Goethes Monodrama "Proserpina": Eine Gesamtdeutung 9783412215149, 9783412208677


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Goethes Monodrama "Proserpina": Eine Gesamtdeutung
 9783412215149, 9783412208677

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Theo Buck

Goethes Monodrama „Proserpina“ Eine Gesamtdeutung

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Marmorskulptur „Pluto raubt Proserpina“ von Josef Riedl, Ende des 19. Jhdts. im Garten der Jugenstilvilla „Auf der Höh“, unweit von Wien. Foto: Wulf Brackrock

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth GmbH, Erftstadt Satz: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20867-7

„Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“ (V. 168/169) On ne pense, on ne parle avec force que du fond de son tombeau. C’est là qu’il faut se placer, c’est là qu’il faut s’adresser aux hommes. Denis Diderot: Essai sur la vie de Sénèque Der verlorene Posten ist der, den man zu Beginn einnimmt. Die Lebensarbeit besteht darin, ihn zu einem nicht verlorenen zu machen. Wolfgang Rihm

Inhalt 9 Einleitung 11 „Proserpina“: Prosafassung (1777) 15 „Proserpina“: Versfassung (1786) 25 Goethes Monodrama „Proserpina“

25 Der Proserpina-Mythos als Thema künstlerischer Gestaltung vor Goethe 30 Goethe und das Proserpina-Thema 34 Die Entstehungsgeschichte des Monodramas 44 Die Thematik 47 Text als ‚innerer Monolog’ 51 Textanalyse: 51  Monolog einer verzweifelten Frau – 53  Selbstbesinnung Proserpinas – 54  Rückerinnerung an die Gespielinnen – 56  Hilferuf an Jupiter und Ceres – 59  Kritik an der göttlichen ‚Ordnung’ – 60  Bekenntnis zur Lebensfülle – 61  Pluto, der Entführer – 62  Hinwendung zu Mutter Ceres und zu Vater Jupiter – 65  „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“ – 67  Der Granatapfel – 68  Wunschbild der Liebe – 69  „Die Unschuld zu Tode vergiftet“ – 71  Huldigungsgruß der Parzen an die Königin der Nacht oder Die ewige Verdammnis – 73  Anklage Jupiters oder Die emanzipative Selbstbestimmung – 74  „… dem Orcus verhaftet“ – 75 Zorn und Wut Proserpinas – 77  „… Du bist unser“, singen die Parzen – 77  Haß auf Pluto, den Vergewaltiger – 78  „Unsre Königin“, singen die Parzen – 79  Haß auf Pluto, „Abscheu und Gemahl“ – 80 Und ewig singen die Parzen   7

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Auswertende Bemerkungen

84 Ausbleibende Rezeption 86 Wiedergeburt von Goethes „Proserpina“ durch die Oper von Wolfgang Rihm? 95 Anmerkungen 107 Bibliographie 111 Abbildungsnachweis

113 Personenregister

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Einleitung

G

oethes Monodrama „Proserpina“ ist wenig bekannt und wurde noch weniger gelesen. Auf den Theatern ist dieser dramatische Monolog bis vor kurzem ungespielt geblieben. Selbst bei den Goethe-Philologen fand der Text vergleichsweise nur wenig Widerhall. Erst seit 2009/2010 haben die Aufführungen der gleichnamigen Oper nach Goethe von Wolfgang Rihm den unbegreiflichen Bann zu brechen begonnen. Daß gerade dieses Werk so wenig beachtet wurde und wird, ist insofern überraschend, weil Goethe als Autor und Theaterpraktiker relativ viel Zeit auf sein pathetisches Dramolett verwandt hat. Jedenfalls erlaubt das die Annahme, daß er der Gestaltung des Proserpina-Stoffes eine ziemliche Bedeutung beimaß. Dem gebührend Rechnung zu tragen, ist Sinn und Zweck der nachstehenden Untersuchung. Interessanterweise unterscheidet sich Goethes Monodrama beträchtlich von den vorausgegangenen und ebenso von den meisten nachfolgenden Darstellungen des Themas durch andere Künstler. Er konzentriert nämlich das Geschehen ausschließlich auf die Situation unmittelbar nach dem Raub Proserpinas, ihrer Entführung ins Reich der Unterwelt und der Vergewaltigung durch Pluto. Bewußt klammert Goethe also das in der mythischen Tradition bedeutsame Motiv ihrer zeitweiligen Rückkehr auf die Erde wie schon den unermüdlichen Kampf der Ceres um ihre Tochter gänzlich aus. Gleichfalls unterläßt er es, die erotische Implikation des Brautraubs aufzugreifen, die von Malern und Bildhauern bevorzugt zum Gegenstand künstlerischer Wiedergabe gemacht wurde. Sein „seltsames Monodrama“ (Emil Staiger) unterscheidet sich demnach wesentlich von der überlieferten Auslegungstradition. Die Beschränkung auf den ausgesprochenen Tiefpunkt der beklagenswerten Lage seiner Titelheldin erlaubt es dem Autor, ihre innere Entwicklung ins Zentrum des Interesses zu rücken. Die sich in ihr ereignende existentielle Veränderung und deren Weitergabe an das Publikum ist das eigentliche Anliegen von Goethes wiederholter Beschäftigung mit diesem Thema. Deshalb muß seiner Intention und der Form ihrer Vermittlung besonderes Augenmerk geschenkt werden.

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Den Kern von Goethes Wirkungsabsicht bildet fraglos jene von ihm speziell herausgehobene und an der Titelfigur demonstrierte, geradezu „magische Verschreibung, die sie unauflöslich dem Orcus verhaftet“, und die sie als „plötzliche Entscheidung in ihrem Innersten“ fühlt1. Die wesentliche Substanz ihres Reagierens und vor allem die sich davon herleitende Lebenszäsur werden meist ignoriert, weil der Schluß des Monodramas vordergründig in tragischer Verzweiflung und auswegloser Todesverfallenheit gesehen wird. So spricht der englische Goethe-Forscher Nicholas Boyle für das Gros der ohnehin nicht zahlreichen Interpreten, wenn er zu dem Ergebnis kommt: „das Drama endet in Verzweiflung“ 2. Goethe wollte jedoch die Tragödie aufheben. Im Sinne seiner Grundthese von der nötigen integrativen Selbsterweiterung des Menschen hielt er es mit den für das Drama um Proserpina konstitutiven Versen: „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“. Um eine solch „plötzliche Entscheidung im Innersten“ war es ihm zu tun. Zielbild ist dabei der engagiert geführte Kampf um ein menschlicheres Leben. Wie Goethe diese Absicht umsetzte, läßt sich allein vom Text her nachweisen. Damit sich jeder Leser selbst ein genaues Bild machen kann, werden zunächst die beiden Textvarianten Goethes im vollen Wortlaut mitgeteilt: – die Prosafassung von 1777 und die Versfassung von 1786.

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„Proserpina“: Prosafassung (1777)

in: FA, Bd. 5: Dramen 1775–1786, S. 65–68. Nach der Textgrundlage des Erstdrucks (Begleitheft zur Aufführung am 28.1.1778 am Weimarer Hof ). Ebenso: MA 2.1, S. 161–164 (nach der Textgrundlage des Zweitdrucks im „Teutschen Merkur“, 1778, erstes Vierteljahr): Eine öde felsigte Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein ­Granatbaum mit Früchten. PROSERPINA Halte! halt einmal Unselige! Vergebens irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen sie vor dir die Trauergefilde, und was du suchst, liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus umwölkt die lieben Gegenden des Himmels, in die ich sonst nach meines Ahnherrn froher Wohnung mit Liebesblick hinaufsah. Ach! Enkelin des Jupiters, wie tief bist du verloren! – Gespielinnen! als jene blumenreiche Täler für uns gesamt noch blühten, als an dem himmelklaren Strom des Alpheus wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, einander Kränze wanden, und heimlich an den Jüngling dachten, dessen Haupt unser Herz sie widmete; da war uns keine Nacht zu tief zu schwätzen, keine Zeit zu lang, um freundliche Geschichten zu wiederholen, und die Sonne riß leichter nicht aus ihrem Silberbette sich auf, als wir, voll Lust zu leben, wieder früh im Tau die Rosenfüße badeten. O Mädchen! Mädchen! die ihr einsam nun, zerstreut an jenen Quellen schleicht, die Blumen auflest, die ich, ach! Entführte! aus meinem Schoße fallen ließ, ihr steht und seht mir nach wohin ich verschwand. – Weggerissen haben sie mich die raschen Pferde des Orkus, mit festen Armen hielt mich der unerbittliche Gott. Amor, ach Amor! floh’ lachend zum Olymp auf. Hast du nicht, Mutwilliger! genug an Himmel und Erde, mußt du Flammen der Hölle durch deine Flammen vermehren! – – Heruntergerissen in diese endlose Tiefen! Königin hier! Königin? vor der nur Schatten sich neigen! Hoffnungslos ist ihr Schmerz, hoffnungslos der Abgeschiednen Glück, und ich wend’ es nicht; den ernsten Gerichten hat   11

das Schicksal sie übergeben. Und unter ihnen wandl’ ich umher, Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals – Ach das fliehende Wasser möcht’ ich dem Tantalus schöpfen! mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! für gereiztes Verlangen gestraft! – In Ixions Rad möcht’ ich eingreifen und Einhalt tun seinem Schmerz. Aber was vermögen wir Götter über die ewige Qualen. – Trostlos für mich und für sie wohn ich und schau auf der armen Danaiden Geschäftigkeit. Leer und immer leer wie sie schöpfen und füllen! Leer und immer leer! nicht einen Tropfen Wassers zum Munde! nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer! ach! so ists mit dir auch mein Herz! Woher willst du schöpfen und wohin? – Euer ruhiges Wandeln, Selige, streicht nur vor mir vorüber, mein Weg ist nicht mit euch. In euren leichten Tänzen, in euren tiefen Hainen, in eurer lispelnden Wohnung rauschts nicht von Leben wie droben, schwankt nicht von Schmerz zu Lust der Seligkeit Fülle. – Ist’s auf seinen düstern Augenbrauen, im verschlossenen Blick? – Magst du ihn Gemahl nennen! und darfst du ihn anders nennen? – Liebe! Liebe! warum öffnetest du sein Herz auf einen Augenblick, und warum nach mir? da du wußtest, es werde sich wieder auf ewig verschließen. Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen und setzte sie neben sich auf seinen kläglichen Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres? – O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt im Verlust deiner Tochter! die du glücklich glaubtest hinspielend und hintändelnd ihre Jugend. – Ach du kamst gewiß und fragtest nach mir, was ich bedürfe, etwa ein neues Kleid, oder goldne Schuhe, und du fandest die Mädchen an ihre Weiden gefesselt, wo sie mich verloren, nicht wiederfanden, in ihre Locken rauften, erbärmlich klagten, meine lieben Mädchen. – Wohin ist sie? Wohin? rufst du, welchen Weg nahm der Verruchte! Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen. Wohin geht der Pfad seiner Rosse? Fackeln her! in der Nacht nach will ich ihm ziehen! will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde, will keinen Gang scheuen hierhin und dorthin! – Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu, aller Pfade gewohnt folgen sie deinem Lenken. In der unbewohnten Wüste treibt dich’s irre. – Ach, nur hierher, hierher nicht! nicht in die Tiefe der Nacht, unbetreten den ewiglebenden, wo, bedeckt von beschwerendem Graus, deine Tochter ermattet. Wende aufwärts! aufwärts den geflügelten Schlangenpfad! 12 

aufwärts nach Jupiters Wohnung! der weiß es, der weiß es allein, der Erhabene, wohin deine Tochter sei. – Vater der Götter und Menschen! ruhst du noch oben auf deinem goldnen Stuhle, zu dem du mich klein, so oft mit Freundlichkeit aufhubst, in deinen Händen mich scherzend gegen den endlosen Himmel schwenktest, daß ich kindisch droben zu verschweben bebte; bist du’s noch Vater? – nicht zu deinem Haupte in dem ewigen Blau des feuerdurchwebten Himmels; – Hier! hier! – Leite sie her! daß ich auf mit ihr aus diesem Kerker fahre! daß mir Phöbus wieder seine liebe Strahlen bringe, Luna wieder aus den Silberlocken lächle. O du hörst mich, freundlich lieber Vater! wirst mich wieder, wieder aufwärts heben, daß befreit von langer schwerer Plage, ich an deinem Himmel wieder mich ergötze. Letze dich verzagtes Herz! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte! Dieser Boden ist nicht Fels nicht Moos mehr, diese Berge nicht voll schwarzen Grauses! Ach! hier find ich wieder eine Blume! Dieses welke Blatt, es lebt noch, harrt noch daß ich seiner mich erfreue. Seltsam! Seltsam! Diese Frucht hier, die mir in den Gärten droben ach so lieb war. – Laß dich genießen freundliche Frucht! Laß mich vergessen alle den Harm! wieder mich wähnen, droben in Jugend, in der vertaumelten lieblichen Zeit, in den umduftenden himmlischen Blüten, in den Gerüchen seliger Wonne, die der entzückten der schmachtenden ward – labend! labend! – Wie greift’s auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch. – Was hab ich verbrochen, daß ich genoß? Ach! warum schafft die erste Freude hier mir Qual. Was ist’s! Was ist’s! – Ihr Felsen scheint hier schröcklicher herabzuwinken! mich fester zu umfassen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schoße des Abgrunds dumpfe Gewitter tosend sich erzeugen! Und ihr weiten Reiche der Parzen mir zuzurufen: Du bist unser! DIE PARZEN unsichtbar: Du bist unser! ist der Ratschluß deines Ahnherrn! Nüchtern solltest wiederkehren und der Biß des Apfels macht dich unser. Königin wir ehren dich. PROSERPINA Hast du’s gesprochen Vater! Warum? warum? Was tat ich, daß du mich verstößest?

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Warum rufst du mich nicht zu deinem lichten Thron auf ? Warum den Apfel! O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, wenn sie verdammen! DIE PARZEN Bist nun unser! warum trauerst du? Sieh wir ehren dich! Dich o Königin! PROSERPINA O hätte der Tartarus eine Tiefe, daß ich euch drein verwünschte! O wäre der Cozitt nicht euer ewig Bad, daß ich für euch noch Flammen übrig hätte! Ich Königin und kann euch nicht vernichten. In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! – So schöpfet Danaiden! spinnt Parzen! wütet Furien! in ewig gleich elendem Schicksal! ich beherrsch’ euch und bin drum elender als ihr alle DIE PARZEN Bist nun unser! wir neigen dir! bist unser unser! Hohe Königin! PROSERPINA Fern! weg von mir sei eure Treu und Herrlichkeit! wie haß ich euch! und dich, wie zehnfach haß ich dich, Abscheu und Gemahl o Pluto Pluto! – Weh mir! ich fühle schon die verhaßten Umarmungen! DIE PARZEN Unser unsere Königin! PROSERPINA Warum reckst du sie nach mir aus! recke sie über den Avernus! rufe die Qualen aus stigischen Nächten empor! sie steigen deinem Wink entgegen, nicht meine Liebe. Gib mir das Schicksal deiner Verdammten! Nenn es nicht Liebe! Wirf mich mit diesen Armen in die zerstörende Qual.

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„Proserpina“: Versfassung (1786)

in: WA I,17, S. 40–49. Nach der Textgrundlage des Druckes als Einlage in „Der Triumph der Empfindsamkeit“ (1787). Ebenso: FA 5, S. 98–106 (Eine öde felsigte Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein ­Granatbaum mit Früchten.) P roserpina Halte! halt’ einmal, Unselige! Vergebens Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, Und was du suchst, liegt immer hinter dir. 5

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Nicht vorwärts, Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, In die ich sonst Nach meines Ahnherrn froher Wohnung Mit Liebesblick hinauf sah! Ach! Tochter du des Jupiters, Wie tief bist du verloren! – Gespielinnen! Als jene blumenreichen Thäler Für uns gesammt noch blühten, Als an dem himmelklaren Strom des Alpheus Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, Einander Kränze wanden, Und heimlich an den Jüngling dachten, Dessen Haupt unser Herz sie widmete; Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, Keine Zeit zu lang,   15

Um freundliche Geschichten zu wiederholen, Und die Sonne Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette Sich auf, als wir voll Lust zu leben Früh im Thau die Rosenfüße badeten. –

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O Mädchen! Mädchen! Die ihr, einsam nun, Zerstreut an jenen Quellen schleicht, Die Blumen aufles’t, Die ich, ach Entführte! Aus meinem Schoose fallen ließ, Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!

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Weggerissen haben sie mich, Die raschen Pferde des Orkus; Mit festen Armen Hielt mich der unerbittliche Gott! Amor! ach Amor floh lachend auf zum Olymp – Hast du nicht, Muthwilliger, Genug an Himmel und Erde? Mußt du die Flammen der Hölle Durch deine Flammen vermehren? –

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Herunter gerissen In diese endlosen Tiefen! Königin hier! Königin? Vor der nur Schatten sich neigen!

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Hoffnungslos ist ihr Schmerz! Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück, Und ich wend’ es nicht. Den ernsten Gerichten Hat das Schicksal sie übergeben; Und unter ihnen wandl’ ich umher,

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Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals!

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Ach, das fliehende Wasser Möcht’ ich dem Tantalus schöpfen, Mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! Für gereiztes Verlangen gestraft! – In Ixions Rad möcht’ ich greifen, Einhalten seinen Schmerz! Aber was vermögen wir Götter Über die ewigen Qualen! Trostlos für mich und für sie, Wohn’ ich unter ihnen und schaue Der armen Danaiden Geschäftigkeit! Leer und immer leer! Wie sie schöpfen und füllen! Leer und immer leer! Nicht Einen Tropfen Wassers zum Munde, Nicht Einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer! Ach, so ist’s mit dir auch, mein Herz! Woher willst du schöpfen? – und wohin? – Euer ruhiges Wandeln, Selige, Streicht nur vor mir vorüber; Mein Weg ist nicht mit euch! In euern leichten Tänzen, In euern tiefen Hainen, In eurer lispelnden Wohnung, Rauscht’s nicht von Leben wie droben, Schwankt nicht von Schmerz zu Lust Der Seligkeit Fülle. – Ist’s auf seinen düstern Augenbrauen, Im verschlossenen Blicke? Magst du ihn Gemahl nennen?   17

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Und darfst du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Warum öffnetest du sein Herz Auf einen Augenblick? Und warum nach mir, Da du wußtest, Es werde sich wieder auf ewig verschließen? Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen, Und setzte sie neben sich Auf seinen kläglichen Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres?

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O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt Im Verlust deiner Tochter, Die du glücklich glaubtest, Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!

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Ach du kamst gewiß Und fragtest nach mir, Was ich bedürfte? Etwa ein neues Kleid, Oder goldene Schuhe? Und du fandest die Mädchen An ihre Weiden gefesselt, Wo sie mich verloren, Nicht wieder fanden, Ihre Locken zerrauften, Erbärmlich klagten, Meine lieben Mädchen! –

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Wohin ist sie? Wohin? rufst du. Welchen Weg nahm der Verruchte? Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen? Wohin geht der Pfad seiner Rosse? Fackeln her! Durch die Nacht will ich ihn verfolgen!

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Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde, Will keinen Gang scheuen, Hierhin und dorthin. Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu, Aller Pfade gewohnt folgen sie deinem Lenken: In der unbewohnten Wüste treibt dich’s irre –

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Ach nur hierher, hierher nicht! Nicht in die Tiefe der Nacht, Unbetreten den Ewiglebenden, Wo bedeckt von beschwerendem Graus Deine Tochter ermattet!

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Wende aufwärts, Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad, Aufwärts nach Jupiters Wohnung! Der weiß es, Der weiß es allein, der Erhabene, Wo deine Tochter ist! –

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Vater der Götter und Menschen! Ruhst du noch oben auf deinem goldnen Stuhle, Zu dem du mich Kleine So oft mit Freundlichkeit aufhobst, In deinen Händen mich scherzend Gegen den endlosen Himmel schwenktest, Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte? Bist du’s noch, Vater? – Nicht zu deinem Haupte, In dem ewigen Blau Des feuerdurchwebten Himmels, Hier! Hier! – –

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Leite sie her! Daß ich auf mit ihr Aus diesem Kerker fahre! Daß mir Phöbus wieder Seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder Aus den Silberlocken lächle! O du hörst mich, Freundlichlieber Vater, Wirst mich wieder, Wieder aufwärts heben; Daß, befreit von langer schwerer Plage, Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze! Letze dich, verzagtes Herz! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt In Sturmnacht Morgenröthe! Dieser Boden Ist nicht Fels, nicht Moos mehr; Diese Berge Nicht voll schwarzen Grauses! Ach hier find’ ich wieder eine Blume! Dieses welke Blatt, Es lebt noch, Harrt noch, Daß ich seiner mich erfreue! Seltsam! seltsam! Find’ ich diese Frucht hier? Die mir in den Gärten droben Ach! so lieb war – (Sie bricht den Granatapfel ab.)

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Laß dich genießen, Freundliche Frucht! Laß mich vergessen Alle den Harm! Wieder mich wähnen Droben in Jugend, In der vertaumelten Lieblichen Zeit, In den umduftenden Himmlischen Blüthen, In den Gerüchen Seliger Wonne, Die der Entzückten, Der Schmachtenden ward! (Sie ißt einige Körner.) Labend! labend!

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Wie greift’s auf einmal Durch diese Freuden, Durch diese offne Wonne Mit entsetzlichen Schmerzen, Mit eisernen Händen Der Hölle durch! – – Was hab’ ich verbrochen, Daß ich genoß? Ach warum schafft Die erste Freude hier mir Qual? Was ist’s? was ist’s? – Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken Mich fester zu umfassen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schoose des Abgrunds Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen! Und ihr weiten Reiche der Parzen

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Mir zuzurufen: Du bist unser!

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Die Parzen (unsichtbar). Du bist unser! Ist der Rathschluß deines Ahnherrn: Nüchtern solltest wiederkehren; Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich!

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Proserpina Hast du’s gesprochen, Vater? Warum? warum? Was that ich, daß du mich verstößest? Warum ruffst du mich nicht Zu deinem lichten Thron auf ! Warum den Apfel? O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, Wenn sie verdammen?

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Parzen Bist nun unser! Warum trauerst du? Sieh, wir ehren dich, Unsre Königin! Proserpina O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, Daß ich euch hin verwünschen könnte! O wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad, Daß ich für euch

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Noch Flammen übrig hätte! Ich Königin, Und kann euch nicht vernichten! In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! – So schöpfet, Danaiden! Spinnt, Parzen! wüthet, Furien! In ewig gleich elendem Schicksal. Ich beherrsche euch, Und bin darum elender als ihr alle. Parzen

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Du bist unser! Wir neigen uns dir! Bist unser! unser! Hohe Königin! Proserpina

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Fern! weg von mir Sei eure Treu’ und eure Herrlichkeit! Wie hass’ ich euch! Und dich, wie zehnfach hass’ ich dich – Weh mir! ich fühle schon Die verhaßten Umarmungen! Parzen Unser! Unsre Königin! Proserpina

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Warum reckst du sie nach mir? Recke sie nach dem Avernus! Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor! Sie steigen deinem Wink entgegen,   23

Nicht meine Liebe. Wie hass’ ich dich, Abscheu und Gemahl, O Pluto! Pluto! Gib mir das Schicksal deiner Verdammten! Nenn’ es nicht Liebe! – Wirf mich mit diesen Armen In die zerstörende Qual!

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Parzen Unser! unser! Hohe Königin!

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Goethes Monodrama „Proserpina“

Der Proserpina-Mythos als Thema künstlerischer Gestaltung vor Goethe

S

chon Homer berichtet von der mythischen Persephone (röm. Proserpina)3, einer Tochter des Zeus (röm. Jupiter) und seiner Schwester Demeter (röm. Ceres), der Göttin des Ackerbaus, der Ernte und der Fruchtbarkeit. In dem vermutlich aus dem späten siebten Jahrhundert (v. Chr.) stammenden „Hymnos an Demeter“ 4 erfahren wir, wie das unschuldige Mädchen Kore5, die ihrer Mutter eng verbundene Göttin der Pflanzen, vom Bruder des Zeus, Hades (röm. Pluto), dem Gott der Unterwelt, entführt und so zu Persephone, zur Königin des Totenreichs wird: „Hades aber führte die Wiederstrebende und Hülferufende mit sich fort“ 6. Gleich zu Beginn der Hymne wird die gewaltsame Entführung der „rosigen Jungfrau“ wort- und bildreich wie folgt beschrieben: … als sie fern von Demeter, der Göttin der schimmernden Früchte und der goldenen Wehr, mit Okeanos’ üppigen Töchtern spielte und Blumen gepflückt, Violen, Rosen und Krokos, auf der Wiese so weich, und Lilien und Hyazinthen und Narzissen. Die ließ, die rosige Jungfrau zu täuschen, Gaia7 sprossen auf Zeus Befehl, dem großen Umfasser Hades zulieb; sie blühten so wunderbar üppig, und staunend sahen es alle unsterblichen Götter und sterblichen Menschen. … Staunend suchte die Jungfrau mit beiden Händen das schöne Spiel zu greifen. Da klaffte urplötzlich gähnend die Erde … draus stürmte der große Umfasser mit den unsterblichen Rossen, … raubte, sosehr sie sich sträubte, die Jungfrau, und führte auf goldnem Wagen die Jammernde fort. Sie schrie mit gellender Stimme…8.

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Abb. 1: Sogenannter Proserpina-Sarkophag, Gesamtansicht. Rom, Anfang des 3. Jahrhunderts. Carraramarmor, Domschatzkammer Aachen

Abb. 2: Detailansicht: Raub der Proserpina durch Pluto mit Minervas Hilfe

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Zeus duldet diese Gewaltaktion, weil er selbst bereits, in die schöne Jungfrau Kore verliebt, sich ihr in Gestalt einer Schlange genähert hatte. Demeter nimmt Rache für seinen Verrat. Sie verhindert das Wachstum der gesamten Pflanzenwelt. Um der dadurch drohenden Hungersnot entgegenzuwirken, gewährt Zeus die periodische Rückkehr der Entführten zu ihrer Mutter während der Sommermonate. In den Wintermonaten muß Persephone jedoch die Rolle der Herrscherin in der Unterwelt übernehmen, um im Frühjahr dann wieder auf der Erde erscheinen zu können. Deswegen gab es im Rahmen der eleusischen Mysterien die Feier des Frühlingsbeginns für Demeter und Persephone als den zentralen Naturgottheiten. Im römischen Kulturkreis trat die mythische Symbolik der Göttin, nun Proserpina genannt, noch mehr in den Vordergrund. Als eine Art Mittlerin zwischen Leben und Tod erhielt sie eine neue Qualität. Zum Zeichen erhoffter Wiedergeburt taucht ihr Bildnis auf zahlreichen Sarkophagreliefs auf. Sogar noch Karl der Große ließ für seine Bestattung einen ‚Proserpina-Sarkophag‘ aus Rom nach Aachen bringen. Dieses Beispiel zeigt, daß im römischen Imperium auch der Anlaß für Proserpinas Erhebung zur Königin des Totenreiches, nämlich die Episode des Brautraubs durch Pluto, zu einem selbständigen Motiv wurde. In Anpassung an den römischen Kontext verlagerte sich dabei der Ort des Mädchenraubs von den eleusischen Gefilden nach Sizilien, „nicht ferne den Mauern von Henna“, am See „Pergus genannt“, wie es bei Ovid9 heißt. Der römische Dichter malte den Vorgang der Entführung spannungsvoll berichtend folgendermaßen aus: … Als Proserpina hier in dem Haine spielt und Veilchen pflückt und weiße schimmernde Lilien, als sie im Mädcheneifer ihr Körbchen, den Bausch des Gewandes füllt und im Wettstreit sucht, die Gespielen im Lesen zu schlagen, sieht und begehrt und raubt sie zugleich fast der Herrscher des Orcus. So übereilt die Liebe den Gott. Mit klagendem Munde ruft der Mutter, den Mädchen die Göttin erschreckt, doch die Mutter öfter. Als ihr Gewand sie vom obersten Saum zerriß, da fielen die Blumen all aus dem losgelassenen Kleide. … Aber der Räuber treibt sein Gespann, ein jedes der Rosse ruft er mit Namen und feuert es an … er   27

Abb. 3 u. 4: Gian Lorenzo Bernini: Raub der Proserpina (1621/22). Marmor, Höhe: 2,55 m. Gesamtansicht

feuert die Rosse, die schrecklichen, an und schleudert mit starkem Arm sein königlich Scepter mit Macht hinein in des Strudels Tiefe. Getroffen klaffte die Erde den Weg in den Orcus, schlang in den Trichter ein den niederfahrenden Wagen10.

Nicht selten wurde in der Folgezeit die Verbindung des Wechsels der Jahreszeiten mit der vorübergehenden Rückkehr Proserpinas auf die Erde kaum noch erwähnt, so daß sich das Interesse ganz auf die dramatische Entführung durch Pluto als erotisches Sinnbild konzentrierte. Gerade dieses Thema wurde schon lange vor Goethe durch zahlreiche 28 

Künstler aufgegriffen. Im Anschluß an Ovid verfaßte bereits gegen Ende des vierten Jahrhunderts der spätantike Autor Claudian11 das Epos „De raptu Proserpinae“. Mittelalterliche Bearbeitungen betonten weniger den Vorgang des Raubs der Proserpina, sondern, unter dem Druck der Kirche, vielmehr deren ‚Sünde‘, „weil sie sich blumenpflückend an die Eitelkeit der Welt verloren hat“ und darob zum „Raub des Teufels“ wird12. Vornehmlich seit der Renaissance wurde dann wieder das Motiv der Entführung einer jungen Schönheit aufgegriffen, besonders gerne von Malern, beispielsweise von Dürer, Niccolò dell’Abbate, Rubens, Rembrandt und Tiepolo13, aber auch etwa vom französischen Lyriker des 16. Jahrhunderts, Joachim du Bellay, wie dann von Tasso in einer Canzone sowie von Shakespeare im „Wintermärchen“ 14. In gleicher Weise interessierte sich der Hofkomponist Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Lully15, für die im Proserpina-Thema enthaltene breite Skala menschlicher Leidenschaften und Affekte. Es gibt also zahlreiche, sehr unterschiedliche Ausgestaltungen des vielschichtigen Motivs. Die wohl stärkste Wirkung ging von der barocken Skulptur Berninis aus, der die Gewaltaktion des Raubs in Marmor höchst eindrucksvoll verlebendigte16. Alle diese Gestaltungen orientierten sich in erster Linie an Ovids einprägsamer und breit rezipierter Darstellung17.

