Europäische und internationale Aspekte der Energierechtsreformdebatte: Bonner Gespräch zum Energierecht, Band 8 9783737003124, 9783847103127, 9783847003120


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German Pages [106] Year 2014

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Europäische und internationale Aspekte der Energierechtsreformdebatte: Bonner Gespräch zum Energierecht, Band 8
 9783737003124, 9783847103127, 9783847003120

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Wolfgang Löwer (Hg.)

Europäische und internationale Aspekte der Energierechtsreformdebatte Bonner Gespräch zum Energierecht, Band 8

V& R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0312-7 ISBN 978-3-8470-0312-0 (E-Book) Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Editorial/Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Hüther Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

. . . . .

7

9

Christian Koenig und Franziska Schramm Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen nach § 19 Abs. 2 StromNEV (a. F.) und der EEG-Umlagemechanismen im Lichte der jüngsten Eröffnungsbeschlüsse der Europäischen Kommission . . . . . . . 23 Angelika Nußberger Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa

. . . . . . . . . . . . . . 45

Christoph Schreuer Schutz gegen regulatorische Maßnahmen durch Investitionsschutzabkommen, Bonner Energiegespräche, 4. Nov 2013 . . . 73 Charlotte Kreuter-Kirchhof Verfassungsrechtliche Grenzen und Änderungsfestigkeit des EEG . . . . . 87

Editorial/Vorwort

Das Energierecht befindet sich gewissermaßen in derselben Krisenhaftigkeit wie die Energieversorgung als Wirtschaftszweig. Die Energiewende führt zu immer neuen Regulierungsschüben, weil die soeben bewirkten Konsequenzen der politisch-rechtlichen Interventionen wieder moderiert werden müssen. Umso mehr ist es angezeigt, sich mit den Grundlagenfragen zu beschäftigen, wie dies auch schon die bisherigen Bonner Energiegespräche gehalten haben. In diesem Sinne thematisiert Prof. Dr. Michael Hüther in einem ersten Referat die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende, die unter dem bisherigen Interventionsregime zu beobachten sind. Die verfolgten Ziele im Blick auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen mit tragbaren Folgen zu verwirklichen, fordert Künstler, die mit mehren Bällen harmonisch spielen können, ohne einen der Bälle zu verlieren. In diesem Sinne greift der Beitrag von Professor Dr. Christian Koenig und Frau Franziska Schramm, die inzwischen in der praktischen Politik der Europäischen Union behandelte Frage nach der beihilferechtlichen Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen und der EEG-Umlagemechanismen auf. Der Beitrag ist im Hinblick auf die Beihilfeverfahren eröffnenden Beschlüsse der Kommission aktualisiert. Auch im Sinne der Grundlegung macht die Richterin am EGMR, Frau Professor Dr. Nußberger deutlich, wie weit die Eigentumsgewährleistung der EMRK trägt. Zu dieser internationalen Perspektive gehört auch der Beitrag von Professor Dr. Schreuer, der sich dem Investitionsschutzabkommen widmet. Die Frage nach dem bilateralen Schutz für ausländische Unternehmen kennt derzeit aktuelle Anwendungsfälle und tritt als effektive völkervertragsrechtliche Eigentumssicherung momentan erst in den Fokus breiterer juristischer Aufmerksamkeit. Schließlich geht es auch um die eigentumsrechtliche Begleitung der EGG-Reform, deren Grunddaten im Beitrag von Frau PD Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof aufgewiesen werden. Die (hier nicht wiedergegebene) Diskussion hat gezeigt, dass die Sicht auf die Konkretheit solcher Themen vielgestaltig ist. Juristische Eindeutigkeit ist eher die Ausnahme.

Michael Hüther

Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen1

1.

Eckpunkte der Energiewende

Die Energiewende ist in den letzten Jahren zu einem der meistdiskutierten Themen der Wirtschafts- und Umweltpolitik geworden. Dabei wird als zentrales Wendejahr der deutschen Energiepolitik in der Regel 2011 identifiziert. Die Grundlinien der Energiewende sind jedoch schon älter und sind nicht durch die politischen Reaktionen auf das Reaktorunglück in Japan bestimmt. Bereits im Herbst des Jahres 2000 beschloss die damalige Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland eine Energiewende. Die Atomenergie wurde als Übergangstechnologie angesehen und ein Ausstieg vereinbart. Um klimaschädliche Treibhausgasemissionen zu vermeiden sollte schrittweise die Energiegewinnung auf erneuerbare Quellen wie Wind-, Wasser-, Sonnenkraft und Biogas umgestellt werden. Dieses Ziel teilten seitdem alle Bundesregierungen. Im Energiekonzept des Jahres 2010 wurden anspruchsvolle Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien festgelegt. Gleichzeitig sollten die Laufzeiten der Kernkraftwerke um einige Jahre verlängert werden. Im Sommer 2011 kam es allerdings als Reaktion auf Fukushima zu einer partiellen Beschleunigung, als die Laufzeitverlängerung zurückgenommen und ein neuer Ausstiegsfahrplan bis 2022 festgelegt wurde. Von den damals betriebenen 15 Kernkraftwerken wurden acht mit sofortiger Wirkung komplett heruntergefahren. Kern der Energiewende ist jedoch der Ausbau der erneuerbaren Energien, die einen zunehmend größeren Anteil an der Stromversorgung übernehmen sollen. Bis zum Jahr 2020 sollen 35 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Im Jahr 2050 soll dieser Wert auf 80 Prozent ansteigen. Während dieser Wert Anfang der neunziger Jahre bei rund 3 Prozent lag, ist der Anteil des regenerativ erzeugten Stroms inzwischen auf etwa ein Viertel angestiegen. Das Ziel eines Ausbaus der erneuerbaren Technologien wird damit er1 Für wichtige Zuarbeit danke ich Herrn Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer im Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

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Michael Hüther

reicht, doch dürfen die damit verbundenen Nebenwirkungen, insbesondere die Strompreise, nicht außer Acht gelassen werden. Die deutsche Energiewende vollzieht sich unter dem Postulat der Nachhaltigkeit innerhalb des energiepolitischen Zieldreiecks der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. Diese drei Zielgrößen müssen in Einklang miteinander gebracht werden. Das Paradigma der Umweltverträglichkeit fordert, die Energiewende mit möglichst wenig Belastung der Umwelt zu bewerkstelligen. Gleichzeitig darf für die Wirtschaftlichkeit der Preis für Energie nicht unkontrolliert steigen. Bei den privaten Haushalten ist dies notwendig, um die Akzeptanz für die Energiewende nicht zu verlieren. Für die Industrie ist ein ausufernder Energiepreis zu vermeiden, um keine Wettbewerbsnachteile in einer globalisierten Konkurrenzsituation zu erzeugen.

2.

Zahlungen und Kostenfolgen

Die Erfolge des Ausbaus der erneuerbaren Energien sind mit hohen und jährlich steigenden Kosten verbunden. Im Jahr 2014 werden die Differenzkosten, der nach dem Erneuerbaren Energien Gesetz geförderten Anlagen, rund 19,5 Milliarden Euro betragen. Dieser Wert beschreibt die Summe der nach dem Gesetz gezahlten garantierten Einspeisevergütungen für erneuerbaren Strom abzüglich der erzielten Markterlöse für den eingespeisten Strom. Die Differenzkosten beschreiben ökonomisch gesehen also die Subventionshöhe, die zusätzlich zum tatsächlichen Marktwert des Stroms gezahlt wird. Bis 2008 stieg der Wert langsam auf gut fünf Milliarden Euro im Jahr an (Abbildung 1). Danach beschleunigte sich das Subventionsvolumen deutlich und nähert sich aktuell der 20 Milliarden Euro-Marke an. Damit nähern sich die Subventionen langsam der Marke von einem Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Über die Jahre hinweg wird sich die Summe der gezahlten Fördermittel bis Ende 2014 auf über 100 Milliarden Euro erhöht haben. Hinzu kommen zukünftige Summen, die aufgrund schon bis heute eingegangener Verpflichtungen zur Zahlung von Einspeisevergütungen an bestehende Anlagen fällig sein werden. Allein für die Photovoltaik wird mit eine Größenordnung von rund 100 Milliarden Euro über die nächsten zwei Dekaden gerechnet (Frondel et al 2012). Die Konsequenz der gestiegenen Zahlungen und darin enthaltenen Differenzkosten ist eine steigende Abgabenbelastung. Die daraus resultierende EEGUmlage ist in den letzten Jahren immer wieder deutlich erhöht worden. In den ersten Jahren stieg die Umlage langsam von 0,2 Cent auf 1 Cent im Jahr 2007 an. Nach dem Jahr 2009 eskalierte die Umlagehöhe und stieg von 1,3 Cent über 3,5 Cent in 2011 auf 6,2 Cent im Jahr 2014 an.

Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

100.000

Differenzkosten

11

kumuliert

80.000 60.000 40.000 20.000 0

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Abbildung 1, Subventionen durch das EEG 2000 bis 2014, in Millionen Euro, 2012 – 2014 Schätzung, Quellen: BDEW, 2013a; Übertragungsnetzbetreiber 2013

Mit verantwortlich für die Strompreissteigerung der deutschen Haushalte, die seit 1998 bei über 50 Prozent liegt, sind die steigenden Abgabenbelastungen. Neben der EEG-Umlage stiegen die Belastungen aus der Stromsteuer und der zu entrichtenden Mehrwertsteuer sowie einige kleinere Abgaben. Dies hat zur Folge, dass mittlerweile einkommensschwächere Haushalte in Deutschland allein für die Kosten der EEG-Umlage über ein Prozent ihres verfügbaren Einkommens verwenden müssen. Seit 1998 ist die Stromrechnung eines typischen Haushalts in Deutschland um 68 Prozent gestiegen. Dabei haben Erzeugung, Transport und Vertrieb zusammen gerade einmal um elf Prozent zugelegt. Die Abgabenbelastung hingegen ist um 243 Prozent gestiegen (Abbildung 2). Auf der Unternehmensseite sieht es nicht viel besser aus. Die Preise pro Kilowattstunde, ohne Mehrwertsteuer, sind für größere Unternehmen seit 2007 von 7,5 Cent auf 11,2 Cent in 2013 gestiegen – ebenfalls eine Steigerung von rund 50 Prozent. Neben dem Niveau der Energiekosten ist das relative Verhältnis gegenüber anderen Ländern von besonderer Bedeutung. Hierbei zeigt sich, dass in Deutschland die Energiepreise weit über denen in den europäischen Industrieländern liegen. Im Vergleich zu Frankreich ist der Strompreis in Deutschland in den letzten Jahren stetig rund 40 Prozent höher. Besonders viel weiteren Boden wird Deutschland zukünftig gegenüber den USA verlieren, wo durch Fracking die Preise für Gas und Strom deutlich gesunken sind. Der europäische Vergleich zeigt aber auch deutliche Unterschiede im Abgabenniveau auf Strom. In keinem Land ist die Abgabenquote auf Strom für Industriekunden höher als in Deutschland. Während hierzulande die Abgaben besonders hoch sind und weiter ansteigen, werden in verschiedenen anderen Ländern spezielle vergüns-

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Michael Hüther

Abbildung 2, Stromkosten private Haushalte, 1998 – 2013 in Euro, Durchschnittliche monatliche Stromrechnung eines Drei-Personen-Haushaltes in Euro, Jahresverbrauch von 3500 kWh. Steuern, Abgaben und Umlagen: EEG-Umlage, KWK-Aufschlag, §19 StromNEV-Umlage, Offshore-Haftungsumlage, Stromsteuer, Konzessionsabgabe, Mehrwertsteuer, Quelle: BDEW, 2013b

tigte Industriestromtarife gezahlt, wodurch die Wettbewerbsverzerrungen noch einmal zusätzlich verschärft werden.

3.

Herausforderungen und Chancen für die Industrie

Für die Industrie ist die Energiewende zunächst insbesondere mit gestiegenen Stromkosten verbunden. Für die Unternehmen ist die Wirtschaftlichkeit die wichtigste Größe des energiepolitischen Zieldreiecks aus Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit. Die Energiewende ist als politisches Projekt zur langfristigen Verringerung der Treibhausgasemissionen angelegt und zielt damit primär auf die Verbesserung der ökologischen Dimension der Energieversorgung ab. Dabei drohen Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit – verstanden als international wettbewerbsfähiges Preisniveau – ins Hintertreffen zu geraten. Eine Energiewende, die diese Dimensionen ausblendet ist aber nicht kompatibel mit einem Industrieland wie Deutschland und könnte damit nicht als erfolgreich bewertet werden. Die Herausforderung der Energiewende ist damit deutlich größer als nur die technische Realisierung einer kohlendioxidarmen Stromversorgung. Neben den Stromkosten wird mittelfristig die Versorgungssicherheit als wichtiger werdendes Problem für Industrieunternehmen angesehen (Abbildung 3).

13

Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

84,5 81,1

Energiekostensteigerung Erhöhung Marktchancen

28,8 24,8

Bedrohung bestehender Märkte

28,3 22,9 25,0

Umsatzsteigerung Beeinträchtigung der Stromversorgung Verschlechterung der Beschäftigungssituation Umsatzrückgang

16,5

mittelfristig kurzfristig

30,8 11,8 23,6 11,2 15,7 8,1

Abbildung 3, Direkte Folgen der Energiewende für die Industrie, Hat die Energiewende bereits konkrete Folgen für Ihr Unternehmen? Summe der Angaben »trifft zu« und »trifft eher zu«, in Prozent, Quellen: Bardt/Kempermann, 2013; IW-Zukunftspanel, 2012

Es ist zudem zu erwarten, dass die Bereitschaft der Haushalte bei zu hohen Preisen schwinden wird, die Energiewende zu akzeptieren beziehungsweise über hohe Abgaben zu finanzieren. Auf der Seite der Wirtschaft bedeuten zu hohe Preise einen Wettbewerbsnachteil, der in einer globalisierten Welt mit mobilem Kapital zu einer schleichenden Verlagerung von Produktionsstätten in andere Länder mit niedrigeren Energiekosten führen kann. Mit einer Verlagerung von Produktionsstätten gehen entsprechend Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der heimischen Wirtschaft verloren. Allerdings betrifft dies nicht nur das verlagernde Unternehmen, sondern durch die starke Vernetzung der Industrie über Wertschöpfungsketten und Vorleistungsverflechtungen erfährt dieser negative Effekt noch einen starken Multiplikator in anderen Branchen. In Deutschland beispielsweise generiert jeder Euro der industriellen Wertschöpfung zusätzlich 50 Cent in weiteren Teilen der Volkswirtschaft. Neben Fragen der Finanzierung ist die Sicherung der Stromversorgung die wichtigste Herausforderung, die im Zuge der Energiewende für die industriellen Verbraucher entsteht. Im Jahre 2011 lag die Dauer der Versorgungsunterbrechung je Stromverbraucher in Deutschland bei 15 Minuten. Im internationalen Vergleich stellt dieser Wert eine sehr hohe Versorgungssicherheit dar, die ein starkes Argument für wichtige Investitionen in einer Volkswirtschaft ist. In Deutschland ist dieses hohe Maß an Versorgungssicherheit jedoch bedroht. Immer häufiger müssen die Betreiber der Stromübertragungsnetze in den Netzbetrieb eingreifen, um deren Stabilität zu gewährleisten. Die tendenziell

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Michael Hüther

steigende Instabilität der Netze liegt daran, dass im Zuge der Energiewende zwar der Ausbau an erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben wurde, allerdings nicht im ausreichenden Umfang in das Versorgungsnetz investiert wurde. Das grundlegende Problem in Deutschland besteht in der durch die forcierte Energiewende begründeten regionalen Disparität von Stromproduktion und Stromverbrauch. Der Großteil des Stroms aus erneuerbaren Energien wird im Norden von Deutschland (primär über Windkraft) erzeugt. Die großen Stromabnehmer befinden sich aber im Westen und Süden. Um diese Entfernungen zu überwinden sind erhebliche Verstärkungen der bestehenden Nord-SüdStromverbindungen sowie einzelne Neubautrassen von Nöten, die bis heute nicht gebaut sind und ohne die die Energiewende nicht gelingen kann. Versorgungssicherheit basiert aber nicht nur auf Netzen, sondern vor allem auf einem planbaren Angebot an Strom. Da Sonne und Wind natürlichen Schwankungen unterliegen, werden Ersatzkraftwerke oder Speicherkapazitäten benötigt. Ein zweiter Kraftwerkspark ist mit hohen Kosten verbunden – wie diese getragen werden sollen, ist noch völlig offen. Im Wettbewerb rechnen sich neue Kraftwerke derzeit jedenfalls nicht. Und ein zusätzliches Subventionssystem sollte auch ausscheiden. Noch kritischer sieht es mit Stromspeichern aus, die noch lange nicht in großem Umfang und zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen bereitstehen. Die Sicherung der Versorgungssicherheit ist eine der großen Risiken der Energiewende. Der Politik ist es bisher nicht gelungen, die Energiewende mit dem nötigen Ausbau der Infrastruktur zu begleiten. Und die notwendige Akzeptanz dafür, dass die Energiewende nur mit einem adäquaten Ausbau der Infrastruktur funktionieren kann, ist bei den Bürgen kaum vorhanden. Es gilt dringend diese Versäumnisse aufzuholen und den Ausbau der Infrastruktur voranzubringen – ansonsten wird die Energiewende nicht gelingen. Im Vordergrund der Erwägungen der meisten Industrieunternehmen steht jedoch die Höhe und Entwicklung der Stromkosten in der Energiewende. Zusätzliche Kosten stellen unter sonst gleichen Bedingungen zunächst eine Belastung für die Unternehmen, eine Verschlechterung der Rentabilität und eine Bedrohung der Wettbewerbsposition dar. Durch eine höhere Effizienz können derartige Zusatzkosten nur partiell ausgeglichen werden. Ob Mehrkosten in höheren Absatzpreisen umgesetzt werden können, ist zumindest zweifelhaft. Dies kann besser gelingen wenn alle Anbieter gleichermaßen von Mehrkosten betroffen sind und zudem nur eine geringere Elastizität der Nachfrage besteht. Wenn die erste Bedingung nicht gegeben ist, können Kunden zu günstigeren Anbietern wechseln, so dass die zusätzlichen Energiekosten zu Lasten der Wertschöpfung gehen und damit vor allem von Investoren und Mitarbeitern getragen werden müssen. Im internationalen Wettbewerb um Kapital, das vielfältige Anlagemöglichkeiten hat, wird eine längerfristige unterdurch-

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Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

schnittliche Rendite jedoch nicht tragfähig sein. Dies macht sich insbesondere bei nationalen Mehrbelastungen bemerkbar, wie sie durch die Stromkostenentwicklung im Rahmen der Energiewende erwartet werden. Aber selbst wenn alle Wettbewerber die gleiche Kostenstruktur haben und die Kosten damit leichter auf die Preise überwälzt werden können, reagiert die Nachfrage. Soweit diese nicht praktisch vollkommen unelastisch ist, wird ein Teil der Nachfrage aufgrund des höheren Preises ausfallen. Auch das Wegbrechen von Teilen des Geschäfts kann eine spürbare Belastung der Unternehmen darstellen. Tabelle 1, Investitionszurückhaltung durch Energiepolitik Tragen die aktuellen energiepolitischen Rahmenbedingungen dazu bei, dass in Ihrem Unternehmen Investitionsentscheidungen zurückgestellt werden? Angaben in Prozent der Unternehmen, hochgerechnet Branche

Umsatz in Mio. Euro

Ja Eher Ja

Gesamt Industrie Dienstleistung Unter 1 1 bis unter 50 Ab 50 12,7 2,6 3,9 8,0 17,7 4,5 11,4 9,0 8,9 12,9 16,1 9,4

Eher Nein Nein

29,8 46,1

Keine Angabe 0,0 Gesamt 100,0

33,3 55,1

32,4 54,8

34,2 44,5

36,8 28,8

32,6 53,4

0,0 100,0

0,0 100,0

0,3 100,0

0,6 100,0

0,0 100,0

Quelle: Bardt/Kempermann, 2013, IW-Unternehmervotum, Juli/August 2013, 734 Unternehmen der Industrie/industrienahen Dienste

Die erhöhten Kosten der Energieversorgung stellen dabei nicht nur eine theoretische Bedrohung dar, sondern haben schon heute Auswirkungen auf das Investitionsverhalten der Unternehmen in Deutschland. Bereits aktuell werden zahlreiche Investitionsentscheidungen durch die Energiepolitik beeinträchtigt. Für 24,1 Prozent der Industrieunternehmen führen die aktuellen energiepolitischen Rahmenbedingungen dazu, dass anstehende Investitionsentscheidungen zurückgestellt werden (Tabelle 1). Bei größeren Unternehmen aus der Industrie und den damit verbundenen industrienahen Dienstleistungen liegt der Anteil der Unternehmen, die Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund der Energiewende verschieben, sogar bei 33,8 Prozent. Damit wird auch die Unsicherheit deutlich, die durch die energiepolitischen Rahmenbedingungen entstanden sind. Insbesondere die Aussicht auf steigende Preise aufgrund einer weiteren Erhöhung der EEG-Umlage sowie die Befürchtung von Mehrbelastungen durch die Einschränkung geltender Ausnahmeregelungen für energieintensive Branchen stellen ein Investitionshemmnis dar. Unternehmen können mit Marktrisiken in der Regel gut umgehen. Die stark gewachsenen politischen Risiken der Stromversorgung sind jedoch nur schwer mit längerfristigen In-

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Michael Hüther

vestitionen zu vereinbaren, was die Investitionsschwäche der deutschen Volkswirtschaft weiter verstärkt. Kritischer als die Verzögerung von Investitionsentscheidungen ist die tatsächliche Umleitung von Neuinvestitionen, die aufgrund der Energiepolitik im Ausland und nicht in Deutschland getätigt werden. Zahlreiche Unternehmen sind mit ihren Investitionen nicht in Deutschland gebunden, sondern müssen sich zwischen verschiedenen Investitionsstandorten entscheiden. Dabei kommen verschiedene Überlegungen zur Standortqualität zusammen. Für die Industrie zählt die Energieversorgung zu einem der wichtigsten Standortbedingungen (IW Köln, 2013). Wachsende Absatzmärkte in Asien und günstige Energiepreise im Mittleren Osten oder Nordamerika sind heute schon wichtige Argumente für eine Ausweitung der Produktionsmöglichkeiten in diesen Weltregionen. Die Verteuerung von Energie in Deutschland verschärft diese Tendenz weiter. Insbesondere international tätige Unternehmen können ohne größere Zusatzkosten in bestehende Werke verschiedener Länder investieren, so dass allein die bestehenden Investitionen in Deutschland als sunk costs keine Sicherheit gegen Verlagerungsprozesse darstellen. Verlagerungsprozesse finden typischerweise nicht in einem Schritt mit der Schließung von Anlagen in einem und der Neuinvestition in einem anderen Land statt. Dies ist höchstens im Fall von massiven nationalen Strompreiserhöhungen für besonders energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb möglich. Deutlich relevanter sind vielmehr schleichende Prozesse, bei denen laufende Investitionen an anderer Stelle stattfinden und es somit zu einer Schwerpunktverlagerung kommt, die am Ende des Prozesses aber zu einer faktischen Verlagerung von Produktion und einem absoluten Rückgang in dem schlechter bewerteten Standort kommen kann. Die schleichenden Verlagerungsprozesse zeigen sich schon heute in Plänen der Unternehmen, aufgrund der Energiepolitik stärker im Ausland zu investieren. Zwar steht dies für 80 Prozent der Unternehmen nicht auf dem Plan. 8,3 Prozent der Industrieunternehmen und sogar 27,9 Prozent der größeren Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen planen hingegen eine Verstärkung von Neuinvestitionen im Ausland (Tabelle 2). Schon heute werden somit Investitionen am Standort Deutschland durch die verschlechterten energiepolitischen Rahmenbedingungen gefährdet. Insbesondere bei den energieintensiven Branchen trifft diese Verschlechterung auf eine Phase einer länger anhaltenden Investitionsschwäche. In den Branchen mit höheren spezifischen Energieverbräuchen (Papier, Chemie, Glas/ Keramik/Stein & Erden, Metallerzeugung und -bearbeitung) war zwischen 2000 und 2010 nur in einem Jahr (2008) eine positive Bilanz der Nettoanlageinvestitionen zu verzeichnen; auch danach ist es nicht besser geworden. In allen anderen Jahren war Netto ein Desinvestitionsprozess zu verzeichnen. Dass be-

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Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

Tabelle 2, Mehr als jedes vierte große Unternehmen will Neuinvestitionen ins Ausland verlagern Planen Sie aufgrund der deutschen Energiepolitik stärker als bislang, Neuinvestitionen im Ausland zu tätigen? Angaben in Prozent der Unternehmen, hochgerechnet Branche

Ja Eher Ja

Umsatz in Mio. Euro Gesamt Industrie Dienstleistung Unter 1 1 bis unter 50 Ab 50 1,4 0,3 0,0 3,5 13,8 0,5 6,9 1,3 2,0 5,0 14,1 2,4

Eher Nein Nein

13,4 78,3

Keine Angabe 0,0 Gesamt 100,0

17,8 80,5

17,4 80,7

13,7 77,2

23,7 47,2

17,0 80,1

0,1 100,0

0,0 100,0

0,7 100,0

1,2 100,0

0,1 100,0

Quelle: Bardt/Kempermann, 2013; IW-Unternehmervotum, Juli/August 2013, 734 Unternehmen der Industrie/industrienahen Dienste

Energieintensive

weniger Energieintensive

10% 5% 0% -5%

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

-10% -15% -20% -25% -30%

Abbildung 4, Desinvestition energieintensive Unternehmen, Nettoinvestitionen in Prozent der Bruttoinvestitionen, Energieintensive: Papier, Chemie, Glas/Keramik/Stein & Erden, Metallerzeugung und -bearbeitung, Quellen: Bardt/Kempermann, 2013; Statistisches Bundesamt, 2012

deutet, dass Jahr für Jahr die Abschreibungen auf die bestehenden Anlagen größer waren als die Investitionen und es somit zu einem Substanzverzehr kommt. Auffallend ist, dass sich dieser Zustand bei energieintensiven Branchen deutlich schlechter darstellt als bei allen anderen Bereichen der Industrie (Abbildung 4). Die kontinuierlich negative Investitionssituation ist schon aufgrund seiner langen Dauer nicht allein auf die aktuelle Energiewende zurückzuführen. Sie zeigt jedoch deutlich, dass die Bedingungen der energieintensiven Branchen als kritisch anzusehen sind, was sich durch drohende Mehrkosten für Energie,

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Michael Hüther

aufgrund der politischen Entwicklungen, in der Tendenz noch weiter verschlechtert. Die Energiewende bringt der Industrie und den industrienahen Dienstleistungen aber nicht nur Preisrisiken und Gefahren für die Versorgungssicherheit. Mit einem derartigen Transformationsprozess des gesamten Energieversorgungssystems von der Produktion bis zum Verbrauch sind auch nicht unerhebliche Chancen verbunden. Diese führen aber nicht automatisch dazu, dass die an anderer Stelle entstehenden Kosten überkompensiert werden. Zudem liegt in den Chancen, soweit sie im Aufbau zusätzlicher Elemente des Energiesystems liegen, zunächst einmal ein Einsatz von Ressourcen, die auch an anderer Stelle produktiv eingesetzt werden könnten. Eine Energiewende mit möglichst geringem Ressourceneinsatz wäre daher wirtschaftlich vorteilhaft. So ist auch nicht jeder Arbeitsplatz im Bereich der erneuerbaren Energien als zusätzlich zu werten, da beispielsweise die hier eingesetzten Ingenieure auch in alternativen Verwendungen eingesetzt werden könnten. Tabelle 3, Marktchancen durch Energiewende kaum gestiegen Inwieweit sind die Marktchancen für Ihr Unternehmen durch die Energiewende gestiegen? Angaben in Prozent der Unternehmen, hochgerechnet Branche

Stark Eher stark

Umsatz in Mio. Euro

Gesamt Industrie Dienstleistung Unter 1 1 bis unter 50 Ab 50 6,3 3,2 3,7 3,8 1,8 3,7 7,0 14,3 13,6 7,9 3,1 12,9

Eher schwach 16,8 Schwach 5,0

10,6 6,8

10,9 6,1

17,8 8,9

23,4 7,5

11,8 6,4

Gar nicht 64,8 Keine Angabe 0,1

64,2 1,0

64,8 0,9

61,1 0,5

53,6 0,6

64,3 0,8

Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Bardt/Kempermann, 2013; IW-Unternehmervotum, Juli/August 2013, 734 Unternehmen der Industrie/industrienahen Dienste

Die Chancen der Energiewende für die Industrie und industrienahe Dienstleistungen haben jedoch immer noch eher Nischencharakter. So sehen lediglich 16,6 Prozent der Unternehmen stark oder eher stark gestiegene Marktchancen. Zu einem eindeutigen »stark« konnten sich darin nur 3,7 Prozent der Unternehmen durchringen. Dem gegenüber stehen 64,3 Prozent der Unternehmen, die sich von der Energiewende keine zusätzlichen Marktchancen versprechen (Tabelle 3). Die identifizierten Chancen liegen für die Industrie insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien sowie der Energieeffizienz. Hinzu kommen

19

Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

Leistungen der Bauwirtschaft sowie spezifische Beratungsleistungen aus dem Dienstleistungssektor.

4.

Flucht aus der Finanzierung?

Der Industrie und insbesondere den energieintensiven Branchen wird immer wieder eine mangelnde Beteiligung an den Kosten der Energiewende vorgeworfen. Hintergrund dieser Diskussion ist vor allem die konkrete Ausgestaltung der EEG-Umlage, die Rabatte für Unternehmen mit einem hohen Stromkostenanteil und einem hohen Stromverbrauch vorsieht. Zur Finanzierung der EEG-Kosten müssen damit von den anderen Verbrauchern höhere Umlagen erhoben werden. Die Differenz liegt 2013 bei gut einem Cent. Eine vollständige Abschmelzung dieser Rabatte hätte für die betroffenen Unternehmen aber verheerende Auswirkungen. Trotz der Rabatte für weit unter einem Prozent der Unternehmen (die jedoch einen erheblichen Teil des Stromverbrauchs auf sich vereinigen) trägt die Wirtschaft einen großen Teil der EEG-Kosten. 10,1 Mrd. werden von Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen aufgebracht, davon allein 6,1 Mrd. durch die Industrie (Abbildung 5). Die Landwirtschaft trägt 500 Millionen Euro bei, der Verkehrssektor rund 200 Millionen. Die privaten Haushalte steuern mit 7,2 Milliarden Euro gut ein Drittel des Aufkommens aus der EEG-Umlage bei, fast zwei Drittel tragen Wirtschaft und Verwaltung. Private Haushalte

7,2

Industrie

6,1

Gewerbe, Handel, Dienstleistungen

4,0

öffentliche Einrichtungen

2,4

Landwirtschaft

0,5

Verkehr

0,2 0

2

4

6

8

Abbildung 5, EEG-Kosten, gezahlte Umlage in Mrd. Euro, 2013, gesamt: 20,4 Mrd., Quelle: BDEW, 2013b

20

Michael Hüther

Zusätzlich zu den EEG-Rabatten gibt es noch weitere Ausnahmetatbestände, die zunehmend genutzt werden. So ist der Eigenverbrauch von selbst erzeugtem Strom heute von verschiedenen Kostenblöcken befreit, unter anderem von der EEG-Umlage und den Netzentgelten. Dies folgt der Logik, dass selbst produzierte Zwischenprodukte, die gleich wieder in die Produktion eingesetzt werden und den Markt nie erreichen auch sonst keinen Abgaben unterliegen. Zudem wäre mit einer Einbindung in das EEG eine zusätzliche nicht unerhebliche Kostenbelastung für Unternehmen verbunden, die beispielsweise Abwärme zur Stromerzeugung nutzen, die sonst ungenutzt bleiben würde. Dasselbe Prinzip gilt für private Solaranlagen, deren Einsatz gegen den Endkundenpreis für Strom konkurriert. Damit werden aber dezentrale Anlagen gegenüber dem Strombezug aus dem Netz erheblich bevorteilt, die mit allen Abgaben und Entgelten belastet werden. Der Anteil des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Strom ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen (Abbildung 6). 2006 lag der Anteil noch bei 8,2 Prozent des Letztverbrauchs. Im Jahr 2013 liegt der Wert bei 10,0 Prozent. In den Jahren sind fast zehn TWh Stromverbrauch in die eigenverbrauchte Eigenerzeugung gewandert, wodurch sich das Aufkommen von Abgaben und Netzentgelten entsprechend reduziert hat. Eigenverbrauchte Eigenerzeugung

Anteil am Letztverbrauch

60

12%

50

10%

40

8%

30

6%

20

4%

10

2%

0

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

0%

Abbildung 6, Eigenverbrauchte Eigenerzeugung, in TWh und in vH des Letztverbrauchs, 2013: Prognose, Quelle: Prognos 2012, IW Köln

Handlungsbedarf besteht insbesondere bei der Gestaltung der Netzentgelte, da hier der genutzte Service nicht mehr ausreichend bezahlt wird. Der Netzanschluss ermöglicht jederzeit eine Versorgung mit Strom im Umfang der Anschlussleistung, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des Netzes. Eine

Die Energiewende und ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen

21

zunehmende Selbstversorgung verringert die Netzentgelte, die Sicherheit des Netzes wird aber weiterhin in Anspruch genommen – auf Kosten der anderen Verbraucher. Eine angemessene Lösung läge darin, die Netzentgelte nicht mehr an verbrauchten Strom zu koppeln, sondern an die Leistung des Anschlusses. Die Zahlung sollte davon abhängen, ob das Stromnetz als Sicherheit für die eigene Versorgung genutzt wird oder eben nicht.

