenen Unabhängigkeit der Gerichte Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage 2016, Art. 47 Rn. 19 ff. 787 Die starke Ausprägung der Parteiautonomie in Schiedsverfahren betonend A. Peters, Völkerrecht, 4. Auflage 2016, Kap. 14, Rn. 15; zur Auswahl und Ernennung der Schiedsrichter vgl. Wolfgram, Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vertrag über die Energiecharta, 2001, S. 51 f.
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No. ARB/12/12) setzt sich aus dem emeritierten Oxforder Völkerrechtsprofessor Vaughan Lowe, benannt von der Bundesrepublik Deutschland, dem ehemaligen Richter am Iran United States Claims Tribunal Charles Brower, benannt von Vattenfall, sowie dem niederländischen Professor und Rechtsanwalt Albert Jan van den Berg als Vorsitzendem Schiedsrichter zusammen.788 Die Auswahl der Richter unterliegt keinen speziellen Anforderungen, abgesehen davon, dass sie entsprechende „Fähigkeiten und Erfahrungen“ mitbringen müssen (Art. 27 Abs. 3 lit. e EnCV). Eine eingehendere Definition dessen erfolgt nicht. Häufig werden daher in der Privatwirtschaft fest verankerte, internationale Wirtschaftsanwälte bestellt. Diese sind sodann in ihrer Einschätzung, ob eine Verletzung des Grundsatzes auf „faire und gerechte Behandlung“ des Investors durch das staatliche Vorgehen angenommen werden kann, weitgehend frei.789 Dies resultiert aus der unpräzisen, in ihrer Ausformung nicht näher bestimmten Fassung des materiellen Schutzstandards („fair and equitable treatment“, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EnCV), die reichlich Subsumtionsspielraum belässt, sowie aus der nach wie vor nicht hinreichend gefestigten Rechtsprechung hierzu.790 So ist nicht absehbar, wann und mit welchem Inhalt eine investitionsgerichtliche Entscheidung zum deutschen Atomausstieg ergehen wird. Möglich ist, dass das außerstaatliche Schiedsgericht auf die mittlerweile vorliegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Rechtsfrage rekurrieren wird791, gezwungen ist es hierzu keinesfalls. Eine Rechtspflicht des Schiedsgerichts zur Berücksichtigung des nationalen Verfassungsrechts oder auf dessen Grundlage ergangener Entscheidungen staatlicher Gerichte kann dem EnCV nicht entnommen werden.792 Dies kann zu der Situation führen, dass das Washingtoner Schiedsgericht die enttäuschten Erwartungen Vattenfalls und die zuvor getätigten Zusagen der Bundesregierung im Vorfeld des Atomausstiegs gänzlich anders werten wird, als es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil getan hat. Während letzteres den 788 Zur Zusammensetzung Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (90). 789 Den „äußerst weiten Interpretationsspielraum“ der Schiedsrichter kritisierend Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (360); diesbezüglich weit weniger kritisch Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (248 ff.). 790 Darauf setzend, dass sich mit Zunahme der schiedsgerichtlichen Praxis nach und nach eine solche herausbilden wird Moench/Lennartz, Der Energiecharta-Vertrag im Geflecht des internationalen Investitionsschutzes, RdE 2015, S. 153 (158). 791 Dies vermutend Ludwigs, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstiegsgesetz 2011 – Karlsruhe locuta, causa finita?, NVwZ-Beil. 1/2017, S. 3 (8). 792 Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (91).
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beschleunigten Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima als „weitgehend im Einklang mit dem Grundgesetz“ einstufte und prinzipiell davon ausging, der Gesetzgeber dürfe aufgrund seiner weitreichenden Einschätzungsprärogative bei Vorliegen einer Hochrisikotechnologie „auch ohne neue Gefährdungserkenntnisse den Reaktorunfall (…) als Anlass nehmen, zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschleunigen“793, kann es sein, dass das nicht-staatliche Schiedsgericht in der Kehrtwende des Gesetzgebers eine nicht nachvollziehbare und für Investoren unvorhersehbare Änderung des regulativen Umfeldes erblickt.794 In der Folge könnte es dem Energieunternehmen eine milliardenschwere Schadensersatzsumme795 zusprechen, die die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Erwägungen hinsichtlich einer „angemessenen“ Ausgleichsregelung, die gerade nicht an vollen Wertersatz heranreichen muss,796 gänzlich „in den Schatten stellt“ – und Vattenfall in der Kompensationsfrage verglichen mit den anderen (inländischen) beschwerdeführenden Unternehmen begünstigt.797 Mehr noch: Unterstellt, das Bundesverfassungsgericht hätte die vollständige Verfassungskonformität des angegriffenen Dreizehntes Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. 07. 2011 erklärt, dann träte bei einer (dennoch möglichen) Annahme einer unangemessenen Benachteiligung Vattenfalls durch das Schiedsgericht eine gradezu groteske Konstellation ein: Vattenfall bekäme in 793
BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Ls. 6, Rn. 292 ff. Zur Unbestimmtheit des in Art. 10 Abs. 1 EnCV verankerten Grundsatzes der „gerechten und fairen Behandlung“ und der bisher großzügigen Auslegung dessen durch die Schiedsgerichte siehe oben, S. 183 ff. 795 Die von Vattenfall begehrte Schadensersatzsumme wird auf 4,7 Milliarden Euro beziffert, vgl. Schmid/Garske, Die Diskussion um die Investor-Staat-Streitbeilegung im Kontext von TTIP, in: Ekardt/Unnerstall/Garske (Hrsg.), Globalisierung, Freihandel und Umweltschutz in Zeiten von TTIP, 2016, S. 93 (119); Ludwigs, Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema, in: ders. (Hrsg.), Der Atomausstieg und seine Folgen, 2016, S. 10 (10). Hohe Schadensersatzsummen sind in Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten, die sich auf den EnCV stützten, durchaus üblich. So wurde in den sog. Yukos-Verfahren, die wegen der Zerschlagung des ehemaligen Energiekonzerns Yukos von mehreren Anteilseigentümern gegen die Russische Föderation angestrengt wurden, jenen eine Entschädigungssumme von 50 Mrd. US-Dollar zugesprochen, vgl. Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 119. Näher zu diesem Verfahren und seinen, auch politischen, Hintergründen Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, 2011, S. 195 ff. 796 Vgl. BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Rn. 404. 797 Vgl. zu im Anschluss an das BVerfG-Urteil zu erwartenden Ausgleichszahlungen die Aussage einer RWE-Sprecherin: Das Unternehmen gehe „nicht davon aus, dass hier Entschädigungen in Milliardenhöhe erfolgen werden“, http://www.spiegel.de/wirtschaft/ soziales/bundesverfassungsgericht-zum-atomausstieg-energie-konzerne-haben-anspruch-auf-entschaedigung-a-1124612.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 794
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dieser hypothetischen Situation trotz Feststellung der Rechtskonformität der Gesetzesänderung durch ein originär zur diesbezüglichen Entscheidung berufenes staatlich-legitimiertes Gericht eine Wiedergutmachung durch einen außerstaatlichen Akteur in einem intransparenten Verfahren zugesprochen, dessen Entscheidung zudem endgültig und verbindlich wäre (Art. 26 Abs. 8 Satz 1 EnCV). Jede Vertragspartei hat einen Schiedsspruch schließlich unverzüglich auszuführen und die wirksame Vollstreckung auf ihrem Hoheitsgebiet zu veranlassen (Art. 26 Abs. 8 Satz 3 EnCV). Die Bundesrepublik Deutschland hätte damit die Entscheidung eines außerstaatlichen Schiedsgerichts auf Wiedergutmachung zu exekutieren, die der Rechtsprechungslinie ihres höchsten Gerichts klar entgegenstünde. Unabhängig vom Ausgang des schiedsgerichtlichen Verfahrens wird Folgendes deutlich: Ein außerhalb eines staatlichen Zurechnungs- und Legitimationszusammenhangs stehender, privater Akteur – das Schiedsgericht – wird derart in das energierechtliche Gefüge eingebunden, dass sein Wirken gesellschaftspolitische Auswirkungen erheblichen Ausmaßes nach sich ziehen kann. Der Staat ist nicht in der Lage, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, mit Ratifizierung des Energiecharta-Vertrages hat er seinen Steuerungsanspruch auch in Fragen der Rechtsprechung teilweise aufgegeben bzw. auf nicht-staatliche Akteure übertragen. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch der folgende Aspekt: Um umfangreiche Investitionssicherheit zugunsten privater Unternehmen zu garantieren, wurde im EnCV eine lange Kündigungsfrist festgeschrieben. Selbst wenn ein Vertragsstaat sein Rechtsprechungsmonopol zurückerhalten und wieder in einen ausschließlich staatlichen Rahmen überführen möchte, so geht dies nicht von heute auf morgen. Den momentanen Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung kommt vielmehr gem. Art. 47 Abs. 3 EnCV798 auch nach Kündigung des völkerrechtlichen Vertragswerkes noch eine Nachwirkung von 20 Jahren zu. 3. Zweites Beispiel: Vattenfall und das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg Das schwedische Energieversorgungsunternehmen Vattenfall plante über einen langen Zeitraum die Errichtung eines neuen Steinkohlekraftwerks am Standort des alten Kraftwerks Hamburg-Moorburg, dessen Betrieb im Jahr 2001 eingestellt worden war. Das Kraftwerk sollte neben Strom zugleich Fernwärme für die Versorgung der westlichen Gebiete der Freien und Hansestadt Hamburg 798 Siehe auch Art. 45 Abs. 3b EnCV, der auf dieselbe Frist abstellt. Zur Kündigungsfrist des EnCV Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 318 (Fn. 54), 338.
