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German Pages 374 Year 1995
CLAUS KRESS
Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen bei staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater
Schriften zum Völkerrecht Band 116
Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen bei staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater
Von Claus Kreß
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Kress, Claus:
Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen bei staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater I von Claus Kress. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Völkerrecht ; Bd. 116) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08309-1 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-08309-1
Meinen Eltern und meiner lieben Sirnone
Vorwort Diese Arbeit wurde im wesentlichen zu Beginn des Jahres 1994 abgeschlossen. Sie lag im Sommersemester desselben Jahres der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vor. Ich habe versucht, Staatenpraxis, Rechtsprechung und Literatur der ersten Jahreshälfte 1994 noch zu berücksichtigen. Mit Freude und in Dankbarkeit darf ich mich an dieser Stelle an alle (d.h. auch an die nachfolgend nicht ausdrücklich Genannten) wenden, die den Entstehungsprozeß der Schrift sei es durchgängig sei es auf einer bestimmten Etappe wohlwollend begleitet haben. Mein sehr herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hartmut Schiedermair, einmal für die wissenschaftliche Freiheit, die er mir bei Auswahl und Bearbeitung des Untersuchungsgegenstandes gewährt hat, zum anderen für die zügige Erstellung seines eingehenden Erstgutachtens. Für die nicht minder rasche Anfertigung seines ermutigenden Zweitgutachtens habe ich Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Böckstiegel zu danken. Ganz besonderen Dank schulde ich meinem verehrten Völkerrechtslehrer, Herrn Prof. Dr. Luigi Condorelli. Nicht nur hat er mich mit seinen Vorlesungen im akademischen Jahr 1987/88 in Genf für das Völkerrecht begeistert, er hat mich vielmehr fortan räumlicher und sprachlicher Distanz zum Trotz in einer Weise unterstützt, wie sie ein Schüler nur als großes Glück empfinden kann. Inhaltliche Spuren dieser langjährigen Förderung finden sich in den zurechnungsdogmatischen Passagen der Arbeit. Wertvolle Anregungen habe ich daneben von Herrn Christopher Greenwood, M. A., LIB. (Magdalene College, Cambridge) erhalten. Durch seine fesselnden Vorlesungen und darüber hinaus durch geduldig geführte Diskussionen im direkten vis-a-vis hat er mir insbesondere das tiefere Eindringen in das Konfliktsvölkerrecht sehr erleichtert. Um die "Schlußredaktion" hat sich mein Freund Jochen Herbst mit ebenso großem Engagement wie völkerrechtlichem Sachverstand verdient gemacht. Zu Dank verpflichtet bin ich schließlich der Studienstiftung des deutschen Volkes für das von ihr gewährte Promotionsstipendium, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst in Verbindung mit dem Kurt Hahn Trust der Universität Cambridge für die Verleihung eines Kurt-Hahn-GedächtnisStipendiums sowie - für die Unterstützung des Druckes dieser Arbeit - der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät und dem Auswärtigen Amt. Köln, im September 1994 Claus Kreß
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN . . . 29 I. Der radikal-induktive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
II. Die Arbeit mit "second-order Ievels of legal inquiry" . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Zur These von der Inadäquanz der objektiven Auslegung . . . . . . . . . . . . 34 IV. Der methodische Ansatz dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Das relevante Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Der Griechenland-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kaschmir-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Tschechoslowakei-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Korea-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Konflikt um den Mutual Security Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Birma-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Guatemala-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ungarn-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konflikte um Libanon und Jordanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Algerien-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Laos-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kuba-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Malaysia-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vietnam-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kongo-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte um Angola und Guinea-Bissau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Westsahara-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte im Zusammenhang mit dem Minderheitsregime in SüdRhodesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Der Benin-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Der Afghanistan-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der sowjetische Militäreinsatz im Jahre 1979 . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die pakistanisch-afghaniseben Auseinandersetzungen . . . . . . . . . l. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. ll. 12. l3. 14. 15. 16. 17. 18.
42 44 45 47 47 48 50 51 52 54 56 57 59 60 62 63 65 66 67 67 68 69
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Inhaltsverzeichnis 21. Die thailändisch-vietnamesischen Auseinandersetzungen als Teilaspekt des Kambodscha-Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Konflikte mit Beteiligung Südafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Der Nicaragua-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Konflikt zwischen Nicaragua und den USA . . . . . . . . . . . . . b) Der Konflikt zwischen Nicaragua und Honduras bzw. Costa Rica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Konflikte mit Bezug zu Libyen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eine rechtliche Stellungnahme der USA im Vorfeld des Gewalteinsatzes des Jahres 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gewalteinsatz der USA gegen Libyen im Jahre 1986 . . . . . c) Absatz 6 der Sicherheitsratsresolution 748 vom 31. März 1992 . . 25. Konflikte mit Beteiligung Israels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gewalteinsatz Israels in Jordanien vom November 1966 . . b) Der Gewalteinsatz Israels in Jordanien vom März 1969 . . . . . . . c) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon im Mai 1970 . . . . . . . . . . d) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon vom Dezember 1975 . . . e) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon vom Juli 1981 . . . . . . . . . 26. Konflikte unter Beteiligung der Türkei im Zusammenhang mit der Kurdenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Iranisch-irakisehe Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ausbruch des Golfkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bewaffneten Auseinandersetzungen im April des Jahres 1992... .. . . ..... . ....... . ........ . . .. . ........ . ......... 28. Der Konflikt um Bougainville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. Der Abchasien-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Der Konflikt um Bosnien-Hercegovina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. Der Gewalteinsatz der USA gegen den Irak im Juni 1993 . . . . . . . .
71 72 74 74 76 77 78 78 81 82 82 83 84 85 86 89 92 92 93 95 95 96 I 00
III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten . .... . ..... 103 I. Generalversammlungsresolutionen aus der Frühphase der VN . ... 2. Die "Friendly Relations Declaration" der Generalversammlung vom 24. Oktober 1970 .... . .......... .. . . .................... a) Zur Bedeutung der Absätze 8 und 9 zu Prinzip I für die spätere Praxis zu Art. 2 Ziff. 4 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Bedeutung der Absätze 8 und 9 zu Prinzip I für die spätere Praxis zu Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Aggressionsdefinition der Generalversammlung vom 14. Dezember 1974 ... . . . ...... . ........... .. .. ........ . .......... a) Zur Anwendbarkeit des Aggressionsbegriffs im Sinne der Resolution auf das staatliche Verhalten in den einzelnen Verwicklungskonstellationen ... . . .. .. . . . . .. .. . ... .. .. . . . ... . . ..... b) Zur Relevanz der sub a) erzielten Ergebnisse für die spätere Praxis zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 104 105 107 108 108 112
Inhaltsverzeichnis
II
4. Die Resolution 42/22 der Generalversammlung vom 18. November 1987 ................ . ....................................... 116 IV. Die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten ..... . ... . .... 117 l. Die Praxis der Mitgliedstaaten des Rio-Vertrages vom 2. September
1947 ................ ... .............. . .............. . . .. .... a) Der Text des Rio-Vertrages .......................... .. . . ... b) Die spätere Praxis zum Rio-Vertrag ..... . .. . ........ . . .. . ... 2. Zur partikularen Vertragspraxis im übrigen ......................
117 117 119 121
V. Das Sachurteil des IGH vom 27. Juni 1986 im Streitfall zwischen Nicaragua und den USA .. ................................ .... ... 122 l. Die Kernaussagen des relevanten Teils der Urteilsbegründung . .... 122
a) Die Zurechnungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Primärnormebene .......... . ........ . ........... . . ..... c) Die Unrechtsausschlußebene ........................ . . ... ... 2. Zum Stellenwert des Urteils im Rahmen der späteren Praxis .. .....
123 123 124 127
VI. Bewertung der späteren Praxis .............................. ... ... 129 l. Die Duldungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
2. 3. 4. 5. 6.
Die Die Die Die Die
Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation ........... Anstiftungskonstellation ............... .. ........... . ... ... Unterstützungskonstellation ......... . ... . ........... . ...... Entsendeförderungskonstellation ......... . ........... .. . .... Entsendekonstellation ...... . . .. .......... . ... . ..... ... ....
133 135 136 139 141
C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater in der Völkerrechtslehre ........ . ........... . ...... 143 I. Die Entsendekonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 l. Die restriktive Position . .................... . .......... . . ... ... 143 2. Die extensive Position .. .. .. ... . ..... .. . . ... . . ..... .. . . .. .. ... 145 II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation ... 147
l. Überblick über den Meinungsstand ......... . ................... 2. Zur Begründung einer Befugnis des Zielstaates zur Anwendung von grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstverteidigungslösungen gemäß Art. 51 SVN ....... . . ... .. aa) Zum Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Basenstaates bb) Zur Annahme eines Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN gegen einen nicht-staatlichen bewaffneten Angriff .... b) Selbstverteidigungslösung analog Art. 51 SVN ......... . ...... c) Völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungslösung . . . . . . . . d) Lösungen über die Begrenzung des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN ...... .. . .......... .. .................... .. .... aa) Lösung im Sinne einer generellen Restriktion des Art. 2 Ziff. 4 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147 149 149 149 152 153 154 155 155
12
Inhaltsverzeichnis bb) Verwirkungs- und Untergangslösung(en) speziell für die drei Verwicklungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Repressalien- bzw. Gegenmaßnahmenlösung ...... . ........... f) Notstandslösung ..... . ............ . ...................... . . g) Geschäftsführungs- bzw. Ersatzvornahmelösung ............... h) Neutralitätsrechtliche Anerkennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Debatte zu den Grenzen des etwaigen Rechts zu bewaffneter Gegenwehr ... . ...................... . .. .................. ... 4. Zur Anwendung des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf das Verhalten des Basenstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156 156 158 159 160 161 161
III. Die Unterstützungskonstellation ........... . . ..................... 162 1. Zur Diskussion über die Möglichkeit einer Selbstverteidigungslösung gemäß Art. 51 SVN ............. .... .................... a) Restriktive Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extensive Positionen . . . ........... . ... . . .. ........ .. ....... 2. Völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungslösung . . . . . . . . . . . 3. Zur Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Unterstützerstaal . ................................. .. .................... 4. Zu der zwischen individueller und kollektiver (Gegen-)Gewaltanwendung differenzierenden Variante der Inkongruenzlösung . . . . . . .
162 162 164 166 167 168
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen unter Einbeziehung der relevanten textorientierten Auslegungsgesichtspunkte . ........ . . . . . .. 169 I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN .. 169
1. Zur conditio sine qua non-Qualität des bewaffneten Angriffs für die Satzungskonformität unilateraler, nicht konsentierter Gewaltanwendung auf fremdem Territorium ............ ... ........... . ... ... a) Wortlautgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 2 Ziff. 4 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 51 SVN .. .. ...... .... .......... .. .. .. .. .... .. .. . . b) Systematische Gesichtspunkte ..... . ....... ............. .. . .. c) Genetische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulässigkeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorbemerkung zu der Behandlung einer im Vorfeld der genetischen Argumentation angesiedelten Streitfrage . . . . . . . cc) Die Genese der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN .. ............ . d) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte . .......... . . e) Gewichtung und Folgerungen . .. .......... ...... . ..... .. .. . . 2. Zu zwei Inkongruenzen der Anwendungsbereiche der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN nach dem Nicaragua-Urteil des IGH . . . .......... . . . a) Zur Begrenzung des Art. 51 SVN auf die Abwehr schwerer Gewaltanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlautgesichtspunkte ....... . . .. ...... . . . . . ........... bb) Systematische Gesichtspunkte .. .. .......................
169 172 172 175 176 177 177 178 179 182 184 186 187 188 188
Inhaltsverzeichnis cc) Historische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte . . . . . . . . . ee) Ergebnis und Folgerungen .......................... . ... b) Zur Inkongruenz von Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 und bewaffnetem Angriff nach Art. 51 SVN speziell in Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater ....... . ... . 3. Zur accumulation of events-Doktrin (a.o.e.D.) ................ ... a) Wortlautgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teleologische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Historische Gesichtspunkte . ... ........ . ... .. ........ .. . . . . . d) Ergebnis und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Frage des grenzübergreifenden Charakters von Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN und staatlichem bewaffneten Angriff nach Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 191 192 194 195 196 198 199 201 203 204
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen . ......... ... ................ . ........................ . .. .. 206 I. Rechtsfragen mit konstellationsübergreifender Relevanz ....... . .. . a) Zum Streit um das Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs im Rahmen von Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlautgesichtspunkte ............. . ............... . ... bb) Systematische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Das Zusammenspiel mit Art. 1 Ziff. 1 SVN ........ ... (2) Das Zusammenspiel mit Art. 2 Ziff. 4 SVN ....... . . .. cc) Teleologische Gesichtspunkte ... . .............. . ..... . . . dd) Genetische und historische Gesichtspunkte ........... . . . . (1) Gesichtspunkte mit Relevanz für die kollektive Komponente des Art. 51 SVN .... .. .................... ... (2) Gesichtspunkte mit Relevanz für die individuelle Komponente des Art. 51 SVN ... . ... . .. . ....... . ..... . . . (a) Der Stellenwert des genetischen Begriffsverständnisses . ........ . ..... . . ... ... .. ............ .. . (b) Historische Gesichtspunkte ...................... (aa) Die Artikulation eines Selbstverteidigungsanspruchs im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater in der Staatenpraxis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts .................. . . (aaa) Der West-Florida-Fall ............. .. (bbb) Der Caroline-Fall ............... .. . . (ccc) Konflikte zwischen den USA und Mexiko ... ... .............. . ... .. . . (ddd) Zwei in der Literatur kursorisch erwähnte Selbstverteidigungsfälle aus der britischen und französischen Praxis . . . . (eee) Der Mongolei-Konflikt .. ... ...... .. .
206 206 207 210 210 212 213 215 215 217 217 218
218 218 219 220 222 223
14
Inhaltsverzeichnis (fff) Die völkerrechtliche Relevanz der referierten Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Der rechtliche Status des Selbstverteidigungsanspruchs nach dem Kellogg-Pakt (KP) . . ... . (cc) Der Stellenwert (möglicher) partikularer Abweichungen von der Rechtslage nach dem Kellogg-Pakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Folgerungen in bezug auf das individuelle Selbstverteidigungsrecht und den völkerrechtlichen Angriffsbegriff im Jahre 1945 . . ........ ee) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte ..... . .. . ff) Gewichtung und Folgerungen .... .. ................... . . b) Zur rechtlichen Relevanz der Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen .............. .. . c) Die Bedeutung der Zurechnungsnormen der ILC und ihrer Rezeption durch die neuere IGH-Rechtsprechung für die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der rechtliche Stellenwert der ILC-/IGH-Zurechnungsnormen ........ . ................. . . ...................... bb) Die Formulierung der relevanten Grundsatzzurechnungsnorm auf der Grundlage der Art. 8 a) und 11 ILC-Entwurf sowie der neueren IGH-Rechtsprechung .................. (1) Die negative Komponente: Die Entscheidung gegen die Doktrin der "(implied) state complicity" (Art. 11 ILCEntwurf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die positive Komponente: Die materielle Zurechnungsvoraussetzung (Art. 8a ILC-Entwurf) .......... . ...... d) Zur möglichen Geltung von Sonderregeln für mit Bürgerkriegen bzw. nationalen/humanitären Befreiungskämpfen verknüpfte Verwicklungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur These von der Erlaubtheit staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater im Bürgerkrieg .. .. .................. bb) Zur Diskussion über die Geltung von Sonderregeln für nationale Befreiungskämpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Diskussion über die Geltung von Sonderregeln für humanitäre Befreiungskämpfe ... . .... . . .. ......... . ..... dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die (Satzungs-)Rechtslage in den einzelnen Verwicklungskonstellationen ................ .. .............................. ... . . . . a) Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellationen ....... ..... .. . .. . . ... .. ............. . ..... . .. . ... ... . aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in Duldungsund Sorgfaltswidrigkeitskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Die Zurechnungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224 225 228 229 231 233 235
235 235 240 240 243 250 250 255 263 267 268 268 268 268
Inhaltsverzeichnis (2) Die Begründung der individuellen Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zur Frage der Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf den .Basenstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Unfähigkeitskonstellation ............................... . .. . ... (l) Die Erfolgsunrechtsthese ..................... .. .. ... (2) Zu möglichen Besonderheiten in Unfalligkeitskonstellationen bei vollständigem Zerfall der Staatsgewalt zugleich Auseinandersetzung mit "Untergangslösung(en)" ... ... ....... ... .. . ... . ... . .. . ... . .. . .... (3) Parallelität und Divergenz zur Selbstverteidigungsproblematik in der "neutralitätsrechtlichen" Unfahigkeitskonstellation - zugleich Auseinandersetzung mit der "neutralitätsrechtlichen Anerkennungslösung" . . . . . . . . . (4) Die Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf den Basenstaat . . .... . . .................... . ... . . .... . . . .. ... cc) Zu möglichen spezifischen Grenzen der (individuellen) Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt (l) Zur Möglichkeit einer quantitativen Schwelle in Gestalt des Erfordernisses der Schwere der privaten Gewaltakte (2) Die Grenze hinsichtlich der Ziele des Gewalteinsatzes (3) Die zeitliche Grenze . . .. ....... . ........... .... .... (4) Die Grenzen hinsichtlich der Schädigung Unbeteiligter . dd) Anmerkungen zu konnexen haftungsrechtlichen Problemen zugleich weitere Auseinandersetzung mit Notstands- und Geschäftsführungs- bzw. Ersatzvornahmelösung . . . . . . . . . . . (l) Zur möglichen Schadensersatzpflicht des Basenstaates gegenüber dem Zielstaat in bezug auf von den Gewaltakten der Privaten verursachte Schäden ........ . . .. ... (2) Zur möglichen Aufopferungsentschädigungspflicht des Zielstaates gegenüber dem Basenstaat für Schäden, die aus einem grenzübergreifenden, innerhalb der ermittelten Grenzen durchgeführten (Gegen-)Gewalteinsatz resultieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zur möglichen Aufwendungserstattungspflicht des Basenstaates in bezug auf einen zielstaatlichen Gewalteinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zur Möglichkeit eines Sonderregimes für Kernwaffeneinsätze durch Private ............................. . .. . ... (1) Zur Diskussion um die Geltung einer Sonderzurechnungsregel für die militärische Nutzung der Kernkraft .. (2) Besonderheiten bei der Auslegung des Begriffs "bewaffneter Angriff' in Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsende- und Entsendeförderungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . .
15 271 273 274 274
282
285 288 288 288 292 292 293 303 303
304 307 308 309 311 312
16
Inhaltsverzeichnis aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Entsendekonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Entsendeförderungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zu möglichen spezifischen Grenzen der (individuellen und kollektiven) Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( 1) Die Ablehnung des Schwereerfordernisses . . . . . . . . . . . . (2) Die zeitlichen Grenzen . ..... . .... . ..... . ....... ... . (3) Zur Diskussion über räumliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Grenzen hinsichtlich der Schädigung ziviler Positionen ... .. ... . .. ......... . . . .. . . . ........... . . .. ... c) Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation ......... ..... ... aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht beim Zusammentreffen beider Verwicklungsformen .... . . ........ . .. .. .. . bb) Selbstverteidigungsrecht und Gewaltverbot in Anstiftungsund Unterstützungskonstellation jeweils für sich genommen (I) Die Ablehnung einer Selbstverteidigungsbefugnis . . . . . . (2) Zur Gewaltverbotsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
312 314 319 319 319 319 325 327 327 329 329 332
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Abkürzungsverzeichnis Al a.A. Abs.
General Assembly anderer Auffassung/am Anfang
-IACI-
Ad hoc committee Appeal Cases International Law Commission
AC A/CN.4 -/AddAdG a.E. AFDI AGF AHDI AJIL Alt. AmULR AnnuiDI ANZUS
Absatz
Addendum Archiv der Gegenwart am Ende Annuaire Francais de Droit International Agence Francaise de Presse Annuaire de La Haye de Droit International The American Journal of International Law Alternative The American University Law Review Annuaire de l'Institut de Droit International Australia, New Zealand, United States of Amerika (-Pakt)
a.o.e.D. Art. ASEAN ASIL ausf. AVR AYIL BayVBl BDGV BGB
accumulation of events-Doktrin Artikel Association of South-East Asian Nations American Society of International Law (Proceedings) ausführlich Archiv des Völkerrechts The Australian Year Book of International Law Bayerische Verwaltungsblätter Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bürgerliches Gesetzbuch
BGH BGHSt
Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
2 Kreß
18
Abkürzungsverzeichnis
BrooklynJint'lL BYIL bzw. Calitwlnt' lLJ CaseWResJint'lL col. ColumJTransnat'lL
The Brooklyn Journal of International Law The British Yearbook of International Law beziehungsweise California Western International Law Jounal Case Western Reserve Journal of International Law column Columbia Journal of Transnational Law
ColumLR
Columbia Law Review The Canadian Yearbook of International Law denselben derselbe dieselbe Document
CYIL dens. ders. dies. Doc dpa dt. EA ebd.
Deutsche Presse Agentur deutsch Europa-Archiv ebenda
ECOWAS EG EJIL EPIL etc.
Economic Community of West African States Europäische Gemeinschaft(en) European Journal of International Law Encyclopedia of Public International Law et cetera
EuGRZ f.; ff. FAZ Fn. FRJ FS GaJint'l&CompL
Europäische Grundrechte Zeitschrift folgend(e) Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote(n) Föderative Republik Jugoslawien
GAOR ggf.
Festschrift Georgia Journal of International and Comparative Law General Assembly Official Records gegebenenfalls
GYIL H.C. Hdb. Hervorh.
German Yearbook of International Law House of Commons Handbuch Hervorhebung
Abkürzungsverzeichnis Hg. HJIL h.L. h.M. ICJ ICLQ i.Erg. IGH ILA ILC ILM ILQ insbes. insow. lsrLR i.V.m. IYHR IYIL JA jew. Jhdt JIR KP KSZE LdR LK LNTS MdJint' lL & Trade MichLR MLR m.w.Nachw. NATO NJIL NJW no. 2*
19
Herausgeber Houston Journal of International Law herrschende Lehre herrschende Meinung International Court of Justice The International and Comparative Law Quaterly im Ergebnis Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission International Legal Materials The International Law Quaterly (seit 1952: ICLQ) insbesondere insoweit Israel Law Review in Verbindung mit Israel Yearbook on Human Rights The Italian Yearbook of International Law Juristische Arbeitsblätter jeweils Jahrhundert Jahrbuch für internationales Recht (seit 1976: GYIL) Kellogg-Pakt Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Lexikon des Rechts Leipziger Kommentar zum (deutschen) Strafgesetzbuch League of Nations Treaty Series Maryland Journal of International Law and Trade Michigan Law Review The Modem Law Review mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization Nordic Journal of International Law Neue Juristische Wochenschrift numero
20
Nr. NStZ NYIL NYUJint'IL&Polit. NZWehrr o.ä. OAS OAU ÖZöR ÖZöRV par. PKK PLO PV RADIC RBDI RdC RDI RDI (Sottile) Rdnr. REDI Res. RGDIP RHDI rw Rz. S. s.
SI SAYIL SchJR SCOR
Abkürzungsverzeichnis Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Netherlands Yearbook of International Law New York University Journal of International Law and Politics Neue Zeitschrift für Wehrrecht oder ähnliches Organization of American States Organization of African Unity Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (seit 1977: ÖZöRV) Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht Paragraph Arbeiterpartei Kurdistans Palestine Liberation Organization Verbatim Records of Meetings Revue Africaine de Droit International et Campare Revue Beige de Droit International Recueil des Cours de I' Academie de Droit International de La Haye Rivista di Diritto Internazianale (Giuffre) Revue de droit international, de sciences diplomatiques, politiques et sociales (edition A. Sottile) Randnummer Revue Egyptienne de Droit International Resolution Revue Generale de Droit International Public Revue Hellenique de Droit International rechtswidrig Randziffer Seite(n)/Satz siehe Security Council South African Yearbook of International Law Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Security Council Official Records
Abkürzungsverzeichnis SEATO SIVLJ SJint'lL&Com -/SR.StGB StiGH SVN u.a. UChiLR UdSSR UN UNCIO UNTS
us
USA usw V.
VaJint'lL VandJTransnat' lL VAR Verf. vgl. VN vol. vr WVaLRev WVK YaleJint'lL YaleLJ YILC YUN ZaöRV z.B. Ziff.
21
South-East Asia Treaty Organization Southern Illinois University Law Journal Syracuse Journal of International Law and Commerce Summary Records of Meetings Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Satzung der Vereinten Nationen unter anderem University of Chicago Law Review Union der sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Conference on International Organization United Nations Treaty Series United States United States of America und so weiter vom The Virginia Journal of International Law Vanderbilt Journal of Transnational Law Vereinigte Arabische Republik Verfasser vergleiche Vereinte Nationen (Organisation) Vereinte Nationen (Zeitschrift) volume völkerrechtlich West Virginia Law Review Wiener Vertragsrechtskonvention The Yale Journal of International Law The Yale Law Journal Yearbook of the International Law Commission Yearbook of the United Nations Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer
22
zit.
ZPl Zshg. ZStW zust.
Abkürzungsverzeichnis zitiert Erstes Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949 Zusammenhang Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend
Einleitung In seinem Aufsatz "International Law and the Activities of Armed Bands"' hat Brownlie im Jahre 1958 erstmals nach Inkrafttreten der SVN den Versuch unternommen, die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater2 einer systematischen Behandlung zuzuführen. Dabei erschien Brownlie die tatsächliche Brisanz dieses Themas angesichts der Staatenpraxis seit dem Ende des zweiten Weltkrieges offenkundig. Von diesem Befund ist bis in die Gegenwart ohne Abstrich auszugehen 3 und wenig spricht für die Annahme, die Problematik werde ihre praktische Relevanz in naher Zukunft verlieren4 . Hinsichtlich der völkerrechtlichen Behandlung des Themas liegt das besondere Verdienst Brownlies darin, der nachfolgenden Debatte durch eine im wesentlichen nach dem Grad der staatlichen Verwicklung, daneben nach dem Territorialbezug abstufende Fallgruppeneinteilung festere Konturen verliehen zu haben 5 . Brownlies Einteilung bildet auch die Grundlage der vorliegenden Untersuchung, indes wird hier eine Differenzierung nach sieben6 Konstellationen vorgenommen: ICLQ 7 (1958), S. 712ff. Unter dem Arbeitsbegriff "Private" werden in dieser Untersuchung alle Personen zusammengefaßt, die nicht dem Begriff des de iure-Organs (eines Staates oder eines befriedeten de facto-Regimes) unterfallen; eine die Kategorie des de facto-Organs einschließende Bestimmung des Völkerrechtsbegriffs des Privaten liefert Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 106. 3 Wenigstens in diesem Punkt herrscht in der Völkerrechtslehre über die Jahrzehnte hinweg Einmütigkeit. Vgl. die entsprechenden Einschätzungen von Higgins, BYIL 37 (1961), S. 288f.; Stone, AJIL 71 (1977), S. 235; Zanardi, FS Ago III, S. 153. 4 Im schlimmsten Fall gewönne das Thema unter dem Zeichen des "internationalen Atomterrorismus" zusätzlich an Brisanz; s. hierzu nur den Kurzbericht im Spiegel 4411993, S. 25. 5 Vgl. zu dieser Einteilung Brownlies ICLQ 7 (1958), S. 712f. Auf Brownlies Beitrag wird in der Völkerrechtsliteratur häufig als Orientierungspunkt verwiesen; vgl. etwa YILC 1975 II, S. 79 (Fn. 156); Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 253 (Fn. 130); eine etwas weniger differenzierende Einteilung nimmt Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 103, vor; dementsprechend Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 142. 6 Brownlie, ICLQ 7 ( 1958), S. 712 f. unterscheidet zwischen sechs Konstellationen. Auf die Behandlung der dort unter 2. aufgeführten Variante als eines gesonderten Falltyps wird hier verzichtet (vgl. hierzu die Bemerkung unten unter D.II.2.c)bb)(l) in Fn. 1435). Dafür soll im nachfolgenden Text zwischen "Entsende-" und "Entsendeförderungskonstellation" (bei Brownlie wohl beide dem Falltyp 1
2
24
Einleitung
(1) Ein Staat entsendet Private von seinem Territorium aus auf das Territo-
rium eines anderen Staates, wo die entsandten Kräfte bestimmungsgemäß Gewaltakte ausführen (im folgenden kurz: Entsendekonstellation).
(2) Ein Staat fördert die von seinem Territorium ausgehende Entsendung von Privaten auf das Territorium eines anderen Staates, wo die Privaten Gewaltakte ausführen. Die Förderung kann sich etwa in Gestalt von Finanz-, Ausrüstungs-, Organisations- oder Ausbildungshilfe vollziehen (im folgenden kurz: Entsendeförderungskonstellation). (3) Ein Staat duldet, daß Private von seinem Territorium aus gegen das Territorium eines anderen Staates gerichtete Gewaltakte vornehmen, wobei er über die Mittel verfügt, die Gewaltanwendung zu verhindern. Die Gewaltanwendung erfolgt dabei entweder durch direkte Beschießung über die Grenzen hinweg, oder indem die Privaten zum Zwecke der Gewaltanwendung auf das Territorium des Zielstaates übertreten (im folgenden kurz : Duldungskonstellation). (4) Sorgfaltswidrigerweise versäumt es ein Basenstaat, Gewaltakte der unter (3) beschriebenen Art zu verhindem (im folgenden kurz: Sorgfalts widrigkeitskonstellation). (5) Mangels geeigneter Mittel erweist sich ein Basenstaat als unfähig, Gewaltakte der unter (3) beschriebenen Art zu verhindem (im folgenden kurz: Unfähigkeitskonstellation). (6) Auf die Bestimmung eines Staates hin und gemäß derselben wenden auf dem Territorium eines anderen Staates befindliche Private ebendort Gewalt an (im folgenden kurz: Anstiftungskonstellation). (7) Private wenden aus eigener Initiative auf dem Territorium eines Staates gegen denselben Gewalt an. In der Folgezeit wird den Privaten von seiten eines anderen Staates Unterstützung zuteil. Die Unterstützung mag die Gestalt von finanziellen Zuwendungen und/oder Lieferungen von Waffen/ Ausrüstung annehmen. Hinzukommen mag Ausbildungshilfe und/oder die Versorgung mit Informationen über die Truppenlozierung bzw. -bewegungen im Zieltaat. Dabei bleibt die Steuerung der Gewaltakte den Privaten vorbehalten (im folgenden kurz: Unterstützungskonstellation). Den skizzierten Grundkonstellationen ist gemein, daß die Gewaltanwendung gegen das Territorium eines Staates gerichtet ist. Die praktisch ebenfalls bedeutsamen Fallkonstellationen der staatlichen Verwicklung in gegen fremde Staatsangehörige außerhalb deren heimatstaatliehen Territoriums sub 1. zuzuordnen) unterschieden und Brownlies Liste um eine "Anstiftungskonstellation" ergänzt werden.
Einleitung
25
gerichtete Gewaltakte Privater sind nicht unmittelbar Gegenstand dieser Arbeit7 . Das Verdienst Brownlies geht allerdings nicht so weit, die Problematik der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater unter den Gesichtspunkten von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht der SVN einer abschließenden rechtlichen Klärung zugeführt zu haben8 . Zunächst gewinnt man bei der Lektüre des Aufsatzes den Eindruck, Brownlie wolle angesichts einer als unsicher eingeschätzten Rechtslage eindeutige Festlegungen vermeiden. Darüber hinaus bleiben die Ausführungen im Hinblick auf die hier interessierenden Rechtsfragen insofern fragmentarisch, als sie nur einige der relevanten Fallkonstellationen in Bezug nehmen9 . Inzwischen liegen zahlreiche weitere Beiträge der Völkerrechtslehre vor, die - zumeist einzelne - unserer Fallkonstellationen einer rechtlichen Würdigung unterziehen 10 und in 7 Zu diesen Konstellationen s. etwa die Monographien Franzkes (Schutzaktionen), Ronzittis (Rescuing Nationals Abroad) und Aders (Rettungsaktionen); sowie die kürzeren Beiträge Franzkes, ÖZÖR 16 (1966), S. 128ff., Beyerlins, ZaöRV 37 (1977), S. 213 ff., und Bowetts, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 39 ff. 8 Brownlie widmet der rechtlichen Erörterung dieser Gesichtspunkte nur einen geringen Teil seines Aufsatzes (S. 731 - 733). 9 Die Unterstützungskonstellation wird überhaupt nicht behandelt, Duldungsund Unfähigkeitskonstellation allenfalls andeutungsweise. Nur wenig mehr Aufschluß bringen die Ausführungen desselben Autors in seinem 1963 veröffentlichten Buch "International Law and the Use of Force by States". Vgl. zu Brownlies Position im einzelnen unten in den Fn. 595, 609 und 675. 10 Zur detaillierten Darstellung des Meinungsstandes in der Völkerrechtslehre vgl. unten unter C. An dieser Stelle seien dagegen einige Beiträge genannt, die die Problematik der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater mit einer von dieser Untersuchung abweichenden Akzentuierung behandeln: Garefa-Mora beschäftigt sich in seinem 1962 publizierten Buch "International Responsibility for Hostile Acts of Private Persons against Foreign States" zuvorderst mit Haftungsfragen. Die eher kursorischen Bemerkungen zum Selbstverteidigungsrecht (S. 115 ff.) stehen merkwürdig unverbunden neben den Thesen zur Bestimmung des Haftungsmaßstabes. Nicht erstere Bemerkungen, sondern letztere Thesen Garda-Moras haben in der nachfolgenden völkerrechtlichen Debatte zum Selbstverteidigungsrecht Wirkung gezeitigt und zwar- wie unter D. II.l.c)bb)(l), dort insbes. in Fn. 1038, zu zeigen sein wird - der Intention des Autors zuwider. Ausschließlich empirisch ausgerichtet ist der Aufsatz "Private Armed Groupes and World Order" von S. G. Kahn (NYIL 1 (1970), S. 32 ff.). Der Autor beschreibt hierin die Behandlung der Gewaltanwendung durch Private durch bestimmte Gremien der VN. Vornehmlich empirisch ausgerichtet ist der umfangreichste Beitrag, der bis dato zum Untersuchungsgegenstand erschienen ist. Wenn Thomas/Thomas/Salas in ihrer Studie "The International Law of Indirect Aggression and Subversion" aus dem Jahre 1966 im Gegensatz zu S. G. Kahn auch in rechtlicher Hinsicht Stellung beziehen, so geschieht dies doch im wesentlichen gestützt auf ihre Auswertung der Staatenpraxis nach 1945. Die textuelle Interpretation der einschlägigen Bestimmungen der SVN tritt dagegen ganz zurück. Schließlich ist auf den Aufsatz "Private Armies in a Global War System: Prologue to Decision" (VaJint'lL 14 (1973), S. 1ff.) hinzuweisen, den Reisman mit rechtspolitischer Zielsetzung verfaßt hat.
Einleitung
26
der Zusammenschau ein breit gefächertes Bild widerstreitender Rechtsauffassungen ergeben. Nimmt man etwa die Unfähigkeilskonstellation ins Visier, so hat sich an der Rechtsunsicherheit seit Brownlies Aufsatz nichts geändert. Nur äußert sich letztere heute nicht mehr in einem Mangel an Lösungsvorschlägen, sondern in einer schwer übersehbaren Vielzahl divergierender Thesen. Somit ist die Suche nach Argumenten für eine überzeugende Lösung nach wie vor lohnend. Zudem ist die Diskussion in neuerer Zeit durch die Arbeit der ILC zu den Grundfragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit um Erkenntnisse ebenso wie um Fragestellungen bereichert worden. 1980 hat die ILC einen Artikelentwurf über die allgemeinen Voraussetzungen der Staatenverantwortlichkeit wegen völkerrechtswidrigen Verhaltens vorgelegt 11 • Nach der zugrundeliegenden Konzeption sollen die in dem Entwurf enthaltenen "Sekundärnormen" (in der Sprache der ILC) mit allen "Primärnormen" (in der Sprache der ILC sind dies die einzelnen Verhaltensnormen) zusammenspielen, ohne letztere Normen hierdurch inhaltlich zu beeinflussen 12• Das Sachurteil des IGH im Streitfall zwischen Nicaragua und den USA 13 darf als ein erster praktisch bedeutsamer Versuch angesehen werden, rechtliche Konsequenzen aus dem Zusammenspiel der ILC-Sekundärnormen (insbesondere derjenigen zur Zurechnung und zum Unrechtsausschluß) mit der zentralen Primärnorm des Gewaltverbots zu ziehen. Da unsere Problematik die Nahtstelle zwischen den speziellen völkerrechtlichen Normen zur Gewaltanwendung und den allgemeinen völkerrechtlichen Verantwortlichkeitsregeln bildet, nimmt es nicht wunder, daß es ein Fall der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater war, der die wichtigste völkerrechtliche Rechtsprechungsinstanz dazu veranlaßte, das Zusammenspiel von ILC-Sekundärnormen und Gewaltverbot durchzuexerzieren. Hieraus erhellt, daß die Analyse der Anwendbarkeit von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in Fällen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater die Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung mit der Frage bietet, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang das Sekundärnormenschema der ILC bruchlos auf die satzungsrechtliche Kardinal( -primär-) norm des Art. 2 Ziff. 4 SVN angewandt werden kann. Dies verleiht der Erörterung unserer Problematik zusätzlichen Reiz. Zur Terminologie sei folgendes angemerkt: Auf den ersten Blick mag man die Bezeichnung der relevanten Fallkonstellationen als solche der "staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater" als umständlich empfinYILC 1980 II 2, S. 30. Hierzu jüngst Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 25 ff.; vgl. daneben den Überblicksaufsatz Simmas, AVR 24 (1986), S. 357 ff., insbes. 362f., worin dieses Kodifikationsvorhaben zu Recht als das derzeit Bedeutendste bezeichnet wird (S. 357). 13 ICJ Reports 1986, S. 14ff.; hierzu ausführlich unten B.II.V. 11
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Einleitung
27
den. Griffiger und zudem geläufiger erscheint die Rede von der "indirekten Aggression". Doch spricht gegen die Verwendung dieses Begriffs, daß "even in an area where elementary notions have been so long disputed, and terminology correspondingly shifting and confused, the term ,indirect aggression' stands preeminent in its chaos of references" 14. Läßt man Konstellationen beiseite, die diesem Begriff nur ganz vereinzelt zugeordnet worden sind 15 , so verbleiben nach dem internationalen Sprachgebrauch folgende Kandidaten einer indirekten Aggression: Die Anwendung gewaltloser16 Mittel der Zwangsausübung 17 , die staatliche Beteiligung an der Gewaltanwendung durch einen anderen Staat 18 und unsere Fälle 19 - selten jedoch unter Einschluß der Unfähigkeitskonstellation20. Die Verwendung des Begriffs der indirekten Aggression empfiehlt sich auch deshalb nicht, weil hiermit im völkerrechtlichen Schrifttum zum Teil schon bestimmte und zudem gegensätzliche Vorstellungen über die Rechtsfolgen verknüpft werden. Während bei dem einen Autor der Begriff der indirekten Aggression diejenigen Konstellationen erfassen soll, bei denen dieselben Rechtsfolgen Platz greifen wie im Falle der direkten Aggression, bedeutet bei dem anderen die Subsumtion unter den Begriff der indirekten Aggression, daß zumindest einige Rechtsfolgen der direkten Aggression gerade nicht eintreten 21 . 14 Stone, Conflict through consensus, S. 87; vgl. auch Zourek, RdC 92 (1957 li), S. 829f. 15 Vgl. hierzu Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 9f. (m.w.Nachw. in den Fn. 7 - 10). 16 Unter "Gewalt" wird in dieser Arbeit in Übereinstimmung mit dem herrschenden Begriffsverständnis zu Art. 2 Ziff. 4 SVN die Anwendung militärischer Zwangsmittel verstanden; ausf. zur Frage einer Extension des satzungsrechtlichen Gewaltbegriffs Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt. 17 Vgl. hierzu Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 17ff. (m.w. Nachw.); gegen eine Erstreckung des Begriffs der indirekten Aggression auf diese Konstellationen etwa Schwebe!, RdC 136 (1972 II), S. 455 ff. 18 Für die Einbeziehung derartiger Fälle etwa Brownlie, Use of Force, S. 369; dagegen etwa Higgins, BYIL 37 (1961), S. 289. 19 Dabei wird etwa von Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 26, allein die Unterstützungskonstellation dem Begriff der indirekten Aggression zugeordnet; weitergehend etwa Kelsen, Collective Security, S. 64, der auch die Entsende- und die Duldungskonstellation einbezieht. 20 Schindler, BDGV 26 (1985), S. 33, meint, der Ausschluß der Unfahigkeitskonstellation aus dem Begriff der indirekten Aggression sei zwingend. Dies ist dann richtig, wenn man - mit Schindler - davon ausgeht, in dieser Konstellation treffe den Basenstaat keine völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Letzteres wird jedoch nicht durchgängig angenommen, s. unten unter C.Il.2.a)bb) und e), woraus erhellt, daß mit der Zuordnung zu dem Begriff der indirekten Aggression eine interessante Rechtsfrage bereits entschieden ist. 2 1 Zur Illustration des Gesagten mag die Gegenüberstellung der Ausführungen Zanardis, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 111 ff. und Condorellis, IYHR, S. 233 ff., dienen. Beide Völkerrechtler sind weitestgehend darüber einig, daß mir in der Ent-
28
Einleitung
Das Arbeiten mit dem Begriff der indirekten Aggression ist danach geradezu prädestiniert, Mißverständnisse bezüglich der Bewertung der hier zuvorderst interessierenden Rechtsfragen (Anwendbarkeit der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN) hervorzurufen 22 . Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, unsere Konstellationen rein deskriptiv als Formen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater zusammenzufassen.
Sendekonstellation ein Selbstverteidigungsrecht des von der Gewaltanwendung betroffenen Staates gemäß Art. 51 SVN in Betracht kommt. Da Zanardi davon ausgeht, die indirekte (militärische) Aggression löse die zentrale Rechtsfolge der direkten (militärischen) Aggression, das Selbstverteidigungsrecht, gerade nicht aus, sieht er sich genötigt, die Entsendekonstellation, die er eingangs seines Beitrages, S. 111, noch als Kandidatin einer indirekten (militärischen) Aggression benennt, der Kategorie der direkten (militärischen) Aggression zuzuordnen, S. 112. Die von der brisantesten Rechtsfolge der direkten (militärischen) Aggression, dem Selbstverteidigungsrecht, gelöste indirekte (militärische) Aggression versteht Zanardi sehr weit, indem er hierunter neben der Duldungs- und Unterstützungskonstellation auch die ökonomische und ideologische Aggression faßt, S. 111. Terminologisch genau umgekehrt verfährt Condorelli. Er setzt die Prämisse, mit der Zuordnung einer Konstellation zum Begriff der indirekten (militärischen) Aggression sei die Auslösung der Rechtsfolgen der direkten (militärischen) Aggression verbunden. Demzufolge subsumiert er die Entsendekonstellation, und nur diese, dem Begriff der indirekten (militärischen) Aggression, faßt letzteren Begriff also ausgesprochen eng, S. 245. Die Divergenz in der Terminologie ist hier demnach geeignet, den Blick für die Übereinstimmung in der rechtlichen Bewertung zu verstellen. 22 Eine weitere Quelle der Unklarheit liegt in dem Umstand begründet, daß über das Verhältnis der satzungsrechtlichen Begriffe "Aggression", "Gewalt", und "bewaffneter Angriff' zueinander heftig gestritten wird.
A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN Bei dem Versuch, den normativen Gehalt dieser satzungsrechtlichen Bestimmungen mit Blick auf bestimmte Fallkonstellationen zu konkretisieren, gilt es zu gewärtigen, daß in diesem Bereich bereits grundsätzliche Fragen der Methode umstritten sind. Dieser Streit kann umsoweniger ignoriert werden, als die insoweit bezogene Position für die Stellungnahme zu konkreten Auslegungsproblemen häufig von ausschlaggebender Bedeutung ist. Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang vor allem Bestrebungen, die - in unterschiedlichem Umfang im einzelnen - darauf angelegt sind, das Gewicht der textorientierten Auslegung für die Satzungsrechtskonkretisierung zu beschränken. Dahinter steht zumeist die Überzeugung, die textorientierte Auslegung führe zu Ergebnissen, welche die Handlungsfreiheit der Staaten im Bereich der unilateralen Gewaltanwendung zu weitgehend beschränkten.
I. Der radikal-induktive Ansatz Am pointiertesten hat wohl Combacau die These formuliert, die Konkretisierung des Art. 51 SVN habe ausschließlich einer induktiven Methode zu folgen 23 . Der Schlüsselsatz der Begründung lautet : "Whenever the drafters of a legal rule choose to draft it without laying down guidelines for its application ... they give these (political) agents discretional power to decide what it means" 24 .
Dieser Argumentation soll nicht darin widersprochen werden, daß die Fassung des Art. 51 SVN (und zu ergänzen wäre: des Art. 2 Ziff. 4 SVN) Spielraum für die textorientierte Formulierung relevanter Gründe und Gegengründe bestimmter Auslegungsergebnisse läßt. Auch soll nicht bestritten werden, daß die Rechtskonkretisierung angesichts eines derartigen Spielraums in den problematischen Fällen unter Berücksichtigung der Staatenpraxis zu erfolgen hat. Doch ist die Inadäquanz textorientierter Auslegung damit nicht dargetan. Jene wäre nur bei Konturenlosigkeit der ein23 So in Cassese (Hg.), Use of Force, S. II f.; sehr skeptisch im Hinblick auf den Wert textorientierter Auslegung in unserem Zusammenhang auch Oppermann, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 131, und Botha, SAYIL 11 (1985/86), S. 154f. 24 Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 12.
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A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
schlägigen Textvorgaben anzunehmen, wovon mit Blick auf Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN, die jeweils einen deutlich umrissenen Kernanwendungsbereich aufweisen 25 , nicht ernsthaft geredet werden kann. Wirft die Fassung der einschlägigen satzungsrechtlichen Bestimmungen bei der textorientierten Auslegung keine Schwierigkeiten von prinzipiell anderer Qualität auf, als sie bei Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge üblicherweise anzutreffen sind, so kann die Vorzugswürdigkeit einer rein induktiven Methode allenfalls noch auf die besondere Qualität der in Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN enthaltenen Normen gestützt werden. Hier setzen Formulierungen an, die den "hochpolitischen Charakter" der Völkerrechtsnormen zur Gewaltanwendung herausstellen, um hieraus die staatliche Selbstinterpretationskompetenz abzuleiten 26 . Doch auch auf diesem Wege läßt sich das Gewicht der textorientierten Auslegung nicht minimieren. Zuzugeben ist, daß rechtliche Schranken des unilateralen Gewalteinsatzes in einer im Kern weiterhin koordinationsrechtlichen Ordnung mit einer dementsprechend wenig verläßlichen übergeordneten Zwangsgewalt zur Rechtsverteidigung und -durchsetzung dazu führen können, daß selbst fundamentale Rechtspositionen nicht oder nur unzureichend bewehrt bleiben, und daß die Staaten deshalb völkerrechtliche Grenzen der Gewaltanwendungsbefugnis als Handlungsbeschränkungen besonderer Qualität ansehen27 . Man mag diese Qualität hochpolitisch nennen. Diese Überlegung kann - auch das ist richtig - nicht lediglich der völkerrechtspolitischen Ebene zugeordnet werden. De lege lata erlangt die hochpolitische Natur nach hier vertretener Auffassung insofern Bedeutung, als sie das mancherorts anzutreffende Postulat, wonach Art. 51 SVN als Ausnahmebestimmung notwendigerweise eng zu interpretieren sei 28 , durchgreifend in Frage stellt29 . 25 Vor allem Schachter hat in einer Reihe von Beiträgen (MichLR 82 (1983/84), S. 1620ff., insbes. 1624ff.; UChiLR 53 (1986), S. 113ff., insbes. S. 119ff.; AJIL 83 (1989), S. 259 ff., insbes. S. 266 ff.) die Kernanwendungsbereichsthese überzeugend verfochten: in MichLR 82 (1983/84), S. 1633, formuliert er das Herzstück seiner These in bezug auf das satzungsrechtliche Gewaltverbot dahin, es sei "unwarrented to suggest that article 2 (4) Iacks the determinate content necessary to enable it to function as a legal rule of restraint". Dasselbe gilt bezüglich des Art. 51 SVN. Bemerkenswert in bezug auf letztere Bestimmung Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 91 , der den "bewaffneten Angriff' sogar als bestimmten Rechtsbegriff qualifiziert. 26 Vgl. etwa den entsprechenden Passus bei Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 63 f., der - wie an anderer Stelle seiner Ausführungen zur Methode (S. 57) und bei der Behandlung konkreter Auslegungsprobleme deutlich wird - eine rein induktive Methode im Sinne Combacaus dennoch zurückweist. 27 Es sei an dieser Stelle an die berühmte Bemerkung des seinerzeitigen US-Außenministers Dean Acheson im Hinblick auf das Vorgehen der USA in der KubaKrise erinnert: Völkerrecht "simply does not deal with such questions of ultimate power. .. The survival of states is notamatter of law" (ASIL 1963, S. 14). 28 So etwa Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 115; Francioni, RDI 69 (I 986), S. 341; Cocuzza, IYIL 7 (I 986/87), S. 208.
I. Der radikal-induktive Ansatz
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Im übrigen darf die Relevanz des hochpolitischen Charakters de lege lata allerdings nicht überstrapaziert werden, wie es geschieht, wenn man mit ihrer Hilfe die Geltung des Art. 2 Ziff. 4 SVN in Zweifel ziehe0 oder - in Eröffnung der Möglichkeit, dasselbe Ergebnis zu erzielen - eine staatliche Selbstinterpretationskompetenz postuliert. Denn damit würde verkannt, daß völkerrechtliche Normen zur Gewaltanwendung, in dem sie die Völkerrechtsordnung mindestens in einer bestimmten Qualität fundieren, auch einen "hochrechtlichen" Charakter haben, welcher eine Selbstinterpretationskompetenz schlechterdings ausschließt. Indem diese Normen den Verzicht der Staaten auf ein freies Gewaltanwendungsrecht dokumentieren, nehmen sie den im Rahmen der Völkerrechtsordnung bestehenden Rechtspositionen deren bis zum Inkrafttreten des Briand-Kellogg-Paktes bestehenden Vorbehalt, im Zuge (kriegerischer) Gewaltanwendung jederzeit aufgehoben werden zu können. Mit gutem Grund läßt sich daher sagen, daß vollwertige Rechtspositionen innerhalb einer Völkerrechtsordnung nur unter der Voraussetzung bestehen können, daß Normen gelten, die die zulässige Gewaltanwendung auf Fälle der Rechtsverteidigung und -durchsetzung
29 Anders als im Text argumentieren gegen das Postulat der engen Auslegung von Art. 51 SVN McDougai/Feliciano, World Public Order, S. 236f., indem sie besagtes Postulat in sein Gegenteil verkehren: Art. 2 Ziff. 4 SVN und 51 SVN bedeuteten zusammengenommen eine Beschränkung der staatlichen Handlungsfreiheit und derlei Beschränkungen seien nicht zu vermuten. Zur Problematik rechtlicher Ableitungen aus dem "Grundsatz der staatlichen Handlungsfreiheit" ausführlich Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 244ff. 30 An dieser Stelle ist an den Kern der bekannten clausula rebus sie stantibusArgumentation zu erinnern, wie sie sich etwa bei Franck, AJIL 64 ( 1970), S. 809 ff. unter dem bezeichnenden Titel "Who killed article 2 (4)?" findet: Indem sich der Mechanismuns der kollektiven Sicherheit nach den Art. 39ff. SVN als wenig verläßlich erwiesen habe, sei die Geschäftsgrundlage für den staatlichen Verzicht auf unilaterale Gewaltanwendung entfallen (eine solche Argumentation kann auch bei Art. 51 SVN ansetzen; vgl. insow. etwa Schwarzenberger, RdC 87 (1955 I), S. 338 f.). Hierauf ist mit Recht repliziert worden, daß in San Francisko nicht ernsthaft angenommen werden konnte, mit dem Sicherheitsrat sei ein auf Dauer verläßliches Instrument zur umfassenden kollektiven Rechtsverteidigung und -durchsetzung in die Völkerrechtsordnung eingeführt worden (vgl. insow. etwa Dahm, JIR II (1962), S. 52f.; Randelzhofer, EPIL 4, S. 274; Schachter, UChiLR 53 (1986), S. 128ff.; i.Erg. ebenso bezogen auf Art. 51 SVN Röling, FS Verzijl, S. 323f.). Zudem vermittelte selbst die begründete Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur einen Anspruch auf Vertragsanpassung (vgl. insow. etwa Dahm, JIR II (1962), S. 53). Vgl. demgegenüber die von Wrange, NJIL 61 (1992), S. 83ff., insbes. 86 f., vorgestellte schwedische Dissertation Asrats, "Prohibition of Force under the UN Charter, A Study of Article 2 (4)", die bei der Bestimmung des Bereichs erlaubter Gewaltanwendung ähnlich der Geschäftsgrundlagenthese verfährt; neuerdings vertreten auch Arend/Beck in ihrem Buch "International Law and the Use of Force", S. 185, unter Berufung auf Franck und die Staatenpraxis die These vom Geltungsverlust des Art. 2 Ziff. 4 SVN.