5.

Fazit

Die Energiewende ist eine erhebliche Investition, bei der darauf gesetzt wird, dass die erneuerbaren Energien in einem späteren Regime international hoher Preise für Energie oder Kohlendioxid eine günstigere Alternative sind. Ob diese Kalkulation aufgeht, ist jedoch unklar. Sicher sind aber die heutigen Mehrkosten für die Stromverbraucher in Deutschland. Ein Ende des Preisanstieges für Haushalte und Unternehmen in Deutschland ist nicht zu erkennen. Eine grundlegende Reform des bestehenden Subventionsmodelles ist in dieser Legislaturperiode nicht in Aussicht. Allerdings gibt es durchaus Alternativen, die den Preisanstieg stoppen könnten. Der Förderungsmechanismus für erneuerbarer Energien sollte in ein klares Konzept für dauerhaften Wettbewerb im Strommarkt eingebunden sein, welches kosteneffizient, technologieneutral und europatauglich ist. Kurzfristig muss vor allem eines gelten: Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie darf durch die Energiewende nicht bedroht werden. Um dies zu erreichen, wäre es sinnvoll, die Energiewende aus der sachfremden Umklammerung durch die Klimapolitik zu befreien. Der CO2 Ausstoß wird europaweit über den Zertifikatehandel definiert und gesteuert. Darauf hat die Art der Energieproduktion keinen Einfluss, sie beeinflusst lediglich die nationale Struktur des CO2 Ausstoßes.

Literatur Bardt, Hubertus / Kempermann, Hanno, 2013, Folgen der Energiewende für die deutsche Industrie, IW-Positionen, Nr. 58, Köln BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, 2013a, Erneuerbare Energien und das EEG. Zahlen, Fakten, Grafiken (2013), Berlin BDEW, 2013b, BDEW-Strompreisanalyse Mai 2013, Berlin Frondel, Manuel / Schmidt, Christoph M. / Vance, Colin, 2012, Germany’s Solar Cell Promotion: An Unfolding Disaster, in: Ruhr Economic Papers, Nr. 353, Bochum IW Köln – Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), 2013, Industrielle Standortqualität – Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich? IW Studien, Köln

22

Michael Hüther

Prognos, 2012, Letztverbrauch 2013 Planungsprämissen für die Berechnung der EEGUmlage, Berlin Statistisches Bundesamt, 2012, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Beiheft Investitionen, 1. Halbjahr 2012, Wiesbaden Übertragungsnetzbetreiber, 2013, Prognose der EEG-Umlage 2014 nach AusglMechV; Prognosekonzept und Berechnung der Übertragungsnetzbetreiber, Berlin

Christian Koenig und Franziska Schramm

*

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen nach § 19 Abs. 2 StromNEV (a. F.) und der EEG-Umlagemechanismen im Lichte der jüngsten Eröffnungsbeschlüsse der Europäischen Kommission I.

Einführung

Um die Produktion und die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland im Rahmen der Energiewende zu unterstützen, hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren verschiedene Umlagemechanismen im Energiewirtschaftsrecht eingeführt. So wurde beispielsweise mit der letzten großen Novelle des Energiewirtschaftsrechts im Sommer 2011 § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV (gültig bis 22. 08. 2013) geändert.1 War bislang nur die Vereinbarung eines individuellen Netznutzungsentgelts im Falle atypischer Netznutzung möglich, so sollten stromintensive Abnehmer nunmehr vollständig von der Zahlungspflicht für Netzentgelte befreit werden. Die entgangenen Erlöse, die aus der Befreiung dieser großen Netznutzer resultieren, wurden über einen Umlagemechanismus sozialisiert und von der Gesamtheit der Netznutzer getragen.2 Auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurden verschiedene Umlagemechanismen implementiert: Zum einen werden garantierte Einspeisevergütungen und Marktprämien für die Erzeuger erneuerbarer Energien durch eine Umlage auf alle Stromabnehmer finanziert (sogenannte EEG-Umlage, § 37 EEG), zum anderen werden Energieversorgungsunternehmen bei der Abnahme inländisch erzeugten Grünstroms (sogenanntes Grünstromprivileg, § 39 EEG) und energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes durch eine verringerte EEG-Umlage (§§ 40 ff.) privilegiert. Diese Privilegierungen wirken ökonomisch wie eine Verbrauchssteuer zur Umverteilung von Klein auf Groß

* Der Erstautor ist Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Universität Bonn, die Zweitautorin ist wissenschaftliche Referentin am ZEI. 1 Ernst/Koenig, Befreiung stromintensiver Netznutzer gem. § 19 II 2 StromNEV, EnWZ 2/2012, S. 51. 2 Ernst/Koenig, Befreiung stromintensiver Netznutzer gem. § 19 II 2 StromNEV, EnWZ 2/2012, S. 51.

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Christian Koenig und Franziska Schramm

unter dem Mantra internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung.3 Sowohl die Regelungen des EEG wie auch die der StromNEV einschließlich ihrer Umlagemechanismen sind mittlerweile Gegenstand beihilfenrechtlicher Verfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen einer möglichen Verletzung von Art. 107 I AEUV geworden: Am 06. 03. 2013 bzw. am 18. 12. 2013 hat die Kommission die Verfahren gegen die Stromnetzentgeltbefreiungen gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV4 bzw. die verschiedenen Regelungen des EEG5 eröffnet und damit die Bundesregierung stark unter Druck gesetzt, ihre energierechtliche Politik beihilfenrechtskonform zu gestalten. Eine Änderung von § 19 StromNEV fand bereits im Sommer 2013 noch während der vergangenen Legislaturperiode statt, indem stromintensive Abnehmer nun nicht mehr vollständig von Netzentgelten befreit werden können, jedoch eine gestaffelte Reduzierung der Entgelte abhängig vom Stromverbrauch mit dem Netzbetreiber vereinbaren können.

II.

Befreiung von Stromnetzentgelten gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV

Gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV a. F. (gültig bis 22. 08. 2013) bestand die Möglichkeit, besonders stromintensive Netznutzer auf Antrag, der von ihnen selbst oder vom Netzbetreiber gestellt werden konnte, von der Pflicht zur Zahlung der Netzentgelte zu befreien. Um in den Genuss dieser Privilegierung zu gelangen, war es erforderlich, dass die Stromabnahme des betreffenden Netznutzers aus dem Netz der allgemeinen Versorgung für den eigenen Verbrauch an einer Abnahmestelle die Benutzungsstundenzahl von mindestens 7.000 Stunden und der Stromverbrauch an dieser Abnahmestelle 10 Gigawattstunden übersteigt. Mit anderen Worten kam derjenige für eine Befreiung in Betracht, der ein besonders intensives (Stromverbrauch) und extensives (Nutzungsdauer) Netznutzungsverhalten zeigte.6 Die entgangenen Erlöse, die aus der Befreiung dieser 3 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 51. 4 Eröffnungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 06. 03. 2013 gegen die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Netzentgeltbefreiung für stromintensive Unternehmen (§ 19 StromNEV), Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN) – Deutschland, C(2012) 8765 final. 5 Eröffnungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 18. 12. 2013 gegen die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Begrenzung der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) – Deutschland, C(2013) 4424 final. 6 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 51.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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Netznutzer resultierten, wurden gemäß § 19 Abs. 2 S. 6 f. StromNEV über einen Umlagemechanismus sozialisiert und von der Gesamtheit der Netznutzer getragen. Der Ansatz, denjenigen von einer Zahlungspflicht zu befreien, der die entgeltpflichtige Leistung am intensivsten nutzt, widerspricht dabei schon dem ökonomischen Leitgedanken.7 Nach der aktuellen Fassung des § 19 StromNEV können stromintensive Abnehmer zwar nicht mehr vollständig von den Netzentgelten befreit werden, jedoch können sie eine gestaffelte Reduzierung der Entgelte abhängig vom Stromverbrauch mit dem Netzbetreiber vereinbaren. Diese Vereinbarung muss weiterhin von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Die entgangenen Erlöse können wiederum über eine entsprechende Anwendung des § 9 KraftWärme-Kopplungsgesetzes unter den Übertragungsnetzbetreibern ausgeglichen und dann auf alle Letztverbraucher umgelegt werden. Bereits vor dem Eröffnungsbeschluss wurde in der juristischen Literatur8 bis in die Tagespresse9 hinein diskutiert, ob die Befreiung von den Netzentgelten eine gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV verbotene unionsrechtswidrige Beihilfe darstellt. Dies hatte auch das derzeit mit einer Flut von Verfahren zu diesem Thema befasste OLG Düsseldorf10 dazu bewogen, die Europäische Kommission auf Grundlage der Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte11 um eine Stellungnahme zu bitten. Allerdings hatte das OLG Düsseldorf die EU-Beihilfenrechtsfrage in den Schatten gestellt, nachdem der juristische Dienst der Europäischen Kommission – um eine amicus curiae Stellungnahme gebeten – die Befreiung großer Stromverbraucher von Netzentgelten nicht als eine EU-rechtswidrige staatliche Beihilfe (Art. 107 Abs. 1 AEUV) qualifiziert hat, da dem Urteil PreussenElektra des EuGH vom 13. 03. 2001 (Rs C-379/98) entsprechend wohl keine »aus staatlichen Mitteln« gewährten Begünstigungen vorlägen.12 Am 06. 03. 2013 hat die Europäische Kommission – in diesem Fall die Generaldirektion Wettbewerb im Gegensatz zum Juristischen Dienst beim amicus curiae Verfahren des OLG Düsseldorf – ein offizielles Anschreiben an die Bun7 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 51. 8 S. z. B. Bloch, Beihilfenrechtliche Aspekte der Befreiung von Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV, RdE 2012, S. 241 ff. 9 S. z. B. Zeit online v. 6. 9. 2012, http://www.zeit.de/wirtschaft/2012 – 09/netzentgelte-be freiung (Abruf 16. 03. 2013). 10 OLG Düsseldorf, Pressemitteilung v. 06.03.13, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/JM/ Presse/presse_weitere/PresseOLGs/archiv/2013_01_Archiv/06_03_20131/index.php (Abruf 16. 03. 2014). 11 Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte (2009/C 85/01), AblEG Nr. C 85/1 v. 9. 4. 2009, Tz. 79 b. 12 Koenig, Zu guter Letzt … Umlagen-finanzierte Befreiungen von Elektrizitätsnetzentgelten und kein Ende regulatorischer Achterbahnfahrten!, in: N& R 01/2013, S. 55 f.

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desrepublik Deutschland zur Eröffnung des Beihilfeverfahrens zu § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV gerichtet.13 Die Kommission geht im vorläufigen Prüfungsverfahren davon aus, dass es sich bei der Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV um eine rechtswidrige Beihilfe handelt. Folgende graphische Darstellung veranschaulicht – vereinfacht – den Umlagemechanismus zum Ausgleich der Erlösausfälle aufgrund der Netzentgeltbefreiungen für stromintensive Abnehmer gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV a. F. (gültig bis 22. 08. 2013):

13 Eröffnungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 18. 12. 2013 gegen die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Begrenzung der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) – Deutschland, C(2013) 4424 final.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

III.

27

Beihilfenrechtliche Problematik im EEG

Eine ähnliche beihilfenrechtliche Problematik stellen die EEG-Umlage (§ 37 Abs. 2 EEG) und die ebenfalls im EEG festgelegten Befreiungsstaatbestände (§ 39 EEG, »Grünstromprivileg« und §§ 40 ff. EEG, (Teil-)Befreiungen für energieintensive Unternehmer) dar. Das EEG privilegiert die bevorzugte Einspeisung von Strom, der aus erneuerbaren Quellen stammt (§§ 18 – 33 EEG).14 Die Erzeuger erhalten eine – für einen Zeitraum von 20 Jahren garantierte – feste Einspeisevergütung pro Kilowattstunde (kWh), die deutlich über dem Marktpreis liegt. Alternativ können sie bei Direkteinspeisung an Dritte eine Marktprämie (§ 33 EEG) als Differenz zwischen dem am Markt erzielten Preis und der gesetzlichen Einspeisevergütung erhalten. Die Übertragungsnetzbetreiber (Transmission System Operator, TSO) sind verpflichtet, den an die Erzeuger angeschlossenen Verteilnetzbetreibern (Distribution System Operator, DSO) die Marktprämie bzw. die gesetzlichen Einspeisevergütungen zu zahlen. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (TSO) vermarkten die gesamten EEGStrommengen am Spotmarkt einer Strombörse auf Grundlage der Ausgleichsmechanismus-Verordnung (AusglMechV) und erhalten von den die Letztverbraucher beliefernden Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur noch einen Kostenersatz in Höhe der Differenz (»EEG-Umlage«, § 37 Abs. 2 EEG) zwischen den ausgezahlten Vergütungen einschließlich notwendiger Aufwendungen für den Verkauf einerseits und den erzielten Erlösen anderseits. Gemäß § 37 Abs. 2 EEG können die Übertragungsnetzbetreiber von Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die Strom an Letztverbraucher liefern, anteilig zu dem jeweils von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen an ihre Letztverbraucher gelieferten Strom die Kosten für die erforderlichen Ausgaben nach Abzug der erzielten Einnahmen und nach Maßgabe der Ausgleichsmechanismusverordnung (vgl. dort § 3 AusgleichMechV) verlangen. Den Elektrizitätsversorgungsunternehmen steht es frei, die Kosten der EEG-Umlage auf die Letztverbraucher umzulegen; i. d. R. erhöhen sich die Stromkosten für Letztverbraucher um die EEGUmlage, da die Elektrizitätsversorgungsunternehmen von dieser Möglichkeit aus wirtschaftlichen Gründen Gebrauch machen. Die Übertragungsnetzbetreiber ermitteln zum 15. Oktober die Höhe der EEG-Umlage für das Folgejahr in einer Prognose, die zusammen mit Forschungsinstituten anhand der erwarteten Ausgaben für EEG-Vergütungen und der voraussichtlichen Einnahmen aus dem Verkauf des EEG-Stroms an der Strombörse EPEX Spotmarkt aufgestellt wird. Die Ausgleichsregelungen gemäß §§ 40 ff. EEG entlasten stromintensive 14 Vgl. dazu auch die Ausführungen aus Büdenbender/Gärditz/Löwer/Ludwigs/Paschke/Stoll/ Wolfrum, Rechtliche Rahmenbedingungen für die Reform des EEG, Akademienprojekt Energiesysteme der Zukunft, Arbeitsgruppe Recht, Final Draft, 28. 01. 2014, S. 2 ff.

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Unternehmen von Teilen der EEG-Umlage. Die von sämtlichen Stromverbrauchern zu zahlende EEG-Umlage beträgt im Jahr 2013 5,277 Cent pro kWh, im Jahr 2014 6,240 Cent pro kWh.15 Voraussetzung für die Befreiung von der Umlage ist, dass ein Unternehmen dem produzierenden Gewerbe angehört oder eine Schienenbahn ist und einen jährlichen Stromverbrauch von mehr als 1 GWh hat. Die EEG-Umlage wird dann gemäß § 41 Abs. 3 EEG stufenweise für den Stromanteil über 1 bis einschließlich 10 Gigawattstunden auf 10 Prozent der nach § 37 Abs. 2 ermittelten EEG-Umlage begrenzt, für den Stromanteil über 10 bis einschließlich 100 Gigawattstunden auf 1 Prozent begrenzt und für den Stromanteil über 100 Gigawattstunden auf 0,05 Cent je Kilowattstunde begrenzt. Bei einem jährlichen Stromverbrauch von mindestens 100 Gigawattstunden und wenn deren Verhältnis der Stromkosten zur Bruttowertschöpfung mehr als 20 Prozent betragen hat, wird die EEG-Umlage auf 0,05 Cent ab der ersten Kilowattstunde begrenzt. Die Begrenzung der EEG-Umlage für eine Strommenge im Rahmen der besonderen Ausgleichsregelung erfolgt auf Antrag des Unternehmens beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA; Sitz Eschborn).16 Dieses prüft, ob das antragstellende Unternehmen die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, und erteilt entsprechend Begrenzungsbescheide, basierend auf dem Antrag eines Unternehmens bzw. eines selbstständigen Unternehmensteils für die jeweils beantragten Stromabnahmestellen.17 Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle unterliegt dabei der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Bei der Berechnung der Höhe der EEG-Umlage für das Folgejahr kalkulieren die Übertragungsnetzbetreiber die Höhe unter der Prämisse, dass die privilegierten Stromabnehmer nur eine begrenzte EEG-Umlage zahlen werden, und legen dadurch entstehende Ausfälle bereits vorab anteilig auf alle vollständig und teilweise zahlenden Stromabnehmer um. Der gebundene Begrenzungsanspruch gemäß § 40 S. 1 EEG tangiert das Recht der Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die EEG-Umlage an die Letztverbraucher weiterzugeben. Die Begrenzung der Ansprüche der Übertragungsnetzbetreiber auf Zahlung der EEG-Umlage gegenüber den Elektrizitätsversorgungsunternehmen infolge der besonderen Ausgleichsregelung ist gem. § 43 Abs. 3 EEG beim Ausgleich zwischen den Übertragungsnetzbetreibern zu berücksichtigen. 15 http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/131015_EEGUmlage.html (Abruf 17. 03. 2014). 16 http://www.bafa.de/bafa/de/energie/besondere_ausgleichsregelung_eeg/ (Abruf 17. 03. 2014). 17 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Hintergrundinformationen zur Besonderen Ausgleichsregelung, Antragsverfahren 2013 auf Begrenzung der EEG-Umlage 2014, Berlin, 27. 01. 2014, abrufbar unter http://www.bafa.de/bafa/de/energie/besondere_ausgleichs regelung_eeg/publikationen/bmwi/eeg_hintergrundpapier_2014.pdf (Abruf 17. 03. 2014).

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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Davon zu unterscheiden ist das sogenannte »Grünstromprivileg«: Gemäß § 39 EEG können sich Elektrizitätsversorgungsunternehmen von der Zahlung der EEG-Umlage (teil-)befreien lassen, wenn sie ihren Letztverbrauchern mindestens 50 % Strom aus EEG-fähigen Anlagen im Sinne der §§ 23 bis 33 EEG (gesamte Erneuerbare Energien) und gleichzeitig mindestens 20 % Strom aus EEG-fähigen Anlagen im Sinne der §§ 29 bis 33 EEG (Windenergie und Solarenergie) in Bezug auf die von ihnen gelieferte Gesamtstrommenge liefern. Umlageausfälle durch diese Begrenzungen der EEG-Umlage fließen erneut in das Umlagesystem ein, indem die Übertragungsnetzbetreiber bei der Berechnung der Höhe der EEG-Umlage für das Folgejahr die Höhe unter der Prämisse kalkulieren, dass die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die unter das Grünstromprivileg gemäß § 39 EEG fallen, nur eine begrenzte EEG-Umlage zahlen werden, und legen dadurch entstehende Ausfälle bereits vorab anteilig auf alle vollständig und teilweise zahlenden Stromabnehmer um. Folgende graphische Darstellung veranschaulicht – vereinfacht – den EEG-Umlagemechanismus gemäß § 37 EEG:18

18 Bundesnetzagentur, Evaluierungsbericht zur Ausgleichsmechanismusverordnung, Bonn, März 2012, abrufbar unter http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/ZahlenDaten Informationen/EvaluierungsberichtAusglMechV.pdf ?__blob=publicationFile& v=2 (Abruf 17. 03. 2014).

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Christian Koenig und Franziska Schramm

IV.

Beihilfenrechtliche Prüfung von § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV (a. F.) und der EEG-Umlagemechanismen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV

1.

Einsatz staatlicher Mittel

Hauptsächlich problematisch innerhalb der beihilfenrechtlichen Prüfung sind sowohl bei den Stromnetzentgeltbefreiungen für energieintensive Unternehmen ebenso wie bei den EEG-Umlagemechanismen erstens die Staatlichkeit der Mittel (wirtschaftliches Zuordnungskriterium der Mittelverwendung) und zweitens die Zurechnung zum Mitgliedstaat (Kontrollkriterium). Beide Elemente werden in der ständigen Rechtsprechung des EuGH hochgehalten, obwohl das zweite, von der Rechtsprechung kreierte Zurechnungselement nicht zwingend im Wortlaut und Telos des Art. 107 I AEUV (»staatlich oder aus staatlichen Mitteln gewährt«) angelegt ist.19 Das Kontrollkriterium wird nicht nur dadurch erfüllt, dass die Befreiung von den Netzentgelten auf einer Rechtsvorschrift beruht, die dem Staat zuzurechnen ist20, sondern insbesondere auch dadurch, dass der Staat indirekt den Umlagemechanismus durch von ihm eingesetzte, beauftragte »Verwalter«, die vier Übertragungsnetzbetreiber, kontrolliert. Zu diskutieren ist jedoch der Einsatz staatlicher Mittel (Zuordnungskriterium). Denn »Vorteile sind nur dann als Beihilfen im Sinne des Artikels 107 AEUV einzustufen, wenn sie unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden.«21 Die Kommission führt jedoch des Weiteren aus: »Infolgedessen reicht die Tatsache, dass der Vorteil nicht unmittelbar aus dem Staatshaushalt finanziert wird, allein nicht aus, um auszuschließen, dass staatliche Mittel zum Einsatz kommen. Ferner schließt eine zunächst private Herkunft von Mitteln deren Einstufung als staatliche Mittel im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV nicht aus. Damit genügt der Umstand allein, dass eine Subventionsregelung, die einigen Wirtschaftsteilnehmern eines bestimmten Sektors zugutekommt, ganz oder teilweise durch Beiträge finanziert wird, die von Staats wegen von den betreffenden Unter-

19 Jaeger, European State Aid Law Quarterly (EStAL 3) 2012, S. 535 ff. 20 Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C (2012) 8765 final, Rn. 37 ff; EuG, Urt. v. 12. 12. 1996, Rs. T-358/94, Slg. 1996, I-2109 – Air France/Kommission, Rn. 63 bis 65; EuGH, Urt. v. 22. 03. 1977 , Rs. 78/76, Slg. 1977, 595 – Steinike & Weinlig/Deutschland, Rn. 21. 21 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 37.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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nehmen erhoben werden, nicht, um dieser Regelung den Charakter einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV zu nehmen.«22

2.

Rechtsprechungsübersicht

Bekanntermaßen besteht schon für das Staatlichkeitskriterium das durch das Urteil PreussenElektra23 des EuGH ausgelöste – für den homo politicus nützliche – Umgehungsdilemma.24 Nach dieser ordnungspolitischen Ursünde des EuGH liegt keine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe vor, wenn die Pflicht privater Elektrizitätsversorgungsunternehmen zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu festgelegten Mindestpreisen auf einem Gesetz beruht und bestimmten Unternehmen wirtschaftliche Vorteile gewährt, da diese Verpflichtung nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel auf die Unternehmen, die diesen Strom erzeugen, führe.25 Wird dagegen nicht nur die Abnahmepflicht gesetzlich festgelegt, sondern werden zugleich die Abnahmepreise durch eine staatlich dominierte Stelle im Wege eines staatlichen Clearingmechanismus eingezogen und ausbezahlt, ist kraft dieses staatlichen Verwaltungsmechanismus das Merkmal einer Beihilfengewährung aus staatlichen Mitteln zu bejahen.26 Diese hauchdünne und rechtsdogmatisch fragile Abgrenzungslinie hat der Gerichtshof in seinem Vorabentscheidungsurteil vom 17. 7. 2008 in der Rechtssache C-206/06 – Essent Netwerk Noord BV – vorgezeichnet, um die durch PreussenElektra ausgelöste Umgehungssünde wieder einzugrenzen. Messerscharf grenzt der Gerichtshof in Essent Netwerk zunächst den regulatorischen Sachverhalt von dem in der Rechtssache Pearle27 ab, in welcher die Mittel von einem Berufsverband gesammelt und zu rein kommerziellen Zwecken genutzt worden sind und »in keiner Weise Teil einer von den Behörden definierten Politik« waren, während in Essent Netwerk »die Zuweisung des Betrags von 400 Millionen NLG an die bezeichnete Gesellschaft vom Gesetzgeber beschlossen worden war«28. Dann setzt der Gerichtshof zur Abgrenzung gegenüber der Rechtssache PreussenElektra an, in der »die Unternehmen nicht vom Staat mit 22 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 38 f. 23 EuGH, Urt. v. 13. 03. 2001, Rs C-379/98, Slg. 2001, I-2099 – PreussenElektra; vgl. hierzu Koenig/Kühling, ZUM 2001, S. 537. 24 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 52. 25 EuGH, Urt. v. 13. 03. 2001, Rs C-379/98, Slg. 2001, I-2099 – PreussenElektra, Rn. 59, 61, 66. 26 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 51; Europäische Kommission, Entscheidung v. 4. 7. 2006, Beihilfe N317 A/2006, Rn. 48 – 53 – Wienstrom. 27 EuGH, Urt. v. 15. 7. 2004, Rs. C-345/02, Slg. 2004, I-7139, Rn. 37 ff. – Pearle u. a. 28 EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Rn. 73 – Essent Netwerk Noord BV.

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der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt […], sondern zur Abnahme unter Einsatz ihrer eigenen finanziellen Mittel verpflichtet«29 waren. Aus diesen tragenden Abgrenzungsgründen hat der Gerichtshof nach Bejahung einer »staatlichen Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel«30 im Urteilstenor für Recht erkannt: »Nach allem ist Art. 87 EG dahin auszulegen, dass die nach Art. 9 OEPS an die bezeichnete Gesellschaft gezahlten Beträge eine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung des EG-Vertrags sind, soweit sie einen wirtschaftlichen Vorteil und nicht einen Ausgleich darstellen, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von der bezeichneten Gesellschaft zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden.«31

Ebenso stellte der Gerichtshof in der Rechtssache C-259/85 Frankreich/Kommission fest, »(…) dass der Umstand, dass eine Subventionsregelung zugunsten gewisser Wirtschaftsteilnehmer eines bestimmten Sektors durch eine parafiskalische Abgabe finanziert wird, die auf alle Lieferungen einheimischer Erzeugnisse dieses Sektors erhoben wird, allein nicht genügt, dieser Regelung den Charakter einer staatlichen Beihilfe (…) zu nehmen.«32

Diese Argumentation wurde in der Rechtssache Essent Netwerk weiterentwickelt, bei der eine Regelung vorsah, dass die Betreiber des niederländischen Stromnetzes von privaten Stromkunden einen Aufschlag erheben und die Einnahmen aus diesem Aufschlag an eine gemeinsame Tochtergesellschaft der vier Stromerzeuger abführen. Diese Tochtergesellschaft sollte dadurch einen Ausgleich zur Bestreitung sogenannter »verlorener Kosten« erhalten.33 In dieser niederländischen Regelung sah der Gerichtshof staatliche Mittel zum Einsatz kommen34 und grenzte den Sachverhalt von der Rechtssache PreussenElektra ab: »Ebenso unterscheidet sich die in Rede stehende Maßnahme von derjenigen, um die es im Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra (C-379/98, Slg. 2001, I-2099), ging, in dem der Gerichtshof in Randnr. 59 entschieden hat, dass die Verpflichtung privater Elektrizitätsversorgungsunternehmen zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu festgelegten Mindestpreisen nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel auf die Unternehmen, die diesen Strom 29 30 31 32

EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Netwerk Noord BV, Rn. 74. EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Netwerk Noord BV, Rn. 75. EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Netwerk Noord BV, Rn. 96. EuGH, Urt. v. 11.11. 1987, Frankreich/Kommission, Rechtssache C-259/85, Slg. 1987, 4393, Rn. 23. 33 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 43. 34 EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Netwerk Noord BV, Rn. 66.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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erzeugen, führt. In diesem Fall waren die Unternehmen nicht vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt worden, sondern zur Abnahme unter Einsatz ihrer eigenen finanziellen Mittel verpflichtet.«35

Die Europäische Kommission unterstreicht in ihrem Eröffnungsbeschluss zum EEG noch einmal deutlich ihre sehr enge Auslegung des Urteils PreussenElektra und ihr folglich weites Verständnis vom Einsatz staatlicher Mittel im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV: »Der Gerichtshof hat die Übertragung staatlicher Mittel nur unter sehr speziellen Umständen ausgeschlossen: Beispielsweise befand der Gerichtshof in der Rechtssache PreussenElektra, dass das Stromeinspeisungsgesetz in seiner Fassung von 1998 keine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung zur Verwaltung der Beihilfe einbezogen hat. Diese Schlussfolgerung stützte sich auf die Feststellung, dass mit dem Stromeinspeisungsgesetz ein Mechanismus geschaffen wurde, der sich darauf beschränkte, die Elektrizitätsversorgungsunternehmen und die vorgelagerten Stromnetzbetreiber unmittelbar zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien zu einem festgelegten Preis zu verpflichten, ohne dass es einer die Zahlungsflüsse verwaltenden Einrichtung bedurfte. Im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes war die Situation durch die Vielzahl von bilateralen Beziehungen zwischen Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Energien und Elektrizitätsversorgungsunternehmen gekennzeichnet. Es gab keine staatlich auferlegte Umlage, um die Elektrizitätsversorgungsunternehmen für die mit ihrer Versorgungsverpflichtung verbundene finanzielle Last zu vergüten, und daher musste auch niemand ernannt werden, um eine solche Umlage und die dementsprechenden Finanzflüsse zu verwalten.«36

3.

Subsumtion

Die Befreiung großer Stromverbraucher von Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 S. II Strom NEV und die EEG-Umlagemechanismen liegen auf der messerscharfen Abgrenzungslinie von Essent Netwerk, die sich in der Dezisionsfrage zuspitzt, ob diese Befreiung ähnlich wie die Abnahmepreise in Wienstrom – die Kommission bereitete dort die Abgrenzungslinie von Essent Netwerk vor – durch eine staatlich dominierte Stelle im Wege eines hoheitlich dirigierten (staatlichen) Verwaltungsmechanismus (in Wienstrom eines staatlichen Clearingmechanismus) individuell und konkret verfügt (in Wienstrom: eingezogen und ausbezahlt) worden ist37: Ein staatlicher Haushalt im finanzverfassungsrechtlichen Sinn muss danach zur Erfüllung des Beihilfentatbestandes gar nicht belastet 35 EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-206/06, Slg. 2008, I-5497 – Essent Netwerk Noord BV, Rn. 74. 36 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 93. 37 Europäische Kommission, Entscheidung v. 4. 7. 2006, Beihilfe N317 A/2006 – Wienstrom, Rn. 48 – 53.