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liefern.799 Vattenfall beantragte zu diesem Zweck im Oktober 2006 die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Teilgenehmigung (§ 8 BImSchG) für das Vorhaben mit zwei Kraftwerksblöcken. Den Planungen entsprechend sollte für die notwendige Kühlung des Kraftwerks Wasser aus der Süderelbe entnommen und nach der Kühlwasserpassage (in erwärmtem Zustand) wieder zurückgeführt werden.800 Der insbesondere zu diesem Zweck gestellte Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis (§ 8 WHG) bildete den Ausgangspunkt eines Schiedsgerichtsverfahrens, das – gerade wegen seiner Auswirkungen auf die sog. Energiewende und den Ausbau erneuerbarer Energien – Aufmerksamkeit erregte.801 So war Vattenfall – aus Sicht eines privaten Investors durchaus nachvollziehbar – bestrebt, die Zeit zwischen Antragstellung und formeller Erlaubniserteilung kurz zu halten und bereits Zusagen der relevanten politischen Akteure zu erlangen. Da dem damalig CDU-geführten Senat sehr am Bau des Kraftwerks gelegen war, schlossen die Vattenfall Europe AG und die Stadt Hamburg am 26.11. bzw. 04. 12. 2007 eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Hinblick auf das geplante Kraftwerk (sog. Moorburg-Vereinbarung).802 In dieser Einigung werden Details zur Errichtung des Kraftwerks näher festgelegt, darunter die Realisierung einer CO2-Reduktionstechnologie zum frühestmöglichen Zeitpunkt, CO2-Einsparungen infolge neuer Technologien, die Auskoppelung von Fernwärme sowie Vorkehrungen zum Schutz der Elbe.803 Auch wenn die Parteien in § 1 Abs. 2 der 799 Zum
diesbezüglichen Hintergrund vgl. den Tatbestand des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, insb. Rn. 13 ff., ZUR 2013, S. 357 (357 ff.). 800 Ebd., Rn. 14. 801 Dieses Verfahren – neben dem zuvor aufgezeigten Vorgehen Vattenfalls im Zusammenhang mit dem deutschen Atomausstieg – als ein Beispiel aktueller schiedsgerichtlicher Praxis nennend Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 120 f.; zum Verfahren auch Krajewski, Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (398 f.); ders., Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (353 ff.); Tams, Internationales Wirtschaftsrecht als Grenze deutscher Umweltpolitik?, NordÖR 2010, S. 329 (329 ff.); auch Schmid/Garske, Die Diskussion um die Investor-Staat-Streitbeilegung im Kontext von TTIP, in: Ekardt/Unnerstall/Garske (Hrsg.), Globalisierung, Freihandel und Umweltschutz in Zeiten von TTIP, 2016, S. 93 (118 f.). 802 Vereinbarung zwischen der Vattenfall Europe AG und der Freien und Hansestadt Hamburg, 26.11./04. 12. 2007, im Internet abrufbar unter: http://www.hamburg.de/contentblob/137712/876f536e9611dea2f77ca992383c110f/data/vereinbarungpdf.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 803 Vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, insb. Rn. 24 f. (Fn. 799).
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Vereinbarung festgeschrieben haben, dass die ausgehandelten Maßnahmen nur „für den Fall der Genehmigung“ des Kraftwerks gelten, so folgt aus den weiteren Ausführungen doch, dass die Umweltbehörde nach damaligem Stand der Prüfung davon ausging, die endgültige immissionsschutzrechtliche Genehmigung und die wasserrechtliche Erlaubnis könnten rasch erteilt werden.804 Hierzu passt, dass dem Antrag des Energiekonzerns auf Zulassung des vorzeitigen Baubeginns nach § 8a Abs. 1 BImSchG noch im Jahr 2007 entsprochen wurde.805 Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Jahr 2008 änderten sich jedoch die politischen Kräfteverhältnisse. Die CDU verlor ihre absolute Mehrheit, es kam zur deutschlandweit ersten „schwarz-grünen Koalition“. Das Steinkohlekraftwerk Moorburg bildete dabei das schwierigste Thema der Koalitionsverhandlungen, schließlich waren „die Grünen“ zur Bürgerschaftswahl noch mit dem Ziel angetreten, das als „Klimakiller“ titulierte Kraftwerk zu verhindern.806 Die Koalitionsparteien einigten sich schließlich darauf, das Kraftwerk zu genehmigen, jedoch wurde die wasserrechtliche Erlaubnis mit einer Fülle von inhaltlichen Beschränkungen und Nebenbestimmungen verbunden.807 So wurde die Summe aller Wasserentnahmen aus der Süderelbe begrenzt808, was eine lineare Drosselung der Wasserentnahme und damit des Kraftwerkbetriebes bedeutete. Zudem wurde eine Reduzierung der Kühlwassereinleitung festgeschrieben, insbesondere in den Wintermonaten.809 Im Ergebnis bedeuteten die Auflagen für Vattenfall, dass es das Kraftwerk nicht im gewünschten Maß und nicht zu den anvisierten Bedingungen nutzen konnte. Mit diesen Einschränkungen der Erlaubnis wollte
804 Die Ausführungen der Vereinbarung ebenfalls derart interpretierend Tams, Internationales Wirtschaftsrecht als Grenze deutscher Umweltpolitik?, NordÖR 2010, S. 329 (330). 805 Vgl. insb. § 8a Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, nach dem die zuständige Behörde den vorzeitigen Beginn nur zulassen soll, wenn „mit einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers gerechnet werden kann“. Näher zu den Voraussetzungen der ‚überwiegend wahrscheinlichen Genehmigungserteilung‘ Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz, 12. Auflage 2017, § 8a Rn. 10 ff.; zur Zulassung vorzeitigen Beginns auch Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Auflage 2017, § 7 Rn. 81. 806 Vgl. FAZ.net vom 30. 09. 2008: „Kraftwerk Moorburg darf gebaut werden“, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/hamburg-kraftwerk-moorburg-darf-gebaut-werden-15159.html (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 807 Der Bescheid erging am 30. 09. 2008, öffentlich bekannt gemacht durch Auslegung in der Zeit vom 14. – 27. 10. 2008; vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, Rn. 35 (Fn. 799). 808 Es durften nicht mehr als 20 Prozent des jeweiligen Oberwasserdargebots entnommen werden (sog. dynamische 1/5-Oberwasser-Regel). 809 Außerdem wurde Vattenfall die Errichtung einer zweiten Fischaufstiegsanlage aufgegeben. Zu den Details vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, Rn. 35 (Fn. 799).
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
sich der Energiekonzern nicht abfinden und machte dies mittels einer Klage vor der Hamburger Verwaltungsgerichtsbarkeit geltend.810 Das schwedische Energieversorgungsunternehmen nutzte aber erneut seine ihm als ausländischem Investor durch den EnCV eingeräumte, privilegierte Stellung aus und strengte ein paralleles Verfahren nach Art. 26 EnCV vor einem internationalen Schiedsgericht an.811 Vattenfall stützte auch in diesem Verfahren seine schiedsgerichtliche Klage auf den Grundsatz der „fairen und gerechten Behandlung“ („fair and equitable treatment“) und behauptete eine Verletzung durch einen staatlichen Akteur aufgrund der erst durch den neuen Senat gemachten zusätzlichen inhaltlichen Beschränkungen und Nebenbestimmungen.812 Da nur die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei des EnCV taugliches Völkerrechtssubjekt813 ist und die Klage nur gegen sie gerichtet werden konnte, obwohl mit dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg eine Landesverwaltung gehandelt hatte, erhielt der Investitionsstreit zugleich eine bundespolitische Komponente. Die Bundesrepublik als Unterzeichner des EnCV hat insofern für das Handeln einer föderalismusbedingt getrennt agierenden Staatsebene einzustehen – eine weitere Besonderheit im Vergleich zur Überprüfung der Rechtsstreitigkeit vor nationalen Verwaltungsgerichten, wenn auch eine, die im Völkerrecht üblich ist.814 810 Genau genommen handelte es sich bei dem aufgezeigten Vorgehen Vattenfalls gegen die Einschränkungen der wasserrechtlichen Erlaubnis (Verpflichtungsklage auf Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis ohne die beigefügten Einschränkungen) um eine Klageumstellung, denn das Unternehmen hatte bereits zuvor eine Untätigkeitsklage erhoben, weil sich die behördliche Prüfung im Verwaltungsverfahren verzögerte (Az.: 5 E 4/08.P – nicht veröffentlicht), vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, Rn. 35 f. (Fn. 799). 811 Die Registrierung lief unter: Vattenfall AB vs. Federal Republic of Germany, ICSID Case No. ARB/09/6. Informationen, soweit abrufbar, finden sich unter: http://www.italaw. com/sites/default/files/case-documents/ita0890.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 812 Außerdem führte Vattenfall an, das Vorgehen des Hamburger Senats stelle eine entschädigungslose indirekte Enteignung dar, vgl. Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (354 f.); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (399); siehe auch Tams, Internationales Wirtschaftsrecht als Grenze deutscher Umweltpolitik?, NordÖR 2010, S. 329 (330). 813 Zur Völkerrechtssubjektivität des Staates vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 32 GG, Rn. 34; Herdegen, Völkerrecht, 14. Auflage 2015, § 7 Rn. 3 ff. 814 Nach allgemeinen Grundsätzen über die Staatenverantwortlichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland bei Übernahme völkerrechtlicher Verpflichtungen auch für das Agieren von Landesbehörden einzustehen. Zur Staatenverantwortlichkeit Deutschlands in diesem Zusammenhang vgl. Tams, Internationales Wirtschaftsrecht als Grenze deutscher Umweltpolitik?, NordÖR 2010, S. 329 (330); A. Peters, Völkerrecht, 4. Auflage 2016, Kap.
