Europäisches Energierecht: Bestand - Fortentwicklung - Umweltschutz [1 ed.] 9783428485932, 9783428085934


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Europäisches Energierecht: Bestand - Fortentwicklung - Umweltschutz [1 ed.]
 9783428485932, 9783428085934

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HANS D. JARASS

Europäisches Energierecht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 23

Europäisches Energierecht Bestand - Fortentwicklung - Umweltschutz

Von Prof. Dr. Hans D. Jarass,

LL.M.

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Jarras, Hans D.: Europäisches Energierecht : Bestand - Fortentwicklung Umweltschutz / von Hans D. Jarras. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 23) ISBN 3-428-08593-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-08593-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Gegenstand und Untersuchungsgang

11

A. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

13

I. Das primäre Energierecht

13

1. EGKS-Vertrag und EAG-Vertrag

13

2. EG-Vertrag

14

a) Anwendbarkeit des EG-Vertrags im Energiebereich

14

b) Spezielle Regelungen zum Energierecht

14

II. Das sekundäre Energierecht im weiteren Sinn (Überblick)

16

1. Allgemeines

16

2. Die einzelnen Teilbereiche

18

III. Das sekundäre Energierecht im engeren Sinn (leitungsgebundene Energiewirtschaft) 1. Transitrichtlinie für Elektrizität a) Rechtsgrundlagen, Zielsetzung, Umsetzung

20 20 20

b) Anwendungsbereich und Instrumente

21

c) Durchsetzung

22

2. Transitrichtlinie für Erdgas a) Rechtsgrundlagen, Zielsetzung, Umsetzung

23 23

b) Anwendungsbereich und Instrumente

24

c) Durchsetzung

25

3. Preistransparenz-Richtlinie

26

4. Sonstiges sekundäres Energierecht

27

B. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts I. Konzeption der Kommission

30 30

1. Grundlagen

30

2. Drei-Phasen-Konzept

30

6

Inhaltsverzeichnis II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt 1. Grundlagen

32 32

a) Entstehungsgeschichte

32

b) Gegenstand und Zentralbegriffe

33

c) Grundpflichten

34

2. Erzeugung (Produktion von Elektrizität)

36

a) Genehmigungsmodell für die Zulassung

36

b) Ausschreibungsmodell für die Zulassung

37

c) Entflechtung und sonstige Vorgaben zur Rechnungslegung

38

3. Übertragung (Elektrizitätstransport über ein HochspannungsVerbundnetz) .. a) Zulassung

39 39

b) Bestellung eines Übertragungsnetzbetreibers und dessen Pflichten

40

c) Sonstige Pflichten der Übertragungsunternehmen

42

4. Verteilung (Sonstiger Elektrizitätstransport)

43

a) Zulassung

43

b) Bestellung eines Verteilungsnetzbetreibers und dessen Pflichten

43

c) Sonstige Pflichten der Verteilungsunternehmen

44

5. Handel (Netzzugang und Direktleitungen)

44

a) Netzzugang Dritter

45

b) Recht auf Direktleitungen

48

c) Versorgungs- und Liefermonopole

49

6. Ergänzende Regelungen III. Die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt 1. Grundlagen

50 51 51

a) Entstehungsgeschichte

51

b) Gegenstand und Grundbegriffe

52

c) Grundpflichten

22

2. Erzeugung von Erdgas

53

3. Fernleitung (Erdgastransport durch Hochdruckfernleitungen)

54

a) Zulassung

54

b) Pflichten zum Fernleitungsnetzbetrieb

55

c) Sonstige Pflichten der Fernleitungsunternehmen

56

4. Verteilung (Sonstiger Erdgastransport)

56

a) Zulassung

56

b) Benennung eines Verteilungsnetzbetreibers und dessen Pflichten

57

c) Sonstige Pflichten der Verteilungsunternehmen

58

Inhaltsverzeichnis 5. Handel (Netzzugang Dritter und Direktleitungen)

58

a) Netzzugang Dritter

58

b) Recht auf Direktleitungen

60

c) Versorgungs-und Liefermonopole

61

6. Ergänzende Vorschriften

C. Ausbau des EU-Energierechts und Regelungskompetenz I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich

62

63 64

1. Einschlägige Ermächtigungen

64

2. Anwendungsbereich der Binnenmarktangleichung

65

a) Rechtsangleichung

65

b) Binnenmarkt als Gegenstand

67

3. Verhältnis zu anderen Ermächtigungen

70

a) Verhältnis zu Art.87 EGV

71

b) Verhältnis zu Art.90 Abs.3 EGV und Art. 130s EGV

72

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität 1. Grundlagen

73 73

a) Binnenmarktfinale Erforderlichkeit

73

b) Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips

74

2. Keine ausreichende Zielerreichung auf der Ebene der Mitgliedstaaten

76

a) Die erste Vorgabe des Subsidiaritätsprinzips

76

b) Anwendung

77

3. Bessere Verwirklichung auf Gemeinschaftsebene

79

4. Beurteilungsspielraum und Begründungspflicht

80

III. Relevanz fehlender Spezialkompetenz für die Energiepolitik

81

1. Auswirkung fehlender Spezialkompetenzen für Energiepolitik

81

2. Auswirkung des Art. 130s Abs.2 EGV

84

IV. Die Ausnahmeregelung des Art.90 Abs.2 EGV

85

1. Zur Bedeutung der Regelung

85

2. Voraussetzungen des Art.90 Abs.2 S. 1 EGV

87

a) Anwendungsbereich

87

b) Notwendigkeit der Ausnahmen

89

3. Schranken-Schranke des Gemeinschaftsinteresses

91

8

Inhaltsverzeichnis

D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht I. Grundrechte: Allgemeines

93 93

1. Herleitung und Bedeutung der Grundrechte

93

2. Grundrechtsfähigkeit

95

II. Die Eigentumsgewährleistung 1. Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts a) Schutzfähige Positionen

98 98 98

b) Beeinträchtigung

100

c) Schranken bzw. Rechtfertigung von Beeinträchtigungen

101

2. Beseitigung bzw. Schaffung ausschließlicher Rechte

104

a) Beseitigung ausschließlicher Rechte

104

b) Schaffung ausschließlicher Rechte im Ausschreibungsmodell

106

3. Netznutzung durch Dritte

106

a) Eigentumsbeeinträchtigung

106

b) Zulässigkeit der Beeinträchtigung

108

4. Vorgaben zur Organisation, insbesondere Funktionentrennung

111

a) Regelungen im Stromübertragungsbereich

111

b) Regelungen in anderen Bereichen

114

5. Vorgaben zu den Tätigkeiten

114

a) Abrufen von Strom

114

b) Betriebs-und Ausbaupflichten

115

c) Sonstige Bereiche

116

6. Einfluß der Grundfreiheiten

117

III. Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte

118

1. Berufsfreiheit, Handelsfreiheit, allgemeine Freiheit

118

a) Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts

118

b) Anwendung

119

2. Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit

120

a) Vorgaben des Gemeinschaftsrechts

120

b) Anwendung

122

E. Ausbau des EU-Energierechts und Umweltschutz I. Relevante Umweltschutzvorgaben des primären Rechts 1. Hohes Umweltschutzniveau

124 124 124

Inhaltsverzeichnis a) Verpflichtung der Umweltpolitik auf ein hohes Niveau

124

b) Umweltschutz in anderen Gemeinschaftspolitiken

125

2. Ressourcenschonung und Ursprungsprinzip II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

126 127

1. Allgemeines

127

2. Öffnung der Märkte und Wettbewerb

128

3. Bevorzugung umweltfreundlicher Kraftwerke durch den Übertragungsnetzbetreiber

128

a) Stromabruf

128

b) Trennungsvorgaben

131

4. Umweltschutz bei Errichtung und Betrieb von Energieanlagen

132

5. Netzzugang

133

III. Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts 1. Inhaltliche Defizite

134 134

a) Unzureichende Berücksichtigung des Umweltschutzes bei der Anlagenzulassung 134 b) Tarif-und Preisaufsicht

136

c) Eigenstromerzeugung

137

2. Die begrenzte Leistungsfähigkeit des energierechtlichen Aufsichtsinstrumentariums

137

3. Lösungsansätze

138

IV. Durchleitungsvorschlag und Umweltschutz 1. Durchleitungsvorschlag

140 140

a) Das Durchleitungsmodell

140

b) Der Gesetzentwurf zur Reform des Energiewirtschaftsrechts

140

2. Nutzung des umweltpolitischen Potentials des EG-Rechts

141

a) Öffnung der Märkte

141

b) Bevorzugung umweltfreundlicher Kraftwerke

142

c) Umweltschutz bei Errichtung und Betrieb von Anlagen

143

d) Netzzugang

144

V. Poolvorschlag und Umweltschutz 1. Der Pool Vorschlag für den Stromgroßhandel a) Poolmodell

145 145 145

b) Der Vorschlag für eine Großhandels-Strombörse

146

c) Umweltbezogene Rahmenregeln im Pool-Vorschlag

148

10

Inhaltsverzeichnis 2. Nutzung des um weltpolitischen Potentials des EG-Rechts

149

a) Öffnung der Märkte

149

b) Bevorzugung umweltfreundlicher Kraftwerke

150

c) Umweltschutz bei Errichtung und Betrieb von Energieanlagen

152

d) Netzzugang Dritter

152

F. Zusammenfassung

155

Einleitung: Gegenstand und Untersuchungsgang Das Recht der leitungsgebundenen Energieversorgung ist in die Diskussion geraten. Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Vorschlag vorgelegt, mit dem das Energiewirtschaftsgesetz novelliert werden soll.1 Noch erheblich weitergehendere Änderungen werden die in der Europäischen Gemeinschaft vorgelegten Vorschläge zur Reform des Energiewirtschaftsrechts auslösen, sobald sie in Kraft treten. 2 Dabei stehen die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt und die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt ganz im Vordergrund. Dementsprechend hat sich eine umfangreiche Diskussion zu diesen Richtlinien entwickelt, auch und gerade in rechtlicher Hinsicht. Das hängt zum einen damit zusammen, daß die Aussagen der Richtlinien nicht selten unsicher bzw. nicht einfach zu erschließen sind, wie das im übrigen auch für viele andere Richtlinien gilt. Des weiteren ist heftig umstritten, ob die Europäische Gemeinschaft überhaupt die Kompetenz zum Erlaß der Richtlinien besitzt und ob die Richtlinien mit den materiellen Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts vereinbar sind. Schließlich stellt sich die Frage, welches umweltpolitische Potential in den Richtlinien steckt. Immerhin haben die Umweltminister des Bundes und der Länder das Thema der Energierechtsreform aufgegriffen, weil eine solche Reform auch Hindernisse für eine resourcenschonende und umweltbelastungsarme Energieerzeugung und -Verteilung beseitigen kann.3 Alle diese Fragen sind Gegenstand der folgenden Studie, die auf eine im Auftrag des Umweltbundesamtes entstandene Untersuchung zurückgeht. Der Begriff des Energierechts wird im folgenden, von Ausnahmen im Bereich der Bestandsaufnahme abgesehen, eng verstanden und auf den Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, konkret auf die Elektrizitätswirtschaft und die Gaswirtschaft, beschränkt. Es geht also um Regelungen für die in diesem Bereich tätigen Unternehmen, die Energieversorgungsunternehmen im Sinne des deutschen Rechts, unter Einbeziehung der Regelungen für die Beziehungen dieser Unternehmen zu Dritten. Angesichts der Ausgangslage und der zu diskutierenden Vorschläge wird dabei der Elektrizitätswirtschaft besonderes Gewicht zukommen. Im einzelnen werden im ersten Teil der Studie (Teil A) die Gehalte des primären EU-Energierechts dargestellt. Dem folgt ein Überblick über das sekundäre EUEnergierecht im weiteren Sinne. Eine nähere Untersuchung erfährt dann das sekun-

1 DazuuntenE.IV. 1. 2 Dazu unten E. IV. 2. 3

Vgl. den Bericht der 40.Umweltministerkonferenz am 5.16. 5. 1993 in Luxemburg.

12

Einleitung: Gegenstand und Untersuchungsgang

dare Energierecht im engeren Sinne, also das Recht der leitungsgebundenen Energiewirtschaft. Im zweiten Teil der Untersuchung (Teil B) wird der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts näher dargestellt. Sowohl die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt werden in voller Breite analysiert. Im dritten und vierten Teil der Studie (Teile C und D) geht es um die Vereinbarkeit der beiden Richtlinien mit primärem Recht. Insoweit stellen sich zunächst Fragen der Regelungskompetenz. Dabei geht es nicht nur um die Auslegung der einschlägigen Kompetenznormen, sondern auch um die Fragen der Subsidiarität sowie um den Vorbehalt zugunsten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art. 90 Abs. 2 EGV. Des weiteren ist die Vereinbarkeit der Richtlinien mit den EG-Grundrechten näher zu untersuchen, wobei der Eigentumsgewährleistung besonderes Gewicht zukommt. Im fünften und letzten Teil der Studie (Teil F) geht es dann um den Zusammenhang von Umweltschutz und dem Ausbau des Energierechts. Dazu sind die einschlägigen Umweltschutzvorgaben des primären Rechts und das umweltpolitische Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien zu erörtern. Dem folgt eine kurze Darstellung der Schwachpunkte, insbesondere ökologischer Art, wie sie das in Deutschland geltende Energiewirtschaftsrecht aufweist. Auf dieser Grundlage sind dann die beiden wichtigsten Vorschläge zur Reform des Energierechts in Deutschland, der Durchleitungsvorschlag und der Poolvorschlag, darzustellen und daraufhin zu überprüfen, wieweit sie die Richtlinien für den Energiebinnenmarkt umsetzen und das in diesen Richtlinien enthaltene Potential nutzen.

Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts I. Das primäre Energierecht 1. EGKS-Vertrag und EAG-Vertrag

Im primären Recht der Europäischen Union, vor allem also in den Gründungsverträgen, spielt das Energierecht eine sehr unterschiedliche Rolle. In zwei Teilbereichen gibt es umfangreiche Regelungen: Für den Teilbereich „Kohle" im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften für Kohle und Stahl (EGKSV) und für den Teilbereich „Kernenergie" im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV). Für den Kohlesektor sieht der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften für Kohle und Stahl auf der einen Seite die „Schaffung, Aufrechterhaltung und Beachtung normaler Wettbewerbsbedingungen" vor. 1 Auf der anderen Seite ermächtigt der Vertrag zu Quoten- und Verteilungssystemen und enthält damit weitreichende Interventionsbefugnisse und Interventionsinstrumente.2 Umfangreiche Regelungen und Ermächtigungen finden sich auch im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft. 3 Gleichwohl haben die beiden Verträge nur eine begrenzte Bedeutung zu gewinnen vermocht, nicht zuletzt deshalb, weil die Verträge zu Zeiten formuliert wurden, als die Energieträger Kohle und Kernenergie knapp waren. 4 Angesichts des Überschusses an Kohle, der entgegen der ursprünglichen Erwartungen in der Folge das Problem war, konnten die an der Knappheit orientierten Instrumente des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl nicht sinnvoll eingesetzt werden.5 Dies führte dazu, daß selbst im Kohlebereich - statt die Ermächtigungen des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu nutzen auf die allgemeinen Ermächtigungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) zurückgegriffen wurde und wird. 6 Ähnliches ι Art. 5 Abs. 2 EGKSV. Dazu Laujfer, Kohlepolitik im EG-Binnenmarkt, RdE 1993, 139. Dazu etwa Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1183 ff.; Beutler u.a., Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, 485 f.; Grunwald, in: Röttinger/Weyringer (Hg.), Handbuch der Europäischen Integration, 1981, 887 ff.; Lukes , in: Dauses (Hg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, M Rn. 12 ff. 3 Vgl. Grunwald, in: Röttinger / Weyringer (Hg.), Handbuch der Europäischen Integration, 1981, 890 ff.; Lukes , in: Dauses (Hg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, M Rn. 21 ff.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1198 ff. 4 v. Scholz, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Energiepolitik, Rn. 14. 5 Beutler u. a., Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, 487. 2

14

Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

gilt für den Kernenergiebereich. Übergreifende Regelungen wurden ausnahmslos auf den EG-Vertrag gestützt.7

2. EG-Vertrag

a) Anwendbarkeit des EG-Vertrags

im Energiebereich

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), der vor Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union als Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) bezeichnet wurde, ist im Energiebereich einschlägig, soweit nicht der EGKS-Vertrag oder der EAG-Vertrag zum Tragen kommen, wie Art. 232 EGV entnommen werden kann. Der EG-Vertrag ist daher zunächst in allen Teilbereichen der Energiewirtschaft mit Ausnahme von Kohle und Kernenergie anwendbar, insbesondere im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung. Aber auch die Teilbereiche Kohle und Kernenergie unterliegen dem EG-Vertrag, soweit der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft keine oder keine geeigneten Instrumente bereithalten.8 Insgesamt ist der EG-Vertrag in den meisten Bereichen der Energiepolitik bzw. des Energierechts anwendbar.

b) Spezielle Regelungen zum Energierecht aa) Bis zur Novellierung des EG-Vertrags durch den 1993 in Kraft getretenen Vertrag über die Europäische Union enthielt der EG-Vertrag keinerlei spezielle Normen für den Bereich des Energierechts, insbesondere keine Vorschriften, die Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft speziell für den Energiebereich festlegten. 9 Zur Anwendung kamen allerdings die allgemeinen Vorschriften und Ermächtigungen, wie das auch für die anderen Teilbereiche der Wirtschaft gilt. Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, daß der EG-Vertrag keine Ausnahmen für bestimmte Wirtschaftsbereiche kennt. 10 Die allgemeinen Vorschriften des Vertrags gelten daher auch im Energiebereich. 11 Dementsprechend 6

Ein Beispiel liefert die Verordnung 1971/83/EWG zur Gewährung einer finanziellen Unterstützung für industrielle Pilot- und für Demonstrationsvorhaben auf dem Gebiet der Verflüssigung und Vergasung fester Brennstoffe (ABl 1983 L 195/1). 7 s. unten Α. II. 2. aa). 8 Dazu oben Α. I. 1. 9 Lukes , in: Dauses (Hg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, M Rn. 45. 10 EuGH, Slg.1974, 359/370; 1987, 405/451; 1986, 1425 ff. 11 Vgl. Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 102 f.; Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 512 sowie unten C. I. 2. und C. III. 1.

I. Das primäre Energierecht

15

sind im Energiebereich zahlreiche Rechtsakte erlassen worden, gestützt vor allem auf die Ermächtigung zur Rechtsangleichung in Art. 100 EGV bzw. Art. 100a EGV sowie auf die Kompetenzergänzungsvorschrift des Art. 235 EGV. 12 Die Energiepolitik bildet demgemäß einen etablierten Sektor der speziellen EG-Politiken.13 bb) Seit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union im Jahre 1993 enthält der EG-Vertrag auch einige Normen speziell für den Energiebereich. 14 Zum einen werden nunmehr in Art. 3 lit.t EGV Maßnahmen im Bereich „Energie" ausdrücklich als konkrete Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft bezeichnet. Wie bereits der Wortlaut der Norm deutlich macht („nach Maßgabe des Vertrags"), werden damit keine Befugnisse übertragen; vielmehr kommt es insoweit auf die einschlägigen Normen (auch allgemeiner Natur) des EG-Vertrags an. 15 cc) Zum zweiten wurde durch den Vertrag über die Europäische Union in den EG-Vertrag ein „Titel XII. Transeuropäische Netze" eingefügt. Er dient der Vollendung des Binnenmarkts und der Verbesserung der grenzüberschreitenden Infrastruktur. 16 Davon werden insbesondere transeuropäische Netze der „Energieinfrastruktur" erfaßt, wie Art. 129b Abs. 1 EGV entnommen werden kann. Das Ziel dieses Titels wird in Art. 129b Abs. 1 EGV festgelegt: Die Gemeinschaft soll zum Aufbau sowie zum Ausbau transeuropäischer Netze beitragen. Wesentliche Rahmenbedingungen der Zielerreichung werden dann durch den Grundsatz des Art. 129b Abs. 2 EGV festgeschrieben: Die EG-Aktivitäten sollen „im Rahmen eines Systems offener und wettbewerbsorientierter Märkte" zum Verbund und zur Interoperationabilität der einzelstaatlichen Netze beitragen. Zudem wird der Gemeinschaft, was gerade in unserem Zusammenhang von Interesse ist, die Aufgabe übertragen, den Zugang Dritter zu diesen Netzen zu fördern. 17 Die Art und Weise, wie diese Ziele erreicht werden sollen, wird in Art. 129c EGV sowie in Art. 129d EGV näher beschrieben. Art. 129c Abs. 1 EGV bestimmt, mit welchen Instrumenten die Gemeinschaft die Ziele zu erreichen hat: Durch die Aufstellung von Leitlinien, in denen Ziele, Prioritäten und Grundzüge der notwendigen Aktionen beschrieben werden, durch die Durchführung von Aktionen zur Gewährleistung der Interoperationabilität, etwa zur Harmonisierung technischer Normen, und durch die Förderung von geeigneten Maßnahmen der Mitgliedstaaten. 18 Die Aufstellung der Leitlinien erfolgt gemäß Art. 129d Abs. 1 EGV im Mit12

Näher unten Α. II. 1. bb) und Α. II. 2. sowie Grunwald, in: Röttinger/Weyringer (Hg.), Handbuch der Europäischen Integration, 1981, 895 ff. 13 Skeptisch Lukes , in: Dauses (Hg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, M Rn. 49. 14 Zu den Versuchen, noch weitere Regelungen aufzunehmen, unten C. III. 1. aa). 15 Vgl. unten Α. II. 1. 16 Geiger, EG-Vertrag, 1993, Art. 129b Rn. 1. 17

Vgl. Tettinger, Die öffentlichen Unternehmen im primären Gemeinschaftsrecht, DVB1 1994, 92; Linkohr, Die Liberalisierung des EG-Binnenmarktes für Energie, ET 1993, 448.

16

Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

entscheidungsverfahren nach Art. 189b EGV, wobei gemäß Art. 129d Abs. 2 EGV die Zustimmung des Mitgliedstaats notwendig ist, dessen Hoheitsgebiet betroffen wird. Die anderen in Art. 129c Abs. 1 EGV vorgesehenen Maßnahmen werden durch Art. 129d Abs. 3 EGV dem Zusammenarbeitsverfahren nach Art. 189c EGV unterworfen. 19 Die Pflichten der Mitgliedstaaten werden in Art. 129c Abs. 2 EGV geregelt: Sie müssen in Zusammenarbeit mit der Kommission die einzelstaatlichen Politiken koordinieren, soweit sich diese erheblich auf die dargestellten Ziele auswirken. dd) Schließlich wird der Energiesektor in der Vorschrift des Art. 130s EGV (seit ihrer Änderung durch den Vertrag von Maastricht) angesprochen. Die Vorschrift regelt die Rechtsetzungskompetenzen des Rates im Bereich des Umweltschutzes. Für das Rechtsetzungsverfahren gilt das Verfahren der Zusammenarbeit nach Art. 189c EGV, das eine qualifizierte Mehrheit im Rat genügen läßt. Eine einstimmige Beschlußfassung ist jedoch nach Art. 130s Abs. 2, 3.SS für Rechtsakte notwendig, „welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieerzeugung erheblich berühren". Dies verdeutlicht, daß EG-Umweltrecht in gravierender Weise auf die Energiewirtschaft einwirken kann. 20 Auf die Folgen dieser Regelung für die Rechtsetzung im Energiebereich wird später einzugehen sein.21

II. Das sekundäre Ënergierecht im weiteren Sinn (Überblick) 1. Allgemeines

aa) Die Europäischen Gemeinschaften entfalteten bis zum Jahre 1967 im Energiebereich nur geringe Aktivitäten. 22 Erst Ende der sechziger Jahre führte die wachsende Bedeutung des Erdöls und damit die zunehmende Abhängigkeit von Drittstaaten zu einem konzeptionellen Ansatz der Kommission.23 Die Energiekrisen von 1973 und von 1979 führten zu weiteren Aktivitäten der Kommission. Sie formulierte energiepolitische Ziele für 1985 24 und für 1990,25 die jeweils vom Rat 18

Die Leitlinien dürften zu keiner rechtlichen Verpflichtung führen; vgl. Rambow, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 129c Rn. 2. 19 Ergänzend sieht schließlich Art. 129c Abs. 3 EGV die Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit Drittstaaten vor. 20 Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 110. 21 s. unten C. III. 2. 22 v. Scholz, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Energiepolitik, Rn. 19 ff.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1215. 23 Näher dazu v. Scholz, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Energiepolitik, Rn. 23 ff.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1216.

II. Das sekundäre Energierecht im weiteren Sinn

17

in Form einer Entschließung akzeptiert wurden. 26 Danach ergänzte die Kommission ihre Arbeiten energiepolitischer Natur durch die „Entwicklung einer Energiestrategie für die Gemeinschaft" im Jahre 1981,27 die der Rat wenig später in Form einer Entschließung verabschiedete. Zielrichtung dieser Vorschläge und Konzepte war vor allem die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Demgegenüber gewann in der folgenden Phase das Anliegen der Binnenmarktverwirklichung im Energiebereich immer größeres Gewicht. Aufbauend auf dem Weißbuch von 1985 über die „Vollendung des Binnenmarkts" folgte der Beschluß des Rats über die „Neuen energiepolitischen Ziele der Gemeinschaft für 1995" aus dem Jahre 1986.28 Zur Umsetzung dieser Ziele erstellte die Kommission das Arbeitsdokument „Der Binnenmarkt für Energie" von 1988.29 Das Dokument skizziert die Hindernisse für einen Binnenmarkt im Bereich der Energie und zeigt Möglichkeiten des schrittweisen Abbaus dieser Hindernisse auf. Im einzelnen lassen sich drei grundlegende Ziele ausmachen: (1) Transparenz der Sachverhalte zur Feststellung von Mängeln der Energieversorgung im Binnenmarkt, etwa ausreichende Kostentransparenz, (2) freies Spiel der Kräfte im Binnenmarkt zur Beseitigung dieser Mängel, etwa freier Zugang zur Stromerzeugung, und (3) Beseitigung von Wettbewerbs Verzerrungen, etwa durch Subventionen.30 Schließlich sind der 1990 erschienene Bericht der Kommission über die Fortschritte bei der Verwirklichung des Binnenmarkts 31 und der 1993 erschienene Zweite Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt 32 sowie die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß „Energie und wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt in der Gemeinschaft" von 199433 zu nennen. Aber auch in der zweiten Phase ging es nicht allein um den Binnenmarkt. Für den Bereich der Umweltpolitik ist das Dokument der Kommission „Energie und Umwelt" von 1989 zu nennen.34

24 „Gemeinschaftliche Energiepolitik - Ziele für 1985", KOM (74) 1960 endg. vom 29. 11. 1974. 25 „Energiepolitische Ziele der Gemeinschaft für 1990 und Konvergenz der einzelstaatlichen Politik", KOM (79) 316 endg. vom 14. 6. 1979. 2 6 ABl 1975 C 153/5; ABl 1980 C 149/1. 27 Dok.KOM (81) endg. vom 1.10. 1981; dazu Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1219 f. 2

« ABl 1986 C 241 /1; dazu Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1222. 9 KOM (88) 238 endg. vom 2. 5. 1988; BR-Drs.264/88. Dazu Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 37 ff.; Hancher, EC Electricity Law, 1992, 5 ff. 2

30

Hermann, Die Konzeption der EG-Kommission zur Ordnung des europäischen Strommarktes, RdE 1992, 96. 3 1 KOM (90) 124 endg. vom 18. 5. 1990. 32 KOM (93) 261 endg. vom 2. 7. 1993. 33 Mitteilung vom 14. 2. 1994, BullEU 1994, Ht.l /2, 40. 34 KOM (89) 369 endg. 2 Jarass

18

Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

bb) Die Energiepolitik der Europäischen Gemeinschaften beschränkte sich nicht auf die dargestellten Arbeiten zur Erstellung umfassender Konzepte. Sie hat in zahlreichen Rechtsakten ihren Niederschlag gefunden. 35 Das sekundäre Recht der Europäischen Union für den Energiebereich, also das aufgrund der Gemeinschaftsverträge erlassene Recht, hat einen erheblichen Umfang angenommen. Der von den Europäischen Gemeinschaften herausgegebene Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftsrechts (Stand 1. 12. 1994) führt im Bereich Energie (ohne Berücksichtigung der Änderungen) nicht weniger als 203 Rechtsakte auf. 36 Die Mehrzahl der Rechtsakte sind Einzelfallentscheidungen oder besitzen keine rechtliche Bindungswirkung. Immerhin 56 Rechtsakte sind allerdings als Verordnungen, als Richtlinien, als Allgemeine EGKS-Entscheidungen und als EGKS-Empfehlungen ergangen und damit als Rechtsakte, die in Deutschland als Rechtsvorschriften bezeichnet würden. 37

2. Die einzelnen Teilbereiche

Der Umfang des sekundären Energierechts ist in den einzelnen Teilbereichen recht unterschiedlich. Der von den Europäischen Gemeinschaften herausgegebene Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftsrechts (Stand 1. 12. 1994) unterscheidet folgende Teilbereiche: aa) Der Teilbereich „ Allgemeine Grundsätze und Programme " enthält vor allem übergreifende Rechtsakte zur Energiepolitik sowie Rechtsakte zur rationellen Energieverwendung und zur Energieeinsparung. In diesem Bereich finden sich 53 Rechtsakte,38 darunter 6 Verordnungen und 10 Richtlinien. Grundlage der Rechtsakte war durchweg der EWG- bzw. EG-Vertrag. 39 Aus jüngerer Zeit stammen insbesondere die „Entscheidung 91 /565/EWG des Rates vom 29. 10. 1991 zur Förderung der Energieeffizienz in der Gemeinschaft (Programm SAVE)" 40 , die „Entscheidung 93 /500/EWG des Rates vom 13.9.1993 zur Förderung der erneuerbaren Energieträger in der Gemeinschaft (ALTENERProgramm)" 41 und die „Richtlinie 93/76/EWG des Rates vom 13. 9. 1993 zur Begrenzung der Kohlendioxidemissionen durch effizientere Energienutzung (SAVE)". 4 2 Diese Regelungen dienen u. a. der Kohlendioxidreduzierung. Sie beziehen 35

Auch schon vor Erlaß der EEA; die Schwerpunkte lagen allerdings nicht im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft. 3 6 27 Rechtsakte wurden allerdings im Amtsblatt C publiziert. 37

Unberücksichtigt sind dabei die internationalen Abkommen. 16 Rechtsakte wurden allerdings im Amtsblatt C publiziert. 39 Ein Rechtsakt wurde auf alle drei Verträge gestützt. 40 ABl 1991 L 307/34. 38

ABl 1993 L 235/41. 42 ABl 1993 L 237/28.

II. Das sekundäre Energierecht im weiteren Sinn

19

sich aber direkt auf die Energieeinsparung beim Verbraucher von Energie und setzen weder bei der (im Rahmen dieser Studie allein interessierenden) Elektrizitätsund Gaswirtschaft noch bei deren Beziehungen zu den Energieverbrauchern an. Sie werden daher im folgenden nicht näher behandelt. bb) Der Teilbereich „Kohle" enthält vor allem Vorgaben zur Förderung der Kohleindustrie, zu den Preisen und Verkaufsbedingungen und zu den Kohleerzeugnissen. Er umfaßt 32 Rechtsakte, darunter 4 Allgemeine Entscheidungen, also Rechtsakte, die im Bereich des EG-Vertrags als Verordnungen bezeichnet werden. EGKS-Empfehlungen, die den Richtlinien des EG-Vertrags entsprechen, fehlen völlig. Die Rechtsgrundlage bilden überwiegend die Ermächtigungen des EGKSVertrags, daneben auch die des EWG- bzw. EG-Vertrags. cc) Der Teilbereich „Elektrizität" umfaßt 7 Rechtsakte, darunter 2 Richtlinien und keine Verordnung. 43 Die Rechtsakte wurden ausnahmslos auf den EWG- bzw. EG-Vertrag gestützt. Auf den Inhalt der Rechtsakte wird an späterer Stelle näher einzugehen sein. 44 dd) Der Teilbereich „Kernenergie " enthält insbesondere Vorgaben zur Brennstoffversorgung, zu gemeinsamen Kraftwerken und Unternehmen, zur Sicherheitskontrolle und zur Kernforschung. Er enthält 91 Rechtsakte,45 darunter 11 Verordnungen und 1 Richtlinie. Die Rechtsgrundlage bildete ganz überwiegend der EAGVertrag, in einzelnen Fällen auch der EWG- bzw. EG-Vertrag. ee) Der Teilbereich „Kohlenwasserstoffe" umfaßt 16 Rechtsakte,46 darunter 6 Verordnungen und 4 Richtlinien. Rechtsgrundlage war immer der EWG- bzw. EGVertrag. Gegenständlich betrifft der Teilbereich vor allem Erdöl, aber auch Gas und enthält insbesondere Vorgaben zur Versorgung und zu den Beständen, zum innergemeinschaftlichen Handel und zur Ein- und Ausfuhr. Die im Mai 1994 erlassene Richtlinie über die Erteilung und Nutzung von Genehmigungen zur Prospektion, Exploration und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen geht darüber hinaus und erfaßt auch die Gewinnung.47 ff) Der Teilbereich „Andere Energiequellen " enthält lediglich 4 Rechtsakte zur Abwärmenutzung und zur Forschung und Entwicklung im Bereich der nicht nuklearen Energien. 48 Verordnungen oder Richtlinien fehlen. Die Rechtsakte fanden ihre Grundlage im EWG- bzw. EG-Vertrag.

43 Ein Rechtsakt wurde allerdings im Amtsblatt C publiziert. Aus dem Allgemeinen Bereich kann man noch einige andere Rechtsakte hinzurechnen, die im Bereich der Elektrizität einen Anwendungsschwerpunkt aufweisen; näher dazu unten A. III. 4. 44 Dazu unten A. III. 1.-3. 45 7 Rechtsakte wurden allerdings im Amtsblatt C publiziert. 46 47 48

2*

Keiner der Rechtsakte wurde im Amtsblatt C publiziert. Näher unten A. III. 4. aa). Keiner der Rechtsakte wurde im Amtsblatt C publiziert.

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Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

I I I . Das sekundäre Energierecht im engeren Sinn (leitungsgebundene Energiewirtschaft) 1. Transitrichtlinie für Elektrizität

a) Rechtsgrundlagen, Zielsetzung, Umsetzung aa) Näherer Betrachtung bedürfen die Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft. Insoweit ist zunächst die „Richtlinie 90/547/EWG des Rates vom 29. 10. 1990 über den Transit von Elektrizitätslieferungen über große Netze" 49 , im folgenden kurz Elektrizitätstransit-Richtlinie (E1TR) zu nennen, die auf den EWGVertrag, insbesondere auf Art. 100a, gestützt wurde. Der Vorschlag der Kommission stammt vom 20. 7. 1989.50 Eine Ergänzung dazu bildet der „Beschluß 92/167/ EWG der Kommission vom 4. 3. 1992 über die Einsetzung eines Sachverständigengremiums für den Elektrizitätstransit über große Netze". 51 bb) Die Transitrichtlinie für Elektrizität verfolgt, wie Abs. 1 E1TR entnommen werden kann, das Ziel, „den Elektrizitätstransit zwischen großen Hochspannungsübertragungsnetzen" in der Gemeinschaft zu begünstigen. Sie sieht vor, daß jede für die Hochspannungsnetze zuständige Gesellschaft den Energieaustausch zwischen anderen dafür zuständigen Gesellschaften über ihr Netz erleichtern muß, vorausgesetzt, die Zuverlässigkeit des Übertragungssystems wird nicht beeinträchtigt. Die Zielsetzung ist eine Folge des Umstands, daß für Hochspannungsnetze weiterhin ein rechtliches oder tatsächliches Monopol besteht und daher der Netzbetreiber Dritte hindern kann, Elektrizität außerhalb des eigenen Netzgebiets abzusetzen. Um die daraus resultierenden Wettbewerbsbeschränkungen zu reduzieren (soweit sie nicht auf einen Mitgliedstaat beschränkt sind), ist bestimmten Gesellschaften der Zugang zum Netz zu eröffnen. Die Richtlinie dient, wie die Kommission festgehalten hat, dem Zweck, den Handelsaustausch mit Elektrizität zwischen den Netzen auf europäischer Ebene zu fördern und zu maximieren. 52 cc) Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mußte bis zum 1.7. 1991 vorgenommen werden. 53 In Deutschland erfolgte sie durch den Abschluß von entsprechenden Verträgen mit dem betroffenen Stromunternehmen. 54 Auf den Erlaß von Rechtsvorschriften und damit die übliche Form zur Umsetzung von Richtli49 ABl 1990 L 313/30. so ABl 1990 C 8/4. 51 ABl 1992 L 74/43. Das Gegenstück im Erdgasbereich wird später darzustellen sein; unten A. III. 2. 52 KOM (91) 548 endg., S. 6. 53 Zum Stand der Umsetzung Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 8. 54 BAnz 26. 10. 1991, S. 7269. Dazu Pluge, Diskussion über den europäischen Binnenmarkt für Gas und Elektrizität, RdE 1993, 171.

I I . Das sekundäre Energierecht im e e r e n Sinn

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nien wurde verzichtet. Ob darin eine ausreichende Umsetzung liegt, ist zweifelhaft, weil die Vereinbarungen den begünstigten Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten weniger gut zugänglich sein dürften als Rechtsnormen.55

b) Anwendungsbereich und Instrumente aa) Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist in doppelter Hinsicht näher eingegrenzt. Zunächst werden gemäß Art. 2 Abs. 2 E1TR nur bestimmte Netze bestimmter Elektrizitätsgesellschaften erfaßt. Die Netze werden als Hochspannungsübertragungsnetze bezeichnet; bei den Gesellschaften kann man demgemäß von Hochspannungsnetzgesellschaften sprechen. Die nähere Festlegung der Netze und der Gesellschaften erfolgt durch den Anhang zur Richtlinie. In Deutschland werden die Verbundnetze der Badenwerk AG, der Bayernwerk AG, der Berliner Kraft und Licht AG, der Energie-Versorgung Schwaben AG, der Hamburgischen Elektrizitätswerke, der Preussen-Elektra AG, der RWE Energie AG und der Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG erfaßt. Des weiteren kommt die Richtlinie auch bei diesen Netzen und Gesellschaften gemäß Art. 2 Abs. 1 E1TR nur zur Anwendung, wenn es um eine Beförderung von Elektrizität im Sinne dieser Vorschrift geht. Dazu muß der Strom in innergemeinschaftlichen, am Verbund der europäischen Hochspannungsnetze beteiligten Netzen befördert werden, mindestens eine innergemeinschaftliche Grenze überschreiten und das jeweilige Erzeugungsnetz oder das Endabnehmernetz innerhalb der Gemeinschaft liegen. bb) Hinsichtlich der Instrumente, mit denen das Richtlinienziel erreicht werden soll, werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Bestimmungen zu erlassen, die sicherstellen, daß die von der Richtlinie erfaßten Netzbetreiber, also die Hochspannungsnetzgesellschaften, bereit sind, mit jedem anderen Hochspannungsnetzbetreiber Verträge über den Stromtransit zu schließen und dabei die Vorgaben des EGVertrags in vollem Umfang zu beachten.56 Die Transitbedingungen müssen nach Art. 3 Abs. 2 E1TR „für alle betroffenen Parteien nicht diskriminierend und angemessen sein" und „dürfen keine mißbräuchlichen Vorschriften oder ungerechtfertigten Beschränkungen enthalten". Vorgeschrieben ist (nur) ein vertraglicher, auszuhandelnder Netzzugang (Negotiated Access) der Hochspannungsnetzgesellschaften, in Deutschland also der acht großen Verbundunternehmen. 57 Eine Durchlei-

55 Vgl. Lukes , in: Dauses (Hg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, M Rn. 61. 56 Gemäß Art. 3 Abs. 3 E1TR müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, daß die betreffenden Gesellschaften Vertragsverhandlungen aufnehmen, sachlich die Vorgaben der Richtlinie beachten und die Gründe für ein Scheitern der Verhandlungen der Kommission und nationalen Stellen mitteilen. 57 Zur Streitschlichtung, falls sich die Parteien über den Netzzugang nicht einigen können, unten A. III. 1. c). Soweit diese Unternehmen ihre unmittelbaren und mittelbaren Versor-

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Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

tung an alle anderen Elektrizitätsgesellschaften, die im Anhang nicht aufgeführt sind, sowie an Endverbraucher jeder Art, insbesondere an industrielle Großverbraucher, wird von der Richtlinie nicht erfaßt. 58 Insoweit kann die künftige Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt eingreifen. 59 Insgesamt sind die Wirkungen der Richtlinie recht begrenzt. Darüber hinaus darf der Stromtransit gemäß Art. 3 Abs. 2 E1TR „die Versorgungssicherheit und die Dienstleistungsqualität" nicht gefährden, „wobei insbesondere auf die Nutzung der Reservekapazitäten der Erzeugung sowie auf eine möglichst effiziente Auslastung der bestehenden Systeme zu achten ist". Auf der anderen Seite geht die Annahme zu weit, daß sich die Transitrichtlinie darauf beschränkt, ein Verfahren für die Durchsetzung der aus den Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags folgenden Durchleitungsrechte vorzusehen, zur Durchleitungsverpflichtung selbst aber keine Aussage zu treffen. 60 Dafür liefert die Richtlinie keine überzeugenden Anhaltspunkte. Die Formulierungen der Richtlinie sprechen sehr viel eher dafür, daß sie eine selbständige Durchleitungsverpflichtung festlegt, wenn auch in der milden Form der auszuhandelnden Durchleitung. 61 Wäre das anders, dann wäre auch unverständlich, daß die Richtlinie auf Art. 100a EGV und nicht auf Art. 87 EGV gestützt wurde. 62

c) Durchsetzung Die betroffenen Gesellschaften sind gemäß Art. 3 Abs. 3 E1TR zu verpflichten, die Kommission sowie die zuständigen nationalen Behörden über verschiedene, mit dem Transit zusammenhängende Fragen zu informieren. 63 Insbesondere sind die Gründe für ein Scheitern der Vertragsverhandlungen mit an der Durchleitung interessierten Unternehmen der Kommission mitzuteilen. Das ermöglicht es der gungsgebiete durch Demarkationsverträge jeweils gegenüber den anderen Verbundunternehmen gesichert haben, gewährleistet die Transitrichtlinie in Deutschland (allein) eine Durchleitung durch das Netz eines Verbundunternehmens von einer in- oder ausländischen Hochspannungsnetzgesellschaft an eine dritte Gesellschaft dieser Art. Das Versorgungsgebiet des Unternehmens, dessen Netz genutzt wird, kann nicht betroffen sein; Pluge, Diskussion über den europäischen Binnenmarkt für Gas und Elektrizität, RdE 1993, 171. 58 Vgl. Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 180 f. 59 Vgl. unten Β. II. 5. a). 60 So etwa Steinberg /Britz, Der Energieliefer- und -erzeugungsmarkt nach nationalem und europäischem Recht, 1995, 187; Stewing, Die Richtlinien-Vorschläge der EG-Kommission zur Einführung eines Third Party Access für Elektrizität und Gas, EuR 1993,45. 61 In diesem Sinne erzwingt die Richtlinie keine Durchleitung, sondern erleichtert sie nur; vgl. Hancher, EC Electricity Law, 1992, 139. 62 Zu Art. 87 EGV unten C. I. 3. a). 63 Dazu Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 8 f.

I I . Das sekundäre Energierecht im e e r e n Sinn

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Kommission, etwa wettbewerbsrechtliche Verfahren auf der Grundlage des EGVertrags einzuleiten. Können sich die betroffenen Gesellschaften über die Transitbedingungen nicht einigen, dann kann jede Gesellschaft nach Art. 3 Abs. 4 E1TR die Angelegenheit einer von der Kommission eingesetzten Schlichtungsstelle vorlegen. In der Schlichtungsstelle sind die der Richtlinie unterworfenen Gesellschaften vertreten; den Vorsitz führt die Kommission. Mangels näherer Regelung muß dem Ergebnis des Schlichtungsverfahrens keine Rechtsverbindlichkeit zukommen.64 Eine Verbindlichkeit kraft nationalen Rechts ist andererseits nicht ausgeschlossen. Das ist deshalb bedeutsam, weil die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, den gleichberechtigten Zugang der begünstigten Gesellschaften sicherzustellen. Darüber hinaus verpflichtet Art. 4 E1TR die Kommission, bei einer unberechtigten Behinderung des Transits die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Verfahren einzuleiten. Gedacht ist dabei insbesondere an Verfahren nach Art. 89 EGV zur Durchsetzung der kartellrechtlichen Vorgaben des EG-Vertrags.

2. Transitrichtlinie für Erdgas

a) Rechtsgrundlagen, Zielsetzung, Umsetzung aa) Das Gegenstück zur Elektrizitätstransit-Richtlinie bildet im Gasbereich die „Richtlinie 91 /296/EWG des Rates vom 31. 5. 1991 über den Transit von Erdgas über große Netze" 65 , im folgenden kurz als Erdgastransit-Richtlinie (GTR) bezeichnet. Sie wurde auf den EWG-Vertrag, insbesondere auf Art. 100a EWGV, gestützt. Der Vorschlag der Kommission stammt vom 20. 7. 198966 und wurde am 21.9. 1990 in geänderter Form neu vorgelegt. 67 bb) Die Richtlinie verfolgt, wie Art. 1 GTR zu entnehmen ist, das Ziel, den „Erdgastransit zwischen großen Hochdruck-Beförderungsnetzen" zu erleichtern. Sie dient nach Auffassung der Kommission dazu, den Gasaustausch zwischen Gastransportgesellschaften zu erleichtern und zu maximieren. 68 Der Kern des Regelungsziels liegt in der Förderung der Durchleitung von Erdgas in Hochdrucknetzen durch andere große Erdgasgesellschaften, genauer in der Nutzung von Hochdrucknetzen durch solche Gesellschaften. cc) Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mußte bis zum 1.1. 1992 vorgenommen sein.69 In Deutschland bereitet sie erhebliche Schwierigkeiten. 70 64

65 66 67 68

Hiiffer/Ipsen/Tettinger, ABl 1991 L 147/37. ABl 1989 C 247/6. ABl 1990 C 268/9. KOM (91) 548 endg., S. 6.

Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 48.

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Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

Zur Frage, ob im Abschluß von Verträgen mit den betroffenen Unternehmen eine zureichende Umsetzung der Richtlinie liegt, kann auf die entsprechenden Ausführungen zur Elektrizitätstransit-Richtlinie verwiesen werden. 71

b) Anwendungsbereich und Instrumente Was den Anwendungsbereich der Richtlinie angeht, so gilt sie gemäß Art. 2 GTR für die Beförderung von Erdgas durch bestimmte, im Anhang der Richtlinie im einzelnen aufgeführte Erdgasgesellschaften. 72 Es handelt sich um 43 Gesellschaften, davon 29 aus Deutschland. Sie werden im folgenden als Hochdrucknetzbetreiber bzw. Hochdrucknetzgesellschaften bezeichnet. Diese Gesellschaften werden aber nur erfaßt, soweit sie Erdgas in innergemeinschaftlichen Hochdrucknetzen befördern und dabei mindestens eine innergemeinschaftliche Grenze überschreiten. Zudem muß das jeweilige Ausgangsnetz oder das Endabnahmenetz innerhalb der Gemeinschaft liegen. 73 Hochdrucknetze im Sinne der Richtlinie sind in Deutschland Versorgungsnetze der Hochdrucknetzgesellschaften für Endverteiler und wichtige Endverbraucher. 74 Um den Austausch zwischen den Hochdrucknetzen zu erleichtern, müssen die Mitgliedstaaten Bestimmungen erlassen, die sicherstellen, daß die von der Richtlinie erfaßten Netzbetreiber bereit sind, mit jedem anderen Hochdrucknetzbetreiber Verträge über den Erdgastransit zu schließen und dabei die Vorgaben des EG-Vertrags in vollem Umfang zu beachten (auszuhandelnder Netzzugang).75 Die Transitbedingungen müssen nach Art. 3 Abs. 2 GTR „für alle betroffenen Parteien nicht diskriminierend und angemessen sein" und „dürfen keine mißbräuchlichen oder ungerechtfertigten Beschränkungen enthalten". Damit wird ermöglicht, daß jeder Hochdrucknetzbetreiber Gas durch das Netz eines anderen Hochdrucknetzbetreibers an sich selbst oder an einen dritten Hochdrucknetzbetreiber liefern kann. Es ist daher problematisch, anzunehmen, daß die Richtlinie keinen Netzzugang Dritter vorschreibe. 76 Richtig ist allerdings, daß als Dritter nur ein anderer Hochdruck-

69 Zum Stand der Umsetzung Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 9. 70 Vgl. Pluge, Diskussion über den europäischen Binnenmarkt für Gas und Elektrizität, RdE 1993, 171. 71 s. oben A. III. 1. a). 72 Dazu Eckert, in: Festschrift für Börner, 1992, 531. 73 Eckert, in: Festschrift für Börner, 1992, 529. 74 Vgl. Anhang zur Richtlinie. 75 Zur Streitschlichtung, falls sich die Gesellschaften nicht einigen können, unten A. III. 2.

c). 76 So v. Burchard, Third Party Access and European Law, EuZW 1992, 693; Eckert, Die Vorschläge der EG-Kommission zum „Third Party Access", RdE 1992, 56.

I I . Das sekundäre Energierecht im e e r e n Sinn

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netzbetreiber in Betracht kommt, 77 weshalb man in der Tat nicht von einer Verwirklichung des Common Carrier Prinzips sprechen kann. 78 Andererseits darf der Transit gemäß Art. 3 Abs. 2 GTR „die Versorgungssicherheit und die Dienstleistungsqualität" nicht gefährden, „wobei insbesondere auf die Nutzung der Reservekapazitäten der Erzeugung und der Vorratshaltung sowie auf eine möglichst effiziente Auslastung der bestehenden Systeme zu achten ist". Schließlich vermag die These, die Richtlinie sehe lediglich ein Verfahren für die nach dem EG-Vertrag bestehenden Durchleitungsrechte vor und regele diese Rechte nicht selbst, aus den gleichen Gründen wie bei der Elektrizitäts-Transitrichtlinie nicht zu überzeugen.79

c) Durchsetzung Schließlich sind die betroffenen Gesellschaften gemäß Art. 3 Abs. 3 GTR zu verpflichten, die Kommission sowie die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten über verschiedene, mit dem Transit zusammenhängende Fragen zu informieren. 80 Insbesondere sind die Gründe für ein Scheitern von Durchleitungsverhandlungen der Kommission mitzuteilen. Damit wird die Kommission in die Lage versetzt, ggf. wettbewerbsrechtliche Verfahren einzuleiten. Können sich die betroffenen Gesellschaften über die Transitbedingungen nicht einigen, dann kann jede Gesellschaft nach Art. 3 Abs. 4 GTR die Angelegenheit einer von der Kommission eingesetzten Schlichtungsstelle vorlegen. 81 In der Schlichtungsstelle sind die der Richtlinie unterworfenen Gesellschaften vertreten; den Vorsitz führt die Kommission. Was die Einzelheiten angeht, wird auf die entsprechenden Ausführungen zur Transitrichtlinie für Elektrizität verwiesen. 82 Insbesondere muß die Entscheidung der Schlichtungsstelle kraft EG-Rechts nicht verbindlich sein. 83 Des weiteren verpflichtet Art. 4 GTR die Kommission, bei unberechtigter Behinderung des Transits die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Verfahren einzuleiten. Gedacht ist dabei insbesondere an Verfahren nach Art. 89 EGV.

7v Hüffer/Ipsen/Tettingen

Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 180 f.

78 Es ist daher problematisch, wenn gesagt wird, daß die Richtlinie keinen Netzzugang Dritter regele (so v. Burchard, Third Party Access and European Law, EuZW 1992, 693; Ekkert, Die Vorschläge der EG-Kommission zum „Third Party Access", RdE 1992, 56). 79 s. oben A.III. l.b)bb). 80

Näher dazu Eckert, in: Festschrift für Börner, 1992, 533 f. sowie Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 9. 81 Die beteiligten Gesellschaften müssen sich darauf einlassen, weil sonst die Regelung keinen rechten Sinn hätte; a. A. Eckert, in: Festschrift für Börner, 1992, 535. S2 s. oben A. III. l.c). 8

3 Eckert, in: Festschrift für Börner, 1992, 535.

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Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

3. Preistransparenz-Richtlinie aa) Die dritte Regelung, die im Rahmen der ersten Stufe zur Herstellung des Binnenmarkts im Elektrizitäts- und Gasbereich erlassen wurde, 84 ist die „Richtlinie 90/377/EWG des Rates vom 29. 6. 1990 zur Einführung eines gemeinschaftlichen Verfahrens zur Gewährleistung der Transparenz und der vom industriellen Endverbraucher zu zahlenden Gas- und Strompreise", 85 im folgenden kurz als Preistransparenz-Richtlinie (PTR) bezeichnet. Der Vorschlag der Kommission stammt vom 20. 7. 1989.86 Die Richtlinie wurde auf den EWG-Vertrag, insb. auf Art. 213 EWGV, gestützt. Die Richtlinie mußte nach Art. 9 Abs. 1 PTR bis zum 1.7. 1991 umgesetzt werden. 87 Wird in einem Markt Erdgas noch eingefühlt, kommt die Richtlinie nach Art. 9 Abs. 2 PTR erst fünf Jahre nach der Markteinführung zur Anwendung. Für den Strommarkt ist an eine Umsetzung der Richtlinie durch Verträge mit den betroffenen Unternehmen gedacht.88 bb) Ziel der Richtlinie ist es, die Transparenz der Energiepreise in der Europäischen Gemeinschaft zu verbessern, um damit die Möglichkeiten eines unverfälschten Wettbewerbs zu stärken. 89 Die Transparenz soll durch die Veröffentlichung von Preisen und Preissystemen und ihre Weitergabe an möglichst viele Verbraucher erreicht werden. 90 cc) Dazu haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 1 PTR sicherzustellen, daß die Gas- und Stromversorgungsunternehmen die von ihnen verlangten Gas- und Strompreise, das Preissystem und die Verteilung der Verbraucher auf die verschiedenen Verbraucherkategorien dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften und den zuständigen nationalen Behörden mitteilen. Die Richtlinie beschränkt sich dabei auf die industriellen Endverbraucher, wie sie in den Anhängen zur Richtlinie definiert sind. Die betreffenden Daten sind jeweils, nachdem sie entsprechend der Anhänge I und II aufbereitet wurden, für die Stichtage 1. Januar und l.Juni innerhalb von zwei Monaten zu übermitteln. Soweit die Daten Geschäftsgeheimnisse beinhalten, dürfen sie vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 4 PTR nicht weitergegeben werden. Eine Veröffentlichung aggregierter Daten, aus denen keine Rückschlüsse auf individuelle Handelsgeschäfte gezogen werden können, ist jedoch möglich. Stellt das Statistische Amt bei den 84

Näher zum Drei-Stufen-Konzept unten Β. I. 2. 85 ABl 1990 L 185/16. 86 ABl 1989 C 257/7. 87 Zum Stand der Umsetzung Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 10. 88 Hermann, Die Konzeption der EG-Kommission zur Ordnung des europäischen Strommarktes, RdE 1992, 96. Zur Problematik s. oben A. III. 1. a). 89 1. Begründungserwägung der Richtlinie. 90

15. Begründungserwägung der Richtlinie.

I I . Das sekundäre Energierecht im e e r e n Sinn

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übermittelten Daten Auffälligkeiten oder Unstimmigkeiten fest, kann es nach Art. 5 PTR die Mitgliedstaaten auffordern, ihm Zugang zu den Grundlagendaten bei den Unternehmen zu verschaffen. Änderungen der Richtlinie können gemäß Art. 6 PTR von der Kommission vorgenommen werden, sofern sie technischer Art sind; zur Unterstützung ist gemäß Art. 7 PTR ein beratender Ausschuß zu schaffen. Darüber hinaus hat die Kommission gemäß Art. 8 PTR jährlich einen zusammenfassenden Bericht zu erstellen.