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oder beteiligt sein. Selbst bei einer haushaltsneutralen, aber staatlich dirigierten Umlagenverwaltung ist sowohl das Merkmal der Staatlichkeit der Mittel als auch der Zurechnung zum Mitgliedstaat erfüllt.38 a)

Befreiung großer Stromverbraucher von Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 StromNEV

Die Befreiung großer Stromverbraucher von Netzentgelten erfolgt nach § 19 Abs. 2 S. 3 Strom NEV individuell und konkret erst durch die Genehmigung der Regulierungsbehörde, der ein Antrag des Netzbetreibers oder des Letztverbrauchers (§ 19 Abs. 2 S. 4 StromNEV), also des zu befreienden Stromverbrauchers, zugrunde liegt und nachdem »der Netzbetreiber der Regulierungsbehörde unverzüglich alle zur Beurteilung der Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 erforderlichen Unterlagen« vorgelegt hat (§ 19 Abs. 2 S. 5 StromNEV): Im Gegensatz zum Fall PreussenElektra, in dem die Stromeinspeisung zu Förderpreisen alleine auf (abstrakt-genereller) gesetzlicher Grundlage ausschließlich in privatrechtlichen Rechtsverhältnissen umgesetzt wurde, ist der Befreiungsmechanismus nach § 19 Abs. 2 S. 2 bis 4 StromNEV nach Maßgabe der konkretindividuellen staatlichen Verfahrensherrschaft aufgrund des antragsgebundenen Genehmigungsvorbehaltes ähnlich wie ein klassisches Subventionsverfahren gestaltet.39 Zwar fließt die Umlagenvaluta nicht durch eine Sonderstaatskasse oder den allgemeinen Haushalt, sie wird aber aufgrund des Verwaltungsverfahrens nach § 19 Abs. 2 S. 2 bis 4 StromNEV von der BNetzA hoheitlich »verwaltet«, so dass diese über einen virtuellen staatlichen Umlagenhaushalt verfügt.40 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt die Kommission in ihrem Eröffnungsbeschluss: »Wie nachstehend im Einzelnen dargelegt wird, stellt die Kommission fest, dass der Staat ebenso wie in der Rechtssache Essent den Stromkunden eine Sonderabgabe/ Umlage auferlegt hat, mit der der Vorteil finanziert werden soll. Außerdem hat der Staat ebenso wie in der Rechtssache Essent ein Unternehmen mit der Verwaltung der Abgabe beauftragt. Ferner hat der Staat wie in der Rechtssache Essent Regeln zur Verwendung und Zweckbestimmung der Umlage aufgestellt. Insbesondere hat der Staat festgelegt, was mit Umlagemitteln geschehen soll, die über den zur Finanzierung des Vorteils erforderlichen Betrag hinaus eingenommen werden. Schließlich gibt es wie in der

38 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 52. 39 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 52. 40 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 52.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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Rechtssache Essent Kontrollmechanismen, die dem Staat die Überwachung der Finanzströme ermöglichen.«41

Insbesondere die staatliche Festlegung, wie die Höhe der Umlage nach einer bestimmten Methode berechnet werden muss, ersetzt einen direkten Durchlauf der Mittel durch den Staatshaushalt und reicht für eine Einstufung als staatliches Mittel: »Ferner stellt die Kommission fest, dass die vom Staat auferlegte Abgabe auch in der Rechtssache Essent nicht über den Staatshaushalt lief, ehe sie an SEP ausgezahlt wurde. Obwohl der betreffende Aufschlag Stromverbrauchern auferlegt wurde, betrachtete der Gerichtshof ihn nichtsdestoweniger als staatliche Mittel. […] Auch die Tatsache, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Höhe der Umlage berechnen, ändert nichts an der Schlussfolgerung, dass staatliche Mittel zum Einsatz kommen. Die Umlage wurde vom Staat auferlegt, und der Staat hat die Methode zur Festsetzung der Umlage festgelegt. Es steht den Übertragungsnetzbetreibern nicht frei, die Höhe der Umlage nach eigenem Ermessen festzusetzen. Sie können sie lediglich auf der Grundlage der von der BNetzA vorgegebenen Methode berechnen. Zudem hat die BNetzA den Startbetrag für die Berechnung der Umlage für das erste Durchführungsjahr selbst direkt auf 440 Mio. EUR für § 19 Absatz 2 Sätze 1 und 2 und auf 300 Mio. EUR für § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV festgesetzt (vgl. Erwägungsgrund (16) dieses Beschlusses).«42

Diese zurechenbare Staatlichkeit im Sinne des Beihilfentatbestandes nach Art. 107 I AEUV wird noch dadurch verstärkt, dass nach der Übergangsregelung aus Ziff. 10 des Tenors der »Festlegung der § 19 Strom NEV-Umlage« der BNetzA die entgangenen Netzerlöse aus der Befreiung von den Netzentgelten für das Jahr 2011 abweichend nicht vom Umlagenmechanismus erfasst werden, sondern entsprechend § 5 ARegV im Regulierungskonto berücksichtigt werden.43 Der durch die Befreiung bedingte Saldo auf dem Regulierungskonto wird dann gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 ARegV gleichmäßig verteilt über die nächste Regulierungsperiode ausgeglichen. Gerade in dem letztgenannten Gesichtspunkt des bei der BNetzA geführten Regulierungskonto manifestiert sich die zurechenbare Staatlichkeit der Befreiungsmittel.44 Auch diese Einschätzung teilt die Kommission: »Darüber hinaus hat die BNetzA einen Regulierungsmechanismus eingeführt, in dessen Rahmen Erlöse, die über den Betrag hinausgehen, der zum Ausgleich von Erlösausfällen aufgrund der Netzentgeltbefreiung und der Ausgleichsverpflichtung gegenüber den Verteilernetzbetreibern benötigt wird, zu einer Verringerung der Umlage im 41 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 49. 42 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 55 ff. 43 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 53. 44 Ernst/Koenig, EnWZ 2/2012, S. 53.

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Jahr x+2 führen (vgl. Erwägungsgrund (17) dieses Beschlusses). Die Übertragungsnetzbetreiber können damit weder über die Höhe noch über die Verwendung der § 19Umlage frei entscheiden.«45

Auch eine Vorfinanzierung der verlorenen Kosten durch die Übertragungsnetzbetreiber ändert nichts an der Einstufung der Umlage zur Finanzierung der Stromnetzentgeltbefreiungen als staatliches Mittel: »Nach Auffassung der Kommission ändert der Umstand, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Beihilfe möglicherweise in begrenztem Umfang vorfinanzieren, nichts an der Schlussfolgerung, dass sie die finanzielle Belastung letztlich nicht zu tragen haben. […] Als entscheidender Faktor gilt, dass der Staat eine Abgabe oder eine Umlage (bzw. einen Aufschlag) eingeführt hat, die dazu dient, dem privaten Betreiber einen Ausgleich für die finanzielle Belastung zu gewähren, die sich daraus ergibt, dass der Staat ihn verpflichtet hat, anderen Unternehmen einen Vorteil zu gewähren. Auch in der Rechtssache Essent hatte SEP (das gleichzeitig Verwalter, Empfänger und Begünstigter der Beihilfe war) in gewisser Weise die verlorenen Kosten vorfinanziert. Dies änderte nichts an dem Umstand, dass es sich bei der vom Staat auferlegten und von SEP erhobenen Abgabe zum Ausgleich der verlorenen Kosten um staatliche Mittel handelte.«46

Im Ergebnis sind die Übertragungsnetzbetreiber mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt worden, und der Staat hat die Verwendung der Umlage festgelegt. Die Übertragungsnetzbetreiber bilden die Zentralstelle für den gesamten Mechanismus zur Finanzierung der Befreiung. b)

Die EEG-Umlagemechanismen

In Bezug auf die verschiedenen EEG-Umlagemechanismen wählt die Kommission eine sehr ähnliche Argumentationslinie im Vergleich zu ihrem Eröffnungsbeschluss hinsichtlich der Netzentgeltbefreiung für stromintensive Unternehmen. Bezüglich der sogenannten EEG-Umlage gemäß § 37 EEG gelangt die Kommission zu dem Ergebnis: »Aus allen oben dargestellten Gründen zieht die Kommission den Schluss, dass aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen nicht davon auszugehen ist, dass die Förderung von EE-Strom aus privaten Mitteln finanziert wird und dass der Staat keine Kontrolle über die finanziellen Mittel ausübt, die dabei zum Einsatz kommen. Die Kommission stellt im Gegenteil fest, dass der Staat die Verwaltung der betreffenden Mittel kontrollieren, steuern und beeinflussen kann: Der Staat interveniert sowohl auf der Ebene des Vorteils (Einspeisevergütung) als auch auf der Ebene seiner Finanzie45 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 59. 46 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 06. 03. 2013, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN), C(2012) 8765 final, Rn. 61.

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rung (des gesamten Mechanismus der EEG-Umlage). Der Staat hat nicht nur definiert, wem der Vorteil gewährt werden soll, welche Förderkriterien gelten und wie hoch die Förderung ausfällt, sondern er hat auch die finanziellen Mittel zur Deckung der Kosten der Förderung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen und Grubengas bereitgestellt. Anders als es in der Rechtssache Doux Elevage der Fall war, stammt die EEGUmlage vom Staat und ist keine private Initiative der ÜNB. Der Staat hat Ziel und Zweck der Umlage definiert: Sie dient der Finanzierung einer vom Staat ausgearbeiteten Förderpolitik und nicht einer von den ÜNB beschlossenen Aktion. Den ÜNB steht es nicht frei, die Umlage nach ihrem Ermessen festzulegen, sie werden vielmehr streng dabei überwacht, wie sie die Umlage berechnen, erheben und verwalten. Auch die Vermarktung des EEG-Stroms ist Gegenstand der Überwachung durch den Staat. Die Bestimmungen über die Festsetzung der EEG-Umlage stellen sicher, dass die Umlage für genügend finanzielle Deckung sorgt, um die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien und Grubengas sowie die Kosten für die Verwaltung des Systems bezahlen zu können. Mehr ist nicht möglich. Die ÜNB können die EEG-Umlage nicht zur Finanzierung anderweitiger Tätigkeiten nutzen; die Finanzflüsse sind über separate Bankkonten abzuwickeln.«47

Auch die (Teil-)Befreiungen energieintensiver Unternehmer (§§ 41 ff. EEG) und das Grünstromprivileg (§ 39 EEG) und die gleichzeitig erforderliche Erhöhung der EEG-Umlage, um die aus diesen Ausnahmetatbeständen resultierenden Umlageausfälle auszugleichen, erfüllen das Kriterium der Staatlichkeit der Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle entscheidet nämlich über die eingehenden Anträge stromintensiver Nutzer gemäß § 41 EEG, sodass eine staatliche Kontrolle in Form der Entscheidung über die (teilweise) Befreiung von der EEG-Umlage vorliegt. Die nur begrenzt gezahlte EEG-Umlage privilegierter Nutzer stellt für das Elektrizitätsversorgungsunternehmen keinen entgangenen Erlös dar, da der Anspruch der Übertragungsnetzbetreiber auf die Umlage gegenüber Energieversorgungsunternehmen, die an Letztverbraucher liefern, ebenfalls wie bei der Netzentgeltbefreiung gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV begrenzt wird und dann gemäß § 43 III untereinander ausgeglichen wird. Um alle den TSO entstehenden Kosten durch die Zahlung von festgesetzten Einspeisevergütungen und Marktprämien zu decken, berechnen sie vorab eine Umlagehöhe, die die Ausfälle durch die Umlagenbegrenzung für privilegierte Nutzer einkalkuliert. Somit werden die entgangenen EEG-Einnahmen durch eine Begrenzung des Anspruchs gegenüber privilegierten Nutzern auf vorgelagerte Marktstufen (zunächst auf das Elektrizitätsversorgungsunternehmen, dann auf die TSO) »umgewälzt« und entsprechend von den Übertragungsnetzbetreibern »eingesammelt« und untereinander ausgeglichen. Die Umwälzung auf nachgelagerte 47 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 137.

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Marktebenen erfolgt mittelbar dadurch, dass die EEG-Umlage für alle Letztverbraucher so kalkuliert wird, dass der Betrag höher ist, als er wäre, wenn alle Letztverbraucher den gleichen Betrag pro verbrauchter Stromeinheit bezahlen würden. Somit verwalten die Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag durch gesetzliche – und damit staatliche – Normierung einen Umwälzungsmechanismus als zuständige Stelle für die Zahlungsabwicklung, womit das Kriterium der staatlichen Mittelzurechnung erfüllt wäre. Die gleiche Rolle kommt den TSO bei der Berechnung der Ausfälle durch das Grünstromprivileg (§39 EEG) zu, die wiederum über eine »Umlage der nicht gezahlten Umlage« die EEG-Umlage für alle erhöhen: »In diesem Zusammenhang stellt die Kommission fest, dass der deutsche Staat den vorliegenden Informationen zufolge auf der Ebene der Begrenzung nach wie vor Beteiligter bleibt. Denn die BNetzA muss konkret sicherstellen, dass nur Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die sämtliche Voraussetzungen des § 39 EEG erfüllen, von der Verringerung der EEG-Umlage um 2 Cent/kWh profitieren. In Bezug auf die Übertragung von Mitteln dürfte die dem EIU gewährte Verringerung der EEG-Umlage um 2 Cent/kWh dazu führen, dass die ÜNB im Rahmen der EEG-Umlage einen dementsprechend verminderten Betrag erheben. Die Verringerung bedeutet daher einen Verzicht auf staatliche Mittel. In einem zweiten Schritt wird die Verringerung der EEG-Umlage und die dementsprechende Verringerung an EEG-Mitteln für die ÜNB zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen eines Mechanismus verrechnet, der die im Voraus angenommenen Einnahmen durch die Erhöhung der Beträge ausgleicht, die im Rahmen der EEG-Umlage für den übrigen (nicht begrenzten) Verbrauch erhoben werden. Der Mechanismus des § 39 EEG führt dazu, dass die Höhe der Umlage für die übrigen Stromabnehmer steigt. Der durch die Verringerung hervorgerufene Einnahmeverlust wird letztendlich aus der EEG-Umlage finanziert, die – wie oben festgestellt – zum jetzigen Stand der Dinge als staatliches Mittel anzusehen ist.«48

4.

Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt

Eine Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 AEUV ist für die EEG-Umlage (§ 37 Abs. 2 EEG) unter den Umweltschutzleitlinien49 grundsätzlich möglich, allerdings bleibt die staatliche Beihilfe weiterhin genehmigungspflichtig: »Da die Einspeisevergütung eine Betriebsbeihilfe für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen darstellt, finden bezogen auf die Differenz zwischen den Kosten für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren und aus konventionellen 48 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 145. 49 Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Umweltschutzbeihilfen (ABl. C 82 vom 1. 4. 2008, S. 1).

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Energiequellen die in Randnummer 109 (Option 1 für Betriebsbeihilfen für Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern) der Umweltschutzleitlinien festgelegten Vereinbarkeitsvoraussetzungen Anwendung. Zunächst stellt die Kommission fest, dass die geförderten Energiequellen mit Ausnahme von Grubengas mit der Definition der erneuerbaren Energiequellen und der Biomasse gemäß Randnummer 70 Nummer 5 und Randnummer 70 Nummer 6 der Umweltschutzleitlinien in Einklang stehen. Nach Randnummer 109 Buchstabe a der Umweltschutzleitlinien wird die Betriebsbeihilfe als Ausgleich für die Differenz zwischen den Kosten für die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern und dem Marktpreis des betreffenden Energieerzeugnisses gewährt.«50

Anders verhält es sich jedoch mit den Befreiungen für energieintensive Unternehmen (§ 41 EEG): »Die Kommission bezweifelt allerdings, – und diese Ansicht wird von der ständigen Rechtsprechung und Entscheidungspraxis51 unterstützt – dass Beihilfen, die auf die Reduzierung der Kostendifferenzen zwischen Mitgliedstaaten und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Bezug auf Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten oder auf die Verhinderung eines Abzugs von Unternehmen in andere Mitgliedstaaten gerichtet sind, als Beihilfen angesehen werden können, mit denen Ziele von gemeinsamem Interesse verfolgt werden. Eine Beihilfe, die auf die Reduzierung der Kostenunterschiede zu anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist, verzerrt den Wettbewerb, weil die Beihilfemaßnahme die deutsche Industrie vor anderen EU-/EWR-Wettbewerbern schützen würde, wodurch es möglicherweise zu einem Wettlauf um Beihilfen kommen könnte.«52

Das Grünstromprivileg gemäß § 39 EEG ist aufgrund seiner diskriminierenden Wirkung gegenüber im Ausland erzeugtem Strom aus erneuerbaren Quellen nicht mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar : »Die Kommission stellt fest, dass das EEG 2012 dem ersten Anschein nach insofern eine diskriminierende Wirkung haben dürfte, als insbesondere § 39 EEG 2012 im Fall der 50 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 153. 51 Entscheidung der Kommission vom 20. 11. 2007 über die staatliche Beihilfe C 36/A/2006 (ex NN 38/06), die Italien ThyssenKrupp, Cementir und Nuova Terni Industrie Chimiche gewährt hat, Rn. 147: » (…) ist auch das von Italien vorgebrachte Argument, wonach derartige staatliche Beihilfen gerechtfertigt seien, weil es auch in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft derartige (ebenso wettbewerbsverfälschende) Beihilfen gibt, grundsätzlich zurückzuweisen. Eine derartige Sichtweise würde zu einem Wettlauf um Beihilfen führen und widerspräche voll und ganz dem Ziel der Kontrolle der staatlichen Beihilfen«; Beschluss der Kommission vom 8. 3. 2011 über die Staatliche Beihilfe in der Sache C 24/2009 (ex N 446/ 2008) Staatliche Beihilfe für energieintensive Unternehmen, Ökostromgesetz, Österreich, Rn. 154; Rs. C-86/89 Italien / Kommission, Slg. [1990], I-3905, Randnr. 18 – 19; Rs. 173/73 Italien / Kommission, Slg. [1974], I-710, Rn. 36 ff.; siehe auch Urt. d. EuGH in der Rechtssache Italienische Republik / Kommission, Rs. C-372/97 Slg. [2004) I-03679, Rn. 67. 52 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 231.

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sogenannten Direktvermarktung einen verringerten Satz der EEG-Umlage vorsieht, der nur dann zum Tragen kommt, wenn das Elektrizitätsversorgungsunternehmen 50 % seines Stromportfolios von inländischen Erzeugern von EE-Strom bezogen hat53 […] Angesichts vorstehender Erwägungen hat die Kommission zum derzeitigen Stand des Verfahrens Zweifel, dass das EEG 2012 mit den Artikeln 30 und 110 AEUV vereinbar ist, sofern es Einfuhren betrifft, die im Rahmen des EEG förderfähig gewesen wären, wenn sie in Deutschland erzeugt worden wären. In ihrem endgültigen Beschluss wird die Kommission auch die besondere Situation der Einfuhren bewerten, die Förderung in ihrem Herkunftsland erhalten haben.«54

Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache ælands Vindkraft AB gegen Energimyndigheten vom 28. 01. 2014: Darin schlägt er dem Gerichtshof vor, Art. 3 Abs. 3 der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (EE-RL 2009/28/EG) für ungültig zu erklären. Wird den Mitgliedstaaten nämlich prinzipiell ermöglicht, die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Quellen anderer Mitgliedstaaten aus ihren jeweiligen nationalen Fördersystemen auszuschließen, so sei dies mit der Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbar und auch nicht durch Umweltschutzbelange zu rechtfertigen.55

V.

Rechtsfolgen

An das Ergebnis der Einstufung als staatliche Beihilfen gemäß Art. 107 AEUV sind – mangels einer Genehmigung durch die Europäische Kommission – aufgrund des verletzten Durchführungsverbotes nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV die schmerzhaften Sanktionsfolgen der Unanwendbarkeit von § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV und den beschriebenen Regelungen des EEG, der staatlichen Vorteilsrückforderung sowie des »Private Enforcement« geknüpft.56 Mit den Urteilen vom 10. 02. 2011 in den Fällen Flughafen Lübeck57 und Flughafen Frankfurt-Hahn58 hat der BGH anerkannt, dass das unionsrechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht nur ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134

53 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 247. 54 Europäische Kommission, Eröffnungsbeschluss vom 18. 12. 2013, Staatliche Beihilfe SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN), C(2013) 4424 final, Rn. 257. 55 Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot, 28. Januar 2014(1), Rechtssache C–573/12 – ælands Vindkraft AB/Energimyndigheten. 56 Bloch, RdE 2012, S. 241 (248). 57 BGH, Urt. v. 10. 2. 2011 – I ZR 213/08 – Flughafen Lübeck. 58 BGH, Urt. v. 10. 2. 2011 – I ZR 136/09 – Flughafen Frankfurt-Hahn.

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BGB ist, sondern auch ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB sowie eine Marktverhaltensregelung i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG darstellt.59 Insbesondere für das EEG stellt sich die dramatische Frage seiner einstweiligen Unanwendbarkeit: Gebietet das Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 AEUV), dass das noch geltende EEG-Umlagen- und Befreiungssystem solange auszusetzen ist, bis es die Kommission nach dessen beihilferechtskonformer Umgestaltung genehmigt hat? Die Frage muss rein rechtlich trotz ihrer Dramatik für den deutschen EEG-Reformgesetzgeber bejaht werden.60 Die ständige Rechtsprechung des EuGH zu parafiskalischen Abgaben- und Umlagenfinanzierungen61 von Beihilferegelungen bezieht nämlich die Finanzierungsquelle (hier : die EEG-Umlage) in das Verfahren der Beihilfenkontrolle und damit in das Durchführungsverbot für so refinanzierte Begünstigungen ein (hier : EEGUmlagebefreiungen energieintensiver Industrieunternehmen). Darüber hinaus stellt sich den bereits umlagebefreiten Unternehmen die schmerzhafte Frage nach bilanzwirksamen Rückstellungen für mögliche beihilferechtliche Verbindlichkeiten einer Umlagennachzahlung, zumindest aber für die sogenannten Rechtswidrigkeitszinsen für den Begünstigungszeitraum bis zu einer Genehmigung durch die Kommission.62 Gerade ihr juristischer Dienst in Brüssel wacht streng über die Einhaltung des beihilferechtlichen Durchführungsverbotes und seit dem Grundsatzurteil des EuGH zur Bindungswirkung von Eröffnungsbeschlüssen auch über die schon bei »einem eventuellen Verstoß« eingreifende Aussetzungspflicht.63 Der EEG-Eröffnungsbeschluss der Kommission vom 18. 12. 2013 birgt nämlich durch das Grundsatzurteil des EuGH vom 21. 11. 2013 (Rechtssache C-284/12) zur Bindungswirkung von Kommissionsbewertungen in Eröffnungsbeschlüssen eine kaum zu unterschätzende Dramatik in sich. Nach der Ziffer 42 der Luxemburger Urteilsgründe sind »die nationalen Gerichte, wenn die Kommission das förmliche Prüfverfahren hinsichtlich einer in der Durchführung begriffenen Maßnahme eröffnet hat, verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem eventuellen Verstoß gegen die Pflicht zur Aussetzung 59 BGH, Urt. v. 10. 2. 2011 – I ZR 136/09 – Flughafen Frankfurt-Hahn, Rn. 18 f.; BGH, Urt. v. 10. 2. 2011 – I ZR 213/08 – Flughafen Lübeck, Rn. 24 f.; Karpenstein/Klein, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), VerfVO, Anh. zu Art. 14, Rn. 110. 60 Koenig, Gefährliche Konfrontation – Im Streit um den Ökostrom steigt der Einigungsdruck, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 02. 2014, S. 19. 61 EuGH, Urt. v. 21. 10. 2003, C-261/01 – van Calster und Cleeren; EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013, Rs. C-262/12 – Vent de ColÀre. 62 Koenig, Gefährliche Konfrontation – Im Streit um den Ökostrom steigt der Einigungsdruck, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 02. 2014, S. 19. 63 Koenig, Gefährliche Konfrontation – Im Streit um den Ökostrom steigt der Einigungsdruck, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 02. 2014, S. 19.

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der Durchführung dieser Maßnahme zu ziehen.«64 Mit diesem in der juristischen Literatur durchaus umstrittenen Urteil sanktioniert der EuGH den Verstoß gegen das Durchführungsverbot für nicht von der Kommission genehmigte Beihilfen (Art. 108 Abs. 3 AEUV). Nach Eröffnungsbeschlüssen der Kommission, wie dem zum EEG vom 18. 12. 2013, dürfen »eventuelle« Beihilfemaßnahmen solange nicht durchgeführt werden, bis das Verfahren der Kommission abgeschlossen ist. Wie dramatisch ein Luxemburger Urteilsverständnis im Sinne einer strikten tatbestandlichen Bindungswirkung von Kommissionsbewertungen hinsichtlich des Beihilfecharakters in Eröffnungsbeschlüssen wäre, wird deutlich, wenn man die Brille der betroffenen Unternehmensleitung aufsetzt und den Blick auf die Frage nach bilanzwirksamen Rückstellungen richtet.65 Könnte sich der (regelmäßig als Streithelfer auftretende) vermeintliche Beihilfeempfänger nämlich nach einem »deutlich« formulierten Eröffnungsbeschluss nicht mehr wirksam vor dem nationalen Tatsachengericht gegen die – »vorläufige« gleich praktisch überwiegende Wahrscheinlichkeit (!) der – Bejahung des Beihilfetatbestandes und damit gegen einstweilige Rückforderungsmaßnahmen verteidigen, so wäre er gehalten, Rückstellungen »für ungewisse Verbindlichkeiten« (§ 249 Abs. 1 HGB) zu bilden, die im schlimmsten Fall eine vorzeitige Insolvenz verursachen könnten.66

VI.

Politische Konsequenzen67

Bundesminister Sigmar Gabriel hat beeindruckend schnell mit seinen am 22. 1. 2014 vom Bundeskabinett abgesegneten Eckpunkten68 für eine EEG-Reform auf den Eröffnungsbeschluss reagiert. Diese Eckpunkte sehen sowohl signifikante Abstriche bei der Förderung von Ökostrom als auch Einschränkungen der EEGUmlagebefreiungen energieintensiver Unternehmen (EIU) vor. Die Kommission spricht im Eröffnungsbeschluss unmissverständlich aus, dass durch die noch geltenden massiven Umlagebefreiungen den begünstigten EIU ein selektiver Vorteil »aus staatlichen Mitteln« im Sinne des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt werde, der den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt »wahrscheinlich« verfälsche, und der von den derzeit geltenden EU-Umweltbeihilfe64 EuGH, Urt. v. 21. 11. 2013, Rs. C-284/12 – Deutsche Lufthansa/Ryanair, Rn. 42. 65 Koenig, Christian: »Bindung nationaler Gerichte an Kommissionsbeschlüsse zur Eröffnung des förmlichen Beihilfeprüfverfahrens«, EWS 1/2014, erste Seite. 66 Koenig, Christian, Bindung nationaler Gerichte an Kommissionsbeschlüsse zur Eröffnung des förmlichen Beihilfeprüfverfahrens, EWS 1/2014, erste Seite. 67 Koenig, Zu guter Letzt … reguliert die Europäische Kommission durch ihre Beihilfekontrolle den EEG- Umlagen- und Befreiungsirrsinn!, EWS, 2/2014, S. 127. 68 Bundeswirtschaftsministerium, Eckpunkte für die Reform des EEG, Berlin, 17. Januar 2014.

Beihilfenrechtliche Bewertung der Stromnetzentgeltbefreiungen

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leitlinien im Umfang der massiven Umlagebefreiungen nicht vorgesehen ist. Daher wird man von den nach § 41 Abs. 3 EEG gestaffelten Befreiungssätzen – für die EIU sehr schmerzhafte – Abstriche machen müssen. Die Eckpunkte für die EEG-Reform kommen bereits an vielen beihilferechtlichen Sollbruchstellen den Angriffspunkten der Kommission entgegen. So sollen ab 2017 die Förderhöhen über Ausschreibungen ermittelt, eine verpflichtende Direktvermarktung zur besseren Marktintegration der erneuerbaren Energien eingeführt und alle Stromverbraucher, auch die EIU, »angemessen« an den Kosten beteiligt werden.69 Ein wichtiger, dem Binnenmarktprinzip geschuldeter Reformansatz der Eckpunkte zeichnet sich im Rahmen der Einführung einer verpflichtenden Direktvermarktung ab. Danach sollen große EE-Anlagenbetreiber ihren Strom direkt vermarkten (ab 2015: für alle Neuanlagen mit einer Mindestleistung von 500 kW, ab 2016: 250 kW und ab 2017: 100 kW).70 Beihilferechtlich einsichtig zeigen sich die Verfasser der Eckpunkte für die EEG-Reform zudem in dem Punkt, dass das Grünstromprivileg »in allen bisherigen Varianten gestrichen« werden soll, das bisher einen stark verringerten EEG-Umlagesatz vorsieht, wenn das EVU 50 % seines Stromportfolios von inländischen Erzeugern von grünem Strom bezogen hat.71 Gegen das Grünstromprivileg hat die EU-Kommission erhebliche Bedenken im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung »vereinbarer Beihilfen« nach Art. 107 Abs. 3 lit. b und c AEUV, weil es auf eine diskriminierende Förderung des deutschen Grünstroms ausgerichtet sei. Eine Schlüsselfunktion für eine Lösung im EEG-Streit nach dem Beschluss der Kommission vom 18. 12. 2013 zur förmlichen Eröffnung des EU-Beihilfeverfahrens haben die neuen Leitlinien für Umweltschutz- und Energiebeihilfen72. Es geht um eine Rechtfertigung der beihilfeinfizierten Umlagen- und Befreiungsregeln, insbesondere im Hinblick auf die durch den Umlagemechanismus (§ 37 EEG) refinanzierten Einspeisetarife und Marktprämien zugunsten der Grünstromerzeuger und die Umlagebefreiungen energieintensiver Unternehmen (§ 40 f. EEG).

69 Bundeswirtschaftsministerium, Eckpunkte für die Reform des EEG, Berlin, 17. Januar 2014, S. 2. 70 Bundeswirtschaftsministerium, Eckpunkte für die Reform des EEG, Berlin, 17. Januar 2014, S. 7. 71 Bundeswirtschaftsministerium, Eckpunkte für die Reform des EEG, Berlin, 17. Januar 2014, S. 8. 72 Europäische Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, Paper of the Services of DG Competition containing draft Guidelines on environmental and energy aid for 2014 – 2020, Brüssel, 2013.

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VII.

Christian Koenig und Franziska Schramm

Fazit

Die beihilferechtlichen Eröffnungsbeschlüsse der Europäischen Kommission zu den Stromnetzentgeltbefreiungen und zu den verschiedenen Umlagemechanismen im EEG zwingen die Bundesregierung, einen beihilferechtskonformen Weg für energierechtliche Umlagesysteme in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission einzuschlagen, insbesondere angesichts der dramatischen Konsequenzen durch die Bindungswirkung von Kommissionsbewertungen in Eröffnungsbeschlüssen für nationale Gerichte durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH.

Angelika Nußberger

Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa1

1)

Die Bedeutung des Eigentumsschutzes im System des internationalen Menschenrechtsschutzes

Nimmt man eine Akte zur Hand, die einen eigentumsrechtlichen Fall betrifft, so unterscheidet sie sich von anderen Akten in der Regel auf den ersten Blick. Während die Beschwerdeführer in Fällen zum Recht auf Schutz der Meinungsfreiheit, zum Schutz gegen ungerechtfertigten Freiheitsentzug und zum Schutz vor Diskriminierungen »Heinisch«2, »Ossendorf«3 oder »Karl-Heinz Schmidt«4 heißen, figurieren eigentumsrechtliche Fälle unter Namen wie »Gasus-Dosier Fördertechnik GmbH«,5 »Bosphorus Hava Yollari Turizm«6 oder auch »(ehemaliger) König von Griechenland«7 oder »Fürst von Thurn und Taxis«8. In der Regel sind es nicht die Rechte der »Erniedrigten und Beleidigten« im Sinne Dostojewskis, die im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Rechte von

1 Der vorliegende Beitrag gibt ausschließlich die Meinung der Verfasserin wieder. 2 EGMR Urt. vom 21. 07. 2011, Heinisch v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 28274/08, RJD 2011: Fall zum »whistleblowing«. 3 EGMR Urt. vom 07. 03. 2013, Ossendorf v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 15598/08: Fall zur Ingewahrsamnahme eines potentiellen Störers bei einem Fußballspiel. 4 EGMR (GK) Urt. vom 18. 07. 1994, Karlheinz Schmidt v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 13580/ 88, A291-B: Fall zum Diskriminierungsverbot mit Blick auf die nur Männern auferlegte Feuerwehrabgabe. 5 EGMR (GK) Urt. vom 23. 02. 1995, Gasus-Dosier Fördertechnik GmbH v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 15375/89, A306-B: Fall zur Konfiszierung eines unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Geräts. 6 EGMR (GK) Urt. vom 30. 06. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm v. Irland, BeschwerdeNr. 45036/98, RJD 2005-VI: Fall zur Nutzung eines aufgrund von UN-Sanktionen vorübergehend konfiszierten Flugzeugs. 7 EGMR (GK) Urt. vom 23. 11. 2000, Former King of Greece v. Griechenland, BeschwerdeNr. 25701/94, RJD 2000-XII: Fall zur Enteignung des ehemaligen Königs von Griechenland in der Folge der Abschaffung der Monarchie. 8 EGMR Entsch. vom 14. 05. 2013, Thurn und Taxis v. Deutschland, Beschwerde Nr. 26367/10: Fall zur Pflicht, ererbte Bibliotheksbestände für die Allgemeinheit zu erhalten.