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Der weitere Verlauf des schiedsgerichtlichen Verfahrens belegt exemplarisch, wie sehr bereits die in Aussicht stehende Entscheidung einer nicht in einen staatlichen Gesamtzusammenhang eingebetteten Investitionsschiedsgerichtsbarkeit das Handeln staatlicher Akteure gleichwohl zu beeinflussen vermag. Noch während der Rechtsstreit vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit815 anhängig war, sorgte die seitens Vattenfall vor dem International Center for Settlement of Investment Disputes, Washington, begehrte Schadensersatzsumme in Milliardenhöhe816 und die Unwägbarkeit der dortigen Entscheidung aufgrund der beschriebenen Unbestimmtheit des Grundsatzes der „gerechten und fairen Behandlung“ (Art. 10 Abs. 1 EnCV) für ein Einlenken der politischen Akteure. Christian Maaß, zum damaligen Zeitpunkt Staatsrat in der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, führte in einem Fernsehinterview diesbezüglich aus, man wolle nicht mitverantwortlich dafür sein, dass dem deutschen Steuerzahler ein Schaden in Milliardenhöhe entstehe.817 Der Druck, den Vattenfall über einen „privaten Rechtsweg“ aufzubauen vermochte, sorgte so letztendlich dafür, dass sich die Stadt Hamburg vor dem Oberverwaltungsgericht im Oktober 2010 auf einen Vergleich einließ818, der in der Folge auch zur Grundlage der Verfahrensbeendigung vor dem internationalen Schiedsgericht wurde.819 In diesem, offiziell nicht veröffentlichten Vergleich hat sich die Stadt Hamburg zum Erlass einer neuen,
13, Rn. 15; allgemein zur völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit dies., ebd., Kap. 13, Rn. 1 ff.; v. Arnauld, Völkerrecht, 3. Auflage 2016, Rn. 374 ff.; Herdegen, Völkerrecht, 14. Auflage 2015, § 58 Rn. 1 ff.; Schröder, Verantwortlichkeit, Völkerstrafrecht, Streitbeilegung und Sanktionen, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Auflage 2016, VII. Abschnitt, Rn. 6 ff.; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Auflage 2014, S. 515 ff.; Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage 2014, § 28 Rn. 1 ff. 815 OVG Hamburg, Az. 5 E 4/08.P – nicht veröffentlicht. 816 Die genaue Summe ist offiziell nicht veröffentlicht worden. Im späteren Rechtsstreit vor dem OVG Hamburg gaben die Parteien insoweit an, es sei um einen „kleinen einstelligen Milliardenbetrag“ gegangen, vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, Rn. 37 (Fn. 799); Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (354) beziffert die Summe auf 1,4 Milliarden Euro. 817 Vgl. Interview im Rahmen der ARD-Dokumentation „Die Story im Ersten“ vom 19. 10. 2015, Sendung in der Mediathek abrufbar unter: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/konzerne-klagen-wir-zahlen-102.html (zuletzt aufgerufen am 08. 10. 2016). 818 Das vor dem OVG Hamburg anhängige Verfahren (Az.: 5 E 4/08.P) wurde mittels eines am 17. 09. 2010 protokollierten Vergleichs beendet. 819 Zur Beendigung des Rechtsstreits vor dem OVG und zur Übernahme des Vergleichs auch in das schiedsgerichtliche Verfahren Germelmann, Internationaler Investitionsschutz im Energierecht, Energiecharta-Prozess und Energiecharta-Vertrag, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 94. EL Juli 2017, Rn. 120.
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inhaltlich modifizierten Erlaubnis verpflichtet.820 Im Ergebnis wurde Vattenfall die begehrte wasserrechtliche Erlaubnis unter Aufhebung wesentlicher Einschränkungen gewährt, wodurch der Energieversorger letztlich besser gestellt war, als durch die ursprüngliche Erlaubnis aus dem Jahr 2008.821 Zudem verfügt Vattenfall mit Übernahme des Prozessvergleichs auch in das schiedsgerichtliche Verfahren über eine zusätzliche, völkerrechtliche Absicherung seiner Rechtsposition822, die losgelöst vom verwaltungsgerichtlichen Prozessvergleich Bestand hat und Vattenfall zumindest eine Rückabsicherung in Form von Schadensersatzforderungen garantiert.823 Diese international verstärkte Rechtsposition könnte Vattenfall dabei in der Tat noch nützen. So hatte sich das OVG Hamburg im Rahmen einer Verbandsklage der Umweltschutzorganisation BUND nach §§ 1, 2 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) erneut mit der wasserrechtlichen Erlaubnis des schwedischen Energieversorgers zu befassen. Dabei kam das Gericht zu der Entscheidung, dass die der beigeladenen Vattenfall erteilte wasserrechtliche Erlaubnis insoweit aufzuheben sei, als dem Energieversorgungsunternehmen darin die Entnahme und die Wiedereinleitung von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung des Kraftwerks erlaubt wird. Hierin wurde ein Verstoß gegen den Versagungsgrund des § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG (2009) gesehen, weil schädliche Gewässerveränderungen zu erwarten seien.824 Die revisionsgerichtliche Entscheidung gegen dieses Urteil steht noch aus.825 Noch interessanter ist, dass in Reaktion auf die von Vattenfall gerade über deren schiedsgerichtliches Vorgehen erreichten Aufweichungen der 820 Vgl. die tatbestandlichen Ausführungen des späteren Urteils des OVG Hamburg vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, Rn. 37 (Fn. 799). 821 So zum Inhalt des Vergleichs Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (354); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (399). 822 Zur völkerrechtlichen Garantie des vom EnCV erfassten Schutzbereiches Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 1/1, 3. Auflage 2014, Einl. D, Rn. 340. 823 In diesem Zusammenhang von einem „rechtlichen Mehrwert“ sprechend Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (354 f.); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (399). 824 OVG Hamburg, Urteil vom 18. 01. 2013 – 5 E 11/08 –, juris, insb. Rn. 155 ff. (Fn. 799). 825 Vor dem Bundesverwaltungsgericht trägt das Verfahren das Az.: 7 C 18/17, die Verhandlung ist terminiert auf den 29. 05. 2018 (Stand: 29. 01. 2018). Bisher hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich im Eilverfahren entschieden, dass das Steinkohlekraftwerk Moorburg mit der geplanten Durchlaufkühlung vorläufig in Betrieb gehen darf, vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2014 – 7 VR 1/14, NVwZ 2015, S. 82 (82 ff.).
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einstigen Einschränkungen die EU-Kommission auf den Plan gerufen wurde: Diese betrieb gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Versäumnisses, bei der Genehmigung des Kohlekraftwerkes Moorburg die Vorschriften der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie826 beachtet zu haben, ein Vertragsverletzungsverfahren, welches inzwischen zum Abschluss kam.827 Der EuGH kam in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die Stadt Hamburg den Bau des Kraftwerks genehmigt hat, ohne die Auswirkungen auf die Umwelt ausreichend zu prüfen. Durch das Kühlsystem des Kraftwerks Moorburg könnten die (in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführten und in den betroffenen Natura-2000-Gebieten geschützten) Fischarten erheblich beeinträchtigt werden, was im Zuge des Genehmigungsverfahrens nicht ausreichend gewürdigt worden sei.828 Dieses Urteil des EuGH wird auch auf die noch ausstehende Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Einfluss haben, schließlich wurde (zumindest indirekt) auch der gefundene Kompromiss zwischen Vattenfall und der Stadt Hamburg hinsichtlich der Auflagenlockerung für rechtswidrig befunden.829 Dennoch könnte sich der schwedische Energieversorger vor einem internationalen Schiedsgericht auf den dort getroffenen Vergleich berufen und unter Bezugnahme auf diesen nunmehr eine ungerechte Behandlung monieren. Dies könnte dann wiederum zu einer Schadensersatzpflicht Deutschlands führen, wohlgemerkt wegen einer Vereinbarung, die vor unionalen bzw. staatlichen Gerichten keinen Bestand hatte.830 826 Richtlinie 92/43/EWG vom 21. 05. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206, S. 7. Zu deren Bedeutung vgl. Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10. Auflage 2017, § 10 Rn. 5, 113 ff., 139 ff., 151. 827 EuGH, Urteil vom 26. April 2017 – C-142/16, ABl EU 2017, Nr C 195, S. 5 = ZUR 2017, S. 414 (414 ff.) = NuR 2017, S. 393 (393 ff.). Zu dieser Nachwirkung der Auflagenlockerung zugunsten Vattenfalls auch Schmid/Garske, Die Diskussion um die Investor-Staat-Streitbeilegung im Kontext von TTIP, in: Ekardt/Unnerstall/Garske (Hrsg.), Globalisierung, Freihandel und Umweltschutz in Zeiten von TTIP, 2016, S. 93 (118 f.). 828 EuGH, Urteil vom 26. April 2017 – C-142/16 –, juris, Rn. 30. 829 Der BUND forderte den Kraftwerksbetreiber Vattenfall im Anschluss an das EuGH-Urteil bereits auf, die Revision gegen das Urteil des OVG Hamburg (Fn. 799) nunmehr zurückzunehmen, siehe: https://www.bund-hamburg.de/service/presse/detail/news/ kohlekraftwerk-moorburg-umweltsenator-muss-kuehlwasserentnahme-aus-der-elbe-stoppen/(zuletzt aufgerufen am 28. 01. 2018). 830 Vgl. Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (355), der in diesem Zusammenhang sogar überlegt, ob Vattenfall die Stadt Hamburg auf der Grundlage des ICSID-Vergleichs entgegen einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zwingen könnte, die gewünschte Genehmigung zu erteilen. Dies ist jedoch rechtlich unwahrscheinlich und hängt in jedem Fall maßgeblich von den Details des zwischen beiden Parteien getroffenen Vergleichs ab, die jedoch nicht veröffentlicht sind. Im Erfolgsfall sprechen internationale Schiedsgerichte in der Praxis keine Verpflichtung zur Naturalrestitution aus, auch wenn dies theoretisch möglich wäre, sondern es wird – wie beschrieben – Schadensersatz zuge-