Abb. 5: Detail: Die gewaltsam entführte Proserpina

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Goethe und das Proserpina-Thema So wie die erwähnten Vorläufer hielt es auch der 28-jährige Goethe, als er in der zweiten Hälfte des Jahres 1777, nicht einmal zwei Jahre nach dem Eintreffen in Weimar, daran ging, das Monodrama „Proserpina“ zu verfassen. Er folgte dabei weithin Ovid18, konzentrierte sich jedoch, wie eingangs erwähnt, auf die Phase unmittelbar nach dem brutalen Brautraub. Man kann, ohne daß eine zwingende Annahme dafür besteht, die eigenwillige Gestaltung dieses Trauerthemas mit dem völlig unerwarteten Tod seiner Schwester Cornelia am 8. Juni 1777 in Verbindung bringen. Nach diesem, Goethes ganze Existenz erschütternden Ereignis suchte er produktiven Ausgleich in verstärkter Tätigkeit. Naturgemäß schlug sich das auch literarisch nieder. Arbeitete er doch in der unmittelbaren Folgezeit simultan an der Prosafassung der „Iphigenie“ und der Aristophanes-Bearbeitung „Die Vögel“, am satirischen Spiel über den „Triumph der Empfindsamkeit“ sowie am Schluß des ersten Buches von „Wilhelm Meisters theatralischer Sendung“. Daneben entstanden die Erstfassung des Gedichts „An den Mond“ („Füllest wieder ’s liebe Tal“), der Hymnus „Harzreise im Winter“ und die Ballade „Der Fischer“. Zudem stellte Goethe eine erste Sammlung seiner Gedichte zusammen19. Nimmt man noch die vielfältigen Verpflichtungen im Alltag als Minister und ‚maître de plaisir‘ am Weimarer Hof hinzu, kann man ohne Übertreibung von einem obsessiven Schaffensdrang sprechen. In diesem weitläufigen Kontext ist auch die Ausarbeitung des Dramoletts über die Todesgöttin „Proserpina“ angesiedelt. Die Verbindung ihrer leidvollen Erfahrungen mit dem persönlichen Schmerz über den Tod der Schwester mag bei der Themenwahl eine gewisse Rolle gespielt haben. Einmal abgesehen davon, bringt es indes wenig, nach weiteren möglichen biographischen Anregungen zu suchen20. Was den Autor in erster Linie an dem Stoff interessierte, war eindeutig der vielschichtige Symbolgehalt. Da ist zum einen die Ablehnung willkürlicher Götterherrschaft und der Protest gegen die dadurch herbeigeführte Unsicherheit des Lebens zwischen Hoffnung und Abgrund, zum andern Trauer und Klage über das Ausgeliefertsein der Opfer, besonders der Frauen. Seit der Arbeit am Prometheus-Komplex und den ersten Überlegungen zum Iphigenien-Thema war speziell die Subversion der göttlichen 30 

Macht für Goethe ein Kernproblem menschlicher Existenz. Bereits der wohl im Herbst 1774 entstandene „Prometheus“-Hymnus artikulierte eindringlich die Revolte gegen göttliche Willkür. Und auch in der Prosafassung der „Iphigenie“ von 1779 steht geradezu programmatisch der empörerische Satz: „Es fürchte die Götter das Menschen-Geschlecht, sie haben Macht und brauchen sie, wie’s ihnen gefällt“ 21. In den gleichen Zusammenhang gehört das Monodrama um Proserpina. Da ist es gedanklich kein weiter Weg mehr zu der in religiöser Hinsicht blasphemischen Erkenntnis des jungen Arthur Schopenhauer, die er im Todesjahr Goethes 1832 seinem im Nachlaß aufgetauchten ‚Cholera-Buch‘ anvertraute. Dort heißt es, nebenbei übereinstimmend mit der fast zeitgleichen Konzeption Georg Büchners22: „Die Wahrheit, welche laut und deutlich aus der Welt sprach, … war, daß diese Welt kein Werk eines alleingültigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins Daseyn gerufen, um am Anblick ihrer Quaal sich zu weiden“ 23. Goethe war gewiß kein Atheist. Niemals hätte er rundheraus die Existenz Gottes geleugnet. Jedoch vertrat er sehr wohl eine dem christlichen Offenbarungsglauben entgegenstehende natürliche Religiosität im Sinne der von Spinoza vertretenen All-Einheit von Gott und Natur. Entschieden war sein Interesse auf die Lebensleistung des Menschen im Diesseits ausgerichtet mit dem emanzipativen Zielbild, dem Einzelnen von seinem inneren Kraftzentrum her die steigernde Möglichkeit zu geben, eine produktiv ausgreifende, „ungemessene Freiheit des Lebens und des Gemüths“ 24 heraufzuführen. Wie die in der Einleitung bereits angesprochene Lebensmaxime qualitativer Selbsterweiterung auch in den Proserpina-Monolog eingegangen ist, wird vom Ende her zu ermitteln sein. Ersichtlich kommt das tragische Schicksal der in die Unterwelt gestürzten Titelfigur der zu jener Zeit zwischen Extremen hin und her schwankenden Gestimmtheit des Dichters besonders nahe25. Unwillkürlich denkt man im Zusammenhang mit dem Monodrama an die im Monat nach dem Tod der Schwester spontan in einen Brief eingestreuten, oft zitierten Verse. Sie lauten: „Alles geben die Götter die unendlichen/Ihren Lieblingen ganz/Alle Freuden die unendlichen/Alle Schmerzen die unendlichen ganz“ 26. Viel spricht dafür: Die der absoluten Tragik des unschuldigerweise ins Totenreich entführten Mädchens abzulesende Unumkehrbarkeit des Lebens trieb Goethe dazu, sich näher auf das Proserpina-Thema einzulassen. Abgesehen vom Werther-Roman, kommt   31

Abb. 6: Goethe, zur Zeit der Uraufführung des Proserpina-Monologs. Gemälde von Georg Oswald May (1779)

kein anderes seiner Werke dem Tragischen so nahe wie dieser elegische Versmonolog. Dies um so mehr, als er die Handlung zeitlich auf die quälende Lage der ins Reich der Finsternis Entführten unmittelbar nach Raub und Vergewaltigung durch Pluto, also auf den dunkelsten Moment ihres jungen Lebens eingrenzt. Die dramatische Folge geballter Schicksalsschläge endet für die Protagonistin mit der bitteren Erkenntnis, daß sie definitiv den Unterirdischen angehören muß, weil sie, nichts ahnend, „einige Körner“ vom Granatapfel gegessen hat. Bewußt verzichtet Goethe weithin darauf, das in der Antike breit ausgeführte, beziehungsreiche Rahmengeschehen aufzugreifen. Weder die grenzenlose Herrschsucht von Venus, die ihren Einfluß auch auf die Unterwelt ausdehnen will und zu diesem Zweck Pluto durch Amor einen Liebespfeil verpaßt, noch die langwierige, verzweifelte Suche der Ceres nach ihrer Tochter oder die spannungsvolle Beziehung zwischen Proserpina und Pluto kommen, abgesehen von kurzen Hinweisen, bei ihm zur Sprache. Gleichfalls unterläßt er es, den Fortgang des Geschehens mit der partiellen Rückkehr der Todesgöttin in die Oberwelt aufzugreifen. Voll und ganz konzentriert er sich auf die Darstellung des dramatischen Moments extremer Verlustangst und Verzweiflung im Innern der Sprechenden. Wohl hauptsächlich deshalb traf er die dramaturgisch schlüssige Entscheidung, den Text als Monolog anzulegen. Lediglich 32 

gegen Ende wird die Rede Proserpinas vom Chor der „unsichtbar“ 27 bleibenden Parzen begleitet. Durch deren immergleichen Gesang werden die Befürchtungen der Verzweifelten zur schrecklichen Gewißheit. Indes bietet das dramatische Selbstgespräch mit seinen gefühlsbestimmten wie mit den gedanklichen Aussagen eine an das Publikum herangetragene Erfahrungsmöglichkeit, den Seelenzustand der Sprechenden angesichts ihrer trostlosen Verlassenheit mitfühlend und mitdenkend nachvollziehen zu können. Unbedingt soll der Text den potentiellen Leser, Zuschauer oder Hörer aktivieren. Instinktiv versuchte Goethe nach der Fertigstellung der Erstfassung, die extrem bedrückende Gesamttönung des Stückes abzufangen. Durch Einfügung des Monodramas in den völlig anderen Stilhorizont einer Burleske sollte der tragische Charakter ausgeglichen werden. Darum verfiel er wohl auf den wenig glücklichen Gedanken, den Text des Monologs als vierten Akt in die gleichzeitig in Arbeit befindliche, ironisch-heitere „dramatische Grille“ einzubauen, in das Possenspiel „Der Triumph der Empfindsamkeit“ 28. Dabei übernahm Mandandane, die im komischen Stück auftretende Gemahlin des „humoristischen Königs“ namens Andrason, parodierend den Klagemonolog Proserpinas („Mandandane als Proserpina“)29. Das war möglicherweise ein lustiger Einfall für die Uraufführung auf dem Liebhabertheater zur Geburtstagsfeier von Herzogin Louise am 30. Januar 1778 und eine weitere Aufführung gleich im Februar. Goethe mußte jedoch schnell einsehen, daß die das Ganze umakzentuierende Parodie eine unverzeihliche Versündigung am Geist seines Monodramas bedeutete. Zwar lobte Ludwig Tieck diesen Schritt, weil, wie er im Blick auf das Dramolett betonte, eine „solche lyrische Deklamation ( für sich) kein Ganzes bilden“ könne30. In der Folge zögerten manche sogar nicht, eine „enge Verknüpfung“ beider Stücke, ja eine „geheime Identität“ zu unterstellen31. Unbedingt muß man demgegenüber mit Friedrich Gundolf in der parodierenden Kombination „wohl die größte und kaum faßliche Sünde (sehen), die Goethe jemals gegen irgendeine seiner ernsten Dichtungen begangen hat“ 32. Leider war die Wirkung nämlich nicht so wie Hinck annahm, der den Monolog Proserpinas als „Fremdkörper“ bezeichnete, „an dem vorübergehend der Wirbel des Burlesken und Parodistischen zerschellt“ 33. Von dergleichen konnte bei der karnevalesken Aufführung im Jagdschloß Ettersburg keine Rede sein. Reumütig notierte der Autor selbst in den „Tag- und   33

Jahresheften bis 1780“: „Bei Gelegenheit eines Liebhaber-Theaters und festlicher Tage wurden gedichtet und aufgeführt: ‚Lila‘, ‚die Geschwister‘, ‚Iphigenie‘, ‚Proserpina‘, letztere freventlich in den ‚Triumph der Empfindsamkeit‘ eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet“ 34. Dieser berechtigten Selbstkritik braucht nichts weiter hinzugefügt zu werden. Unbedingt gehört eben zum „Proserpina“-Drama die tragische Konfliktsituation. Allein vor diesem Hintergrund wird Goethes ganz eigene Lösung des Schlusses einleuchtend. Aus der tragischen Grundierung ergibt sich ein weiterer wichtiger Aspekt. Von großer Bedeutung waren nämlich für Goethe gleichfalls die Implikationen des Proserpina-Stoffes im Hinblick auf die Position des Künstlers. Schon die bedeutendste Dichterin der Antike, Sappho, verglich das Schicksal der Todesgöttin mit dem des Künstlers, der sich zwischen Berufung und Leben entscheiden muß. Sie schrieb dazu die folgenden Verse: „Hast du gewählt, dann ist kein Rücktritt mehr!/Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,/Proserpinens Granatenkernen gleich,/ Reiht dich auf ewig zu den stillen Schatten/Und den Lebendigen gehörst du nimmer an“ 35. Als lebenslanger Verfechter einer autonomieästhetischen Kunstkonzeption räumte Goethe dem künstlerischen Schaffen einen vorrangigen Platz im Rahmen der Lebensgestaltung ein. Wohlbedacht erhob er noch in „Künstlers Lied. Aus den Wanderjahren“ die dringende Forderung : „Zu erfinden zu beschließen/Bleibe Künstler oft allein!“ 36 Nur in der schmerzlichen Absonderung vom Alltäglichen kann mithin, seiner Überzeugung nach, das reflektorische und gestalterische Selbstbewußtsein des Künstlers zu produktiver Entfaltung kommen. Ein Gleiches gilt hinsichtlich des ethischen Entschlusses der tragisch herausgeforderten Proserpina zum Widerstand gegen die Zwänge und das Unrecht im Totenreich.

Die Entstehungsgeschichte des Monodramas Das Drama um Proserpina hat eine ziemlich überraschende, auf drei Arbeitsphasen verteilte Entstehungsgeschichte. Die Niederschrift des Textes und die beiden szenischen Erprobungen erfolgten in den Jahren 1777/79 und 1786 sowie erneut 1814/15. Nach der ersten Niederschrift der Prosafassung in der zweiten Hälfte des Jahres 1777 erschien 34 

Abb. 7: Schloß Ettersburg bei Weimar, Ort der Uraufführung. Radierung der Herzogin Anna Amalia

Abb. 8: Corona Schröter, um 1780. Gemälde von unbekannter Hand

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als eine Art Textbuch zur Uraufführung am 30. Januar 1778 ein leider fast ganz verloren gegangener Separatdruck der „Proserpina“ 37. Darauf folgten noch im selben Jahr Abdrucke dieser Erstfassung im Februarheft von Wielands „Teutschem Merkur“ sowie in der Nummer IX der in Berlin erscheinenden „Litteratur- und Theaterzeitung“. Der gleiche Text wurde 1779 in den 4. Band der vom Berliner Verleger Abb. 9: Karl Friedrich Siegmund von Seckendorff Himburg veranstalteten Raub-Ausgabe von „Goethes Schriften“ übernommen. Eine erste Aufführung „als selbständiges Drama“ erfolgte am 10. Juni 1779 im Rahmen des herzoglichen Liebhabertheaters auf der Saalbühne von Schloß Ettersburg mit der Musik von Siegmund Freiherr von Seckendorff (1744–1785) und mit Corona Schröter (1751–1802) in der Titelrolle38. Die von Goethe nach Weimar geholte Schauspielerin und Sängerin beherrschte gleichermaßen das Register pathetischer Deklamation wie das der ariosen Gesänge. Diese professionellen Fähigkeiten wollte der Autor nutzen für die Durchsetzung der von ihm mit seinem Melodrama angestrebten Gattungsmischung, die zugleich seinem Ideal eines Gesamtkunstwerks diente. Kurioserweise wurde der „Proserpina“-Text jedoch noch 1787 als Teil des Schwanks „Der Triumph der Empfindsamkeit“ in die erste von Goethe selbst besorgte Werkausgabe bei Göschen aufgenommen, allerdings nun nicht mehr in den sachlich ablaufenden Satzfolgen der Prosafassung, sondern mit genauer Aufgliederung in freirhythmische Verspartien. Diese in zwei Handschriften von 1786 überlieferte Versfassung kann formal als eine weiträumig angelegte Wiederaufnahme der freien Rhythmen in dem seit der Frankfurter Zeit praktizierten melodramati36 

Abb. 10: Erste Partiturseite von Seckendorffs Komposition „Proserpina“ aus dem Besitz der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt

schen Hymnen-Ton gesehen werden. Wer sich für künstlerische Gestaltung interessiert, kann durch den Vergleich der Prosafassung mit der Versfassung die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten literarischer Formkunst genauer kennenlernen. Fast vier Jahrzehnte nach der Erstaufführung nahm der mittlerweile 65-jährige Goethe dann die Auseinandersetzung mit seinem versifizierten Proserpina-Text wieder auf. Den Anstoß hierzu gab die im Frühjahr 1814 erfolgende Anfrage des Weimarer Musikdirektors und Zelterschüler Carl Eberwein, ob er eine Neufassung der Musik ausarbeiten könne. Goethe griff diesen Vorschlag sehr gerne auf. Ermöglichte ihm das doch die „neue Verkörperung dieses abgeschiedenen Theatergeistes“ 39. Mit einer gründlich ausgearbeiteten Neu-Aufführung konnte er die Versündigung von 1778, jene fatale Kombination mit dem Possenstück „Triumph der Empfindsamkeit“, wieder gutmachen. Die wirkungsstrategisch neue Konzeption verdeutlichend, fügte er als Schlußakzent in die Versfassung eine weitere Wiederholung des Huldigungsgrußes der Parzen ein (V. 271). Dieser scheinbar geringfügige Zusatz verändert den Charakter des

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Abb. 11: Goethe, wenige Jahre vor der Wiederaufführung des ProserpinaMonologs. Gemälde von Ferdinand Jagemann (1806)

Abb. 12: Carl Eberwein.

Dramenendes nicht unbeträchtlich. Darauf wird im Verlauf der Interpretation genauer eingegangen. In den „Tag- und Jahresheften 1814“ findet sich zur Neufassung der Vermerk: „Das Monodrama ‚Proserpina‘ wurde, nach Eberweins40 Composition, mit Madame Wolff41 eingelernt, und eine kurze, aber höchst bedeutende Vorstellung vorbereitet, in welcher Recitation, Declamation, Mimik und edelbewegte plastische Darstellung wetteiferten, und zuletzt ein großes Tableau, Pluto’s Reich vorstellend und das Ganze krönend, einen sehr günstigen Eindruck hinterließ“ 42. Offenkundig war Goethe überzeugt, damit ein „brauchbares Musterstückchen“ 43 für die Verbreitung und Durchsetzung seiner Konzeption des Zusammenwirkens aller Künste im Sinne des Gesamtkunstwerks erarbeitet zu haben. Denn neben der Neuvertonung durch Eberwein wie auch den deklamatorischen und mimischen Darstellungskünsten der Schauspielerin Amalie Wolff, wurde besonders Wert auf die Kostüme und die künstlerische Ausstattung des Bühnenraums gelegt. Das war zu jener Zeit alles andere als selbstverständlich.

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Bei der Einstudierung für das Weimarer Hoftheater deklamierte der Theaterdirektor Goethe höchst selbst, begleitet vom Komponisten Eberwein am Klavier, mit „einer gewaltigen Tiefe der Empfindung“ 44 den Text als eine Art ‚lebendiger‘ Partitur. Im Bericht über seine Inszenierung ließ er Zelter wissen: „Wir haben diesem Werklein noch wunderlich eingeheizt, daß es als Luftballon steigen und zuletzt noch als Feuerwerk zerplatzen kann“ 45. Was damit konkret gemeint war, steht in einem weiteren Brief Abb. 13: Amalie Wolff-Malcolmy, in der Rolle der an den Berliner Freund wenig Jungfrau von Orleans. Kreidezeichnung von Ferdinand Jagemann später ausführlich zu lesen. Es heißt da: „Meine ‚Proserpina‘ habe ich zum Träger von allem gemacht, was die neuere Zeit an Kunst und Kunststücken gefunden und begünstigt hat: 1) Heroische landschaftliche Decoration, 2) gesteigerte Recitation und Declamation, 3) HamiltonischHändelische Gebärden46, 4) Kleiderwechslung, 5) Mantelspiel und sogar 6) ein Tableau zum Schluß, das Reich des Pluto vorstellend, und das alles begleitet von der Musik, … welche diesem übermäßigen Augenschmaus zu willkommener Würze dient“ 47. Die Aufzählung zeigt, daß die verschiedenen Darstellungselemente vom Autor keinesfalls als ornamentales Beiwerk, vielmehr als organisch zugehörige Ergänzung angesehen wurden. Ersichtlich war es ihm als Regisseur, der alle zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel einzusetzen gedachte, darum zu tun, eine Bresche zu schlagen für das Miteinander der Künste im Gesamtkunstwerk. Selbstgestecktes Ziel war es, durch eine Verbindung mit anderen künstlerischen Möglichkeiten seine Sprachbilder auch zu Körper- und Raumbildern werden zu lassen. Neben dem dichterischen Wort sollte ein adäquater Bühnenrahmen die Gesamtwirkung vertiefen und dadurch die Kom  39

Abb. 14: Partiturseite aus Carl Eberweins Komposition „Proserpina“ mit den Kernversen: „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“

munikation fördern. Goethe wollte nicht nur hörbar, sondern ebenso zeigend argumentieren. Absichtsvoll suchte er „diese Richtung, in welcher sich Autoren, Schauspieler und Publicum wechselweise bestärken“ 48. Deshalb sollte die reflektorische Textur der deklamierten Rede in eine die Zuschauer oder Leser optimal aktivierende Kommunikationsstruktur überführt werden. Die Probe auf ’s Exempel brachte die „Proserpina“-Inszenierung, die „zur Feyer des zweiten Februar’s 1815“, dem Geburtstag des Erbprinzen Karl Friedrich, aufgeführt wurde, wie es im wiederum beigegebenen Textbuch heißt49. Der Erfolg führte dazu, daß drei weitere Aufführungen anberaumt wurden. Im 30. Band des vom Weimarer Verleger Bertuch veröffentlichten „Journals für Litteratur, Kunst, Luxus und Mode“ erfolgte noch im gleichen Jahr der für die weiteren Ausgaben maßgebliche Abdruck der Versfassung von „Proserpina“. Um die dramaturgische Bedeutung seines Monodramas zu unterstreichen, veröffentlichte Goethe im gleichen Journal einen Aufsatz, in dem er die bei der Aufführung eingesetzten Mittel genau erläuterte50. Im Tagebuch vom Mai 1815 taucht, darauf bezogen, die Eintragung auf: „Dictirt. Proserpina“ 51. Nicht ohne Bedauern verwies der Autor besonders darauf, daß „diese Idee (des 40 

Gesamtkunstwerks) auf dem Weimarischen Theater mehr angedeutet als ausgeführt“ bleiben mußte. Für die Umsetzung, wie sie ihm als Autor und Regisseur vorschwebte, fehlten in Weimar eben die theatralischen wie auch die finanziellen Mittel. Eindringlich forderte er deshalb zur Nachahmung andernorts auf mit den Worten: „hier wäre es, wo größere Bühnen unter sich wetteifern und eine bedeutende, dem Auge zugleich höchst erfreuliche Decoration aufstellen könnten“ 52. Das geschah in der erklärten Absicht, „damit

Abb. 15: Buchausgabe von Goethes „Proserpina“ mit der Partitur von Eberweins Komposition, zusammengestellt von Lorraine Byrne Bodley. Titelbild von Dante Gabriel Rosetti.

Abb. 16: Bühnenbildentwurf Johann Heinrich Meyers für das Schlußtableau bei der Wiederaufführung des Proserpina-Monologs. Besitz des Freien Deutschen Hochstifts Frankfurt am Main

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Abb. 17: Komödienhaus Weimar, 1779/80 erbaut, 1825 abgebrannt. Zeichnung eines unbekannten Künstlers (1820)

Abb. 18: Zuschauerraum des Komödienhauses. Rekonstruktionszeichnung von A. Petsch (1959)

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eine gleiche, ja eine erhöhte Vorstellung dieses kleinen Stücks auf mehreren Theatern statt haben könne“ 53. Doch dafür war die Zeit noch längst nicht reif. Zu weiteren Aufführungen kam es jedenfalls nicht. Im Zusammenhang damit ist es von Interesse, daß Goethe damals auch mit Aufführungsplänen zu einer monodramatischen Bühnenfassung des ersten Faust-Teils beschäftigt war. Nur zu gut war ihm nämlich bewußt, welche Schwierigkeiten der Inhalt des Stückes einer szenischen Umsetzung bereitete. „Er steht gar zu weit von theatralischer Vorstellung ab“, schrieb er, wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Erfahrungen bei der kurz zuvor erarbeiteten „Proserpina“-Inszenierung, in einem Brief vom Mai 181554. Bereits für die Weimarer Hausaufführung einiger „Faust“-Szenen im Jahr 1809 hatte er sich deshalb die bildkünstlerischen Möglichkeiten des zu jener Zeit in Mode gekommenen chinesischen Schattenspiels zunutze gemacht, um die Wirkung der beschränkten theatralischen Möglichkeiten zu verstärken55. Beide Versuche zeugen für seinen unbedingten Willen, als Dramatiker die zu jener Zeit vorgegebenen Grenzen des auf der Bühne Darstellbaren hinter sich zu lassen. Daß er auf diese Weise die damals übliche Theaterpraxis förmlich revolutionierte, war Goethe wohlbewußt. Betonte er doch im Gespräch mit dem Komponisten Eberwein im Zusammenhang der geplanten Neuinszenierung, er wolle dieses Monodrama „in einer Weise in Scene setzen, wie man noch nichts Ähnliches gesehen habe“ 56. Mit seiner nicht nur sprachlich, sondern auch mimisch, klanglich, bildlich und choreographisch die Sinne ansprechenden „Proserpina“-Inszenierung zielte er programmatisch darauf ab, durch eine enge Verbindung von Text, Klang, Raum und Bewegung eine neue, gesteigerte Kunstform herbeizuführen. In dieser Hinsicht ist das Monodrama Teil seiner vielfältigen Versuche, erweiterte künstlerische Möglichkeiten theatralischer Ausdrucksgestaltung zu erproben und durchzusetzen57. Kaum ein anderer Text von ihm zeigt, einmal abgesehen vom Weltspiel um Faust, so deutlich diese permanente Experimentierfreudigkeit. Der dramatisch und dramaturgisch ausgestaltete Bewußtseinsstrom Proserpinas stellt eine wichtige Etappe auf diesem Wege dar. Zweifellos bedeuten die von Goethe angestellten Versuche eine grundlegende und wegweisende Vorarbeit für die dramaturgische Weiterentwicklung des modernen Theaters. „Proserpina“ muß darum als ein wichtiger Bestandteil der Bemühungen   43

Goethes um ein auf das Publikum ausgerichtetes Bewußtseinstheater gesehen werden.

Die Thematik Den thematischen Kern des Stückes bildet, wie Wolfgang Kayser formulierte, der „Seelenausdruck der Einsamen …, die aus den Bereichen des Lichts in das schreckenvolle Dunkel gerissen wurde“ 58. Von Beginn an suchte Goethe für diesen leidenschaftlichen Gefühlsausbruch die Verbindung von Wort und Musik, um so den melodramatischen Charakter des Textes melodisch zu unterstützen. Gewiß spielte dabei die Anregung des Rousseau’schen Operneinakters „Pygmalion“ 59, dieses, wie er urteilte, „kleinen, aber merkwürdig epochemachenden Werks“ 60 eine stimulierende Rolle. Jedenfalls besteht zwischen beiden Werken eine nicht zu übersehende gattungsmäßige Übereinstimmung61. Goethe hatte überdies das Glück, bei der Uraufführung mit Corona Schröter eine Schauspielerin zur Hand zu haben, die zugleich ausgebildete Sängerin war. Sie beherrschte, wie dann gleichfalls Amalie Wolff bei der Wiederaufführung 1815, das nötige deklamatorische und musikalische Register hervorragend. Die Begleitmusik der Komponisten von Seckendorff und, bei der Neuinszenierung, Eberwein machte das Monodrama zum Melodrama in der durch Rousseau eingeführtem, zu diesem Zeitpunkt noch jungen Tradition62. Goethe gehört zu den Wegbereitern des Monodramas in Deutschland. Nach außen blieb seine Inszenierung freilich folgenlos, zumal er bald danach, Ende Mai 1815, eine Reise in das Rhein-, Main-, Neckargebiet antrat, von der er erst im Oktober zurückkehrte. Das Ende der Kriegswirren erlaubte es ihm, das lange gehegte Vorhaben, eine „Sommerreise“ anzutreten, „um Freyheit des Geistes zu gewinnen“ 63, in die Tat umzusetzen. Demnach brauchte er wieder einmal Distanz zum Weimarer Alltag und vor allem zur politischen Entwicklung in Deutschland. Gehörte er doch keineswegs zu denen, die nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft ihrer patriotischen Begeisterung ungehemmten Lauf ließen. Gegenüber den zwiespältigen ‚Freiheitskriegern‘ hielt er vielmehr

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skeptische Distanz. Die von ihm gesuchte „Freyheit des Geistes“ fand er in räumlicher und zeitlicher Ferne, im Dialog mit Hafis, dem persischen Dichter des vierzehnten Jahrhunderts. In der Auseinandersetzung mit dessen Versen entstand der „West-östliche Divan“ und damit ein völlig neuer lyrischer Ausdruck. Indes stieß die 1819 veröffentlichte letzte Gedichtsammlung beim zeitgenössischen Publikum auf kein sonderliches Interesse. Unter der mangelnden Beachtung litt Goethe verständlicherweise sehr. Noch im hohen Alter, 1830, wirkten Gleichgültigkeit und Ablehnung der Mitwelt jener Jahre in ihm nach. Sein ebenso knapper wie bitterer Kommentar dazu lautete: „Ein deutscher Schriftsteller – ein deutscher Märtyrer“ 64. Dennoch vertraute er weiterhin ungetrübt der eigenen Tätigkeit und setzte auf eine Wirkung in der Zukunft. Er wußte, daß Texte wie die Gedichte aus dem „West-östlichen Divan“ oder das Monodrama „Proserpina“ einen langen Atem haben. Der „Divan“ hat bereits schon länger die Leserschaft erreicht; von „Proserpina“ kann das leider immer noch nicht gesagt werden. Im übrigen begleitete die Proserpina-Figur den Autor auch bei der Gestaltung der Helena im zweiten Faustteil und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen plante er, sie in der ‚Klassischen Walpurgisnacht‘-Szene in ihrer düsteren Rolle als Todesgöttin Persephone persönlich auf der Bühne erscheinen zu lassen. Denn zu ihr als der Herrscherin im Hades weist die Seherin Manto65 dem liebestrunkenen Faust den Weg zur Losbittung von Helena: „Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen;/Der dunkle Gang führt zu Persephoneien“ (Persephone)66. Doch blieb der vorgesehene Auftritt am Ende wohl unausgeführt, weil er viel zu breiten Raum erfordert und damit die kompositorisch begrenzte Dimension der Szene gesprengt hätte67. Zum andern gibt es eine schicksalhafte Übereinstimmung Proserpinas mit Helena, weil beide unwiderruflich der Unterwelt anheimfallen. Proserpina wird gewaltsam in den Orkus entführt, Helena muß mit dem Sohn Euphorion wieder dorthin zurück. Ihre Klage über den verhängnisvollen Ratschluß des Schicksals hat viel gemein mit derjenigen der Leidensgenossin: Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir: Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint. Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band, Betrauernd beide, sag ich schmerzlich Lebewohl!   45

Und werfe mich noch einmal in die Arme dir. Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.68

Mithin gehören Helena und Persephone/Proserpina dem Totenreich an. Beide sehen sich auf den Weg vom Licht ins Dunkel geworfen. So gesehen, ist die von Pluto Entführte nicht nur eine „seelische Vorstufe der Iphigenie“ 69, wie Friedrich Gundolf zurecht formulierte, sondern auch und gerade eine seelische Vorstufe der Helena. Alle drei Frauengestalten leiden unter der willkürlichen Gewalt zerstörerischer Übermächte. Empört setzen sie ihnen unbeirrbaren inneren Widerstand entgegen und bekräftigen so den autonomen, ganz individuellen Ausdruck ihrer Gefühle. Während aber Helena im düsteren Verhängnis gefangen bleibt, entwickelt Proserpina aus sich heraus wirksame Gegenkräfte. Iphigenie schließlich findet, im Einvernehmen mit ihren Partnern, zum verwirklichten humanen Beispiel selbstbestimmter Freiheit. In diesen beiden Fällen wird die Tragödie exemplarisch vermieden, freilich ohne so zu tun, als seien damit Schmerz, Gewalt, Unrecht und Böses aus der Welt geschafft. Daran ist zu sehen, daß Goethe die Entscheidung aus der Spannung von Oben und Unten, Himmel und Hölle, herauslöst und ganz auf der Erde ansiedelt, wo sie von uns getroffen werden muß. Allein an Helena zeigt sich, daß es ein Ausgestoßen-Sein gibt, das für die Betroffenen zum unentrinnbaren Labyrinth wird. Auch Proserpina scheint zu den derart Geschlagenen zu gehören. Wie sie indes auf ihre in der Tat durchaus tragisch angelegte Situation reagiert, kann allein vom Text hergeleitet werden. Das ihr gewidmete Monodrama führt uns nur scheinbar in mythischurbildliche Ferne. Wir müssen uns nämlich klar darüber werden, daß für Goethe die Gestalten der Mythologie von Jugend auf nah vertraut waren. Er verstand sie als archetypische Verkörperungen „eines unerschöpflichen Reichtums göttlicher und menschlicher Symbole“ 70 und insofern als psychologisierte Erscheinungsmuster des Menschenlebens, ja als Quelle der Wahrheit über unsere Wirklichkeit. Häufig und gerne nutzte er diese bildlich-anschauliche Erfassung der anthropologischen und historischen Zusammenhänge für seine poetische Reflexion. Der Proserpina-Mythos erhielt dabei eine geradezu rationalisierte, zweckorientierte Bedeutung mit konkreter historisch objektivierter Funktion. Sie reicht, wie gesagt, vom Protest gegen willkürliche Götterherrschaft, die hier im 46 

familiären Rahmen beginnt (Vater Jupiter und Onkel Pluto!), über die Kritik an der Fremdbestimmung des Lebens, bis zur grundsätzlichen Infragestellung hegemonialer Machtverhältnisse und zur Zurückweisung des weiblichen Ausgeliefertseins. In der Sicht der meisten Leser wirkte das Melodrama allermeist wie die Katastrophenvision eines Alptraumspiels. Wenn man aber das direkt Ablesbare gebührend vertieft, erscheint das Tragische in wissender Erkenntnis der Lebenshintergründe aufgehoben. Es geht dabei um den von Goethe bereits 1772 als existentiell notwendig angesehenen Erwerb der individuellen Fähigkeit, „sich gegen die zerstörende Kraft des Ganzen zu erhalten“ 71. Das reflektierte Unterlaufen der Tragödie macht, wie zu zeigen sein wird, das Monodrama um Proserpina zum humanen Exempel.