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A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
beschränken31 . Von der Geltung derartiger Normen kann aber bei Anerkennung einer Befugnis der Staaten zu verbindlicher Selbstinterpretation nicht gesprochen werden. Von daher ist es zu begrüßen, daß der IGH in seinem Urteil zur Zulässigkeil im Streitfall zwischen Nicaragua und den USA mit Blick auf Art. 51 SVN eine staatliche Selbstinterpretationskompetenz als unvereinbar mit dem Rechtscharakter dieser satzungsrechtlichen Bestimmung zurückweist32 . Der IGH führt damit eine Kernaussage des Internationalen Militärgerichtshofes von Nürnberg fort, der zum Briand-Kellogg-Pakt ausgeführt hatte, daß "wether action taken under the claim of self-defense was in fact aggressive or defensive must ultimately be subject to investigation or adjudication if international law is ever to be enforced" 33 . Der Charakter der satzungsrechtlichen Bestimmungen zur unilateralen Gewaltanwendung spricht danach ebenso gegen "Verbotsrigorismus"34, wie er in dem Postulat von der engen Auslegung von Art. 51 SVN zum Ausdruck kommt, wie gegen die Preisgabe des Vertragstextes als einem wesentlichen Auslegungsvehikel zugunsten einer undifferenzierten induktiven Methode im Sinne Combacaus.
II. Die Arbeit mit ,,second-order-levels of legal inquiry" Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch der Vorschlag Falks, für diejenigen Fälle "second-order Ievels of legal inquiry" einzuführen, in denen die textorientierte Auslegung der Satzungsbestimmungen zu Handlungsbeschränkungen führt, die die Staaten als mit ihren Interessen unvereinbar empfänden35 . Dieser Vorschlag hat im Schrifttum teilweise Resonanz gefunden 36 und ist von Falk interessanterweise vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten bei der rechtlichen Bewältigung der Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation entwickelt worden. Die gegenüber dem "firstorder Ievel" der satzungsrechtlichen Bestimmungen permissiveren "second31 Hierzu ausführlich P. Kahn, YaleJint'lL 12 (1987), S. 30 ff.; in demselben Sinn Schachter, UChiLR 53 (1986), S. 124. 32 ICJ Reports 1984, S. 435 f. (in Erwiderung auf die These der USA, daß "a judgement of the Court that purported to deny the validity of a State's claim to be engaged in self-defence whether individually or collectively, must necessarily ,impair' the ,inherent' right guaranteed to that State by Article 51 of the Charter", ICJ Pleadings 1984, par. 517; zur OS-amerikanischen Haltung näher Schachter, AJIL 83 (1989), S. 262 f.). 33 AJIL 41 (1947), S. 207. 34 Ausdruck von Oppermann, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 132. 35 AJIL 63 (1969), S. 428 ff., insbes. S. 430 (Fn. 39). 36 Vgl. insow. Bowett, AJIL 66 (1972), S. 8ff. i. V.m. S. 26ff.; Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 124f.; Kewenig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 203.
ll. Die Arbeit mit "second-order-levels of legal inquiry"
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order Ievels" entnimmt Falk dem klassischen Völkergewohnheitsrecht und präzisiert sie in einem Kriterienkatalog, dessen Kern das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausmache 7 . Staatliche Gewaltanwendung, die den satzungsrechtlichen Bestimmungen widerspricht, kann so nach Falk, indem sie den "second-order Ievels" genügt, immerhin den "test of relative legality"38 bestehen. Bei diesem methodischen Ansatz geht es einmal darum, auch den satzungsrechtswidrig Gewalt einsetzenden Staat noch an gewisse völkerrechtliche Regeln zu binden. Zum anderen ist dieser Ansatz insofern als Umsetzung des umfassenderen New-Haven-Approachs 39 zu verstehen, als er die Völkerrechtskonkretisierung nicht aus einer richterähnlichen Warte betreiben will, sondern darauf angelegt ist, Vermittlungsvorschläge im "interactive process of communication among governments" zu unterbreiten40, bei denen Vertragstextvorgaben in den Hintergrund treten können. Auch diesem Ansatz, der den weitgehenden Verzicht auf eine Grenzziehung zwischen Völkerrechtspolitik und Völkerrechtsanwendung bedeutet41 , wird in dieser Arbeit nicht gefolgt. Es erscheint wenig hilfreich, in den Bereich der völkerrechtlichen Regelung des Gewalteinsatzes Grauzonen "soft law"-ähnlichen Charakters einzuführen und die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit durch wenig greifbare Formeln wie diejenige von der "relativen Rechtmäßigkeit" eines Gewalteinsatzes zu verdecken42 . Daß ein Rechtsgebiet den Richterspruch nur als seltene Ausnahme kennt, heißt nicht, daß es zur Erzielung eines überzeugenden Vertragsauslegungsergebnisses nicht angezeigt wäre, eine richterähnliche Perspektive einzunehmen. Unzulänglich ist eine derartige Perspektive nur dann, wenn sie auf die Berücksichtigung textueHer Auslegungsgesichtspunkte reduziert wird, anstatt daneben die Staatenpraxis als einem wesentlichen Auslegungsgesichtspunkt einzuschließen. Bezeichnenderweise begründet Falk das als inadäquat restriktiv empfundene Auslegungsergebnis ohne Rekurs auf die AJIL 63 ( 1969), S. 441 f. AJIL 63 ( 1969), S. 428. 39 Vgl. hierzu insbes. McDougal, RdC 82 (1953 1), S. 137ff.; eine knappe Zusammenfassung liefert Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 78 ff., eine scharfsinnige Kritik Koskenniemi, From Apo1ogy to Utopia, S. 170ff.; in einem Kurzbeitrag zur Vertragsauslegung, der ebenso wie sein im Text diskutierter Aufsatz aus dem Jahre 1969 stammt (AJIL 63 (1969), S. 510ff.), bekräftigt und klarifiziert Falk seine Position innerhalb der New-Haven-Schule. 40 Falk, AJIL 63 (1969), S. 442. 41 Vgl. die vielzitierte Formulierung McDougals in RdC 82 (1953 1), S. 144: "The principal difficulty in this initial emphasis in definition and orientation upon rules is that it causes too many people to make sharp and unreal distinctions between law and policy, between forrnulations de lege lata and de lege f erenda ... (Hervorh. von McDouga1)". 42 Ähnlich bereits Blum, AJIL 64 (1970), S. 104. 37
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3 Kreß
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A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
Staatenpraxis43 . Gewiß garantiert auch die Berücksichtigung der Staatenpraxis nicht in jedem Fall die Erzielung eines allgemein konsensfähigen Auslegungsergebnisses. Hier sollte dann aber im Interesse der Bewahrung klarer Konturen die Beurteilung des abweichenden Staatenverhaltens als rechtswidrig nicht durch die Erfindung nebulöser rechtlicher Schwebezustände umgangen werden.
111. Zur These von der Inadäquanz der objektiven Auslegung Kurz hinzuweisen ist schließlich auf die These Schwarzenbergers, angesichts ihres hochpolitischen Charakters sei der Text der einschlägigen Vertragsnormen von untergeordneter Bedeutung. Primär müsse es bei der Rechtskonkretisierung darum gehen, den politischen Intentionen der Vertragstaaten bei der Gründung der VN in vollem Umfang Rechnung zu tragen44. Soweit hiermit die Privilegierung der genetischen Auslegungsgesichtspunkte befürwortet wird, ist dies mit Blick auf die SVN insbesondere deshalb abzulehnen, weil diese von vomherein als offener Kollektivvertrag konzipiert war45 .
IV. Der methodische Ansatz dieser Untersuchung Werden die vorgestellten methodischen Vorschläge dem Stellenwert der textorientierten Auslegung sämtlich nicht gerecht, so ist doch bei ihrer Erörterung bereits bekräftigt worden, daß die überzeugende Auslegung der einschlägigen satzungsrechtlichen Bestimmungen auch von der Berücksichtigung der Staatenpraxis abhängt. Die rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung der Staatenpraxis liefert der in Art. 31 Illb) WVK kodifizierte46 Grundsatz, wonach auch die dem Vertragsschluß nachfolgende Praxis (im folgenden kurz: spätere Praxis) Auslegungsgesichtspunkt ist. In Übereinstimmung mit Karl wird die spätere Praxis in dieser Arbeit als neben den textorientierten Kriterien selbständiger und prinzipiell gleichrangiger Auslegungsgesichtspunkt behandelt47 . So verfährt unausgesprochen auch die ganz 43 Zudem fällt auch die textorientierte Auslegung sehr knapp aus, AJIL 63 (1969), S. 427. 44 RdC 87 (1955 1), S. 337 f. 45 In diesem Sinne Macdonald, Macdonald/Johnston (Hg.), Structure and Process of International Law, S. 893. 46 Die WVK ist gemäß ihrem Art. 4 auf die SVN direkt nicht anwendbar. Zur völkergewohnheitsrechtliehen Geltung des Auslegungsgesichtspunktes der späteren Praxis Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 123 ff. 47 Insbesondere die These, die spätere Praxis sei als ein selbständiger AusIegungsgesichtspunkt zu verwerten, ist von Karl überzeugend begründet worden
IV. Der methodische Ansatz dieser Untersuchung
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überwiegende Zahl der Völkerrechtler, die sich mit der Interpretation der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN befassen. Die eigentliche Schwierigkeit ergibt sich insoweit erst aus dem Umstand, daß sich die problematischen Fälle zumeist durch eine uneinheitliche spätere Praxis auszeichnen. Wie mit einer uneinheitlichen späteren Praxis zu verfahren ist, wird selten ausdrücklich ventiliert, was dazu führt, daß häufig "die Staatenpraxis" für gegensätzliche Auslegungsergebnisse in Anspruch genommen wird. Art. 31 Illb) WVK gibt insoweit keinen Aufschluß, weil hier nur der Fall der übereinstimmenden späteren Praxis ins Auge gefaßt wird. Jedenfalls mit Blick auf die hier interessierenden Satzungsbestimmungen griffe es zu kurz, wenn man die uneinheitliche Praxis als Auslegungsgesichtspunkt ganz ausschiede48 . Vielmehr bedarf es für diesen Fall der Fixierung differenzierender, auf den jeweiligen Vertrag bezogener Gewichtungsregeln. Zu unbestimmt gehalten ist danach die Empfehlung Kewenigs, die Praxis nach 1945 daraufhin durchzusehen, auf welche konkreten Ausnahmeregeln sich Staaten bei ihrer Gewaltanwendung berufen haben, wobei die Reaktion der übrigen Staatenwelt den Schluß zulassen müsse, daß diese als ausreichende Rechtfertigung akzeptiert werden49 . Präziser äußert sich Hailbronner, indem er die Fälle staatlicher Gewaltanwendung in zwei Kategorien einteilt. Bei Tatbeständen, die nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der SVN zum Gewalteinsatz berechtigten, soll die Zulässigkeil nach der SVN auch bei abweichendem textorientierten Auslegungsergebnis fortbestehen, wenn die Praxis eines erheblichen Teils der Vertragsparteien für die Zulässigkeit in Anspruch genommen werden könne. Für die Entwicklung neuer Ausnahmetatbestände zulässiger Gewaltanwendung bedürfe es hingegen einer Praxis, wie sie für die Entstehung neuen Gewohnheitsrechts erforderlich sei50. Beyer/in ist dagegen der Auffassung, auch bei vormals anerkannten Ausnahmetalbeständen reiche im Falle der Abweichung von dem textorientier(Vertrag und spätere Praxis, S. 139ff.). Dagegen betrachtet die "historisierende Methode" die spätere Praxis nur als Indiz für die ursprüngliche Vertragsabsicht der Parteien (Vertrag und spätere Praxis, S. 127 ff.). Art. 31 III b) WVK schließt die "historisierende Methode" wohl nicht kategorisch aus, legt aber vor allem seiner systematischen Stellung nach die Behandlung der späteren Praxis als selbständigen Auslegungsfaktor nahe (Vertrag und spätere Praxis, S. 190). 48 Karl verneint die Existenz eines Grundsatzes, wonach die spätere Praxis nur bei völliger Übereinstimmung als Auslegungsfaktor berücksichtigt werden darf, Vertrag und spätere Praxis, S. 118. Ob in Art. 31 III b) WVK nur die einheitliche spätere Praxis angesprochen wird, so daß die uneinheitliche Praxis bei direkter Anwendbarkeit der WVK nur über deren Art. 32 in Ansatz gebracht werden könnte, mag offen bleiben. 49 In Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 203 f. so BDGV 26 (1985), S. 65. 3*
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A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
ten Auslegungsergebnis der satzungsrechtlichen Bestimmungen der Nachweis einer erheblichen Staatenpraxis nicht aus. Erforderlich sei der Nachweis einer ganz überwiegenden Staatenpraxis51 • Den Gewichtungsregeln Hailbronners und BeyerZins ist gemein, daß sie den Umstand nicht berücksichtigen, wonach bezüglich bestimmter Fallkonstellationen staatlicher Gewaltanwendung nicht nur eine uneinheitliche Staatenpraxis festzustellen ist, sondern auch die Erzielung eines argumentativ unanfechtbaren Ergebnisses textorientierter Auslegung ausgeschlossen ist. Geboten sind deshalb Gewichtungsregeln, die der Inkohärenz der Staatenpraxis ebenso Rechnung tragen wie dem Widerstreit der Argumente im Rahmen der textorientierten Auslegung. Bezogen auf die Kernfrage, ob ein staatlicher Gewalteinsatz nach Maßgabe der SVN als erlaubt anzusehen ist, sollen hier drei Typen von Fallkonstellationen unterschieden werden: (1) Erscheint ein Gewalteinsatz nach der textorientierten Auslegung eindeutig satzungswidrig, so korrunt die positive Beantwortung der Ausgangsfrage nur unter der Voraussetzung einer einheitlichen späteren Praxis im Sinne der Satzungskonformität in Betracht52 . 51 ZaöRV 37 (1977), S. 239; Beyerlin verwertet die Praxis abweichend von dem im Text gewählten Ansatz nicht als Auslegungsgesichtspunkt, sondern sub specie Derogation kraft Völkergewohnheitsrechts (S. 221 ff.). Die Begründung der Gewichtungsregel für vormals anerkannte Fälle des staatlichen Gewalteinsatzes ist recht diffizil: Weder könne wegen des mit lokrafttreten der SVN eingetretenen Normwandels die Regel Anwendung finden, daß ein ursprünglich allgemein anerkannter Völkerrechtssatz nicht schon dadurch beseitigt wird, daß die Staatenpraxis hierzu ab einem bestimmten Zeitpunkt widersprüchlich geworden ist (S. 237 f.). Noch dürften an den Nachweis der gemeinsamen opinio iuris der Staaten die Anforderungen gestellt werden, die für die Entstehung eines derogierenden Gewohnheitsrechtssatzes gelten (S. 238f.). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen Feders, NYUJint'lL&Polit 19 (1987), S. 429f., der in der Auslegung des Art. 51 SVN im Licht der späteren Praxis den Schlüssel zur rechtlichen Bewältigung zahlreicher Problemfälle sieht. Dabei kann Feder so verstanden werden, daß er neben dem Fall der "evolutiven" Auslegung, die mit der Derogation kraft neu entstandenen Gewohnheitsrechts zu identifizieren wäre, Konstellationen für möglich hält, bei denen es zu "a certain relaxation of the previously strict parameters of ,armed attack'" kommt, ohne daß die spätere Praxis "the necessary uniformity and frequency needed to be considered opinio iuris and required in order to evidence the emergence of a new legal norm" aufwiese (ebd., S. 429). Dies geht in die Richtung Beyerlins. 52 Wenn man in diesem Zusammenhang eine Grenzziehung zwischen Vertragsänderung und -auslegung für möglich hält (zu verneinen wäre diese Möglichkeit bei Zugrundelegung eines radikal dynamischen Konzepts der Vertragsauslegung; vgl. Kar!, Vertrag und spätere Praxis, S. 28), muß man hier von einer vertragsändernden Praxis sprechen. Dieser Fall läßt sich auch mit Hilfe der Figur der Derogation von Vertrags- durch Gewohnheitsrecht einordnen. Die Möglichkeit einer formlosen Vertragsänderung ist trotz der Existenz einer speziellen vertraglichen Änderungsklausel in Art. 108 SVN zu bejahen. Insoweit wird auf die überzeugenden Ausführungen Karls, Vertrag und spätere Praxis, S. 350, verwiesen, der zudem stichhaltig begrün-
IV. Der methodische Ansatz dieser Untersuchung
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(2) Lassen sich für die Satzungskonformität eines Gewalteinsatzes im Rahmen der textorientierten Auslegung Argumente anführen, die nicht ganz entkräftet werden können, jedoch gegenüber den Gegengründen nur sehr geringes Gewicht aufweisen, so ist eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne der Satzungskonformität ausreichend, um em entsprechendes (Gesamt-)Auslegungsergebnis zu erzielen53 . (3) Lassen sich im Rahmen der textorientierten Auslegung für die Satzungskonformität eines Gewalteinsatzes Gründe anführen, denen mehr als nur sehr geringes Gewicht zukommt, so kann selbst eine deutlich überwiegende abweichende spätere Praxis nicht zur Begründung des Verdikts der Unzulässigkeit angeführt werden54 . Die Bedeutung der Gewichtungsregeln (2) und (3) ist freilich noch zu qualifizieren. Die jeweils passende Regel ist sicher dann maßgeblich, wenn det, daß eine Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip bei der förmlichen Vertragsänderung (Art. 108 SVN läßt zur Vertragsänderung eine 2/3-Mehrheit genügen!) auf die formlose Änderung nicht erstreckt werden kann (ebd., S. 351 f.). Sofern man den Bereich des jus cogens entsprechend der Definition in Art. 53 WVK konsensual bestimmt, dürfte der Anwendung dieser Gewichtungsregel selbst mit dem Hinweis auf den jus cogens-Gehalt des (eindeutigen) Ergebnisses der textorientierten Auslegung nicht ohne weiteres zu begegnen sein. Zum jus cogens-Gehalt des Art. 2 Ziff. 4 SVN s. im übrigen unten B. VI. I. in Fn. 577. 53 Die im Text vorgenommene Differenzierung zwischen Typ (I) und (2) erscheint sachgerechter als die Differenzierung Beyerlins und Hailbronners zwischen vormals geltenden und neuen Erlaubnistatbeständen. Allerdings ist an dieser Stelle schon anzudeuten, daß die textorientierte Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN der Gewichtungsregel für Typ (2) ein Anwendungsfeld eröffnet, das auf vormals anerkannte Erlaubnistatbestände beschränkt ist, so daß die hier vertretene Auffassung im Ergebnis zu einer weitreichenden Übereinstimmung mit Beyerlins Gewichtungsregel führt (hierzu präziser unten unter D. I. I. e) in Fn. 788). 54 Theoretisch wäre eine weitere Differenzierung danach möglich, ob die textorientierten Gründe für die Zulässigkeil der Gewaltanwendung etwaigen Gegengründen zumindest gleichgewichtig gegenüberstehen, oder ob ihr Gewicht leicht geringfügiger zu veranschlagen ist. Für den letzten Fall ließe sich an eine Modifikation der Gewichtungsregel dahin denken, daß die Analyse der Staatenpraxis wenigstens ein leichtes Übergewicht für die Zulässigkeil der Gewaltanwendung ergeben muß, um ein entsprechendes (Gesamt-)Auslegungsergebnis zu tragen. Auf den Versuch dieser weiteren Differenzierung muß aus dem pragmatischen Grund verzichtet werden, daß eine derart nuancierende Gewichtung textorientierter Argumente mangels konsentierter Gewichtungsregeln zu den völkerrechtlichen Vertragsauslegungscanones (s. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 202, Fn. 789) intersubjektiv transmissibel nicht durchgeführt werden kann. Die Konsequenz der hier postulierten Zurückhaltung des Interpreten ist eine Erweiterung des Beurteilungs- und damit Handlungsspielraums des einzelnen Staates, der in den formulierten Grenzen dem hochpolitischen Charakter der satzungsrechtlichen Normen entspricht, ohne mit deren hochrechtlichem Charakter unvereinbar zu sein. Bei der Gewichtungsregel für Typ (3) zeigt sich daher besonders deutlich, daß sie speziell auf die satzungsrechtlichen Bestimmungen über den Gewalteinsatz zugeschnitten ist.
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die Auffassungen der Konfliktparteien vom Inhalt der Satzungsbestimmungen zum Gewalteinsatz in entscheidungserheblichem Umfang divergieren. Sind die Konfliktparteien dagegen zweifelsfrei 55 übereinstimmend der Überzeugung, daß die Grenzen satzungskonformer Gewaltanwendung - sei es generell, sei es nur im Verhältnis inter se - anders zu ziehen seien als auf der Grundlage der einschlägigen Gewichtungsregel, so erhebt sich die Frage, ob nicht diesem Konsens der Vorrang gegenüber dem Ergebnis eines Rekurses auf die jeweilige Gewichtungseegel gebührt. Hier ist zu unterscheiden. Soweit der Gewalteinsatz nach der textorientierten Auslegung eindeutig satzungswidrig erscheint (Fall zu Gewichtungseegel ( 1)), ist es nach Art. 103 SVN (ggf. e fortiori 56) ausgeschlossen, der Rechtsauffassung der Konfliktparteien Vorrang zu geben. Anders liegen die Dinge im Hinblick auf Gewalteinsätze, für deren Satzungskonformität im Rahmen der textorientierten Auslegung Gründe angeführt werden können, die zumindest nicht ganz durch Gegengründe entkräftet werden können (Fälle zu Gewichtungsregeln (2) und (3)). Hier bedeutete die vorrangige Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Konfliktparteien die Anerkennung nicht einer Satzungsderogation im Sinne des Art. 103 SVN, sondern lediglich einer besonderen Auslegungsübereinstimmung. Da es sich bei den Satzungsbestimmungen zum Gewalteinsatz ihrer Struktur nach nicht um integrale, sondern um solche multilaterale Vertragsnormen handelt, bei denen eine Zerlegung in bilaterale Rechtsverhältnisse möglich ist, liegt es nahe, in der Frage der Satzungskonformität eines Gewalteinsatzes, sofern nachweisbar, vorrangig auf die besondere Auslegungsübereinstimmung der Konfliktparteien abzustellen. Etwas anderes könnte sich allerdings bei Berücksichtigung der Auffassung von IGH57 und ILC58 ergeben, wonach das Aggressionsverbot erga omnes bestehen soll. Hierzu ist zweierlei zu sagen. Zum einen ist noch unklar, ob dort, wo - wie beim Aggressionsverbot - im Falle der Verletzung einer Pflicht erga omnes zwischen einem direkt betroffenen und den übrigen Staaten zu unterscheiden ist59, das rechtlich geschützte Interesse 55 Bei Zweifeln ist der Gedanke in ICJ Reports 1950, S. 276, entsprechend zu berücksichtigen. 56 Wenn sich der Konsens der Konfliktparteien in einem Vertrag manifestiert, gilt Art. 103 SVN direkt. Nicht direkt, jedoch erst recht gilt diese Satzungsbestimmung, wenn lediglich eine übereinstimmende Rechtsauffassung zweifelsfrei nachweisbar ist: Denn wenn einem Willenskonsens gemäß Art. 103 SVN satzungsderogierende Kraft auch inter se nicht zukommt, so hat dasselbe erst recht für einen Meinungskonsens zu gelten. 57 ICJ Reports 1970, S. 32 (par. 33 f.). 58 ILC-Entwurf Art. 19 Abs. 3 a); dazu daß die Klassifizierung eines Verhaltens als "internationales Verbrechen" nach Art. 19 die erga omnes-Wirkung der verletzten Völkerrechtsnorm impliziert Hofmann, ZaöRV 45 (1985), S. 220. 59 Zu der Unterscheidung zwischen erga omnes-Pflichten mit und ohne direkt betroffenem Staat im Verletzungsfall Hofmann, ZaöRV 45 (1985), S. 224.
IV. Der methodische Ansatz dieser Untersuchung
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der übrigen Staaten mit demjenigen des direkt betroffenen Staates akzessorisch verknüpft ist60. Eine solche Sichtweise deutet der IGH mit der im Nicaragua-Urteil für das kollektive Selbstverteidigungsrecht aufgestellten Zulässigkeilsvoraussetzung des Hilfeersuchens des von einem bewaffnten Angriff direkt betroffenen Staates immerhin an61 . So verstanden stünde der erga omnes-Charakter des Aggressionsverbots der vorrangigen Berücksichtigung eines besonderen Auslegungskonsenses der Konfliktparteien nicht entgegen. Zum anderen ist zu bedenken, daß bestimmte Ausführungen der ILC62 auf eine so weitgehende Verengung des Aggressionsbegriffs63 hindeuten, daß nur Gewalteinsätze erfaßt werden dürften, die nach der textorientierten Auslegung64 eindeutig satzungswidrig sind, bei denen also wegen Art. 103 SVN ohnehin eine vorrangige Berücksichtigung einer partikularen Auslegungsübereinstimmung ausscheidet. Für die an dieser Stelle interessierenden Gewalteinsätze, für deren Satzungskonformität zumindest nicht ganz zu entkräftende textorientierte Gründe angeführt werden können, kann demnach festgehalten werden, daß von dem sich auf der Grundlage von Gewichtungsregel (2) bzw. (3) ergebenden Gesamtauslegungsergebnis zugunsten eines zweifelsfrei nachweisbaren Auslegungskonsenses der Konfliktparteien abzuweichen ist65 . Unter diesem Vorbehalt stehen die im 60 Dafür Hofmann ZaöRV 45 (1985), S. 224, mit einem hier nicht interessierenden Vorbehalt für den Fall der Inanspruchnahme einer etwaigen Entscheidungsbefugnis durch ein zuständiges VN-Organ (d.h. bei einer Aggression: des Sicherheitsrats); der gegenwärtige ILC-Sonderberichterstatter Arangio-Ruiz hat seine Ungewißheit hinsichtlich der aus Art. 19 ILC-Entwurf auf der Rechtsfolgenseite zu ziehenden Konsequenzen nicht verhehlt; GAOR, 47th session, Supplement 10 (Al 47/10), S. 53 (par. 159). 61 Dazu näher Knof/Kress, ÖZöRV 41 (1990), S. 22ff., insbes. 25f. 62 YILC 1980 112, S. 43f. (par. 23); zu der in dieselbe Richtung weisenden Verengung des jus cogens-Gehalts des Gewaltverbots durch die ILC s. die Nachw. und den Text in Fn. 577. 63 Zum verwirrend uneinheitlichen Gebrauch des Aggressionsbegriffs auf der internationalen Ebene näher in Fn. 77. 64 Unten unter D. I. 1. e). 65 An dieser Stelle verdient der Umstand Beachtung, daß Richter Schwebe] in seiner abweichenden Meinung zum Nicaragua-Urteil des IGH (zu diesem Urteil und Schwebeis abweichendem Votum näher unten unter B. V.) der Richter-Mehrheit auch vorgeworfen hat, bei ihren Ausführungen zur Frage des Bestehens eines völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrechts in der Unterstützungskonstellation nicht berücksichtigt zu haben, daß die Konfliktparteien USA und Nicaragua übereinstimmend eine vom Urteil abweichende Rechtsauffassung verträten (ICJ Reports 1986, S. 347 (par. 172); zur weitgehenden Begründetheil der Annahme einer übereinstimmenden Rechtsauffassung der USA und Nicaraguas unten unter B. II. 23. a)). Damit schneidet Schwebe! die im Text thematisierte Frage auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts an. Die Position der Richter-Mehrheit bleibt insoweit unklar. Zwar hat Schwebe! Recht, daß bei den von ihm in Bezug genommenen Urteilsausführungen (es sind insbesondere die in ICJ Reports 1986, S. 103f.
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A. Überlegungen zur Methode der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
Rahmen dieser Untersuchung erzielten Gesamtauslegungsergebnisse, soweit sie auf Gewichtungseegel (2) bzw. (3) basieren. Damit sind die Leitlinien für die nachfolgende Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN abgesteckt. Zunächst wird die spätere Praxis analysiert, wonach - unterbrochen von einer Darstellung des Diskussionsstandes in der Völkerrechtslehre - die textorientierten Interpretationscanones befragt werden sollen, um abschließend zu endgültigen Auslegungsergebnissen bezüglich des Untersuchungsgegenstandes gelangen zu können.
(par. 195)) auf die Rechtsauffassung der Konfliktparteien nicht eingegangen wird. Doch ist es zweifelhaft, ob darin die grundsätzliche Ablehnung einer vorrangigen Berucksichtigung eines partikularen Konsenses der Streitparteien zum Ausdruck kommt, da der Richter-Mehrheit an anderer Stelle, präzise: bei der Bejahung des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit der Selbstverteidigung die Feststellung eines entsprechenden Konsenses der Streitparteien genügt (ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 194)); zu der Verhältnismäßigkeitsproblematik näher unten unter D.II. 2. b)cc)(3).
B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater seit 1945 I. Das relevante Material Das der späteren Praxis zuzuordnende Material ist nicht nur die tatsächliche Vertragsanwendung, d.h. für die Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN: zwischenstaatliche Konflikte, die sich seit 1945 ergeben haben. Erfaßt werden auch vertragsbezogene Äußerungen, die den Schluß auf bestimmte Rechtsansichten zulassen66 . Derartige kommentierende Praxis ist in unserem Zusammenhang vor allem in VN-Resolutionen zu sehen, die keinen Bezug zu einem konkreten zwischenstaatlichen Konflikt aufweisen67 . Schwieriger ist die Einordnung vertragsbezüglicher internationaler Gerichtsentscheidungen. Diese Einordnungsfrage hat hinsichtlich der hier interessierenden Auslegungsproblerne mit dem Nicaragua-Urteil des IGH erstmals praktische Relevanz erlangt68 . Versteht man die spätere Praxis nicht ausschließlich parteibezogen, sondern mißt man ihr auch einen objektiven Aspekt zu, so können auch internationale Gerichtsentscheidungen Berücksichtigung finden 69 . Dieser objektive Aspekt soll hier aber in Übereinstimmung mit der Regelung in der WVK70 gegenüber dem parteibezogenen Aspekt nachrangig gewichtet werden. Entsprechend diesem Verständnis des Begriffs der späteren Praxis werden im folgenden zunächst einzelne Konflikte beleuchtet, bei denen die 66 Kar!, Vertrag und spätere Praxis, S. 112, 115. Vgl. dens. auch dazu, daß ein bei der Analyse der späteren Praxis festzustellender Konsens nicht rechtsgeschäftlicher Natur sein muß. Ausreichend ist der Nachweis eines Meinungskonsenses (S. 190ff.). 67 Sofern derartige Resolutionen nicht abweichend von dem im Text eingenommenen Standpunkt im Rahmen der Vertragsauslegung für ganz irrelevant gehalten werden (so etwa von Combacau, Cassese, (Hg.), Use of Force, S. 12f.), wird ihr rechtlicher Stellenwert selten präzisiert. Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 457 (Fn. 223), will im Konsensusverfahren angenommene VN-Resolutionen wohl sogar bei Art. 31 III a) WVK einordnen. 68 Dazu daß dies trotz der vom IGH angenommenen Unanwendbarkeit der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN gilt, vgl. unten unter B. V. 2. 69 In diesem Sinne Kar!, Vertrag und spätere Praxis, S. 164ff. 70 Art. 31 III b) WVK erfaßt die spätere Praxis nur in ihrem parteibezogenen Aspekt, weshalb der objektive Aspekt nur über Art. 32 WVK in Ansatz gebracht werden kann; Kar!, Vertrag und spätere Praxis, S. 194f. Die hierin zum Ausdruck kommende Abstufung erscheint sachgerecht.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater eine Rolle gespielt hat. Im Anschluß hieran werden einschlägige VN-Resolutionen sowie die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten behandelt, um dann zur Abrundung des Bildes die relevanten Aussagen des Nicaragua-Urteils zu referieren.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten 1. Der Griechenland-Konflike 1
Im Dezember 1946 wendet sich Griechenland an die VN und macht die Verwicklung von Jugoslawien, Bulgarien und Albanien72 in gegen Griechenland gerichtete Gewaltakte Privater geltend73 . Griechenland stellt in tatsächlicher Hinsicht vor allem darauf ab, es liege eine Entsendekonstellation vor. Hierauf ist auch die in rechtlicher Hinsicht eingehendste Stellungnahme bezogen, in der es bezüglich des Verhaltens des verwickelten Staates abschließend heißt: "lt is the most flagrant form of breach of the peace. It constitutes aggression"74 . Bemerkenswerterweise wird im unmittelbaren Anschluß hieran auch die Duldungskonstellation in Bezug genommen und festgestellt, daß "even if these countries in the future merely allowed the retreating bands to cross their frontiers and slink back into Greek territory, the present continuing breach of the peace would be renewed and aggravated daily" 75 • Zwar verwendet Griechenland hier ausschließlich Begriffe des Art. 39 SVN, doch muß seine Rechtsauffassung dahin verstanden werden, daß der verwickelte Staat in der Entsende- und Duldungskonstellation sowohl gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN verstößt als auch einen bewaffneten Angriff nach Art. 51 SVN begeht76• Dies ergibt sich daraus, daß der Aggressionsbegriff von Griechenland in einem engen Sinne gebraucht wird, indem er mit der ,jlagrantesten Form des Friedensbruchs" identifiziert wird77 . Daß Griechenland Art. 51 SVN nicht zitiert, mag damit zusammen71 Vgl. dazu auch Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 162, S. 229ff., S. 349f.; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 290. 72 Bulgarien und Albanien waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitgliedstaaten der VN. 73 Zu dem griechischen Beschwerdeschreiben, das noch keine rechtliche Bewertung enthält, SCOR, 1st year, 2nd series, Supplement 10, S. 169ff. 74 SCOR, 2nd year, 147th/148th meeting, S. 1128. 75 SCOR, 2nd year, 147th/148th meeting, S. 1128f. 76 Erst in der Rückschau auf den Konflikt spricht der griechische Vertreter bei den VN einmal unmißverständlich von "armed aggression", GAOR, 6th session, 1st committee, 475th meeting, S. 115. 77 A.A. ist Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 126, der meint, aus der Verwendung des Begriffs der Aggression müsse im Umkehrschluß gefolgert werden, ein bewaffneter Angriff werde nicht angenommen. Garcia-Mora hat Recht, wenn er darauf
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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hängen, daß zu keinem Zeitpunkt die Absicht bekundet wird, den verwikkelten Staaten mit grenzübergreifender Gegengewalt entgegenzutreten. Auch eine für die Unterstützungskonstellation typische Form der staatlichen Verwicklung wird von Griechenland thematisiert und die rechtliche Bewertung fällt inhaltlich identisch, in der Formulierung eher noch deutlicher aus. Griechenland werde dadurch angegriffen, daß die involvierten Staaten Waffen und Munition über die Grenze sendeten, um hiermit die in Griechenland operierenden Privaten zu unterstützen78 . Während den Reaktionen Albaniens79 und Bulgariens 80 als den direkt angesprochenen Staaten in rechtlicher Hinsicht wenig Greifbares zu entnehmen ist, äußert sich der Vertreter der USA im Sinne Griechenlands. Er spricht der Entsende- und Unterstützungskonstellation zuzuordnende Verwicklungsformen an und bezeichnet diese als Gewaltanwendung81 . Bei anderer Gelegenheit ist von Angriffen auf Griechenland die Rede82 , weshalb davon auszugehen ist, daß die USA, obgleich sie keine auf das Territorium der involvierten Staaten übergreifende Gewalt anwenden, Art. 51 SVN für einschlägig halten 83 . hinweist, daß der Anwendungsbereich der Begriffe "Aggression" einerseits und "Gewaltanwendung" und "bewaffneter Angriff' andererseits im internationalen Sprachgebrauch nach 1945 nicht stets kongruent gewesen ist. Werden die Begriffe "Angriff' und "Aggression" vor 1945 übereinstimmend auf die Anwendung von Gewalt bezogen, so zeichnen sich hinsichtlich des Aggressionsbegriffs nach 1945 deutliche Erweiterungstendenzen bis hin in den Bereich wirtschaftlicher Zwangsanwendung ab. Erst von 1969 an ist - wenigstens für den Aggressionsbegriff der SVN wieder eine gegenläufige Entwicklung zu erkennen, die in die enge Bestimmung des Aggressionsbegriffs durch die Resolution 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974 (dazu ausführlich unten unter B. 111. 3.) mündet (s. zu den Wandlungen des Aggressionsbegriffs insbes. Wittig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 33 ff. , daneben auch Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 2ff.). Bis zur Annahme der Aggressionsdefinition ist es deshalb ausgeschlossen, aus der Bezeichnung eines Verhaltens als Aggression ohne weiteres den Rückschluß auf die Bewertung als bewaffneter Angriff und/oder Gewaltanwendung zu ziehen. Hierzu bedarf es stets des Nachweises eines engen Begriffsverständnisses. Sehr fragwürdig ist aber auch der von Garcia Mora befürwortete Umkehrschluß. Vielmehr wird im folgenden angenommen, daß bei unklar bleibendem Begriffsverständnis durch die Rede von einer Aggression eine Festlegung in bezug auf die Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN nicht erfolgt. 78 GAOR, 2nd session, plenary meetings, S. 146f. 79 Etwa in SCOR, 2nd year, 147th/148th meeting, S. 1129ff. 80 Etwa in SCOR, 2nd year, 147th/148th meeting, S. 1149ff. 81 Vgl. die sehr klaren Formulierungen in SCOR, 2nd year, 147th/148th meeting, s. 1120f. 82 GAOR, 2nd session, plenary meetings, S. 20. 83 So auch die Deutung Kelsens, Law of the UN, S. 798 (Fn. I); Tuckers, ILQ 4 (1951), S. 31 ; Garcia-Moras, Hostile Acts, S. 126 und des sowjetischen Vertreters bei den VN, der gegen die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN allein auf der tatsächlichen Ebene argumentiert, GAOR, 2nd session, Ist committee, 62th meeting, S. 27.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Die drei Generalversammlungsresolutionen, die auf den GriechenlandKonflikt rechtlich bewertend Bezug nehmen 84, gehen in tatsächlicher Hinsicht von einer Duldungs- und Unterstützungskonstellation aus und verurteilen die entsprechende staatliche Verwicklung als satzungsrechtswidrig. Allerdings werden die Art. 2 Ziff. 4 und 51 VN nicht in Bezug genommen und die Formulierung bleibt hinter derjenigen Griechenlands insoweit zurück, als nur von einer Friedensbedrohunl 5 und einer Bedrohung für die politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität Griechenlands86 die Rede ist. 2~
Der Kaschmir-Konflikt
Im Januar 1948 wendet sich Indien an die VN und macht die Verwicklung Pakistans in gegen den Staat Jammu und Kaschmir gerichtete Gewaltakte Privater geltend87 . In tatsächlicher Hinsicht geht Indien davon aus, Pakistan unterstütze die von seinem Territorium aus operierenden Privaten durch die Bereitstellung von Waffen und Ausrüstung sowie durch Transporthilfe88. Die von Indien angenommene Verwicklung Pakistans ist also der Entsendeförderungskonstellation zuzuordnen. Indien bewertet das Verhalten Pakistans als Aggression 89, die ein Recht Indiens zur Vornahme von auf das Territorium Pakistans übergreifenden Selbstverteidigungsmaßnahmen begründe90. Nicht mit letzter Sicherheit kann ermittelt werden, ob nach Auffassung Indiens die über die bloße Duldung der grenzübergreifenden Gewaltakte hinausgehende Unterstützung der Privaten für die Auslösung des Selbstverteidigungsrechts entscheidend ist91 . Beachtung verdient 84 193 (III), GAOR, 3th session, Resolutions, S. 10f.; 288 (IV), 4th session, Resolutions, S. 9f.; 382 (V), GAOR, 5th session, Supplement 20, S. 14f.; keine rechtliche Bewertung enthält die Resolution 109 (II), GAOR, 2nd session, Resolutions, S. 12ff. 85 Res. 288 (IV), 4th session, Resolutions, S. 9. 86 Res. 382 (V), 5th session, Supplement 20, S. 14. 87 Zum Brief Indiens s. SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 139ff. (S/628). 88 S. SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 142. 89 An einer Stelle wird von active aggression gesprochen, SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 142. 90 SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 139, 143; aus der Verknüpfung von Aggression und Selbstverteidigungsrecht folgt, daß Indien den Aggressionsbegriff hier in einem engen Sinne gebraucht. 91 Der insoweit interessante Passus der indischen Stellungnahme lautet: "Since the aid which the invaders are receiving from Pakistan is an act of aggression against lndia, the Government of lndia are entitled, under international law, to send their armed forces across Pakistan territory ... ". Es erscheint möglich, daß unter "aid" mehr als die bloße Duldung verstanden wird. Selbst dann wäre ein Umkehrschluß auf die Ablehnung eines Selbstverteidigungsrechts bei bloßer Duldung aber
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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schließlich die spürbare Bemühung Indiens, den Rekurs auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht zu vermeiden, indem betont wird, der Staat Jammu und Kaschmir sei inzwischen ein Teil Indiens92 . Pakistans Stellungnahme93 weist die Rechtsansicht Indiens nicht zurück. Vielmehr wird nicht nur die von Indien behauptete Unterstützung bestritten, sondern auch auf die fortgesetzte Bemühung verwiesen, mit allen verfügbaren Mitteln grenzübergreifende Gewaltakte zu verhindern, weshalb es an einer Aggression Pakistans fehle. Auch sei es unrichtig zu sagen, Pakistans Territorium werde als Basis für grenzübergreifende Gewaltakte Privater gebraucht94 . Es dürfte zu weit gehen, aus letzterem Satz zu folgern, Pakistan erkenne ein Selbstverteidigungsrecht selbst in der Unfähigkeitskonstellation an. Die anschließende Debatte im Sicherheitsrat ist hinsichtlich der hier interessierenden Rechtsfragen wenig ergiebig95 . Dasselbe gilt für die zahlreichen Sicherheitsratsresolutionen zum Kaschmir-Konflikt, die nicht über die an Pakistan gerichtete Aufforderung hinausgehen, die bestmögliche Anstrengung zur Verhinderung grenzübergreifender Gewaltakte zu unternehmen96.
3. Der Tschechoslowakei-Konßikt97 Im März 1948 übermittelt Chile den VN eine Stellungnahme des ständigen Vertreters der Tschechoslowakei, in der es heißt: "The Government of the Czechoslovakia Republic, legally constituted by the general parliamentary elections of May 1946, has been undermined and openly placed in jeopnicht zulässig, da Indien keinen Anlaß hat, hinsichtlich der Duldungskonstellation eine Rechtsauffassung zu beziehen. Immerhin heißt es auch, nur durch gegen Pakistan gerichtete Gewaltmaßnahmen "could the invader be denied the use of bases and cut off from his sources of supplies and reinforcements in Pakistan"; beide Zitate in SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 143. 92 SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 142, vgl. auch S. 141 : "The accession of the Jammu and Kashmir State to the Dominion of India made India really responsible for the defence of the State". 93 Insbesondere in SCOR, 3rd year, 228th meeting, S. 64 ff.; Supplement November 1948, S. 67 ff. (S/646). 94 SCOR, 3rd year, Supplement November 1948, S. 68. 95 Hinzuweisen ist nur auf eine Stellungnahme Kanadas in SCOR, 3rd year, 284th meeting, S. 9, die im Sinne von Indiens Rechtsansicht zu interpretieren ist. 96 So in Resolution 47 (1948) unter A. I. a), Wellens, Resolutions, S. 328. Im folgenden werden Sicherheitsratsresolutionen bis zum Jahre 1989 stets aus der Sammlung von Wellens zitiert. 97 Vgl. hierzu etwa Higgins, BYIL 37 (1961), S. 284f.; Rifaat, International Aggression, S. 219f.; Novogrod, Bassiouni/Nanda (Hg.), International Criminal Law I, S. 225 ; Gill, AHDI I (1988), S. 40.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
ardy on February 22, 1948, through force by a Communist minority. This Communist minority was encouraged and given the promise of help, if necessary, by the representatives of the Govemment of the Union of Soviet Socialist Republics who came to Prague to that purpose... The political independence of Czechoslovakia, a Member of the United Nations, has thus been violated by threat of use of force of another Member of the United Nations ... in direct infringement of paragraph 4, Article 2, of the Charter"98. Die so umrissene Form der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater99 unterscheidet sich von der Entsendekonstellation dadurch, daß die Privaten nicht grenzübergreifend agieren. Vielmehr werden hier Private zu Gewaltakten gegen denjenigen Staat bestimmt, auf dessen Territorium sie sich befinden, weshalb der Konflikt der Anstiftungskonstellation zuzuordnen ist. Die in der zitierten Stellungnahme enthaltene Bewertung ist nicht ganz eindeutig. Am nächsten liegt es, die Geltendmachung der gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN verstoßenden Gewaltandrohung allein auf das Versprechen der Sowjetunion zu beziehen, dem Umsturz erforderlichenfalls durch den Einsatz eigener Truppen zum Erfolg zu verhelfen 100. In einer späteren Stellungnahme wird dann auch die vorgebrachte Anstiftung der tschechischen Kommunisten zur Begehung von Gewaltakten einer rechtlichen Bewertung unterzogen, indem sie als indirekte Aggression bezeichnet wird 101 . Die hierin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung wird im Verlauf der Sicherheitsratsdebatte von Chile und den USA ausdrücklich geteilt 102 und von keinem Staat bestritten 103 . Allerdings kommt es zu keiner Erörterung der Rechtsfrage, ob eine indirekte Aggression der in Rede stehenden Art unter Art. 2 Ziff. 4 SVN subsumiert werden, insbesondere als Gewaltanwendung angesehen werden kann. Auch Fragen im Zusammenhang mit Art. 51 SVN werden nicht thematisiert 104•
SCOR, 3rd year, Supplement January- March 1948, S. 34f. (S/696). Bei der "Communist minority" differenziert die Stellungnahme wohl deshalb nicht nach kommunistischen Privaten und Staatsorganen, die es bereits vor dem Umsturz gab, da letztere bei dem Umsturz nicht als Organe der Tscheschoslowakei, sondern auf Weisung der Sowjetunion gehandelt haben sollen. 100 So wohl auch Higgins, BYIL 37 (1961), S. 291. 101 Zu der späteren Stellungnahme SCOR, 3rd year, 272th meeting, S. 183 f. 102 Zur chilenischen Stellungnahme SCOR, 3rd year, 276th meeting, S. 263, 267; zur amerikanischen SCOR, 3rd year, 28 Ith meeting, S. 26. 103 Die Sowjetunion bestreitet die behauptete Verwicklung in den Umsturz und geht von einer inneren Angelegenheit der Tschechoslowakei aus, zu deren Erörterung die VN wegen Art. 2 Ziff. 7 der Satzung nicht befugt seien, so etwa in SCOR, 3rd year, 268th meeting, S. 91. 104 Die Frage wird thematisiert von Gill, AHDI I (1988), S. 40, der meint, der "Prague Coup" liefere ein Beispiel für einen indirekten bewaffneten Angriff. 98
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II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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4. Der Korea-Konflikt Teilweise wird auch die Verwicklung der Volksrepublik China in den Korea-Konflikt im Zusammenhang mit unserer Problematik behandelt 105 . Diese Verwicklung wird von seiten der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Polens darauf reduziert, Freiwillige hätten sich von der Volksrepublik aus aufgemacht, Nordkorea zu unterstützen 106. Dagegen geht die deutliche Mehrheit der Staatenäußerungen dahin, die bewaffneten Kräfte seien als Teile der volksrepublikanischen Streitkräfte anzusehen, weshalb kein Fall staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater vorliege 107 • Dementsprechend werden die Dinge auch in der Resolution 498 (V) der Generalversammlung (Februar 1951) bewertet 108 • Zu einer Diskussion der hier interessierenden Rechtsfragen ist es infolgedessen nicht gekommen.
5. Der Konflikt um den Mutual Security Act 109 1951 kommt es zu Auseinandersetzungen über ein US-amerikanisches Gesetz, daß die Bereitstellung finanzieller Mittel für bestimmte Private in den Warschauer-Pakt-Staaten ermöglicht. Nach Auffassung der Sowjetunion ist das Gesetz dazu bestimmt, "to finance armed groups in the territories of the USSR and other countries, to be recruited from war criminals and similar persons, who were to perpetrate various subversive and criminal acts". Diese Regelung "could only be regarded as an aggressive act" 110• Polen, das der sowjetischen Stellungnahme im Kern zustimmt, präzisiert die rechtliche Bewertung dahin, das amerikanische Gesetz bedeute die Vorbereitung einer Aggression 111 • Wegen der recht allgemein gehaltenen Formulierungen 105 Etwa bei Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 351; David, Mercenaires, S. 65 und Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 75. 106 Alle Stellungnahmen in GAOR, 5th session; Tschechoslowakei, 4llth meeting, S. 412; Sowjetunion, 4l2th meeting, S. 416; Polen, 414th meeting, S. 426, wo zudem zugunsten der Volksrepublik auf Art. 51 SVN verwiesen wird. 107 Sehr deutlich insoweit etwa die Philippinen, 409th meeting, S. 403; Türkei, 410th meeting, S. 405; Großbritannien, 410th meeting, S. 406; Peru, 410th meeting, S. 407; Belgien, 412th meeting, S. 419 (alle in GAOR, 5th session); zur amerikanischen Position s. AJIL 54 (1960), S. 657. 108 GAOR, 5th session, Supplement 20, S. 1; David, Mercenaires, S. 65 sieht in den bewaffneten Kräften eingegliederte Milizen; Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 75 spricht von dem kommunistischen Regime untergeordneten Kräften; Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, formulieren zu vorsichtig, wenn sie feststellen, die Generalversammlung habe eine Duldungskonstellation angenommen. 109 Vgl. hierzu, Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. llOf. ; GarciaMora, Hostile Acts, S. 127. 110 GAOR, 6th session, Ist committee, 472nd meeting, S. 103. 111 GAOR, 6th session, Ist committee, 473rd meeting, S. 108.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
ist nicht mit letzter Sicherheit zu erkennen, auf welche Formen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater der Aggressionsvorwurf bezogen wird. Während sich dieser Vorwurf nach der polnischen Stellungnahme wohl auf die Entsende- und die Anstiftungskonstellation beschränkt 112, erscheint es nicht ausgeschlossen, den Vorwurf nach den sowjetischen Stellungnahmen darüber hinaus auf die Unterstützungskonstellation zu erstrecken. Der Aggressionsbegriff wird in dieser Debatte möglicherweise in einem engen Sinne verstanden. Hierfür spricht jedenfalls der Rekurs auf die Londoner Abkommen 113 . An der amerikanischen Reaktion auf den Aggressions(-vorbereitungs-)vorwurf interessiert hier weniger die Bekundung des defensiven Charakters des Mutual Security Acts als die ausdrückliche Feststellung der Übereinstimmung in der Rechtsüberzeugung, "that to train and equip a ,foreign Iegion' for the invasion of another state and the overthrow of its government would be an aggressive act" 114 . Diese Formulierung erfaßt die Entsende- und die Entsendeförderungskonstellation. Die Anstiftungskonstellation wird hiermit hingegen nicht in Bezug genommen.
6. Der Birma-Konflike 15 1953 befassen sich die VN auf Antrag Birmas mit Gewaltakten, die national-chinesische Kräfte auf dem Territorium Birmas vornehmen. Weder die Gewaltakte als solche noch der Umstand werden bestritten, daß die bewaffneten Kräfte teilweise ursprünglich unter national-chinesischem Kommando standen. Auch herrscht weitestgehende Übereinstimmung darüber, daß der Kern der Gewalttäter nicht von der national-chinesischen Regierung entsandt worden ist, um gegen Birma zu operieren, sondern auf der Flucht vor volksrepublikanischen Truppen nach Birma gelangt ist. Dagegen wird die Frage kontrovers diskutiert, in welcher Beziehung die national-chinesische Regierung zu den in Birma operierenden Kräften steht. Während Birma und einige andere Staaten der Auffassung sind, daß die bewaffneten Kräfte auf Weisung der nationalchinesischen Regierung han112 In der polnischen Stellungnahme heißt es etwa, "the purpose of the Act being to organize armed units .. .", GAOR, 6th session, Ist committee, 473rd meeting, s. I07. 113 Vgl. die polnische Stellungnahme in GAOR, 6th session, Ist committee, 473rd meeting, S. 107; zu den Londoner Abkommen einstweilen nur Brownlie, Use of Force, S. 360; daß auch die USA von einem engen Verständnis ausgehen, zeigt die Stellungnahme in GAOR, 6th session, Ist committee, 473rd meeting, S. IIO. 114 GAOR, 6th session, Ist committee, 473rd meeting, S. 110; hierauf wohl zustimmend Bezug nehmend Großbritannien, GAOR, 6th session, Ist committee, 475th meeting, S. Il6. 115 Vgl. hierzu etwa Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 127f.; Fawcett, RdC 108 (1961 II), S. 358.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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delten und von dieser logistische Unterstützung erführen 116, hält eine beträchtliche Zahl von Staaten die Kontrolle durch Nationalchina wenigstens für nicht erweislich, so daß höchstens eine Unterstützungskonstellation in Betracht komme 117 . In rechtlicher Hinsicht ist die in bemerkenswerter Sachlichkeit geführte Debatte in zweierlei Hinsicht aufschlußreich. Einmal besteht Konsens insoweit, daß nicht grenzübergreifende Gewaltakte Privater dann eine Aggression eines auswärtigen Staates begründen, wenn die Privaten den Weisungen dieses Staates folgen. Der Begriff der Aggression wird dabei ausgehend von Birmas Verständnis im Sinne von Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN verstanden 118 • Kein Streit besteht auch über die Satzungswidrigkeit der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater bei einer Unterstützungskonstellation. Doch wird insoweit der Begriff der Aggression von den Staaten nicht gebraucht 119• In der einschlägigen Resolution der Generalversammlung heißt es dementsprechend nur, "that any assistance given to these forces which enables them to remain in the territory of the Union of Burma or to continue their hostile acts against a Member State is contrary to the Charter of the United Nations" 120.