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Unternehmen oder aber von wohlhabenden, gesellschaftlich gut situierten Personen, um die gestritten wird. Dennoch gibt es neben dem »typischen« eigentumsrechtlichen Fall auch den »untypischen« Fall, etwa wenn sich die Bezieher von Sozialleistungen gegen Kürzungen wenden und auf das Eigentumsrecht berufen.9 Der Kreis der Beschwerdeführer verweist so bereits auf die Sonderstellung des Eigentumsrechts in der Konvention: Es ist kein Recht wie all die anderen Rechte, sondern gewissermaßen — part. So ist auch die historische Entwicklung nicht einlinig verlaufen. Einerseits ist das Recht auf Eigentum traditionell Bestandteil der Kodifikationen zum Menschenrechtsschutz und findet sich schon in den ältesten Texten wie etwa in der Magna Carta Libertatum aus dem Jahr 1215.10 In der französischen Menschenrechtserklärung wird es emphatisch als »droit inviolable et sacr¦« (unverletzliches und heiliges Recht) bezeichnet.11 Zugleich wird es in Art. 2 zusammen mit der Freiheit, der Sicherheit und dem Widerstand gegen Unterdrückung zu einem der »Ziele jeder politischen Vereinigung« gezählt. Auch in der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts spielt es eine wichtige Rolle.12 Andererseits ist der Schutz des Rechts auf Eigentum in internationalen Menschenrechtsverträgen nachrangig im Vergleich zu anderen Menschenrechten. So wird es zwar in der unverbindlichen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 genannt,13 nicht aber in den darauf aufbauenden Verträgen, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; es wird weder als soziales oder wirtschaftliches Recht noch als Freiheitsrecht verstanden. Zugleich aber wird Eigentum, soweit es sich um Investitionen in ausländischen Staaten handelt, völkergewohnheitsrechtlich über die so genannte HullFormel geschützt. Danach ist bei Enteignungen an den ausländischen Investor

9 Vgl. z. B. EGMR, Entsch. v. 8. 10. 2013, Antûnio Augusto da Conceiżo u. Lino Jesus Santos Janu‚rio v. Portugal, Beschwerde Nr. 62235/12 und Nr. 57725/12 ; EGMR, Entsch. v. 07. 05. 2013, Koufakiet Adedy v. Griechenland, Beschwerden Nr. 57665/12 und Nr. 57657/12: Fälle zu Sparmaßnahmen in Portugal und Griechenland. 10 Vgl. die dort festgeschriebene Garantie: »If anyone has been dispossessed or removed by us, without the legal judgment of his peers, from his lands, castles, franchises, or from his right, we will immediately restore them to him«; zusätzlich wird Schutz für bestimmte Güter wie etwa Pferde und Wagen gewährt. 11 Art. 17 der französischen Menschenrechtserklärung. 12 Vgl. § 164 Reichsverfassung von 1849; Art. 153 Weimarer Reichsverfassung sowie die Regelungen in den Landesverfassungen. 13 Art. 17: »Jeder hat das Recht sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.«

Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa

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eine Entschädigung zu leisten, die den drei Kriterien »prompt, adequate and effective« entspricht.14 Auf der regionalen Ebene findet sich das Recht auf Eigentum in der amerikanischen Menschenrechtskonvention (Art. 21) ebenso wie in der Afrikanischen Menschenrechtskonvention (Art. 14), erstaunlicherweise dagegen nicht im Text der aus dem Jahr 1950 stammenden Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Vielmehr wurde es erst in das Erste Zusatzprotokoll vom 20. 3. 1952 (im Folgenden: P 1) aufgenommen, das ein knappes Jahr später als die Konvention, am 18. 5. 1954 in Kraft trat. Grund für die »Auslagerung« waren einerseits der Streit um die mögliche Klassifizierung des Eigentumsschutzes als soziales oder wirtschaftliches Recht, und andererseits die Frage, inwieweit ein effektiver Schutz auf internationaler Ebene möglich wäre.15 Die Tatsache, dass eigentumsrechtlicher Schutz nur auf der Grundlage des Ersten Zusatzprotokolls, nicht aber der Konvention selbst gewährt wird, führt nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Garantien; in jedem Fall ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für die Auslegung und Prüfung von Einzelbeschwerden zuständig. Allerdings ist für eine völkervertragliche Bindung eine gesonderte Ratifizierung notwendig. Von den 47 Mitgliedsstaaten des Europarats haben zwei Staaten, Monaco und die Schweiz, das Erste Zusatzprotokoll nicht ratifiziert und die entsprechenden Gewährleistungen nicht übernommen. Die Charta der Grundrechte der EU (im Folgenden EUGrCharta) dagegen gewährleistet das Eigentumsrecht ohne Unterschied und in vollem Umfang (Art. 17); es wurde in den Abschnitt »Freiheiten« neben Rechten wie Berufsfreiheit (Art. 15) und Unternehmerische Freiheit (Art. 16) aufgenommen. Im Folgenden soll einleitend das Grundverständnis des eigentumsrechtlichen Schutzes der EMRK im Vergleich zu den Gewährleistungen in Grundgesetz und in der EUGrCharta erläutert werden. Zudem gilt es die Besonderheiten der Rechtsprechung zu Art. 1 Erstes Zusatzprotokoll, die diese Garantie von den anderen in der Konvention enthaltenen Rechten abhebt, zu diskutieren. Einzelheiten der Auslegung sind insbesondere relevant, soweit sie das Verständnis dessen, was als »Eigentum« geschützt wird, sowie die Rechtfertigung von Ein14 Zur Hull-Formel vgl. Matthias Herdegen, Völkerrecht, 13. Auflage München 2014, § 54 Rd. 2 ff. 15 Bei den einzelnen Arbeitsschritten bei der Ausarbeitung der Konvention wurden immer wieder unterschiedliche Vorschläge zu Einschluss und Ausschluss gemacht. Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag votierte das Consultative Assembly für eine Einfügung des Eigentumrechts ohne dass dies aber dann noch aufgegriffen wurde; vgl. Y. Haeck, The genesis of the property clause under Article 1 of the First Protocol to the European Convention on Human Rights«, in: H. Vandenberghe (Hg.), Propri¦t¦ et droits de l’homme, Brüssel 2006, S. 163 – 194; Ed Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights. From its Inception to the Creation of a Permanent Court of Human Rights, Oxford 2010, S. 97, 100.

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Angelika Nußberger

griffsmaßnahmen, insbesondere den Entzug von Lizenzen, betreffen. Ein letzter wichtiger Punkt ist schließlich noch die Bemessung von Kompensationen.

2)

Grundverständnis des Eigentumsschutzes nach der Konvention

a)

Textuelle Grundlage des konventionsrechtlichen Eigentumsschutzes

Der Wortlaut von Art 1 P1 ist mit Blick auf die im deutschen Recht bekannten dogmatischen Grundunterscheidungen zwischen Eigentum und Besitz eher verwirrend als klärend, wird doch in den authentischen englischen und französischen Sprachfassungen »the peaceful enjoyment of [his] possessions« bzw. »le droit au respect de [ses] biens« geschützt ohne dass das Wort »Eigentum« (property ; propri¦t¦) Erwähnung finden würde. Die deutsche Übersetzung weicht gerade in diesem Punkt in relevanter Weise ab, indem sie das »Recht auf Achtung des Eigentums« gewährleistet. Allerdings hat der Gerichtshof diese feinen Differenzen im Wortlaut nicht zum Ausgangspunkt der Interpretation gemacht, sondern vielmehr »possessions« mit »property« gleichgesetzt und in einer formelhaft wiederholten Wendung den Inhalt der drei in Art. 1 P 1 enthaltenen Garantien folgendermaßen umschrieben: »…Article 1 of Protocol No. 1 comprises three distinct rules: »the first rule, set out in the first sentence of the first paragraph, is of a general nature and enunciates the principle of the peaceful enjoyment of property ; the second rule, contained in the second sentence of the first paragraph, covers deprivation of possessions and subjects it to certain conditions; the third rule, stated in the second paragraph, recognises that the Contracting States are entitled, among other things, to control the use of property in accordance with the general interest … The three rules are not, however, ’distinct’ in the sense of being unconnected. The second and third rules are concerned with particular instances of interference with the right to peaceful enjoyment of property and should therefore be construed in the light of the general principle enunciated in the first rule.«16

Parallel zur Dogmatik des Grundgesetzes könnte man daher argumentieren, der erste Satz des ersten Absatzes enthalte die Grundregel des allgemeinen Eigentumsschutzes und der zweite Satz die allgemeinen Regelungen zur Enteignung, während der zweite Absatz auf die allgemeinen Nutzungsregeln sowie eine Sonderregelung zum Steuer- und Abgabenrecht eingehe. Indem der Gerichtshof in allgemein gehaltener Form auf die innere Verbindung zwischen den drei 16 EGMR Sporrong und Lönnroth v. Schweden, Urteil vom 23. 9. 1982, Beschwerde-Nr. 7151/75, 7152/75, Series A Nr. 52, S. 24, para. 61.

Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa

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Gewährleistungen abstellt, lässt er erkennen, dass es ihm weniger darum geht, eine auf der entsprechenden Begrifflichkeit aufbauende eigentumsrechtliche Dogmatik zu entwickeln als vielmehr auf der Grundlage von case-law die konventionsrechtlichen Vorgaben auf Einzelfälle bezogen zu konkretisieren.17 Die Einordnung in die drei Fallgruppen ist dennoch für die Rechtsprechung von Bedeutung.18

b)

Negative Unterlassens- und positive Handlungspflichten

Wichtig für die Auslegung von Art. 1 P 1 ist die Unterscheidung zwischen »Eingriff« und »positiver Verpflichtung«, die der EGMR für alle konventionsrechtlichen Gewährleistungen konsequent herausgearbeitet hat.19 So steht der als »negativ« zu charakterisierenden Pflicht des Staates, Eingriffe in das Privateigentum derjenigen, die sich unter seiner Jurisdiktion (Art. 1 EMRK) befinden, zu unterlassen, die »positive Pflicht« gegenüber, Eigentum zu schützen, wenn dieser Schutz berechtigterweise erwartet werden kann.20 Dies ist insbesondere für den Umweltschutz relevant, etwa beim Schutz des Eigentums vor den Wirkungen gefährlicher Anlagen. Gut illustrieren lässt sich dies am Fall Budayeva v. Russland,21 bei dem die Behörden keine Maßnahmen zur präventiven Gefahrabwehr ergriffen hatten, obwohl die Gefahr von Erdrutschen in der Gegend der Häuser der Beschwerdeführer seit vielen Jahrzehnten bekannt war. Die tatsächlich einsetzenden Schlammlawinen hatten katastrophale Auswirkungen mit acht Toten und der Zerstörung einer Vielzahl von Häusern. Der Gerichthof stützt sich auf Art. 1 Abs. 1 S. 1 P 1, die Garantie des allgemeinen Eigentumsschutzes und führt dann aus: 17 Vgl. dazu Angelika Nußberger, Zivilrechtliche Dogmatik und Europäische Menschenrechtskonvention, in: Thomas Lobinger, Andreas Piekenbrock und Markus Stoffels (Hg.), Zur Integrationskraft zivilrechtlicher Dogmatik, Tübingen 2014, S. 99 – 119. 18 Vgl. z. B. die Qualifizierung der Konfiszierung von geschmuggelter Ware nicht als Enteignung, sondern als Regelung der Benutzung des Eigentums (EGMR Agosi v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 24. 10. 1986, Beschwerde-Nr. 9118/80, para. 51); de-facto Enteignungen werden unter Art. 1 Abs. 1 S. 2 P 1 subsumiert (vgl. Kaiser, in: Karpenstein/Mayer, EMRK. Kommentar, München 2012. Art. 1 ZP 1, para. 30). 19 David Harris, Michael O’Boyle, Collin Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights, 2. Auflage, Oxford 2009, S. 18 ff. 20 Positive Verpflichtungen werden nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter die Regel des allgemeinen Eigentumsschutzes in Art. 1 Abs. 1 S. 1 P 1 subsumiert, vgl. EGMR Urt. vom 5. 1. 2000 (GK) Beyeler v. Italien, Beschwerde-Nr. 33202/96. 21 EGMR Urt. vom 20. 03. 2008, Budayeva u. a. v. Russland, Beschwerde-Nr.: 15339/02, 11673/02, 15343/02, 20058/02, 21166/02, RJD 2008.

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»It also reiterates that genuine, effective exercise of the right protected by Article 1 of Protocol No. 1 to the Convention does not depend merely on the State’s duty not to interfere, but may require positive measures of protection, particularly where there is a direct link between the measures an applicant may legitimately expect from the authorities and his effective enjoyment of his possessions.«22

Im konkreten Fall findet der Gerichthof allerdings keine Verletzung, da die Beschwerdeführer nicht hatten nachweisen können, dass die Unterlassung von Präventivmaßnahmen kausal für die konkreten Schäden war, insbesondere mit Blick darauf, dass die Katastrophe aufgrund der Stärke der Schlammabgänge in keinem Fall zu verhindern gewesen wäre. Auch ein Warnsystem hätte keinen effektiven Schutz gewähren können. In die Abwägung stellte der Gerichtshof auch ein, dass die Zurverfügungstellung von Ersatzwohnraum und die Gewährung eines Schadensersatzes von 530 Euro pro Haushalt in einem vernünftigen Verhältnis zu den Verlusten standen. Dagegen erkannte der Gerichtshof eine Verletzung der auf Art. 1 P 1 beruhenden positiven Pflicht, Eigentum zu schützen, im Fall Öneryildiz v. Türkei,23 da die Behörden keine Maßnahmen ergriffen hatten, um ein auf einer Müllhalde bei Istanbul gebautes Slum-Viertel zu schützen, obwohl Experten eine Methanexplosion vorhergesagt hatten; anders als im Fall Budayeva hatte es sich nicht um eine Naturkatastrophe gehandelt. Der Beschwerdeführer hatte seine Familie verloren; zudem war sein gesamtes Eigentum zerstört worden. Dieser Rechtsprechungsansatz des Gerichtshofs ist innovativ und wegweisend, wird damit doch über Art. 1 P 1 neben Art. 8 EMRK ein zweiter Pfeiler für die umweltrechtliche Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgebaut. Diese greift über andere internationale Instrumente, die aufgrund des in der Regel nicht bindenden Charakters nur bedingt effektiv sind, hinaus und bereichert das internationale Umweltschutzrecht um eine wichtige individualrechtliche Perspektive.

c)

Vertrauensschutz

Nicht nur für den Eigentumsschutz, sondern für das gesamte konventionsrechtliche Schutzsystem ist Vertrauen von zentraler Bedeutung. Es liegt bereits der in der Präambel verankerten Idee der Rechtsstaatlichkeit zugrunde und ist zudem in einer Vielzahl von Bestimmungen explizit verankert, wie etwa in Art. 7 22 EGMR Urt. vom 20. 03. 2008, Budayeva u. a. v. Russland, Beschwerde-Nr.: 15339/02, 11673/02, 15343/02, 20058/02, 21166/02, RJD 2008, para. 172. 23 EGMR (GK) Urt. vom 30. 11. 2004, Öneryildiz v. Türkei, Beschwerde-Nr. 48939/99, RJD 2004XII.

Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa

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EMRK, dem Grundsatz »nulla poena sine lege«. Auf das Recht, das zum relevanten Zeitpunkt gilt, muss man vertrauen können. Dementsprechend ist die Idee des Vertrauensschutzes allen Konventionsgarantien inhärent und macht es erforderlich, dass Rechtseinschränkungen etwa des Rechts auf Privatleben, des Rechts auf Meinungsfreiheit oder des Rechts auf Versammlungsfreiheit im Gesetz geregelt sein müssen. Kriterium zur Bestimmung der »lawfulness« des jeweiligen Eingriffs ist nach der Auslegung des Gerichtshofs, dass die entsprechende restriktive Regelung zugänglich und vorhersehbar ist. Dies gilt auch für den Schutz des Eigentums, das nur »durch Gesetz« entzogen werden darf, so dass alle restriktiven Regelungen auf ihre Vorhersehbarkeit und Zugänglichkeit hin zu überprüfen sind. In dem im Jahr 2013 ergangenen Urteil des EGMR im Fall N.K.M. v. Ungarn24 wurde dem Aspekt Vertrauen darüber hinaus in mehrfacher Weise eine entscheidungserhebliche Rolle zugewiesen. Es ging dabei um eine politisch brisante Sparmaßnahme, die zu einem Machtkampf zwischen Parlament und Verfassungsgericht geführt hatte. Das ungarische Verfassungsgericht hatte die Neuregelung zweimal für verfassungswidrig erklärt. Dennoch hatte das Parlament sie jedes Mal erneut wieder eingeführt; nach entsprechenden Verfassungsänderungen und Beschneidungen der Kontrollkompetenzen des Verfassungsgerichts war dies möglich. Der Streit betraf die Auferlegung einer im Saldo 52 %igen Steuer für eine Entschädigungsleistung bei einer Entlassung nach langer Dienstzeit. In dem vom EGMR entschiedenen Fall hatte eine Beamtin, die wenige Tage nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes entlassen worden war, die ihr nach dem ursprünglichen Gesetz zustehende Zahlung nicht mehr bekommen, da vor Auszahlung der entsprechende Steuerbetrag abgezogen worden war. Obwohl die entsprechende Geldsumme somit gar nicht ins Eigentum der Beschwerdeführerin übergegangen war und zum Zeitpunkt ihrer Entlassung darauf auch kein gesetzlicher Anspruch mehr bestand, sah der EGMR Art. 1 P 1 als anwendbar an, da der Geldbetrag »schon verdient gewesen« sei und »definitiv hätte gezahlt werden müssen«.25 Dabei bezog sich der Gerichtshof auf die Qualifizierung durch das Verfassungsgericht als »bedingungslosen gesetzlichen Anspruch«.26 Die Auferlegung einer Steuer bewiese, dass die Entschädigungszahlung bereits als Eigentum betrachtet worden sei. Zwar gestand der Gerichtshof zu, dass die Mitgliedsstaaten bei sozialpolitischen Maßnahmen einen besonders weiten Ermessensspielraum hätten und soziale Leistungen auch grundsätzlich Ände24 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11. 25 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para.36 26 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para.36 »unconditional statutory entitlement«.

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rungen unterworfen werden könnten. Anders sei dies aber bei »long-term expectations«, bei denen den Erwartungen des Betroffenen eine Verpflichtung des Staates als Arbeitgeber gegenüberstünde. Die Argumentation beruht insoweit explizit auf dem Vertrauensschutz: »For the Court, such long-term expectations, reinforced by many years of unchanged statutory guarantees, cannot be lightly disregarded. The justification for the protection of legitimate expectations originating in a statutory undertaking is that the law should protect the trust that has been reposed in the undertaking made by legislation. For the Court, good government depends upon trust between the governed and the governor.«27

Der Gerichtshof dehnte zudem die Rechtsprechung zur gesetzlichen Grundlage für Enteignungen weiter aus und erklärte, dass ein nationales Gesetz, das beliebig änderbar ist, als Rechtsgrundlage nicht ausreiche. Vielmehr müsse es auch rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und dürfe nicht willkürlich sein.28 Schließlich fand das Vertrauensschutzprinzip auch noch bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung. So stellte der Gerichtshof darauf ab, dass die Maßnahme völlig unerwartet und unvorhersehbar gewesen sei und eine Vorbereitung nicht möglich gemacht hätte. Zudem betonte er die persönliche Not der von der Sparmaßnahme Betroffenen und hielt allgemein fest: »In the Court’s opinion, those who act in good faith on the basis of law should not be frustrated in their statute-based expectations without specific and compelling reasons.«29

Diese Rechtsprechungslinie hat der Gerichtshof in weiteren Entscheidungen zu Ungarn noch vertieft.30 Nichtsdestotrotz lässt sich daraus nicht ableiten, dass es einen allgemeinen eigentumsrechtlichen Vertrauensschutz gegen Sparreformen gäbe. Ganz im Gegenteil: mit Blick auf die Finanzkrise in Portugal und Griechenland hat der Gerichtshof Beschwerden gegen Einschnitte in Sozialleistungen sogar für offensichtlich unbegründet erklärt.31 Vertrauen spielt auch in negativer Form eine Rolle in der Rechtsprechung des Gerichtshofs. So stellt er mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen darauf ab, ob ein Vertrauen auf das Fortbestehen eines bestimmten Rechtszu27 28 29 30

EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 37. EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 47. EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 75. EGMR Urt. vom 2. 7. 2013, R.Sz. v.Ungarn, Beschwerde-Nr. 41838/11; EGMR Urt. vom 25. 6. 2013, G‚ll v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 49570/11. 31 EGMR, Entsch. v. 8. 10. 2013, Antûnio Augusto da Conceiżo u. Lino Jesus Santos Janu‚rio v. Portugal, Beschwerde Nr. 62235/12 und Nr. 57725/12 ; EGMR, Entsch. v. 07. 05. 2013, Koufaki und Adedy v. Griechenland, Beschwerden Nr. 57665/12 und Nr. 57657/12; vgl. dazu Angelika Nußberger, Der Einfluss der EMRK auf das deutsche Arbeitsrecht, Arbeit und Recht 2014, S. 130 ff.

Eigentumsrecht und Vertrauensschutz in Europa

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stands gerechtfertigt ist. Verneint wird dies etwa bei Risikogeschäften, wenn das Risiko bekannt ist, etwa im Waffenhandel, in dem grundsätzlich mit zunehmend restriktiveren Regelungen zu rechnen sei.32 Dies gilt auch bei einem planungsrechtlichen Vorbescheid, wenn klar ist, dass die Gemeinde eigentlich dagegen ist.33

3)

Vergleich zwischen den Grundlinien des Eigentumsschutzes nach dem Grundgesetz, der EMRK und der Europäischen Grundrechtecharta

a)

Unterschiede zwischen Grundgesetz und Erstem Zusatzprotokoll zur EMRK

Vergleicht man den Wortlaut der im Grundgesetz und in der EMRK enthaltenen Eigentumsgarantien,34 fallen verschiedene textuelle Unterschiede auf. So ist die Formulierung in der EMRK weniger unmittelbar und weniger direkt als Art. 14 GG. Während es im Grundgesetz heißt, Eigentum »werde gewährleistet«, wird in der EMRK nur vom »Recht auf Achtung des Eigentums« gesprochen. Zudem wird in der EMRK die Zulässigkeit von Regelungen zur Nutzung des Eigentums, die zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich gehalten werden, hervorgehoben. Allerdings sind trotz dieser unterschiedlichen Nuancierungen im Wortlaut keine grundlegend unterschiedlichen Ansätze in der Auslegung auszumachen, gewährleistet doch auch der EGMR das Eigentum grundsätzlich in vollem Umfang. Auch stellt er die Betroffenen bei Steuern und Abgaben nicht schutzlos, sondern nimmt auch hier eine im Wesentlichen auf verfahrensrechtliche Garantien und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestützte Einzelfallprüfung vor.35

32 EGMR Entscheidung vom 26. 9. 2000, Michael Sean Andrews v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 37657/97. 33 EGRM (GK) Urt. vom 29. 11. 1991, Pine Valley Developments Ltd u. a. v. Irland, BeschwerdeNr. 12742/87, A 222. 34 Vgl. ausführlich zu einem Vergleich der verschiedenen Garantien Hans-Joachim Cremer, Eigentumsschutz, in: Oliver Dörr, Rainer Grote, Thilo Marauhn, EMRK/GG. Konkordanzkommentar, Tübingen 2013, Band 2, S. 1466 ff. 35 Rusen Ergec, Fiscalit¦ et droit de propri¦t¦ sous l’angle de la Convention Europ¦enne des droits de l’homme, Re. Trim dr. h. 87/2011, S. 457 ff; vgl. z. B. zu Konfiskationen: EGMR (GK) Urt. vom 24. 10. 1986, Agosi v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 9118/80, A108, EGMR Urt. vom 23. 07. 2009, Bowler International Unit v. Frankreich, Beschwerde-Nr. 1946/06; zu Steuern: EGMR Urt. vom 23. 10. 1997 National & Provincial Building Society, Leeds Permanent Building Society und Yorkshire Building Society v. Vereinigtes Königreich, Reports

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Wichtiger sind die Unterschiede mit Blick auf die Möglichkeit der Enteignung. So sieht Art. 14 Abs. 3 GG eine Junktimklausel vor, nach der eine Enteignung nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen darf, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Eine derartige Junktimklausel enthält das Zusatzprotokoll zur EMRK nicht, sondern beschränkt sich auf den Verweis auf »die durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen«. Auch wenn in der Rechtsprechung des EGMR entschädigungslose Enteignungen in aller Regel als konventionswidrig angesehen werden, so sind sie es doch nicht immer. Vielmehr sind sie unter außergewöhnlichen Umständen rechtfertigbar »Compensation terms under the relevant legislation are material to the assessment whether the contested measure respects the requisite fair balance and, notably, whether it imposes a disproportionate burden on the applicants. In this connection, the Court has already found that the taking of property without payment of an amount reasonably related to its value will normally constitute a disproportionate interference and a total lack of compensation can be considered justifiable under Article 1 of Protocol No. 1 only in exceptional circumstances.«36

Der unterschiedliche Ansatz wurde vor allem in der Entscheidung Jahn u. a. v. Deutschland37 deutlich. In diesem Fall ging es um die eigentumsrechtliche Situation der so genannten »Neubauern«, die kurz vor dem Ende der DDR Eigentümer landwirtschaftlicher Grundstücke geworden waren, ihr Eigentum aber kurz nach der Wiedervereinigung wieder verloren hatten. Während das Bundesverfassungsgericht38 diesen Vorgang trotz des formalen Eigentumsübergangs mit einer Löschung der Betroffenen im Grundbuch und einer Eintragung neuer Eigentümer nicht als Enteignung ansah, sondern davon ausging, der Gesetzgeber habe die Eigentümerposition bloß geklärt, aber nicht geändert (»nachträgliche Korrektur«, »Schaffung klarer Eigentumsverhältnisse«)39, beruhte die Ar-

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of Judgments and Decisions 1997–VII; para. 75 – 83; EGMR Urteil vom 20. 9. 2011, OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos v. Russland, Beschwerde-Nr. 14902/04, para. 559 ff. Ständige Rechtsprechung; vgl. EGMR Urt. vom 01. 09. 1997, The Holy Monasteries v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 13092/87, 13984/88, Reports 1997-V, p. 35, para. 71; EGMR Urt. vom 23. 11. 2000, The former King of Greece u. a. v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 25701/94, RJD 2000-XII , para. 89; und EGMR Urt. vom 12. 11. 2002, Zvolsky´ and Zvolsk‚ v. Tschechien, Beschwerde-Nr. 46129/99, RJD 2002-IX , para. 70. EGMR (GK) Urt. vom 30. 06. 2005, Jahn u. a. v. Deutschland, Beschwerde-Nr.: 46720/99, 72203/01, 72552/01, RJD 2005-VI. BVerfG Entscheidung vom 6. 10. 2000. NJW 2001, 670 (red. Leitsatz) »Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c, Abs. 3 EGBGB führt dazu, dass die bisherigen Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform ihr Eigentum verlieren. Darin liegt jedoch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Enteignung ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Ihrem Zweck nach ist sie auf die vollständige oder partielle Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben

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gumentation des EGMR40 auf der von der Bundesregierung unwidersprochenen Annahme einer Enteignung. Eine entsprechende Kategorisierung hätte für das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Junktimklausel zwangsläufig zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit führen müssen. Der EGMR konnte auch eine entschädigungslose Enteignung als gerechtfertigt ansehen, wobei er in einer kontroversen Entscheidung mit elf zu sechs Stimmen auf die schwache Eigentümerposition, die nur durch einen besonderen Glücksfall erlangt worden sei, und die außergewöhnlichen Bedingungen bei der Wiedervereinigung abstellte.41 Auf ähnliche, durch die Transition von einem kommunistischen System zu einer Marktwirtschaft bedingte Probleme in anderen Staaten war der Gerichtshof aber nicht bereit, die Rechtsprechung von den »außergewöhnlichen Bedingungen« zu übertragen. In einem 2012 entschiedenen, gegen Lettland gerichteten Fall, in dem es um die Enteignung eines kurz nach dem Systemwechsel kostenlos erlangten Hafengrundstücks ging, votierte die Mehrheit der Richter dafür, den deutschen und den lettischen Fall für in entscheidenden Punkten nicht vergleichbar zu halten,42 während die Minderheit argumentierte, es handele sich auch bei letzterem um einen »Transformationsfall«, bei dem mit anderen – weniger strengen – Maßstäben gemessen und Enteignungen auch ohne oder mit einer nur symbolischen Entschädigung als gerechtfertigt angesehen werden müssten.43 Allgemein lässt sich sagen, dass nicht nur das Fehlen der Junktimklausel, sondern auch die Einräumung eines weiten Ermessensspielraums für die Staaten und die grundsätzliche Anerkennung des Bestimmungsrechts des nationalen

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gerichtet (vgl. BVerfGE 101, 239 m. w. N.). Demgegenüber geht es bei Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB um die nachträgliche Korrektur der durch das Gesetz vom 6. März 1990 erfolgten ersatzlosen Aufhebung der Besitzwechselvorschriften und um die Schaffung klarer Eigentumsverhältnisse an den aus der Bodenreform stammenden Grundstücken (vgl. BTDrucks 12/2480, S. 83). Die hier mittelbar angegriffene Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c, Abs. 3 EGBGB ist Teil dieses Regelungskonzepts und stellt daher eine Regelung über die Bestimmung von Inhalt und Schranken des (Grundstücks-)Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.« Rd. 17. EGMR (GK) Urt. vom 30. 06. 2005, Jahn u. a. v. Deutschland, Beschwerde-Nr.: 46720/99, 72203/01, 72552/01, RJD 2005-VI. Vgl. dazu Nußberger, »Illegitimes Eigentum? – Kontroverse Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entschädigungslosen Enteignungen im Prozess der Wiedervereinigung, Die Öffentliche Verwaltung 2006, S. 35 – 55. EGMR (GK) Urt. vom 25. 10. 2012, Vistin¸sˇ and Perepjolkins v. Lettland, BeschwerdeNr. 71243/01, para. 123 – 127. Vgl. das Sondervotum der Richter Bratza, Garlicki, Lorenzen, Tsotsoria und Paradalos zum Fall Vistin¸sˇ and Perepjolkins v. Lettland, Beschwerde-Nr. 71243/01 (Fn. 41); vgl. Dazu auch Lech Garlicki, L’application de l’article 1er du Protocol No. 1 de la Convention europ¦enne des Droits de l’Homme dans l’Europe centrale et orientale : problÀmes de transition, in: H. Vandenberghe (Hg.), Property and human rights, Brussels 2006, S. 99 ff.

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Gesetzgebers dazu führen, dass Enteignungen nach dem Ersten Zusatzprotokoll in weiterem Umfang zulässig sind als nach dem Grundgesetz.44 Ein weiterer Unterschied ist schließlich noch das Fehlen eines Art. 14 Abs. 2 GG entsprechenden Hinweises auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Ersten Zustatzprotokoll. Dieser Unterschied lässt sich nicht zuletzt in den unterschiedlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR zu Eigentumsbeschränkungen aufgrund des Jagdrechts erkennen. Während der EGMR sogar die Gewissensfreiheit über das Eigentumsrecht schützt und die Möglichkeit des Interessenausgleichs über eine Kompensationsleistung, geht es um eine bestimmte, aus ethischen Gründen abgelehnte Nutzung des Eigentums, ablehnt,45 ist das Bundesverfassungsgericht großzügiger bei mit Gemeinwohlinteressen begründeten Einschränkungen des Eigentumsrechts.46 Anzumerken ist auch noch der grundsätzlich unterschiedliche persönliche Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Anders als vom Grundgesetz in Art. 19 Abs. 3 GG vorgegeben, erstreckt sich der Schutz der EMRK und des Ersten Zusatzprotokolls auch auf ausländische juristische Personen. Aber auch unabhängig von den Unterschieden in der Formulierung der jeweiligen Grundrechtsgewährleistungen haben BVerfG und EGMR den Schutzbereich der Eigentumsgarantie nicht in gleicher Weise eingegrenzt. Ausgangspunkt für den EGMR ist, wie bei allen in der Konvention enthaltenen Garantien, eine »autonome Auslegung«. Dies bedeutet, dass er zwar berücksichtigt, wie bestimmte Rechtsinstitute oder Rechtskonzepte in den nationalen Rechtsordnungen verstanden werden, sich aber nicht daran gebunden fühlt und um eines effektiven Menschenrechtsschutzes willen auch eigenständige Ansätze entwickelt. Mit Blick auf Art. 14 GG sind die Unterschiede insbesondere bei den Sozialrecht zuzurechnenden Bereichen relevant. So wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein rentenrechtliches Anwartschaftsrecht nur auf der Grundlage von Beitragsleistungen anerkannt, nicht aber bei rein steuerfinanzierten Leistungen.47 Der EGMR sieht dies anders und schützt auch nicht selbst »erdiente« Sozialleistungen, wenn darauf ein gesetzlicher, eindeutig normierter Anspruch besteht.48 Allerdings bedeutet dies, wie der EGMR immer wieder betont, nicht, dass ein Anspruch auf eine Leistung in einer bestimmten Höhe eingefordert werden könne. Vielmehr erkennt der Gerichtshof insoweit ein weites sozialpolitisches Ermessen an. Besondere Bedeutung hat diese 44 Vgl. Cremer (Fn 34), Art 22, para. 28. 45 EGMR (GK) Urt. vom 26. 06. 2012, Herrmann v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 9300/07, para. 91. 46 Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 13. 12. 2006 (1 BvR 2084/05), DVBl 2007, 248. 47 Rudolf Wendt, in: Sachs, Grundgesetz. Kommentar. 6 Auflage 2011, Art. 14 Rdn. 34. 48 EGMR (GK) Urt. vom 12. 04. 2006, Stec v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 65731/01, 65900/01, RJD 2006-VI, para. 53.