Text als ‚innerer Monolog‘ Die Ausarbeitung des Stückes erfolgte, wie schon erwähnt, zunächst einmal in Prosa. Es gibt also, wie bei „Iphigenie auf Tauris“, eine Prosa- und eine Versfassung. Die Absicht des Autors ging dabei dahin, das Alltagsidiom durch eine ausgleichende metrische Ausdrucksform in eine gesteigerte sprachliche Organisation zu überführen. Das mythische Thema sollte eine adäquate Sprachform finden. Zu diesem Zweck mußte der dramatische Diskurs unbedingt von der gewöhnlichen Sprechsituation abgelöst werden. Was bei dieser Operation gewonnen wurde, zeigt beispielhaft ein Blick auf den Anfang der Rede Proserpinas in der 1777 entstandenen und gleich 1778 auf die Bühne gebrachten Prosafassung: Halte! halt einmal Unselige! Vergebens irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen sie vor dir die Trauergefilde, und was du suchst liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus umwölkt die liebe Gegenden des Himmels, in die ich sonst nach meines Ahnherrn froher Wohnung mit Liebesblick hinaufsah. Ach! Enkelin des Jupiters, wie tief bist du verloren! – 72

In einem zweiten, gestalterisch überlegten Schritt machte Goethe aus diesem pathetischen Sprechakt 1786 die folgende, ungemein dynami-

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sierte, zu intensivem reflexivem Mitvollzug durch den Leser herausfordernde Variante: Halte! Halt’ einmal, Unselige! Vergebens Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, Und was du suchst, liegt immer hinter dir.

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Nicht vorwärts, Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus Verwölkt die lieben Gegenden des Himmels, In die ich sonst Nach meines Ahnherrn froher Wohnung Mit Liebesblick hinauf sah! Ach! Tochter du des Jupiters, Wie tief bist du verloren! – 73

Was wird mit derartiger Umformung in eine sehr unregelmäßige metrische Ordnung erreicht? Abgesehen von der sachlich nötigen Berichtigung der mythischen Familiensituation Proserpinas74, ist eine einzige Wortveränderung zu verzeichnen: „umwölkt“ wird zur ausdrucksstärkeren Variante „verwölkt“ (V. 8)75. Obwohl also das Wortmaterial so gut wie ganz übereinstimmt, klingt die Versfassung vollkommen anders. Zwar fehlt den ungebundenen und reimlosen Versen jegliche Gleichmäßigkeit als gliederndes Prinzip. Doch verfügen sie durch den Widerstreit zwischen Satz- und Versordnung über eine dynamisch synkopierte Bewegung, die den Text sinnprägend überformt. Die eigenrhythmische Umakzentuierung erfüllt die prosaisch vorgegebene, rein semantisch artikulierte Wortkette mit ungewohnt eindringlicher Sprachenergie, rückt sie in eine ganz andere, gesteigerte, wirkungsorientierte Ausdrucks­ ebene. Keineswegs ist das bloß deklamatorische Rezitationsmetrik. Die aus der Prosa entwickelten Verse sind mitreflektierendes, den Wortsinn erweiterndes und insofern kommunikativ herausforderndes Vehikel des Ausdrucks. Sie entspringen ganz dem emphatischen Gestus der Sprechenden. Goethes freier Sprachrhythmus verändert das Sprachmaterial der bloß syntaktisch geordneten Prosafassung in eine tief gedankliche 48 

Auseinandersetzung auf der durch die Formgestalt geschaffenen Grundlage. Besondere Bedeutung gewinnen hierbei die Zäsuren der Verse, weil die Zeilensprünge unterstreichen, an welchen Stellen aussagekräftige Durchbrechungen der Syntax zusätzliche Sinnakzente setzen oder etwa Denkpausen herbeiführen. Zugleich schaffen die freien Rhythmen eine gelockerte Sprachmelodie mit hohem, sinnstrukturierendem Ausdruckswert. Das gilt ebenso hinsichtlich der Aufgliederung des Textes in strophische Blöcke. Auf diese und andere gestalterischen Elemente wird bei der Interpretation des extremen Ausbruchs der Leidenschaft Proserpinas zu achten sein. Der in spontan-direkter Deklamation entfaltete monologische Text des Einortdramas erfaßt genau den Augenblick, in dem Proserpina sich Rechenschaft gibt über Gründe und Folgen des Raubes, der sie unschuldigerweise in eine ausweglose Lage gebracht hat. Andere haben über das Schicksal der gewaltsam Entführten entschieden. Schlagartig sieht die im Augenblick Alleingelassene sich einer „entsetzlichen Nothwendigkeit“ 76 ausgesetzt, aus der es kein Entrinnen gibt. Sie ist aus dem ihr vertrauten Leben erfüllter Gegenwart in eine zeitlos ewige Gleichförmigkeit gefallen und kann somit nicht mehr agieren, bestenfalls noch reagieren. Deshalb bleibt ihr zunächst bloß, nachzudenken über das verlorene Glück und die deprimierende Situation, der sie ausgeliefert ist, förmlich herauszuschreien. Das verleiht ihrem Selbstgespräch eine plötzliche, intensive Bewußtheit. Hier artikuliert sich der Protest einer unterdrückten und mißbrauchten Frau. Weil ihr verständlicher Lebenswille sich an den gegebenen Umständen bricht, gibt es dabei für sie kein abwägendes Hin- und Herüberlegen. Der Protest der Monologisierenden gegen ihre soziale Determination verhallt einfach im Leeren. Dramaturgisch gesehen, wird die Selbstaussprache Proserpinas jedoch als ein vernehmlich geäußerter ‚innerer‘ Monolog gestaltet. Da die Wiedergabe psychischer Vorgänge im Vordergrund steht, gibt es keine eigentliche dramatische Handlung. Mit diesem direkt vermittelten Reflexionsablauf stellt Goethe die den Zuschauer oder Leser unmittelbar ansprechende Kommunikationsebene her. Er machte sich lebenslang Gedanken über die Wirkungsmöglichkeiten seiner literarischen Arbeit. Im Fall des ProserpinaMonologs legte er besonderen Wert auf musterhafte Rezitation und Deklamation. Einen großen Teil der Regiearbeit widmete er deshalb der angemessenen sprachlichen Umsetzung. Darin sah er das geeignete   49

Vehikel wirkungsorientierten Sprechens zum Zweck ästhetischer Kommunikation. Den übereinstimmenden Berichten nach verfügten seine beiden Darstellerinnen, Corona Schröter und deren Schülerin Amalie Wolff, beispielhaft über die wichtige schauspielerische Gabe einprägsam artikulierter Klangsprache77. Verständlicherweise kann sich eine so hoffnungslos erscheinende IchAussprache wie die Proserpinas keinesfalls in einer wohlgeordneten, kontinuierlichen Satzfolge, sondern nur in sprunghaft abgehackter Rede und in fortgesetzten gedanklichen Brüchen artikulieren. Demzufolge wechseln emotional herausgeschleuderte, pathetisch aufgeladene Sätze mit ausladenden reflexiven Wortfolgen. Emphatische Ausrufe und Interjektionen bestimmen dem ersten Eindruck nach den gestalterischen Tenor der dramatisch bewegten Sprechhandlung. Sie gehen aber immer wieder in rhetorisch ausholende, genau beschreibende oder symbolhaft verdeutlichende Partien erinnernder oder vorausschauender Evokation über. Ein derartiger Inhalt läßt sich formal nicht in streng gebundener Rede, sondern nur in Prosa oder einer freien, eigenrhythmischen Versfolge ausdrücken. Goethe entschied sich – angesichts der zunächst ausgearbeiteten, ihn aber nicht befriedigenden Prosafassung – für die den Text überformende Versfolge in freien, die Wirkung fördernden Rhythmen. Bewußt sind sie keinem metrischen Schema angepaßt, sondern allein dem poetischen Ordnungsdenken des Satzflusses sowie der gliedernden und akzentuierenden Betonung durch die Verseinschnitte. Über Länge und Zusammensetzung der Verszeilen entscheidet die jeweilige Aussage. Das hat seinen Grund mit auch darin, daß die Form des Monodramas einen szenisch ausgespielten Vollzug nur sehr andeutend ermöglicht, zumal sich das Ganze an einem einzigen Ort abspielt. Zwangsläufig ist alles vorrangig auf den Wortklang abgestellt. Darum muß der dynamische Ablauf in einer „Kette von lauter Motiven“ 78 , in thematischen Sequenzen erfolgen, wie sie sich aus dem assoziativen Bewußtseinsstrom der Sprechenden ergeben. Deswegen kann die Formbestimmung jeweils bloß vom Detail her erfolgen. Dies um so mehr, weil die vorgetragenen Bewußtseinsabläufe nicht kontinuierlich linear erfolgen, sondern in teilweise stark voneinander abweichenden Sprüngen und Phasen unterschiedlicher Länge vor sich gehen.

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Textanalyse Monolog einer verzweifelten Frau

Doch nun zum Text selbst. Die Reaktion Proserpinas auf die unvermittelte Verbannung in die Unterwelt wird in einer langen Folge von 271 Versen dargestellt. Goethe hat sie gliedernd zu 34 ‚Strophen‘, besser gesagt Verspartien, und diese wiederum zu 20 inhaltlich zusammengehörigen Sequenzen sehr unterschiedlicher Länge angeordnet. Verschieden ist gleichfalls der Umfang der Verse. Sie können aus einem einzigen, doppelt gesetzten Wort bestehen, aber auch bis zu neun Wörter umfassen79. Als Monodrama ist der Gesamtablauf allein auf Proserpina ausgerichtet. Der ihr verhaßte Gatte Pluto und die unendlich vielen in den Orkus Verdammten bleiben der Szenerie ganz fern. Die Protagonistin ist vollkommen isoliert. Mit der fünfundzwanzigsten Redepartie schalten sich lediglich die „unsichtbar“ 80 bleibenden Parzen81 ein. Indes sprengen die fünfmal erklingenden Stimmen dieser „Töchter der Nacht“ 82 nur ganz am Schluß, allerdings einprägsam, den monologischen Rahmen. Mit ihrer chorischen ‚off-Deklamation‘ bekräftigen sie das finstere Ambiente, in welches die Entführte sich hineingeworfen sieht. Es sind die melodischen, aber zugleich deprimierenden Stimmen der Totenwelt83. Sie haben sogar – und das ist sicher nicht unwichtig – das letzte Wort (V. 271). Unwiderruflich bestätigt der „Huldigungsgruß der Parzen“ Proserpina als „Königin der Schatten“ 84. Die allein dem Ohr vernehmbaren chorischen Gesänge der drei Schicksalsgöttinnen unterstützen atmosphärisch die von Goethe gewollte „melodramatische Behandlung“ 85 des Monologstücks. Ohnehin sah er in der Musikbegleitung den „See …, worauf jener künstlerisch ausgeschmückte Nachen“ in Gestalt des Monodramas „getragen wird“ 86. Elemente der anderen Künste sollten „an das Stück dergestalt geschlossen“ werden, „daß dieses dadurch seine Vollendung erlangt“ 87. Wie gesagt, suchte der Autor mit diesem experimentellen Modelltext neue dramaturgische Ausdrucksmöglichkeiten auf der Grundlage eines theatralischen ‚inneren Monologs‘ ohne äußere dramatische Handlung, dafür jedoch in der dramati-

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schen Abfolge wechselnder Bewußtseinsinhalte eines schwer geprüften Ichs. Schon der Titel konzentriert die Aufmerksamkeit auf die eine Person, Proserpina, deren Auftritt uns in die „wüste Öde des Orcus“ 88 versetzt. Daß fast ausschließlich nur sie zu Wort kommt, klärt von vornherein die gattungsmäßige Zuweisung im Untertitel: „ein Monodrama“. Diesem Sprachstrom sieht sich das Publikum direkt konfrontiert. Der durchgängig gleiche Rahmen, in dem die Monologisierende sich bewegt, wird mit der folgenden situierenden Bühnenanweisung beschrieben: „Eine öde felsigte (felsige) Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein Granatbaum mit Früchten“. Wir befinden uns demnach in den ausgesprochenen „Trauergefilden“ (V. 3) des Schattenreichs. Allein der „Granatbaum mit Früchten“ erinnert an die ihr aus Mädchentagen vertraute Lebenswelt. Mit der „öden, felsigten Gegend“ wird gleich einleitend ein extrem gegensätzlicher Raum vorgestellt zu den „blumenreichen Thälern“ (V. 15) und den „lieben Gegenden des Himmels“ (V. 8), denen die entführte Göttertochter entrissen wurde. Über das im Text festgehaltene szenische Bild erfolgt mithin, vorbereitend, eine extrem kalte, eindeutig finstere Lokalisierung der von der zwangsverheirateten Proserpina angestellten Reflexion über den „Zustand …, in dem sie sich befindet“ 89. Nach längerem Umherirren („Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her“, V. 2) wird ihr bewußt, daß sie sich erst einmal Klarheit verschaffen muß über ihre verzweifelte Lage, in der ihre Gedanken dauernd zwischen krassen Gegensätzen oszillieren. Damit hebt der Monolog des Mädchens an, das urplötzlich und gewaltsam von der heiteren Welt der Lebenden in die dunkle Welt der Toten verschlagen wurde. Vielsagend hielt Goethe für den Auftakt bei der Theateraufführung im Rahmen des Stückes „Der Triumph der Empfindsamkeit“ als Bühnenanweisung fest: „Vorbereitende Musik, ahnend seltne Gefühle“. In der Tat haben wir es im Falle der unfreiwillig zur Königin der Finsternis gewordenen Proserpina mit außergewöhnlichen, eben „seltnen Gefühlen“ zu tun. Die Mischung von Unschuld, Sehnsucht und Hoffnung bei gleichzeitiger Ungewißheit, Verzweiflung, schmerzlicher Klage und Empörung ob der erfahrenen Gewalt spiegelt alle Facetten des Leidens einer jungen Frau, die sich in einer Zwangsehe mit dem Herrscher des Totenreichs schlagartig sämtlicher Bedingungen menschlicher Freiheit beraubt sehen muß. Angstzustände und Panikattacken 52 

haben ihren psychischen Zusammenbruch herbeigeführt. Hierbei ist die dramatische Bewegung der einsam Herumirrenden ganz nach innen verlagert. Rückblicke und Stimmungen drängen sich der Monologisierenden auf. Um zur theatralischen Äußerung werden zu können, muß der ‚innere‘ Monolog gestalterisch nach außen offen sein. Das dramatische Selbstgespräch beruht auf dieser kommunikativen Ausrichtung der Rede und gewährleistet so die unverstellte Vermittlung von Proserpinas Gedanken und Bewußtseinsvorgängen an das Publikum. Selbstbesinnung Proserpinas

Ganz unvermittelt, wie herausgebrochen aus dem Gesamtablauf, setzt die dramatische Rede ein. Deswegen gelten die Anfangsworte der ersten Sequenz (V. 1–13) einer klärenden Selbstaufforderung der unglücklichen Proserpina zu innehaltender Überlegung und Sammlung: „Halte! halt’ einmal, Unselige!“ (V. 1). Bisher konnte sie, „noch ganz im ersten Schrecken über das Begegniß“ 90, keinen klaren Gedanken fassen. Im Verein mit den beiden Ausrufezeichen unterstreicht der doppelte Imperativ die Dringlichkeit des zur Besinnung mahnenden Befehls. Die Leidgeprüfte muß sich eingestehen, daß sie sich erst einmal sammeln muß, statt wahllos in den sie umgebenden „endlosen Trauergefilden“ (V. 3) umherzuirren. Nachdrücklich verweist die Endstellung des Adverbs „vergebens“ im ersten Vers, kombiniert mit dem nachfolgenden Zeilensprung, auf die Vergeblichkeit dieser sinnlosen Bewegung hin („Vergebens/Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her!“, V. 1/2). In diesem ersten Teil (V. 1–4) bilden die Verse 1–3 mit ihren jeweils zwölf Silben einen klanglich einheitlichen Block. Ihm folgt, auswertend, ein zehnsilbiger sentenzhafter Vers. In plötzlicher Überlegung realisiert die hilflose junge Frau die Ausweglosigkeit der Lage: „Und was du suchst, liegt immer hinter dir“ (V. 4). Wahrlich ein Kernsatz. Er besagt: Alle Erwartungen gehören der Vergangenheit an. Auf ihre Zukunft kann die Göttertochter offenbar keinen Einfluß nehmen. Gleich zu Beginn macht diese lapidare Feststellung klar, daß es für die verzweifelte, desorientierte Kore keinen Ausweg aus ihrer Gefangenschaft gibt. Sie wird die entfremdende Rolle Proserpinas übernehmen müssen. Zunächst reagiert sie darauf hilflos protestierend. Erst am Schluß findet sie mit der Annahme der Rolle als Königin der   53

Toten zu einer, menschlich gesehen, produktiven Wende ihres Widerstandsbedürfnisses. Leider wird diese Entwicklung ihrer Individualität meist übersehen. Ein zweiter, emotional aufgeladener Teil (V. 5–13) der Sequenz ist unmittelbar angeschlossen. Erst die nun reflektierend vorgenommene genauere Lokalisierung in den „rauhen Wüsten“ der „Trauergefilde“ erlaubt es der hierher Entführten, das ganze Ausmaß ihres Elends zu erfassen. Deshalb wechselt der Ton auffallend. In neun unruhigen Versen sehr unterschiedlicher Länge und Silbenzahl91 macht Proserpina sich erst einmal bewußt, was sie verloren hat. Aus der „schwarzen Höhle des Tartarus92“ (V. 7) kann sie weder „vorwärts“ (V. 5) noch „aufwärts“ (V. 6) schauen. Damit ist ihr, der Göttertochter („Tochter du des Jupiters“, V. 12), der Blick in die Gefilde ihrer Jugend und ihres Glücks verwehrt. „Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels,/In die ich sonst/Nach meines Ahnherrn froher Wohnung/Mit Liebesblick hinauf sah!“ (V. 8–11). Das selten gebrauchte und darum ungewohnte Wort „verwölbt“ läßt aufhorchen. Es handelt sich um eine zugespitzte Wortneubildung Goethes93. Sie ist treffender Ausdruck für einen total versperrten Horizont und den damit verbundenen Lichtmangel. Der Finsternis überantwortet, kann Proserpina bloß noch bitter feststellen: „Ach! …/Wie tief bist du verloren!“ (V. 12/13). Sie sieht sich nämlich nicht nur ihres bisherigen ungetrübten Lebens als „Tochter Jupiters“ beraubt, sondern ihrer ganzen Identität. Der am Ende des 13. Verses nach dem an sich schon dringlichen Ausrufezeichen zusätzlich angefügte Gedankenstrich markiert für den Leser bewußt eine zum Nachdenken auffordernde Zäsur. Dieses eindringliche Pausensignal beendet die erste Sequenz und bereitet damit zugleich einen deutlichen Umschlag vor. Die alles lähmende Härte der düsteren Umgebung und die von ihr ausgehende psychische, soziale und sinnliche Frustration lenken die Reflexion der Sprechenden zwangsläufig zurück zu dem auf unbegreifliche Weise verlorenen Gegenbild ihres glückvollen Zustands vor der Entführung durch Pluto. Rückerinnerung an die Gespielinnen

Darum wird in der zweiten Sequenz (V. 14–35) Proserpina für einen Moment des Nachdenkens „wieder das reizende, liebliche, mit Blumen 54 

spielende Götterkind… unter ihren Gespielinnen“ 94. Bewußt läßt sie die belastende ‚Würde‘, Gemahlin des Gottes Pluto und damit der Totenwelt anzugehören, hinter sich und tritt für kurze Zeit neben die ihr auferlegte, verhaßte neue Rolle als Königin, um sich in Gedanken noch einmal in der „Nymphengestalt“ 95 als Kore fühlen zu können. Diese Evokation beginnt mit der direkten Anrede der „Gespielinnen“ (V. 14). Gemeint sind jene halbgöttlichen Nymphen, jene schon von Homer besungenen „üppigen Töchter des Okeanos“, mit denen Kore, „voll Lust zu leben“ (V. 27), während ihrer ungetrübten Jugendzeit zusammen war. Obwohl Goethe, Ovid folgend, die Örtlichkeit des Geschehens im übrigen Text auf Sizilien ansiedelt, verlagert er die idyllische Szenerie hier, in Übernahme der griechischen Überlieferung, an den arkadischen „himmelklaren Strom des Alpheus“ (V. 17), also an den nach dem Flußgott Alpheus benannten Fluß96 auf dem Peleponnes. Sicher geschah das, weil damit beim damaligen Publikum ein mythologisch vertrauter Ort ins Spiel gebracht werden konnte. Interessant ist die fiktive Direktanrede der „Gespielinnen“ in doppelter Hinsicht. Sie gliedert sich, wie schon die erste Sequenz, zum einen strukturell in zwei Teile, einen längeren, von der Vergangenheitsform bestimmten (V. 14–28), und einen kürzeren mit einer im Präsens gehaltenen Überlegung (V. 29–35). Zum andern macht die Beschwörung des verlorenen Glücks der „Entführten“ (V. 33) ihre traurige Situation nur noch schmerzlicher bewußt. Wenige, schlaglichtartig herausgehobene Erinnerungsbilder umreißen nacheinander die reizende Jungmädchenidylle, aus der Proserpina jäh herausgerissen wurde: „blumenreiche Thäler“ (V. 15), „himmelklarer Strom“ (V. 17), Kränzewinden, erste Liebesregungen, Plaudereien, Geschichtenerzählen und vor allem unbändige „Lust zu leben“ (V. 27). Die Aufzählung gipfelt im symbolisch bedeutsamen Wiederaufleben des gemeinsamen morgendlichen Spazierens in der freien Natur („als wir …/Früh im Thau die Rosenfüße badeten“, V. 27/28). Erinnerte Vergangenheit wirkt hier erkennbar als Wunschbild für die Zukunft. Wiederum markiert an dieser Stelle ein Gedankenstrich für den Leser den direkt folgenden Umschlag. Unter dem Druck der jetzigen Situation Proserpinas ergibt sich im zweiten Teil der Sequenz ein rascher Tempuswechsel in die düstere Gegenwart. Wehmütig führt die Sprechende sich – und zugleich uns – noch einmal ihre traurig zurückgebliebenen Begleiterinnen im Augen  55

blick nach der Entführung vor Augen. Mit der bedauernden, gefühlsbetonten Interjektion „O“ hebt deren zweifach intensivierte Anrufung an („O Mädchen! Mädchen!“, V. 29). Vergegenwärtigend sieht sie vor ihrem geistigen Auge die Freundinnen nun „zerstreut an jenen Quellen“ herumgehen (V. 31) und die von ihr fallengelassenen Blumen aufsammeln, weil sie nicht wahrhaben wollen, daß ihre Gefährtin zur „ach Entführten“ (V. 33), zu einer für immer Verschwundenen geworden ist. Das Schlußbild der anrührend wachgerufenen Szene gilt dem imaginierten Abschiedblick der Sprechenden auf die Gespielinnen („Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand“, V. 35). Dadurch kommt der einschneidende Gewaltakt der Entführung in aller Schärfe zum Ausdruck. Die Verbindung zum bisherigen vibrierenden Leben Proserpinas ist damit abgeschnitten. Dementsprechend schlecht ist es um ihren psychischen Zustand bestellt. Das düster-schwarze Umfeld des Orkus wird zum bestimmenden Faktor ihrer jetzigen Situation. Hilferuf an Jupiter und Ceres

Es folgt eine dritte Sequenz (V. 36–57) aus drei ungleichen Teilen97. Sie entsprechen drei Gedankenschüben, in denen die Monologisierende erst ihre Entführung und danach ihre von Grund auf veränderte Existenz als Königin im Totenreich genau reflektiert. Sie gibt sich dabei selbst die ihr von außen verweigerte Rechenschaft über ihre unerwünschte Lebenssituation, in der sie nur noch von „Schatten“ (V. 49) umgeben ist. Auffällig konzentriert Goethe den Vorgang der Entführung auf eine extrem knappe Beschreibung des Wesentlichen, um im selben Zusammenhang auch der kausalen Verflechtung und den Folgen des Brautraubs nachgehen zu können. Im Gegensatz etwa zu Homer und Ovid verzichtet er bewußt auf eine narrativ weit ausholende, detailliert ausgeschmückte Schilderung. Wir erfahren lediglich in einem einzigen, hypotaktisch angespannten Satz, wie die Entführte das Geschehen punktuell nacherlebt: „Weggerissen haben sie mich,/Die raschen Pferde des Orkus;/Mit festen Armen/Hielt mich der unerbittliche Gott!“ (V. 36–39). Der epischen Breite der Vorläufer setzt Goethe Prägnanz und äußerste Beschränkung auf den dramatischen Ablauf entgegen. Allein die Hektik des von Pluto angetriebenen Pferdegespanns und der „unerbittliche“ 56 

Griff des Gottes der Unterwelt interessieren ihn. Struktur und Sprachgestaltung werden auf das rein Gestische reduziert. Ungeachtet seiner Gesamtlänge ist der Monolog durchgängig um lakonischen Ausdruck bemüht. Denn die Sprechende steht unter permanenter Hochspannung. Darum geht der kurze Bericht von der Entführung sogleich über zur beklemmenden Frage nach den Verursachern des Übels. Proserpina will wissen, welch böses Spiel willkürlicher Machtausübung mit ihr getrieben wird. Sie denkt über die ihr widerfahrene Gewalt nach. Ihr grausames Schicksal verlangt nach Aufklärung. Der mythischen Überlieferung des Falles nach hat Venus ihren Sohn Amor damit beauftragt, Pluto durch einen Pfeilschuß für Kore zu entflammen, um über den verliebten Todesgott auch Einfluß auf die Unterwelt zu bekommen. Dieser komplexe Hintergrund wird im Monolog bloß angedeutet mit dem Hinweis auf den munteren Amor, der nach erfüllter Aufgabe unbeschwert wieder in den Götterhimmel zurückkehren kann. In der Sicht der Betroffenen stellt sich das in folgenden wenigen Worten dar: „Amor! Ach Amor floh lachend auf zum Olymp“ (V. 40). Proserpinas parenthetischer Kommentar dazu stellt dem ‚teilnahmslos‘ schuldhaft Beteiligten – und damit den allmächtigen Göttern überhaupt – die ebenso berechtigte wie dringliche Frage nach seinem und ihrem willkürlichen Schicksalsspiel: „Hast du nicht, Muthwilliger,/Genug an Himmel und Erde?/Mußt du die Flammen der Hölle/Durch deine Flammen vermehren?“ (V. 41–44). Die Verse vermitteln einen ersten Eindruck von dem sich im Verlauf des Monologs mehr und mehr herausentwickelnden aufklärerisch-kritischen Denkimpuls. Mit diesem Gestus hat Goethe eine für das Gesamtverständnis entscheidende interpretatorische Vorgabe in das Textgefüge eingebaut. Denn der Monolog der Königin wider Willen spiegelt ebenso ihren Kampf um Selbstachtung. Das geschieht im zweiten Teil der Sequenz (V. 45–49). Expressiv beschreibt sie gleich anfangs den mit ihrer Entführung verbundenen unangenehmen Ortswechsel wie folgt: „Herunter gerissen/In diese endlosen Tiefen!“ (V. 45/46). Das hier gebrauchte umgangssprachliche Adverb „herunter“ verdeutlicht die Situation einer tief Gefallenen und intensiviert den Ausdruck dann noch durch den verbalen Zusatz, der bereits in V. 36 die Gewaltaktion in Erinnerung gebracht hat („weggerissen“ > „herunter gerissen“). Direkt gemeint ist das   57

Reich Plutos, die Unterwelt. Räumlich entspricht seine Ausdehnung derjenigen der Oberwelt mit Erde und Himmel98. Eherne Mauern und von furchteinflößenden Gestalten bewachte Tore umschließen, der mythischen Überlieferung zufolge, die „endlosen Tiefen“ dieses finsteren Abgrunds. In welche Katastrophe damit die Entführte hineingeraten ist, bleibt zunächst weithin unausgesprochen. Auf die lakonische Form ihrer bitteren Frage verkürzt: „Königin hier!/Königin?/Vor der nur Schatten sich neigen!“ (V. 47–49), kommt die qualvolle Intensität ihrer seelischen Anspannung besser zum Ausdruck als durch larmoyante Tiraden. Ihre karge, präzise Aussage zerschneidet die sie umgebende bedrohliche Stille. Sie weiß, daß sie aus dem bisherigen Leben gefallen ist, will jedoch um ihr Weiterleben kämpfen. In ihrer Frage liegt Empörung. Sie gilt der Tyrannei und der Ungerechtigkeit ihrer göttlichen Familienoberen. Im dritten Teil (V. 50–57) der Sequenz erwähnt die unglückliche Königin die sie umgebenden, hierher ins Totenreich verschlagenen „Abgeschiedenen“ (V. 51). Ihr desillusionierter und zugleich aufrührerischer Blick erfaßt die in ewigem Dunkel umherirrenden Seelen der Verstorbenen. Voll Trauer verweist sie auf deren unabwendbares Schicksal. Zweimal gebraucht sie dabei, jeweils am Versbeginn, das vielsagende Adjektiv „hoffnungslos“ (V. 50 und 51). Der Schmerz darüber, nichts daran ändern zu können, spricht für ihre engagierte Anteilnahme. „Und ich wend’ es nicht./Den ernsten Gerichten/Hat das Schicksal sie übergeben“ (V. 52–54). Diese Einsicht verstärkt ihr Unglück noch mehr. Pointiert faßt sie den Zwiespalt ihrer Position in die selbstvernichtende Folgerung: „Göttin! Königin!/Selbst Sklavin des Schicksals“ (V. 56/57). An den gebrochenen „Abgeschiedenen“ erfährt sie, daß auch sie ein gebrochener Mensch ist, daß es für sie kein Entrinnen gibt. Ab diesem Moment steht Proserpina für den Protest gegen die Logik des Schreckens im Leben, gegen die Ungerechtigkeit der sehr fragwürdigen „ernsten Gerichte“. Wenn nämlich sogar eine Göttertochter so tief fallen kann, bedeutet das im Endeffekt die prinzipielle Infragestellung des herrschenden diktatorischen Macht- und Terrorsystems. Proserpinas Reaktion hat viel gemein mit moderner Kritik an der destruktiven Gängelung des Individuums im Totalitarismus politischer oder religiöser Machtgruppen. Naturgemäß erhöht das die assoziative Komplexität ihrer Reflexion, – macht sie zeitlos. Auch heutige Rezipienten sind unmittelbar angesprochen.