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II. Governance im Bereich der Rechtsprechung und Demokratie Die beiden Vattenfall-Klagen vor internationalen Schiedsgerichten zeigen die Macht, die nicht-staatlichen Akteuren im Bereich der energierechtlichen Rechtsprechung zukommt. Keines der auf Grundlage von Art. 26 Abs. 1 EnCV angerufenen Schiedsgerichte ist in einen originär staatlichen Zurechnungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang eingebettet, dennoch können sie unanfechtbare Entscheidungen mit Gemeinwohlbezug fällen. Dass sie sich dabei sogar konträr zur Rechtsprechungslinie staatlicher Gerichte, die in einen eben solchen Gesamtzusammenhang eingefasst sind, verhalten können, verschärft das in diesem Kontext auftauchende Governance-Problem noch zusätzlich. Es ist die rechtstaatliche Aufgabe von Gerichten, letztverbindliche Entscheidungen zu treffen und dabei nur den gesetzlichen Anforderungen unterworfen zu sein.831 Gerade wegen dieser richterlichen Unabhängigkeit sind hohe legitimatorische Anforderungen zu stellen. Dies gilt in verstärktem Maße für die Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit. Da vor allem diese über Gegenstände des Gemeinwohls832 zu entscheiden haben, ist ihre Neutralität und Passivität besonders sorgsam zu wahren.833 Die legitimatorische Leistung des Rechtsschutzkonzepts gelingt in diesem Fall gewöhnlich durch einen Dreiklang: Erstens ist die politische Enthaltsamkeit der Rechtsprechung im Interesse der Gewaltenteilung834 dadurch zu gewährleisten, dass die Streitentscheidung in kontradiktorischen, transparenten, rechtsstaatlisprochen, vgl. Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (246). Zur theoretisch möglichen Verpflichtung zur Naturalrestitution auch Krönke, Das Ordnungspotenzial der Chorzów-Grundsätze für das Investitionsschutzrecht, ZaöRV 2016, S. 97 (116 f., 135 ff.). 831 Zu Begriff und Anforderungen an die Rechtsprechung von Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Auflage 2016, Rn. 517 ff.; zur Aufgabe von Gerichten auch Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 4, 3. Auflage 2006, § 76 Rn. 19; zur sich wandelnden Funktion der (staatlichen) Gerichtsbarkeit im Verfassungsgefüge europäischer Staaten Seibert-Fohr, Richterbestellung im Verfassungswandel, Der Staat 49 (2010), S. 130 (130 ff.). 832 Zum Verständnis des Gemeinwohls Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 4, 3. Auflage 2006, § 71 Rn. 7 ff. 833 So zur Verwaltungsgerichtsbarkeit Rennert, Funktionswandel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: Schenke/Suerbaum (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union, 2016, S. 165 (186), der deren Legitimität vor diesem Hintergrund als „prekär“ bezeichnet. Zur Frage, wie Verfassungsrichter in der rechtsstaatlichen Demokratie bestellt werden sollten, Seibert-Fohr, Richterbestellung im Verfassungswandel, Der Staat 49 (2010), S. 130 (131 ff.). 834 Vor dem Hintergrund der gewaltenteilenden Ordnung des Grundgesetzes ebenfalls eine Zurückhaltung der Gerichte bei der Vornahme allgemeiner politischer Wertungen
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chen Verfahren erfolgt; zweitens ist die Rechtsprechung grundsätzlich auf die nachträgliche Kontrolle abgeschlossener Sachverhalte zu beschränken und – drittens – ist der Rechtsprechung ein gesetzlicher Maßstab an die Hand zu geben, der aufgrund einer relativ hohen normativen Bestimmtheit den Auslegungsspielraum im Interesse der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit von Entscheidungen begrenzt.835 Sämtliche dieser drei Legitimationsgrundlagen werden durch die Schiedsgerichtsbarkeit nach dem EnCV in Frage gestellt. Erstens: Die von Vattenfall angestrengten Prozesse zeichnen sich weder durch Transparenz noch durch eine politische Enthaltsamkeit aus. Vielmehr wohnt ihnen das Potential inne, die vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber angestrebte Energiewende zu beeinträchtigen. Zweitens: Hiermit steht im Zusammenhang, dass sich die dort anhängigen Verfahren nicht auf eine nachträgliche Kontrolle abgeschlossener Sachverhalte beschränken, sondern durch sie aktiv Zukunftsgestaltung betrieben wird, wie es das Einlenken der Hamburger Senatsverwaltung in Bezug auf die von Vattenfall begehrte Erlaubnis und die damit verbundene Abkehr der Regierung von ihrer umweltpolitische Linie exemplarisch belegt. Drittens: Die bereits thematisierte Unbestimmtheit des Grundsatzes der gerechten und fairen Behandlung (Art. 10 Abs. 1 EnCV), auf den die meisten der schiedsgerichtlichen Klagen gestützt werden, weitet den Auslegungsspielraum der Schiedsgerichte derart aus, dass sich die Entscheidungen der ohnehin intransparenten Verfahren kaum mit einem für die Rechtssicherheit erforderlichen Maß vorhersagen lassen. Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie und (auch) regionale, mit dem Umweltschutz im Zusammenhang stehende Fragen wie die der Elbwassernutzung in Hamburg stellen Sachverhalte mit erheblichem Gemeinwohlbezug dar. Schiedsgerichte können in derart bedeutende Sachverhalte eingreifen, selbst wenn im Einzelfall eine abschließende Bewertung der Vorgänge durch originär zur Entscheidung berufene staatliche Gerichte noch gar nicht erfolgt ist.836 In Hamburg führte die in Aussicht stehende Verurteilung zu einer Schadensersatzzahlung an Vattenfall in Milliardenhöhe zu einem Umdenken der demokratisch legitimierten Verwaltung. Sie verzichtete auf Umweltauflagen zum Schutz des Wassers und anmahnend Grzeszick, Die Europäisierung des Rechts und die Demokratisierung Europas, Die Verwaltung, Beiheft 10 (2010), S. 95 (116). 835 Zu diesen drei Punkten Rennert, Funktionswandel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: Schenke/Suerbaum (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union, 2016, S. 165 (186 f.); ausführlich zur Legitimation der Gerichte ders., Legitimation und Legitimität des Richters, JZ 2015, S. 529 (529 ff.). 836 Zur Repräsentation des demokratisch legitimierten Allgemeininteresses im Verwaltungsprozess vgl. Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1 (8 f.); zur Legitimationsbedürftigkeit von Verfassungs- und Verwaltungsgerichten auch Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zur Bestimmung der Klagebefugnis im Umweltrecht, DVBl. 2014, S. 543 (549).
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der Fischbestände, um den Steuerzahler nicht der Gefahr einer „Wiedergutmachungszahlung“ auszusetzen. Ein Vorgehen, dass nun ironischer Weise wiederum staatliche und europäische Gerichte auf den Plan rief. Ein solches staatliches Einlenken ist in Bezug auf die bundespolitische Entscheidung zum Atomausstieg zwar nicht vorstellbar, doch zeigt auch hier die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht die 13. Novelle des Atomgesetzes als weitgehend verfassungskonform einordnet und dennoch aufgrund eines schiedsgerichtlichen Urteils hierfür Schadensersatz in Milliardenhöhe zu leisten sein könnte, in welchen Widerspruch souveräne nationale Entscheidungen und der durch außerstaatliche Akteure ausgeübte Investitionsschutz geraten können.837 Die fehlende Verpflichtung der privaten Schiedsgerichte, nationales Verfassungsrecht und hierauf gestützte Entscheidungen staatlicher Gerichte zu berücksichtigen838, führt zu einem nicht aufzulösenden Konflikt zweier Rechtsprechungsakteure, von denen nur einer in hinreichende demokratisch-rechtsstaatliche Strukturen eingebettet ist. Der zwischen staatlichen und außerstaatlichen Strukturen parallel verlaufende Rechtsschutz lässt sich spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur 13. Atomgesetz-Novelle auch über eine „Auffangverantwortung“ der Schiedsgerichte nicht mehr sinnvoll rechtfertigen. Mit der im Verfassungsgerichtsurteil ergangenen Feststellung, dass auch eine erwerbswirtschaftlich tätige juristische Person des Privatrechts, die vollständig von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union getragen wird, wegen der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Ausnahmefällen Grundrechtsfähigkeit zukommt839, ist das zur 837 Von einem Spannungsverhältnis von Investitionsschutz und staatlicher Regulierung sprechend Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (358 f.); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (400 f.); ders., Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (92 ff.). Die vermeintliche Untergrabung nationaler Souveränität mit dem Argument verwerfend, es würde auch bei Schiedsgerichten durch „unabhängige Richter“ entschieden Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (248), wobei er nicht zwischen der aufgezeigten verfassungs- bzw. europarechtlich garantierten Unabhängigkeit von staatlichen Richtern und der lediglich über ein Auswahlverfahren im Wege der Privat autonomie angestrebten „Unabhängigkeit“ von internationalen Schiedsrichtern zu differenzieren scheint. 838 Zur fehlenden Berücksichtigungspflicht auch Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsschutzrecht, juridicum 3/2013, S. 348 (358); ders., Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP), ZUR 2014, S. 396 (400). 839 Vgl. BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Leitsatz 2, Rn. 196 ff., wonach auch dem in schwedischer Staatshand befindlichen Unternehmen Vattenfall Beschwerdebefugnis zuerkannt wurde.