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Rechtsprechung aber bei Ungleichbehandlungen, wenn Leistungen, auf die grundsätzlich ein gesetzlicher Anspruch besteht, aus diskriminierenden Gründen, etwa aufgrund der Staatsangehörigkeit des Betroffenen, nicht gewährt werden ohne dass es für den Leistungsausschluss einen rechtfertigenden Grund gäbe.49

b)

Unterschiede zwischen Europäischer Grundrechtecharta und Erstem Zusatzprotokoll zur EMRK

Grundsätzlich wurde der vom Ersten Zusatzprotokoll zur EMRK gewährte Eigentumsschutz in der Europäischen Grundrechtecharta übernommen, allerdings in eine klarere und zeitgemäße Formulierung gebracht, wobei auch die Rechtsprechung des EGMR einbezogen wurde.50 Insbesondere wurde die Differenzierung zwischen drei verschiedenen Regelungsansätzen übernommen. Der Wortlaut der EuGRCh greift explizit die aus dem Zivilrecht übernommene Bestimmung des Inhalts der Eigentumsrechte mit Blick auf das Recht zu besitzen, zu nutzen, zu verfügen und zu vererben auf. Explizit wird klargestellt, dass nur »rechtmäßig erworbenes Eigentum« geschützt wird. Die Junktimklausel bei Enteignung ist explizit ausgestaltet und verweist auf eine »rechtzeitige angemessene Entschädigung«. Soweit der Schutz damit weitergeht als bei Art. 1 P 1 ist dies nach Art. 53 EMRK grundsätzlich kein Problem, da die Gewährleistung eines höheren Schutzniveaus immer möglich ist. Für die Nutzungsregelung wird ausdrücklich auf das öffentliche Interesse verwiesen. Zudem findet sich in der EuGRCh auch eine Regelung zum Schutz des geistigen Eigentums.

4)

Sonderstellung der Eigentumsgarantie in der Straßburger Rechtsprechung

Im Vergleich zu den anderen in der EMRK und ihren Protokollen enthaltenen Gewährleistungen nimmt die Eigentumsgarantie in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung ein. Zum einen geht es in aller Regel um besonders hohe Schadensersatzforde49 EGMR (GK) vom 16. 09. 1996, Gaygususz v. Österreich, Beschwerde-Nr. 17371/90, Reports 1996-IV; EGMR vom 30. 09. 2003, Koua Pouez v. Frankreich, Beschwerde-Nr. 40892/98, RJD 2003-X. 50 Folz, in: Vedder, Heintzschel von Heinegg (Hg.), Europäisches Unionsrecht. EUV, AEUV, Grundrechte-Charta. Handkommentar, Baden-Baden 2012, Artikel 17 Grundrechte-Charta, para. 2.

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rungen, wobei nicht, wie in den meisten anderen Fällen, der immaterielle, sondern der materielle Schadensersatz im Vordergrund steht.51 Prozesstechnisch versucht der Gerichtshof in diesen Fällen oftmals, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken oder trennt die Entscheidung nach Art. 41 EMRK von der Sachentscheidung ab. Eine der höchsten Schadensersatzforderungen in Höhe von 27 Millionen Euro wurde im Fall Agrokompleks v. Ukraine anerkannt.52 Dabei hatte es sich ursprünglich um die Schulden einer staatlichen ukrainischen Ölraffinerie gegenüber eine privaten Firma gehandelt, die von einem ukrainischen Gericht in einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 1998 rechtskräftig festgestellt worden war. In der Folge war es aufgrund von Manipulationen zur Aufhebung des Gerichtsurteils und zur Verringerung der Schulden gekommen. Der EGMR hat daher in seinem Urteil zur Hauptsache vom 6. 10. 2011 eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere des Rechts auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht, sowie eine Verletzung der Rechtssicherheit, gerügt. Da das ursprüngliche Gerichtsurteil der ukrainischen Justiz als eigentumsrechtlicher Titel angesehen wurde, bedeutete die Nicht-Vollstreckung und Abänderung zu Lasten der Berechtigten zugleich auch eine Eigentumsverletzung.53 Bei der Beschwerde Centro Europea 7 SLR v. Italien wurde eine pauschalierte Summe von 10 Millionen Schadensersatz wegen der Unmöglichkeit der Nutzung einer Fernsehlizenz festgesetzt.54 Im Fall OAO Neftyanaya Kompaiya Yukos v. Russland55 erkannte der Gerichtshof auf eine Verletzung des Eigentumsrechts durch die Art der Eintreibung der Steuern. Die Höhe des Schadensersatzes nach Art. 41 ist noch offen. Es geht um eine Forderung von 81 Milliarden Euro; allein die tägliche Zinszahlung wird mit 29,577,848 Euro beziffert.56 Im Vergleich zu den im Allgemeinen vom EGMR gewährten immateriellen Schadensersatzzahlungen von wenigen tausend Euro stellen die eigentumsrechtlichen Fälle insoweit ein Aliud dar. Ins Gewicht fallen kann bei derartigen Beschwerden auch, dass sich Einzel51 Vgl. dazu Egbert Myjer, Article 1 Protocol 1 and the entitlement of just satisfaction, in: H. Vandenberghe (Hg.), Property and human rights, Brussels 2006, S. 99 ff. 52 EGMR Agrokompleks v. Ukraine, Urteil (Just satisfaction) vom 25. 7. 2013, BeschwerdeNummer 23465/03. 53 EGMR Urt. vom 6. 10. 2011, Agrokompleks v. Ukraine, Beschwerde-Nr. 23465/03, para. 167, 168. 54 EGMR (GK) Urt. vom 07. 06. 2012, Centro Europea 7 SLR v. Italien, Beschwerde-Nr. 38433/09, RJD 2012. 55 EGMR Urt. vom 20. 09. 2011, OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos v. Russland, BeschwerdeNr. 14902/04. 56 Zwischenzeitlich ist das Urteil ergangen; es wurde ein materieller Schaden von 1.866.104,634 Euro festgesetzt; EGMR Urteil (Justsatisfaction) vom 31. 7. 2014, BeschwerdeNr. 14902/04. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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zahlungen in der Folge multiplizieren, da sie aus allgemeinen Problemen im System resultieren und daher die Feststellung einer Verletzung auf eine Vielzahl von weiteren Fällen übertragbar ist. Beispiel dafür ist etwa der Fall Kirovogradoblenergo v. Ukraine.57 Ein privater Stromkonzern hatte gegen den Staat Entschädigungszahlungen geltend gemacht, da er Richtern aufgrund eines noch vom Versorgungsdenken der sowjetischen Zeit geprägten Gesetzes Strom für einen nur 50 %igen Preis zu liefern hatte. Der ukrainische Staat hatte sich geweigert, die den privaten Unternehmen auferlegten Zahlungen zu ersetzen. Auch wenn es im konkreten Fall nur um einen Schaden von knapp 100 Euro ging, so eröffnete dies doch die Möglichkeit, dass in der Folge von vielen anderen in entsprechender Weise geleistete Zahlungen zurückgefordert werden würden. Des Weiteren haben eigentumsrechtliche Fälle oftmals eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung für »Vergangenheitsbewältigung« und Sozialpolitik, wie sich etwa bei Louizidou v. Türkei58 mit Blick auf den Zypernkonflikt oder bei v. Maltzan v. Deutschland59 mit Blick auf Enteignungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt. Auch die Vielzahl der rumänischen Restitutionsfälle ist dafür ein Beispiel. Gleichermaßen werden soziale Probleme in der Folge der sozialistischen Wohnungspolitik und der Änderungen in der Transformationsphase an vor den Gerichtshof gebrachten Mietrechtskonflikten etwa aus Polen, Tschechien und Slowenien gespiegelt, in denen es schwierig ist, einen Ausgleich zu finden zwischen den Interessen derjenigen, die lange Zeit in billigem Wohnraum gelebt und darauf vertraut haben, dort zu denselben Bedingungen bleiben zu können, und denjenigen, die enteignetes Eigentum nach der Wende zurückbekommen haben. Bekannte Fälle sind Hutten-Czapska v. Polen60 und Vomocˇil v. Tschechien.61 Während diese beiden Fälle die Problematik aus der Sicht der Vermieter aufgreifen, ist bei dem Fall Berger-Krall v. Slowenien Thema die potentielle Grundrechtsbeeinträchtigung der Mieter.62 In den Jahren vom Beginn der Rechtsprechungstätigkeit bis 1995 waren Fälle zur Eigentumsgarantie statistisch nur von untergeordneter Bedeutung; Art. 1 P 1 spielte in weniger als 10 Prozent der Fälle, in 41 von 554 Entscheidungen, eine Rolle. Mittlerweile betrifft jeder fünfte Fall die Eigentumsgarantie. Allerdings sind diese Zahlen nicht wirklich aussagekräftig, da dabei auch die aufgrund von 57 EGMR Urt. vom 27. 06. 2013, Kirovogradoblenergo v. Ukraine, Beschwerde-Nr. 35088/07. 58 EGMR (GK) Urt. vom 23. 03. 1995, Louizidou v. Türkei, Beschwerde-Nr. 15318/89, A310. 59 EGMR (GK) Urt. vom 02. 03. 2005, v. Maltzan v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 71916/01, 71917/01, 10260/02, RJD 2005-V. 60 EGMR (GK) Urt. 19. 06. 2006, Hutten-Czapska v. Polen, Beschwerde-Nr. 35014/97, RJD 2006VIII 61 EGMR Entsch. vom 5. 3. 2013 Vomocˇil v. Tschechische Republik, Beschwerde-Nummern nos. 38817/04 and 1458/07. 62 EGMR Urt. vom 12. 06. 2014, Berger-Krall v. Slowenien, Beschwerde-Nr. 14717/04.

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systemischen Defiziten an den Gerichtshof herangetragenen »Massenfälle« wie etwa die Nicht-Vollstreckung rechtskräftiger Urteile, die insbesondere in Russland, der Ukraine und Moldawien ein großes Problem ist, erfasst werden. Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten, dass Art. 1 P 1 mehr und mehr zu einem »Grundrecht für wirtschaftliche Betätigung« avanciert und Fälle zum Erbrecht, zum Immaterialgüterrecht, zu Fragen der Unternehmensbeteiligungen und zum Schutz von Minderheitenaktionären, zum Schutz des Goodwill sowie sogar zum Wettrecht vermehrt in Straßburg entschieden werden.

5)

Zur konkreten Ausgestaltung des eigentumsrechtlichen Grundrechtsschutzes nach der Konvention

a)

Zur autonomen Auslegung des Begriffes »Eigentum«

Ausgangspunkt des eigentumsrechtlichen Schutzes auf der Grundlage der Konvention ist das klassische römisch-rechtliche Eigentumsverständnis und damit das ausschließliche Verfügungsrecht des Einzelnen über ihm von der Rechtsordnung zugeordnete Güter.63 Allerdings betont der Gerichtshof den autonomen Charakter der in der Konvention enthaltenen Konzepte und damit das Recht, »possessions« iSv Art. 1 P1 unabhängig davon, was in den einzelnen Rechtsordnungen konkret als Eigentum verstanden wird, auszulegen.64 Geschützt wird nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich ein »substantive interest«, entweder auf die Gegenwart bezogen als »existing possessions« oder mit Blick auf die Zukunft als »legitimate expectations«, soweit sie rechtlich ausreichend gesichert sind und über »bloße Hoffnungen« auf einen Eigentumserwerb hinausgehen. Die Standardformel des Gerichtshofs fasst die Eckpunkte der Rechtsprechung folgendermaßen zusammen: »The concept of »possessions« referred to in the first part of Article 1 of Protocol No. 1 has an autonomous meaning which is not limited to ownership of physical goods and is independent from the formal classification in domestic law: certain other rights and interests constituting assets can also be regarded as »property rights«, and thus as »possessions« for the purposes of this provision. The issue that needs to be examined in each case is whether the circumstances of the case, considered as a whole, conferred on the applicant title to a substantive interest protected by Article 1 of Protocol No. 1.«65 63 EGMR Urt. 13. 06. 1979, Marckx v. Belgien, Beschwerde-Nr. 6833/74, A31, para. 63 64 EGMR (GK) Urt. vom 23. 02. 1995, Gasus-Dosier Fördertechnik GmbH v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 15375/89, A306-B, para. 53. 65 EGMR (GK) Urt. vom 11. 01. 2007, Anheuser und Busch Inc. v. Portugal, BeschwerdeNr. 73049/01, RJD 2007-I, para. 63

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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterfallen dem Schutzbereich nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Güter. Erfasst wird so insbesondere auch der Kundenstamm eines Unternehmens. In Van Marle v. die Niederlande66 etwa geht es um die Registrierung von Buchhaltern, die sich in jahrelanger Praxis einen umfassenden Kundenstamm aufgebaut hatten, die aber beim Registrierungsverfahren nicht berücksichtigt wurden. Hier leitet der Gerichtshof die eigentumsrechtliche Relevanz des Kundenstamms insbesondere daraus ab, dass er durch die eigene Arbeit der Beschwerdeführer aufgebaut worden sei: »…by dint of their own work, the applicants had built up a clientÀle; this had in many respects the nature of a private right and constituted an asset and, hence, a possession within the meaning of the first sentence of Article 1 (P1 – 1)«67

Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof auch auf den Kundenstamm eines Steuerberaters,68 die Mandanten eines Rechtsanwalts,69 den Kundenstamm für eine Nachlassabwicklung70 und sogar den Kundenstamm eines Kinos71 übertragen. Mittlerweile ist die Rechtsprechung aber weiter als im Ausgangsfall van Marle v. die Niederlande, da nicht mehr als entscheidend angesehen wird, ob der Aufbau der »possessions« durch eigene Aktivitäten erfolgt ist oder von einer günstigen Lage bedingt war.72 Grundsätzlich ist hier eine Parallele zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berufsfreiheit zu ziehen, soweit sie durch berufliche Betätigung verfestigte wirtschaftliche Positionen schützt.73 Geschützt werden auch Nutzungslizenzen, etwa im Fall Tre Traktörer AB v. Schweden74 die Lizenz zum Alkoholausschank oder im Fall Fredin v. Schweden75 66 EGMR Urt. vom 26. 06. 1986, Van Marle v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 8543/79, 8674/79, 8675/79,8685/79, A101. 67 EGMR Urt. vom 26. 06. 1986, Van Marle v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 8543/79, 8674/79, 8675/79,8685/79, A101, para. 34. 68 Entscheidung vom 25. 05. 1999, Olbertz v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 37592/97, RJD 1999V. 69 Entscheidung vom 21. 02. 2012, Döring v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 50216/09. 70 Entscheidung vom 20. 04. 1999, Hoerner Bank v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 33099/96, RJD 1999-V. 71 EGMR Urt. 19. 10. 2000, Iatridis v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 31107/96, RJD 2000-XI. 72 EGMR Urt. 19. 10. 2000, Iatridis v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 31107/96, RJD 2000-XI, para. 54: »….before the applicant was evicted, he had operated the cinema for eleven years under a formally valid lease without any interference by the authorities, as a result of which he had built up a clientÀle that constituted an asset (…); in this connection, the Court takes into account the role played in local cultural life by open-air cinemas in Greece and to the fact that the clientÀle of such a cinema is made up mainly of local residents.« 73 Kaiser (aaO Fn 18), Art. 1 ZP 21, para. 22; Cremer (Fn. 34) Kap. 22, Rn. 48 spricht insoweit von einer »materiell geronnenen Berufsfreiheit«. 74 EGMR (GK) Urt. vom 07. 07. 1989, Tre Traktörer AB v. Schweden, Beschwerde-Nr. 10873/84, A159.

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die Erlaubnis, Kies am eigenen Grundstück abzutragen, auch wenn der Entzug der Erlaubnis sich in diesem Fall im Ergebnis als nicht unverhältnismäßig dargestellt hat. Grundsätzlich geschützt sind auch planungsrechtliche Genehmigungen bei Immobilienprojekten wie im Fall Pine Valley Developments Ltd u. a. v. Irland.76 Allerdings wurde dort im Ergebnis nur eine Verletzung aufgrund des Diskriminierungsverbots gefunden, nicht aber eine Verletzung der Eigentumsgarantie an sich, da sich die Berechtigten des Risikos bewusst sein mussten, dass die Genehmigung eventuell wieder entzogen werden könnte: »The applicants were engaged on a commercial venture which, by its very nature, involved an element of risk (…) and they were aware not only of the zoning plan but also of the opposition of the local authority, Dublin County Council, to any departure from it (…). This being so, the Court does not consider that the annulment of the permission without any remedial action being taken in their favour can be regarded as a disproportionate measure.«77

Weiter hat der Gerichtshof Art. 1 P 1 auf eine Sicherheitsleistung bei einer Lieferung unter Eigentumsvorbehalt, die für Steuerzahlungen beschlagnahmt wurde, für anwendbar erklärt,78 hier allerdings im Ergebnis auch keine Verletzung angenommen. Im Fall Raffineries grecques Stran et Stratis Andreadis v. Griechenland79 wurde eine gegen den Staat gerichtete schuldrechtliche Forderung als »cr¦ance suffisamment ¦tablie pour Þtre exigible« und damit als Art. 1 P 1 unterfallend gewertet, da sie in einem Schiedsverfahren festgestellt worden war und insofern eine legitime Erwartung auf Erfüllung bestand;80 die Regierung war mit ihrem Argument, es gäbe noch kein rechtskräftiges Urteil der ordentlichen Gerichte, demgegenüber nicht durchgedrungen. Auch intellektuelles Eigentum ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich unter Art. 1 P 1 subsumierbar.81 Geschützt wird auch die

75 EGMR (GK) Urt. vom 18. 02. 1991, Fredin v. Schweden, Beschwerde-Nr. 12033/86, A192. 76 EGMR (GK) Urt. vom 29. 11. 1991, Pine Valley Developments Ltd u. a. v. Irland, BeschwerdeNr. 12742/87, A 222. 77 EGMR (GK) Urt. vom 29. 11. 1991, Pine Valley Developments Ltd u. a. v. Irland, BeschwerdeNr. 12742/87, A 222, para. 59. 78 EGMR (GK) Urt. vom 23. 02. 1995, Gasus-Dosier Fördertechnik GmbH v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 15375/89, A306-B. 79 EGMR (GK) Urt. vom 09. 12. 1994, Raffineries grecques Stran et Stratis Andreadis v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 13427/87, A301-B. 80 EGMR (GK) Urt. vom 09. 12. 1994, Raffineries grecques Stran et Stratis Andreadis v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 13427/87, A301-B 81 EGMR (GK) Urt. vom 11. 01. 2007, Anheuser und Busch Inc. v. Portugal, BeschwerdeNr. 73049/01, RJD 2007-I, para. 72

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Rechtsstellung eines Antragstellers auf Registrierung eines Markenzeichens, soweit damit bereits eigentumsrechtliche Rechtspositionen verbunden sind.82 In Bezug auf öffentlich-rechtliche Eigentumspositionen wurde bereits auf Divergenzen zwischen der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR hingewiesen, da die Zuerkennung eigentumsrechtlich geschützter Positionen in unterschiedlicher Weise von der Erbringung von Eigenleistungen abhängig gemacht wird. Auch für den EuGH besteht übrigens nur dann Eigentumsschutz, wenn der im öffentlichen Recht wurzelnde Anspruch zumindest zum Teil auf Eigenleistungen beruht. So werden auch kommerzielle Vorteile aufgrund von marktsteuernden Maßnahmen wie etwa die Zuteilung von Referenzmengen in einem gemeinsamen Marktrahmen nicht als eigentumsrechtlich geschützte Positionen angesehen, da sie ohne Eigenleistungen erworben werden.83 EuGH ebenso wie EGMR und Bundesverfassungsgericht gewähren keinen allgemeinen Vermögensschutz und grenzen legitime Erwartungen von Hoffnungen auf zukünftiges Einkommen ab. Zu prüfen ist zum einen, ob eine ausreichende Basis für einen Anspruch auf der Grundlage des nationalen Rechts besteht. Ist dies strittig und wird von den für die Auslegung des nationalen Rechts zuständigen Gerichten verneint, besteht aus der Sicht des EGMR kein zu schützendes legitimes Interesse, es sei denn den nationalen Gerichten wäre Willkür nachzuweisen.84 Ein interessanter, EU-Recht und Konventionsrecht miteinander verbindender Fall zur Abgrenzung berechtigter Erwartungen und eigentumsrechtlich nicht geschützter bloßer Hoffnungen ist Dangeville v. Frankreich.85 Der Streit drehte sich um die gegen den Staat gerichtete Rückforderung einer Versicherungsgesellschaft wegen der Zahlung einer Steuer, die nach der klaren, präzisen und direkt anwendbaren Richtlinie des Gemeinschaftsrechts eigentlich nicht mehr hätte gezahlt werden müssen. Das Problem war, dass Frankreich die Richtlinie zum relevanten Zeitpunkt bereits hätte umsetzen müssen, aber nicht umgesetzt hatte. Nach Ansicht des Gerichtshofs bestand hier eine legitime Erwartung, die Steuer nicht zahlen zu müssen bzw. die entsprechende Zahlung

82 Vgl. die ausführliche Argumentation in EGMR (GK) Urt. vom 11. 01. 2007, Anheuser und Busch Inc. v. Portugal, Beschwerde-Nr. 73049/01, RJD 2007-I, para. 66 – 78. 83 Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, GR-Charta Art. 17, para. 7. 84 Vgl. Entsch. vom 30. 03. 2010 Kopecky´ v. Tschechien, Beschwerde-Nr. 32456/04, para. 50: »However, no legitimate expectation can be said to arise where there is a dispute as to the correct interpretation and application of domestic law and the applicant’s submissions are subsequently rejected by the national courts.« 85 EGMR Urt. vom 16. 04. 2002, Dangeville v. Frankreich, Beschwerde-Nr. 36677/97, RJD 2002III.

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zurückfordern zu können. Für die Nicht-Umsetzung bestand kein öffentliches Interesse. Besteht hier ein im Gemeinschaftsrecht fundierter Anspruch auf eine bestimmte Regelung im nationalen Recht und damit auf eine Änderung der Gesetzgebung, so gibt es umgekehrt in der Regel keinen Anspruch darauf, dass die Gesetzgebung in einem bestimmten Bereich unverändert bleibt. Dies war etwa das Problem bei der Beschwerde Andrews u. a. v. UK.86 Aufgrund der Änderung des Waffenrechts konnte der Beschwerdeführer die vom ihm zuvor vertriebenen Waffen nicht mehr legal verkaufen; sein Geschäft brach zusammen. Der Gerichtshof erkannte in dem »goodwill« und dem Vertrauen auf Einnahmen in der Zukunft keinen von Art. 1 P 1 geschützten Anspruch. Der EuGH nimmt auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der EuGrCharta vergleichbare Abgrenzungen vor. In seiner Sky-Entscheidung vom 22. 1. 201387 führt es aus, der Eigentumsschutz beziehe »sich nicht auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten, deren Ungewissheit zum Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeiten gehört (…), sondern auf vermögenswerte Rechte, aus denen sich im Hinblick auf die Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht.« Würden Fernsehübertragungsrechte gegen Geld eingeräumt, so handele es sich grundsätzlich um Vermögensrechte. Allerdings sei eine Rechtsposition dann nicht als gesichert anzusehen, wenn der Anspruch im Widerspruch zum zwingenden Inhalt einer umzusetzenden Richtlinie stehen würde, da mit Umsetzung bis zum Fristablauf zu rechnen sei.

b)

Zu Differenzierungen bei der Feststellung eines Eingriffs

Bereits einleitend war auf die vom EGMR verwendete Trias der Eingriffstatbestände verwiesen worden: die allgemeine Regel der friedlichen Nutzung des Eigentums (»peaceful enjoyment of property«; Art. 1 Abs. 1 S. 1 P 1), die Enteignung (»deprivation of property«; Art. 1 Abs. 1 S. 2 P 1) und die Nutzungskontrolle (»control of the use of property«). Die Kategorisierung wird allerdings letztlich nicht als entscheidend erachtet, da bei der Rechtfertigung des jeweiligen Eingriffs dieselben Ansprüche gestellt werden. So führt der Gerichtshof bei dem bereits erwähnten Fall N.K.M.v. Ungarn im Bezug auf die Reduktion der Überweisung einer Summe durch Vorabzug der Steuer beim Arbeitgeber aus: 86 EGMR Entsch. vom 26. 9. 2000 Michael Sean Andrews v. Vereinigtes Königreich, BeschwerdeNr. 37657/97. 87 EuGH vom 22. 01. 2013 – C-283/11, EuGRZ 2013, 164.

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»In the Court’s view, the classification of a general measure taken in furtherance of a social policy of redistribution as a »control of use« of property rather than a »deprivation« of possessions is not decisive in so far as the principles governing the question of justification are substantially the same, requiring both a legitimate aim and the preservation of a fair balance between the aim served and the individual property rights in question.«88

Gesetzgeberische Maßnahme, die einen Verlust von Eigentum bedeutet, sind nicht unbedingt als Enteignung anzusehen, sondern können, wie im Fall Air Canada v. Vereinigtes Königreich89 oder im Fall Gasus Dosier- und Fördertechnik GmbH v. Niederlande90 auch als Nutzungskontolle verstanden werden. Bei Enteignungen wird zwischen de facto und de iure Enteignungen unterschieden, letztere werden auch dann angenommen, wenn Eigentum völlig unnutzbar (»wholly unusuable«) ist. Ein anschauliches Beispiel dafür wäre der Fall Papamichalopoulos v. Griechenland.91 Das Land, das der Eigentümer zum Bau eines Hotels nutzen wollte, wurde nicht nur von der Marine in Anspruch genommen, sondern ihm wurde sogar der Zugang zu seinem eigenen Grundstück verweigert. Ein Lizenzentzug dagegen wird idR nicht als Enteignung angesehen, sondern als Kontrolle des Eigentums, so dass das ausschlaggebende Kriterium die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist.

c)

Zu den Argumentationsmustern bei der Rechtfertigung eines Eingriffs

Wie auch bei den Einschränkungen anderer Konventionsrechte prüft der Gerichtshof grundsätzlich, ob die Maßnahme auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, ein legitimes Ziel verfolgt und verhältnismäßig ist. Für die Rechtmäßigkeit einer Einschränkung des Eigentums stellt der Gerichtshof, wie in N.M.R. v. Ungarn92 besonders deutlich gemacht wurde, nicht nur darauf ab, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung besteht, sondern prüft zudem auch ihre rechtsstaatliche Qualität, insbesondere mit Blick auf Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit. Bei der Anerkennung eines legitimen Regelungsziels ist das Prüfungsraster dagegen in der Regel sehr weit. Da es dem nationalen Gesetzgeber obliege zu 88 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 44; vgl. auch EGMR Urt. vom 5. 1. 2000 (GK) Beyeler v. Italien, Beschwerde-Nr. 33202/96, para. 106 (hier ging es um die Bestimmung der Eigentumsverhältnisse nach italienischem Recht bei der verspäteten Geltendmachung eines Vorkaufsrechts durch den Staat). 89 EGMR Urt. v. 26. 4. 1995 Air Canada v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 18465/91. 90 EGMR (GK) Urt. vom 23. 02. 1995, Gasus-Dosier Fördertechnik GmbH v. die Niederlande, Beschwerde-Nr. 15375/89, A 306-B. 91 EGMR Urt. vom24. 6. 1993, Papamichalopoulos v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 14556/89. 92 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11.

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bestimmen, was im öffentlichen Interesse liege und damit eine Enteignungsmaßnahme rechtfertige, lässt der Gerichtshof staatliche Eingriffe in das Eigentum in der Regel nicht an diesem Punkt scheitern. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Auferlegung von Steuern oder die Definition einer allgemeinen Sparpolitik geht: »….the Court accepts that the »sense of social justice of the population«, in combination with the interest to protect the public purse and to distribute the public burden satisfies the Convention requirement of a legitimate aim, notwithstanding its broadness.«93

Mit der Formel, eine Maßnahme müsse offensichtlich jeder vernünftigen Grundlage entbehren (»manifestly devoid of any reasonable basis«), wird eine sehr hohe Schwelle für Konventionsverstöße gesetzt. Die Regeln zur Verhältnismäßigkeit sind in der Rechtsprechung des EGMR nicht ebenso strukturiert und ausdifferenziert wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auch wenn die dogmatischen Ansätze zum Teil übernommen wurden.94 Dominant ist die mit dem Begriff des »Sonderopfers« in der deutschen Dogmatik vergleichbare Frage nach einer »übermäßigen Bürde für den Einzelnen« (»excessive individual burden«). Dies impliziert einen Vergleich der Situation des Betroffenen mit der Situation anderer. Illustrativ ist in diesem Zusammenhang ein isländischer Fall, bei dem Sparmaßnahmen der isländischen Invaliditätsversicherung auf ihre Kompatibilität mit dem konventionsrechtlichen Eigentumsschutz zu überprüfen waren. In dem dem EGMR zur Beurteilung vorgelegten Fall war die Neuregelung zur Invaliditätsversicherung so ausgestaltet, dass eine sehr kleine Zahl von Versicherten die gesamte Rente verlor, während die meisten anderen überhaupt nicht betroffen waren. Dies sah der Gerichtshof als eine nicht gerechtfertigte Bürde des Einzelnen an.95 Wie bereits erwähnt, bedeutet auch eine kompensationslose Enteignung, von wenigen besonders gelagerten Ausnahmen abgesehen, eine übermäßige Belastung des Betroffenen.96 Zudem stellt der Gerichtshof bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung

93 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 59. 94 A. Nußberger, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Strukturprinzip richterlichen Entscheidens in Europa, NVwZ Beilage 1/2013, S. 36 – 44. 95 EGMR Urt. v. 12. 10. 2004 Kjartan Ýsmundsson v. Island, Beschwerde-Nr. 60669/00. 96 Entsprechende außergewöhnliche Umstände wurden im Fall EGMR (GK) Urt. vom 23. 11. 2000, Former King of Greece v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 25701/94, RJD 2000-XII, nicht anerkannt, wohl aber bei EGMR Urt. vom 01. 09. 1997, The Holy Monasteries v. Griechenland, Beschwerde-Nr. 13092/87, 13984/88, Reports 1997-V und bei EGMR (GK) Urt. vom 30. 06. 2005, Jahn u. a. v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 46720/99, 72203/01, 72552/01, RJD 2005-VI.