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Kritik an der göttlichen ‚Ordnung‘

In der direkt anschließenden vierten Sequenz (V. 58–77) verweist Proserpina auf konkrete Beispiele für das üble Wüten des ‚Schicksals‘ in Gestalt beschämender göttlicher Willkür. Sie wählt dafür einige besonders schlimm Gequälte unter den in den Orkus verdammten „ewigen Büßern“ 99 aus: Tantalus, Ixion und die Danaiden100. Alle haben sie schwere Schuld auf sich geladen. Aber ihre harten, ja perversen Strafen im Reich ewiger Dunkelheit wecken das menschliche, die Götter provozierende Mitleid der in ihre Rolle hineingezwungenen Herrscherin über die gequälten Seelen. Provozierend deshalb, weil solche Kritik am Strafgericht der selbst sehr fleischlichen Götter einen gewollten blasphemischen Tabubruch darstellt. Proserpina möchte den „armen Alten“ (V. 61), den ewig hungernden und dürstenden Tantalus, hilfreich „mit lieblichen Früchten … sättigen“ (V. 60). Ebenso würde sie gerne „in Ixions Rad greifen“ (V. 63), um dessen „ewigen Qualen“ (V. 66) durch den ihm von Furien fortwährend zugefügten „Schmerz“ (V. 64) ein Ende zu bereiten. Es erfüllt sie mit Trauer, bei alledem nicht in helfender Nächstenliebe eingreifen zu können. Daran wird für den Zuschauer unmittelbar deutlich, in wie starkem Maße die Mythologie uralte „in der menschlichen Natur angelegte Bestrebungen“ 101 in Bilder faßt. Zu den symbolischen Verkörperungen gehören gerade auch die unmenschlichen, an Sündern exemplarisch vollzogenen Strafmechanismen. Derartige Leidensgeschichten dienen ersichtlich einer vordergründig angelegten ‚Moral‘ der Machthaber, die keinerlei Rücksicht nimmt auf die dabei demonstrierte qualvolle Härte des Schicksals. Proserpina, Plutos geraubte Gattin, durchschaut diese ideologische Absicht. Obwohl auch sie dem Götterensemble angehört („wir Götter“, V. 65), folgt sie nicht der dort zu beobachtenden, moralisch anfechtbaren Leichtlebigkeit derer, die das ewige Leben für sich gepachtet haben. Vielmehr zeigt sie mitfühlendes Verständnis für die Leidenden, weil sie nun selbst den Schatten der trostlosen Tiefe angehört („Trostlos für mich und für sie“, V. 67), und, wie sie sagt, „unter ihnen“ wohnt (V. 68). Wo die Götter gleichgültig bleiben, beweist sie beispielhafte menschliche Anteilnahme. Darum hat sie auch Mitleid mit den besonders hart bestraften Danaiden und dem ihnen auferlegten perversen Sisyphusschicksal, unaufhör  59

lich Wasser in nie zu füllende, bodenlose Krüge gießen zu müssen, ohne selber ihren Durst löschen oder gar ein Bad nehmen zu können („Der armen Danaiden Geschäftigkeit! … Wie sie schöpfen und füllen!/Leer und immer leer!/Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde,/Nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen!“, V. 69 und V. 71–74). Für Proserpina wird dieses Bild zum Gleichnis der eigenen Situation. Mit der dreifach eingebrachten Feststellung „Leer und immer leer!“ (V. 70, 72 und 75) beschreibt sie die Leere, die sich ihrer Seele bemächtigt hat. Dergestalt kommen Depression, Verzweiflung, Wehmut und Trauer über ihr Leben im Schattenreich unmittelbar zur Sprache. Damit ist ein Grundmotiv des Monologs angeschlagen. Proserpinas Inneres ist leer, weil sie in dieser Verbannung nicht mehr handeln kann wie sie möchte und keinen Ausweg aus diesem Zustand sieht. Deshalb lautet ihre nüchterne Klage: „Ach so ist’s mit dir auch, mein Herz!/Woher willst du schöpfen? – und wohin? –“ (V. 76/77). Sie durchläuft einen Tiefpunkt ihrer Niedergeschlagenheit, weil die sie quälenden Befürchtungen immer mehr zu festen Gewißheiten werden. Bekenntnis zur Lebensfülle

Im Blick auf diese traurige Sachlage betont Proserpina in der kurzen fünften Sequenz (V. 78–86) ihre Distanz zu den „Seligen“ („Mein Weg ist nicht mit euch!“, V. 80). Gemeint sind damit die „ruhig wandelnden“ (V. 78) Abgeschiedenen in den sonnigen Gefilden des Elysiums. An sie, die keinerlei Frevel begangen haben, wendet sich nun die Monologisierende, um die eigene, gegensätzliche Lebensmaxime demonstrativ zu entfalten. Mit deutlich spürbarem Abgrenzungsbedürfnis lehnt sie das zurückgenommene, einförmige Scheinleben jener untadeligen, blutleeren Existenzen ab. Deren Lebensweg mit „leichten Tänzen“ (V. 81) in nichtsagend „lispelnden Wohnungen“ (V. 83), widerstrebt ihr völlig. Anders ausgedrückt: Proserpinas solch asketisch-starrer, ausdrucksloser Leblosigkeit ganz entgegengesetzte Sehnsucht gilt dem entfesselten vollen Leben auf der Erde „droben“ (V. 84), wie sie es in ihren erfüllten Jugendtagen wenigstens ahnend erfahren durfte. Hinter ihrem Bekenntnis vernimmt man deutlich den ungestümen Lebensdrang Goethes in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhun60 

derts. Was hier der Protagonistin in den Mund gelegt wird, entspricht voll und ganz der autonomen Identitätskonzeption eines schöpferischen Subjekts, wie sie der ungebärdige Stürmer und Dränger in den letzten Frankfurter Jahren und zu Beginn der Weimarer Zeit für sich herausentwickelt hat: „Rauscht’s … von Leben …/Schwankt … von Schmerz zu Lust/ Der Seligkeit Fülle“ (V. 84–86). Bei solcher Bekundung spürt man, daß der Monolog in der doppelten Perspektive von Titelfigur und Autor an uns gerichtet ist. Wenn überhaupt etwas Biographisches in den Text eingegangen ist, dann jedenfalls dieses schöne Bekenntnis zu erfülltem Leben. Allerdings ertönt die Stimme hier aus dem Dunkel des Hades. In bloß noch erinnernder Evokation wirkt sie noch nachdrücklicher, weil das der Sprechenden verloren Gegangene um so eindringlicher hervortritt. Pluto, der Entführer

Mit der sechsten Sequenz (V. 87–100) wechselt überraschend das Thema. Die Rede ist nun mit einem Mal von Pluto, also dem Entführer, der Proserpina gewaltsam zu seiner Gattin gemacht hat. Derartige Gedankensprünge sind charakteristisch für die ‚offene Form‘ eines dramatischen Bewußtseinsablaufs, die, mit Volker Klotz zu sprechen, „das Ganze in Ausschnitten“ 102 wiedergibt. Diese Formlösung folgt der strömenden Vielfalt subjektiver Reflexion und Assoziation. Zwangsläufig ist sie dauerndem Wechsel der Bewußtseinsinhalte ausgesetzt. In diesem Moment drängt sich eben das verhaßte Bild dessen in den Vordergrund, der in plötzlicher Liebesglut Proserpina, die Göttertochter in betörender Jugendblüte, aus ihrem bisherigen Lebensrahmen gerissen hat. Die gedankliche Brücke schlagen hierbei die vorausgegangenen Gedanken über das „rauschende Leben“ (V. 84) vor dem erfolgten Raub. Eben derartige Lebenszeichen vermißt sie am „verschlossenen Blicke“ (V. 88) des Herrschers der Totenwelt, der abweisend „auf seinem kläglichen Thron“ (V. 99) sitzt. Dem düsteren Brauträuber geht jegliche Lebensfülle ab. Darum ist die ihm ausgesetzte Frau, wie Goethe selbst erläuterte, „unglücklich, seine Gattin zu sein, unglücklich über Schatten zu herrschen, deren Leiden sie nicht abhelfen … kann“ 103. Deshalb stellt sich ihr das unlösbare Problem: „Magst du ihn Gemahl nennen?/Und darfst du ihn   61

anders nennen?“ (V. 89/90). Unter Liebe hat sie sich etwas völlig Anderes vorgestellt. Unmittelbar an Venus und ihren Sohn Amor gerichtet, führt sie Klage darüber, ausgerechnet sie zum Ziel der Liebeswünsche des Mannes mit den „düstern Augenbrauen“ (V. 87) und dem „verschlossenen Blick“ gemacht zu haben. Weiß sie doch bereits, daß seine Liebe bloß von momentaner Eingebung bestimmt war, jedoch rasch „wieder auf ewig“ (V. 96) verkümmert. Die dadurch in ihr ausgelöste seelische Not spiegelt sich in den erregt herausgeschleuderten Klageversen: „Liebe! Liebe!/Warum öffnetest du sein Herz/auf einen Augenblick?/Und warum nach mir,/Da du wußtest,/Es werde sich wieder auf ewig verschließen?“ (V. 91–96). Erneut ist ihr trotziger Protest direkt an die tyrannischen göttlichen Instanzen gerichtet. Egoistisch führt sie den Gedankengang weiter mit der Frage, warum ausgerechnet „die Tochter der Ceres“ (V. 100) und nicht einfach eine ihrer Nymphen für dieses Liebesopfer ausgewählt wurde („Warum mich …?“, V. 100). Das überhöhte Selbstbewußtsein der verwöhnten Göttertochter steckt demnach tief in ihr. Wie selbstverständlich erwartet sie Hilfe von oben. Um keinen Preis will sie sich abfinden mit der schmerzlichen Fallhöhe ihres Lebensgangs. Deshalb konzentrieren sich ihre Gedanken zunächst einmal auf die göttliche Mutter als der möglichen Helferin. Hinwendung zu Mutter Ceres und zu Vater Jupiter

Der Schutzgöttin Ceres, der Mutter Proserpinas, gilt die mit Abstand längste, sich über zehn Teile erstreckende siebte Sequenz (V. 101–165). Eingeflochten in die ausgedehnte Redepartie ist eine zusätzliche Anrufung Jupiters durch die Entführte (V. 141–165), denn sie gehört ja zu „Jupiters Stamm“ (V. 120). Goethe nutzt diese breiter ausgeführte Partie des Monologs dazu, die in der literarischen Tradition weitläufig berichtete Suche der Ceres nach ihrer Tochter wenigstens in kurzen Erzählpartikeln aufzugreifen. Der Konzentration auf den schwer lastenden Seelensturm Proserpinas im Totenreich tut das keinen Abbruch. Das Ganze bleibt psychologisch stimmig in den Ablauf ihres dramatischen Bewußtseinsstroms eingefügt. Zu Beginn des ersten Teils (V. 101–105) wendet sich die Sprechende ebenso eindringlich wie schon bei der Anrede der Gespielinnen an ihre 62 

Mutter („O Mädchen! Mädchen!“, V. 29 > „O Mutter! Mutter!“, V. 101). Sie betrachtet den Raub durch Pluto als Versündigung an der Gottheit von Ceres („Wie dich deine Gottheit verläßt/Im Verlust deiner Tochter“, V. 102/103); zumal sie, das Opfer, ihrer Jugend wegen, noch nicht einmal die Fülle des Lebens erfahren konnte („Die du glücklich glaubtest,/Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!“, V. 104/105). Im Urteil über den Unernst spielerischer Jugend steckt eine wesentliche Selbsterkenntnis der durch ihr trauriges Schicksal unvermittelt gereiften Proserpina. Sie hat Abstand gewonnen zum bisherigen, bloß „hinspielend, hintändelnd“ verbrachten Leben. Diese Entwicklung ist besonders wichtig im Hinblick auf die Konsequenzen, die sie am Schluß des Monologs zieht. In den beiden folgenden Teilen (V. 106–126) stellt sich die Tochter die verzweifelte Suche ihrer Mutter Ceres vor. Sie führt einige wenige Bilder an, mit denen sie sich völlig in deren Lage hineinversetzt: Die besorgt Anteil nehmende Mutter, die „erbärmlich klagenden … Mädchen“ (V. 116/117), die unermüdliche Suche auf den Spuren Plutos, des „Verruchten“, der es wagte, „Jupiters Stamm“ zu „entweihen“ (V. 119/120). Unversehens geht dabei ihr Sprachgestus vorübergehend in den von ihr imaginierten Sprechakt der Mutter über (V. 118–126). Das steigert die unmittelbare Eindringlichkeit der Aussage beträchtlich: „Durch die Nacht will ich (Ceres) ihn (Pluto) verfolgen!/Will keine Stunde ruhen, bis ich sie (Proserpina) finde,/Will keinen Gang scheuen,/ Hierhin und dorthin“ (V. 123–126). Danach teilt Proserpina sich wieder in eigener Sache mit. Wir erfahren in den drei kurzen Teilen, wie sie das Suchen ihrer göttlichen Mutter in Gedanken nachvollzieht (V. 127–140). Dabei entwirft sie ein plastisches Bild von Ceres, die auf ihrem Gespann mit den geflügelten Drachen durch die „unbewohnte Wüste“ (V. 129) der Unterwelt irrt (V. 127–129). Da sogar die „Ewiglebenden“ (V. 132), die Götter des Olymp, es vermeiden, jene ungute „Tiefe der Nacht“ (V. 131) aufzusuchen, soll die Mutter keinesfalls den Weg hierher nehmen („Ach nur hierher, hierher nicht!“, V. 130). Sogleich stellt die leidgeprüfte Tochter einen Zusammenhang her zu ihrer gegenwärtigen Situation. Sie fühlt sich „ermattet“ vom „beschwerenden Graus“ ihrer Umgebung (V. 133/134). Deswegen rät sie der Mutter, lieber umzukehren und sich ihr Drachengespann mit den „geflügelten Schlangen“ „aufwärts“, in Richtung Olymp zu lenken: „Wende aufwärts,/Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad,/   63

Aufwärts nach Jupiters Wohnung!“ (V. 135–137). Der höchste Gott, ihr allwissender Vater („Der weiß es, Der weiß es allein“, V. 138/139), soll weiterhelfen. Proserpina weiß offenkundig noch nicht, daß Jupiter die Raubaktion Plutos gebilligt hat. Für sie ist der Vater ganz natürlich „der Erhabene“ (V. 139). Noch ist sie deshalb stolz darauf, die Tochter des „Vaters der Götter und Menschen“ (V. 141) zu sein. An diesem Punkt geht der Monolog über zur direkten Anrufung Jupiters (V. 141–145). Allerdings erfolgt die Anrede bereits nicht mehr einfach in hymnischer Verehrung, sondern bezeichnenderweise in der Form unsicheren, dabei jedoch bohrenden Fragens. Aus der Empörung heraus, sich in die Unterwelt verschlagen zu sehen („Wo deine Tochter ist!“, V. 140), wagt Proserpina die im Grund blasphemische Frage: „Ruhst du noch oben auf deinem goldnen Stuhle …?“ (V. 142). Zwar erinnert sie sich der schönen Idylle ihrer Kindheit, als Jupiter sie freundlich aufhob und „scherzend/Gegen den endlosen Himmel“ schwenkte (V. 145/146). Aber diese väterliche Geste liegt zeitlich weit zurück. Zweifelnd muß sich vielmehr die mittlerweile ungewollt zur Gattin Plutos Gewordene fragen: „Bist du’s noch, Vater?“ (V. 148). Der anschließende kurze Teil ist direkter Ausdruck dieser existentiellen Verunsicherung. (V. 149–152). Wiederum bezieht sich ihre Rede auf die Suche der Mutter Ceres. Freilich geschieht das nun in einem äußerst brüchigen, affektgeladenen Satzgefüge. Deshalb muß versucht werden, das fehlende Kausalverhältnis nach Möglichkeit herzustellen. Was aber kommt in der wenig kohärenten, unfertig abreißenden Aussage eigentlich zum Ausdruck? Die verschachtelte Versfolge lautet so: „Nicht zu deinem ( Jupiters) Haupte,/In dem ewigen Blau/Des feuerdurchwebten Himmels,/Hier! Hier! – – „ Proserpina nimmt damit die vorhergegangene Richtungsanweisung zurück. Nicht mehr der Weg „aufwärts“ zu Jupiter „in dem ewigen Blau“ des in ihrer Erinnerung „feuerdurchwebten104 Himmels“ in vollem Sonnenglanz soll eingeschlagen werden, sondern doch wieder der zu ihrem jetzigen Aufenthaltsort in der Unterwelt: „Hier! Hier!“. Wie mit letzter Kraft artikuliert die extrem Verängstigte diese Umorientierung. Im Zuge des Sprechens versagen ihr einfach die Worte. Das gänzliche Verstummen läßt auf ihren psychisch desolaten Zustand schließen. Dennoch enthält diese Verzweiflung immer noch einen letzten Funken Hoffnung. Nach einer die tiefe Niedergeschlagenheit allmählich dämpfenden Pause kann die Geplagte sich mühsam wie64 

der sammeln und mit einer kontrollierten Satzperiode ihren Monolog fortsetzen. In den beiden nächsten Teilen der Rede, mit denen die Sequenz abgeschlossen wird (V. 153–165105), bittet Proserpina Jupiter zunächst darum, Ceres den richtigen Weg zu weisen („Leite sie“, V. 153). Unbedingt will sie durch die Hilfe der Mutter befreit werden, um endlich wieder ins Licht der Sonne und des nächtlichen Mondes treten zu können: „Daß ich auf mit ihr/Aus diesem Kerker fahre!/Daß mir Phöbus wieder/ Seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder/Aus den Silberlocken lächle!“ 106 (V. 153–159). Sich noch dringlicher an den Göttervater wendend („O du hörst mich“, V. 160), schließt die Bittende ihre Anrufung ab (V. 160– 165). Ein letztes Mal appelliert sie an die Fürsorge des „freundlichlieben Vaters“ (V. 161). Suggestiv legt sie ihre ganze Hoffnung in die dreifach durch das Adverb „wieder“ akzentuierte Bitte: „Wirst mich wieder/Wieder aufwärts heben;/Daß, befreit von langer schwerer Plage,/Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze!“ (V. 162–165). Damit endet das in ihrem Innern ausgetragene, an die Eltern gerichtete dringende Ersuchen um Hilfe. Sie fühlt noch einmal momentane Hoffnung. Die dadurch gestärkte Selbstsicherheit gibt ihr, wenigstens vorübergehend, neue Kraft und sogar feste Erwartung. Darum schlägt für einen Moment das Pendel ihres Gefühlssturms nach der positiven Seite aus. „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“

Seelischer Aufschwung Proserpinas bestimmt demzufolge die achte Sequenz (V. 166–178). Sie ist aus einem kurzen und einem längeren Teil zusammengesetzt107. Die ‚für sich‘ Sprechende findet vorübergehend eine sie erhebende Bildfolge erquickender „Hoffnung“ für ihr „verzagtes Herz“. Das heutzutage außer Gebrauch gekommene Verb ‚letzen‘ im Sinne von ‚laben‘ oder ‚erquicken‘108 war in der Goethezeit noch lebendiger Bestandteil der Umgangssprache. Dadurch erst erhält die gefühlvolle Wendung „Letze dich, verzagtes Herz!“ (V. 166) ihre volle Ausdrucksdimension. Durch die zweifach, in kompakten Kurzversen angesprochene „Hoffnung“ 109 („Ach! Hoffnung!/Hoffnung gießt …“, V. 167/168) erscheint das „bedrängte Herz“ 110 hinreichend gekräftigt. Der durch den selben Konsonanten hergestellte Gleichlaut der betonten   65

Stammsilben, eben die Alliteration, wirkt als intensivierendes Bindemittel und schafft so eine besondere Wechselbeziehung zwischen beiden Wörtern, macht sie erst zu poetisch aufgeladenen Worten. Was hierdurch erreicht wird, gibt die dynamisch aufgeladene Metapher „In Sturmnacht Morgenröthe!“ (V. 169) exakt wieder. Sturminferno und nächtliches Dunkel bestimmen atmosphärisch den psychischen Befund tiefster Verzweiflung der aus ihrer bisherigen Idylle herausgerissenen Proserpina. Jetzt aber schimmert vor ihrem geistigen Auge der verklärende Schein einer „Morgenröthe“, die einen neuen, lebensvollen Tag ankündigt. Das zeigt: Ihre Widerstandskraft ist nicht erlahmt. Den erwarteten, alles verändernden Umschlag meint Proserpina wenigstens in ersten Anzeichen ausmachen zu können. In ihrer Einbildung erfahren dabei die dunklen Elemente der Unterwelt im Handumdrehen eine erhellende Verwandlung: „Dieser Boden/Ist nicht Fels, nicht Moos mehr;/Diese Berge/Nicht voll schwarzen Grauses!“ (V. 170–173). Im Zuge ihres verzweifelten Versuchs, das gewohnte Umfeld des zurückliegenden Lebens wiederzufinden, kommt es sogar zu einer Rekonstruktion elementarer Spuren der lebendigen Natur: „Ach hier find’ ich wieder eine Blume!/Dieses welke Blatt,/Es lebt noch,/Harrt noch,/Daß ich seiner mich erfreue!“ (V. 174–178). Mühsam erwächst hieraus eine Vision hoffnungsvoller Zuversicht oder, wie Goethe den Sachverhalt formuliert, „Hoffnung scheint sich zu ihr herabzuneigen“ 111. Doch verrät das „welke Blatt“, auf welch schwacher Grundlage die frohe Erwartung ihrer eingebildeten Regeneration ruht. Dennoch klammert sich die Sprechende an diesen schwachen Hoffnungsschimmer, dem üblen Los einer Schattenkönigin doch noch entrinnen zu können. Wenn gelegentlich von der Handlungsarmut des Monodramas gesprochen wird, so widerlegt die hier zu beobachtende genaue Erfassung feinster psychischer Regungen eine derartig vordergründige Sicht. Auch seelische Vorgänge sind eben infolge der damit verbundenen Auseinandersetzung mit äußeren Geschehnissen Reflexe einer Handlung. Nebenbei ist daran zu erkennen, daß das poetische Exempel des Mythos durchaus mit rationaler Überlegung verbunden sein kann. Jedenfalls gelingt es Goethe hierdurch, die wechselvollen seelischen Transformationen der leidgeprüften jungen Frau genau zu durchleuchten. An keiner Stelle braucht er die Psy-

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chologie seiner Titelheldin narrativ auszubreiten. Ihr gedankliches und gestisches Reagieren ist beredt genug. Der Granatapfel

Daß Proserpina ohnmächtiges Opfer höherer Gewalten ist, zeigt überdeutlich die auf nur vier Verse extrem verkürzte neunte Sequenz (V. 179–182). Goethe selbst hat den dort dargestellten Vorgang folgendermaßen beschrieben: „Die Erscheinung ihrer (Proserpinas) Lieblingsfrucht, ein Granatbaum, versetzt ihren Geist wieder in jene glücklichen Regionen der Oberwelt, die sie verlassen“ 112. Im Text des Monologs wird erst einmal die Überraschung der Sprechenden mit der Frage deutlich gemacht: „Seltsam! Seltsam!/Find’ ich diese Frucht hier?“ (V. 179/180). Verstärkt und vertieft durch die Doppelung des Adjektivs erfahren wir von der verwunderlichen Entdeckung, die Proserpina nun macht. Am Granatbaum wird sie plötzlich ihrer Lieblingsfrucht gewahr. Über Bühnenbild und Bühnenanweisung ist das Publikum von Beginn an darüber informiert, daß dem Granatbaum besondere Bedeutung zukommen muß, weil er als einziges lebendiges Requisit die ansonsten makabre Bühnenszenerie belebt. Nunmehr erfolgt die nötige Information, was es auf sich hat mit dem Granatapfel, dieser eigenartigen Frucht, die Proserpina „in den Gärten droben/Ach, so lieb war –“ (V. 181/182). Der Autor liefert dafür die Erklärung: „Die freundliche Frucht ist ihr ein Vorbote himmlischer Gärten“ 113. Erneut gibt der Gedankenstrich uns ein Zeichen, daß es besonders aufzumerken gilt. Was dann passiert, vermittelt die knappe Bühnenanweisung: „Sie bricht den Granatapfel ab“. Damit bringt Goethe ein uraltes, vielschichtiges naturmythisches Kultsymbol von Liebe, Sexualität, Fruchtbarkeit, Verführung, Leben und Tod ins Spiel. Vorrangig gemeint ist hier von ihm die Bedeutung des Granatapfels „als Symbol der Verführung“ 114. Wir kennen die goldenen Äpfel der Hesperiden. Wir kennen vor allem die biblische Parabel vom Apfel der Versuchung. Sie macht hinreichend deutlich, wie sehr das moralisierende Verbot der die Sinne öffnenden Frucht den oberen Instanzen zupaß kam. Kurzerhand erklärten sie als Machthaber Erkenntnis und natürliches Begehren zum Sündenfall und ahndeten ihn mit der Vertreibung aus dem Paradies. Nicht umsonst ver  67

urteilte Friedrich Nietzsche diese bewußte Täuschung und bezeichnete es als „Aufgabe der Aufklärung“, die entlarvende Überzeugung „ins Volk zu treiben, daß die Priester alle mit schlechtem Gewissen Priester werden“ und „den Fürsten und Staatsmännern ihr ganzes Gebaren zur absichtlichen Lüge“ gemacht wird115. Mit vergleichbarer kritischer Schärfe gebraucht Goethe das Bild vom Apfel der Versuchung. Im Falle von Proserpina ist es hier der Granatapfel, dessen Genuß den Verlust der Jungfräulichkeit symbolisiert116. Allerdings kann von erotischer Verführung im Hinblick auf sie schwerlich gesprochen werden. Zu sehr ist das natürliche Liebesbegehren der jungen Frau mit den Angstattacken des Gewalt­ raubs und mit brutaler Vergewaltigung durch Pluto verbunden. Nur in den mittelalterlich-kirchlichen oder in den grotesk-burlesken Varianten des Stoffes zur Zeit der Renaissance und im Barock mutiert die Gestaltung auf der einen Seite zur Verteufelung der sündigen Proserpina, auf der andern zum Sieg der Liebe mit einer an der Seite Plutos glücklich lebenden Königin des Totenreichs117 Goethe wollte es anders. Einfühlsam stellte er in den Worten der Betroffenen jenen Vorgang dar, der „erste Freude“ zur „Qual“ werden läßt (V. 207). Insofern bilden die beiden folgenden Sequenzen Strophe und Gegenstrophe eines wechselseitig aufeinander zu beziehenden Zusammenhangs. Wunschbild der Liebe

In der zehnten Sequenz (V. 183–197) spielt der Autor unverkennbar auf zwei Manualen. Einerseits entfaltet er vor uns, handlungsimmanent gesehen, den in Proserpina aufkeimenden, natürlichen Wunsch, unbedingt die „freundliche Frucht“ (V. 184) zu genießen, um so an die Freuden ihrer Jugendidylle anknüpfen zu können. Andererseits spiegelt der Text die sehnsüchtig verlautbarte Gefühlsskala erhoffter fraulicher Liebesbeglückung eines sich dem vollen Leben öffnenden jungen Mädchens („Selige Wonne, Die der Entzückten,/Der Schmachtenden ward!“, V. 194–196). Goethe führt damit tiefenpsychologische Erkenntnis in den Text ein. Ohne die von Proserpina erwünschte Zweieinheit Liebender überhaupt anzusprechen, deutet er mit dem Reagieren auf die „freundliche Frucht“ gleichfalls eine geradezu hymnische Bekundung ihrer Liebeserwartung an118. In gleichmäßig rhythmisierten Versen 68 

äußert sie ihr Bedürfnis, Liebe auszudrücken und zu erfahren, das erlittene Ungemach hinter sich zu lassen („Laß mich vergessen/Alle den Harm!“, V. 185/186). Vorwegnehmend malt sie sich aus, wieder Anschluß zu finden an die „vertaumelte/Liebliche Zeit,/In den umduftenden/Himmlischen Blüthen,/In den Gerüchen/Seliger Wonne“ (V. 189/194). Diesem sehnsüchtig erwarteten Genuß will sie sich intensiv fühlend hingeben („Labend! labend!“, V. 197). Der nüchterne Kommentar des Autors zu diesem Gefühlssturm lautet: „Sie kann sich nicht enthalten, von dieser Lieblingsfrucht zu genießen, die sie an alle verlass’ne Freuden erinnert“. Den Inhalt der Antistrophe vorwegnehmend, deutet Goethe jedoch ebenso schon an: „Weh der Getäuschten!“ 119. Denn der durchlebte „Harm“ schließt das düster lauernde Bild der durch Pluto erfolgten gewaltsamen Verführung ein. Das macht die bekundete Hoffnung von vornherein zum Selbstbetrug. Definitiv ist die hier Sprechende eben nicht mehr Kore, sondern Proserpina. Eine scheinbar unverfängliche Bühnenanweisung kündigt zunächst rein sachlich an: „Sie ißt einige Körner“. Tatsächlich bedeutet das jedoch den „Biß des Apfels“ (V. 220). Welche Konsequenzen damit verbunden sind, wird zum Gegenstand der direkt folgenden Antistrophe. „Die Unschuld zu Tode vergiftet“