4. Sonstiges sekundäres Energierecht

aa) Im Bereich des Baus von Anlagen der leitungsgebundenen Energiewirtschaft sind zunächst zwei Verordnungen bedeutsam, die Mitteilungspflichten bei bestimmten Investitionsvorhaben vorsehen. Dabei handelt es sich um die „Verordnung (EWG) 1056/72 des Rates vom 18. 3. 1972 über die Mitteilung der Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse auf den Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätssektor an die Kommission". 91 Zur Durchführung dieser Verordnung ist die „Verordnung (EWG) 3025/77 der Kommission vom 23. 12. 1977 betreffend die Anwendung der Verordnung (EWG) 1056/72 des Rates über die Mitteilung der Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse auf dem Erdöl-, Erdgasund Elektrizitätssektor an die Kommission" ergangen.92 Den Informationsaustausch über die Wahl des Standorts von Kraftwerken regelt die „Entschließung des Rates vom 20. 11. 1978 über den gegenseitigen Informationsaustausch über Fragen der Standortwahl beim Bau von Kraftwerken". 93 Schließlich ist für die Vergabe von Aufträgen die „Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. 12. 1990 betreffend die Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor" bedeutsam.94 Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der Erdgaserzeugung regelt die Richtlinie 94/22/EG über die Erteilung und Nutzung von Genehmigungen zur Prospektion, Exploration und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen. 95 Die Richtlinie legt u. a. fest, daß Genehmigungen auf der Grundlage objektiver und veröffentlichter Vorgaben erteilt werden müssen. Diskriminierende Beschränkungen werden ausgeschlossen. bb) Für die Beziehungen der öffentlichen Elektrizitätsunternehmen zu den Eigenerzeugern ist die „Empfehlung 88/611 /EWG des Rates vom 8. 11. 1988 zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Elektrizitätsversorgungsun91 92 93 94

ABl ABl ABl ABl

1972 L 120/7, zuletzt geänd. am 31. 12. 1977 (ABl L 358/12). 1977 L 358/12. 1978 C 286/1. 1990 L 297/1.

95 ABl 1994 L 164/3.

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Α. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts

ternehmen und Eigenerzeugern" 96 ergangen. Diese Empfehlung spielt auch im Rahmen der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt eine Rolle. 97 cc) Das Verhältnis zu den Abnehmern, mittelbar aber auch die Struktur der Energiewirtschaft, betrifft die bereits erörterte Richtlinie 90/377/EWG zur Gewährleistung der Transparenz der vom industriellen Endverbraucher zu zahlenden Gasund Strompreise" 98. Des weiteren gehört in diesen Bereich die „Empfehlung 81/ 924/EWG des Rates vom 27. 10. 1991 betreffend die Strukturen der Elektrizitätstarife in der Gemeinschaft" 99, die für die Preisbildung im Elektrizitätsbereich bedeutsam ist. Für den Gasbereich ist auf die „Empfehlung 83/230/EWG des Rates vom 21. 4. 1983 über die Bildung der Preise und Tarife für Erdgas in der Gemeinschaft" 100 hinzuweisen. Schließlich gehört hierher die „Richtlinie 90/653/EWG des Rates vom 4. 12. 1990 zur Anpassung bestimmter Richtlinien der Gemeinschaft betreffend die Statistik des Güterverkehrs und die Statistik der Gas- und Strompreise im Hinblick auf ihre Anwendung in Deutschland".101 Am Rande wird das Verhältnis zu den Abnehmern von der „ E n t s c h e i d u n g 89 / 364/EWG des Rates vom 5. 6. 1989 für ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Erhöhung der Effizienz der Elektrizitätsverwendung" 102 betroffen. Die Entscheidung sieht insbesondere bestimmte Informationen der Verbraucher durch die Stromversorgungsunternehmen vor. 1 0 3 dd) Im sekundären EG-Recht gibt es des weiteren verschiedene Regelungen, die neben anderen Bereichen auch dem Bereich der Elektrizität zugeordnet werden können. Dazu gehört etwa die „Richtlinie 92/75/EWG des Rates vom 22. 9. 1992 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und andere Ressourcen durch Haushaltsgeräte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen" 104 und die Ausführungsregelung der „Richtlinie 94/2/EG der Kommission vom 21. 1. 1994 zur Durchführung der Richtlinie 92 / 75 / EWG betreffend die Energieetikettierung für elektrische Haushaltskühl- und -gefriergeräte sowie entsprechende Kombinationsgeräte". 105 Solche Regelungen sind jedoch nicht dem Energiewirtschaftsrecht zuzuordnen, also dem Recht, das unmittelbar die Energiewirtschaft regelt. Sie wenden sich direkt an die Hersteller von Elektrizitätsgeräten oder an den Verbraucher, nicht aber an die Erzeuger und Verteiler von Elektrizität und Gas. Auf die Regelungen wird im folgenden daher nicht näher eingegangen. 96 ABl 1988 L 335/29. 97 Dazu unten Β. II. 3. b) dd). 98 s. oben A. III. 4. aa). 99 ABl 1981 L 337/12. 100 ABl 1993 L 123/40. ιοί ABl 1990 L 353/46. 102 ABl 1989 L 157/32. i° 3 Vgl. Anhang 1, 2 der Entscheidung. 104 ABl 1992 L 297/16. los ABl 1994 L 45/1.

I I . Das sekundäre Energierecht im e e r e n Sinn

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Schließlich ist im Amtlichen Fundstellennachweis die „Richtlinie 75/339/ EWG des Rates vom 20. 5. 1975 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an fossilen Brennstoffen bei den Wärmekraftwerken zu halten" 106 dem Bereich der Elektrizitätswirtschaft zugeordnet. In der Sache ist aber primär der Erdölsektor betroffen.

106 ABl 1975 L 153/35.

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts I. Konzeption der Kommission 1. Grundlagen

Eingebettet in die allgemeine Energiepolitik der Europäischen Gemeinschaft hat der Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft gerade in jüngerer Zeit verstärkte Beachtung erfahren. Dies gilt für den Teilbereich der Elektrizitätswirtschaft wie für den Teilbereich der Gaswirtschaft. Die konzeptionellen Grundlagen dazu finden sich zunächst in den Dokumenten der Kommission über den Erdgastransit 1 sowie für den Transit von Elektrizität, 2 die die Probleme der leitungsgebundenen Energiewirtschaft weit über die in den Dokumenten enthaltenen Richtlinienvorschläge hinaus behandeln. Dazu kommt das Kommissionsdokument „Vollendung des Binnenmarktes für Elektrizität und Gas" vom 21. 2. 1992, mit dem die ursprünglichen Richtlinienvorschläge für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt vorgelegt wurden.3 Insbesondere mit dem zuletzt genannten Dokument werden drei Ziele verfolgt: Zum einen soll der freie Verkehr von Elektrizität und Gas innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten gefördert werden. Mit der dadurch bedingten Öffnung der Elektrizitäts- und Gasmärkte soll zweitens die Versorgungssicherheit erhöht werden. Schließlich wird mittelbar das Ziel verfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit der ström- und gasverbrauchenden Unternehmen zu fördern. 4 Demgegenüber hat der Umweltschutz erst im Rahmen der Änderungen der Vorschläge einen deutlichen Stellenwert erlangt.5 2. Drei-Phasen-Konzept

aa) Der Erreichung dieser Ziele dient ein Drei-Phasen-Konzept.6 Die erste Stufe besteht aus den (bereits in Kraft getretenen) Richtlinien über den Transit von ι KOM (89) 334 endg. vom 12. 7. 1989 (BR-Drs. 518/89). 2 KOM (89) 336 endg. vom 14. 7. 1989 (BR-Drs. 572/89), geänd. durch KOM (90) 207 endg. vom 22. 5. 1990. 3 KOM (91) 548 endg. 4 KOM (91) 548 endg., S. 3; v. Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 44 f. 5 Vgl. unten Ε. II. 1. 6

Vorgestellt von Energiekommissar Cardoso e Cunha im Rat am 29. 10. 1991. Dazu v. Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 44 f.

I. Konzeption der Kommission

31

Strom und den Transit von Gas sowie die Richtlinie über die Preistransparenz im Elektrizitäts- und Gasbereich.7 Außerdem hat die EG-Kommission mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet, die unter Verletzung des EG-Vertrags Ausschließlichkeitsrechte für die Ein- und Ausfuhr von Elektrizität und Gas aufrecht erhalten haben.8 Im Strombereich sind Verfahren gegen Frankreich, Irland, Italien, Spanien und die Niederlande anhängig, im Erdgasbereich gegen Frankreich. Der dem niederländischen Fall zugrunde liegende Sachverhalt hat zudem bereits den Europäischen Gerichtshof beschäftigt. 9 Dazu kamen Entscheidungen der Kommission zur Anwendung des Beihilfenrechts 10 sowie andere Aktivitäten. 11 bb) Für die zweite Stufe sah die Kommission ursprünglich Regelungen in zwei verschiedenen Bereichen vor: Zum einen beabsichtigte die Kommission, auf der Grundlage des Art. 90 Abs. 3 EGV selbst eine Richtlinie zu erlassen, mit der Monopole bei der Stromerzeugung und der Errichtung von Leitungen beseitigt werden sollten. Zum zweiten war beabsichtigt, durch Richtlinien des Rats Regelungen für die Ordnung der Elektrizitätswirtschaft und der Erdgaswirtschaft auf der Grundlage des Art. 100a EGV zu erlassen. Auf ersteres hat die Kommission dann aber verzichtet und einen stärkeren politischen Dialog mit den Mitgliedstaaten, dem Rat und dem Europäischen Parlament gesucht.12 Sie hat sich darauf beschränkt, Vorschläge für die Richtlinien zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Erdgasbinnenmarkt vorzulegen. 13 Ergänzt werden diese Regelungen durch Verordnungs- und Entscheidungsvorschläge zu den transeuropäischen Infrastrukturnetzen im Bereich der Strom- und Gasversorgung. 14 7

Zu diesen Richtlinien oben A. III. 1. + 2. s KOM (91) 548 endg., S. 4 sowie die Entscheidung „Ijsselcentrale", ABl 1991 L 28/32, in der festgestellt wird, daß eine Beschränkung der Stromeinfuhren gegen Art. 86 EGV verstößt. Weitere Fälle bei Dehmer, Gesetzliche Monopolrechte in der Stromversorgung und EG-Recht, RdE 1993, 93. Vgl. außerdem Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 12. 9 EuGH, EuZW 1994,408 - Almedo; dazu Ebel, EWS 1994, 241 ff. 10 Etwa die Entscheidung der Kommission, ABl C 35 / 6 v. 3. 2. 1994. Vgl. außerdem Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 534 ff. sowie Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 11. n Vgl. Zweiter Fortschrittsbericht über den Energiebinnenmarkt, KOM (93) 261 endg., S. 4 ff. ι 2 Hermann, Die Konzeption der EG-Kommission zur Ordnung des europäischen Strommarktes, RdE 1992, 96. 13 Dazu unten Β. II. 1. a) und B. III. 1. a). 14 Vgl. den Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rats über die Erklärung des Europäischen Interesses, die die Errichtung transeuropäischer Infrastrukturnetze im Bereich der Strom- und Gasversorgung erleichtern sollen v. 20. 3. 1992 (ABl C 71/9), geänd. am 16. 4. 1993 (ABl C 124/15), weiter den Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rats über Leitlinien für die Ausgestaltung transeuropäischer Netze im Energiebereich v. 8. 2. 1994 (ABl C 72/10) und den Vorschlag für eine Entscheidung des Rates betreffend eine Reihe von Aktionen zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für

32

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

cc) Auf der dritten Stufe soll dann, gestützt auf die Erfahrungen der zweiten Stufe, der Binnenmarkt für Strom und Erdgas vollendet werden, wobei insbesondere an eine Anpassung der Auswahlkriterien für den Netzzugang Dritter gedacht ist. 15 Zudem ist beabsichtigt, weitere Bereiche der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft einzubeziehen, insbesondere die Beziehungen der Versorger zu den Strom- und Gasabnehmern.16 Endlich ist auch an eine Herabsetzung der Schwellenwerte für die direkte Versorgung von Kunden durch die Produzenten gedacht.17

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt 1. Grundlagen

a) Entstehungsgeschichte Im Rahmen des beschriebenen Drei-Phasen-Konzepts hat die Kommission in ihrem Dokument vom 21. 2. 1992 für den Stromsektor einen „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt" vorgelegt. 18 Dieser Vorschlag wurde auf politischer Ebene in zahlreichen Konsultationen mit den für Energie zuständigen Ministerien, im Ministerrat sowie im Europäischen Parlament erörtert. Der Rat hat sich insbesondere auf seinen Tagungen im Mai und November 1992 mit den Vorschlägen befaßt. Das Europäische Parlament hat am 17. 11. 1993 eine Reihe von Änderungsanträgen vorgelegt. 19 Auf technischer Ebene wurde der Vorschlag von den beratenden Ausschüssen PCCE und CCEME, in denen die Mitgliedstaaten sowie die Stromwirtschaft und die Stromverbraucher vertreten waren, behandelt. Der Vorschlag fand Zustimmung, insbesondere im Grundsatz, 20 stieß aber auch auf eine Reihe von Einwendungen.21 Auf dieser Basis hat die Kommission am 7. 12. 1993, gestützt auf den EG-Vertrag, insbesondere auf Art. 59 Abs. 2, 66, 100a EGV, einen geänderten Vorschlag für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeindie Entwicklung der transeuropäischen Netze im Energiebereich vom 8. 2. 1994 (ABl C 72/ 15). is Vgl. KOM (91) 548 endg., S. 10. 16 Hermann, Die Konzeption der EG-Kommission zur Ordnung des europäischen Strommarktes, RdE 1992, 97. 17 Vgl. die 20. Begründungserwägung zur Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie und die 23. Begründungserwägung zur Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie. is KOM (91) 548 endg.; ABl 1992 C 65/4. 19 ABl C 329/150 v. 6. 12. 1993. 20 Etwa Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drs.160/92, S. 1.

21 Befürwortend etwa Budde, Liberalisierung der Stromversorgung im EG-Binnenmarkt, ET 1992, 540; kritisch Kuhnt, Die Versorgung Europas mit sicherer und preisgünstiger Elektrizität, RdE 1994,44 ff.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

33

same Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt" vorgelegt. 22 Die Richtlinie ergeht in ihrer neuen Fassung im Mitentscheidungsverfahren zwischen Europäischem Parlament und Rat nach Art. 189b EGV. 23 Im folgenden wird der geänderte Richtlinienvorschlag zugrunde gelegt. Terminologisch wird kurz von der „Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie" (E1BR) gesprochen. Dieser Vorschlag wurde vom Rat in seiner Tagung am 25. 5. 1994 diskutiert 24 und führte in der Tagung am 29. 11. 1994 zu einvernehmlichen Schlußfolgerungen des Rates, mit denen hinsichtlich einer Reihe bis dahin umstrittener Fragen Übereinstimmung erzielt wurde. Die Schlußfolgerungen wurden durch die Schlußfolgerungen der Ratstagung vom 1. 6. 1995 bekräftigt und sollen in einem gemeinsamen Standpunkt des Rates durch Änderung des Richtlinienvorschlags ausformuliert und dann dem Europäischen Parlament zur zweiten Lesung überwiesen werden. Im folgenden werden die Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994, soweit sie zu einvernehmlichen Lösungen führten, miteinbezogen.

b) Gegenstand und Zentralbegriffe aa) Gegenstand der Richtlinie ist, wie Art. 1 E1BR entnommen werden kann, die Elektrizitätserzeugung, die Elektrizitätsübertragung und die Elektrizitätsverteilung. Dementsprechend enthält die Richtlinie für die Teilbereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung teilweise gemeinsame Vorgaben. Viele Vorgaben gelten aber nur für einen oder zwei der Teilbereiche. Der Schwerpunkt der Regelungen liegt deutlich im Bereich der Übertragung von Elektrizität. 25 bb) An zahlreichen Stellen der Richtlinie kommt es darauf an, wie die Begriffe der Erzeugung, der Übertragung und der Verteilung bestimmt werden. - Unter „Erzeugung " ist gemäß Art. 2 Nr. 1 E1BR „die Produktion von Elektrizität" zu verstehen. Unerheblich ist, welche Primärenergien genutzt werden. - Mit „ Übertragung " ist gemäß Art. 2 Nr. 3 E1BR der „Transport von Elektrizität über ein Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Stromversorgung von Endverbrauchern oder Verteilern" gemeint. Mit Endverbrauchern werden nach Art. 2 Nr. 6 E1BR alle Verbraucher erfaßt, die Elektrizität für den Eigenverbrauch kaufen. Aus tatsächlichen Gründen dürften allerdings für die Versorgung aus einem Hochspannungsnetz (als durch die Übertragung versorgte Endverbraucher) neben Verteilerunternehmen nur verhältnismäßig wenige Großverbraucher in Betracht kommen. 26 22 KOM (93) 643 endg.; ABl 1994 C 123/1. 23 Dazu, auch in unserem Zusammenhang, Wetzel /Wey and, Das Verfahren der Mitentscheidung, RdE 1994, 56 ff. 24 Dazu Baumanns, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995,100 ff. 25 Dazu unten Β. II. 3.

3 Jarass

34

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

- „ Verteilung" meint, wie Art. 2 Nr. 4 E1BR entnommen werden kann, den „Transport von Elektrizität mit weniger hoher Spannung über Verteilernetze zum Zwecke der Stromlieferung an Kunden". Als Kunden werden dabei nach Art. 2 Nr. 5 E1BR Großhändler oder Endverbraucher von Elektrizität eingestuft. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet die genaue Abgrenzung von Übertragung und Verteilung. Nach den Definitionen der Richtlinie kommt es entscheidend darauf an, ob der Stromtransport über ein Hochspannungsnetz oder ein Netz mit weniger hoher Spannung erfolgt. Wann die Spannung „weniger hoch" im Sinne des Art. 2 Nr. 4 E1BR ist, wird von der Richtlinie nicht festgelegt. Funktionale Aspekte, etwa der Unterschied zwischen großräumiger und kleinräumiger Verteilung, 27 scheinen für die Abgrenzung ohne Relevanz, es sei denn, man entnimmt dem Begriff der „Verteilernetze" in Art. 2 Nr. 4 E1BR einen entsprechenden Hinweis. Dafür spricht, daß in der parallel konzipierten Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt die Verteilung durch den Transport in regionalen oder örtlichen Pipelines definiert wird. 28 Unabhängig davon wird man zumindest in Grenzfällen funktionale Aspekte mitzuberücksichtigen haben. Anhaltspunkte für der Übertragung zuzurechnende Bereiche können zudem der Bestimmung der Hochspannungsverbundnetze im Anhang zur Transitrichtlinie für Elektrizität entnommen werden. 29 Soweit im übrigen das EG-Recht die genaue Grenzziehung offen läßt, bestehen entsprechende Regelungsspielräume der Mitgliedstaaten. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Rechnungslegung wird allerdings angestrebt, zu einer einheitlichen Abgrenzung von Erzeugung, Übertragung und Verteilung zu kommen.

c) Grundpflichten aa) Das Grundkonzept der Richtlinie hat in den Grundpflichten des Art. 3 E1BR seinen Niederschlag gefunden. Auf der einen Seite werden die Mitgliedstaaten nach Abs. 1 verpflichtet, dafür zu sorgen, daß Elektrizitätsunternehmen nach „kommerziellen Grundsätzen betrieben werden und daß hinsichtlich der Rechte und Pflichten allen Unternehmen die gleiche Behandlung zuteil wird". Der Elektrizitätssektor soll stärker als bisher marktwirtschaftlichen Prinzipien geöffnet werden. 30 Insbesondere sollen die Mitgliedstaaten den Wettbewerb zwischen Elektrizitätsunternehmen ermöglichen oder verstärken. Die Öffnung der Märkte kann dabei 26 Das werden häufig, aber nicht notwendig, industrielle Großabnehmer im Sinne des Art. 2 Nr. 7 E1BR sein. 27

Vgl. Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 178; Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 426 ff. 28 Art. 2 Nr. 3 GBR. 29 Dazu oben A. III. 1. b). Dagegen ist der umgekehrte Schluß nicht möglich; die Transitrichtlinie erfaßt keineswegs alle Hochspannungsverbundnetze im Sinne der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt. 30 KOM (91) 548 endg., S. 14 f.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

35

nicht allein durch eine Deregulierung erreicht werden, sondern bedarf an verschiedenen Stellen gerade des stärkeren Einsatzes von Rechtsvorschriften, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und zu sichern. 31 bb) Die darin liegende Ermöglichung und Stärkung des Wettbewerbs kann durch die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 E1BR insoweit eingeschränkt werden, als sie den Elektrizitätsunternehmen öffentliche Dienstleistungspflichten auferlegen können. Diese Dienstleistungspflichten werden in den Richtlinienregelungen für die Teilbereiche immer wieder aufgegriffen, 32 dürften aber auch in anderen Zusammenhängen zum Tragen kommen.33 Die darin liegende Betonung der Dienstleistungsaufgabe im öffentlichen Interesse ist eine Neuerung des geänderten Richtlinienvorschlags. Sie knüpft ausweislich der Begründung zum geänderten Richtlinienvorschlag an den Schutz von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Vertrag, also an die Regelung des Art. 90 Abs. 2 EGV an. 34 Bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 2 E1BR ist es daher geboten, die (noch zu erörternde) Rechtsprechung und Literatur zu Art. 90 Abs. 2 EGV zu berücksichtigen, auch wenn jeweils zu prüfen ist, ob wirklich eine Parallelität besteht. So dürfte der Begriff des Auferlegens in Art. 3 Abs. 2 E1BR ähnlich wie der Begriff der Betrauung in Art. 90 Abs. 2 EGV zu bestimmen sein.35 Die Dienstleistungspflichten können sich, wie Art. 3 Abs. 2 E1BR zu entnehmen ist, auf die Sicherheit, die Regelmäßigkeit, die Qualität und den Preis von Stromlieferungen beziehen. Des weiteren können sie nach den Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994 und vom 1. 6. 1995 den Umweltschutz betreffen. 36 Andere Anliegen dürften sich nicht als Dienstleistungspflichten im Sinne des Art. 3 Abs. 2 E1BR verfolgen lassen, auch wenn der Wortlaut der Regelung offen läßt, ob sie als abschließend gedacht ist. Anderenfalls könnte die mit der Richtlinie beabsichtigte Marktöffnung zu einfach eingeschränkt werden. Im übrigen müssen die Dienstleistungspflichten die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts beachten. Insbesondere sind die Schranken und Grenzen des Art. 90 Abs. 2 EGV einzuhalten, wie der Rat in seinen Schlußfolgerungen ausdrücklich festgehalten hat. 37 Die öffentlichen Dienstleistungspflichten können daher die Marktöffnung nur insoweit einschränken, als sie zur Erreichung des verfolgten Ziels tatsächlich notwendig sind. 38

31 Vgl. KOM (91) 548 endg., S. 9 Nr. 5.4. Vgl. Art. 4, Art. 7 Abs. 4 S. 2, Art. 15 Abs. 1, Art. 21 Abs. 3 E1BR. 33 Die Formulierung des Art. 3 Abs. 2 E1BR liefert keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Norm nur im Rahmen der folgenden Vorschriften zum Tragen kommt. 34 KOM (93) 643 endg., Nr. 11 b; Baumanns, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 98. 35 Zur Betrauung im Sinne des Art. 90 Abs. 2 EGV s. unten C. IV. 2. a). 36 Dementsprechend hat der EuGH im Rahmen des Art. 90 Abs. 2 EGV den Umweltschutz besonders genannt; dazu unten C. IV. 2. b). 37 Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 Nr. 4d. 38 Vgl. zu Art. 90 Abs. 2 EGV unten C. IV. 2. + 3. 32

*

36

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts 2. Erzeugung (Produktion von Elektrizität)

a) Genehmigungsmodell für die Zulassung Für den Bereich der Erzeugung von Strom (ebenso wie für die Übertragung) 39 sieht die Richtlinie zwei alternative Konzepte für die Errichtung (und Nutzung) 40 neuer Produktionskapazitäten vor, zwischen denen die Mitgliedstaaten wählen können. Dabei handelt es sich um eine Neuerung des geänderten Richtlinienvorschlags. Im ursprünglichen Vorschlag war allein das Genehmigungsverfahren vorgesehen. Das erste Modell verlangt ein offenes Genehmigungssystem und wird daher im folgenden als Genehmigungsmodell bezeichnet. Die möglichen Kriterien für die Erteilung der Genehmigungen zum Bau und Betrieb von Kraftwerken sind in Art. 7 Abs. 1 E1BR vorgegeben. Im einzelnen können die Mitgliedstaaten Vorgaben zu folgenden Gesichtspunkten treffen: - Sicherung und Sicherheit der Anlagen und der verbundenen Ausrüstungen - Umweltschutz - Flächennutzung und die Standortwahl - Gebrauch öffentlichen Grund und Bodens - Technische und finanzielle Kapazitäten der Unternehmen. Darüber hinaus kann nach Art. 7 Abs. 2 E1BR auch die Art der Primärenergie Berücksichtigung finden, die bei der Stromerzeugung zum Einsatz kommt. Dies erlaubt insbesondere die Bevorzugung bestimmter Primärenergien, etwa erneuerbarer Energieträger. 41 Der ursprüngliche Entwurf war insoweit sehr viel restriktiver. 42 Schließlich kann nach Art. 7 Abs. 4 S. 2 E1BR die Verletzung öffentlicher Dienstleistungspflichten im Sinne des Art. 3 Abs. 2 E1BR zu einer Verweigerung der Genehmigung führen. 43 Bei der näheren Ausgestaltung der Kriterien, aber auch des Genehmigungsverfahrens, ist zu beachten, daß Kriterien wie Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 1 E1BR „objektiv", „transparent" und „nicht diskriminierend" sein müssen. In formeller Hinsicht ist nach Art. 7 Abs. 3 E1BR sicherzustellen, daß die Kriterien für die Genehmigungserteilung, aber auch die einzelnen Genehmigungsverfahren in ausführlicher Form öffentlich bekannt gemacht werden. Zudem sind nach Art. 7 Abs. 4 39 Dazu unten Β. II. 3. a). 40

Die Richtlinie spricht von Errichtung, weil nur neue Anlagen erfaßt werden. Gemeint ist aber auch der Betrieb; vgl. 8. Begründungserwägung zur Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie. 41 Dabei sei dahingestellt, ob die Regelung allein der Versorgungssicherheit dient (vgl. KOM (93) 643 endg., Nr. 12) oder auch dem Umweltschutz. 42 Vgl. Art. 13 Abs. 5 des ursprünglichen Entwurfs. 43 Zu den Dienstleistungspflichten oben Β. II. 1. c) bb).

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

37

E1BR die Gründe für eine Genehmigungsverweigerung dem Antragsteller mitzuteilen und Rechtsmittel zu eröffnen. Das Genehmigungsmodell macht, anders als das noch zu erörternde Ausschreibungsmodell, die Beseitigung ausschließlicher Rechte bei der Stromerzeugung notwendig.44 Jeder hat das Recht zur Stromerzeugung, wenn er die festgelegten Kriterien im Sinne des Art. 7 E1BR beachtet. Man könnte von einem rein präventivem Kontrollsystem sprechen, das allein dazu dient, die Einhaltung bestimmter Anforderungen an die Stromerzeugung zu gewährleisten, nicht aber wirtschaftslenkende Effekte zu erzielen. Zusammen mit den noch zu erörternden Schritten der Öffnung im Bereich des Stromhandels45 dürfte das Genehmigungsmodell zu einer erheblichen Stärkung des Wettbewerbs bei der Stromerzeugung führen.

b) Ausschreibungsmodell für die Zulassung Gemäß Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 E1BR haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, statt des beschriebenen Genehmigungsmodells, bei dem die Unternehmen den Bedarf für die Stromerzeugung abschätzen und entsprechende Entscheidungen treffen, weiterhin eine zentrale Investitionsplanung beizubehalten. Nach diesem Konzept wird über den künftigen Bedarf an Stromerzeugungsanlagen nicht durch private Unternehmen im Markt, sondern durch staatliche Planung entschieden. Die Befriedigung des so bestimmten Bedarfs erfolgt dann allerdings im Wege der Ausschreibung und damit des Wettbewerbs. Das Modell wird dementsprechend als Ausschreibungsmodell bezeichnet. Dieses Modell ist nicht zwangsläufig mit dem noch zu erörternden Alleinabnehmer-Modell („Acheteur unique") verbunden, bei dem der Strom von einem einzigen Unternehmen aufgekauft wird, das die Versorgung übernimmt. 46 In ihrer gegenwärtigen Fassung hat die Richtlinie allein das Ausschreibungsmodell übernommen, nicht hingegen das Alleinabnehmer-Modell. Macht ein Mitgliedstaat vom Ausschreibungsmodell Gebrauch, muß er gemäß Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 E1BR dafür sorgen, daß die Bereitstellung neuer Produktionsmittel einschließlich von Ersatzkapazitäten ausgeschrieben wird. Die näheren Einzelheiten des Ausschreibungsverfahrens sind in Art. 6 Abs. 2-4 E1BR geregelt. Insbesondere müssen die Kriterien für die Auftragsvergabe gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 3 E1BR objektiv und nicht diskriminierend sein. Zudem darf die Ausschreibung nicht dem Netzbetreiber überlassen bleiben.47 Vielmehr muß sie von einer unabhängigen (öffentlichen oder privaten) Stelle überwacht werden, wie der Rat in seinen Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 festgehalten h a t 4 8 44

Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 42. 5 s. unten Β. II. 5.

4

46 47

S.5.

Näher dazu unten Β. II. 5. c) dd). Vgl. die Begründung zu den geänderten Richtlinienvorschlägen KOM (93) 643 endg.,

38

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

Die Effekte des Ausschreibungsmodells für den Wettbewerb werden dadurch geprägt, daß er auf die Frage beschränkt ist, wer die neuen Kapazitäten aufbaut und betreibt. Die Entscheidung über die (energiewirtschaftliche) Notwendigkeit der Anlagen bzw. Kapazitäten liegt dagegen beim Staat. Weiter wird die Lieferung der ausgeschriebenen, für ein bestimmtes Gebiet bzw. einen bestimmten Zweck vorgesehenen Strommenge allein dem in der Ausschreibung obsiegenden Stromerzeuger übertragen. Auch bleiben die vorhandenen Kapazitäten gegen einen wirksamen Wettbewerb geschützt.49 Insgesamt kann das Ausschreibungsmodell den Wettbewerb in der Elektrizitätswirtschaft nur sehr begrenzt fördern. 50 Auch wenn sich ein Mitgliedstaat für das Ausschreibungsmodell entscheidet, gilt das Genehmigungsmodell gemäß Art. 5 Abs. 3 E1BR für die Eigenerzeuger, also die Erzeuger, die im wesentlichen Strom nur für den eigenen Gebrauch produzieren (vgl. Art. 2 Nr. 21 E1BR) und für die unabhängigen Erzeuger, also für Erzeuger, die im Gebiet des Netzes, in dem sie tätig sind, weder Übertragungs- noch Verteilungsfunktionen wahrnehmen (vgl. Art. 2 Nr. 20 E1BR). In diesem Bereich gelten auf jeden Fall die unter a) beschriebenen Vorgaben. Derzeit wird in der Kommission allerdings geprüft, ob und wieweit solche Genehmigungen mit der zentralen Investitionsplanung des Ausschreibungsmodells vereinbar sind. 51

c) Entflechtung

und sonstige Vorgaben zur Rechnungslegung

Sowohl im Genehmigungsmodell wie im Ausschreibungsmodell kommen die Vorschriften der Art. 19, 20 E1BR für die Entflechtung und die Transparenz der Rechnungslegung zum Tragen. Danach müssen die vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen, Unternehmen also, die auch im Bereich der Übertragung und/ oder der Verteilung tätig sind (Art. 2 Nr. 19 E1BR), nach Art. 20 Abs. 2 E1BR ihre Buchführung für die Teilbereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung aufspalten und sie so gestalten, wie dies geschehen würde, wenn es sich jeweils um eigenständige Unternehmen handeln würde. 52 Des weiteren ist der Jahresabschluß nach den Regeln der Art. 20 Abs. 3-6 E1BR zu erstellen und zu veröffentlichen. Bei den vertikal integrierten Unternehmen ist der Abschluß nicht nur nach den Teilbereichen Erzeugung, Übertragung und Verteilung zu trennen, sondern es sind nach 48

Nr. 4a der Schlußfolgerungen. Wenn Art. 6 Abs. 1 E1BR auch die Bereitstellung bestehender Produktionseinheiten miteinbezieht, dann ist damit der Einsatz bislang nicht bzw. nicht voll genutzter Anlagen für den künftigen Bedarf gemeint; vgl. Art. 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 E1BR. 49

50 Ebenso Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 14 ff.; Monopolkommission, Zehntes Hauptgutachten, 1994, BT-Drs.12/8323, Rn. 790; Schulz, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 108 f. 51 Vgl. Nr. 4a der Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994. 52 Insb. ist eine Trennung von Erzeugung und Übertragung notwendig, wie der Rat festgehalten hat; vgl. Schlußfolgerungen Nr. 4b.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

39

Art. 20 Abs. 4 E1BR im Jahresabschluß auch die Regeln für die Zuweisung zu den Teilbereichen anzugeben. Die Rechnungslegung soll ein Höchstmaß an Transparenz aufweisen, um gegebenenfalls den Mißbrauch einer markbeherrschenden Stellung, wie er etwa in anormal hohen oder niedrigen Tarifen oder in unterschiedlichen Bedingungen für gleiche Leistungen liegt, belegen zu können.53 Schließlich haben die nach nationalem Recht zuständigen Behörden gemäß Art. 19 E1BR das Recht, in die Rechnungsunterlagen Einsicht zu nehmen. Eine Weiterleitung der Informationen an die Kommission ist nicht ausgeschlossen. Zudem soll nach den Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994 die noch darzustellende Streitschlichtungsstelle Zugang zu den Rechnungsunterlagen erhalten. 54

3. Übertragung (Elektrizitätstransport über ein Hochspannungsverbundnetz)

a) Zulassung Für die Errichtung (und die Nutzung) neuer Kapazitäten zur Übertragung von Elektrizität, also für die Schaffung neuer Hochspannungsverbundnetze zum Zweck der Versorgung von Verteilern oder Endverbrauchern, 55 gelten gemäß Art. 5-7 E1BR die gleichen Regelungen wie für die Errichtung von Erzeugungsanlagen. Die Mitgliedstaaten haben also die Wahl zwischen dem Genehmigungsmodell und dem Ausschreibungsmodell. Was die Einzelheiten angeht, wird auf die Ausführungen zur Stromerzeugung verwiesen. 56 Den Mitgliedstaaten steht auch das Recht zu, in einem Bereich, etwa dem der Stromerzeugung, das Genehmigungsmodell und in einem anderen Bereich, also dem der Stromübertragung, das Ausschreibungsmodell zu wählen. Soweit nicht das Ausschreibungsmodell gewählt wird, sind auch parallele Übertragungsnetze zulässig. Werden die Kriterien des Art. 7 E1BR eingehalten, kann jedes Unternehmen Hochspannungsleitungen für die Stromübertragung errichten und betreiben. Im Bereich der Übertragung hat der geänderte Richtlinienvorschlag, anders als im Bereich der Verteilung, 57 insoweit keine Änderungen vorgenommen. Die praktische Bedeutung der Beseitigung rechtlicher Leitungsmonopole dürfte allerdings eher gering sein, weil aufgrund der Sachstrukturen weithin natürliche Monopole bestehen dürften.

53

Vgl. 16. Begründungserwägung zur Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie. Nr. 3b der Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994. Zur Streitschlichtungsstelle unten Β. II. 6. 55 Näher oben Β. II. l.b)bb). 56 Vgl. oben Β. II. 2. 57 Vgl. unten Β. II. 4. 54

40

Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

b) Bestellung eines Übertragungsnetzbetreibers

und dessen Pflichten

aa) Was die Organisation des Übertragungsnetzes angeht, so verlangt Art. 8 Abs. 1 E1BR für ein bestimmtes (Übertragungs-)Gebiet die Benennung eines Übertragungsnetzbetreibers, dem der Betrieb, die Wartung und der Ausbau des Übertragungsnetzes obliegt. 58 Die Benennung kann durch die Mitgliedstaaten selbst oder durch den bzw. die Eigentümer des Übertragungsnetzes geschehen. Der Zuschnitt des Gebiets wird in der Richtlinie nicht näher festgelegt, bleibt also den Mitgliedstaaten überlassen.59 Allerdings muß seine Abgrenzung so erfolgen, daß der Übertragungsnetzbetreiber seine Aufgaben erfüllen kann; das Gebiet muß für den Betrieb des Übertragungsnetzes angemessen sein. 60 Die Benennung des Netzbetreibers muß endlich nach Art. 8 Abs. 1 E1BR für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren erfolgen. bb) Gemäß Art. 8 Abs. 2 E1BR ist dafür zu sorgen, daß der Betreiber des Übertragungsnetzes „verwaltungsmäßig unabhängig von den anderen Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem Übertragungssystem" ist. Insbesondere wird für integrierte Elektrizitätsgesellschaften eine verwaltungsmäßige Trennung der Aufgaben des Netzbetreibers von den Aufgaben der Erzeugung und denen der Verteilung vorgeschrieben. 61 In der 16. Begründungserwägung der Präambel wird diesbezüglich davon gesprochen, daß die Übertragungsfunktion bei vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen „als unabhängige Aufgabe betrieben werden" muß, um Transparenz und Nichtdiskriminierung zu gewährleisten. Diese Organisationsvorgabe bezeichnet man als Funktionentrennung (Unbundling). 62 Sie soll insbesondere sicherstellen, daß nicht Bereiche der Stromerzeugung bevorzugt werden, die zum selben Unternehmen gehören. 63 Die Funktionentrennung erfaßt allerdings im geänderten Richtlinienvorschlag nicht mehr das Management der Verbundgesellschaften, sondern beschränkt sich auf die Verwaltung des Übertragungsnetzes. 64 Dafür, daß der Netzbetreiber vom Netzeigentümer generell unabhängig sein muß, wie das zum Teil angenommen wird, 65 liefert die Richtlinie keine Anhalts58

Näher dazu unten bb). 59 Vgl. KOM (91) 548 endg., S. 20. Zur Frage des Gebietszuschnitts Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 426 ff. 60 KOM (91) 548 endg., S. 20; Baur/ Morning, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 19 f. 61 Die Einschränkung der Entflechtung durch den geänderten Richtlinien Vorschlag betrifft also nicht das Verhältnis der Übertragung zu anderen Aufgaben, sondern nur das Verhältnis der anderen Aufgaben untereinander. 62 Etwa Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 41 f. 63 KOM (91) 548 endg., S. 20. 64 Vgl. Begründung zum geänderten Richtlinienvorschlag KOM (93) 643 endg., S. 7. 65 Etwa Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 69.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

41

punkte. Richtig ist nur, daß die beschriebene verwaltungsmäßige Trennung die Übertragungsnetzfunktion von anderen Funktionen des Übertragungsnetzeigentümers abtrennt. Dem Netzbetreiber dürfen daher keine Aufgaben übertragen werden, die mit anderen Funktionen der Energieversorgung und nicht mit der (Übertragungs-)Netzfunktion zu tun haben. Praktisch bedeutsam ist das bei den vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen im Sinne des Art. 2 Nr. 19 E1BR, in denen unterhalb der Managementschwelle ein eigener Bereich „Übertragungsnetzbetrieb" eingerichtet werden muß. Aber auch in vertikal integrierten Unternehmen kann der Netzbetreiber den Weisungen der Unternehmensleitung bzw. des Netzeigentümers unterworfen sein. Allerdings muß die Unternehmensleitung bei ihren Weisungen, wie sonst auch, das geltende Recht beachten. Im Bereich des Netzbetriebs sind daher die Regelungen der Richtlinie für die Tätigkeiten des Netzbetriebs einzuhalten.66 Doch gilt das für die Unternehmensleitung wie für den Netzbetreiber gleichermaßen. Noch eindeutiger ist die Situation bei nicht vertikal integrierten Unternehmen. Hier kann der Netzeigentümer problemlos selbst als Netzbetreiber agieren, sofern er in dem betreffenden Gebiet allein Übertragungsleitungen betreibt. Insgesamt ist es daher unzutreffend, wenn angenommen wird, die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt würde die vollständige Unabhängigkeit des Netzbetreibers vom Netzeigentümer verlangen. Erst recht ist es nicht geboten, die Eigentumsverhältnisse zu ändern bzw. Gesellschaften aufzuspalten. 67 cc) Des weiteren enthält die Richtlinie Vorgaben für die Tätigkeit des Netzbetreibers. Er ist gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 E1BR für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet verantwortlich. 68 Zudem hat er für die Verbindungsleitungen mit anderen Netzen zu sorgen. Nähere Einzelheiten dazu finden sich in Art. 9-13 E1BR. So muß gemäß Art. 10 Abs. 2 E1BR der Netzzugang Dritter erleichtert werden; insbesondere sind beim Betrieb von Übertragungsnetzen die (für den Netzeigentümer geltenden) Vorgaben zum Netzzugang Dritter nach Art. 21 E1BR bedeutsam.69 Entfallen ist das Verbot des Kaufs und Verkaufs von Elektrizität, wie es in Art. 9 Abs. 2 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags enthalten war. dd) Besondere Aufmerksamkeit verdient die Regelung zur Abrufung von Erzeugungsanlagen in Art. 13 E1BR. Insoweit verpflichtet Art. 13 Abs. 2 E1BR den Netzbetreiber zu einer objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Be66

Zu diesen Pflichten unten cc) + dd). Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 43; Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 66 f; Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 326; v.Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 50; a. A. Baur, Wettbewerb in der Elektrizitätsversorgung, RdE 1992, 169. Vgl. auch unten D. II. 4. a). 68 Die 13. Begründungserwägung der Präambel spricht von Management und Ausbau des Netzes. 69 Darauf wird noch näher einzugehen sein; unten Β. II. 5. a). 67

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

handlung aller Stromerzeuger. 70 Allerdings gilt das nach Art. 13 Abs. 2 S. 1 E1BR nur „unter Beachtung der Vertragspflichten" bzw. - wie es deutlicher in der englischen Fassung heißt - „as far as contractual obligations allow". Damit steht die Verpflichtung zum Stromabruf insbesondere unter dem Vorbehalt von Absprachen mit Dritten über den Netzzugang.71 Andererseits haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 Abs. 3 E1BR darüber zu wachen, daß der Netzbetreiber seinen Pflichten nachkommt. Das macht (auch) eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Abrufpflichten erforderlich. Gemäß Art. 13 Abs. 4 E1BR kann davon, worauf noch näher einzugehen sein wird, 72 zugunsten von Erzeugungsanlagen abgewichen werden, die erneuerbare Energien oder Abfall verwenden oder die Kraft-Wärme-Kopplung einsetzen. Solche Anlagen können also begünstigt werden. Zudem bedürfen die Kriterien für die Abrufung von Strom der Genehmigung durch die Mitgliedstaaten, was es den Mitgliedstaaten erlaubt, die in Art. 13 Abs. 4 E1BR zugelassene Bevorzugung bestimmter Formen der Stromerzeugung von den Netzbetreibern zu verlangen. Die nach Art. 13 Abs. 5 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags mögliche Privilegierung der einheimischen Energie ist entfallen.

c) Sonstige Pflichten der Übertragungsunternehmen Schließlich verlangt Art. 20 Abs. 2 E1BR, daß die Rechnungslegung für die Übertragung von der Rechnungslegung für die Erzeugung und die Verteilung getrennt wird. Damit soll die Neutralität des Übertragungsnetzbetriebs gesichert werden. 73 Was die Einzelheiten angeht, wird auf die entsprechenden Ausführungen zur Stromerzeugung verwiesen. 74 Auch hinsichtlich des Jahresabschlusses und der behördlichen Einsichtsrechte gelten die Darlegungen zur Stromerzeugung entsprechend. Auf die Pflichten der Übertragungsgesellschaften, Dritten einen ausgehandelten Netzzugang zu ermöglichen, wird noch einzugehen sein.75

70

Unklar ist, ob eine Privilegierung von Erzeugungsanlagen des Netzeigentümers bei der Einspeisung in Übertragungsnetze möglich ist, da durch Art. 13 Abs. 2 S. 1 E1BR eine Privilegierung eigener Erzeugungsanlagen nur für den Fall zugelassen wird, daß der Strom direkt in ein unternehmenseigenes Verteilungsnetz eingespeist wird. Vgl. dazu unten Β. II. 5. a) cc). 71 Vgl. dazu Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 62. 72 s. unten Ε. II. 3. a). 73 Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 327. 74 Vgl. oben Β. II. 2. c). 75 Unten Β. II. 5. c).

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

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4. Verteilung (Sonstiger Elektrizitätstransport)

a) Zulassung Die Regelungen der Richtlinie zur Verteilung von Elektrizität, also zum Transport von Strom über Netze mit weniger hoher Spannung (Art. 2 Nr. 4 E1BR) und damit zum Transport, der nicht als Übertragung eingestuft werden kann, 76 fallen sehr viel zurückhaltender als die Regelungen zur Übertragung aus. Bereits der ursprüngliche Richtlinienvorschlag hatte den Verteilungsbereich deutlich weniger detailliert als den Übertragungsbereich geregelt. 77 Mit dem geänderten Richtlinienvorschlag wurden die Regelungen noch weiter zurückgenommen. Die Gestaltung des Verteilungsbereichs bleibt daher weitgehend in der Hand der Mitgliedstaaten. Dies gilt insbesondere für die Zulassung von Unternehmen. Die Mitgliedstaaten können im Verteilungsbereich ein Genehmigungs- oder Ausschreibungssystem einführen, wie das auch für den Übertragungsbereich gilt. Sie können des weiteren, anders als im Übertragungsbereich, weiterhin ausschließliche Leitungsrechte vergeben. Zulässig sind auch Konzessionsrechte der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften bzw. des Staates.78 Ausschließliche Wegenutzungsrechte werden allein durch das Recht auf Direktleitungen beschränkt. 79 Die in Art. 5 Abs. 6 des ursprünglichen Richtlinienentwurfs vorgesehene diskriminierungsfreie Gewährung der Nutzung von öffentlichem Grund und Boden ist entfallen. 80 Auf die Gewährung von Versorgungsmonopolen wird noch einzugehen sein.81

b) Bestellung eines Verteilungsnetzbetreibers

und dessen Pflichten

aa) In organisatorischer Hinsicht enthält die Richtlinie in Art. 15 Abs. 3 E1BR die Verpflichtung, einen (für die technische Seite des Netzbetriebs zuständigen) Netzbetreiber zu benennen. Die konkrete Bedeutung dieser Organisationsverpflichtung stellt sich zunächst ähnlich wie beim Übertragungsnetzbetreiber dar. 82 Da aber eine verwaltungsmäßige Funktionentrennung im Hinblick auf die Verteilung nicht vorgesehen ist, bedarf es in keinem Falle einer verwaltungsmäßigen Verselbständigung des Netzbetreibers gegenüber anderen Funktionen. 76 Näher dazu oben Β. II. 1. b) bb). 77 Vgl. Ehlermann, EG-Binnenmarkt für die Energiewirtschaft, EuZW 1992, 690. 78 Vgl. die 14. Begründungserwägung zur Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie. 79 Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 300 ff. 80 Zum ursprünglichen Entwurf insoweit Weigt, Stromtarife, Preisaufsicht und Wettbewerb im Europäischen Binnenmarkt für Strom, RdE 1993, 3 f. m s. unten Β. II. 5. c). S2 s. oben Β. II. 3. a).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

bb) Die Pflichten des Verteilungsnetzbetreibers sind in Art. 16-18 E1BR näher geregelt. Er ist gemäß Art. 16 Abs. 3 E1BR für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Verteilersystems in einem bestimmten Gebiet sowie für die Verbindungsleitungen mit anderen Netzen verantwortlich. Besondere Erwähnung verdient die Pflicht zur Gleichbehandlung aller Benutzer gemäß Art. 16 Abs. 4 E1BR, auch im Verhältnis zu anderen Geschäftszweigen, Tochterunternehmen und Aktionären des Verteilernetzbetreibers. Diese Gleichbehandlungspflicht dürfte auf die technische Seite des Netzbetriebs beschränkt sein.83 Die Entscheidung darüber, wer das Netz nutzen darf, wird vom Netzeigentümer, unter Beachtung der Vorschriften zum Netzzugang Dritter, getroffen. 84

c) Sonstige Pflichten der Verteilungsunternehmen Schließlich gelten für die Unternehmen im Verteilungsbereich die allgemeinen Vorschriften zum Jahresabschluß, zur behördlichen Einsichtnahme in die Rechnungsunterlagen und zur Trennung der Rechnungslegung bei integrierten Unternehmen in Art. 19, 20 E1BR. Insoweit wird auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Stromerzeugung verwiesen. 85 Des weiteren haben die Verteilungsunternehmen die Vorgaben zum Netzzugang Dritter zu beachten, auf die noch einzugehen sein wird. 86 Endlich stellt Art. 15 Abs. 2 E1BR klar, daß die Mitgliedstaaten dem jeweiligen Verteilungsunternehmen eine Versorgungspflicht auferlegen können.87 Unberührt bleibt zudem das Recht der Mitgliedstaaten, die Tarifstruktur für Endverbraucher zu regeln, soweit diese nicht ein Recht auf Zugang zu Verteilungsnetzen besit-

5. Handel (Netzzugang und Direktleitungen)

Die Liberalisierung der Errichtung und des Betriebs von Stromerzeugungsanlagen kann nur dann zu einem stärkeren Wettbewerb führen, wenn die Erzeuger Zugang zu den Strommärkten haben, wenn sie ihren Strom verkaufen können. Dies 83

In der Begründung zum ursprünglichen Richtlinienentwurf wird dem Netzbetreiber die Entscheidung über „technische Bedingungen" zugewiesen; vgl. KOM (91) 548 endg., S. 22. 84 Dazu unten Β. II. 5. a). ss Vgl. oben Β. II. 2. c). S6 Dazu unten Β. II. 5. a). 87 Im Übertragungsbereich wird man dagegen die Festlegung von Versorgungspflichten für bestimmte Gebiete als unzulässig ansehen müssen, unabhängig davon, welche tatsächliche Rolle sie im Übertragungsbereich spielen. Dienstleistungspflichten nach Art. 3 Abs. 2 E1BR können sie schwerlich sein, weil Art. 4 E1BR, anders als die entsprechende Regelung des Art. 15 E1BR im Verteilungsbereich, keinen derartigen Vorbehalt aufweist. 88 Vgl. 19. Begründungserwägung zur Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

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ist problematisch, weil dafür wegen der Leitungsgebundenheit des Stromtransports eine Leitung zwischen Erzeuger und Abnehmer bestehen muß oder zumindest geschaffen werden kann. 89 Ähnliches gilt für andere Akteure, die sich am Verkauf von Strom beteiligen wollen. Dementsprechend wird den Bereichen der Erzeugung, der Übertragung und der Verteilung ein vierter Funktionsbereich zur Seite gestellt, der Handel bzw. der Verkauf. 90 Um die für den Handel bzw. Verkauf notwendigen Leitungsmöglichkeiten zu schaffen, setzt die Richtlinie einerseits den Netzzugang Dritter und andererseits das Recht auf den Bau von Direktleitungen ein:

a) Netzzugang Dritter aa) Der in Art. 21 E1BR näher geregelte Netzzugang soll Dritten, also anderen Personen als dem betreffenden Netzunternehmen,91 gegen ein angemessenes Entgelt die Möglichkeit verschaffen, in ein Netz Strom einzuspeisen und an anderer Stelle Strom zu entnehmen.92 Mit dem in der Richtlinie verwandten Begriff des „Zugangs zum Netz" wird dieser Sachverhalt ebenso wenig wie mit dem Begriff der Durchleitung zutreffend erfaßt. 93 Treffender ist der Begriff des Netznutzungsrechts. Im folgenden soll es gleichwohl, um Mißverständnisse zu vermeiden, im wesentlichen bei der Terminologie der Richtlinie verbleiben. bb) Der Anwendungsbereich des Netzzugangsrechts ist im Genehmigungsmodell auf zwei Bereiche beschränkt: - Ein Netzzugangsrecht steht zum einen gemäß Art. 21 Abs. 1 i) E1BR Unternehmen der Stromerzeugung und der Stromübertragung zu, sofern sie Strom an ein Verteilerunternehmen oder an einen industriellen Großabnehmer liefern. 94 Durch den Zugang der Verteilungsunternehmen sollen Haushalte und kleinere industrielle Abnehmer indirekten Nutzen aus dem Netzzugang erlangen. 95 Die zweite Gruppe der privilegierten Abnehmer bilden die industriellen Großabneh89

Zur zentralen Bedeutung der Leitungsgebundenheit für den Wettbewerb im Strombereich s. etwa Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 145. 90 Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 3. 91

Vgl. Grawe, in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 98. 9 2 Vgl. KOM (91) 548 endg., S. 5. 93 Zu letzterem Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991,207. 94 Verteilerunternehmen haben also nur als Abnehmer Netzzugang, nicht als Lieferanten, die etwa ein anderes Verteilernetz zur Versorgung eines industriellen Großkunden nutzen wollen. 95 KOM (91) 548 endg., S. 10. Der im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Schwellenwert von 3% des Gesamtverbrauchs (Art. 7 Abs. 2 S. 2 E1BR) ist entfallen.