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auf Kriterien wie die Existenz verfahrensrechtlicher Absicherungen,97 Vertrauensschutz und den Ausgleich mit anderen von der Konvention geschützten Rechten ab. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass der Gerichtshof bei der Prüfung von Art. 1 P1 einen sehr weiten Ermessensspielraum akzeptiert. Dies gilt für Maßnahmen im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik noch einmal in besonderem Maße: »In matters of general social and economic policy, on which opinions within a democratic society may reasonably differ widely, the domestic policy-maker should be afforded a particularly broad margin of appreciation.«98

Dasselbe gilt, wenn es um die Herstellung eines Ausgleichs zwischen Einnahmen und Ausgaben geht, insbesondere, wenn bei der Verteilung der begrenzten Ressourcen des Staates Prioritäten aufgestellt werden sollen.99 Bei der Steuerpolitik gilt nochmals ein weiterer Spielraum, auch wenn dies nicht bedeutet, dass der Gerichtshof seine Kontrolle vollständig zurücknähme: »In so far as the tax sphere is concerned, the Court’s well-established position is that States may be afforded some degree of additional deference and latitude in the exercise of their fiscal functions under the lawfulness test (…).«100

Ähnlich ist der Ansatz des EuGH. Bei der Auslegung der Schranken der Gewährleistung des Eigentumsrechts werden auch Struktur und Ziele der Gemeinschaft berücksichtigt, wobei den Organen der EU ein breites gesetzgeberisches Ermessen zuerkannt wird.101 In gleicher Weise wird eine Abwägung bei der Beurteilung von Eingriffsmaßnahmen gefordert. Wie in der Rechtsprechung des EGMR steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Mittelpunkt. Allerdings wird bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung den Zielen der Gemeinschaft ein relativ hohes Gewicht eingeräumt, wobei aber dem Gemeinschaftsgesetzgeber auch in diesem Zu-

97 Vgl. z. B. EGMR Agosi v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 24. 10. 1986, BeschwerdeNr. 9118/80; EGMR Urteil vom 23. 7. 2009 Bowler International Unit v. Frankreich, Beschwerde-Nr. 1946/06. 98 EGMR (GK) Urt. vom 12. 04. 2006, Stec v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 65731/01, 65900/01, RJD 2006-VI, para. 52; relevant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Ermessensspielraum bei Sozialpolitik bei »legitimen Erwartungen« weiter ist als bei bereits bestehenden Rechten; vgl. EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, BeschwerdeNr. 66529/1, para. 37. 99 EGMR, Entsch. v. 7. 5. 2013 Koufaki und Adedy v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 57665/12 57657/ 12, para. 31. 100 EGMR Urt. vom 14. 05. 2013, N.K.M. v. Ungarn, Beschwerde-Nr. 66529/11, para. 50. 101 Callies, GRCh Art. 17, para. 25.

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sammenhang ein weites Ermessen bei der Gestaltung der Gemeinsamen Marktordnung zugebilligt wird.102 Auch nach der Rechtsprechung des EuGH hat ein Ausgleich mit anderen in der EuGrCh geschützten Rechten zu erfolgen, wobei der Unterschied ist, dass diese, wie etwa der Verbraucherschutz, in weiterem Umfang in der Charta explizit niedergelegt sind als in der EMRK.103 Aber auch allgemein dem EU-Recht entsprechende Ziele wie Umweltschutz104 oder außenpolitische Interessen105 können Berücksichtigung finden.

6)

Zur Bemessung der Kompensation

Grundsätzlich ist als materielle Entschädigung (»pecuniary damage« nach Art. 41 EMRK) eine Summe anzusetzen, die dem Wert der Sache entspricht, also im angemessenen Verhältnis zum Marktwert steht. Oftmals aber werden Grundsätze der »equity« berücksichtigt, zum einen, weil sich der wahre Wert nicht oder nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand exakt ermitteln lässt, zum anderen aber auch aufgrund des Rollenverständnisses des EGMR, der sich zum Schutz der Menschenrechte, nicht aber zur genauen Kalkulation von Einzelschäden berufen fühlt, die ein nationales Gericht in der Regel sehr viel besser und kompetenter ermitteln kann. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es Reformvorschläge gibt, die entsprechenden Schadensersatzberechnungen wieder auf die nationale Ebene zurückzuübertragen.106 Der Gerichtshof fühlt sich frei, unter bestimmten Umständen auch nur eine geringere Entschädigung zuzuerkennen, etwa, wenn berechtigte öffentliche Interessen dem vollen Schadensersatz entgegenstehen,107 die eigentumsbeeinträchtigende Maßnahme im Kontext einer umfassenden Wirtschaftsreform steht108 oder zur Herbeiführung größerer sozialer Gerechtigkeit zu dienen be102 Callies, GRCh Art. 17, para. 26. 103 Vgl. EuGH Entsch. vom 31. 1. 2013 C-12/11 zur Entschädigung bei Ausfall eines Fluges aufgrund des isländischen Vulkans. 104 Vgl. z. B. EuGH Entsch. vom 15. 1. 2013, C-416/10 zur Rücknahme einer gegen eine Richtlinie verstoßende Genehmigung, bei der der EuGH den Ausgleich der Interessen unmittelbar in der Richtlinie verwirklicht sieht. 105 Vgl. z. B. EuGH Entsch. vom 13. 9. 2013, T-383/11 zum Schutz der Zivilbevölkerung bei Embargomaßnahmen. 106 Paul Mahoney, Thinking a Small Unthinkable: Repatriating Reparation from the European Court of Human Rights to the National Legal Order, Festschrift Wildhaber (2007), S. 263 ff. 107 EGMR (GK) Urt. vom 25. 10. 2012, Vistin¸sˇ and Perepjolkins v. Lettland, BeschwerdeNr. 71243/01, para. 118. 108 EGMR Urt. vom 08. 07. 1986, Lithgow v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 9006/80, 9262/81, 9263/81, 9265/81, 9266/81, 9313/81, 9405/81, A102: Hier war die Nationalisierung

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stimmt ist.109 Auch bei Verletzung der positiven Schutzpflichten ist nach Ansicht des Gerichtshofs nicht immer eine vollständige Kompensation zu zahlen.

7)

Fälle aus der neuesten Rechtsprechung des EGMR

In der Regel finden nur diejenigen Urteile des EGMR eine breite öffentliche Aufmerksamkeit, in denen der Gerichtshof Verletzungen der Konvention rügt und die betroffenen Mitgliedsstaaten Abhilfemaßnahmen ergreifen müssen. Aber in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gibt es auch Unzulässigkeitsentscheidungen zu Art. 1 P 1, die zwar für »offensichtlich unbegründet« (»manifestly ill-founded«) erklärt werden, dennoch aber interessante Fragen aufwerfen, wenn auch nach Ansicht des Gerichtshofs die Antwort eindeutig ist. Eine derartige Unzulässigkeitsentscheidung betrifft das Problem »Lizenzen für Glücksspiele«, das im berühmten »Bermudadreieck« Karlsruhe – Luxemburg – Straßburg schon mehrfach Thema war. Im Jahr 2012 war der Gerichtshof mit der Beschwerde der TIPP 24 AG befasst,110 die in den durch den Glücksspielstaatsvertrag vom 1. 1. 2008 enthaltenen Regelungen eine konventionswidrige Einschränkung ihres Eigentumsrechts sah. Der Staatsvertrag hatte die Vermittlung von Glücksspielen und die Werbung im Internet verboten und damit das Geschäft der Beschwerdeführerin unmöglich gemacht. Zwar waren diese Aktivitäten nach dem neuen Staatsvertrag vom 1. 1. 2012 – nach Grundsatzurteilen des EuGH111 – wieder zulässig, allerdings nur mit einer speziellen Erlaubnis. In jedem Fall konnte die TIPP 24 AG für mehrere Jahre ihre Tätigkeit nicht ausüben; der Wert ihres Kundenstamms von 2,5 Millionen Nutzern wurde wesentlich reduziert. Der EGMR sah den Kundenstamm, nicht aber das zukünftige Einkommen, das bei unveränderter Rechtslage zu erreichen gewesen wäre, als von Art. 1 P 1 geschützt an, argumentierte aber, anders als die Beschwerdeführerin, es handele sich weder um eine Enteignung de iure noch de facto, da der Kundenstamm noch für andere Zwecke, im konkreten Fall für Geschicklichkeitsspiele, verwendet werden konnte. Damit handele es sich lediglich um eine Nutzungskontrolle. Legitimes Ziel sei die Verhinderung der Abhängigkeit von der Spielsucht sowie der Schutz Minderjähriger. Mit Blick auf der Unternehmen Teil eines wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformprozesses und brachte eine grundlegende Änderung der Verfassungsordnung mit sich. 109 EGMR Urt. vom 18. 09. 2012, James, Wells and Lee v. Vereinigtes Königreich, BeschwerdeNr. 25119/09, 57715/09, 57877/09. 110 EGMR Entsch. Vom 27. 11. 2012, TIPP 24 AG v. Deutschland, Beschwerde-Nr. 21252/09. 111 Vgl. EuGH C-409/06 Winner Wetten GmbH v. Bürgermeistern der Stadt Bergheim; C-316/ 07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07, C-410/07 Markus Stoss u. a. v. Wetterauskreis u. a.; C46/08 Carmen Media Group Ltd. v. Schleswig-Holstein u. a.

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die Verhältnismäßigkeit betonte der Gerichtshof, dieser besondere Geschäftszweig unterliege immer großen Restriktionen, so dass kein besonderer Vertrauensschutz auf eine unbeschränkte Weiterführung des Geschäfts bestehe. Zudem werde den Betroffenen vom Gesetz eine Übergangszeit eingeräumt. Auch wenn die Problematik anders, etwa mit Erlaubnisvorbehalt statt Verbot, zu regeln gewesen wäre, so sei doch für die Beschwerdeführerin keine »excessive burden« auszumachen. Ähnlich hatte auch schon die Kommission zum Entzug der Lizenz für die Verwertung von Kalbsköpfen nach dem Auftauchen von BSE entschieden.112 Auch hier ging der Gerichtshof davon aus, es handele sich weder um eine de iure noch eine de facto Enteignung und damit nur um eine Nutzungskontrolle, da die entsprechenden Maschinen noch anderweitig verwertbar wären. Da die Betroffenen eine Teilkompensation bekommen hätten, sei auch in diesem Fall keine »excessive burden« zu beklagen. Auch die dem Fürsten von Thurn und Taxis auferlegten Beschränkungen des Eigentums an einer durch Erbfolge erworbenen, ursprünglich unter Familienfideikommiss stehenden Hofbibliothek mit Zentralarchiv sah der Gerichtshof als Nutzungsregelung an. Aber weder die Regelung zur Aufsicht der Direktionen der Bayerischen Staatsbibliothek und der Staatsarchive noch die Genehmigungspflicht von Veränderungen an Bibliothek und Archiv noch die Pflicht, beides in »geordnetem Zustand« zu erhalten, sah der Gerichtshof mit Blick auf das öffentliche Interesse am Erhalt von Kulturgut als unverhältnismäßig an. Kurz hingewiesen sei zuletzt noch auf den schwedischen Fall Gunnar Mor¦n u. a. v. Schweden,113 indem es um die Rechte von Grundstückseigentümern, auf deren Grundstücken Bodenschätze abgegraben werden, geht. In Schweden war die ursprüngliche Regelung, nach der eine »landowner rent« für Bodenschätze zu zahlen war, abgeschafft worden. Der Gerichtshof bejahte für den Beschwerdeführer ein »legitimes Interesse«, entsprechende Zahlungen zu bekommen, zu, erkannte aber bei den für Schweden wirtschaftlich wichtigen Regelungen einen weiten nationalen Ermessensspielraum an und war der Meinung, es sei ein gerechter Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen erreicht worden.

112 EKMR Entsch. vom 21. 10. 1998 Pinnacle Meat Processors Company u. a. v. Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 33298/96. 113 EGMR Entsch. vom 11. 2. 2014, Gunnar Mor¦n u. a. v. Schweden, Beschwerde-Nr. 13224/06.

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Ausblick

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Grundrechtsfragen, die Art. 1 P 1 betreffen, in die Wirtschafts- und Sozialpolitik hineinwirken und damit von großer gesellschaftlicher Relevanz sind. Die Konvention ist ein »living instrument«; auch beim Eigentumsbegriff ist eine Modernisierung zu erkennen, insbesondere, indem auch sozialrechtliche Ansprüche als eigentumsrechtlich verfestigt angesehen werden. Der Gerichtshof hat ein offenes Ohr für die Probleme der Benachteiligten, erkennt aber auch die Sorgen der Regierungen etwa bei der Notwendigkeit von Sparprogrammen oder sozialen Umverteilungsmaßnahmen, die immer auch einzelne treffen und Erworbenes nicht unangetastet lassen. Bei dem klassischen Konflikt zwischen Individual- und Gesellschaftsinteresse ist daher das Bemühen um einen gerechten Ausgleich, zugleich aber auch vorsichtige Zurückhaltung zu beobachten. Eigentum ist nicht mehr, wie nach der französischen Menschenrechtserklärung »heilig und unantastbar«, dennoch aber gegen ungerechtfertigte Übergriffe nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene geschützt.

Christoph Schreuer

Schutz gegen regulatorische Maßnahmen durch Investitionsschutzabkommen, Bonner Energiegespräche, 4. Nov 2013

Wozu internationaler Investitionsschutz? Ausländische Investitionen unterliegen speziellen Risiken. Diese ergeben sich vor allem aus den großen Summen, welche von Investoren aufgebracht werden müssen. Darüber hinaus müssen Investoren meist langfristig planen und können erst nach geraumer Zeit mit Erträgen rechnen. Das Investitionsrisiko unterscheidet sich daher grundlegend vom Risiko eines Händlers. Investitionen unterliegen zahlreichen nichtkommerziellen Risiken. Typische Risiken sind Regimewechsel oder ein Wechsel der wirtschaftspolitischen Ausrichtung des Staates, sowohl für den speziellen Wirtschaftsbereich als auch generell. Dazu kommen Risiken im Zusammenhang mit Korruption und Ineffizienz der staatlichen Verwaltung sowie verschiedene Formen des Notstandes, etwa Bürgerkriege, und wirtschaftlicher Zusammenbruch. Die traditionellen Schutzmechanismen für ausländische Investitionen haben sich als unzureichend erwiesen. Die staatlichen Gerichte des Gastgeberstaates bieten typischerweise keinen geeigneten Schutz. In vielen Staaten existieren keine unabhängigen Gerichte. Dazu kommen Fragen der Loyalität gegenüber dem beklagten Forumstaat, und vielfach Korruption. Selbst in Staaten mit einer grundsätzlich funktionierenden Gerichtsbarkeit kommt es vielfach zu endlosen Verzögerungen, Darüber hinaus sind die Gerichte an die örtliche Gesetzgebung gebunden. Sofern ein Eingriff in Investorenrechte durch gesetzgeberische Maßnahmen erfolgt, kann von den Gerichten keine Abhilfe erhofft werden. Dazu kommt, dass bisweilen die Gerichte selbst die Investorenrechte, etwa durch Rechtsverweigerung, verletzen. Bisweilen kann es auch geschehen, dass für den Investor günstige gerichtliche Urteile von der Exekutive ignoriert werden. Auch das traditionelle Mittel des diplomatischen Schutz durch den Heimatstaat des Investors ist nicht befriedigend. Es unterliegt der vorherigen Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs im Gastgeberstaat. Überdies ist es dem Ermessen des Heimatstaates anheimgestellt. Der Heimatstaat kann zu

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Lasten des Investors nicht nur auf die Ausübung des Schutzes verzichten sondern sogar auf den Anspruch selbst. Letztlich hängt der diplomatische Schutz von den Machtverhältnissen und der Tagespolitik ab. Im 20. Jhdt. wurden bei großen Auslandsinvestitionen Abkommen zwischen Investoren und Staaten abgeschlossen, die oft Schiedsklauseln und Stabilisierungsklauseln enthielten. Allerdings boten diese Abkommen nur begrenzten Schutz. Bisweilen kam es zu ihrer einseitigen Beendigung durch die Staaten oder zur mangelnder Kooperation der Staaten in von Investoren angestrengten Schiedsverfahren.

Das System des modernen Investitionsschutzes Vor etwa einem halben Jahrhundert begann die moderne Ära des Investitionsschutzes. 1959 wurde das erste bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIT) zwischen Deutschland und Pakistan abgeschlossen. Zahlreiche weitere folgten bald darauf. 1964 wurde die ICSID Konvention geschaffen. 1992 das NAFTA abgeschlossen. 1995 der Energiecharta Vertrag abgeschlossen. Die wichtigste Rechtsquelle im modernen Investitionsschutz sind bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs). Von ihnen existieren ca. 3000. Davon sind über 2000 in Kraft. Die Anzahl der von verschiedenen Staaten abgeschlossenen BITs ist sehr unterschiedlich (D-147, US-42, CH-127, NL-105, China 128). Ursprünglich wurden BITs vor allem im Nord-Süd und Ost-West Verhältnis abgeschlossen. In neuerer Zeit gibt es immer mehr auch Süd-Süd und Ost-Ost Abkommen. Zwischen westlichen Staaten gibt es bisher kaum BITs. Die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen der EU einerseits und Kanada sowie den USA könnten dies aber ändern. BITs bestehen typischerweise aus drei Teilen: 1. Definitionen (Investor, Investition). Diese Definitionen sind wichtig für den Anwendungsbereich der Verträge. 2. Bestimmungen über materielle Schutzstandards 3. Bestimmungen über die Streitbeilegung, insbes. die Schiedsgerichtsbarkeit. BITs sind keineswegs gleichförmig. Es gibt Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede. Dies macht allgemeine Aussagen schwierig. Das derzeitige System ist also bilateral und fragmentiert. Versuche einer generellen Multilateralisierung wurden mehrfach gemacht sind aber stets gescheitert. Der Energiecharta Vertrag (ECT) ist ein multilateraler Vertrag im Energiebereich, welcher such unter anderem mit Investitionsschutz befasst. Er wurde

Schutz gegen regulatorische Maßnahmen durch Investitionsschutzabkommen

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1994 unterzeichnet und trat 1998 in Kraft. Derzeit sind 46 Staaten sowie die EU Vertragsparteien. Allerdings ist Russland nicht Partei. Im ECT ist der Investitionsschutz nur einer von mehreren Bereichen. Der Teil über Investitionsschutz ist ähnlich strukturiert wie ein BITaber multilateral. Der ECT sieht die im internationalen Investitionsrecht üblichen Schutzstandards sowie die Möglichkeit einer Klage des geschädigten Investors gegen den schädigenden Staat vor einem internationalen Schiedsgericht vor. Eine wesentliche Lücke im Schutzsystem des ECT tut sich allerdings bei steuerlichen Maßnahmen auf. Diese sind, gem. Art. 21 mit wenigen Ausnahmen, vom Schutz des ECT ausgenommen. Derzeit versucht die EU die BITs der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten zu bündeln. Es laufen Verhandlungen mit Kanada, Singapur, Indien und den USA über Freihandelsabkommen mit Investitionskapiteln. Diese sollen die entsprechenden BITs ersetzen.

Materielle Bestimmungen in Investitionsschutzverträgen Der Schutz vor Enteignung war früher dominant. Eine Enteignung kann direkt oder indirekt erfolgen. Heute sind Klagen wegen einer angeblichen Enteignung selten erfolgreich. Dies ist vor allem die Folge der Enge des Enteignungsbegriffs. Der Eingriff müsste hoheitlich erfolgen und zu einer völligen oder weitergehenden Zerstörung der Investition führen. Gemäß den Bestimmungen in so gut wie allen einschlägigen Verträgen sind Enteignungen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt, welche kumulativ erfüllt sein müssen. Der Eingriff muss a) nicht diskriminierend sein, b) im öffentlichen Interesse sein, c) in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgen, d) und gegen volle, prompte und effektive Entschädigung erfolgen. Dies bedeutet, auch wenn die Enteignung im öffentlichen Interesse ist muss Entschädigung gezahlt werden. Seit etwa 10 Jahren macht sich allerdings ein wachsender Einfluss der sogenannten police powers Doktrin breit. Sie findet sich im US Model BIT 2012, Annex B: Except in rare circumstances, non-discriminatory regulatory actions by a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare objectives, such as public health, safety, and the environment, do not constitute indirect expropriations.

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Ihren Ausdruck fand die police powers Doktrin etwa auch in der Entscheidung des Schiedsgerichts in Methanex v. US.1 Dort ging es um einen Treibstoffzusatz, welcher Grundwasser gefährdete. Das Schiedsgericht sagte: as a matter of general international law, a non-discriminatory regulation for a public purpose, which is enacted in accordance with due process and, which affects, inter alios, a foreign investor or investment is not deemed expropriatory and compensable unless specific commitments had been given by the regulating government to the then putative foreign investor contemplating investment that the government would refrain from such regulation.2

Seither sind weitere Entscheidungen in diesem Sinne ergangen. Es gibt aber auch Gegenstimmen. So sagte das Schiedsgericht in Santa Elena v. Costa Rica:3 Expropriatory environmental measures – no matter how laudable and beneficial to society as a whole – are in this respect, similar to any other expropriatory measures that a state may take in order to implement its policies: where property is expropriated, even for environmental purposes, whether domestic or international, the state’s obligation to pay compensation remains.4

Letztlich geht es nicht um die Frage der Zulässigkeit der regulatorischen Maßnahme sondern um die Frage der Kostenverteilung. Wer trägt die wirtschaftlichen Kosten einer im öffentlichen Interesse ergriffenen Maßnahme – der Staat oder Investor? Der Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung (fair and equitable treatment, FET) ist derzeit der wichtigste Schutzstandard. Trotz seiner allgemeinen Formulierung ist dieser Standard von der Judikatur mit konkretem Leben erfüllt worden. Er hat von allen Standards die höchste Trefferquote. Der wichtigste Aspekt von FETsind die berechtigten Erwartungen (legitimate expectations) des Investors. Die häufigsten Anwendungsbereiche von FET sind: a) Die fundamentale Änderung der Rahmenbedingungen (allerdings ist dieses Thema umstritten). b) Rechtsstaatliche Verfahren – Rechtsverweigerung. c) Transparenz (Klarheit der Rahmenbedingungen und deren konsequente Anwendung). d) Willkürliches Vorgehen des Staates. e) Unsachliche Diskriminierung. f) Zwang und Schikane.

1 2 3 4

Methanex v. United States, Award, 3 August 2005. Part IV, Ch D, p.4, para. 7. Santa Elena v. Costa Rica, Award, 17 February 2000. Para. 72.

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In der Praxis besonders wichtig ist die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Investition. Dabei sind folgende Fragen bedeutsam: Gab es berechtigte Erwartungen zum Zeitpunkt der Investition? Gab es Zusicherungen von Seiten des Staates? Widerspricht eine wesentliche Änderung der Rechtsordnung den berechtigten Erwartungen des Investors? Einige frühe Entscheidungen bestanden noch auf der Beibehaltung des rechtlichen Rahmens. D.h. grundsätzliche Änderungen wurden als Verletzungen von FET gewertet. Dies wurde in neueren Entscheidungen jedoch relativiert. Der Staat hat das souveräne Recht seine Rechtsordnung anzupassen. Normale Anpassungen werden von der neueren Rechtsprechung also toleriert. So sagte etwa das Schiedsgericht in EDF v Romania5 : Except where specific promises or representations are made by the State to the investor, the latter may not rely on a bilateral investment treaty as a kind of insurance policy against the risk of any changes in the host State’s legal and economic framework. Such expectation would be neither legitimate nor reasonable.6

In den neuesten Entwürfen aus den Verhandlungen der EU wird versucht FET durch die Aufzählung verschiedener Elemente zu definieren. Dabei kommt die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht mehr vor. Dies macht Zusicherungen des Staates (vertraglich oder einseitig) besonders wichtig. Mit anderen Worten, der Investor kann nicht einfach auf die Unabänderlichkeit der Rechtsordnung des Zielstaates vertrauen. Der Standard voller Schutz und Sicherheit (full protection and security, FPS) bietet vorwiegend Schutz vor physischen Angriffen. Manche Schiedsgerichte haben diesen Standard aber im auch Sinne rechtlicher Sicherheit vor allem durch ein funktionierendes Gerichtssystem interpretiert. Ein weiterer Standard bietet Schutz vor willkürlicher oder diskriminierender Behandlung (arbitraty or discriminatory treatment). Die Praxis der Schiedsgerichte hat folgende Fallgruppen für »arbitrary« entwickelt: a) Handlungen die dem Investor Schaden zufügen ohne einem legitimen Zweck zu dienen. b) Maßnahmen die nicht auf rechtlichen Normen beruhen sondern auf der persönlichen Präferenz des Entscheidungsträgers. c) Maßnahmen die auf anderen Gründen beruhen als vom Entscheidungsträger vorgegeben. d) Entscheidungen die ohne ordentliches Verfahren getroffen wurden.

5 EDF v. Romania, Award, 8 October 2009. 6 At para. 217.

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Durch sog. Schirmklauseln (umbrella clauses) verpflichtet sich der Staat zur Einhaltung sonstiger übernommener Verpflichtungen insbesondere durch Verträge mit dem Investor. Eine derartige Klausel macht also die Verpflichtung aus der Abmachung mit dem Investor zu einer völkerrechtlichen Verpflichtung. Meistbegünstigungsklauseln (most favoured nation clause, MFN) ermöglichen den Rückgriff auf Rechte aus anderen völkerrechtlichen Verträgen, welche Angehörige dritter Staaten begünstigen. Sie sind Ausdruck der Idee des Diskriminierungsverbots. In ähnlicher Weise verbietet die Garantie der Inländergleichbehandlung die Ausländerdiskriminierung. Die allgemeinen Formulierungen der in den völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Schutzstandards werden durch die durch Praxis der Schiedsgerichte ausgefüllt. Die Schiedsgerichte haben also eine wichtige Funktion bei der Konkretisierung und Entwicklung der materiellen Standards.

Die Streitbeilegung im internationalen Investitionsrecht BITs enthalten meist zwei Streitbeilegungsklauseln. Eine für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien des Vertrags, also den beiden Staaten. Diese Klauseln werden selten benutzt. In der Praxis wesentlich wichtiger sind die Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit zwischen einem Investor und dem Gastgeberstaat. Diese Form der Schiedsgerichtsbarkeit bringt beiderseitige Vorteile: a) Rechtsicherheit für den Investor. b) Ein verbessertes Investitionsklima im Gastgeberstaat. c) Die Entpolitisierung des Streits.

Es gibt verschiedene Formen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Die wichtigste ist gemäß der ICSID Konvention im Rahmen der Weltbank. Diese Konvention sieht sowohl Schiedsgerichtsbarkeit als auch Ausgleichsverfahren vor. Letztere werden aber kaum benützt. Die ICSID Konvention schafft nur die institutionellen Voraussetzungen für die Schiedsgerichtsbarkeit, enthält aber keine materiellen Standards. Die ICSID Konvention enthält auch noch keine Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit. Vielmehr bietet sie einen detaillierter Rahmen für Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten durch institutionelle Unterstützung (Unterstützung bei der Auswahl der Schiedsrichter, Sekretär, Verhandlungsräume, finanzielle Abwicklung, Information). Die wichtigsten Prinzipien der Verfahren nach der ICSID Konvention sind:

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a) Die Verfahren sind in sich geschlossen und unabhängig, d. h. es gibt keine Intervention durch staatliche Gerichte. b) Nichtfrustration, d. h. die Verfahren können auch bei mangelnder Kooperation einer Partei weitergeführt werden. c) Die Verfahren münden in einen bindenden Schiedsspruch. Dieser kann in allen Mitgliedstaaten durchgesetzt werden. Die Möglichkeit einer Klage wird häufig genutzt. Derzeit (Okt 2013) sind 174 Fälle bei ICSID anhängig. Daneben gibt es aber auch andere Möglichkeiten für die Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Investor und Staat: ICC (Internationale Handelskammer), London Court of International Arbitration (LCIA), Permanent Court of Arbitration (PCA), UNCITRAL. Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit beruht immer auf einer Parteienvereinbarung zwischen dem Investor und dem Staat. Völkerrechtliche Verträge reichen dazu nicht aus. Dazu gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten: a) Eine direkte Abmachung zwischen dem Investor und dem Staat. Dies ist die traditionelle Methode einer Schiedsvereinbarung. In der Praxis ist das aber oft nicht möglich weil kein direkter Kontakt besteht. b) Ein Offert durch die Gesetzgebung des Gastgeberstaates. Hierbei ist Vorsicht vor unklaren Formulierungen geboten. Oft wird die Schiedsgerichtsbarkeit nur in Aussicht gestellt. c) Ein Offert durch völkerrechtliche Verträge, also etwa durch ein BIT, NAFTA, ECT. Etwa 34 aller Fälle beruhen auf einer Klausel in einem völkerrechtlichen Vertrag. Bei b) und c) liegt nur ein Angebot des Staates vor. Dieses muss vom Investor angenommen werden bevor eine Schiedsvereinbarung zustande kommt. Diese Annahme kann einfach durch Klageerhebung erfolgen. Bei b) aber auch bei c) kann der Staat das Offert zurücknehmen solange es noch nicht angenommen worden ist. Sobald das Offert gültig angenommen ist, ist eine Rücknahme nicht mehr möglich. Die Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit in Investitionsschutzabkommen sind sehr unterschiedlich. Nicht jeder Hinweis auf ein Schiedsgericht ist eine Unterwerfung. Dabei ist der genaue Wortlaut der entsprechenden Klausel zu beachten. Diese Klauseln können sehr unterschiedlich sein. Etwa: »may agree«, »shall consent«, »hereby consents«. Auch der Umfang der Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit ist unterschiedlich. Er reicht von »all disputes concerning investments« (d. h. alle Investitionsstreitigkeiten) über »disputes concerning the application of this treaty« (d. h. nur Verletzung des besonderen völkerrechtlichen Vertrages), bis

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hin zu engen Klauseln wie »amount of compensation for expropriation« (d. h. nur Umfang der Entschädigung bei Enteignung). Viele Verträge enthalten auch Vorbedingungen für die Einleitung von Verfahren. Diese bestehen etwa in der Einhaltung von Wartezeiten zum Zwecke von Verhandlungen. Viele Verträge verlangen auch, dass vor der Einleitung des Schiedsverfahrens der Versuch einer Rechtsverfolgung vor den staatlichen Gerichten für eine bestimmte Zeit unternommen wird. Die Rolle der staatlichen Gerichte in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist beschränkt. Das Ziel der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist es ja gerade sie zu vermeiden. So besteht im allgeneinen kein Erfordernis der Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges. Wie erwähnt gibt es aber in manchen BITs ein Erfordernis sie eine gewisse Zeit zu probieren. Derartige Bestimmungen können zu erheblichen Verzögerungen und zusätzlichen Kosten führen. Den staatlichen Gerichten verbleibt eine gewisse Rolle bei der Vollstreckung von Schiedssprüchen.

Vorausschauende Planung im internationalen Investitionsschutz Vorausschauende Planung ist oft ratsam. Die erste Frage ist nach dem Bestehen eines geeigneten Vertrags. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht u. U. die Möglichkeit dennoch durch aktive Maßnahmen Schutz zu erlangen. Zunächst ist also zu untersuchen ob ein geeigneter Vertrag zwischen Heimatstaat und Zielstaat besteht. D.h. ist ein BIT oder der Energiecharta Vertrag anwendbar? Dabei ist insbesondere die Staatszugehörigkeit des Investors oft ein Problem. Völkerrechtliche Verträge zum Investitionsschutz, insbes. BITs, schützen nur Investoren mit entsprechender Staatszugehörigkeit. Diese Frage kann insbes. bei juristischen Personen komplex sein. Eine weitere wichtige Frage ist ob das BIT einen ausreichenden materiellen Schutz bietet. Die Schutzstandards der BITs sind durchaus unterschiedlich und müssen gesondert überprüft werden. Allenfalls kann hier eine Meistbegünstigungsklausel helfen. Auch die Regelungen über die Streitbeilegung sind unterschiedlich. Hier greift eine Meistbegünstigungsklausel meist nicht. Grundsätzlich besteht auch die Gefahr der Beendigung eines bestehenden Vertrages. Eine einseitige Beendigung ist nach vielen BITs nach 10 Jahren unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist möglich. Allerdings enthalten viele BITs sog. sunset Klauseln: D.h. sie behalten für weitere 10 oder 20 Jahre für während der Geltung des BIT getätigte Investitionen ihre Gültigkeit. Allerdings besteht die Möglichkeit einer jederzeitigen einvernehmlichen Beendigung eines BIT durch beide Vertragsparteien. Dies kann auch unter Aufhebung der sunset Klauseln geschehen.