Die elfte Sequenz (V. 198–216) thematisiert mit der gründlichen Desillusionierung sämtlicher Wunschbilder Proserpinas den alles entscheidenden Umschlag. Durch die Aufhebung ihrer punktuellen Hoffnung führt Goethe gezielt eine verschärfte, um nicht zu sagen zerstörerische Konfliktsituation herbei. Offenkundig ist das, was der ohnmächtigen jungen Frau widerfährt, Betrug am Opfer. Die genußvoll verspeisten Körner lösen „entsetzliche Schmerzen“ (V. 201) aus. Der Autor erklärt dazu: „Was ihr (Proserpina) als Unterpfand der Befreiung erschien, urplötzlich wirkt es als magische Verschreibung, die sie unauflöslich dem Orcus verhaftet. Sie fühlt die plötzliche Entscheidung in ihrem Innersten“ 120 . Wie in der zehnten Sequenz bewegt sich der Text auf zwei Ebenen. Einerseits wird einfach die Leidensgeschichte der Protagonistin monologisch weitergeführt. Andererseits ist indirekt, aber unverblümt die Rede vom trostlosen, rein sexuellen Vorgang ihrer gewaltsamen Deflora  69

tion. Da wurde, auf der Grundlage bestehender Macht, durch Pluto „vom glühenden Hauche der Lust/Die Unschuld zu Tode vergiftet“ 121, wie es zur gleichen Tat etwas zu bildkräftig in Gottfried August Bürgers Ballade von „Des Pfarrers Tochter“ heißt. Weniger pathetisch, jedoch ganz im Fluß des wieder aufgenommenen melodramatischen Klagetons vermittelt der Text Goethes diese, ihrer Doppeldeutigkeit wegen, ausdrucksmäßig besonders schwierige Darstellung des an Proserpina verübten Sexualverbrechens. Dreifach gestuft vollzieht er die monologische Ausgestaltung. Zuerst realisiert die Sprecherin, was mit ihr geschieht: „Wie greift’s auf einmal/ Durch diese Freuden,/Durch diese offne Wonne/Mit entsetzlichen Schmerzen,/Mit eisernen Händen/Der Hölle durch! – – “ (V. 198–203). Was als bloßer Bericht über ein überraschendes Unwohlsein daherkommt, ist gleichzeitig vergegenwärtigendes Bild des mit Brachialgewalt erfahrenen sexuellen Verbrechens. Was gemeinhin als die ‚verlorene Unschuld‘ bezeichnet wird, kommt hier mit elementarer Wucht und mit entlarvender Brutalität zum Ausdruck („erste Freude“, „offne Wonne“ > „Qual“, „entsetzliche Schmerzen“, „Mit eisernen Händen/Der Hölle“). Daraus ergibt sich die begreifliche Frage Proserpinas, warum ihr unschuldigerweise dieses Schicksal aufgezwungen wurde: „Was hab’ ich verbrochen,/ Daß ich genoß?/Ach warum schafft/Die erste Freude hier mir Qual?/ Was ist’s? was ist’s? – “(V. 204–208). Das Unbegreifliche dieser plötzlichen seelischen Vernichtung drückt sie nieder. Goethe legte größten Wert darauf, daß die Interpretin der Rolle darum bemüht sein müsse, „die Gebärden der mannigfachen Übergänge bedeutend auszudrücken“ 122. Es war ihm also wichtig, die verbale Vermittlung der wechselnden psychischen Regungen für das Publikum durch die angemessene mimische Darstellung interagierend zu ergänzen und theatralisch auszuspielen. Unbedingt soll deutlich werden, daß Proserpina sich jetzt als eine Art Ausgesetzte fühlt. Demgegenüber ist die symbolisch wichtige und für eine aktive Rezeption wesentliche Beschreibung der nunmehr endgültig zerschnittenen Verbindung mit der Natur der Oberwelt wieder ganz auf die sprachliche Wiedergabe angewiesen. Die komplexe Seelenbewegung bezieht sich nunmehr ausschließlich auf die „Trauergefilde“ (V. 3) der Unterwelt. Einer der längsten Verse des Monologs umreißt, was dadurch erreicht wird: „Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken“ (V. 209). Die 70 

von Proserpina angestellte Beobachtung verdeutlicht nämlich, wie rasch aus beglückendem Erleben eines wohltuend „labenden“ Naturphänomens, hier des Granatapfels, schlagartig komplette Verzweiflung werden kann. Diese Metapher reproduziert einen desillusionierenden Prozeß. Die metaphorische Denotation macht das Bild der Schattenlandschaft zum Spiegel ihrer Angstneurose. So wie es in der Sprecherin aussieht, stellt sich ihr die Naturkulisse dar. Sie fühlt sich eingeschlossen und niedergedrückt („Ihr Felsen scheint …/Mich fester zu umfassen!/Ihr Wolken tiefer mich zu drücken!“ (V. 209–211). Daß ihre Lage unwiderruflich festgelegt ist, wird ihr nun zur bleibenden Gewißheit. Deswegen lautet ihre deprimierende Folgerung: „Im fernen Schoose des Abgrunds/Dumpfe Gewitter tosend sich … erzeugen“ (V. 213). Angewandt auf ihre Situation bedeutet das: „sie ist die Königin der Schatten“ 123. Sie ist es, und sie bleibt es unwiderruflich. Deshalb muß sie sich eingestehen: „Und ihr weiten Reiche der Parzen (scheint)/Mir zuzurufen:/Du bist unser!“ (V. 214– 216). Unter dem Druck der in ihr tobenden Gedanken und Gefühle ergibt sich die zwingende Einsicht, daß es kein Entrinnen aus dem Verhängnis ihrer beschädigten Existenz gibt. In diesem Augenblick äußerster Erregung und tiefster Depression geht der Monolog in den abgewürgten Schrei einer von den Göttern und der Welt Verlassenen über. Er wird zum Schrei ins Leere. Insgeheim wird dadurch jedoch das Innere Proserpinas zu einem Zentrum des Zorns und des Widerstands. Huldigungsgruß der Parzen an die Königin der Nacht oder Die ewige Verdammnis

Es charakterisiert den steigernden Finalduktus des Textes, daß nunmehr die den Monolog ergänzenden Stimmen der von Proserpina gerade angesprochenen, aber „unsichtbar“ 124 bleibenden Parzen ertönen. Ihr fünfmal chorisch erklingender, zunehmend sich verkürzender und dabei intensivierender „Huldigungsgruß“ 125 an die „hohe Königin!“ 126 wird zum bestimmenden Leitmotiv der Schlußsequenzen. Der Akzent liegt dabei auf der völligen Vereinnahmung (elfmal „unser“). Mit den das Monodrama abschließenden Grußformeln der „Töchter der Nacht“ 127 klingt sogar das Ganze nicht ohne hohnvolle Ironie aus („Unser! unser! Hohe Königin!“). Allerdings entwickelt sich der „Chor der Parzen“ 128   71

nicht zu einem wirklichen Zwiegespräch, erst recht nicht zu einem Rededuell. Es fehlt ebenso die kommentierende Funktion des antiken Chors. Die drei Schicksalsgöttinnen sind hier lediglich „atmosphärische Personen“, die Proserpina „gleichsam als Fluidum … umkleiden“ 129. Sie repräsentieren gewissermaßen die Götterwillkür in ihrer vollen Wucht. Ihre überindividuellen Stimmen bestätigen ergänzend, was die Angesprochene über ihre verzweifelte Situation zum Ausdruck bringt. Im Grunde gehören sie, das Geschehen vertiefend, zur Bühnenstaffage, zumal Goethe für ihre Rezitation eine „melodramatische Behandlung“ vorsah, die „sich zuletzt in Gesang“ auflöst130. Wort und Musik gehen hier ganz ineinander über. Die unsichtbare Präsenz der Parzen ist freilich als orchestriertes Klangbild so bedrückend, daß die Monologisierende dadurch, äußerlich betrachtet, in völlige Passivität gedrängt wird. Die suggestive Gewalt des Chors macht sie in gewisser Weise zum Objekt der gespenstischen Gesamtkulisse. In ihrem Innern jedoch beginnt es gewaltig zu arbeiten. Damit ist die Peripetie des Monodramas erreicht. Unmittelbar nach dem unumkehrbaren Wendepunkt setzt mit dem „Huldigungsgruß“ der Parzen die zwölfte Sequenz (V. 217–221) ein. Was sich Proserpina zunächst nur in der Einbildung vorstellte, wird nun mit genau den gleichen Worten als ihre unabänderliche Wirklichkeit bekräftigt („Du bist unser“, V. 216 und 217131). Die von ihr mit vollem Recht gestellte Frage – „Was hab’ ich verbrochen“, V. 204) – wird durch die Parzen unter Berufung auf Jupiter, den obersten der Götter, beantwortet. Sie verkünden lapidar: „Ist der Rathschluß deines Ahnherrn:/ Nüchtern solltest wiederkehren;/Und der Biß des Apfels macht dich unser!“, V. 218–220). Schopenhauer deutete den „Genuß des Granatapfels“ ganz im mythischen Sinne als reine „Geschlechtsbefriedigung“. Für Pluto kann eine solche sexuelle Befriedigung ohne weiteres angenommen werden, keinesfalls jedoch für Proserpina. Mit den „Früchten der Unterwelt“ ist sie nicht vertraut. Der Biß in den Apfel erfolgte aufgrund ihrer Erfahrungen in der Oberwelt. Sehr wohl bejaht sie von ihrer Sinnlichkeit her den „Willen zum Leben“, aber gewiß nicht die erzwungene „Geschlechtsbefriedigung“ 132. Da im Verhalten der mit Gewalt entführten Nymphe Kore wirklich keine begründete Versündigung gegeben ist, fällt das strafende Urteil automatisch auf die Verursacher und deren vorgebliche göttliche ‚Ordnung‘ zurück. Für die Betroffene kann es angesichts ihrer ungerech72 

ten Verurteilung keinen Zweifel mehr geben, daß sich die Höllenpforten nicht sprengen lassen. Jupiter hat es sich leicht gemacht. Jenseits von Schuld und Sühne – und darin liegt der Unterschied zum biblischen Sündenfall –, einfach aus momentaner Laune heraus, billigt der Göttervater anstandslos die Untat sexueller Gewalt Plutos mit allen Folgen. Der ‚Sündenfall‘ mit dem Granatapfel ist lediglich vorgeschoben. Proserpina hat sich mit dem über sie verhängten Schicksal abzufinden, nunmehr Königin der Unterwelt zu sein. Darum ertönt es im Chor: „Königin, wir ehren dich!“ (V. 221). Für die Betroffene wird das freilich zum Urteilsspruch ewiger Verdammnis. Freilich ist sie nicht gewillt, das einfach hinzunehmen und stellt deshalb weitere Fragen. In ihrem Kern rühren sie an die Grundsätze der vermeintlich göttlichen Weltordnung und der sich daraus ergebenden absurden Willkür einer unmenschlichen Machthierarchie. Damit erwacht sie zu sich selbst und findet so in gereifter Form die beschädigte Identität wieder. Mit vollem Recht betont deshalb Lorraine Byrne Bodley, Goethe zerstöre die traditionelle Lesart von Proserpinas Abdankung. Ihr gehe es vielmehr darum, demonstrativ weibliche Selbstbestimmung herauszustellen133. Sie verweist dabei zurecht auf deren Nähe zur Iphigenie-Figur. Beide Frauen handeln vernunftbestimmt. Für Proserpina bedeutet das: Sie erkennt in ihrer Depression einen tiefen Sinn zu bewußtem Handeln im Sinne eines wahren Mensch-Seins. Das gibt ihr wieder Kraft. Damit gewinnt die zentrale Metapher „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe“ (V. 168/169) neues, qualitativ gesteigertes Gewicht. Sie umreißt den Aktionsraum, der sich nun der ungewollt zur Königin des Totenreichs Gewordenen „in der Sturmnacht“ auftut. Zu belebender „Morgenröthe“ wird ihr die vom angesammelten Widerstandspotential gespeiste opponierende Energie, die sie in ihr erzwungenes Eheleben und in ihre königliche Herrschaft einbringen kann. Anklage Jupiters oder Die emanzipative Selbstbestimmung

Die sie bedrängenden Fragen gibt Proserpina in der dreizehnten Sequenz (V. 222–230) ein letztes Mal unmittelbar an Jupiter, ihren Vater, weiter. Sie will einfach nicht wahr haben, daß der launische Gewittergott eine solche Entscheidung treffen konnte, muß jedoch   73

sogleich die Frage nach dem Grund anfügen („Hast du’s gesprochen, Vater?/Warum? warum?, V. 222/223). Da sie ins Leere spricht, bleibt ihr die ohne ihr Wissen und Zutun beschlossene Strafe unerklärlich. Vorwurfsvoll fragt sie darum weiter: „Was that ich, daß du mich verstößest?/ Warum rufst du mich nicht/Zu deinem lichten Thron auf “ (V. 224–226). In dieser Aussage steckt noch mehr als zuvor die desillusionierende Erfahrung tiefer Ohnmacht wie auch gleichzeitig der verzweifelte Protest gegen eine ‚Ordnung‘, die sich durch die angerichteten Mißstände selbst diskreditiert. Besonders abwegig muß Proserpina die Vertreibung aus dem Paradies erscheinen, weil sie bloß dem natürlichen Bedürfnis nachgegeben hat, „einige Körner“ des Granatapfels zu essen. Das Unverständliche weckt ihre opponierende Selbstbewußtheit. Deswegen wendet sie sich (und mit ihr Goethe!) grundsätzlich gegen die von oben verfügte Verhinderung emanzipativer Selbstbestimmung. So erweist sich der „Apfel“ als symbolisch-archetypisches, bildhaftes Zentrum des Monodramas. Er bedeutet Versuchung, bringt aber auch Erkenntnis. Entschieden wird also der Sündenfall als Strafmechanismus in Zweifel gezogen („Warum den Apfel?/O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön,/Wenn sie verdammen?“, V. 227–230). Das bedeutet letzten Endes nichts anderes als die endgültige Absage an die ungerechte Scheinordnung der Götter. Proserpina weiß, daß sie nur noch auf sich selbst zählen kann. Ihren Konflikt muß sie im eigenen Innern austragen. Der Monolog wird damit zum Prozeß einer schmerzlichen Selbsterkenntnis, freilich auch zum Ferment des reflektierten Mündigwerdens durch bewußtes humanes Handeln im Zeichen der Selbstvergessenheit. Sie denkt nun über sich hinaus. Kommunikativ betrachtet ist ihr monologisches Sprechen an dieser Stelle besonders deutlich auf das Publikum bezogen. Die Zuschauer sollen daraus die notwendigen Konsequenzen für ihr eigenes Lebensprogramm im Sinne wahren Mensch-Seins ziehen können. „… dem Orcus verhaftet“

Die aus nur vier Versen bestehende vierzehnte Sequenz gehört dann wieder den Parzen. In dem für das makabre Trio charakteristischen monotonen Singsang verkünden sie in weihevollen Tönen die erfolgte Inbesitz74 

nahme Proserpinas als ihre „Königin“: „Bist nun unser!/Warum trauerst du?/Sieh, wir ehren dich,/Unsre Königin!“, V. 231–234). Offenkundig liegt dieser bindenden Feststellung eine bereits vollendete Tatsache zugrunde, an der sich nicht rütteln läßt. An den zwingenden Worten der „Töchter der Nacht“ geht der vom Schicksal geschlagenen Frau auf, was ihr bevorsteht. Ihr bleibendes Schicksal ist es, über das Totenreich zu herrschen. Im Grunde könnte sie darum eigentlich nur mit Shakespeares Prospero sagen: „And my ending is dispair“ 134. Die stereotype Sprachfigur der Parzen zeugt für einen dunklen Bann, unter dem Proserpina von nun an steht. Nicht ohne Grund spricht Goethe von einer „magischen Verschreibung, die sie unauflöslich dem Orcus verhaftet“ 135. Zwischen der ihr zugesprochenen Würde einer allseits verehrten Königin und dem tatsächlichen tiefen Fall in eine alles andere als majestätische Gefangenschaft klafft ein grotesker Widerspruch. Sich derart eingekerkert fühlen zu müssen, provoziert den inneren Widerstand der unschuldig Verurteilten. Das dramaturgische Gewicht der chorischen Bekundungen aus dem Mund der Schicksalsgöttinnen besteht darin, die heftige Reaktion der Betroffenen zu intensivieren. Der drohende, scheinbar unterwürfige Wiederholungscharakter dieser Parzenlitanei bestärkt Widerstand und Ablehnung der Angesprochenen noch mehr, zumal sie dauernd hören muß: „Bist nun unser! … Unsre Königin!“. Eine, die für immer ihr Glück verloren hat, kann darauf nur resignierend oder revoltierend reagieren. Proserpina entscheidet sich am Ende für Letzteres. Zorn und Wut Proserpinas

Der beißende Haß der Enttäuschten entlädt sich dann in der fünfzehnten Sequenz (V. 235–247). In zwei eng aufeinander bezogenen Teilen136 läßt Proserpina ihrem Zorn freien Lauf. Eine direkt auf die Parzen gemünzte Tirade böser Verwünschungen bildet den Auftakt (V. 235– 242). Die besondere Intensität ihrer affektgeladenen Ablehnung ergibt sich aus der paradoxen Zwangslage, die Töchter des Reiches der Nacht nicht einmal dorthin wünschen zu können, wo sie bereits zu Hause sind. Mehr noch: nicht zu vermögen, ihnen den alles versengenden Feuerstrom der Unterwelt, den Cocytus, als Badeort zuzudenken, weil sie

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gewohnt sind, sich darin zu baden. Mit eindringlicher Schärfe trägt die Alleingelassene ihr böses, leider von vornherein nicht realisierbares Wunschbild vor: „O wäre der Tartarus (Orkus) nicht eure Wohnung,/ Daß ich euch hin verwünschen könnte!/O wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad,/Daß ich für euch/Noch Flammen übrig hätte“ (V. 235–239). Ein solches Maß an Vergeblichkeit vergrößert naturgemäß Trauer und Wut über ihr definitiv besiegeltes Los. Es macht sie rasend, Königin zu sein, ohne ihre Wünsche erfüllen zu können („Ich Königin,/Und kann euch nicht vernichten!“, V. 240/241). So bleibt ihr nur zu sagen: „In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! –“ (V. 242). Damit klingt die Kernaussage des Schlusses an: – „ewiger Haß“. Der Gedankenstrich setzt deshalb einen unterstreichenden Akut137. In der Tat spricht sich da unauslöschlicher Haß aus. Er entspringt jener grenzenlosen Enttäuschung, wie sie diejenige überkommt, die, ihrer Freiheit beraubt, vom Licht in ewiges Dunkel fällt. Wie weit Proserpina ihrem bisherigen Leben entfremdet ist, zeigt der zweite Teil dieser Sequenz (V. 243–247). Unversehens schlägt ihre natürliche Lebenssehnsucht in momentane Lebensflucht um. Voll Trauer und Empörung findet sie sich mit der Absurdität ihres „elenden Schicksals“ ab und überläßt für einen Augenblick sogar die widerwärtigen Torturmechanismen des Hades ihrem verheerenden Lauf. Was zuvor ihre scharfe Ablehnung fand, wie das in der vierten Sequenz erwähnte vergebliche Wasserschöpfen der Danaiden, scheint nun fatalistisch hingenommen zu werden. Offenbar sollen die Parzen ruhig weiter ihre Schicksalsfäden spinnen, die Furien nach Belieben wüten. Dabei demonstriert ihr Reagieren lediglich, daß all dies nicht Teil eines Lebens ist, wie sie es sich vorstellt. Deswegen kommt sie in ihrer Verzweiflung zu dem vernichtenden, auch selbstvernichtenden Ergebnis: „So schöpfet, Danaiden!/Spinnt, Parzen! wüthet Furien!/In ewig gleich elendem Schicksal“ (V. 243–245). Wider Willen sieht sie sich hineingezogen in den ewigen Lauf einer menschenunwürdigen Geschichte, noch dazu als ohnmächtige Königin des Totenreichs. Sie kommentiert das, an die Parzen gewandt, fast sachlich-distanziert folgendermaßen: „Ich beherrsche euch,/Und bin darum elender als ihr alle“ (V. 246/247). Offensichtlich hat sie den absoluten Tiefpunkt ihres Lebens erreicht, der bestimmt ist von Einsamkeit und Entfremdung. Indes stachelt das auch wiederum ihren Oppositionsgeist an. 76 

„Du bist unser“, singen die Parzen

Wie blanker Hohn muß deswegen die erneute Huldigung der Parzen in der kurzen sechzehnten Sequenz (V. 248–251) auf Proserpina wirken. Was sie zu hören bekommt, sind die gewohnten Floskeln von Zugehörigkeit und Ehrerbietung: „Du bist unser!/Wir neigen uns dir!/Bist unser! unser!/Hohe Königin“. Derartige Inbesitznahme lehnt sie rundheraus ab. Unbedingt arbeitet sie nach dieser unausweichlichen Vereinnahmung (dreimal „unser“) auf eine radikale Entzweiung hin. Damit tritt sie aus der entfremdenden Verzweiflung heraus. Haß auf Pluto, den Vergewaltiger

Dieser Schritt wird vollzogen in der siebzehnten Sequenz (V. 252–257). Insofern haben die beiden ersten Verse ausgesprochenen Schlüsselcharakter für das ganze Stück. Denn was Proserpina hier verlauten läßt, ist die völlige Trennung von ihrer ganzen Umgebung: „Fern! weg von mir/ Sei eure Treu’ und eure Herrlichkeit“ (V. 252/253). Auf die Ergebenheit der Untertanen („Treu’“) und die ihr laufend zugesprochene Würde einer Königin („Herrlichkeit“) fällt sie nicht herein. Sie weiß inzwischen, was von solcher „Treu’“ und „Herrlichkeit“ zu halten ist. Ihre bitter ironische Lossage von dem sie umgebenden unentrinnbaren System des Unrechts, der Täuschung und der Gewalt unterstreicht sie noch gezielt mit der offensiven Äußerung: „Wie hass’ ich euch!“ (V. 254). Damit ist der Bruch herbeigeführt. Das Drama geht seinem Ende zu. Alle Illusionen werden zurückgelassen. Formal kommt der jetzt erreichte psychische Zustand zwischen Verzweiflung und Rebellion zu angemessenem Ausdruck, indem die Textbewegung in zunehmende Beschleunigung und Verkürzung überführt wird. Hektisch treiben die wenigen Schlußsequenzen auf den abschließenden Höhepunkt des Monodramas zu. Proserpinas demonstrative Anklage richtet sich sodann direkt an den hauptsächlichen Verursacher der ihr zugefügten Schrecken und Qualen, an Pluto, den räuberischen Entführer und skrupellosen Vergewaltiger. Sein bevorstehendes Erscheinen, das sich durch die bedrückende Anwesenheit der Parzen ankündigt, flößt der mißbrauchten, unterdrückten

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Frau verständlicherweise schmerzendes Grauen ein. Die schwer lastenden Bilder ihrer Zwangsverheiratung und ihrer Erniedrigung zum Lustobjekt steigen in ihr auf. Deshalb konzentriert sich ihr Zorn nun ganz auf den ihr verhaßten Ehemann: „Und dich, wie zehnfach hass’ ich dich –/ Weh mir! ich fühle schon/Die verhaßten Umarmungen!“ (V. 255–257). Die wenigen Worte genügen, um vielsagend anzudeuten, welch grausame Pein ihr die Zwangsehe bereitet. Die Erwartungen des Reizes der Liebe in den Tagen, da sie noch „heimlich an den Jüngling dachte/dessen Haupt (ihr) Herz (Kränze) widmete“ (V. 20/21), sind der gedemütigten jungen Frau gründlich ausgetrieben worden. Im Totenreich hat sich die ersehnte Harmonie ihrer Jugendträume in das absolute Gegenteil verkehrt. Wut und Trauer im Kopf denkt sie sich jetzt in die hassenswerte Rolle einer Königin der Unterwelt hinein, die ihren ungeliebten Gemahl erwarten muß. In permanentem Protest gegen das ihr auferlegte Los wird sie in Selbstvergessenheit weiterleben und als Opponentin handeln. „Unsre Königin“, singen die Parzen

Eine radikal ausgenüchterte Unterbrechung in Gestalt der wiederholten Huldigungsrufe der Parzen auf ihre Königin („Unser! Unsre Königin!“, V. 258) läßt Proserpina gar nicht mehr an ihr Bewußtsein dringen. Die mechanisch vorgebrachten Formelworte der Besitzergreifung erinnern lediglich für das Publikum an die unausweichliche Verlorenheit der so schmählich Geopferten. Willentlich überhört die erregte Proserpina die ihr lästige Huldigung. Von einer zum Handlungsablauf des Monologs gehörenden Sequenz kann hier kaum noch die Rede sein. Dennoch muß man den auf drei Wörter reduzierten Vers als achtzehnte Sprecheinheit innerhalb der Textkomposition ansehen. Es ist nämlich für das inhaltliche Verständnis bedeutsam, darauf gestoßen zu werden, daß die Angesprochene überhaupt nicht mehr auf die Parzen hört, sondern einfach die in Gedanken vorweggenommene Anrede ihres Gatten weiterführt. Wirkungsmächtig durchdringt allerdings der Widerhall der klanglich abgehobenen Parzenlitanei den trostlosen Raum der Unterwelt. Er soll im Bewußtsein des Publikums nachhallen.

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Haß auf Pluto, „Abscheu und Gemahl“

Mit der neunzehnten Sequenz (V. 259–270) geht der Monolog Proserpinas zu Ende. Ihr Schlußwort gilt ausschließlich dem verhaßten Entführer. Ihn nimmt sie sich vor und kennt dabei nicht den geringsten Anflug von Nachsicht. Was sie ihm zu sagen hat, bedarf seiner Anwesenheit nicht. Es muß einfach für sie selbst gesagt werden. Ihre ganze Abneigung und Rachsucht geht in die wenigen Worte ein: „Wie hass’ ich dich/Abscheu und Gemahl“ (V. 264/265). An die „verhaßten Umarmungen“ (V. 257) anknüpfend, fährt sie direkt fragend fort: „Warum reckst du sie (die Arme) nach mir?“ (V. 259). Deutlicher kann eine Zurückweisung nicht ausfallen. Vorwurfsvoll erinnert sie Pluto an seine Untat und bedeutet ihm, daß er besser daran täte, sich um die Opfer seiner Höllenqualen zu kümmern. Deshalb verweist sie ihn auf den Avernus, jenen den Göttern der Unterwelt geweihten Kratersee in Campanien, der seit Vergil als Eingang zur Hölle angesehen wurde („Recke sie nach dem Avernus!“, V. 260). Dort soll Pluto sich den „aus stygischen Nächten“ 138 erwachsenen „Qualen“ (V. 261) stellen, und dort soll er mit seinen peinvollen Machenschaften herrschen, nicht aber über ihre Liebe („Sie steigen deinem Wink entgegen,/Nicht meine Liebe“ (V. 262/263). Mit geradezu flammenden Worten ersucht sie den ungeliebten Mann, sie mit seiner Nähe zu verschonen und ihr lieber das himmelschreiende Schicksal der zur Höllenqual Verdammten zu gewähren: „O Pluto! Pluto!/Gib mir das Schicksal deiner Verdammten!/Nenn’ es nicht Liebe! –/Wirf mich mit diesen Armen/In die zerstörende Qual“ (V. 266–270). Daß sie damit ein sinnzerstörendes tragisches Ende der ehelichen Bindung mit dem Gott der Unterwelt vorzöge, spricht Bände. Indes bleibt es bei diesem Wunschbild. Denn Pluto steht, metaphorisch ausgedrückt, schon vor der Tür. Unwissentlich hat sie der Biß in den Apfel der Unterwelt verschrieben. Aus der schmerzlichen tiefenpsychologischen Erfahrung resultiert immerhin auch erkennendes Begreifen der Zusammenhänge. Unausgesprochen setzt deshalb nun ein anderer Monolog Proserpinas ein. Sie wird sich nicht länger ihrem Leidenspathos hingeben, sondern versuchen, sich selbst zu gestalten. Vom Thron des Totenreichs herab wird künftig ihr permanenter Einspruch gegen die düsteren Geschehnisse im „Trauergefilde“ erfolgen. Es ist also keineswegs etwa so wie Ingrid Strohschneider-Kohrs annimmt, „daß Proserpina nicht willent  79

lich, nicht bewußt oder absichtlich, nicht also selbst etwas ‚entscheidet‘, sondern daß ein gleichsam anonymes, außerbewußtes Geschehen in ihrem ‚Innersten‘ fühlbar wird“ 139. Ganz im Gegenteil ist unter den gegebenen Umständen die Annahme der Königinnenwürde Ausfluß ihrer überlegten Willensentscheidung, ist selbstbewußtes Reagieren auf die im Zeichen von Machtwillkür, Verrat, Gewalt und Todesverfallenheit gemachten Erfahrungen. Wie die vielen Leidensgenossen unterzugehen in der „zerstörerischen Qual“ (V. 270), wäre zwar ihr Wunsch. Sie weiß jedoch, daß sie weiterleben muß und stellt sich, Zeichen gewonnener sozialer Intelligenz, selbstvergessen und verantwortungsbewußt der Aufgabe immerwährenden Protests. An der Seite Plutos thront von nun an eine unbeugsame Opponentin gegen sein unmenschliches Strafsystem aus Leiden und Qual. Und ewig singen die Parzen

Darum geht Goethes eigenwillige, poetisch selbständige Gestaltung des alten Themas in der Endfassung nicht mit Proserpinas Wunsch nach Verdammung zu Ende. Bemerkenswerterweise gibt er das letzte Wort den Parzen. Das will bedacht sein. Denn fraglos bestätigt das die Fortdauer ihrer Huldigung. „Unser! unser! hohe Königin!“ (V. 271), ertönt es ein weiteres Mal. Und gerade dieser einzige Vers bildet die letzte, die zwanzigste Sequenz. Sie setzt den wahren Schlußakzent. Da jedoch hierdurch die ewig dauernde Haß-Zweisamkeit mit Pluto abschließend bekräftigt wird, muß man gerade darin die Wirkungsabsicht des Autors sehen. Und tatsächlich kommentierte Goethe 1815 die Schlußpartie des Dramas im Blick auf die Protagonistin folgendermaßen: „Angst, Verzweiflung, der Huldigungsgruß der Parzen, alles steigert sie wieder in den Zustand der Königin, den sie abgelegt glaubte: sie ist die Königin der Schatten, unwiderruflich ist sie es; sie ist die Gattin des Verhaßten, nicht in Liebe, in ewigem Haß mit ihm verbunden. Und in dieser Gesinnung nimmt sie von seinem Throne den unwilligen Besitz“ 140. Einerseits klärt diese Schlußsequenz das über Proserpina verhängte ungerechte Los. Andererseits entwickelt die in vielfacher Hinsicht physisch und psychisch mißbrauchte und vergewaltigte Frau, im Unterschied zu der mit Vers 270 endenden Prosafassung, aus ihrem tiefsten Elend heraus nun80 

mehr mutig und entschlossen eine widerstehende, trotzig protestierende Gegenkraft. Gewaltsam aus dem Stande der Unschuld gerissen, hat sie in kurzer Zeit die Lektion der menschlichen Lebenszusammenhänge erlernt. So erklärt sich ihr weiteres Reagieren. Aus guten Gründen widmete Goethe bei der szenischen Einrichtung seines Dramas für die Bühne der Gestaltung des Schlusses besondere Aufmerksamkeit. Mit Nachdruck hielt er im einschlägigen Aufsatz von 1815 zum „unbewegten Tableau“ vor dem Fallen des Vorhangs fest: „Indem nämlich Proserpina in der wiederholten Huldigung der Parzen ihr unwiderrufliches Schicksal erkennt und, die Annäherung ihres Gemahls ahnend, unter den heftigsten Gebärden in Verwünschungen ausbricht, eröffnet sich der Hintergrund, wo man das Schattenreich erblickt, erstarrt zum Gemählde und auch sie die Königin zugleich erstarrend als Theil des Bildes“ 141. Unzweideutig besagt das die Übernahme der Rolle einer ständigen Opponentin im Schattenreich. Eine Kapitulation ist das gewiß nicht, eher schon eine riskante Geste überzeugender, das Ich überwindender Menschlichkeit. Goethe gab damit dem Proserpina-Thema eine völlig neue, poetisch selbständige Ausrichtung. Im Erstarren der Sprechenden „als Theil des Bildes“ steckt unverkennbarer Wille zum Weitermachen. Nach den durchlebten Erfahrungen kann das nur bedeuten, daß die Königin des Totenreichs der dort herrschenden „zerstörenden Qual“ (V. 270) mit aller Kraft entgegenwirken wird. Auf diese Weise hat auch die Mythe von der saisonalen Wiederkehr Proserpinas im protestierenden Fortwirken wenigstens stellvertretend Eingang in das Monodrama Goethes gefunden.