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Daseinsberechtigung der Schiedsgerichte gelegentlich vorgetragene Argument, der über das Schutzsystem des EnCV garantierten Privilegierung ausländischer Investoren840 stehe in Deutschland eine restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber, nach der in Staatshand befindliche Unternehmen generell nicht grundrechtsfähig seien841, hinfällig geworden. Die Privilegierung ausländischer Investoren durch den EnCV erscheint nunmehr erst recht nicht nachvollziehbar. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht von einer „ausnahmsweise“ erfolgten Eröffnung der Beschwerdebefugnis zugunsten Vattenfalls angesichts der „besonderen Umstände“ des Einzelfalls spricht842, ohne darzulegen, ob es dauerhaft von seiner vorigen, restriktiven Rechtsprechungslinie abzuweichen gedenkt. Eine im deutschen (Verfassungs-)Recht bestehende Schutzlücke843 sollte nie durch Sicherstellung eines umfassenderen Zugangs zu einer nicht-staatlichen Schiedsgerichtsbarkeit geschlossen werden. 840 Nur ausländische Unternehmen können sich als „Investor einer anderen Vertragspartei“ gem. Art. 26 Abs. 1 EnCV (parallel zur Anrufung der staatlichen Gerichte) auch auf das internationale Investitionsschutzregime vor Schiedsgerichten berufen, was ihnen eine Besserstellung gegenüber Inländern garantiert. Vgl. diesbezüglich auch Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (94). 841 Vgl. Gundel, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Energiewende, EnWZ 2016, S. 243 (243, 248), der dieses Argument unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranzieht, um der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit einen „Mehrwert“ zuzuschreiben (ebd., S. 250). Den Umstand der Beschwerdebefugnis Vattenfalls nicht thematisierend Krajewski, Verfassungsrechtliche Probleme des Eigentumsschutzes durch internationales Investitionsrecht, in: Gedächtnisschrift für Helmut Rittstieg, 2015, S. 80 (95 f.), der augenscheinlich schon im Vorfeld der jüngsten BVerfG-Entscheidung davon auszugehen schien, das Gericht werde Rechtsschutz gewähren. Eine Beschwerdebefugnis Vattenfalls deshalb ablehnend, weil ausländische Staaten nicht grundrechtsberechtigt sind Kahl/Bews, Rechtsfragen der Energiewende, JURA 2014, S. 1004 (1009). Vgl. zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere die Leitentscheidung BVerfG, Beschluss vom 02. Mai 1967 – 1 BvR 578/63 –, BVerfGE 21, S. 362, 1. Leitsatz: „Die Grundrechte gelten grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit die öffentliche Aufgaben wahrnehmen; insoweit steht ihnen der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht zu.“ Speziell zu Energieversorgungsunternehmen mit Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand B VerfG, Kammerbeschluss vom 16. Mai 1989 – 1 BvR 705/88 –, juris = NJW 1990, S. 1783. Vor dem Hintergrund dieser bisherigen Rechtsprechungslinie hat das mittlerweile wieder in deutscher Staatshand befindliche Energieversorgungsunternehmen EnBW von der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde Abstand genommen, siehe oben, Fn. 741. 842 BVerfG, Urteil v. 06. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. (Fn. 743), Leitsatz 2, Rn. 196. 843 Zu Kritik an der bisherigen Linie des Bundesverfassungsgerichts, mehrheitlich in Staatshand befindlichen Unternehmen die Grundrechtsfähigkeit abzusprechen, etwa Kühne, Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, JZ 1990, S. 335 (335 f.).
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2. Teil, § 5 Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsprechung
Letzterer würde damit das Potential einer umfassenden Gemeinwohlformulierung zugesprochen844, das ihren – wie gesehen äußerst dünnen – Legitimationsgrundlagen nicht gerecht wird. Gerade die im Unterschied zu staatlichen Gerichten fehlende Unabhängigkeit der berufenen Schiedsrichter steht einem Gestaltungsmandat von nicht-staatlichen Schiedsgerichten entgegen. Zur Rechtfertigung eines solchen Mandates, das originär dem Gesetzgeber zugeordnet ist, bedarf es spezieller Legitimationsgrundlagen.845 Dass es möglich ist, ein solches Mandat zu gewähren, zeigt die Legitimierung des Bundesverfassungsgerichts, welches mit seinen Entscheidungen regelmäßig nicht nur eine einzelfallbezogene Nachprüfung von Sachverhalten vornimmt, sondern auch gestalterische Vorgaben an den Gesetzgeber macht.846 Indem die obersten deutschen Richter jedoch vom Bundestag bzw. Bundesrat gewählt werden847, werden auch demokratische Repräsentationserwartungen befriedigt848 – ein Vorgang, der mit der Auswahl und Ernennung der Schiedsrichter in keiner Weise vergleichbar ist. Die durch den EnCV ermöglichten Durchgriffe auf gesetzgeberische Entscheidungen im Ener844 Zu den Gefahren einer Auflösung der Gewaltenteilung durch die (Verwaltungs-) Gerichtsbarkeit Schmidt-Aßmann, Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: FS Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 107 (112 ff.). 845 Zur Legitimation von Gerichten vgl. Rennert, Funktionswandel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: Schenke/Suerbaum (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union, 2016, S. 165 (186 f.). 846 Zu denken ist etwa an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber zur Vorratsdatenspeicherung, BVerfG, Urteil vom 02. März 2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 –, BVerfGE 125, S. 260; an die Ausgestaltung der Erbschaftssteuer nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, BVerfGE 138, S. 136; an die auf das Bundesverfassungsgericht zurückführbaren gesetzgeberischen Korrekturen am Wahlrecht (negatives Stimmgewicht, Überhangmandate) BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 BvE 9/11, 2 BvF 3/11, 2 BvR 2670/11 –, BVerfGE 131, S. 316. Ausführlich zu dieser Thematik Kleuker, Gesetzgebungsaufträge des Bundesverfassungsgerichts, 1993. Zur zunehmend erfolgenden Zurückdrängung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums auch durch (staatliche) Gerichte Grzeszick, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 71 (2012), S. 49 (62 ff.). Zum Verhältnis zwischen BVerfG und Gesetzgeber ders., Die Europäisierung des Rechts und die Demokratisierung Europas, Die Verwaltung, Beiheft 10 (2010), S. 95 (116). 847 Zur Ausgestaltung der Wahl zum Bundesverfassungsrichter Schnelle, Die indirekte Wahl der Bundesverfassungsrichter durch den Wahlausschuss des Bundestages vor dem Hintergrund der parlamentarischen Repräsentationsfunktion, NVwZ 2012, S. 1597 (1597 ff.). 848 So zu den Anforderungen an die Legitimationsgrundlagen von Verfassungsgerichten, gerade auch im Unterschied zu Verwaltungsgerichten Rennert, Funktionswandel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: Schenke/Suerbaum (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union, 2016, S. 165 (187); ausführlich zur Auswahl oberster Richter in Europa Seibert-Fohr, Richterbestellung im Verfassungswandel, Der Staat 49 (2010), S. 130 (130 ff.).
III. Ergebnis
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giebereich, wie sie anhand der Vattenfall-Klagen aufgezeigt wurden, begegnen daher erheblichen Bedenken.
III. Ergebnis Neben Governance-Strukturen im Bereich der Rechtsetzung und der Exekutive ließen sich auch im Bereich der Rechtsprechung Strukturen von Governance nachweisen. Außerhalb originär zur Aufhebung staatlicher Entscheidungen und zum Zuspruch von Schadensersatz berufener Gerichte, die – ungeachtet ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit – als Organe des Staates einzustufen sind, wird auch durch außerstaatliche Akteure Recht gesprochen. Anhand zweier aktueller Beispiele konnte aufgezeigt werden, welchen Einfluss auf Basis des Energiecharta-Vertrages (EnCV) eingesetzte, internationale Schiedsgerichte auf Entscheidungen souveräner Staaten haben können. Damit wurde ein weiterer Aspekt des Agierens nicht-staatlicher Akteure in einem originär dem Staat überantworteten Hoheitsbereich außerhalb klassisch-staatlicher Strukturen dargetan. Von seinen politischen Initiatoren so nie vorhergesehen, schafft der Streitbeilegungsmechanismus des Art. 26 EnCV auch in Staaten, die ein funktionierendes, in Legitimations- und Zurechnungszusammenhänge eingebettetes, staatliches Rechtsschutzsystem haben, eine Art „private Paralleljustiz“. Es zeichnen sich damit ganz im Sinne von Governance liegende Strukturen ab: Private Investoren können, gestützt auf den weitreichenden Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus des Art. 26 EnCV, originär zur Entscheidung berufene staatliche Rechtsschutzsysteme umgehen und stattdessen (oder zusätzlich) außerstaatliche Schiedsgerichte im Streitfall für eine Entscheidung anrufen, die vor staatlichen Gerichten nicht mehr anfechtbar und direkt vollstreckbar ist. Klassisch-staatliche Strukturen der Entscheidungsfindung werden mithin auch im Bereich der Rechtsprechung aufgebrochen, außerstaatliche Akteure nehmen ursprünglich dem Staat überantwortete Aufgaben wahr. Der Einfall von Governance in alle drei staatliche Gewalten ist damit komplettiert.