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Einen gewissen Unsicherheitsfaktor im Investitionsschutz stellen auch die Pläne der EU dar. Seit 1. Dez 2009 gilt der Lissaboner Vertrag. Sein Art. 207 überträgt ausländische Direktinvestitionen der ausschließlichen Kompetenz der EU. Dazu hat die Kommission weitreichende Pläne: Alle intra-EU BITs (etwa 190 meist zwischen alten und neuen Mitgliedern) sind zu beseitigen. Extra-EU BITs (über 1000) sollen durch von der Kommission auszuhandelnde Verträge ersetzt werden. Diesbezügliche Verhandlungen sind mit Kanada, Indien, Singapur USA und Japan im Gange. Der Ausgang dieser Verhandlungen ist noch nicht klar. Selbst im Falle eines erfolgreichen Abschlusses der Verhandlungen ist die Ratifikation dieser Verträge ungewiss. Was kann der Investor unternehmen um seine Lage zu verbessern? Falls der Investitionsschutz auf der Basis völkerrechtlicher Verträge nicht befriedigend ist, kann der Investor u. U. versuchen eine entsprechende Vereinbarung mit dem Zielstaat abzuschließen. Dabei ist insbes. auf den Schutz vor Enteignung, Schutz gegen radikale Änderungen des rechtlichen Umfeldes und den Schutz gegen erhebliche neue Steuerbelastungen (wenn möglich durch eine Stabilisierungsklausel) zu achten. Wichtig ist vor allem eine internationale Schiedsklausel. Gerichtsstandsklauseln mit der Wahl der örtlichen Gerichte aber selbst örtliche Schiedsgerichtsbarkeit sollten vermieden werden. Wenn möglich sollte ICSID Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart werden. Dies vor allem im Hinblick auf die Unabhängigkeit der ICSID Schiedsgerichte von staatlichen Gerichten, sowie aufgrund der besseren Vollstreckung von ICSID Schiedssprüchen. Falls dies nicht zielführend ist bleibt allenfalls die Möglichkeit der Schaffung einer Gesellschaftsstruktur um unter den Schutz eines für den Investor günstigen BIT zu gelangen. Man spricht in diesem Zusammenhang von nationality planning. Die Rechte von Investoren aus den entsprechenden BITs stehen nur ausländischen Investoren mit der Staatszugehörigkeit eines Vertragspartners dieser Verträge zu. Inländische Investoren sind durch Investitionsschutzabkommen überhaupt nicht begünstigt. Aber die Staatszugehörigkeit kann oft beeinflusst werden. Dies insbesondere wenn die Staatszugehörigkeit juristischer Personen durch die bloße Errichtung einer Gesellschaft im entsprechenden Staat begründet werden kann. Hier ist aber Vorsicht geboten. Die Verträge weisen unterschiedliche Bestimmungen über die Staatszugehörigkeit von Gesellschaften auf. Häufigstes Kriterium ist die Registrierung im betreffenden Staat. Der Energiecharta Vertrag etwa sieht für die Staatszugehörigkeit einer Gesellschaft einfach deren Errichtung und Registrierung im entsprechenden Staat vor. Andere Verträge verlangen verschiedene Formen einer wirtschaftlichen Nahebeziehung. Dies kann eine effektive Kontrolle durch Staatsangehörige oder tatsächliche wirtschaftliche Betätigung im betreffenden Staat sein. Ein vorausschauender Investor kann also seine Investition in einer Weise

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organisieren, die maximalen Schutz unter bestehenden völkerrechtlichen Verträgen bietet. Dies kann durch die Errichtung einer neuen Gesellschaft in einem Staat, der günstige Vertragsbeziehung mit dem Gastgeberstaat hat, geschehen. Voraussetzung ist dass die Registrierung der Gesellschaft ausreicht. Diese neue Gesellschaft tritt dann als Investor auf. Falls schon eine Tochtergesellschaft in dem Staat mit günstiger Vertragsbeziehung mit dem Gastgeberstaat besteht, kann die Investition durch die bestehende Tochtergesellschaft erfolgen. Manche Verträge enthalten sogenannte denial of benefits Klauseln. So auch Art. 17 des Energiecharta Vertrags. Unter einer derartigen Klausel behält sich der Staat vor die Vorteile aus dem Vertrag zu verweigern, falls der Investor keine wirtschaftliche Nahebeziehung zu dem Staat hat auf dessen Staatszugehörigkeit er sich berufen will. Eine wirtschaftliche Nahebeziehung ist entweder eine wesentliche wirtschaftliche Betätigung im betreffenden Staat oder Eigentum oder Kontrolle durch Staatsangehörige. Die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen ist viel schwieriger zu planen als die von juristischen Personen und eignet sich daher kaum für nationality planning. Die Einstellungen zum nationality planning sind sehr unterschiedlich. Kommentatoren, welche eine kritische und restriktive Einstellung zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einnehmen, sprechen von treaty shopping und corporations of convenience. Die Befürworter sprechen von corporate structuring und structured investments. Grundsätzlich gibt es keine rechtlichen oder ethischen Bedenken gegen die Errichtung einer Konzernstruktur, die maximalen rechtlichen Schutz bietet. Es ist weder illegal noch unangemessen sich unter den rechtlichen Schutz eines Vertrages zu begeben, welcher einen günstigen regulatorischen Rahmen gewährleistet. Dazu hat etwa das Schiedsgericht in HICEE v. Slovakei7 zum nationality planning gemeint: [It is] not unusual, nor is there anything in the least reprehensible about it; structured investments are commonplace. The purpose is to secure advantages from incorporation or operation in a particular jurisdiction; … The advantages anticipated often include the protection of particular bilateral (or other) treaties covering foreign investment.8

Nationality planning zum Zwecke des Investitionsschutzes ist heutzutage, ebenso wie die legale Steueroptimierung, eine gängige Praxis. Allerdings ist gerade die Steueroptimierung in letzter Zeit ins Schussfeld kritischer Betrachtungen gekommen. Hier wäre zu bedenken, dass steuersparende Maßnahmen 7 HICEE v. Slovakia, Partial Award, 23 May 2011. 8 At para. 103.

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die Einkünfte der öffentlichen Hand schmälern und solcherart einen Nachteil für die Allgemeinheit mit sich bringen. Bei der Optimierung des rechtlichen Schutzes für Auslandsinvestitionen ist ein derartiger Nachteil nicht erkennbar. Beim nationality planning ist der Zeitpunkt der Errichtung der entsprechenden Gesellschaftsstrukturen wichtig. Die Praxis zeigt dass vorausschauende Planung bei der Schaffung entsprechender Strukturen von den Schiedsgerichten akzeptiert wird. Ex post facto Maßnahmen werden verworfen. Dabei ist entscheidend ob die Maßnahme zum Erwerb einer günstigen Staatszugehörigkeit schon vor dem Ausbruch eines Streits oder vor dem Bekanntwerden der inkriminierten Maßnahmen des Staates gesetzt worden ist. Ein gutes Beispiel für eine verspätete und daher erfolglose Umstrukturierung war Phoenix v. Czech Republic.9 In diesem Falle existierte ein Streit zwischen dem tschechischen Staat und dem tschechischen Investor. Der Streit war in vollem Gange als der Investor eine anscheinend günstige Staatszugehörigkeit zu erwerben trachtete indem er die Investition an eine israelische Gesellschaft verkaufte, welche er nach Ausbruch des Streits eigens zu diesem Zweck errichtet hatte. Das Schiedsgericht entschied, dass es nicht für Streitigkeiten zuständig sei, die vor der angeblichen Investition entstanden waren. Überdies befand das Schiedsgericht, dass es sich hier um einen missbräuchlichen Versuch zur Erlangung des Investitionsschutzes handelte. Der Kläger hatte keine Investition zum Zwecke wirtschaftlicher Betätigung vorgenommen sondern bloß zum Zweck der klageweisen Verfolgung seines Anspruchs gegen die tschechische Republik. In einer Reihe von Fällen war die Umstrukturierung vorausschauend vorgenommen worden. Das nationality planning funktionierte daher. Besonders instruktiv ist der Fall Mobil v. Venezuela.10 In diesem Falle hatte Exxon Mobil seine Investition in Venezuela zunächst über Holding Gesellschaften in Delaware und den Bahamas getätigt. Weder mit den USA noch mit den Bahamas existierte ein geeignetes Investitionsschutzabkommen. Nachdem sich gewisse Schwierigkeiten mit dem neuen Regime abgezeichnet hatten, schuf Exxon Mobil sich eine neue Struktur indem es eine niederländische Gesellschaft in die Konzernkette einfügte. Davon informierte Mobil die Regierung Venezuelas, welche keine Einwände erhob. Als Folge der Neustrukturierung wurden die Gesellschaften in Delaware und in den Bahamas zu 100 %igen Töchtern der niederländischen Gesellschaft. Einige Zeit nach der erfolgten Umstrukturierung setzte Venezuela Enteignungsmaßnahmen. Daraufhin klagte Mobil Venezuela bei ICSID wobei es sich 9 Phoenix v. Czech Republic, Award, 15 April 2009. 10 Mobil Corp. et al. v. Bolivarian Republic of Venezuela, Decision on Jurisdiction, 10 June 2010.

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auf das BIT zwischen den Niederlanden und Venezuela berief. Das Schiedsgericht befand, dass die Umstrukturierung zulässig war. Das Schiedsgericht sagte: 204. … the aim of the restructuring of their investments in Venezuela through a Dutch holding was to protect those investments against breaches of their rights by the Venezuelan authorities by gaining access to ICSID arbitration through the BIT. The Tribunal considers that this was a perfectly legitimate goal as far as it concerned future disputes. 205. With respect to pre-existing disputes, the situation is different and the Tribunal considers that to restructure investments only in order to gain jurisdiction under a BIT for such disputes would constitute, to take the words of the Phoenix Tribunal, »an abusive manipulation of the system of international investment protection under the ICSID Convention and the BITs.«11

Eine Reihe anderer Fälle zeigen ebenfalls, dass vor dem Ausbruch eines Streits vorgenommene Umstrukturierungen, welche den Zweck haben unter den Schutz eines Investitionsschutzvertrags zu kommen, respektiert werden. Der späte Erwerb einer günstigen Staatszugehörigkeit nach Ausbruch des Streits ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Dies bedeutet dass die Maßnahmen zur Schaffung einer für den Investitionsschutz günstigen Konzernstruktur möglichst früh erfolgen sollten. Idealerweise bei der Tätigung der Investition, obwohl spätere Umstrukturierungen auch noch möglich sind sofern sie vor Ausbruch eines Streits erfolgen. Das oben Gesagte könnte man in folgender check list zum vorausschauenden Investitionsschutz zusammenfassen: 1. Besteht ein Investitionsschutzabkommen zwischen Heimatstaat des Investors und Zielstaat? (BIT, ECT). 2. Wenn ja, bietet es ausreichenden Schutz? 3. Besteht die Gefahr einer Beendigung des Abkommens? 4. Besteht die Möglichkeit der frühzeitigen Annahme eines Offerts zur Schiedsgerichtsbarkeit? 5. Ist es für den Investor aussichtsreich eine direkte Abmachung mit dem Zielstaat anzustreben, welche ausreichenden Schutz bietet? 6. Existieren günstigere Abkommen (BITs) zwischen dem Zielstaat und dritten Staaten? 7. Ist es möglich und sinnvoll die Investition über eine in einem dieser Drittstaaten errichtete Gesellschaft abzuwickeln? Alle hier gemachten Aussagen basieren auf der derzeitigen Rechtslage einschl. der Judikatur der Schiedsgerichte. Diese Rechtslage kann sich ändern. Trotz 11 At paras. 204, 205.

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dieses verbleibenden Unsicherheitsfaktors lässt sich das aus regulativen Eingriffen resultierende Risiko durch entsprechende und vor allem rechtzeitige Maßnahmen erheblich vermindern.

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Verfassungsrechtliche Grenzen und Änderungsfestigkeit des EEG

Das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) ist zentrale rechtliche Grundlage für die Energiewende1. Diese will Deutschland bei wettbewerbsfähigen Energiepreisen zu einer der energieeffizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaften der Welt machen2. Ziel ist eine umweltschonende, wirtschaftliche und sichere Energieversorgung. Teil dieses Gesamtkonzeptes ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Diese sollen bis zum Jahr 2050 den weit überwiegenden Anteil an der Stromversorgung übernehmen3. Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2000 hat das EEG zu einem bemerkenswerten Ausbau der Erneuerbaren Energien geführt. Gleichzeitig aber drohen die Kosten für diesen Ausbau ins Unzumutbare zu wachsen. Angesichts dieser Entwicklung wird nahezu einhellig eine grundlegende Reform des EEG gefordert. Will der Gesetzgeber das EEG reformieren, muss er die verfassungsrechtlichen Grenzen achten. Hierzu gehört das Vertrauensschutzprinzip. Das EEG verspricht den Betreibern von Anlagen, die Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugen, feste Vergütungssätze für einen Vergütungszeitraum von 20 Jahren. Es schafft hierdurch einen Vertrauenstatbestand. Die Anlagenbetreiber investieren in ihre Anlage in Erwartung einer festen 20jährigen Vergütung. Inwieweit das Vertrauen der Anlagenbetreiber in den Bestand des EEG schutzwürdig ist, beantwortet das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot. Grundrechte bewahren Rechtspositionen. Demokratie strebt nach dem besseren Gesetz. Ein

1 Hierzu Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745 ff. 2 So das nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima verabschiedete Energiekonzept der Bundesregierung vom 28. 9.2010. Zu finden unter http://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/ DE/Archiv17/_Anlagen/2012/02/energiekonzept-final.pdf?__blob=publicationFile& v=5 (zuletzt besucht am 27. 8.2014). 3 Siehe § 1 Abs. 2 EEG 2012. Im Folgenden beziehen sich die Angaben auf das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien in der Fassung vom 25. 10. 2008, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 20. 12. 2012 (BGBl. I S. 2730). Siehe jetzt das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz-EEG 2014) vom 21. 7. 2014 (BGBl. I S. 1066).

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Schutz des Gesetzesvertrauens verbietet deshalb nicht die Gesetzesänderung, sondern fordert den schonenden Übergang. Ich werde im Folgenden in einem ersten Schritt den Reformbedarf für das EEG erläutern, sodann den verfassungsrechtlichen Maßstab für diese Reform, das Vertrauensschutzprinzip, entwickeln, um schließlich anhand dieses Maßstabs die Grenzen zu bestimmen, die das Grundgesetz der Reform des EEG setzt.

A.

Der Reformbedarf für das EEG

Ich komme zu meinem ersten Punkt, dem Reformbedarf für das EEG.

I.

Die Ziele des EEG

Das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien setzt ehrgeizige Ziele (§ 1 EEG). Um Klima und Umwelt zu schützen4 und Energieressourcen zu schonen5, soll bis spätestens zum Jahr 2020 der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung auf 35 Prozent erhöht werden. Gestaffelt soll dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2050 auf mindestens 80 Prozent steigen (§ 1 Abs. 2 EEG). Gleichzeitig sollen die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung verringert werden (§ 1 Abs. 1 EEG). Die Zielvorgaben des EEG wurden im Laufe der Zeit immer wieder verschärft; die langfristigen Ziele bis zum Jahr 2050 wurden erst nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima festgelegt6. Das EEG definiert damit langfristige, quantifizierte Klimaschutzziele bis zum Jahr 2050. Dieser generationenübergreifende Ansatz entspricht dem Gedanken der Nachhaltigkeit, der die Umwelt nicht nur im Interesse heute lebender Menschen, sondern auch im Interesse künftiger Generationen schützt. Gleichzeitig weckt das Gesetz durch diese langfristige Perspektive die Erwartung auf andauernde Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Das EEG will Planungs- und Investitionssicherheit schaffen7. 4 Dies war das ursprüngliche Ziel des EGG 2000 verbunden mit dem Ziel »den Beitrag Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen«. So § 1 EEG vom 29. 3. 2000 (BGBl. I 2000, S. 305). Ebenso die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/2341, S. 1. 5 Siehe § 1 Abs. 1 EEG. Zur Erweiterung der Ziele des EEG durch die am 1. 1. 2009 in Kraft getretene Reform des EEG siehe BGBl. 2008, S. 2074. Siehe auch BT-Drs. 16/8148, S. 35 ff. 6 Siehe das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien vom 28. 7. 2011, BGBl. I 2011, S. 1634. Hierzu Sellner / Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011, NVwZ 2011, S. 1025 ff. (1028 f.). 7 Siehe BT-Drs. 16/8148, S. 35, 37 und 52. Siehe auch Pielow, Energierecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl. 2012, § 22 Rn. 150.

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Diesem Anspruch auf Verlässlichkeit steht der Transformationscharakter des EEG gegenüber. Ziel des EEG ist es, Erneuerbare Energien mittel- bis langfristig wettbewerbsfähig zu machen8. Die Förderung durch das EEG wird nach dieser Umbruchphase hinfällig werden. Alle am Fördersystem Beteiligten müssen sich auf diesen Transformationscharakter des EEG einstellen.

II.

Der Erfolg des EEG für den Klimaschutz

Durch das EEG ist der Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland von 6,8 Prozent im Jahr 2000 auf 20,3 Prozent im Jahr 2011 gestiegen9. Im internationalen und auch im europäischen Vergleich ist dieser Ausbau weit überdurchschnittlich10. Setzt sich die Entwicklung so fort, wird Deutschland die selbst gesteckten Klimaschutzziele erreichen, vermutlich übertreffen. Den höchsten Anteil an Erneuerbaren Energien hatte im Jahr 2011 die Windenergie (8,1 Prozent), gefolgt von der Biomasse (6,1 Prozent), der Photovoltaik (3,2 Prozent) und der Wasserkraft (3 Prozent)11.

III.

Das drohende Scheitern des EEG für eine wirtschaftliche und sichere Energieversorgung

Das EEG ist damit klimapolitisch erfolgreich, gerät aber dank dieses Erfolges finanzpolitisch an die Grenze des Scheiterns. Ein Hauptziel einer Reform muss deshalb darin liegen, die Höhe der EEG-Umlage zu begrenzen. Das EEG fördert die Erneuerbaren Energien durch ein Umlagesystem, das den Betreibern von EE-Anlagen zu Gute kommt und letztlich vom Endverbraucher getragen wird. Es verpflichtet die Netzbetreiber, EE-Anlagen vorrangig an das Netz anzuschließen (§ 5 EEG), den gesamten Strom aus diesen Anlagen abzunehmen (§ 8 EEG) und zu gesetzlich fixierten Preisen zu vergüten (§§ 16 ff. 8 Siehe die Gesetzesbegründung für das EEG 2000, BT-Drs. 14/2341, S. 1 und für das EEG 2009, BT-Drs. 16/8148 S. 26. 9 So Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie / Bundesministerium für Umwelt / Naturschutz und Reaktorsicherheit, Erster Monitoring-Bericht »Energie der Zukunft«, 2012, S. 33 f. Der Erfahrungsbericht 2011 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Erfahrungsbericht) gemäß § 65 EEG, S. 3 spricht von 6,4 Prozent im Jahr 2000 und 16,8 Prozent im Jahr 2010. 10 Siehe das Schaubild in: Erfahrungsbericht 2011 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEGErfahrungsbericht) gemäß § 65 EEG, S. 4. 11 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie / Bundesministerium für Umwelt / Naturschutz und Reaktorsicherheit, Erster Monitoring-Bericht »Energie der Zukunft«, 2012, S. 34.

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EEG). Das Gesetz begründet eine bedarfsunabhängige Abnahmepflicht und legt verbindliche Preise für die Vergütung von Strom aus Erneuerbaren Energien fest, die auf dem Markt derzeit nicht erzielbar wären12. Die Anlagenbetreiber erhalten eine feste Vergütung für einen Zeitraum von 20 Jahren zuzüglich des Jahres der Inbetriebnahme13. Die Betreiber von EEAnlagen tragen so kaum unternehmerische Risiken14. Über einen Ausgleichsmechanismus werden die Kosten für diese Förderung Erneuerbarer Energien auf die Stromverbraucher umgelegt. Die Netzbetreiber leiten den Strom aus Erneuerbaren Energien an einen Übertragungsnetzbetreiber weiter (§ 34 EEG). Dieser erstattet dem Netzbetreiber die gezahlten EEG-Vergütungen und vermarktet den Strom bestmöglich (§ 37 EEG). Zwischen den Übertragungsnetzbetreibern findet ein horizontaler Ausgleich statt, so dass die Kosten der Förderung der Erneuerbaren Energien bundesweit umgelegt werden (§ 36 EEG). Den Übertragungsnetzbetreibern werden von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) die Kosten abzüglich des an der Börse erzielten Preises erstattet (§ 37 Abs. 2 EEG). Die Differenz zwischen den an die Anlagenbetreiber gezahlten EEG-Vergütungen und dem an der Börse erzielten Preis bestimmt die Höhe der EEG-Umlage15. Diese EEG-Umlage geben die Elektrizitätsversorgungsunternehmen an die Verbraucher weiter, die letztlich die Kosten für die Förderung der Erneuerbaren Energien tragen. Im Grundsystem des EEG sind die Anlagenbetreiber Vergütungsgläubiger, die Netzbetreiber Vergütungsschuldner, die Endverbraucher Vergütungsträger. Seit dem EEG 2012 können die Anlagenbetreibern ihren Strom auch direkt vermarkten (§§ 33a ff. EEG), um so einen Anreiz zu schaffen, EE-Anlagen marktorientiert zu betreiben und Erneuerbare Energien bedarfsorientiert einzuspeisen16. Der Anlagenbetreiber erhält an der Strombörse den Marktpreis für seinen Strom. Zusätzlich bekommt er eine Markt- und eine Managementprämie, so dass er auch durch diese Direktvermarktung seines Stroms mindestens den gesetzlich festgelegten Vergütungssatz erhält. Während im Jahr 2011 nur 11 Prozent der EEG-Menge direkt vermarktet wurde17, vervierfachte sich dieser

12 Siehe Salje, EEG, 6. Aufl. 2012, Einführung Rn. 73. 13 Siehe §§ 16 ff. EEG, insbesondere § 21 Abs. 2 EEG. 14 Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Sondergutachten gemäß § 62 Abs. 1 EnWG vom 5. 9. 2013, S. 129 Ziffer 225. 15 Siehe §§ 34ff EEG i. V. m. der Ausgleichsmechanismusverordnung. Gemäß § 3 AusGlMechV prognostizieren die Übertragungsnetzbereiter die EEG- Umlage für das folgende Kalenderjahr und legen die Höhe bis zum 15. Oktober eines jeden Kalenderjahres fest. 16 Siehe die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/6071, S. 45. 17 Bundesnetzagentur / Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2012, S. 38. Siehe auch Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Sondergutachten gemäß § 62 Abs. 1 EnWG vom 5. 9. 2013, S. 131 Ziffer 229.

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Anteil der direkt vermarkteten EEG-Menge nahezu im Jahr 201218. Windenergie erzeugte dabei den größten Anteil der direkt vermarkteten Energie19. Um angesichts dieses deutlichen Anstiegs der Direktvermarktung Mitnahmeeffekte und eine Überförderung zu vermeiden, wurde die Managementprämie ab dem Jahr 2013 stärker abgesenkt als ursprünglich vorgesehen20. Seit dem Inkrafttreten des EEG ist die EEG-Umlage deutlich angestiegen. Während sie im Jahr 2000 noch 0,2 ct/kWh betrug, stieg sie im Jahr 2013 auf 5,277 ct/kWh21 und wurde Mitte Oktober für das Jahr 2014 auf 6,240 ct/kWh festgelegt22. Damit entfallen im Jahr 2013 gut 18 Prozent der Stromkosten für einen durchschnittlichen Drei-Personen-Privathaushalt auf die EEG-Umlage23. Die Einspeisevergütungen für das EEG sind von unter 1 Mrd EUR im Jahr 2000 auf über 20 Mrd. EUR im Jahr 2013 angestiegen24. Das EEG-Aufkommen übersteigt damit dasjenige des Länderfinanzausgleichs um mehr als das Doppelte25. Gründe für diesen Anstieg liegen insbesondere in der steigenden Zahl von EEAnlagen, in sinkenden, teilweise negativen Börsenpreisen und in den Ausnahmeregelungen des EEG26.

18 Etwas mehr als 43 Prozent aller erzeugten EEG-Mengen wurden im Jahr 2012 direkt vermarktet. So Bundesnetzagentur / Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2013, S. 38. Siehe auch Fraunhofer ISI / Fraunhofer IWES / BBH / IKEM, Laufende Evaluierung der Direktvermarktung von Strom aus Erneuerbaren Energien, Stand 10/2013, 1. 11. 2013, S. 7. 19 Bundesnetzagentur / Bundeskartellamt, Monitoringbericht 2013, S. 38 f. 20 Siehe Managementprämienverordnung vom 7. 11. 2012, BGBl. 2012 I, S. 2278. Siehe die Verordnungsbegründung BT Drs. 17/10571, S. 1. 21 Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Sondergutachten gemäß § 62 Abs. 1 EnWG vom 5. 9. 2013, S. 131 Abbildung 3.6. Siehe auch Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie / Bundesministerium für Umwelt / Naturschutz und Reaktorsicherheit, Erster Monitoring-Bericht »Energie der Zukunft«, 2012, S. 39. 22 Siehe http://www.netztransparenz.de/de/EEG-Umlage.htm (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). 23 Von 28,84 ct/kWh des durchschnittlichen Strompreises eines Drei-Personen-Haushalts entfallen 5,227 ct/kWh auf die EEG-Umlage. So Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., BDEW-Strompreisanalyse vom 20. November 2013, S. 6. Zu finden unter https://www.bdew.de/internet.nsf/123176ABDD9ECE5DC1257AA20040E368/$file/ 130527BDEW_Strompreisanalyse_November2013.pdf (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). 24 Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Sondergutachten gemäß § 62 Abs. 1 EnWG vom 5. 9. 2013, S. 129 Ziffer 224 und Abbildung 3.5. 25 Dieser betrug im Jahr 2012 rund 7,93 Mrd. EUR. Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745 ff. (748). Zu den Aufkommen in den einzelnen Jahren siehe http://www.netztransparenz.de/de/EEG-Umlage.htm (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). 26 Siehe Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Sondergutachten gemäß § 62 Abs. 1 EnWG vom 5. 9. 2013, S. 130 Ziffer 227.

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B.

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Das Vertrauensschutzgebot als verfassungsrechtliche Grenze für eine Reform des EEG

Angesichts dieser Kostensteigerung ist das EEG dringend reformbedürftig. Verfassungsrechtlich stellt sich die Frage, welche Grenzen der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz dem Gesetzgeber für diese Reform setzt.

I.

Die verfassungsrechtliche Herleitung des Vertrauensschutzgebots

Das Prinzip des Vertrauensschutzes ist in dem Grundsatz der Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips27 und im Speziellen in den Grundrechten verankert28. Bei der Reform des EEG wird der Gesetzgeber insbesondere die Eigentümerfreiheit und die Berufsfreiheit zu achten haben29. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentümerfreiheit ist Grundlage des Vertrauensschutzes für vermögenswerte Güter30. Daneben schützt Art. 12 GG den künftigen Erwerb31, insbesondere die unternehmerische Dispositionsfreiheit unter den derzeit geltenden, kontinuierlich zu entwickelnden Rechtsbedingungen des Energiemarktes. Die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gründet auf Vertrauen, insbesondere dem Vertrauen des Bürgers in die Rechtsordnung. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen32. Deshalb bedarf es der Rechtfertigung, wenn die öffentliche Gewalt diese gesetzliche Vertrauensgrundlage in Frage stellt und im Nachhinein belastende Rechtsfolgen an das Verhalten des Bürgers knüpft33. Rückwirkende Gesetze, die an Sachverhalte in der Vergangenheit anknüpfen, sind nur begrenzt zulässig. Dieser Kontinuitätserwartung an das Recht steht die Notwendigkeit gegenüber, das Recht fortzuentwickeln und zu erneuern. Der Bürger verlässt sich nicht nur auf den Bestand des Rechts, sondern erwartet ebenso, dass das Recht verbessert und an sich ändernde Verhältnisse angepasst wird. Zwischen diesen 27 BVerfGE 7, 87 (92). 28 BVerfGE 72, 200 (242). Hierzu Papier, Veranlassung und Verantwortung aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Löwer (Hrsg.), Veranlassung und Verantwortung, Bonner Gespräch zum Energierecht 6, 2012, S. 9 ff. (12 ff.); Kahl, Vertrauen, in: Kube / Mellinghoff / Morgenthaler / Palm / Puhl / Seiler (Hrsg.), FS-Kirchhof, Band I, 2013, S. 297 ff. (298) Rn. 4ff. 29 Hierzu Papier / Krönke, Investitionen in Erneuerbare Energien und Vertrauensschutz, REE 2012, S. 1 ff. (4). 30 BVerfGE 45, 142 (168); 53, 257 (309); 64, 87 (104). 31 Hierzu Mann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 12 Rn. 196 f. mwN. 32 BVerfGE 109, 133 (180). 33 BVerfGE 109, 133 (180); BVerfGE 127, 1 (16).

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93

Erwartungen der rechtsstaatlichen Kontinuität und der demokratischen Erneuerung steht der Gesetzgeber in seinem gesetzgeberischen Gestaltungsauftrag. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes sucht hier einen angemessenen Ausgleich. Regelt der Gesetzgeber Sachverhalte ausschließlich für die Zukunft, steht das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot nicht entgegen. Es entfaltet nur Wirksamkeit, wenn der Gesetzgeber auf Rechte einwirkt, die unter der Herrschaft des bisherigen Rechts bereits entstanden sind34. Vertrauensschutz sichert regelmäßig nicht den Bestand des alten Rechts, fordert aber schonende Übergänge zum neuen Recht, insbesondere durch Übergangsregelungen und Härteklauseln35. Der Gesetzgeber hat zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtsposition des Einzelnen einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist zwischen der echten und der unechten Rückwirkung zu unterscheiden – nach neuerer Rechtsprechung mit fließenden Übergängen.

II.

Die echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen)

Greift der Gesetzgeber in einen abgeschlossenen Sachverhalt nachträglich ändernd ein, handelt es sich um eine echte Rückwirkung. Diese Rückbewirkung von Rechtsfolgen36 ist grundsätzlich unzulässig37. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist eine solche retroaktive Rückwirkung gerechtfertigt. Der Bürger soll sich darauf verlassen können, dass der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände keine ungünstigeren Folgen knüpft als nach dem im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände geltenden Recht38.

34 Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: HStR Band IV, 3. Aufl. 2006, § 79 Rn. 75. 35 P. Kirchhof, Einleitung, in: Kirchhof (Hrsg.), EStG, 12. Aufl. 2013, Rn. 49. 36 Zur ursprünglich abweichenden Terminologie des Ersten und Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts Papier, Veranlassung und Verantwortung aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Löwer (Hrsg.), Veranlassung und Verantwortung, Bonner Gespräch zum Energierecht 6, 2012, S. 9 ff. (15). 37 BVerfGE 24, 220 (229); 30, 367 (386). 38 BVerfGE 45, 142 (168).

94 III.

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Die unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung)

Knüpft der Gesetzgeber hingegen an Tatbestände und Rechtsbeziehungen an, die zwar in der Vergangenheit begonnen, aber noch nicht abgeschlossen wurden, handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung39. Diese tatbestandliche Rückanknüpfung ist grundsätzlich zulässig40, es sei denn, die Regelung ist nicht geeignet oder nicht erforderlich oder das Bestandsinteresse überwiegt das Veränderungsinteresse41. Das Interesse der Allgemeinheit an der Gesetzesänderung ist mit dem Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen42.

IV.

Die Konkretisierung des Vertrauensschutzes durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Diese Grundsätze wendet das Bundesverfassungsgericht auch auf bisherige Änderungen des EEG an. In seiner jüngeren steuerrechtlichen Rechtsprechung stärkt es den individuellen Vertrauensschutz. 1.

Die Voraussetzung einer validen Vertrauensgrundlage

In zwei Verfahren zum EEG bekräftigte das Bundesverfassungsgericht, dass Grundvoraussetzung für den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz eine valide gesetzliche Vertrauensgrundlage ist. Es gibt keinen Vertrauensschutz, wenn sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, weil der Betroffene nicht mit dem Fortbestand der Regelung rechnen konnte. Da Strom aus kleineren EE-Anlagen höher vergütet wird, hatten die Beschwerdeführer vierzig einzelne Biomasseanlagen eines Bioenergieparks jeweils als eigenständige Anlagen dargestellt, um die höhere Vergütung für jede dieser »Kleinanlagen« zu beanspruchen. Bereits die bei Errichtung dieser Anlagen geltende Rechtslage wurde aber so verstanden, dass die Praxis des Anlagensplittings mit dieser Regelungsabsicht unvereinbar sei43. Wenn nun der Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen mehrere Anlagen für die Vergütung zu einer Anlage 39 Siehe BVerfGE 30, 367 (386). 40 So der Erste Senat BVerfGE 132, 302 (318). Nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats ist eine unechte Rückwirkung »nicht grundsätzlich unzulässig«. Siehe BVerfGE 127, 31 (47). Hierzu Desens, Echter Vertrauensschutz bei »unechten« Rückwirkungen im Steuerrecht, FR 2013, S. 148 ff. (149). 41 BVerfGE 95, 64 (86); 101, 239 (263). 42 BVerfGE 127, 31 (48). 43 Siehe BVerfGE 122, 374 (395 f).