Auswertende Bemerkungen Die ewige Bindung Proserpinas an Pluto ist nicht etwa gleichzusetzen mit der letztlich positiv gedachten ‚Annahme des Absurden‘ im Sinne von Albert Camus142, sondern spürbar widerständige Reaktion auf die durchschaute prekäre, widersprüchliche Lebenssituation abgrundtiefer Zerrissenheit. Sonst wäre da als Lösung wirklich allein die resignierende tragische Selbstaufgabe. Es gibt aber – und das macht Proserpina sich zu eigen – jenen wissenden Haß stoisch revoltierender Selbstbewahrung.

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Hierfür gilt das tiefe Wort des Philosophen Ernst Bloch von der „geprüften Hoffnung“: „Wer mündig wird, läßt nicht mehr über sich verfügen“ 143. Obwohl sie keine neuen Ufer, sondern allenthalben nur Grenzen sehen muß, ist es Proserpina dadurch möglich, die tragische Lösung zu einem selbstvergessen, aber zugleich selbstermächtigten und somit produktiv geführten Leben umzupolen. Jedenfalls gewinnt sie, zu unbeugsamem Verstand gebracht, daraus Sicherheit und Gelöstheit für eine human vertretbare Selbstgestaltung ihres weiteren Fortkommens. Mag ihr Leben, äußerlich betrachtet, gescheitert sein, in ihrem Innern leuchtet jedoch nun die Flamme zwingender Beharrungskraft und unerschütterlichempörerischen Gleichmuts. Sie irrt am Ende nicht mehr hilflos und abhängig durch die Landschaft des Todes. Ebenso läßt sie sich nicht mehr von der Vergangenheit binden, erst recht nicht von der verfinsterten Gegenwart. Ihr „finaler Lebensmut“ 144, um noch einen naheliegenden Begriff Blochs aufzunehmen, erlaubt es ihr jetzt sogar, vom „Throne“ des Totenreichs „unwilligen Besitz“ zu nehmen; was heißen soll: von dem gefundenen Lebenskern her auf menschlich überzeugende Art den ihr zugemuteten Alltag zu bestreiten und der tückischen Herrschaft des Zufalls und der Gewalt zu trotzen. Mit der Übernahme der Würde einen Königin im Reiche Plutos widerspricht sie der gesetzten Scheinordnung. Damit bekundet sie, neben gründlicher Einsicht in die der Realität entspringende gesellschaftliche Phantasie, einen durchaus ethisch zu nennenden Willen zum Leben in einer vom Belieben der Götter und Tyrannen befreiten Gesellschaft. Selbstvergessenheit und Selbsterweiterung bilden die unerläßliche Voraussetzung dafür. Allerdings muß eingeräumt werden, daß diese, den tragischen Charakter des Stückes umakzentuierende Interpretation in erster Linie durch den Zusatz von V. 271 und den Kommentar Goethes aus dem Jahr 1815 gestützt wird. Der Wortlaut des Textes von 1777 kann zunächst einmal eher nahelegen, einen elegisch-tragischen, ja apokalyptischen Ausgang im Zeichen des Todes anzunehmen. Indes deutet der im Monolog durchweg mitschwingende gesellschaftlich-politische Gehalt darauf hin, im Sturz Proserpinas aus göttlich-privilegierter Höhe eine radikal kritische Parabel produktiver innerer Umkehr zu sehen. Die fortdauernde Haß-Ehe mit Pluto erlaubt es ihr immerhin, aus sich heraus konsequent gegen die von ihr so beklemmend erfahrene Macht der destruktiven, inhumanen Kräfte anzugehen. Das ist das produktive 82 

Ergebnis ihrer überstürzten, extrem negativen Sozialisation. In dieser Hinsicht erweist sich, und das kann nicht genug hervorgehoben werden, das Monodrama um Proserpina als ein Beispiel für Goethes Beitrag zur „Ursprungsgeschichte der modernen Welt“ 145. Dadurch erst wird die den Reflexionsmonolog weithin dominierende Ich-Verlassenheit eine Botschaft innerer Wandlung der Protagonistin zu beispielhafter individueller Bestätigung, die das Tragische hinter sich lassen kann. Diese substantiell gesteigerte Haltung bedeutet zugleich den Protest gegen jegliche Gewalt in der Gesellschaft. Insofern ist sie Antrieb zur Freisetzung des Individuums. Noch in ihrer völlig hoffnungslos klingenden Schlußforderung wirkt unüberhörbar ihr früher geäußertes Wort von einer möglichen humanen Verwirklichung jenseits der Abgeschiedenheit fort. Es lautet: „Hoffnung gießt/In Sturmnacht Morgenröthe!“ (V. 168/169). Hinter der Todessehnsucht bricht demzufolge der ihr gleichfalls eigene Lebenswille gestärkt hervor. Ihr mühsam gefundenes Selbst wird sie nun zu leben versuchen. Dergestalt erwächst in einem schmerzhaft befreienden Vorgang aus der potentiellen Tragödie die streitbare Hinnahme des Lebens auf der Grundlage sittlicher Entschlossenheit. Deswegen ist es falsch und irreführend, wenn Proserpina vom Schlußwort her einfach als eine schwache, sich ihrem Schicksal ergebende, verzweifelte Frau gesehen wird. Gänzlich unangemessen muß darum die Einstufung eines Journalisten erscheinen, der – ohne jedes Sensorium – unlängst Proserpina kurzerhand als „ein nervensägendes Unglückshuhn“ bezeichnete146. Bei derart unangemessener Sicht wird völlig übersehen, daß die innere Entwicklung der Titelfigur des Monodramas nur scheinbar schicksalhaft ausläuft. Im Gegensatz etwa zum Werther-Roman endet das Stück eben nicht mit einem Selbstmord, sondern mit der Bestätigung als Königin des Totenreichs. Was sie an äußerer Kraft verloren hat, gewinnt sie an innerer Stärke. Das bedeutet letztlich eine vehemente Selbstbehauptung im Sinne von Goethes Maxime: „Es gibt keine Lage, die man nicht veredlen könnte durch Leisten oder Dulden“ 147. Proserpina veredelt entschieden durch Leisten. Dulden ist ihre Sache nicht. Angesichts einer von ihr erkannten totalitären Sachlage wird sie nicht weiter ihre Misere hinausschreien, sondern in neuer Bewußtheit gezielt eingreifen. Die so schlimm Verletzte wird unverletzlich. Ihr durch die äußeren Umstände unterdrücktes Ich überschreitet sein selbstbezogenes Dasein und wird mit neuer, unbekannter Energie   83

mitmenschlich aktiviert. Es ist der nicht mehr erwartete Sieg des Lebens. Die gewonnene Kraft setzt eine Metamorphose voraus, die von nun an im Zentrum des Geschehens von ihr opponierend zur Wirkung gebracht wird. Die Tatsache ihres Weiterlebens unter dem Anspruch der Selbstachtung muß demzufolge unbedingt mitbedacht werden. Das erwähnte Unverständnis des Journalisten erklärt freilich bis zu einem gewissen Grad die geringe Aufmerksamkeit, die das Monodrama beim landläufigen Publikum und auch bei der Leserschaft gefunden hat. Man sah darin nur tragischen Abschied. Goethes komplexe Wirkungsabsicht läßt sich eben nicht immer auf den ersten Blick ausmachen. Ohne mitdenkende Zuschauer oder Leser geht der Text unweigerlich ins Leere.

Ausbleibende Rezeption Außer den beiden Liebhaberaufführungen für den Weimarer Hof im mißlich-parodistischen Rahmen der Burleske „Triumph der Empfindsamkeit“ am Jahresbeginn 1778 und der eigentlichen Uraufführung als selbständiges Monodrama 1779 im Schloß Ettersburg, jeweils mit der Musik des Freiherrn von Seckendorff, erfolgte keine weitere Inszenierung der Prosafassung. Offenbar kam es 1780 zu einer in München realisierten Aufführung von Goethes Text in der Vertonung durch einen gewissen Moosmayer d. J.; jedoch gibt es darüber keine weiteren Hinweise148. Auch die von Krämer erwähnte Aufführung der Oper „Il ratto di Proserpina“ mit der Musik von Peter von Winter 1804 in London hat mit Goethe wenig bis nichts zu tun, weil das Libretto von dem Vielschreiber Lorenzo Da Ponte stammt149. So gut wie vergessen war deshalb das Monodrama, als es Goethe 1814, diesmal mit der Musik von Carl Eberwein und selbstverständlich in der Versfassung, noch einmal auf die Bühne brachte. Alles deutet darauf hin, daß er große Erwartungen in diese Neuaufführung setzte. Nicht ohne Grund schrieb er dem Freunde Zelter: „Meine ‚Proserpina‘ habe ich zum Träger von allem gemacht, was die neuere Zeit an Kunst und Kunststücken gefunden und begünstigt hat“ 150. Sein längerer Aufsatz mit genauen praktischen Hinweisen zur szenischen Ausgestaltung war eigentlich „für Directionen geschrieben, welche die Partitur dieses Stücks verlangt haben oder verlangen könnten“ 151. Indes blieb die erwartete 84 

Resonanz aus. Ungeachtet seiner dringend geäußerten Hoffnung, die, fehlender Mittel wegen, „auf dem Weimarischen Theater mehr angedeutete als ausgeführte Idee“ seines Monodramas auf „größeren Bühnen“ angemessener in Szene gesetzt zu sehen152, kam es lange Zeit zu keiner weiteren Aufführung. Es ist nicht übertrieben festzustellen, daß der Proserpina-Monolog Goethes fast zwei Jahrhunderte von den Brettern der Bühnen verbannt blieb. Auch in Leserkreisen fand das Melodrama, wie gesagt, eher nur spärliche Resonanz. Bereits Herder kritisierte 1803 am Monodrama generell, es sei „ein Mischspiel, das sich nicht mischt, ein Tanz, dem die Musik hintennach, eine Rede, der die Töne spähend auf die Ferse treten“ 153. Ihn störte demzufolge die von Goethe gerade angestrebte gattungsmäßige Öffnung hin zu einem die Künste verbindenden Gesamtkunstwerk. Positiv reagierte dagegen Arthur Schopenhauer auf den Text. Besonders an der Sequenz mit dem Genuß des Granatapfels lobte er 1819, also nur wenige Jahre nach der Wiederaufführung, ausdrücklich „Goethes unvergleichliche Darstellung dieses Mythos“. Völlig zurecht erkannte er im Monodrama „die Bejahung des Willens zum Leben“. Wie bereits erwähnt sah er darin, wenngleich mit vereinseitigender Verallgemeinerung, die poetische Bestätigung seiner Grundüberzeugung von der „Geschlechtsbefriedigung als der Bejahung des Willens zum Leben über das individuelle Leben hinaus“ 154. Diese sexuell akzentuierte Deutung wirkte sogar fort bis hin zu Thomas Manns 1924 erschienenem Roman „Der Zauberberg“. Dort stellt Settembrini dem mythologisch wenig bewanderten Hans Castorp im Blick auf die mit Madame Chauchat verbrachte Nacht, die ironische Frage: „Nun, Ingenieur, wie hat der Granatapfel gemundet?“. Er belehrt ihn dann noch mit der Bemerkung: „Götter und Sterbliche haben zuweilen das Schattenreich besucht und den Rückweg gefunden. Aber die Unterirdischen wissen, daß, wer von den Früchten ihres Reiches kostet, ihnen verfallen bleibt“ 155. Allerdings hat das nur bedingt zu tun mit Goethes Wirkungsabsichten im Proserpina-Monolog. Sein Anliegen war grundsätzlicher Natur. Es läßt sich nicht auf die durchaus vorhandenen sexuellen Implikationen reduzieren. Unrecht, Raub, Zwangsheirat und Vergewaltigung der Titelfigur interessierten ihn vorrangig als Indizien der herrschenden lügnerischen Scheinordnung. Im Grunde stand er somit geistig eher der Fundamentalkritik nahe, für die Samuel Beckett in einem Gedicht aus den Jahren kurz vor dem Aus  85

bruch des Zweiten Weltkriegs ein tiefes Bild gefunden hat: „Proserpina … anbetungswürdig vor zweifelhafter Leere“ 156. Frei übersetzt besagt das: „In ihrem Wissen um Ambivalenz und Abgründe des Lebens findet Proserpina die überzeugende Gegenposition“. Darin liegt auch der eigentliche Sinn von Goethes irritierender Deutung des Mythos. Weit entfernt von jeglicher Harmonisierung, geht von ihr keinerlei Trost aus. Allein die härteste Widerstandskraft des Humanen vermag ihr zu entsprechen. Selten hat der Autor sich auf solch unsicheres Gelände für die menschliche Orientierung vorgewagt. Er interpretierte das mythische Bild symbolträchtig im Sinne einer ungesicherten, aber selbstbewußt-unabhängigen Gestaltung des Lebens. Weil das alles andere als eine leichte Aufgabe ist, kann in dieser Variante ein weiterer, vielleicht sogar der wahre Grund für die ausgebliebene Rezeption des Monologs vermutet werden. Darum erbringt es auch nichts, dem vereinzelt geäußerten Hinweis nachzugehen, der Text Goethes habe das 1933 entstandene dreiteilige Monodrama „Persephone“ von André Gide beeinflußt, das 1934 Igor Strawinsky seinem „Persephone“-Ballett157 zu Grunde legte. Gide, der sich zwar immer zu Goethe als seinem wichtigsten Anreger bekannte, ging in diesem Fall direkt von Homers Bericht aus. Seine Fassung hat mit Goethes wesentlich anders akzentuierender, in die Zukunft ausgreifender und originell zugespitzter Deutung des mythischen Stoffes nichts gemein. Thematisch und formal war der deutsche Vorläufer wirklich „auf dem Weg zum Universaltheater“ (Tina Hartmann158), wie er es dann im zweiten Teil der „Faust“-Dichtung zu exemplarischer Vollendung führte.

Wiedergeburt von Goethes „Proserpina“ durch die Oper von Wolfgang Rihm? Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man konstatiert, daß Goethes Monodrama bis vor kurzem wie in einem künstlichen Koma dahinvegetierte. Das mag bis zu einem gewissen Grad dem gedankenschwer zelebrierten Seelenausdruck geschuldet sein, der als emotional aufgeladener Monologtext mit seiner pathosgeladenen Sprachmelodie förmlich zu musikalischer Ergänzung drängt. Daraus ist freilich zu Lebzeiten Goethes nicht viel Überzeugendes geworden. Über die Vertonung der Erstfassung 86 

Abb. 19: Der Komponist Wolfgang Rihm

durch Siegmund Freiherr von Seckendorff gibt es lediglich die konträren zeitgenössischen Stimmen des Weimarer Gymnasialdirektors Karl August Böttiger, der die Mischung von „tragischen Auftritten“ und „komischen Embroglios“ höchst kritisch beurteilte, sowie des Konsistorialrats Carl Wilhelm Heinrich Freiherr von Lyncker, der die „auf ergreifendste Weise zusammengesetzte … Composition“ als ein „Meisterwerk“ besonders lobte159. Letzterer dachte dabei wohl in erster Linie an den „pathetischen Allegro furioso- Beginn der nur 22-taktigen h-Moll ‚ouertura‘“, die am Schluß erweitert noch einmal als ‚Epilog‘ erscheint, und an die „mit ‚Allegro‘ überschriebene, atemlose Arienintroduktion in d-Moll“ 160. Indes geriet die Musik von Seckendorffs noch mehr in Vergessenheit wie Goethes der Komposition zugrundeliegendes Monodrama. Gleiches gilt hinsichtlich des 1801 von Johann Friedrich Reichardt komponierten Klavierlieds zum Biß in den Granatapfel: „Laß dich genießen, freundliche Frucht“ 161. Ebensowenig bilden die milden Klänge der frühklassischen Vertonung 1814 durch den Weimarer Musikdirektor Carl Eberwein, jedenfalls für heutige Ohren, eine adäquate kompositorische Entsprechung für das widerspenstige Thema einer äußerlich gebrochenen, aber sich vehement dagegen auflehnenden jungen Frau162. Unter solchen Vorgaben kommt es fast einem Wunder gleich, daß Wolfgang Rihm (geb. 1952), einer der vielseitigsten Komponisten und Wortführer der zeitgenössischen Musik und zudem ein gründlicher   87

Kenner der Literatur, den Auftrag des Südwestrundfunks und der Schwetzinger Festspiele, für die Festspiele 2009 eine Oper beizusteuern, dazu nützte, Goethes Monodrama aus der Versenkung hervorzuholen. Ihn interessierte, wie er sagte, „das Dunkle und Rätselhafte“ des Stoffes163. Wie in Heiner Müllers „Hamletmaschine“, die er schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vertonte, sah er wohl auch in Goethes ‚Sprachstrom-Text‘ „Theater aus dem Geist der Musik, Musiktheater“ 164. Dieses sprachlich und theatralisch angelegte musikalische Potential wollte er nutzen. Seine bisherigen künstlerischen Arbeiten prädestinierten ihn geradezu für diese künstlerische Auseinandersetzung. Hatte er doch bereits im Umgang mit Autoren wie Sophokles/Hölderlin, Kleist, Büchner, Nietzsche, Artaud, Celan, Botho Strauß und, wie eben erwähnt, Heiner Müller die Nähe zur dramatischen Dichtung geradezu programmatisch praktiziert. Allemal war ihm dabei an der Überführung der literarischen Vorlagen „in Musiktheater auf der ästhetischen Höhe der Gegenwart“ 165 gelegen. Nach Ophelia („Die Hamletmaschine“, 1983–1986), Ariadne (2001), Anita von Schastorf (nach Botho Strauß: „Schlußchor“, 2004) und Penthesilea (2005) fügt sich Proserpina organisch in die vom Komponisten an anderer Stelle angeführte „Galerie der toten Frauen“ 166 ein. Die Ausarbeitung des Goethe’schen „Proserpina“-Textes zur Oper erfolgte im Verlauf des Jahres 2008167. Sie erbrachte eine etwa 70 Minuten dauernde, klar gebaute Komposition von 1400 Takten für Solosopran („hoher Sopran“) und Frauenchor („Soprane und Alte, mindestens 6 pro Stimmlage“), mit einem Instrumentalensemble in ungewöhnlicher Besetzung168. Eine solche Instrumentierung hat, einmal abgesehen von Koloratursopran und Streicherensemble, wenig gemein mit musikalischer Standardkomposition. Sie besticht, neben den dominanten, dramatisch spannungsvollen Koloraturen der Solistin, durch ihre originelle Zusammensetzung sowie eine verblüffende Vitalität zwischen den eminent wichtigen perkussiven Akzenten, „profiliertem Harfeneinsatz“ (Thomas Weiss), „umschmeichelnden Streicherkantilenen“, „fetzigen Vibraphonklängen“ und „dissonanten Blechblasattacken“ (Heiko Schon)169. Die spezifische, von der Tonsprache her gedachte Musik Rihms bemächtigt sich des Textes nicht „Schritt für Schritt“, sondern, wie er betont, „Schicht für Schicht“. Er erläutert das wie folgt: „Wir spüren die Gewichte der abgelagerten Massen. … In die Geologie dieses Textes 88 

eindringen heißt: ihn als Steinbruch lesen, das heißt: in seinem Material den Weg formen, um ihn dort zu suchen. … Der Weg in ein Musiktheater scheint möglich, dessen Ebene zwar das Theater, dessen Ort aber die Musik ist“ 170. Unter diesem erprobten Anspruch setzte sich der Komponist, durchweg den schwankenden Stimmungen der Monologisierenden genau nachspürend, ebenso mit Goethes Text einläßlich auseinander. Rihm entschied sich dabei für die Prosafassung des Monodramas von 1777. Allerdings glich er den dort noch fehlenden Schlußsatz der Versfassung („Unser! Unser! Hohe Königin!“; V. 271) dadurch aus, daß er den Chor der Parzen, „mantra-artig fast“, bis zum Ende permanent weiterführte, „um so stärker Proserpinas Verzweiflung, gegen die sie opponiert“ 171, hervorzuheben. Ihre widerständige Fortdauer bekommt dadurch noch mehr Gewicht. In bewußter Weiterführung vergleichbarer Vorarbeiten bei Arnold Schönberg172 verfolgte Rihm die klare gestalterische Zielsetzung : „Musiktheater als psychologische Klangdramatik, die in Gedankengänge eingreift, diese weitertreibt, weit über das Denkbare. Klanghandlung. … Szene-Bild-Klang schaffen Klarheit ganz anderer Art: von vielen Seiten fällt Licht auf den Gegenstand“ 173. Trotz dieses betont individuellen Ansatzes („aus persönlicher Konstitution entstanden“ 174) ist die Klangwirkung seiner Kompositionen sehr bewußt kommunikativ ausgerichtet. Hierzu legte Rihm Wert auf die Feststellung: „Das Komponieren als in Gang gesetzte Klangdramaturgie ist ein hochkomplexer mechanischer Kosmos, dessen Beatmung von Menschen, die ihn ersingen und erspielen, geleistet wird, der aber durch das Vernommenwerden erst wirklich in Gang kommt“ 175. Diese bewußt angestrebte ‚Theatralität‘ ist in der Sache nicht sehr weit entfernt von Goethes ganzheitlichem Kunstkonzept kognitiver ästhetischer Erfahrungen. Der äußerte dazu: „Die Symphonie eröffnet (den) weiten musikalischen Raum, und die nahen und fernen Begränzungen (Begrenzungen) desselben sind lieblich ahnungsvoll ausgeschmückt. Die melodramatische Behandlung hat das große Verdienst, mit weiser Sparsamkeit ausgeführt zu sein, indem sie der Schauspielerin gerade so viel Zeit gewährt, um die Gebärden der mannigfaltigen Übergänge bedeutend auszudrücken, die Rede jedoch im schicklichen Moment ohne Aufenthalt zu ergreifen, wodurch der eigentlich mimisch-tanzartige Theil mit dem poetisch-rhetorischen verschmolzen, und einer durch den andern gesteigert wird“ 176. Bei Rihm fällt die Wirkungsabsicht freilich bewußt wesentlich   89

weniger „lieblich ahnungsvoll“ aus. Im Rahmen der vielschichtig organisierten und in der Partitur festgehaltenen Klangmasse wechselt hochelaborierter Gesang mit rhythmisch skandiertem Sprechen. Man hat sein Musiktheaterschaffen deshalb mit Fug und Recht als „ein riesiges Experimentierfeld“ mit „ständig neue(n) Formen des Zusammenwirkens von Musik, Sprache, Bild und Bühnenaktion“ bezeichnet177. Das Festspielpublikum zeigte sich bei der Uraufführung am 2. Mai 2009 im Schwetzinger Rokokotheater sehr begeistert. Hingegen fiel die Reaktion der Kritiker ziemlich verhalten und wechselhaft aus. Einerseits wurde die angebliche „Abkehr von der Avantgarde“ und der „Mut auf den Rückgriff zur Tradition“ gelobt (Alexander Dick), andererseits die „schönheitstrunkene Musik“ und die „retrospektive, rückwärts gewandte Ästhetik“ eher kritisch vermerkt (Uwe Schweikert), ja sogar „Musik wie unter Zellophan“ moniert (Christine Lemke-Matwey)178. Sicher hat Rihm dem von ihm an Goethes Text registrierten „Melos des Geschehens“ 179 gehuldigt, so daß die Klänge sinn- und hörfälliger als in früheren Kompositionen daherkommen. An keiner Stelle jedoch sind in seinem musikalischen Monodrama „altmeisterliche Gesten“ (Frieder Reininghaus)180 auszumachen, es sei denn die der Illustration oder Parodie dienenden teils stilistischen, teils ironischen Anspielungen auf Gluck, Mozart und Richard Strauß. Ansonsten gilt für die fast abweisend schwere Partitur mit ihren dissonanten Akkorden weit mehr die von Volker Hagedorn angestellte Beobachtung: „Obwohl man immer mal tonale Zentren ahnt in Vorhaltsbildungen oder Terzenidyllen, bleiben doch eine Schroffheit, Unberechenbarkeit, Wendigkeit und etwas seltsam Rohes inmitten weit schwingender Bögen. Da ist Rihm den Sprachfarben Goethes überraschend nah, dem Archaischen, Frühen, Gärenden, wo ‚dumpfe Gewitter tosend sich erzeugen‘“ 181. Dem braucht nichts hinzugefügt zu werden. Ohnehin spricht die Zeile für Zeile, Vers für Vers, getreu dem Text Goethes folgende Partitur hinreichend für sich. Wenigstens die Szene mit dem Granatapfel sei als ein Beispiel herausgegriffen. Stärker noch wie im Text des Monodramas wird hier ein Akut gesetzt, bei dem auch mit längerem orgastischem Stöhnen ein kräftiger Schub aus dem sexuell grundierten Register von Schopenhauers Interpretation beigebracht wird. Der denkbar knappe Ablauf im Drama in den Versen 183–207 wird im Monolog Goethes lediglich ergänzt durch die Bühnenanweisung „Sie ißt einige Körner“ (zwischen V. 196 und 197). 90 

Abb. 20: Mojca Erdmann als Proserpina bei der Schwetzinger Uraufführung von Wolfgang Rihms Oper

Ganz anders bei Rihm. Er fächert den Prozeß der Persönlichkeitsveränderung Proserpinas detailliert auf. In der Partitur vermerkt er an der Stelle der einfachen Bühnenanweisung Goethes zusätzlich: „Proserpina wird eine andere“ und ergänzt das mit dem „szenischen Vorschlag“, den er als „nicht obligatorisch“ einstuft: „hier könnte sich Proserpina in ein Double verwandeln; oder auch: die Stimme (dann aber eine tiefere Frauenstimme) kommt aus dem Orchestergraben, Proserpina bleibt (als ‚versunkene‘) sichtbar, sie entdeckt ihren Körper“ 182. Wiederholt wird dann, „wie ein Stöhnen“, Vers 197 („Labend! labend!“) klanglich stark herausgehoben und mit Lauten der Wollust und des Schmerzes unzweideutig als Orgasmus artikuliert, bis es dann, in einem „tiefsten Atemlaut“ gesprochen, heißt: „‚Proserpina‘ wird wieder Proserpina, kommt zu sich“ 183. Dadurch erhebt der Komponist diesen Teil des Monodramas zur Schlüsselszene weiblicher Urerfahrung und Bewußtwerdung. Von diesem Moment an durchschaut sie die Realität. Diese den tragischen Schluß des Dramas wie auch den davon herzuleitenden Protest Proserpinas psychologisch vorbereitende und unterstreichende Deutung ist bei der szenischen Umsetzung durch den Regis  91

seur Hans Neuenfels entschieden in eine gänzlich falsche Richtung geraten. Infolge der an sich begreiflichen Absicht, das Monologstück ohne dramatischen Vorgang theatralisch einleuchtend zu visualisieren, ging der ‚Gaul‘ platter Sexualität mit dem alten Bühnenpraktiker durch. Es genügte ihm nicht, den zweifellos schon bei Goethe unterschwellig angelegten Orgasmus breit auszumalen mit drei Proserpina beigegebenen stummen Figuren, die sie teils erotisch verführen, teils sexuell bedrängen und auch quäAbb. 21: Programmheft der Wuppertaler Auffühlen. Er wollte mehr. Was rung mit Elena Fink als Proserpina zunächst im Bühnenhalbrund und abgeteilten Kabinen mit einem Gynäkologenstuhl (!) und einer riesigen Fledermausattrappe einsetzt und hinter einem Vorhang koitierend (!) weitergeführt wird, endet dann mit offenkundiger Prostitution Proserpinas in Stöckelschuhen und unter einer roten Perücke in einer bordellähnlichen Szenerie des Zuhälters Pluto und seiner beiden Lustknaben (!). So wird die Titelheldin unversehens von einer Identifikationsfigur zum Schreckbild einer in jeder Hinsicht Gescheiterten, Erniedrigten, Ausgebeuteten und Resignierten. Kühnes Regietheater ist das jedenfalls nicht, sondern nichts weiter als geschmackloses, peinlich-plumpes Unverständnis. Vor allem haben derartige Obsessionen weder mit Goethe noch mit Rihm das Geringste zu tun. Man kann darin nur unerträglichen Mißbrauch der Einlassung des Komponisten sehen: „Ich habe einen musikalischen Raum geschaffen, der szenisch immer wieder neu und anders ausgefüllt werden kann“ 184. Mit Recht titelte der Rezensent der ‚Stuttgarter Zeitung‘ seinen Bericht von der Uraufführung mit dem Hinweis: „De Sade 92 

läßt grüßen“ 185. Ganz ähnlich kritisierte die Rezensentin der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ „widerwärtige und monströse Männerphantasie“ 186 . Das trotz solch abwegiger ‚Regieleistung‘ dennoch von einigen gespendete Lob („Der Hans, der kann’s“ 187) beruht entweder auf völliger Unkenntnis von Goethes Text oder auf grundsätzlich fehlenden ästhetischen Kategorien. Zum Glück konnte sich das Publikum an das kompositorisch stimmige Klangerlebnis und die glanzvolle sängerische Wiedergabe der Proserpina-Interpretin Mojca Erdmann halten. Unstrittig triumphierte die Musik Rihms über die völlig fehlgeleitete Regieambition. Bedauerlicherweise führte die Wahl des Regisseurs gleich zu doppeltem Unheil. Denn die mit großem Beifall bedachte Schwetzinger Festspielinszenierung wurde im April des folgenden Jahres auch noch als Koproduktion vom Opernhaus Wuppertal in anderer schauspielerischer und musikalischer Besetzung, aber in der gleichen abwegigen Regie übernommen, so daß die Inszenierungen sich in der szenischen Präsentation ähnelten wie ein Ei dem andern188. In beiden Fällen litt die überzeugende kompositorische und interpretatorische Leistung unter diesem ebenso kläglichen wie ärgerlichen Regie-Manko. CD-Einspielungen oder DVD-Aufnahmen liegen noch nicht vor. Die bisher einzige weitere Inszenierung war die amerikanische Erstaufführung Mai/Juni 2010 im Rahmen des ‚Spoleto Festival USA‘, das alljährlich in Charleston, South Carolina, stattfindet189. Insofern kann von einer szenischen Wiedergeburt des Goetheschen Monologs noch nicht gesprochen werden. Immerhin gibt es Anzeichen einer vereinzelten Resonanz, die wohl durch den Erfolg von Rihms Oper mit ausgelöst wurden. Im Juni 2010 kam es in der Rudolstädter Heidecksburg und in der Saalfelder Schloßkapelle zu einer konzertanten Aufführung von Goethes „Proserpina“, die allerdings wohl hauptsächlich durch die Initiative der Herausgeberin der verdienstvollen deutsch/englischen Ausgabe von Goethes Text mit der Musik von Carl Eberwein190, Lorraine Byrne Bodley, zustande kam, die dort auch den nötigen Einführungsvortrag hielt. Sie hatte schon 2007 eine erste Veranstaltung dieser Art in Dublin durchgesetzt191. Ferner gab es am 26. Juni 2010 im Rahmen der Bayrischen Theatertage des Carl-Orff-Gymnasiums München eine Aufführung der von Maria Teuber geleiteten Theatergruppe des Michaeli-Gymnasiums München mit einer szenischen Collage aus Texten von Homer, Ovid und Goethe zum Proserpina-Komplex. Es steht zu   93

hoffen, daß sich die in den Schulen für Kultur und Bildung Verantwortlichen vermehrt derartig die Kreativität der Rezipienten stimulierender Möglichkeiten bedienen. Dann könnte vielleicht, in nicht allzu ferner Zukunft, wirklich von einer gewissen Wiedergeburt von Goethes „Proserpina“ gesprochen werden. Dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, weil die anregende Irritationskraft dieses Goethe-Textes von der Leserschaft erst noch entdeckt werden muß.