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-Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

mer , d. h. gemäß Art. 2 Nr. 7 E1BR alle Endverbraucher mit einem jährlichen Gesamtverbrauch von mehr als 100 GWh, wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, eine niedrigere Grenze vorzusehen. - Weiterhin muß der Netzzugang den (Eigen-)Stromerzeugern gemäß Art. 21 Abs. 1 ii) eröffnet werden, die ihre eigenen Betriebsstätten oder unter- bzw. nebengeordnete Unternehmen mit Strom versorgen. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß Art. 21 Abs. 1 iii) E1BR für den Fall, daß im Erzeugungsbereich das Ausschreibungsmodell gewählt wird, 96 eine Sonderregelung für den Netzzugang des Stromerzeugers vorsieht, der den Zuschlag in der Ausschreibung erhalten hat. In diesem Falle besteht ein über den ausgehandelten Netzzugang hinausgehender, strikter Zugangsanspruch. Das Netzzugangsrecht erfaßt Übertragungsnetze und Verteilungsnetze in gleicher Weise.97 Die Regelung des Art. 21 E1BR spricht in Absatz 1 schlicht von Netz, was für eine Einbeziehung von Übertragungs- und Verteilungsnetzen spricht. Dies harmoniert zudem mit der Definition des Netzbenutzers in Art. 2 Nr. 16 E1BR. Für dieses Ergebnis sprechen endlich die Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 E1BR, die ausdrücklich auf Übertragungs- und Verteilungsnetze Bezug nimmt, sowie die Einbeziehung der Verteilungsnetze in den letzten Satz der 19. Begründungserwägung der Präambel. 98 cc) Was die Reichweite des in Art. 21 E1BR statuierten Netzzugangsrechts angeht, so ist die Richtlinie vage und offen gehalten.99 Eine detaillierte Regelung des Netzzugangs, wie sie die ursprüngliche Richtlinienfassung vorsah, ist nicht mehr vorgeschrieben. Dementsprechend wird davon gesprochen, daß der geänderte Richtlinienvorschlag keinen zwangsweisen Netzzugang Dritter mehr vorsieht. 100 Geboten ist nur noch ein auszuhandelnder Netzzugang} 01 Generell müssen aber die Mitgliedstaaten sicherstellen, daß die Vertragsparteien ihre Pflichten beim Netzzugang beachten. Dies kann etwa durch die Einführung einer Genehmigungspflicht oder einer staatlichen Tarifregelung geschehen.

96 Vgl. dazu oben Β. II. 2. b). 97 Unsicher Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 154. 98 Daran ändert auch nichts, daß der Netzzugang nach Art. 21 Abs. 1 ii) E1BR auf die Nutzung des Verbundsystems beschränkt wird, wodurch das Netznutzungsrecht ev. auf die kombinierte Nutzung von Übertragungs- und Verteilungsnetzen begrenzt sein könnte (vgl. Art. 2 Nr. 8 E1BR). Der Anhaltspunkt ist jedoch zu mager und würde zudem nicht im Bereich des Art. 21 Abs. 1 i) E1BR greifen. 99 Dies kritisiert die Monopolkommission, Zehntes Hauptgutachten, 1994, BT-Drs.12/ 8323, Rn. 776. 100 Etwa Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 544. 101 Allein für den Netzzugang im Ausschreibungsmodell nach Art. 21 Abs. 1 iii) E1BR sind die Vorgaben strenger (oben bb). Im folgenden wird dieser Fall ausgeklammert.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

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In der Sache kann der Netzzugang gemäß Art. 21 Abs. 3 S. 2 E1BR verweigert werden, wenn der Netzbetreiber dadurch an der Erfüllung der ihm übertragenen öffentlichen Dienstleistungspflichten 102 gehindert würde. Darüber hinaus kann der Netzbetreiber gemäß Art. 21 Abs. 3 S. 1 E1BR den Zugang bzw. die Nutzung verweigern, solange dies nicht gegen Treu und Glauben verstößt oder als Mißbrauch eingestuft werden müßte. Wann ein solcher Mißbrauch vorliegt, wird in der Richtlinie nicht näher ausgeführt. Anhaltspunkte wird man der Auslegung der „mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung" in Art. 86 EGV entnehmen können. 103 Unklar ist, ob der Zugang Dritter nur im Falle freier Kapazitäten zum Tragen kommt und dem Strom aus den eigenen Erzeugungsanlagen des Netzeigentümers ein Vorrang eingeräumt werden kann. 104 Diese Frage dürfte weder durch das für den Stromabruf im Übertragungsbereich geltende Diskriminierungsverbot des Art. 13 Abs. 2 E1BR noch durch das im Verteilungsbereich geltende Gleichbehandlungsgebot des Art. 16 Abs. 4 E1BR beeinflußt werden. Auch wenn die Richtlinie insoweit alles andere als eindeutig ist, sprechen die überwiegenden Gesichtspunkte dafür, daß diese Gebote nur unter dem Vorbehalt vertraglicher Zugangsrechte zum Tragen kommen. 105 Entscheidend ist also allein das Vorliegen eines Mißbrauchs. Andererseits ist zu beachten, daß die freien Kapazitäten sich gerade daraus ergeben können, daß ein Dritter einen Abnehmer des Netzeigentümers übernimmt. 106 Entsprechendes dürfte für die Frage gelten, ob eine Verweigerung des Zugangs immer möglich ist, wenn keine freien Kapazitäten vorhanden sind, oder ob auch ein „Freimachen" erwogen werden muß. 107 dd) Im übrigen ist der Netzzugang bzw. die Netznutzung gemäß Art. 21 Abs. 2 E1BR zwischen den beteiligten Parteien auszuhandeln (Negotiated access). Der Wortlaut der Richtlinie deutet dabei auf individuelle Vereinbarungen hin. Kollektive Arrangements wie die im Pool-Modell vorgesehene Kontraktbörse sind aber nicht ausgeschlossen.108 Darüber hinaus ist gemäß Art. 21 Abs. 4 E1BR eine unabhängige Schiedsstelle vorzusehen, die vermitteln soll, wenn sich die Parteien über den Netzzugang und

102 Dazu oben Β. II. l.c)bb). i° 3 In Betracht kommen insbesondere überhöhte Preise oder unangemessene Geschäftsbedingungen, mit deren Hilfe die eigene Stromerzeugung im Wettbewerb begünstigt wird. 104 Vgl. Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 16 ff. 105 Der Netzbetreiber hat lediglich technische Aufgaben; KOM (91) 548 endg., S. 20, 22. Vgl. auch oben Β. II. 3. b) bb) und Β. II. 4. b) bb). 106 Der Schutz des Netzeigentümers vor Wettbewerb ist regelmäßig ohne Gewicht; vgl. Β Kart A, ET 1992, 637; vorsichtiger Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 128 f. 107 Dazu Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 56 f. los Näher dazu unten E. V. 2. d).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

dessen Konditionen nicht einigen können. Das Gemeinschaftsrecht sieht allerdings keine Verpflichtung der betroffenen Parteien vor, das Verfahren zu nutzen. Erst recht ist nicht die Verbindlichkeit des Schiedsspruchs festgelegt. Immerhin kann der Umstand, daß sich eine der Parteien dem Schiedsverfahren verweigert oder den Schiedsspruch nicht akzeptiert, für die Kommission Anlaß zu wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen sein. 109 Zudem legt Art. 24 Abs. 4 S. 2 E1BR fest, daß die Inanspruchnahme des Schiedsverfahrens Rechtsmittel des Gemeinschaftsrechts nicht berührt.

b) Recht auf Direktleitungen Der Öffnung des Handels und der Stärkung des Wettbewerbs dient auch die in Art. 22 E1BR verankerte Pflicht, direkte Leitungen zwischen Stromerzeugern und -versorgern einerseits und deren Kunden sowie ihren Betriebsstätten sowie unterund nebengeordneten Unternehmen zu ermöglichen. Dieses Recht findet seine Rechtfertigung weniger in der Ermöglichung zusätzlicher Direktleitungen. Vielmehr soll es den Zugang zu vorhandenen Netzen nach Art. 12 E1BR erleichtern, da der Dritte beim Aushandeln des Netzzugangs auf die Alternative der Direktleitung verweisen kann. 110 Als direkte Leitung ist gemäß Art. 2 Nr. 10 E1BR jede Leitung anzusehen, die einen oder mehrere Kunden mit einem Versorgungspunkt verbindet, ohne das Verbundsystem im Sinne des Art. 2 Nr. 9 E1BR zu nutzen. Das Recht auf Errichtung und Betrieb einer Direktleitung können sowohl die Stromerzeuger und -versorger wie die Abnehmer geltend machen.111 Monopole von Verteilungsunternehmen können daher direkte Versorgungsleitungen nicht erfassen. Ein Vorbehalt, wie er in Art. 5 Abs. 3 des ursprünglichen Richtlinien Vorschlags enthalten war, wonach der Bau zusätzlicher Leitungen verweigert werden kann, falls sich der Bedarf durch die vorhandenen Kapazitäten zu einem angemessenen und gerechten Preis decken läßt, 112 fehlt im geänderten Richtlinienvorschlag. Das Recht auf den Bau von Direktleitungen steht aber, wie Art. 22 E1BR ausdrücklich sagt, unter dem Vorbehalt des Art. 7 E1BR. Damit wird nicht etwa klargestellt, daß diese Regelung unberührt bleibt. Der Vorbehalt würde dann nur im Übertragungsbereich greifen; im bewußt weniger dicht geregelten Verteilungsbereich kann der Spielraum der Mitgliedstaaten aber nicht geringer sein. Das Gewollte kommt bes-

109

Vgl. zur entsprechenden Problematik bei den Transitrichtlinien oben A. III. 1. c). Baumanns, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 99. 110

m Vgl. die beiden Absätze des Art. 22 E1BR. 112 Der Vorbehalt kam für die Direktleitungen über den Verweis des Art. 6 E1BR auf Art. 5 Abs. 1 E1BR und die Weiterverweisung in Art. 5 Abs. 1 E1BR auf Art. 5 Abs. 3 E1BR zum Tragen.

II. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

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ser in der englischen Fassung zum Ausdruck, die Direktleitungen „subject to Article 7" gewährt. Die Genehmigung zum Bau von Direktleitungen kann daher von den in Art. 7 E1BR aufgeführten Kriterien abhängig gemacht werden. 113 Insbesondere kann der Bau von Direktleitungen verweigert werden, wenn dem Umweltbelange entgegenstehen. c) Versorgungs- und Liefermonopole aa) Der Zugang zu den Strommärkten kann des weiteren durch (räumliche) Versorgungs- oder Liefermonopole behindert oder gar ausgeschlossen werden. Solche Monopole sind in den Mitgliedstaaten häufig anzutreffen, sei es, daß der Staat bestimmten Unternehmen derartige Monopole überträgt, sei es, daß der Staat auf derartige Monopole ausgerichtete Absprachen zwischen Privaten zuläßt. In der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt werden Handelsmonopole nicht direkt angesprochen, im Unterschied zu den direkt geregelten Monopolen der Erzeugung und der Übertragungsleitungen. Immerhin heißt es in der 22. Begründungserwägung der Präambel, daß es den Mitgliedstaaten freisteht, „Exklusivrechte für die Versorgung von allen Kunden unterhalb des Schwellenwerts für die Berechtigung zum Zugang zu Übertragungs- und Verteilungsnetz" zu gewähren. Ausschließliche Versorgungsrechte sind also teilweise zulässig und teilweise unzulässig. In der Sache ergibt sich die Einschränkung von ausschließlichen Liefer- und Versorgungsrechten aus dem Umstand, daß andernfalls die Regelungen über den Netzzugang Dritter und die Ermöglichung von Direktleitungen keinen Sinn hätten. Soweit daher diese Institute greifen, sind Versorgungs- und Liefermonopole als mit der Richtlinie unvereinbar einzustufen. Im einzelnen können sich Versorgungsmonopole nicht auf Stromlieferungen an Verteilungsunternehmen, an industrielle Großkunden und an eigene Betriebsstätten sowie auf durch Direktleitungen versorgte Kunden beziehen. In diesem Umfang sind auch Demarkationsverträge nicht mehr möglich. 114 bb) Die Folgen dieses Befundes wirken sich im Übertragungsbereich sehr viel gravierender als im Verteilungsbereich aus. Am Übertragungsnetz werden ganz überwiegend Abnehmer angeschlossen sein, die ein Netzzugangsrecht gemäß Art. 21 E1BR besitzen. Im Übertragungsbereich sind daher Liefermonopole weithin ausgeschlossen.115 113 Ebenso zur ursprünglichen Richtlinienfassung Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 304 f. 114 Zu Konzessionsverträgen s. oben Β. II. 4. a). 115 Vgl. Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 42. Dagegen wird man aus der Beseitigung der Leitungsmonopole im Übertragungsbereich nicht auf den generellen Ausschluß von Liefermonopolen schließen können. In der parallel erarbeiteten Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt wurden im Verteilungsbereich die Leitungsmonopole aufgehoben. Gleichwohl sind dort in gewissem Umfang Liefer- und Versorgungsmonopole möglich.

4 Jarass

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

cc) Im Verteilungsbereich wirkt sich der Ausschluß von Versorgungs- und Liefermonopolen durch das Recht auf Netzzugang und auf den Bau von Direktleitungen weniger gravierend aus, weil die an das Verteilungsnetz angeschlossenen Abnehmer häufig nicht auf dieses Recht zurückgreifen bzw. zurückgreifen können. Dementsprechend sind in diesem Bereich weiterhin ausschließliche Rechte in erheblichem Umfang möglich. Monopolstellungen dürfen sich nur nicht auf Lieferungen an Großkunden und eigene Betriebsstätten des Lieferanten beziehen.116 Dementsprechend können die Mitgliedstaaten im Verteilungsbereich Versorgungspflichten festlegen und die Tarife für die Belieferung regeln. 117 dd) Dieser Befund zu den Versorgungs- und Liefermonopolen würde sich allerdings erheblich verändern, wenn die Pläne realisiert werden, als Alternative zum Netzzugang Dritter das sog. Alleinabnehmer-Modell („Acheteur unique") zuzulassen. 118 Dieses Modell hat in den Richtlinienvorschlag keinen Eingang gefunden. In den Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994 wurde aber die Kommission beauftragt, die Auswirkungen zu überprüfen, die die Zulassung des Alleinabnehmer-Modells hätte. In den Schlußfolgerungen des Rates vom 1. 6. 1995 wurden die Bedingungen für ein Nebeneinander von (auszuhandelndem) Netzzugang Dritter und Alleinabnehmermodell nochmals präzisiert. Im Alleinabnehmermodell liegt die gesamte Stromversorgung in einer Hand. Nur der Erzeugungsbereich sowie grenzüberschreitende Transaktionen wären dem Wettbewerb ausgesetzt.

6. Ergänzende Regelungen

An übergreifenden Regelungen enthält die Richtlinie zunächst eine Vorschrift für plötzliche Marktkrisen in Art. 23 E1BR. Weiter ist von den Mitgliedstaaten nach Art. 24 E1BR ein Schiedsverfahren für alle Streitigkeiten über Angelegenheiten im Geltungsbereich der Richtlinie einzurichten. Die Streitschlichtungsstelle soll auch Zugang zu den Rechnungsunterlagen erhalten. 119 Darüber hinaus werden jährliche Konsultationen der Netzbenutzer, der Sozialpartner und der Umweltschutzorganisationen in Art. 25 E1BR vorgeschrieben, eine Art Anhörung der betroffenen Kreise. Endlich wird den Gemeinschaftsorganen die Verpflichtung auferlegt, die Anwendung der Richtlinie zu kontrollieren und für ihre Fortentwicklung gemäß Art. 26, 27 E1BR zu sorgen; dies dient der Vorbereitung der dritten Phase.120 Die Umsetzung der Richtlinie sollte nach Art. 28 E1BR bis zum 1. 7.1994 erfolgen, was zwischenzeitlich (mangels Richtlinienerlasses) obsolet geworden ist. 116 Zudem ist das Recht auf den Bau und Betrieb von Direktleitungen zu beachten, das auch für den Verteilungsbereich gilt. 117 Dazu oben Β. II. 4. c).

il® Zu diesem Modell Baumanns, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 102. 119 s. oben Β. II. 2. c). 120 KOM (91) 548 endg., S. 24. Zur dritten Phase s. oben Β. I. 2.

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

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I I I . Die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt 1. Grundlagen

a) Entstehungsgeschichte Parallel zum Richtlinienvorschlag für den Elektrizitätsbinnenmarkt hat die Kommission für den Erdgasbereich in ihrem Dokument vom 22. 1. 1992 den „Vorschlag für eine Richtlinie des Rats betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt" vorgelegt. 121 Der Vorschlag wurde auf politischer Ebene in zahlreichen Konsultationen mit den zuständigen Ministern der Mitgliedstaaten, im Ministerrat sowie im Europäischen Parlament erörtert. Der Rat hat sich insbesondere auf seinen Tagungen im Mai und November 1992 mit dem Vorschlag befaßt. Das Europäische Parlament hat am 17. 11. 1993 eine Reihe von Änderungsanträgen vorgelegt. 122 Zudem war der Vorschlag auf technischer Ebene Gegenstand der Erörterungen in den beratenden Ausschüssen PCCG und CCEMG, in denen die Gaswirtschaft und Gasverbraucher sowie die Mitgliedstaaten vertreten sind. Der Vorschlag fand Zustimmung, aber auch Ablehnung. 123 Auf dieser Grundlage hat die Kommission am 7. 12. 1993, gestützt auf den EGVertrag, insbesondere auf Art. 57 Abs. 2, 66, 100a EGV, einen geänderten Vorschlag für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsamer Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt" vorgelegt. 124 Die Richtlinie ergeht in ihrer neuen Fassung im Verfahren der Zuammenarbeit zwischen Europäischem Parlament und Rat nach Art. 189b EGV. 1 2 5 Im folgenden wird der geänderte Richtlinienvorschlag zugrunde gelegt, der kurz als „ErdgasbinnenmarktRichtlinie" (GBR) bezeichnet wird. Der geänderte Richtlinienvorschlag wurde vom Rat in seiner Tagung am 25. 5. 1994 diskutiert. 126 In der Tagung am 29. 11. 1994 wurde dann zwar die Notwendigkeit unterstrichen, auch im Erdgasbinnenmarkt Fortschritte zu erzielen. Gleichwohl wurde aber beschlossen, die Aktivitäten zunächst auf den Elektrizitätssektor zu konzentrieren und das Thema des Erdgasbinnenmarkts erst wieder aufzugreifen, wenn es im Elektrizitätsbereich zu einem formellen gemeinsamen Standpunkt des Rates gekommen ist.

121 KOM (91) 548 endg.; ABl 1992 C 65/15. 122 ABl C 329/150 v. 6. 12. 1993. 123 Kritisch etwa Ρ luge, Diskussion über den europäischen Binnenmarkt für Gas und Elektrizität, RdE 1993, 170 ff. 124 KOM (93) 643 endg.; ABl 1994 C 123/26. 125 Dazu, auch in unserem Zusammenhang Wetzel /Wey and, Das Verfahren der Mitentscheidung, RdE 1994, 56 ff. 126 Dazu Baumanns, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 100 ff. 4*

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

b) Gegenstand und Grundbegriffe aa) Gegenstand der Richtlinie ist, wie Art. 1 GBR entnommen werden kann, die Speicherung, der Transport und die Verteilung von Erdgas. Der Bereich der Erdgaserzeugung wird, im Unterschied zur Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt, nur ganz am Rande angesprochen. 127 Im Vordergrund stehen die Fernleitung und die Verteilung von Erdgas. bb) Zahlreiche Regelungen der Richtlinie sind nur anwendbar, wenn es um Fernleitung oder aber um Verteilung geht. Auf die Bedeutung dieser Begriffe ist daher vorweg einzugehen: - Mit „ Fernleitung " ist gemäß Art. 2 Nr. 1 GBR der „Transport von Erdgas durch Hochdruckfernleitungen im Hinblick auf die Versorgung von Endabnehmern oder von Verteiler-Ergasunternehmen oder sonstigen Leitungsgesellschaften" zu verstehen. Mit letzterem dürften andere Hochdruckfernleitungsgesellschaften gemeint sein. 128 Der Fernleitung ist die zugehörige Speicherung zuzurechnen, auch wenn sie unabhängig erbracht wird. 1 2 9 - "Verteilung " ist gemäß Art. 2 Nr. 4 GBR der „Transport von Erdgas über örtliche oder regionale Pipelines im Hinblick auf die Versorgung von Kunden". Kunden bestehen dabei gemäß Art. 2 Nr. 4 GBR aus Erdgasunternehmen oder Endverbrauchern, die Erdgas kaufen. Die Abgrenzung zwischen Fernleitung und Verteilung ist in der Richtlinie nicht näher geregelt. Die Situation stellt sich insoweit ähnlich wie bei der Abgrenzung zwischen Übertragung und Verteilung im Elektrizitätsbereich dar, weshalb auf die dazu gemachten Ausführungen verwiesen wird. 1 3 0 Immerhin macht die Definition der Verteilung durch das Merkmal der „örtlichen oder regionalen Pipelines" die Bedeutung funktionaler Elemente deutlicher als im Elektrizitätsbereich.

c) Grundpflichten aa) Das Grundkonzept der Richtlinie hat in den Grundpflichten des Art. 3 GBR seinen Niederschlag gefunden. Auf der einen Seite werden die Mitgliedstaaten nach Abs. 1 verpflichtet, dafür zu sorgen, daß Erdgasunternehmen „nach kommerziellen Grundsätzen betrieben werden und daß hinsichtlich der Rechte und Pflichten allen Unternehmen die gleiche Behandlung zuteil wird". Der Erdgassektor soll damit stärker als bisher marktwirtschaftlichen Prinzipien geöffnet werden. Insbe127 Vgl. unten B. III. 2. Zudem gibt es seit 1994 eine eigene Richtlinie zu diesem Bereich; vgl. oben A. III. 4. aa). 128 Vgl. Art. 2 Nr. 2 der ursprünglichen Fassung. 129 Vgl. die Überschrift des Kapitels III sowie KOM (91) 548 endg., S. 28.

130 s. oben Β. II. l.b).

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

sondere werden die Mitgliedstaaten damit betraut, den Wettbewerb gasunternehmen zu eröffnen oder zu verstärken.

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zwischen Erd-

bb) Dieser Ansatz kann durch die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 GBR insoweit eingeschränkt werden, als sie den Erdgasunternehmen Dienstleistungspflichten auferlegen dürfen. Diese Pflichten werden in den Regelungen zum Verteilungsbereich und zum Netzzugang wieder aufgegriffen, 131 dürften aber auch in anderen Zusammenhängen zum Tragen kommen. Die besondere Betonung von Dienstleistungspflichten im öffentlichen Interesse ist eine vom Europäischen Parlament angeregte Neuerung des geänderten Richtlinien Vorschlags. Ähnlich wie im Bereich der Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt liefert die Parallele des Art. 90 Abs. 2 EGV gewisse Aufschlüsse. 132 Die Dienstleistungspflichten können sich, wie Art. 3 Abs. 2 GBR zu entnehmen ist, auf die Sicherheit, die Regelmäßigkeit, die Qualität und den Preis von Lieferungen beziehen. Der Wortlaut der Regelung läßt offen, ob sie abschließenden Charakter hat oder ob mit den Dienstleistungspflichten auch andere als die genannten energiewirtschaftlichen Anliegen verfolgt werden dürfen. Zutreffen dürfte wohl die zweite Alternative, da sonst die mit der Richtlinie beabsichtigte Marktöffnung zu leicht abgeschwächt werden könnte. Allerdings kann man davon ausgehen, daß der Rat die im Bereich der Elektrizität vorgenommene Ausweitung der Dienstleistungspflichten auf den Umweltschutz 133 auch im Erdgasbereich vornehmen wird, sobald sich der Rat mit der Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt näher beschäftigt. Im übrigen müssen die Dienstleistungspflichten die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts beachten, insbesondere die durch Art. 90 Abs. 2 EGV gezogenen Grenzen. 134

2. Erzeugung von Erdgas

Die Richtlinie erfaßt grundsätzlich nicht die Erzeugung von Erdgas, wie Art. 1 GBR entnommen werden kann. Insoweit kommt die 1994 erlassene Richtlinie über die Erteilung und Nutzung von Genehmigungen zur Prospektion, Exploration und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen zum Tragen. 135 Die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie kommt jedoch im Erzeugungsbereich insoweit zum Tragen, als sie Anforderungen an die Buchführung stellt. Gemäß Art. 16 Abs. 2 GBR müssen Erzeugungsunternehmen, die zugleich im Bereich der Einfuhr, der Speicherung, der Fernleitung und/oder der Verteilung von Erdgas tätig 131 Vgl. Art. 11 Abs. 1, 17 Abs. 3 GBR.

132 133 134 135

s. oben B.II. l.c)bb). s. oben B.II. l.c)bb). Vgl. dazu oben Β. II. 1. c) bb). ABl 1994 L 164/3. Näher dazu oben A. III. 4. aa).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

sind und daher gemäß Art. 2 Nr. 18 GBR als vertikal integriertes Erdgasunternehmen einzustufen sind, die Buchführung für die Teilbereiche Erzeugung, Transport, Speicherung und Verteilung aufspalten und sie so gestalten, wie dies geschehen müßte, wenn es sich jeweils um eigenständige Unternehmen handeln würde. Des weiteren ist der Jahresabschluß nach den Regeln des Art. 16 Abs. 3-8 GBR zu erstellen und zu veröffentlichen. Schließlich haben die nach nationalem Recht zuständigen Behörden gemäß Art. 15 GBR das Recht, in die Rechnungsunterlagen der Erzeugungsfirmen Einsicht zu nehmen. Alle diese Regelungen dienen allerdings weniger der Kontrolle des Erzeugungsbereichs als der des Fernleitungsbereichs. Die Rechnungstrennung soll dazu beitragen, daß der Fernleitungsunternehmer seine eigenen Erzeugungsanlagen nicht bevorzugt. 136

3. Fernleitung (Erdgastransport durch Hochdruckfernleitungen)

a) Zulassung Detaillierte Regelungen enthält die Richtlinie über den Erdgasbinnenmarkt zunächst für den Bereich der Fernleitung, also für den Transport von Erdgas durch Hochdruckfernleitungen zur Versorgung von Verteiler-Erdgasunternehmen oder anderen Leitungsgesellschaften oder von Endabnehmern (Art. 2 Nr. 1 GBR). 1 3 7 Die Zulassungsregeln erfassen auch Kopfstationen zur Entladung, Speicherung und Rückvergasung sowie andere Speicheranlagen der Fernleitungsunterneh138

men. Was die Zulassung von Fernleitungsanlagen angeht, so sieht die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie in Art. 4 GBR - anders als die Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt für den vergleichbaren Bereich der Übertragung von Strom - für die Schaffung neuer Fernleitungskapazitäten allein das Genehmigungsmodell vor, nicht dagegen das Ausschreibungsmodell. 139 Die Richtlinie verlangt daher zunächst generell die Beseitigung ausschließlicher Rechte im Bereich der Erdgasfernleitung. 140 Jedes Unternehmen kann Erdgasleitungen errichten und betreiben, sofern es bestimmte Vorgaben einhält. Man könnte von einem System präventiver Genehmigungen sprechen, das insbesondere wirtschaftslenkende Effekte nicht zuläßt. Die Kriterien für die Genehmigungserteilung sind in Art. 4 Abs. 2 GBR aufgeführt. Im einzelnen sind folgende Gesichtspunkte zulässig: 136 Vgl. dazu die 18. Begründungserwägung. 137

Näher zum Fernleitungsbegriff oben B. III. 1. b) bb). 138 Vgl. Art. 4 Abs. 2 GBR. 139

Zum Ausschreibungsmodell oben Β. II. 2. b). 140 Allg. Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 41. Dabei mag dahinstehen, welche praktische Bedeutung das hat.

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

55

- Sicherung und Sicherheit der Leitungen und dazugehörigen Ausrüstungen - Erfordernisse des Umweltschutzes - Landnutzung und Standortgebung - Nutzung öffentlichen Grund und Bodens - Technische und finanzielle Kapazität des antragstellenden Unternehmens. Die nähere Ausgestaltung der Genehmigungsvoraussetzungen ist nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 GBR innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Umsetzungsfrist zu publizieren. Inhaltlich müssen die Voraussetzungen „objektiv" und "nicht diskriminierend" sein. 141 In formeller Hinsicht ist sicherzustellen, daß das Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 1 GBR objektiv, transparent und ohne jede Diskriminierung gehandhabt wird. Die Gründe für eine Genehmigungsverweigerung müssen nach Art. 4 Abs. 7 GBR dem Antragsteller mitgeteilt werden. Zudem muß ihm der Rechtsweg offen stehen. Bei der Enteignung privater Grundstücke und der Nutzung öffentlichen Grund und Bodens ist nach Art. 4 Abs. 5 GBR (ebenfalls) auf eine Gleichbehandlung zu achten.

b) Pflichten zum Fernleitungsnetzbetrieb aa) Was die Organisation der Fernleitungsunternehmen angeht, so ist zunächst bemerkenswert, daß die Richtlinie nicht die Benennung eines verantwortlichen Netzbetreibers verlangt, anders als im Bereich der Erdgasverteilung 142 und in den Bereichen der Stromübertragung und -Verteilung. Andererseits legt die Richtlinie, etwa in Art. 8 GBR, dem Betreiber des Fernleitungsnetzes Pflichten auf. 143 Die Richtlinie dürfte davon ausgehen, daß Fernleitungsunternehmen und Fernleitungsnetzbetreiber jeweils identisch sind. Dafür spricht auch die 14. Begründungserwägung der Präambel. Eine verwaltungsmäßige Verselbständigung des Fernleitungssektors, ähnlich wie das die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie für die Übertragung von Elektrizität vorsieht, 144 schreibt die Richtlinie nicht vor. bb) Hinsichtlich des Betriebs des Fernleitungsnetzes haben die Fernleitungsunternehmen gemäß Art. 6 Abs. 1 GBR für ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Erdgasnetz in ihrem Bereich zu sorgen. Insbesondere haben sie sich nach Art. 6 Abs. 2, 3 GBR des Netzausbaus und der Verfügbarkeit der erforderlichen Dienste anzunehmen. Darüber hinaus sorgt der Fernleitungsunternehmer gemäß Art. 7 Abs. 1 GBR für die Verbindungen zu anderen Fernleitungs- und Verteilungsnetzen. Weiter hat er gemäß Art. 7 Abs. 2 GBR die Durchleitung Dritter zu erleich141

Zur Frage, wer die Ausschreibung vorzunehmen hat, s. oben Β. II. 2. b).

142 Vgl. unten B. III. 4. b).

143 Und Art. 17 Abs. 3 S. 2 GBR räumt dem Netzbetreiber bestimmte Befugnisse ein. 144 s. oben Β. II. 3. b).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

tern; insbesondere sind geeignete Vereinbarungen mit anderen Fernleitungsunternehmen und Betreibern von Verteilungsnetzen zu schließen.145 Zudem muß der Fernleitungsunternehmer gemäß Art. 6 Abs. 4 GBR alle Benutzer des Fernleitungssystems gleichbehandeln, auch im Verhältnis zu anderen Geschäftszweigen, Tochterunternehmen und Aktionären des Fernleitungsunternehmens.

c) Sonstige Pflichten der Fernleitungsunternehmen Für die Rechnungslegung und den Jahresabschluß finden sich nähere Regelungen in Art. 15, 16 GBR, die auch für den Bereich der Fernleitung gelten. Insbesondere hat ein Fernleitungsunternehmen, das auch im Bereich der Erzeugung, der Speicherung oder/und der Verteilung tätig ist, die Rechnungslegung für die Fernleitung von der Rechnungslegung für die anderen Bereiche zu trennen. Die Vorschrift spricht von einer Trennung der Bereiche Erzeugung, Transport, Speicherung und Verteilung, was keinen rechten Sinn macht, da die Verteilung definitionsgemäß ein Transportvorgang ist (vgl. Art. 2 Nr. 3 GBR) und andererseits der wichtige Bereich der Fernleitung nicht auftaucht. Mit Transport dürfte daher die Fernleitung gemeint sein. Die Rechnungslegung soll ein Höchstmaß an Transparenz aufweisen, um insbesondere den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen zu können. 146 Was die Einzelheiten angeht, wird auf die entsprechenden Ausführungen zur Erdgaserzeugung verwiesen. 147 Auch hinsichtlich des Jahresabschlusses und der behördlichen Einsichtsrechte gelten die Ausführungen zur Erdgaserzeugung entsprechend.

4. Verteilung (Sonstiger Erdgastransport)

a) Zulassung Die Regelungen der Richtlinie für die Verteilung von Erdgas betreffen den Transport von Erdgas über örtliche oder regionale Pipelines zur Versorgung von Kunden (Art. 2 Nr. 3 GBR) und damit den Transport von Erdgas, der nicht als Fernleitung eingestuft werden kann. 148 Hinsichtlich der Zulassung stimmen sie vollständig mit den Vorgaben zum Fernleitungsbereich überein, werden doch die beiden Bereiche von den gleichen Regelungen erfaßt. Der Erdgasbereich unterscheidet sich damit gravierend vom Elektrizitätsbereich, wo die Zulassung von Übertragung- und Verteilungsaktivitäten einem ganz unterschiedlichen Regime unterliegt. Im Erdgasverteilungsbereich muß folglich wie im Fernleitungsbereich das 145

Zu den Durchleitungspflichten unten B. III. 4. b). 146 Vgl. die 18. Begründungserwägung zur Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie. 147 Vgl. oben B. III. 2). 148 Näher dazu oben B. III. 1. b) bb).

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

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Genehmigungssystem eingeführt werden. Was die Einzelheiten angeht, wird auf die entsprechenden Ausführungen zum Fernleitungsbereich verwiesen. 149 Dies führt insbesondere dazu, daß ausschließliche Rechte für den Bau von Verteilungsleitungen ausgeschlossen sind. 150 Darüber hinaus können auch Konzessionsverträge keine ausschließlichen Rechte verleihen, weil gemäß Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 GBR Rechte zur Nutzung von öffentlichem Grund und Boden nur nichtdiskriminierend verliehen werden dürfen. 151 Wenn demgegenüber die 17. Begründungserwägung der Präambel die Möglichkeit von „Konzessionierungsrechten der Kommunen und regionalen Gebietskörperschaften bzw. des Staates" vorsieht, dann dürfte damit nicht die Gewährung ausschließlicher Rechte gemeint sein.

b) Benennung eines Verteilungsnetzbetreibers

und dessen Pflichten

aa) In organisatorischer Hinsicht ist zunächst gemäß Art. 11 Abs. 3 GBR ein Netzbetreiber zu benennen, der für den Betrieb, die zuverlässige Wartung und den Ausbau des Verteilersystems in einem bestimmten Gebiet verantwortlich ist. 1 5 2 Was die Gebietsabgrenzung angeht, dürften ähnliche Überlegungen wie im Elektrizitätsbereich zum Tragen kommen. 153 Die Benennung erfolgt durch den jeweiligen Mitgliedstaat oder durch die Eigentümer der Verteilungsnetze. Eine Unabhängigkeit des Netzbetreibers vom Netzeigentümer wird damit nicht vorgeschrieben. 154 Dafür spricht auch die Definition des Verteilernetzbetreibers in Art. 2 Nr. 11 GBR. bb) Was die Tätigkeiten der Verteilung angeht, so ist der Betreiber des Verteilungsnetzes gemäß Art. 12 GBR verpflichtet, nach Möglichkeit für ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Erdgasverteilungsnetz sowie für den notwendigen Ausbau zu sorgen. Eine Pflicht zur Gleichbehandlung von Netzbenutzern ist nicht vorgesehen. 155 Gewisse Forderungen in dieser Richtung ergeben sich jedoch aus den Regelungen über den Netzzugang Dritter, 156 die vom Netzbetreiber (ebenfalls) zu beachten sind.

149 s. oben B. III. 3. a). 150 Die Situation ist daher anders als im Bereich der Elektrizitätsverteilung, weil dort keine Pflicht zu einem nichtdiskriminierenden Genehmigungssystem besteht; vgl. oben Β. II. 4. a). 151 Vgl. Weigt, Preisaufsicht und Wettbewerb im Europäischen Binnenmarkt für Strom, RdE 1993, 3 f. ι 5 2 Näher dazu unten bb). 153 Vgl. oben Β. II. 3. b). 154 Vgl. die entsprechenden Ausführungen zum Netzbetreiber im Stromverteilungsbereich oben Β. II. 4. b). 155 Vgl. die abweichende Situation im Fernleitungsbereich oben B. III. 3. b) bb) und im Bereich der Stromverteilung oben Β. II. 4. b). 156 Dazu unten B. III. 5. a).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

c) Sonstige Pflichten der Verteilungsunternehmen Weiter gelten die allgemeinen Regelungen des Art. 15 GBR über die Rechnungslegung auch für den Verteilungsbereich. Insoweit kann auf die entsprechenden Ausführungen zur Erdgaserzeugung und zur Fernleitung verwiesen werden. 157 Insbesondere müssen die integrierten Erdgasunternehmen die Rechnungslegung für die Verteilung von der Rechnungslegung für die Bereiche Erzeugung, Transport (gemeint ist wohl die Fernleitung 158 ) und Speicherung trennen. Weiter gelten für die Anforderungen an den Jahresabschluß sowie für das Recht der Behörden auf Einsicht in die Rechnungsunterlagen die diesbezüglichen Ausführungen zum Erzeugungsbereich, 159 da die entsprechenden Normen auch die Verteilung erfassen. Endlich stellt Art. 11 Abs. 2 GBR klar, daß den Verteilungsgesellschaften Versorgungspflichten auferlegt und die Tarife für den Verkauf von Erdgas an die Kunden geregelt werden können. 160

5. Handel (Netzzugang Dritter und Direktleitungen)

Die Liberalisierung der Errichtung und des Betriebs von Erdgasleitungen führt nur dann zu einem größeren Wettbewerb im Erdgasmarkt, wenn die Betreiber Zugang zu den Kunden haben, die sie beliefern wollen. Das ist problematisch, weil möglicherweise allein ein anderes Unternehmen über eine Leitung zu den betreffenden Kunden verfügt. Die Richtlinie über den Erdgasbinnenmarkt sieht daher zum einen den Netzzugang Dritter und zum anderen das Recht auf den Bau von Direktleitungen vor.

a) Netzzugang Dritter aa) Der Zugang bestimmter Dritter zu den Erdgasnetzen wird in Art. 17 GBR geregelt. Den Berechtigten wird gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts ermöglicht, Gas an einer Stelle einzuspeisen und an einer anderen Stelle wieder zu entnehmen. Zum Teil wird statt von Netzzugang von Durchleitung gesprochen, was aber den Sachverhalt ebenfalls nur sehr ungenau beschreibt. Am ehesten paßt

157 s. oben Β. II. und B. III. 2. 158 s. oben B. III. 3. b). 159 Dazu oben B. III. 2. 160 i m Fernleitungsbereich wird man dagegen die Festlegung von Versorgungspflichten für bestimmte Gebiete als unzulässig ansehen müssen, unabhängig davon, welche tatsächliche Rolle sie im Übertragungsbereich spielen. Dienstleistungspflichten nach Art. 3 Abs. 2 GBR können sie schwerlich sein, weil es an einem entsprechenden Vorbehalt wie in Art. 11 Abs. 2 GBR fehlt.

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

59

der Begriff des Netznutzungsrechtes. Um MißVerständnisse zu vermeiden, wird im folgenden gleichwohl (überwiegend) der Sprachgebrauch der Richtlinie verwandt. bb) Der Anwendungsbereich des Rechts auf Netzzugang ist auf zwei Bereiche beschränkt: - Berechtigt sind zunächst gemäß Art. 17 Abs. 1 i) GBR alle Erdgasunternehmen, also gemäß Art. 2 Nr. 2 GBR die Unternehmen, die Erdgas kaufen, speichern, transportieren oder als Verteiler verkaufen, allerdings nur insoweit, als es um die Lieferung von Erdgas an Verteilerunternehmen oder an industrielle Großabnehmer geht. Der Zugang der Verteilungsunternehmen soll es ermöglichen, daß auch die Haushalte und kleinere industrielle Abnehmer indirekten Nutzen ziehen können. 161 Neben den Verteilern sind die industriellen Großabnehmer privilegiert, d. h. gemäß Art. 2 Nr. 6 GBR alle Verbraucher mit einem jährlichen Gesamtverbrauch von über 25 Millionen m 3 , wobei die Mitgliedstaaten auch einen geringeren Schwellenwert festlegen können. - Des weiteren steht gemäß Art. 17 Abs. 1 ii) GBR den in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Gaserzeugern und Gaslieferanten ein Netzzugang zu, um eigene Betriebsstätten sowie unter- und nebengeordnete Unternehmen zu versorgen. Aus ähnlichen Gründen wie im Strombereich erstreckt sich der Netzzugang sowohl auf den großräumigen Transport, die Fernleitung, wie auf den kleinräumigen Transport, die Verteilung. 162 Die Regelung des Art. 17 GBR benutzt durchweg den Begriff des Netzes, was für eine Einbeziehung von Fernleitungsnetzen und Verteilungsnetzen spricht. Dazu paßt auch die Definition des Netzbenutzers in Art. 2 Nr. 15 GBR. Für die Einbeziehung sowohl der Fernleitungs- wie der Verteilungsnetze spricht zudem der letzte Satz der 22. Begründungserwägung der Präambei. 1 6 3 cc) Was die Reichweite des in Art. 17 verankerten Netzzugangsrechts angeht, so ist es in mehrfacher Hinsicht deutlich eingeschränkt und im übrigen in recht unbestimmter Weise umschrieben. Zunächst kann der Netzzugang generell gemäß Art. 17 Abs. 3 S. 2 GBR verweigert werden, wenn der Zugang den Netzbetreiber an der Erfüllung seiner öffentlichen Dienstleistungspflichten 164 hindern würde. Weiter kann der Netzbetreiber den Zugang gemäß Art. 17 Abs. 3 S. 1 GBR verweigern, solange dies nicht gegen Treu und Glauben verstößt oder als Mißbrauch eingestuft werden muß. Wann ein Mißbrauch in diesem Sinne vorliegt, wird in der Richtlinie nicht näher behandelt. Das Verständnis der „mißbräuchlichen Ausnut161 KOM (91) 548 endg., S. 10. Der im ursprünglichen Richtlinienentwurf vorgesehene Schwellenwert von 1% des Gesamtverbrauchs (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GBR) ist entfallen. 162 s. oben Β. II. 5. a) bb). 163

Dem steht nicht entgegen, daß der Netzzugang nach Art. 17 Abs. 1 ii) GBR auf die Nutzung des Verbundsystems beschränkt ist. 164 Dazu oben B. III. 1. c) bb).

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

zung einer beherrschenden Stellung" in Art. 86 EGV dürfte aber Anhaltspunkte liefern. 165 Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 17 Abs. 3 GBR verpflichtet, die Einhaltung dieser Regeln durch die Beteiligten zu gewährleisten. 166 Im übrigen ist der Netzzugang bzw. die Netznutzung gemäß Art. 17 Abs. 2 GBR unter den Beteiligten auszuhandeln. Es besteht also nur ein „Negotiated access". Die im ursprünglichen Richtlinienvorschlag vorgesehene detaillierte Regelung des Netzzuggangs ist insbesondere auf Anregung des Europäischen Parlaments entfallen. Zudem ist nach Art. 17 Abs. 4 GBR eine Schlichtungsstelle einzurichten, deren Aufgabe die Vermittlung in den Fällen ist, in denen die Parteien sich über den Netzzugang und dessen Konditionen nicht einigen können. Das Gemeinschaftsrecht sieht allerdings weder eine Verpflichtung zur Nutzung dieses Verfahrens noch zur Akzeptierung des Schiedsspruchs vor. Was die Folgen für wettbewerbsrechtliche Maßnahmen der Kommission angeht, kann auf die entsprechenden Ausführungen zur Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt verwiesen werden. 167 Gemeinschaftsrechtliche Rechtsmittel bleiben im übrigen gemäß Art. 17 Abs. 4 S. 2 GBR unberührt. b) Recht auf Direktleitungen Weiter schreibt Art. 18 GBR in bestimmten Fällen vor, die Möglichkeit zu eröffnen, zwischen Erdgasherstellern und -versorgern einerseits und deren Betriebsstätten sowie unter- und nebengeordneten Unternehmen und Kunden andererseits direkte Leitungen zu errichten. Ähnlich wie im Elektrizitätsbereich dient dieses Recht auch und vor allem dazu, mittelbar den Netzzugang Dritter nach Art. 17 GBR zu erleichtern. 168 Als Direktleitungen sind gemäß Art. 2 Nr. 10 GBR Leitungen zu verstehen, die einen oder mehrere Kunden mit einem Versorgungspunkt verbinden, ohne das Verbundsystem im Sinne des Art. 2 Nr. 9 GBR zu benutzen. Wie die beiden Absätze des Art. 18 GBR verdeutlichen, steht das Recht auf Bau und Betrieb von Direktleitungen sowohl den Erdgasherstellern und -versorgern wie den Kunden zu. Die in Art. 4 Abs. 3 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags vorgesehene Schranke, die das Direktleitungsrecht ausschloß, falls der Bedarf durch bestehende Kapazitäten zu einem angemessenen und gerechten Preis gedeckt werden kann, fehlt im geänderten Richtlinienvorschlag. Das Recht auf den Bau von Direktleitungen steht aber, wie Art. 18 GBR ausdrücklich sagt, unter dem Vorbehalt des Art. 4 GBR. Trotz des insoweit mißverständlichen Wortlauts der Regelung wird damit 165 Vgl. oben B. III. l . c ) b b ) .

166 Vgl. dazu oben Β. II. 5. a) cc). 167 s. oben Β. II. 5. a) dd). 168 Vgl. oben Β. II. 5. b).

I I . Die Richtlinie für den Ersbinnenmarkt

61

aus ähnlichen Gründen wie beim Direktleitungsbau im Elektrizitätsbereich 169 ermöglicht, die Genehmigung zum Bau von Direktleitungen von den in Art. 4 GBR aufgeführten Kriterien abhängig zu machen, wie das in der englischen Fassung deutlicher zum Ausdruck kommt. Insbesondere kann der Bau von Direktleitungen verweigert werden, wenn ihm Umweltbelange entgegenstehen.

c) Versorgungs- und Liefermonopole aa) Wie im Elektrizitätsbereich kann auch im Erdgasbereich der Wettbewerb durch Versorgungs- und Liefermonopole gravierend behindert oder ganz verhindert werden. 170 Die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt enthält insoweit keine direkten Aussagen. Immerhin deutet die 19. Begründungserwägung der Präambel darauf hin, daß Exklusivrechte nur im Verteilungsbereich unterhalb der Schwelle des Netzzugangsrechts möglich sind. In der Sache sind aus ähnlichen Gründen wie im Elektrizitätsbereich derartige Monopole ausgeschlossen, soweit die Richtlinie den Netzzugang Dritter sichert und Direktleitungen ermöglicht. 171 Andernfalls würden diese Institute leerlaufen. Versorgungs- und Liefermonopole können daher Erdgaslieferungen an Verteilerunternehmen, industrielle Großunternehmen und eigene Betriebsstätten sowie an durch Direktleitungen versorgte Kunden nicht erfassen. bb) Die Folgen dieses Befundes wirken sich im Fernleitungsbereich gravierender als im Verteilungsbereich aus. Am Fernleitungsnetz werden ganz überwiegend Abnehmer angeschlossen sein, die ein Netzzugangsrecht besitzen. Hier sind daher (rechtliche) Liefermonopole weithin ausgeschlossen,172 unabhängig welche praktische Bedeutung das hat. cc) Im Verteilungsbereich hat der Ausschluß von Versorgungs- und Liefermonopolen durch das Recht auf Netzzugang und auf den Bau von Direktleitungen weniger gravierende Konsequenzen, weil die an das Verteilungsnetz angeschlossenen Abnehmer häufig nicht auf diese Recht zurückgreifen bzw. zurückgreifen können. Dementsprechend sind in diesem Bereich weiterhin ausschließliche Rechte in erheblichem Umfang möglich, wie der 19. Begründungserwägung der Präambel entnommen werden kann. Monopolstellungen dürfen sich nur nicht auf Lieferungen an Großkunden und eigene Betriebsstätten des Lieferanten beziehen.173 Dazu paßt

169 s. oben Β. II. 5. b). 170 Vgl. oben Β. II. 5. d) aa). 171 Dies gilt auch für DemarkationsVerträge. Zu Konzessionsverträgen mit ausschließlichen Rechten s. oben B. III. 4. a). 172 Vgl. Etilermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993,42. 173 Zudem ist das Recht auf den Bau und Betrieb von Direktleitungen zu beachten, das auch für den Verteilungsbereich gilt.

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Β. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts

endlich, daß die Mitgliedstaaten im Verteilungsbereich Versorgungspflichten festlegen und die Tarife für die Belieferung regeln können. 174

6. Ergänzende Vorschriften

Übergreifende Regelungen enthält die Richtlinie in Art. 19 GBR für plötzliche Marktkrisen. Zudem ermöglicht Art. 20 GBR Schutzmaßnahmen für Unternehmen, die aufgrund von bestehenden (langfristigen) Verträgen über die Abnahme von Erdgas zu bestimmten Preisen, den sog. „Take or pay"-Verpflichtungen, in Schwierigkeiten geraten. 175 Des weiteren ist nach Art. 21 GBR ein Schiedsverfahren für alle Streitigkeiten über Angelegenheiten im Geltungsbereich der Richtlinie zu eröffnen. Darüber hinaus sind in Art. 22 GBR jährliche Konsultationen der Netzbenutzer, einschließlich der Haushaltskunden, vorgeschrieben, also eine Art Anhörung der beteiligten Kreise. Anders als im Strombereich müssen die Sozialpartner und die Umweltschutzorganisationen nicht beteiligt werden. Weiterhin werden die Gemeinschaftsorgane durch Art. 23, 24 GBR verpflichtet, die Anwendung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten zu kontrollieren und für ihre Fortentwicklung zu sorgen, um insbesondere die dritte Stufe der Schaffung des Binnenmarkts im Energiebereich vorzubereiten. Die Umsetzung der Richtlinie sollte nach Art. 25 GBR bis zum 1.7. 1994 erfolgen, ein Termin, der zwischenzeitlich obsolet geworden ist.

174 Dazu oben B. III. 4. c). 175 Dazu KOM (91) 548 endg., S. 28 f; Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 528 ff.; Monopolkommission, Zehntes Hauptgutachten, 1994, BT-Drs. 12/8323, Rn. 787; Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 321.

C. Ausbau des EU-Energierechts und Regelungskompetenz Sowohl die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie die Gasbinnenmarkt-Richtlinie können als Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts nur dann Bestand haben, wenn sie mit primärem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit dem EG-Vertrag vereinbar sind. Fehlt es daran, sind die Richtlinien allerdings gleichwohl bindend, solange sie nicht vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurden.1 Nur bei besonders schweren und zudem offensichtlichen Fehlern entfaltet der Rechtsakt keine Wirkungen (Inexistenz).2 Von diesem seltenen Sonderfall abgesehen, müssen nationale Stellen die betreffende Richtlinie (im Falle ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit) anwenden, auch wenn sie sie für rechtswidrig halten.3 Dies gilt selbst dann, wenn die betreffende nationale Stelle keine Möglichkeit besitzt, vor dem Europäischen Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Richtlinie überprüfen zu lassen. Die Wirkungen einer Unvereinbarkeit der EnergiebinnenmarktRichtlinien mit primärem Recht sind also in kurzfristiger Perspektive geringer als vielleicht angenommen wird. Auf Dauer kommt es aber darauf entscheidend an. Die Frage der Vereinbarkeit mit primärem Recht stellt sich zunächst im Hinblick auf die Regelungskompetenz der Gemeinschaft, im Hinblick auf die Frage also, ob der Gemeinschaft die Kompetenz übertragen wurde, Regelungen wie die der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie und der Gasbinnenmarkt-Richtlinie zu erlassen. Die Europäische Gemeinschaft kann bekanntlich nur insoweit Rechtsakte setzen, als sie dazu im primärem Recht, insbesondere im EG-Vertrag konkret ermächtigt wird. Wenn man insoweit vom Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spricht, 4 darf dabei allerdings nicht übersehen werden, daß wesentliche Ermächtigungen des EG-Vertrags nicht (wie die Bundeskompetenzen im Grundgesetz) ι EuGH, Slg.1979, 623/636; Krück, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWGVertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 184 Rn. 8; Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 184 Rn. 2 jeweils zur Verordnung; a. Α. Recknagel, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 69 f. Dies kann im Umkehrschluß der Regelung des Art. 184 EGV entnommen werden. Soweit Richtlinien vergleichbare Wirkungen wie Verordnungen entfalten, kann aber nichts anderes gelten. 2 EuGH, Slg.1987, 1005/1036 Rn. 10; 1994, 2555/2647 Rn. 49; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, 102 f; v. Borries, Europarecht von A bis Z, 2. Aufl. 1993, Stichwort „Rechtsakte" Nr. 6. 3 EuGH, Slg.1979, 623/637; Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 1992, § 182 Rn. 66; Jarass, EG-Recht und nationales Recht, DVB1 1995, 960 f. 4

Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 433.