116 Zur Position Birmas vgl. etwa GAOR, 7th session, 1st committee, 605th meeting, S. 655 f.; in diesem Sinne etwa Sowjetunion, 607th meeting, S. 663 f.; Polen, 607th meeting, S. 666; Israel, 608th meeting, S. 669; Indonesien, 6!0th meeting, s. 681. 117 Zweifelnd hinsichtlich der Kontrolle etwa Neuseeland, 607th meeting, S. 664 f.; Großbritannien, 608th meeting, S. 670; Australien, 609th meeting, S. 673; Frankreich, 609th meeting, S. 674; Libanon, 610th meeting, S. 682; Südafrika, 6llth meeting, S. 689 (alle GAOR, 7th session, Ist committee); eine Unterstützungskonstellation wird vom Yemen, 607th meeting, S. 663; Neuseeland, 607th meeting, S. 664 f.; Großbritannien, 608th meeting, S. 670; Irak, 61 Oth meeting, S. 679; Afghanistan, 610th meeting, S. 680 in Betracht gezogen; die nationalchinesische Position geht dahin, die Weisungsunterworfenheil ebenso wie eine logistische Unterstützung durch die Regierung zu bestreiten. Zudem bemühe man sich darum, grenzübergreifende Unterstützungsleistungen seitens nationalchinesischer Privater zu verhindern, GAOR, 7th session, general committee, 86th meeting, S. 31 f.; Ist committe, 605th meeting, S. 658f.; 610th meeting, S. 683. 118 So auch die Deutung Fawcetts, RdC 108 (1961 II), S. 359; a.A. Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 127 f. 119 Auch dies macht die Annahme plausibel, daß der Aggressionsbegriff in dieser Debatte eng verstanden wird; Yemen, 607th meeting, S. 663 spricht bezüglich der Unterstützungskonstellation von "Intervention"; deutlich abstufend auch Mexiko, 6llth meeting, S. 687 und Großbritannien, 608th meeting, S. 670. 120 Resolution 707 (VII), GAOR, 7th session, Supplement 20, S. 4.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
7. Der Guatemala-Konflikt 121 Im Juni 1954 wendet sich die Regierung Guatemalas an die VN, um auf gegen ihren Staat gerichtete Gewaltakte hinzuweisen. Nach Darstellung Guatemalas operieren bewaffnete Kräfte 122 von honduranischem und nicaraguanischem Territorium aus gegen Guatemala, möglicherweise sogar mit Unterstützung der beiden Basenstaaten 123 . Dies stelle, so heißt es in einer Stellungnahme des guatemaltekischen Außenministers, eine offene Aggression von seiten Honduras' und Nicaraguas dar 124• An anderer Stelle wird ganz unmißverständlich von einer bewaffneten Aggression dieser beiden Staaten gesprochen 125 . Hieraus muß gefolgert werden, daß Guatemala die staatliche Verwicklung in der Duldungskonstellation als Gewaltanwendung im Sinne von Art. 2 Ziff. 4 SVN betrachtet 126. Zwar verzichtet Guatamala nach eigenem Bekunden auf die Anwendung von Gegengewalt, dies aber nur, um den Aggressoren keinen Vorwand für weitere Gewaltakte zu geben 127• Die Rechtsüberzeugung, in der Duldungs- bzw. Entsendeförderungskonstellation bestehe kein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN, bringt Guatemala also nicht zum Ausdruck. Die Sicherheitsratsdebatte geht- die Stellungnahme der Sowjetunion ausgenommen - auf die hier interessierenden Rechtsfragen nicht ein, sondern hat in der Hauptsache die Frage zum Gegenstand, ob der Fall der OAS zur weiteren Behandlung überwiesen werden kann 128 • Die Sowjetunion hingegen übernimmt nicht nur die These von der (bewaffneten) Aggression 129, sondern dehnt den Aggressionsvorwurf noch auf die USA aus. Diese habe Waffen und Ausrüstung nach Nicaragua und Vgl. hierzu Fawcett, RdC 108 (196 I II), S. 372 ff. Dabei soll es sich um Exilguatemalteken und Söldner handeln. 123 SCOR, 9th year, 675th meeting, S. 11 (wenigstens bezü,glich Honduras' steht die zitierte Stellungnahme im Widerspruch zu einer späteren Außerung Guatemalas (675th meeting, S. 19), wie der britische Vertreter zu Recht bemerkt (676th meeting, S. 14). Dieser die tatsächliche Seite betreffende Punkt mag hier auf sich beruhen). 124 SCOR, 9th year, Supplement April - June 1954, S. 13 (S/3232). 125 SCOR, 9th year, 675th meeting, S. 5. 126 Auch Fawcett, RdC 108 (1961 Il), S. 377, geht in seiner Analyse des Falles von einer Duldungskonstellation aus. 127 SCOR, 9th year, Supplement April - June 1954, S. 13. 128 Honduras und Nicaragua bestreiten im übrigen jede Verwicklung in die gegen Guatemala gerichteten Gewaltakte; zur Stellungnahme Honduras' SCOR, 9th year, Supplement April - June, S. l 8 (S/3250), zu derjenigen Nicaraguas, ebendort, S. 17 (S/3249). 129 Daß die Begriffe "Aggression", "bewaffnete Aggression", "bewaffneter Angriff' von der Sowjetunion in dieser Debatte synonym verwandt werden, zeigt die Passage der Stellungnahme in SCOR, 9th year, 675th meeting, S. 22. 121
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II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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Honduras gesandt, um die von dort aus operierenden Kräfte zu unterstützen 130. Darin kommt die Rechtsauffassung zum Ausdruck, eine staatliche Gewaltanwendung liege auch dann vor, wenn grenzübergreifende Gewaltakte Privater durch Waffenlieferungen o.ä. in den Basenstaat unterstützt werden.
8. Der Ungarn-Kontlikt Die Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Einsatz sowjetischer Truppen in Ungarn ab Oktober 1956 soll hier nur insoweit behandelt werden, als geschrieben worden ist, die Sowjetunion habe ein Recht zur kollektiven Selbstverteidigung gemäß Art. 51 SVN geltend gemacht und dies mit dem Vorliegen einer Unterstützungskonstellation begründet 131 . Dieser Deutung wird hier nicht gefolgt. Zwar trifft es zu, daß die Sowjetunion geltend gemacht hat, der Aufstand in Ungarn sei zum Teil auf die Unterstützung auswärtiger Staaten, insbesondere der USA, zurückzuführen132, doch wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich weder von einer amerikanischen Aggression noch von einer Befugnis zur kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 SVN gesprochen. Vielmehr wird entscheidend auf das Hilfeersuchen der ungarischen Regierung 133 sowie auf Verpflichtungen aus dem Warschauer-Pakt abgestellt 134 . Der Ungarn-Konflikt wird deshalb im folgenden nicht als spätere Praxis zu Fragen der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater berücksichtigt.
SCOR, 9th year, 675th meeting, S. 34. So insbesondere Fawcett, RdC 108 II (1961 ), S. 384, der diese Aussage aber dahin abschwächt, die Sowjetunion habe dieses Argument "less determinedly" (S. 384) vorgebracht; auch Rauschning, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 85, Fn. 33, meint, die Sowjetunion habe sich auf die Befugnis zu kollektiver Selbstverteidigung gegen einen indirekten Angriff berufen Gedoch ohne Beleg, da die Verweisung in Fn. 33 auf die Nachweise in Fn. 27 bezüglich des Ungarn-Konflikts nicht weiterführt). 132 Vgl. die Ausführungen in SCOR, IIth year, 754th meeting, S. 8 f. und in GAOR, IIth session, plenary meetings, S. 112, wo noch einmal der Mutual Security Act der USA zur Sprache kommt. 133 Dazu etwa in GAOR, IIth session, plenary meetings, S. I !Of. 134 Dazu SCOR, IIth year, 754th meeting, S. 10. ; der Verweis auf den Warschauer-Pakt ist zu allgemein gehalten, als daß die Annahme berechtigt wäre, die Sowjetunion mache das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung nach dessen Art. 4 geltend; a.A. Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 158 f. mit insoweit fehlgehendem Hinweis auf Fawcett in Fn. 43 (S. 159). 130
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
9. Die Konflikte um Libanon und Jordanien 135 Im Juli 1958 macht der amerikanische Präsident die Entsendung amerikanischer Streitkräfte in den Libanon bekannt. Zur Begründung führt er neben dem hier nicht interessierenden Aspekt des Schutzes amerikanischer Staatsangehöriger das Recht zu kollektiver Selbstverteidigung gegen indirekte Aggression an 136 . Der Libanon hat sich bereits im Mai desselben Jahres an die VN gewandt, um auf gegen sein Territorium gerichtete Gewaltakte Privater hinzuweisen, in die die Vereinigte Arabische Republik (V AR) verwikkelt sei 137 . Die Sicherheitsratsdebatte konzentriert sich auf den Vorwurf des Libanon, die VAR infiltriere bewaffnete Kräfte und liefere Waffen an die im Libanon agierende bewaffnete Opposition 138 . Jedenfalls im Verbund begründeten, so der Libanon, diese beiden Verwicklungsformen nicht nur eine massive Intervention 139 , sondern auch einen bewaffneten Angriff nach Art. 51 SVN. Libanons Rechtsauffassung verdichtet sich in der folgenden Stellungnahme: "Art. 51 of the Charter speaks not of direct arrned attack but of arrned attack pure and simple. Article 51 is thus intended to cover all cases of attack, whether direct or indirect, provided it is arrned attack. In any case, what difference is there from point of view of their effects between direct and indirect attack if both are armed and both are directed towards the destruction of a country's independence and could, in fact, threaten it? What real difference is there between armed soldiers in uniform making a frontal attack on a certain part of a certain country and these same soldiers, arrned but not in uniform, secretly infiltrating into the area to regroup there and engage in the same sort of arrned attack as soldiers in uniform ?" 140•
Der letzte Teil der zitierten Passage zeigt, daß die Begründung des (indirekten) bewaffneten Angriffs ausdrücklich nur die Entsendekonstellation in Bezug nimmt. Auch ansonsten findet sich kein Passus, der die Überzeu135 Insbesondere der Libanon-Konflikt ist im Schrifttum oft als besonders aussagekräftige spätere Praxis gewertet worden; vgl. etwa Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 236ff., 350f.; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 292ff.; Novogrod, Bassiouni/Naunda (Hg.), International Criminal Law I, S. 225 f.; Genoni, Notwehr, S. 141 f.; Beiträge speziell zu diesem Konflikt haben etwa Wright, AJIL 53 (1959), S. 112ff., Potter, AJIL 52 (1958), S. 727ff., und Dupuy, AFDI 5 (1959), S. 431 ff. verfaßt 136 Documents on International Affairs 1958, Gillian King (Hg.), London New York Toronto 1962, S. 287 f. 137 SCOR, 13th year, Supplement April - June 1958, S. 33 (S/4007). 138 Ursprünglich hatte der Libanon auch den Aspekt der feindlichen Propaganda in den Vordergrund gestellt, SCOR, 13th year, 823th meeting, S. 4.; zur Konzentration der Debatte auf die im Text genannten Aspekte vgl. die Stellungnahme des Libanon während des 836th meetings, S. 2. 139 So noch in SCOR, 13th year, 828th meeting, S. 10. 140 SCOR, 13th year, 833th meeting, S. 3 f.
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gung des Libanon zum Ausdruck bringt, die (massive) Waffenlieferung an eine bewaffnete Opposition stelle für sich genommen einen (indirekten) bewaffneten Angriff nach Art. 5 I SVN dar. Somit bleiben Zweifel hinsichtlich der libanesischen Bewertung der staatlichen Verwicklung in der Unterstützungskonstellation. Die USA übernehmen die libanesische Darstellung der Fakten und differenzieren bei ihrer Berufung auf Art. 51 SVN nicht zwischen Unterstützungs- und Entsendekonstellation, sondern verweisen auf ihre Haltung im Griechenland-Konflikt 141 . Bemerkenswert ist, daß keine auf das Gebiet der VAR übergreifenden kollektiven Selbstverteidigungsmaßnahmen vorgenommen werden 142. Die Bewertung der vom Libanon und den USA eingenommenen Position durch andere VN-Mitgliedstaaten 143 fälltuneinheitlich aus. Die direkt betroffene V AR setzt sich nicht mit der Rechtsauffassung der Kontrahenten auseinander, sondern erklärt, es gehe in dem Fall um einen Aufstand gegen die libanesische Regierung, mithin um eine innere Angelegenheit des Libanon144. In der Hauptsache auf tatsächlicher Ebene bewegen sich auch die Ausführungen der die VAR argumentativ unterstützenden Sowjetunion. In rechtlicher Hinsicht aufschlußreich ist allerdings der Satz, Art. 51 SVN sei nur bei einem direkten Angriff einschlägig 145 . Dies kann in Anbetracht des von den USA mehrfach gebrauchten Terminus "indirekte Aggression" nur als Ausdruck einer hiervon abweichenden Rechtsauffassung verstanden werden. Differenziert fällt die Beurteilung Schwedens aus. Soweit ein Staat einen anderen um Hilfe ersuche, um die innere Situation zu stabilisieren, falle dies nicht in den Zuständigkeitsbereich der VN. Der Berufung der USA auf Art. 51 SVN müsse jedoch entgegengehalten werden, daß ein bewaffneter Angriff gegen einen Mitgliedstaat nicht vorliege. Auch ein internationaler Konflikt im Sinne des Art. 51 SVN sei nicht gegeben 146. Insbesondere das Bestreiten eines internationalen Konflikts läßt die Deutung zweifelhaft erscheinen, Schweden habe mit der zitierten Äußerung der amerikanischen und libanesischen Auslegung des Art. 51 SVN widersprechen wollen 147 . 141 Vgl. insbesondere die Stellungnahme in SCOR, 13th year, 827th meeting, S. 6- 9.; daneben diejenige in 829th meeting, S. 11. 142 Hierzu einstweilen nur die Kurzformel Dupuys, AFDI 5 (1959), S. 467 : "En somme, a l'aggression indirecte, on repondait par Ia legitime defense indirecte". 143 Nur am Rande sei auf eine Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland in ZaöRV 20 (1960), S. 663f. hingewiesen. 144 SCOR, 13th year, 823rd meeting, S. 23; 824th meeting, S. 2ff.; 828th meeting, S. 5 f.; 830th meeting, S. 2. 145 SCOR, 13th year, 829th meeting, S. 9. 146 SCOR, 13th year, 830th meeting, S. 8 f. 147 So aber etwa Genoni, Notwehr, S. 142, der dieser Äußerung überragendes Gewicht beimißt
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Immerhin wird sie von dem Vertreter Chinas 148 in diesem Sinne verstanden und zum Gegenstand einer Replik gemacht, in der es ohne weitere Differenzierung heißt, Art. 51 SVN sei im Falle einer indirekten Aggression anwendbart49_ Zeitlich fast parallel zum Libanon-Konflikt entwickelt sich der Jordanien-Konflikt. Im Juli 1958 wendet sich Jordanien unter Berufung auf eine Intervention seitens der VAR an die VN 150. Ebenso wie der Libanon macht Jordanien die Infiltration bewaffneter Kräfte sowie Waffenlieferungen aus der VAR geltend. Hinzu kämen bedrohliche Truppenbewegungen auf dem Territorium der VAR. Bei dem Hinweis, Jordanien habe Großbritannien und die USA in Übereinstimmung mit Art. 51 SVN um Hilfe ersucht, heißt es, Jordanien sei durch "imminent foreign armed aggression" und durch "an attempt by the United Arab Republic to create intemal disorder and to overthrow the existing regime" bedroht 151 . Es ist nicht ganz eindeutig, ob sich die Rede von der "imminent foreign armed aggression" allein auf die Bewegungen der regulären Truppen der VAR bezieht. Jedenfalls aber erfolgt die Berufung auf Art. 51 SVN auch im Zusammenhang mit den genannten Formen der Verwicklung der V AR in Gewaltakte Privater. Interessant ist schließlich die Haltung Großbritanniens, das Truppen nach Jordanien entsendet. Großbritannien spricht an keiner Stelle davon, der Truppeneinsatz sei eine (kollektive) Selbstverteidigungsmaßnahme nach Art. 51 SVN. Vielmehr heißt es knapp: "It is to the Kingdom of Jordan that we are sending our help in this time of need. There is no question of our using the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state, and our action does not conflict with Article 2, paragraph 4, or any other provision of the United Nations Charter'" 52 •
Einer Auseinandersetzung mit Art. 51 SVN bedurfte es nach britischer Auffassung offenbar nur bei auf das Territorium der V AR übergreifender Gewaltanwendung.
10. Der Algerien-Konflikt 153 Von 1957 an wendet Frankreich wiederholt Gewalt gegen Tunesien an. In tatsächlicher Hinsicht geht Frankreich davon aus, algensehe Rebellen operierten von in Tunesien gelegenen Stützpunkten aus gegen französisches Territorium (als welches Algerien zu diesem Zeitpunkt betrachtet wird). TuneZu diesem Zeitpunkt noch ein Repräsentant Nationalchinas. SCOR, 13th year, 831 th meeting, S. 19. Jso SCOR, 13th year, Supplement July - September 1958, S. 37 f. (S/4053). 15 1 SCOR, 13th year, 831th meeting, S. 5. 152 SCOR, 13th year, 834th meeting, S. 14. 153 Hierzu insbesondere Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 301 ff. 148 149
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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sien, so heißt es, dulde diese grenzübergreifenden Gewaltakte. In Anbetracht dessen sei Frankreich befugt, in Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts mit grenzübergreifender Gegengewalt zu antworten 154 • Bemerkenswert ist der Umstand, daß Formulierungen gebraucht werden, die den Schluß erlauben, nach französischer Rechtsauffassung bestehe ein Selbstverteidigungsrecht nicht nur in der Duldungskonstellation, sondern auch in der Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation 155 • Aufschlußreich ist des weiteren, daß Frankreich in diesem Konflikt ein Recht zur Vomahme grenzübergreifender Gegengewalt nur bei Vorliegen einer Duldungs- (und ggf. Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeits-), nicht aber einer Unterstützungskonstellation in Anspruch nimmt. Die bereits 1956 insbesondere Ägypten vorgehaltene Unterstützung der in Algerien agierenden Privaten durch Waffenlieferungen und Finanzierung 156 wird nicht zum Anlaß genommen, Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Ägypten durchzuführen 157 . Tunesien bestreitet zunächst das Vorliegen einer Duldungskonstellation. Man habe lediglich einer beträchtlichen Anzahl von Flüchtlingen Asyl gewährt. Im übrigen wird die rechtliche Argumentation Frankreichs insoweit zurückgewiesen, als diese anfangs auf die Institute der Nacheile und der Vergeltung rekurriert 158 • Dagegen bezieht Tunesien zu Frankreichs 154 Die im Text skizzierte französische Position ergibt sich aus den Stellungnahmen in GAOR, 12th session, Ist committee, 913th meeting, S. 256; SCOR, 13th year, 819th meeting, S. 13ff.; AFDI 4 (1958), S. 809; AFDI 6 (1960), S. 1068f. 155 Verwiesen sei auf die beiden 'folgenden Extrakte aus französischen Stellungnahmen: "II n'y a pas de loi internationale qui exige d'un Etat attaque a partir d'un territoire voisin d'accepter indetiniment un tel etat de chose" (AFDI 4 (1958), S. 809); " ... les attaques menees pardes elements F.L.N. a partir du territoire tunisien, et en particulier les tirs frequents effectues depuis ce territoire sur des troupes francais, engageaient gravement Ia n!sponsabilite du Gouvernement tunisien. Ces actions mettent Jes troupes francaises dans I' obligation de riposter pour assurer leur legitime defense. Le Gouvernement francais a deja dementi qu'il ait invoque un droit de suite. Si, pour sa part il reste decide a respecter Ia souverainete tunisienne, il appartient en revanche au Gouvernement tunisien d'agir en sorte que son territoire cesse d'etre utilise a des fins aggressives" (AFDI 6 (1960), S. 1069). Neben der deutlichen Zurückweisung einer Nacheilebefugnis (kritisch zu den anfänglichen Versuchen Frankreichs, ein Recht auf Nacheile geltend zu machen, Charpentier, RGDIP 65 (1961 ), S. 312 f.) ist interessant, daß Frankreich hier offenbar von einer absoluten Einstandspflicht des Basenstaates für die grenzübergreifenden Gewaltakte der Privaten ausgeht. 156 Hierzu ausführlich Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 162ff. 157 Ob dieser tatsächlichen Enthaltsamkeit eine Rechtsüberzeugung zugrunde liegt, ist allerdings nicht mit letzter Sicherheit zu ermitteln, da die diesbezüglichen Formulierungen recht allgemein gehalten sind, vgl. etwa diejenige in SCOR, II th year, Supplement October- December 1956, S. 99. 158 GAOR, 12th session, lstcommittee, 914th meeting, S. 260; ablehnend in bezug auf das Nacheilerecht auch die Sowjetunion in GAOR, 12th session, Ist committee, 918th meeting, S. 289.
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Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts in der Duldungskonstellation in rechtlicher Hinsicht nicht Stellung. Möglicherweise liegt dem die Überzeugung zugrunde, die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater sei abweichend vom Normalfall zu beurteilen, wenn es sich bei den Privaten um eine nationale Befreiungsbewegung handelt 159 . Ausdrücklich in letzterem Sinne äußert sich Saudi-Arabien 160•
11. Der Laos-Konflike 61 Im September 1959 ruft Laos die VN an, um eine "flagrante Aggression" Nord-Vietnams geltend zu machen 162 • In dem Beschwerdeschreiben wird der Aggressionsvorwurf nicht eindeutig in Bezug zu einer Verwicklung Nord-Vietnams in gegen Laos gerichtete Gewaltakte Privater gesetzt, da auch vorgebracht wird, daß "Elements from the Democratic Republic of Viet-Nam took part in the attack, which was supported by artillery fire from the other side of the frontier" 163 • Dagegen kommt die Rechtsauffassung Laos' zu Fragen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater in dem Bericht des vom Sicherheitsrat eingesetzten Unterausschusses recht deutlich zum Ausdruck. Nachdem festgestellt worden ist, daß nach Darstellung Laos' die gegen diesen Staat operierenden Privaten Zugang zum Territorium Nord-Vietnams erhielten, wo sie trainiert würden, und von wo aus im übrigen Nachschublieferungen nach Laos erfolgten, heißt es im folgenden, daß diese Verwicklungsformen Nord-Vietnams "are considered by the Laotian Govemment to constitute an invitation to rebellion against the Govemment, interference in the intemal affairs and an attack against the members of the Govemment and the armed forces (Hervorh. v. Verf.)" 164. Nach Auffassung Laos' ist also zumindest in der Entsendeförderungskonstellation ein staatlicher Angriff gegeben. Während der Sicherheitsratsdebatte 165 findet eine Erörterung der soeben skizzierten Rechtsauffassung Laos' nicht statt. 159 Eine Andeutung, die in diese Richtung weist, liefert die Äußerung in SCOR, 13th year, 821th meeting, S. 2.; zweigleisig reagiert Ägypten auf den Unterstützungsvorwurf: einmal werden die vorgebrachten Fakten bestritten, zum anderen arbeitet man mit dem Selbstbestimmungsrecht des algensehen Volkes, GAOR, II th session, Ist committee, 838th meeting, S. 149 einerseits, S. 150ff. andererseits. 160 GAOR, 12th session, Ist committee, 916th meeting, S. 274. 16 1 Hierzu etwa Higgins, BYIL 37 (1961), S. 294; Thomas/Thomas/Salas, Iudireet Aggression, S. 241 ff. 162 SCOR, 14th year, Supplement July- September 1959, S. 7f. (S/4212). 163 SCOR, 14th year, Supplement July- September 1959, S. 8.; ablehnend hinsichtlich der Verwertbarkeit des Vorwurfs der flagranten Aggression in unserem Zusammenhang auch Higgins, BYIL 37 (1961), S. 294; a.A. wohl Thomas/Thomas/ Salas, Indirect Aggression, S. 241. 164 SCOR, 14th year, Supplement October- December 1959, S. 19 (S/4236). 165 SCOR, 14th year, 847th/848th meeting.
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12. Der Kuba-Konflikt 166 Im April 1961 erklärt der Vertreter Kubas bei den VN, daß "the Republic of Cuba bad been invaded . . . by a mercenary force organized, financed and armed by the Govemment of the United States and coming from Guatemala and Florida" 167 • Entgegen dem ersten Eindruck ist die kuhanisehe Bewertung der behaupteten Entsendekonstellation hinsichtlich der hier interessierenden Rechtsfragen nicht ganz eindeutig festzumachen. Wenn das amerikanische Verhalten wiederholt als Aggression bewertet wird 168 , so erlaubt dies keine sicheren Schlüsse in bezug auf die Anwendbarkeit der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN, da Kuba den Aggressionsbegriff sehr weit faßt 169• Zudem ist bemerkenswert, daß Kuba während der Debatte durchgängig Gewicht auf die Differenzierung zwischen indirektem und direktem staatlichen Vorgehen legt. In einer Stellungnahme etwa wird geltend gemacht, es lägen Hinweise dafür vor, daß inzwischen auch reguläre amerikanische Truppen in Kuba gelandet seien. Dazu heißt es dann: "That information indicated that the United States Government had gone beyond indirect action, and was now engaged in direct military intervention in Cuba. In the circumstances, the Cuban delegation reserved its right to take its complaint to the Security Council when it saw fit to do so" 170.
Ob Kuba an diese Unterscheidung neben der Frage des zuständigen VNOrgans weitere Rechtsfolgendifferenzen - insbesondere im Hinblick auf das Selbstverteidigungsrecht - knüpft, bleibt letzlieh offen. Dabei wird nicht verkannt, daß zusätzlich zu der eingangs zitierten Formulierung einzelne weitere Äußerungen dahin verstanden werden können, nach kuhaniseher Sicht sei in der Entsendekonstellation ein bewaffneter Angriff des Entsendestaates anzunehmen 171 • Entschiedener als Kuba bringen andere Ostblockstaaten ihre Rechtsüberzeugung zum Ausdruck. In tatsächlicher Hinsicht legen sie ihren Ausfüh166 Vgl. hierzu neben Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 176ff., auch Wright, ASIL 1961, S. 15ff. 167 GAOR, 15th session, 1150th meeting, S. 57. 168 GAOR, 15th session, Ist committee, 1150th meeting, S. 60; GAOR, 16th session, Ist committee, I23I st meeting, S. 372. 169 Dieses weite Begriffsverständnis zeigt sich sehr deutlich in der Stellungnahme in GAOR, 16th session, 1st committee, 123lth meeting, S. 370. 170 GAOR, 15th session, Ist committee, 1152nd meeting, S. 67; auch in GAOR, 16th session, Ist committee, 123lth meeting, S. 372 wird ausdrücklich zwischen direktem und indirektem staatlichen Vorgehen unterschieden. 17 1 Am deutlichsten in diese Richtung weist die Äußerung in GAOR, 16th session, Ist committee, 123lth meeting, S. 369.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
rungen fast durchgängig 172 eine Entsendekonstellation zugrunde und bewerten das Verhalten des Entsendestaates USA übereinstimmend als bewaffnete Aggression 173 . Diese Rechtsauffassung wird von den USA nicht bestritten. Jedoch seien die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht unbegründet. Man habe keine bewaffneten Kräfte nach Kuba entsandt und stelle sich jedem Versuch von seiten Privater, vom US-Territorium aus Angriffe gegen auswärtige Staaten zu unternehmen, entgegen 174• Auch andere amerikanische Staaten bekunden, etwaigen Versuchen von auf ihrem Territorium befindlichen Exilkubanern, grenzübergreifende Angriffe gegen Kuba zu unternehmen, entgegenzutreten 175 . Anders argumentiert Panama. Dieser Staat betont die von Kuba ausgehenden kommunistischen Infiltrationen in andere amerikanische Staaten und weist den gegen die USA gerichteten Vorwurf mit den Worten zurück: "A victim of aggression who exercised his right of se1f-defence cou1d not be called an aggressor" 176.
Diese Aussage kann als indirekte Bestätigung der These verstanden werden, in der Entsendekonstellation wende der verwickelte Staat Gewalt mit der Folge der Auslösung des Selbstverteidigungsrechts an. Die Gegenposition wird nur von Argenlinien vertreten. Der einschlägige Passus wird im Sitzungsbericht wie folgt referiert: "Some speakers had described the Cuban case as one of armed aggression. While Argentina did not countenance official military assistance from abroad to revolutionary forces ... it nevertheless considered such assistance an entirely different matter from direct military intervention" 177 •
Da mit dem Kuba-Fall eine Entsendekonstellation in Rede steht, muß die zitierte Rechtsäußerung auch auf diese Form der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater bezogen werden. 172 Nur Bulgarien scheint die Verwicklung der USA in die Gewaltakte der Privaten zwischen Duldungs- und Entsendekonstellation anzusiedeln, GAOR, 15th session, Ist committee, 1157th meeting, S. 91. 173 Sowjetunion, GAOR, 15th session, Ist committee, 1150th meeting, S. 61, 1159th meeting, S. 98; Bulgarien, !!57th meeting, S. 91 ("war waged by using bands of foreign mercenaries"); Tschechoslowakei, 16th session, Ist committee, 1232th meeting, S. 375 ("criminal attack"); Albanien, 1238th meeting, S. 409; Polen, 1239th meeting, S. 415 ("armed invasion"). 174 GAOR, 15th session, Ist committee, !!50th meeting, S. 60; !!54th meeting, s. 76. 175 Guatemala, GAOR, 15th session, Ist committee, 1151th meeting, S. 63; Dominikanische Republik, GAOR, 16th session, Ist committee, 1236th meeting, S. 397; Kolumbien, 1237th meeting, S. 403. 176 GAOR, 16th session, Ist committee, 1240th meeting, S. 419. 177 GAOR, 15th meeting, Ist committee, !!55th meeting, S. 81.
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Einige Staaten schließlich - darunter vor allem solche, die dem Konflikt ferner stehen - beschränken sich darauf, die Rechtswidrigkeit der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater in der Entsende-, Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation zu betonen 178 . Immerhin ist bemerkenswert, daß auch im Zusammenhang mit grenzübergreifenden bewaffneten Aktionen Privater der Begriff des bewaffneten Angriffs gebraucht wird 179 .
13. Der Malaysia-Konflikt 180 Im September 1964 kommt es im VN-Sicherheitsrat zu einer Erörterung des malaiischen Vorwurfs, Indonesien entsende irreguläre 181 bewaffnete Kräfte zur Gewaltanwendung nach Malaysia. Die Rechtsauffassung Malaysias zur Entsendekonstellation kommt in dem folgenden Satz unmißverständlich zum Ausdruck: "The Govemment of Malaysia in a sincere desire to avoid, as far as it lay in its power, any further build-up of tension in this already troubled region and has for all these months scrupulously desisted from crossing the border into Indonesia in pursuit of these intruders, which however, is clearly permitted to any State in the exercise of its right of self-defence, a right preserved and guaranteed by the Charter"182_
Dieser Bewertung schließen sich in nicht minder deutlichen Worten Großbritannien 183 , die USA 184 und Brasilien 185 an. Indonesien bestreitet die Entsendung von "Freiwilligen" ebensowenig wie es die These, hierin liege staatliche Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN, grundsätzlich in Zweifel zieht. Zu rechtfertigen sei die Entsendung aber einmal als Selbstverteidigungsmaßnahme gegen vorangegangene britisch-malaiische Angriffe und zum anderen als Befreiungskampf gegen 178 Guinea, GAOR, 15th session, 1st committee, 1151th meeting, S. 64; Nepal, 1156th meeting, S. 84; Afghanistan, 1158th meeting, S. 96; aber auch Mexiko, 1154th meeting, S. 76. 179 Vgl. insbesondere die Stellungnahme Indiens, GAOR, 15th session, Ist committee, 1156th meeting, S. 83 und Afghanistans, 1158th meeting, S. 96. 180 Vgl. den Überblick in YUN 1964, S. 135 ff. 181 Die von Malaysia daneben zur Sprache gebrachte Gewaltanwendung durch reguläre indonesische Streitkräfte interessiert hier nicht. 182 SCOR, 19th year, 1144th meeting, S. 6. 183 SCOR, 19th year, 1144th meeting, S. 28; die Richtigkeit des Hinweises von Moore, AJIL 80 (1986), S. 90, Fn. 187, Großbritannien habe in Erwiderung des Vorgehens Indonesiens die dortige Guerilla-Bewegung unterstützt, kann hier nicht verifiziert werden; jedenfalls hat dieser Aspekt in der Diskussion im Sicherheitsrat keine Rolle gespielt. 184 SCOR, 19th year, 1145th meeting, S. 3 f. 185 SCOR, 19th year, 1148th meeting, S. 9.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Kolonialismus I 86 . Die These vom legitimen Befreiungskampf findet den Beifall der Sowjetunion I 87 und der Tschechoslowakei I 88 . 14. Der Vietnam-Konflikti 89 Im Februar 1965 beginnen die USA, Ziele in Nord-Vietnam zu bombardieren. Der Rechtsberater des Department of State äußert sich zu der Rechtsgrundlage dieser Gewaltanwendung wie folgt: "In response to requests from the Government of South Viet-Nam, the United States has been assisting that country in defending itself against armed attack from the Communist North. This attack has taken the forms of externally supported subversion, clandestine supply of arms, infiltration of armed personnel, and most recently the sending of regular units of the North Vietnamese army into the South ... In the guerrilla war in Viet-Nam, the external aggression from the North is the critical military element of the insurgency, although it is unacknowledged by North Viet-Nam. In these circumstances, an ,armed attack' is not easily fixed by date and hour as in the case of traditional warfare. However, the infiltration of thousands of armed men clearly constitutes an ,armed attack' under any reasonable definition" 190.
Die unterschiedliche Akzentuierung in den beiden Teilen dieser Rechtsäußerung ist unübersehbar. Während die Annahme eines nord-vietnamesischen bewaffneten Angriffs am Ende mit dem Vorliegen einer Entsendekonstellation begründet wird, erscheinen eingangs auch Waffenlieferungen, d.h. eine der Unterstützungskonstellation zuzuordnende Verwicklungsform, geeignet, die These vom bewaffneten Angriff Nord-Vietnams zu stützen. So SCOR, 19th year, 144th meeting, S. 24f.; 1152th meeting, S. 5. SCOR, 19th year, 1145th meeting, S. 14. 188 SCOR, 19th year, II 49th meeting, S. 17 ff. 189 Vgl. hierzu in tatsächlicher Hinsicht die sehr übersichtliche Darstellung Rudolfs, Vietnam, S. II ff.; zu den zahlreichen, hier nicht sämtlich aufzugreifenden Rechtsfragen dieses Konflikts s. die Beiträge in Falk (Hg.), Vietnam I, li, des weiteren denjenigen Froweins, ZaöRV 27 (1968), S. I ff.; gegen die Berücksichtigung dieses Konflikts im Rahmen dieser Untersuchung läßt sich der Einwand denken, daß es sich bei Nord-Vietnam nicht um einen Staat, mithin beim Vietnam-Konflikt nicht um eine Konstellation der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater handele (zu der Einordnung Nord-Vietnams in die Kategorie des befriedeten de facto-Regimes Frowein, De facto-Regime, S. 52). Doch spricht entscheidend für die Berücksichtigung des Konflikts, daß die USA bei der Formulierung ihrer Rechtsauffassung davon ausgegangen sind, daß im Verhältnis zwischen Nord- und Süd-Vietnam die in Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN enthaltenen Regeln entsprechend dem zwischenstaatlichen Verhältnis zur Anwendung gelangen (dazu näher Frowein, ZaöRV 27 (1968), s. 9f.). 190 Die zitierte Passage ist abgedruckt in Falk (Hg.), Vietnam II, S. 582 f., und in Department of State Bulletin 56 ( 1967), S. 54 f. 186
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ist es zu erklären, daß die amerikanische Haltung im Vietnam-Konflikt in der Literatur uneinheitlich bewertet wird. Zwar dürfte die Formulierung des ersten Teils der zitierten Stellungnahme der Deutung entgegenstehen, "that the US Government did not consider purely material support by North Vietnam for the Vietcong as constituting an armed attack" 191 , doch ist nicht zu übersehen, daß die auf das Territorium Nord-Vietnams übergreifende Gewaltanwendung der USA erst einsetzt, als die "materielle Unterstützung" gegenüber der Infiltration in den Hintergrund tritt 192 . Die Position der USA wird im Rahmen der SEATO und des ANZUSPaktes unterstützt, wobei die SEATO-Stellungnahme auch die Unterstützungskonstellation unter dem Gesichtspunkt des bewaffneten Angriffs ausdrücklich in Bezug nimmt 193. Dagegen verurteilen die WP-Staaten das Vorgehen der USA als Aggression194. Dabei wird jedoch nicht die von den USA zur staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater bekundete Rechtsauffassung angegriffen, sondern dahin argumentiert, die USA griffen unzulässigerweise in das innervietnamesische Ringen um Selbstbestimmung ein. Die VN stehen bei der Behandlung des Vietnam-Konflikts im Hintergrund195. Die während der Vollversammlung des Jahres 1966 abgegebenen Erklärungen sind in rechtlicher Hinsicht wenig ergiebig 196. Der Vertreter Zyperns äußert sich insofern durchaus repräsentativ, wenn er feststellt, daß 191 So Gill, AHDI 1 (1988), S. 41.; a.A. etwa Rudolf, Vietnam, S. 17.; zu eng sicher die Deutung Zanardis, Legittima Difesa, S. 258 bei Fn. 186, wonach die USA ausschließlich auf den Einsatz regulärer nordvietnamesischer Truppen abgestellt haben sollen. 192 Begrenzt auf das Gebiet Süd-Vietnams setzt die militärische Unterstützung seitens der USA deutlich früher ein, s. Rudolf, Vietnam, S. 13.; daß der "Entsendeaspekt" ganz im Vordergrund der OS-Argumentation steht, zeigt sich auch daran, daß weder der Sowjetunion noch der Volksrepublik China vorgehalten wird, einen bewaffneten Angriff gegen Süd-Vietnam zu begehen, obwohl insoweit eine Unterstützungskonstellation gegeben ist; hierauf weist Chaumont, Falk (Hg.), Vietnam II, S. 138, (Fn. 39}, zu Recht hin. 193 Zu den einschlägigen Stellungnahmen s. Documents on American Foreign Relations 1966, Stebbins (Hg.), New York Evanston London 1967, SEATO: S. 265 (Frankreich war nur als Beobachter präsent), ANZUS-Pakt: S. 270. 194 Text der "Erklärung zur Aggression der USA in Vietnam" in AdG 36 (1966), s. 12593. 195 Zu den diesbezüglichen VN-Aktivitäten im einzelnen YUN 1966, S. 146ff. 196 Der Argumentation der WP-Staaten folgen etwa Guinea, GAOR, 21st session, plenary meetings, 1435th meeting, S. 13; VAR, 1438th meeting, S. 10; Irak, 1440th meeting, S. 7; Mali, 1443rd meeting, S. 11; Yemen, 1445th meeting, S. 4; Syrien, 1446th meeting, S. 1.; im Sinne der USA äußern sich etwa Griechenland, 1426th meeting, S. 2 und (National-) China, 1438th meeting, S. 5.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
"the still greater explosion that may develop out of that situation, as weil as the continuous suffering and loss of life which day by day increases, have reduced the question of who is to blame to a matter of secondary importance" 197 .
15. Der Kongo-Konflikt In einem an die VN gerichteten Brief vom September 1966 macht die Demokratische Republik Kongo (später Zaire) geltend, Portugal dulde die Existenz von Söldnerbasen auf seinem Territorium in Angola. Der Auftrag der Söldner bestehe darin, die legitime und rechtmäßige Regierung der Demokratischen Republik Kongo gewaltsam zu stürzen. Dann heißt es weiter: "This situation constitutes a serious threat to world peace, because as soon as these mercenaries attack the Democratic Republic of the Congo, the Republic will consider itself to be at war with Portugal" 198.
Damit bringt die Demokratische Republik Kongo den Rechtsanspruch zum Ausdruck, in einer Duldungskonstellation gegen den Basenstaat mit Gegengewalt reagieren zu dürfen. Der Konflikt verschärft sich, als die Demokratische Republik Kongo den VN im November 1967 mitteilt, die befürchteten grenzübergreifenden Söldnerangriffe hätten inzwischen eingesetzt. Während der sich anschließenden Sicherheitsratsdebatte bestreitet Portugal die in Rede stehende Verwicklung in die Gewaltakte der Söldner. Der kongolesischen Rechtsauffassung aber wird ausdrücklich beigepflichtet 199 . Von den Sicherheitsratsmitgliedern wird das bereits in Resolution 226200 festgehaltene Verbot, vom eigenen Territorium ausgehende grenzübergreifende Gewaltakte Privater zu dulden, bekräftigt. Von einigen Staaten wird zudem betont, den Basenstaat treffe die Verantwortlichkeit für die Gewaltakte der Privaten20 1. Nicht expliziert werden die Rechtsfolgen dieser Verantwortlichkeit mit Blick auf die Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN. Immerhin wird dem von kongolesischer Seite vorgebrachten Rechtsanspruch von keiner Seite widersprochen. GAOR, 21st session, plenary meetings, 1435th meeting, S. 7. SCOR, 21st year, Supplement July - September 1966, S. 132, insbes. 133 (S/ 7503). 199 SCOR, 22nd year, 1372nd meeting, S. 6. 200 Wellens, Resolutions, S. 42. 201 Vgl. etwa die Stellungnahmen Großbritanniens, SCOR, 22nd year, 1372nd meeting, S. 8, der USA, 1372nd meeting, S. II Kanadas, 1374th meeting, S. 9 und Japans, 1374th meeting, S. 9 f. (letztere beiden Staaten wohl für dieselbe Beurteilung bei Sorgfaltswidrigkeit). Die Sowjetunion nimmt sogar eine Entsendekonstellation an, 1372nd meeting, S. 11 ; Äthopien spricht von Portugals "complicity in organizing" der Söldnerangriffe, 1372nd meeting, S. 9. 197 198
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In der die Debatte abschließenden, im Konsensusverfahren angenommenen Resolution 241 verurteilt der Sicherheitsrat "the failure of Portugal ... to prevent the mercenaries from using the territory of Angola under its administration as a base of operations for armed attacks against the Democratic Republic of the Congo" 202 . Bemerkenswert ist, daß in dieser Resolution grenzübergreifende Gewaltakte Privater als bewaffnete Angriffe bezeichnet werden, denn es ist nicht ausgeschlossen, hierin einen Hinweis auf die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN zu sehen 203 .
16. Konflikte um Angola und Guinea-Bissau204 In der zweiten Hälfte des Jahres 1969 befaßt sich der Sicherheitsrat mit gegen Portugal gerichteten Beschwerden Sambias (Juli) und Senegals (Dezember). Portugal soll diesen beiden Staaten gegenüber unzulässigerweise Gewalt angewandt haben 205 . Portugal hält die Gewaltanwendung in beiden Fällen deshalb für erlaubt, weil Sambia und Senegal es duldeten, daß Befreiungsbewegungen von ihren Territorien aus Angriffe gegen die kolonialen Besitzungen Portugals in Angola bzw. Guinea(-Bissau) unternehmen. Die Duldung derartiger grenzübergreifender Angriffe begründe einen Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN206 und gebe dem betroffenen Staat das Recht, sich gewaltsam zu verteidigen. Die Ableitung dieses Selbstverteidigungsrechts aus Art. 51 SVN erfolgt im Sambia-Fall noch zögerlich207 , im Senegal-Fall dagegen entschieden208. Dabei verdient der Umstand Beachtung, daß das Selbstverteidigungsrecht ausdrücklich auch auf die Unfähigkeitskonstellation erstreckt wird. Bezogen auf Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation heißt es: "In either case the Zambian Govemment cannot escape responsibility for the attacks made on Portuguese territory by elements proceeding from its territory and fleeing back for sanctuary ... " 209 • Wellens, Resolutions, S. 43. So Dinstein, Self-Defence, S. 238 f. (Fn. III ). 204 Vgl. hierzu Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 17f., 23, 26 und Bowett, AJIL 66 (1972), S. 19. 205 Vgl. in tatsächlicher Hinsicht die Darstellung Sambias, SCOR, 24th year, 1486th meeting, S. I ff. einerseits, diejenige Senegals, SCOR, 24th year, 1516th meeting, S. 4 f. andererseits. 206 SCOR, 24th year, 1486th meeting, S. 8. 207 SCOR, 24th year, 1486th meeting, S. 8: "If Art. 51 is at all applicable, it is to this situation in which the Portuguese security forces . . . are being harassed and fired upon by elements enjoying the protection of the Zambian Government". Ungenau und zudem widersprüchlich ist die Analyse des Sambia-Falles bei Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 17 f. einerseits, S. 23 andererseits. 208 SCOR, 24th year, 1520th meeting, S. 2. 209 SCOR, 24th year, 1488th meeting, S. 5. 2o2 203
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Der Sicherheitsrat verurteilt das Vorgehen Portugals in beiden Fällen210, doch verbietet die Analyse der vorangehenden Debatten den Schluß auf die Rechtsauffassung, in der Duldungs- (und Unfähigkeits-)konstellation sei Art. 51 SVN zugunsten des Zielstaates generell nicht anwendbar211 • Vielmehr wird durchgängig auf die Besonderheiten verwiesen, die sich aus dem - von Portugal vorenthaltenen - Selbstbestimmungsrecht ergäben. Zum einen wird dahin argumentiert, Portugal könne sich deshalb nicht auf Art. 51 SVN berufen, weil Angola bzw. Guinea(-Bissau) nicht Teile seines Territoriums seien212, zum anderen wird auf die Rechtmäßigkeit der Unterstützung der Befreiungsbewegungen abgestellt21 3 . Algerien etwa kombiniert beide Aspekte in der Formulierung : "In the case of relations between States the right of self-defence applies to the national territory. Neither Africa nor the United Nations recognize Guinea (Bissau) as part of Portugal, as beeing under Portuguese sovereignty, or as a Portuguese province. Those who are using the legitimate right of self-defence in Guinea (Bissau) are the freedom fighters" 214 .
Können die beiden zitierten Sicherheitsratsresolutionen und die vorangegangene Debatte demnach nicht als Ausdruck einer Rechtsauffassung gewertet werden, wonach Art. 51 SVN in der Duldungs(-und Unfähigkeits-) konstellation nicht anwendbar ist, so lassen einzelne Äußerungen sogar eher auf das Gegenteil schließen. Aufschlußreich ist insoweit etwa eine Stellungnahme der VAR: "We have heard the representative of Portugal insist on two points in his reply. That such attacks are considered by his Govemment to be reactions in selfdefence and retaliation ... The Security Council has, indeed, decisively dealt with the theory of retaliation ... it was made abundantly clear that this theory is con210 Mit Resolution 268 im Sambia-Fall (Enthaltungen: Frankreich, Spanien, Großbritannien und USA; Text bei Wellens, Resolutions, S. 116) und mit Resolution 273 im Senegal-Fall (Enthaltungen: Spanien und USA; Wellens, Resolutions, S. 61 f.). 211 So auch Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 26 und Bowett, AJIL 66 (1972), s. 19. 212 Auf die Illegalität des Souveränitätsanspruchs Portugals in bezug auf die beiden Gebiete stellen etwa ab Kenia, SCOR, 24th year, 1488th meeting, S. 5f.; Pakistan, 1488th meeting, S. 7; Gabun, 1489th meeting, S. 1 f.; Tunesien, 1489th meeting, S. 5; demokratische Republik Kongo, 1490th meeting, S. 3; Sierra Leone, 1517th meeting, S. 2f.; Ungarn, 1517th meeting, S. 6f.; Sowjetunion, 1518th meeting, S. 11.; wenngleich sich die westlichen Staaten nur sehr zurückhaltend und zudem in recht allgemeinen Wendungen an der Debatte beteiligen, ist Sympathie für diese Argumentation unverkennbar, vgl. Frankreich, 1488th meeting, S. 10; Großbritannien, 1491 th meeting, S. 2. 213 So etwa Ungarn, SCOR 24th year, 1487th meeting, S. 2; Somalia, 1487th meeting, S. 4; Sowjetunion, 1488th meeting, S. 2; VAR, 1488th meeting, S. IOf.; Madagaskar, 1489th meeting, S. 2 f.; Marokko, 15 17th meeting, S. 5; Mali, !51 8th meeting, S. 8; Syrien, 1519th meeting, S. 6. 2 14 SCOR, 24th year, 1516th meeting, S. 13.
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trary to the Charter ... Self-defence is hardly a valid excuse to be offered by the Govemment of Portugal when there is no pretence that Senegal has attacked or tried to attack or permitted attacks to be begun from its territory (Hervorh. v. Verf.) against the people of Portugal or the territory of Portugal itself.. ."215 .
Wird ein Repressalienrecht hier kategorisch ausgeschlossen216, so scheint das Selbstverteidigungsrecht in der konkreten Duldungskonstellation nur an der Frage des territorialen Status' zu scheitern.
17. Der Westsahara-Konflikt Im November 1977 erklärt der König Marokkos gegenüber Algerien, daß "l'armee marocaine usera de son droit de poursuite, quelles qu'en puissent etre les consequences", falls der Polisario zuzuordnende Kräfte weiterhin von algerischem Territorium aus Gewalt gegen Marokko anwenden sollten217. Dabei wird auf den Grad der Verwicklung Algeriens in die Gewaltakte nicht eingegangen. Dieser auf das Institut der Nacheile gestützte Anspruch Marokkos auf grenzübergreifende Gewaltanwendung gegen grenzübergreifende Gewalt durch Private wird hier deshalb erwähnt, weil er die These erhärtet, aus der Verurteilung der portugiesischen Gewaltanwendung in den Konflikten um Angola und Guinea(-Bissau) dürfe nicht auf die generelle Ablehnung eines Rechts zur Ausübung von grenzübergreifender Gegengewalt in Duldungs- und Unfähigkeitskonstellationen geschlossen werden218 . Während der Sicherheitsratsdebatte bezüglich des Senegal-Falles gehörte Marokko bezeichnenderweise zu denjenigen Staaten, die eine mögliche Rechtfertigung Portugals über das Institut der Nacheile ausschlossen219. Im Juni 1979 wendet sich Marokko an den Sicherheitsrat und macht im Zusammenhang mit Polisario-Angriffen gegenüber Algerien das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN geltend220 . In diesem Fall wird die Verwicklung Algeriens spezifiziert: SCOR, 24th year, 1518th meeting, S. 6. Ein solches ist allerdings von Portugal gar nicht geltend gemacht worden. Dasselbe gilt für die Nacheilebefugnis, die einige Staaten ablehnen (vgl. etwa Algerien, SCOR, 24th year, 1486th meeting, S. 10f.; Marokko, 1517th meeting, S. 5f.; Mauritanien, 1518th meeting, S. 14.), wiewohl von seiten Portugals hierauf nicht rekurriert worden ist. 2 17 RGDIP 82 (1978), S. 855. 218 Vgl. die Bewertung des marokkanischen Verhaltens im Westsaharakonflikt durch Tomuschat, EA 36 (1981 ), S. 332: "Plastischer könnte sich die Widersprüchlichkeil in der Beurteilung objektiv gleicher Sachverhalte kaum offenbaren". 219 Vgl. oben Fn. 216. 220 SCOR, 34th year, Supplement for April, May and June 1979, S. 193 f. (SI 13394). 21 5
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5 Kreß
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"Those attacks were committed by bands which have been recruited, equipped, armed, trained and financed by the Algerian authorities, and protected in Algerian sanctuaries after having left Algerian territory"221 .
Dieser Verwicklungsgrad wird der Entsendealternative des Art. 3 g) der Aggressionsdefinition222 zugeordnet223 . Nicht nur Algerien hält dem Rechtsanspruch Marokkos (sowohl in seiner Nacheile- als auch in seiner Selbstverteidigungsvariante) die Befugnis der Polisario zur Vomahme nationaler Befreiungskampfakte entgegen224 .