Verfassungsrechtliche Grenzen und Änderungsfestigkeit des EEG

95

zusammengefasst werden, schärfer fasst, um ein Anlagensplitting zu verhindern, besteht kein schutzwürdiges Vertrauen, da die Anlagenbetreiber mit dieser Anordnung rechnen mussten44. Wer eine Gesetzeslücke in einem Gesetz gezielt ausnutzt, muss damit rechnen, dass diese geschlossen wird. Sein Vertrauen ist nicht geschützt, selbst wenn der Gesetzgeber die missbilligte Rechtsposition bereits eine gewisse Zeit hingenommen hat45. In einem weiteren Verfahren zu Photovoltaikanlagen bekräftigte das Bundesverfassungsgericht, dass ohne eine gefestigte Vertrauensgrundlage kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen kann46. In diesem Verfahren ging es um eine Neuregelung aus dem Jahr 2010, wonach Strom aus Photovoltaikanlagen, die auf ehemaligen Ackerflächen errichtet wurden, nur dann gesetzlich vergütet wird, wenn ein bis spätestens 25. 3. 2010 beschlossener Bebauungsplan vorliegt. Der Investor konnte sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil kein Bebauungsplan vorlag und damit eine ungesicherte Rechtslage bestand, mithin keine gesicherte Vertrauensgrundlage geschaffen wurde. 2.

Die Stärkung des individuellen Vertrauensschutzes

In drei steuerrechtlichen Entscheidungen aus dem Jahr 2010 stärkt das Bundesverfassungsgericht den individuellen Vertrauensschutz in Fällen unechter Rückwirkung47; das Gericht entwickelte diese Rechtsprechung im Jahr 2012 fort48. a) Besonders schutzwürdige Vertrauenstatbestände Hiernach ist das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand einer Regelung insbesondere schutzwürdig, wenn sie »besondere Momente der Schutzwürdigkeit« geschaffen hat49. Unter welchen Voraussetzungen solche »besonderen Momente der Schutzwürdigkeit«50. bestehen, ist bisher nicht abschließend geklärt. Jedenfalls können 44 BVerfGE 122, 374 (396). Siehe auch BVerfG v. 18. 2. 2009 – 1 BvR 3076/08. 45 Siehe BVerfGE 122, 374 (397). 46 BVerfG v. 23. 9. 2010 – 1 BvQ 28/10, NVwZ-RR 2010, 905 ff. Siehe auch den Nichtannahmebeschluss v. 27. 9. 2012 – 1 BvR 1809/12. 47 BVerfGE 127, 1; 127, 31; 127, 61. Hierzu Desens, Die neue Vertrauensschutzdogmatik des Bundesverfassungsgerichts für das Steuerrecht, StuW 2011, S. 113ff; Birk, Der Schutz vermögenswerter Positionen bei der Änderung von Steuergesetzen, FR 2011, S. 1 ff.; Musil / Lammers, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rückwirkung von Steuergesetzen am Beispiel der §§ 17, 23 EStG, BB 2011, S. 155 ff. 48 Siehe BVerfGE 132, 302. 49 BVerfGE 127, 31 (47); BVerfGE 132, 302 (319 f.). 50 Hierzu Desens, Echter Vertrauensschutz bei »unechten Rückwirkungen im Steuerrecht, FR 2013, S. 148 ff. Schönfeld / Häck, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit »unecht« rückwirkender Steuergesetze, DStR 2012, S. 1725 ff.

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»konkret verfestigte Vermögenspositionen« einen solchen Vertrauenstatbestand begründen51. Auch wer das letzte Merkmal eines besonderen Steuertatbestandes verwirklicht, genießt besonderen Vertrauensschutz52. Werden verbindliche Dispositionen im Vertrauen auf geltendes Recht getroffen, kann auch dies – allerdings nur unter besonderen Umständen – ein zeitlich begrenztes schutzwürdiges Vertrauen begründen53. Grundsätzlich ist der Bürger in seinem Vertrauen auf das zum Zeitpunkt der Disposition geltende Einkommensteuerrecht geschützt54. Diese Entscheidung gewährt Dispositionsschutz, weniger – wie die späteren Entscheidungen – den Schutz für eine konkret verfestigte Rechtsposition. Für die Reform des EEG von besonderer Bedeutung ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den »ewigen« Sozialpfandbriefen55. Der Gesetzgeber hatte 1992 die unbefristete Steuerfreiheit von Zinsen aus bestimmten, überwiegend vor dem 1. Januar 1955 ausgegebenen festverzinslichen Wertpapieren aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht würdigt die Vertrauensgrundlage und die Dispositionsbedingungen der Käufer dieser Pfandbriefe, berücksichtigt auch schutzverstärkende Äußerungen der Bundesregierung zur Fortdauer der Steuerfreiheit, kommt aber in seiner Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz der Beschwerdeführerin und dem Reformanliegen des Gesetzgebers zu dem Ergebnis, dass die mit der Aufhebung der Begünstigung verbundenen Anliegen des Gesetzgebers überwiegen. Das Anliegen des Gesetzgebers, bestimmte Lenkungseffekte zu korrigieren, sei ein wichtiger Gemeinwohlbelang. Auch das Ziel, die mit der Wiedervereinigung anfallenden enormen Kosten durch Gesetzesänderung zu bewältigen, sei ein vertretbarer Gesichtspunkt, um sich über das an sich schützenswerte Vertrauen der betroffenen Anleger hinweg zu setzen. Für Fälle, in denen die Streichung der Steuervergünstigung zu unzumutbaren Ergebnissen führen könne, verweist das Gericht auf die Ausgleichsmöglichkeit nach einfachem Recht, den zivilrechtlichen Grundsätzen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Das Gericht weist darauf

51 BVerfGE 127, 1 (21). Siehe auch BVerfGE 127, 61 (80). 52 BVerfGE 127, 31 (49 ff.). Hierzu Desens, Die neue Vertrauensschutzdogmatik des Bundesverfassungsgerichts für das Steuerrecht, StuW 2011, S. 113 ff. (120 f.). 53 BVerfGE 97, 67 (80). 54 Siehe Kirchhof, Einleitung, in: Kirchhof (Hrsg.), EStG, 12. Aufl. 2013, Rn. 51; Papier / Krönke, Investitionen in Erneuerbare Energien und Vertrauensschutz, REE 2012, S. 1 ff. (6); Desens, Die neue Vertrauensschutzdogmatik des Bundesverfassungsgerichts für das Steuerrecht, StuW 2011, S. 113 ff. (117 ff.). Zur schutzwürdigen Disposition nach der jüngsten Rechtsprechung Desens, Echter Vertrauensschutz bei »unechten« Rückwirkungen im Steuerrecht, FR 2013, S. 148 ff. (151). 55 BVerfGE 105, (17).

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97

hin, dass die neue Regelung eine Steuerbegünstigung mit exemtorischen Charakter beseitige56. b)

Der Maßstab strenger Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtliche Grenze unechter Rückwirkungen Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt in Fällen unechter Rückwirkung, in denen ein besonderer Vertrauenstatbestand ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen begründet, ein strenger Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Spezifische Gründe müssen gerade die Rückanknüpfung rechtfertigen57. In einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahr 2012 wird deutlich, wie weit dieser besondere Vertrauensschutz bei unechten Rückwirkungen reichen kann. Das Gericht hält in dieser Entscheidung an der Unterscheidung von grundsätzlich unzulässiger echter Rückwirkung und in Grenzen zulässiger unechter Rückwirkung fest, rückt die Rechtfertigung der steuerrechtlichen Fälle unechter Rückwirkung aber in die Nähe der echten Rückwirkung58. Insgesamt stärkt das Bundesverfassungsgericht das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der Rechtsordnung, insbesondere einer gesetzlich konkret verfestigten Vermögensposition. Es entwickelt einen differenzierten verfassungsrechtlichen Maßstab für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze. Rückwirkende Änderungen bedürfen eines sachlichen Grundes59. Der Gesetzgeber hat zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Einzelnen einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits abzuwägen60. Im Ergebnis stützt sich individueller Vertrauensschutz insbesondere – auf eine gesetzlich gefestigte Rechtsposition, – und auf eine individuelle Disposition, mit der das Vertrauen in das Gesetz ins Werk gesetzt worden ist. Anliegen des Gemeinwohls verfolgen insbesondere das Ziel – verfassungswidrige Regelungen zu beseitigen, – gesetzliche Begünstigungen mit exemtorischen Charakter aufzuheben61, – die missbilligte Ausnutzung einer Gesetzeslücke, von Formulierungs- und

56 57 58 59 60 61

BVerfGE 105, 17 (46). BVerfGE 127, 1 (20); 127, 31 (49); 132, 302 (320). BVerfGE 132, 302 (319) Siehe auch Leitsatz 1. BVerfGE 72, 200 (254). BVerfGE 127, 31 (48). BVerfGE 105, 17 (46).

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Systemmängeln zu beenden, selbst wenn der Gesetzgeber die missbilligte Rechtspraxis bereits eine gewisse Zeit hingenommen hat62, – ein neues, überragendes Gemeinwohlinteresse zur Wirkung zu bringen63.

C.

Die Reformvorhaben für das EEG im Lichte des Verfassungsrechts

Ich komme zu meinem dritten Punkt, den Grenzen, die diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe einer Reform des EEG setzen. Das Bundesumwelt- und das Bundeswirtschaftsministerium legten im Februar 2013 einen gemeinsamen Vorschlag für eine Reform des EEG vor64. Unabhängig davon, inwieweit dieser Vorschlag tatsächlich umgesetzt werden wird, verdeutlicht er die verfassungsrechtlichen Grenzen für eine Reform des EEG. Dieser Vorschlag legt eine Obergrenze für die EEG-Umlage fest, um so sicherzustellen, dass die Energiewende bezahlbar bleibt. Um diese Obergrenze einzuhalten, sollen insbesondere die Einspeisevergütungen reduziert und die Ausnahmeregelungen des EEG begrenzt werden.

I.

Senkung der Einspeisevergütung

Anders als in der Vergangenheit sollen nach diesem Reformvorschlag nicht nur die Einspeisevergütungen für Neuanlagen, sondern auch die Vergütungen für Bestandsanlagen gesenkt werden. 1.

Reduzierte Einspeisevergütungen für Neuanlagen

Werden für die Zukunft die Einspeisevergütungen für Neuanlagen reduziert, steht das Vertrauensschutzgebot grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings muss der Gesetzgeber Neuanlagen so definieren, dass schutzwürdiges Vertrauen nicht verletzt wird. Jedenfalls mit Beginn des Vergütungszeitraums, dem ersten Einspeisen von EE-Strom ins Netz (siehe § 21 EEG), wird ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Für Anlagen, die sich in einer fortgeschrittenen Planungsphase 62 BVerfGE 122, 374 (396). 63 BVerfGE 105, 17 (44 f.). 64 Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit / Bundesministerium für Wirtschaft, Energiewende sichern – Kosten begrenzen, Gemeinsamer Vorschlag zur Dämpfung der Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien vom 13. 2. 2013. Zu finden unter : http://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Erneuerbare_Energien/ 20130213_Eckpunktepapier_Strompreissicherung_bf.pdf (zuletzt besucht am 13. 2. 2014)

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befinden und kurz vor der Inbetriebnahme stehen, müssen angemessene Übergänge geschaffen werden65. 2.

Reduzierte Einspeisevergütung für Bestandsanlagen

Nach dem gemeinsamen Reformvorschlag des BMU und des BMWi sollen die Vergütungen für Bestandsanlagen im Jahr 2014 pauschal um 1,5 Prozent abgesenkt werden66. Anlass dieses Vorschlags ist, dass die Einspeisevergütungen für Bestandsanlagen gegenwärtig mehr als 90 Prozent der Gesamtkosten für die EEG-Umlage verursachen67. Will der Gesetzgeber die Kosten für die EEG-Umlage derzeit im Rahmen des EEG substantiell senken, muss er auch die Vergütungen für Bestandsanlagen reduzieren68. Senkt der Gesetzgeber die Einspeisevergütungen für Bestandsanlagen, handelt es sich um einen Fall unechter Rückwirkung. Mit der ersten Einspeisung beginnt der 20jährige Vergütungszeitraum. An diesen bereits begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Tatbestand knüpft der Reformvorschlag an und ordnet für das Jahr 2014 eine reduzierte Vergütung, mithin eine neue Rechtsfolge an. Bei einer solchen unechten Rückwirkung muss das Vertrauen der Anlagenbetreiber in die Fortgeltung der unverminderten Vergütung für 20 Jahre und das Interesse der Allgemeinheit an einer Reduzierung der Vergütungssätze abgewogen werden. Dabei sind an die Verhältnismäßigkeit erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn ein »besonderes Moment der Schutzwürdigkeit« besteht. Das öffentliche Interesse muss gerade die Rückanknüpfung rechtfertigen. Einen solchen besonderen Vertrauenstatbestand schafft das EEG, indem es für einen Zeitraum von 20 Jahren eine Einspeisevergütung garantiert69. Die auf 20 Jahre festgelegte Vergütung ist ein Kernelement des EEG, das »ein Höchstmaß

65 Siehe Lehnert, in: Altrock / Oschmann / Theobald (Hrsg.), EEG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 21 Rn. 47. 66 Hinzu bekommt die Abschaffung des »Gülle-Bonus«, auf den hier nicht näher eingegangen wird. 67 Von 16 Mrd. EUR EEG-Umlage insgesamt entfielen lediglich 1,5 Mrd. EUR von 16 Mrd. EUR auf Neuanlagen. So das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorisicherheit, Vorschlag zur Einführung einer Strompreis-Sicherung im EEG: Energiewende sichern – Kosten begrenzen, vom 28. 1. 2013. Zu finden unter : http://www.erneuerbare-energien.de/ fileadmin/Daten_EE/Dokumente__PDFs_/eeg_strompreissicherung_20130128_bf.pdf (zuletzt besucht am 13. 2. 2014). 68 Als Maßnahmen außerhalb des EEG-Systems werden unter anderem die Weiterentwicklung des europäischen Emissionshandels zu einem funktionsfähigen System oder die Erhebung einer CO2-Steuer in Erwägung gezogen. 69 So auch Lehnert, in: Altrock / Oschmann / Theobald (Hrsg.), EEG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 21 Rn. 42.

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an Planungssicherheit« bieten will70. Die Förderung Erneuerbarer Energien durch das EEG beruht gerade auf dieser Verlässlichkeit. Der gemeinsame Reformvorschlag des BMU und des BMWi tastet diesen Vergütungszeitraum nicht an. Reduziert werden soll nicht die Laufzeit, sondern die Höhe der Vergütung. Damit stellt sich die Frage, inwieweit auch für die Höhe der Vergütung Vertrauensschutz besteht. Das EEG schreibt konkrete Vergütungssätze fest (§§ 18 ff. EEG). Ziel ist eine angemessene Vergütung für Strom aus Erneuerbaren Energien. Diese gesetzlich fixierten Preise treten an die Stelle von Preisen, die in einem marktwirtschaftlichen System zwischen den Stromanbietern und den Nachfragern vereinbart oder an der Strombörse durch den Handel bestimmt würden. Die gesetzliche Preisintervention fördert die Erneuerbaren Energien, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Mittel- bis langfristig sollen sich die Erneuerbaren Energien auch ohne Förderung am Markt behaupten können71. Die Vergütungssätze sollen den wirtschaftlichen Betrieb von EE-Anlagen nur so lange sicherstellen, bis die Kosten für Strom aus Erneuerbaren Energien marktfähig sind72. Das EEG bereitet also als Transformationsgesetz den Übergang zu einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Preisbildung vor, sucht für den Übergang eine angemessene Vergütung gesetzlich sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren Energien zu erreichen. Das Transformationskonzept ist also auf ausgleichende Gerechtigkeit (justitia commutativa) angelegt, eine Gerechtigkeit, die in der vertraglichen Verständigung zwischen Anbieter und Nachfrager die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, den »gerechten Preis«, sichert73. Nachfrager sind hier die Stromverbraucher. Wenn nun das EEG in seinen praktischen Folgen zu Preisen führt, die für den Stromverbraucher unzumutbar sind, wird das Übergangskonzept wie das endgültige Ziel des EEG verfehlt. Die Marktfähigkeit der Erneuerbaren Energien rückt in weite Ferne. Die gesetzlich fixierten Vergütungen sind Hindernis, nicht Mittel dieses Ziels. Sie sollen die Erneuerbaren Energien in die Märkte integrieren, koppeln sie aber von den Märkten ab. Damit entsteht ein für die Gesetzesadressaten erkennbarer, als Gemeinwohlanliegen im Konzept des EEG angelegter Reformbedarf. Der Gesetzgeber darf grobe Fehlwirkungen des EEG berichtigen, dem durch das EEG begünstigten Gesetzesadressaten zumuten, dass die Vergütungssätze nach dem Ursprungskonzept des EEG verwirklicht werden können, auf das sich Gesetzgeber und Gesetzesadressaten eingelassen haben. Der Anpassungsbedarf folgt 70 71 72 73

BT-Drs. 16/8148, S. 52. So die Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/8148 S. 26. Siehe BT-Drs. 14 /2341, S. 1 und 7. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 7. Aufl. 2013, Rn. 361 ff.

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kontinuitätsbewusst dem Grundkonzept des EEG, auf dessen Verwirklichung die Gesetzesadressaten vertrauen. Die unerwartet wachsenden Kosten für die EEG-Umlage nehmen der Umlage somit ihren sachlich rechtfertigenden Grund. Dementsprechend mindert sich der Vertrauensschutz. Die Vergütungen dürfen in der Höhe verringert werden. Sie müssen einen wirtschaftlichen und zunehmend marktorientierten Betrieb von EE-Anlagen ermöglichen und die Verhältnismäßigkeit des staatlich bestimmten Strompreises für die Nachfrager sichern. Diesen Anforderungen genügt der gemeinsame Vorschlag von BMU und BMWi, wonach die Vergütungen für Bestandsanlagen nur für das Jahr 2014 um pauschal 1,5 Prozent abgesenkt werden sollen. Diese Reduktion ist im Rahmen der 20jährigen Vergütung auf ein Jahr begrenzt und in der Höhe moderat.

II.

Zurücknahme der besonderen Ausgleichsregelungen

Der deutliche Anstieg der EEG-Umlage ist auch darauf zurückzuführen, dass stromintensive Unternehmen von der EEG-Umlage weitgehend befreit sind, um so ihre »internationale und intermodale Wettbewerbsfähigkeit« zu erhalten (§ 40 S. 2 EEG). Das EEG 2012 erweitert den Kreis der privilegierten Unternehmen, so dass nun auch stromintensive mittelständische Unternehmen von den Ausnahmeregelungen profitieren können. Durch diese Befreiung energieintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage werden derzeit 16 % des gesamten Stromverbrauchs begünstigt74. Die besondere Ausgleichsregelung erhöhte im Jahr 2011 die EEG-Umlage der nicht begünstigten Unternehmen sowie der privaten Haushalte um rund 20 Prozent75. Schätzungen zufolge läge die EEGUmlage im Jahr 2013 ohne die Ausnahmeregelungen bei 4,2 ct/kWh statt bei 5,277 ct/kWh76. Der gemeinsame Reformvorschlag von BMU und BMWi will die 74 So der Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Energiewende sichern – Kosten begrenzen, Vorschlag zur Einführung einer Strompreis-Sicherung im EEG vom 28. 1. 2013. 75 Erfahrungsbericht 2011 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Erfahrungsbericht) gemäß § 64 EEG, S. 8. Zu finden unter http://www.clearingstelle-eeg.de/files/EEG_Erfahr ungsbericht_2011.pdf (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). 76 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit / Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Hintergrundinformationen zur Besonderen Ausgleichsregelung, Antragsverfahren 2013 auf Begrenzung der EEG-Umlage 2014, Stand: 15. 10. 2013, S. 11. Zu finden unter http://www.erneuerbare-energien.de/fileadmin/Daten_EE/Dokumen te__PDFs_/hintergrundpapier_besar_bf.pdf (zuletzt besucht am 13. 2. 2014). Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Thesenpapier 6. EEG-Dialogforum »Ausnahmeregelungen im EEG« ging noch von einer Höhe der EEG-Umlage ohne die Ausgleichsregelung von 3,8 ct/kWh aus. Im Jahr 2014 belastet die besondere Ausgleichsregelung die EEG-Umlage mit 1,35 ct/kWh. Siehe Bundesministerium für Wirtschaft

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Ausnahmeregelungen des EEG zurücknehmen und Branchen, »die nicht im intensiven internationalen Wettbewerb stehen«, nicht mehr begünstigen77. Die Privilegierung stromintensiver Unternehmen durch das EEG begründet keinen besonderen Vertrauenstatbestand. Der Gesetzgeber hat für die Ausnahmeregelungen keine Laufzeit festgelegt. Bei der Abwägung von individuellem Vertrauensschutz und öffentlichem Änderungsinteressen bietet die Beseitigung einer gesetzlichen Begünstigung mit »exemptorischem Charakter«78 schon für sich genommen einen Rechtfertigungsgrund für die Neuregelung. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob die Regelung verfassungswidrig ist, sie schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen begründen kann. Seit Einführung der so genannten »neuen Wälzung« (§ 37 EEG) wird diskutiert, ob es sich bei der EEG-Umlage um eine verfassungswidrige Sonderabgabe handelt79, auch wenn die Aufkommenswirkung der EEG-Umlage zu Gunsten öffentlicher Haushalte in Frage steht80. Mit Blick auf die besondere Ausgleichsregelung in §§ 40 ff. EEG stellt sich zudem die Frage, ob diese mit den Beihilferegelungen der Europäischen Union vereinbar ist81. Die besonderen Ausgleichsregelungen müssen zudem den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügen82. Die Privilegierung

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82

und Energie/Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Hintergrundinformationen zur Besonderen Ausgleichsregelung, Antragsverfahren 2013 vom 27. 1. 2014, S. 18. Zu finden unter http://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Downloads/EEG/hinter grundinformationen_zu_besonderer_ausgleichsregelung.pdf (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit / Bundesministerium für Wirtschaft, Energiewende sichern – Kosten begrenzen, Gemeinsamer Vorschlag zur Dämpfung der Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien vom 13. 2. 2013. Siehe BVerfGE 105, 17 (46). So Manssen, Die EEG-Umlage als verfassungswidrige Sonderabgabe, DÖV 2012, S. 499 ff. Anders Gawel, Die EEG-Umlage: Preisregelung oder Sonderabgabe?, DVBl. 2013, S. 409ff; Kröger, Die EEG-Umlage ist keine Sonderabgabe, ZUR 2013, S. 480 ff. Gegen die Einordnung als Sonderabgabe auch OLG Hamm, Urt. v. 14. 5. 2013 – 19 U 180/12. Siehe bereits Kube / Palm / Seiler, Finanzierungsverantwortung für Gemeinwohlbelange – Zu den finanzverfassungsrechtlichen Maßstäben quersubventionierender Preisinterventionen, NJW 2003, S. 927 ff. Siehe Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745 ff. (747). Am 18. 12. 2013 leitete die Kommission ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland ein, um zu überprüfen, ob die den stromintensiven Unternehmen gewährte Teilbefreiung von der EEGUmlage mit EU-Beihilfevorschriften im Einklang steht. Siehe auch Große / Kachel, in: Altrock / Oschmann / Theobald (Hrsg.), EEG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 40 Rn. 32; Schlacke / Kröger, Die Privilegierung stromintensiver Unternehmen im EEG – Eine unionsrechtliche Bewertung der besonderen Ausgleichsregelung (§§40 ff. EEG), NVwZ 2013, S. 313ff; Schlacke / Kröger, Zur Unionsrechtskonformität des EEG bei zunehmender Rekommunalisierung und Verstaatlichung der Elektrizitätswirtschaft, DVBl 2013, S. 401ff; Ismer / Karch, Das EEG im Konflikt mit dem Unionsrecht: Die Begünstigung der stromintensiven Industrie als unzulässige Beihilfe, ZUR 2013, S. 526 ff. Zu dieser Frage Manssen, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der EEG-Umlage und der besonderen Ausgleichsregelung des EEG, Januar 2012, S. 16 ff. Zu finden unter : http:// docs.dpaq.de/354 – 2012 – 01_eeg_gutachten_prof_manssen.pdf (zuletzt besucht am 27. 8.

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bestimmter Unternehmen führt zu einer Ungleichbehandlung gegenüber nicht privilegierten Unternehmen. Im Vergleich zu einem begünstigten Unternehmen musste etwa ein Betrieb mit 2 GWh Jahresbezug im Jahr 2011 eine Mehrbelastung in Höhe von etwa 13000 EUR aufbringen. Ein Unternehmen, das die Privilegierungsschwelle (10 GWh Jahresbezug) gerade nicht erreichte, musste zusätzliche Kosten von 50 000,– EUR pro Jahr tragen83. Eine solche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen84. Grundvoraussetzung ist mithin ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung. Ziel der besonderen Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen ist es, die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen zu erhalten (§ 40 S. 2 EEG). Dieses Kriterium begründet zwar keine Tatbestandsvoraussetzung85, benennt aber den Grund der Privilegierung. Allerdings ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit nach Einschätzung des Bundesumweltministeriums im Rahmen des EEG bisher »kein quantitatives bzw. operables Kriterium«86. Unklar ist, ob diese Wettbewerbsfähigkeit nur auf das europäische Ausland oder auch auf das außereuropäische Ausland bezogen ist. Bis zum Jahr 2004 war das Kriterium der »erheblichen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens« Tatbestandsvoraussetzung für die Privilegierung87. Dieses Kriterium wurde aufgegeben. Für die Abgrenzung begünstigter von nicht begünstigten Unternehmen entbehrte das Tatbestandsmerkmal der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines realen Bezugspunkts. Ein sachlicher, die Ungleichbehandlung legitimierender Grund war nicht erkennbar. Ungeachtet dieser Frage wurde der Anwendungsbereich der besonderen Ausgleichsregelung im Laufe der Zeit immer wieder erweitert88. Die Neurege-

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2014). Siehe auch ders., Die Verfassungsmäßigkeit von EEG-Umlage und besonderer Ausgleichsregelung im Erneuerbare Energien Gesetz, WiVerw 2011, S. 170 ff. (178 ff.). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Entwurf zum EEGErfahrungsbericht 2011, Stand: 3. 5. 2011, S. 156. Zu finden unter : http://www.clearingstelleeeg.de/files/EEG_Erfahrungsbericht_2011_Entwurf.pdf (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). BVerfGE 55, 72 (88) st. Rspr. Siehe BT-Drs. 16/8148, S. 64. Salje, EEG, 6. Aufl. 2012, § 40 Rn. 22 sieht hierin allerdings ein »geschriebenes-ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal«. So Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Thesenpapier 6. EEG-Dialogforum »Ausnahmeregelungen im EEG«, S. 3. Zu finden unter http://www.er neuerbare-energien.de/fileadmin/Daten_EE/Dokumente__PDFs_/Plattform_EE_EEG-Dia log/eeg_dialog_6_thesen_bf.pdf (zuletzt besucht am 13. 2. 2014). Siehe § 11a Abs. 2 Nr. 4 EEG 2000, eingefügt durch das erste Gesetz zur Änderung des EEG, BGBl. I 2003, S. 1459. Zur Entwicklung bis zum Jahr 2009 Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (et. al.), Vorbereitung und Begleitung der Erstellung des Erfahrungsberichts 2011 gemäß § 65 EEG – Vorhaben IV, Instrumentelle und rechtliche Weiterentwicklung im EEG,

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Charlotte Kreuter-Kirchhof

lung im Jahr 2012 öffnet die Ausnahmeregelung für kleinere und mittlere Unternehmen89. In der Folge stieg die Zahl der Unternehmen, die durch die besondere Ausgleichsregelung begünstigt werden von 734 Unternehmen im Jahr 2012 auf 1720 Unternehmen im Jahr 201390. Die Schwellenwerte werden so weit herabgesenkt91, dass sich die Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen begünstigt wird, nicht mehr am Kriterium der internationalen Wettbewerbsfähigkeit orientieren. Die von einem Unternehmen verbrauchte Strommenge ist kein geeigneter Indikator dafür, ob die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gefährdet ist92. Jedenfalls durch die Neuregelung des § 41 EEG im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber das Ziel der Ausnahmeregelung, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, aufgegeben. Die Begünstigung entbehrt zumindest insoweit eines sachlichen Grundes93.

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Juni 2011, S. 221 ff. Zu finden unter http://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/ Downloads/EEG/eeg_eb_2011_recht_bf.pdf (zuletzt besucht am 27. 8. 2014). Zur Weiterentwicklung durch das EEG 2012 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit / Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Hintergrundinformationen zur Besonderen Ausgleichsregelung, Antragsverfahren 2013 auf Begrenzung der EEG-Umlage 2014, Stand: 15. 10. 2013, S. 5 ff. BT-Drs. 17/6071, S. 46. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit / Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Hintergrundinformationen zur Besonderen Ausgleichsregelung, Antragsverfahren 2013 auf Begrenzung der EEG-Umlage 2014, Stand: 15. 10. 2013, S. 11. Das EEG 2003 privilegierte Unternehmen des produzierenden Gewerbes ab einem Stromkostenanteil von mehr als 20 Prozent an der Bruttowertschöpfung des Unternehmens und einem Stromverbrauch von mehr als 100 GWh/a an der Abnahmestelle (siehe § 11a Abs. 2 EEG 2000, eingefügt durch das erste Gesetz zur Änderung des EEG, BGBl. I 2003, S. 1459). Diese Grenzwerte wurden durch die Gesetzesänderung zum EEG 2012 auf 14 Prozent an der Bruttowertschöpfung und 1 GWh/a Stromverbrauch gesenkt (siehe § 41 Abs. 1 EEG 2012, geändert durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vom 28. 7. 2011, BGBl I 2011, S. 1634). Siehe Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (et. al.), Vorbereitung und Begleitung der Erstellung des Erfahrungsberichts 2011 gemäß § 65 EEG – Vorhaben IV, Instrumente und rechtliche Weiterentwicklung im EEG, Juni 2011, S. 255. Siehe auch Gawel / Klassert, Probleme der besonderen Ausgleichsregelung im EEG, ZUR 2013, S. 467 ff. (476). Nach Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, S. 745 ff. (746) erscheint »nicht jede einzelne der hier getroffenen Reduzierungs- und Freistellungsentscheidungen nachvollziehbar« und es sind »möglicherweise Gleichheitsverstöße bei der Einbeziehung einzelner Unternehmen bzw. Branchen zu beklagen«.

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Das Reformziel einer umweltschonenden, wirtschaftlichen und sicheren Energieversorgung

Insgesamt ist eine Reform des EEG drei Zielen verpflichtet: dem Umweltschutz, der Wirtschaftlichkeit und der Versorgungssicherheit. Misst man das EEG in seiner derzeitigen Fassung an diesen Maßstäben, liegt sein bisheriger Erfolg vor allem im Bereich des Klimaschutzes94. Dieser Erfolg wird allerdings durch wachsende Kosten für die EEG-Umlage erkauft; ein Verlust der Wirtschaftlichkeit droht. Neben dem Umweltschutz und der Wirtschaftlichkeit muss auch die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Sicherstellung der Energieversorgung als Teil der Daseinsvorsorge eine »öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung«. Sie ist für die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz heute unerlässlich95. Das EEG gibt derzeit keine überzeugende Antwort auf die Frage, wie bei einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Den Staat trifft eine Strukturverantwortung für die Versorgungssicherheit. Er muss den rechtlichen Rahmen für eine ökologisch verträgliche, ökonomisch verantwortbare und zuverlässige Energieversorgung schaffen96. Ein integriertes Reformkonzept für das EEG ist nicht nur dem Klimaschutz verpflichtet, sondern muss auch eine wirtschaftliche und sichere Energieversorgung gewährleisten. Die Energiewende wird nur gelingen, wenn sie in ein europäisches Gesamtkonzept eingebunden wird. Das Ziel, das Klimasystem der Erde zu schützen, ist eine globale Aufgabe, für die letztlich ähnliche Maßstäbe des Klimaschutzes, der Wirtschaftlichkeit und der Versorgungssicherheit entwickelt werden müssen.

94 Zu diesem Paradigmenwechsel in der Energiewirtschaft Pielow, Energierecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 3. Aufl. 2012 § 22 Rn. 5. 95 BVerfGE 66, 248 (258). 96 Hierzu Pielow, Energierecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 3. Aufl. 2012 § 22 Rn. 40.