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durch Sachmaterien fixiert sind, sondern daß die Kompetenzen funktional, im Hinblick auf einen bestimmten Zweck gekennzeichnet werden. Dies gilt insbesondere für die hier besonders interessante Ermächtigung zur Rechtsangleichung nach Art. 100a EGV.5 Diese funktionale Umschreibung läßt die Grenzen der Kompentenzumschreibung sehr variabel werden, was das Prinzip der Einzelermächtigung erheblich relativiert. 6

I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich 1. Einschlägige Ermächtigungen

Sowohl die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie die Gasbinnenmarkt-Richtlinie werden auf die Ermächtigungsnorm des Art. 57 Abs. 2 EGV, des Art. 66 EGV und des Art. 100a EGV gestützt.7 Nach der Vorschrift des Art. 57 Abs. 2 EGV erläßt der Rat Regelungen zur Koordinierung bzw. zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich der (grenzüberschreitenden) Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten und damit im Bereich der Niederlassungsfreiheit. 8 Über Art. 66 EGV ergibt sich eine entsprechende Ermächtigung für den Bereich der Dienstleistungsfreiheit. Demgegenüber enthält die Vorschrift des Art. 100a EGV eine Generalermächtigung zur Angleichung von Rechtsund Verwaltungsvorschriften, soweit es um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes geht. Da die Gewährleistung der Grundfreiheiten einen (wichtigen) Teilaspekt des Binnenmarktes darstellt, 9 bilden die Ermächtigungen des Art. 57 Abs. 2 EGV und des Art. 66 i.V.m. Art. 57 Abs. 2 EGV Spezialfälle des Art. 100a EGV. Ihnen kommt daher im Überschneidungsfalle der Vorrang zu. 10 Das spricht dafür, zunächst auf die Spezialermächtigungen einzugehen. Gleichwohl wird im folgenden mit den Voraussetzungen der Vorschrift des Art. 100a EGV begonnen. Von den Voraussetzungen her sind die Spezialermächti5 Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 18; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 34. 6 Näher dazu Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, 11 ff. 7 s. oben B.II. 1. a) und B. III. l.a). 8 Koordination im Sinne dieser Vorschrift meint Rechtsangleichung; etwa Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 918; Beutler u. a., Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, 391. 9 Andererseits ist der Binnenmarkt nicht auf die Grundfreiheiten beschränkt; Miiller-Grajf,\ Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarkts, EuR 1989, 124; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 35 mit weiteren Nachw. 10 Die Subsidiarität ist in Art. 100a Abs. 1 S. 1 EGV ausdrücklich festgehalten; vgl. dazu Beutler u. a., Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, 391; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1077.

I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich

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gungen mindestens ebenso weit wie die des Art. 100a EGV gefaßt. Ihre Analyse ist daher nur erforderlich, wenn sich herausstellen sollte, daß die Grenzen des Art. 100a EGV überschritten sind. 11 Auch was das Normsetzungsverfahren angeht, ergeben sich im Bereich des Art. 57 Abs. 2 EGV bzw. des Art. 66 i.V.m. Art. 57 Abs. 2 EGV keine Unterschiede, da weder die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie noch die Gasbinnenmarktrichtlinie die Ausbildung oder den Zugang natürlicher Personen zum Beruf regeln und daher auch insoweit im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 189b EGV ergehen. 12

2. Anwendungsbereich der Binnenmarktangleichung

a) Rechtsangleichung aa) Nach Art. 100a Abs. 1 S. 2 EGV können Maßnahmen zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen werden, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Die Ermächtigung gestattet daher den Erlaß von Richtlinien, sofern sie (1) der Rechtsangleichung dienen und (2) den Binnenmarkt betreffen. Was die erste Voraussetzung angeht, so wird im vorliegenden Zusammenhang geltend gemacht, daß es nicht um eine „Rechtsangleichung" gehe, sondern um eine neue Rechtsetzung. Die Richtlinien bauten nicht Differenzen zwischen den in den Mitgliedstaaten bestehenden Regelungen ab, sondern führen zu einer neuartigen Lösung.13 Dieser Auffassung wäre von vorne herein der Boden entzogen, wenn für die Rechtsangleichung „nicht die Divergenz der mitgliedstaatlichen Lösungen untereinander, sondern ihr Abweichen von den Erfordernissen des Gemeinsamen Marktes" bzw. des Binnenmarktes entscheidend wäre. 14 Von einer „Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften", wie sie Art. 100a Abs. 1 EGV vorgibt, ließe sich dann aber nicht mehr sprechen.15 Dementsprechend kann die Rechtsangleichung nur bei solchen Fragen zum Tragen kommen, die wenigstens in einem Mitgliedstaat geregelt sind oder in absehbarer Zeit geregelt werden sollen.16 Immerhin 11 Ebenso im Ergebnis Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 28. 12 Vgl. dazu Troberg, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 57 Rn. 9. 13 Besonders ausgeprägt Steinberg /Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 316. 14 So Arndt, „Common Carrier" bei Strom und Gas, RIW 1989, Beil. 7, 23; Langeheine, in: Grabitz /Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 41. 15 Zugunsten der extensiven Auffassung spricht auch nicht, daß auf die Kompetenz zur Rechtsangleichung auch Änderungen von Rechtsangleichungsregelungen gestützt werden können und müssen CLangeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100 Rn. 10). Vielmehr ist insoweit entscheidend, ob die geänderte Regelung für den Gemeinsamen Markt bzw. den Binnenmarkt erforderlich ist.

5 Jarass

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genügt es, wenn die betreffende Regelungsmaterie in einem Mitgliedstaat nur sehr ausschnitts weise geregelt ist. Auf keinen Fall muß jede geplante Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ein Pendant im nationalen Recht besitzen. Im vorliegenden Zusammenhang ist daher bedeutsam, daß mit der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie mit der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie Fragen geregelt werden, die jedenfalls in einigen Mitgliedstaaten bereits Gegenstand staatlicher Rechts- oder Verwaltungsvorschriften sind. 17 Auf der anderen Seite verleiht die Kompetenz zur Rechtsangleichung weite Regelungsmöglichkeiten, um eine sachlich wirklich befriedigende Lösung zu ermöglichen. 18 Erfaßt werden öffentlich-rechtliche wie privatrechtliche Instrumente. 19 Die Gemeinschaft muß mit ihrem Regelungsmodell keineswegs eine mittlere Linie beschreiten. 20 Sie kann auch ganz andere Regelungsmodelle wählen, als sie in den Mitgliedstaaten eingesetzt werden. Im Bereich der Rechtsangleichung kann die Gemeinschaft schöpferisch neue Regelungskonzepte entwickeln.21 Wie weit dabei die Rechtsangleichung gehen kann, braucht in unserem Zusammenhang nicht näher erörtert zu werden. Die vorgeschlagene Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Gasbinnenmarkt stellen, zumal in ihrer geänderten Fassung, angesichts der weitreichenden Regelungen in Großbritannien eine Zwischenlösung dar, die keineswegs völlig eigenständige Wege beschreitet. 22 Wenn demgegenüber aus dem Begriff der Rechtsangleichung abgeleitet wird, es dürften nur nationale Regelungen modifiziert werden, mit der Konsequenz, daß in unserem Zusammenhang Regelungen der Rechtsangleichung nur möglich sind, wenn das nationale Recht bereits die Entflechtung und den Netzzugang Dritter begünstigt,23 so wird damit die Funktion der Rechtsangleichung verkannt. Die Rechtsangleichung zur Herstellung des Binnenmarktes nach Art. 100a EGV ist gerade dort besonders wichtig, wo nationale Regelungen keinerlei Ansätze für die Realisierung des Binnenmarktes aufweisen, diesen vielmehr besonders intensiv beschränken.

16 Ebenso Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 920; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 95 f; a. A. Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 43; Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 43 f. 17 Näher Rapp> Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 180 f. 18 Näher dazu im vorliegenden Zusammenhang unten C. III. 1. bb). 19 Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 93. 20 Taschner, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100 Rn. 15. 21 Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 920; Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 1991, 207. 22

Auf den Einwand, die Rechtsangleichung erlaube keine weitreichende Umgestaltung, wird unter C. III. 1. einzugehen sein. 23 So Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 316.

I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich

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bb) Die umschriebene Eigenart der Rechtsangleichung wird des weiteren nicht ausreichend erfaßt, wenn sie als eine freiheitssichernde Kompetenz eingestuft wird, mit der Folge, daß sie keine Interventionen erlaube und daher nicht genutzt werden dürfe, um die „Ausübung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten bzw. das Entstehen real nicht oder nicht in dieser Form bestehender zwischenstaatlicher Wirtschaftsprozesse ... offensiv (zu) forcieren oder (zu) lenken". 24 Für eine solche Einschränkung der Aufgabe der Rechtsangleichung liefert Art. 100a EGV (ebensowenig wie die sonstigen Rechtsangleichungsermächtigungen) keine Anhaltspunkte.25 Vielmehr kann die Kompetenz der Rechtsangleichung, wie dargelegt, auch zu schöpferischer Rechtsgestaltung genutzt werden. Ob daher eine Regelung die Ausübung der Grundfreiheiten lenkt oder forciert, ist für die Kompetenz des Art. 100a EGV irrelevant. Insbesondere kann die Rechtsangleichung auch der Wirtschaftslenkung dienen und tut dies auch in vielen Fällen. 26 Der gegenteiligen Auffassung liegt letztlich eine Vermischung der Kompetenzfrage und der Grundrechtsfrage zugrunde. Sowenig in Deutschland ein Bundesgesetz gegen die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verstoßen kann, weil es zu sehr in die Freiheit des Bürgers eingreift, so wenig hängen die Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft von der Intensität der Beeinträchtigung von Bürgerrechten ab. Letzteres spielt (allein) eine Rolle, wenn geklärt wird, ob die Regelung mit (EG-)Grundrechten vereinbar ist. 27 Wie im nationalen Bereich sind Kompetenz- und Grundrechtsfragen streng zu trennen. 28

b) Binnenmarkt als Gegenstand aa) Die Ermächtigung des Art. 100a EGV kommt des weiteren nur dann zum Tragen, wenn die Reqhtsangleichung das Entstehen und Funktionieren des Binnenmarkts betrifft. Ist das nicht der Fall, muß auf die Ermächtigung des Art. 100 EGV zurückgegriffen werden. Diese inhaltliche Ausrichtung bezieht sich auf die zum Zweck der Rechtsangleichung ergehende EG-Regelung, nicht auf die nationalen Regelungen, die angeglichen werden sollen. 29 Nationale Regelungen haben regelmäßig nicht den EG-Binnenmarkt „zum Gegenstand", sondern wirken sich nur auf 24

Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 213; ähnlich Steinberg /Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 315 f. 25 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 41 f. 26 Α. A. Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 214 f. 27 Dazu unten D. 28 Zutreffend Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 42. 29 Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 21; a. A. Klein, in: Hailbronner u. a., EWG-Vertrag, Stand 1991, Art. 100a Rn. 4. 5*

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diesen aus. Art. 100a Abs. 1 S. 2 EGV ist insoweit anders als Art. 100 EGV hinsichtlich des Gemeinsamen Marktes formuliert. Was unter Binnenmarkt im Sinne des Art. 100a EGV zu verstehen ist, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Der Europäische Gerichtshof hat dazu noch nicht explizit Stellung bezogen. Zum Teil wird unter Binnenmarkt nichts anderes als der Gemeinsame Markt verstanden,30 womit die gesamten Regelungsgehalte des EG-Vertrags umschrieben werden. Zum Teil wird der Begriff des Binnenmarkts als der engere Begriff, zum Teil als der weitere Begriff verstanden.31 Richtigerweise ist zu differenzieren: Hinsichtlich der Intensität ist das Binnenmarktkonzept anspruchsvoller und erlaubt damit weitreichendere Regelungen als die Ermächtigung des Art. 100 EGV. 32 Was dagegen den sachlichen Anwendungsbereich angeht, so muß der Binnenmarktbegriff im Sinne des Art. 100a EGV enger als der Begriff des Gemeinsamen Marktes in Art. 100 EGV sein, weil anderenfalls die Ermächtigung des Art. 100a EGV keine Sonderregelung im Verhältnis zu Art. 100 EGV darstellen würde. 33 Dafür sprechen noch andere Gesichtspunkte.34 Damit stellt sich die Frage, welche Sachthemen mit dem Begriff des Binnenmarktes erfaßt werden. Anhaltspunkte dafür finden sich in den Regelungen des Art. 3c EGV, des Art. 3d EGV und des Art. 3g EGV, in denen der Begriff des Binnenmarktes verwandt wird. Der Binnenmarkt umfaßt danach alle Regelungen, die die Grundfreiheiten betreffen 35 sowie alle Regelungen, die Wettbewerbsverfälschungen beseitigen oder vermeiden. 36 Zudem wird man hierher auch alle anderen Regelungen zu rechnen haben, die das Umfeld unternehmerischer Tätigkeiten verbessern sollen, damit die Unternehmen den Binnenmarkt voll nutzen können.37 Dagegen erfaßt der Binnenmarkt, anders als der Gemeinsame Markt, nicht die Ma30

Etwa Hiiffer/Ipsen/Tettinger,

Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991,

106 f. 31

Vgl. Middeke, Nationaler Umweltschutz im Binnenmarkt, 1994, 232 ff. Vgl. Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 8. 33 Zur Spezialität des Art. 100a EGV im Verhältnis zu Art. 100 EGV unten 3. vor a). 3 4 Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 914. 32

35 Der Binnenmarkt läßt sich aber nicht darauf beschränken; so jedoch tendenziell Hiiffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 114, 195; dagegen zu Recht Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 35. 36 Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 183 f; Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 17; Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 20. Zu eng daher Steinberg/ Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993,317. 37 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 35; Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 15 ff.

I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich

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terien der Agrarpolitik, der Sozialpolitik, der (speziellen) Umweltpolitik oder der Gemeinsamen Handelspolitik.38 Anders formuliert: Der Binnenmarkt zielt, wie auch Art. 7a Abs. 2 EGV verdeutlicht, auf die Beseitigung der wirtschaftlichen Grenzen innerhalb der Europäischen Union, erfaßt hingegen nicht die Realisierung von anderen Politikzielen sowie die wirtschaftlichen Beziehungen zum EG-Ausland. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Herstellung des Binnenmarktes regelmäßig bestimmte Sachmaterien betrifft. Der Umstand, daß eine EGRegelung etwa den Umweltschutz betrifft, schließt ihren Binnenmarktcharakter nicht notwendig aus, wie dies der Europäische Gerichtshof klargestellt hat. 39 Andernfalls verblieben kaum Regelungsmaterien für den Binnenmarkt. Es genügt vielmehr, daß eine Regelung wesentlich (auch) Ziele des Binnenmarktes verfolgt. 40 Daß gleichzeitig andere Ziele angestrebt werden, nimmt der Regelung nicht ihren Binnenmarktcharakter. In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Titandioxid-Richtlinie hat der Gerichtshof eine Binnenmarktregelung selbst dann angenommen, wenn die Richtlinie eindeutig Umweltschutzziele verfolgt, sie aber auch Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat. 41 In der Entscheidung zur Abfallrahmenrichtlinie hat er dies zu Recht etwas zurückgenommen und verlangt, daß es zumindest auch um die Verfolgung des Binnenmarktzieles geht und dieses Ziel in der betreffenden Regelung mit ausreichendem Gewicht zum Ausdruck kommt. 42 Wendet man diesen Befund in unserem Zusammenhang an, dann kommt dem Umstand entscheidendes Gewicht zu, daß sowohl die ElektrizitätsbinnenmarktRichtlinie wie die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie, ausweislich ihrer Erwägungsgründe, das Ziel verfolgen, „den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen". 43 Dabei kommt sowohl im Elektrizitäts- wie im Erdgassektor der „Vollendung des Binnenmarktes besondere Bedeutung zu". 4 4 Des weiteren sollen die Richtlinien „eine echte Marktöffnung" bewirken 45 und „handelspolitische Grundsätze" fördern. 46 Darüber hinaus betonen die Erwägungsgründe das Ziel der Nichtdiskriminierung. 47 Zudem wird das Ziel hervorgehoben, die „mißbräuchliche Ausnutzung 38 Vgl. Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 915. 39 EuGH, Slg.1991, 2867/2901; EuGH, EuZW 1993, 291. 40 Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 25; vgl. auch Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 1991, 107 f. 41 EuGH, Slg. 1991, 2867/2901 Rn. 23; dazu Jarass, Binnenmarktrichtlinien und Umweltschutzrichtlinien, EuZW 1991, 530 ff. 42 EuGH, EuZW 1993, 291 Rn. 19. 43

Jeweils 1. Begründungserwägung.

44

Jeweils 2.-6. Begründungserwägung. 8. Begründungserwägung der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie. 11. bzw. 12. Begründungserwägung. Jeweils 13. Begründungserwägung.

45 46 47

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einer marktbeherrschenden Stellung" zu verhindern. 48 Endlich geht es um eine „Liberalisierung der Märkte" durch positive staatliche Maßnahmen.49 Alle diese Ziele betreffen den Binnenmarkt. Insgesamt dienen die Richtlinien daher nicht nur auch der Verwirklichung des Binnenmarktes im Elektrizitäts- und Erdgassektor, wie dies für die Anwendung des Art. 100a EGV bereits genügen würde. Die Richtlinien sind vielmehr ganz dominant auf dieses Ziel ausgerichtet. 50 Die beiden Richtlinien haben die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts in den beiden betroffenen Sektoren zum Gegenstand und finden somit in Art. 100a EGV ihre Grundlage. 51 bb) Dem steht schließlich nicht entgegen, daß die Verwirklichung des Binnenmarktes gemäß Art. 7a Abs. 1 EGV bis zum 31. 12. 1992 erfolgen sollte. Der (zeitliche) Anwendungsbereich des Art. 100a EGV erschöpft sich nicht mit diesem Zeitpunkt, 52 da die Verwirklichung des Binnenmarktes bis zu diesem Zeitpunkt keineswegs sichergestellt war und de facto auch nicht erreicht wurde. Vor allem aber dient Art. 100a EGV nicht nur der Errichtung, sondern auch dem Funktionieren des Binnenmarkts, stellt also einer fortdauernde Aufgabe dar.

3. Verhältnis zu anderen Ermächtigungen

Die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 100a EGV führt zu der Frage, ob die Ermächtigung (bzw. deren Spezialisierungen in Art. 57 Abs. 2 EGV oder Art. 66 i.V.m Art. 57 Abs. 2 EGV) nicht durch andere Regelungsermächtigungen verdrängt wird. Für die Ermächtigung des Art. 100 EGV ist das schon deshalb ausgeschlossen, weil diese Ermächtigung im Anwendungsbereich des Art. 100a EGV als allgemeinere Regelung zurücktritt. 53

48

16. bzw. 18. Begründungserwägung. 20. bzw. 23. Begründungserwägung. 50 Ebenso für die ursprüngliche Fassung der Richtlinien Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 35 f.; Stewing , Die Richtlinien-Vorschläge der EG-Kommission zur Einführung eines Third Party Access für Elektrizität und Gas, EuR 1993, 52 f. 51 Ebenso Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 43; Hermann, Die Konzeption der EG-Kommission zur Ordnung des europäischen Strommarktes, RdE 1992, 104. 52 Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 922; Langeheine, in: Grabitz / H i l f (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 10; Pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 6. 49

53

Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 86; Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 93.

I. Einschlägige Normen und Anwendungsbereich

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a) Verhältnis zu Art. 87 EGV Weniger eindeutig ist die Situation im Verhältnis zur wettbewerbsrechtlichen Kompetenz in Art. 87 EGV. Dementsprechend wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht der wettbewerbsrechtlichen Kompetenz der Vorrang vor Art. 100a EGV zukommt. 54 Nun ist es mehr als zweifelhaft, ob die Richtlinien zum Energiebinnenmarkt vollständig in den Anwendungsbereich des Art. 87 EGV fallen. 55 Nur soweit das der Fall ist, könnte ein Vorrang zum Tragen kommen. 56 Wichtiger ist, daß die Auffassung vom Vorrang des Art. 87 EGV das Verhältnis dieser Ermächtigungen verkennt. Die Ermächtigung des Art. 87 EGV zielt auf eine Konkretisierung der Vorgaben der Art. 85 f EGV, wie Art. 87 Abs. 1 EGV ausdrücklich sagt. Es geht darum, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen oder Beschlüsse wie des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung näher auszufüllen, soweit diese Verbote in Art. 85 EGV sowie in Art. 86 EGV ausgeformt wurden. 57 Die Ermächtigung ist also auf kartellrechtliche Regelungen beschränkt. 58 Demgegenüber zielt Art. 100a EGV auf die Angleichung von Rechtsund Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten. Die Kompetenz zur Rechtsangleichung geht ihrer Natur nach über den Abbau von Behinderungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten hinaus - wie das bei Art. 87 EGV vorausgesetzt wird - und kann auch rein innerstaatliche Sachverhalte erfassen. 59 Schon daraus ergibt sich, daß die Ermächtigung des Art. 100a EGV und die des Art. 87 EGV zwei verschiedene Regelungsziele verfolgen, 60 was es ausschließt, in Art. 87 EGV eine Spezialregelung zu sehen.61 Die Ermächtigungen des Art. 100a EGV und des 54 Schütte, Richtlinienvorschlag für Elektrizität im Rahmen des EWG-Vertrags, ET 1992, 259 f.; Kühne, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 117 ff.; Eckert, Die Vorschläge der EG-Kommission zum „Third Party Access", RdE 1992, 61. 55 Vgl. Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 313; Schütte, Richtlinienvorschlag für Elektrizität im Rahmen des EWG-Vertrags, ET 1992, 260. 56 Ebenso Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 89. 57 Schröter, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 87 Rn. 2 f.; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 126 ff. 58 Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 175; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 126 ff. 59 Näher dazu unten C. II. 2. b). 60 Ebenso Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 33. 61 Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 179 f. In den Listen der Spezialnormen wurde Art. 87 EGV regelmäßig nicht aufgeführt; vgl. Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, Rn. 1546; Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994,

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Art. 87 EGV stehen daher selbständig nebeneinander. Sofern in einem konkreten Falle beide Ermächtigungen genutzt werden könnten, steht den EG-Organen ein Wahlrecht zu. Auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verhältnis von Art. 43 EGV und Art. 100 EGV ist nichts anderes zu entnehmen. Der Gerichtshof hat im Agrarbereich eine Rechtsangleichung allein auf der Grundlage des Art. 43 EGV als zulässig eingestuft. 62 Daraus wird ein Vorrang der Ermächtigung des Art. 43 EGV vor der des Art. 100 EGV abgeleitet und auf Art. 100a EGV übertragen. 63 Für unsere Thematik ist aber daraus nichts zu entnehmen. Art. 43 EGV enthält für den Bereich der Agrarpolitik eine umfassende Ermächtigung, die auch alle Bedürfnisse der Rechtsangleichung (im Agrarbereich) abdeckt. Dagegen enthält Art. 87 EGV keine umfassende Normsetzungsermächtigung für den Kartellbereich, sondern dient allein der Konkretisierung von Art. 85 EGV und Art. 86 EGV. Die Erfordernisse der Rechtsangleichung werden daher nur abgedeckt, soweit bereits die Art. 85 f EGV Wettbewerbsbeschränkungen verbieten. Art. 100a EGV und Art. 87 EGV stehen eben selbständig nebeneinander.

b) Verhältnis zu Art. 90 Abs. 3 EGV und Art. 130s EGV aa) Entsprechendes gilt für die Ermächtigung des Art. 90 Abs. 3 EGV, die Regelungen im Bereich öffentlicher bzw. monopolartiger Unternehmen gestattet. Auch dieser Ermächtigung kommt kein Vorrang vor der des Art. 100a EGV zu. Sie dient allein der Konkretisierung und Durchführung des Art. 90 Abs. 1, 2 EGV. 64 Darauf sind die Richtlinien über den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Gasbinnenmarkt aber nicht beschränkt. 65 Zudem ermächtigt die Vorschrift nur die Kommission, nicht den Rat und das Europäische Parlament. Die früher auf Art. 90 Abs. 3 EGV gestützten Regelungsvorschläge im Energiebereich lösten dementsprechend bei den Mitgliedstaaten wie bei der betroffenen Industrie den Vorwurf eines nicht ausreichend demokratischen Verfahrens aus.66 Nicht zuletzt steht einer Anwendung der Ermächtigung in unserem Zusammenhang der Umstand entgegen, daß nicht in Art. 100a Rn. 15; Pipkorn, in: v.d.Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 46; Beutler u. a., Die Europäische Union, 4. Aufl. 1993, 391 f. 62 EuGH, Slg.1988, 855/896; 1989, 3743/3767 f. 63 Pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 47. 64 EuGH, EuZW 1993, 132; Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 60. 65 Vgl. Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 172 ff.; Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 313; Schütte, Richtlinienvorschlag für Elektrizität im Rahmen des EWG-Vertrags, ET 1992, 260; a. A. Ehlermann, EG-Binnenmarkt für die Energiewirtschaft, EuZW 1992, 690. 66 Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 553.

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität

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allen Mitgliedstaaten die Elektrizitäts- und Erdgasunternehmen in vollem Umfang Vorrechte im Sinne des Art. 90 Abs. 1 EGV besitzen oder mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Art. 90 Abs. 2 EGV betraut sind. 67 Zudem können über Art. 90 Abs. 3 EGV nur Handlungen der Mitgliedstaaten, nicht der Unternehmen erfaßt werden. 68 bb) Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß die Ermächtigung des Art. 130s EGV ebenfalls nicht zum Tragen kommt und daher die des Art. 100a EGV nicht verdrängt. Der Umweltschutz stellt nur ein untergeordnetes Ziel der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie und der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie dar. 69 Im Vordergrund steht, wie dargelegt, die Verwirklichung des Binnenmark-

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität 1. Grundlagen

a) Binnenmarktfinale

Erforderlichkeit

Für die Ermächtigung zur Rechtsangleichung nach Art. 100a EGV genügt es anerkanntermaßen nicht, daß mit den betreffenden Regelungen Ziele des Binnenmarktes verfolgt werden. Art. 100a Abs. 1 S. 1 EGV verweist auf die Vorschrift des Art. 7a EGV, die ihrerseits die Verwirklichung des Binnenmarktes auf Maßnahmen beschränkt, die für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes „erforderlich" sind. Andererseits besteht das Ziel des Binnenmarktes nicht allein aus den mit den Grundfreiheiten zusammenhängenden Aufgaben. Erfaßt werden auch der Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen sowie andere Regelungen, die dazu beitragen, daß die Unternehmen den Binnenmarkt voll nutzen können.71 Durch diese weite Zielbeschreibung wird die Bedeutung der Erforderlichkeit deutlich beschränkt. Darüber hinaus besteht Einigkeit, daß dem Rat (und dem Europäischen Parlament) bei der Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme im Sinne des Art. 7a EGV erforderlich ist, eine weite Beurteilungsprärogative eingeräumt ist. 72 Eine Maß67 Dazu unten C. IV. 2. a). 68 EuGH, Slg.1991, 1223/1272 Rn. 55 ff. 69 Allgemein zum Verhältnis der beiden Ermächtigungen EuGH, DVB1 1994, 998 f.; Jarass, Binnenmarktrichtlinien und Umweltschutzrichtlinien, EuZW 1991, 530 ff. 70 s. oben C. I. 2. b). 71 s. oben C. I. 2. b). 72 Pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 9; Miiller-Graff\ Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarkts, EuR 1989, 128; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 38; Steindorff,\ Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, 109.

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nähme kann nur dann als nicht erforderlich eingestuft werden, wenn sich positive Auswirkungen auf den Binnenmarkt ausschließen lassen oder wenn sich abzeichnet, daß die Mitgliedstaaten durch eigene Maßnahmen den Angleichungsakt der Gemeinschaft entbehrlich werden lassen.73 Insgesamt ist das Gewicht der binnenmarktfinalen Erforderlichkeit recht begrenzt.

b) Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips aa) Dieser Befund könnte sich durch die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 3b EGV geändert haben. Gemäß Art. 3b Abs. 2 EGV dürfen Maßnahmen der Gemeinschaft, die nicht in den Bereich ausschließlicher EG-Kompetenzen fallen, nur ergehen, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können". Darüber hinaus legt Art. 3b Abs. 3 EGV fest, daß Maßnahmen der Gemeinschaft „nicht über das für die Erreichung des Ziels des Vertrags erforderliche Maß" hinausgehen dürfen. Damit gewinnt die Erforderlichkeitsprüfung eine neue Qualität. 74 Der Regelung des Art. 3b EGV ist zu entnehmen, daß der Grundsatz der Subsidiarität eine zwingende Kompetenzausübungsschranke darstellt, deren Einhaltung der Rechtskontrolle durch den Europäischen Gerichtshof unterliegt. Frühere Zweifel über die Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips sind durch die neue Vorschrift des Art. 3b EGV ausgeräumt.75 bb) Gegen die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in unserem Zusammenhang könnte man allerdings einwenden, daß Art. 3b Abs. 2 EGV nur im Bereich der konkurrierenden Rechtsetzungskompetenzen zum Tragen kommt, die Kompetenz der Binnenmarktangleichung aber zu den ausschließlichen EG-Kompetenzen zählt. 76 Gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß die Ermächtigung des Art. 100a EGV angesichts ihrer funktionalen Ausrichtung nicht auf einen wie auch immer abgegrenzten Sachbereich „Binnenmarkt" beschränkt ist. Eine solche Argu73 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 38; noch etwas großzügiger Müller-Grajf, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarkts, EuR 1989, 128. 74 Was das praktische Ergebnis in unserem Zusammenhang angeht, sind die Unterschiede allerdings weit geringer als man das auf den ersten Blick vermutet; vgl. unten C. II. 4. 75 Pipkorn, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäische Union, EuZW 1992, 700; Schmidhuber/Hitzler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EWG-Vertrag, NVwZ 1992, 725; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 211; Pieper, Subsidiaritätsprinzip, DVB1 1993, 711; Lambers, Subsidiarität in Europa, EuR 1993, 240; Stein, in: Merten (Hg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, 35 ff. 76 So etwa Schwartz , Subsidiarität und EG-Kompetenzen, AfP 1993, 413 ff.; wohl auch Langguth, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 3b Rn. 18 f.

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität

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mentation würde - mit umgekehrter Stoßrichtung - die unzutreffende, zumindest mißverständliche These wiederholen, daß die Europäische Gemeinschaft auf das Feld des Wirtschaftsrechts beschränkt sei. 77 Richtigerweise kann die Ermächtigung des Art. 100a EGV in allen Sachmaterien bedeutsam werden, wenn und soweit die Gewährleistung des Binnenmarktes bezweckt wird. 78 Würde man daher Art. 100a EGV der ausschließlichen Gesetzgebung zuordnen, wäre der Bereich der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft erheblich weiter als etwa die gesamte ausschließliche Kompetenz des Bundes in Deutschland. Die Europäische Gemeinschaft besäße ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen in allen Sachmaterien, sofern nur die betreffenden Regelungen irgendwelche Folgewirkungen für den Binnenmarkt besäßen. Das kann schwerlich zutreffen, weshalb der Regelungsbereich des Art. 100a EGV der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zuzuordnen ist. 79 Das Subsidiaritätsprinzip des Art. 3b Abs. 2 EGV gilt daher auch im Bereich der Rechtsangleichung nach Art. 100a EGV. 80 cc) Aber auch wenn man das anders sieht, kommt der Grundsatz der Erforderlichkeit in unserem Zusammenhang zum Tragen, weil und soweit er in Art. 3b Abs. 3 EGV verankert ist. Diese Regelung gilt auch im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung.81 Allerdings ist bislang noch wenig geklärt, in welchem Verhältnis diese Regelung zu der des Art. 3b Abs. 2 EGV steht. Zunächst könnte man daran denken, daß die Vorschrift des Art. 3b Abs. 3 EGV nicht das Verhältnis Gemeinschaft/Mitgliedstaaten betrifft, sondern (allein) das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Bürger. Der systematische Zusammenhang mit Art. 3b Abs. 1 EGV und Art. 3b Abs. 2 EGV spricht jedoch gegen ein solches Verständnis. Dementsprechend sieht auch der Europäische Rat in der Regelung des Art. 3b Abs. 3 EGV eine Aussage zum Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten.82 Ob Art. 3b Abs. 3 EGV daneben auch auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Bürgern Anwendung findet, 83 kann hier dahingestellt bleiben.

77

Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 210. Vgl. dazu EuGH, EuZW 1991, 473; EuZW 1993, 290 f.; Jarass, Binnenmarktrichtlinien und Umweltschutzrichtlinien, EuZW 1991, 530 ff. 79 Ebenso Schmidhuber/Hitzler, Binnenmarkt und Subsidiaritätsprinzip, EuZW 1993, 9; v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 29 80 v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 29; v. Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, 275; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994,211. 78

81

v. Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, 269. Europäischer Rat, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Bulletin, 1992, 1282; ebenso v. Bogdandy / Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 48. S3 So BVerfG, EuGRZ 1993, 446; v. Bogdandy /Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 36. 82

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Ob die Vorgabe des Art. 3b Abs. 3 EGV auf Art und Intensität des Tätigwerdens beschränkt ist oder auch dessen Ob erfaßt, ist umstritten. 84 Folgt man der engeren Auffassung, müßte jedenfalls die Intensität der Richtlinien an Art. 3b Abs. 3 EGV gemessen werden, sofern man Art. 3b Abs. 2 EGV für unanwendbar ansieht. Da aber, wie dargelegt, im Bereich der Rechtsangleichung auch die Vorschrift des Art. 3b Abs. 2 EGV gilt, ist im folgenden nicht nur die Intensität, sondern auch das Ob der Regelung am Grundsatz der Erforderlichkeit zu messen.

2. Keine ausreichende Zielerreichung auf der Ebene der Mitgliedstaaten

a) Die erste Vorgabe des Subsidiaritätsprinzips Gemäß Art. 3b Abs. 2 EGV ist eine Gemeinschaftsregelung nur möglich, wenn ihr Ziel von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann. Wie ist diese Vorgabe zu verstehen? Kommt es darauf an, ob in den Mitgliedstaaten ein tatsächlicher Befund anzutreffen ist, den die EG-Organe als mangelhaft einstufen, oder ist entscheidend, daß die Mitgliedstaaten aufgrund ihres begrenzten Zugriffs (nicht aber aufgrund einer anderen Einschätzung) nicht in der Lage sind, die entsprechenden Ziele zu realisieren? Nach der ersten Auffassung würde es genügen, wenn Regelungen des Gemeinschaftsrechts bei bilanzierender Betrachtungsweise für den Binnenmarkt ein günstigeres Ergebnis hervorbringen als die vorgefundenen oder absehbaren, sachlich divergierenden Regelungen der Mitgliedstaaten,85 mit der Folge, daß die Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Gemeinschaft bereits erfüllt sind, wenn ein europaweit einheitlicher Mindeststandard strengere Anforderungen festlegt als die bestehenden Standards der Mitgliedstaaten mit dem niedrigsten Schutzniveau.86 Diese Voraussetzung wäre in unserem Zusammenhang angesichts der jedenfalls in einigen Mitgliedstaaten sehr mageren Regelungen für den Elektrizitäts- und den Erdgasbinnenmarkt zu bejahen. Die zweite Auffassung hebt dagegen auf die durch die strukturellen Unterschiede bedingten verschiedenartigen Leistungspotentiale von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht ab. Der Wortlaut des Art. 3b Abs. 2 EGV spricht für dieses Verständnis. Die Vorschrift stellt nicht darauf ab, ob die Ziele auf der Ebene der Mitgliedstaaten „erreicht werden", sondern ob sie „erreicht werden können". Auch in der Sache wird dieses Verständnis dem Charakter des Subsidiaritätsprinzips besser gerecht, das der kleineren Einheit auch sachliche Entscheidungs- und Beurteilungskompetenzen übertragen soll. 87 Daraus muß man entnehmen, daß es grund84

Vgl. einerseits Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 214; andererseits v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 27 zum Verhältnis der Unterabsätze. 85 So wohl Lambers, Subsidiarität in Europa, EuR 1993, 236. 86 Vgl. Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der EEA, 1990, 55 ff.

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität

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sätzlich der Entscheidung der Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob sie die fraglichen Ziele erreichen wollen oder nicht. Nur dann, wenn sie wegen des begrenzten Zugriffs des nationalen Rechts zur Erreichung der Ziele nicht in der Lage sind, kann die Gemeinschaft tätig werden. 88 Bedeutsam ist insbesondere, wie sehr der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr betroffen ist und in welchem Maße transnationale Probleme bewältigt werden müssen.89

b) Anwendung Welche Konsequenzen ergeben sich daraus in unserem Zusammenhang? Soweit die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie und die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie den grenzüberschreitenden Verkehr mit Elektrizität bzw. mit Erdgas ermöglichen und fördern, ist es sehr unwahrscheinlich, daß dieses Ziel auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend erreicht werden kann. 90 Zwar kann jeder Mitgliedstaat versuchen, die Grenzen auch in diesen Sektoren zu öffnen. Regelungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten werden aber, auch wenn sie dieses Ziel verfolgen, nicht einheitlich ausfallen, da es unterschiedliche Möglichkeiten der Marktöffnungen gibt. 91 Diese Ungleichheit stellt zwangsläufig ein Hindernis für einen grenzüberschreitenden Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt dar. Soweit daher die Regelungen der Richtlinien sich auf den grenzüberschreitenden Elektrizitäts- und Erdgasverkehr beziehen, ist eine Regelung auf der Ebene der Mitgliedstaaten schwerlich ausreichend. Im Bereich der Elektrizitäts- und der Erdgaswirtschaft gilt das noch mehr als in anderen Wirtschaftsbereichen, weil die Märkte in diesen Sektoren in den Mitgliedstaaten besonders unterschiedlich ausgestaltet sind. Der bisherige Befund beschränkt sich allerdings auf den Bereich des grenzüberschreitenden Elektrizitäts- und Erdgas Verkehrs. Sowohl die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie regeln aber auch rein innerstaatliche Sachverhalte. Sie kommen auch zum Tragen, wenn die innerstaatlichen Märkte für Strom und Erdgas durch ausschließliche Rechte etc. behindert werden. Das könnte zu dem Schluß verleiten, daß die Richtlinien insoweit dem Grundsatz der Erforderlichkeit nicht gerecht werden, da die Mitgliedstaaten durchaus in der Lage sind, die innerstaatlichen Behinderungen abzubauen.

87

Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 210 f. Ebenso Merten, in: ders. (Hg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, 80 f. 89 Vgl. Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 215. 90 Sehr pointiert Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 16: Die Mitgliedstaaten können die Aufgabe des Energiebinnenmarkts von vorne herein nicht bewältigen. 88

91

Nach Grunwald, in: Röttinger/ Weyringer (Hg.), Handbuch der Europäischen Integration, 1981, 885 finden sich bei keiner Gemeinschaftspolitik so ausgeprägte Gegensätze wie im Energiebereich.

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Ein solcher Schluß verkennt jedoch den Charakter der Rechtsangleichung. Der Weg der Rechtsangleichung besteht gerade darin, Hindernisse für die Überschreitung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten dadurch zu beseitigen, daß ein (jedenfalls in den Wirkungen) einheitliches Recht für den gesamten Bereich und damit auch für die innerstaatlichen Anwendungsfälle geschaffen wird. 92 Daß Art. 3b EGV daran etwas ändern wollte, kann schwerlich angenommen werden, weil dann die Kompetenz der Rechtsangleichung in ihrem Kern betroffen wäre und eine Rechtsangleichung, die ihrem Wesen nach auch innerstaatliche Sachverhalte erfaßt, nicht mehr möglich wäre. Das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3b EGV sollte aber nicht bestimmte Kompetenzen der Gemeinschaft beseitigen, insbesondere nicht die der Rechtsangleichung. Vielmehr soll sie nur deren Ausübung auf das erforderliche Maß reduzieren. Der Grundsatz der Erforderlichkeit wäre allenfalls betroffen, wenn es unschwer möglich wäre, allein die grenzüberschreitenden Fragen zu regeln und die rein innerstaatlichen Probleme offenzulassen. 93 Das ist aber im Bereich der Elektrizitätsund der Erdgaswirtschaft schwerlich zu realisieren. Innerstaatliche Vorgaben für die Erzeugung und den Transport von Energie werden häufig grenzüberschreitende Effekte aufweisen, und seien sie auch nur mittelbarer Natur. 94 Möglich ist allerdings eine schwerpunktmäßige Behandlung von Bereichen der Energiewirtschaft mit hohem grenzüberschreitenden Potential (etwa der Übertragung oder der Fernleitung) und eine eher kursorische Behandlung anderer Bereiche (etwa der Verteilung). Eben das geschieht aber in den Richtlinien zum Energiebinnenmarkt, zumal in der geänderten Fassung.95 Insgesamt ist festzuhalten, daß die Mitgliedstaaten im Regelungsbereich der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie zu einer wirksamen Regelung schwerlich in der Lage sind und daher die erste Voraussetzung des Subsidiaritätsprinzips der gemeinschaftsrechtlichen Regelung nicht entgegensteht.96

92

Insb. dient Art. 100a EGV nicht nur dem Abbau von Behinderungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, sondern der Beseitigung aller Hindernisse für den Binnenmarkt, insb. der Beseitigung standortbezogener Wettbewerbs Verfälschungen; vgl. Pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 19. 93 In diese Richtung Kühne, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 118 f. 94 Dementsprechend können über Art. 100a EGV auch Wettbewerbsbehinderungen abgebaut werden, die daraus resultieren, daß die Produktionsbedingungen in einem Mitgliedstaat (und sei es auch nur in einem Teil dieses Staats) nachteiliger als in anderen Mitgliedstaaten ausgestaltet sind; Pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 19. 9 5 s. oben Β. II. 3. + 4. 96 Ebenso Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 16; Pernice , Umweltschutz und Energiepolitik, RdE 1993, 48 f. mit weiteren Gründen.

II. Erforderlichkeit und Subsidiarität

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3. Bessere Verwirklichung auf Gemeinschaftsebene

Die zweite Voraussetzung für ein Handeln der Gemeinschaft, wie sie Art. 3b Abs. 2 EGV vorgibt, die bessere Verwirklichung des Ziels auf Gemeinschaftsebene, scheint zwangsläufig gegeben zu sein, wenn die erste Voraussetzung bejaht wird. 97 Kann ein Ziel von den Mitgliedstaaten nicht erreicht werden, dann wird eine Regelung auf Gemeinschaftsebene, sofern sie nur eine gewisse Wirksamkeit entfaltet, effektiver sein.98 Gleichwohl wird in der zweiten Alternative zu Recht eine eigenständige Voraussetzung gesehen, auch vom Europäischen Rat. 99 Sie verlangt zunächst, daß die Regelung auf Gemeinschaftsebene wirksam ist, was nicht automatisch der Fall ist, wenn eine entsprechende Regelung auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht effektiv ist. Darüber hinaus ist die zweite Voraussetzung nicht schon dann erfüllt, wenn mit dem Gemeinschaftshandeln geringfügige oder marginale Vorteile verbunden sind. Der Europäische Rat hat zu Recht verlangt, daß durch das Handeln auf Gemeinschaftsebene „deutliche Vorteile" erzielt werden. 100 Nur dann ist der Idee des Subsidiaritätsprinzips entsprechend eine Aktion auf Gemeinschaftsebene angebracht. Zudem liegt darin das notwendige Gegenstück zu dem noch zu erörternden Beurteilungsspielraum der Gemeinschaftsorgane bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. 101 Wendet man diese Vorgabe in unserem Zusammenhang an, dann kommt dem schon erwähnten Umstand großes Gewicht zu, daß die Elektrizitäts- und Erdgasmärkte in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt sind. Selbst wenn man daher annimmt, daß die Gemeinschaft nicht in allen Fällen der Beseitigung von Hindernissen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs zu deutlich leistungsfähigeren Regelungen in der Lage ist, muß man diese Voraussetzung jedenfalls im Bereich der Elektrizität und des Erdgases bejahen. Ein EG-weit einheitliches Regime wird in diesen Sektoren nationalen Regelungen zur wechselseitigen Öffnung der nationalen Märkte in erheblichem Umfang überlegen sein. Daraus folgt, daß die Regelungen der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie auch der zweiten Voraussetzung des Art. 3b Abs. 2 EGV gerecht werden. 97 So in der Tat Pieper, Subsidiaritätsprinzip, DVB1 1993, 709. 98 Dafür spricht auch das Wort „daher" in der Formulierung des Art. 3b Abs. 2 EGV. 99 Europäischer Rat, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Bulletin, 1992, 1281; ebenso Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, EuZW 1993, 367 f.; Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, AöR 1993, 435; Merten, in: ders. (Hg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, 83. 100

In: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Bulletin 1992, 1281. Dazu unten C. II. 4. Kaum eine einschränkende Wirkung hat dagegen der Umstand, daß nach dem Wortlaut des Art. 3b Abs. 2 EGV auf „Umfang" oder „Wirkung" der Gemeinschaftsregelung abgestellt werden muß; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 211. 101

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4. Beurteilungsspielraum und Begründungspflicht

Unabhängig von dem bisherigen Befund ist schließlich zu berücksichtigen, daß die Regelung des Art. 3b EGV eine Reihe von unbestimmten Rechtsbegriffen enthält und daher den zuständigen Organen, jedenfalls soweit es um die Normsetzung geht, einen weiten Spielraum einräumt. Dementsprechend ist anerkannt, daß den EG-Organen bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ein erheblicher Beurteilungsspielraum zukommt. 102 Das hat zur Folge, daß die Entscheidung des Rates bzw. des Europäischen Parlamentes lediglich eingeschränkt justitiabel sind. Die Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof dürfte weithin darauf beschränkt sein, ob die getroffene Entscheidung auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen in vertretbarer Weise erfolgt ist. 1 0 3 Selbst wenn man es daher für möglich halten würde, daß eine EG-weite Öffnung der Elektrizitäts- und der Erdgasmärkte durch die Mitgliedstaaten ausreichend geregelt werden könnte oder jedenfalls eine Regelung auf EG-Ebene nicht viel wirksamer wäre, dann würde das einer Regelung durch die Gemeinschaft nur entgegenstehen, wenn die gegenteilige Einschätzung als unvertretbar eingestuft werden müßte. Das aber läßt sich schwerlich vertreten. 104 Als Korrelat zum Beurteilungsspielraum folgt aus dem Subsidiaritätsprinzip anerkanntermaßen die Pflicht der Gemeinschaftsorgane, im Rechtsetzungsverfahren darzulegen, warum die Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips gegeben sind. Insbesondere gilt diese Pflicht für die Regelungsvorschläge der Kommission. 105 Sowohl in der Begründung der ursprünglichen Richtlinienvorschläge wie in der Begründung der geänderten Vorschläge wird das Anliegen der Subsidiarität aufgegriffen und der unterschiedlichen Situation in den Mitgliedstaaten Rechnung getragen. 106 Darüber hinaus betreffen die 19. Begründungserwägung zur Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt und die 22. Begründungserwägung zur Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt das Subsidiaritätsprinzip. Zusammen genommen wird man darin wohl eine ausreichende Begründung sehen können, obgleich die Formu-

102 Vgl. v. Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, 283 f.; Oppermann/ Classen, Die EG vor der Europäischen Union, NJW 1993, 8; Pieper, Subsidiaritätsprinzip, DVB1 1993, 711 f.; Schmidhuber/Hitzler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EWG-Vertrag, NVwZ 1992, 724 f.; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 212; Lambers, Subsidiarität in Europa, EuR 1993, 241. 103 Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 212; Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, AöR 1993, 439. Zudem ist zu prüfen, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen beachtet wurden. 104 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 39 f. 105 Lambers, Subsidiarität in Europa, EuR 1993, 238; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität, EuGRZ 1994, 212 f. 106 Vgl. KOM (91) 548 endg., S. 9; KOM (93) 643 endg., S. 2, 8.

III. Relevanz fehlender Spezialkompetenz für die Energiepolitik

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Hertingen recht apodiktisch sind. 107 Dieser Begründungsstil findet sich in gleicher Weise in anderen Teilen der Begründung und darüber hinaus ganz generell bei der Begründung von Rechtsakten. Insgesamt ist festzuhalten, daß der Erlaß der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 3b EGV gerecht wird. Das führt zu dem Ergebnis, daß die Europäische Gemeinschaft aufgrund des Art. 100a EGV zum Erlaß der Richtlinien in vollem Umfang befugt ist.

I I I . Relevanz fehlender Spezialkompetenz für die Energiepolitik 1. Auswirkung fehlender Spezialkompetenzen für Energiepolitik

aa) Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie wird zum Teil damit in Frage gestellt, daß der Gemeinschaft keine Kompetenzen speziell für die Energiepolitik zustehen, daß insoweit vielmehr allein die Mitgliedstaaten zuständig seien. 108 Zur Begründung wird auf den Umstand verwiesen, daß die im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht gemachten Vorschläge, in den EG-Vertrag eine spezielle Kompetenz der Gemeinschaft für den Bereich der Energiepolitik aufzunehmen, 109 nicht die notwendige Zustimmung gefunden haben und die Entscheidung der Frage auf die für 1996 geplante Vertragsrevision verschoben wurde. 110 Die Aufgabenzuweisung in Art. 3t EGV ändere daran nichts, da sich daraus keine Regelungskompetenzen ergeben. Letzteres ist durchaus zutreffend. 111 Richtig ist weiterhin, daß der EG-Vertrag nur wenige spezielle Energierechtsregelungen aufweist, 112 die weder für die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie noch für die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie eine ausreichende Grundlage bilden. 113 107 Stuft man die Begründung als unzureichend ein, wären die Richtlinien gleichwohl umzusetzen und anzuwenden, bis sie der EuGH für rechtswidrig erklärt hat; s. oben C vor I; anders wohl im vorliegenden Zusammenhang v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 3b Rn. 39 ohne auf die Rspr. des EuGH einzugehen. Und auch nach einer solchen Entscheidung des EuGH ist damit zu rechnen, daß dieser die Richtlinien für die Zeit bis zur Erstellung einer ausreichenden Begründung für anwendbar erklärt. 108 Recknagel, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 61 ff.; Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 314. 109 Vgl. Art. 4 Abs. 1 in Kap. „Energie", in: Beiträge der Kommission zur Regierungskonferenz über die politische Union, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beil.2/91, 151. 110 Vgl. die Erklärung zu den Bereichen Katastrophenschutz, Energie und Fremdenverkehr zur Schlußakte des Vertrags von Maastricht sowie Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 106. m s. oben Α. I. 2. b) bb). 112 Dazu oben Α. I. 2. b).

6 Jarass

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Gleichwohl ist die These, die Europäische Gemeinschaft dürfe keine Energiepolitik betreiben, in dieser Pauschalität unzutreffend. Zunächst ist festzuhalten, daß der Erlaß jeder Energierechtsvorschrift Energiepolitik ist. Folglich müßte man nach dieser Auffassung jede Energierechtsregelung durch die Gemeinschaft als unzulässig einstufen. Die allgemeinen Regeln des EG-Vertrags, insbesondere die Ermächtigung zur Rechtsangleichung, kommen aber auch im Energiebereich zum Tragen. 114 Die Ermächtigung des Art. 100a EGV wird nicht gegenständlich, sondern funktional bestimmt und begrenzt. 115 Entscheidend ist allein, ob das Ziel des Binnenmarktes verfolgt wird. Welche Sachmaterie betroffen ist, spielt keine Rolle. Daher ist es irrelevant, ob der Gemeinschaft außerhalb der Ermächtigung des Art. 100a EGV eine Sachkompetenz zugewiesen ist oder nicht. 116 Dementsprechend ist es auch im Energiebereich bedeutungslos, daß der Gemeinschaft nur sehr begrenzte Sonderkompetenzen zugewiesen sind. Die gegenteilige Auffassung, die etwa zu den Transit-Richtlinien vorgetragen wurde, 117 übersieht, daß es für die Ermächtigung des Art. 100a EGV allein auf die Binnenmarktfinalität ankommt, nicht auf die Zuständigkeit der Gemeinschaft im übrigen. 118 So wie die Gemeinschaft mit Zustimmung des Europäischen Gerichtshofs gestützt auf Art. 100a EGV Umweltschutzvorschriften auch vor Einfügung spezieller Umweltschutzkompetenzen in den Vertrag erlassen konnte, sofern sie nur einen ausreichenden Bezug zum Gemeinsamen Markt bzw. zum Binnenmarkt aufweisen, 119 kann die Gemeinschaft auch Regelungen im Energiebereich treffen, sofern sie dem Binnenmarkt dienen, selbst wenn die Gemeinschaft für den Energiesektor überhaupt keine speziellen Sachkompetenzen besäße.120 Der Binnenmarkt im Energie113

Im übrigen gestattet daher der EG-Vertrag keine Energiepolitik als spezielle sektorielle Politik; Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 110. 114 Hüffer/Ipsen/Tettingen Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 102 f.; Slot, Energy and Competition, CMLRev 1994, 512; Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, Rn. 2009; Ehlermann, EG-Binnenmarkt für die Energiewirtschaft, EuZW 1992, 689 f.; Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 1192 115 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 34; Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 18. 116 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 34; Kapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 185; a. A. Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 215. 117 Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 112, 124. us So zu Recht Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 29 f., 35. 119 EuGH, Slg 1980, 1099/1106; 1980, 1115/1122; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 34. ι20 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 34 f.