18. Konflikte im Zusammenhang mit dem Minderheitsregime in Süd-Rhodesien Seit 1972 finden bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften des Smith-Regimes und opponierenden Guerillas statt. Dabei kommt es wiederholt, insbesondere in den Jahren 1976 und 1977 zur Gewaltanwendung des Smith-Regimes gegen Mosambik, von dessen Territorium aus die Guerillas zum Teil operieren225 . Auch wenn von seiten des Smith-Regimes auf das Selbstverteidigungsrecht226 bzw. das Institut der Nacheile 227 rekurriert worden ist, so wird hier228 dieser Rechtsanspruch im Rahmen der späteren Praxis deshalb nicht berücksichtigt, weil in den Jahren 1976 und 1977 noch die Verpflichtung gemäß Sicherheitsresolution 216 229 bestand, "not to recognize this illegal racist minority regime in Soutbern Rhodesia". Auf die Analyse der diesbezüglichen Sicherheitsratsdebatte wird infolgedessen verzichtet230. SCOR, 34th year, 2151 st meeting, S. 3. Zu Art. 3 g) näher unten unter B. IV. 3. 223 SCOR, 34th year, 2151st meeting, S. 3. 224 Zu Algeriens Stellungnahme s. SCOR, 34th year, 2152nd meeting, S. 3ff.; ebenso äußern sich im Debattenverlauf Benin, ebd., 2153rd meeting, S. 2, und Madagaskar, ebd., S. 3. 225 Vgl. dazu einmal RGDIP 80 (1976), S. 631, zum anderen die Stellungnahme Mosambiks in SCOR, 32th year, 20l4th meeting, S. 2ff. 226 So die Darstellung Lesothos in SCOR, 32th year, 2015th meeting, S. 5. 227 So die Darstellung in RGDIP 80 (1976), S. 631. 228 Anders Panzera, Attivita' terroristiche, S. 100 (Fn. 170). 229 Text bei Wellens, Resolutions, S. 82. 230 Diese Debatte findet im Juni des Jahres 1977 statt, vgl. hierzu SCOR, 32th year, 2014th - 2019th meeting, und endet mit der Verabschiedung der das SmithRegime verurteilenden Resolution 411 (Text bei Wellens, Resolutions, S. 109ff.). Bemerkenswert differenziert und in unserem Zusammenhang beachtlich fällt die Stellungnahme Lesothos aus. Nachdem zunächst - in Übereinstimmung mit den übrigen Stellungnahmen - betont worden ist, das Smith-Regime könne sich wegen seiner Illegalität nicht auf Art. 51 SVN berufen, wird für den unterstellten Fall, Rhodesien sei ein Staat im Sinne des Völkerrechts, ausgeführt, die Berufung auf Art. 51 SVN scheide deshalb aus, weil ein bewaffneter Angriff Mosambiks nicht 221
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19. Der Benin-Konflikt Im Januar 1977 wendet sich Benin an die VN und macht geltend, es sei Opfer eines grenzübergreifenden Söldnerangriffs geworden 231 . Während die in der Folgezeit eingesetzte Untersuchungskommission die Tatsache eines gegen Benin gerichteten Söldnerangriffs bestätigt, bleibt die die nachfolgende Sicherheitsratsdebatte beherrschende232 Frage nach etwa involvierten Staaten letztlich offen. Wird in der einschlägigen Resolution 405 233 dementsprechend von der Verurteilung bestimmter Staaten abgesehen, so bleibt diese Resolution hier doch insoweit von Interesse, als sie den gegen Benin gerichteten Angriff als "act of armed aggression" bezeichnet. Hierin kann man eine Anknüpfung an die oben 234 zitierte Sicherheitsratsresolution 241 zum Kongo-Konflikt sehen, in der grenzübergreifende Gewaltakte Privater als solche dem Begriff des bewaffneten Angriffs subsumiert werden. Daneben erscheint eine zweite Deutung dieser Resolution möglich: Angesichts der Formulierung der Ziffer 3 der Resolution 405 liegt die Annahme nahe, daß der Sicherheitsrat den Umstand für erwiesen hält, daß zumindest ein Basenstaat die von dessen Territorium ausgehende Vorbereitung und Ausführung der gegen Benin gerichteten Gewaltakte geduldet hat, ohne diesen Basenstaat identifizieren zu können. Die Bezeichnung "act of armed aggression" könnte von daher auch gewählt worden sein, um deutlich zu machen, daß die Gewaltakte dem Basenstaat aufgrund dessen Verwicklung zuzurechnen sind235 . Für dieses Verständnis der Resolution 405 spricht, daß der bewaffnete Angriff hierin abweichend von dem in der Resolution 241 in Bezug genommenen nicht als ein solcher durch Private näher qualifiziert wird. 20. Der Afghanistan-Konflikt Der Afghanistan-Konflikt interessiert hier unter zwei Gesichtspunkten: einmal im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung des sowjetischen Militäreinsatzes im Jahre 1979236, zum anderen im Hinblick auf die nachvorliege (SCOR, 32th year, 2015th meeting, S. 5). Hierin scheint die Rechtsauffassung Ausdruck zu finden, Art. 5 l SVN setze einen staatlichen bewaffneten Angriff voraus, woran es in der Duldungskonstellation fehle. 23 1 Zur Darstellung des Sachverhalts durch Benin s. SCOR, 32th year, 1986th meeting, S. 2 f. 232 Vgl. die Stellungnahmen in SCOR, 32th year, 2000th - 200Sth meeting. 233 Text bei Wellens, Resolutions, S. 53. 234 In Fn. 202. 235 So die Interpretation Davids, Mercenaires, S. 359 (Fn. 8). 236 Vgl. hierzu auch Sciso, RDI 66 (1983), S. 282 (Fn. 64). 5*
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
folgenden Auseinandersetzungen zwischen (der de facto-Regierung) Afghanistan(s) und Pakistan237 • a) Der sowjetische Militäreinsatz im Jahre 1979
Die Sowjetunion rechtfertigt ihren Truppeneinsatz in Afghanistan mit einem Hilfeersuchen, das die afghanisehe Regierung angesichts einer auswärtigen Aggression an sie gerichtet haben soll. Elemente dieser Aggression seien die US-amerikanische und chinesische Belieferung der inneren Opposition mit Waffen und anderem Material sowie die von denselben Staaten vorgenommene vielfältige Förderung von Angriffen, die gegenrevolutionäre Kräfte von Pakistan aus auf Afghanistan richteten 238 . Die Entscheidung, dem Hilfeersuchen zu entsprechen, stehe in Einklang mit dem in Art. 51 SVN garantierten Recht zu kollektiver Selbstverteidigung239 • Ein Rechtsanspruch, der auf die Vomahme von auf das Territorium Pakistans oder gar der beiden angeblich fördernden Staaten übergreifender Gewaltanwendung gerichtet wäre, wird mit dem Rekurs auf Art. 51 SVN allerdings nicht verbunden. Der Sowjetunion folgen im Ergebnis die DDR, Bulgarien, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei, Vietnam, die Mongolische Volksrepublik und Laos. Interessanterweise fällt die Begründung jedoch im einzelnen unterschiedlich aus240. Die Tschechoslowakei und Ungarn sprechen Art. 51 SVN gar nicht an, sondern rechtfertigen das sowjetische Vorgehen allein mit dem angeblichen Hilfeersuchen 241 • Bulgarien, Vietnam, die Mongolische Volksrepublik knüpfen bei der Berufung auf Art. 51 SVN ausschließlich an das Vorliegen grenzübergreifender Angriffe Privater an 242 . Besonders deutlich fällt insoweit die Stellungnahme Bulgariens aus: "lt is weil established that a neighbour of Afghanistan has allowed its territory along its border to be placed at the disposal of anti-Government groups that were 237 Vgl. hierzu die Überblicksdarstellungen in YUN 1983, S. 232ff.; YUN 1984, S. 224ff.; YUN 1985, S. 232ff.; YUN 1986, S. 212ff.; YUN 1987, S. 210ff. 238 Ob die Verwicklung Pakistans über die Duldung der grenzübergreifenden Angriffe Privater und deren Förderung durch die USA und China hinausgehen soll, wird nicht ganz deutlich. 239 SCOR, 35th year, 2185th meeting, S. 2f.; 2186th meeting, S. 2. Der ausdrückliche Rekurs auf Art. 51 SVN unterscheidet diesen Konflikt von demjenigen um Ungarn im Jahre 1956, oben unter B. II. 8. bei Fn. 132 - 134. 240 Dies beachtet Cassese, Cot/Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 787 ff., bei seiner Analyse dieses Konflikts nicht hinreichend. 241 Ungarn: SCOR, 35th year, 2187th meeting, S. 14f.; Tschechoslowakei: 2188th meeting, S. 6. 242 Mongolische Volksrepublik: SCOR, 35th year, 2189th meeting, S. 4 ("armed incursions from outside"); Vietnam : 2188th meeting, S. 8.
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trained, supplied with weaponry and sent back into Afghan territory to perpetrate systematic undermining of the Afghan revolution, and thus to become a springboard for aggression against Afghanistan. Such actions constitute in themselves acts of aggression, as defined in article 3 of the Definition of Aggression, contained in the annex to resolution 3314 (XXIX)"243 .
Hier zeigt sich, daß die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN nicht auf das Vorliegen einer Unterstützungskonstellation gestützt, sondern daß im Hinblick auf Pakistan zumindest244 von einer Duldungskonstellation .ausgegangen wird. Allein bei der Stellungnahme von Laos liegt dem Rekurs auf Art. 51 SVN in tatsächlicher Hinsicht eine Unterstützungskonstellation zugrunde 245 . Eine Auseinandersetzung mit den soeben skizzierten Rechtsauffassungen findet während der Sicherheitsratsdebatte zum Afghanistan-Konflikt nicht statt, da die Annahme einer wie auch immer gearteten Verwicklung auswärtiger Staaten in gegen Afghanistan gerichtete Gewaltakte Privater von den übrigen Staaten als offensichtlich haltlos betrachtet wird246 . Dort, wo ausnahmsweise auch auf die von der Sowjetunion geäußerte Rechtsansicht eingegangen wird, erwägt man die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN nicht in bezug auf die Unterstützungs-, sondern auf die Duldungskonstellation247 . b) Die pakistanisch-afghaniseben Auseinandersetzungen
In den 80er Jahren entwickelt sich ein Disput zwischen Pakistan und (der de facto-Regierung) Afghanistan(s) über grenzübergreifende Gewaltakte. Die Auseinandersetzungen müssen hier nicht vollständig nachgezeichnet werden. Vielmehr genügt ein genauerer Blick auf die in den Jahren 1983 und 1984 abgegebenen Stellungnahmen. Pakistan bringt hier gegenüber den VN wiederholt vor, es sei Opfer von Gewaltanwendung248 durch (die de SCOR, 35th year, 2186th meeting, S. 10. Es wird aus dem zitierten Passus weder für sich genommen noch aus dem Kontext heraus deutlich, ob das über die Duldung hinausgehende Verwicklungsverhalten Pakistan zugerechnet wird. 245 SCOR, 35th year, 2189th meeting, S. 10. Die Stellungnahmen der DDR (2185th meeting, S. 4) und Polens (2186th meeting, S. 15) enthalten hinsichtlich der Verwicklungsform keine Festlegung. 246 Vgl. die Äußerungen Pakistans, SCOR 35th year, 2185th meeting, S. 8, der Volksrepublik China, 2186th meeting, S. 6, Großbritanniens, 2186th meeting, S. 7f., Neuseelands, 2186th meeting, S. 16, der USA, 2187th meeting, S. 3, Malaysias, 2187th meeting, S. 8, Italiens, 2187th meeting, S. !Of., der Niederlande, 2188th meeting, S. 7, Jamaikas, 2188th meeting, S. ll und der Bundesrepublik Deutschlands, 2189th meeting, S. 7. 247 Liberia, SCOR, 35th year, 2187th meeting, S. 12f. 248 Vgl. etwa die Briefe in SCOR, 38th year, Supplement January - March 1983, S. 25f. (S/15573), Supplement July - September 1983, S. 35 (S/15892), S. 75 (SI 15960), Supplement October- December 1983, S. 7 (S/16023), S. 10 (S/!6028), 39th year, Supplement July - September 1984, S. 45 (S/16720). 243
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
facto-Regierung) Afghanistan(s) geworden. (Die de facto-Regierung) Afghanistan(s) bestreitet die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht ebenso durchgängig, wie (sie)es repliziert, von pakistanischem Territorium aus unternähmen Private mit Unterstützung Pakistans Angriffe gegen Afghanistan249. Diesen Stellungnahmen eine präzise rechtliche Bewertung der behaupteten pakistanischen Verwicklung zu entnehmen, fällt schwer. Das Verhalten Pakistans wird einmal als Aggression und bewaffnete lntervention250, daneben als offene Intervention 251 bezeichnet. An anderer Stelle heißt es, Pakistan trage die Verantwortlichkeit für die Folgen der Aktionen der Privaten252 . Nur einmal wird Pakistan eine "armed aggression" vorgeworfen, dies unter Hinweis darauf, Pakistans Streitkräfte hätten die Privaten unter Anwendung von Gewalt unterstützt253 . Danach erscheint es nicht möglich anzunehmen, Afghanistan(s de facto-Regierung) verbinde mit der Behauptung einer Entsendeförderungskonstellation den Rechtsanspruch auf grenzübergreifende (Gegen)Gewaltanwendung gemäß Art. 51 SVN. Die Bedeutung eines derartigen Rechtsanspruchs für die spätere Praxis wäre wegen der durch den Klammerzusatz angedeuteten Statusproblematik ohnehin gering. Pakistans Rechtsauffassung zu besagter Form staatlicher Verwicklung ist in diesem Konflikt nicht zu erkennen. Zumeist werden die Vorwürfe (der de facto-Regierung) Afghanistans schlicht übergangen, an einer Stelle in tatsächlicher Hinsicht zurückgewiesen 254 . Beachtung verdient schließlich die Haltung der Sowjetunion bezüglich dieses Teilaspekts des Afghanistan-Konflikts. Moore 255 und Schwebez256 nehmen an, die Sowjetunion habe im Rahmen dieses Konflikts eine kollektive Befugnis zu auf pakistanisches Territorium übergreifender Gewaltanwendung beansprucht. Es mag sein, daß die Sowjetunion tatsächlich Gewalt auf dem Territorium Pakistans eingesetzt hat. Doch ist nicht ersichtlich, daß sich die Sowjetunion zu derartigen Gewalteinsätzen bekannt und letztere mit einem Rechtsanspruch untermauert hätte. Deshalb wird hier der Bewertung Moores und Schwebeis nicht gefolgt.
249 SCOR, 38th year, Supplement July- September 1983, S. 45f. (S/15911), S. 94 (S/15992), Supplement October- December 1983, S. 23f. (S/16044), 39th year, Supplement July - September 1984, S. 55 f. (S/16734). 250 So in S/Doc/15911. 25t So in S/Doc/16044. 252 So in S/Doc/15992. 253 So in S/Doc/16496, SCOR, 39th year, Supplement April- June 1984, S. 28f. 254 So in SCOR, 39th year, Supplement January - March 1984, S. 10 (S/16258). 255 AJIL 80 (1986), S. 106 (Fn. 248). 256 In seiner abweichenden Meinung zum Nicaragua-Urteil des IGH in ICJ Reports 1986, S. 372 (par. 218).
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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21. Die thailändisch-vietnamesischen Auseinandersetzungen als Teilaspekt des Kambodscha-Konflikts Von 1979 an bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre werden Vietnam von Thailand kontinuierlich 257 und von der ASEAN phasenweise258 Gewalteinsätze auf dem Territorium Thailands vorgeworfen. Vietnam verweist in seinen Repliken durchgängig darauf, daß Thailand sein Territorium bewaffneten Kräften zur Verfügung stelle, die aus Vietnams Sicht als Private zu qualifizieren sind, und daß Thailand (neben China) Angriffe letzterer Kräfte gegen Kambodscha, d.h. gegen die aus der Sicht Vietnams rechtmäßige Regierung Kambodschas 259 , fördere 260 • Danach liegt die Annahme Moores 261 und Schwebeli62 nahe, Vietnam habe im Rahmen des Kambodscha-Konflikts für die Entsendeförderungskonstellation eine Befugnis zu kollektiver grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung beansprucht. Demgegenüber bestehen jedoch erhebliche Zweifel, da sich Vietnam - bis auf soweit ersichtlich einen Ausnahmefall 263- nicht gestützt auf einen entsprechenden Rechtsanspruch zu den geltend gemachten Gewaltakten bekennt264 • Zwar wird die Präsenz vietnamesischer "Freiwilliger" in Kambodscha zugegeben, doch wird wiederholt bestritten, daß diese Truppen grenzübergreifende Gewalt anwendeten 265 . Angesichts dessen ist es selbst dann angreifbar, Vietnams Position gegenüber Thailand im Kambodscha-Konflikt als Inanspruchnahme einer Befugnis zu 257 Vgl. SCOR, 35th year, Supplement for July - September 1980, S. 5, S/14046 (in dieser Stellungnahme stellt Thailand zudem fest, notwendige und legitime Gegenmaßnahmen vorgenommen zu haben), und die Darstellungen in YUN 1980, S. 322f.; YUN 1981, S. 249; YUN 1982, S. 343f.; YUN 1983, S. 224ff.; YUN 1984, S. 214ff.; YUN 1985, S. 221 ff. ; YUN 1986, S. 211 ; YUN 1987, S. 209. 258 Vgl. die Darstellungen in YUN 1983, S. 225; YUN 1984, S. 215; YUN 1985, S. 222; YUN 1987, S. 209. 259 Daß sich diese Sicht Vietnams in der Staatengemeinschaft nicht durchgesetzt hat, interessiert hier nicht. 260 Vgl. SCOR, 35th year, Supplement for April- June 1980, S. 120, S/14034, und die Darstellungen in YUN 1980, S. 322; YUN 1981, S. 249; YUN 1982, S. 343; YUN 1983, S. 225; YUN 1984, S. 214; YUN 1986, S. 211. 26 1 AJIL 80 (1986), S. 106 (Fn. 248). 262 In seiner abweichenden Meinung zum Nicaragua-Urteil des IGH in ICJ Reports 1986, S. 371 (par. 218). 263 Dazu die Darstellung in YUN 1983, S. 225 bei Fn. 17. 264 Es ist nicht ersichtlich, daß Vietnam mit derselben Klarheit ein kollektives Selbstverteidigungsrecht beansprucht hätte, wie die international überwiegend nicht anerkannte Regierung der "Volksrepublik Kamputschea" in einer Stellungnahme vom 27. Juni 1980 (SCOR, 35th year, Supplement for April - June 1980, S. 121, S/14035), das individuelle Selbstverteidigungsrecht geltend macht; s. nur im Vergleich die vietnamesische Stellungnahme desselben Datums (SCOR, ebd., S. 120, S/14034). 265 Vgl. YUN 1984, S. 215; YUN 1985, S. 221 f.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
kollektiver (Gegen-)Gewaltanwendung zu verstehen, wenn man bei der Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht von wiederholter Gewaltanwendung Vietnams auf dem Territorium Thailands ausgeht. 22. Konflikte mit Beteiligung Südafrikas In den 80er Jahren wendet Südafrika wiederholt Gewalt auf den Territorien von Nachbarstaaten an, denen die Verwicklung in Gewaltakte Privater angelastet wird. Auf die Auseinandersetzungen mit Lesotho im Dezember 1982, mit Botswana im Juni 1985 und mit Botswana, Sambia und Simbabwe im Mai 1986 soll im folgenden näher eingegangen werden 266 . In allen Fällen nennt Südafrika als Ziel des Gewalteinsatzes Stützpunkte des ANC, von denen bereits grenzübergreifende Gewaltakte gegen Südafrika ausgegangen seien. Der bevorstehenden Wiederholung derartiger Gewaltakte zuvorzukommen, sei zur Verteidigung des eigenen Territoriums notwendig267. Den Konfliktgegnern wird durchgängig vorgehalten, sie duldeten die grenzübergreifenden ANC-Aktivitäten, woraus ihre Verantwortlichkeit für die Gewaltakte resultiere 268 . Bemerkenswerterweise beansprucht Südafrika ein Recht zur (Gegen-)Gewaltanwendung aber auch für Sorgfaltswidrigkeitsund Unfähigkeitskonstellationen269 . Bei den Konflikten der Jahre 1982 und 1985 begnügt sich Südafrika in rechtlicher Hinsicht damit, die defensive Zielsetzung der Gewaltanwendung herauszustellen und ohne nähere Einordnung zu betonen, die beanspruchte Befugnis zur Gewaltanwendung sei völkerrechtlich anerkannt. 1986 dagegen läßt der südafrikanische Staatspräsident keinen Zweifel mehr daran, daß nach Auffassung seines Staates eine Selbstverteidigungsmaßnahme gemäß Art. 51 SVN gegeben ist : "It is a particularly serious transgression of international law for states to provide sanctuary to elements which plan, instigate and execute acts of terror against other states, as is happening in Southern Africa. lt is an established principle of international law that when this occurs, the state against which such acts are perpetrated has the right to resort to acts of self-defence and to carry out preemptive strikes."270 266 Ausführlich zu den bewaffneten Konflikten um Südafrika Higginbotham, ColumJTransnat'IL 25 (1987), S. 566ff.; zu dem im Text zuletzt genannten Konflikt vgl. Regourd, AFDI 32 (1986), S. 79ff.; Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), s. 427f. 267 Zum 82er Konflikt s. SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 13 ff.; zum 85er Konflikt s. SIPV 2599 (21 June 1985), S. 31 ff.; zum 86er Konflikt s. SIPV 2684 (22 May 1986), S. 21 ff. 268 Besonders deutlich in SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 14. 269 SIPV 2599, S. 32. 270 SAYIL 12 ( 1986 - 87), S. 221; daher überholt die Bewertung Combacaus, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 18, mit Blick auf weiter zurückliegende Konflikte.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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Die von den südafrikanischen Gewalteinsätzen betroffenen Staaten setzen sich mit der Rechtsauffassung Südafrikas nicht auseinander. Sie bestreiten die Existenz grenzübergreifender Gewaltakte Privater. Ihre Politik sei es, Flüchtlingen aus Südafrika Zuflucht zu gewähren, nicht dagegen ANCKräften Stützpunkte für gegen Südafrika gerichtete Gewalt zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend handelte es sich bei den Opfern der südafrikanischen Gewaltanwendung nicht um bewaffnete Kräfte, sondern um Personen, von denen offenkundig keine Gefahr für Südafrika ausgegangen sei271 . Die meisten der im Sicherheitsrat vertretenen Staaten bestätigen diese Darstellung der Fakten. Dementsprechend wird in den Südafrika verurteilenden Resolutionen 527272 und 568 273 das Recht zur Flüchtlingsaufnahme besonders herausgestellt. Infolgedessen finden sich nur sehr vereinzelt Äußerungen, die als Zurückweisung der Rechtsauffassung Südafrikas verstanden werden können274 . 271 Zum 82er Konflikt s. die Stellungnahme Lesothos, SCOR, 37th year, 2406th meeting, S. 2 ff.; zum 85er Konflikt s. die Stellungnahme Botswanas, S/PV 2598 (21 June 1985), S. 6; zum 86er Konflikt s. die Stellungnahmen Sambias, S/PV 2684, S. 12 und Botswanas, S/PV 2686 (23 May 1986), S. 52f. In Simbabwes Stellungnahme, S/PV 2686, S. 86, heißt es, zwar sei unter den Zielen der südafrikanischen Gewaltanwendung auch ein kleines ANC-Büro gewesen, doch bleibe unerfindlich, wie diesem militärische Bedeutung zugemessen werden konnte. 272 Text in Wellens, Resolutions, S. 132 f. (82er Konflikt). 273 Text in Wellens, Resolutions, S. 152f. (85er Konflikt). In bezug auf den 86er Konflikt scheitert die Verabschiedung einer Südafrika verurteilenden Resolution nur an der Uneinigkeit in der Sanktionsfrage. 274 Japan, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 10 verurteilt den präventiven Charakter der südafrikanischen Maßnahmen; Madagaskar, S/PV 2686, S. II, will etwaige Selbstverteidigungsmaßnahmen auf das Territorium Südafrikas beschränkt wissen; Togo, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 4 ist der Auffassung, die Duldung von "ANC-Freiheitskämpfem" falle in die ausschließliche Zuständigkeit des duldenden Staates. Bei dieser Rechtsauffassung dürfte jedoch weniger ein weites Souveränitätsverständnis als die Einschätzung ausschlaggebend sein, der bewaffnete Kampf des ANC gegen Südafrika sei wegen dessen Apartheidspolitik rechtmäßig. Die Verurteilung der Apartheidspolitik, die auch schon bei den Debatten zu den Konflikten der Jahre 1982 und 1985 eine gewichtige Rolle spielt, beherrscht die Auseinandersetzung im Jahre 1986 vollends. Wenn auch nicht überwiegend ein Recht zum bewaffneten Kampf gegen Südafrika postuliert wird, so bringt der französische Vertreter doch die allgemeine Stimmung auf den Punkt, wenn er sagt: "The policy of apartheid of the Govemment of South Africa constitutes the very cause of the troubles afflicting that country and the region as a whole." (S/PV 2686, S. 7). Hinzuweisen ist schließlich auf eine Stellungnahme der USA, die den südafrikanischen Gewalteinsatz des Jahres 1986 von der noch zu besprechenden amerikanischen Gewaltanwendung desselben Jahres gegen Libyen abgrenzt: " ... there is no parallel. The United States acted in self-defence under the provisions of Article 51 of the United Nations Charter against State terrorism directed by Libya. In the case at band action was taken against the Governments of Botswana, Zambia and Zimbabwe, which were engaged in discussions with South Africa to end cross-border
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
23. Der Nicaragua-Konflikt a) Der Konflikt zwischen Nicaragua und den USA
Beim Nicaragua-Konflikt geht es im Kern um eine Auseinandersetzung zwischen Nicaragua und den USA, die für den Untersuchungszweck in zweierlei Hinsicht von Interesse ist: Zum einen machen sich die Konfliktparteien wechselseitig den Vorwurf der Beteiligung an Gewaltakten Privater. Zum anderen unternimmt Nicaragua den Versuch, diesen Streit einer richterlichen Entscheidung zuzuführen275 , womit die rechtlichen Aspekte des Konflikts eine Akzentuierung erfahren. Die Rechtsauffassung Nicaraguas kommt in konzentriertester Form in dem dem IGH unterbreiteten Memorial zur Begründetheil vom 30. April 1985 zum Ausdruck, dessen relevante Passagen in einem Beitrag des seinerzeitigen Botschafters Nicaraguas bei den USA referiert werden 276 . In tatsächlicher Hinsicht geht Nicaragua davon aus, die USA hätten von 1981 an eine Söldnerarmee aufgestellt, die seitdem von den USA gesteuert in und von Honduras aus gegen Nicaragua operiere. Die den USA zuzurechnenden Gewaltakte der Söldner, die als hinreichend schwer zu bewerten seien, begründeten eine Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN 277 . Diese Gewaltanwendung könne nicht als Maßnahme kollektiver Selbstverteidigung El Salvadors nach Art. 51 SVN angesehen werden, da Nicaragua keinen bewaffneten Angriff gegen EI Salvador unternommen habe. Letzteres gelte selbst dann, wenn man zugunsten der USA unterstelle, es seien Waffen von Nicaragua an in EI Salvador operierende Rebellen geliefert worden. Zwar begründe die substantielle Verwicklung in hinreichend schwere Gewaltakte von Privaten einen bewaffneten Angriff des verwickelten Staates278 . Doch könne in der Lieferung einiger konventioneller Waffen eine substantielle Verwicklung nicht gesehen werden 279 . Nach der Rechtsauffassung Nicaraguas kommt danach ein staatlicher bewaffneter Angriff in violence" (SIPV 2684, S. 49). Dieser Äußerung ist sicher die Überzeugung zu entnehmen, daß Gewalt gegen eine auswärtige Regierung, die bemüht ist, von ihrem Territorium ausgehende Gewalt einzudämmen, unzulässig ist. Unklar bleibt, ob damit staatliche Gegengewalt gegen von fremdem Territorium aus operierende Private unter allen Umständen ausscheidet. 275 Zu den relevanten Passagen des diesbezüglichen Sachurteils des IGH vom 27.06.1986 s. unten B. V. I. 276 Carlos Tünnermann Bemheim, United States Armed Intervention in Nicaragua and Article 2(4) of the United Nations Charter, YaleJint'lL 11 (1985), S. 104 ff. 277 YaleJint'lL II (1985), S. 105ff., 119f. 278 YaleJint' IL 11 (1985), S. 123 ff. ; hier wird ganz deutlich, daß nach Auffassung Nicaraguas die substantielle Verwicklung nicht mit der Kontrolle der Privaten einhergehen muß. 279 YaleJint'IL 11 (1985), S. 133ff.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
75
der Unterstützungskonstellation in Betracht, nicht jedoch schon bei Waffenlieferungen auf niedrigem Niveau, sondern erst bei Überschreitung einer nicht genau fixierten Erheblichkeitsschwelle. Die USA haben ihre Rechtsposition nicht mit vergleichbarer Ausdrücklichkeit niedergelegt, was auch mit ihrer Weigerung zusammenhängen dürfte, am Verfahren zur Begründetheit der Klage Nicaraguas teilzunehmen. Doch läßt sich dem amerikanischen Counter-Memorial zur Zulässigkeit der Klage Nicaraguas vom 17. 08. 1984 der Anspruch entnehmen, in kollektiver Selbstverteidigung EI Salvadors Gewalt gegen Nicaragua anwenden zu dürfen. Dort heißt es: "Nicaragua solemnly denies that it is engaged in armed attacks on its neighbours ... The current Govemment, however, has for years provided Guerillas in neighbouring countries - particularly in EI Salvador - with arms, munitions, finance, logistics, training, safe havens, planning and command and control support."2so
Demnach stellen die USA bei der Annahme eines bewaffneten Angriffs Nicaraguas vorrangig auf das Vorliegen einer Unterstützungs-, daneben wohl auch auf Elemente der Entsendeförderungskonstellation ab281 • Bemerkenswert ist danach die weitreichende Übereinstimmung der Konfliktparteien in der rechtlichen Beurteilung der Unterstützungskonstellation 282 • Die Sicherheitsratsdebatten zu diesem Konflikt sind bezüglich der interessierenden rechtlichen Probleme unergiebig. Eine Diskussion der Frage, ob Nicaragua infolge militärischer Hilfeleistung an in EI Salvador und Honduras operierende Rebellen einen bewaffneten Angriff gegen letztere Staaten unternommen hat, der die USA zur Vomahme von gegen Nicaragua gerichteten kollektiven Selbstverteidigungsmaßnahmen berechtigt, findet nicht statt. Dies dürfte zuvorderst daran liegen, daß im Verlauf der Debatten weder EI Salvador noch Honduras die Feststellung der gegen sie gerichteten nicaraguanischen militärischen Hilfeleistung mit einer Berufung auf
°
28 Counter-Memorial submitted by the USA, The questions of the Jurisdiction of the Court to Entertain the dispute and of the Admissibility of Nicaragua's Application, par. 189 (noch nicht veröffentlicht in ICJ Pleadings). 281 Auch in den Sicherheitsratsdebatten zu diesem Konflikt machen die USA vornehmlich Waffenlieferungen Nicaraguas an die Rebellen in EI Salvador geltend. Diese werden zunächst als schwere Intervention (SCOR, 38th year, 2431 th meeting, S. II f.) bzw. als Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität des betroffenen Staates (SIPV 2529, 4 April 1984, S. 108), dann als Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN bewertet (S/PV 2578, 9 May 1985, S. 29 i. V. m. 24 f.). 1984 sprechen die USA in diesem Zusammenhang soweit ersiehlieh erstmals von einem Recht zur Verteidigung, UN Chronicle XXI, No 4/1984, S. 13. 282 Vgl. auch die entsprechende Einschätzung Schwebeis in seiner dissenting opinion zum Nicaragua-Urteil: "They (Nicaragua und die USA, Verf.) essentially differed not on the law but on the facts", ICJ Reports 1986, S. 347 (par. 172).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Art. 51 SVN verbinden283 . Der Reaktion der nicht direkt am Konflikt beteiligten Staaten284 läßt sich daher keine Bewertung der Unterstützungs- bzw. Entsendeförderungskonstellation am Maßstab der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN entnehmen285 . b) Der Konflikt zwischen Nicaragua und Honduras bzw. Costa Rica
Ganz im Hintergrund der den Nicaragua-Konflikt beherrschenden Auseinandersetzung zwischen Nicaragua und den USA bleibt zunächst der Konflikt zwischen ersterem Staat und Honduras und Costa Rica. Dieser Streit tritt erst mit zwei Klagen Nicaraguas vor dem IGH im Juli 1986 stärker ins Blickfeld. Nicaragua sieht sich seit Ende 1981 als Opfer grenzübergreifender Angriffe Privater aus Honduras und Costa Rica, die von diesen beiden Basenstaaten jedenfalls seit Anfang 1982 geduldet und sogar gefördert würden286 . Damit macht Nicaragua gegenüber Honduras und Costa Rica das Vorliegen einer Duldungs- bzw. Entsendeförderungkonstellation geltend. Zu einer rechtlichen Auseinandersetzung in der Sache kommt es nicht. Beide Verfahren werden einer außergerichtlichen Regelung zugeführt und in der Folge aus der Liste der anhängigen Verfahren gestrichen 287 . 283 EI Salvador, SCOR, 38th year, 2435th meeting, S. 10 und Honduras, SIPV 2529, S. 37 f., sprechen im Zusammenhang mit der Rebellenunterstützung durch Nicaragua von einer Aggression, doch ohne diesen Aspekt in den Vordergund der Erörterungen zu rücken oder gar einen Bezug zu Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN herzustellen. Danach bleibt es fraglich, ob EI Salvador und Honduras in der Unterstützungskonstellation ebenso wie die USA einen Gewalteinsatz bzw. einen bewaffneten Angriff des verwickelten Staates annehmen wollen. Honduras jedenfalls neigt wohl mehr der Annahme einer Intervention zu, UN Chronicle XXI, No 4/1984, S. 14. Angesichts der sehr zurückhaltenden Stellungnahmen von Honduras und EI Salvador verwundert es nicht, daß etwa die Sowjetunion, SIPV 2578 (9 May 1985), S. 57, und Guyana, SIPV 2580 (10 May 1985), S. 46, zum Aspekt der militärischen Hilfeleistung Nicaraguas lapidar bemerken, er werde von den angeblich direkt betroffenen Staaten selbst nicht für bedeutsam gehalten. 284 Auch soweit sie die USA als Aggressor verurteilen wie etwa Ägypten, SCOR, 38th year, 2432nd meeting, S. 8; Syrien, 2433rd meeting, S. 9; Kuba, 2433rd meeting, S. II; Libyen, 2434th meeting, S. 3; Laos, 2435th meeting, S. 7; Vietnam, 2435th meeting, S. 15; Tschechoslowakei, SIPV 2529, S. 63ff.; Mongolei, SIPV 2579 (10 May 1985), S. 36ff. 285 Hailbronner, BDGV 26 ( 1985), S. 77, bezieht seine These, die Staatengemeinschaft habe den amerikanischen Rechtsanspruch nicht akzeptiert, auf einen Teilaspekt des Konflikts: die Verminung nicaraguanischer Häfen. Doch betraf diese Maßnahme auch dritte Staaten und genau hierauf beruht die Kritik Großbritanniens, die Hailbronner anführt (S. 77, Fn. 94); vgl. die britische Stellungnahme in SIPV 2529, S. 77f. 286 Ausf. in Nicaraguas Memorial zum Konflikt mit Costa Rica in ICJ Pleadings, Case conceming Borderand Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Costa Rica), S. 11 ff. (par. 1 ff.) 287 Zum Streitfall mit Costa Rica vgl. ICJ Reports 1987, S. 182; zum Streitfall mit Honduras vgl. das Pressekommunique des IGH Nr. 92111 vom 27. Mai 1992.
li. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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Unklar bleibt danach, ob Nicaragua aus dem vorgetragenen Sachverhalt die Befugnis zur Vornahme von Gewalteinsätzen auf dem Territorium der Basenstaaten ableitet. Einerseits verwendet Nicaragua im Hinblick auf die grenzübergreifenden Gewaltakte der Privaten durchgängig den Terminus "armed attack"288 , und es wird von grenzübergreifenden Militäraktionen Nicaraguas gegen Stützpunkte der Privaten berichtet289 . Andererseits ist eine Berufung Nicaraguas auf Art. 51 SVN nicht ersichtlich und die tatsächliche Lage bleibt unklar290, da sich Nicaragua zu den in Rede stehenden Gewalteinsätzen nicht bekennt. Demzufolge erscheint die Annahme nicht hinreichend gesichert, Nicaragua habe den Konflikt mit Honduras und Costa Rica zum Anlaß genommen, für Duldungs- bzw. Entsendeförderungskonstellationen eine Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung zu beanspruchen. Im Hinblick auf Art. 2 Ziff. 4 SVN fällt Nicaraguas Bewertung dagegen ebenso differenziert wie dezidiert aus: Während das Verhalten des verwikkelten Staates dieser Norm in Duldungs- und Entsendeförderungskonstellation unterfalle 291 , treffe den Basenstaat in der Sorgfaltswidrigkeitskonstellation zwar völkerrechtliche Verantwortlichkeit, nicht aber der Vorwurf der Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN292 .
24. Konflikte mit Bezug zu Libyen Seit den 80er Jahren wird Libyen von zahlreichen Staaten - insbesondere von seiten der USA- der Vorwurf der Verwicklung in Gewaltakte Privater gemacht. Die Auseinandersetzungen gehen insoweit über unsere Fragestellung hinaus, als sie die Problematik grenzübergreifender staatlicher Gewaltanwendung als Reaktion auf Gewalt gegen eigene Staatsangehörige außer288 So im Memorial zum Konflikt mit Costa Rica in ICJ Pleadings, Case conceming Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Costa Rica), S. 91 ff. (par. 294 ff.) 289 Vgl. dazu Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 478 (Fn. 301). 290 Von seiten der USA sind die fraglichen Gewalteinsätze Nicaraguas in den Prozeß mit diesem Staat eingeführt worden, um ein kollektives Selbstverteidigungsrecht auch im Hinblick auf Honduras und Costa Rica geltend machen zu können. Im Sachurteil des IGH heißt es diesbezüglich, man verfüge über zu wenig Informationen, um rechtlich Stellung nehmen zu können; ICJ Reports 1986, S. 119 f. (par. 231). 291 Memorial zum Konflikt mit Costa Rica in ICJ Pleadings, Case concerning Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Costa Rica), S. 94 f. (par. 301) bzw. lOOf. i.V.m. 106f. (par. 349). 292 Memorial zum Konflikt mit Costa Rica in ICJ Pleadings, Case concerning Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Costa Rica), S. 95 (par. 302) und lOS (par. 341 ff.).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
halb des eigenen Territoriums betreffen. Die Bedeutung des Libyen-Konfliktes als spätere Praxis zu letzterem Aspekt wird im folgenden nicht gewürdigt. a) Eine rechtliche Stellungnahme der USA im Vorfeld des Gewalteinsatzes des Jahres 1986293
Zunächst soll die folgende Stellungnahme der USA Erwähnung finden, die die im Nicaragua-Konflikt vertretene Rechtsauffassung in einem wesentlichen Punkt bekräftigt: "By providing material support to terrorist groups which attack US citJzens, Libya has engaged in armed aggression against the United States under established principles of international law, just as if it had used its own forces" 294 •
Dieser Äußerung ist (auch 295 ) für Unterstützungs- und Entsendeförderungskonstellation der Rechtsanspruch zu entnehmen, gegen den verwickelten Staat Selbstverteidigungsmaßnahmen ausführen zu dürfen. b) Der Gewalteinsatz der USA gegen Libyen im Jahre 1986296
Im April des Jahres 1986 setzen die USA Gewalt auf libyschem Territorium ein. Dabei berufen sich die USA auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN gegen "an ongoing pattem of attacks by the Libyan Govemment against U.S. nationals"297 . Letztes Glied der libyschen Angriffskette sei das neun Tage zurückliegende Bombenattentat auf eine Diskothek in West-Berlin, bei dem ein Amerikaner getötet und eine Vielzahl von Amerikanern verletzt worden sind. Insoweit gehen die USA von folgendem Sachverhalt aus: 293 Zu der Entwicklung der Auseinandersetzungen im Vorfeld der Militäroperation ausführlich Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 190 ff. 294 ILM 25 (1986), S. 175. 295 Daneben und in erster Linie für die hier nicht interessierenden Konstellationen staatlich geförderter Gewaltakte Privater gegen eigene Staatsangehörige im Ausland. 296 Hierzu etwa Blumenwitz, BayVBI 1986, S. 737 ff.; Francioni, RDI 69 (1986), S. 338ff.; Paasche, ColumJTransnat'IL 26 (1987), S. 377ff.; Intoccia, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 177 ff. ; McCredie, ebd., S. 215 ff.; Roberts, ebd., S. 243 ff.; Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. lff.; Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 933 ff.; O' Brien, VaJint'IL 30 (1990), S. 463 ff. sowie die Beiträge in ASIL 1987, s. 287ff. 297 AJIL 80 (1986), S. 632; die relevanten Stellungnahmen der USA sind auch abgedruckt in Department of State Bulletin, Volume 86, Number 2111 (June 1986), S. I ff. ; die in rechtlicher Hinsicht eingehendste Stellungnahme der USA vor dem Sicherheitsrat findet sich in SIPV 2674 (15 April 1986), S. 13ff.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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"More than a week before the attack orders were sent from Tripali to the Libyan People's Bureau in East Berlin to carry out a terrorist attack against Americans, an attack designed to cause maximum and indiscriminate casualties. Libya's agents then planted the bomb. On april 4, the People's Bureau alerted Tripoli that the attack would be carried out the following morning. The next day, the People's Bureau reported back to Tripoli on the ,great success' of the mission"298.
Kurze Zeit zuvor habe, so die amerikanische Darstellung weiter, die Ausführung eines Gewaltaktes verhindert werden können. Hierzu heißt es: "In late March, Turkish police arrested two people in Istanbul who claimed they were to conduct terrorist Operations against the United States in Turkey on behalf the Libyans, again designed to intlict maximum casualties" 299.
In der hier interessierenden Frage, wie die USA den die Annahme eines libyschen bewaffneten Angriffs begründenden Grad der Verwicklung dieses Staates in gegen amerikanische Staatsangehörige gerichtete Gewaltakte Privater im näheren bestimmen, sind die beiden letzten Zitate nicht eindeutig. Deshalb empfiehlt es sich, die angegebenen Ziele des Gewalteinsatzes in die Deutung mit einzubeziehen. Bei letzteren handelt es sich um "command and control systems, intelligence communications, logistics and training facilities ... used to carry out Libya's harsh policy of international terrorism"300. Hiernach dürfte die amerikanische Einschätzung dahin gehen, Libyen sei wenigstens anstiftend und unterstützend in die Angriffe verwikkelt. Auch nach Einschätzung Großbritanniens 301 , welches der Nutzung von im eigenen Lande gelegenen Basen der USA zur Durchführung der Militäroperation zugestimmt hat, erschöpft sich Libyens Verwicklung nicht in Anstiftung oder Unterstützung der Gewaltakte. Von britischer Seite wird im Hinblick auf Libyens Verwicklung von "state-directed terrorism" gesprochen welcher als "war by another name" bewertet wird302. AJIL 80 ( 1986), S. 634. AJIL 80 ( 1986), S. 634. 3oo AJIL 80 (1986), S. 633. 301 Eine ausführliche Stellungnahme Großbritanniens zu der amerikanischen Militäraktion findet sich in SIPV 2679 (17 April 1986), S. 13 ff. Darin nimmt Großbritannien ein Selbstverteidigungsrecht der USA gegenüber Libyen an, ohne so deutlich wie die USA herauszustellen, daß ein bewaffneter Angriff Libyens gemäß Art. 51 SVN vorliege. Letzteres mag mit der britischen Vorstellung eines über den Fall des bewaffneten Angriffs hinausgehenden Selbstverteidigungsrechts zusammenhängen, wie sie in der Feststellung anklingt, daß "The United States has, as any of us do, the inherent right of self-defence, as reaffirmed in Article 51 of the Charter (Hervorh. v. Verf.)"; SIPV 2679, S. 27. 302 S/PV 2679, S. 18. Großbritannien hält Libyen neben der Steuerung terroristischer Akte auch die Belieferung der IRA mit Geld und Waffen vor. Diese der Unterstützungskonstellation zuzuordnende Verwicklung Libyens wird von britischer Seite interessanterweise (nur) als Intervention bewertet (ebd., S. 21 f.). 298 299
B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
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Libyens Protest gegen den Gewalteinsatz gründet zum einen in der Zurückweisung des Verwicklungsvorwurfs in tatsächlicher Hinsicht303 . In rechtlicher Hinsicht greift Libyen die Auffassung der USA im wesentlichen nur in der hier nicht interessierenden Frage an, ob sich der bewaffnete Angriff nach Art. 51 SVN gegen das Territorium des Verteidigerstaates richten muß 304 . In den im Verlauf der Sicherheitsratsdebatte von den nicht direkt am Konflikt beteiligten Staaten abgegebenen Stellungnahmen stößt das amerikanische Vorgehen ganz überwiegend auf Ablehnung 305 . Soweit dabei auf den amerikanischen Selbstverteidigungsanspruch überhaupt eingegangen wird, gründet die Zurückweisung häufig im Tatsächlichen 306 . Seltener kommt es zu einer Auseinandersetzung mit einzelnen Elementen der Rechtsauffassung der USA: Von mehreren Staaten wird die These angegriffen, Art. 51 SVN erfasse auch bewaffnete Angriffe gegen Staatsangehörige im Ausland 307 . Einige Staaten beanstanden den Rekurs auf die Doktrin der Vgl. insbesondere die Stellungnahme in S/PV 2677 (16 April 1986), S. 48ff. S/PV 2674, S. 2674: "Is the United States representative going to teil us today that the barbaric, savage raid was in keeping with the terms of this Article (51 SVN; Verf.) - and this in retaliation for a Libyan raid against Texas or Florida (Hervorh. v. Verf.)?" Daneben wird (ebd.) gerügt, die USA hätten den Sicherheitsrat nicht in der gebotenen Weise über den Gewalteinsatz informiert. 305 Vereinigte Arabischen Emirate, S/PV 2674, S. 3ff. ; Sowjetunion, S/PV 2675 (15 April 1986), S. 6ff.; Syrien, ebd., S. II ff. ; Oman, ebd., S. 22ff. ; Bulgarien, ebd., S. 31 ff.; Kuba, ebd., S. 37 ff.; Jemen, ebd., S. 41 ff.; Indien, ebd., S. 46 ff.; China (Volksrepublik), ebd., S. 52ff. ; Algerien, S/PV 2676 (16 April 1986), S. 4ff.; Jugoslawien, ebd., S. 7ff.; DDR, ebd., S. 22ff.; Katar, S/PV 2677, S. 4ff.; Madagaskar, ebd., S. 16 ff.; Mongolei, ebd., S. 22 ff.; Polen, ebd., S. 27 ff.; Ungarn, ebd., S. 31 ff.; Vietnam, ebd., S. 33ff.; Burkina Faso, ebd., S. 38ff.; Saudi-Arabien, ebd., S. 42ff.; Afghanistan, S/PV 2678 (17 April 1986), S. 3ff.; Laos, ebd., S. 8ff.; Tschechoslowakei, ebd., S. 13f.; Benin, ebd., S. 14ff.; Iran, ebd., S. 21 ff. ; Sudan, ebd., S. 26 ff.; Bangladesch, SIPV 2679, S. 8 ff.; Kongo, SIPV 2680 (18 April 1986), S. 23 ff.; Ghana, ebd., S. 29 ff.; Nicaragua, ebd., S. 46 ff.; Pakistan, SIPV 2682 (21 April 1986), S. 6ff.; Uganda, ebd., S. 13ff.; Malta, ebd., S. 18ff.; Dänemark, ebd., S. 32ff.; Thailand, ebd., S. 36ff.; dagegen scheint Australien, SIPV 2676, S. 17 ff., den Gewalteinsatz für zulässig zu halten, wobei in tatsächlicher Hinsicht von Libyens "involvement in and direction of international terrorism" (S. 18) ausgegangen wird; kein Urteil in der Frage der Rechtswidrigkeit läßt sich den Stellungnahmen Venezuelas, S/PV 2679, S. 3ff., und Frankreichs, SIPV 2682, S. 42f., entnehmen. 306 Die libysche Verwicklung insbesondere in das West-Berliner Attentat verneinen bzw. halten nicht für erwiesen Syrien, SIPV 2675, S. 18; Oman, ebd., S. 2425 (unter Hinweis auf eine entsprechende Erklärung der Arabischen Liga); Indien, ebd., S. 48; Madagaskar, SIPV 2677, S. 13 - 15; Burkina Faso, ebd., S. 41; Bangladesch, S/PV 2679, S. 12; Ghana, SIPV 2680, S. 32ff. ; Nicaragua, ebd., S. 47; Uganda, SIPV 2682, S. 16. 307 So am deutlichsten Ghana, SIPV 2680, S. 32; daneben Nicaragua, ebd., S. 48; ebenso wohl Katar, SIPV 2677, S. 6, sowie Uganda, SIPV 2682, S. 16. 303
304
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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accumulation of events308 sowie die Unverhältnismäßigkeit der Militäraktion309. Nur eine Staatenäußerung aber kann dahin verstanden werden, die Annahme eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN bei staatlicher Anstiftung und Unterstützung von Gewaltakten Privater scheide kategorisch aus 310. c) Absatz 6 der Sicherheitsratsresolution 748 vom 31. März 1992
Auch zu Beginn der 90er Jahre sieht sich Libyen mit dem Vorwurf der Verwicklung in (terroristische) Gewaltakte Privater konfrontiert. In diesem Zusammenhang steht die gegen Libyen gerichtete Sicherheitsratsresolution 748, in deren Absatz 6 bekräftigt wird, "daß jeder Staat gemäß dem Grundsatz in Art. 2 Ziff. 4 der Charta der Vereinten Nationen gehalten ist, davon Abstand zu nehmen, in einem anderen Staat terroristische Handlungen zu organisieren, anzustiften, zu unterstützen oder sich daran zu beteiligen beziehungsweise auf seinem Hoheitsgebiet organisierte Aktivitäten zu dulden, die auf die Begehung derartiger Handlungen gerichtet sind, wenn diese Handlungen mit der Androhung oder Anwendung von Gewalt verbunden sind" 3 11 •
Dieser Passus findet hier deshalb Erwähnung, weil er auf Absatz 9 der unten (unter B. III. 2.) näher gewürdigten "Friendly Relations Declaration" der Generalversammlung fußt und die insoweit befürwortete Auslegung bestätigt, wonach die in Absatz 9 aufgezählten staatlichen Verwicklungsformen direkt gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN, und nicht lediglich gegen eine dieser Satzungsbestimmung zugeordnete Norm verstoßen.