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Anmerkungen P,108. Goethes Aufsatz über das Aufführungskonzept von »Proserpina« erschien zuerst im ‚Journal für Litteratur, Kunst, Luxus und Mode‘ (4/1815). Ein weiterer Abdruck folgte bald danach im „Morgenblatt für gebildete Stände“, Nr. 136 vom 8.6.1815. 2 Boyle vertritt die vordergründige Auffassung: „the drama ends in dispair“. Er vergleicht Proserpinas Schicksal mit dem Werthers und läßt somit außer Acht, daß deren innere Entwicklung nur scheinbar schicksalhaft tragisch ausläuft. Im Gegensatz zum Werther-Roman endet das Stück nicht im Selbstmord, sondern mit der Übernahme der Würde einer Königin des Totenreichs (Boyle, Nicholas: Preface. In: PB, S. XVII–XX; Zitat: S. XVII). 3 Persephone bedeutet „die, welche Zerstörung bringt“, Proserpina „die Furchtbare“. 4 Die Datierung der in Attika entstandenen Hymne ist umstritten. Von einigen Forschern wird sie, vor allem aus sprachlichen Gründen, gegen Ende des 6. Jahrhunderts, von anderen wiederum erst um 480 v. Chr. datiert. 5 ‚Kore‘ ist das griechische Wort für ‚Mädchen‘. Kore, die spätere Persephone/ Proserpina, ist demnach Inbegriff der Mädchen-Stufe in der weiblichen Entwicklung. 6 So der Kommentar in: Die homerischen Hymnen. Hrsg. v. Albert Gemoll. Leipzig 1886, S. 277. 7 Gaia (auch Gaea) ist die aus dem Chaos entstandene Göttin der Erde. 8 Homer: Götterhymnen. Aus dem Griechischen von Thassilo von Scheffer (1974). Köln 2006, S. 105. 9 Ovid (d.i.: Publius Ovidius Naso, 43 v. Chr. – 17 n. Chr.) verfaßte die zwischen 3 und 8 n. Chr. entstandenen „Metamorphosen“ in Hexametern. Im fünften Buch wird auf die Entführung Proserpinas hingewiesen. Das heutige Enna, in der Mitte Siziliens gelegen, befindet sich in der Nähe des Sees Pergus (Lago di Pergosa). Zit. n.: Ovid: Metamorphosen. Hrsg. v. Erich Rösch. München 1964 (Sigle: Ovid). 10 Ovid, S. 183 und 185 (V. 391–403). 11 Claudian (d.i.: Claudius Claudianus, etwa 370–404/5 n. Chr.), Hofdichter des weströmischen Kaisers Honorius, gilt als letzter bedeutender literarischer Vertreter der lateinischen Sprache in der Antike. 12 Frenzel, S. 600. Dort wird genauer auf die im Mittelalter in den Vordergrund gerückte Bestrafung der leichtfertigen Jungfrau hingewiesen. 13 Dürer: „Der Raub der Proserpina“ oder „Die Entführung mit dem Einhorn“ (1516); Niccolò dell’Abbate: „Der Raub der Persephone“ (1559–62); ebenso Rubens (1636–38), Rembrandt (1631) und Tiepolo (60er Jahre des 18. Jhs). Auch Artemisia Gentileschi hat dieses Motiv gemalt; leider ist das Bild ver1

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schollen. Das gleiche Schicksal fand ebenso die 1630 in Venedig entstandene Oper von Claudio Monteverdi „Proserpina rapita“. 14 Du Bellay verfaßte 1556 „Ravissement de Proserpine“. Im Unterschied zu den meisten Darstellungen zeigt er die Königin des Totenreiches im Liebesglück (s. hierzu auch Anm. 117). Tasso schrieb 1573 eine Proserpina-Canzone im Rahmen seiner moralisierenden ‚Exempla amoris‘. Shakespeare läßt in „Ein Wintermärchen“ Perdita sagen: „O Proserpina!/Hätt’ ich die Blumen jetzt, die du erschreckt/Verlorst von Plutos Wagen!“ (IV,3). 15 Jean-Baptiste Lully komponierte 1680 nach dem Libretto Philippe Quinaults die tragische Oper (‚tragédie lyrique‘) in fünf Akten: „Proserpine“. 16 Gian Lorenzo Bernini: „Raub der Proserpina“ (1621/22; heute in der Galleria Borghese, Rom). 17 Zu weiterer Information empfiehlt sich: Frenzel, S. 599–604 (Stichwort: Persephone); ebenso: Herbert Anton und Christoph Siegrist (s. Bibliographie). 18 Mit Sicherheit übernahm Goethe ebenso Anregungen aus Hederichs wenige Jahre zuvor erschienenem mythologischen Lexikon (Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexicon. Leipzig 1770). 19 Die „Erste Weimarer Gedichtsammlung“ von 1778 ist, abgesehen vom bescheidenen Versuch am Ende der Leipziger Zeit, die erste eigenständige Gedichtsammlung Goethes auf 23 zum Heft gebundenen Blättern. 20 Wenig spricht für die immer wieder aufgegriffene Vermutung Erich Schmidts, der Text sei beim Tod der Nichte des Komponisten Christoph Willibald Gluck von diesem bei Goethe bestellt worden. Gleiches gilt hinsichtlich der Andeutung Wolfgang Kaysers, die wenig glückliche Ehesituation der Herzogin Louise habe hier anregend gewirkt. Demgegenüber spricht mehr für die Annahme eines Zusammenhangs mit dem Tod der Schwester. Allerdings darf auch das nicht so überbetont werden wie etwa von Redslob (Redslob, Edwin: Goethes Monodram ‚Proserpina‘ als Totenklage für seine Schwester. In: Goethe-Jahrbuch 8/1943, S. 2522–69). Mit gleichem Recht könnte man die Absicht ins Feld führen, Goethe habe der hochgeschätzten Corona Schröter eine Paraderolle bieten wollen. 21 WA I.39,386 (Prosa-Fassung). 22 Büchner legte in seinem 1835 verfaßten Drama „Dantons Tod“ Camille Desmoulins die bitter-ironische Frage in den Mund: „Ist denn der Aether mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seeligen Götter steht und die seeligen Götter lachen ewig und die Fische sterben ewig und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?“ (Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe mit Kommentar. Hrsg. v. Werner R. Lehmann, Bd. 1. München 1974, S. 72). 23 Schopenhauer, Arthur: Der handschriftliche Nachlaß. Hrsg. v. Arthur Hübscher. Frankfurt/M. 1966–1975, Bd. 4,1: Die Manuskripte der Jahre 1830– 1852., S. 96. 24 So Goethe über seinen Egmont (WA I.32,135).

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25 Mit einem gewissen Recht spricht Boyle im Blick auf die Jahre 1777–1780 bei Goethe von der „tragischen Phase seiner frühen Weimarer Zeit“ (Boyle, Nicholas: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. 1: 1749–1790. München 1995, S. 338). Allerdings vereinseitigt er damit die wesentlich komplexere Lebenssituation Goethes in jenen Jahren. 26 WA IV.5,165 (an Auguste Gräfin zu Stolberg am 17.7.1777). 27 Die Bühnenanweisung lautet: „Die Parzen (unsichtbar)“ (WA I.17,47). 28 WA I.17, 40–49. Untertitel: zunächst „Festspiel mit Gesängen und Tänzen“, dann „eine dramatische Grille“. 29 WA I.17,2 (Personenverzeichnis) sowie WA I.17,40 (Bühnenanweisung). Bei dieser Aufführung von 1778 spielte Goethe den „humoristischen König“ Andrason, Corona Schröter die Königin Mandandane. 30 Tieck, Ludwig: Gesammelte Novellen. Bd. 5. Berlin 1853, S. 13 („Der Wassermensch“). 31 Zum Beispiel: Lange-Kirchheim, (Lange-Kirchheim, S. 131). Auch im Kommentar der ‚Frankfurter Ausgabe‘ heißt es absurderweise: „So tritt uns Proserpina in zwei Gestalten gegenüber: einmal als bewegende Klage der Göttin über ihr Los, in die Unterwelt verbannt zu sein, zum andern, satirisch gebrochen. … Derselbe Text ist einmal Tragödie, ein andermal Satyrspiel“ (FA 5, S. 950). 32 Gundolf, Friedrich: Goethe. 2.A. Berlin 1917, S. 242. 33 Hinck, Walter: Das deutsche Lustspiel im 17. und 18 Jahrhundert und die italienische Komödie. Stuttgart 1960, S. 361. 34 WA I.35,6. Hierzu auch: Strohschneider-Kohrs, S. 139–167. Ihre These von der „ästhetisch-poetischen Distanzierung“ bei der „Einschaltung des Monodramas in das Lustspiel“ trifft den Sachverhalt parodierender Einbeziehung in keiner Weise (ebd., S. 165). Mit Recht betont demgegenüber Hartmann: „Tatsächlich gibt es keine werkimmanenten Ironiesignale, die den Text als Parodie auf das Melodrama definieren würden“ (Hartmann, S. 99). 35 Zit. n.: FA 5, S. 958 (Sappho: V. 953–957). 36 WA I.3,115. 37 Das einzige erhaltene Exemplar befindet sich in der Bayrischen Staatsbibliothek München (Sign.: Rar. 1600). S. hierzu: Hagen, Waltraud: Der Erstdruck der Proserpina. In: Beiträge zur Goethe-Forschung. Hrsg. v. Ernst Grumach. Berlin 1959, S. 78 f. sowie FA 5, S. 958. 38 Goethe kannte die Sängerin, Schauspielerin und Komponistin Corona Schröter seit der Leipziger Zeit und holte sie 1776 nach Weimar (vgl. hierzu auch: GH 4/2, S. 964–966). Schloß Ettersburg war bis 1780 der Sommersitz Anna Amalias (danach entschied sie sich für Tiefurt). Hinweise zur Aufführungspraxis des Liebhabertheaters: GHS, S. 232–235. 39 WA IV.25,293 (an Graf von Brühl am 1.5.1815). Gleichlautend spricht Goethe im Aufsatz »Proserpina« von der „Wiederbelebung dieser abgeschiedenen Production“ (WA I.40,106). Hierzu auch: GG, S. 226 f.

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40 Franz Carl Adalbert Eberwein (1786–1868), Sohn des Weimarer „Hof-, Stadtund Landmusikus“ Alexander Bartholomäus Eberwein, war damals „Kammermusikus“, bald danach wurde er Weimarer Musikdirektor. 41 Amalie Wolff-Malcolmi (1783–1851), Ehefrau des Schauspielers Pius Alexander Wolff, gehörte bis zu beider Weggang nach Berlin 1816 zum Stammpersonal des Theaterdirektors Goethe. Die Proben für die Aufführung des Proserpina-Monologs zogen sich über mehrere Monate hin. An Frau Wolffs Interpretation lobte man vor allem das „leidenschaftliche Lamentoso“ (Biedrzynski, Effi: Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen und Schauplätze. Zürich 1992, S. 488; hierzu auch: Müller-Harang, S. 72 f. sowie Borchmeyer, S. 950 f. und 952). 42 WA I.36,89. Mit Recht konstatiert Tina Hartmann: „Goethe und Eberwein hatten das kleine Werk mit dem finalen Parzenchor auch formal noch deutlicher als in der Erstfassung in Richtung auf die Oper erweitert“ (Hartmann, S. 409). 43 WA IV.25,329 (an Zelter am 17.5.1815). 44 Gespräch mit Carl Eberwein am 29.5.1814 (GG, S. 227). 45 WA IV.25,169 (an Zelter am 23.1.1815). 46 Gemeint sind die vielfältigen Ausdrucksmittel, wie sie Goethe von den pantomimischen Kostümdarbietungen ‚lebender Bilder‘ der Lady Emma Hamilton 1787 in Neapel und vom pathetischen Ausdrucksgestus der auch auf dem Weimarer Theater gespielten Musikdramen Georg Friedrich Händels her vertraut waren. 47 WA IV.25,328 f. (an Zelter am 17.5.1815). 48 WA IV.25,292 (an Brühl am 1.5.1815). 49 WA I.17,321 f. („Zum Geburtsfeste des Durchlauchtigsten Herrn Erbprinzen von Weimar“). 50 P,106–118 (vgl. hierzu Anm. 1). 51 WA III.5,160 (Eintragung vom 6.5.1815). 52 WA I.40,109 („Theater und. Schauspielkunst: Proserpina“). 53 WA IV.25,330 (an Zelter am 17.5.1815). 54 WA IV.25,293 (an Brühl am 1.5.1815). 55 Vgl. hierzu Schönes Kommentar (Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Kommentare von Albrecht Schöne ( = it 3000). Frankfurt/M., Leipzig 2003, S. 22 (‚Vorbemerkungen zu Goethes Faust-Dichtung‘). 56 Gespräch mit Carl Eberwein am 29.5.1814 (GG, S. 227). 57 Man denke nur an den „Egmont“-Schluß (1787), an „Des Epimenides Erwachen“ (1814) und besonders an die langjährige Arbeit am zweiten Faust-Teil. 58 HA 4,599 (Anmerkungen des Herausgebers zu »Proserpina«) 59 Jean-Jacques Rousseau verfaßte diesen Einakter vermutlich 1762 (Uraufführung erst 1770). Der gesprochene Text und die pantomimische Gestik erzielten im Verein mit der Musikbegleitung einen solchen Erfolg, daß das Stück vielfach nachgespielt wurde. Allein in der Comédie Française blieb es seit 1775 fünf Jahre im Repertoire. Damit war eine neue dramatische Gattung begrün-

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det – das Melodrama. Goethe kannte Rousseaus ‚Pygmalion‘ schon seit 1773 (vgl. hierzu WA IV.2,57; an Sophie von La Roche am 19.1.1773). Er sah in der kleinen Oper „eine treffliche Arbeit“, die „allen vorgelesen werden (müsse), deren Empfindung ich ehre“ (ebd., ibid.). Das Monodrama Rousseaus wurde übrigens 1772, drei Jahre vor dem Eintreffen Goethes, in Weimar aufgeführt, war also in den dortigen Hofkreisen bekannt. 60 WA I.28,67 (Dichtung und Wahrheit, Elftes Buch). Goethe weist ausdrücklich auf das Rousseau’sche Vorbild hin: WA I.40, 115. 61 Weitere mögliche Anregungen werden von Kayser (HA 4,596) sowie in der Münchner und Frankfurter Ausgabe (MA 2.1,625 f., FA 5, 950 ff.) angeführt. Entscheidend war indes die damalige Welle von dramatischen Texten mit Musik, die dem Musiktheater einen neuen Horizont eröffnete. 62 Vgl. hierzu: GHS, S. 227–232. 63 WA IV.25,293 (an von Brühl am 1.5.1815). 64 So zu Eckermann am 14.3.1830 (Eckermann, S. 533). 65 Manto : Tochter des thebanischen Sehers Tiresias. 66 WA I.15.1,132 (V. 7489/90). Auch Orest sagt in „Iphigenie auf Tauris“: „Und folge mir in Proserpinas Reich hinab!“ (WA I.39,368, Prosa-Fassung. In der Versfassung heißt es nur noch: „ins dunkle Reich hinab“: WA I.10,53, V. 1229). 67 Vgl. hierzu auch: MA 18.1,863 (Notiz v. 18.6.1830: Par. 157); ebenso das Schema vom 6.2.1830 (WA I.15.2,216) sowie das „Zwischenspiel zu Faust“ vom 17.12.1826 mit ausführlicher Beschreibung der Losbittungs-Szene (WA I.15.2,198–212, vor allem 210–212). 68 WA I.15.1,239 (V.9939–9944). 69 Gundolf, Friedrich: Goethe (1916). Nachdruck: Darmstadt 1963, S. 242. 70 WA I.28,314 („Dichtung und Wahrheit“. Fünfzehntes Buch). 71 WA I.37,210: Rezension in den „Frankfurter gelehrten Anzeigen“ von J.G. Sulzers „Die schönen Künste in ihrem Ursprung, ihrer wahren Natur und besten Anwendung“ (1772). 72 MA 2.1,161 (nach: ‚Der Teutsche Merkur‘, Februar 1778). 73 WA I.17,40 (V. 1–13). 74 „Enkelin“ wird berichtigt zu „Tochter“, (V.12). 75 Die übrigen Abweichungen betreffen allein Interpunktion, Schreibweise („hinaufsah“ > „hinauf sah“) oder Flexion (die liebe Gegenden“ > „die lieben Gegenden“). 76 So die Worte Eugeniens in ihrem Monolog in der „Natürlichen Tochter“ . Im selben Stück teilt sie sich als ein Mädchen mit „frischem Sinn“ und „jugendlicher Lust“ mit (WA I.10, 369 und 270, V. 2624 und V. 488). Gleiches gilt für die Situation Proserpinas bis zu ihrer gewaltsamen Entführung in die Gefilde des Todes. 77 Im Aufsatz zur Aufführung 1815 betonte Goethe zu diesem Punkt ausdrücklich: „Daß … Recitation und Declamation sich musterhaft hervorthun müsse, bedarf wohl keiner weitern Ausführung; wie denn bei uns deßhalb nichts zu wün  99

schen übrig bleibt“ (P,111). Demzufolge war er mit der rhetorischen Leistung Amalie Wolffs, seiner zweiten Interpretin, voll zufrieden. 78 Goethe zu Eckermann am 18.1.1825 über sein Drama „Die natürliche Tochter“ (Eckermann, S. 156). 79 Die Zahl der Verse in den einzelnen Redepartien schwankt zwischen nur einem Vers (V. 258 und 271) und 20 Versen (V. 58–77). Zwei Versgruppen umfassen je 19 Verse. Es dominieren die 24 Redepartien mittlerer Länge aus 4 bis 9 Versen. Die wechselnde Verslänge kann von zwei bis zu 13 Silben aufweisen. 80 Regiebemerkung zwischen den Versen 216/217: „Die Parzen (unsichtbar)“. 81 Parzen (lat.: parcae) sind in der römischen Mythologie die drei Schicksalsgöttinnen, die Wechsel und Dauer des Lebens bestimmen. Goethe widmete ihnen in „Iphigenie auf Tauris“ das „Lied der Parzen“ (4. Aufzug, 5. Auftritt: V. 1726–1766). 82 So die Goethe wohlbekannte, treffende Formulierung Hederichs im mythologischen Lexikon. 83 Insgesamt nur 15 der 271 Verse entfallen auf die fünf kurzen Redeteile der Parzen (V. 217–221, V. 231–234, V. 248–251, V. 258 und 271). 84 So Goethe im Aufsatz zur Aufführung von »Proserpina« vom Mai 1815 (s. Anm. 1) Zitat: P,108. 85 P,113. 86 P,112. 87 P,118. 88 P,107. 89 P,107. 90 P,107. Veraltete Form für ‚Begebenheit‘ im Sinne der Proserpina begegnenden Schicksalsschläge. 91 Die Verslänge schwankt zwischen drei und elf Silben. 92 Der Tartarus, auch Orkus oder Hades genannt, ist das Reich des Pluto, die Unterwelt, der Strafort für die Seelen der Verstorbenen. Er ist so weit von der Erde nach unten entfernt, wie die Erde vom Himmel nach oben. 93 Goethe gebrauchte in der Prosafassung noch das Wort ‚umwölkt‘, mithin einen intensivierenden Ausdruck für die Wendung ‚von Wolken umgeben‘. Für die Versfassung entschied er sich, bildlich stimmiger, für die originelle Variante ‚verwölbt‘, im Sinne von ‚zugewölbt‘ (will sagen: ‚durch Gewölbe verdeckt oder verschlossen‘). 94 So Goethe 1815 (P,107). 95 P,107. 96 Nach dem Mythos um Alpheus „sollte der Fluß die Eigenschaft haben, den Seelen der Verstorbenen völlige Vergessenheit des Vergangenen zu verschaffen, gleich der Lethe“ (zit. n.: Vollmer, Wilhelm: Dr. Vollmers Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. A. Stuttgart 1874, S. 30). 97 Der erste Teil umfaßt 9, der zweite 5, der dritte 8 Verse. 98 Vgl. hierzu: Anm. 92.

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099 So Kerényi, der Mythosforscher (Kerény, S. 56). 100 Tantalus, König des goldreichen Lydien, hat als Günstling der Götter versucht, ihre Allwissenheit auf die Probe zu stellen und ihnen das Fleisch seines eigenen Sohnes Pelops vorgesetzt. Zur Strafe muß er unter einem mit köstlichen Früchten beladenen Baum bis zum Kinn im Wasser stehen und ewigen Hunger und Durst leiden, weil er weder Wasser noch Früchte erreichen kann. Diese Strafe wird also nicht, wie Goethe annimmt, „für gereiztes Verlangen“ (V. 62) verhängt, sondern für eine weit schlimmere Untat. „Gereiztes Verlangen“ bestimmte hingegen das Tun Ixions. Dieser König von Thessalien verliebte sich als Gast im Götterhimmel in Juno und wollte sie verführen. Er wird deshalb auf ein ewig rollendes Rad geflochten und von den Furien gequält. – Die Töchter des ägyptischen Königs Danaus schließlich, die 50 Danaiden, werden bestraft für die auf Geheiß ihres Vaters in der Hochzeitsnacht vorgenommene Ermordung ihrer Gatten, den 50 Söhnen des Zwillingsbruders Aegyptus. Nur eine davon, Amymone, die ‚Tadellose‘, läßt den ihr Angetrauten am Leben. Die 49 anderen müssen für immer Wasser in bodenlose Gefäße, die so genannten Danaidenkrüge, schöpfen. In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, daß Goethe im Bericht über seine Sturm-und-Drang-Phase betonte: „Doch auch die Kühnsten jenes Geschlechts, Tantalus, Ixion, Sisyphos, waren meine Heiligen“ (WA I.18,314; Dichtung und Wahrheit: III, 15). 101 Kerény, S. 18. 102 Klotz, S. 230. 103 P,107. 104 Wir begegnen hier einen typischen Kompositum aus dem eigenwilligen Wortschatz Goethes während der Sturm und Drang-Phase. Intensivierend beschwört das Adjektiv die ins tiefe Blau des Himmels eingewebte Sonnenglut. Dahinter steckt die Vorstellung antiker Naturphilosophie vom Feuerhimmel der oberen Regionen, dem sog. Empyreum. 105 Die beiden Teile umfassen sieben, bzw. sechs Verse, sind also von mittlerer Länge. 106 Phöbus ist der Sonnengott Apollon, Luna die Mondgöttin Selene. 107 Die beiden Teile umfassen vier, bzw. neun Verse. 108 Ähnlich heißt es beispielsweise in „Hermann und Dorothea“ (7. Gesang, V. 143): „Alle waren geletzt und lobten das herrliche Wasser“ (WA I.50,249). 109 Zum sprachmusikalischen Kunstmittel der Alliteration kommt noch akzentuierend das Enjambement hinzu. 110 Im 1815 verfaßten Artikel zu »Proserpina« betont Goethe ihr „bedrängtes Herz“ (P,107). 111 P,107 f. 112 P,108. 113 P,108. Der Granatapfel ist damit als Gabe des Paradieses ausgewiesen. 114 Sauder, GH 2, S. 66. 115 Nietzsche, Friedrich: Nachlaß. Werke, Bd. XIV, München 1956, S. 206.   101

116 Sicher kannte Goethe die 1749 entstandene ironisch-erotische „Ode an einen Granatapfel“ von Karl Wilhelm Ramler (1725–1798), in welcher die Entjungferung als bewußt und ohne jede Reue gesuchte „Lust und Wollust“ bezeichnet wird (Ramler, Karl Wilhelm: Oden. Berlin 1767, S. 13. Dort steht zu lesen: „O Proserpinens Apfel, die mit Lust/Und Wollust deine goldnen Körner/Im Reich des Höllengottes aß,/Und allen Nektar ferner/Und den Olymp vergaß“). – Goethe hat 1770/71 den gleichen Vorgang von Verführung und Gewalt, allerdings unter völlig anderen Vorzeichen, dargestellt. Das geschah im dichterischen Wettstreit mit Herder und dessen späterer Frau Caroline über ein Lied des Paul van der Aelst – in dem zum Volkslied gewordenen Gedicht „Heideröslein“. Es kann sich im Falle von »Proserpina« keineswegs darum handeln, wie die Kommentatoren der ‚Frankfurter Ausgabe‘ annehmen: „Goethe pfropft damit dem antiken Erossymbol des Granatapfelbaums das christliche Reis des Apfels der Erkenntnis auf, veredelt gleichsam den erotischen Trieb in dessen Sublimierung durch den biblischen Akt des Erkennens von Gut und Böse. Die Folge dieses Erkennens ist, daß Proserpina sich selbst zu ewiger Höllenqual verdammt“ (FA 5, S. 959). Goethe zielte auf die irdische Erkenntnis von Gut und Böse ab. 117 In dem um 1430 entstandenen Versepos von Pierre de Nesson, „L’Enlèvement de Proserpine“, wird die Titelheldin zur schrecklichen Teufelin. Du Bellays Darstellung (s. Anm. 14) spielt im Titel bewußt mit der Doppeldeutigkeit des Wortes ‚ravissement‘ (‚Raub‘ und ‚Entzücken‘). Im Proserpina-Epos von Giambattista Marino (1620) werden Pluto und Proserpina sogar zum Musterehepaar. Eine ironische Variante dazu lieferte Alexandre Hardy in der Tragikomödie „Ravissement de Proserpine par Pluton“ (um 1611, gedruckt 1626). Er zeigt – in deutlicher Parodie zur halbjährlichen Rückkehr Proserpinas auf die Oberwelt – seine Titelheldin tagsüber tätig mit Mutter Ceres, nachts in den Armen Plutos. 118 Zum Hymnenton tragen in starkem Maße die ziemlich gleichmäßig geformten Verse bei. Zehn der 15 Verse bestehen aus fünf, drei aus vier, zwei aus sechs Silben. Das ergibt ein weithin einheitliches Klangbild. 119 P,108. 120 P,108. 121 Bürger, Gottfried August: Sämtliche Werke in vier Bänden. Hrsg. v. Wolfgang von Wurtzbach. Leipzig 1902, Bd. 1, S. 174–178 („Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“, 1779), Zitat: S. 175. 122 P,113. 123 P,108. Vgl. hierzu auch: „Proserpina’s initiation into adulthood“ (Byrne Bodley, S. XXVII f.). 124 So die Bühnenanweisung nach Vers 216. 125 P,108. 126 Die Partien der Parzen umfassen einmal 5, zweimal 4 Verse und gegen Ende zweimal nur einen Vers.

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127 Vgl. Anm. 81. In „Faust II“ bezeichnet Mephistopheles die Parzen sogar als „Schwestern der Phorkyaden“ (V. 7990), also der drei häßlichen Töchter des Phorkus, die gemeinsam nur ein Auge und einen Zahn haben. 128 P,113. 129 So Volker Klotz in anderem Zusammenhang (Klotz, S. 154 f.). 130 P,113. 131 Ebenso dann noch V. 231, 248, 250 (zweimal!), 258 und 271. 132 Schopenhauer, Arthur: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Bd. 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. 2.A. Darmstadt 1968, S. 451 (Sigle: Schopenhauer). 133 Byrne Bodley, S. XXXI–XXXIII („From Mythologie to Social Politics“). Es heißt da unter anderem: „Goethe deconstructs the traditional reading of the abduction of Proserpina. … Poserpina’s lines bring to life the curtailment of women’s control over their own destinies because of their vulnerability to physical and sexual abuse“ (S. XXXI f.). 134 Äußerung Prosperos in dem von ihm gesprochenen Epilog zum Drama „Der Sturm“ (Shakespeare: Complete works. Ed. By Peter Alexander. London, Glasgow. 8.A. 1962, S. 26). 135 P,108. 136 Der erste Teil umfaßt acht Verse, der zweite fünf; deren Länge schwankt zwischen vier und zwölf Silben. 137 Die fast gleich lautenden Verse – „Wie hass’ ich euch!“, „Wie hass’ ich dich“ (V. 254 und 264) – setzen am Schluß des Monologs das Haß-Motiv fort. 138 Pluto führt gelegentlich auch den Namen Stygius. Gemeint sind also die dunklen Taten Plutos. 139 Strohschneider-Kohrs, S. 145. 140 P,108. Es ist also nicht so wie der Kommentator der Frankfurter Ausgabe annimmt, „daß Proserpina sich selbst zu ewiger Höllenqual verdammt“ (FA 5, S. 959). Vielmehr reagiert sie auf die ihr auferlegte Zwangslage. 141 P,113. Als Besucher der Aufführung hielt der Hofrat und Übersetzer Johann Diederich Gries in einem Brief vom 7.2.1815 zum Ende des Stückes fest: „… als … der hintere Vorhang aufging, und nun das ganze Höllenreich in seiner finster­ sten Pracht sich zeigte. In einer Höhle saßen die drei Parzen. Auf dem Felsen darüber der Höllenkönig in seiner ganzen Majestät. Umher, auf dem Gestein zwischen den Felsstücken waren die übrigen Bewohner des Tartarus … gruppiert. Dies gab ein ganz einziges Bild“ (zit. n.: FA 5, S. 951). 142 Camus, Albert: Essais (= Bibliothèque de la Pléiade). Paris 1965. Camus sieht Sisyphos „glücklich“ (a.a.O., S. 198). Doch läßt sich ein der Absurdität abgetrotztes ‚Glück‘ Proserpina gewiß nicht zusprechen. 143 Bloch, Ernst: Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs. Frankfurt/M. 1968, S. 116. 144 Ebd., S. 333.