III. Relevanz fehlender Spezialkompetenz für die Energiepolitik

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bereich ist mit denselben Mitteln herzustellen, wie sie in anderen Wirtschaftszweigen Anwendung finden. 121 Das bedeutet andererseits nicht, daß auf den Energiebereich beschränkte Binnenmarktregelungen ausgeschlossen sind und nur für die gesamte Wirtschaft geltende Regelungen auch im Energiebereich angewandt werden können. 122 Weite Bereiche der auf Art. 100a EGV gestützten Normen gelten nur für einzelne Wirtschaftssektoren. „Mittels der im Vertrag vorgesehenen Instrumente und in den Grenzen der beschränkten Einzelermächtigungen der Organe (kann daher) Energiepolitik betrieben und in Gemeinschaftsrecht umgesetzt werden". 123 bb) Nun kann man die dargestellte Auffassung auch so verstehen, daß die Europäische Gemeinschaft allein Detailänderungen im Bereich des Energierechts bzw. Angleichungen im Rahmen der bestehenden Ordnungsstrukturen vornehmen kann, nicht jedoch Regelungen, die sozusagen Ausfluß „großer" Energiepolitik sind. 124 Dementsprechend wird hinsichtlich der Binnenmarkt-Richtlinien darauf hingewiesen, daß damit weitreichende und strukturelle Änderungen im Bereich der Energiewirtschaft bewirkt werden sollen. 125 Letzteres ist durchaus zutreffend. Gleichwohl ist die generelle Ablehnung einer großen Energiepolitik durch die Gemeinschaft unzutreffend. 126 Wenn die Gemeinschaft, gestützt auf die Ermächtigung des Art. 100a EGV, den Binnenmarkt in einem Teilbereich der Wirtschaft fördern will, dann berührt der Abbau der Binnenmarkthindernisse gleichzeitig auch die Sachfragen des betreffenden Politikbereiches. Der Abbau der Hindernisse im Gemeinsamen Energiebinnenmarkt kann etwa Folgen für die Sicherheit der Energieversorgung haben. Diesen Aspekt darf die Gemeinschaft im Rahmen des Art. 100a EGV durchaus aufgreifen. Noch mehr: Eine sachgerechte Bewältigung der Binnenmarktaufgabe erfordert die Berücksichtigung der Sachprobleme des betreffenden Bereichs. So wäre es inakzeptabel, wenn die Europäische Union die innergemeinschaftlichen Grenzen im Energiebereich abbaut, dabei aber die Folgen für die Versorgungssicherheit unbe121 Ehlermann, EG-Binnenmarkt für die Energiewirtschaft, EuZW 1992, 689 f.; Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 108 f.; a. A. Steinberg, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 314. 122 So aber Recknagel, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 64 f. 123 Lukes , Die europäische Energiecharta, EuZW 1992,401. 124 Etwa Schütte, Richtlinienvorschlag für Elektrizität im Rahmen des EWG-Vertrags, ET 1992, 260; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 92 ff.; Steinberg/Britz, Die Energiepolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Regelungskompetenzen, DÖV 1993, 315 f. 125 Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitäts Wirtschaft, 1994, 102. 126 Ebenso v. Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 43. 6*

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rücksichtigt lassen würde. Die Gemeinschaft würde damit ihren Verpflichtungen aus Art. 2 EGV und aus Art. 3 lit.t EGV nicht gerecht. Entsprechendes gilt für andere Ziele der Energiepolitik. Aus diesem Grunde ist jede Rechtsangleichung im Energiebinnenmarkt notwendig auch ein Stück Energiepolitik, zumal es der Gemeinschaft nicht verwehrt sein kann, ihren Vorschlägen ein umfassendes Konzept zur Energiepolitik zugrunde zu legen. 127 Ein solches planmäßiges Vorgehen ist vielleicht nicht immer möglich, wohl aber zulässig und zu begrüßen. Andererseits kann eine Rechtsetzung auf der Grundlage des Art. 100a EGV nicht so weit gehen wie eine Normsetzung aufgrund spezieller Energierechtskompetenzen. Eine Regelung aufgrund von Art. 100a EGV ist nur möglich, wenn die Maßnahmen der Förderung des Binnenmarktes dienen. Im Rahmen der Rechtsangleichung nach Art. 100a EGV ist daher allein eine binnenmarktfördernde Energiepolitik zulässig, nicht hingegen eine binnenmarktneutrale Energiepolitik und erst recht keine binnenmarktbehindernde Energiepolitik. 128 Eine binnenmarktneutrale wie eine binnenmarktbelastende Energiepolitik sind allein aufgrund spezieller Energiekompetenzen zulässig. Würde etwa die Gemeinschaft eine Regelung erlassen wollen, mit der die Versorgungssicherheit im Energiebereich gefördert und zugleich vorhandene Freiheiten im grenzüberschreitenden Energieverkehr beschränkt werden, ließe sich die Regelung nicht auf Art. 100a EGV stützen. Dagegen ist die Gemeinschaft auf der Grundlage dieser Ermächtigung zu einer Energiepolitik befugt und berechtigt, soweit sie binnenmarktfördernden Charakter hat. In unserem Zusammenhang ergibt sich daraus, daß die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie wie die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie auch dann erlassen werden können, wenn sie der „großen" Energiepolitik zugeordnet werden, sofern sie nur den Binnenmarkt fördern. Eben das ist aber, wie dargelegt, 129 der Fall.

2. Auswirkung des Art. 130s Abs. 2 EGV

Ein weiteres Argument gegen eine (große) Energiepolitik wird der Regelung des Art. 130s Abs. 2, 3.SS EGV entnommen. Dort ist vorgesehen, daß beim Erlaß von Umweltschutzvorschriften anstelle der an sich genügenden Mehrheitsentscheidung im Rat Einstimmigkeit notwendig ist, wenn Regelungen „die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren". Umweltschutzvorschriften, die diese Voraussetzung erfüllen, bedürfen also der Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Rat.

127 Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 109. 128 Vgl. pipkorn, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 100a Rn. 31.

™ Oben C. I. 2. b).

IV. Die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV

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Daraus folge, daß die Energiepolitik weiterhin allein bei den Mitgliedstaaten liege. 1 3 0 Diese Argumentation ist schon deshalb irreführend, weil auch Regelungen im Anwendungsbereich des Art. 130s Abs. 2 EGV Regelungen der Europäischen Gemeinschaft sind, die Gemeinschaft also durchaus zu Regelungen der Energiepolitik befugt ist, wenn auch nur bei Einstimmigkeit im Rat. 1 3 1 Vor allem aber gilt diese Regelung allein dann, wenn es um den Erlaß von Umweltschutzvorschriften geht, wenn die Kompetenz des Art. 130s EGV genutzt werden soll. Die Vorschrift des Art. 130s Abs. 2 EGV gilt nicht im Bereich des Art. 100a EGV. Eine ohnehin problematische analoge Anwendung im Bereich des Art. 100a EGV muß daran scheitern, daß Art. 100a EGV sehr wohl für bestimmte Bereiche Einstimmigkeit vorschreibt: In den Fällen des Art. 100a Abs. 2 EGV kommt statt der Rechtsangleichung im Wege einer Mehrheitsentscheidung nach Art. 100a EGV die Rechtsangleichung nach Art. 100 EGV zum Tragen, mit der Folge, daß Einstimmigkeit im Rat notwendig ist. Die Frage der notwendigen Mehrheit ist also im Bereich der Rechtsangleichung positiv und eindeutig geregelt. Das schließt eine analoge Anwendung des Art. 130s Abs. 2 EGV aus. Aus der Regelung des Art. 130s Abs. 2 EGV läßt sich daher kein Argument gegen eine (binnenmarktfördernde) Energiepolitik, gestützt auf Art. 100a EGV, herleiten.

IV. Die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV 1. Zur Bedeutung der Regelung

Gem. Art. 90 Abs. 2 EGV gelten die Vorschriften des EG-Vertrags nicht für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, soweit die Anwendung der Vertragsvorschriften die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben verhindert. Nachdem die Energieversorgungsunternehmen nicht selten als derartige Unternehmen eingestuft werden, 132 gilt es zu fragen, ob die Ermächtigung des Art. 100a EGV in unserem Zusammenhang überhaupt anwendbar ist bzw. durch Art. 90 Abs. 2 EGV beschränkt wird. In der Diskussion zum Ausbau des Energierechts der Gemeinschaft wurde, soweit ersichtlich, diese (auf die Kompetenzproblematik bezogene) Frage bislang nicht gestellt. Ein Grund dafür ist sicher der Umstand, daß die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EGV im Kapitel über die „Wettbewerbsregeln" untergebracht ist. Wenn durch Art. 90 Abs. 2 EGV die Geltung der „Vorschriften dieses Vertrags" 130

Etwa Tettinger, Die öffentlichen Unternehmen im primären Gemeinschaftsrecht, DVB1 1994, 92. 131 Vgl. Epiney / Furrer, Umweltschutz nach Maastricht, EuR 1992, 397 f; Pernice , in: Rengeling (Hg.), Umweltschutz und andere Politiken der Europäischen Gemeinschaft, 1993,

110.

132 Näher dazu unten C. IV. 2. a).

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eingeschränkt wird, so könnte man angesichts der Stellung der Norm daran denken, damit nur Wettbewerbsvorschriften des Vertrags erfaßt zu sehen. Der klare Wortlaut des Art. 90 Abs. 2 EGV steht dem aber entgegen: Eingeschränkt wird die Anwendung der „Vorschriften dieses Vertrags, insbesondere der Wettbewerbsregeln". Das schließt es aus, Art. 90 Abs. 2 EGV auf die Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags zu beschränken. 133 Vom Wortlaut her eher denkbar ist es, die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV auf Vorschriften des EG-Vertrags zu beschränken, die an Unternehmen adressiert sind, Vorschriften, die für die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaftsorgane gelten, dagegen nicht erfaßt zu sehen. Aber auch diese Einschränkung vermag nicht zu überzeugen. Zunächst ist anerkannt, daß die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EGV über ihren Wortlaut hinaus auch zugunsten der Mitgliedstaaten wirkt und daher Vorschriften des Vertrags einzuschränken vermag, die die Mitgliedstaaten verpflichten. 134 Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in einer jüngeren Entscheidung festgehalten, daß Art. 90 Abs. 2 EGV der Anwendung der Grundfreiheiten Schranken setzen kann. 135 Auch in der Literatur wird das zunehmend akzeptiert. 136 In gleicher Weise ist die Regelung des Art. 90 Abs. 2 EGV auf Ermächtigungen der Gemeinschaftsorgane zum Erlaß von Rechtsnormen anwendbar. Diese Frage ist bislang noch kaum behandelt worden. Wie dargelegt, erfaßt Art. 90 Abs. 2 EGV alle Normen des EG-Vertrags und damit auch die Ermächtigungsnormen. Dementsprechend wird angenommen, daß die auf Art. 100a EGV gestützten Vorschriften generell Ausdruck des „Interesses der Gemeinschaft" im Sinne des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV sind. 137 Das setzt aber voraus, daß Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV auch die Ermächtigung des Art. 100a EGV einzuschränken in der Lage ist, mag auch die Einschränkung insbesondere wegen der Schranken des Anwendungsbereichs wenig bedeutsam sein. 138

133

Ebenso Dehmer, Gesetzliche Monopolrechte in der Stromversorgung und EG-Recht, RdE 1993, 95. 134 Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 51; Wilmowsky, Abfallwirtschaft im Binnenmarkt, 1990, 114; Gleiss /Hirsch, Kommentar zum EWG-Kartellrecht, 3. Aufl. 1978, Art. 90 Rn. 18. «s EuGH, Slg.1991, 5889/5930 f für die Grundfreiheiten aus Art. 30 EGV und aus Art. 48 EGV; anders noch EuGH, Slg.1984, 2727/2747. 1 36 Steindorff\ Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, 79 f; Jarass, EG-Recht und nationales Rundfunkrecht, EuR 1986, 81 f.; Marenco, Public Sector and Community Law, CMLRev 1983, 519; Randelzhofer, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 59 Rn. 5; dagegen Müller-Graff, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 30 Rn. 156. 1 37 Hochbaum, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 90 Rn. 61. 1 38 Näher zu dieser Schranke unten C. IV. 2. Dazu kommt die Schranken-Schranke des Art. 90 Abs. 2 S. 2 EGV; dazu unten C. IV. 3.

IV. Die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV

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Für ein solches weites Verständnis des Art. 90 Abs. 2 EGV spricht zudem die Funktion dieser Norm. Sie soll den Mitgliedstaaten ermöglichen, die erfaßten Dienstleistungen in der für sie spezifischen Form zu betreiben, sofern nicht die Grenze des Art. 90 Abs. 2 S. 2 EGV erreicht wird. Daher müssen nicht nur die Vorschriften des Vertrags, sondern auch das auf die Vertragsermächtigungen gestützte sekundäre Recht insoweit zurücktreten. Dem Spannungsverhältnis zwischen Art. 90 Abs. 2 EGV und Art. 100a EGV sowie anderer Normen des EG-Vertrags läßt sich im übrigen nicht durch den Hinweis entgehen, daß Art. 90 Abs. 2 EGV nicht das private Interesse der betroffenen Unternehmen an der Aufrechterhaltung ihrer Vorzugsstellung schützt, sondern das öffentliche Interesse an der Erfüllung der fraglichen Aufgaben. 139 Letzteres ist zwar durchaus zutreffend. 140 Aber auch wenn Art. 90 Abs. 2 EGV allein im Interesse der Mitgliedstaaten bzw. im Interesse des Allgemeinwohls Grenzen zieht, sind die dagegen verstoßenden Vorschriften rechtswidrig. Der Umstand, daß Art. 90 Abs. 2 EGV nicht dem Schutz der betroffenen Unternehmen dient, ist allein für die Frage bedeutsam, ob diese Unternehmen gegen Rechtsverstöße gerichtlich vorgehen können. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Richtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie des Erdgasbinnenmarktes ist dieser Aspekt dagegen unerheblich.

2. Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV

a) Anwendungsbereich aa) Die Anwendung der Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EGV setzt zunächst voraus, daß es sich um „Unternehmen" handelt, die „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" erbringen. Die in unserem Zusammenhang interessierenden Energieunternehmen sind solche Unternehmen. Das gilt auch dann, wenn sie unmittelbar vom Staat betrieben werden. Der Unternehmensbegriff im Sinne des Art. 90 EGV erfaßt auch staatliche Einrichtungen, soweit sie wirtschaftliche Leistungen erbringen. 141 Bedenken könnte man allenfalls haben, ob die Energieunternehmen Dienstleistungen erbringen, da zumindest die Erdgasunternehmen Waren liefern und damit in den Bereich der Freiheit des Warenverkehrs und nicht der Dienstleistungsfreiheit fallen. 142 Der in Art. 90 Abs. 2 EGV zugrunde gelegte 139 So für das Spannungsverhältnis zwischen dem Eigentumsgrundrecht und Art. 90 Abs. 2 EGV Schröder Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 58. 140 Vgl. Pernice , in: Grabitz / H i l f (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 36. 141

v.Wilmowsky, Abfallwirtschaft im Binnenmarkt, 1990 116 f.; dazu gehören auch kommunale Einrichtungen, Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 183. 142 Auch die Lieferung von Strom wird vom EuGH zutreffend als Warenlieferung eingestuft; EuGH, EWS 1994, 240 Rn. 28

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Dienstleistungsbegriff geht jedoch auf den französischen Begriff des „Service publ i c " zurück, der besser mit öffentlichem Dienst oder öffentlicher Aufgabe zu übersetzen w ä r e , 1 4 3 und darf daher nicht mit dem üblichen Dienstleistungsbegriff verwechselt werden. Insbesondere schließt er anerkanntermaßen die Lieferung von Waren e i n . 1 4 4 Dementsprechend werden die Energieversorgungsunternehmen nicht selten als typische Anwendungsfälle des Art. 90 Abs. 2 E G V eingestuft. 1 4 5 bb) Art. 90 Abs. 2 E G V kommt zum zweiten nur zum Tragen, wenn die fraglichen Unternehmen vom Staat mit Dienstleistungen der beschriebenen Art „betraut" werden. Eine solche Betrauung erfordert einen A k t der öffentlichen Gewalt, wie der Europäische Gerichtshof klargestellt h a t . 1 4 6 Ob die Voraussetzung des Betrauens auch für die deutschen Energieunternehmen gegeben ist, wird nicht selten abgelehnt. 1 4 7 Das überrascht insoweit, als den deutschen Unternehmen durch § 6 EnWiG die Versorgung eines bestimmten Gebiets als Pflicht auferlegt wird. Darin liegt die Übertragung einer Aufgabe durch einen A k t öffentlicher G e w a l t . 1 4 8 Zudem dürfte in Konzessionsverträgen häufig eine Betrauung liegen. 1 4 9 Gleichwohl soll Art. 90 Abs. 2 E G V auch i m Anwendungsbereich des § 6 EnW i G 1 5 0 nicht zum Tragen k o m m e n . 1 5 1 Dazu wird angeführt, daß Art. 90 Abs. 2 143 wie der Begriff des öffentlichen Dienstes beschreibt der Begriff des Service public einmal (im organisatorischen Sinne) die Institution der Staatsbeschäftigten, aber auch (im funktionellen Sinne) die öffentlichen Leistungen, wie das im Deutschen vor allem im Plural der öffentlichen Dienste anklingt (vgl. LeNestor/Zinow, Rechtsfragen des „Service Public", RdE 1994, 129 f.). Letzteres ist in Art. 90 Abs. 2 EGV gemeint. 1 44 Tettinger, Die öffentlichen Unternehmen im primären Gemeinschaftsrecht, DVB1 1994, 89; v. Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWGVertrag, ZHR 155 (1991), 550; Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 35. 1 45 v. Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWG-Vertrag, ZHR 155 (1991), 552. 146 EuGH, Slg. 1974, 313/318 Rn. 19,22; 1981, 2021/2030 Rn. 7. 1 47 Etwa Ebel, EWS 1994, 242; Birkenmaier, Gemeinsamer Markt, nationales Interesse und Art. 90 EWGV, EuR 1988, 150 f.; a.A. Rapp-Jung, Zur Tragweite des Art. 90 Abs. 2 für die Energiewirtschaft, RdE 1994, 168 f.; Baur, Der Einfluß des Europäischen Wettbewerbsrechts auf die deutsche Energiewirtschaft, RdE 1992, 44. 1 48 Näher und sachlich überzeugend Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 161 f. Die Betrauung kann auch durch Gesetz erfolgen; vgl. EuGH, Slg. 1971, 723/730. Die These, in dem Gesetz müßten die fraglichen Unternehmen namentlich aufgeführt sein {Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 188 f.), vermag nicht zu überzeugen. 149 Rapp-Jung, Der Energiesektor zwischen Marktwirtschaft und öffentlicher Aufgabe, EuZW 1994,465. 1 50 Also bei der Versorgung von Endabnehmern als alleiniger Versorger für ein bestimmtes Gebiet; vgl. Tegethojf/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, Stand 1992, § 6 Rn. 15. 151 Etwa Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 197 ff.; Cronenberg, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 132 f.

IV. Die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV

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EGV nur für Unternehmen gelte, denen besondere oder ausschließliche Rechte oder gar hoheitliche Befugnisse übertragen wurden. 152 Dabei wird aber verkannt, daß das Erfordernis ausschließlicher oder besonderer Rechte nur für Absatz 1 des Art. 90 EGV gilt, nicht für dessen Absatz 2 . 1 5 3 Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in der Almelo-Entscheidung in einer vergleichbaren Situation die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EGV nicht auf die Zulassung privatrechtlicher Absprachen gestützt, die im Ergebnis zu einer ausschließlichen Stellung führten, sondern auf die Versorgungspflicht. 154 Auch in früheren Entscheidungen wurde die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EGV auf eine Versorgungspflicht gestützt. 155 Doch mag das dahinstehen. In unserem Zusammenhang kommt es auf die Frage, ob und wieweit die deutschen Energieunternehmen in den Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 2 EGV fallen, nicht an. Wie auch immer man diese Frage beantwortet, so kann doch kein Zweifel bestehen, daß die Energieunternehmen in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten von Art. 90 Abs. 2 EGV erfaßt werden. 156 Damit müssen die Einschränkungen dieser Regelung in unserem Zusammenhang Beachtung finden. Die Richtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt gelten für alle Mitgliedstaaten und können daher nur dann Bestand haben, wenn sie die Vorgaben des Art. 90 Abs. 2 EGV beachten.

b) Notwendigkeit

der Ausnahmen

Im Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV sind Vorschriften des EGVertrags allein dann nicht anwendbar, wenn die Anwendung der betreffenden Vorschrift tatsächlich die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben unmöglich macht. Insoweit ist eine genaue Prüfung angebracht, da 152

Etwa Birkenmaier, Gemeinsamer Markt, nationales Interesse und Art. 90 EWGV, EuR 1988, 150 f. Solche ausschließlichen oder besonderen Rechte wurden den deutschen Energieversorgungsunternehmen durch Gesetz nicht eingeräumt. Ihre ausschließlichen Rechte sind die Folge von (privatrechtlichen) Demarkations- und Konzessionsverträgen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die ausdrückliche Zulassung solcher Verträge in § 103 GWB und damit die Ermöglichung ausschließlicher Rechte durch eine staatliche Regelung nicht als mittelbare Gewährung besonderer Rechte im Sinne des Art. 90 EGV angesehen werden muß. Dagegen spricht die Existenz der Vorschrift des Art. 85 EGV, die die Schaffung von ausschließlichen Rechten durch private Vereinbarung regeln, auch soweit sie nach nationalem Recht zulässig sind. 153 Vgl. die Rn. 8 mit Rn. 15 in EuGH, EuZW 1993, 422 f; Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 31. 154 EuGH, EuZW 1994, 410 Rn. 47 f.; Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 36. Eine andere Frage ist, ob die Einräumung von besonderen Rechten Art. 90 Abs. 2 EGV zum Tragen kommen läßt; das wird man bejahen können, da solche Rechte regelmäßig mit entsprechenden Pflichten verbunden sind. 155 EuGH, EUZW 1993, 423 Rn. 15.

156 Etwa Hochbaum, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 90 Rn.71.

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Art. 90 Abs. 2 EGV als Ausnahmevorschrift, wie der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, einer restriktiven Interpretation bedarf. 157 Von der Anwendung bestimmter Vertragsvorschriften kann somit nur abgesehen werden, wenn die Anwendung der Norm die Erfüllung der fraglichen, vom Staat übertragenen Aufgabe tatsächlich ausschließt, wenn es insbesondere keine alternative Möglichkeit gibt, die Erfüllung der fraglichen Aufgaben sicherzustellen und gleichwohl die betreffende Vorschrift des EG-Vertrags unberührt zu lassen. Die Freistellung von den Vertragsvorschriften beschränkt sich auf das, was für die Erfüllung der Aufgabe unbedingt erforderlich ist. 1 5 8 Dabei genügt für die Freistellung nicht eine Ztehinderung bzw. Erschwerung der Aufgabenerfüllung, wie der Wortlaut deutlich macht; notwendig ist eine Verhinderung. 159 Andererseits sind, wie der Europäische Gerichtshofklargestellt hat, eventuelle Umweltschutzauflagen zu berücksichtigen. 160 Des weiteren gilt es zu beachten, daß die Ausnahme des Art. 90 Abs. 2 EGV wie der Europäische Gerichtshof weiterhin festgehalten hat - nur für die unmittelbar dieser Regelung unterfallenden Aktivitäten gilt, nicht für sonstige, abtrennbare Tätigkeiten. 161 Ist etwa für die Übertragung oder Verteilung von Strom die Ausnahme erforderlich, dann erstreckt sie sich nicht auf die Erzeugung von Strom, da diese Tätigkeit auch selbständig erbracht werden kann. Abweichendes gilt nur dann, wenn andernfalls im Bereich der übertragenen Dienstleistungspflichten das wirtschaftliche Gleichgewicht beeinträchtigt 162 und damit die Erfüllung der Dienstleistungsaufgabe unmöglich gemacht würde. 163 In unserem Zusammenhang müßte und könnte daher auf die Anwendung des Art. 100a EGV verzichtet werden, wenn die darauf gestützten Rechtsvorschriften die Erfüllung der den Energieunternehmen übertragenen besonderen öffentlichen Dienstleistungen ausschließen würden. Ob das der Fall ist, hängt von der Erfüllbarkeit der betreffenden Aufgabe ab. 1 6 4 Die sichere Versorgung mit Energie wird 157 EuGH, Slg.1971, 723/730. Vgl. auch Ehricke, Der Art. 90 EWGV, EuZW 1993, 215 f.; Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 53. 158 Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 54; v. d. Esch, ZHR 155 (1991), 285 ff.; Jarass, EG-Recht und nationales Rundfunkrecht, EuR 1986, 82; v. Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWG-Vertrag, ZHR 155 (1991), 547; Mestmäcker, Staat und Unternehmen im europäischen Gemeinschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988), 568 f. 159 Dazu näher Basedow, Europäische Grenzen des Postmonopols, EuZW 1994, 363; Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 210 f.: v. Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWG-Vertrag, ZHR 155 (1991), 553; Dehmer, Gesetzliche Monopolrechte in der Stromversorgung und EGRecht, RdE 1993, 95. 160 EuGH, Slg.1994, 1477/1521 Rn. 49; dazu Hancher, Die Almelo-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, ET 1995, 74. 161 EuGH, EuZW 1993,422 f.; ähnlich EuGH, Slg.1991, 5941/5980 f. 162 EUGH, EuZW 1993, 423 Rn. 21. 163 Damit kann dem „Rosinenpicken" vorgebeugt werden.

IV. Die Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV

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durch die Richtlinien nicht unmöglich gemacht.165 Eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Gleichgewichts ist ausgeschlossen, weil und wenn etwa für die Durchleitung ein angemessenes Entgelt verlangt werden kann. Selbst unter der Geltung der in den ursprünglichen Richtlinienfassungen vorgesehenen Regelungen wäre die Erfüllung der Versorgungsaufgaben nicht unmöglich geworden, wie die noch sehr viel weitergehenden Regelungen in Großbritannien demonstrieren. 166 In den geänderten Richtlinienvorschlägen wird nunmehr die Erfüllung öffentlicher Dienstleistungspflichten weit mehr als in den ursprünglichen Entwürfen betont 167 und damit sichergestellt, daß die Richtlinien die Energieunternehmen bei der Erfüllung dieser Aufgaben nicht behindern und erst recht die Erfüllung der Aufgaben nicht verhindern. Insgesamt ist daher festzustellen, daß die Voraussetzung der Ausnahmevorschriften des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV nicht gegeben sind.

3. Schranken-Schranke des Gemeinschaftsinteresses

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß bei einem anderen Ergebnis die Schranken-Schranke des Art. 90 Abs. 2 S. 2 EGV zu prüfen wäre. Nach dieser Vorschrift kommt die Ausnahme des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV nicht zum Tragen, soweit dadurch die „Entwicklung des Handelsverkehrs" in einem Maße „beeinträchtigt" wird, „das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft". Das Interesse der Gemeinschaft ist dabei anhand aller Ziele und Grundsätze des EG-Vertrags zu konkretisieren. 168 Dazu wird die Auffassung vertreten, daß alle Vorschriften, die aufgrund von Art. 100a EGV erlassen werden, immer Ausdruck dieses Interesses sind, mit der Folge, daß die Regelung des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV im Bereich des Art. 100a EGV generell nicht zum Tragen kommt. 169 Diese Auffassung dürfte allerdings zu weit gehen, weil damit der Schutzzweck des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV, die Sicherstellung der öffentliche Dienste in den Mitgliedstaaten, angesichts des weiten An164

Nicht dagegen von einer Reduzierung des Absatzvolumens bestimmter Unternehmen; Tettinger, Die öffentlichen Unternehmen im primären Gemeinschaftsrecht, DVB1 1994, 90. 165 Vgl. dazu die ausführlichen Ausführungen von Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, 210 ff. zur vollständigen Beseitigung ausschließlicher Rechte im gesamten Elektrizitätsbereich, also zu einer weit über die Richtlinien hinausgehenden Lösung. 166 Ausführlich Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 237 ff., 282. 167 s. oben Β. II. 1. c) bb) und B. III. 1. c) bb). 168 Ehricke, Der Art. 90 EWGV, EuZW 1993, 215; Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 58; in unserem Zusammenhang LeNestor/Zinow, Monopolstrukturen in der Elektrizitätsversorgung und europäisches Recht, ET 1995, 82. 169 Hochbaum, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 90 Rn.61.

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Wendungsbereichs des Art. 100a EGV zu sehr in Frage gestellt wäre. Auf eine konkrete Prüfung der Frage, ob eine auf Art. 100a EGV gestützte Norm tatsächlich die Entwicklung des Handelsverkehrs vor Beeinträchtigungen schützt, die mit dem Interesse der Gemeinschaft nicht vereinbar wären, kann daher nicht verzichtet werden. 170 Doch mag das dahinstehen. Wie dargelegt, sind bereits die Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV nicht erfüllt. Folglich spielt es keine Rolle, ob Art. 90 Abs. 2 S. 2 EGV im vorliegenden Kontext die Regelung des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV unanwendbar macht. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Art. 90 Abs. 2 EGV in unserem Zusammenhang nicht zum Tragen kommt und daher der Anwendung von Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere der Ermächtigung des Art. 100a EGV, nicht entgegensteht.

170 So wohl auch Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 90 Rn. 59.

D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht I. Grundrechte: Allgemeines 1. Herleitung und Bedeutung der Grundrechte

aa) Bereits in den 70er Jahren hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, daß Rechtsakte der Gemeinschaft nicht an nationalen Grundrechten, wohl aber an entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Garantien gemessen werden können und müssen.1 „Denn die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat". 2 Diese allgemeinen Rechtsgrundsätze ergeben sich aus den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten", soweit sie sich in „Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen". 3 Später hat der Gerichtshof zusätzlich die „internationalen Verträge, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind" als Quellen der Gemeinschaftsgrundrechte genannt.4 Insoweit ist vor allem die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von Bedeutung.5 Dementsprechend verpflichtet nunmehr Art.F Abs. 2 EUV die Europäische Union zur Achtung der Grundrechte, „wie sie in der am 4.November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben". Diese Vorschrift gilt auch im Bereich des EG-Vertrags. Ob ihre Einhaltung durch den Europäischen Gerichtshof überprüft werden kann, erscheint nicht zweifelsfrei, da die Norm des Art.L EUV, die die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Bereich der Europäischen Union regelt, nicht auf ι EuGH, Slg. 1970, 1125/1135 f.; 1974,491/507. 2 EuGH, Slg. 1970, 1125/1135. Grundlage für diese Verpflichtung ist Art. 164 EGV; Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 356; Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 7. 3 EuGH, Slg.1970, 1125/1135. 4 EuGH, Slg.1980, 2033/2057; 1986, 1651/1682; 1989,3165/3184. 5 EuGH, Slg. 1984, 2689/2718; 1986, 1651 /1682; 1989, 2859/2923. Die insoweit häufig zitierte Entscheidung EuGH, Slg. 1975, 1219 ist dagegen nicht einschlägig, da sie die Grundfreiheiten und nicht die Grundrechte betrifft; so zu Recht Beutler, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Grundrechtsschutz, Rn. 21. Zum Unterschied zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten Beutler, a. a. O., Rn. 42 f.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

Art.F Abs. 2 EUV verweist. Wie dargelegt, galten aber die Grundrechte im Bereich der Gemeinschaft bereits vor Erlaß des Art.F Abs. 2 EUV. Daher ändert sich auch nichts an der bisher als selbstverständlich angesehenen Prüfungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs. Sowohl die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten wie die völkerrechtlichen Verträge sind keine Rechtsquellen der Gemeinschaftsgrundrechte, sondern bloße Rechtserkenntnisquellen.6 So entnimmt der Europäische Gerichtshof auch in jüngeren Entscheidungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu Recht allein „Hinweise". 7 Daraus folgt ein Doppeltes: Die Gemeinschaftsgrundrechte sind Gemeinschaftsrecht; die Europäische Menschenrechtskonvention kommt nicht als solche zur Anwendung. Zum zweiten ergeben sich aus den Grundrechten der Mitgliedstaaten keine direkten Bindungen für die Gemeinschaftsgrundrechte, etwa dergestalt, daß diese nicht hinter den Grundrechten aller oder eines Mitgliedstaats zurückbleiben dürfen. Darin liegt sicherlich ein wichtiger Gesichtspunkt für die Auslegung der Gemeinschaftsgrundrechte. 8 Die Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts verbietet aber eine formale Anbindung, welcher Art auch immer. 9 Bestätigt wird dies durch Art.F Abs. 2 EUV, wonach die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten wie die Europäische Menschenrechtskonvention nur „als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts" gelten. Dieser Befund schließt es aus, Rechtsprechung und Literatur zu den deutschen Grundrechten einfach auf das EG-Recht zu übertragen, wie das auch und gerade in unserem Zusammenhang immer wieder geschieht.10 Die Vorgaben der Gemeinschaftsgrundrechte decken sich regelmäßig nicht mit denen eines nationalen Rechts, und sei es auch das deutsche Recht.11 bb) Den Grundrechten des Gemeinschaftsrechts kommt anerkanntermaßen der Rang des primären Gemeinschaftsrechts zu. 12 Daraus folgt, daß Vorschriften des sekundären Rechts, insbesondere die hier interessierenden Richtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt keinen Bestand haben können, wenn sie mit Grundrechten nicht vereinbar sind. Gleichwohl dürfen Vorschriften des sekundären Rechts nicht einfach unbeachtet bleiben, wenn sie gegen die 6 Vgl. EuGH, Slg. 1974, 491 /507; Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 184 f. 7 EuGH, EuGRZ 1991, 283.

» So zu Recht Streinz, Europarecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 362 f. Beutler, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Grundrechtsschutz, Rn. 30; Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 44. 9

10

Vgl. Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 243 ff. So zu Recht Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 45 f.; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 149. 12 Beutler, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Grundrechtsschutz, Rn. 36. 11

I. Grundrechte: Allgemeines

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Grundrechte des Gemeinschaftsrechts verstoßen. Dies setzt vielmehr, wie bei anderen Verstößen von sekundärem Recht gegen primäres Recht, eine entsprechende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs voraus. Nur bei offensichtlichen Verstößen ist das nach zutreffender Auffassung anders. 13

2. Grundrechtsfähigkeit

aa) Wie aus dem nationalen Verfassungsrecht bekannt, stellt sich bei den Grundrechten des Gemeinschaftsrechts die Frage, wer Träger der Grundrechte ist und sich daher auf sie berufen kann. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen danach gefragt, ob das betreffende Grundrecht neben natürlichen auch juristischen Personen zusteht.14 Aus diesem Grunde ist es für die Gemeinschaftsgrundrechte bedeutsam, wieweit sie öffentlichen Unternehmen zugute kommen, also öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisierten Unternehmen, die im Allein- oder Teileigentum einer öffentlich-rechtlichen Person stehen. 15 Diese Frage hat in unserem Zusammenhang erhebliches Gewicht, weil Elektrizitäts- und Erdgasunternehmen in der Gemeinschaft nicht selten im Allein- oder Teileigentum des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Einrichtungen stehen. In Deutschland etwa werden die Anteile an den großen Verbundgesellschaften in erheblichem Umfang von öffentlich-rechtlichen Körperschaften gehalten; zudem verfügen die Körperschaften über gewichtige Stimmrechtsvorteile. bb) Der Europäische Gerichtshof hat sich bislang mit der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Gemeinschaftsgrundrechte auch öffentlichen Unternehmen zustehen, noch nicht beschäftigt. Auch lassen sich zu dieser Frage aus seiner Rechtsprechung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen kaum Anhaltspunkte entnehmen. Von daher liegt es nahe, einen Blick auf die verfassungsrechtliche Lage in den Mitgliedstaaten sowie auf die Europäische Menschenrechtskonvention zu werfen, sind dies doch wichtige Rechtserkenntnisquellen zur Feststellung des grundrechtlichen Schutzes in der Gemeinschaft. 16 Was die Lage in den Mitgliedstaaten angeht, so ist das Bild unsicher und uneinheitlich. Am ehesten läßt sich die Tendenz feststellen, daß juristische Personen des Privatrechts, die sich im Alleineigentum privater Personen befinden, auch Träger jedenfalls bestimmter Grundrechte sein können.17 Bei den juristischen Personen 13

Dazu oben C. vor I. 14 Vgl. EuGH, Slg. 1980, 2033/2057; 1989, 2859/2924; 1989, 3165/3185 f. 15 Bejahend Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 94; Tettinger, in: Festschrift für Börner, 1992, 625 ff.; Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 246; zurückhaltend für Grundrechte (im Unterschied zu Grundfreiheiten) Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 201. ι 6 s. oben D. I. 1. aa).

D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

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des öffentlichen Rechts dürfte die Tendenz eher in die umgekehrte Richtung weisen. Und für privatrechtlich organisierte Unternehmen, an denen öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Personen beteiligt sind, sind Aussagen nur schwer zu ge18 Winnen.

Was die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten betrifft, so ist von Gewicht, daß die Gewährleistung des Eigentums in Art. 1 Abs. 1 S. 1 des (1.) Zusatzprotokolls ausdrücklich auch juristische Personen als Grundrechtsträger nennt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie öffentliche Unternehmen im Alleinbesitz des Staates dürften hingegen entsprechend der Zielrichtung der Konvention nicht geschützt sein. 19 Die Rechtslage ist jedoch umstritten. 20 Insgesamt ist daher der Ertrag dieser Rechtserkenntnisquellen in unserem Zusammenhang gering. cc) Der bisherige Befund macht es erforderlich, das sonstige Gemeinschaftsrecht daraufhin durchzusehen, ob es nicht Hinweise für unsere Problematik enthält. Insoweit ist es bemerkenswert, daß die Niederlassungsfreiheit ebenso wie die Dienstleistungsfreiheit - wie Art. 58 Abs. 2 EGV entnommen werden kann - allen Unternehmen zugute kommen, die einen Erwerbszweck verfolgen, unabhängig davon, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind und unabhängig davon, ob der Staat Anteilseigner ist. 21 In ähnlicher Weise erfassen die Wettbewerbsvorschriften der Art. 85 ff EGV sämtliche wirtschaftlichen Unternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform, wie insbesondere Art. 90 Abs. 1 EGV deutlich werden läßt. 22 Alle diese Vorschriften bauen daher, wie zu Recht gesagt wird, auf einem funktionalen Unternehmensbegriff auf, für den die Rechtsform und die Eigentumsverhältnisse ohne Relevanz sind. 23

17

Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 48; Tettinger, in: Festschrift für Börner, 1992, 630 ff. Allerdings gilt das nicht für alle Grundrechte; vgl. EuGH, Slg.1989, 2859/2919 ff.; 1989, 3137/ 3150 ff. is Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 155 f; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 48. 19 v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 131 f. Hinsichtlich der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen ist die Rechtslage offen. 20

Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 48; Hüffer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 155 f. 21 Troberg, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 58 Rn. 2, 4; Tettinger, in: Festschrift für Börner, 1992, 637 ff. 22 Vgl. EuGH, Slg. 1991, 1979/2016 ff. 23 Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 245; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 49.

I. Grundrechte: Allgemeines

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Angesichts des grundsätzlichen Unterschiedes von Grundfreiheiten und Grundrechten 24 ergibt sich daraus allerdings nicht notwendig, daß auch bei Grundrechten ein funktionaler Unternehmensbegriff gelten muß. Dazu kommt, daß es bei den Grundrechten nicht notwendig um eine wirtschaftliche Betätigung geht. Aus den genannten Vorschriften kann man daher allenfalls ein gewisses Indiz entnehmen.25 Das ist deshalb bedeutsam, weil sich aus dem Gemeinschaftsrecht, was bislang noch nicht erkannt wurde, auch umgekehrte Anhaltspunkte ergeben. Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die an die Mitgliedstaaten adressiert sind, können unter bestimmten Voraussetzungen auch innerstaatlich unmittelbare Wirkung entfalten. 26 Adressat und Verpflichteter (nicht Begünstigter) dieser unmittelbaren Wirkung sind alle staatlichen Stellen, nicht hingegen Privatpersonen, wie der Europäische Gerichtshof klargestellt hat. 27 Richtlinien können daher keine Pflichten für Privatpersonen bewirken. Gegenüber Privatpersonen kann man sich nicht auf die unmittelbare Wirkung berufen, wohl aber gegenüber „allen Trägern der Verwaltung, einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften". 28 Zur Abgrenzung der beiden Kategorien hat der Europäische Gerichtshof zunächst festgestellt, daß Einrichtungen, deren Mitglieder vom Staat ernannt und die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, Adressat der unmittelbaren Wirkung sind. 29 Darüber hinaus hat der Gerichtshof festgehalten, daß man sich gegenüber Einrichtungen oder Rechtssubjekten auf die unmittelbare Wirkung berufen kann, „die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstanden oder mit Rechten ausgestattet waren, die über die hinausgingen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen unter Privaten gelten", und zwar „unabhängig von ihrer Rechtsform". 30 Des weiteren gilt die unmittelbare Wirkung auch zu Lasten von Behörden, soweit sie als Arbeitgeber von Angestellten handeln.31 Ob damit sämtliche öffentlichen Unternehmen den staatlichen Stellen gleichgestellt werden, auch dann, wenn ihnen keine besonderen Rechte gewährt oder besondere Pflichten auferlegt sind, ist unsicher. In der Sache spricht jedoch vieles dafür, daß der Staat im Fiskalbereich der unmittelbaren Wirkung unterliegt. 32

24 Dazu Beutler, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Grundrechtsschutz, Rn. 42 f. 25 Sehr pointiert in dieser Richtung Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 49 f.; Tettinger, in: Festschrift für Börner, 1992, 639 f.; Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 244 ff. 26 Dazu Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, 71 ff. 27 EuGH, Slg. 1986, 723/749; 1990,4135/4158. 2 8 EuGH, Slg. 1989, 1839/1871. 2 9 EuGH, EuZW 1990, 424. 30 EuGH, Slg. 1990, 3313 / 3348.

31 EuGH, Slg. 1986, 723/749. 32 Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, 78 f. 7 Jarass

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

Überträgt man diese Überlegungen in den Grundrechtsbereich, dann ist der Staat auch in seinen privatrechtlichen Organisations- und Handlungsformen Adressat der Grundrechte und nicht deren Träger. Die Parallele zur unmittelbaren Wirkung führt daher gerade zum umgekehrten Ergebnis wie die zum funktionalen Unternehmensbegriff. Da es bei der Grundrechtsträgerschaft keineswegs nur um ökonomische Sachverhalte geht, könnte den umfassenderen Aussagen zur unmittelbaren Wirkung das größere Gewicht zukommen, mit der Folge, daß jedenfalls öffentlichrechtlich organisierte öffentliche Unternehmen sowie privatrechtlich organisierte Unternehmen, deren Anteile vollständig bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen liegen, keine Grundrechtsträger sind. 33 Auf eine weitere Vertiefung dieser Frage kann jedoch verzichtet werden. In der Europäischen Gemeinschaft gibt es jedenfalls in einigen Mitgliedstaaten Elektrizitäts- und Erdgasunternehmen, die nicht nur privatrechtlich organisiert sind, sondern auch allein im Eigentum von Privatpersonen stehen. Diese Unternehmen können sich auf jeden Fall auf die Gemeinschaftsgrundrechte berufen. Deren Grundrechte müssen daher beim Erlaß der Richtlinien zum Elektrizitätsbinnenmarkt wie zum Erdgasbinnenmarkt beachtet werden.

II. Die Eigentumsgewährleistung 1. Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts

In ständiger Rechtsprechung geht der Europäische Gerichtshof davon aus, daß in der Gemeinschaftsrechtsordnung das Eigentum als Grundrecht gewährleistet wird. 34 Dies stellt heute einen gesicherten Befund dar, zumal dieses Grundrecht auch in Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, sobald es um die Reichweite dieser Gewährleistung geht. a) Schutzfähige Positionen aa) Welche Vermögenswerten Interessen vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie erfaßt werden, hat der Gerichtshof bislang positiv kaum geklärt. Insbesonde33

v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 267 ff. In der Sache lassen sich dafür zudem all die Gesichtspunkte anführen, die auch im nationalen Bereich gegen die Grundrechtsträgerschaft derartiger juristischer Personen angeführt werden; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 19 Rn. 13a. 34 Etwa EuGH, Slg.1979, 3727/3745 ff.; 1980, 1979/1996; 1984, 4079; 1989, 2237/ 2268; 1991, 415/552; 1991, 3617/3637. Dazu etwa Hüjfer/Ipsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 157 ff.; Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993,40 f.

II. Die Eigentumsgewährleistung

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re hat er die Frage offengelassen, ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von der Gewährleistung erfaßt wird. 35 Gewisse Anhaltspunkte kann man der Entscheidung in der Rechtsache Wachauf entnehmen, in der ein Grundrechtseingriff angenommen wird, weil ein Pächter „um die Früchte seiner Arbeit und der von ihm . . . vorgenommenen Investitionen gebracht würde". 36 Allerdings geht es bei der Entscheidung um den Schutz einer öffentlich-rechtlichen Position, bei der zweifelhaft ist, ob sie von der Eigentumsgarantie erfaßt wird. 37 Im Wege des ErstRecht-Schlusses wird man aber daraus entnehmen können, daß die Eigentumsgewährleistung alle Vermögenswerten Rechte schützt, die eine Frucht der Arbeit des Rechtsinhabers oder der von ihm vorgenommenen Investitionen sind. 38 bb) Mehr Anhaltspunkte lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage entnehmen, welche Vermögenswerten Interessen nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fallen. In mehreren Entscheidungen hat der Gerichtshof klargestellt, daß kaufmännische Interessen und Aussichten, deren Ungewißheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeiten gehört, von der Eigentumsgarantie nicht geschützt werden. 39 Dies gilt selbst dann, wie die beiden Entscheidungen deutlich machen, wenn der Bestand des betreffenden Unternehmens gefährdet ist. Ähnlich wurden in der Magermilchentscheidung Absatzeinbußen nicht als Eigentumsbeeinträchtigung geweitet, selbst wenn sie die Existenz des Unternehmens gefährden. 40 Damit wird zum einen klargestellt, daß unzureichend verfestigte Vermögenspositionen nicht geschützt werden. Zudem klammert der Gerichtshof alle Übergangsfragen bzw. alle Fragen des schonenden Rechtsübergangs aus dem Bereich der Eigentumsgewährleistung aus. Diese werden den Garantien des Vertrauensschutzes und des RückwirkungsVerbots zugeordnet, 41 die auch Vermögens- bzw. Eigentumsinteressen der Betroffenen schützen.42 Der Umstand, daß der Gerichtshof den Vertrauensschutz im vermögensrechtlichen Bereich nicht der Eigentumsgewährleistung zuordnet, 43 muß daher keinen geringeren Schutz bedeuten. 44 35 EuGH, Slg. 1984, 4089 f., obgleich der GA Slynn die Frage bejaht hatte (EuGH, Slg. 1984, 4079). Ebenso Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 58; anders Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 46. Im deutschen Bereich ist die Frage bekanntlich ebenfalls umstritten; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 14 Rn. 8. 36 EuGH, Slg.1989, 2609/2639. 37 Schilling, Der EuGH, das Eigentum und das deutsche Recht, EuZW 1991, 311. 38 I. E. Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 51 f. 39 EuGH, Slg. 1974, 491 /507 f.; 1980, 907/1010 f. 40 EuGH, Slg. 1984, 4057/4079. 41 Der Gerichtshof prüft regelmäßig zunächst diese Garantien, bevor er auf die Eigentumsgarantie eingeht; vgl. EuGH, Slg. 1991,415 / 547 f.; 1992, 35 / 63. 42 Vgl. etwa EuGH, Slg.1975, 421 /433; 1975, 533/549. 43 Kritisch v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 281 ff. 7*

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

Des weiteren wird das Eigentum nicht durch Belastungen berührt, die der Betroffene unschwer abwälzen kann, wie das für den Fall einer Abgabe angenommen wurde. 45 Der administrative und buchhalterische Aufwand für die Abwälzung spielt demgegenüber keine Rolle. Nicht geschützt werden auch die Interessen, die allein die Folge einer günstigen Marktordnung sind. 46 Wirtschaftliche Vorteile, die sich aus einer bestimmten Marktregulierung ergeben, sind keine wohl erworbenen Rechte.47 Erst jüngst hat der Europäische Gerichtshof dies wieder bestätigt.48 Anderes gilt allerdings, wenn und soweit der Vorteil „aus dem Eigentum oder aus der Berufstätigkeit des Betroffenen herrührt", 49 wenn und soweit er also Produkt eigener Leistung ist. Schließlich liegt keine schützenswerte Position vor, wenn und soweit die Nutzung des Eigentums bereits nach geltendem Gemeinschaftsrecht unzulässig ist. 50 Soweit ersichtlich ist der Europäische Gerichtshof darauf bislang nicht eingegangen. Daß eine (erneute) Beschränkung gleichen Umfangs einer bereits nach bisherigem Recht unzulässigen Eigentumsausübung keinen Eigentumseingriff darstellt, kann aber nicht bezweifelt werden. Daraus folgt insbesondere, daß die Belastung einer Eigentumsausübung, die mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft nicht vereinbar ist, keine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen kann.

b) Beeinträchtigung Die Eigentumsgewährleistung kann nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs in zwei Formen beeinträchtigt werden: 51 Zum einen liegt in der Entziehung des Eigentums eine Eigentumsbeeinträchtigung. Man kann insoweit von einer Enteignung sprechen, sofern man einen streng formalisierten Enteignungsbegriff zugrunde legt. Keine Entziehung in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Eigentümer Nutzungen verbleiben und das Eigentum nicht zum „nudum jus" wird. 52 44 Vgl. Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 75. 4 5 EuGH, Slg.1989, 2237/2268. 4

* EuGH, Slg. 1984, 4057/4080. Ähnlich EuGH, Slg.1991, 5119/5156 Rn. 27. 4 8 EuGH, EuZW 1994, 569 Rn. 19. 47

EuGH, Slg. 1-1991, 5119/5156 Rn. 27. Im deutschen Recht ist etwa anerkannt, daß Art. 14 GG nur dem rechtmäßig eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zugute kommt; vgl. BVerwGE 66, 301/303 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 14 Rn. 8. 51 Borchardt, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 164 Rn. 41.Von der Differenzierung geht auch Art. 1 EMRK/ZP aus. 52 EuGH, Slg. 1979, 3727/3746; 1984, 4057/4079; Hüffer/lpsen/Tettinger, Die Transitrichtlinien für Gas und Elektrizität, 1991, 227; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 52. 50

II. Die Eigentumsgewährleistung

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Zum anderen stellen Beschränkungen der Eigentumsausübung eine Beeinträchtigung des Eigentums dar. Darunter fallen jedenfalls alle (nachteiligen) rechtlichen Regelungen der Eigentumsausübung. Ob auch faktische Beeinträchtigungen erfaßt werden, ist unsicher, kann aber in unserem Zusammenhang dahinstehen, da es regelmäßig um rechtliche Beeinträchtigungen geht. Unklar ist auch, welche Folgen sich aus der Unterscheidung von Eigentumsentziehung und Eigentumsbeschränkungen ergeben, da der Europäische Gerichtshof bislang allein Fälle von Beschränkungen zu beurteilen hatte. Kaum in Zweifel ziehen läßt sich lediglich, daß an die Zulässigkeit von Entziehungen höhere Anforderungen als an die Beschränkungen zu stellen sind. 53 Zudem ist bei Entziehungen in der Regel eine Entschädigung geboten.54 Weiterhin liegt eine Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie nur vor, sofern sie sich als direkte, nicht nur mittelbare Folge eines Gemeinschaftsakts ergibt. 55 Bedeutsam ist das v.a. in den Fällen, in denen das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume eröffnet. In einem solchen Falle fehlt es an einem Eingriff in die (gemeinschaftsrechtliche) Eigentumsgarantie, wenn es zumindest eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten gibt, den Spielraum in Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie zu nutzen.56 In unserem Zusammenhang spielt das bei den Vorschriften der Binnenmarktrichtlinien eine Rolle, die die Mitgliedstaaten zu bestimmten Regelungen ermächtigen. Solche Ermächtigungen sind mit der Eigentumsgewährleistung vereinbar, solange eine dem Ziel der Ermächtigung entsprechende Nutzung durch die Mitgliedstaaten möglich ist. Erst wenn jede Nutzung der Ermächtigung gegen die Eigentumsgarantie verstoßen würde, wäre die Ermächtigung mit primärem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar.

c) Schranken bzw. Rechtfertigung

von Beeinträchtigungen

Beeinträchtigungen der Eigentumsgarantie sind rechtmäßig, sofern sie gemeinwohldienliche Ziele der Gemeinschaft verfolgen. Als solche Ziele kommen alle der Gemeinschaft aufgegebenen Ziele in Betracht. 57 aa) Voraussetzung ist allerdings zunächst, daß die für eine Maßnahme geltend gemachten Gemeinwohlgründe tatsächlich vorliegen. 58 Damit dürfte gemeint sein, 53

Ebenso Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 75. 54 Vgl. v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 285 ff. 55 EuGH, Slg. 1986, 2519/2545. 56 EuGH, Slg. 1989, 2609/2639 generell zu den Grundrechten; speziell zur Eigentumsgarantie Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 54. 57 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 52 f.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

daß die Eigentumsbeschränkung zur Verfolgung der angestrebten Ziele tatsächlich geeignet ist. Bei der Überprüfung der Eignung geht der Gerichtshof allerdings in großzügiger Weise vor, 59 was dafür spricht, daß (jedenfalls) dem Normgeber insoweit ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Seine Einschätzung hinsichtlich der künftigen Wirkungen der Regelung ist nur dann mit der Eigentumsgarantie nicht vereinbar, wenn sie als unvertretbar eingestuft werden muß. bb) Weiterhin darf die Eigentumsbeschränkung „nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet".60 Der Eigentumseingriff darf nicht in einem Mißverhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen.61 Dabei ist die soziale bzw. gesellschaftliche Funktion des betroffenen Eigentums bedeutsam. 62 Je ausgeprägter diese Funktion ist, umso intensivere Eigentumseingriffe sind möglich. Anhaltspunkte können des weiteren aus dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten entnommen werden. Stufen sie durchweg eine bestimmte Eigentumsbeeinträchtigung als zulässig ein, bildet das ein Indiz für die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit.63 Unsicher ist, ob auch der umgekehrte Schluß möglich ist. Keine Rolle spielt jedenfalls der Umstand, daß eine bestimmte Eigentumsbeeinträchtigung in einem Mitgliedstaat als unzulässig eingestuft wird. Unklar ist des weiteren, ob der Hinweis auf den Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung neben der Verhältnismäßigkeitsprüfung noch eine eigenständige Bedeutung besitzt.64 Wenn der Gerichtshof den Wesensgehalt als nicht verletzt ansieht, falls die fragliche Regelung „durch die dem Allgemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt" ist, 65 spricht das eher dagegen. Doch gibt es auch Formulierungen, die an einen absoluten Kern der Eigentumsgarantie erinnern, den Wesensgehalt aber nicht berührt sehen, sofern dem Eigentümer noch irgendeine Nutzungsmöglichkeit verbleibt. 66

58 EuGH, Slg.1979, 3727/3747. 59 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 53. 60 EuGH, Slg.1991, 5119/5156 Rn. 26 f.; ebenso EuGH, Slg.1991, 415/552 Rn. 73. Ähnlich EuGH, Slg.1979, 3727/3747; 1989, 2237/2268; 1989, 2609/2639. 61 Ausführlich v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 278 ff. 62 EuGH, Slg. 1974, 491 /507 f Rn. 14 (soziale Funktion); EuGH, Slg.1989, 2237/2267 f; 1991, 5119/5157 (gesellschaftliche Funktion). 63 EuGH, Slg. 1979, 3727 / 3746. 64 Dagegen Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 73; offengelassen Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 53 f. 65 EuGH, Slg.1979, 3727/3746 ff. 66 EuGH, Slg. 1992, 35 / 63 f. Der Wesensgehalt könnte dann nur durch eine Eigentumsentziehung und nicht durch eine Eigentumsbeschränkung betroffen sein; zur Unterscheidungen zwischen den beiden Formen der Eigentumsbeeinträchtigung oben D. II. 1. b).