308 So Katar, SIPV 2677, S. 6; Madagaskar, ebd., S. 12ff.; Thailand, S/PV 2682, S. 41 ; zur Entwicklung der Doktrin der accumulation of events in den Konflikten mit Beteiligung Israels unten unter B. II. 25. 309 Letzterer Gesichtspunkt trägt das Rechtswidrigkeilsurteil Dänemarks, S/PV 2682, s. 32. 310 In der Stellungnahme Katars (S/PV 2677, S. 6) heißt es, daß "armed action must still be carried out by armed forces belanging to the aggressor State (Hervorh. v. Verf.)" (dabei läßt der Gebrauch des Wortes "belonging" sogar noch Raum für eine abweichende Interpretation). In der bemerkenswert differenzierten rechtlichen Analyse Ghanas wird die Möglichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs im Falle staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater dagegen ausdrücklich anerkannt und das relevante Rechtsproblem als ein solches der Zurechnung identifiziert (S/PV 2680, S. 32). Der Widerspruch Ghanas gegen die amerikanische Zurechnung insbesondere des West-Berliner Attentats zu Libyen richtet sich auch nicht gegen die zugrundeliegenden Zurechnungsnormen, sondern ausschließlich gegen die Annahme der Erweislichkeil deren tatsächlicher Voraussetzungen. 311 Zitat aus der deutschen Übersetzung in VN 1992, S. 68; für eine Würdigung dieser Formulierung im Sinne des nachfolgenden Textes s. Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 146. 6 Kreß
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
25. Konflikte mit Beteiligung Israels312 Bei keiner anderen Auseinandersetzung nach 1945 hat die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater über einen so langen Zeitraum hinweg eine derart bedeutsame Rolle gespielt wie bei dem Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten. Spätestens mit dem Qibya-Zwischenfall vom Oktober 1953313 rückt die Problematik in den Vordergund der Debatten und verliert seitdem nichts an Relevanz, wie die Gefechte israelischer Streitkräfte mit der schiitischen Hizbullah auf libanesischem Gebiet in den Jahren 1992, 1993 und 1994314 zeigen. Im folgenden geht es nicht um eine erschöpfende Darstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen315, sondern darum, ein möglichst repräsentatives Bild der im Verlauf dieses Konfliktes formulierten Rechtsauffassungen der VN-Mitgliedstaaten zu gewinnen. Hierzu genügt die Verwertung von fünf ausgewählten Einzelkonflikten, die den Zeitraum von 1966 - 1981 abdekken. a) Der Gewalteinsatz Israels in Jordanien vom November 1966
Im November 1966 setzt Israel Gewalt auf dem Territorium Jordaniens ein, um grenzübergreifenden Angriffen Privater zu begegnen. Die Jordanien vorgehaltene Verwicklung dürfte der Sorgfaltswidrigkeitskonstellation zuzuordnen sein 316 . Israel bezeichnet den Gewalteinsatz als defensive Maßnahme und führt zur Begründung des defensiven Charakters aus, daß man "bad reason to believe that this incident was the first in a fresh series of 312 Zu der Frühphase des Konflikts s. insbesondere Bowett, AJIL 66 ( 1972), S. 1 ff.; zu den Auseinandersetzungen in den 70er und frühen 80er Jahren s. etwa Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 17, 23, 26ff.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 32ff.; Regourd, AFDI 32 (1986), S. 79ff.; Levenfeld, ColumJTransnat'lL 21 (1982), S. 1 ff.; Feinstein, IsrLR 20 ( 1985), S. 362 ff.; Feder, NYUJint'lL & Polit 19 (1987), S. 395 ff.; zur Entwicklung der Auseinandersetzungen bis zum Jahre 1988 O'Brien, VaJint'lL 30 (1990), S. 443ff. 313 S. hierzu Bowett, AJIL 66 (1972), S. 33, und die Sicherheitsratsdebatten in SCOR, 8th year, 637 - 642th meeting. 3 14 Vgl. nur die Berichte in FAZ vom 20.02.1992, S. 8; FAZ vom 21.02.1992, S. I; FAZ vom 22.02.1992, S. I; FAZ vom 24.02.1992, S. 5; FAZ vom 11.11.1992, S. 8; FAZ vom 29.07.1993, S. 1; FAZ vom 30.07.1993, S. 1; FAZ vom 31.07.1993, S. 1; FAZ vom 03.06.1994, S. I, S. 6; FAZ vom 04.06.1994, S. 1; FAZ vom 20.06.1994, S. 3. 315 Zahlreiche Gewalteinsätze überschreiten zudem den thematischen Rahmen, da sie die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater betreffen, die nicht gegen israelisches Territorium, sondern gegen israelische Staatsangehörige gerichtet sind; s. auch hierzu Bowett, AJIL 66 (1972), S. I ff., und in Ergänzung O'Brien, VaJint'IL 30 ( 1990), S. 443 ff.; daneben auch Falk, AJIL 63 (1969), S. 415 ff. 3 16 SCOR, 21st year, 1320th meeting, S. 13.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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attacks in an even more serious nature" 317 • Hier kommt sehr deutlich eine Rechtsauffassung zum Ausdruck, die in der Folgezeit als Doktrin der accumulation of events bezeichnet worden ist. Israel nimmt, wenngleich es von der Notwendigkeit spricht, sich gegen bewaffnete Angriffe zu verteidigen, Art. 51 SVN nicht ausdrücklich in Bezug. An einer Stelle heißt es sogar, die "indirekte Aggression" sei bei der Fassung der SVN nicht hinreichend beachtet worden 318 . Jordanien verurteilt Israels Vorgehen als Aggression. Die Begründung Israels wird als Rekurs auf "irrelevant questions" zurückgewiesen 319 . Soweit Israels Vorgehen von am Konflikt unbeteiligten Staaten nicht pauschal verurteilt wird 320, lassen die diesbezüglichen Äußerungen überwiegend die Zurückweisung der accumulation of events-Doktrin erkennen, denn Israels Gewalteinsatz wird als Repressalie klassifiziert 321 . Auch die die Erörterungen abschließende Resolution 228 322 muß als Ablehnung der accumulation of events-Doktrin verstanden werden. Einmal wird die Einordnung der Maßnahme als Repressalie bestätigt, zum anderen wird der Gewalteinsatz als "carefully planned military action" bezeichnet, was die Einschätzung erkennen läßt, eine erlaubte Gewaltanwendung sei nur als durch die Gegenwärtigkeit eines Angriffs provozierte spontane Reaktion vorstellbar. Einige Staaten kritisieren Israel vor allem wegen der Unverhältnismäßigkeit des Gewalteinsatzes323 , nur vereinzelt wird hervorgehoben, Jordaniens Verwicklung in die gegen Israel gerichteten Gewaltakte sei jedenfalls nicht hinreichend 324 . b) Der Gewalteinsatz Israels in Jordanien vom März 1969
Zu einem zweiten hier zu beleuchtenden Gewalteinsatz Israels auf dem Territorium Jordaniens kommt es im März 1969. Auch hier geht es Israel um die Abwehr grenzübergreifender Angriffe Privater, die als accumulation SCOR, 21st year, 1320th meeting, S. 14. SCOR, 2 Ist year, 1323rd meeting, S. 7 f. 31 9 SCOR, 21st year, 1320th meeting, S. 5; 132\st meeting, S. 6. 320 Wie etwa von der Sowjetunion, SCOR, 21st year, 1321st meeting, S. 2. 321 USA, SCOR, 21st year, 1320th meeting, S. 23; Frankreich, 1321 st meeting, S. I; Argentinien, 1322nd meeting, S. 2; Japan, 1322nd meeting, S. 3; Neuseeland, 1322nd meeting, S. 5; Uruguay, 1324th meeting, S. 18f.; Bulgarien, 1325th meeting, S. 2. 322 Text bei Wellens, Resolutions, S. 443 f. 323 Großbritannien, SCOR, 21st year, 1320th meeting, S. 19; Niederlande, 1323rd meeting, S. 3; Uganda, 1327th meeting, S. 4. 324 Uganda, SCOR, 21 st year, 1327th meeting, S. 4 ; Mali, 1327th meeting, S. 7. 317 318
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
of events zusammengezogen werden. In diesem Fall geht Israel davon aus, Jordanien habe die Operationen jedenfalls geduldet, wenn nicht sogar aktiv unterstützt325 . Der eigene Gewalteinsatz wird als Selbstverteidigungsmaßnahme bezeichnet, allerdings ohne Art. 51 SVN zu zitieren326 . Zudem wird ausgeführt, Jordanien sei aufgrund der Duldung der grenzübergreifenden Angriffe für diese verantwortlich327 . Jordanien führt zur Verurteilung Israels zuvorderst an, der Gewalteinsatz habe sich gegen zivile Ziele gerichtet. Im übrigen wird die Neigung erkennbar, die Gewaltakte der Privaten als legitimen Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik zu bewerten328 . Die Verurteilung Israels durch die übrigen Staaten wird in diesem Fall überwiegend auf die unterschiedslose Wirkung des Gewalteinsatzes gestütze 29 . Hierauf stellt auch die Israel verurteilende Resolution 265 330 ab. Als Repressalie wird Israels Maßnahme nur von wenigen Staaten bezeichnee31 . Einige Staaten postulieren die Legalität des bewaffneten Kampfes der Palästinenser, sei es generell332 , sei es speziell im Hinblick auf die von Israel besetzten Gebiete333 . Schließlich wird gegen Israel vorgebracht, die von diesem Staat geltend gemachten Gewaltakte richteten sich im Schwerpunkt nicht gegen Israels Territorium, sondern fänden auf besetztem Gebiet statt334 . c) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon im Mai 1970
Im Mai 1970 wendet Israel im Libanon Gewalt an. In tatsächlicher Hinsicht geht Israel von einer Duldungskonstellation aus335 . Die rechtliche SCOR, 24th year, 1466th meeting, S. 6. SCOR, 24th year, 1466th meeting, S. 8. 327 SCOR, 24th year, 1466th meeting, S. 7. 328 SCOR, 24th year, 1466th meeting, S. 11 f. (einige der in Rede stehenden Gewaltakte der Privaten sind auf von Israel besetztem Gebiet vorgenommen worden). 329 USA, 24th year, 1467th meeting, S. 4; Großbritannien, 1468th meeting, S. 3; Spanien, 1469th meeting, S. 5 f.; Senegal, 1468th meeting, S. 6.; die Sowjetunion, 1467th meeting, S. I f., nimmt sogar an, der Gewalteinsatz sei gegen zivile Ziele gerichtet worden. 330 Text bei Wellens, Resolutions, S. 458. 33 1 Pakistan, SCOR, 24th year, 1468th meeting, S. 5; China (Taiwan), 1470th meeting, S. 5. 332 So offenbar Saudi Arabien, SCOR, 24th year, 1467th meeting, S. 11; Algerien, 1468th meeting, S. 1 f.; hiergegen ausdrücklich die USA, 1472nd meeting, S. 4. ' 33 So wohl die Sowjetunion, SCOR, 24th year, 1467th meeting, S. 1 f. ' 34 Spanien, SCOR, 24th year, 1469th meeting, S. 5. ' 35 SCOR, 25th year, 1537th meeting, S. 5. Es wird insbesondere auf Abkommen zwischen dem Libanon und der PLO verwiesen, die die Bereitstellung von Stützpunkten zum Gegenstand haben. 325
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Begründung der Aktion entspricht exakt der 1969 gegenüber Jordanien vertretenen Rechtsauffassung. Der Libanon verurteilt Israels Gewalteinsatz. Der Libanon sei für die Handlungen der Privaten, deren Recht auf Rückkehr in das eigene Land Israel verletze, nicht verantwortlich zu machen. Israel könne nicht verlangen, daß der Libanon die eigenen "Brüder" gewaltsam an ihren Aktionen hindere 336. Im übrigen wird Israels "Repressalientheorie" zurückgewiesen337. Die meisten am Konflikt unbeteiligten Staaten, die Israels Gewaltanwendung verurteilen 338, begründen ihre Haltung wieder mit der Einschätzung, die Maßnahme habe Repressaliencharakter339. Die hierin zum Ausdruck kommende Ablehnung der accumulation of events-Doktrin kommt implizit auch in der Israel verurteilenden Resolution 280340 zum Ausdruck, wenn Israels Aktion als "premeditated . .. and carefully planned in nature" bewertet wird. Die Resolution betont zudem den Umfang der Gewaltanwendung Israels und greift damit den in der Debatte teilweise 341 angesprochenen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auf. Vereinzelt wird auch wieder die These vertreten, die Gewaltanwendung durch die PLO sei legae42 . Nur ein Staat343 greift das Argument des Libanon auf, dieser Staat sei nicht für die gegen Israel gerichteten Gewaltakte verantwortlich. d) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon vom Dezember 1975
Besonders gut läßt sich die Zurückweisung der accumulation of eventsDoktrin im Nahostkonflikt an der Reaktion auf eine israelitische Gewaltanwendung gegen private bewaffnete Kräfte auf libanesischem Territorium im Dezember 1975 exemplifizieren. Da mit der Aktion offenbar nicht unmittelSCOR, 25th year, 1538th meeting, S. 7. SCOR, 25th year, 1538th meeting, S. 5. 338 Nur schwerlich als Verurteilung zu deuten ist die Stellungnahme der USA, SCOR, 25th year, 1540th meeting, S. 4ff. 339 Finnland, SCOR, 25th year, 1539th meeting, S. 7f. ; Sambia, 1540th meeting, S. 1; Burundi, 1540th meeting, S. 6; Nepal, 1540th meeting, S. 6f.; China (Taiwan), 1541th meeting, S. 4; Großbritannien 1542th meeting, S. 8; besonders pointiert die Stellungnahme Frankreichs, 154lth meeting, S. 5, die israelische Taktik des "hit and run" sei unzulässig. 340 Text bei Wellens, Resolutions, S. 525. 341 Von Burundi, SCOR, 25th year, 1540th meeting, S. 6. 342 So die Sowjetunion, SCOR, 25th year, l538th meeting, S. 4f. ; Marokko, 1540th meeting, S. 16 ("Widerstandsbewegung gegen Besetzung"); Spanien, 1541th meeting, S. 3 bekräftigt seinen schon im l969er Konflikt vertretenen Standpunkt. 343 China (Taiwan), SCOR, 25th year, 1541th meeting, S. 4. 336
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bar auf einen Gewaltakt von Privaten reagiert worden ist und möglicherweise auch um die Einordnung der Maßnahme als Repressalie zu verhindern, wird von seiten Israels in diesem Fall der präventive Charakter der Maßnahme herausgestellt 344 . Hierauf reagiert der Libanon wie folgt: " ... Israel itself has stated that the aggression it undertook was not punitive but preventive in nature. This is a dangeraus course to follow in international affairs ... "345 . Während einige weitere Staaten 346 bei ihrer Verurteilung Israels den präventiven Charakter der Gewaltanwendung betonen, wird zum Teil 347 der punitive Charakter des Vorgehens moniert 348 . Die Tendenz, der accumulation of events-Doktrin über die Ablehnung von sowohl punitiven als auch präventiven Maßnahmen die Grundlage zu entziehen, bringt eine Stellungnahme Ägyptens mit einer contradictio in adjecto markant zum Ausdruck. Israels Gewalteinsatz wird hierin als "preventive reprisal" verurteilt. Eine Reihe von Staaten nennen als Grund für ihre Verurteilung (auch) die mit dem Gewalteinsatz verbundenen zivilen Opfer der Gewaltanwendung 349 . e) Der Gewalteinsatz Israels im Libanon vom Juli 1981
Ein letzter Fall israelischer Gewaltanwendung auf libanesischem Territorium, der hier untersucht werden soll, findet im Juli 1981 statt. Im Unterschied zu den bisher behandelten Fällen erklärt Israel jetzt, angesichts der anarchischen Situation in weiten Teilen des Libanon sei dieser Staat nicht in der Lage, der nicht abbrechenden Kette von gegen Israel gerichteten grenzübergreifenden Gewaltakten Privater Einhalt zu gebieten. Israel konstatiert somit das Vorliegen einer Unfähigkeitskonstellation. In rechtlicher Hinsicht argumentiert Israel nun nicht etwa dahin, angesichts des im Libanon bestehenden "Souveränitätsvakuums" falle letzterer Staat aus dem personalen Schutzbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN heraus. Im Gegenteil wird betont, der Gewalteinsatz sei nicht gegen den Libanon gerichtet, dessen 344 Vgl. zu der entsprechenden Stellungnahme des israelischen Verteidigungsministers Cassese, Cot!Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 778. 345 SCOR, 30th year, 1859th meeting, S. 11. 346 Japan, SCOR, 30th year, 1860th meeting, S. 5; Frankreich, 1861th meeting,
s. 4.
Irak, SCOR, 30th year, 1862th meeting, S. 3. Ein Resolutionsentwurf Guyanas, des Irak, Mauritaniens, Karneruns und Tansanias, SCOR, 30th year, Supplement October- December 1975, S. 53 (S/11898), betont dementsprechend, daß "Israeli massive air attacks against Lebanon were premeditated in nature". 349 USA, SCOR, 30th year, 1860th meeting, S. 1; Kamerun, 186lth meeting, S. 2f.; Frankreich, 1861th meeting, S. 4; Japan, 1860th meeting, S. 5, geht sogar von gegen die Zivilbevölkerung gerichteter Kampfführung aus. 347
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Souveränität anerkannt werde. Der Gewalteinsatz, so heißt es, sei eine Selbstverteidigungsmaßnahme und bemerkenswerterweise wird in diesem Fall ausdrücklich auf Art. 51 SVN Bezug genommen. Im einzelnen begründet wird die Einschlägigkeit dieser Satzungsbestimmung niche 50. Der Libanon verurteilt Israels Gewalteinsatz als Präventivschlag und betont die nur geringe eigene Verwicklung in die gegen Israel gerichteten Gewaltakte der Privaten351 . Auch in diesem Fall stößt Israels Vorgehen bei den am Konflikt unbeteiligten Staaten überwiegend 352 auf Ablehnung. Diese gründet sich in etwa gleichgewichtig auf die Zurückweisung der accumulation of events-Doktrin - wobei die kritisierte Maßnahme wie im 1975er Konflikt teils als präventiv353, teils als punitiv-präventiv 354 bezeichnet wird - und auf die Verluste unter der Zivilbevölkerung355 . Daneben wird teilweise wieder die Legalität des palästinensischen Kampfes behauptet356. Mindestens ebenso bemerkenswert wie die zur Ablehnung des Selbstverteidigungsanspruchs bemühten Argumente ist der Umstand, daß ein Aspekt nicht zur Begründung der Rechtswidrigkeit angeführt wird: Die von Israel zugestandene Unfähigkeit des Libanon, die Gewaltakte der Privaten zu verhindern. Diesem Befund entspricht die Formulierung der die Debatte abschließenden Resolution 490357, worin zu einer Einstellung aller bewaffneten Angriffe aufgerufen wird, womit nach Lage der Dinge auch diejenigen der Privaten erfaßt sein müssen. Zur Position Israels s. SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 4 ff. Ob die geringe Verwicklung in dem Umstand gesehen wird, daß die gegen Israel gerichteten Angriffe von libanesischem Territorium ausgehen, bleibt offen; zu der Stellungnahme des Libanon s. SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 3. 352 Eine Verurteilung von seiten der USA ist nicht ersichtlich. 353 So die Sowjetunion, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 9; Tunesien, 2293rd meeting, S. 4, und Frankreich, 2293rd meeting, S. 4. 354 So Großbritannien, 36th year, 2293rd meeting, S. 5, und der Vertreter der Arabischen Liga, 2293rd meeting, S. II. 355 Jordanien, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 7; Sowjetunion, 2292nd meetin.~, S. 9; Tunesien, 2293rd meeting, S. 4; Großbritannien, 2293rd meeting, S. 5; Agypten, 2293rd meeting, S. 6 und 8; Syrien, 2293rd meeting, S. 15; China (Volksrepublik), 2293rd meeting, S. 17; Jemen (Demokratische Volksrepublik), 2293rd meeting, S. 18; Jemen, 2293rd meeting, S. 19 (In der Sicht Jordaniens, der Sowjetunion, Tunesiens, Ägyptens, Syriens und der beiden Jemen zielte der israelische Gewalteinsatz auf zivile Ziele (besonders drastisch die Volksrepublik Jemen (ebd.): "Its (Israels; Verf.) brutal bombardment of a university, a stadium, residential quarters and refugee camps was timed in such a way as to maximize the death toll among the civilian population"), China qualifiziert Israels Kampfführung als unterschiedslos). 356 Von Jordanien, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 7; Syrien, 2293rd meeting, S. 15 und China (Volksrepublik), 2293rd meeting, S. 17. 357 Text bei Wellens, Resolutions, S. 531. 350 351
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Zusammenfassend läßt sich zum Nahostkonflikt sagen, daß Israels Anspruch, in Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellationen grenzübergreifende Gegengewalt anwenden zu dürfen, in einigen Punkten ganz überwiegend zurückgewiesen wird, nicht aber insoweit, als die Gegengewalt der Abwehr eines bestimmten, gegenwärtigen Gewaltaktes dient und keine erheblichen Verluste unter der Zivilbevölkerung bewirkt358 . Ein abschließender Blick auf den Verlauf der jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet in den Jahren 1992 und 1993359 erweist die fortdauernde Gültigkeit des soeben fonnulierten Befundes. Der Anspruch Israels, in einer Duldungskonstellation in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts grenzübergreifende Gegengewalt anwenden zu dürfen360, wird im Kern nicht zurückgewiesen. Zu einer Verurteilung Israels durch den Sicherheitsrat kommt es nicht361 . Der Libanon und die Arabische Liga verurteilen die Gewalteinsätze Israels zwar, doch nicht gestützt auf die Annahme, in der Duldungskonstellation sei es dem Zielstaat prinzipiell verwehrt, grenzübergreifende Gegengewalt anzuwenden, sondern mit der Begründung, die Gewaltakte der Privaten stellten legitimen Widerstand gegen die israelische Besetzung eines Teils libanesischen Territoriums dar362 . 358 Alle Elemente der im Text skizzierten, ganz überwiegend vertretenen Position enthält die Stellungnahme Ägyptens, SCOR, 36th year, 2293rd meeting, S. 7. 359 Zum Tatsächlichen s. die Nachw. oben in Fn. 314. 360 S. die Stellungnahme in S/24032 (29. 05. 1992), S. 2: "As the target of continuaus and relentless terrorist attacks, and in view of the fact that the Lebanese Government is unwilling to take any measures to prevent such violence from its territory, Israel has been compelled to exercise its legitimate right to self-defence by engaging in operations against the terrorist organizations operating from the territory of Lebanon". 361 Im Hinblick auf die israelischen Gewalteinsätze vom Februar 1992 heißt es in einer Erklärung des Sicherheitsratspräsidenten nur: "The members of the Council are deeply concerned about the renewed and rising cycle of violence in southern Lebanon ... ". Im folgenden werden alle Beteiligten zu Zurliekhaltung aufgerufen, SI PV 3053 (19. 02. 1992), S. 2- 5, 6 (vgl. in diesem Zusammenhang auch die gemeinsame Stellungnahme der Außenminister Frankreichs und Italiens vom 21. 02. 1992, die den israelischen Gewalteinsatz im Südlibanon "bedauern" und als "ganz unannehmbar" allein die Tatsache bezeichnen, daß Kräfte der FINUL von dem israelitischen Gewalteinsatz in Mitleidenschaft gezogen worden seien (Meldung der Presseagentur AFP vom 21.02.1992)); ganz entsprechend der Stellungnahme vom Februar 1992 wird in einer Erklärung des Sicherheitsratspräsidenten vom 28. 05. 1993 in bezug auf die Gewalteinsätze Israels vom Juli 1993 formuliert: "The members of the Security Council express their concern over the continuing violence in southern Lebanon, regret the loss of civilian life, and urge all parties to exercise restraint" (S/ PV 3258, S. 6). 362 Zur Position des Libanon s. etwa die Stellungnahme in S/24057 (03. 06.1992); zur Position der Arabischen Liga etwa FAZ vom 02.08.1993, S. 2.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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26. Konflikte unter Beteiligung der Türkei im Zusammenhang mit der Kurdenfrage In den Jahren 1983, 1984, 1991, 1992, 1993 und 1994 setzt die Türkei Gewalt auf dem Territorium des Irak ein, um grenzübergreifenden Gewaltakten kurdischer bewaffneter Kräfte zu begegnen. Dabei unterscheiden sich die Rahmenbedingungen der Konflikte der Jahre 1983 und 1984 in mehrfacher Hinsicht von denjenigen seit 1991. Die rechtliche Begründung der türkischen Gewalteinsätze vom Mai 1983363 und Oktober 1984364 ist schwer auszumachen. Eine Äußerung läßt auf die Inanspruchnahme einer Nacheilebefugnis schließen365 . Daneben wird aber auch eine vom Irak vertraglich zugestandene Erlaubnis ins Feld geführt366 . Der Irak nimmt bei seiner Reaktion zwar auf einen solchen Vertrag keinen Bezug, akzeptiert das Vorgehen der Türkei aber dennoch. Der Irak spricht von einem Fall "d'extreme necessite" und betont den zeitlich begrenzten Charakter der türkischen Aktion367 . Die jüngste Kette türkischer Gewalteinsätze auf irakisehern Territorium beginnt im August 1991 368 und setzt sich in unterschiedlich langen Intervallen über den Herbst desselben Jahres 369, das gesamte Jahr 1992370 sowie 1993/94371 fort. Die türkischen Aktionen erfolgen vor dem Hintergrund der Instabilität, die die Lage im Nordirak nach Abschluß der im Rahmen des Kuwait-Konflikts durchgeführten gewaltsamen VN-Zwangsmaßnahmen kennzeichnet. Von seiten der Türkei wird die Lage wie folgt eingeschätzt: "Bekanntlich besteht ein Autoritätsvakuum im Nordirak. Terroristen nutzen dieses Vakuum und errichteten Stützpunkte, von denen aus sie in unserem Grenzgebiet verstärkt Anschläge verüben und zu ihren Stützpunkten zurückkehren" 372 • Hierzu RGDIP 87 ( 1983), S. 884 f. Hierzu RGDIP 89 (1985), S. 455 f. 365 So offenbar auch die Bewertung Rousseaus, RGDIP 87 (1983), S. 882, in der Überschrift des entsprechenden Passus seiner "chronique des faits intemationaux". 36 6 RGDIP 89 (1985), S. 455. 367 RGDIP 87 ( 1983), S. 885. 368 Zum Tatsächlichen s. etwa Financial Times vom 08. und 09.08. 1991, jeweils s. 4. 369 Zum Tatsächlichen s. etwa FAZ vom 14.10.1991, S. 2. 370 Zum Tatsächlichen s. etwa FAZ vom 03. 03., S. I; vom 04. 03., S. 7; vom 26.03., S. 2; vom 18.04., S. 6; vom 01.07., S. 8; vom 19.10., S. 8; vom 21.10., S. 7; vom 24. 10., S. 6; vom 27.10., S. 6; vom 29.10., S. 6; vom 31.10., S. 4. 371 FAZ vom 01.12. 1993, S . 5; FAZ vom 29.01.1994, S. I; FAZ vom 15.04.1994, S. 1/2; FAZ vom 21.04.1994, S. 6; FAZ vom 28.07. 1994, S. 4. 372 Zitat aus einer Erklärung des türkischen Außenministeriums zum Protest Iraks gegen die Operation im Nordirak, Ankara, 14. Oktober 1991 (dem Verf. freundlicherweise vom Auswärtigen Amt übersandt). 363
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Hiermit wird unmißverständlich eine Unfähigkeitskonstellation 373 festgestellt. Die exakte Einordnung des türkischen Anspruchs, in einer derartigen Situation grenzübergreifende Gewalt anwenden zu dürfen, fällt wiederum schwer. Jedenfalls geht die Türkei offenbar nicht davon aus, der Irak falle angesichts des "Autoritätsvakuums" aus dem personalen Schutzbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN heraus. In der Stellungnahme vom 14. 10. 1992374 heißt es: "Wie bereits erklärt, stellen wir die Souveränitätsrechte des irakiseben Staates über sein Territorium keinesfalls in Frage"
und "Die Republik Türkei hat bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck gebracht, welche große Bedeutung sie der Wahrung der territorialen Integrität Iraks beimißt; sie behält diese Haltung unverändert bei".
Zur Rechtfertigung der eigenen Maßnahme heißt es in besagter Stellungnahme weiter: 373 Ergänzend sei vermerkt, daß im Zusammenhang mit der Kurdenproblematik im weiteren Verlauf des Jahres 1992 auch im Verhältnis der Türkei zu Syrien bzw. dem Libanon sowie zum Iran die Gewaltfrage aufgeworfen wird. Am 30. 03. 1992 erklärt der türkische Ministerpräsident auf einer Pressekonferenz, "that Syrian permissiveness in giving PKK a safe heaven (muß richtig heißen: haven; der Verf.) in Bekaa Valley and allowing them to move freely with their heavy weapons across Syrian territory and to violate our borders, is totally unacceptable. lt should be clearly understood that our patience has a Limit (Hervorh. v. Verf.)" (Zitat aus einer dem Verf. freundlicherweise vom Auswärtigen Amt zugesandten Mitschrift der Presseerklärung). Angesichts der im Verhältnis zum Irak geäußerten Rechtsposition liegt es nahe, den hervorgehobenen Satz als Inanspruchnahme einer Befugnis zum Gewalteinsatz gegen die angesprochenen PKK-Stützpunkte zu deuten (so auch die Deutung in FAZ vom 21.04.1992, S. 7; dort auch Hinweise zur Beilegung der türkisch-syrischen Differenzen): Der türkische Ministerpräsident geht davon aus, daß Syrien im im Libanon gelegenen Bekaa-Tal Gebietshoheit ausübe, weshalb aus türkischer Sicht in bezug auf die PKK-Stützpunkte im Libanon eine DuZdungskonstellation vorliegt. Ausgehend von der gegenüber dem Irak eingenommenen Haltung besteht danach e fortiori ein türkischer Anspruch auf Gewaltanwendung gegen im Bekaa-Tal gelegene PKK-Stützpunkte. Ende August/ Anfang September 1992 wendet die Türkei auf iranischem Territorium Gewalt gegen PKK-Stützpunkte an. Diesem Gewalteinsatz geht die Ankündigung des Nationalen Sicherheitsrats der Türkei voran, "die PKK in allen Ländern zu verfolgen, von denen sie ihren Guerrillakrieg gegen die Türkei führt" (zit. nach FAZ vom 01.09.1992, S. 2). Vonseiten des Iran wird gegen den Gewalteinsatz der Türkei protestiert (FAZ vom 02.09. 1992, S. 6). Sollte dieser Protest die Rechtsauffassung implizieren, grenzübergreifende staatliche Gewaltanwendung zur Abwehr grenzübergreifender Angriffe Privater sei jedenfalls unzulässig, ergäbe sich ein offener Widerspruch zu der Haltung, die in dem Vorgehen des Iran vom April desselben Jahres gegen von irakisehern Territorium ausgehende Gewaltanwendung Privater zum Ausdruck kommt (vgl. zu diesem Vorgehen unten unter B. Il. 27. b), dort auch zu dem möglichen Widerspruch in Fn. 391 ). 374 S. oben in Fn. 372.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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"Die Republik Türkei ist entschlossen, als eine natürliche Folge des Rechts auf Wahrung ihrer Existenz (Hervorh. v. Verf.) die Terrorherde im Nordirak unschädlich zu machen, wie die bestehenden Umstände es erfordern".
Diese Formulierung liest sich wie ein Rekurs auf den Gesichtspunkt der Selbsterhaltung375 . Bei einer anderen Gelegenheit wird von "Gegenmaßnahmen" gesprochen 376 . Ein Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN wird jedenfalls nicht mit Entschiedenheie77 in Anspruch genommen. In diesen Fällen verurteilt der Irak die türkischen Gewalteinsätze als flagrante Verletzung seiner Souveränität und territorialen Integritäe78. Abgesehen von der Betonung der zivilen Verluste läßt sich eine Spezifizierung des Vorwurfs nicht ausmachen. Bemerkenswert ist die Reaktion der am Konflikt nicht beteiligten Staaten: vorherrschend ist das Bestreben, sich einer völkerrechtlichen Bewertung zu enthalten. Eine das türkische Vorgehen im Nordirak als völkerrechtswidrig ablehnende Stellungnahme liegt soweit ersichtlich einzig von seiten Schwedens379 vor. Zwar erfährt das türkische Vorgehen auch von deutscher Seite Kritik, doch wird hierbei zur Begründung allein auf die Verluste unter der an Gewaltakten nicht beteiligten kurdischen Zivilbevölkerung abgestellt380 . Offen bleibt in der zitierten Stellungnahme Deutschlands die Frage nach der Zulässigkeit des grenzübergreifenden gewaltsamen Vorgehens gegen PKK-Stützpunkte. Auch insoweit ist die folgende, im Namen der EG-Mitgliedstaaten abgegebene Erklärung der portugiesischen Präsidentschaft im Europäischen Parlament von Interesse: Vgl. hierzu knapp Partsch, EPIL 4, S. 217 ff. In einer Presseerklärung vom 25.10.1991. In der FAZ vom 14. 10. 1991, S. 2 wird der türkische Ministerpräsident in bezug auf einen türkischen Gewalteinsatz mit der Bemerkung zitiert, es werde Vergeltung für einen tödlichen Anschlag der Kurden geübt. 377 Laut dpa hat der türkische Außenminister in einem Schreiben an den deutschen Außenminister, das als Privatbrief deklariert wurde, das militärische Vorgehen gegen die Kurden als Selbstverteidigung bezeichnet, FAZ vom 13.08.1991, s. 4. 378 In Schreiben an den VN-Generalsekretär vom 13. und 16. 10.1991 (S/23141 bzw. S/23152). 379 Und auch insoweit nicht in einer für den Völkerrechtsverkehr bestimmten Stellungnahme. Im schwedischen Reichstag verurteilt der schwedische Außenminister am 12. 03. 1992 die türkischen Gewalteinsätze mit den Worten: "Turkiet har ocksa nyligen genomfört flygattacker i Irak. Malen uppges vara PKK-läger. Denna typ av bombningar pa en annan stats territorium utgör en kränkning av folkrätten som inte kan accepteras " (Zitat aus Protokoll Nr. 1991192:75 des schwedischen Reichstages; dem Verf. freundlicherweise von der schwedischen Botschaft in Deutschland übersandt). 380 Information 311191 (09.08. 1991) des Pressereferats des Auswärtigen Amts über eine Stellungnahme des deutschen Außenministers. 375
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
"The Community and its member states have made clear that they condemn all acts of terrorism from whatever source. The operations which Turkey has Iaunched last October into Northem Iraq were mounted against the guerillas of the Kurdish Workers Party (PKK), which has made repeated attacks on Turkey. The Turkish authorities were concemed at the increase in the number of cross-border attacks including the killing of eleven Turkish soldiers on border patrol within Turkish territory. The PKK appears to have been exploiting the absence of legal authority in Northern Iraq to Iaunch some of their operations in Turkey. The Community and its member states regret any casualties which may have occurred among the civilian population (Hervorh. vom Verf.)" 381 .
Ist auch die Unsicherheit in der präzisen rechtlichen Einordnung des türkischen Vorgehens unverkennbar, so muß diese Stellungnahme mit ihrer Betonung des Vorliegens grenzübergreifender Angriffe auf die Türkei doch wenigstens als Hinnahme des Rechtsanspruchs auf grenzübergreifende staatliche Gewaltanwendung in einer Unfähigkeilskonstellation verstanden werden. 27. Iranisch-irakisehe Konflikte a) Der Ausbruch des Golfkrieges 382
Am 22. September 1980 beginnt der Irak unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht mit einem massiven Gewalteinsatz gegen den Iran. Teilweise werden die einschlägigen Stellungnahmen des Irak dahin gedeutet, der Selbstverteidigungsanspruch werde u.a. auf iranische Verwicklung in gegen den Irak gerichtete Gewaltakte Privater gestütze 83 . Richtig ist, daß der Irak im Vorfeld der Sicherheitsratsdebatte zum Kriegsausbruch auch zwei Sachverhaltskomplexe angeführt hat, wovon der erste384 wohl am ehesten der Anstiftungs-, der zweite385 vielleicht der Duldungskonstellation 38 1 Answer to the oral question n h-0017/92 by Mrs. Ewing on the killing of innocent Kurdish civilians (dem Verf. freundlicherweise von der Botschaft Irlands in Deutschland übersandt). 382 Dazu ausführlich Kaikobad und Weller, Dekker/Post (Hg.), Gulf War, S. 51 ff. bzw. 71 ff. 383 Kaikobad und Weller, Dekker/Post (Hg.), Gulf War, S. 52 f. bzw. 71. 384 Vgl. hierzu vor allem den irakiseben Brief in SCOR, 35th year, Supplement for April- June 1980, S. 112 (S/14020), in dem es heißt, "Iranians in Iraq have committed blatant acts of terrorism at the instigation and with the Juli support of the Iranian Govemment (Hervorh. v. Verf.)". Im Zusammenhang spricht mehr für eine Interpretation von ,,full support" im Sinne von "moralischer Unterstützung". 385 Vgl. hierzu den irakischen Brief in SCOR, 35th year, Supplement July - September 1980, S. 114 (S/14191), in dem es heißt, der Iran "offered refuge to the Ieaders of the rebellion (against lraq), namely, the sons of the agent Barzani, his followers and others who have used Iranian territory, with the explicit support of the ruling authorities in Iran, as a base f or threatening and interfering in the internal security and national integrity of lraq (Hervorh. v. Verf.)".
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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zuzuordnen ist. Zuzugeben ist ferner, daß sich im wichtigsten irakischen Debattenbeitrag eine Wendung findet, die für die oben genannte Deutung der irakischen Position in Anspruch genommen werden kann 386 . An einer ausdrücklichen Verknüpfung des Selbstverteidigungsanspruchs mit den in Rede stehenden Verwicklungskonstellationen fehlt es jedoch. Dieser Anspruch wird vielmehr allein damit begründet, der Iran sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, dem Irak bestimmte Gebiete zu überstellen, auf die letzterer einen Souveränitätsanspruch habe387 . Angesichts dessen erscheint die Annahme nicht hinreichend gesichert, der Irak habe im Zusammenhang mit seinem am 22. September 1980 begonnenen Gewalteinsatz gegen den Iran einen Selbstverteidungsanspruch für bestimmte Verwicklungskonstellationen erhoben 388 . In der Sicherheitsdebatte über den Golfkrieg findet eine Auseinandersetzung über einen derartigen Anspruch nicht statt. b) Die bewaffneten Auseinandersetzungen im April des Jahres 1992
Am 05. April 1992 setzt der Iran Gewalt auf dem Territorium des Irak ein. Ziel der Militäraktion sind Stützpunkte Privater, von denen unmittelbar zuvor ein Angriff auf das Territorium des Iran ausgegangen sein, und vier Todesopfer gefordert haben soll389 . Zur rechtlichen Begründung wird u.a. folgendes ausgeführt: 386 Gemeint ist der Passus "Iraq did not start the war with Iran. The Iranian authorities started it with their subversive terrorist and military actions against us long before the present hostilities (Hervorh. v. Verf.)", SCOR, 35th year, 2251st meeting, S. 7. 387 SCOR, 35th year, 2251st meeting, S. 7. Neben den im Text angesprochenen zwei Gesichtspunkten der iranischen Verwicklung in Gewaltakte Privater bzw. des irakischen Souveränitätsanspruchs macht der Irak im Zusammenhang mit seinem Gewalteinsatz auch die Gewaltanwendung iranischer Streitkräfte auf irakisehern Territorium vor dem 22. September 1980 geltend: "The continous shelling of our border towns, villages and roads became a daily routine in the conduct of the Iranian military forces", ebd. Doch tritt selbst dieser Gesichtspunkt bei der Begründung des Selbstverteidigungsrechts gegenüber demjenigen der Durchsetzung des Souveränitätsanspruchs ganz zurück. Weller, Dekker/Post (Hg.), Gulf War, S. 72 (Beginn des dritten Absatzes), scheint letzterem Gesichtspunkt bei seiner völkerrechtlichen Bewertung des irakiseben Gewalteinsatzes immerhin maßgebliche Bedeutung zuzusprechen. 388 Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch von seiten des Iran im Vorfeld des 22. September 1980 die Verwicklung der anderen Seite in Gewaltakte Privater geltend gemacht worden ist. Zu dieser am ehesten wohl der Unterstützungskonstellation zuzuordnenden angeblichen Verwicklung des Irak wird aber nur vage gesagt, sie begründe "direct violations of Iranian sovereignty and run counter to the provisions of the Charter of the United Nations", SCOR, 35th year, Supplement July September, S. 15 (S/14070). 389 Daneben sieben Verwundete, s. im einzelnen den iranischen Brief an den Sicherheitsrat vom 06. 04. 1992 (S/23786), S. 1.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
"At 0720 hours of 5 April 1992, the Islamic Republic of Iran, in accordance with Art. 51 of the United Nations Charter, took necessary and proportionale measures in exercise of its legitimate right of self-defence in response to the armed attack. Fighter jets of the Islamic Republic Air Force raided the military headquarters of the terrorist group from which the earlier armed incursion into Iranian territory and a number of similar ones in the past had originated. The Islamic Republic had, on numerous occasions, informed the Iraqi authorities that it cannot allow this group of organized mercenary terrorists to carry out military operations from Iraqi territory, endangering the Jives of Iranian citizens in the border areas. The Govemment of Iraq had also been reminded of Iran's legitimate right of selfdefence in response to such incursions by armed bands, which constitute acts of aggression for which the Govemment lraq bears full responsibility. The Islamic Republic of Iran does not seek any hostility with Iraq and has already reiterated to the Government of Iraq its respect for the sovereignty and territorial integrity of the latter while reserving its inherent right to take action in self-defence in accordance with Art. 51 of the United Nations Charter" 390.
Diese Rechtsauffassung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Einmal erscheint die schlichte territoriale Verwicklung des Irak in die geltend gemachte Gewaltanwendung der Privaten zur Auslösung des Selbstverteidigungsrechts als hinreichend, so daß angenommen werden muß, daß der Iran eine Befugnis zu grenzübergreifender Gewaltanwendung selbst in der Unfähigkeitskonstellation beansprucht391 . Daneben bewegt sich der Hinweis auf "frühere ähnliche" Angriffe der Privaten unübersehbar in den Bahnen der Doktrin der accumulation of events. Der Irak kritisiert das iranische Vorgehen in einem Brief an den Sicherheitsrat zunächst ohne weitere Begründung als "plain and unjustified aggression" 392 . In einer nachfolgenden Stellungnahme zu der iranischen Begründung des Gewalteinsatzes wird bestritten, daß die Voraussetzungen des Art. 51 SVN in casu vorgelegen hätten. Dabei wird einmal das Berichtserfordernis in Bezug genommen und zum anderen auf Beweismaterial dafür verwiesen, daß der Iran einen Gewalteinsatz der fraglichen Art bereits geraume Zeit vor dem geltend gemachten Angriff geplant habe. Letzteres entkräfte die Argumentation des Iran393 . Nicht ausgeschlossen wird mit diesen Ausführungen die Existenz eines Selbstverteidigungsrechts in (Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und) Unfähigkeitskonstellationen. In der Staatengemeinschaft hat diese zeitlich wie räumlich eng begrenzte Konfrontation kein Echo hervorgerufen. S/23786, 06. 04. 1992, S. I f. Zu dem möglichen Widerspruch dieser Haltung zu dem Protest gegen den türkischen Gewalteinsatz von Ende August/ Anfang September 1992 auf iranischem Territorium vgl. oben in Fn. 373 a. E. 392 S/23785, 5 April 1992, S. 2. 393 S/23827, 27 April 1992. 390 391
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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28. Der Konflikt um Bougainville394 Im März und im September des Jahres 1992 setzen Kommandoeinheiten Papua-Neuguineas Gewalt auf dem Tenitorium der Salomonen ein. Ziel der Gewaltanwendung ist jeweils ein Benzinlager, von dem aus Private in Bougainville in ihrem bewaffneten Kampf gegen die Regierung Papua-Neuguineas unterstützt worden sein sollen. In beiden Fällen protestieren die Salomonen gegen den Gewalteinsatz395 . Von seiten Papua-Neuguineas wird nicht etwa versucht, den Gewalteinsatz unter Hinweis auf das Vorliegen einer Unterstützungskonstellation zu rechtfertigen, sondern es erfolgen Entschuldigungen und die Zusage, die an den Gewalteinsätzen Beteiligten würden disziplinarisch zur Verantwortung gezogen 396 . Eine eindeutige Absage an eine Befugnis zu grenzübergreifender Gewaltanwendung in Unterstützungskonstellationen kann den Zwischenfällen dennoch nicht entnommen werden, da es sich offenbar in den beiden Fällen um ein privates Benzinlager handelte.
29. Der Abchasien-Konflikt Im Verlauf des bewaffneten Konflikts um Abchasien macht Georgien im Jahre 1992 wiederholt vom Tenitorium der Russischen Föderation ausgehende Angriffe Privater geltend 397 . Hinsichtlich der Frage der Verwicklung der Russischen Föderation in diese Gewaltakte heißt es in einer Stellungnahme, "unfortunately the Govemment of the Russian Federation cannot effectively stop the infiltration of Georgian tenitory by mercenaries" 398 , 394 Zum Hintergrund s. The Economist, May 23rd 1992, S. 81, und Islands Business Pacific, March, 1993, S. 36 f. 395 Der Text der Protestnote vom 18. September 1992 (S/24572) lautet: "lt was realized that the primary purpose of the action taken by the Papua New Guinea Defence Force was to destroy what was believed to be the main source of fuel supply to Bougainville Revolutionary Army Activities. Whilst that belief has yet to be ascertained it is however alarming to note that the defence personnel are illegally and deliberately entering our waters and the islands at will without the knowledge of the Govemment of Papua New Guinea and the permission of the Govemment of the Solomon Islands, thereby violating the territorial sovereignty of Solomon Islands". 396 Keesing's Record of World Events, March 1992, S. 38818; September 1992, S. 39100; zum Text der Stellungnahme Papaua Neuguineas vom 29. September 1992 s. S/24603, dort insbes. S. 3. 397 S. nur die Stellungnahmen Geergiens in S/24626 und S/24632 (7. Oktober 1992) sowie in S/25166 (26. Januar 1993). 398 S/24632, S. 4; wiederholt gebrandmarkt wird allerdings die Verwicklung "gewisser reaktionärer Kräfte" im russischen Parlament (vgl. insow. Keesing's Record of World Events, October 1992, S. 39156) bzw. "govemmental structures" (vgl. insow. S/24632, S. 2).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
was auf das Vorliegen einer Unfähigkeitskonstellation hindeutee 99 . Von seiten Georgiens wird auf die Angriffe nicht mit grenzübergreifender Gewalt reagiert400 . Ob diese Zurückhaltung auf der Überzeugung von der Existenz einer entsprechenden Unterlassungspflicht beruht, ist allerdings zweifelhaft, wird doch der georgische Staatschef in einem Zeitungsbericht dahin wiedergegeben, seine Regierung sei nötigenfalls bereit, Truppen nach Rußland zu schicken, um dort gegen Kämpfer vorzugehen, die die abchasischen Separatisten unterstützen401 . Zu einer Erörterung der interessierenden Rechtsfrage innerhalb der Staatengemeinschaft kommt es im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen in Abchasien soweit ersichtlich nicht. Der Aussagegehalt dieses Konflikts im Rahmen der späteren Praxis bleibt hiernach ungewiß.
30. Der Konflikt um Bosnien-Hercegovina402 In der Zeit von März bis Mai 1992 setzt sich die Anerkennung der Staatsqualität Bosnien-Hercegovinas in der Staatengemeinschaft allgemein durch403 . Zeitlich in etwa parallel, im April 1992 brechen die bewaffneten Auseinandersetzungen um Bosnien-Hercegovina (voll) aus. Aus der Fülle der mit diesem bewaffneten Konflikt veknüpften Rechtsprobleme ist an dieser Stelle404 allein die Frage der Verwicklung der Föderativen Republik Jugoslawiens (Serbien/Montenegro)405 in Gewaltakte von gegen die Regierung Bosnien-Hercegovinas kämpfenden Privaten relevant. Die Schwierig399 Vgl. in diesem Zusammenhang die Verurteilung der grenzübergreifenden Angriffe der Privaten durch den russischen Präsidenten im August 1992, Keesing's Record of World Events, August 1992, S. 39059. 400 Die Begrenzung des Gewalteinsatzes auf das eigene Territorium wird etwa in der Stellungnahme vom 7. Oktober 1992 (S/24632, S. 3) herausgestellt. 401 FAZ vom 12.10.1992, S. 6. 402 Hierzu sehr erhellend Weller, AJIL 86 (1992), S. 596ff. 403 Die wichtigsten Etappen sind die gemeinsame Erklärung von EG und USA vom 10. März, die positive Anerkennungsentscheidung der EG-Außenminister vom 6. April sowie die Aufnahme Bosnien-Hercegovinas in die VN am 22. Mai. Ob die Anerkennung(en) zu Recht bzw. zum richtigen Zeitpunkt erfolgten (vgl. hierzu das 4. Gutachten der Badinter-Schiedskommission, EJIL 4 (1993), S. 74 ff.), interessiert hier nicht. Für die Auswertung des Konflikts im Rahmen der späteren Praxis zu den Verwicklungskonstellationen ist entscheidend, daß· Bosnien-Hercegovina als Staat angesehen wird. 404 Vgl. im übrigen die Ausführungen zum bosnischen Konflikt unten unter D.l.4. und D.II.I.d)bb). 405 In den einschlägigen staatlichen Stellungnahmen werden zum Teil die Föderative Republik Jugoslawien, zum Teil "Serbien und Montenegro" und zum Teil schlicht Serbien in Bezug genommen. Dergleichen Nuancen sind hier ohne Relevanz, im Text wird im folgenden stets von der Föderativen Republik Jugoslawiens als Bezugspunkt des Verwicklungsvorwurfs ausgegangen.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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keit der Untersuchung dieses Aspekts des Konflikts unter dem Gesichtspunkt der späteren Praxis zu unseren Verwicklungskonstellationen besteht darin, daß zahlreiche Facetten einer Verwicklung der Föderativen Republik Jugoslawiens (FRJ) in die Kämpfe, darunter insbesondere der Einsatz regulärer Streitkräfte, in Rede stehen. Demzufolge ist es häufig entweder nicht auszumachen, auf welche(n) Gesichtspunkt(e) sich die jeweilige rechtliche Bewertung des Verhaltens der FRJ stützt, oder nicht möglich, aus allgemein gehaltenen Beurteilungen der Rechtslage die Bewertung im Hinblick auf eine bestimmte Verwicklungskonstellation herauszufiltrieren. Bosnien-Hercegovina sieht sich als Opfer eines bewaffneten Angriffs durch die FRJ 406 . Zwar wird auf das Gebiet der FRJ übergreifende Gewalt weder von Bosnien-Hercegovina selbst noch von um Hilfe ersuchten Staaten angewandt, doch wird eine entsprechende Befugnis gestützt auf Art. 51 SVN beansprucht407 • Der Aggressionsvorwu~8 gegenüber der FRJ wird zunächst auf Gewaltakte der in Bosnien-Hercegovina stationierten Teile der "jugoslawischen Volksarmee" und der auf bosnischem Territorium operierenden irregulären bewaffneten Kräfte gestützt. Beide werden als "Werkzeuge" der FJR bezeichnet409, d.h. es wird von der Steuerung der Privaten durch die FRJ ausgegangen. In der Folgezeit wird der Aggressionsvorwurf darüber hinaus mit vom Territorium der FRJ ausgehenden Luftangriffen410 sowie mit grenzübergreifenden Bewegungen (regulärer) Streitkräfte der FRJ untermauert411 . Schließlich wird auch die Entsendung irregulärer Kämpfer aus der FRJ nach Bosnien-Hercegovina sowie die logistische Unterstützung der in Bosnien-Hercegovina kämpfenden Irregulären durch die FRJ geltend gemacht412 . Im ganzen betrachtet gründet sich der bosnische Aggressionsvorwurf im Schwerpunkt auf den Gewalteinsatz durch reguläre Streitkräfte der, sowie auf die Steuerung von Gewaltakten Privater durch die FRJ413 • Nicht erforderlich ist es aus der Sicht Bosnien-Hercegovinas, isoliert zu der Rechtslage in Entsende- und Unterstützungskonstellation Stellung zu beziehen. Man darf die diesbezüglichen Stellungnahmen aber vielleicht dahin verstehen, daß bei einem Zusammentreffen der beiden Verwicklungsformen ein bewaffneter Angriff des verwickelten Staates vorliegen soll. Vgl. etwa die Stellungnahme vom 31.07. 1992 (S/24366, S. 3). Etwa in den Stellungnahmen vom 30.06. 1992 (S/24214, S. 3) und vom 31.07. 1992 (S/24366, S. 2). 408 Die Begriffe "Aggression" und "bewaffneter Angriff" werden im Zusammenhang mit dem bosnischen Konflikt ersichtlich austauschbar verwandt. 409 Stellungnahme vom 27. 05. 1992 (S/24024). 41 0 Stellungnahme vom I 0. 06. 1992 (S/24081 ). 4 11 Stellungnahmen vom 13.07.1992 (S/24266) und 26. 09. 1992 (S/24588). 41 2 Etwa in der Stellungnahme vom 22.08.1992 (S/24477). 41 3 Vgl. auch die zusammenfassende Wiedergabe der bosnischen Position in ICJ Reports 1993, S. 4f. (par. I f.). 406 407
7 Kreß
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
In der Anfangsphase des Konflikts nimmt "Restjugoslawien"414 zu den Gewaltakten der "jugoslawischen Volksarmee" Stellung und bezeichnet erstere als begrenzt im Umfang und defensiv in der Zielrichtung 415 . Die Position der FRJ stellt sich im weiteren Konfliktsverlauf schlicht wie folgt dar: Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Bosnien-Hercegovina werden als Bürgerkrieg bezeichnet, in den die FRJ in keiner Weise verwikkelt sei416 . Die von Bosnien-Hercegovina geltend gemachten Facetten der Verwicklung werden sämtlich in tatsächlicher Hinsicht zurückgewiesen417 . Vor dem Hintergrund dieser Sachverhaltsschilderung kann die FRJ auf eine Festlegung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN in Entsende- und/oder Unterstützungskonstellation verzichten. Der VN-Sicherheitsrat verhängt in Resolution 757 vom 30. Mai 1992418 Wirtschaftssanktionen gegen die FRJ. Doch enthält diese Resolution keine Feststellung des Vorliegens einer Aggression oder eines Friedensbruchs durch die FRJ. Gesprochen wird lediglich von einer Friedensbedrohung. In Präambel und operativem Teil 419 wird das Verhalten der FRJ - ohne auf die Form(en) der Verwicklung im Detail einzugehen - leicht verklausuliert als Intervention bezeichnet. Nichts anderes ergibt sich aus der Folgeresolution 787 vom 16. November 1992. Hierin wird unter Punkt 5 des operativen Teils verlangt, "daß jede Art der Einmischung von außerhalb der Republik Bosnien und Herzegowina, einschließlich des Einschleusens von irregulären Einheiten und irregulärem Personal in das Land, sofort aufhört . .. (Hervorh. v. Verf.)"420 •
Die folgende Analyse der von Staatengruppen bzw. einzelnen Staaten abgegebenen Stellungnahmen zeigt jedoch, daß mit der Qualifizierung des Verhaltens der FRJ als Intervention nur der kleinste gemeinsame Nenner zum Ausdruck gebracht wird. 414 Die Umgründung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in die Föderative Republik Jugoslawien durch das zu diesem Zeitpunkt nur noch aus Serben und Montenegrinern bestehende Rumpf-Bundesparlament erfolgt erst am 27.04.1992; vgl. dazu Partsch, VN 1992, S. 182. 41 5 Stellungnahme vom 12. 04. 1992, zit. nach Weller, AJIL 86 (1992), S. 598 (Fn. 179). 416 Vgl. etwa die Stellungnahme vom 09.07. 1992 (S/24258) und die zusammenfassende Wiedergabe der Position der FRJ in ICJ Reports 1993, S. 21 (par. 42). 417 In der Stellungnahme vom 08.09.1992 (S/24524) heißt es, am 2 1.05. desselben Jahres sei der Truppenabzug aus Bosnien-Hercegovina abgeschlossen worden; in der Stellungnahme vom 14.07.1992 (S/24279) wird bekräftigt, man sende weder Truppen nach Bosnien-Hercegovina noch unternehme man Luftangriffe oder leiste den bosnischen Serben Waffen- bzw. Ausrüstungshilfe. 41 8 VN 1992, S. IIOf. 41 9 Insoweit ist eine Zusammenschau mit Resolution 752 vom 15.05.1992 (VN 1992, S. 109 f.) erforderlich. 420 So die deutsche Übersetzung des Resolutionstexts in VN 1992, S. 220 f.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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In einer ganz überwiegenden Zahl von Staatenäußerungen wird der FRJ ein bewaffneter Angriff auf Bosnien-Hercegovina vorgeworfen und letzterem Staat das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht zugebilligt421. Eine kleine Zahl von (politisch nicht unmaßgeblichen) Staaten qualifiziert das Vorgehen der FRJ dagegen lediglich als Intervention422 . Teilweise wird auch die präzise rechtliche Bewertung der Verwicklung der FRJ in den Konflikt offengelassen423 . Eine einzelne Stimme endlich schließt sich der Darstellung der FRJ an424. Betrachtet man die Stellungnahmen, die der FRJ einen bewaffneten Angriff vorhalten, im Hinblick auf unsere Verwicklungskonstellationen genauer, so fällt auf, daß die gewählten Formulierungen keine Festlegung im Sinne des Vorliegens eines bewaffneten Angriffs gerade in Entsende- und/oder Unterstützungskonstellation erkennen lassen. Eine erste Gruppe von Staaten vermeidet eine derartige Festlegung dadurch, daß das Vorgehen der FJR ganz pauschal als Aggression bezeichnet wird425 . Eine zweite Gruppe stützt den Aggressionsvorwurf auf den Einsatz regulärer Streitkräfte der FRJ426 . Soweit die Verwicklung der 421 In diesem Sinne Deutschland, FAZ vom 04.05.1992, S. 2; Ungarn, S/PV 3082, 30.05.1992, S. 16; Venezuela, ebd., S. 29f.; die USA, ebd., S. 33; Marokko, S/PV 3106, 13.08.1992, S. 19f.; Österreich, ebd., S. 24f.; Türkei, S/PV 3135, 13. 11. 1992, S. 24 f.; Malaysia, ebd., S. 29, 33; Ägypten, ebd., S. 41; Kroatien, SI 24086 (II. 06. 1992; Iran, S/24410 (II. 08. 1992); Pakistan, S/24437 ( 13. 08. 1992); Albanien, S/PV 3136, 16. II. 1992, S. 51 f.; Indonesien, ebd., S. 58; Jordanien, ebd., S. 67; Katar, S/PV 3137, 16.11.1992, S. 18; Komoren, ebd., S. 22; Litauen, ebd., S. 36; Kuwait, ebd., S. 51; Afghanistan, ebd., S. 59f.; Vereinigte Arabische Emirate, ebd., S. 88ff.; Bangladesch, ebd., S. 107ff.; Senegal, ebd., S. 114; ebenso das Schlußkommunique der 6. außerordentlichen Tagung der islamischen Außenministerkonferenz vom 0 I. und 02. 12. 1992 (par. 14 f.). 422 Die Russische Föderation, S/PV 3136, 16. II. 1992, S. 7; Aserbeidschan, S/PV 3137, 16.11. 1992, S. 45 f.; Volksrepublik China, ebd., S. 120. 423 Vgl. insow. die Stellungnahmen Großbritanniens, S/PV 3082, 30.05.1992, S. 43, und Frankreichs, S/PV 3135, 13. 11.1992, S. 17; diese Unbestimmtheit spiegelt sich in den gemeinsamen Erklärungen der EG-Mitgliedstaaten wider (s. S/ 23812 (14.04.1992), S/23830 (22 April 1992), S/23906 (12.05.1992) und S/24200 (29. 06. 1992)); ein Rest Unbestimmtheit im entscheidenden Punkt bleibt auch in einer Erklärung der KSZE vom Mai 1992 (FAZ vom 13.07. 1992, S. 5), wenn es heißt: "Trotz aller Bemühungen . . . dauern Gewalt und Aggression in Bosnien und Hercegovina ... an. Die Hauptverantwortung hierfür tragen die Behörden in Belgrad (Hervorh. v. Verf.)". 424 Diejenige Simbabwes, S/PV 3106, 13.08.1992, S. 17; S/PV 3137, 16. II. 1992, S. 122. 425 So etwa Ägypten, SIPV 3135, 13.11.1992, S. 41 ff.; Indonesien, S/PV 3136, S. 58; Jordanien, ebd., S. 67; Kuwait, S/PV 3137, S. 51; Afghanistan, ebd., S. 59f.; Senegal, ebd., S. 114; Erklärung der 6. außerordentlichen Tagung der islamischen Außenministerkonferenz vom Dezember 1992 (par. 15, 17). 426 Dabei wird zum einen, insbesondere in der Anfangsphase des Konflikts, auf den Gewalteinsatz durch die Volksarmee, zum anderen auf grenzüberschreitende Gewaltanwendung durch Luft- und Bodenstreitkräfte verwiesen ; vgl. etwa die Stellung7*
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
FRJ in Gewaltakte Privater den Aggressionsvorwurf zumindest gleichgewichtig untermauem soll, geht man überwiegend in Übereinstimmung mit der Position Bosnien-Hercegovinas von einer Steuerung der Privaten durch die FRJ aus427 , teilweise wird ein Zusammentreffen von Anstiftungs-, Entsende- und Unterstützungskonstellation angenommen428 . Nur vereinzelt kann eine Stellungnahme dahin verstanden werden, die Verwicklung der FRJ im Sinne von Entsende- und/oder Unterstützungskonstellation begründe das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs429 . Die ganz überwiegende Überzeugung vom Vorliegen eines bewaffneten Angriffs der FRJ auf BosnienHercegovina kann demnach nicht einer ganz überwiegenden Rechtsüberzeugung vom Vorliegen eines bewaffneten Angriffs in Entsende- und/oder Unterstützungskonstellation gleichgesetzt werden. Daraus folgt im Ergebnis, daß der Konflikt um Bosnien-Hercegovina keine neuen Aufschlüsse im Rahmen der späteren Praxis zu Entsende-, Unterstützungs- oder anderen unserer Verwicklungskonstellationen liefert.