Zusammenfassung Zusammenfassung
Governance – ein Konzept, dessen Konturenlosigkeit gelegentlich kritisiert wird: Ihm konnte durch die vorliegende Arbeit ein Mehrwert auch für die Rechtswissenschaft nachgewiesen werden. Insbesondere bezogen auf das Energierecht hilft Governance, sofern hinreichend eng gefasst, Strukturen abzubilden und einzufangen, die sich durch einen Wandel von Staatlichkeit herausgebildet haben – und dies in allen drei Gewalten. Folgende wesentliche Ergebnisse hat die Arbeit hervorgebracht: 1. Ausgehend von der allen Governance-Überlegungen immanenten These, dass der Staat in wesentlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens längst nicht mehr als allgegenwärtiger und allmächtiger Gestalter bereit steht, sondern vielmehr nur noch einen Akteur unter vielen bildet („Wandel von Staatlichkeit“), konnte auch für das Energierecht nachgezeichnet werden, dass sich das Auftreten des Staates in seiner ursprünglichen Form gewandelt hat. 2. Auch wenn die Sicherstellung der Energieversorgung eine öffentliche Aufgabe ist, lässt sich hieraus kein Rückschluss mehr auf die jeweils aktuelle Verantwortungsübernahme des Staates ziehen. Es hat ein stetig fortschreitender Wandel stattgefunden. Das Austrahieren zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Eigeninitiative hat ein System verschiedener Verantwortungsstufen hervorgebracht, das in gewisser Weise bereits den Grundstein für die später aufkommende Governance-Diskussion legte. 3. Die verschiedenen Verantwortungsbereiche der Erfüllungsverantwortung, der Gewährleistungsverantwortung, der Rahmenverantwortung, der Beobachtungsverantwortung, der Auffangverantwortung und der Privatisierungsfolgenverantwortung konnten auf die Entwicklung des Energierechts übertragen werden und es fiel auf, dass der Übergang von der staatlichen Erfüllungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortung eine besondere Zäsur bildet. Dieser markiert den ersten grundlegenden Wandel im Verhältnis der Aufgabenwahrnehmung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren. 4. Mit dem theoretischen Wissen um die denkbaren Verantwortungsstufen des Staates wurden die Voraussetzungen geschaffen, den Wandel im Energierecht nachzuzeichnen. Vom Inkrafttreten des EnWG im Jahre 1935 bis zu seiner letzten grundlegenden Neugestaltung im Jahr 2011 hat sich die Rolle des Staates im Energierecht tiefgreifend gewandelt. Als wesentliche Wandelungsimpulse konnten dabei interne Liberalisierungs-, insbesondere aber externe Europäisierungstendenzen ausgemacht werden.
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5. Der sog. „Wandel des Staates“ – zu verstehen als Wandel im Rahmen der Verantwortungsteilung zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren – erreichte im Zuge der Neufassung des EnWG im Jahre 1998 dabei einen ersten, vorläufigen Höhepunkt bezogen auf die Abkehr des Staates von der Erfüllungsverantwortung hin zu einer Gewährleistungsverantwortung – mit darüber hinausgehenden Elementen. 6. Während bezogen auf das EnWG 2003 von deutlich hervortretenden Formen der kooperativen Rechtserzeugung gesprochen werden konnte, die sich durch ein vermehrtes Hinwenden zu konsensualen Steuerungsinstrumenten auszeichneten, wurde mit dem EnWG 2005 der Versuch einer grundsätzlichen Re-Regulierung unternommen. Dem bis dato vorherrschenden, in Teilen freien Spiel der gesellschaftlichen Akteure – besonders im Rahmen der Netzzugangsregulierung – sollte Einhalt geboten werden. Dabei fielen die Formen des (wieder verstärkt) staatlichen Agierens auf. Es wurden erstmals weitgehend unabhängig gestellte Regulierungsagenturen geschaffen, zu denen sich eine lückenlos bestehende Legitimationskette – wie vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des „klassischen“ (etatistischen) demokratischen Legitimationsmodells stets gefordert – zunehmend schwierig nachweisen ließ. 7. Das EnWG 2011 entwickelte die bestehenden Strukturen der staatlichen Verantwortungsübernahme fort. Folge war eine weitgehende Ausdifferenzierung des Energiemarktes, indem neue Akteure geschaffen wurden und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen privaten Akteuren institutionalisiert wurde, die hierdurch wiederum an der Regulierung mitwirken können. Es konnte aufgezeigt werden, dass Selbstregulierung von, Kooperation mit und Unabhängigstellung von stetig zahlreicher auftretenden Akteuren das Staatsund Verwaltungsrecht vor immer größere Probleme stellen. Das Auftreten des Staates lässt sich immer schwieriger fassen, auch weil es zwischen teilweisem Rückzug, Auffangverantwortung und Selbsterfüllung hin und her schwankt. Anknüpfungspunkte für eine Diskussion des Governance-Konzeptes zeigten sich ganz deutlich. 8. Die Idee des Gewährleistungsstaates und das Festmachen des Wandels der staatlichen Aufgabenerfüllung im Energiebereich an unterschiedlichen Verantwortungsstufen hat Blickwinkel eröffnet, die einen Einstieg in die – häufig etwas konturenlos erscheinende – Governance-Debatte ermöglichten. Auf europäischer Ebene existieren inzwischen regelrechte Geflechte aus verschiendensten Akteuren, die energierechtlich wirken und zu deren Darstellung und Analyse es eines Rückgriffs auf die Governance-Perspektive bedarf. 9. Wie die europäische Energiepolitik zeigt, ist eine Übernahme des Governance-Konzepts in die juristische Lehre grundsätzlich sinnvoll, gleichwohl kann sie aber nicht bedingungsfrei erfolgen. Zwar stieße die Rezeption des teilweise vertretenen „weiten Governance-Begriffs“ auf keine durchgreifen-
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den normativen Bedenken, jedoch wäre mit seiner Übernahme in die juristische Lehre nicht mehr als eine weitgehende „Leerformel“ geschaffen. Geeigneter zur Analyse der rechtlichen Strukturen im Europäischen Energierecht erweist sich ein enger umgrenztes Governance-Konzept, auch wenn dessen Rezeption in eine normative Wissenschaft gewissen Voraussetzungen unterliegt. 10. Unter Governance sind dementsprechend Regelungs- bzw. Koordinationsstrukturen zu verstehen, die sich nicht mehr zwingend von einem Zentrum her analysieren lassen, sondern maßgeblich auch durch private Akteure geprägt sind und die sich einer Einordnung in den klassischen Steuerungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang einer hierarchisch organisierten Staatlichkeit entziehen. 11. Unter Rückgriff auf die zuvor erläuterten unterschiedlichen Verantwortungsstufen konnte aufgezeigt werden, dass – in Weiterentwicklung von den einstigen Zwischenschritten ‚Planung‘ und ‚Steuerung‘ – im Europäischen Energierecht derartige Strukturen inzwischen vorherrschen. Es wurde nachgezeichnet, dass der Energiemarkt in Einzelschritten derart ausdifferenziert wurde, dass sich mittlerweile Strukturen ausmachen lassen, die in dogmatischer Hinsicht durch ein Zusammenwirken von Gesetz, Verordnung, Selbst organisation und teils hybriden, aus dem klassisch-staatlichen Steuerungsund Legitimationszusammenhang herausfallenden Akteuren geprägt sind. 12. Teilbereiche des Energierechts lassen sich mit der Steuerungstheorie, zu deren Grundverständnis es gehört, dass ein Steuerungssubjekt mit Steuerungsinstrumenten auf ein Steuerungsobjekt einwirkt und so einen, dem Steuerungssubjekt eindeutig zurechenbaren Steuerungserfolg bewirkt, nicht mehr zuverlässig darstellen. Diese Zurechnung funktioniert im heutigen Energierecht nicht mehr, vielmehr kommt es zu Verflechtungen der zahlreichen mitwirkenden Akteure in Netzstrukturen. 13. Anhand der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebes konnte belegt werden, dass die Prozesse der Entscheidungsfindung immer ausdifferenzierter werden und es zu institutionellen Verflechtungen kommt. Es ist der enge Governance-Begriff, der diese Entwicklung reflektiert und einfängt. 14. Es besteht kein Anlass für die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtslehre sich dem zugrunde gelegten Governance-Verständnis zu entziehen, zumindest dann, wenn bei der Rezeption keine der nachfolgend erörterten Wesensmerkmale der normativ geprägten Staats- und Verwaltungslehre aufgegeben werden: a) Erstens: Ein Übergang von Steuerung zu Governance kann keinen Übergang von einer akteurszentrierten Sichtweise zu einer Betrachtung bedeuten, die ausschließlich die das Handeln der Akteure koordinierenden
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Strukturen in den Blick nimmt. Ein Vergleich zu den theoretischen Modellannahmen der Systemtheorie verdeutlicht, dass ein solches Governance-Verständnis mit der von der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft vorausgesetzten normativen Ordnung nicht in Einklang gebracht werden kann. Die einst gegen die Systemtheorie Luhmanns vorgebrachten Argumente lieferten hier wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Tatsache, dass die Rechtswissenschaft den Akteur als Projektionsfläche zwingend benötigt, ihr ein Akteursbezug wesensimmanent ist. b) Zweitens: Die neue, „janusköpfige“ Rolle des Staates im Europäischen Energierecht zwischen der Einbeziehung Privater in den Regelungsprozess einerseits und der gleichzeitigen Wahrung seiner Gemeinwohlbindung andererseits lässt sich nur analysieren und bewerten, wenn die einzelnen, in ihrer Rollenverteilung und Motivation höchst unterschiedlichen Akteure individuell in den Blick genommen werden. Bei einem Governance-Konzept, welches die Akteure verabschiedet, wäre die Gesetzesbindung staatlicher Akteure nicht nachweisbar, das Produkt des Zusammenwirkens aller Beteiligten, die Regelung, ließe sich nicht auf ihren demokratischen Ursprung hin überprüfen. c) Drittens: Diese Vorgaben bedeuten gleichwohl nicht, dass für die demokratische Legitimation von Governance-Strukturen nicht über eine Weiterentwicklung des „klassischen“ (etatistischen) Demokratiemodells nachzudenken wäre. Wie das Beispiel der Organisation des grenzüberschreitenden Netzbetriebs zeigt, gelingt eine demokratische Legitimation europäischer Governance-Strukturen, wenn man zusätzlich zu deren normativer Vorstrukturierung durch das Europäische Parlament auf einen „Legitimations-Input“ der einzelnen, die Regelungsstruktur prägenden Akteure setzt. Das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückführbaren Legitimationskette ist durch Elemente der Betroffenenpartizipation anzureichern. Erkennt man – in einer Fortführung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Betroffenenpartizipation und die damit einhergehenden Modi der Outputlegitimation als zusätzliche Legitimationsbausteine an, so ist auch die aufgezeigte Regelungsstruktur im Bereich des grenzüberschreitenden Netzbetriebes hinreichend demokratisch legitimiert. 15. Governance ermöglicht nicht nur eine „ganzheitliche“ Betrachtung und hilft, rechtliche Strukturen in Bereichen zu entwickeln, die durch eine umfassende Ausdifferenzierung geprägt sind. Sie vermag auch darzustellen, wie demokratische Legitimation und Verantwortungsübernahme miteinander verschränkt sind. 16. Das Governance-Konzept derart eingegrenzt und analysiert, ließ sich im Folgenden erstmals der Nachweis für Governance-Strukturen in allen drei