II. Die Eigentumsgewährleistung

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Keine Rolle scheint in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Eigentumsgewährleistung, soweit ersichtlich, das Erfordernis der Erforderlichkeit zu spielen, die Frage also, ob das fragliche Ziel nicht auch durch eine mildere, den Betroffenen weniger belastende Maßnahme erreicht werden kann. Im Bereich des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (als eigenständiges Recht) 67 stellt aber der Gerichtshof auch auf die Erforderlichkeit ab. So fragt er, ob der Zweck der Regelung „nicht durch Maßnahmen erreicht werden könnte, die für die Wirtschaftsteilnehmer weniger kostspielig sind". 68 Dies muß auch im Bereich der Eigentumsgewährleistung gelten, und zwar unabhängig davon, ob man die Regelung des Art. 3b Abs. 3 EGV auch auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Bürger anwendet. Allerdings wird man der Gemeinschaft auch insoweit einen erheblichen Beurteilungs- und Prognosespielraum einzuräumen haben, jedenfalls soweit es um komplexe wirtschaftliche Sachverhalte geht. 69 cc) Gemäß Art. 222 EGV läßt der EG-Vertrag die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten unberührt. Daraus wird gelegentlich der Schluß gezogen, daß diese Vorschrift gravierenden Eigentumsbeeinträchtigungen entgegensteht.70 Damit wird die Funktion dieser Regelung verkannt. Sie schützt nicht vor Eingriffen des Gemeinschaftsgesetzgebers, 71 sofern nicht das Eigentum in einem Teilbereich abgeschafft oder umgekehrt eine Sozialisierung verboten wird. Beeinträchtigungen des Eigentums sind allein an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen bzw. an den Grundrechten des Gemeinschaftsrechts zu messen.72 Davon geht auch der Europäische Gerichtshofaus. 73

67 Der Gerichtshof benutzt diesen Grundsatz auch als eigenständige Schranke; vgl. Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 101. 68 EuGH, EuZW 1994, 96. 69 EuGH, Slg. 1989, 1991 /2015 Rn. 20. 70

261.

Schütte, Richtlinien Vorschlag für Elektrizität im Rahmen des EWG-Vertrags, ET 1992,

71 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 44; Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993,42. 72 Hochbaum, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 222 Rn. 7, 10; Zinow, Rechtsprobleme der grenzüberschreitenden Durchleitung von Strom in einem EG-Binnenmarkt für Energie, 1991, 145 f.; Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 271 f.; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 44. 73 EuGH, Slg. 1985, 873/886.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht 2. Beseitigung bzw. Schaffung ausschließlicher Rechte

a) Beseitigung ausschließlicher Rechte aa) Die Richtlinien zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Erdgasbinnenmarkt führen dazu, daß in verschiedenen Bereichen ausschließliche Rechte der Versorgungsunternehmen beseitigt werden müssen, weil der Zugang künftig auch anderen Unternehmen nach nicht diskriminierenden Kriterien zu eröffnen ist. Dies gilt für die Bereiche der Stromerzeugung und der Stromübertragung, sofern nicht das Ausschreibungsmodell gewählt wird, 74 sowie für die Bereiche der Erdgasfernleitung und -Verteilung. 75 Zudem erfahren Versorgungs- und Liefermonopole erhebliche Einschränkungen aus den Vorgaben zum Netzzugang Dritter sowie aus dem Recht auf Direktleitungen. 76 Besonderes Gewicht haben die Einschränkungen für Übertragungs- bzw. Fernleitungsunternehmen, während Verteilungsunternehmen weiterhin in erheblichem Umfang ausschließliche Rechte besitzen können.77 Soweit die Richtlinien die Beseitigung ausschließlicher Rechte verlangen, steht dem die Eigentumsgewährleistung nicht entgegen. Insoweit fehlt es zumeist bereits an einer schutzwürdigen Eigentumsposition.78 Wie der Europäische Gerichtshof klargestellt hat, ergibt sich aus der Eigentumsgarantie kein Anspruch auf Beibehaltung wirtschaftlicher Vorteile, die die Folge einer bestimmten Marktordnung oder Marktregulierung sind. 79 Der Fortbestand solcher Vorteile liegt zwar im Interesse der betroffenen Unternehmen. Doch gehört deren Ungewißheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit. Dies gilt für die aus dem EG-Recht resultierenden Vorgaben zur Marktregulierung, mit denen der Gerichtshof sich bislang befaßt hat, aber auch für derartige Vorteile, soweit sie aus dem nationalen Recht folgen. In der Sache liefe eine eigentumsrechtliche Sicherung solcher Vorteile „auf einen Schutz vor Konkurrenz hinaus, der dem Gemeinschaftsrecht prinzipiell fremd ist und überdies rechtlichen Rahmenbedingungen entspringt, die außerhalb der Unternehmenssphäre liegen". 80 Wenn daher das nationale Recht im Bereich der Energieerzeugung und -Versorgung ausschließliche Rechte gewährt oder Regelungen zuläßt, die zu solchen ausschließlichen Rechten führen, dann wird der Fortbestand der daraus resultierenden Vorteile nicht von der Eigentumsgewährleistung geschützt. Falls im übrigen ausschließliche Rechte mit den Grundfreiheiten oder mit den Wettbe74

Zu dessen verfassungsrechtlicher Bewertung unten b). 5 s. oben Β. II. 2. a) und B. III. 2.

7 7

* s. oben Β. II. 5. a) und B. III. 5. a). s. oben Β. II. 5. c) und B. III. 5. c). 78 Schröder Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 57; für das deutsche Verfassungsrecht Baur / Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 29 f. 77

™ s. oben D.II. l.a). 80 So zu Recht Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 57.

II. Die Eigentumsgewährleistung

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werbsvorschriften des Vertrags nicht vereinbar sind, 81 werden sie schon aus diesem Grunde nicht von der Eigentumsgewährleistung erfaßt. 82 Im Einzelfall mag sich die Situation auch anders darstellen. Wenn etwa einem Unternehmen bestimmte ausschließliche Rechte gewährt wurden, damit es besondere Risiken, zu deren Übernahme es verpflichtet wird, tragen kann und zudem aufgrund der Umstände auf den Fortbestand dieser Rechte vertrauen konnte, läßt sich, entgegen der pauschalen Verneinung einer Eigentumsbeeinträchtigung in der Literatur, 83 nicht ausschließen, daß die Eigentumsgewährleistung betroffen ist. Die angeführten Argumente für die Abschaffung ausschließlicher Rechte rechtfertigen aber in diesem Falle den Eigentumseingriff. Übergangsregelungen können allerdings geboten sein, solange sich die spezifischen Leistungen des Rechteinhabers noch nicht amortisiert haben.84 Darauf wird zurückzukommen sein.85 bb) An dem bisherigen Befund wird auch durch die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 S. 1 EGV nichts verändert. Wie dargelegt, kommt diese Vorschrift in unserem Zusammenhang überhaupt nicht zum Tragen. 86 Im übrigen ist es zweifelhaft, ob die Regelung Einschränkungen der Grundrechte erlaubt, da sie nicht auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Bürger, sondern auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bezogen ist. Doch mag das dahinstehen. Im grundrechtlichen Zusammenhang müßte Art. 90 Abs. 2 EGV gerade die umgekehrte Wirkung entfalten, nämlich die Grundrechte verstärken. Ein solches Verständnis widerspricht aber dem Charakter der Vorschrift, die Regelungsspielräume eröffnet und nicht beschränkt und die nicht dem Schutz der betroffenen Unternehmen dient. 87 Zudem würde Art. 90 Abs. 2 EGV allenfalls die Mitgliedstaaten von der Beachtung gemeinschaftsrechtlicher Grundrechte freistellen, nicht aber die Möglichkeiten der Gemeinschaft zur Einschränkung von Grundrechten zusätzlichen Grenzen unterwerfen. Der grundrechtliche Befund wird daher durch diese Vorschrift nicht verändert. 88

81 Vgl. dazu Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 103 ff. 82 Vgl. oben D. II. 1. a) bb). Für durch Vereinbarungen erlangte ausschließliche Rechte kommt häufig Art. 85 EGV zum Tragen, insb. wegen der Bündeltheorie; vgl. EuGH, Slg.1991, 935/984 Rn. 14; EuGH, EuZW 1994, 410 Rn. 35 ff.; v. Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 52. 83 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 57. 84 Die Rechtsgrundlage dürfte allerdings im Gemeinschaftsrecht nicht die Eigentumsgewährleistung, sondern der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes sein; dazu unten D. III. 2. ss s. unten D. III. 2. b). 56 s. oben C. IV. 2. 57 Vgl. oben C. IV. 1. 88 Ebenso im Ergebnis Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 58.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

b) Schaffung ausschließlicher Rechte im Ausschreibungsmodell Im Bereich der Erzeugung und Übertragung von Elektrizität haben die Mitgliedstaaten das Recht, statt des Genehmigungsmodells mit der damit verbundenen Beseitigung ausschließlicher Rechte das Ausschreibungsmodell zu wählen. 89 Dieses Modell verlangt nicht die Beseitigung der bestehenden ausschließlichen Rechte und ist daher insoweit im Hinblick auf die Eigentumsinteressen der Inhaber solcher Rechte unproblematisch. Anders sieht das jedoch aus, wenn in einem Mitgliedstaat, dessen Stromsektor bisher eher privatwirtschaftlich ausgerichtet war, das Ausschreibungsmodell eingeführt werden sollte. In diesem Falle können sich erhebliche Eingriffe in den Gewerbebetrieb der (konkurrierenden) Stromunternehmen ergeben. Die Eigentumsgewährleistung bzw. der Grundsatz des Vertrauensschutzes90 wird hier zumindest einen schonenden Übergang verlangen. Aber auch wenn sich in einem solchen Fall gravierendere Probleme mit der Eigentumsgewährleistung ergeben, führt das nicht zur Unzulässigkeit der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt. Zunächst ist festzuhalten, daß das Ausschreibungsmodell nicht bindend vorgegeben wird, daß die Mitgliedstaaten auch das Genehmigungsmodell wählen können. In Fällen, in denen eine Gemeinschaftsregelung den Mitgliedstaaten Spielräume einräumt, ist diese aber, wie dargelegt, erst dann mit der Eigentumsgewährleistung nicht mehr zu vereinbaren, wenn es keine dem Sinn der Ermächtigung entsprechende Nutzung gibt, die als grundrechtskonform eingestuft werden kann. 91 Das läßt sich ausschließen, weil mit dem Genehmigungsmodell eine mit der Eigentumsgarantie im Einklang stehende Variante zur Verfügung steht. Die Regelungen zum Ausschreibungsmodell wären allerdings auch nach einer solchen grundrechtskonformen Auslegung nicht mehr zu halten, wenn ihre Nutzung in keinem Mitgliedstaat mit der Eigentumsgewährleistung vereinbar wäre. Das ist aber nicht der Fall. In den Mitgliedstaaten, in denen schon bisher eine Energiewirtschaftsplanung existierte, führt die Weiterführung dieses Modells zu keiner unzulässigen Eigentumsbeeinträchtigung. Und gerade im Hinblick auf die Interessen dieser Staaten wurde das Ausschreibungsmodell in den geänderten Richtlinienvorschlag aufgenommen. 3. Netznutzung durch Dritte

a) Eigentumsbeeinträchtigung aa) Sowohl die Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt regeln den Netzzugang Dritter, also das Recht Dritter, gegen ein angemessenes Entgelt an einer Stelle Strom bzw. Erdgas in das Netz einzuspei89 Dazu oben Β. II. 2. a). 90 Dazu unten D. III. 2. 91 s. oben D.II. l.b).

II. Die Eigentumsgewährleistung

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sen und an einer anderen Stelle wieder zu entnehmen.92 Dies gilt für das Stromübertragungs- und -verteilungsnetz sowie für das Erdgasfernleitungs- und -verteilungsnetz. Gegen einen solchen Netzzugang werden gravierende verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, die sich allerdings durchweg auf die ursprüngliche Fassung der Richtlinien beziehen.93 Die geänderten Richtlinienvorschläge haben den reglementierten Netzzugang durch einen Netzzugang auf Verhandlungsbasis ersetzt94 und damit die Belastung des Netzeigentümers ganz wesentlich zurückgenommen. Wieweit diese Abschwächung reicht, braucht aber nicht näher untersucht zu werden, weil auch der reglementierte Netzzugang, wie er ursprünglich vorgesehen war, mit der Eigentumsgewährleistung vereinbar ist. bb) Zunächst ist festzuhalten, daß die Eigentumsgarantie die Möglichkeit schützt, das Eigentum nach eigener Disposition zu nutzen, jedenfalls soweit es sich um bereits ausgeübte Nutzungen handelt.95 Damit scheint eine Eigentumsbeeinträchtigung auf jeden Fall gegeben. Wie dargelegt, fehlt es aber an einer Eigentumsbeeinträchtigung, wenn das geltende Recht die fragliche Nutzung bereits ausschließt oder einschränkt. 96 Soweit der Netzzugang Dritter bereits nach geltendem EG-Recht oder nach geltendem nationalen Recht geboten ist, stellt eine entsprechende Verpflichtung durch die Richtlinien zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Erdgasbinnenmarkt keinen Eigentumseingriff dar. Die Frage, wieweit insbesondere aufgrund der Wettbewerbsvorschriften des EGVertrags ein Netzzugang Dritter erzwungen werden kann, ist umstritten. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, daß die Vorgaben der Richtlinien zum Netzzugang Dritter nur das festschreiben, was bereits nach Art. 85 bzw. Art. 86 EGV oder nach Art. 90 EGV verlangt werden kann. 97 Ohne einen zureichenden Netzzugang Dritter dürften ausschließliche Rechte an einem Netz jedenfalls dann wettbewerbsrechtlich problematisch sein, wenn der Netzbetreiber gleichzeitig als Stromerzeuger agiert und insoweit seine beherrschende Stellung im Netzbereich bei der Konkurrenz mit anderen Stromerzeugern nutzen kann. 98 Wie dargelegt, kann auch dann, wenn im Netzbereich alle Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EGV vorliegen, und daher von den wettbewerbsrechtlichen Vorgaben abgewichen werden 92 s. oben Β. II. 5. a) und B. III. 5. a). 93 Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 270 ff. 94 Dazu oben Β. II. 5. a) cc) und B. III. 5. a) cc). 95 Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 59 f. 96 s. oben D.II. l.a). 97 So Ehlermann, Quelles règles de fonctionnement pour le Marché intérieur de l'énergie, RDMC 1994, 457 ff.; ders., Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 42 ff.; v. Bose, in: Baur (Hg.), Die Europäische Gemeinschaft und das Recht der leitungsgebundenen Energie, 1993, 48 ff.; vgl. Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 71 ff. 98 Vgl. Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993,43 f.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

kann, diese Ausnahme nicht auf andere, abtrennbare Bereiche erstreckt werden, wie etwa den Erzeugungsbereich. 99 Andererseits stellt sich die Frage, ob sich auf diesem Wege die Regelungen über den Netzzugang in den Richtlinien insgesamt rechtfertigen lassen, da diese auch rein innerstaatliche Sachverhalte erfassen, während Art. 85 EGV wie Art. 86 EGV eine (mögliche) Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten verlangen. Immerhin hat der Europäische Gerichtshof in der Almelo-Entscheidung im Hinblick auf Art. 85 EGV auch im Elektrizitätsbereich die Bündeltheorie angewandt, wonach sich die Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auch aus der kumulativen Wirkung gleichartiger Aktivitäten verschiedener Unternehmen ergeben können. 100 Und zu Art. 86 EGV hat das Gericht festgestellt, daß ein Energieversorgungsunternehmen, dessen Gebiet für sich allein keinen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes ausmacht, zusammen mit anderen Unternehmen eine beherrschende Stellung im Sinne von Art. 86 EGV besitzen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann, wenn die Unternehmen „so eng miteinander verbunden sind, daß sie auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen können". 101 Auf eine weitere Vertiefung dieser Frage sei aber verzichtet und ein Eingriff in die Eigentumsgewährleistung (in Form der Eigentumsbeschränkung) 102 unterstellt. Auch dann sind die soeben erörterten Gehalte der Art. 85 f EGV in unserem Zusammenhang von Gewicht. Der Umstand, daß die Energiebinnenmarkt-Richtlinien jedenfalls teilweise die Anforderungen der Art. 85 f EGV umsetzen, muß daher bei der Beurteilung der Eigentumsbeeinträchtigungen berücksichtigt werden.

b) Zulässigkeit der Beeinträchtigung Die Regelung des Netzzugangs Dritter bezweckt, den Wettbewerb zwischen den Energieversorgungsunternehmen zu fördern und damit die nationalen Energiemärkte zu öffnen. 103 Darin liegt zweifelsfrei ein legitimes Gemeinschaftsinteres99 s. oben C. IV. 2. b). 100 E u G H , E U Z W 1 9 9 4 , 4 1 0 R n . 34 ff.

ιοί EuGH, EuZW 1994, 410 Rn. 42; Schröter, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 86 Rn. 64 ff. ι 0 2 Eine Entziehung des Eigentums liegt nicht vor, da den Eigentümern noch Nutzungsrechte verbleiben; vgl. oben D. II. 1. b). Ebenso für das deutsche Verfassungsrecht Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 841; Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 30 ff. i° 3 Die nationalen Energiemärkte sind weithin abgeschottet. Insb. stellt der europäische Stromverbund nur einen Kooperationsmechanismus dar, um die kurzfristige Versorgungssicherheit zu gewährleisten; vgl. Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 40; Schütze, Europäischer Stromverbund und EG-Recht, 1992, 11.

II. Die Eigentumsgewährleistung

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se. 104 Insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Endgerätemarkt im Telekommunikationssektor bestätigt das. 105 Was die Eignung und Erforderlichkeit der Regelung zur Erreichung der verfolgten Ziele angeht, so wird beides bezweifelt. 106 Zweifel an der Eignung und der Erforderlichkeit genügen jedoch nicht. Wie dargelegt, besitzt die Gemeinschaft insoweit einen erheblichen Beurteilungs- und Prognosespielraum, jedenfalls im Bereich der Rechtsetzung.107 Die Bejahung der Geeignetheit und Erforderlichkeit durch die Gemeinschaftsorgane ist erst dann mit der Eigentumsgarantie nicht mehr vereinbar, wenn sie als nicht vertretbar eingestuft werden kann und muß. Das läßt sich aber schwerlich vertreten. Insbesondere die britischen Erfahrungen zeigen, daß der Wettbewerb durch den Netzzugang Dritter erheblich gefördert wird. 1 0 8 Ein alternatives Mittel, das ebenso wirksam ist, läßt sich nicht ausmachen. Jedenfalls ist die Einschätzung der Eignung und der Erforderlichkeit durch die Richtlinien nicht unvertretbar. 109 Eher könnten Bedenken bestehen, ob ein regulierter Netzzugang Dritter als verhältnismäßig eingestuft werden kann und ob er nicht in den Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung eingreift. Im Schrifttum wird denn auch besonders auf diesen Gesichtspunkt abgehoben. Durch den Netzzugang werde die Privatnützigkeit des Eigentums am Netz aufgehoben. 110 Davon kann jedoch keine Rede sein. Auch unter dem Regime eines regulierten Netzzugangs Dritter muß der Dritte für die Netznutzung bezahlen. Die ökonomischen Vorteile eines Netzzugangs stehen also weiterhin dem Netzeigentümer zu. 1 1 1 Ein Unternehmen, das allein ein Netz be-

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Ebenso Stewing , Die Richtlinien-Vorschläge der EG-Kommission zur Einführung eines Third Party Access für Elektrizität und Gas, EuR 1993, 58; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 62 f. 105 Vgl. EuGH, Slg. 1991, 1223/1271 Rn. 51. Zudem wird der Zugang zu transeuropäischen Netzen in Art. 129b Abs. 2 EGV sogar als ein eigenständiges Ziel des Primärrechts eingestuft; dazu oben Α. I. 2. b) cc). 106 Etwa Schröder Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 63 ff. 107 s. oben D. II. 1. c) aa) + bb). Ebenso für das deutsche Verfassungsrecht Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 843. los Vgl. Farrance, Wettbewerb und Wandel - Erfahrungen in Großbritannien, ET 1993, 670 ff.; Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 237 ff. 109 Ebenso Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 65; i. E. Stewing , Die Richtlinien-Vorschläge der EGKommission zur Einführung eines Third Party Access für Elektrizität und Gas, EuR 1993, 58. no Scholz/Langer Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, 275, 277 f. in Vgl. Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 842 ff.; Rapp, Die gemeinschaftsrechtliche Verwirklichung von Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, 1992, 98 f.

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treibt und Dritten zur Nutzung zur Verfügung stellt, wird denn auch durch die Richtlinienregelung zum Netzzugang praktisch nicht beeinträchtigt. Anders sieht dies allerdings für einen Netzeigentümer aus, der gleichzeitig Stromerzeuger ist, und daher konkurrierende Stromerzeuger durch die Entscheidung über die Netznutzung am Zugang zum Markt hindern kann, da und soweit der Netzbetreiber ein rechtliches oder tatsächliches Monopol besitzt. Ein Stromerzeuger, der über die Nutzung eines Netzes in einem bestimmten Bereich zu entscheiden vermag, ist in der Lage, sich gegen einen konkurrierenden Stromerzeuger durchzusetzen, selbst wenn er den Strom weniger effektiv, also mit höheren Kosten erzeugt und daher einen höheren Preis verlangen muß. Dies verdeutlicht, daß es in unserem Zusammenhang nicht um die Nutzung des Netzes an sich geht, sondern um die aus der Verknüpfung von Stromerzeugung und ausschließlicher Netznutzung resultierenden Vorteile. Das Entscheidungsrecht über die Netznutzung wird zum Hebel, um einen leistungsfähigeren Stromerzeuger vom Markt zu verdrängen. Ob solche aus dem Eigentum resultierenden Vorteile überhaupt vom Schutzbereich des Eigentumsrechts erfaßt werden, ist schon im nationalen Recht zweifelhaft. 112 Im Gemeinschaftsrecht gilt das umso mehr, als dort die Sicherung von Wettbewerb und Konkurrenz den Rang des primären Rechts und damit den gleichen Rang wie die Grundrechte besitzen. Ausschließliche Rechte können nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu den Telekommunikationsdiensten jedenfalls dann beseitigt werden, wenn andernfalls das mit ausschließlichen Rechten ausgestattete Unternehmen Konkurrenten am Zutritt zum Markt in einem anderen Bereich behindern könnte. 113 Regelungen, die die Nutzung solcher Möglichkeiten ausschließen, stellen jedenfalls keine unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigung dar. 114 Dagegen könnte man einwenden, daß als mildere Maßnahme in Betracht komme, den Netzzugang Dritter nur dann zu erzwingen, wenn tatsächlich ein Mißbrauch der marktbeherrschenden Stellung im Einzelfalle vorliegt und daher eine generelle Regelung unzulässig sei. 115 Dies vermag nicht zu überzeugen, obwohl der Grundsatz der Erforderlichkeit nach der hier vertretenen Auffassung auch bei 112 Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 842.

Π3 EuGH, EUZW 1993, 133 Rn. 36 ff.

114 Andernfalls müßte die Vorschrift des Art. 86 EGV als Verletzung der Eigentumsgarantie eingestuft werden, weil sie es ausschließt, die marktbeherrschende Stellung in einem Teilbereich in einem anderen Teilbereich zu nutzen. Eben das ist aber der Fall, wenn ein Stromoder Erdgasunternehmen seine beherrschende Stellung im Netzbereich nutzt, um bei der Strom- oder Erdgaserzeugung sachlich nicht gerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die weiteren Voraussetzungen des Art. 86 EGV werden häufig gegeben sein, insb. weil eine kollektive beherrschende Stellung genügt; vgl. EuGH, EuZW 1994, 410 Rn. 40 ff.; Schröter, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 86 Rn. 64 ff. 115 So Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 66.

II. Die Eigentumsgewährleistung

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Einschränkungen der Eigentumsgewährleistung gilt. 1 1 6 Dem Gesetzgeber kann es in einem generalisierenden Ansatz nicht verwehrt sein, ein Verhalten, das typischerweise die Gefahr des Mißbrauchs einschließt, generell zu verbieten, sofern dies nur verhältnismäßig im engeren Sinne ist. 1 1 7 Dies ist bei der Regelung von Eigentumsausübungen geradezu kennzeichnend. Unabhängig davon ist in unserem Zusammenhang zudem zu beachten, daß der Netzzugang nach dem geänderten Richtlinienvorschlag die Parteien lediglich verpflichtet, über den Netzzugang zu verhandeln und dabei die Verhandlungsposition nicht zu mißbrauchen. 118 Die Regelungen gehen damit praktisch nicht über die Fälle des echten Mißbrauchs hinaus. 119 Was schließlich die Beeinträchtigung des Wesensgehalts der Eigentumsgarantie angeht, so ist, wie dargelegt, zweifelhaft, ob damit überhaupt zusätzliche, über die Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausgehende Vorgaben aufgestellt werden. 120 Aber auch wenn man das anders sieht, ist der Wesensgehalt in unserem Zusammenhang nicht betroffen. Wie der Europäische Gerichtshof klargestellt hat, ist der Wesensgehalt nicht berührt, soweit dem Eigentümer Nutzungsmöglichkeiten verbleiben. 121 Angesichts des Umstands, daß der Netzeigentümer von den Dritten ein Entgelt für den Netzzugang verlangen kann, kann daran kein ernsthafter Zweifel bestehen.

4. Vorgaben zur Organisation, insbesondere Funktionentrennung

Neben der Regelung des Zugangs zur Energieversorgung und des Netzzugangs Dritter enthalten die Richtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt Vorschriften zur Unternehmensorganisation. Das weitaus größte Gewicht haben diese Regelungen im Bereich der Stromübertragung, weshalb sich die folgenden Ausführungen zunächst auf diesen Bereich beziehen.

a) Regelungen im Stromübertragungsbereich aa) Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt verlangt für den Bereich der Stromübertragung eine verwaltungsmäßige Trennung der Übertragungstätigkeit H6 Vgl. dazu oben D. II. 1. c). 117 EuGH, EuZW 1992, 251. us s. oben Β. II. 5. a) cc) und B. III. 5. a) cc). 119 Nicht überzeugen kann auch die Auffassung, daß die liberale Zulassung des Leitungsbaus ein geeignetes milderes Mittel darstellt (v. Burchard, Third Party Access and European Law, EuZW 1992, 696). Der Bau von Parallelleitungen wird für Newcomer nur in Extremfällen wirtschaftlich sein; dazu kommen umweltpolitische Bedenken. 120 s. oben D. II. 1. c) bb). 121 s. oben D.II. l.c)bb).

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

von anderen Aktivitäten der betreffenden Unternehmen unterhalb der Ebene des Managements. Darüber hinaus muß auch die Rechnungslegung für den Übertragungsbereich von der Rechnungslegung für andere Funktionen getrennt werden. Für den Jahresabschluß gilt Ähnliches. 122 Endlich muß ein Netzbetreiber benannt werden, und zwar für mindestens 15 Jahre. Wie dargelegt, haben diese Regelungen praktische Wirkungen in den Fällen vertikal integrierter Elektrizitätsunternehmen. 123 Sie müssen unterhalb der Ebene des Mangements einen eigenen Unternehmensbereich für die Elektrizitätsübertragung einrichten. Dagegen verlangt die Richtlinie nicht, daß der Netzbetreiber von der Unternehmensspitze bzw. vom Netzeigentümer organisatorisch notwendig unabhängig ist. Er muß lediglich, ebenso wie die Unternehmensspitze, die Vorgaben der Richtlinie für den Betrieb eines Übertragungsnetzes beachten. Erst recht ist keine Änderung der Eigentumsverhältnisse bzw. der (extern bedeutsamen) Gesellschaftsstrukturen geboten. 124 Soweit daher in der Literatur die Verfassungsmäßigkeit der Richtlinie in Zweifel gezogen wird, weil sie eine vom Netzeigentümer unabhängigen Netzbetreiber verlange, 125 ist das schon deshalb unzutreffend, weil damit der Aussagegehalt der Richtlinie verkannt wird. 1 2 6 Andererseits stellt auch das „bloße" Verlangen an vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen, einen eigenen Unternehmensbereich für die Stromübertragung einzurichten, einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dieser Unternehmen in der Form der Eigentumsbeschränkung dar. 127 Ob allerdings der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb überhaupt von der gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgewährleistung erfaßt wird, ist zweifelhaft. 128 Bejaht man das, dann kommt es darauf an, ob die fraglichen Regelungen in das Eigentum am

122 s. oben Β. II. 3. b) + c). 123 s. oben Β. II. 3. b). 124 Näher oben B.II. 3.b)bb). 125 Baur/ Morning, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 24 ff.; Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 69. 126 Auch die These, eine Umsetzung der Richtlinie in Deutschland wäre nur durch die Schaffung eigener juristischer Personen möglich, weil nur solche Personen Träger von Rechten und Pflichten sein können und außerdem das Aktiengesetz unabhängige Bereiche innerhalb einer Aktiengesellschaft verbiete (.Baur/Moraing, Rechtliche Probleme einer Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft, 1994, 25), vermag nicht zu überzeugen. Durch Gesetz kann sehr wohl vorgesehen werden, einen Teil einer juristischen Person mit eigenen Rechten oder Pflichten auszustatten, und das geschieht auch. Was das Aktiengesetz angeht, so kann dieses Gesetz durch jedes spätere Bundesgesetz eingeschränkt werden. 127 Eine Entziehung des Eigentums liegt nicht vor, da den Eigentümern noch Nutzungsrechte verbleiben; vgl. oben D. II. 1. b). Ebenso für das deutsche Verfassungsrecht Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 841. 128 s. oben D. II. 1. a) aa).

II. Die Eigentumsgewährleistung

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Übertragungsnetz oder an anderen Gegenständen des Übertragungsnetzbetreibers eingreifen. Das ist nicht einfach zu belegen. 129 Zudem ist es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Telekommunikationsendgeräten zweifelhaft, ob die Übertragung von Entscheidungen im Bereich ausschließlicher Rechte auf eine unabhängige Stelle nicht durch die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags legitimiert ist, sofern andernfalls das über ausschließliche Rechte verfügende Unternehmen in einem benachbarten Bereich gegenüber seinen Konkurrenten im Vorteil wäre. 130 Wenn dem aber so ist, dann kann in einer solchen Übertragung keine Beeinträchtigung der Eigentumsgewährleistung liegen, da dann durch das sekundäre Recht nur geboten wird, was sich bereits aus dem primären Recht ergibt. Für die bloße Schaffung einer unabhängigen Abteilung innerhalb eines Unternehmens muß das erst recht gelten. bb) Im Ergebnis würde sich im übrigen nichts ändern, wenn man eine Beschränkung der Eigentumsgewährleistung annehmen würde. Dann stellt sich die Frage, ob die Funktionentrennung einen verhältnismäßigen Grundrechtseingriff darstellt. Ihr Ziel ist es, Transparenz und Nichtdiskriminierung zu gewährleisten. 131 Der Netzbetreiber soll alle potentiellen Stromerzeuger unter Beachtung der Vertragspflichten über die Einspeisung gleichmäßig behandeln, insbesondere nicht die Erzeuger des eigenen Unternehmens begünstigen. Die Funktionentrennung bildet damit neben dem Zugang Dritter einen weiteren Baustein zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den Stromerzeugern. Der Eigentümer des Übertragungsnetzes soll nicht kraft seines Netzeigentums über Vorteile gegenüber anderen Stromerzeugern verfügen und damit in der Lage sein, sich gegen einen Stromerzeugungskonkurrenten durchzusetzen, auch wenn dieser deutlich leistungsfähiger ist. Es geht also um die Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen. Die Verfolgung dieses Zieles stellt aus den dargelegten Gründen nicht nur ein gemeinwohldienliches Ziel der Gemeinschaft dar. Der mit der Funktionentrennung verbundene Eingriff in das Eigentum ist auch verhältnismäßig. 132 Angesichts des Umstands, daß die Richtlinie weder eine Änderung der Eigentumsverhältnisse noch der (extern bedeutsamen) Gesellschaftsstrukturen verlangt, sich mit der Schaffung eines eigenständigen Unternehmensbereichs für die Übertragung begnügt und darüber hinaus dieser Bereich weiterhin der Weisungsgewalt der Unternehmensführung unterworfen bleibt bzw. die Funktionentrennung die Manage129 Ablehnend Stewing , Die Richtlinien-Vorschläge der EG-Kommission zur Einführung eines Third Party Access für Elektrizität und Gas, EuR 1993, 56 f. 130 EuGH, Slg. 1991, 1223/1271 Rn. 51 f.; Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993,42 f.

131 s. oben Β. II. 3. b) bb). 132 So im Ergebnis für das deutsche Verfassungsrecht und für eine weitergehende Funktionentrennung Monopolkommission, Zehntes Hauptgutachten, 1994, BT-Drs.12/8323, Rn. 812 f. 8 Jarass

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

mentebene nicht erfaßt, 133 ist zunächst festzuhalten, daß es sich um einen Eingriff minderer Schwere handelt. Beachtet man andererseits das Gewicht des verfolgten Ziels, kann insgesamt schwerlich bezweifelt werden, daß der Eingriff verhältnismäßig ist und den Wesensgehalt des Eigentums nicht berührt. Berücksichtigt man zudem den Prognose- und Beurteilungsspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers hinsichtlich der Eignung und der Erforderlichkeit des Eigentumseingriffs, 134 muß man auch diese Voraussetzungen als gegeben ansehen. Insgesamt ist daher die Funktionentrennung im Bereich der Stromübertragung mit der Eigentumsgewährleistung zu vereinbaren.

b) Regelungen in anderen Bereichen In allen anderen Bereichen fallen die Vorgaben zur Organisation sehr viel zurückhaltender aus. Im Bereich der Stromerzeugung wie der Stromverteilung gibt es, sieht man von dem bereits behandelten Verhältnis zur Stromübertragung ab, nur Regelungen zur Trennung der Rechnungslegung.135 Im Erdgasbereich gilt das sogar für alle Teilbereiche, auch für die Fernleitung. Die Trennung der Rechnungslegung verfolgt das gleiche Ziel wie die Funktionentrennung im Bereich der Stromübertragung. Wenn daher die sehr viel weitergehenden Vorgaben zur Organisation im Bereich der Stromübertragung zulässig sind, muß das erst recht für die deutlich zurückhaltenderen Organisationsvorgaben in den anderen Bereichen gelten.

5. Vorgaben zu den Tätigkeiten

a) Abrufen von Strom Die Richtlinien über den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt enthalten schließlich Regelungen für die Ausübung von Tätigkeiten der Energieerzeugung bzw. -Versorgung. Besonders weitreichend gestalten sich diese Regelungen (wiederum) im Bereich der Stromübertragung, weshalb sich die Ausführungen im folgenden zunächst darauf beschränken. Diese Regelungen betreffen das Abrufen von Strom bei den Stromerzeugern durch den Betreiber des Übertragungsnetzes. 136 Der Netzbetreiber ist nicht frei bei der Entscheidung, bei welchem Erzeuger er den Strom abruft. Vielmehr ist er zum einen verpflichtet, den Strom nach staatlich genehmigten Kriterien abzurufen, die objektiv und transparent sein müssen und nicht diskriminierend angewandt werden dürfen. Allerdings dürfte die Abruf133 Näher oben Β. II. 3. b) bb). 134 s. oben D. II. 1. c). Vgl. auch Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 88. 135 s. oben Β. II. 4. b). 136 Dazu kommen Betriebs- und Ausbaupflichten; dazu unten b).

II. Die Eigentumsgewährleistung

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regelung nur technische Aspekte betreffen. 137 Gleichwohl liegt darin ein Eingriff in das Netzeigentum, wird doch die Eigentumsausübung näher geregelt. Für die Beurteilung der Zulässigkeit dieses Eingriffs ist zunächst festzuhalten, daß auch diese Regelung dazu dient, den Wettbewerb zwischen den Stromerzeugern zu fördern, und zu verhindern, daß ein Stromerzeuger, der auch Netzeigentümer ist, allein wegen seines Netzeigentums Wettbewerbsvorteile im Verhältnis zu konkurrierenden Stromerzeugungsunternehmen besitzt. Darin liegt nicht nur ein legitimes Allgemeininteresse, da der Wettbewerb vor Verfälschungen geschützt wird. Die Maßnahme ist auch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, zumal (zulässigen) vertraglichen Bindungen des Netzeigentümers mit Dritten der Vorrang zukommt. 138 Zudem ist zu beachten, daß die Mitgliedstaaten bei der Genehmigung der Kriterien die Vereinbarkeit mit der (gemeinschaftsrechtlichen) Eigentumsgarantie beachten müssen.139 Nur wenn jede richtlinienkonforme Art und Weise der Zulassung von Abrufungskriterien die Eigentumsgarantie verletzen würde, wäre die Richtlinienregelung mit primärem Recht nicht vereinbar. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten über die Genehmigung der Abrufungskriterien die Begünstigung bestimmter, besonders umweltfreundlicher Stromerzeuger verlangen. 140 Insbesondere ist es möglich, zugunsten von Erzeugungsanlagen, die erneuerbare Energiequellen oder Abfall verwenden, sowie Erzeugungsanlagen, die die Kraft-Wärme-Kopplung einsetzen, Wettbewerbsvorteile einzuräumen. Diese Regelungen dienen dem Umweltschutz, da die fraglichen Stromerzeugungsarten besonders umweltfreundlich sind. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wird damit seiner Verpflichtung aus Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 3 EGV gerecht, bei der Rechtsangleichung zu Zwecken des Binnenmarktes für ein hohes Schutzniveau im Bereich des Umweltschutzes zu sorgen. 141 Das mit der einschränkenden Regelung verfolgte Interesse ist also sogar im Primärrecht besonders geschützt. Das führt dazu, den Eingriff in die Eigentumsgarantie als verhältnismäßig einzustufen, zumal auch hier gilt, daß die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von Bevorzugungen im Hinblick auf konkurrierende Unternehmen die Eigentumsgarantie (und andere Grundrechte) beachten müssen.

b) Betriebs- und Ausbaupflichten Neben den Vorgaben zum Abrufen von Strom werden der Netzbetreiber und damit mittelbar der bzw. die Netzeigentümer verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Stromübertragungsnetz zu unterhalten. Des weiteren wird der 137 138 139 140

Dazu oben Β. II. 3. b) dd). Vgl. oben Β. II. 3. b) dd). s. oben D. II. 1. b). s. oben Β. II. 3. b) dd) und unten Ε. II. 3. a).

141 Näher dazu unten Ε. I. 1. b). 8*

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

Netzbetreiber verpflichtet, sich nach Kräften zu bemühen, die optimale Nutzung der vorhandenen Kapazitäten zu fördern und den Bau neuer Verteilungskapazitäten voranzutreiben, soweit das erforderlich ist. 1 4 2 Nun wird mit diesen Pflichten, jedenfalls im Kern, nicht mehr verlangt, als ein vernünftiger Netzbetreiber ohnehin von sich aus tut. Immerhin können in Grenzbereichen Konflikte auftreten, etwa dann, wenn die Sicherung der vorhandenen Netze, vor allem aber deren Ausbau hohe Kosten verursachen. Soweit sich diese Kosten nicht über die Preisgestaltung auf die Abnehmer und Netzbenutzer abwälzen lassen, kann dies unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgewährleistung problematisch sein. Doch gilt es insoweit zunächst zu beachten, daß hinsichtlich des Netzausbaus vom Betreiber nur verlangt wird, daß er sich „nach Kräften bemüht". Die Richtlinie enthält also keine strikte Verpflichtung. Die Vorgabe „nach Kräften" weist gerade auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten hin. Im übrigen gilt es zu berücksichtigen, daß diese wie andere Betreiberpflichten im Lichte der Eigentumsgewährleistung auszulegen sind. Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts sind generell primärrechtskonform zu interpretieren. 143 Sollte es in seltenen Fällen einmal zu übermäßigen Eigentumsbelastungen kommen, muß die Richtlinie so verstanden werden, daß sie dies nicht verlangt. Insgesamt kann daher festgehalten werden, daß alle Vorgaben für die Aktivitäten des Übertragungsnetzes mit der Eigentumsgarantie vereinbar sind.

c) Sonstige Bereiche Im Bereich der Stromverteilung sind die Pflichten zum Netzbetrieb erheblich zurückhaltender ausgestaltet als im Bereich der Stromübertragung. 144 Wenn daher, wie dargelegt, die vergleichsweise weitreichenden Vorgaben zur Übertragung von Strom in vollem Umfang mit der Eigentumsgarantie vereinbar sind, dann muß das im Bereich der Stromverteilung erst recht gelten. Was die Erdgasfernleitung betrifft, so gehen die Netzbetriebspflichten in keinem Punkt über die Anforderungen im Stromübertragungsbereich hinaus. An einigen Stellen bleiben sie hinter ihnen sogar zurück. Folglich sind auch diese Regelungen auf dem Hintergrund der Ausführungen zur Stromübertragung mit der Eigentumsgarantie vereinbar. Schließlich kann nichts anderes für die Pflichten zum Betrieb von Erdgasverteilungsnetzen gelten, die in ihrer Intensität noch hinter denen im Bereich der Erdgasfernleitung zurückbleiben.

142 s. oben Β. II. 3. b) cc). 143 Vgl. EuGH, Slg.1991,1-1647/1672; 1994,1-223/252 f. 144 Vgl. oben Β. II. 4. b).

II. Die Eigentumsgewährleistung

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6. Einfluß der Grundfreiheiten

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß sowohl die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt mit der Eigentumsgarantie vereinbar sind. Dieser Befund ergab sich, obwohl noch keineswegs alle Gesichtspunkte angesprochen wurden, die sich zugunsten dieses Ergebnisses anführen lassen. Soweit die beiden Richtlinien den grenzüberschreitenden Verkehr mit Strom oder mit Erdgas fördern und entgegenstehende Schranken abbauen, dienen sie dem Gebot des freien Warenverkehrs, wie es in Art. 30 ff EGV verankert ist. Diese Gewährleistung ist nicht nur im Erdgasbereich, sondern auch im Strombereich anwendbar, da, wie der Europäische Gerichtshof erst jüngst festgestellt hat, Strom als Ware im Sinne dieser Vorschriften einzustufen ist. 1 4 5 Der grenzüberschreitende Verkehr mit Elektrizität ist immer noch vergleichsweise wenig entwickelt, insbesondere wenn man den Stromimport und -export zum Ausgleich temporärer Schwankungen ausklammert. Soweit die Richtlinien Hindernisse für die grenzüberschreitende Niederlassung von Elektrizitäts- oder Erdgasunternehmen abbauen, dienen sie dem Gebot der Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 ff EGV. Die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 59 ff EGV wird befördert, soweit mit der Richtlinie Hindernisse für reine Transportleistungen mit grenzüberschreitendem Charakter beseitigt werden. 146 Insoweit hat die Kommission erhebliche Defizite ausgemacht. Insgesamt läßt sich daher festhalten, daß der Inhalt der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie der über den Erdgasbinnenmarkt in erheblichem Umfang für die Beachtung der Freiheit des Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sorgen. 147 Das kann bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen nicht unberücksichtigt bleiben. Wieweit die Regelungen der beiden Richtlinien im einzelnen durch die Warenverkehrsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit legitimiert sind, braucht hier nicht näher untersucht zu werden, da die Vereinbarkeit der Richtlinien mit der Eigentumsgarantie bereits festgestellt wurde. Würde man das anders sehen, müßte man hingegen die Reichweite der Grundfreiheiten in unserem Zusammenhang im einzelnen näher abklopfen. Diese Gewährleistungen sind durchaus in der Lage, das Eigentumsgrundrecht sowie andere Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte zu beschränken. In der Literatur wurde das bislang meist übersehen. 148 145 E U G H , E U Z W 1994, 4 0 9 R n . 28.

146 Zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit Müller-Grqff\ in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 30 Rn. 113. 147 Ehlermann, Die vorgesehene Regelung zur Strom- und Gasdurchleitung, RdE 1993, 42; vgl. Hancher, EC Electricity Law, 1992, 18 ff. 148 So fehlen etwa bei Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 55 ff. Ausführungen zur Rechtfertigung der Eigentumseingriffe durch Grundfreiheiten.

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D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

I I I . Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte 1. Berufsfreiheit, Handelsfreiheit, allgemeine Freiheit

a) Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts aa) Der Europäische Gerichtshof sieht in ständiger Rechtsprechung im Gemeinschaftsrecht das Grundrecht der Berufsfreiheit verankert. 149 Es schützt zum einen die freie Berufswahl 150 und zum anderen die freie Berufsausübung. 151 Dieses Grundrecht kommt den selbständig tätigen Personen zugute, 152 aber auch den Arbeitnehmern. 153 Das Grundrecht der Berufsfreiheit deckt damit zumindest wesentliche Bereiche der wirtschaftlichen Betätigung ab. Ob sämtliche Aspekte wirtschaftlicher Tätigkeiten durch die Berufsfreiheit geschützt werden, ist allerdings unsicher. Dagegen könnte zunächst sprechen, daß der Gerichtshof in einer Entscheidung von der grundrechtlichen Handelsfreiheit gesprochen hat, 1 5 4 was man als einen Hinweis auf ein eigenes Grundrecht des Handels deuten könnte. Doch dürfte damit nur ein Teilbereich der Berufsfreiheit gemeint sein. 155 Dementsprechend hat der Gerichtshof in einer anderen Entscheidung von der „Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten" gesprochen. 156 Eine tatbestandliche Einschränkung der Berufsfreiheit könnte sich des weiteren daraus ergeben, daß nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs „Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre privater Betätigung jeder - natürlichen oder juristischen - Person einer Rechtsgrundlage" bedürfen und daß der Eingriff „aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein" muß. 157 Darin liegt, wie der Gerichtshof festgehalten hat, ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und damit für den Betroffenen ein Grundrecht bzw. ein grundrechtsähnliches Recht, das man auch als allgemeines Freiheitsrecht bezeichnen könnte. 158 Nichts

149 EUGH, Slg. 1974, 491/507 f; 1979, 3727/3750. Vgl. auch Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, 22 ff. 150 EuGH, Slg.1986, 2519/2545. 151 EuGH, Slg.1986, 2897/2912 Rn. 6-8. 152 Vgl. EuGH, Slg. 1989, 2237/2267 ff. 153 EuGH, Slg.1987, 4097/4117 Rn. 14. 154 EUGH, Slg. 1985, 531/548 f; unergiebig dagegen EuGH, Slg.1970, 1125/1135 ff.; 1970, 1161/1175 ff., wo davon gesprochen wird, daß eine Beeinträchtigung des Handels Grundrechte verletzen kann, aber offenbleibt, um welche Grundrechte es geht. 155 So wohl auch v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 102. 156 EuGH, Slg. 1974,491/507 (Kursivsetzung hinzugefügt). 157 EuGH, Slg.1989, 3165/3186. 158 Berücksichtigt man des weiteren, daß der Gerichtshof diesen Grundsatz in einem Falle entwickelt hat, in dem der Schutzbereich eines speziellen Grundrechts nicht betroffen war,

III. Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte

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anderes dürfte denn auch gemeint sein, wenn der Gerichtshof vom Grundsatz der „allgemeinen Handlungsfreiheit" spricht. 159 Damit stellt sich die bekanntlich im nationalen Bereich umstrittene Frage, wieweit wirtschaftliche Tätigkeiten von der Berufsfreiheit erfaßt werden und wieweit auf die allgemeine Handlungsfreiheit zurückgegriffen werden muß. 1 6 0 bb) Auf eine nähere Abgrenzung der Berufsfreiheit vom allgemeinen Freiheitsrecht bzw. der allgemeinen Handlungsfreiheit kann aber verzichtet werden, da die Zulässigkeit von Eingriffen nach den gleichen Gesichtspunkten beurteilt wird. Eingriffe in die Berufsfreiheit sind nur zulässig, soweit damit „dem Gemeinschaftswohl dienende Ziele des Gemeinschaftsrechts" verfolgt werden und die Beschränkungen „nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet".161 Dabei besteht im Bereich komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte ein weiter Spielraum der EG-Organe. 162 Für eine Einschränkung des allgemeinen Freiheitsrechts verlangt der Gerichtshof neben der normativen Grundlage, daß der Eingriff nicht willkürlich oder unverhältnismäßig ist. 1 6 3 Einschränkungen der Berufsfreiheit wie des allgemeinen Freiheitsrechts erfolgen daher nach den gleichen Regeln. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß Beschränkungen der Berufsausübung einen geringeren Schutz genießen als Beschränkungen der Berufswahl. 164

b) Anwendung Die Richtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt regeln die Betätigung der Stromerzeugung, der Stromübertragung und der Stromverteilung sowie die Erdgasfernleitung und die Erdgasverteilung. Sie regeln damit die Berufsausübung in diesen Bereichen oder enthalten zumindest einen Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht bzw. in die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Regelungen können folglich nur zulässig sein, wenn sie Gemeinwohlziele verfolgen, verhältnismäßig sind und nicht den Wesensgehalt der betreffenden wird deutlich, daß das Gemeinschaftsrecht auch eine Gewährleistung enthält, die funktional der allgemeinen Handlungsfreiheit des nationalen Verfassungsrechts entspricht. 159 EuGH, Slg. 1987,2289/2339. 160 Vgl. Jarass, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 2 Rn. 4 und Art. 12 Rn. 11. 161 EuGH, Slg. 1989, 2237/2267 f; 1991, 415 Rn. 73; ebenso EuGH, Slg. 1986, 2897/ 2912 ohne Erwähnung der Verhältnismäßigkeit. 162 EuGH, Slg. 1989, 1991/2015 Rn. 20; v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 103. 163 EuGH, Slg.1989, 3165/3186. 164 Dazu Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 70.

120

D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

Grundrechte verletzen. Aus den gleichen Gründen, wie sie für die Eigentumsgewährleistung im einzelnen behandelt wurden, 165 läßt sich das Vorliegen der Voraussetzungen auch hinsichtlich der Berufsfreiheit sowie des allgemeinen Freiheitsrechts bejahen. 166 Dafür spricht auch der Umstand, daß nicht der Zugang zum Beruf eingeschränkt wird; durch die Beseitigung ausschließlicher Rechte wird der Zugang vielmehr ausgeweitet. Es handelt sich um eine bloße Ausübungsregelung, gegen die, wie dargelegt, die Berufsfreiheit nur einen reduzierten Schutz bietet. Schließlich sind die Richtlinien gerade auf die Öffnung der Elektrizitäts- und Ergasmärkte gerichtet und dienen daher der Förderung der Berufsfreiheit potentieller Konkurrenten. Insgesamt sind die Richtlinien für den Energiebinnenmarkt auch mit der Berufsfreiheit vereinbar.

2. Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit

a) Vorgaben des Gemeinschaftsrechts aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus dem Gemeinschaftsrecht der „Rechtsatz, daß das berechtigte Vertrauen der Betroffenen ... zu schützen ist". 1 6 7 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt aus dem allgemeinen Prinzip der Rechtssicherheit und findet im Bereich der Normsetzung eine spezielle Ausprägung in Form des RückwirkungsVerbots. Mit dem Rückwirkungsverbot sind dabei nur die Fälle der echten Rückwirkung angesprochen, 168 weshalb dieser spezielle Aspekt in unserem Zusammenhang ausscheidet. Von Bedeutung kann aber der (allgemeine) Grundsatz des Vertrauensschutzes sein. Diese Gewährleistung kommt keineswegs nur im Rahmen von Grundrechtsbeschränkungen zum Tragen, sondern stellt (auch) einen eigenständigen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar. 169 Weiter schützt sie nicht allein gegenüber Einzelfallentscheidungen, sondern auch gegenüber Rechtsvorschriften. 170 Endlich stellt der Grundsatz nicht nur objektives Recht dar, sondern enthält für die Betroffenen auch ein grundrechtsähnliches Recht. 171

165 s. oben D. II. 2.-6. 166 Zur Parallelität der Schranken der Eigentumgsgarantie und der Berufsfreiheit v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 103. 167 EUGH, Slg. 1973, 575/584 Rn. 10; 1975, 533/547 ff.; EuGH, Slg. 1992, 35 / 63; Borchardu in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 164 Rn. 55. 168 Vgl. EuGH, EuZW 1991, 315 f. 169 Vgl. EuGH, EuZW 1994, 91; EuZW 1994, 96. 1 70 Vgl. Pernice , in: Grabitz / H i l f (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 95 f. 171 Beutler, in: v. d. Groeben u. a. (Hg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anhang: Grundrechtsschutz, Rn. 44.

III. Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte

121

Für die nähere Bestimmung dieses Rechts ist bedeutsam, daß „die Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gegenüber Gemeinschaftsregelungen nur insoweit möglich (ist), als die Gemeinschaft zuvor eine Situation geschaffen hat, die ein berechtigtes Vertrauen wecken kann". 1 7 2 Daran fehlt es in unserem Zusammenhang, da die günstige Stellung der Energieversorgungsunternehmen eine direkte oder indirekte Folge des nationalen Rechts ist. Allerdings erscheint die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs problematisch, soweit sie nur das durch Gemeinschaftsakte erzeugte Vertrauen für schützenswert hält. Da und soweit das Gemeinschaftsrecht in das Recht der Mitgliedstaaten hineinwirkt, muß der Bürger auch gegen Eingriffe in das durch nationale Rechtsakte bedingte Vertrauen geschützt sein. 173 Andernfalls gäbe es für ihn insoweit überhaupt keinen Schutz, da die Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts zum Vertrauensschutz keine Wirkungen gegenüber dem Gemeinschaftsrecht entfalten können. Wichtiger ist daher eine zweite Einschränkung, die der Gerichtshof herausgestellt hat. „Nach ständiger Rechtsprechung dürfen auf dem Gebiet der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt, die Marktbürger nicht darauf vertrauen, daß sie Beschränkungen nicht unterworfen werden, die sich aus eventuellen marktpolitischen oder strukturpolitischen Bestimmungen ergeben". 174 Anders ausgedrückt: Das Vertrauen auf das Fortbestehen von Regelungen einer Marktordnung oder Marktregulierung ist grundsätzlich nicht schützenswert. Wenn man aber den Vertrauensschutz auch auf das Vertrauen erstreckt, das sich aus Akten der Mitgliedstaaten ergibt, dann muß diese Einschränkung auch für Regelungen der nationalen Marktordnung und Marktregulierung gelten. Eben darum geht es in unserem Zusammenhang: Es geht um das Vertrauen der Energieversorgungsunternehmen auf den Fortbestand des nationalen Energierechts. bb) Schließlich gilt es zu beachten, daß auch dann, wenn eine Vertrauenslage bestand und zudem das Vertrauen schützenswert war, der Eingriff keineswegs unzulässig sein muß. Wie der Europäische Gerichtshof herausgestellt hat, ist in diesem Falle eine Abwägung zwischen dem Vertrauensinteresse des Betroffenen und den die Rechtsänderung fordernden Interessen erforderlich. 175 In die gleiche Richtung zielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 176 Dieser Grundsatz gilt nach Auffassung des Gerichtshofs nicht nur als Grundrechtsschran-

172 EUGH, Slg. 1992, 3 5 / 6 3 Rn. 14.

173 Ebenso v.Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 282 f. 174 EuGH, Slg. 1992, 35/63; unter Berufung auf EuGH, Slg. 1987, 2755/2794 Rn. 33; 1988, 2321/2352 Rn. 23; 1988, 2355/2372 Rn. 12. 175 EuGH, Slg. 1989, 2433/2439; 1990, 4574/4577; 1991, 3715/3720; v.Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 106. 176 Etwa EuGH, Slg. 1989, 2237/2269; Borchardt, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 164 Rn. 55.