31. Der Gewalteinsatz der USA gegen den Irak im Juni 1993 Am 26. Juni 1993 setzen die USA Gewalt gegen das Hauptquartier des irakiseben Geheimdienstes in Bagdad ein. Wie im Falle des Gewalteinsatzes gegen Libyen vom April 1986 (oben unter B.II.23.b) unterscheidet sich die von den USA zur Rechtfertigung ihres Vorgehens geltend gemachte Situation dadurch von unseren Verwicklungskonstellationen, daß der Gewaltakt, auf den reagiert wird, nicht gegen das Territorium des Zielstaates gerichtet ist. Dieser Aspekt interessiert hier deshalb genausowenig wie im Libyen-Fall. Ebenso wie der Gewalteinsatz in letzterem Fall vernahmen der USA, S/PV 3082, 30. 05.1992, S. 33f.; Malaysias, S/PV 3135, 13. 11.1992, S. 29ff.; des Iran, S/24432 (13.08.1992); Pakistans, S/24437 (13.08.1992); der Vereinigten Arabischen Emirate, S/PV 3137, 16.11.1992, S. 88; wenn Ungarn (S/PV 3082, 30. 05. 1992, S. 16) von einer "naked aggression" spricht, Venezuela (ebd., S. 29f.) feststellt: "Belgrad is today waging war", Marokko (S/PV 3106, 13.08. 1992), S. 19f.) das Vorgehen der FRJ als "invasion" bezeichnet, und Bangladesch (S/PV 3137, 16. 11. 1992, S. 107) der FRJ ein "brutal aggression" anlastet, so deutet auch dies eher auf die Überzeugung von dem Vorliegen eines Einsatzes regulärer Streitkräfte hin. 427 Pakistan, S/24437 (13. 08. 1992), "aggression by Serbia and Serbianled elements"; Katar, S/PV 3137 (16. 11.1992), S. II "Govemment in Belgrad continues to organize and engineer aggression"; Komoren, ebd., S. 22 "aggression by Serbia/ Montenegro through its puppet Serbian nationalism". 428 So Österreich, S/PV 3106, 13. 08. 1992, S. 24 "An insurrection, instigated, nurtured and heavily supported with materiel and personnel by Serbia/Montenegro". 429 S. die Stellungnahme der Türkei vom 13.08.1992 (S/PV 3106, S. 24f.), in der aber gleichgewichtig neben dem Vorwurf der Verwicklung in Gewaltakte Privater wieder der Hinweis auf die Gewaltakte der "jugoslawischen Volksarmee" steht.
II. Allgemeine Konfliktpraxis der VN-Mitgliedstaaten
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dient derjenige im Irak hingegen unter den Gesichtspunkten des Grades staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater sowie der Doktrin der accumulation of events Beachtung. Nach US-amerikanischer Auffassung430 ist der Gewalteinsatz gemäß Art. 51 SVN als Selbstverteidigungsmaßnahme auf einen Attentatsversuch des Irak auf den seinerzeitigen Präsidenten der USA hin gerechtfertigt. Zum Grad der irakiseben Verwicklung in den versuchten Gewaltakt heißt es zunächst in allgemeinen Wendungen, "that Iraq planned, equipped and launched the terrorist operation" 431 bzw. "that this assassination plot was directed and pursued by the Iraqi intelligence service"432 . Dies deutet auf die Annahme der Kontrolle der Tatausführung durch de iure-Organe des Irak hin. Doch wird der irakisehe Verwicklungsgrad bei der detaillierten Wiedergabe des Untersuchungsergebnisses weiter konkretisiert: "The two main suspects are Iraqi nationals. They told the FBI that they had been recruited and received orders in Basra, Iraq, from individuals associated with the Iraqi intelligence service. They said that the Iraqis provided them with the car bomb and other explosive devices on 10 April 1993. One of the suspects said that he had been recruited for the specific purpose of assassinating President Bush. The other main suspect told the FBI that he had been instructed to guide the first suspect with the car bomb to Kuwait University, where President Bush and the Emir of Kuwait were scheduled to appear, and to plant smaller explosives elsewhere in Kuwait"4 33 . Demnach ist der irakisehe Verwicklungsgrad, der nach amerikanischer Auffassung die Zurechnung des Attentatsversuchs zum Irak rechtfertigt, mit "Auftragserteilung in Verbindung mit Unterstützung der Tatausführung" präziser gekennzeichnet als mit ,,Steuerung der Tatausführung". Zur Zielsetzung des eigenen Gewalteinsatzes wird anknüpfend an die Stellungnahme im Libyen-Fall erklärt: "It was designed to darnage the terrorist infrastructure of the Iraqi regime, reduce its ability to promote terrorism and deter further acts of aggression against the United States (Hervorh. v. Verf.)"434 . Der hervorgehobene Passus enthält einen Rekurs auf die Doktrin der accumulations of events, der freilich weitaus undeutlicher und weniger spezifiziert ausfällt als im Libyen-Fall. 430 So wie sie sich aus der Stellungnahme im Sicherheitsrat vom 27. 06. 1993 ergibt, S/PV 3245, S. 3 ff. 431 S/PV 3245, S. 3. 432 S/PV 3245, S. 4. 433 S/PV 3245, S. 5 f. 434 S/PV 3245, S. 6.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Der Irak setzt sich mit der Rechtsauffassung der USA nicht auseinander, sondern verurteilt den US-amerikanischen Gewalteinsatz unter Zurückweisung des Verwicklungsvorwurfs im Tatsächlichen435 . Im Sicherheitsrat wird die Rechtmäßigkeit des US-amerikanischen Vorgehens ganz überwiegend bejaht436 . Das Gegenteil kann höchstens von der chinesischen Stellungnahme gesagt werden437 . Dabei finden sich anstelle ins einzelne gehender Auseinandersetzungen mit dem zurechnungsbegründenden Verwicklungsgrad des Irak nur Feststellungen wie "directly involved"438, "direct involvement of the Iraqi Govemment"439 , "involvement of the Govemment of Iraq"440, "act of State terrorism"441 , "involvement of the Iraqi intelligence services in the assassination attempt" 442 und "the Iraqi intelligence services were behind that attempt"443 . Sehr bemerkenswert ist schließlich, daß der Gewalteinsatz der USA von keiner Seite als Vergeltungsschlag verurteilt, der Rekurs auf die Doktrin der accumulation of events also offenbar hingenommen wird444. S/PV 3245, S. II. Vgl. die Stellungnahmen Frankreichs, S/PV 3245, S. 13ff.; Japans, ebd., S. 16; Ungarns, ebend., S. 18 ff.; Großbritanniens, ebend., S. 21; der Russischen Föderation, ebend., S. 22; Neuseelands, ebd., S. 23; Spaniens, ebd., S. 23 ff.; als (wenn auch zurückhaltende) Bejahung der Rechtmäßigkeit ist auch die Stellungnahme Brasiliens (ebend., S. 17f.) zu verstehen; vgl. auch die entsprechende Bewertung der Sicherheitsratsdiskussion durch Condorelli, EJIL 5 (1994), S. 139. 437 Eine unmißverständliche Zurückweisung des Rechtsanspruchs der USA liegt selbst hier nicht vor (insow. a.A. Condorelli, EJIL 5 (1994), S. 140). Der einschlägige Passus lautet: "China has always held that disputes between or among countries should be settled through peaceful means of dialogue and consultation. We are opposed to any action that can contravene the Charter of the United Nations and norms of international relations. We do not endorse any action that might intensify the tension in the region, including the use of force", S/PV 3245 S. 21. Wohl kaum als Rechtswidrigkeilsurteil in bezug auf die Aktion der USA dürfte die gemeinsame Erklärung von Kap Verde, Dschibuti Marokko, Pakistan und Venezuela gelesen werden (insow. ebenso Condorelli, EJIL 5 (1994), S. 140), in der es u.a. heißt: "The members of the Caucus urge the exercise of restraint by all States, consistent with the principles of the Charter and in particular for the maintenance of international peace and security and the avoidance of the use of force inconsistent with the purposes of the United Nations", S/PV 3245, S. 16f. 438 Frankreich, S/PV 3245, S. 13. 439 Japan, S/PV 3245, S. 16. 440 Brasilien, S/PV 3245, S. 18. 441 Ungarn, S/PV 3245, S. 18. 442 Großbritannien, S/PV 3245, S. 21. 443 Spanien, S/PV 3245, S. 24. 444 Brasilien (S/PV 3245, S. 17) und Ungarn (S/PV 3245, ebd., S. 19- 20) greifen den im obigen Textzitat der OS-amerikanischen Stellungnahme hervorgehobenen Passus sogar ausdrücklich auf, um damit die Zukunftsgerichtetheit des Gewalteinsatzes (positiv) herauszustreichen. 435
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III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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111. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten 1. Generalversammlungsresolutionen aus der Frühphase der VN
Die erste allgemein gehaltene Stellungnahme der VN zu unserer Problematik findet sich in der Resolution Essentials for Peace der Generalversammlung vom 1. Dezember 1949445 • Hierin werden die Staaten aufgefordert, "2. to refrain from threatening or using force contrary to the Charter; 3. to refrain from any threats or acts, direct or indirect, aimed at impairing the freedom, independence or integrity of any State, or at fomenting civil strife and subverting the will of the people in any State".
Die Formulierung unter 3.446 wird teilweise dahin interpretiert, daß die angesprochenen Verwicklungsformen (d.h. jedenfalls diejenigen der Entsende-, Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation) Art. 2 Ziff. 4 der SVN unterfallen sollen447 . Doch bleibt hierbei unberücksichtigt, daß diese Formulierung nicht als Interpretation des unter 2. bekräftigten Gewaltverbots, sondern als selbständiges Verbot erscheint, das ebensogut als Konturierung des Interventionstatbestandes aufgefaßt werden kann. Aus diesem Grund kommt der angesprochenen Resolution für die präzise Einordnung bestimmter Verwicklungsformen kein Aussagewert zu448 . Weniger zweideutig erscheint die in der Resolution Peace through deeds vom 17. November 1950449 enthaltene Bekräftigung, "that, whatever the weapons used, any aggression, wether committed openly, or by fomenting civil strife in the interest of a foreign Power, or otherwise, is the gravest of all crimes against peace and security throughout the world". Zwar werden auch hier die Begriffe "Gewaltanwendung" und "bewaffneter Angriff' nicht gebraucht, doch auf "das schwerste Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit" müßten sie sicher erstreckt werden. Angesichts dessen ist die Weite der Formulierung besonders bemerkenswert. Die Wendung "fomenting civil strife" kann über die Anstiftung zu bestimmten Gewaltakten 445 Resolution 290 (IV), GAOR, 4th session, Resolutions 20 september- 10 december, S. 13. 446 Angenommen mit 54 Stimmen (ohne Gegenstimme, 5 Enthaltungen), YUN 1948 - 49, S. 343. 447 Novogrod, Bassiouni/Nanda (Hg.), International Criminal Law I, S. 220. 448 Dementsprechend führen Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 99 f., diese Resolution nur als Beleg für die Rechtswidrigkeit der genannten Verwicklungsformen an. 449 Resolution 380 (V), GAOR, 5th session, Supplement 20, S. l3 f., angenommen mit 50 Stimmen gegen 5 (Sowjetunion, Polen, Tschechoslowakei, Weißrußland und Ukraine) bei einer Enthaltung, YUN 1950, S. 203.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
hinaus sogar auf Gewaltpropaganda im allgemeinen erstreckt werden450 . Die Resolution Peace through deeds wird in der Literatur danach zu Recht vielfach als Beleg für die Rechtsüberzeugung angesehen, daß jedenfalls die Verwicklung in Entsende-, Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation Art. 2 Ziff. 4 bzw. 51 SVN zuzuordnen ist451 . In diesem Sinne ist die Resolution auch in concreto angewandt worden: So haben die USA ihre Rechtsauffassung zu Entsende- und Unterstützungskonstellation im Libanon-Konflikt auch auf die Resolution Peace through deeds gestützt452 .
2. Die "Friendly Relations Declaration" der Generalversammlung vom 24. Oktober 1970453 Dieser im folgenden kurz als Resolution 2625 zitierten Erklärung kommt wegen der Gründlichkeit ihrer Ausarbeitung454, der Widerspruchslosigkeit ihrer Verabschiedung (bei inzwischen stark angewachsener Mitgliederzahl)455 und des rechtsnormativ-mandatorischen Charakters ihrer Formulierung456 eine gegenüber den vorgestellten Resolutionen der Frühphase erhöhte normative Bedeutung zu457 . Die relevanten Passagen finden sich im achten und neunten Absatz der Ausführungen zum Verbot gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN (Erstes Prinzip der Resolution) und lauten: 450 In diesem Sinne etwa Higgins, BYIL 37 ( 1961 ), S. 289; hiergegen spricht allerdings die Verabschiedung der speziell der Gewaltpropaganda gewidmeten Resolution 381 (V) in derselben Sitzung, GAOR, 5th session, Supplement 20, S. 14. Gegen die Subsumtion des "fomenting of civil strife" unter den Begriff der Aggression im Sinne der Resolution 380 (V) werden von seiten Syriens während des Redaktionsprozesses Bedenken geäußert, YUN 1950, S. 201. 451 So etwa Novogrod, Bassiouni/Nanda (Hg.), International Criminal Law I, S. 220f.; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 289, 291 (jeweils zu Art. 2 Ziff. 4 SVN); Al Chalabi, Legitime defense, S. 86f., stellt die Resolution in direkten Bezug zu Art. 51 SVN; ebenso Röling, FS Verzijl, S. 332. 452 SCOR, 13th year, 827th meeting, S. 9 f. 453 Resolution 2625 (XXV), GAOR, 25th session, Supplement 28, S. 121 ff.; dt. Übersetzung in Sartorius II, Ergänzungslieferung 18. Januar 1991, Ordnungsnummer 4. 454 Das im Jahre 1963 eingesetzte Spezialkomittee hat den Resolutionstext in sechs Sitzungsfolgen von 1964 bis 1970 vorbereitet. 455 Die Resolution ist im Konsensusverfahren angenommen worden; hierzu knapp Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 90f. (§ 122); ausführlich Bruha, Aggressionsdefinition, S. 80ff. 456 Hierzu Bruha, Aggressionsdefinition, S. 96, 98 (Fn. 27), 99 (Fn. 37), 122. 457 An dieser Stelle interessiert allein die normative Bedeutung im Rahmen der späteren Praxis zu den einschlägigen Bestimmungen der SVN; zu der Bedeutung einer im Konsensusverfahren angenommenen Generalversammlungsresolution für das Völkergewohnheitsrecht s. etwa Bruha, Aggressionsdefinition, S. 36 ff., insbes. 38 ff.; zu den (untauglichen) Versuchen, derartige Resolutionen als eigenständige Rechtsquelle zu etablieren s. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 114ff.
111. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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"Every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or arrned bands, including mercenaries, for incursion into the territory of another state"
und "Every state has the duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State or acquiescing in organized activities within its territory directed towards the commission of such acts, when the acts referred to in the present paragraph involve a threat or use of force".
a) Zur Bedeutung der Absätze 8 und 9 zu Prinzip 1 für die spätere Praxis zu Art. 2 ZiiT. 4 SVN
Daß der achte Absatz in der Variante des "organizing for incursion" die Entsende-, in der Variante des "encouraging the organization for incursion" die Entsendeförderungskonstellation erfaßt, steht außer Streit458 . Der neunte Absatz nennt die Anstiftungskonstellation und muß über die Wendung "acquiescing in organized activities ..." auf die Duldungskonstellation erstreckt werden459 . Sicher nicht erfaßt sind Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation. Problematisch erscheint danach allein die Behandlung der Unterstützungskonstellation. Häufig wird angenommen, die entsprechende Verwicklungsform falle aus dem Anwendungsbereich der Resolution heraus460 . Doch sind die Modalitäten des "assisting and participating in 458 Neuholds - in Internationale Konflikte, S. 228, vertretene - These, der achte Absatz erfasse auch die Duldungskonstellation, ist mit dem Wortlaut nicht zu vereinbaren. 459 Genoni, Notwehr, S. 122, verkürzt die Aussage dieses Absatzes daher, wenn er sie auf das "Verbot des gewaltsamen Eingreifens in Bürgerkriege" reduziert; wie im Text dagegen etwa Tomuschat, EA 36 (1981), S. 331; Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 23 ; Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 271. 460 So Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 765f.; Gill, AHDI I (1988), S. 39; Thode, Menzel/Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 450 Ueweils ohne Begründung); Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 460f., glaubt offenbar, dem neunten Absatz sei insoweit keine Aussage zu entnehmen; erstaunlicherweise ist die zur Resolution 2625 verfaßte Spezialliteratur bezüglich dieser zentralen Frage weitestgehend unergiebig (vgl. die auf die Absätze 8 und 9 bezogenen Ausführungen Neuholds, Internationale Konflikte, S. 228 f.; Rosenstocks, AJIL 65 ( 1971 ), S. 720 und Obradovics, Sahovic (Hg.), Principles on Friendly Relations, S. 105 ff., der die Frage der Abgrenzung von Gewalt- und Interventionsverbot in diesem Fall nur redaktionstechnisch für bedeutsam hält, S. 108; Graf Dohna, Grundprinzipien, S. 60 (Fn. 43), meint, die Verwicklung in der Unterstützungskonstellation sei allein dem Interventionsverbot zuzuordnen, stützt diese Auffassung aber nicht auf Absatz 9, sondern auf die "wohl zutreffenden" Ausführungen Kewenigs (Zitat ebd.); allein ArangioRuiz, Declaration on Friendly Relations, S. 101, kann für die Anwendbarkeit von Absatz 9 auf die Unterstützungskonstellation in Anspruch genommen werden, wenngleich auch hier wegen der Undifferenziertheit der Formulierung Zweifel bleiben).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
acts of civil strife or terrorist acts" schwerlich auf den Einsatz staatlicher Truppen zur Rebellen- bzw. Terroristenunterstützung zu begrenzen. Nach dem gewöhnlichen Wortsinn spricht alles für die Subsumtion auch der Verwicklungsform(en) der Unterstützungskonstellation461 . Es bleibt zu fragen, ob die Absätze 8 und 9 der Resolution 2625 als Ausdruck der Rechtsüberzeugung verstanden werden müssen, wonach die Verletzung der hier statuierten Pflichten einen Gewalteinsatz nach Art. 2 Ziff. 4 SVN begründen. Betrachtet man die Eingangsformulierung der Absätze 8 und 9 ("Every State has the duty ... ") und darüber hinaus den gesamten dem ersten Prinzip der Resolution zugeordneten Pflichtenkatalog, in dem sich nicht nur das Verbot der Angriffskriegsführung und der Vomahme gewaltsamer Repressalien, sondern auch Gebote der Art finden, Abrüstungsverhandlungen zu führen und Anstrengungen zur Effektuierung des kollektiven Sicherheitssystems zu unternehmen, erscheint es auch denkbar, in den Absätzen 8 und 9 Verhaltensnormen zu sehen, die mit der Kardinalpflicht, sich des Gewalteinsatzes zu enthalten, nicht identifiziert werden, sondern mit ihr lediglich in einen unmittelbaren Zusammenhang gestellt werden sollen. Dem kann entgegengehalten werden, daß die in den Absätzen 8 und 9 enthaltenen Pflichten auch dem Interventionsverbotsprinzip der Resolution zugeordnet sind, weshalb der Einfügung in den Pflichtenkatalog zu dem ersten Prinzip nur unter der Voraussetzung rechtlicher Gehalt zukommt, daß hiermit die Subsumierbarkeit direkt unter das Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN bzw. nach Völkergewohnheitsrecht bekräftigt wird. Dafür, daß die Staaten der Formulierung der Absätze 8 und 9 rechtlichen Gehalt zugemessen haben, spricht die Tatsache, daß im Verlauf der Vorarbeiten zu der Resolution über die Zuordnungsfrage lange gestritten worden ist. Danach muß es als zulässig angesehen werden, die Absätze 8 und 9 als ein Element späterer Praxis im Sinne der Erstreckung des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN auf die oben benannten Verwicklungsformen zu berücksichtigen. Dementsprechend verfährt der Sicherheitsrat in seiner Resolution 748 462 und- wenigstens was die zentrale Unterstützungsmodalität der Waffenlieferung angeht- auch der IGH 463 •
46 1 So auch Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 272; Stone, Conflict through Consensus, S. 89; Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 140; de Arechaga, RdC 159 (1978 1), S. 93; Schwebe!, RdC 136 (1972 II), S. 458f.; implizit auch Bruha, Aggressionsdefinition, S. 235; widersprüchlich Roeser, Waffenhandel, der auf S. 169 seiner Schrift feststellt, die Unterstützungskonstellation unterfalle nach der Resolution 2625 nur dem Interventionsverbot, um auf S. 170 anzuerkennen, daß diese Konstellation über Abs. 9 auch dem Gewaltverbot zugeordnet ist. 462 Zu dieser Resolution oben unter B. II. 24. c). 463 ICJ Reports 1986, S. 118 f. (par. 228); ausf. unten unter B. V. I. b).
III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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b) Zur Bedeutung der Absätze 8 und 9 zu Prinzip 1 für die spätere Praxis zu Art. 51 SVN
Nur vereinzelt wird die Frage erörtert, ob den Absätzen 8 und 9 bzw. ihrem Entstehungsprozeß etwas hinsichtlich der Rechtsstellung des von den Gewaltakten der Privaten betroffenen Staates zu entnehmen ist. Insoweit wird einmal gesagt, die Existenz eines Selbstverteidigungsrechts sei in bezug auf die in Absatz 9 aufgeführten Konstellationen im Verlauf der Erörterungen im Spezialkomittee zurückgewiesen worden464 . Die Gegenauffassung argumentiert dahin, daß die Zuordnung der wirtschaftlichen Zwangsausübung zu dem Begriff der Gewaltanwendung auch mit dem Argument abgelehnt worden sei, daß damit die Entstehung eines Selbstverteidigungsrechts verbunden wäre. Daraus könne für die Absätze 8 und 9 der Umkehrschluß gezogen werden465 . In diesem Sinne wäre zu ergänzen, daß dem Absatz 9 der Zusatz "when the acts referred to in the present paragraph involve a threat or use of force" deshalb beigegeben worden ist, um eine verfrühte Berufung auf Art. 51 SVN auszuschließen466 . (Nur) Zusammengenommen ergeben diese beiden Deutungen des Entstehungsprozesses die ganze Wahrheit: So richtig es ist, daß mit der Formulierung der Absätze 8 und 9 von einigen Staaten auch und insbesondere das Ziel verfolgt worden ist, ihre bezüglich der hierin aufgelisteten Fälle bestehende Rechtsüberzeugung von der Existenz eines Selbstverteidigungsrechts abzusichern, so wenig darf übersehen werden, daß eine Reihe von Staaten der Erstreckung des Gewaltverbots auf zumindest einige dieser Formen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater am liebsten nur zusammen mit einem ausdrücklichen Vorbehalt hinsichtlich des Selbstverteidigungsrechts zugestimmt hätten467 . Hier deutet sich ein Streit an, der bei der Arbeit an der Aggressionsdefinition in den Vordergrund treten sollte. Der Text der Resolution 2625 klammert ihn aus. Regourd, AFDI 32 (1986), S. 90. Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 140. 466 Rosenstock, AJIL 65 (1971), S. 720, der zu Recht bemerkt, daß besagter Passus wegen der Einbeziehung der Gewaltandrohung hierzu nicht geeignet ist. Im übrigen fällt die Unstimmigkeit ins Auge, die insoweit zwischen den Absätzen 8 und 9 besteht. Warum der während der Beratungen geäußerten Empfehlung, Absatz 8 einen entsprechenden Schlußteil anzufügen (GAOR, 25th session, Supplement 18, S. 29 (Doc. A/8018, Ziff. 52), nicht entsprochen worden ist, muß offen bleiben. 467 Im fünften Bericht des Spezialkomittees (A/7619) heißt es: "it was further agreed that Statements on these points (Verwicklungsformen der späteren Absätze 8 und 9, Anm. v. Verf.) could be included under the prohibition of the threat or use of force or under the principle of non-intervention. Some delegations, however, believed that if the statements were included under the prohibition of the threat or use of force they should include the words ,if such acts of intervention involve the use of force without affecting the scope of Article 51 of the Charter' (Hervorh. v. Verf.)", GAOR, 24th session, Supplement 19, S. 29 (Ziff. 75). Bei den angesprochenen 464
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
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3. Die Aggressionsdefinition der Generalversammlung vom 14. Dezember 1974468 a) Zur Anwendbarkeit des Aggressionsbegriffs im Sinne der Resolution auf das staatliche Verhalten in den einzelnen Verwicklungskonstellationen
Nach Art. 3g) der im folgenden kurz als Resolution 3314 zitierten Definition stellt "the sending by or on behalf of a State of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount to the acts listed above, or its substantial involvement therein" einen Fall der Aggression dar. Die Formulierung dieses Artikels erfaßt (in ihrer ersten Alternative) die Entsendekonstellation ebenso eindeutig wie sie die Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation ausklammert. Dagegen ist der Aussagewert des Art. 3 g) in bezug auf die Entsendeförderungs-, Duldungs-469 , Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation470 schwierig zu bestimmen. Insoweit kommt allein eine Subsumtion unter die zweite Alternative des Art. 3 g) in Betracht. Die Zuordnung der Duldungskonstellation ist ausgehend vom Wortlaut ("substantielle Verwicklung") nicht eben naheliegend 471 , aber wohl noch möglich472 • Diese sprachlich eher fernliegende Einbeziehungsmöglichkeit Delegationen dürfte es sich jedenfalls um diejenigen Argentiniens, Chiles, Guatemalas, Mexikos und Venezuelas handeln; zu deren Resolutionsentwurf s. Bericht Al 6799, GAOR, 22nd session, Annexes vol. 3, S. 10 (Ziff. 27 sub 2. c) i. V. m. 3. b)). 468 Annex zu Resolution 3314 (XXIX); GAOR, 29th session, Supplement 31, s. 142ff. 469 Für die Subsumtion der Duldungskonstellation etwa Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 114; Pillitu, Stato di necessita, S. 208; David, Mercenaires, S. 353 ff.; Tomuschat, EA 36 (1981 ), S. 331 ; nicht ganz eindeutig Sciso, RDI 66 (1983), S. 263 f.; dagegen etwa Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 115; Panzera, Attivita' terroristiche, S. 102 f.; Regourd, AFDI 32 (1986), S. 90; Bothe, JIR 18 (1975), S. 136.; unklar Broms, RdC 154 (1977 1), S. 354; Lillich/Paxman, AmULR 26 ( 1977), S. 273, meinen, daß "nothing helpful is said about acquiescing in the use of territory for terrorist purposes". 47 Für die Subsumtion der Unterstützungskonstellation etwa Sciso, RDI 66 (1983), S. 265ff.; Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 149; wohl auch Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 29, trotz der aufS. 24 artikulierten Zweifel; dagegen etwa Gill, AHDI I (1988), S. 39; wohl auch Stone, Conflict through Consensus, S. 75 f., der Art. 3 g) in AJIL 71 (1977), S. 237, wohl gerade deshalb als "somewhat emasculated Statement of the rule of international law" brandmarkt; sehr reserviert auch Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 115; offenlassend Randelzhofer, EA 30 (1975), S. 627; unklar auch insoweit Broms, RdC 154 (1977 1), S. 354. 471 Ebenso Sciso, RDI 66 (1983), S. 263. 472 So auch Bruha, Aggressionsdefinition, S. 237; interessant in diesem Zusammenhang auch Higginbotham, ColumJTransnat' lL 25 (1987), S. 539 ff., der eine Prägung des Begriffs der substantiellen Verwicklung in einem weiten, die Duldungskonstella-
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III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
109
läßt sich immerhin durch die Gegenüberstellung mit dem vorkonsensualen Entwui"t73 zu Art. 3 g) erhärten, der anstelle der "substantial-involvementKlausel" noch die Wendung "open and active participation therein" (Hervorh. v. Verf.) enthält und somit die Duldungskonstellation eindeutig ausklammert. Doch geht es zu weit, aus der festgestellten Einbeziehungsmöglichkeit einen Konsens in bezug auf die Einbeziehung der staalichen Duldung grenzübergreifender Gewaltakte Privater in den Aggressionsbegriff abzuleiten. Angesichts der Zweideutigkeit des Wortlauts im Hinblick auf die Duldungsvariante ist die Annahme unzulässig, die von einer nicht unerheblichen Zahl von blockfreien und kommunistischen Staaten im Verlauf der Vorarbeiten zu der Resolution artikulierte Reserve gegenüber der Einbeziehung der Duldungskonstellation474 sei mit der Zustimmung zu der endgültigen Formulierung aufgegeben worden. Zutreffend erscheint es dagegen, Art. 3 g) Alt. 2 in bezug auf die Duldungskonstellation als Formelkompromiß, d.h. als Manifestation eines fortbestehenden Dissenses zu bewerten475 . Bezüglich der Entsendeförderungskonstellation ist die Bedeutung des Art. 3 g) Alt. 2 mit der Annahme eines Formelkompromisses nicht angetion einschließenden Sinne durch die Praxis vornehmlich der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts glaubt nachweisen zu können; selbst wenn man eine solche historische Vorprägung einmal als richtig unterstellt, stünden einer Bestimmung des Resolutionsbegriffs der substantiellen Verwicklung doch die nachfolgend im Text skizzierten g·enetischen Erwägungen entgegen. 473 So die treffende Formulierung Bruhas, Aggressionsdefinition, S. 324; dort auch der Text dieses Entwurfs auf den S. 336 f. 474 In dem letzten Kompromißvorschlag von seiten der Blockfreien (Zypern), dem die Sowjetunion zustimmt, wird der Aggressionsbegriff nur auf die Entsendekonstellation erstreckt (Text des Kompromißvorschlages in GAOR, 27th session, Supplement 19, S. 15; sowjetische Erklärung ebd., S. 20). In dem ursprünglichen Blockfreienentwurf (Text bei Bruha, Aggressionsdefinition, S. 332 ff.) bleibt selbst die Entsendekonstellation unberücksichtigt. Der ursprüngliche Entwurf der Sowjetunion (Text bei Bruha, Aggressionsdefinition, S. 331 f.) faßt die Entsendekonstellation sowie weitere nicht weiter spezifizierte Verwicklungsformen unter dem Begriff der indirekten Aggression zusammen. Daß mit dieser Etikettierung die Forderung nach einer abweichenden rechtlichen Behandlung verbunden wird, ergibt sich deutlich aus der Stellungnahme in NAC.l34/SR.84, S. 35. 475 So auch Bruha, Aggressionsdefinition, S. 233, 239, der mit dem zitierten Werk die bei weitem gründlichste und differenzierteste Analyse der Resolution 3314 im allgemeinen, sowie ihres Artikels 3 g) im besonderen vorgelegt hat; abweichend offenbar die Bewertung der ILC: Im Rahmen der im Jahre 1982 wiederaufgenommenen Arbeit an einem "Draft code of crimes against the peace and security of mankind" ist die Auffassung des Sonderberichterstatters offenbar auf Zustimmung gestoßen, wonach die staatliche Verwicklung in der Duldungskonstellation in den Aggressionsbegriff (der Resolution 3314) einbezogen sei, was die Formulierung eines besonderen Verbrechenstatbestandes entbehrlich mache (YILC 1988 li 2, S. 59 (par. 229f.)).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
messen gewürdigt. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß der letzte Kompromißvorschlag von seiten der Blockfreien476 nur die Entsendekonstellation in den Aggressionbegriff einschließt, doch liegt die Anwendung der "substantial-invol vement-Klausel" auf die Entsendeförderungskonstellation sprachlich so nahe, daß es geboten ist, die Annahme des Resolutionstextes ohne entsprechend reservierende Stimmerklärung477 wenigstens als Hinnahme der Weststaaten-Forderung478 nach Einbeziehung der Entsendeförderungskonstellation zu interpretieren. Bezüglich der Grenzziehung zwischen Duldungs- und Entsendeförderungskonstellation liefert die Systematik des Art. 3 einen Anhaltspunkt. Wenn Art. 3f) die Zur-Verfügung-Stellung eigenen Staatsgebiets an einen anderen Staat zur Durchführung einer Aggression selbst als Aggression klassifiziert479 , so erscheint im Hinblick auf die Wertungsgleichheit der Zur-Verfügung-Stellung eigenen Staatsgebiets an Private zur Durchführung einer Aggression, die Zuordnung letzteren staatlichen Verhaltens zur "substantial-involvement-Klausel" angezeigt480 . Es bleibt zu fragen, ob in Art. 3 g) Alt. 2 auch die Hinnahme der Weststaaten-Forderung481 zum Ausdruck kommt, die Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation in den Aggressionsbegriff einzubeziehen. Die englische Fassung ist insoweit unklar, da das Wort "therein" die Frage offen läßt, ob Oben Fn. 474. Eine entsprechende Stimmerklärung ist diejenige Syriens, GAOR, 29th session, 6th committee, 1475th meeting, S. 63, worin Art. 3 g) insgesamt zurückgewiesen wird; zumindest nicht eindeutig in bezug auf die Entsendeförderungskonstellation sind die Stimmerklärungen Mexikos, GAOR, 29th session, Supplement 19, S. 39, und Kubas, GAOR, 29th session, 6th committee, 1479th meeting, S. 85, in denen die Annahme zurückgewiesen wird, Art. 3 g) erfasse Subversion und Terrorismus; zweideutig sind auch die Äußerungen des Iran, GAOR, 29th meeting, 6th committee, 1480th meeting, S. 88, Benins und El Salvadors, beide 1503rd meeting, S. 232, die sämtlich bedauern, daß Art. 3 g) die "indirekte Aggression" nicht erfasse; ganz übergangen wird die zweite Alternative des Art. 3 g) schließlich von Schweden, 1472th meeting, S. 44; soweit in den Stimmerklärungen im übrigen "Vorbehalte" in bezug auf Art. 3 g) erklärt werden, haben diese allein den nationalen Befreiungskampf zum Gegenstand (vgl. die Stimmerklärungen der Sowjetunion, GAOR, 29th session, 6th committee, 1472nd meeting, S. 44; Bulgariens, ebd., S. 49; Kenias, ebd., 1474th meeting, S. 56; Ungarns, ebd. 1477th meeting, S. 78; Yemens, ebd., 1479th meeting, S. 83; Algeriens, ebd., S. 83 ; Malis, ebd., 1480th meeting, S. 88; Ugandas, ebd. S. 89; Obervoltas, ebd., S. 90; Ägyptens, ebd., 1483th meeting, S. 118). 478 So wie sie in dem Formulierungsvorschlag aus dem Jahre 1972 zum Ausdruck kommt, der die Absätze 8 und 9 der Resolution 2625 vollständig aufgreift; GAOR, 27th session, Supplement 19, S. 18. 479 Zu dem Staatenkonsens hinsichtlich der Aufnahme dieses Falles in den Katalog des Art. 3 vgl. Bruha, Aggressionsdefinition, S. 264. 480 Im Ergebnis übereinstimmend Stone, Conflict through Consensus, S. 76. 481 Zu dem diese Forderung beinhaltenden Formulierungsvorschlag vgl. oben Fn. 478. 476
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III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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das "substantial involvement" auf die "acts of armed force" oder das "sending" zu beziehen ist. Allein ersterenfalls wäre die Subsumtion möglich482 , da es ausgeschlossen ist, bei den beiden in Rede stehenden Konstellationen von einer Verwicklung in das Entsenden zu sprechen483 . Damit kommt dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, daß die französische Fassung der zweiten Alternative des Art. 3 g) den Bezug der "Verwicklung" zum "Entsenden" klarstellt, indem es heißt "ou le fait de s'engager d'une maniere substantielle dansuneteile action"4 84 . Danach kann nicht angenommen werden, daß der Widerstand485 der blockfreien und der sozialistischen Staaten gegen die Einbeziehung unserer beiden Verwicklungsformen in den Aggressionsbegriff mit der Zustimmung zu Art. 3 g) aufgegeben worden ist486 . Übereinstimmend mit diesem Befund neigt der ILC-Sonderberichterstatter zum "Draft code of crimes against the peace and security of mankind" dazu, diese Verwicklungsformen nur dem Verbrechen der Intervention zuzuordnen 487 . Auch 482 Dazu daß die Formulierung "against another State" der Subsumtion nicht entgegenstünde, Bruha, Aggressionsdefinition, S. 237 (Fn. 137). 483 Zutreffend Gill, AHDI 1 (1988), S. 39; Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 24.; Roeser, Waffenhandel, S. 171; a.A. offenbar Randelzhofer, EA 30 (1975), s. 627. 484 Text bei Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 119 (Fn. 21 ), und bei Zourek, AFDI 20 (1974), S. 19 ff., Fn. 52; der französischen Fassung entsprechend die deutsche Formulierung bei Meier, AVR 16 (1974- 75), S. 381 und Randelzhofer EA 30 (1975), S. 627, sowie die Deutung der englischen Fassung durch Stone, Conflict through Consensus, S. 75 f.; keine Berücksichtigung findet die französische Fassung bei Bruha, Aggressionsdefinition, S. 237. Nicht stichhaltig ist die von Zanardi in dem zitierten Beitrag (S. 115 bei Fn. 21) geäußerte These, die in der französischen Fassung unzweideutige Verknüpfung der "Verwicklung" mit dem "Entsenden" lege den Ausschluß der Duldungskonstellation nahe. 485 Der Widerstand zeigt sich zunächst unmißverständlich in dem ursprünglichen Blockfreienentwurf sub 7. i. V. m. 5. (Text bei Bruha, oben Fn. 474), dann in dem zypriotischen Kompromißvorschlag, dem die Sowjetunion zustimmt (zum Text oben Fn. 474) und schlägt sich auch im vorkonsensualen Entwurf (zum Text oben Fn. 473) nieder, wie auch Bruha, Aggressionsdefinition, S. 235, anerkennt. 486 Im Ergebnis nicht anders Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 462f., der Art. 3 g) bezüglich der Unterstützungskonstellation als Formelkompromiß bewertet. 487 YILC 1988 II 2, S. 60 f.; in der Bemühung nach Differenzierung zwischen den einzelnen Verbrechen gegen den Frieden etc., die sich in der genauen Bezeichnung der Tatbestände (als Aggression, Intervention etc.) niederschlägt, hebt sich die hier in Bezug genommene zweite Phase der Arbeit der ILC zu den Verbrechen gegen den Frieden etc. von der ersten Phase (in den Jahren 1947 - 1954) ab. Der die erste Phase abschließende Formulierungsvorschlag der ILC (Text in GAOR, 9th session, Supplement 9, S. II f.) erfaßt in Art. 2 (4), der nun in dem Verbrechen der Aggression aufgehen soll (YILC 1988 II 2, S. 59 (par. 229f.), Entsende-, Entsendeförderungs- und Duldungskonstellation sowie in Art. 2 (5) und (6) Unterstützungsund Anstiftungskonstellation, erlaubt aber keine Zuordnung zu den Begriffen "bewaffneter Angriff', "Gewaltanwendung", "Aggression" und "Intervention", weshalb ihm bezüglich unserer Fragestellung Aussagekraft nicht zukommt.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
der IGH lehnt es ab, der Unterstützungskonstellation zuzuordnende Verwicklungsformen Art. 3 g) Alt. 2 zu subsumieren488 . b) Zur Relevanz der sub a) erzielten Ergebnisse für die spätere Praxis zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
Die vorstehend erzielten Ergebnisse betreffen zunächst allein den Begriff der Aggression im Sinne der Resolution 3314. Ihre Verwertbarkeit als spätere Praxis zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN bedarf deshalb der Begründung. Bezüglich des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN ergibt sich die Bedeutung der Resolution aus ihrem Art. 1, der den Aggressionsbegriff auf Fälle der Gewaltanwendung beschränkt. Demzufolge ist Art. 3 g) der Resolution 3314 hinsichtlich Entsende- und Entsendeförderungskonstellation als Bestätigung der Absätze 8 und 9 der Resolution 2625 zu werten. Vorschnell wäre es dagegen, Art. 3 g) als Ausdruck der Rechtsüberzeugung eines Teils der Mitgliedstaaten anzusehen, Duldungs-, Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation fielen entgegen Absatz 9 der Resolution 2625 aus dem Anwendungsbereich des Gewaltverbots heraus. Ausweislich des Art. 2 der Resolution 3314 und deren fünfter Präambelerwägung ist der Aggressionsbegriff der Resolution 3314 enger als derjenige der Gewaltanwendung489. Mithin stellt es kein widersprüchliches Verhalten dar, die Subsumtion von Duldungs-, Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation unter Abs. 9 der Resolution 2625 zu bejahen und gleichzeitig die Einbeziehung derselben Konstellationen in Art. 3 g) der Resolution 3314 zu verneinen490 . Immerhin läßt sich im Hinblick auf Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation feststellen, daß weder aus Art. 3 g) selbst, noch aus dessen Entstehungsgeschichte ein Anzeichen für eine Abkehr von der in Resolution 2625 dokumentierten Rechtsauffassung zu ersehen ist, die entsprechenden Verwicklungsformen seien dem Gewaltverbot entzogen. Schwieriger ist die Frage nach der Relevanz der Resolution 3314 für die Bestimmung des Begriffs des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN zu beantworten. Im Schrifttum gehen die Meinungen weit auseinander. Während die einen 491 die Resolution wie eine Legaldefinition (auch) des 488 ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 195); die These Kahns, Ya1eJint' IL 12 ( 1987), S. 20 (Fn. 63), wonach der IGH die Subsumtion unter den Aggressionsbegriff bejaht und lediglich die Relevanz für den Begriff des bewaffneten Angriffs verneint habe, findet in der zitierten Urteilspassage keine Stütze; ausf. zu der entsprechenden Passage des IGH-Urteils im Nicaragua-Fall unten unter B. V. I. c). 489 Zutreffend Bothe, JIR 18 (1975), S. 135 f. 490 In diesem Sinne ausdrücklich Bulgarien, A/AC.l34/SR.98, S. 71. 49 1 Etwa Virally, RdC 183 (1983 V), S. 103; David, Mercenaires, S. 347; Panzera, Attivita' terroristiche, S. 103; Pillitu, Stato di necessita, S. 207; Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 114; Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 148; Zourek, AFDI 20 (1974), S. 28.
III. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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Angriffsbegriffs behandeln, sprechen andere492 der Aggressionsdefinition insoweit jede Bedeutung ab. Beide Sichtweisen sind abzulehnen. Richtigerweise muß der Resolution 3314 der Anspruch entnommen werden, den Begriff des bewaffneten Angriffs innerhalb ihres Anwendungsbereichs, also nicht abschließend, zu definieren. Dies bedeutet, daß aus der Aufnahme eines Verhaltens in den Katalog des Art. 3 die Rechtsüberzeugung abgeleitet werden darf, dieses Verhalten stelle bei fehlender Rechtfertigung einen bewaffneten Angriff dar. Nicht zulässig ist dagegen der Schluß von der Ausklammerung eines bestimmten Verhaltens aus Art. 3 auf die Rechtsüberzeugung, dieses Verhalten scheide als Kandidat eines bewaffneten Angriffs aus. Diese Thesen bedürfen der Begründung. Die Resolution wendet sich in ihrer ersten und zweiten Präambelerwägung sowie in Art. 2 und 4 an den Sicherheitsrat und nimmt unmißverständlich den Begriff der Aggression nach Art. 39 SVN, und nicht denjenigen des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN, als Gegenstand der Definition in Bezug. Darin kommt die Zurückweisung des anfänglichen Bestrebens der Blockfreien zum Ausdruck, den Begriff des bewaffneten Angriffs mittels der Aggressionsdefinition abschließend zu definieren 493 . Mit der Akzeptanz des Resolutionstextes wird deshalb nicht der Rechtsauffassung Ausdruck verliehen, die in Art. 3 aufgelisteten Verhaltensweisen seien alleine Kandidaten eines bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN494 . Offen bleibt insbesondere die Einordnung "weniger schwerer" Fälle der staatlichen Gewaltanwendung sowie die nicht-staatliche Gewaltanwendung495 . Die weitere These, wonach die Annahme der Resolution 3314 als Ausdruck der Überzeugung zu werten ist, die in Art. 3 genannten Verhaltensweisen seien bei fehlender Rechtfertigung bewaffnete Angriffe, mag nach 492 Etwa Randelzhofer, EA 30 (1975), S. 629 f.; Bothe, JIR 18 (1975), S. 136f.; Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 77.; zu dieser Sicht scheint auch Röling, FS Menzel, S. 401, zu neigen, doch bleiben die Ausführungen, insbesondere i. V.m. denen auf S. 394 letztlich unklar; nichts anderes gilt für dens. in Cassese, (Hg.), Use of Force, S. 419 i.V.m. 416; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 33, Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 738f.; Gill, AHDI I (1988), S. 36 meinen der Resolution "Hinweise" in bezug auf den Angriffsbegriff entnehmen zu können; eine von derjenigen im Text abweichende Fragestellung liegt den Ausführungen von Eustathiades, RHDI 28 (1975), S. 74 ff., zugrunde: Eustathiades überprüft die Regelbeispiele in Art. 3 daraufhin, ob sie dem von ihm als feststehend vorausgesetzten Begriff des bewaffneten Angriffs entsprechen und gelangt in bezug auf Art. 3 g), ohne dessen Inhalt näher zu bestimmen, zu einem positiven Ergebnis (S. 66). 493 Zu diesem Bestreben Bruha, Aggressionsdefinition, S. 136ff. 494 Zutreffend Bruha, Aggressionsdefinition, S. 110 (Fn. 62); vgl. in diesem Sinne auch die Stimmerklärungen Israels, GAOR, 29th session, 6th committee, 1480th meeting, S. 91 f., und Jamaikas, ebd., S. 87. 495 Israel nennt als Beispiel für einen von Art. 3 nicht erfaßten Fall der "bewaffneten Aggression" Gewaltakte von einer "group of persons", GAOR, 29th session, 6th committee, 1480th meeting, S. 93. 8 Kreß
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
der Feststellung, daß nur der Aggressionsbegriff Definitionsgegenstand ist, inkonsequent erscheinen. Doch gilt es zu beachten, daß unter Aggression im Sinne der Resolution 3314 nach deren fünfter Präambelerwägung i. V. m. den Art. 1 und 2 die schwerwiegendste Form staatlicher Gewaltanwendung verstanden wird. Und auf diese muß der Begriff des bewaffneten Angriffs nach jeder denkbaren Auslegung erstreckt werden496 . Die verbreitete Auffassung, wonach der hier befürwortete Schluß aus der Resolution 3314 nicht gezogen werden dürfe, weil der Begriff des bewaffneten Angriffs enger sei als derjenige der Aggression497 , ist verfehlt, weil hierbei von einem bestimmten (Vor-) Verständnis des Aggressionsbegriffs ausgegangen wird, anstatt die Begriffsbestimmung zum Maßstab zu nehmen, die die Resolution selbst enthält498 • An diesem Befund ändert sich auch dann 496 Zutreffend deshalb Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 139 (Fn. 15): "lt (die Resolution 3314, Verf.) is of course a definition not of ,arrned attack' but of the concept of ,aggression' ... But it is relevant to the concepts of ,armed attack' and ,self-defence' in that it would presumably be absurd to suggest that any act that (according to the definition) the Security Council might properly find to qualify as an ,aggression' might not give rise at least to the right of self-defense." Nur in einem (praktisch weniger bedeutsamen) Punkt könnte der Begriff der Aggression im Sinne der Resolution 3314 über denjenigen des bewaffneten Angriffs hinausgehen. Nimmt man aus den von Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 33 ff., dargelegten Gründen an, daß als Objekt des bewaffneten Angriffs nur die Gebietshoheit, nicht aber die territoriale Souveränität in Betracht kommt, so ginge der Aggressionsbegriff im Sinne der Resolution 3314 in bezug auf das verletzte Rechtsgut über den Begriff des bewaffneten Angriffs hinaus. Daher konsequent Meier, AVR 16 (1974/75), S. 380: "Die nach der Resolution der Generalversammlung vorgenommene Begriffsbestimmung der Aggression würde gegenüber dem bewaffneten Angriff im wesentlichen nur eine Ausweitung in Richtung auf das verletzte Rechtsgut ... bedeuten". Die Rechtsgutsfrage erlangt dann Bedeutung, wenn (ausnahmsweise) territoriale Souveränität und Gebietshoheit auseinanderfallen. 497 So aber noch Knof/ Kress, ÖZöRV 41 (1990), S. 16; daneben etwa Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 114f.; Blumenwitz, BayVBI 1986, S. 739; Sciso, RDI 66 (1983), S. 275 (Fn. 50); Bothe, JIR 18 (1975), S. 136 (Fn. 27) (mit der Einschränkung "wohl enger"); hinter dieser Auffassung steht zumeist (Zanardi, S. 119 (Fn. 20); Sciso, S. 275; Bothe, S. 137) die Befürchtung, der im Text befürwortete Schluß könne zu einer Ausdehnung des Begriffs des bewaffneten Angriffs beitragen. Diese Sorge konzentriert sich auf die in Art. 3e) und f) aufgeführten Aggressionsfälle, da diese nach Auffassung der Vertreter dieser Auffassung nicht voraussetzen, daß Gewaltakte tatsächlich stattgefunden haben (hierauf stellt ausgehend von seiner Fragestellung (oben in Fn. 492) auch Eustathiades, RHDI 28 (1975), S. 80, ab). Hierzu ist an dieser Stelle nur zu sagen, daß die Buchstaben e) und f) in Verbindung mit Art. 1 einer engeren als der vorgestellten Auslegung durchaus zugänglich sind; vgl. etwa Bruha, Aggressionsdefinition, S. 116; unklar Bothe, JIR 18 (1975), S. 134 f. einerseits, S. 137 andererseits. 498 Im Ansatz richtig daher Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 148, und Stuesser, Calitwlnt'lLJ 17 (1987), S. 25 f., die jedoch zur Begründung der Relevanz für die Begriffsbestimmung des bewaffneten Angriffs den Hinweis genügen lassen, die Resolution 3314 verstehe unter Aggression die Anwendung von Gewalt. Wegen des
Ill. Die allgemeine Resolutionspraxis der VN-Mitgliedstaaten
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nichts, wenn man in Rechnung stellt, daß jedenfalls die kommunistischen Staaten während der Ausarbeitung des Resolutionstextes haben erkennen lassen, ihrer Auffassung nach sei der Begriff der Aggression gemäß Art. 39 SVN weiter als derjenige des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN499 . Denn die Aufrechterhaltung dieser Position müßte nach der Annahme der Resolution 3314 ohne entsprechende Stimmerklärung500 als widersprüchliches Verhalten gewertet werden. Die Ausstrahlungswirkung der Resolution auf den Begriff des bewaffneten Angriffs ist von den Staaten im übrigen gerade bei der Genese des Art. 3 g) so genau beachtet worden, daß gesagt werden kann, der Weg der Kompromißbildung sei hier vor dem Hintergrund des Streits um die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts verlaufen 501 • Würdigt man Art. 3 g) der Resolution 3314 nach Maßgabe der vorstehenden Überlegungen als spätere Praxis zu Art. 51 SVN, so ergibt sich für die einzelnen Verwicklungsformen folgendes: Mit Blick auf die Entsende- und Entsendeförderungskonstellation ist ein Konsens des ganz überwiegenden Teils der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Annahme ersichtlich, bei Durchführung hinreichend schwerwiegender Gewaltakte liege ein staatlicher bewaffneter Angriff vor. Die entsprechende Annahme zahlreicher Staaten im Hinblick auf die Duldungskonstellation ist sicher nicht ganz überwiegend auf Konsens gestoßen und findet ihren Niederschlag dementsprechend lediglich in einem Formelkompromiß. Betreffs der Unterstützungs- und Anstiftungskonstellation dokumentiert der Resolutionstext die ablehnende Haltung eines erheblichen Teils der Staatengemeinschaft gegenüber der von zahlreichen Staaten vorgetragenen Rechtsbehauptung, die Verwicklung begründe einen staatlichen bewaffneten Angriff. Streits um die Frage, ob der Begriff des bewaffneten Angriffs nur schwerwiegendere Fälle der Gewaltanwendung erfasse, reicht besagter Hinweis nicht aus. 499 Vgl. nur die Stellungnahme der Sowjetunion in NAC.l34/SR.l05, S. 16.; wie sich insoweit die Auffassung(en) der blockfreien Staaten entwickelt haben, nachdem diese feststellen mußten, mit ihrem ursprünglichen (s. oben im Text bei Fn. 493) Definitionskonzept nicht durchdringen zu können, bleibt ungewiß. 500 Wie sie etwa von Mexiko abgegeben worden ist: "Art. 3 g) could under no circumstances be interpreted as adding to the number of situations in which the right of self-defence in accordance with the Charter could be invoked", GAOR, 29th session, Supplement 19, S. 39. 501 Bruha, Aggressionsdefinition, S. 231, daneben auch S. 171; Bruha betont die "Neutralität" des Art. 3 g) "im Hinblick auf das Verhältnis indirekter Aggression zum Selbstverteidigungsrecht" (S. 234), wobei er sich auf das Fehlen einer ausdrücklichen lnbezugnahme des Angriffsbegriffs stützt. Im Zusammenhang (vgl. Bruhas Text nach Fn. 111) kann diese Formulierung Bruhas dahin verstanden werden, Art. 3 g) beinhalte nicht die konsentierte abschließ ende Fixierung des Verhältnisses der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater zum Selbstverteidigungsrecht 8*
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Hinsichtlich der Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation schließlich können Rückschlüsse nur aus den Entwürfen zu Art. 3 g) gezogen werden. Eine Erörterung dieser Konstellationen hat im Verlauf der Kompromißbildung nicht stattgefunden, was darauf beruht, daß die Entwürfe darin übereinstimmen, daß die Annahme einer Aggression in diesen Konstellationen ausscheidet. Hieraus folgt für die Verfasser des Blockfreienentwurfs502 und die kommunistischen Staaten503 , nicht hingegen für die übrigen Staaten zwingend die Ablehnung eines Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN.