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Gewalten erbringen: Sowohl auf der Ebene der Rechtsetzung bzw. – allgemeiner und präziser formuliert, da auch Elemente der informalen und „weichen“ Steuerung erfasst werden – der Entscheidungsfindungsebene, wie auch auf der Verwaltungs- und sogar der Rechtsprechungsebene lassen sich inzwischen Strukturen ausmachen, die sich nicht mehr zwingend von einem Zentrum her analysieren lassen, sondern maßgeblich auch durch private Akteure geprägt sind und die sich einer Einordnung in den klassischen Steuerungs-, Kontroll- und Legitimationszusammenhang einer hierarchisch organisierten Staatlichkeit entziehen. In allen drei Gewalten finden sich – in unterschiedlichem Ausmaß – Tendenzen, in denen die Gestaltung zu Governance übergegangen ist. 17. Durch die energiepolitische Rechtsetzung ziehen sich Governance-Strukturen wie ein roter Faden. Aus den unterschiedlichsten Motiven versuchten und versuchen originär für die Gesetzgebung zuständige staatliche Stellen, private Akteure mit in den Regelsetzungsprozess einzubinden und Alternativen zum klassisch-hoheitlichen Gesetzgebungsverfahren zu finden. Zahlreiche Beispiele aus dem nationalen und europäischen Energierecht belegen, dass sich der Staat im Bereich der Normsetzung gezielt der für den kooperativen Staat typischen Verbundproduktion zuwendet und – unter Abkehr von hierarchischen Regelsetzungsprozessen – in der Konsensbildung mit nicht-staatlichen Akteuren häufig das Mittel zur Regulierung des Energiemarktes erblickt. 18. Wie stark der Prozess der kooperativen Normerzeugung dabei ausgeprägt ist, hat die Rechtsetzung im Bereich der Kernenergienutzung verdeutlicht (Stichwort: Atomausstieg). Die konsensorientierten Formen der paktierten Gesetzgebung stellen hier die Frage nach der verbleibenden Rolle der demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorgane neu. 19. Dass sich dieser am Governance-Konzept orientierte Weg der Rechtsetzung nicht auf den Bereich der Atomenergie beschränkt, zeigte ein Blick auf die Entstehung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. 20. Seit Verabschiedung der Stromrichtlinie von 1996 und der mit ihr einhergehenden europäischen Privatisierungs- und Liberalisierungsbemühungen haben stetig neue Aspekte von Governance Eingang in das europäische Energieregulierungsrecht gefunden. So eröffnete die EU den Mitgliedstaaten 1996 die Möglichkeit, die Regelung von Durchleitungsfragen vollständig der Ausgestaltung privater Akteure zu überlassen und auf eine hoheitliche Regulierung in klassisch-demokratisch verfassten Strukturen zu verzichten. Verbändevereinbarungen, mit denen sich betroffene Normadressaten selbst regulieren konnten, bestimmten die Organisation des Netzzugangs und der Netznutzungsentgelte – eine „Hochphase“ der privaten Rechtsetzung im europäischen Energieregulierungsrecht. Nur vordergründig wurde diese Governance-Struktur wieder aufgebrochen. So sieht das Unionsrecht den Zusam-
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menschluss der Übertragungsnetzbetreiber in einem Europäischen Verbund (ENTSO) vor und überantwortet diesem Zwangszusammenschluss privater Akteure weiterhin die Entwicklung der Netzkodizes. Zwar müssen diese Kodizes von der Kommission angenommen werden, doch zeichnen sich geteilte Entscheidungsspielräume und ein formalisierter Regelerzeugungsprozess zwischen privaten und staatlichen Akteuren ab, bei dem ENTSO eine weitreichende Ausgestaltungsfreiheit zukommt. „Der Staat“ hat sich auf seine Auffangverantwortung zurückgezogen, die de facto lediglich im Fall des vollständigen Marktversagens aktualisiert würde. 21. Die Aufgabe hoheitlicher Rechtsetzung setzt sich auch in den Plänen der Kommission im Rahmen der aktuellen Debatte zum europäischen Klima- und Energierahmen 2030 fort. Trotz weitreichender Kompetenzen zur Gestaltung des Energiemarktes zeigt die Kommission Methoden auf, die starke Parallelen zu der bereits aus anderen Politikfeldern bekannten „Offenen Methode der Koordinierung“ aufweisen und ebenfalls als Abkehr vom klassisch-hierarchischen Steuerungsmodell zu verstehen sind. 22. Vor allem die enge Verflechtung zwischen staatlichen und privaten Akteuren im Bereich der Rechtsetzung zieht zum Teil Probleme in demokratietheoretischer Hinsicht nach sich. Durch Auslagerung der politischen Entscheidungsfindung auf außerhalb staatlicher Legitimationsketten stehende Akteure wird der originär zur Entscheidung berufene demokratisch legitimierte Gesetzgeber in seinem materiellen Gestaltungsspielraum eingeengt. Zwar kann die Betroffenenpartizipation einen wesentlichen Baustein zur Legitimierung von Rechtsetzung darstellen, doch sind hierbei wesentliche Aspekte zu beachten: Durch die Einbindung Betroffener soll gerade ein Bezugspunkt für Offenheit und Transparenz im Entscheidungsfindungsprozess verankert werden – was im Energiebereich aber häufig gerade nicht der Fall ist. Zudem geschieht die Auswahl der „Betroffenen“ hier häufig einseitig und zulasten der (End-)Verbraucher. Und auch eine verstärkte Einbindung „Betroffener“ darf nicht zur Folge haben, dass der parlamentarische Repräsentationsmechanismus seines „Gemeinwohlwahrungsauftrages“ beraubt wird. 23. Auch für den Bereich der Exekutive ließen sich im Rahmen der Energiepolitik rechtliche Governance-Strukturen nachweisen und einordnen. Vorgänge von energiepolitischer Bedeutung werden aus tradierten hierarchischen Steuerungs- und Legitimationsmustern herausgelöst und es kommt zu den unterschiedlichsten Formen der horizontalen Interaktion – und dies wiederum unter Einbindung privater Akteure. 24. Besonders bemerkenswert ist, dass der heutige energierechtliche Verbund dabei zu einem Großteil aus informalen Strukturen hervorging, die – abseits des „hard law“ – auf ein wechselseitiges Miteinander im Interesse der größtmöglichen Flexibilität und Kooperation setzen.
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25. Gerade in der Informalität dieser – häufig ohne Rechtsgrundlage und formelle Regulierungskompetenzen handelnden – Akteure wird vermehrt die Lösung zur Überwindung des Spannungsverhältnisses von Subsidiarität und Sicherung einer ausreichenden europäischen Einflussnahme gesehen. Die nur lose Einbindung der Akteure in staatliche und europäische Steuerungszusammenhänge wird bewusst in Kauf genommen, auf einen staatlichen Steuerungsanspruch wird zugunsten von Governance verzichtet. Die Florenz- und Madrid-Regulierungsforen und CEER bilden hier gute Beispiele. 26. Mit der (auf zweifelhafter Rechtsgrundlage basierenden) Errichtung von ERGEG wurde eine originär den nationalen Behörden überantwortete Zuständigkeit auf die Unionsebene gespiegelt und so (zumindest indirekt) Druck auf die eigentlich vorgesehene Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden ausgeübt. Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Installation von ERGEG den Beginn eines Trends markiert, der für Governance-Strukturen typisch ist: Auf die Einrichtung neuer nationaler Behörden folgt deren Einbindung in einen europäischen Kontext. Diese darf, auch wenn sie auf informale, weiche Koordinierungsinstrumente gestützt wird, dabei aus nationaler Perspektive nicht unterschätzt werden, wie es die Schaffung von ERGEG, später abgelöst durch die neue EU-Agentur ACER, oder auch die Einsetzung der Koordinierungsgruppe „Strom“ verdeutlichen. 27. Das Dritte Binnenmarktpaket der EU (2009) bewirkte eine weitere Verdichtung der Governance-Strukturen. Es folgte eine noch stärkere europäische, institutionelle Vernetzung der einzelnen Regulierungsakteure – allerdings nicht vorwiegend im Sinne einer Vertikalisierung bzw. Hierarchisierung zugunsten der Unionsebene, sondern vielmehr entstand eine am Kooperationsgedanken ausgerichtete Horizontalisierung. 28. Die zunehmende Europäisierung des Energierechts geschieht unter vermehrter Aufgabe klassischer Steuerungsmodi. Die Zuordnung von Entscheidungen zu einem Zentrum wird zum Teil unmöglich. Dies liegt auch an dem zunehmenden Bestreben der Union, die Akteure „auf Augenhöhe“ zusammenzubringen und möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden. Die staatliche Auffangverantwortung wird in diesem Kontext, ganz im Sinne von Governance, häufig nicht mehr aktualisiert. 29. Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur politischen Einflussnahme werden geringer, gleichzeitig wird der unionsrechtliche Einfluss gestärkt, wie es unter anderem die Einbindung der aus der hierarchischen Ministerialverwaltung herausgelösten Bundesnetzagentur in den europäischen Kontext verdeutlicht. 30. Dass die nationalen Regulierer trotz ohnehin zunehmender europäischer Einflussnahme von sich aus bestrebt sind, zum Zwecke der Abstimmung und Konsulation in die europäische Ebene eingebunden zu werden, zeigt etwa die auf ihre Veranlassung hin geschaffene, lose Kooperationsplattform CEER.