122

D. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht

ke, sondern stellt einen eigenständigen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts dar. 177 Er verlangt, daß mit Gemeinschaftsmaßnahmen ein legitimes Ziel verfolgt wird, das auch tatsächlich begründet ist. 1 7 8 Weiter muß die Maßnahme geeignet und erforderlich sein. Endlich müssen die auferlegten Belastungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.179 Wenn daher der Gemeinschaftsgesetzgeber oder der nationale Gesetzgeber die Marktvorgaben ändert, um damit Ziele des Gemeinwohls zu verfolgen, dann muß das in verhältnismäßiger Weise geschehen. Bei Änderungen können daher schonende Übergangsregelungen erforderlich sein, jedenfalls dann, wenn der Inhaber der ausschließlichen Rechte für deren Erwerb erhebliche Aufwendungen gemacht hat. 1 8 0 Auch insoweit gilt es allerdings zu berücksichtigen, daß die Berufung auf den Vertrauensschutz gegenüber nachteiligen Gesetzesänderungen bei getroffenen oder nicht ohne Verlust rückgängig zu machenden Vermögensdispositionen ausgeschlossen ist, wenn die Änderung vorhersehbar war. 181 Zudem steht dem Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ein Beurteilungsspielraum zu. 1 8 2

b) Anwendung Bei der Beurteilung der Frage, ob die Richtlinien über den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt einen in diesem Sinne ausreichenden Vertrauensschutz vorsehen, ist zunächst bedeutsam, daß die Reform des Energiebinnenmarkts durch die Gemeinschaft jedenfalls seit 1988 in der Diskussion ist. Für Rechtspositionen, die daher erst nach diesem Zeitpunkt erlangt wurden, unterliegt der Vertrauensschutz bereits erheblichen Beschränkungen. Mit Bekanntwerden des Richtlinienprojekts über die gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt Mitte 1991 mußten die Unternehmen mit derartigen Regelungen rechnen, womit ein schützenswertes Vertrauen nicht mehr entstehen konnte. 183 Auf die Interessenabwägung kommt es damit nicht mehr an.

177 EUGH, Slg. 1989, 2 2 3 7 / 2 2 6 9 ;

1991, 4 9 6 7 / 4 9 7 7 ; Pernice ,

in: G r a b i t z / H i l f

(Hg.),

Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 101 ff. 178 EUGH, Slg. 1984, 3 8 8 1 / 3 8 9 6 ff.

179 EuGH, Slg. 1989, 2237/2269; 1990, 2515/2532 f; 1991, 4906/4932. 180 Der Grund dafür liegt darin, daß die Belastung für bereits etablierte Eigentumsnutzungen viel größer ist; vgl. v. Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 281. 181 Pernice , in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 164 Rn. 98 mit Nachw. 182 Vgl. u Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, 111 mit Nachw. 183 Ebenso Schröder, Kompetenz- und eigentumsrechtliche Fragen bei der Verwirklichung des Elektrizitätsbinnenmarkts, 1993, 79 f.

III. Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte

123

Wann die Richtlinien über den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt in Kraft treten werden, ist gegenwärtig nicht abzusehen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Richtlinien 1996 beschlossen werden, schließt sich eine Umsetzungsphase an. Diese dürfte nach allgemeinem Brauch mehrere Jahre betragen. Wenn demgegenüber die Richtlinien von einer Umsetzung bis zum 1 .Juli 1994 ausgehen,184 so ist dieser Zeitpunkt durch Zeitablauf überholt. 185 Geht man davon aus, daß die Richtlinien erst bis 1998 oder noch später in nationales Recht umzusetzen sind, dürften die Vorgaben des schonenden Übergangs jedenfalls im Regelfall gewahrt sein.

ι» 4 Vgl. Art. 28 Abs. 1 E1BR; Art. 25 Abs. 1 GBR.

185 Im übrigen dürfte es sich dabei um ein Redaktions versehen handeln, da die Regelung über die Umsetzungsfrist einen festen Termin nennt, während die Vorschrift über das Inkrafttreten variabel ausgestaltet ist.

E. Ausbau des EU-Energierechts und Umweltschutz I. Relevante Umweltschutzvorgaben des primären Rechts 1. Hohes Umweltschutzniveau

a) Verpflichtung

der Umweltpolitik

auf ein hohes Niveau

Nach der durch den Vertrag von Maastricht eingefügten Vorschrift des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft „auf ein hohes Schutzniveau ab", wobei „die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft" zu berücksichtigen sind. Die Gemeinschaft darf sich also nicht mit einem durchschnittlichen Umweltschutz oder gar minimalen Umweltschutz begnügen. Andererseits ist sie nicht auf das (in den Mitgliedstaaten bestehende) höchste oder gar das höchstmögliche Niveau des Umweltschutzes verpflichtet. 1 Des weiteren wird die Verpflichtung auf ein hohes Schutzniveau dadurch nicht eingeschränkt, daß die Mitgliedstaaten nach Art. 130t EGV in erheblichem Umfang die Möglichkeit haben, über die EG-rechtlichen Vorgaben hinauszugehen und strengere Umweltschutzanforderungen zu verlangen.2 Andererseits stellt Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV nur eine Zielvorgabe dar, die mit den anderen Zielen der Gemeinschaft, aber auch mit den Grundrechten des Gemeinschaftsrechts, in Konflikt treten kann. Einige konkurrierende Interessen von besonderer Bedeutung finden sich in Art. 130r Abs. 3 EGV. Weder dem Ziel des Umweltschutzes noch einem anderen Ziel der Gemeinschaft kommt ein genereller Vorrang zu.3 Welches der widerstreitenden Ziele im konkreten Fall zurückzutreten hat, muß durch eine Abwägung bestimmt werden.4 Dabei besitzt die Gemeinschaft einen erheblichen Spielraum. Demgemäß können auch Fragen der politischen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit eine Rolle spielen.5 Schließlich sind die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft zu berücksichtigen. Damit wird nicht nur auf die unterschiedliche Situation des Umweltschutzes in den Regionen der Gemeinschaft abgestellt. 1

Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 55. 2 Breier/Vygen, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 130t Rn. 1. 3

Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, 161 ff. Dazu Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, 204 ff. 5 Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 55; zurückhaltender Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 36. 4

I. Relevante Umweltschutzvorgaben des primären Rechts

125

Vielmehr wird auf das unterschiedliche Gewicht konkurrierender Interessen hingewiesen. Die Klausel soll insbesondere in ökonomisch wenig entwickelten Gebieten Einschränkungen des Umweltschutzes erlauben.6

b) Umweltschutz in anderen Gemeinschaftspolitiken Die Verpflichtung des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV gilt zunächst nur für die Umweltpolitik der Gemeinschaft, also den Aktivitätsbereich der Gemeinschaft, für den der Umweltschutz im Vordergrund steht. Die Regelung strahlt aber über die Querschnittsklausel des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 3 EGV auf die anderen Gemeinschaftspolitiken aus. Nach dieser Vorschrift müssen „die Erfordernisse des Umweltschutzes ... bei der Festlegung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden". Auch wenn insoweit etwas vorsichtiger von den Erfordernissen des Umweltschutzes gesprochen wird, erweitert die Querschnittsklausel den Grundsatz des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV auf andere Politikfelder. 7 Das Gebot des hohen Umweltschutzniveaus ist daher bei allen Tätigkeiten der Gemeinschaft zu beachten.8 Ein genereller Vorrang des Umweltschutzes gegenüber anderen Zielen ergibt sich daraus, wie dargelegt, nicht.9 Vielmehr ist jeweils eine Abwägung notwendig. Generell ausgeschlossen sind allerdings schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen durch die einseitige Ausrichtung anderer Politikbereiche. 10 Für den Bereich der Binnenmarktharmonisierung nach Art. 100a EGV wird die Verpflichtung auf ein hohes Schutzniveau durch Art. 100a Abs. 3 EGV zusätzlich hervorgehoben. Diese Regelung, die älter als die allgemeine Vorschrift des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV ist, verpflichtet nach ihrem Wortlaut allein die Kommission bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für Maßnahmen nach Art. 100a Abs. 1 EGV. Die Verpflichtung wurde allerdings von einigen Autoren zu einer allgemeinen Regel ausgeweitet.11 Ob das zutrifft, kann seit der Änderung des Art. 130r Abs. 2 EGV dahingestellt bleiben. Die Verpflichtung der sonstigen Organe der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau im Bereich der Binnenmarktharmonisierung läßt sich heute aus der Verpflichtung des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EGV ableiten, die für sämtliche Organe gilt und über die Querschnittsklausel 6 Vgl. Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 130r Rn. 74 f. 7 Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 28 f. Für den wichtigsten Fall der Binnenmarktpolitik folgt das auch aus Art. 100a Abs. 3 EGV. 8 Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, 58. 9 Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 31. S. dazu oben a). 10 Breier/Vygen, in: Lenz (Hg.), EG-Vertrag, 1994, Art. 130r Rn. 16. 11

Etwa Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, 95 f.

126

. Ausbau des EU-Energierechts und

melscht

des Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 3 EGV auch die sonstigen Politiken erfaßt, insbesondere die Binnenmarktharmonisierung. 12

2. Ressourcenschonung und Ursprungsprinzip

aa) Art. 130r EGV enthält eine Reihe von materiellen Vorgaben für die Umweltpolitik der Gemeinschaft. Davon ist in unserem Zusammenhang zunächst die Verpflichtung zur Ressourcenschonung nach dem 3.Spiegelstrich des Art. 130r Abs. 1 EGV bedeutsam. Diese Vorschrift verpflichtet die Umweltpolitik der Gemeinschaft, zu einer „umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen" beizutragen. Damit wird das Ziel einer nachhaltigen Bewirtschaftung verankert. Erneuerbare Ressourcen dürfen nicht in einer Art und Weise beansprucht und verwandt werden, daß ihre natürliche Regenerationskraft überfordert wird. 13 Nicht erneuerbare Ressourcen sind so sparsam wie möglich zu verwenden. Zu den natürlichen Ressourcen im Sinne der Vorschrift gehören auch die Energierohstoffe bzw. die primären Energieträger. Der Gemeinschaft wird damit die Aufgabe zugewiesen, den Umgang mit diesen Energieträgern im Hinblick auf deren umsichtige und rationelle Verwendung zu regeln. 14 Zur Vorgängerregelung des Art. 130r Abs. 1 EWGV hat die Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten am 9. 9. 1985 folgende Erklärung abgegeben: „Die Konferenz stellt fest, daß die Tätigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes sich nicht störend auf die einzelstaatliche Politik der Nutzung der Energieressourcen auswirken darf 4 . Diese Erklärung wird ganz überwiegend nicht als echter Vertragsvorbehalt eingestuft, sondern nur als Interpretationshilfe genutzt.15 Das hat zur Folge, daß die Erklärung keinen Vorrang der Energiepolitik vor der Umweltpolitik bewirkt. 16 Die Erklärung kann nur den Rahmen ausfüllen, den Art. 130 r Abs. 1 EGV beläßt. Im übrigen wurde die Erklärung gegenüber der Neuregelung des Art. 130r Abs. 1 EGV nicht wiederholt. Selbst wenn man daher in ihr einen echten Vorbehalt gesehen hätte, kann dieser nicht mehr gegenüber der vollständig neu erlassenen Regelung des Art. 130r EGV greifen. 12 Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 66 f. 13 Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 130r Rn. 26. 14 Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 130rRn. 27. 15 Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 100a Rn. 13; Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 130r Rn. 27f; Glaesner, Die Einheitliche Europäische Akte, EuR 1986, 122; a. A. Toth, The Legal Status of the Declarations Annexed to the Single European Act, CMLRev 1986, 804 ff. 16 Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, 175; a. A. Haneklaus , Zur Verankerung umweltpolitischer Ziele im EWG-Vertrag, DVB1 1990, 1137.

II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

127

bb) Gemäß Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 EGV beruht die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf dem „Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen". Die früher in der Regelung enthaltene Relativierung „nach Möglichkeit" wurde durch den Vertrag von Maastricht gestrichen. Damit hat das Gewicht des Ursprungsprinzips eine weitere Verstärkung erfahren, ohne daß dem Prinzip deshalb ein genereller Vorrang zukäme. Es verlangt, bei der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen (zeitlich und kausal) so früh wie möglich anzusetzen.17 Die Vermeidung von Emissionen hat daher Vorrang vor der Vermeidung von Immissionen, und der stoff- und produktbezogene Umweltschutz hat Vorrang vor dem emissionsbezogenen Umweltschutz. In unserem Zusammenhang ist das deshalb bedeutsam, weil der Energieeinsatz auf einer besonders frühen Stufe zum Tragen kommt. Ein sparsamer Umgang mit primären wie mit sekundären Energieträgern wird daher dem Ursprungsprinzip in besonderer Weise gerecht.

II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien 1. Allgemeines

Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt wurden zunächst allein als Instrumente für die Herstellung des Binnenmarkts im Sinne des Art. 7a EGV im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft konzipiert. Darauf beschränkt sich auch die Zielbeschreibung in den Begründungserwägungen der Richtlinien. Konsequenterweise stützen sich die Richtlinienvorschläge auf Art. 100a EGV und nicht auf Art. 130s EGV. Gleichwohl enthielten die Richtlinienvorschläge bereits in der ursprünglichen Fassung eine Reihe von Vorgaben, die im Bereich der Energiewirtschaft zum Umweltschutz beitrugen. Hingewiesen sei etwa auf Art. 4 Abs. 2 E1BR, auf Art. 5 Abs. 2 E1BR, auf Art. 13 Abs. 4 E1BR sowie auf Art. 4 GBR. In den geänderten Richtlinienvorschlägen wurden diese Vorgaben weiter ausgebaut. In der Begründung des geänderten Vorschlags heißt es daher, daß „der Umweltschutz verstärkt berücksichtigt" wurde. 18 Eine weitere Verstärkung hat der Umweltschutz schließlich durch die Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994 erfahren, in denen beschlossen wurde, den Umweltschutz zu einem Teil der öffentlichen Dienstleistungspflichten gemäß Art. 3 Abs. 2 E1BR zu machen. In den Schlußfolgerungen vom 1. 6. 1995 wurde das nochmals unterstrichen.

17 Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, 1990, 27; Zils, Die Wertigkeit des Umweltschutzes in Beziehung zu anderen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft, 1994, 23. is KOM (93) 643 endg., S. 7.

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E. Ausbau des EU-Energierechts und Umweltschutz 2. Öffnung der Märkte und Wettbewerb

Sowohl die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt verlangen von den Mitgliedstaaten, sicherzustellen, daß die Energiemärkte geöffnet werden und damit Wettbewerb in diesen Märkten ermöglicht bzw. intensiviert wird. Im einzelnen geschieht das durch eine Reihe von Bausteinen. So werden ausschließliche Rechte im Erzeugungsbereich ausgeschlossen; das gleiche gilt für den Leitungsbau bei der Stromübertragung, bei der Erdgasfernleitung und der Ergasverteilung. 19 Besonderes Gewicht haben die Rechte Dritter auf Netzzugang, auch wenn es sich lediglich um einen ausgehandelten Netzzugang handelt.20 Sie greifen bei der Stromübertragung, der Stromverteilung, der Erdgasfernleitung und der Erdgasverteilung und schließen in ihrem Anwendungsbereich Versorgungs- bzw. Liefermonopole aus.21 Diese Öffnung der Energiemärkte stellt bereits für sich einen umweltpolitischen Fortschritt dar, weil auf diese Weise umweltfreundliche Wettbewerber Zugang zu diesen Märkten erlangen. Umweltpolitisch sinnvolle Innovationen können sich leichter durchsetzen.22 Insbesondere prämiert der Wettbewerb im Erzeugungsbereich höhere Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung.

3. Bevorzugung umweltfreundlicher Kraftwerke durch den Übertragungsnetzbetreiber

a) Stromabruf aa) Nach dem Konzept eines unabhängigen Stromabrufs (Dispatching) wird der in einem bestimmten Gebiet und auf einer bestimmten Stufe benötigte Strom jeweils von dem Kraftwerk abgerufen, das sich im Vergleich zu allen anderen Kraftwerken, die Strom anbieten, am leistungsfähigsten erweist. Dieses Konzept wird von der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt aufgegriffen, nicht dagegen von der Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt. Auch im Strombereich ist es nur für den Bereich der Stromübertragung vorgesehen. Immerhin ist dieser Bereich von zentraler Bedeutung für den gesamten Elektrizitätssektor. 23 Die Abrufregeln müssen gemäß Art. 13 Abs. 2 S. 2 E1BR objektiv und transparent sein und nichtdiskriminierend angewandt werden. Unzulässig ist insbesondere eine (sachlich nicht gerechtfertigte) Begünstigung von Anlagen des Netzeigentü-

19

Bei Wahl des Ausschreibungsmodells kann sich die Situation anders darstellen. 20 s. oben B. II. 5. a) cc) und B. III. 5. a) cc). 21 s. oben B. II. 5. c) und B. III. 5. c). 22 Vgl. Cronenberg, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 134. 23 Näher dazu unten E.V. 1. b) bb) zur Situation in Deutschland.

II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

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mers beim Stromabruf. 24 Zudem dürfen die Abrufregeln das Funktionieren des Elektrizitätsbinnemarkts nicht stören, was im Hinblick auf den Stromexport und -import von Bedeutung ist. Endlich ist für die Abrufregeln eine staatliche Genehmigungspflicht vorgesehen. Die Mitgliedstaaten können und müssen also inhaltliche Vorgaben für die Abrufregeln treffen. 25 bb) Weiter sieht Art. 13 Abs. 4 E1BR die Möglichkeit vor, bestimmten umweltfreundlichen Erzeugungsanlagen einen „Vorrang" beim Abruf einzuräumen. Im einzelnen geht es dabei um Anlagen, die erneuerbare Energie oder Abfall verwenden sowie um Anlagen, die die Kraft-Wärme-Kopplung einsetzen. Wie Art. 13 Abs. 4 S. 2 E1BR deutlich macht, ist bei dem Vorrang nicht an einen Preisvorteil o.ä. zugunsten der privilegierten Kraftwerke, sondern an einen strikten Vorrang gedacht, der es gestattet, die fraglichen Anlagen zum Einsatz zu bringen, unabhängig davon, wie leistungsfähig sie im Vergleich zu anderen Erzeugungsanlagen sind. Anders hätte die spezifische, an den Vermeidungskosten orientierte Regelung des Entgelts in Art. 13 Abs. 4 S. 2 E1BR keinen rechten Sinn. Diese Vorschrift verweist auf die Leitlinien, die in Nr. 3 c der Empfehlung 88/611 / EWG zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Eigenerzeugern 26 aufgeführt sind. Mit dieser Empfehlung soll nach Nr. 1 die elektrische Energie aufgrund „erneuerbarer Energiequellen, Abfallenergien oder im Wege der Kraft-Wärme-Kopplung" gefördert werden. 27 Inhaltlich sieht die Nr. 3 c der Empfehlung einen Preis zugunsten der bevorrechtigten Kraftwerke vor, der sich, grob gesagt, an den Vermeidungskosten orientiert. Die Regelung des Art. 13 Abs. 4 E1BR ist in mehrfacher Hinsicht sehr eng geraten. Zunächst gilt sie nur für eine verhältnismäßig kleine Gruppe umweltfreundlicher Kraftwerke. Insbesondere werden größere Kraftwerke kaum erfaßt, auch wenn sie einen besonders hohen Leistungsgrad oder besonders niedrige Emissionen aufweisen. Zum zweiten ist die Regelung, wie dargelegt, auf einen strikten Vorrang, kombiniert mit einem an den Vermeidungskosten orientierten Preis, ausgerichtet. Ein an der Lenkungswirkung orientierter Preisvorteil zugunsten umweltfreundlicher Kraftwerke läßt sich daher nicht auf Art. 13 Abs. 4 E1BR stützen. Das umweltpolitische Lenkungspotential der Regelung ist damit gering. cc) Dies führt zu der Überlegung, ob vom (nationalen) Gesetzgeber für den Kraftwerksabruf vorgesehene umweltpolitisch motivierte Preisvorteile als zulässige Kriterien im Sinne des Art. 13 Abs. 2 S. 2 E1BR eingestuft werden können.28 24 s. oben B. II. 5. a) cc). 25 Dazu oben B. II. 3. b) dd). 26 ABl 1988 L 335/29. 27 Wenn sich die Empfehlung insoweit auf die Eigenerzeugung bezieht, entspricht das der Thematik der Empfehlung. Im vorliegenden Zusammenhang kann aber die Einschränkung kein Gewicht haben. 28 Diese Überlegung ist auch deshalb angebracht, weil die dürftige Berücksichtigung von Umweltbelangen, wie sie nach Art. 13 Abs. 4 E1BR möglich ist, der besonderen Betonung 9 Jarass

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. Ausbau des EU-Energierechts und

melscht

Das scheint auf den ersten Blick schwerlich möglich, da Umweltschutzaspekte in der Regelung des Art. 13 Abs. 4 E1BR (in begrenztem Umfang) aufgegriffen werden; daraus könne man folgern, daß sie im übrigen ausgeschlossen sind, da andernfalls die in Art. 13 Abs. 4 E1BR festgelegten Grenzen unterlaufen werden könnten. Zudem sollen die Abrufregeln nach der Begründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags „auf wirtschaftlichen Kriterien basieren' 4.29 Eine genaue Analyse zeigt jedoch, daß Umweltschutzgesichtspunkte unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen des Art. 13 Abs. 2 E1BR durchaus zum Einsatz kommen können, auch wenn die Rechtslage nicht gerade eindeutig bzw. offenkundig ist. Gemäß Art. 13 Abs. 2 S. 2 E1BR müssen die Abrufkriterien „objektiv" und „transparent" sein. Beiden Vorgaben können Abrufkriterien, die die Umweltbelastung der Erzeugungsanlagen berücksichtigen, unschwer gerecht werden. Was insbesondere die Vorgabe der Objektivität angeht, so ist sie erfüllt, weil und wenn die Anwendung der Preisvorteile grundsätzlich jedem Stromunternehmen zugute kommen kann. Weiter müssen die Abrufkriterien nach Art. 13 Abs. 2 S. 2 E1BR „auf nichtdiskriminierende Weise" angewandt werden. Diese Vorgabe steht ihrem Wortlaut nach einer umweltorientierten Ausgestaltung der Abrufkriterien von vorne herein nicht entgegen, weil es insoweit um die Festlegung der Kriterien und nicht um deren Anwendung geht. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Diskriminierungsverbot (über den Wortlaut hinaus) nicht auch auf die Festlegung der Kriterien erstreckt werden muß. Dafür spricht der Zweck der Regelung, einen echten Leistungswettbewerb zwischen den verschiedenen Erzeugungsanlagen zu gewährleisten. Aber auch bei einem solchen Verständnis ist eine Berücksichtigung von Umweltbelangen im Rahmen des Art. 13 Abs. 2 E1BR durchaus möglich. Nur können Umweltbelange nicht beliebig in die Abrufkriterien eingehen. Mit dem Diskriminierungsverbot wäre es etwa schwerlich zu vereinbaren, bestimmte umweltschonende Technologien zu begünstigen, andere ebenso umweltfreundliche Techniken jedoch nicht. Das Diskriminierungsverbot verlangt, daß Umweltvorteile systematisch, „flächendeckend" berücksichtigt werden. Zudem müssen die Vorteile beim Abruf in einem angemessenen Verhältnis zu den Umweltvorteilen der fraglichen Anlagen stehen, sodaß die externen Kosten von weniger umweltfreundlichen Anlagen durch den Preisnachteil internalisiert werden. 30 Das entspricht der Zielsetzung des Art. 13 Abs. 2 E1BR, den Leistungswettbewerb zwischen den Erzeugungsanlagen in vollem Umfang zum Tragen kommen zu lassen. Zudem wird deutlich, daß eine derartige Einbeziehung von Umweltaspekten durchaus einer Bestimmung der Abrufregeln „nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten" entspricht. 31 Eine Anlage, die Strom

des Umweltschutzes, insbesondere durch die Schlußfolgerungen der letzten Ratstagung [vgl. oben B. II. 1. c) bb)], nicht gerecht wird. 29 KOM (91), 548 endg., S. 21. 30 Ausführlich zu den externen Kosten Prognos (Hg.), Die externen Kosten der Energieversorgung, 1992.

II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

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zum gleichen Marktpreis wie eine andere Anlage erzeugt, aber unter höheren externen Kosten, ist weniger wirtschaftlich. Eine solche Berücksichtigung von Umweltvor- und -nachteilen bei der Festlegung der Abrufkriterien nach Art. 13 Abs. 2 E1BR unterscheidet sich wesentlich von der Umsetzung von Umweltbelangen nach Art. 13 Abs. 4 E1BR. Während Art. 13 Abs. 4 E1BR einen imperative, zwingende Vorgabe im Interesse des Umweltschutzes ermöglicht, gestattet Art. 13 Abs. 2 E1BR nur die Berücksichtigung der durch Umweltbelastungen bedingten externen Kosten und ihre Einbringung in den Marktmechanismus. Dies macht verständlich, warum die Vorschrift des Art. 13 Abs. 4 E1BR keinen Umkehrschluß für die völlig anders geartete Berücksichtigung von Umweltbelangen im Rahmen des Art. 13 Abs. 2 E1BR erlaubt. Ein Umkehrschluß ist nur insoweit möglich, als es um einen strikten, von der Internalisierung externer Kosten unabhängigen Vorrang von umweltfreundlichen Erzeugungsanlagen geht. Das ist bei Preiszu- bzw. Preisabschlägen nicht der Fall. Bei Abrufgarantien kommt es dagegen, wie noch zu erörtern sein wird, auf die Ausgestaltung 32

an. Insgesamt ist eine Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten bei der Festlegung von Abrufkriterien nach Art. 13 Abs. 2 E1BR durchaus möglich, sofern sie nicht diskriminierend erfolgt und der Internalisierung externer Kosten dient. Zusätzlich verlangt Art. 13 Abs. 2 S. 2 E1BR, daß das Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts nicht gestört wird. Damit dürften im wesentlichen erhebliche Rückwirkungen auf die Stromeinfuhr bzw. die Stromausfuhr gemeint sein. Ob solche Effekte auftreten, läßt sich jedoch nicht generell beurteilen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab.

b) Trennungsvorgaben Damit die Abrufregeln nicht unterlaufen werden können, sieht die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt zunächst vor, daß für die Dauer von mindestens 15 Jahren ein Netzbetreiber für das Übertragungsnetz ernannt wird, der für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau des Netzes verantwortlich ist. Des weiteren muß der Netzbetreiber gegenüber anderen Aufgaben der Stromversorgung verwaltungsmäßig selbständig sein. 33 Zudem soll die Trennung der Rechnungslegung dafür sorgen, daß ein Netzeigentümer nicht Kosten seiner Erzeugungsanlagen in den Netzbereich verlagert und damit den Wettbewerb der Erzeugungsanlagen verfälscht. 34 31

Diese Worte werden in der Begründung des urspünglichen Richtlinienvorschlags benutzt; KOM (91), 548 endg., S. 21. Ob sie abschließenden Charakter haben, läßt die Begründung allerdings offen. 32

s. unten E. V. 2. b). Die Absatzgarantien zugunsten der Kernenergie im britischen Poolmodell sind daher nicht unproblematisch. 33 s. oben Β. II. 3. b) bb). 9*

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Diese strukturellen Vorgaben sind auch aus umweltpolitscher Perspektive von erheblichem Gewicht, weil ohne solche Vorgaben ein Preisvorteil für umweltfreundliche Kraftwerke dadurch kompensiert werden kann, daß der Netzeigentümer Kosten von seinen Kraftwerken in den Netzbereich verlagert, was andererseits wegen der fehlenden Aufgliederung der Rechnungslegung schwerlich belegt werden kann. Darüber hinaus wird durch die Vorgaben die Möglichkeit einer Kostenverlagerung aus dem Bereich elastischer Nachfrage in den Bereich wenig elastischer Nachfrage behindert und damit die durch eine Quersubventionierung bewirkte Ausweitung der Gesamtnachfrage limitiert. 35

4. Umweltschutz bei Errichtung und Betrieb von Energieanlagen

aa) Für den Elektrizitätsbereich sieht die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie in Art. 7 Abs. 1 E1BR vor, daß die Genehmigungen für Stromerzeugungs- und Stromübertragungsanlagen von Kriterien zum Schutze der Umwelt abhängig gemacht werden können. Die Anforderungen können zunächst ganz allgemein „den Umweltschutz" betreffen, des weiteren „die Flächennutzung und die Standortwahl" und schließlich „die Sicherheit und Sicherung der Anlagen und der verbundenen Ausrüstungen". Zudem kann nach Art. 7 Abs. 2 E1BR die Art der Primärenergie Berücksichtigung finden, was etwa die Bevorzugung umweltfreundlicher Primärenergien wie erneuerbarer Energieträger ermöglicht. Diese Vorgaben gestatten es den Mitgliedstaaten, sowohl für die Errichtung von Stromerzeugungs- und Stromübertragungsanlagen wie für den Betrieb solcher Anlagen Pflichten zum Schutze der Umwelt festzulegen. 36 Dieser Befund wird zusätzlich unterstrichen und verstärkt, sobald die vom Rat in seinen Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 beschlossene und in den Schlußfolgerungen vom 1. 6. 1995 bestätigte Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungspflichten des Art. 3 Abs. 2 E1BR auf den Umweltschutz umgesetzt wird. 37 Nach Art. 4 E1BR haben die Mitgliedstaaten festzulegen, welche öffentlichen Dienstleistungspflichten beim Betrieb von Anlagen der Stromerzeugung und der Stromübertragung zu beachten sind. Darunter fallen dann auch alle Anforderungen des Umweltschutzes. Für den Bereich der Stromverteilung sieht die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt keine Verpflichtung zur Einführung eines Genehmigungssystems vor, in dessen Rahmen der Umweltschutz zum Tragen kommen kann. Ausgeschlossen ist ein solches System natürlich nicht. Gleichwohl wird die daraus resultierende Lükke dadurch geschlossen, daß der Betreiber des Verteilungsnetzes in Art. 16 Abs. 1 34 s. oben B. II. 2. c) + 3. c). 35 Näher unten E. III. l.b). 36 Nach der Begründung zu den geänderten Richtlinienvorschlägen soll dadurch der Umweltschutz verstärkte Berücksichtigung finden; KOM (93) 643 endg., S. 7. 37 s. oben B. II. 1. c) bb).

II. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

133

E1BR ausdrücklich auf die Beachtung des Umweltschutzes verpflichtet ist. Nach der Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungspflichten durch den Rat in seinen Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 wird dieser Befund zusätzlich verstärkt, weil die Mitgliedstaaten gemäß Art. 15 Abs. 1 E1BR die die Verteilungsgesellschaften treffenden öffentlichen Dienstleistungspflichten und damit auch Umweltschutzpflichten festzulegen haben.38 bb) Im Erdgasbereich stellt sich die Rechtslage ähnlich wie im Bereich der Stromerzeugung bzw. der Stromübertragung dar. Zunächst kann über das Genehmigungssystem, das hier auch den Verteilungsbereich erfaßt, der Umweltschutz für die Errichtung und den Bau von Fernleitungsanlagen wie von Verteilungsanlagen zum Tragen gebracht werden. Art. 4 Abs. 2 GBR führt insoweit zunächst „die Erfordernisse des Umweltschutzes" auf, des weiteren „die Landnutzung und Standortgebung" und zudem „die Sicherung und Sicherheit der Leitungen und dazugehörigen Ausrüstungen". Darüber hinaus kommt der Umweltschutz über die öffentlichen Dienstleistungspflichten zum Tragen, wenn der Rat sie, wie im Elektrizitätsbereich, auf den Umweltschutz erstreckt. 39 Für den Verteilungsbereich wird in Art. 11 Abs. 1 GBR ausdrücklich festgelegt, daß die Mitgliedstaaten die öffentlichen Dienstleistungspflichten und damit auch die Umweltschutzpflichten für die Verteilergesellschaften festlegen. Im Fernleitungsbereich fehlt eine solche Regelung; doch kommt insoweit die allgemeine Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 GBR zum Tragen. Eine entsprechende Ergänzung der Richtlinie dürfte sich gleichwohl empfehlen. cc) Für Direktleitungen kommen weder die Vorschriften über die Übertragung bzw. Fernleitung noch die Vorschriften über die Verteilung und damit die dargestellten umweltpolitischen Gehalte dieser Regelungen unmittelbar zur Anwendung. Daher ist bedeutsam, daß der Bau von Direktleitungen sowohl im Elektrizitätsbereich wie im Erdgasbereich ausdrücklich den Anforderungen des Genehmigungssystems und damit den dort aufgeführten Umweltschutzanforderungen unterworfen wird. 40

5. Netzzugang

Was die Regelungen für den Netzzugang Dritter betrifft, so enthält der derzeit vorliegende Richtlinientext keine spezifischen Vorgaben zum Schutze der Umwelt. Insbesondere fehlen Regelungen für den erleichterten Zugang von Dritten, die umweltfreundlich erzeugten Strom einspeisen wollen; auch zur Frage reduzierter Netznutzungsabgaben für diesen Personenkreis fehlen Vorgaben. Das ist aus um-

38

Ob solche Umweltschutzpflichten festgelegt werden, liegt bei den Mitgliedstaaten. Dazu oben Β. II. l.c)bb). 40 s. oben Β. II. 5. b) und B. III. 5. b). 39

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weltpolitischer Perspektive bedauerlich, weil damit die Gefahr einer Begünstigung wenig umweltfreundlicher ausländischer Energieerzeugungsanlagen besteht.41 Allerdings dürfte es den Mitgliedstaaten freistehen, insoweit Regelungen zu treffen. Immerhin ist die Rechtslage insoweit nicht gerade eindeutig. Mit der Erweiterung der öffentlichen Dienstleistungspflichten auf den Umweltschutz, wie sie vom Rat für den Elektrizitätsbereich in den Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 beschlossen wurde und wie sie für den Erdgasbereich zu erwarten ist, 42 stellt sich die Situation jedoch anders dar. Sowohl im Elektrizitätsbereich wie im Erdgasbereich kann der Netzzugang verweigert werden, wenn dadurch die Erfüllung öffentlicher Dienstleistungspflichten beeinträchtigt wird. 43 Deren Erstrekkung auf den Umweltschutz ermöglicht den Mitgliedstaaten, Unternehmen, die weniger umweltfreundlich erzeugten Strom einspeisen wollen, schlechterzustellen als Netznutzer mit umweltfreundlich erzeugtem Strom.

I I I . Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts 1. Inhaltliche Defizite

a) Unzureichende Berücksichtigung des Umweltschutzes bei der Anlagenzulassung Das deutsche Energiewirtschaftsrecht weist in seiner überkommenen Form eine Reihe von umweltpolitischen Mängeln auf. Ein erster betrifft die Aufsicht gemäß § 4 Abs. 1 En WG. Nach dieser Vorschrift sind die Energieunternehmen verpflichtet, den Bau, die Erzeugung, die Erweiterung oder die Stillegung von Energieanlagen den zuständigen Behörden anzuzeigen. Diese können nach § 4 Abs. 2 EnWG die Maßnahmen beanstanden und gegebenenfalls untersagen. Maßstab dieser als Investitionsaufsicht bezeichneten Kontrolle sind gemäß § 4 Abs. 2 En WG „Gründe des Gemeinwohls". Obwohl der Wortlaut insoweit nicht zwingend ist, 44 geht die Praxis davon aus, daß damit allein die Ziele der sicheren und preiswerten Energieversorgung gemeint sind. 45 Umweltbelange stellen keinen Aufsichtsmaßstab dar. Daran ändert der Umstand nichts, daß sich Maßnahmen zur Förderung der SicherGrawe, Umweltschutz und Energiepolitik, RdE 1993, 90. 42 s. oben B. II. 1. c) bb) und oben B. III. 1. c) bb). 43 Art. 21 Abs. 3 S. 2 E1BR; Art. 17 Abs. 3 S. 2 GBR. 44 Vgl. Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl. 1983, 111; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl. 1984, § 20 Rn. 19. 45 Vgl. Danner, in: Obernolte / Danner, Energiewirtschaftsrecht, Stand 1993, § 4 EnWG Anm. 3f ff.; Ossenbühl, Rechtliche Probleme der Investitionskontrolle gemäß § 4 Energiewirtschaftsgesetz, 1988, 47 ff.; Wollmann/Ruy ter, Die Berücksichtigung von Umweltbelangen im Verfahren nach § 4 En WG, RdE 1991, 101; noch enger Rebentisch, Immissionsschutzrechtliche und energiewirtschaftsrechtliche Anforderungen an die Wahl der Anlagentechnik, RdE 1991, 179.

III. Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts

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heit und Preiswürdigkeit der Energieversorgung zum Teil auch zugunsten der Umwelt auswirken können. Maßstab der Aufsicht ist auch in diesem Falle nicht der sekundäre Umwelteffekt, sondern der Einfluß auf die Sicherheit und Preiswürdigkeit der Energieversorgung. 46 Die zahlreichen Umweltschutzvorgaben im Anlagenrecht vermögen diese Lücke nicht wirksam zu füllen. Sie kommen erst zu einem Zeitpunkt zum Tragen, in dem die Grundsatzentscheidungen über Standort, Technologie, Brennstoff und Dimensionierung der Anlage bereits gefallen sind. 47 Nun mag man dagegen einwenden, daß die Kontrollen der Umweltschutzgesetze in anderen Bereichen auch nicht früher einsetzen.48 Die Energiewirtschaft weist aber wegen der Leitungsgebundenheit der Stromübertragung und -Verteilung besonders hohe Barrieren für den Zutritt von Wettbewerbern auf. Will daher ein Konkurrent umweltschonendere Technologien oder Verfahren zum Einsatz kommen lassen, wird er daran nicht selten durch die Marktzugangsbarrieren behindert. Aus diesem Grunde müssen strukturelle Umweltschutzfragen im Bereich der (leitungsgebundenen) Energiewirtschaft früher als in anderen Bereichen ansetzen, um wirksam werden zu können.49 Umweltpolitisch ist die unzureichende Berücksichtigung ökologischer Belange vor allem im Hinblick auf das Ziel einer stärkeren Brennstoffausnutzung bzw. einer Erhöhung des Wirkungsgrades problematisch. Eine Erhöhung der Brennstoffausnutzung ist nach der dargestellten herrschenden Auffassung für die energiewirtschaftliche Investitionsaufsicht nur bedeutsam, wenn sie die Energieversorgung sicherer oder preiswerter macht. Für den Umweltschutz ist aber eine stärkere Brennstoffausnutzung ganz generell von großer Bedeutung, wie dies das Bundesumweltministerium herausgestellt hat. 50 Schließlich wird gegen das geltende Energiewirtschaftsrecht aus umweltpolitischer Perspektive eingewandt, daß es die Fernwärmeversorgung nicht ausreichend fördere. 51

46 Vgl. Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 29; Danner, in: Obernolte / Danner, Energiewirtschaftsrecht, Stand 1993, § 4 Rn. 3 ff.; Arzt, Strompreisaufsicht im Vergleich, 1991, 247 f. 47 Vgl. Jarass, Umweltverträglichkeitsprüfung bei Industrievorhaben, 1987, 121 f.; Bohne, Eine Strombörse mit Umweltinstrumenten für eine preis- und umweltgerechte Stromversorgung, DVB1 1994, 829. 48 Vgl. Grawe, Umweltschutz und Energiepolitik, RdE 1993, 85. 49 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 145. 50 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, Manuskript 1992, 16. 51 Vgl. Bundesminister flir Umwelt, Naturschutz und Reaktor Sicherheit, Zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, Manuskript 1992, 22 f.

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. Ausbau des EU-Energierechts und

b) Tarif-

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und Preisaufsicht

Ein zweiter Defizitbereich betrifft die Tarif- und Preisgestaltung. Gemäß § 7 Abs. 1 En WG kann der Bundesminister für Wirtschaft Vorgaben für die allgemeinen Tarifpreise der Energieversorgungsunternehmen und die Energieeinkaufspreise für Energieverteiler treffen. Was die insoweit einschlägigen sachlichen Maßstäbe angeht, so bestimmt § 7 Abs. 1 En WG nur, daß die Festlegungen „wirtschaftlich" erfolgen müssen. Im übrigen wird auch insoweit wiederum auf die Ziele einer sicheren und preiswerten Energieversorgung abgehoben. Umweltbelastungen werden nicht genannt. Dementsprechend weist etwa die auf diese Ermächtigung gestützte „Bundestarifordnung Elektrizität" im Hinblick auf den Umweltschutz erhebliche Defizite auf: Fragwürdig ist zunächst, daß es zulässig ist, bei der Preisgestaltung einen hohen festen Bestandteil festzulegen, der sich für die Abnehmer erst nach einem höheren Verbrauch amortisiert. Das wirkt sich zwangsläufig verbrauchserhöhend und damit umweltbelastend aus. Problematisch ist auch, daß keine Preisdifferenzierung entsprechend dem Lastverlauf vorgeschrieben ist. 52 Des weiteren wird kritisiert, daß die Ermächtigung des § 7 EnWG nur die Tarifkunden, nicht aber die Sondervertragskunden, vor allem also die industriellen Großabnehmer erfaßt. 53 Hier sind die Beteiligten bei der Tarif- und Preisgestaltung frei, was von erheblicher Bedeutung ist, beziehen die Sondervertragskunden doch über 60 % der aus dem gesamtdeutschen öffentlichen Netz abgegebenen Strommenge.54 Umweltbelange können insoweit unberücksichtigt bleiben. Noch mehr: Es stellt sich die Frage, ob sie überhaupt berücksichtigt werden dürfen. Schließlich sind die Strompreise bei Sonderabnehmern erheblich niedriger als bei Tarifkunden. 55 Ob diese Unterschiede in vollem Umfang durch Kostendifferenzen gerechtfertigt sind, erscheint zweifelhaft. 56 Umweltpolitisch ist aber eine Quersubventionierung der Sondervertragskunden gegenüber den Tarifkunden fragwürdig, weil die Nachfrage der Tarifkunden weniger elastisch ist und daher die Quersubventionierung zu einer Erhöhung der Gesamtnachfrage und damit der Umweltbelastungen führt.

52 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 26 f; Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, Manuskript 1992, 20. 53 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, Manuskript 1992, 20. 54 Vgl. VDEW, Die öffentliche Elektrizitätsversorgung 1993, 1994, 28 Tabelle 17. 55 Bundesminister für Wirtschaft, Energiedaten 92/93, 1993, S. 66. 56 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 24.

III. Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts

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c) Eigenstromerzeugung Eine dritte umweltpolitsche Problematik ergibt sich daraus, daß die Eigenstromerzeugung, vor allem die der Industrie, durch das geltende Recht nicht ausreichend ermöglicht, teilweise sogar behindert wird. Insoweit wird kritisiert, daß es keine strikte Durchleitungsverpflichtung zugunsten der Eigenerzeuger gibt und daß jeder Plan zur Errichtung oder Erweiterung von Eigenerzeugungsanlagen den zuständigen Energieversorgungsunternehmen im vorhinein angezeigt werden muß, mit der Folge, daß diese entsprechende Abwehrmaßnahmen treffen können.57 Fragwürdig ist weiterhin die Begrenzung der Anschluß- und Versorgungspflicht bei Eigenstromerzeugern. Das Einspeisungsgesetz erfaßt nur einen sehr kleinen Sektor der Stromerzeugung. 58 Vor allem aber werden die Gebietsmonopole der Energieversorgungsunternehmen als wesentliches Hindernis für eine Steigerung der industriellen Stromversorgung eingestuft. 59 Diese und andere Besonderheiten des Energiewirtschaftsrechts tragen dazu bei, daß die Möglichkeiten der Eigenstromerzeugung in geringerem Umfang genutzt werden, als dies in gesamtwirtschaftlicher Perspektive sinnvoll wäre. Umweltpolitisch bedeutet der Verzicht auf die Eigenstromerzeugung die Hinnahme zusätzlicher, eigentlich nicht erforderlicher Umweltbelastungen.

2. Die begrenzte Leistungsfähigkeit des energierechtlichen Aufsichtsinstrumentariums

Die im Energiewirtschaftsgesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Aufsicht über Energieversorgungsunternehmen gehen, was die Regelungstiefe angeht, außerordentlich weit. 60 Die in § 4 EnWG vorgesehene Investitionskontrolle stellt in der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland eine atypische Besonderheit dar. Dazu treten die weitreichende Tarif- und Preisaufsicht und andere Instrumente. 57

Monopolkommission, Mehr Wettbewerb ist möglich, Hauptgutachten 1973/75, 1977, Rn. 745, 750; Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, Manuskript 1992, 18 f; Schwarz, Informationen zur Raumentwicklung, 1984, 866; Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 26. 58 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 25. Daran ändern auch die jüngsten Verbesserungen (dazu Cronenberg, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 128) nichts. 59

Sachverständigenrat für Umweltfragen, Sondergutachten Energie und Umwelt, 1981, BT-Drs. 9/872, Rn. 510; Hojfmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 25. 60

aus.

Das gilt nur für das Regelungspotential. In der Rechtsanwendung sieht das ganz anders

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Gleichwohl hat sich die staatliche Aufsicht in diesem Bereich als wenig wirksam erwiesen. 61 So beschränkt sich die Investitionsaufsicht nach Meinung der Monopolkommission darauf, ob durch die fragliche Maßnahme die Sicherheit der Energieversorgung gefördert wird, 62 eine Frage, die sich in der Regel bejahen läßt. Die Preisaufsicht beschränkt sich darauf, zu prüfen, ob von den Unternehmen angemeldete Preiserhöhungen durch Kostenerhöhungen gerechtfertigt sind. 63 Eine Zuordnung der Kosten zu einzelnen Abnehmergruppen ist regelmäßig nicht möglich. Das schließt eine Kontrolle der Tarifstruktur im Ergebnis aus.64 Generell führen die technische, wirtschaftliche und ökologische Komplexität der Aufsichtstatbestände, der unvermeidliche Informationsrückstand der Aufsichtsbehörden gegenüber den Unternehmen, die begrenzten Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten und die dezentrale Organisation der Aufsicht dazu, daß die energiewirtschaftliche Aufsicht und Überwachung nur sehr begrenzte Wirkungen entfaltet. 65 Auf ähnliche Schwierigkeiten stößt die kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht nach § 22 Abs. 5 GWB und § 103 Abs. 6, 7 GWB. Die meisten Schwierigkeiten, die die Leistungsfähigkeit der Energieaufsicht begrenzen, stellen sich für die Kartellbehörden in vergleichbarer Weise, auch wenn im Detail gewisse Unterschiede anzutreffen sind. Als Folge wird festgestellt, daß die kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft weithin zum Erliegen gekommen ist. 66 Erst in jüngster Zeit hat sie in mehreren Verfahren des Bundeskartellamts eine begrenzte Belebung erfahren. 67

3. Lösungsansätze

aa) Diese Mängel der energierechtlichen und kartellrechtlichen Aufsicht werden sich durch eine Intensivierung der Aufsicht, welcher Art auch immer, nur abmildern, nicht aber wirklich beseitigen lassen. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die im einzelnen hier nicht aufgeführt werden können.68 Besonderes Gewicht 61 So schon Jarass, Formen staatlicher Einwirkung auf die Energiewirtschaft, Staat 1978, 518 ff. 62 Monopolkommission, Hauptgutachten 1973/75, 1977, Rn.751. 63 Jarass, Formen staatlicher Einwirkung auf die Energiewirtschaft, Staat 1978, 519. 64 Monopolkommission, Hauptgutachten 1973/75, 1977, Rn.754 f; Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, 2. Bericht: Die Stromwirtschaft, 1991, Rn. 302 ff. 65 Dazu kommen weitere Probleme, wie die durch die Beteiligung der Länder an den Energieversorgungsunternehmen bedingten Hemmnisse; vgl. Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 32; Jarass, Formen staatlicher Einwirkung auf die Energiewirtschaft, Staat 1978, 520. 66 Hojfmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 31; Arzt, Strompreisaufsicht im Vergleich, 1991, 239 f. 67 Dazu Marken, in: Baur (Hg.), Deregulierung und Regulierung des nationalen und europäischen Kartellrechts, 1994, 57 ff.

III. Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts

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hat der Umstand, daß eine staatliche Behörde strukturell nicht in der Lage ist, die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Unternehmen sachgerecht zu steuern. Das können nur die Unternehmen selbst tun. Dieser Befund bedeutet, daß sich die beschriebenen umweltpolitischen Mängel des Energiewirtschaftsrechts und seiner Anwendung (ebenso wie seine ökonomischen Schwächen) durch eine Verstärkung der Regelungsdichte und einen Ausbau der herkömmlichen staatlichen Aufsicht allenfalls abschwächen lassen.69 Eine echte Bewältigung der Probleme muß anders ansetzen, muß insbesondere die Kräfte des Marktes und des Wettbewerbs nutzen. Dazu gilt es zunächst ausschließliche Rechte und Stellungen, insbesondere im Bereich des Handels, zu beseitigen. Damit ist es aber nicht getan. Wo mehr oder minder ausgeprägte natürliche Monopole bestehen, wie das im Netzbereich nicht selten der Fall ist, muß durch geeignete Vorgaben dem Mißbrauch solcher Stellungen vorgebeugt werden. Das durch eine solche marktwirtschaftliche Verfassung erreichte Potential läßt sich dann durch umweltrechtliche Vorgaben zugunsten der Umwelt nutzen. Insgesamt darf daher die Absage an das herkömmliche Aufsichtsinstrumentarium nicht als eine bloße Deregulierung verstanden werden. Notwendig sind auch neue Regulierungen. 70 Mit Deregulierung allein lassen sich schon die ökonomischen Ziele einer Reform des Energierechts schwerlich erreichen. Für dessen umweltpolitische Ausrichtung gilt das noch sehr viel mehr. bb) Die Einsicht in die Problematik des herkömmlichen energiewirtschaftlichen Aufsichtsinstrumentariums hat für die deutsche Situation zu zwei Vorschlägen geführt, die ihrerseits an zwei grundlegenden Konzepten zur Reform der energiewirtschaftlichen Strukturen orientiert sind. Der erste Vorschlag, der als Durchleitungsvorschlag bezeichnet werden kann, betrifft den Strom- wie den Gassektor. Der zweite Vorschlag, der Poolvorschlag, ist dagegen auf den Stromsektor beschränkt. Ob er auf den Gassektor erweitert werden kann, ist bislang noch nicht näher geprüft worden. Diese beiden Vorschläge sollen im folgenden daraufhin untersucht werden, wieweit sie mit den EG-rechtlichen Vorgaben vereinbar sind, vor allem aber, wieweit sie das umweltpolitsche Potential der Richtlinien zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Erdgasbinnenmarkt ausschöpfen. Andere mit diesen Vorschlägen verbundene Fragen können dagegen nicht erörtert werden.

68 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 31 ff.; Bohne, Chancen und Risiken der Deregulierung im Energiemarkt aus umweltpolitischer Sicht, Manuskript 1992, 7 ff. 69 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 151 f. 70

Dies gilt für das Poolmodell, aber auch für das Durchleitungsmodell.

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IV. Durchleitungsvorschlag und Umweltschutz 1. Durchleitungsvorschlag a) Das Durchleitungsmodell Der erste der beiden Vorschläge, der mehr Wettbewerb im Elektrizitäts- und Gassektor erreichen will, der Durchleitungsvorschlag, setzt an den vorhandenen Strukturen relativ vorsichtig an. 71 Das zugrunde liegende Modell geht davon aus, daß in bestimmten Gebieten rechtlich oder faktisch ein Leitungsmonopol besteht. Dieses Monopol führt dazu, daß der Eigentümer der Leitungen bei der Strom- und Gasversorgung in diesem Gebiet eine marktbeherrschende Stellung besitzen kann. Konkurrierende Erzeuger sind hohen Markzugangsbarrieren ausgesetzt. Aus diesem Grunde sollen diese und andere Dritte das Recht erhalten, unter bestimmten Voraussetzungen und gegen ein angemessenes Entgelt diese Leitungen zu nutzen, um auf diese Weise Strom und Gas vor allem an Verteilungsgesellschaften und industrielle Großverbraucher liefern zu können. Auf der Grundlage dieses Netznutzungsrechts werden zwischen dem Netzbetreiber und dem Dritten Benutzungsverträge geschlossen. Gestützt auf die Vereinbarungen speist das konkurrierende Unternehmen die kontraktierten Strommengen an einer Stelle in das Netz ein und entnimmt sie an einer anderen Stelle.

b) Der Gesetzentwurf zur Reform des Energiewirtschaftsrechts Dieses Konzept wurde in Deutschland durch den Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums vom 15.2. 1994 für ein „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts" in eine konkrete Form gegossen. Von dieser Umsetzung des Durchleitungskonzepts wird im folgenden ausgegangen. aa) Gegenüber dem geltenden Recht enthält dieser Vorschlag im Bereich des Energiewirtschaftsrechts vor allem folgende Änderungen: 72 Zunächst wird der Zielkatalog in § 1 des Gesetzentwurfs um den Umweltschutz ergänzt. Die vom Gesetz bezweckte Schaffung einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Elektrizität soll künftig auch „umweltverträglich" sein. Des weiteren erfährt die Genehmigungspflicht für die Aufnahme der Versorgung nach § 5 En WG eine Einschränkung. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 des EnWG-Entwurfs wird die Versorgung benachbarter Abnehmer aus Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, aus Kraft-WärmeKopplungsanlagen oder aus industriellen Eigenbedarfsanlagen ausgenommen. Die 71 Allgemein zu diesem Modell Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 20 ff., 78 ff.; Monopolkommission, Zehntes Hauptgutachten, 1994, BT-Drs. 12/8323, Rn. 793 ff.; Hojfmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 34 f. 72 Weitere Änderungen bei Langer, Verfassungsfragen des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, ET 1994, 158.