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145 So die These Emrichs im Blick auf „Die natürliche Tochter“ (Emrich, S. 163– 182). 146 FAZ.NET: Im Gespräch: Wolfgang Rihm (26.4.2009). 147 HA 12,514 („Maximen und Reflexionen“, 1052). 148 „Nicht weiter ermittelt“ heißt es dazu im Internet-Programm „Die Oper zwischen 1770 und 1830“. 149 Krämer (GHS, S. 86). 150 WA IV.25,328 f. (an Zelter am 17.5.1815). 151 P,107. 152 P,109. 153 Herder, Johann Gottfried: Werke, Bd. 23, S. 559 („Adrastea“, 6. Stück: Händel). 154 Schopenhauer, S. 451. Der Psychoanalytiker Eissler hat sich natürlich ebenfalls auf diesen Teil der Handlung gestürzt und den Granatapfel zum „Symbol der Schwängerung“ gemacht, zudem darin noch – unter Bezugnahme auf Redslob (Anm. 20) – ein Zeichen von Goethes Reaktion auf den Tod der Schwester Cornelia sehen wollen. Entschieden überinterpretierend behauptet er dabei den Zusammenhang von „Heirat, Schwangerschaft und Tod zu einem Symbol verdichtet“ (Eissler, Kurt R.: Goethe. Eine psychoanalytische Studie 1775–1786. 2 Bde. Frankfurt/M. 1983 und 1985, S. 324–427; Zitat: S. 326). 155 Mann, Thomas: Der Zauberberg. (Gesammelte Werke, Bd. III). 2. A. Frankfurt/M. 1974, S. 493. 156 Beckett, Samuel: Gedichte. Wiesbaden 1959, S. 77 („Proserpine … adorable de vide douteux“, ebd., S. 76). 157 „Perséphone“, Melodrama von Igor Strawinski in 3 Szenen von André Gide. Hierzu: Gide, André: Théâtre. Paris 1942, S. 304–334. Gide gestaltete drei Bilder: ‚Bei den Nymphen‘, ‚Der Raub der Persephone‘, ‚zeitweilige Rückkehr Persephones“. Das zeigt die von Goethes Akzentuierung abweichende enge Anlehnung seines Textes an Homer. Er betont auch ausdrücklich: „C’est ainsi, nous raconte Homère“ (a.a.O., S. 314). 158 Hartmann, S. 407. 159 Zit. n.: GHS, S. 227. 160 Ebd., ibid. Eine genauere Beschreibung der Komposition von Seckendorffs findet sich in GHS, S. 227 f.; hierzu auch: Anm. 161. 161 Vgl. hierzu: GHS, S. 229 f. und 232. 162 Die irische Germanistin und Musikwissenschaftlerin Lorraine Byrne Bodley hat die Kombination von Goethes Text mit Eberweins Komposition erstmals veröffentlicht und ausführlich kommentiert (vgl. Bibliographie und Anm. 2 sowie vor allem Byrne Bodley, S. XXXVII–XXXIX: ‚Carl Eberwein‘s collaboration with Goethe‘). 163 Zit. n.: Luber, Nike: Neue Rihm-Oper bei Schwetzinger Festspielen. In: neue musik zeitung, 29.4.2009.

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164 So Rihm in einem Brief an den Theoretiker und Musikmanager Peter Oswald, abgedruckt im Begleitheft zum Mitschnitt der Uraufführung von „Die Hamletmaschine“ 1987 am Nationaltheater Mannheim (R1, S. 2). 165 Zit. n.: Reininghaus, Frieder: Lust der Qual. Wolfgang Rihms ‚Proserpina‘ in Schwetzingen. In: neue musik zeitung, 5.5.2009.(Sigle: NMZ). 166 R3, S. 24. In den gleichen Zusammenhang gehören auch die Lieder nach Gedichten von Karoline von Günderode. 167 Die Fertigstellung erfolgte am 4.1.2009 (vgl. hierzu: Part., S. 178). 168 Flöte, Oboe, 2 Klarinetten, Fagott, 2 Hörner, Vibraphon, Schlagzeug („4 Cymbales antiques, 2 Röhrenglocken, tiefer Woodblock, 3 hängende Becken, großes Tam-Tam, 3 Bongos, kleine und große Trommel“), Harfe, 6 Streicher (2 Violinen, Bratsche, 2 Violoncelli, Kontrabaß) sowie „in der Ferne: Piccoloflöte, Trompete in C, Tuba“. Die in Anführungszeichen gesetzten Informationen zur Besetzung entstammen der Partitur: Wolfgang Rihm: Proserpina. Ein Monodrama nach Johann Wolfgang Goethe (2008).Universal Edition (UE 34621). Wien, London, New York. 2009 (Sigle: Part.). 169 Weiss, Thomas: Rihms ‚Proserpina‘ bei Schwetzinger Festspielen uraufgeführt. In: Pforzheimer Zeitung, 3.5.2009; Schon, Heiko: (zur Wuppertaler Aufführung). In: Kultur-Extra, das Online-Magazin, 18.6.2010. 170 R1, S. 2. 171 So Rihm im Brief an den Vf. vom 27.05.2011. 172 Rihm erwähnt hierzu Schönbergs „Erwartung“ (op. 17, 1909) und „Die glückliche Hand“ (op. 18, 1924). 173 R1, S. 5. 174 R2, S. 7. 175 R2, S. 6. 176 P,113. 177 Nyffeler, Max: Musiksturz, Klangfluß. In Programm der Wuppertaler Bühnen zu »Proserpina«. Wuppertal 2010, S. 14–17; Zitat: S. 17. 178 Dick, Alexander: Orgasmus mit dem Granatapfel. In: Badische Zeitung (4.5.2009); Schweikert, Uwe: Schönheitstrunken gegen die Wand. In: Opernwelt 7/2009, S. 9 und Opernwelt: Jahrbuch 2009, S. 36; Lemke-Matwey, Christine: ‚Proserpina‘: Plötzlich Prinzessin“. In: Der Tagesspiegel (4.5.2009). 179 Zit. n.: Reininghaus, Frieder: Lust der Qual. In: NMZ (neue musik zeitung; 5.5.2009). 180 Drs.: ebd.. 181 Hagedorn, Volker: Ich will hier rein! Ich will hier raus! Zwei neue Einakter von Salvatore Sciarrino und Wolfgang Rihm zeigen die Extreme zeitgenössischer Opernmusik. In: Die Zeit, 7.5.2009, S. 20. Das Zitat spielt auf V. 213 von Goethes Text an. Aufschlußreich ist im selben Zusammenhang die Bemerkung von Wolfgang Goertz zur Sopranpartie im Monodrama. Er spricht von der schwierigen „Ortung der schwindelerregend hohen und wie wild über die Notenlinien

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gewürfelten Töne“ (Goertz, Wolfgang: Sie beseelt jede Partie: Mojca Erdmann. In: Die Zeit, 16.10.2010, S. 63). 182 Part., S. 118 f. 183 Part., S. 120 f. 184 Nike Luber, zit. n.: NMZ (s. Anm. 163). 185 Müller-Grimmel, Werner: Beiß nicht gleich in jeden Apfel. In: Stuttgarter Zeitung, 4.5.2009. 186 Spinola, Julia: Uraufführung in Schwetzingen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.5.2009. 187 So Heiko Schon in Kultur-Extra, das Online-Magazin, 18.6.2010. Neuenfels selbst mußte eingestehen: „Zuvor versuchten wir … über Goethes Gedicht bereits Zugang zu finden, was sich als äußerst schwierig erwies, ist doch die Dichtung mit vielfach verästeltem Wissen (!) und mythologischen Bezügen gefüllt, die dem heutigen Zuschauer und Hörer eher fremd sind“. Er zog daraus die Folgerung: „Nie lähmte uns eine vorgegebene Autorität“ (zit. n: Neuenfels, Hans: Wir folgen den Noten wie Spuren in ein jungfräuliches Land. In: Die Zeit, Nr. 19/2009 (30.4.2009). Sein Eingeständnis spricht in der Tat Bände! 188 In der Schwetzinger Aufführung (2., 4. und 5. Mai 2009) sang und spielte Mojka Erdmann die Titelrolle, Jonathan Stockhammer dirigierte das RundfunkSinfonieorchester Stuttgart; es sang das SWR Vokalensemble Stuttgart. In der Wuppertaler Aufführung (11. und 30. April 2010) übernahm Elena Fink die Titelrolle, Florian Frannek dirigierte das Sinfonieorchester Wuppertal; es sangen Damen des Opernchores der Wuppertaler Bühnen. An beiden Orten führte Hans Neuenfels die Regie im Verein mit Gisbert Jäkel (Bühneneinrichtung) und Elina Schnizler (Kostüme) sowie mit der szenischen Einstudierung in Wuppertal durch Beate Baron. 189 Beim Spoleto Festival sang die Sopranistin Heather Buck die Titelrolle; Jason Bruffy war ihr als weder von Goethe noch von Rihm vorgesehener Pluto beigesellt (!). John Kennedy dirigierte das Spoleto Festival Orchestra; es sangen Mitglieder des ‚Westminster Choir‘. Regie führte Ken Rus Schmoll, Bühnenbild und Kostüme erarbeitete Marsha Ginsberg. Die Aufführungen fanden am 30.5., 4.6. und 9.6.2010 statt. 190 S. Anm. 2 und 161. Die Aufführung wurde gestaltet durch die Thüringer Symphoniker unter Oliver Weder. Die Schauspielerin Heike Meyer übernahm die Rolle der Proserpina, ferner sangen Mitglieder des Kammerchors der Schloßkapelle Saalfeld. 191 Am 30.11.2007 fand in der National Concert Hall von Dublin die Aufführung von Goethes »Proserpina« in der Vertonung von Eberwein statt. Es spielte das National Symphony Orchestra unter Leitung von Gerhard Markson. Den Part der Proserpina übernahm die Schauspielerin Elfi Hoppe.

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Bibliographie

Zitierte Goethe-Ausgaben Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 143 Bde. Weimar 1897–1919 (‚Weimarer Ausgabe‘): Sigle: WA. Wenn nicht anders angegeben, wird grundsätzlich nach dieser Ausgabe zitiert. Da häufig auf Goethes Aufsatz „Proserpins“ mit Empfehlungen zur Aufführungspraxis (WA I.40, 106–118) eingegangen wird, sind Zitate daraus gesondert sigliert: Sigle P. Goethes Werke in 14 Bänden. Hrsg. v. Erich Trunz. Hamburg 1948–1964 (‚Hamburger Ausgabe‘): Sigle: HA. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Hrsg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. München 1985 ff. (‚Münchner Ausgabe‘): Sigle: MA. Johann Wolfgang Goethe: Dramen 1776–1790. Unter Mitarbeit von Peter Huber hrsg. v. Dieter Borchmeyer. In: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. I. Abteilung, Bd. 5. Frankfurt/M. 1988 (‚Frankfurter Ausgabe‘): Sigle: FA.

Zitierte „Proserpina“-Ausgaben Proserpina (Prosafassung, 1777): in: FA, Bd. 5: Dramen 1775–1786, S. 65–68. Nach der Textgrundlage des Erstdrucks (Begleitheft zur Aufführung am 28.1.1778 am Weimarer Hof ). Ebenso: MA 2.1, S. 161–164 (nach der Textgrundlage des Zweitdrucks im „Teutschen Merkur“, 1778, erstes Vierteljahr). Proserpina (Versfassung von 1785): in: WA I,17, S. 40–49. Nach der Textgrundlage des Druckes als Einlage in „Der Triumph der Empfindsamkeit“ (1787). Ebenso: FA 5, S. 98–106. Proserpina: Goethe’s Melodrama with Music by Carl Eberwein. Orchestral Score, Piano Reduction, and Translation. Ed. by Lorraine Byrne Bodley. Dublin 2007 (Paralleldruck der deutschen Versfassung und der englischen Übertragung: S. 173–179): Sigle: PB.

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Rihm, Wolfgang: Proserpina. Ein Monodrama nach Johann Wolfgang Goethe (Partitur der Oper mit Goethes Text vorangestellt). Wien, London, New York 2009: Sigle: Part.

Selbstzeugnisse Goethes Goethes Gespräche mit Eckermann. Einleitung v. Franz Deibel. Leipzig o.J. (InselAusgabe): Sigle: Eckermann. Goethes Gespräche. Gesamtausgabe in vier Bänden. Hrsg. v. Flodoard Frhr. von Biedermann. Leipzig 1909: Sigle: GG.

Goethe-Handbuch Goethe-Handbuch in vier Bänden. Hrsg. v. Bernd Witte, Theo Buck, Hans-Dietrich Dahnke, Regine Otto und Peter Schmidt. Stuttgart, Weimar 1996–1998: Sigle: GH. Goethe-Handbuch, Supplemente, Bd. 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken. Hrsg. v. Gabriele Busch-Salmen, Mitarbeit: Benedikt Jeßing. Stuttgart, Weimar 2008: Sigle: GHS.

Sekundärliteratur Anton, Herbert: Der Raub der Proserpina. Literarische Traditionen eines erotischen Sinnbildes und mythischen Symbols ( = Heidelberger Forschungen 11). Heidelberg 1967. Biedrzynski, Effi: Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen und Schauplätze. Zürich 1992. Borchmeyer, Dieter (Mitarbeit: Peter Huber): Kommentar zu ‚Proserpina‘. In: FA, Bd. 5, S. 948–962: Sigle: Borchmeyer. Boyle, Nicholas: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. 1: 1749–1790. München 1995. Byrne Bodley, Lorraine: Proserpina. Goethe’s Melodrama with Music by Carl Eberwein. In: PB, S. XXI–XLVI: Sigle: Byrne Bodley.

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Eissler, Kurt R.: Goethe. Eine psychoanalytische Studie 1775–1786. Bd. 1. Frankfurt/M 1983. Emrich, Wilhelm: Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter‘. Zur Ursprungsgeschichte der modernen Welt. In: Aspekte der Goethezeit. Hrsg. v. Stanley A. Corngold u.a. (Festschrift für Victor Lange). Göttingen 1977: Sigle: Emrich. Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte ( = Kröners Taschenausgabe 100). 5. A. Stuttgart 1983: Sigle: Frenzel. Gundolf, Friedrich: Goethe (1916): Nachdruck. Darmstadt 1963. Hartmann, Tina: Goethes Musiktheater. Singspiele, Opern, Festspiele, Faust. Tübingen 2004: Sigle: Hartmann. Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexicon. Leipzig 1770. Hinck, Walter: Das deutsche Lustspiel im 17. und 18. Jahrhundert und die italienische Komödie. Stuttgart 1960. Kayser, Wolfgang: Anmerkungen des Herausgebers. In: HA, Bd. 4: Dramatische Dichtungen. Hamburg 1953. Kerény, Karl: Die Mythologie der Griechen, Bd. 2: Die Heroen-Geschichten ( = dtv 30031). 18. A., München 1999: Sigle: Kerény. Klotz, Volker: Geschlossene und offene Form des Dramas. 2.A. München 1962: Sigle: Klotz. Krämer, Jörg: Die Rezeption von Goethes Singspielen – zeitgenössische Wirkungen und spätere Annäherungen. In: GHS, S. 75–96: Sigle: Krämer. Lange-Kirchheim, Astrid: Spiel im Spiel – Traum im Traum. Zum Zusammenhang von Goethes ‚Triumph der Empfindsamkeit‘ und dem Monodrama ‚Proserpina‘. In: Ars interpretandi 10: psychoanalytische und psychopathologische Literaturinterpretation. Hrsg. v. Bernd Urban und Winfried Kudszus. Darmstadt 1981, S. 125–151, Zitate: S. 131: Sigle: Lange-Kirchheim. Müller-Harang, Ulrike: Das Weimarer Theater zur Zeit Goethes. Weimar 1991: Sigle: Müller-Harang. Redslob, Edwin: Goethes Monodrama ‚Proserpina‘ als Totenklage für seine Schwester. In: Goethe-Jahrbuch 8/1943, S. 252–269. Reinhardt, Hartmut: Kommentar zu ‚Proserpina‘ in: MA, Bd. 2.1, S. 625–629.

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Rihm, Wolfgang: Begleitheft zur CD von „Die Hamletmaschine“ nach Heiner Müller (CD: WER 6195–2); darin: Brief an Peter Oswald (Sigle: R1), Notizen neben einer Probe. Reste von Programmhefttext-Entwürfen (Sigle: R2), Scherzo (Nr. 3 von Rihms Text zu „Die Hamletmaschine“; Sigle: R3). Sauder, Gerhard: Dramenfragmente und kleine Dramen. In GH 2, S. 43–70: Sigle: Sauder. Siegrist, Christoph: Proserpina. Ein griechischer Mythos in der Goethezeit. Gießen 1962. Strohschneider-Kohrs, Ingrid: ‚Proserpina‘ im ‚Triumph der Empfindsamkeit‘. Goethes Selbstmaskierung. In: Euphorion 93/1999, S. 139–167: Sigle: Strohschneider-Kohrs. Angaben zu den folgenden Autoren finden sich jeweils unter den nachstehend aufgeführten Anmerkungen: Beckett (A 156), Bloch (A 143), Büchner (A 22), Bürger (A 121), Camus (A 142), Herder (A 153), Homer (A 6, A 8), Thomas Mann (A 155), Nietzsche (A 115), Ovid (A 9, A 10), Ramler (A 116), Rousseau (A 59), Schopenhauer (A 23, A 132), Shakespeare (A 14, A 134), Tieck (A 30).

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Abbildungsnachweis © Studio Brackrock GmbH, Hamburg, Foto: Wulf Brackrock: Umschlagabbildung © Domkapitel Aachen; Foto: Pit Siebigs: Abb. 1 u. 2. Ceysson, Bernard; Bresc-Bautier, Genevievè; Dell’Arco, Maurizio Fagiolo; Souchal, François: Skulptur. Renaissance bis Rokoko 15. bis 18. Jahrhundert (Foto: Maurizio di Puolo). Köln u.a. 1996, S. 228 und 229: Abb. 3, 4 und 5. Goldschmit-Jentner, Rudolf K.: Goethe. Eine Bildbiographie. München 1957, S. 48 und 77: Abb. 6 und 11. Klassik Stiftung Weimar (Inventar-Nr.: DK 499/01): Abb. 7. Klassik Stiftung Weimar (Inventar-Nr.: KGe/00961): Abb. 8. Klassik Stiftung Weimar (Inventar-Nr.: KGe/01220): Abb. 9. © Technische Universität Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt (Mus.ms. 1013, 1. Partiturseite): Abb. 10. Klassik Stiftung Weimar (Inventar-Nr.: GHz): Abb. 12. Müller-Harang, Ulrike: Das Weimarer Theater zur Zeit Goethes. Weimar 1991, S. 73: Abb. 13. Bodley, Lorraine Byrne: Proserpina: Goethe’s Melodrama with Music by Carl Eberwein. Dublin 2007, Umschlagabbildung und S. 85: Abb. 14 und 15. © Freies Deutsches Hochstift, Frankfurter Goethe-Haus (Inv.-Nr. III–1068): Abb. 16. Hahn, Karl-Heinz [Hrsg.]: Goethe in Weimar. Ein Kapitel deutscher Kulturgeschichte. Leipzig 1991, S.142 und 140: Abb. 17 u. 18. Universal Edition, Wien: Abb. 19 © Foto: Schwetzinger SWR Festspiele, Martina Pipprich: Abb. 20. © Wuppertaler Bühnen GmbH; Bildautoren: pillboxs: Abb. 21.

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Personenregister A Abbate, Niccolo dell’ 29, 95 Alexander, Peter 103 Anna Amalia, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach 35, 97 Anton, Herbert 96, 108 Artaud, Antonin 88 B Beckett, Samuel 85, 104, 110 Bellay, Joachim du 29, 96, 102 Bernini, Gian Lorenzo 28, 29, 96 Bertuch, Friedrich Justin 40 Biedrzynski, Effi 98, 108 Bloch, Ernst 82, 103, 110 Borchmeyer, Dieter 98, 108 Böttiger, Karl August 87 Boyle, Nicholas 10, 95, 97, 108 Brühl, Carl von 97, 98, 99 Büchner, Georg 31, 88, 96, 110 Buck, Heather 106 Bürger, Gottfried August 70, 102, 110 Byrne Bodley, Lorraine 41, 73, 93, 102, 103, 104, 107, 108, 111 C Camus, Albert 81, 103, 110 Celan, Paul 88 Claudian (d.i. Claudius Claudianus) 29, 95 D Dick, Alexander 90, 105 Dürer, Albrecht 29, 95 E Eberwein, Franz Carl Adalbert 37, 38, 39, 40, 41, 43, 44, 84, 87, 93, 98, 104, 106, 107

Eckermann, Johann Peter 99, 100 Eissler, Kurt R. 104, 109 Emrich, Wilhelm 104, 109 Erdmann, Mocja 91, 93, 106 F Fink, Elena 92, 106 Frannek, Florian 106 Frenzel, Elisabeth 95, 96, 109 G Gemoll, Albert 95 Gentileschi, Artemisia 95 Gide, André 86, 104 Gluck, Christoph Willibald 90, 96 Goertz, Wolfgang 105, 106 Göschen, Georg Joachim 36 Gries, Johann Diederich 103 Grumach, Ernst 97 Günderode, Karoline von 105 Gundolf, Friedrich 33, 46, 97, 99, 109 H Hafis (d.i. Muhammad Schamsad-Din) 45 Hagedorn, Volker 90, 105 Hagen, Waltraud 97 Hamilton, Emma 98 Händel, Georg Friedrich 39, 98, 104 Hardy, Alexandre 102 Hartmann, Tina 86, 97, 98, 104, 109 Hederich, Benjamin 96, 100, 109 Herder, Johann Gottfried 85, 102, 104, 110 Himburg, Christian Friedrich 36 Hinck, Walter 33, 97, 109 Hölderlin, Friedrich 88 Homer 25, 55, 56, 86, 93, 95, 104, 110

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Hoppe, Elfi 106 Hübscher, Arthur 96

Nietzsche, Friedrich 68, 88, 101, 110 Nyffeler, Max 105

K Karl Friedrich, Erbprinz von SachsenWeimar-Eisenach 40 Kayser, Wolfgang 44, 96, 99, 109 Kennedy, John 106 Kerény, Karl 101, 109 Kleist, Heinrich von 88 Klotz, Volker 61, 101, 103, 109 Krämer, Jörg 84, 104, 109

O Oswald, Peter 105, 110 Ovid (d.i. Publius Ovidius Naso) 27, 29, 30, 55, 56, 93, 95, 110

L Lange-Kirchheim, Astrid 97, 109 La Roche, Sophie von 99 Lehmann, Werner R. 96 Lemke-Matwey, Christine 90, 105 Löhneysen, Wolfgang Freiherr von 103 Louise, Herzogin von Weimar-Eisenach 33, 96 Luber, Nike 104, 106 Lully, Jean-Baptiste 29, 96 Lyncker, Carl Wilhelm Heinrich Freiherr von 87 M Mann, Thomas 85, 104, 110 Marino, Giambattista 102 Markson, Gerhard 106 Meyer, Heike 106 Meyer, Johann Heinrich 41 Monteverdi, Claudio 96 Moosmayer d. J. 84 Mozart, Wolfgang Amadeus 90 Müller-Grimmel, Werner 106 Müller-Harang, Ulrike 98, 109 Müller, Heiner 88 N Napoleon, Bonaparte 44 Nesson, Pierre de 102 Neuenfels, Hans 92, 106 114 

P Ponte, Lorenzo da 84 Q Quinault, Philippe 96 R Ramler, Karl Wilhelm 102, 110 Redslob, Edwin 96, 104, 109 Reichardt, Johann Friedrich 87 Reinhardt, Hartmut 109 Reininghaus, Frieder 90, 105 Rembrandt, Harmenszoos van Rijn 29, 95 Rihm, Wolfgang 9, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 104, 105, 106, 108, 110 Rösch, Erich 95 Rosetti, Dante Gabriel 41 Rousseau, Jean-Jacques 44, 98, 99, 110 Rubens, Peter Paul 29, 95 S Sappho 34, 97 Sauder, Gerhard 101, 110 Scheffer, Thassilo von 95 Schlosser, Cornelia (Schwester Goethes) 30, 31, 96, 104 Schmidt, Erich 96 Schönberg, Arnold 89, 105 Schöne, Albrecht 98 Schon, Heiko 88, 105, 106 Schopenhauer, Arthur 31, 72, 85, 90, 96, 103, 104, 110 Schröter, Corona 35, 36, 44, 50, 96, 97 Schweikert, Uwe 90, 105

Seckendorff, Siegmund Freiherr von 36, 37, 44, 84, 87, 104 Shakespeare, William 29, 75, 96, 103, 110 Siegrist, Christoph 96, 110 Sophokles 88 Spinola, Julia 106 Spinoza, Baruch de 31 Staiger, Emil 9 Stockhammer, Jonathan 106 Stolberg, Augusta Gräfin zu 97 Strauß, Botho 88 Strauß, Richard 90 Strawinsky, Igor 86, 104 Strohschneider-Kohrs, Ingrid 79, 97, 103, 110 Sulzer, Johann Georg 99

V Vergil (d.i. Publius Vergilius Maro) 79 Vollmer, Wilhelm 100 W Weder, Oliver 106 Weiss, Thomas 88, 105 Wieland, Christoph Martin 36 Winter, Peter von 84 Wolff, Amalie 38, 39, 44, 50, 98, 100 Wolff, Pius Alexander 98 Wurtzbach, Wolfgang von 102 Z Zelter, Carl Friedrich 37, 39, 84, 98, 104

T Tasso, Torquato 29, 96 Teuber, Maria 93 Tieck, Ludwig 33, 97, 110 Tiepolo, Giovanni Batista 29, 95

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MICHAEL BRAUN

DIE DEUTSCHE GEGENWARTSLITERATUR EINE EINFÜHRUNG (UTB FÜR WISSENSCHAFT 3352 M)

Diese Einführung vermittelt Orientierung im weiten Feld der deutschen Gegenwartsliteratur. In sieben Kapiteln werden literarhistorische Voraussetzungen, mediale Kontexte, folgenreiche Kontroversen sowie maßgebliche Autoren und Werke der letzten zwanzig Jahre vorgestellt, konzentriert auf Prosa und Lyrik sowie auf den Film. Dies geschieht im Wechsel von kursorischem Überblick und modellhafter Kurzinterpretation. Weiterführende Literaturangaben, eine kommentierte Auswahlbibliografie, Kontroll- und Übungsfragen runden die Kapitel ab. Das Buch ist als Lehrwerk und Grundriss angelegt, auf dem Dozentinnen und Dozenten wie Studierende im modularisierten Studium auf bauen können. 2010. 247 S. MIT 15 S/W-ABB. BR. 150 X 215 MM | ISBN 978-3-8252-3352-5

„Der Autor schreibt keine Geschichte der Gegenwartsliteratur im üblichen Sinne, sondern diskutiert Themen und Konstellationen [...]. Jedem, der Gegenwartsliteratur unterrichtet, sei dieser Band angelegentlich empfohlen: es ist das brauchbarste einführende Arbeitsbuch, das man sich wünschen kann.“ German Studies Review böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SASCHA KIEFER

DIE DEUTSCHE NOVELLE IM 20. JAHRHUNDERT EINE GATTUNGSGESCHICHTE

Sascha Kiefer rekonstruiert den gattungsgeschichtlichen Verlauf der Novelle im 20. Jahrhundert, der von den formstrengen, klassizistischen Novellenkonzepten eines Paul Ernst oder Werner Bergengruen ausgeht und seit 1978 in eine quantitative und qualitative Neubelebung des Genres mündet. Er verbindet konkrete, gut lesbare Einzelana lysen mit einer gattungshistorischen Metaperspektive. Dabei zeigt er, wie zeitgenössische Autoren von Günter Grass bis Martin Walser, von Helmut Heißenbüttel bis Thomas Lehr die Flexibilisierung und Er neuerung der Gattung in Moderne und Postmoderne bewirkt haben. Das Buch erweitert damit nicht nur den literarhistorischen Horizont, sondern gibt auch wichtige Impulse, den schulischen und universitären Novellenkanon um neuere Texte zu ergänzen. 2010. 587 S. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-20582-9

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

THEO BUCK

»DER POET, DER SICH VOLLENDET« GOETHES LEHR- UND WANDERJAHRE

Der Literaturwissenschaftler Theo Buck zeichnet die schwierige Position des Künstlers Johann Wolfgang Goethe zwischen engagierter Lebensbewältigung und notwendiger Unabhängigkeit nach. Ohne sich auf biographische Einzelheiten einzulassen, wird Goethes künstlerischer Weg beschrieben und durch Analysen seiner wichtigsten Texte einsichtig gemacht. Diese bilden den eigentlichen Schwerpunkt der Darstellung und zeigen, wann und warum die einzelnen Werke entstanden sind und was sie bedeuten. 2008. X, 440 S. GB | ISBN 978-3-412-20091-6

„[E]ine detailgetreue Einführung in den Zusammenhang von Leben, Künstler tum und Werk G.s bis zur Lebensmitte, die aus souveräner Quellenkenntnis und psychologisch differenziert eingehend erläutert, was bei G. konzeptionell entworfen ist: Die wechselseitige Bedeutungserhöhung und Bestätigung von Leben und Werk im Ich-Entwurf eines großen Individuums.“ Germanistik

„Theo Bucks Studie zeigt Goethe als modernen Reisenden, begierig nach Verwandlung [...]. Ein materialreiches, flüssig geschriebenes Buch..“ WDR böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

THEO BUCK

STREIFZÜGE DURCH DIE POESIE VON KLOPSTOCK BIS CELAN GEDICHTE UND INTERPRETATIONEN

Der Literaturwissenschaftler Theo Buck führt in die Welt seiner Lieblingsgedichte ein, die zugleich kanonisierte Texte der deutschsprachigen Lyrik sind. Nicht Vollständigkeit, sondern Repräsentativität wird mit dieser Gedichtauswahl angestrebt: Sie enthält Werke von Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Clemens Brentano, Friedrich Hölderlin, Heinrich Heine, Friedrich Nietzsche, Else Lasker-Schüler, Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann, Paul Celan und anderen. 2010. 323 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-20533-1

„Der Leser wird mitgenommen auf ebenso lehrreiche wie entdeckungsfreudige ‚Streifzüge‘.“ Park. Zeitschrift für Neuere Literatur

„So werden zu jedem Gedicht grundlegende Einführung wie fundierte Interpretation geboten.“ Germanistik

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