4. Die Resolution 42/22 der Generalversammlung vom 18. November 1987504 Unter 6.) des operativen Teils dieser Resolution werden Formen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater mit den Worten angesprochen: "States shall fulfil their obligations under international law to refrain from organizing, instigating, or assisting or participating in paramilitary, terrorist or subversive acts, including acts of mercenaries, in other States, or acquiescing in organized activities within their territory directed towards the commission of such acts".
Über die Beziehung dieser Staatenpflichten zu der Pflicht gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN, die die Resolution unter 1.) Satz 1 wörtlich wiederholt, gibt der zitierte Passus weder aus sich heraus noch im Gesamtzusammenhang der Resolution betrachtet Aufschluß 505 . So kann aus dieser Resolution nicht mehr als die Rechtsüberzeugung von der Völkerrechtswidrigkeit der 502 Nach deren Konzept erstens der Aggressionsbegriff mit demjenigen des staatlichen bewaffneten Angriffs identifiziert werden soll und zweitens das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN einen staatlichen bewaffneten Angriff voraussetzt, vgl. den Passus sub 3.) im Blockfreienentwurf 503 Nach deren Überzeugung das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN an das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs geknüpft ist, der als gegenüber dem Aggressionsbegriff (nach dem ursprünglichen Konzept) engerer Begriff eine staatliche Gewaltanwendung voraussetzt. 504 Declaration on the Enhancement of the Effectiveness of the Principle of Retraining from the Threat or Use of Force in International Relations; Text in GAOR, 42nd session, Supplement 49, S. 287ff. ; die Resolution basiert auf den Vorarbeiten eines Spezialkomittees, dessen erster Arbeitsbericht aus dem Jahre 1979 stammt (GAOR, 34th session, Supplement 41, N34/41 ), und das seine Arbeit mit dem Bericht aus dem Jahre 1987 (GAOR, 42nd session, N42/41) abgeschlossen hat. 505 Abschnitt I des operativen Teils der Resolution mit dem Gewaltverbot unter 1.) und dem zitierten Passus unter 6.) besteht entgegen der Ankündigung im Titel aus einer Aneinanderreihung diverser staatlicher Grundpflichten bis hin zum Gesichtspunkt des good faith unter 12.). Während der Arbeit des Spezialkomittees aufgetretene Fragen wie etwa diejenige der Ausdehnung des Gewaltbegriffs auf sämtliche Formen der Zwangsanwendung (vgl. das Arbeitspapier blockfreier Staaten in GAOR, 36th session, Supplement 41, S. 67 f.) läßt der Resolutionstext unbeantwortet.
IV. Die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten
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benannten Verwicklungsformen deduziert werden, wobei es für dieses Verdikt nicht darauf ankommt, ob Gewaltakte tatsächlich vorgenommen werden506 . Hinsichtlich der Zuordnung zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN erschöpft sich der Wert der Resolution in der Bekräftigung der Resolutionen 2625 und 3314 gemäß der dritten Präambelerwägung.
IV. Die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten 1. Die Praxis der Mitgliedstaaten des Rio-Vertrages vom 2. September 1947507 Die Bedeutung dieses regionalen Vertragswerkes für unsere Problematik gründet nicht nur in der engen zeitlichen Verknüpfung mit der SVN, sondern vor allem in dem Umstand, daß die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater bei der Anwendung des Vertrages wenigstens in der Anfangsphase eine herausgehobene Rolle gespielt hat. Die Notwendigkeit, den Vertragstext und die diesbezügliche Praxis als spätere Praxis zu der SVN zu berücksichtigen erhellt nicht nur aus der Bezugnahme des Art. 3 Rio-Vertrag auf Art. 51 SVN, sondern auch aus Art. 10 Rio-Vertrag, der die SVNkonforme Auslegung zu einer Vertragspflicht erhebt. a) Der Text des Rio-Vertrages
Schon die Fassung des Vertragstextes wird teilweise als Ausdruck einer bestimmten Rechtsauffassung zu unserer Problematik angesehen. Bemerkenswerterweise werden insoweit jedoch einander entgegengesetzte Schlüsse gezogen. Dupuy führt den Rio-Vertrag als Beleg für eine Rechtsauffassung an, wonach die SVN staatliche Gewaltanwendung (Zwangsmaßnahmen kollektiver Sicherheit ausgenommen) nur zur Abwehr einer "attaque armee de type classique" erlaube508 . Letzterer Begriff soll die Fälle staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater offenbar nicht erfassen, da ihm die "indirekte bewaffnete Aggression" ohne weitere Differenzierung gegenübergestellt wird. Dupuy begründet seine Sicht mit einem Vergleich zwischen Art. 3 Rio-Vertrag und einer Formulierung in dem vor der SVN abgefaßten Akt von Chapultepec 509 . Während nach dieser Formulierung Gewalt in Reaktion auf jeden Angriff eingesetzt werden dürfe, knüpfe Art. 3 Rio-Vertrag diese Befugnis an das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs. Mit dieser RestrikInsoweit geht die Resolution 42/22 über Absatz 9 der Resolution 2625 hinaus. UNTS 21, S. 92ff. 5os AFDI 5 ( 1959), S. 460. 509 Text in General Secretariat of the Organization of American States (Hg.), The lnter-American System I 2, S. 270ff. 506 507
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
tion, die eine entsprechende Auslegung der SVN, insbesondere deren Art. 51, durch die Rio-Vertragstaaten dokumentiere, werde Gewaltanwendung gegen "indirekte bewaffnete Aggressionen" ausgeschlossen. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Einmal unterstellt, die Abweichung des Art. 3 Rio-Vertrag von der Fassung des Akts von Chapultepec brächte die Überzeugung der Rio-Vertragstaaten zum Ausdruck, die SVN erlaube Gewaltanwendung (Zwangsmaßnahmen ausgenommen) nur zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs, so käme es für die Richtigkeit von Dupuys These darauf an, gerade aus der konstatierten Abweichung einen Hinweis darauf gewinnen zu können, daß die Rio-Vertragstaaten den Begriff des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN eng als "attaque armee de type classique" im Sinne Dupuys verstehen. Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Im übrigen ist bereits Dupuys Prämisse fragwürdig. So wird die Auffassung vertreten, die Rio-Vertragstaaten hätten mit der Fassung der Art. 6 und 8 der Rechtsüberzeugung Ausdruck verliehen, nach der SVN sei Gewaltanwendung nicht allein zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs, sondern generell zur Abwehr schwerer Rechtsverletzungen zulässig510. Sciso führt ausgehend von dieser Auffassung den Rio-Vertrag als Beleg für die Rechtsüberzeugung an, der zufolge die SVN staatliche Gewaltanwendung in der Unterstützungskonstellation erlaubt511 . Hiermit stellt sie die These Dupuys auf den Kopf. Es ist nicht zu bestreiten, daß der Wortlaut des Art. 8 Rio-Vertrag eine Auslegung gestattet, wonach Gewaltanwendung auch zur Abwehr von Aggressionen nach Art. 6 Rio-Vertrag zulässig ist, d. h. zur Abwehr solcher Aggressionen, die keinen bewaffneten Angriff darstellen512. Da diese Gewaltanwendung nicht von einer Ermächtigung nach Art. 53 I2 SVN abhängig ist, weshalb sie verstanden als Maßnahme kollektiver Sicherheit gegen die SVN verstieße513 , bliebe nur die Möglichkeit, sie als neben Art. 3 Rio-Vertrag zweiten Fall nach dem Rio-Vertrag zulässiger Selbstverteidigung einzuordnen514. Da der Rio-Vertrag den Anspruch erhebt, mit der SVN in Einklang zu stehen, müßte dies als Ausdruck der Rechtsüberzeugung verstanden werden, der SVN liege ein entsprechend weites Selbstverteidigungskonzept zugrunde. Allerdings ist das vorgestellte Verständnis des Rio-Vertrages anfechtbar. Zunächst harmoniert die Annahme eines Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 6 i. V. m. 8 Rio-Vertrag nicht mit Art. 3 Rio-Vertrag. Diese Bestimmung allein spricht von Selbstverteidigung, was auf eine abschließende Thomas/Thomas, OAS, S. 265. RDI 66 (1983), S. 278. 5 12 Kutzner, OAS, S. 192; Epping, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 423 (Rdnr. II). 5 13 Zu dem untauglichen Versuch, zur Vermeidung dieses Ergebnisses "Ermächtigung" nach Art. 5312 SVN in "Kenntnisnahme" umzudeuten, Kutzner, OAS, S. 191. 514 So der Gedankengang Scisos, RDI 66 (1983), S. 278. 510
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IV. Die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten
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Regelung hindeutet515 . Des weiteren steht das in Art. 6 i. V. m. 8 Rio-Vertrag vorgesehene Verfahren im Widerspruch zu der Annahme einer Selbstverteidigungsmaßnahme516. Danach sprechen gewichtige Griinde dafür, die in Art. 8 Rio-Vertrag vorgesehene Option der Gewaltanwendung auf den Fall des Art. 3 112 Rio-Vertrag zu beschränken 517 • Angesichts der hiernach bestehenden Unsicherheit muß auch die These Scisos zurtickgewiesen werden, wonach der Text des Rio-Vertrages mit hinreichender Verläßlichkeit die Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten erkennen läßt, daß nach der SVN in der Unterstützungskonstellation ein Selbstverteidigungsrecht gegenüber dem verwickelten Staat bestehe. b) Die spätere Praxis zum Rio-Vertrag
Die Praxis bezüglich der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater setzt im Dezember 1948 mit einer auf Art. 6 Rio-Vertrag gestützten Beschwerde Costa Ricas ein. Hiernach soll Nicaragua im Sinne der Sorgfaltswidrigkeitskonstellation in gegen Costa Rica gerichtete Gewaltakte Privater verwickelt sein. Das Konsultationsorgan des Rio-Vertrages verurteilt Nicaragua wegen seiner angesprochenen Verwicklung und nennt als einschlägige Norm das Interventionsverbot518 . Die wesentlichen Elemente dieser ersten Anwendung des Rio-Vertrages auf eine unserer Konstellationen (Rekurs auf Art. 6 und nicht auf Art. 3; Rekurs auf das Interventionsverbot und nicht auf das Gewaltverbot; keine Behauptung einer Befugnis des betroffenen Staates zum Einsatz grenzübergreifender Gegengewalt) sind auch bei den Konflikten zwischen Haiti und der Dominikauischen Republik519, zwischen der Dominikauischen Republik und Kuba520 jeweils im 515 Über die Reichweite des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 3 Rio-Vertrag ist damit nichts ausgesagt. 516 Nach dem Verfahren zu urteilen liegt die Einordnung der Maßnahmen nach Art. 6 i. V. m. 8 Rio-Vertrag als solche kollektiver Sicherheit auf der Hand. 517 Zu dieser Möglichkeit Kutzner, OAS, S. 193. Zu der Frage, ob sich diese Auslegung sogar zwingend aus dem Gebot SVN-konformer Auslegung gemäß Art. 10 Rio-Vertrag ergibt, ist an dieser Stelle nicht Stellung zu nehmen, da der Rio-Vertrag hier als spätere Praxis zur SVN, d. h. nur insoweit interessiert, als er für sich genommen ein bestimmtes Verständnis der Bestimmungen der SVN zum Ausdruck bringt; die Möglichkeit einer SVN-konformen Auslegung der Art. 6 i. V.m. 8 Rio Vertrag wird ausgeschlossen von Epping, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 423 (Rdnr. 11). Epping hält diese Bestimmungen für teilweise satzungswidrig; ebenso Seara Vazquez, AFDI 10 (1964), S. 646ff. 518 Zu den Stellungnahmen Costa Ricas und des Konsultationsorgans s. The Inter-American System (Inter-American Institute), S. 122 f. 5 19 The Inter-American System (Inter-American Institute), S. 124f.; Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 119, 247, 354 jew. m. w.Nachw. 520 The Inter-American System (lnter-American Institute), S. 126ff.; Thomas/ Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. l80ff. m.w.Nachw.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Jahre 1950 sowie zwischen Venezuela und der Dominikanischen Republik im Jahre 1960521 anzutreffen. Dabei ist bemerkenswert, daß die geltend gemachte und festgestellte Verwicklung in die Gewaltakte Privater in allen diesen Fällen deutlich über die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation hinausgeht522. Dieser Umstand führt bei den beiden zuletzt genannten Konflikten nur dazu, neben dem Interventionsverbot auch den Begriff der Aggression anzuführen 523 , in dem zuletzt genannten Konflikt zudem zu der Verhängung gewaltloser Sanktionen524 . Eine signifikante Modifikation der Praxis zum Rio-Vertrag ist mit dem Konflikt zwischen Venezuela und Kuba in den Jahren 1963 und 1964525 zu verzeichnen. Es wird als erwiesen angesehen, daß Kuba gewaltbereite Private trainiert, vor allem aber Gewaltakte Privater auf dem Territorium Venezuelas durch Finanzierung und Waffenlieferungen unterstützt. Zwar wird das Verhalten Kubas in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis nicht etwa als Gewaltanwendung oder bewaffneter Angriff, sondern als Intervention und Aggression bezeichnet und gestützt auf die Art. 6 und 8 Rio-Vertrag werden gewaltlose Sanktionen verhängt. Doch das Konsultationsorgan erklärt darüber hinaus, "to warn the Government of Cuba that if it should persist in carrying out acts that possess characteristics of aggression and ·intervention against one or more of the member states of the Organization, the member states shall preserve their essential rights as sovereign states by the use of self-defense in either individual or collective form, which could go so far as resort to armed force (Hervorh. v. Verf.)"526 . Nach dieser Stellungnahme ist es bezüglich der Entsende-, Entsendeförderungs- und Unterstützungskonstellation nicht mehr möglich, die spätere Praxis zum Rio-Vertrag als Beleg für eine Rechtsauffassung in Anspruch 52 1 The Inter-American System (Inter-American Institute), S. I 39 ff.; Thomas/ Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 122, 182ff., 254 jew. m. w.Nachw. 522 Der Konflikt zwischen Haiti und der Dominikauischen Republik kann als Anstiftungskonstellation eingeordnet werden. In den beiden anderen Konflikten geht es jeweils um eine Entsendeförderungskonstellation. 523 The Inter-American System (Inter-American Institute), S. 127 einerseits, S. 141 andererseits. 524 The Inter-American System (lnter-American Institute), S. 141. 525 Hierzu ausführlich Seara Vazquez, AFDI 10 (1964), S. 638ff.; s. daneben The lnter-American System (lnter-American Institute), S. 166ff.; Thomas/Thomas/ Salas, Indirect Aggression, S. 188ff., 255ff., 356jew. m.w.Nachw. 526 The Inter-American System (lnter-American Institute), S. 169; gegen diese Erklärung sprechen sich allerdings Mexiko, Chile, Bolivien und Uruguay aus. Mexiko hält den im Text zitierten Passus für unvereinbar mit Art. 3 und 10 Rio-Vertrag; die Erklärung Mexikos ist abgedruckt bei Seara Vazquez, AFDI 10 (1964), S. 643 (Fn. 13 ), der diesen Standpunkt teilt (S. 644 ff. ).
IV. Die partikulare Vertragspraxis von VN-Mitgliedstaaten
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zu nehmen, derzufolge grenzübergreifende Gegengewalt des Zielstaates bzw. dritter Staaten unzulässig ist527 •
2. Zur partikularen Vertragspraxis im übrigen Bei der Anwendung anderer multilateraler Bündnisverträge hat unsere Problematik soweit ersichtlich keine Bedeutung erlangt. Aufmerksamkeit verdient jedoch bereits die Formulierung der Bündnisklauseln. Drei für die spätere Praxis erhebliche Bündnisklauseln, so neben Art. 3 Rio-Vertrag528 , Art. 4 Warschauer Pakt529 und Art. 6 Arabische Liga530 (die ersten beiden Artikel verweisen ausdrücklich auf Art. 51 SVN), knüpfen den Bündnisfall an das Vorliegen eines staatlichen bewaffneten Angriffs (nach Art. 6 Arabische Liga: einer staatlichen Aggression). Dagegen sprechen wie Art. 51 SVN schlicht von einem bewaffneten Angriff Art. 4 SEAT0531 , Art. 4 "ANZUS"-Vertrag532, Art. 5 WEU 533 und Art. 5 NAT0534 . Bezüglich des letzteren Vertrages darf aber nicht übergangen werden, daß die USA bei der Ratifizierung davon ausgegangen sind, "that the words ,armed attack' clearly do not mean an incident created by irresponsible groups or individuals, but rather an attack by one state upon another" 535 . Dieselbe Auslegungsfrage zu Art. 5 NATO-Vertrag ist jüngst im Zusammenhang mit dem Kurden-Konflikt536 von Deutschland und der Türkei berührt worden, ohne daß es hierbei zu einer vollständigen Klärung der Positionen gekommen 527 So wie zum Teil im älteren Schrifttum geschehen, s. etwa Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 128 f., unter Hinweis auf den Konflikt zwischen Costa Rica und Nicaragua von 1948; Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 731 (Fn. 6), führt denselben Konflikt als Beleg für die These an, daß unter Beteiligung einer Regierung durchgeführte Operationen Privater bei geringfügigem Umfang "wahrscheinlich" nicht in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN fielen; vgl. dagegen die Berücksichtigung des Venezuela-Kuba-Konfliktes bei Sciso, RDI 66 (1983), S. 279 (Fn. 58), und Moore, AJIL 80 ( 1986), S. 85 f. 528 Nicht ganz eindeutig allein die französische Fassung "attaque armee provenant de quelque Etat" (UNTS 21, S. 94); vgl. demgegenüber die portugiesische ("ataque armado, por parte de qualquer Estado"; ebd., S. 80), die spanische ("ataque armado por parte de cualquier Estado"; ebd., S. 81) und die englische ("armed attack by any State") Fassung. 529 UNTS 219, S. 3ff. 530 UNTS 70, S. 237ff. (englische/französische Übersetzung ebd., S. 248ff.) 531 UNTS 209, S. 30. 532 UNTS 131, S. 86. 533 UNTS 211 , S. 344 =Art. 4 Brüsseler Vertrag, UNTS 19, S. 53. 534 UNTS 34, S. 245. 535 So das Senatskomittee für auswärtige Beziehungen; vgl. die Wiedergabe des Zitats bei Zanardi, Legittima Difesa, S. 255 (Fn. 175), und den Bericht von Heindel/Kalijarvi/Wilcox, AJIL 43 (1949), S. 645. 536 Dazu schon oben unter B. II. 26.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
wäre. Deutschland hat der Türkei vorgeworfen, von Deutschland gelieferte Waffen gegen Kurden eingesetzt zu haben. Damit habe die Türkei einen Vertragsbruch begangen, da diese Waffen gemäß dem einschlägigen Militärhilfeabkommen nur im Bündnisfall nach Art. 5 NATO eingesetzt werden dürften, welcher einen Angriff von außen voraussetze 537 . Hiernach scheidet die Anwendung des Art. 5 NATO-Vertrag auf innerstaatliche Gewaltanwendung Privater aus 538 . Offen bleibt bei der Rede vom "Angriff von außen" dagegen die Frage der Anwendbarkeit von Art. 5 NATO-Vertrag auf grenzübergreifende Angriffe Privater, was angesichts der Tatsache erstaunt, daß das Vorliegen solcher Angriffe in der jüngsten Phase des Kurdenkonflikts von seiten der EG-Mitgliedstaaten anerkannt worden ist539 . In einem Briefwechsel mit dem deutschen Außenminister540 stimmt der türkische Außenminister der Formel vom "Angriff von außen" zu und verweist gleichzeitig auf Paragraph 13 des NATO-Kommuniques vom November 1991, in dem es heißt, Akte des Terrorismus könnten die Sicherheit des Bündnisses beeinträchtigen. Da sich der angesprochene Passus des NATOKommuniques allein auf Art. 4 NATO-Vertrag bezieht, bleibt unklar, ob die Türkei für die Erstreckung des Bündnisfalles auf grenzübergreifende Angriffe Privater eintritt.
V. DasSachurteil des IGH vom 27. Juni 1986 im Streitfall zwischen Nicaragua und den USA541 1. Die Kernaussagen des relevanten Teils der Urteilsbegründung Das Urteil enthält insoweit Aussagen mit unmittelbarem Bezug zu der Problematik der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater als es die amerikanische Verwicklung in die Gewaltanwendung der Contras in Nicara537 Vgl. die Information 110/92 des Pressereferats des Auswärtigen Amtes über eine Erklärung des deutschen Außenministers. 538 Vgl. auch die Stellungnahme, die der deutsche Bundeskanzler im Hinblick auf das türkische Vorgehen abgegeben hat: "Wir können nicht hinnehmen, daß von uns geliefertes Material im Rahmen innerer Konflikte eingesetzt wird"; zit. nach Information 203/92 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung über die Regierungserklärung vom 02. 04. 1992. 539 Vgl. das Zitat oben unter B.ll. 26. bei Fn. 381. 540 Vgl. hierzu FAZ vom 03.06. 1992, S. 6. 541 Zu der Behandlung dieses Konflikts durch die Streitparteien sowie die nicht beteiligten Mitgliedstaaten oben unter B. II. 23. a); auf Nachweise zu den zahlreichen Rezensionen dieses Urteils wird an dieser Stelle verzichtet. Die einschlägige Literatur ist unten unter C. (insbes. 111.) berücksichtigt. Das mit dem hier relevanten Sachurteil nicht abgeschlossene gerichtliche Verfahren ist durch Anordnung des lOHPräsidenten vom 25. September 1991 aus der Liste der anhängigen Verfahren gestrichen worden (dazu VN 1992, S. 30).
V. DasSachurteil des IGH vom 27. Juni 1986
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gua einer rechtlichen Bewertung unterzieht. Hierbei erweist sich die das gesamte Urteil kennzeichnende enge Anlehnung an den ersten Teil des Konventionsentwurfs der ILC über die Voraussetzungen der Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Verhalten als besonders bedeutsam542 . a) Die Zurechnungsebene
In einem ersten Schritt prüft der IGH in Anlehnung an Art. 8 a) ILC-Entwurf, ob die militärischen Aktivitäten der Contras den USA zuzurechnen sfnd543 . In diesem Zusammenhang untersucht der IGH den Grad der Verwicklung der USA in die Gewaltakte der Contras genauer. Für die Zeit von 1981 bis 1984 hält es das Gericht für erwiesen, daß die Contras von den USA massiv unterstützt worden sind544 . Dieser Grad der Verwicklung der USA in die Aktivitäten der Contras reicht jedoch nach Auffassung des Gerichts zur Zurechnung nicht aus. Im Gegenteil wird die Zurechnung mit der Begründung verneint, daß "despite the heavy subsidies and other support provided to them (den Contras, Verf.) by the United States, there is no clear evidence of the United States having actually exercised such a degree of control in all fields as to justify treating the cantras as acting on its behalf'545 . b) Die Primärnormebene
In einem zweiten Prüfungsschritt geht der IGH in Übereinstimmung mit dem von Art. 11 II ILC-Entwurf vorgegebenen Duktus der Frage nach, ob die festgestellten Unterstützungshandlungen der USA als solche gegen Völkerrecht, insbesondere gegen das Gewaltverbot verstoßen. Dabei arbeitet das Gericht mit dem völkergewohnheitsrechtliehen Gewaltverbot, da seiner Auffassung nach prozessuale Gründe der Berücksichtigung des Gewaltverbots der SVN und der OAS entgegenstehen546 . Bei der Subsumtion unter 542 Hierzu bereits in der Einleitung bei Fn. 11; der Artikelentwurf ist von der ILC 1980 in erster Lesung angenommen worden. Bezeichnenderweise beruht der Text ganz wesentlich auf der Vorarbeit des Sonderberichterstatters Ago, der dann zum Richter am IGH gewählt worden ist und in dieser Eigenschaft an dem Urteil mitgewirkt hat. In seiner individuellen Stellungnahme, ICJ Reports 1986, S. 188 f. (par. 16), betont Ago die Anlehnung des Urteils an den ILC-Entwurf. 543 ICJ Reports 1986, S. 53 ff. (par. 93 ff.). 544 ICJ Reports 1986, S. 62 (par. 108 a.E.). 545 ICJ Reports 1986, S. 62 (par. 109). 546 Der IGH hält sich hinsichtlich der Anwendung der beiden Vertragswerke für unzuständig. Dies aufgrund eines Vorbehalts in der amerikanischen Unterwerfungserklärung, der "disputes arising under a multilateral treaty, unless (I) all parties to the treaty affected by the decision are also parties to the case before the Court, or (2) the United States of America specially agrees to jurisdiction" von der IGH-
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
das Gewaltverbot differenziert das Gericht: Während die Bewaffnung und das Training der Contras dem Gewaltverbot unterfalle (wobei es abweichend von der französischen in der englischen Urteilsfassung547 heißt, hierin liege ein Verstoß gegen das Gewaltverbot oder gegen das Verbot der Gewaltandrohung ), sei die Subsumtion der anderen Unterstützungshandlungen unter das Gewaltverbot nicht mit derselben Sicherheit zu vollziehen548 . Jedenfalls außerhalb des Gewaltverbots bleibe die finanzielle Unterstützung. Diese unterfalle allein dem lnterventionsverbot549, das daneben auch die übrigen Unterstützungshandlungen erfasse550 . Die Begründung dieser Position erschöpft sich in dem Rekurs auf Teile des Absatzes 8 und vor allem auf den Passus des Absatzes 9 des ersten Grundsatzes der Resolution 2625, wonach es den Staaten untersagt ist, sich an Bürgerkriegshandlungen zu beteiligen. c) Die Unrechtsausschlußebene
Der dritte Prüfungsschritt führt zu der Frage nach dem Eingreifen eines Unrechtsausschlußgrundes (vgl. die Art. 29ff. des ILC-Entwurfes). Im Vordergrund der Urteilsbegründung steht insoweit die Untersuchung des von den USA geltend gemachten Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung EI Salvadors551 . Wiederum ist der IGH wegen der Unanwendbarkeit des in der SVN und der OAS-Charta normierten Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung auf das Völkergewohnheitsrecht verwiesen. Das Gericht bejaht die Existenz eines völkergewohnheitsrechtliehen Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung552 und knüpft es an die Grundvoraussetzung eines bewaffneten Kompetenz ausnimmt. Nach Ansicht des IGH wäre von einer Anwendung der beiden multilateralen Verträge jedenfalls EI Salvador (als Partei beider Vertragswerke) "betroffen": Die USA hätten zur Rechtfertigung ihres Verhaltens unter anderem das nach beiden Chartas bestehende Recht zur kollektiven Selbstverteidigung geltend gemacht und dies vor allem mit einem bewaffneten Angriff Nicaraguas auf EI Salvador begrundet Damit sei eine Anwendung der Vertragsnormen ausgeschlossen, die nicht inzidenterweise EI Salvadors Rechtsposition nach den beiden Vertragswerken erhellte; ICJ Reports 1986, S. 32ff. (par. 44ff.). 547 ICJ Reports 1986, S. 119 (par. 228). 548 ICJ Reports 1986, S. 118 f. (par. 228). 549 ICJ Reports 1986, S. 119 (par. 228). 550 ICJ Reports S. 124 (par. 242). 5 51 Knapper und rechtlich unergiebig fällt die Behandlung der Frage aus, ob die kollektive Selbstverteidigung Honduras' und Costa Ricas in Betracht komme ; ICJ Reports 1986, S. 119 f. (par. 231) (zu dem Konflikt zwischen Nicaragua und Honduras bzw. Costa Rica oben unter B. II. 23.) b). 552 ICJ Reports 1986, S. 94 (par. 176), S. 102f. (par. 193); vgl. auch Art. 34 ILC-Entwurf.
V. DasSachurteil des IGH vom 27. Juni 1986
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Angriffs553 , worunter eine schwere Form der Gewaltanwendung verstanden wird554 . Damit stellt sich dem IGH die Frage nach dem Vorliegen eines bewaffneten Angriffs Nicaraguas auf EI Salvador. Zunächst beleuchtet das Gericht diesen Punkt in tatsächlicher Hinsicht555 und gelangt dabei zu folgendem Ergebnis: Für die Zeit von Mitte 1979 bis Anfang 1981 könne ein Waffenfluß von nicaraguanischem Territorium zu der bewaffneten Opposition in EI Salvador festgestellt werden. Nicht erweislich sei jedoch eine aktive Beteiligung Nicaraguas hieran bzw. dessen Fähigkeit, den Waffenfluß zu unterbinden. Für die Folgezeit sei nicht einmal mehr ein nennenswerter Waffenfluß nachzuweisen556. Obwohl danach ein bewaffneter Angriff Nicaraguas auf EI Salvador schon in tatsächlicher Hinsicht scheitern muß, setzt sich das Gericht mit dem Rechtsproblem auseinander, ob die staatliche Unterstützung einer im Innern eines anderen Staates agierenden bewaffneten Opposition durch Waffenlieferungen oder andere logistische Hilfe einen bewaffneten Angriff darstellt. Entscheidendes Gewicht kommt nach Auffassung des Gerichts Art. 3 g) der Resolution 3314 zu. Dessen Formulierung, die in ihren beiden Alternativen zitiert wird, bringe Völkergewohnheitsrecht zum Ausdruck. Hieraus zieht der IGH zwei Schlüsse: (1) Die Entsendung bewaffneter Banden durch einen Staat begründe einen bewaffneten Angriff, wenn die Intensität der Gewaltakte über das Niveau eines Grenzzwischenfalles hinausgeht. (2) Unter keinen Umständen stelle hingegen die Unterstützung von Rebellen in Gestalt von Waffenlieferungen oder logistischer Hilfe einen bewaffneten Angriff dar. Hierin könne nur eine "leichte" Anwendung von Gewalt, eine Androhung von Gewalt oder eine Intervention gesehen werden557 . Infolgedessen wird ein bewaffneter Angriff Nicaraguas auf EI Salvador selbst ausgehend von der Unterstellung verneint, Nicaragua habe der bewaffneten Opposition in El Salvador Waffen geliefert558 . Im Anschluß an die Verneinung des Unrechtsausschlußgrundes der kollektiven Selbstverteidigung widmet sich der IGH noch der Frage, ob das 553 ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 195); die Frage nach einem Selbstverteidigungsrecht im Falle eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs läßt das Gericht als nicht entscheidungserheblich ausdrücklich offen, S. 103 (par. 194); zu den weiteren vom Gericht angenommenen Voraussetzungen der zulässigen Ausübung der Völkergewohnheitsrechtlichen kollektiven Selbstverteidigung (Feststellung des Vorliegens eines bewaffneten Angriffs durch den direkt angegriffenen Staat, Hilfeersuchen des letzteren, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verteidigungshandlung) vgl. S. 104 (par. 195 a.E.), S. 105 (par. 199), S. 103 (par. 194). 554 ICJ Reports 1986, S. I 0 I (par. 191 ). 555 ICJ Reports 1986, S. 82ff. (par. 152ff.). 556 ICJ Reports 1986, S. 86 (par. 160). 557 ICJ Reports 1986, S. 103 f. (par. 195). 558 ICJ Reports 1986, S. 119 (par. 230).
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Unrecht des amerikanischen Verstoßes gegen das Gewaltverbot möglicherweise wegen eines den USA zustehenden Rechts zur Vomahme von Gegenmaßnahmen (vgl. Art. 30 ILC-Entwurt) entfallen könne. Das in Betracht kommende Recht der USA bezeichnet das Gericht als ein solches zur kollektiven Gegenintervention 559 . Dieses sei vorstellbar als Analogon zum Recht zur kollektiven Selbstverteidigung und begründe vielleicht die Befugnis, auf eine Intervention mit einer Gegenintervention entsprechender Intensität zu reagieren. Das erwogene Recht zur Gegenintervention schließe in dem Fall möglicherweise sogar die Anwendung "leichter" Gewalt ein, wo die Intervention ihrerseits "leichte" Gewaltanwendung beinhalte. Für die Lösung des aufgeworfenen Problems stellt das Gericht entscheidend auf den Ausnahmecharakter der kollektiven Selbstverteidigung ab. Dieser stehe der Annahme einer Befugnis zur Ergreifung kollektiver Maßnahmen gegen Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs entgegen560. Mangels Entscheidungserheblichkeit wird die Frage ausdrücklich offengelassen, ob dem von einer Intervention mit "leichter" Gewalt direkt betroffenen Staat das erwogene Recht zur "gewaltsamen Gegenintervention" zusteht561 . Zu ergänzen ist, daß auch die Überlegungen zum Bestand eines Rechts zur kollektiven Gegenintervention obiter dicta darstellen, da eine Intervention Nicaraguas nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme schon in tatsächlicher Hinsicht scheitern mußte562 . Zusammengefaßt stellt sich der rechtliche Gehalt des relevanten Teils der Urteilsbegründung wie folgt dar: In bezug auf die Unterstützungskonstellation geht die Kernthese dahin, daß die Gewaltakte der bewaffneten Opposition dem Unterstützerstaat selbst dann nicht zuzurechnen sind, wenn dieser die Oppositionskräfte bedingt durch den Umfang seiner Hilfe in ein extremes Abhängigkeitsverhältnis bringt. Die Zurechnung setzt eine vollständige Unterordnung der Privaten auf der strategischen und taktischen Ebene voraus. Die staatlichen Unterstützungshandlungen in Gestalt von Waffenlieferungen, Training, logistischer und finanzieller Hilfe unterfallen sämtlich dem Interventionsverbot Hinsichtlich der Waffenlieferungen, des Trainings und wohl auch der logistischen Hilfe ist zudem das Gewaltverbot einschlägig563, wobei in den Urteilsgründen eine gewisse Unentschlossenheit in der Frage erkennbar ist, ob nicht lediglich eine Drohung mit Gewaltanwendung ICJ Reports 1986, S. I!Of. (par. 210f.). ICJ Reports 1986, S. II 0 (par. 211 ). 56 I ICJ Reports 1986, S. 110 (par. 21 0). 562 ICJ Reports 1986, S. 127 (par. 249). 563 Vgl. insow. auch Punkt 4 des Urteilsienors, ICJ Report 1986, S. 146 (par. 292). Roeser, Waffenhandel, S. 172, übersieht diesen Teil des Urteilstenors und gelangt deshalb zu dem unrichtigen Schluß, das Gericht habe seine in den Gründen formulierte These, Waffenlieferungen unterfielen auch dem Gewaltverbot, im Tenor relativiert. 559 560
V. DasSachurteil des IGH vom 27. Juni 1986
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vorliegt. Entschieden wird dagegen die Subsumtion besagter Unterstützungshandlungen unter den Begriff des bewaffneten Angriffs abgelehnt, womit die Grundvoraussetzung des Selbstverteidigungsrechts und so die Befugnis, kollektiv oberhalb der Retorsionsschwelle zu reagieren, entfällt564 . Ausdrücklich in Betracht gezogen wird jedoch ein Recht des von den Unterstützungshandlungen direkt betroffenen Staates, Gegenmaßnahmen gegen den Unterstützerstaal zu ergreifen, die "leichte" Gewaltanwendung einschließen mögen. In der Entsendekonstellation wird ein bewaffneter Angriff des Entsendestaates angenommen, falls die entsandten Kräfte Gewaltakte erheblichen Ausmaßes vornehmen. Offen bleibt, ob die Annahme eines bewaffneten Angriffs in der Entsendekonstellation auf der Zurechnung der Gewaltakte zum Entsendestaat beruht.
2. Zum Stellenwert des Urteils im Rahmen der späteren Praxis Abschließend soll der Blick auf einige Faktoren gelenkt werden, die den Stellenwert der selektierten Rechtsaussagen im Rahmen der späteren Praxis beeinflussen. Nicht unerwähnt bleiben soll der auf längere Sicht vermutlich weniger bedeutsame Umstand, daß die Zuständigkeit des IGH zur Entscheidung des Rechtsstreits zwischen den Richtern umstritten war565 , und daß die USA die Teilnahme an dem Verfahren zur Begründetheit ebenso wie die Anerkennung des Urteils unter Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts verweigert haben 566 . Dementsprechend scheiterte ein im Sinne des Art. 94 SVN formulierter Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat am amerikanischen Veto567 . Von ebenfalls untergeordneter Bedeutung ist die Tatsache, daß sich die referierten Rechtsaussagen direkt nur auf das Völkergewohnheitsrecht bezie564 Kollektive Reaktionen sind hier solche außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit. 565 Die Zuständigkeit des Gerichts gemäß Art. 36 li i.V.m. V IGH-Statut wurde von den Richtern Mosler, Oda, Ago, Schwebe] und Sir Jennings abgelehnt. Ihrer Auffassung nach fehlte dem Gericht damit die Kompetenz, zu Gewaltverbot und Selbstverteidigung Stellung zu nehmen. Die richterliche Kontroverse bezieht sich vor allem auf die Existenz einer wirksamen Unterwerfungserklärung Nicaraguas und die Reichweite der amerikanischen Vorbehaltserklärung; vgl. hierzu insbes. die "dissenting opinion" Schwebeis zum Zuständigkeits-/Zulässigkeitsurteil des IGH, ICJ Reports 1984, S. 558 ff.; speziell zur Reichweite der amerikanischen Vorbehaltserklärung vgl. die Ausführungen Schwebels, ICJ Reports 1986, S. 302 ff. (par. 91 ff. ), und Sir Jennings, ICJ Reports 1986, S. 529 ff. 566 V gl. einmal die amerikanische Stellungnahme zum Rückzug aus dem Verfahren in ILM 24 (1985), S. 246 ff., zum anderen die Stellungnahme des amerikanischen Vertreters im Sicherheitsrat vom 22. Oktober 1986, S/PV. 2716, S. 6ff. 567 Zum Text vgl. S/18428; eine ähnlich formulierte Resolution wurde dann mit 94 Stimmen gegen 3 bei 47 Enthaltungen von der Generalversammlung verabschiedet; zum Text vgl. A/Res/41131.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
hen. Denn die Urteilsbegründung läßt sehr deutlich die Überzeugung erkennen, daß sich der völkergewohnheitsrechtliche Normenbestand zu Gewaltverbot und Selbstverteidigung mit dem Gehalt der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN im wesentlichen568 deckt. Die fast vollständige Deckungsgleichheit bezüglich des Selbstverteidigungsrechts wird sogar besonders herausgestellt569 . Allein die enge Anhindung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 SVN an das in der Satzung verankerte System kollektiver Sicherheit begründe eine Divergenz, die sich in der nur vertragsrechtliehen Geltung der Anzeigepflicht nach Art. 51 Satz 2 erster Halbsatz SVN niederschlage570 . Eine bedeutsamere Relativierung des Stellenwerts der Rechtsaussagen ergibt sich aus dem Befund, daß es sich bei letzteren insoweit um obiter dicta handelt, als sie sich auf der Ebene der Unrechtsausschlußgründe bewegen. Zur ratio decidendi gehören nur die Ausführungen zur Zurechenbarkeit der Gewaltanwendung durch die Contras zu den USA und die Bewertung der amerikanischen Unterstützungshandlungen am Maßstab des völkergewohnheitsrechtliehen Gewalt- und Interventionsverbots. Die obiter dicta speziell zum Begriff des bewaffneten Angriffs werden in ihrem Gewicht weiter dadurch abgeschwächt, daß ihnen mit Sir Jennings und Schwebe! zwei Richter widersprechen571 , wobei sich jedenfalls das Votum Schwebeis durch besondere Ausführlichkeit auszeichnet. Auf die von der Mehrheitsauffassung abweichenden Thesen Schwebeis und Sir Jennings' ist daher kurz einzugehen. Schwebe! stellt nach der Auswertung von Quellenmaterial zunächst fest, daß nach übereinstimmender Auffassung Nicaraguas und der USA, nach der Praxis der VN sowie nach der Völkerrechtslehre die substantielle Unterstützung von Aufständischen durch einen auswärtigen Staat in Gestalt von Waffenlieferungen und logistischem Beistand einen Verstoß gegen das Gewaltverbot bedeutet. Insoweit unterscheidet sich seine Position von derjenigen der Mehrheit allein durch ihre DezidiertheiL Die entscheidende Abweichung von der tragenden Auffassung besteht darin, daß Schwebe] aus dem (nicht Identität will das Gericht nicht annehmen; ICJ Reports 1986, S. 96 (par. 181 ). ICJ Reports 1986, S. 94 (par. 176), S. 102 ff. (par. 193 ff.). 570 ICJ Reports 1986, S. 105 (par. 200). 571 Der Dissens insbesondere zwischen Schwebe! und der Richtermehrheit geht weit über die Bestimmung des Begriffs des bewaffneten Angriffs hinaus. Neben der abweichenden Beweiswürdigung - Schwebe) hält nicht nur Waffenlieferungen Nicaraguas an EI Salvador für erwiesen, sondern darüber hinaus auch eine erhebliche Beteiligung Nicaraguas an der Entsendung von Rebellenführern nach EI Salvador; vgl. hierzu ICJ Reports 1986, S. 276 ff. (par. 24 ff.) - besteht Uneinigkeit in so zentralen Fragen wie derjenigen, ob das Selbstverteidigungsrecht das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs überhaupt voraussetzt (S. 347 f. (par. 172 f.)) oder derjenigen nach der dogmatischen Struktur des kollektiven Selbstverteidigungsrechts (S. 361 f. (par. 198ff.)). Auf diese Divergenzen sei an dieser Stelle nur hingewiesen. 568
569
VI. Bewertung der späteren Praxis
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gerechtfertigten) Verstoß gegen das Gewaltverbot unmittelbar auf das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs schließt. Die von der Mehrheit der Richter befürwortete Unterscheidung zwischen "leichter" und "schwerer" Gewaltanwendung bei Zuordnung allein der "schweren" Gewaltanwendung zum Begriff des bewaffneten Angriffs wird von Schwebe! also abgelehnt. Dementsprechend führt Schwebe! Absatz 9 des ersten Grundsatzes der Resolution 2625, den die Mehrheit allein zur Konkretisierung des Gewaltverbots bemüht, zudem als Beleg für die Bestimmung des bewaffneten Angriffs an572 • Kritik übt Schwebe! zudem an dem Umgang der Mehrheit mit Art. 3 g) der Resolution 3314. Ein Fehler bestehe in der Vernachlässigung von dessen zweiter Alternative, da unter "substantial involvement" im Sinne dieser Alternative auch Waffenlieferungen und logistischer Beistand zu verstehen seien573 . Zum anderen habe die das Urteil tragende Auffassung der Resolution 3314 mehr Bedeutung zugemessen als ihr zukomme574. Wesentlich knapper fällt die Stellungnahme Sir Jennings aus. Zustimmung erfährt die Mehrheit noch insoweit, als Waffenlieferungen für sich genommen keinen bewaffneten Angriff darstellen sollen. Komme hingegen logistischer Beistand (worunter definitionsgemäß das Bewegen, Quartieren und Versorgen von Truppen mit Material falle) hinzu, so müsse sich die Beurteilung ändern. In einem derartigen Fall sei die Beteiligung des Unterstützerstaates so erheblich, daß das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs und damit das Selbstverteidigungsrecht nicht verneint werden könne575 . Den Begriff des bewaffneten Angriffs so eng zu fassen wie die Mehrheit es für richtig hält, sei insbesondere wegen des Versagens des kollektiven Sicherheitssystems der SVN weder gerecht noch realistisch 576 .
VI. Bewertung der späteren Praxis Gemäß dem methodischen Ansatz dieser Untersuchung interessiert an dieser Stelle in erster Linie, ob im Hinblick auf einzelne Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne einer Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-) Gewaltanwendung des von den Gewaltakten der Privaten direkt betroffenen Staates bzw. dritter Staaten festgestellt werden kann. Von nachrangiger 572 Zu den einschlägigen Passagen des Sondervotums Schwebeis vgl. ICJ Reports 1986, S. 331- 341 (par. 154- 161). 57 3 ICJ Reports 1986, S. 343 f. (par. 166). 574 ICJ Reports 1986, S. 345 (par. 168). 575 Diese Rechtsaussagen bezieht Sir Jennings direkt auf Art. 51 SVN und löst sie damit von der Beurteilung des Streitfalles ab, auf den das Satzungsrecht seiner Ansicht nach ebensowenig anwendbar ist wie das Völkergewohnheitsrecht 576 Zu den Ausführungen Sir Jennings vgl. ICJ Reports 1986, S. 542 - 546.