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31. Die sich abzeichnende Governance-Struktur aus Unabhängigstellung der nationalen Regulierungsbehörde und damit einhergehender Herauslösung aus dem klassisch-nationalen Steuerungszusammenhang sowie deren gleichzeitige Einbindung in einen losen, am Kooperationsgedanken ausgerichteten europäischen Kontext wird noch deutlicher, wenn man auf das Zusammenspiel zwischen Bundesnetzagentur, ACER und Kommission schaut. 32. Neben den kooperativen Verflechtungen zwischen nationalen Regulierungsbehörden, Regulierungsforen, CEER, der Koordinierungsgruppe Strom sowie dem (früheren) Wirken von ERGEG und der Einbeziehung privater Netzbetreiber im Rahmen von ENTSO wurde auch die durch das Dritte Binnenmarktpaket etablierte Energieagentur ACER ganz im Sinne der verstärkten ebenenübergreifenden Kooperation errichtet. Deren drei Aufgabenschwerpunkte sind ganz vom europäischen Governance-Gedanken geprägt. 33. Die Regulierung im Energiebereich ist mithin durchgängig in einen europäischen Verbund-Kontext eingebettet, der Einordnungen entsprechend der klassischen Steuerungstheorie zunehmend erschwert. Sowohl die Existenz unabhängig gestellter Akteure wie auch das kooperative Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen auf vielfältige Art und Weise mittels häufig informaler und weicher Koordinierungsmechanismen macht es schwer, die Frage „wer steuert wen“ zu beantworten. 34. Die Ausdifferenzierung der Akteursvielfalt und ihre Einbindung in einen europäischen Kontext, zumal häufig in lose und am Flexibilitätsgedanken orientierte Strukturen, sowie die europarechtlich vorgegebene Unabhängigstellung von Akteuren macht „reguläre“ demokratische Rückbindungen im Sinne des (klassischen) „Legitimationskettenmodells“ des Bundesverfassungsgerichts schwierig. Die herausgearbeitete und weiterentwickelte Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts macht jedoch deutlich, dass zur Legitimation der verflochtenen europäischen Energienetzwerkstrukturen neben Rückbindungen staatlicher Akteure und gesetzlichen Vorstrukturierungen auch neue Legitimationsmuster ergänzend herangezogen werden können. Zur Erreichung eines hinreichenden Legitimationsniveaus darf auf „klassische“ Legitimationsbausteine (Input-Legitimation) gleichwohl nicht vollkommen verzichtet werden. Besonders die Unabhängigstellung staatlicher Akteure stellt in diesem Kontext ein Problem dar. 35. Der Einfall von Governance in alle drei staatliche Gewalten wird komplettiert, indem (erstmals) auch im Bereich der Rechtsprechung Governance-Strukturen nachgewiesen werden. 36. Außerhalb originär zur Aufhebung staatlicher Entscheidungen und zum Zuspruch von Schadensersatz berufener (staatlicher) Gerichte wird durch außerstaatliche Akteure (irreversibel) Recht gesprochen.
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37. Zwei aktuelle Beispiele belegen, wie über den Streitbeilegungsmechanismus des Art. 26 EnCV auch in Staaten, die über ein funktionierendes, in Legitimations- und Zurechnungszusammenhänge einbettetes, staatliches Rechtsschutzsystem verfügen, eine Art „private Paralleljustiz“ geschaffen wird, die es nicht-staatlichen Akteuren erneut ermöglicht, außerhalb klassischer Strukturen ursprünglich dem Staat überantwortete Aufgaben wahrzunehmen. In allen drei Gewalten wirken die unterschiedlichsten Akteure mithin außerhalb des originären Steuerungs-, Zurechnungs- und Legitimationszusammenhangs. Auch wenn man der herausgearbeiteten Governance-Perspektive des Bundesverfassungsgerichts folgt und eine Entwicklungsoffenheit des Demokratieprinzips anerkennt, so führt die Aufgabe des klassisch-staatlichen Steuerungsanspruchs doch in allen drei Gewalten zu Problemen in demokratietheoretischer Hinsicht. Dabei sind die staatlichen Akteure an dieser Entwicklung keinesfalls unschuldig, waren sie es doch, die ihren Steuerungsanspruch nach und nach aus der Hand gaben, um nicht-staatliche Akteure einbinden zu können. Auch wenn aus dieser Ausdifferenzierung teilweise energiepolitische Erfolge resultierten, so bleibt es eine problembelastete Entwicklung. Eine Entwicklung freilich, die sich aufgrund der Festigkeit der Governance-Strukturen nur schwerlich wird wieder rückgängig machen lassen.
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Sachwortregister Es erfolgt ein Verweis auf die Hauptfundstellen außerhalb von (Ergebnis-)Zusammenfassungen. Sachwortregister
ACER 38, 67, 75, 79 f., 84 ff., 120, 140, 144, 146 ff., 153, 154 ff. Atomausstieg 32, 98 ff., 107 ff., 125, 128, 130, 176 ff., 186, 188, 197 ff. Auffangverantwortung 18 ff., 21 ff., 28, 35, 38, 67, 116, 120, 129, 160, 162, 198 Beobachtungsverantwortung 22 f., 35
18 ff.,
Betroffenenpartizipation 86 ff., 89, 116, 133 f., 162 f., 168
Gewährleistungsstaat 20, 40 ff. Gewährleistungsverantwortung 18 ff., 28, 30, 35, 40, 58, 83 Horizontalisierung 148 ff. Informalität 58 f., 66, 68, 95, 109, 142, 147, 152, 159 Input-Legitimation 14, 79, 82 f., 161 Interventionsstaat 42, 55 Kernenergie siehe Atomausstieg
Bundesnetzagentur 34, 150 ff., 152 f., 154 ff., 157 ff., 160 ff.
Koordinierungsgruppe Strom 147 f., 153 f.
CEER
Kraft-Wärme-Kopplung
30, 34, 144 f., 153 f., 162
Demokratie 196 ff.
76 f., 78 ff., 132 ff., 160 ff.,
Demokratiemodell 78 ff., 163 Demokratietheorie
78 ff., 82 ff., 88 ff.
Energiecharta-Vertrag
169, 170 ff.
ENTSO 37 f., 66 f., 75 f., 78 ff., 85, 88, 119 f., 140, 148, 154, 156 f., 162 Erfüllungsverantwortung 30, 55, 58, 116
18 ff., 26, 28,
ERGEG 146 f., 153 f. Ethik-Kommission 102 f. Foren (Florenz- und Madrid-Regulierungsforen) 65 f., 120, 142 ff., 152, 154, 163 Gemeinwohl 13, 21 f., 25, 42, 62, 75 f., 86, 134, 151, 162 f., 196 f., 200
Legitimationsbaustein 161, 163 f. Legitimationskette 133, 160, 164
32, 104 ff., 132 87, 89, 133 f.,
12, 35, 81, 83 f., 86,
Legitimationsmodell 81 f., 161 f. Legitimationsniveau
81, 83, 87, 89, 161
Legitimationszusammenhang 13, 35, 38, 60, 62, 95, 139, 141, 144, 163, 189, 196 – siehe auch Zurechnungszusammenhang Leitlinien 65, 67, 75, 85, 120, 122, 127 ff., 132, 156 Liberalisierung 114
17, 19, 24, 26, 29, 104,
Marktversagen 28, 116, 120 Ministerialverwaltung 150, 159 f.
Sachwortregister
241
Netzkodizes 37, 67, 75 f., 79 f., 85, 119 ff., 140
Souveränitätsvorbehalt 1, 125 f., 130, 132
Netzwerk 51, 68, 74 ff., 78 ff., 95, 139 f., 147, 157, 161, 164
Steuerungstheorie 13 f., 57 ff., 60 f., 70, 73, 141, 159
Normvermeidung
108 ff., 132
Offene Methode der Koordinierung (OMK) 122 ff. öffentliche Aufgabe
16 ff., 40 f., 97
Omnipotenz 14, 20, 42, 54 f., 74 Output-Legitimation
14, 82 f., 86, 89
paktierte Gesetzgebung 104 ff. Planung
32, 98 ff.,
48, 54 ff., 57, 59, 61
Privatisierungsfolgenverantwortung 18 ff., 23 Rahmenverantwortung
18 ff., 21 f.
Schadensersatz 103 f., 107 f., 170, 181 f., 184, 188, 193 ff., 197 f. Schiedsgericht 196 ff.
169 ff., 176 ff., 189 ff.,
Selbstregulierung 11 f., 22, 29, 31, 37 f., 59, 61, 65, 67, 113, 118, 121, 157 soft law 11, 37, 62, 68, 121
siehe auch Legitimationszusammenhang
Subsidiarität 28, 118, 129, 143 Systemtheorie 70 ff., 86 Unabhängigkeit 12 f., 30, 35 f., 38, 62, 85, 139, 142, 145 f., 149, 150 ff., 157, 159 f., 163 f., 170, 186, 196, 200 Verantwortungsstufen 39 f., 43, 47 f.
17, 18 ff., 23 ff.,
Verbändevereinbarungen 28 f., 31, 33, 60, 67, 113 ff., 134, 152 verhandelter Netzzugang 11, 27 ff., 30, 33, 60, 74, 114, 118, 152 Vertikalisierung 141, 149 Veto-Rechte
86, 120, 133, 150, 160, 163
Zurechnungszusammenhang 157, 159, 189, 196
61, 83,
– siehe auch Legitimationszusammenhang