IV. Durchleitungsvorschlag und Umweltschutz

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Aufsicht über den Bau, die Erneuerung, die Erweiterung und Stillegung von Energieanlagen nach § 4 En WG wird beseitigt. Für den Bau von Höchstspannungsfreileitungen sieht allerdings § 6 des EnWG-Entwurfs ein Planfeststellungsverfahren vor. Wegenutzungsverträge (Konzessionsverträge) der Gebietskörperschaften sind gemäß § 8 des EnWG-Entwurfs weiterhin unter gewissen Vorgaben möglich. Die Verträge dürfen aber keine ausschließlichen Nutzungsrechte mehr enthalten. bb) Im Bereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird zunächst die Zulassung von Demarkationsvertragen in § 103 GWB aufgehoben, mit deren Hilfe Energieversorgungsunternehmen wechselseitig eine ausschließliche Gebietszuständigkeit gewährleisten. Des weiteren wird durch die Neufassung des § 103 GWB versucht, die Durchleitung von Strom durch ein Netz, also die Nutzung eines Stromnetzes durch Dritte, zu erleichtern, sofern der Netzbetreiber über ein (faktisches) Monopol verfügt. Der Netzbetreiber darf die Durchleitung nicht unbillig behindern. Für das Fehlen einer unbilligen Behinderung nennt das Gesetz in § 103 Abs. 1 S. 2 des GWB-Entwurfes eine Reihe von Gesichtspunkten.73 In unserem Zusammenhang ist insoweit von Interesse, daß die Verweigerung der Durchleitung nicht unbillig ist, wenn die Durchleitung eine umweltfreundliche Versorgung der übrigen Teilnehmer zu zumutbaren Bedingungen ausschließen würde.

2. Nutzung des umweltpolitischen Potentials des EG-Rechts

Sucht man zu klären, wieweit der Durchleitungsvorschlag den Anforderungen der Richtlinien für den Energiebinnenmarkt einerseits und den umweltpolitischen Anliegen andererseits gerecht wird, dann ist zunächst festzuhalten, daß der Vorschlag ausdrücklich auch das Ziel verfolgt, den notwendigen Anforderungen des Umweltschutzes gerecht zu werden. 74 Er ist daher bereits von seinem Selbstverständnis her an dieser Zielsetzung zu messen. Demgegenüber dürfte der Vorschlag von seiner Intention her nicht auf die Umsetzung der genannten Richtlinien angelegt sein. Gleichwohl ist von Interesse, wo und in welchem Umfang Abweichungen bestehen. a) Öffnung der Märkte Der Durchleitungsvorschlag enthält eine Reihe von Regelungen, die zu einer Intensivierung des Wettbewerbs im Energiebereich führen. So sind Demarkationsverträge nicht mehr möglich. Konzessionsverträge dürfen keine ausschließlichen Rechte enthalten.75 Zudem wird die mißbräuchliche Verweigerung einer Durchlei73

Dazu Langer, Verfassungsfragen des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, ET 1994, 161. 74 Vgl. die Begründung zum Entwurf vom 28. 1. 1994, S. 4 f. 7 5 s. oben E. IV. l.b)aa).

142

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tung ausgeschlossen.76 Das Durchleitungsrecht wird allerdings nicht mit einer Trennung der Rechnungslegung und des Jahresabschlusses zwischen den Bereichen der Erzeugung, Übertragung bzw. Fernleitung und Verteilung verbunden. Der Vorschlag bleibt damit hinter den Anforderungen der Richtlinien zum Energiebinnenmarkt zurück. In der Sache birgt das die Gefahr, daß die Kosten vor allem dem Netzbereich zugeordnet werden, mit der Folge, daß die Durchleitung unangemessen verteuert wird. Verstärkt wird dieser Befund durch den Umstand, daß der Durchleitungsvorschlag auch nicht zur Benennung eines Netzbetreibers zwingt, wie das die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt im Bereich der Stromübertragung, der Stromverteilung und der Erdgasverteilung vorsieht. Zudem enthält der Vorschlag keine Vorgaben zur verwaltungsmäßigen Verselbständigung des Übertragungsnetzbetreibers, auch insoweit in Abweichung von der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt. All das trägt dazu bei, die mit dem Durchleitungsrecht angestrebte Verstärkung des Wettbewerbs abzuschwächen. Umweltpolitisch ist das bedauerlich, weil auf diese Weise konkurrierende Unternehmen, die den Strom in umweltfreundlicherer Weise erzeugen, in ihren Marktzugangschancen behindert werden. Zudem besteht wegen der Möglichkeit von Kostenverlagerungen aus Bereichen elastischer Nachfrage in solche wenig elastischer Nachfrage die Gefahr, daß die Stromnachfrage insgesamt ausgeweitet und die mit der Stromerzeugung verbundenen Umweltbelastungen erhöht werden.

b) Bevorzugung umweltfreundlicher

Kraftwerke

Die fehlenden Vorgaben zum Netzbetreiber und zum Abrufen von Kraftwerken führen des weiteren dazu, daß der Vorschlag auf die Begünstigung von umweltfreundlichen Kraftwerken beim Stromabruf verzichtet bzw. verzichten muß. Die Forderung der (deutschen) 40.Umweltministerkonferenz am 5./6. 5. 1993 in Luxemburg „Vorrangregeln für die Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien" einzuführen, 77 wird nicht umgesetzt. Dieses umweltpolitische Manko des Durchleitungsvorschlags wird durch andere Regelungen nicht ausgeglichen. Die Erstreckung der Ziele des Gesetzes auf den Umweltschutz kann keine Rechte oder Pflichten erzeugen; dazu sind konkrete Regelungen erforderlich. 78 Solche Regelungen fehlen aber weithin. 79 Wenn von der Zulassungspflicht für die erstmalige Versorgung Dritter bestimmte umweltfreundli76 s. oben E. IV. l.b)bb). 77 Nr. 8 des Beschlusses. 78 Langer, Verfassungsfragen des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, ET 1994, 159. 79 Schröder, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen um weltpolitischer Steuerung in einem deregulierten Strommarkt, DVB1 1994, 837 f; optimistischer Cronenberg, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 135.

IV. Durchleitungsvorschlag und Umweltschutz

143

che Energieanlagen ausgenommen werden, dann ist das zwar umweltpolitisch zu begrüßen. 80 Für den Umweltschutz kann damit aber nur ein Bruchteil dessen erreicht werden, was durch eine Begünstigung solcher Erzeugungsanlagen beim Stromabruf erzielt wird, selbst wenn diese nur in bescheidenem Umfang umweltpolitische Aspekte berücksichtigt. Soweit im übrigen umweltfreundliche Energieanlagen nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 des EnWG-Entwurfs erfüllen, kann die Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 2 des EnWG-Entwurfs weiterhin eine hohe Zulassungshürde bilden. Danach kann die Genehmigung verweigert werden, wenn ihre Erteilung möglicherweise zu ungünstigen Versorgungsbedingungen für die betroffenen Abnehmer insgesamt führt. 81

c) Umweltschutz bei Errichtung

und Betrieb von Anlagen

aa) Was die Errichtung und den Betrieb von Energieanlagen angeht, so enthält der Durchleitungsvorschlag allein Regelungen für den Bau von Höchstspannungsfreileitungen, für die ein Planfeststellungsverfahren eingeführt wird. 82 Aus umweltpolitischer Perspektive ist insoweit bedauerlich, daß die Umweltverträglichkeit solcher Leitungen in den Voraussetzungen für die Erteilung der Planfeststellung nicht angesprochen wird. Verlangt wird allein eine Abwägung der berührten öffentlichen und privaten Belange. Das erlaubt zwar auch die Berücksichtigung der Umweltauswirkungen. Ihre fehlende Erwähnung wird aber zu Vollzugsdefiziten führen. Zudem ist unklar, mit welchem Gewicht die Umweltbelange in die Entscheidung eingehen. Die Richtlinien für den Energiebinnenmarkt sind insoweit erheblich genauer, führen sie doch eine Reihe von Umweltbelangen explizit auf. 83 Die Problematik dieses Befundes wird durch den Umstand verstärkt, daß die Planfeststellung gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG alle anderen Zulassungen ersetzt. Das bedeutet zwar nicht, daß die materiellen Voraussetzungen der sonstigen Zulassungen entfallen. Gleichwohl dürfte diese Konzentrationswirkung faktisch zu einer reduzierten Berücksichtigung der in den Fachgesetzen zugunsten des Umweltschutzes vorgesehenen Anforderungen führen. Zudem wird die Berücksichtigung von Umweltbelangen durch die in § 6 Abs. 4 des EnWG-Entwurfs vorgesehene materielle Präklusion abgeschwächt, die für Planfeststellungsverfahren im übrigen untypisch ist. Fragwürdig ist endlich die in § 6 Abs. 2 S. 2 des EnWG-Entwurfs vorgesehene Zuständigkeit des Bundesamts für Wirtschaft. Eine leistungsfähige

80

Vgl. Cronenberg, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 135. 81 Diese Regelung stößt im übrigen auf EG-rechtliche Bedenken, soweit es um die Energieversorgung aus Übertragungsnetzen oder eine Stromlieferung an industrielle Großkunden geht. 52 Dazu oben E. IV. l.b)aa). 53 s. oben Β. II. 3. a) und B. III. 3. a).

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Durchsetzung von Umweltbelangen kann nur von einer dafür primär zuständigen Behörde gewährleistet werden. 84 Aus EG-rechtlicher Perspektive ist schließlich anzumerken, daß die Richtlinie für den Bau von Stromübertragungsleitungen wie für sämtliche Gasleitungen ein Genehmigungssystem verlangt, also nicht nur für Höchstspannungsfreileitungen. Soweit daher das deutsche Recht sich mit Anzeigeverfahren oder anderen Verfahren ohne außenwirksame Entscheidung und ohne Unterrichtung der Öffentlichkeit begnügt,85 wird das den Richtlinien nicht gerecht. Abhilfe muß allerdings nicht notwendig durch das Enegiewirtschaftsrecht geschaffen werden. Vieles spricht dafür, die einschlägigen Fachgesetze entsprechend zu ändern. bb) Den Direktleitungsbau ermöglicht der Durchleitungsvorschlag durch die Abschaffung von Demarkationsverträgen und von ausschließlichen Rechten in Konzessionsverträgen. Umweltpolitische Anforderungen an den Direktleitungsbau werden aber nicht aufgestellt. Die insoweit in den Richtlinien zum Energiebinnenmarkt vorgesehenen Möglichkeiten 86 werden nicht aufgegriffen.

d) Netzzugang Der Netzzugang Dritter soll durch die Neufassung des § 103 Abs. 1 GWB erreicht werden. Ob damit die Vorgaben der Richtlinien zureichend umgesetzt werden, erscheint angesichts der beschriebenen Schwächen der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht trotzt deren Präzisierung zweifelhaft. Nach den Richtlinien müssen die Mitgliedstaaten, auch im Hinblick auf Art. 5 EGV, für eine Einhaltung der Zugangsrechte wirksam sorgen. Allein mit einer kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht läßt sich das aber nur schwer erreichen. 87 Zudem fehlt die Einrichtung der in den Richtlinien verlangten Schiedsstelle zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Netzeigentümer und Dritten. 88 Diese Schwächen des Netzzugangs Dritter haben auch negative Auswirkungen auf den Umweltschutz. Zwar stellt die Neufassung des Art. 103 Abs. 1 GWB gegenüber dem geltenden Recht (auch in umweltpolitischer Perspektive) einen Fortschritt dar, weil die dadurch ermöglichte Netznutzung auch umweltfreundlichen 84

Vgl. Jarass, Umweltverträglichkeitsprüfung bei Industrievorhaben, 1987, 78 f. Die Rechtslage ist insoweit in den Bundesländern unterschiedlich. Selbst bei Höchstspannungsfreileitungen bestehen insoweit Defizite; vgl. Langer, Verfassungsfragen des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, ET 1994, 158. Selbst im Gasleitungsbereich scheinen Defizite zu bestehen; vgl. v. Burchard, Third Party Access and European Law, EuZW 1992, 694. S6 Dazu oben B. II. 5. b) und B. III. 5. b). 85

87

Hoffinann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 57 f. 88 Vgl. oben B. II. 6. und B. III. 6.

V.

lvorschlag und Umweltschutz

145

Kraftwerken zugute kommt. Die dargestellten Durchsetzungsprobleme setzen dem aber enge Grenzen. Darüber hinaus verzichtet der Vorschlag darauf, die Begünstigung umweltfreundlicher Kraftwerke beim Netzzugang vorzuschreiben. 89 § 103 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des GWB-Entwurfs sieht lediglich vor, daß der Leitungsbetreiber den Netzzugang verweigern kann, wenn durch die Netznutzung eine umweltverträgliche Versorgung unmöglich wird. Diese Klausel ist zu vage, um einen wirksamen Umweltschutz sicherzustellen. Zudem sieht sie allein eine Verweigerung des Netzzugangs im Interesse des Umweltschutzes vor, nicht aber die aus umweltpolitischer Perspektive wichtigere Erleichterung des Netzzugangs im Interesse des Umweltschutzes. Im übrigen zeigt sich hier ein strukturelles Problem des Durchleitungsvorschlags. Nach dem Durchleitungsmodell werden die Verträge zwischen den Netzbetreibern und den Dritten, die das Netz nutzen wollen, individuell ausgehandelt. Staatliche Umweltvorgaben müssen aber notwendig generell ansetzen. Die Folge dieser Diskrepanz hat Bohne plastisch herausgestellt: „Umweltbelange 'verschwinden' entweder im Interesse von Wettbewerb und Vertragsfreiheit in einer allgemeinen kartellrechtlichen Billigkeitsklausel und bleiben damit wirkungslos; oder sie müssen als zwingende Vertragsbestandteile rechtlich vorgegeben werden und unterliegen dann ähnlichen Wirksamkeitsmängeln wie das geltende energierechtliche Aufsichtsinstrumentarium". 90

V. Poolvorschlag und Umweltschutz 1. Der Pool Vorschlag für den Stromgroßhandel

a) Poolmodell Eine weitergehende Öffnung der Strommärkte, als sie durch das Durchleitungsmodell erreicht werden kann, bewirkt das sog. Pool-Modell, 91 das angelehnt an die Reform der Energiewirtschaft in England entwickelt wurde. 92 Nach diesem Modell werden alle Unternehmen der Stromerzeugung sowie Verteilerunternehmen und Verbraucher an das Netz eines bestimmten Gebiets angeschlossen. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage erfolgt ähnlich wie bei einer Börse. Zur Stromeinspeisung werden jeweils die relativ günstigsten Kraftwerke abgerufen, bis die Nachfra89

EG-rechtlich wäre das möglich; vgl. oben Ε. II. 5. Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 162 f. 91 Schulz, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 112 ff.; Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 36. 92 Zu diesem Modell Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 32 ff., 107 ff.; Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 164 ff.; Deregulierungskommission, 1991, Rn. 336 ff. 90

10 Jarass

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ge zu dem gewünschten Preis gedeckt ist. Dem Bedürfnis nach längerfristig festliegenden Strompreisen kann durch Preissicherungsverträge zwischen einzelnen Stromerzeugern und Stromabnehmern Rechnung getragen werden. Danach sind Ausgleichszahlungen zu leisten, und zwar vom Stromabnehmer an den Stromerzeuger, wenn sich der Börsenpreis unterhalb des vereinbarten Preises einpendelt, während im umgekehrten Falle Ausgleichszahlungen der Stromerzeuger an die Stromabnehmer fällig sind. 93

b) Der Vorschlag für eine Großhandels-Strombörse aa) Das Pool-Konzept hat speziell für die deutschen Verhältnisse eine Konkretisierung durch den in mehreren Papieren entwickelten Vorschlag des Bundesumweltministeriums (Arbeitsgruppe Grundsatzfragen) zur Neugestaltung des Elektrizitätssektors erfahren. Die aktuelle Form des Vorschlages findet sich insbesondere in dem umfangreichen Beitrag von Eberhard Bohne „Grundzüge einer Wettbewerbs- und umweltorientierten Reform des energierechtlichen Ordnungsrahmens der Strom Wirtschaft". 94 Der Vorschlag wird dadurch geprägt, daß er gleichzeitig die energiepolitischen Zielen der Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit und die umweltpolitischen Ziele der Minimierung von Umweltrisiken und der Ressourcenschonung, einschließlich der Energieeinsparung, zu verwirklichen sucht. Zugleich berücksichtigt er die in Art. 28 Abs. 2 GG verankerte Verantwortung der Gemeinden für die örtliche Energieversorgung und stellt als eine weitere Vorgabe den Grundsatz der Kommunalverträglichkeit auf. 95 Insoweit geht der Vorschlag über das allgemeine Pool-Konzept hinaus. Insgesamt spricht der Vorschlag von einem „Kräftedreieck" von energiewirtschaftlichen, umweltpolitischen und kommunalen Belangen, denen die Reform des Energierechts gerecht werden muß. 96 bb) Wesentliches Merkmal des Vorschlags ist zunächst, daß das Pool-Konzept auf den Stromgroßhandel beschränkt wird, also auf Stromlieferungen an VerteilerEnergieversorgungsunternehmen und industrielle Großabnehmer mit Hilfe des Übertragungsnetzes. 97 Dieser Großhandel erfaßt immerhin über 80 % des in der Bundesrepublik Deutschland verbrauchten Stroms. 98 Und der Kostenanteil des 93

Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 191. 94 Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 140 ff. 95 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 153, 157 f. 96 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 158. 97 Bohne, Eine Strombörse mit Umweltinstrumenten für eine preis- und umweltgerechte Stromversorgung, DVB11994, 830. 9 « Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 428.

V. Poolvorschlag und Umweltschutz

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Stromgroßhandels (Erzeugung und Übertragung) liegt bei über 70 % der Gesamtkosten der deutschen Stromerzeugung." Daher spricht vieles dafür, daß Wettbewerb und wettbewerbsbedingte Preise im Stromgroßhandel entscheidenden Einfluß auf die Preise und Entwicklung in den übrigen Bereichen der Stromversorgung haben. Zudem kann die Verminderung negativer Umwelteffekte des Stromgroßhandels von ausschlaggebender Bedeutung für den Klimaschutz und den gesamten sonstigen Umweltschutz sein. 100 Darüber hinaus wird durch eine Begrenzung des Pool-Konzepts auf den Stromgroßhandel bzw. den Übertragungsbereich von vornherein jede unangebrachte Beeinträchtigung des Grundsatzes der Kommunalverträglichkeit vermieden. Die Stromversorgungsaktivitäten der Kommunen sind ganz überwiegend im Verteilungsbereich angesiedelt. cc) Des weiteren enthält der Vorschlag ein detailliertes Konzept für eine Strombörse im Großhandelsbereich. Die Organisation und Funktionsweise der Strombörse kann hier nicht näher dargestellt werden. Insoweit wird auf die Ausführungen von Bohne verwiesen. 101 Erwähnt sei allerdings, daß auf der Erzeugerseite die Betreiber des Übertragungsnetzes mit ihren Kraftwerken sowie sonstige Erzeugerunternehmen, industrielle Industrieerzeuger und andere Unternehmen, die in das Übertragungsnetz einspeisen wollen, Zugang zur Strombörse erhalten. 102 Auf der Abnehmerseite sollen die Betreiber des Übertragungsnetzes zugangsberechtigt sein, soweit sie Verteileraufgaben erfüllen, weiter Verteilerunternehmen, endverbrauchende Industrieunternehmen und Händlerunternehmen, die über einen Zugang zum Verteilernetz verfügen. Voraussetzung ist in jedem Falle, daß die Unternehmen in das Übertragungsnetz einspeisen bzw. aus diesem Netz Strom entnehmen wollen. 103 Endlich ist festzuhalten, daß das Modell keine Zwangszusammenschlüsse von Energieversorgungsunternehmen zu irgendwelchen juristischen Personen notwendig macht, sowenig wie die Wertpapierbörsen Zwangsvereinigungen zwischen Wertpapieranbietern bzw. Wertpapierhändlern erfordern. 104 dd) Was schließlich die Nutzung des Übertragungsnetzes angeht, so sind nach dem Vorschlag individuelle Nutzungsverträge der Stromerzeuger und Stromabnehmer mit dem jeweiligen Netzbetreiber bzw. Netzeigentümer erforderlich. Diese 99 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 160. 100 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 160. 101 Bohne, Eine Strombörse mit Umweltinstrumenten für eine preis- und umweltgerechte Stromversorgung, DVB1 1994, 830 ff. 102 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 180. 103 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 180 f. 104 Näher Bohne, Eine Strombörse mit Umweltinstrumenten für eine preis- und umweltgerechte Stromversorgung, DVB1 1994, 830. 10*

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Vereinbarungen sollen einer Genehmigungspflicht unterworfen werden, damit der Netzbetreiber seine Stellung nicht mißbrauchen kann. 105

c) Umweltbezogene Rahmenregeln im Pool-Vorschlag aa) Für die Sicherung der Umweltverträglichkeit der Energieversorgung setzt der Pool-Vorschlag vor allem auf Regeln zum Vorrang umweltschonender Kraftwerke bei der Abrufung von Kraftwerken durch den Übertragungsnetzbetreiber. Für die Abgrenzung der umweltschonenden Kraftwerke wird vor allem auf die möglichst hohe Ausnutzung der eingesetzten Primärenergie abgestellt. Im einzelnen wird an die Förderung folgender Kraftwerke gedacht: Große Kraft-WärmeKopplungsanlagen, Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, Kombikraftwerke mit integrierter Braunkohlenvergasung und große Kraftwerke mit Abfall als Brennstoff. 106 Wenn Kraftwerke, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, nicht aufgeführt sind, dann liegt das darin, daß sie in der Regel zu klein sind, um in das Übertragungsnetz einzuspeisen.107 Solche umweltschonenden Kraftwerke können im Rahmen des Kraftwerksabrufs durch den Übertragungsnetzbetreiber zunächst durch begrenzte Abrufgarantien gefördert werden. Danach wird ein bestimmter Prozentsatz der gesamten Nachfrage für umweltschonende Kraftwerke reserviert. 108 Im Bereich dieses Anteils konkurrieren nur die festgelegten umweltfreundlichen Kraftwerke miteinander. Der daraus resultierende höhere Strompreis für diese Erzeuger wäre dann auf alle Stromverbraucher umzulegen. Noch mehr Gewicht wird auf eine Differenzierung der Preise gelegt, die den Stromerzeugern bezahlt werden. Für umweltschonende Kraftwerke ist auf der Grundlage eines entsprechenden Gesetzes ein Preiszuschlag vorgesehen. 109 Gedacht ist an einen bestimmten Preiszuschlag pro Kilowattstunde. Auch insoweit sollen die Kosten auf alle Verbraucher umgelegt werden. Schließlich werden Ermäßigungs- und Befreiungsregelungen bei Börsenzulassungsgebühren sowie bei Börsenteilnahmegebühren vorgeschlagen. 110

105 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 190. 106 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 193. 107 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 193. 108 Näher Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 193 ff. 109 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 195 f. 110 Näher Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 196 f.

V.

lvorschlag und Umweltschutz

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bb) Außer im Bereich des Stromabrufs kommt eine Förderung umweltschonender Kraftwerke bei der Gestaltung von Netznutzungsentgelten in Betracht. Die Entgelte für die Nutzung des Übertragungsnetzes werden danach reduziert, wenn Strom aus umweltschonenden Kraftwerken durchgeleitet werden soll. 111 cc) Durch eine sachgerechte Kombination dieser Instrumente sollen nicht nur die Marktchancen für Strom aus umweltschonenden Kraftwerken verbessert werden, mit der Folge, daß verstärkt in neue emissionsarme Kraftwerke investiert wird. Gleichzeitig sollen durch den Vorschlag vorhandene oder potentielle Stromerzeugungskapazitäten der Industrie ausgeschöpft werden. Zudem kann die stromgeführte Fernwärmeversorgung großer Kommunen vom Börsenzugang profitieren, wenn Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen an der Strombörse begünstigt werden. 112 dd) Auf eine spezielle Kontrolle der Errichtung und des Baus von Energieanlagen verzichtet der Vorschlag. Für den Bau von Freileitungen wird allerdings eine Bedarfsprüfung vorgeschlagen. Derartige Leitungen sollen nur genehmigt werden, wenn der Stromtransport nicht bereits durch eine bestehende Leitung durchgeführt werden kann. 113

2. Nutzung des umweltpolitischen Potentials des EG-Rechts

Der Poolvorschlag beschränkt sich auf den Elektrizitätsbereich. Dementsprechend wird im folgenden allein auf die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt eingegangen. Der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Umsetzung der Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt nicht mit dem Poolvorschlag erledigt ist.

a) Öffnung der Märkte Der Pool-Vorschlag führt durch die Einführung einer Strombörse im Großhandelsbereich zur größtmöglichen Marktöffnung in diesem Teilsektor. 114 Dazu trägt entscheidend bei, daß in diesem Bereich Stromerzeuger und große Stromnachfrager in völlig gleichberechtigter Weise am Stromhandel teilnehmen, unabhängig davon, wer Eigentümer der Übertragungsnetze ist. Die wesentlichen Entscheidungen 111 Dazu Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 197 f. 112 Insoweit ist interessant, daß seit der Einführung des britischen Pool-Systems der Stellenwert der Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen deutlich zugekommen hat; vgl. Bartels/Cohen/Hoehn, Das neue Elektrizitätssystem in Großbritannien, ZfE 1991, 30, 35. 113 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 156 f. 114 Vgl. Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 457 ff.

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über die Abrufung von Kraftwerken einerseits und die Netznutzung andererseits werden direkt oder indirekt von der Strombörse getroffen. Der Vorschlag geht im Hinblick auf die Durchleitungsrechte, worauf noch näher einzugehen sein wird, weit über den Richtlinienvorschlag hinaus, ohne ihm aber zu widersprechen. 115 Liefer- und Versorgungsmonopole sind in diesem Bereich nicht mehr möglich.

b) Bevorzugung umweltfreundlicher

Kraftwerke

Im Unterschied zum Durchleitungsvorschlag greift der Pool-Vorschlag das in der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt vorgesehene Konzept des Stromabrufs im Übertragungsbereich auf. Er setzt die entsprechenden EG-rechtlichen Vorgaben in wirkungsvoller Weise um. Die Beschränkung auf den Stromgroßhandel ist angesichts des hohen Anteils dieses Bereichs 116 umweltpolitisch gut vertretbar. Zweifel bestehen allerdings, ob die umweltpolitischen Vorgaben zum Stromabruf in vollem Umfang mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar sind: aa) Nach dem Poolvorschlag sollen umweltschonende Kraftwerke beim Stromabruf zum einen durch Preisvorteile gefördert werden. Die Preis vorteile gegenüber weniger umweltfreundlichen Anlagen sollen sich an der Entlastung der Umwelt und damit an der Reduzierung der externen Kosten orientieren. Dieser Ansatz läßt sich (schon deshalb) nicht auf Art. 13 Abs. 4 E1BR stützen, weil die Preisbildung (nach Berücksichtigung der Umweltkosten) im Markt erfolgen soll und nicht wie bei Art. 13 Abs. 4 S. 2 E1BR am Einsparungs- bzw. Substitutionspotential auszurichten ist. 1 1 7 Die Preisdifferenzierung zugunsten umweltschonender Erzeugungsanlagen findet aber, wie im einzelnen bereits dargelegt wurde, ihre Grundlage in Art. 13 Abs. 2 E1BR. 118 Immerhin ist die Rechtslage nicht sehr klar. Den daraus resultierenden möglichen Mißverständnissen könnte man vorbeugen, wenn im Text des Art. 13 Abs. 2 E1BR klargestellt wird, daß bei der Festlegung der Abrufkriterien nach Art. 13 Abs. 2 E1BR Umweltbelastungen berücksichtigungsfähig sind. Dies könnte dadurch geschehen, daß die Abrufregelungen unter den Vorbehalt der öffentlichen Dienstleistungspflichten des Art. 3 Abs. 2 E1BR gestellt werden, die nach den Schlußfolgerungen des Rates vom 29. 11. 1994 auch Umweltbelange umfassen. 119 bb) Des weiteren sollen nach dem Pool-Vorschlag umweltschonende Erzeugungsanlagen durch Abrufgarantien gefördert werden. Durch die Garantien wird

us Dazu unten E. V. 2. d). 116 Dazu oben E. V. 1. b) bb). 117 Zur Rechtslage bei Art. 13 Abs. 4 E1BR oben E. II. 3. a) bb). us s. oben E. II. 3. a) cc). 119 s. oben B.II. l.c)bb).

V.

lvorschlag und Umweltschutz

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ein bestimmter Prozentsatz der Nachfrage für umweltschonende Kraftwerke reserviert. 120 Soweit solche Abrufgarantien sich in einem strikten Vorrang der fraglichen Erzeugungsanlagen erschöpfen, dürften sie allein im Rahmen des Art. 13 Abs. 4 E1BR zulässig sein. 121 Das hat zunächst zur Folge, daß die Vergütung entsprechend der Vorgabe des Art. 13 Abs. 4 S. 2 E1BR erfolgen muß. 122 Darüber hinaus ist die Begrenzung des Kreises der begünstigungsfähigen Anlagen zu beachten: Nach Art. 13 Abs. 4 E1BR können allein Erzeugungsanlagen bevorzugt werden, die erneuerbare Energiequellen oder Abfall verwenden oder Kraft-Wärme-Kopplung einsetzen.123 Damit werden die meisten, nach dem Pool-Vorschlag als begünstigungswürdig eingestuften Kraftwerke erfaßt. Lediglich bei den Gas- und Dampfturbinenkraftwerken ist das problematisch. Erheblich größere Spielräume bestehen, wenn die Abrufgarantien mit Regelungen zur Preisgestaltung verknüpft sind, die sicherstellen, daß die umweltfreundlichen Anlagen gewährten Preisvorteile nicht über den Vorsprung im Bereich der externen Kosten hinausgehen. In diesem Falle kann die Regelung auf Art. 13 Abs. 2 E1BR gestützt werden 124 und unterliegt daher nicht den in Art. 13 Abs. 4 E1BR vorgesehenen Grenzen. Ähnliches dürfte gelten, wenn der Wettbewerb im Bereich der umweltschonenden Erzeugung dafür sorgt, daß die Preisvorteile nicht den Vorsprung im Bereich der externen Kosten überschreiten. cc) Die in der Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt enthaltenen Vorgaben zur Benennung eines Übertragungsnetzbetreibers, zu dessen verwaltungsmäßiger Verselbständigung und zur getrennten Rechnungslegung sind nach dem Pool-Vorschlag durch die Eigentümer des Übertragungsnetzes zu erfüllen. Die Strombörse soll nicht als Netzbetreiber fungieren. 125 Vielmehr verbleibt diese Aufgabe bei den Übertragungsgesellschaften. 126 Allerdings hat der Netzbetreiber die Vorgaben der an der Strombörse getroffenen Entscheidungen zu erfüllen, insbesondere die Entscheidungen zum Kraftwerkseinsatz und zur Festlegung von Preiszuschlägen für umweltschonende Kraftwerke. Damit werden wichtige, von der Richtlinie dem Netzbetreiber zugewiesene Entscheidungen von der Strombörse getroffen, was die Frage aufwirft, ob die Börse nicht auch als Netzbetreiber im Sinne der Richtlinie einzustufen ist. Das würde es im übrigen erlauben, die Anforderungen an die verwaltungsmäßige Unabhängigkeit der Netzbetriebsabteilung in den Betreibergesellschaften weniger hoch anzusetzen, da die Entscheidungen, deren Objektivität die 120 s. oben E. V. 1. c) aa). 121 Vgl. oben Ε. II. 3. a) cc). 122 Dazu oben Ε. II. 3. a) bb). 123 s. oben Ε. II. 3. a) bb). 124 Vgl. oben Ε. II. 3. a) cc). 125 Das könnte auch anders sein; vgl. Hoffmann-Riem/Schneider, in: dies. (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 63. 126 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 183 f.

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Unabhängigkeit sichern soll, ohnehin weithin von der Strombörse getroffen werden.

c) Umweltschutz bei Errichtung

und Betrieb von Energieanlagen

Für die Errichtung und den Betrieb von Energieanlagen sieht der Pool-Vorschlag keine zusätzlichen umweltrechtlichen Vorgaben, insbesondere ordnungsrechtlicher Art, vor. Er setzt auf die Effekte der Begünstigung umweltfreundlicher Kraftwerke beim Kraftwerksabruf und bei den Gebühren für die Strombörse und die Netznutzung. Unberührt bleibt natürlich die Kontrolle für die Zulassung von Energieanlagen nach sonstigem Recht, etwa nach Immissionsschutz- oder Atomrecht. Dieser Ansatz ist umweltpolitisch gut vertretbar, sofern die Abrufregeln wirksam ausgestaltet werden. Unter dieser Voraussetzung werden sie bereits in der Investitionsphase Berücksichtigung finden. EG-rechtliche Bedenken ergeben sich allerdings dort, wo für Stromübertragungsleitungen keine Genehmigungsverfahren erforderlich sind. 127 Bloße Anzeigeverfahren können dem von der Richtlinie geforderten Genehmigungssystem nicht gerecht werden. 128 Für den Bau von Direktleitungen sieht das Pool-Modell eine Bedarfsprüfung vor. Direktleitungen sollen nur zugelassen werden, wenn nicht bestehende Leitungen genutzt werden können. 129 EG-rechtlich dürfte eine solche pauschale Bedarfsprüfung schwerlich zulässig sein. Der Bau von Direktleitungen kann nur von den in Art. 7 E1BR aufgeführten Kriterien abhängig gemacht werden. Die dort genannten Gesichtspunkte des „Umweltschutzes" sowie der „Flächennutzung" und der „Standortwahl" dürften im Einzelfalle durchaus die Verweigerung einer Genehmigung für den Bau einer Direktleitung rechtfertigen, insbesondere dann, wenn vorhandene Leitungen genutzt werden können. Notwendig ist aber eine Beeinträchtigung der durch Art. 7 E1BR geschützten Interessen. Strebt man insoweit einen größeren Spielraum an, müßte man wieder eine Regelung wie in Art. 5 Abs. 3 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags einfügen. 130

d) Netzzugang Dritter aa) Der Pool-Vorschlag verwirklicht die Netzzugangsrechte Dritter durch die Bildung einer Strombörse in wirkungsvoller Weise. Der Vorschlag sichert den Dritten weit stärkere Rechte auf Netznutzung als sie durch Art. 21 E1BR vorgeschrie127 Vgl. oben E. IV. 2. c). 128 Umweltpolitisch ist im übrigen eine leistungsfähige Zulassungskontrolle auch beim Leitungsbau im Verteilungsbereich geboten. 129 Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 156 f.

130 Dazu unten B. II. 5. b).

V.

lvorschlag und Umweltschutz

153

ben sind. Die Netznutzungsberechtigten werden nicht nur vor einer mißbräuchlichen Verweigerung geschützt. Vielmehr haben sie vollen und völlig gleichberechtigten Zugang zum Übertragungsnetz. An der Vereinbarkeit dieser Vorgabe mit der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt können keine ernsthaften Zweifel bestehen. Das in der Richtlinie vorgesehene Netznutzungsrecht Dritter ist erkennbar als Mindestanforderung ausgestaltet. Weitergehende Zugangsrechte sind den Mitgliedstaaten nicht verschlossen. Wenn der geänderte Vorschlag einer Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt statt des ursprünglich vorgesehenen reglementierten Netzzugangs einen ausgehandelten Netzzugang vorsieht, 131 dann sollte damit der Spielraum der Mitgliedstaaten erweitert, nicht verengt werden. Aus diesem Grunde darf die Richtlinie auch nicht dahingehend verstanden werden, daß sie auf jeden Fall individuell ausgehandelte Netznutzungsverträge verlangt, wie man den Wortlaut der Richtlinie vielleicht verstehen könnte. Ein systematischer Netzzugang, der den Dritten die Netznutzung noch besser als ein individuell ausgehandelter Vertrag ermöglicht, ist weiterhin zulässig. 132 Insgesamt ist daher das Konzept einer Strombörse mit den Netznutzungsregeln der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt voll vereinbar. Zu beachten ist lediglich, daß Direktleitungsrechte in dem von der Richtlinie vorgesehenen Umfang nicht ausgeschlossen werden dürfen. Die Beschränkung des Pool-Vorschlags auf den Großhandels- bzw. Übertragungsbereich ist umweltpolitisch gut vertretbar, weil damit, wie dargelegt, der größte Teil der deutschen Elektrizitätsmärkte erfaßt und gleichzeitig dem Grundsatz der Kommunalverträglichkeit Rechnung getragen wird. 1 3 3 Um allerdings die EG-rechtliche Vereinbarkeit sicherzustellen, muß der Pool-Vorschlag die Schwellenwerte der Richtlinie für den Netzzugang Dritter beachten. Die Nutzungsrechte Dritter werden durch den Pool-Vorschlag (im Übertragungsbereich) nur dann vollständig umgesetzt, wenn alle Dritten, denen dieses Recht zusteht, Zugang zum Pool erhalten. Im einzelnen handelt es sich dabei um Verteilerunternehmen, um industrielle Großverbraucher mit einem Jahresverbrauch von über 100 GWh und Eigenanlagen in dem beschriebenen Sinne. 134 Der Poolvorschlag muß daher auf die Nutzung des Übertragungsnetzes durch Stromerzeuger ausgeweitet werden, die ihre eigenen Betriebsstätten sowie unter- und nebengeordnete Unternehmen versorgen. 135 Auf der anderen Seite ist gegen eine Ausweitung des Pools auf andere Verbraucher EG-rechtlich nichts einzuwenden, wie Art. 2 Nr. 7 E1BR für die Abgren-

131 s. oben B. II. 5. a) cc) und B. III. 5. a) cc). 132 Klopfer/Schulz, Märkte für Strom, 1993, 61 f. Koch, Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz als Grenze der Deregulierung und der umweltpolitischen Steuerung im Bereich der Elektrizitätswirtschaft?, DVB1 1994, 840 f spricht sogar davon, daß die Poollösung dem Geist der Richtlinie am besten entspricht. 133 Dazu oben E. V. 1. b) aa) + bb). 134 Näher zu den Abgrenzungen der Eigenanlagen vgl. Art. 21 Abs. 1 ii) E1BR. 135 Auch wenn die Abnehmerunternehmen in anderen Mitgliedstaaten liegen.

154

. Ausbau des EU-Energierechts und

melscht

zung der industriellen Großverbraucher ausdrücklich klarstellt. Möglich ist zudem, Stromhändlern Nutzungsrechte zu verleihen, wie sie der Pool Vorschlag vorsieht. 136 Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, daß der Poolvorschlag die Netzzugangsregelungen der Richtlinie zugunsten Dritter im Verteilungsbereich nicht umsetzt, da die Strombörse auf den Übertragungsbereich beschränkt wird. Die Nutzungsrechte zugunsten Dritter, wie sie in der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt vorgesehen sind, gelten aber auch für den Verteilungsbereich. 137 Sofern man daher die Strombörse auf den Übertragungsbereich beschränkt, wofür es gute Sachargumente gibt, müssen für den Verteilungsbereich individuelle Durchleitungsrechte verankert werden. Dies gilt trotz des Umstands, daß die praktische Bedeutung der Durchleitung im Verteilungsbereich vergleichsweise gering sein dürfte. bb) Des weiteren sieht der Pool-Vorschlag vor, daß bei der Festlegung der Netznutzungsentgelte im Übertragungsbereich Strom aus umweltfreundlichen Kraftwerken durch einen Kostenabschlag begünstigt wird. Ob eine solche Begünstigung mit dem vorliegenden Richtlinientext vereinbar ist, erscheint, wie dargelegt, unsicher. 138 Mit der vom Rat in seinen Schlußfolgerungen vom 29. 11. 1994 beschlossenen Erstreckung der öffentlichen Dienstleistungspflichten auf den Umweltschutz können aber die Mitgliedstaaten auch im Netzbereich spezifische Anforderungen zugunsten des Umweltschutzes festlegen. 139 Damit sind insbesondere (als mildere Lösung gegenüber dem Ausschluß der Durchleitung) Preiszuschläge bei den Netznutzungsgebühren zu Lasten weniger umweltfreundlicher Kraftwerke möglich.

136 Vgl. Bohne, in: Hoffmann-Riem / Schneider (Hg.), Umweltpolitische Steuerung in einem liberalisierten Strommarkt, 1995, 180 f. 137 s. oben B. II. 5. a) bb). 138 s. oben E. II. 5. 139 s. oben E. II. 5.

F. Zusammenfassung I. Bestandsaufnahme des geltenden EU-Energierechts 1. Das primäre Energierecht

(1) Auf der Ebene des primären Rechts ist im Bereich der Energiewirtschaft vor allem der EG-Vertrag bedeutsam. Sowohl der EGKS-Vertrag wie der EAGVertrag besitzen gegenwärtig für das Energiewirtschaftsrecht nur einen untergeordneten Stellenwert. 2. Das sekundäre Energierecht

(2) Die Gemeinschaft ist seit längerem im Bereich der Energiepolitik aktiv. Das sekundäre Energierecht im weiteren Sinne hat einen großen Umfang angenommen. Es umfaßt über 200 Rechtsakte. (3) Das sekundäre Energierecht im engeren Sinne, also das Recht der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, fällt demgegenüber erheblich knapper aus. Immerhin finden sich auch hier eine Reihe von Rechtsakten. (4) Praktische energiepolitische Bedeutung haben vor allem die Transitrichtlinie für Elektrizität, die Transitrichtlinie für Erdgas, die Preistransparenz-Richtlinie und die Richtlinie zur Kohlenwasserstoff-Gewinnung. Insbesondere die beiden Transitrichtlinien werfen schwierige Auslegungsfragen auf.

II. Der vorgeschlagene Ausbau des EU-Energierechts 1. Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt

(5) Die vorgeschlagene Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt betrifft die Elektrizitätserzeugung, die Elektrizitätsübertragung und die Elektrizitätsverteilung. Sie sucht die Strommärkte zu öffnen, ermächtigt aber gleichzeitig die Mitgliedstaaten dazu, die Erfüllung öffentlicher Dienstleistungspflichten, insbesondere des Umweltschutzes, sicherzustellen. (6) Im Stromerzeugungsbereich wie im Stromübertragungsbereich ist für die Anlagenzulassung entweder ein nur präventiv wirkendes Genehmigungssystem oder ein Ausschreibungssystem einzuführen. Im Stromverteilungsbe-

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F. Zusammenfassung

reich sind die Mitgliedstaaten insoweit frei. Weiter ist die Rechnungslegung zwischen den Bereichen der Erzeugung, der Übertragung und der Verteilung zu trennen. (7) Für den Bereich der Übertragung ist ein langfristig tätiger Netzbetreiber zu ernennen, der die Verantwortung für das betreffende Übertragungsnetz trägt und dessen Aufgabenfeld organisatorisch von anderen Tätigkeitsfeldern des Netzeigentümers zu trennen ist. Die Funktionentrennung gilt nicht für die Managementebene und erfordert weder eine juristische Ausgliederung des Netzbetreibers noch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse. (8) Eine weitere, nur im Übertragungsbereich anzutreffende Besonderheit stellen die Regeln zum nichtdiskriminierenden Abruf von Kraftwerken dar. (9) Folgenreich sind die Vorgaben zum Netzzugang Dritter, genauer zur Nutzung von Übertragungs- und Verteilungsnetzen durch Dritte. Die Richtlinie sieht insoweit keinen reglementierten Netzzugang (mehr) vor, sondern einen auszuhandelnden Netzzugang, der auf der Abnehmerseite (zumindest) Verteilungsunternehmen, industriellen Großverbrauchern und Eigenanlagen zugute kommt. Ergänzt wird dieses Recht durch die weitreichende Befugnis zum Bau und Betrieb von Direktleitungen. (10) Versorgungs- und Liefermonopole erfahren durch die Richtlinie weitreichende Einschränkungen. Ausschließliche Konzessionsrechte sind im Verteilungsbereich möglich, begrenzt durch das Direktleitungsrecht.

2. Die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt

(11) Die vorgeschlagene Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt betrifft die Fernleitung (einschließlich Speicherung) und die Verteilung von Erdgas. Die Erdgaserzeugung wird nur am Rande berührt. Die Richtlinie sucht die Erdgasmärkte zu öffnen und ermächtigt andererseits die Mitgliedstaaten dazu, die Erfüllung öffentlicher Dienstleistungspflichten sicherzustellen. (12) Im Erdgasfernleitungs- wie im Erdgasverteilungsbereich verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, ein (allein) präventiv wirkendes Genehmigungssystem einzuführen. Die Rechnungslegung ist zwischen den Bereichen der Erzeugung, der Fernleitung und der Verteilung zu trennen. (13) Erhebliches Gewicht haben die Vorschriften zum Netzzugang Dritter, also zur Nutzung von Erdgasfernleitungs- und Verteilungsnetzen durch Dritte, auch wenn kein reglementierter, sondern ein auszuhandelnder Netzzugang vorgeschrieben ist. Auf der Abnehmerseite steht das Recht allen Verteilerunternehmen, industriellen Großverbrauchern und Eigenanlagen zu. Ergänzt wird das Netzzugangsrecht durch ein weitreichendes Recht auf den Bau und Betrieb von Direktleitungen.

F. Zusammenfassung

(14) Versorgungs- und Liefermonopole erfahren durch die Richtlinie weitreichende Einschränkungen.

I I I . Ausbau des EU-Energierechts und Regelungskompetenz 1. Anwendungsbereich und Subsidiarität

(15) Der Anwendungsbereich der Binnenmarktangleichung nach Art. 100a EGV ist außerordentlich weit gespannt. Die Aufgabe der Rechtsangleichung wie die gegenständliche Beschränkung auf den Binnenmarkt wirken weniger einschränkend, als das vielleicht auf den ersten Blick zu vermuten ist. Dementsprechend fallen die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt unschwer in den Anwendungsbereich des Art. 100a EGV. (16) Die Ermächtigungen aus Art. 87 EGV, aus Art. 90 Abs. 3 EGV und aus Art. 130s EGV kommen in unserem Zusammenhang nicht zum Tragen. (17) Die Frage der Erforderlichkeit und der Subsidiarität stellen sich nach Maastricht strenger als zuvor. Insbesondere beschränkt der Grundsatz der Subsidiarität die Kompetenznutzung der Gemeinschaft. Die praktischen Folgen sind allerdings begrenzt. Unabhängig davon werden die Richtlinien zum Energiebinnenmarkt den Anforderungen der Erforderlichkeit und Subsidiarität gerecht. 2. Relevanz fehlender Spezialkompetenzen

(18) Aus dem (weitgehenden) Fehlen von Spezialkompetenzen der Gemeinschaft für den Energiebereich folgt nicht, daß die Gemeinschaft nicht aufgrund allgemeiner Ermächtigungen die Strukturen der Energiewirtschaft erheblich verändern kann. Solange etwa Ziele des Binnenmarktes verfolgt werden, und sei es auch nur neben anderen Zielen, bietet Art. 100a EGV eine ausreichende Grundlage. Ausgeschlossen sind lediglich binnenmarktneutrale und binnenmarktbehindernde Energieregelungen. (19) Das Erfordernis der Einstimmigkeit im Bereich von energiepolitischen Maßnahmen nach Art. 130s Abs. 2 EGV ist im Bereich der Binnenmarktangleichung nach Art. 100a EGV ohne Relevanz.

3. Ausnahmeregelung des Art. 90 Abs. 2 EGV

(20) Die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EGV beschränkt nicht nur die Anwendung wettbewerbsrechtlicher Normen des EG-Vertrags, sondern auch die Anwen-

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F. Zusammenfassung

dung anderer Normen, insbesondere der Ermächtigungsvorschriften des Vertrags. (21) Die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EGV ist auf Energieversorgungsunternehmen jedenfalls in einigen Mitgliedstaaten anwendbar und kommt daher im vorliegenden Zusammenhang zum Tragen. Die Vorschriften der Energiebinnenmarkt-Richtlinien machen aber die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Energieversorgung nicht unmöglich.

IV. Ausbau des EU-Energierechts und materielles Primärrecht 1. Grundrechte: Allgemeines

(22) Die Grundrechte bilden heute einen gesicherten Teil des primären EGRechts. (23) Ob die Grundrechte auch auf juristische Personen anwendbar sind, deren Anteile vollständig oder überwiegend von öffentlichen Händen gehalten werden, erscheint zweifelhaft. Gleichwohl müssen die EnergiebinnenmarktRichtlinien an den Grundrechten gemessen werden.

2. Eigentumsgewährleistung

(24) Der Schutzbereich der Eigentumsgewährleistung wird durch den Europäischen Gerichtshof zurückhaltend bestimmt. Insbesondere stellt die Beseitigung von für bestimmte Unternehmen günstigen Maßnahmen der Wirtschaftslenkung keinen Eigentumseingriff dar. (25) Die Eigentumsgarantie wird durch eine Richtlinie nicht beeinträchtigt, wenn diese verschiedene Formen der Umsetzung zuläßt und (nur) eine dieser Umsetzungsformen mit der Eigentumsgewährleistung vereinbar ist. (26) Beeinträchtigungen der Eigentumsgewährleistung müssen verhältnismäßig sein. Die Beachtung des Wesensgehalts führt im praktischen Ergebnis zu keinem zusätzlichen Schutz. (27) Die Beseitigung ausschließlicher Rechte oder Stellungen durch die Energiebinnenmarkt-Richtlinien stellt weithin keine Eigentumsbeeinträchtigung dar. Wo das ausnahmsweise anders ist, liegt darin in der Regel eine zulässige Eigentumsbeeinträchtigung. (28) Die in den Energiebinnenmarkt-Richtlinien vorgesehene Netznutzung durch Dritte kann eine Eigentumsbeeinträchtigung darstellen. Der Eingriff ist aber zulässig, weil insbesondere die Gefahr einer wettbewerbswidrigen Nutzung vermieden werden soll. Soweit im übrigen die Verweigerung des Netzzu-

F. Zusammenfassung

gangs gegen Art. 86 EGV verstößt, fehlt es bereits an der Eigentumsbeeinträchtigung. (29) Die Vorgaben der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie zur Organisation und zu den Aktivitäten der Stromübertragung sind zulässige Eigentumsbeeinträchtigungen. Dies gilt insbesondere für die begrenzte Funktionentrennung, die ebenfalls gewährleisten soll, daß aus dem Netzeigentum nicht wettbewerbswidrige Vorteile gezogen werden. Erst recht gilt das für die entsprechenden, sehr viel zurückhaltenderen Regelungen der EnergiebinnenmarktRichtlinien in den Bereichen der Stromerzeugung, der Stromverteilung, der Erdgasfernleitung und der Erdgasverteilung. (30) Das Ergebnis der Vereinbarkeit mit der Eigentumsgewährleistung wird durch die Gehalte der Grundfreiheiten verstärkt.

3. Sonstige Grundrechte und grundrechtsähnliche Rechte

(31) Die Richtlinien für den Energiebinnenmarkt enthalten Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit und des allgemeinen Freiheitsrechts, die aus den vergleichbaren Gründen wie im Bereich der Eigentumsgarantie als zulässig einzustufen sind. (32) Es findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß durch die EnergiebinnenmarktRichtlinien die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit verletzt werden.

V. Ausbau des EU-Energierechts und Umweltschutz 1. Relevante Umweltschutz vorgaben des primären Rechts

(33) Die primärrechtliche Verpflichtung auf ein hohes Umweltschutzniveau gilt auch im Bereich der Binnenmarktangleichung und damit für die Richtlinien zum Energiebinnenmarkt. (34) Im Bereich des Energierechts bedeutsam sind zudem die primärrechtlichen Pflichten zu Ressourcenschonung und zum Ursprungsprinzip.

2. Umweltpolitisches Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien

(35) Die Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wie die Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt dienen primär der Herstellung des Binnenmarkts; der Umweltschutz stellt nur ein untergeordnetes Ziel dar. Gleichwohl weisen die Richtlinien ein erhebliches umweltpolitisches Potential auf, und zwar nicht

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F. Zusammenfassung

allein deshalb, weil die Öffnung der Märkte und die Stärkung des Wettbewerbs die Durchsetzung umweltpolitischer Innovationen erleichtert. (36) Umweltschonende Kraftwerke können beim Stromabruf durch Preisvorteile umfassend begünstigt werden, sofern dies systematisch erfolgt und es zu keiner unangemessenen Belastung der Stromein- oder -ausfuhr kommt. Bei Abrufgarantien sind die Spielräume hingegen etwas geringer. (37) Bei der Errichtung und beim Betrieb von Energieanlagen ermöglichen die Richtlinien den Mitgliedstaaten, dem Umweltschutz umfassend Rechnung zu tragen. Dies gilt für die Stromerzeugung und alle Formen von Elektrizitätsund Erdgasnetzen sowie für Direktleitungen. (38) Der in den Energiebinnenmarkt-Richtlinien vorgesehene Netzzugang Dritter kann anhand von umweltpolitischen Kriterien differenziert werden.

3. Zur umweltpolitischen Problematik des nationalen Energierechts

(39) Das geltende deutsche Energiewirtschaftsrecht weist aus umweltpolitischer Perspektive erhebliche Mängel auf, die eine Reform erfordern. (40) Wirksame Abhilfe kann nicht durch einen weiteren Ausbau des herkömmlichen Aufsichtsinstrumentariums erreicht werden. Notwendig ist vielmehr, die Kräfte des Marktes und des Wettbewerbs einzusetzen und geeignete umweltpolitische Rahmenregeln vorzugeben.

4. Durchleitungsvorschlag und Umweltschutz

(41) Der Durchleitungsvorschlag führt insbesondere zur Abschaffung der Investitionsaufsicht, zur Beseitigung ausschließlicher Rechte in Konzessionsverträgen und zur (beschränkten) Erleichterung des Netzzugangs durch Dritte. (42) Aus umweltpolitischer Perspektive leidet der Vorschlag darunter, daß Kostenverlagerungen zwischen den verschiedenen Bereichen der Energiewirtschaft nicht vorgebeugt, umweltfreundliche Kraftwerke beim Stromabruf nicht begünstigt werden und der Umweltschutz beim Netzzugang Dritter unzureichend berücksichtigt wird.

5. Poolvorschlag und Umweltschutz

(43) Der auf den Stromgroßhandel beschränkte Poolvorschlag führt zu einer besonders weitreichenden Marktöffnung in diesem Bereich.

F. Zusammenfassung

(44) Der Poolvorschlag schöpft das umweltpolitische Potential der Energiebinnenmarkt-Richtlinien im Bereich des Stromgroßhandels vollständig aus und fördert damit den Umweltschutz im gesamten Elektrizitätsbereich. Die vorgeschlagene Förderung umweltfreundlicher Kraftwerke beim Stromabruf ist hinsichtlich der Preisdifferenzierung in vollem Umfang mit der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt vereinbar. Bei den Abrufgarantien sind gewisse Einschränkungen zu beachten.

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