9 Kreß
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Bedeutung ist hierbei die Frage der präzisen rechtlichen Begründung. Auf letztere Frage soll im folgenden deshalb nur ebenso knapp eingegangen werden, wie auf diejenige, wie sich die spätere Praxis zu der Problematik der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den verwickelten Staat verhält. 1. Die Duldungskonstellation
Viele Zielstaaten haben in Duldungskonstellationen eine Befugnis zur Vornahme grenzübergreifender (Gegen-) Gewalt beansprucht (so Griechenland, Frankreich, die Demokratische Republik Kongo, Portugal, Marokko, Südafrika, Israel und - e fortiori - die Türkei und der Iran; darüber hinaus möglicherweise noch Indien, Guatemala und Laos). Häufig ist entsprechend diesem Rechtsanspruch auch tatsächlich gehandelt worden (so von Frankreich, Portugal, Südafrika, Israel, der Türkei und dem Iran). Demgegenüber fehlen korrespondierende Rechtsansprüche im Sinne kollektiver (Gegen-) Gewaltanwendung. Ein flüchtiger Blick auf die zahlreichen verurteilenden Sicherheitsratsresolutionen in bezug auf die Gewalteinsätze Portugals, Südafrikas und Israels kann zu dem Schluß verleiten, die beanspruchte Befugnis zur Vornahme individueller grenzübergreifender Gegengewalt sei ganz überwiegend zurückgewiesen worden. Eine genauere Betrachtung führt hingegen zu einer differenzierteren Beurteilung. Der in Rede stehende Rechtsanspruch wird sicher hinsichtlich der accumulation of events-Doktrin überwiegend zurückgewiesen. Die Reaktionen auf die israelischen Gewalteinsätze lassen darüber hinaus wenig Neigung erkennen, massive Kollateralschäden unter Unbeteiligten hinzunehmen. Anders liegen die Dinge bezüglich des danach verbleibenden Anspruchskerns. Soweit die verurteilenden Stellungnahmen auch diesen Anspruchskern erfassen, wird ganz überwiegend allein auf die geminderte Schutzwürdigkeit des verurteilten Staates wegen dessen Politik des Kolonialismus (so im Falle Portugals und im Ansatz auch schon im Falle Frankreichs) oder des Rassismus (so im Falle Südafrikas) oder der illegalen Besetzung (so im Falle Israels) abgestellt. Angesichts dessen verbietet sich der Schluß auf eine grundsätzlich ablehnende Position. In diesem Sinne besonders aufschlußreich sind die Rechtsansichten der Demokratischen Republik Kongo (im Kongo-Konflikt) sowie Marokkos (im Westsaharakonflikt). Die Reaktion der Staatengemeinschaft auf den im Rahmen der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis vielfach vorgebrachten Rechtsanspruch kann also dahin zusammengefaßt werden, daß letzterer in seinem vorstehend konturierten Kernbereich zwar nicht ganz überwiegend ausdrücklich anerkannt, jedoch ebensowenig ganz überwiegend zurückgewiesen worden ist. Diesen Befund zu bewerten, fällt nicht leicht und führt auf bereits thematisierte methodische Grundfragen zurück. Richtigerweise muß bei der
VI. Bewertung der späteren Praxis
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Bewertung der Reaktion der Staatengemeinschaft auf Rechtsansprüche zu begrenztem Gewalteinsatz mit nicht-aggressiver Zielsetzung577 aus demselben Grund, der oben578 zur Ablehnung des auf die textorientierte Auslegung des Art. 51 SVN bezogenen Grundsatzes von der notwendigerweise engen Auslegung angeführt worden ist, von der Bewertungsregel ausgegangen werden, daß der Akzeptanz eines Anspruchs auf die Befugnis zum Gewalteinsatz jede Reaktion gleichzustellen ist, die dem reagierenden Staat die Option beläßt, in einer vergleichbaren Situation als selbst betroffener Staat einen entsprechenden Rechtsanspruch zu erheben, ohne dem Einwand des widersprüchlichen Verhaltens ausgesetzt zu sein579 . Die Anwendung dieser Bewertungsregel auf die zwischenstaatliche Konfliktpraxis zur Duldungskonstellation spricht für die Annahme einer ganz überwiegenden Praxis im Sinne des herausgearbeiteten Anspruchskems580 . Dem könnte 577 Die von Simma (Redebeitrag BDGV 26 (1985), S. 123) gegen Hailbronners Rede von "begrenzter Gewaltanwendung zu ,nicht-aggressiven' Zwecken (BDGV 26 (1985), S. 64) angemeldeten sprachlichen Bedenken greifen nicht durch. Gewaltanwendung etwa in einer Selbstverteidigungs- oder Notstandssituation erfolgt nach üblichem Verständnis nicht in aggressiver Zielsetzung. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß in der Völkerrechtslehre zunehmend Formulierungen ähnlich derjenigen der "begrenzten Gewaltanwendung mit nicht-aggressiver Zielsetzung" gewählt werden, um diejenigen Fälle des Gewalteinsatzes zusammenzufassen, die nicht gegen jus cogens verstoßen. Vgl. insbes. Ago, YILC 1980 II 1, S. 38 f., und den Kommentar der ILC zu Art. 33 ILC-Entwurf, YILC 1980 II 2, S. 43 f. (par. 23); daneben Ronzitti, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 153f., 159, Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 266, sowie in der Tendenz auch Kadelbach, Zwingendes Recht, S. 229ff. Diese restriktive Bestimmung des jus cogens-Gehalts des Art. 2 Ziff. 4 SVN verdient Zustimmung. 578 Unter A. I. (bei den Fn. 26 - 29). 579 Auf dasselbe dürfte der Vorschlag Hailbronners, BDGV 26 (1985), S. 67, hinauslaufen, der dahin geht, die Reaktionen daraufhin zu überprüfen, ob sie den Verzicht des jeweiligen Staates darauf erkennen lassen, in einer vergleichbaren Situation bei eigener Betroffenheit einen entsprechenden Rechtsanspruch zu erheben. 580 In diese Richtung weisen die offenbar bewußt etwas zögerlichen Wendungen Combacaus, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 26, die auch und insbesondere auf Sorgfaltswidrigkeits- und Unfahigkeitskonstellation zu beziehen sind, sowie die Formulierungen in Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 171 (nach freilich wegen der Verengung der Untersuchung auf "terroristische" Private dürftiger Praxisanalyse; im entgegengesetzten Sinne äußert sich Cassese, Cot/Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 783, in der Art der Formulierung allerdings auch die Schwierigkeit der Bewertung der - von ihm stark verkürzt dargestellten - Staatenpraxis erkennen lassend; ähnlich wie Cassese können Taulbee/ Anderson, CaseWResJint'IL 16 (1984), S. 333, verstanden werden, die im Hinblick auf die Konflikte um Angola und Guinea-Bissau, Süd-Rhodesien, Südafrika und Israel von "events and situations (sprechen) that are transitory or which are not amenable to control through legal means"; dieser Bewertung stimmt Arangio-Ruiz in seiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter der ILC zum Projekt "Staatenverantwortlichkeit für rechtswidriges Verhalten" ausdrücklich zu, A/CN.4/440/Addl (19. Juli 1991), S. 14 (Fn. 193). 9*
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
entgegengehalten werden, daß zahlreiche Staaten im Verlauf der Vorarbeiten zu der Resolution 3314 die Rechtsauffassung geäußert haben, Art. 51 SVN - als die einzige Rechtsgrundlage für grenzübergreifende Gewaltanwendung neben Maßnahmen kollektiver Sicherheit - erfasse die Duldungskonstellation nicht, und daß diese Rechtsauffassung mit der Annahme des Resolutionstextes nicht aufgegeben worden sei. Doch muß insoweit ausschlaggebend sein, daß die betreffenden Staaten von Ausnahmen 581 abgesehen im Rahmen der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis nicht konsequent auf diese Rechtsauffassung zurückgegriffen haben. Schließlich hindert auch die Entscheidung des IGH im Nicaragua-Urteil die Annahme einer ganz überwiegenden Praxis im besagten Sinne nicht. Wie auch immer man die Aussagekraft des Urteils bezüglich der Anwendbarkeit des Art. 51 SVN bei der direkt nicht behandelten Duldungskonstellation berurteilt; jedenfalls sind die auf die Unterstützungskonstellation bezogenen Erwägungen zu der Möglichkeit grenzübergreifender gewaltsamer Gegenmaßnahmen des direkt betroffenen Staates für die Duldungskonstellation gleichermaßen relevant582 . Bei der Begründung der Inanspruchnahme eines Rechts zur Vornahme grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt ist eine deutliche Tendenz zu verzeichnen, auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN zu rekurrieren. Nach anfänglichem Zögern haben sich jedenfalls Frankreich, Portugal, Südafrika und Israel in diesem Sinne eingelassen. Von einer Renaissance des Repressaliengedankens, wie man sie für den Bereich der staatlichen Verwicklung in gegen fremde Staatsangehörige gerichtete Gewaltakte Privater gegen Ende der 60er Jahre bzw. zu Anfang der 70er Jahre ausgemacht hat583 , kann demnach keine Rede sein. Soweit der Gesichtspunkt der Repressalie in die Debatte eingeführt worden ist - geschehen zumeist im Zusammenhang mit der accumulation of events-Doktrin - dominiert die ablehnende Haltung ebenso eindeutig wie gegenüber der nur sehr vereinzelt behaupteten Befugnis zu bewaffneter Nacheile. Bezogen auf die Duldungs581 Wie der Stellungnahme Lesothos zu dem in dieser Untersuchung nicht berücksichtigten Rechtsanspruch des Smith-Regimes in Süd-Rhodesien (oben unter B. II. 18. in Fn. 230) und der Äußerung Madagaskars im Hinblick auf einen grenzübergreifenden Gewalteinsatz Südafrikas (oben unter B. II. 22. in Fn. 274). 582 Insoweit ist Carrillo Salcedo und Frowein, jeweils in Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 32 bzw. 66ff. zuzustimmen. 583 Auslöser dieser Feststellung war der Gewalteinsatz Israels in Beirut vom Dezember 1968 in Erwiderung auf einen Angriff Privater auf ein in Athen befindliches Passagierflugzeug, der einem Staatsangehörigen Israels das Leben kostete. Die von libanesischem Territorium ausgehenden Vorbereitungen sollten von diesem Staat geduldet worden sein; vgl. hierzu die Beiträge Falks, AJIL 63 (1969), S. 429 und Bowetts, AJIL 66 (1972), S. 10, die übereinstimmend von einem Trend hin zur Inanspruchnahme einer Repressalienbefugnis ausgehen; s. in diesem Zusammenhang auch noch Tucker, AJIL 66 (1972), S. 595.
VI. Bewertung der späteren Praxis
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konstellation ist das obiter dieturn des IGH zu der Frage gewaltsamer grenzübergreifender Gegenmaßnahmen danach mit der bisherigen parteibezogenen späteren Praxis nicht zu hannonisieren. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß der Notstandsgedanke im Rahmen der späteren Praxis bislang keine Rolle gespielt hat. Da bei den zwischenstaatlichen Konflikten die Debatte zumeist um die Befugnisse des Zielstaates kreist und auf eine Präzisierung des an die Adresse des Basenstaates gerichteten Vorwurfs der Völkerrechtswidrigkeit fast durchgängig verzichtet wird, kommt hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Basenstaat der Resolution 2625 besondere Bedeutung zu. Hiervon ausgehend kann man die grundsätzliche Bereitschaft der VN-Mitgliedstaaten, dem Basenstaat einen Verstoß gegen das Verbot der Gewaltanwendung anzulasten, schwerlich bestreiten. Die (einmütigen) Ausführungen des IGH zum Gewaltverbot, insbesondere der Rekurs auf Absatz 9 der Resolution 2625 stehen mit diesem Schluß im Einklang. 2. Die Sorgfaltswidrigkeits- und Unfahigkeitskonstellation
Ein recht eindeutig negatives Bild liefert die relevante spätere Praxis (mit besonderer Deutlichkeit die VN-Resolutionspraxis) zu der Frage der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf diese beiden Konstellationen. Darüber hinaus ist unschwer zu erkennen, daß es an einer ganz überwiegenden Praxis im Sinne einer Befugnis zu kollektiver grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung fehlt : Nicht nur ist ein solches Recht bis dato nicht in einem einzigen Konflikt in Anspruch genommen worden. Auch die ausdrückliche Beschränkung wichtiger multilateraler Bündnisverträge auf den Fall eines staatlichen bewaffneten Angriffs liefert insoweit ein Indiz. Gehen doch die Staaten - wie die Überzeugung von der Unanwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den verwickelten Staat zeigt - ganz überwiegend, wenn nicht sogar einmütig davon aus, daß bei den in Rede stehenden Konstellationen von einem bewaffneten Angriff des Basenstaates nicht gesprochen werden kann. Der IGH schließlich scheint Art. 51 SVN nur im Falle eines staatlichen bewaffneten Angriffs anwenden zu wollen 584 , womit 584 Schachter, IYHR 19 (1989), S. 216f., ist insoweit zuzustimmen, als er erklärt, das Gericht habe zur Anwendbarkeit des Art. 51 SVN auf nicht-staatliche bewaffnete Angriffe nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Nicht zu folgen ist Schachter allerdings, wenn er seine Vermutung, der IGH würde nicht-staatliche Angriffe nicht unter Art. 51 SVN subsumieren, damit begründet, daß die bewaffneten Aktionen der salvadorianischen Rebellen nicht als bewaffnete Angriffe bezeichnet worden seien. Da die Richtermehrheit bei ihrer Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht von auf das Territorium EI Salvadors begrenzten Aktionen der Rebellen ausgeht, stünde die Ausklammerung dieser Aktionen aus Art. 51 SVN mit der Einbeziehung grenzübergreifender Angriffe Privater in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
nach der Konzeption der Richtermehrheit eine Befugnis zu kollektiver Gewaltanwendung in Sorgfalts- und Unfähigkeitskonstellation ausschiede. Schwieriger ist wiederum die Bewertung der späteren Praxis im Hinblick auf die Vomahme grenzübergreifender individueller (Gegen-)Gewalt. Was die zwischenstaatliche Konfliktpraxis angeht, so ist auffällig, daß die meisten von Gewaltakten Privater in Duldungskonstellationen betroffenen Staaten (Frankreich, Portugal, Südafrika und Israel) ihre Behauptung eines Rechts zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt auch auf die Unfähigkeitskonstellation (und damit erst recht auf die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation) beziehen. Andere Staaten (Marokko (im Westsaharakonflikt), die Türkei (bei den Konflikten im Zusammenhang mit der Kurdenfrage in den Jahren 1983/84) sowie der Iran (bei seinem Gewalteinsatz im Irak im Jahre 1992)) lassen bei der Inanspruchnahme dieses Rechts eine Differenzierung nach dem Grad der staatlichen Verwicklung in die Gewaltakte der Privaten gar nicht erst erkennen. Da Israel (gegenüber dem Libanon im Jahre 1981 und später) und die Türkei (gelegentlich des "Kurdenkonflikts" der Jahre 1991/ 92) ausdrücklich als solche bezeichnete Unfähigkeitskonstellationen zum Anlaß genommen haben, grenzübergreifende Gewalt tatsächlich anzuwenden, kommt der diesbezüglichen Reaktion der VN-Mitgliedstaaten für die Bewertung der späteren Praxis hervorragende Bedeutung zu. Bei der Analyse des Nahostkonflikts konnte im direkten Vergleich gezeigt werden, daß die gegenüber der Duldungskonstellation weniger intensive Verwicklung des Basenstaates in der Unfähigkeitskonstellation bei der Reaktion der Staaten keine signifikante Rolle gespielt hat. Eine Argumentation dergestalt, der Basenstaat sei nicht hinreichend stark in die Gewaltakte der Privaten verwickelt, als daß eine Befugnis zu auf sein Territorium übergreifender bewaffneter Gegenwehr angenommen werden könnte, haben die Staaten nicht in nennenswertem Umfang vorgebracht. Denselben Befund liefert (und zwar noch deutlicher) die Reaktion der Mitgliedstaaten auf das jüngste Vorgehen der Türkei im Irak. Hier, wo es an der Bereitschaft wenigstens einer Staatengruppe fehlt, problemüberlagemde Gesichtspunkte wie Kolonialismus, Rassismus oder illegale Besetzung in die Debatte einzuführen, ist eine Verurteilung wegen völkerrechtswidrigen Verhaltens nur vereinzelt artikuliert worden. Danach führt die Analyse der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis in bezug auf die Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation zu keinem anderen Schluß als bei der Duldungskonstellation585 . Dasim Widerspruch. Die Neigung des Gerichts, Art. 51 SVN nur staatliche bewaffnete Angriffe zuzuordnen kann aber aus der engen Anlehnung an die Resolution 3314 deduziert werden, da sich letztere Resolution nur mit staatlichem Verhalten befaßt. Allerdings erscheint es angesichts der eingangs dieses Fußnotentextes getroffenen Feststellung angreifbar, in das Urteil eine Festlegung bezüglich der interessierenden Frage hineinzulesen. 585 So sieht es offenbar auch Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 26.
VI. Bewertung der späteren Praxis
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selbe gilt für den auch hinsichtlich Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation denkbaren Einwand der Nichtberücksichtigung in der Resolution 3314: Insbesondere im Zusammenhang mit den jüngsten Gewalteinsätzen der Türkei im Nordirak, bei denen ganz unmißverständlich von einer Unfähigkeitskonstellation ausgegangen worden ist, blieb der Rekurs auf die Resolution 3314 zur Begründung der Völkerrechtswidrigkeit des Gewalteinsatzes aus 586 . Aus den Gründen des Nicaragua-Urteils des IGH schließlich ergibt sich nicht mit Notwendigkeit die Vemeinung der in Rede stehenden individuellen Befugnis. Vielmehr weist die zur Unterstützungskonstellation vom Gericht obiter erwogene "Gegenmaßnahmenlösung" auf die Eventualität eines Rekurses auf einen "ungeschriebenen" Unrechtsausschlußgrund (etwa im Sinne einer "Notstandslösung") hin. Nach alldem ist auch für Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation von einer ganz überwiegenden Praxis im Sinne einer Befugnis zu individueller grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung in den oben bei der Duldungskonstellation näher bestimmten engen Grenzen auszugehen. Keine klare Linie ist hinsichtlich der rechtlichen Begründung dieser Befugnis zu erkennen. Israel, Portugal und der Iran rekurrieren auf Art. 51 SVN (und können sich hierin in gewisser Weise durch die Sicherheitsratsresolution 241 zum Kongo-Konflikt, daneben möglicherweise auch durch die Resolution 405 desselben Organs zum Benin-Konflikt bestätigt sehen), Frankreich spricht von Selbstverteidigung, ohne dabei Art. 51 SVN als Rechtsgrundlage zu benennen, die Stellungnahmen der Türkei weisen eher in den notstandsähnlichen Bereich der Selbsterhaltung und Südafrika enthält sich der Angabe einer bestimmten Rechtsgrundlage. Zu schärferen Konturen verhelfen auch VN-Resolutionspraxis und Nicaragua-Urteil des IGH nicht.
3. Die Anstiftungskonstellation Der Tschechoslowakei-Konflikt ist die einzige zwischenstaatliche Auseinandersetzung, bei der sich der Sicherheitsrat der VN mit einer Anstiftungs586 Daß mit der Weigerung, die in Rede stehenden Konstellationen bei einer abstrakt-generellen Fixierung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN zu berücksichtigen, die Eventualität der Hinnahme einer begrenzten grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung nicht kat.~gorisch ausgeschlossen wird, läßt sich anhand einer Gegenüberstellung zweier Außerungen Agyptens recht gut belegen. Gelegentlich der Vorarbeiten zur Resolution 3314 (NAC.l34/ SR.22, S. 248) wird die Einbeziehung von Fällen "indirekter Aggression" in eine allgemeine Beschreibung des Begriffs des bewaffneten Angriffs unter Hinweis auf die Gefahr zu extensiver Interpretationen abgelehnt. Die bemerkenswert differenzierte Stellungnahme Ägyptens zum Libanon-Konflikt des Jahres 1981 (SCOR, 36th year, 2293rd meeting, S. 7 f.) läßt dagegen bei genauer Lektüre Raum für die Akzeptanz von eng begrenzten grenzübergreifenden Selbstverteidigungsmaßnahmen auch in der Unfähigkeitskonstellation.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
konstellation zu befassen hatte. Eine Grundlage für die Annahme einer ganz überwiegenden Praxis im Sinne einer Befugnis zur grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung bietet der Verlauf dieses Konfliktes nicht. Selbst wenn einzelne, während der Debatte über den Mutual Security Act mit Bezug zur Anstiftungskonstellation formulierte, Stellungnahmen als Ausdruck der Rechtsüberzeugung sollten verstanden werden können, Art. 51 SVN sei in der Anstiftungskonstellation anwendbar, so wäre hiermit für die Feststellung einer ganz überwiegenden Praxis wenig dargetan. Für eine derartige Feststellung lassen sich auch aus den Auseinandersetzungen insbesondere der USA mit Libyen bei genauerem Hinsehen keine verläßlichen Schlüsse ziehen, geht doch die als Grund für den grenzübergreifenden Gewalteinsatz des Jahres 1986 von den USA geltend gemachte Verwicklung Libyens in Gewaltakte Privater über die bloße Anstiftung von Gewaltakten Privater hinaus. Eher gegen die Annahme einer ganz überwiegenden Praxis sprechen spätere Praxis zum Rio-Vertrag sowie Resolution 3314. Gegenteiliges aus der Erwähnung der Anstiftungskonstellation in Absatz 9 der Resolution 2625 sowie Sicherheitsratsresolution 748 abzuleiten, ist unzulässig. Bei der Anstiftungskonstellation läßt sich eine ganz überwiegende Praxis im Sinne einer Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-) Gewaltanwendung somit nicht feststellen. Anders verhält es sich hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN. Zwar ist auch hier der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis Eindeutiges nicht zu entnehmen, doch muß nach der Akzeptanz des Absatzes 9 der Resolution 2625 (und dessen Bekräftigung in der Sicherheitsratsresolution 748) von einer Bereitschaft der VN-Mitgliedstaaten ausgegangen werden, in der Anstiftungskonstellation eine Gewaltanwendung des verwickelten Staates anzunehmen. Der Auffassung des IGH dürfte dies entsprechen, hat das Gericht besagtem Passus der Resolution 2625 doch entscheidende Bedeutung bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gewaltverbots beigemessen. Die hiernach mögliche Feststellung, daß die spätere Praxis die Überzeugung erkennen läßt, das Gewaltverbot gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN sei auf den Anstifterstaat anwendbar, bedarf allerdings noch eines gewichtigen Zusatzes. Dieser soll bei der nachfolgenden Bewertung der späteren Praxis zur Unterstützungskonstellation formuliert werden. 4. Die Unterstützungskonstellation In vielen Konflikten (so andeutungsweise im Griechenland-Konflikt und expressis verbis im Libanon-, Vietnam-, Afghanistan-, Nicaragua-Konflikt sowie im Konflikt zwischen Kuba und Venezuela im Rahmen des Rio-Vertrages) sind der Unterstützungskonstellation zuzuordnende Elemente staatlicher Verwicklung im Zusammenhang mit einer Berufung auf das individu-
VI. Bewertung der späteren Praxis
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eile wie kollektive Selbstverteidigungsrecht vorgebracht worden. Dieser Befund läßt die Annahme einer deutlich überwiegenden Praxis im Sinne einer Befugnis zur individuellen und kollektiven (Gegen-)Gewaltanwendung zunächst einmal möglich erscheinen. Doch ist die Aussagekraft der angesprochenen Konfliktpraxis in mehrfacher Hinsicht erheblich zu relativieren. Zunächst ist zu bedenken, daß in einigen der aufgeführten Konflikte bei der Behauptung des Selbstverteidigungsrechts entweder in erster Linie (so im Griechenland-, und Vietnam-Konflikt) oder gleichgewichtig (so im Libanon-, und Afghanistan-Konflikt) auf das Vorliegen einer Entsendekonstellation (Griechenland-, Libanon- und Vietnam-Konflikt) bzw. einer Entsendeförderungs- oder Duldungskonstellation (Afghanistan-Konflikt) abgestellt wird. Im Vordergrund steht die Unterstützungskonstellation allein im Konflikt zwischen Kuba und Venezuela sowie im Nicaragua-Konflikt. Desweiteren ist zu beachten, daß grenzübergreifende Gegengewalt tatsächlich nur im Nicaragua-Konflikt angewandt worden ist. Im Konflikt zwischen Kuba und Venezuela bleibt die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht Warnung, wohingegen es im Griechenland-, Libanon-, und AfghanistanKonflikt zwar zur Gewaltanwendung kommt, diese jedoch auf das Territorium des tatsächlich oder vorgeblich von den Gewaltakten Privater betroffenen Staates begrenzt wird. Im Vietnam-Konflikt setzt die auf das Territorium des verwickelten Staates übergreifende Gewalt erst nach der Ergänzung der Unterstützungs- durch die Entsendekomponente ein, wovon sich die Entwicklung im Algerien-Konflikt nur insofern unterscheidet, als vor der grenzübergreifenden Gewaltanwendung Frankreichs zu der Unterstützungs- eine Duldungskonstellation tritt. Angesichts dessen kann im Hinblick auf die genannten zwischenstaatlichen Konflikte - den NicaraguaKonflikt ausgenommen - nicht ausgeschlossen werden, daß die Geltendmachung des (kollektiven) Selbstverteidigungsrechts allein von dem Motiv geleitet war, sich gegenüber der Rechtsauffassung abzusichern, wonach im Bürgerkrieg ein allseitiges Unterstützungsverbot besteht587 • Die abweichenden rechtlichen Begründungen Großbritanniens für sein militärisches Eingreifen im Jordanien-Konflikt bzw. der Tschechoslowakei und Ungarn für den sowjetischen Militäreinsatz in Afghanistan, die mit dem Fehlen eines entsprechenden Absicherungsbedürfnisses erklärt werden können, machen zusätzlich deutlich, daß es in besagten Konflikten gar nicht um die Inanspruchnahme einer Befugnis zu grenzübergreifender Gewaltanwendung geht. Abschließend ist auch noch an die rechtlich gehaltvolle Diskussion zum Birma-Konflikt zu erinnern, bei der von einer Befugnis zu auf das Ter587 Vgl. die entsprechende Deutung Rauschnings, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 85; zust. Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 161; vgl. auch die Ausführungen Dupuys, AFDI 5 (1958), S. 467, zum Libanon-Konflikt. Dupuy deutet die Möglichkeit an, der Rekurs auf Art. 51 SVN habe eine in dem Gewalteinsatz der USA vielleicht liegende Gewaltandrohung rechtfertigen sollen.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
ritorium des Unterstützerstaales gerichteter Gewaltanwendung nicht die Rede ist. Bei genauerem Hinsehen kann also bis zum Nicaragua-Konflikt für die Unterstützungskonstellation selbst von einer auf die Behauptung einer Befugnis zu grenzübergreifender Gewaltanwendung gerichteten Tendenz der späteren zwischenstaatlichen Konfliktpraxis nicht sicher gesprochen werden. Mit diesem Befund steht die Erwähnung der Unterstützungskonstellation in der Resolution 2625 nicht im Widerspruch. Eine Trendwende führt auch die Resolution 3314 nicht herbei, weshalb die anfängliche Zurückhaltung der USA bei der Behauptung einer Befugnis zu auf das Territorium Nicaraguas übergreifender Gewaltanwendung im Nicaragua-Konflikt nicht überrascht. Diese Zurückhaltung ändert jedoch nichts daran, daß die Formulierung der amerikanischen Position in der Rückschau auf diesen Konflikt als die erste klare Inanspruchnahme einer Befugnis zu (kollektiver) grenzübergreifender Gewaltanwendung angesichts einer Unterstützungskonstellation zu bewerten ist. Ebenso aufschlußreich ist die Haltung Nicaraguas insofern, als auch hiernach die Befugnis zu (auch kollektiver) grenzübergreifender Gegengewaltanwendung gegen einen "substantiell" unterstützenden Staat besteht. Die Formulierung des Art. 3 g) der Resolution 3314 wird hier erstmals in einem zwischenstaatlichen Konflikt auf die Unterstützungskonstellation erstreckt. Mit dem Nicaragua-Konflikt liegt also ein erster Präzedenzfall für die Beanspruchung eines Rechts zu (auch kollektiver) grenzübergreifender Gewaltanwendung vor. Hierauf bereits die Feststellung einer ganz überwiegenden Praxis zu stützen, ginge jedoch deshalb zu weit, weil die Reaktion der VN-Mitgliedstaaten zuvorderst infolge der zögerlichen Artikulation der Rechtsbehauptung seitens der USA und erst recht seitens EI Salvadors und Honduras' und daneben wegen der Unklarheit im Tatsächlichen nicht als Hinnahme besagten Rechtsanspruchs bewertet werden kann. Hinsichtlich der Befugnis zu kollektiver grenzübergreifender Gegengewaltanwendung nötigt das Nicaragua-Urteil des IGH nicht dazu, vorstehendes Ergebnis noch einmal in Frage zu stellen. Anders verhält es sich hinsichtlich der individuellen grenzübergreifenden Gewaltanwendung, da das Gericht insoweit eine auf das Rechtsinstitut der Gegenmaßnahme gestützte Befugnis immerhin ernsthaft in Betracht gezogen hat. Wenn diesbezüglich trotzdem an dem Ergebnis festgehalten werden soll, das die Analyse der parteibezogenen Praxis ergeben hat, so beruht dies nicht nur auf der nachrangigen Bedeutung der objektiven Praxis, sondern vor allem darauf, daß es sich bei dem einschlägigen Passus der Urteilsgründe um ein letztlich offen gehaltenes obiter dieturn handelt. Zu diesem obiter dieturn ist im übrigen anzumerken, daß sowohl der Rekurs auf das Institut der Gegenmaßnahmen als auch die erwogene Inkongruenz zwischen individueller und kollektiver Befugnis zur Gewaltanwendung in der vorhergehenden parteibezogenen Praxis zur Unterstützungskonstellation keine Stütze findet.
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Besonders schwierig ist die Bewertung der späteren Praxis unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit des Gewaltverbots gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Unterstützerstaat. Die zwischenstaatliche Konfliktpraxis bietet insofern ein ausgesprochen diffuses Bild. Dagegen bringt die Annahme der Resolution 2625 einen Konsens der Mitgliedstaaten im Sinne der "Doppellösung" zum Ausdruck, die darin besteht, das Verhalten des verwickelten Staates sowohl dem Gewalt- als auch dem Interventionsverbot zu subsumieren. Zu dieser Lösung hat sich (wenn man von der Unterstützungsmodalität der Finanzhilfe absieht) letzten Endes auch der IGH bekannt. Die naheliegende Folgerung, die spätere Praxis tendiere deutlich zur Erstreckung des Anwendungsbereichs des Gewaltverbots auf die Unterstützungskonstellation, bedarf jedoch des folgenden, im Rahmen der Ausführungen zur Anstiftungskonstellation bereits angekündigten Zusatzes: Die Anwendbarkeit des Gewaltverbots wird von zahlreichen Staaten, die- gemäß der seit den Vorarbeiten zur Resolution 3314 bekannten Terminologie - überwiegend der "Weststaatengruppe" angehören, primär unter dem Gesichtspunkt befürwortet, die Rechtsstellung des von den Gewaltakten der Privaten betroffenen sowie hilfsbereiter Staaten zu stärken. Man wird dieser Position am ehesten gerecht, wenn man sie dahin bestimmt, die Behauptung der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den in die Gewaltakte der Privaten verwickelten Staat sei auf das engste mit der Behauptung der Anwendbarkeit des Art. 51 SVN verknüpft. Die andernfalls anzunehmende weitreichende Inkongruenz zwischen Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN birgt die Gefahr einer Schwächung der Rechtsposition des von den Gewaltakten betroffenen bzw. hilfsbereiter Staaten, da dann die Zulässigkeit einer reziproken Reaktion zweifelhaft wird. Das Nicaragua-Urteil belegt eindrucksvoll die Schwierigkeit, auf der Grundlage einer "Inkongruenzlösung" die Zulässigkeit selbst einer nur individuellen reziproken Reaktion zu begründen. Angesichts dessen erscheint es nicht angängig anzunehmen, der späteren parteibezogenen Praxis sei eine ganz überwiegende Bereitschaft zur Erstreckung des Gewaltverbots auf die Unterstützungs- (und Anstiftungs-)konstellation auch um den Preis der Inkaufnahme besagter Inkongruenzlösung zu entnehmen.
5. Die Entsendeförderungskonstellation Die mit Blick auf die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation begründete Feststellung einer deutlich überwiegenden Praxis im Sinne einer (eng begrenzten) Befugnis zur Vomahme individueller grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt gilt erst recht für die Entsendeförderungskonstellation. Sowohl die zwischenstaatliche Konfliktpraxis speziell zur Entsendeförderungskonstellation (Kaschmir-, Laos-, und Nahost-Konflikt (Israel-Jordanien März 1969)) als auch Art. 3g) Alt. 2 Resolution 3314 erhärten diesen Befund.
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
Es fragt sich, ob auch für eine Befugnis zu kollektivem grenzübergreifendem Vorgehen der Nachweis einer deutlich überwiegenden späteren Praxis zu erbringen ist. In den Konflikten bis zur Annahme der Resolution 3314 ist zwar vereinzelt (so von den Rio-Vertragstaaten gelegentlich des Konflikts zwischen Kuba und Venezuela) ein entsprechender Anspruch erhoben worden. Doch ist nicht ersichtlich, daß es bis dahin auf der Grundlage eines entsprechenden Anspruchs tatsächlich zu kollektiver (Gegen-)Gewaltanwendung gekommen wäre. Das Vorgehen Indiens im Kaschmir-Konflikt steht mit diesem Befund nicht im Widerspruch, da sich Indien gerade darum bemüht hat, sein Vorgehen als individuelle Selbstverteidigung darzustellen. Insofern erlaubt die Annahme der die Entsendeförderungskonstellation erfassenden zweiten Alternative von Art. 3 g) Resolution 3314 im Hinblick auf die interressierende Befugnis Schlüsse, die über das vorherige tatsächliche Konfliktsverhalten hinausgehen. Es bleibt zu untersuchen, ob in der nachfolgenden Konfliktpraxis zur Entsendeförderungskonstellation auf Art. 3 g) Alt. 2 oder auf eine hiermit korrespondierende Rechtsüberzeugung gestützt auch einmal tatsächlich kollektiv grenzübergreifende (Gegen-) Gewalt eingesetzt worden ist, und ob die Reaktion der VN-Mitgliedstaaten hierauf so ausgefallen ist, wie es die Annahme der Resolution 3314 erwarten ließe. Im Afghanistan-Konflikt wird von der Sowjetunion und einigen anderen sozialistischen Staaten gegenüber Pakistan jedenfalls eine Duldungs-, vermutlich sogar eine Entsendeförderungskonstellation geltend gemacht und hiervon ausgehend das kollektive Selbstverteidigungsrecht ins Feld geführt. Doch ist nicht erkennbar, daß hiermit das Ziel verfolgt wird, die auf das Territorium Pakistans übergreifende sowjetische Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Der massive Militäreinsatz des Jahres 1979 bleibt auf das Territorium Afghanistans beschränkt. Für die Folgejahre kann zwar nicht ausgeschlossen werden, daß punktuelle sowjetische Gewalteinsätze in Pakistan stattfinden. Doch ist ein auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht gestütztes Bekenntnis der Sowjetunion zu derartigen Gewalteinsätzen nicht ersichtlich. Im wesentlichen parallel gelagert sind die thailändischvietnamesischen Auseinandersetzungen im Rahmen des Kambodscha-Konflikts. Zwar macht Vietnam gegenüber Thailand eine Entsendeförderungskonstellation geltend, doch läßt es ersterer Staat sowohl an einer klaren Formulierung eines Rechtsanspruchs zu auf das Territorium des Entsendeförderungsstaates übergreifender Gewaltanwendung als auch an einem klaren Bekenntnis zu etwa durchgeführten eigenen grenzübergreifenden Operationen fehlen. Danach bleibt auch im Hinblick auf die Entsendeförderungskonstellation der Nicaragua-Konflikt die erste zwischenstaatliche Auseinandersetzung, in der sich ein Drittstaat, gestützt auf einen entsprechenden Rechtsanspruch, zu grenzübergreifender Gewaltanwendung bekennt. Daß die USA bei ihrem Vorgehen im Schwerpunkt auf das Vorliegen einer Unterstüt-
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zungskonstellation abstellen, steht einer Berücksichtigung an dieser Stelle nicht entgegen, da ein für die Unterstützungskonstellation geäußerter Anspruch auf die Befugnis zu (Gegen-)Gewaltanwendung für die Entsendeförderungskonstellation erst recht zu gelten hat. Allerdings ergibt sich aus den oben im Rahmen der Praxisauswertung zur Unterstützungskonstellation angeführten Gründen, daß nicht gesagt werden kann, der Rechtsanspruch der USA sei wenigstens von einer deutlich überwiegenden Zahl von VNMitgliedstaaten mit Zustimmung aufgenommen oder auch nur hingenommen worden. Demnach fehlt es auch nach der Annahme der Resolution 3314 an einem zwischenstaatlichen Konflikt, in dessen Verlauf ein Drittstaat eine Entsendeförderungskonstellation geltend gemacht und gestützt auf einen klar formulierten entsprechenden Rechtsanspruch tatsächlich Gewalt auf dem Territorium des Entsendeförderungsstaates eingesetzt hätte, ohne daß der geäußerte Rechtsanspruch hierbei von VN-Mitgliedstaaten in erheblichem Umfang zurückgewiesen worden wäre. Der IGH schließlich hat sich im Nicaragua-Urteil nicht im Sinne der interessierenden Befugnis festgelegt. Zwar wird bei der näheren Bestimmung des zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung berechtigenden "bewaffneten Angriffs" auch die zweite Alternative des Art. 3 g) Resolution 3314 zitiert. Doch verzichtet das Gericht insoweit mit Ausnahme der Ausklammerung der Unterstützungskonstellation auf jede Konkretisierung, so daß offen bleibt, ob das Gericht der hier vertretenen Auffassung folgt, die Entsendeförderungskonstellation sei Art. 3 g) Alt. 2 zu subsumieren. Alles in allem erscheint es danach für die Entsendeförderungskonstellation trotz einer in Resolution 3314 manifestierten entsprechenden Tendenz (noch) nicht möglich, den Nachweis einer deutlich überwiegenden späteren Praxis im Sinne einer Befugnis zu kollektiver Gewaltanwendung auf dem Territorium des Entsendeförderungsstaates zu erbringen. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung des individuellen Reaktionsrechts bzw. der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf das Verhalten des verwickelten Staates gilt das zur Duldungskonstellation Gesagte.
6. Die Entsendekonstellation Die Annahme einer deutlich überwiegenden späteren Praxis im Sinne einer individuellen Befugnis des Zielstaates zur grenzübergreifenden Reaktion folgt bereits aus den Feststellungen zu Entsendeförderungs- bzw. Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation. Sowohl die Konfliktpraxis speziell zur Entsendekonstellation (Kuba-Konflikt [dies trotz der Fragezeichen hinter Kubas Position; beachtlich ist vor allem die Haltung der Sowjetunion, da sie die Zurückweisung des im Libanon-Konflikt
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B. Die spätere Praxis zur staatlichen Verwicklung
artikulierten Selbstverteidigungsanspruchs als inkonsequent erscheinen läßt], Malaysia-Konflikt) als auch Art. 3 g) Alt. I Resolution 3314 und das Nicaragua-Urteil des IGH erhärten diesen Befund. In der Konfliktpraxis zur Entsendekonstellation bis zum Vietnam-Konflikt wird zwar wiederholt (im Griechenland-Konflikt und deutlicher im Libanon-Konflikt) das kollektive Selbstverteidigungsrecht ins Feld geführt, doch bleibt angesichts des tatsächlichen Verhaltens der involvierten Drittstaaten in diesen Konflikten unklar, ob mit der Berufung auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht das Ziel verfolgt wird, Gewaltanwendung auf dem Territorium des Entsendestaates zu rechtfertigen. Insoweit kann auf die bei der Praxisauswertung zur Unterstützungskonstellation angestellten Überlegungen verwiesen werden. Im Konflikt zwischen Kuba und Venezuela formulieren die Rio-Vertragstaaten zwar den Anspruch auf die interessierende kollektive Befugnis, doch bleibt es hier bei der Warnung. Das Bild ändert sich entscheidend mit dem Vietnam-Konflikt. Hier nehmen die USA eine Entsendekonstellation zum Anlaß, gestützt auf einen klar formulierten Rechtsanspruch Gewalt auf dem Territorium des Entsendestaates (bzw. des entsendenden befriedeten de facto-Regimes) einzusetzen. Nicht nur kommt es in dem hier interessierenden Umfang nicht zur Zurückweisung des Rechtsanspruchs der USA durch zumindest einen erheblichen Teil der VN-Mitgliedstaaten. Vielmehr muß dieser Rechtsanspruch nach der Annahme von Art. 3 g) Alt. I Resolution 33I4 darüber hinaus als ganz überwiegend und ausdrücklich bestätigt angesehen werden. Der Stellenwert der Resolution 33I4 ist somit in bezug auf die spätere Praxis zur kollektiven grenzübergreifenden (Gegen-) Gewaltanwendung ein anderer als hinsichtlich der Entsendeförderungskonstellation. Schließlich hat auch der IGH im Nicaragua-Urteil die interessierende Befugnis ausdrücklich anerkannt. Danach ist eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne einer individuellen wie kollektiven Befugnis zur Vomahme grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt festzustellen. Hinsichtlich der präzisen rechtlichen Einordnung ist allein die Praxis zum Rio-Vertrag nicht eindeutig für die Überzeugung von der Anwendbarkeit des Art. 51 SVN in Anspruch zu nehmen. Daß der Entsendestaat gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN verstößt, dürfte inzwischen sogar allgemein konsensfähig sein.
C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater in der Völkerrechtslehre Die literarische Diskussion konzentriert sich im wesentlichen auf die Behandlung von Entsende-, Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits-, Unfähigkeits-, und Unterstützungskonstellation. Deshalb wird hinsichtlich der Entsendeförderungs- und Anstiftungskonstellation auf eine gesonderte Darstellung des Meinungsstandes verzichtet, was nicht ausschließt, daß insoweit aus den Stellungnahmen zu den behandelten Konstellationen in weitem Umfang Rückschlüsse gezogen werden können.
I. Die Entsendekonstellation Die meisten diesbezüglichen Äußerungen betreffen die Frage, ob die Annahme berechtigt ist, der Entsendestaat nehme einen bewaffneten Angriff i. S.d. Art. 51 SVN vor.
1. Die restriktive Position Nur sehr vereinzelt finden sich Stellungnahmen, die für die kategorische Verneinung eines bewaffneten Angriffs in Anspruch genommen werden können588 . Hiernach umfaßt der Begriff des bewaffneten Angriffs nur den 588 Einen entsprechend restriktiven Standpunkt nehmen Wright (AJIL 53 (1959), S. 116f.; anders jedoch ders. in Falk (Hg.), Vietnam I, S. 286f.) und implizit auch Dupuy (AFDI 5 (1959), S. 460 ff.) ein. In demselben Sinne muß Zorgbibe (Guerre Civile, S. 124f.) und kann Lievermann (Md.Jlnt'IL&Trade 10 (1986), S. 303) verstanden werden. Eine ausgesprochen enge Deutung des bewaffneten Angriffs befürwortet auch Garcia-Mora, Hostile Acts, S. 118 f. Garcia-Mora will einen bewaffneten Angriff nur bei "such acts as invasion of a State by the military forces of another State or some other grave breach of international peace" (S. 118) annehmen. Was genau unter "grave breach of international peace" zu verstehen ist, bleibt offen. Für den Fall einer Invasion durch bewaffnete Banden hält Garcia-Mora die Anwendung des Art. 51 SVN immerhin bei einer ernsthaften Bedrohung der territorialen Integrität des betroffenen Staates für möglich (S. 119), wobei diese These nicht argumentativ untermauert wird. Bemerkenswert ist die restriktive Position GarciaMoras deshalb, weil ihr eine sehr extensive Sichtweise in der Haftungsfrage, mit der sich Garcia-Mora in seinem Buch zuvorderst beschäftigt (s. dazu schon in der Einleitung in Fn. 10), gegenübersteht. Hierauf wird zurückzukommen sein. Pinto,
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
Einsatz regulärer Streitkräfte. Dabei wird zumeist genetisch dahin argumentiert, bei der Fassung des Art. 51 SVN habe man den bewaffneten Angriff "klassischen Typs" vor Augen gehabt589 , was dem Bestreben entsprochen habe, den Bereich zulässiger Gewaltanwendung möglichst weitgehend zu begrenzen590. Daneben stößt man auf das bereits diskutierte 591 Argument, daß sich das besagte enge Verständnis aus einer Gegenüberstellung der Formulierung des Akts von Chapultepec mit Art. 3 Rio-Vertrag ableiten lasse. Schl,ießlich werden Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung und die damit einhergehende Mißbrauchsgefahr betont, um das enge Begriffsverständnis zu stützen592 . Zu der Frage, ob in der Entsendekonstellation wenigstens ein Verstoß gegen das Gewaltverbot gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN anzunehmen ist, findet sich nur vereinzelt ein- auf die Vemeinung hindeutender- Passus593 . Da die zitierten Völkerrechtler in der Auffassung einig sind, daß nach der SVN allein das Selbstverteidigungsrecht (Sanktionsmaßnahmen im Rahmen kollektiver Sicherheit ausgenommen) die Befugnis zur Gewaltanwendung gegen einen anderen Staat begründet, und daß dieses Recht das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs voraussetzt, bleibt dem von der Gewaltanwendung betroffenen Staat hiernach nur die Möglichkeit, innerhalb seines Territoriums mit Gewalt gegen die entsandten Kräfte vorzugehen, wobei er einen dritten Staat soll zu Hilfe rufen dürfen 594.
RdC 114 (1965 1), S. 497, wird von Frowein, ZaöRV 27 (1968), S. 13 (Fn. 44), zu Unrecht für die enge Bestimmung des Angriffsbegriffs in Anspruch genommen. 589 Dupuy, AFDI 5 (1959), S. 460f.; Zorgbibe, Guerre Civile, S. 124; präzise entstehungsgeschichtliche Zitate werden indes nicht angegeben. 590 Lievermann, MdJint'IL&Trade 10 (1986), S. 303. 591 Vgl. die Ausführungen oben unter B. IV. 1. a). 592 Dupuy, AFDI 5 (1959), S. 461 f. 593 Bei Wright, AJIL 53 (1959), S. 117. 594 Wright, AJIL 53 (1959), S. 123; Dupuy, A.F.D.I. 5 (1959}, S. 467. Mit anderer Begründung gelangt Rudolf, Vietnam, S. 34, zu demselben Ergebnis: Er bejaht zwar einen bewaffneten Angriff des Entsendestaates, meint aber, Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen das Territorium des Entsendestaates seien ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Zu einem abweichenden Ergebnis gelangt dagegen Franck, AJIL 64 (1970), S. 812 ff.: Ausgehend von einer ebenfalls sehr restriktiven Sicht des bewaffneten Angriffs, die wohl auch die Einbeziehung der Entsendung bewaffneter Kräfte nicht erlaubt (S. 812 f.), stellt er fest, die Rechtslage nach Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN entspreche nicht dem Interesse der Staaten (S. 835) und zieht hieraus den radikalen Schluß, daß von der Geltung des Art. 2 Ziff. 4 SVN nicht länger ausgegangen werden könne (S. 837). Vgl. zu dem Vorgehen Francks schon oben unter A. I. in Fn. 30.
I. Die Entsendekonstellation
145
2. Die extensive Position Ganz überwiegend wird dagegen angenommen, daß die Annahme eines bewaffneten Angriffs des Entsendestaates möglich sei595 . Soweit eine Begründung für erforderlich gehalten wird 596 bzw. sich die Begründung nicht in dem Hinweis erschöpft, Art. 51 SVN dürfe nicht zu eng ausgelegt werden 597 , wird zum Teil auf die erste Alternative des Art. 3 g) der Resolution 3314 verwiesen598 . Beiträge jüngsten Datums stützen sich zudem auf die im Nicaragua-Urteil599 geäußerte Rechtsauffassung des IGH600 . Als 595 So etwa Al Chalabi, Legitime defense, S. 86ff.; Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 731; ders., Use of Force, S. 373 (allerdings sehr zögerlich bezüglich der Frage, ob etwaige Selbstverteidigungsmaßnahmen das Territorium des Angreifers erfassen dürfen, Use of Force, S. 279 einerseits, S. 373 andererseits); Röling, FS Verzijl, S. 332; unklar ders. in FS Menzel, S. 395, und in Cassese, (Hg.), Use of Force, S. 416; Piotrowski, RDI (Sottile) 35 (1957), S. 299; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 301; dies. in Development, S. 201; Frowein, ZaöRV 27 (1968), S. ll f.; ders., Academie de droit international de Ia Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 66f.; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 78f.; Wengler, Gewaltverbot, S. 13; ders., RBDI 1971, S. 411, Fn. 31; Dahm, Völkerrecht II, S. 414; Moore, AJIL 61 (1967), S. l5ff.; Falk, YaleLJ 76 (1967), S. ll24f. ; Firmage, Falk (Hg.), Vietnam II, S. 118; Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 156 (allerdings möglicherweise für eine Beschränkung der Selbstverteidigungsmaßnahmen auf das Territorium des angegriffenen Staates); David, Mercenaires, S. 353 ff.; Sciso, RDI 66 (1983), S. 259; Blumenwitz, BayVbl 1986, S. 739; Genoni, Notwehr, S. 141; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 35 ; Regourd, AFDI 32 (1986), S. 89; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112; ders., FS Ago III, S. l55f.; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 202; Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 149, 154; Gill, AHDI I (1988), S. 37f.; Higginbotham, ColumJTransnat'IL 25 ( 1987), S. 550 i. V. m. 556; Carrillo Salcedo, Academie de droit international de Ia Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 31 ; Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 135; Dinstein, Self-Defense, S. l99f.; Roeser, Waffenhandel, S. 193 ; Fischer, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 879 (Rz. 20), S. 888 (Rz. 32); Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 757 (Rz. 18); Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 31. 596 Genoni, Notwehr, S. 141, etwa hält das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs für selbstverständlich. 597 So etwa Frowein, ZaöRV 27 (1968), S. II. 598 Etwa von Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. ll4f.; ders., FS Ago III, S. 157 ff.; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 201; Sciso, RDI 66 (1983), S. 259; David, Mercenaires, S. 353; Gill, AHDI l (1988), S. 37 f. 599 Vgl. oben unter B. V. I. c). 600 Etwa diejenigen von Zanardi, FS Ago III, S. 162; Dinstein, Self-Defense, S. l99f.; Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 879 (Rz. 20), S. 888 (Rz. 32); Macdonald, Can. Yb. oflnternat. L. 24 (1986), S. 149, 154; Gill, AHDI I (1988), S. 49; vgl. auch die zustimmende Verarbeitung der IGH-These bei Carrillo Salcedo und Frowein, Academie de droit international de Ia Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 30f. bzw. S. 66f.; soweit ersichtlich ist Widerspruch gegen das IGH-Urteil, insoweit es von der Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs des Entsendestaates ausgeht, bislang nicht erhoben worden. 10 Kreß
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
wichtigster Beleg aus der Staatenpraxis wird der Vietnam-Konflikt angesehen601. Ein Begründungsansatz, der von einigen der zitierten Völkerrechtler gewählt wird, ist schließlich der Rekurs auf die Zurechnungsregeln602 . Dabei fällt jedoch die Bestimmung der Zurechnungsschwelle nicht ganz einheitlich aus. Teilweise geht man davon aus, die Entsendung für sich genommen begründe eine die Zurechnung tragende Verbindung der Privaten zum Entsendestaat603 . Hiernach besteht Übereinstimmung zwischen der Fassung der ersten Alternative des Art. 3 g) der Resolution 3314 und dem Zurechnungsmaßstab. Andere Stimmen betonen, die Zuordnung der privaten Gewaltakte setze voraus, daß der Entsendestaat die entsandten Kräfte noch bei der Ausführung der Gewaltakte kontrolliere 604 . Hiernach soll ein bewaffneter Angriff des Entsendestaates nur dann vorliegen, wenn letzterer die militärische Operation jederzeit beeinflussen kann 605 . Ein bewaffneter Angriff des Entsendestaates ist danach abzulehnen, wenn dieser die entsandten Kräfte auf dem Gebiet des fremden Staates mehr oder minder frei operieren läßt606 . An dieser Stelle genügt es, die Divergenzen bei der Bestimmung des Zurechnungsmaßstabes aufgezeigt zu haben und an die Schwierigkeit zu erinnern, die Aussage des Nicaragua-Urteils in diesem Punkt sicher einzuordnen, da hierin die erste Alternative des Art. 3 g) der Resolution 3314 zwar zitiert, nicht aber mit den Zurechnungsregeln in Beziehung gesetzt wird607 . 601 Schindler, BDGV 26 (1985), S. 35 ; Regourd, AFDI 32 (1986), S. 89f.; Gill, AHDI 1 (1988), S. 41. 602 Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112ff.; ders, FS Ago III, S. 15ff.; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), 202; Sciso, RDI 66 (1983), S. 259; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 79; Falk, YaleLJ 76 (1976), S. 1124f.; Brownlie, Use of Force, S. 373; Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 149f.; Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 879 (Rz. 12), S. 888 (Rz. 32) i.V.m. S. 896 (Rz. 49 a.E.); Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 757 (Rz. 18); Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 31 ; vgl. auch den eigenwilligen "Zurechnungsansatz" Wenglers, der Militäroperationen Privater demjenigen Staat als bewaffneten Angriff zurechnen will, zu dem die Privaten in einem Verhältnis stehen, das sie - im Verteidigungsfall - als Widerstandsbewegung im Sinne der Genfer Konventionen erscheinen lassen würde; Gewaltverbot, S. 13; ders., RBDI 1971, S. 411 (Fn. 31). 603 Cocuzza, IYIL 7 ( 1986/87), S. 202; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112; ders. FS Ago III, S. 156; Sciso, RDI 66 (1983), S. 259, und wohl auch Fischer, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 879 (Rz. 20), S. 888 (Rz. 32) i. V. m. S. 896 (Rz. 49 a.E.). 604 Falk, YaleLJ 76 (1967), S. 1124f. ; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 79; Higginbotham, ColumJTransnat'IL 25 (1987), S. 549f. (dort insbesondere in Fn. 92). 605 Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 79f.; Falk fordert "a real demonstration of instigation and control", YaleLJ 76 (1967), S. 1124 f. Brownlies Standpunkt präzise einzuordnen, ist nicht ganz leicht: Seine Stellungnahme in Use of Force, S. 373, deutet in die Richtung Meiers und Falks, wohingegen die Formulierung in ICLQ 7 (1958), S. 731, weniger streng erscheint. 606 So ausdrücklich Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 79f.
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
147
Der Rekurs auf eng formulierte Zurechnungsregeln ist nicht der einzige Weg, der von seiten derjenigen, die in der Entsendekonstellation einen bewaffneten Angriff des Entsendestaates in Betracht ziehen, beschritten wird, um den Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN zu beschränken. Eine beträchtliche Zahl der zitierten Völkerrechtler will einen bewaffneten Angriff entsprechend der Formulierung des Art. 3g) der Resolution 3314 und der IGH-These im Nicaragua-Urteil erst dann annehmen, wenn die Gewaltakte der entsandten Kräfte erhebliches Gewicht haben 608 . Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß angesichts der fast durchgängig vertretenen Auffassung, ein das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN auslösender bewaffneter Angriff des Entsendestaates komme in Betracht, keine Anstrengungen unternommen werden, nach anderen Begründungen für die Befugnis zu bewaffneter Gegenwehr zu suchen. Dies unterscheidet die Entsendekonstellation von den im folgenden zu besprechenden Konstellationen.
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeitsund Unfähigkeitskonstellation 1. Überblick über den Meinungsstand
Ganz im Unterschied zu dem, was für die Entsendekonstellation gilt, haben die Bemühungen der Völkerrechtslehre um die zutreffende völkerrechtliche Behandlung dieser drei Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater zu einer bemerkenswerten Vielzahl von zum Teil kumulativ vorgebrachten Lösungsvorschlägen geführt. Die hierdurch entstandene Unübersichtlichkeit des Meinungsbildes wird noch durch den Umstand verstärkt, daß häufig Uneinigkeit in der Frage besteht, welche der drei Konstellationen von dem jeweiligen Lösungsvorschlag erfaßt wird. Die zentrale Fragestellung der meisten Beiträge geht dahin, ob der Zielstaat das Recht hat, mit Gegengewalt, die auch das Territorium des Basenstaates erfaßt, zu reagieren. Gruppiert man die Stellungnahmen unabhängig von ihrem jeweiligen Begründungsansatz zunächst einmal nur danach, ob ein 607 Vgl. oben unter B. V.l.c) a.E.; entsprechend unklar ist insoweit Macdonaids Deutung des Urteils: "The Court' s definition of armed attack ... is derived from Art. 3 g) .. . A very high degree of supervision of irregular groups will be required before a State is culpable of ,sending' in the terms of the article", CYIL 24 (1986), S. !48f. 608 Besonders deutlich insoweit Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 731 ; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 301; Wengler, Gewaltverbot, S. 13; David, Mercenaires, S. 356; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 202; Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 31. 10*
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
solches Recht ausgeschlossen wird oder nicht, so ergibt sich ein derart kontroverses Bild, daß eine über Anfechtungen erhabene Festlegung der "h.L." kaum möglich erscheint609 . Bei aller Vorsicht läßt sich höchstens im Hin609 Jedes Recht zu bewaffneter, grenzübergreifender Gegenwehr verneinend neben den in den Fn. 588- 594 zitierten Stimmen Regourd, AFDI 32 (1986), S. 89f.; Higginbotham, ColumJTransnat'IL. 25 (1987), S. 550 i.V.m. 556; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112ff.; ders., FS Ago III, S. 154ff.; Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 244ff.; Genoni, Notwehr, S. 141 ff.; Pocar, L'esercizio non autorizzato, S. 93, 96ff.; Cassese, Cot/Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 783; Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 31 i.V.m. Art. 2 Ziff. 4, Rz. 34f.; wohl ebenso Taulbee/Anderson, CaseWResJint'IL 16 (1984), S. 309ff., insbes. 333ff.; Francioni, RDI 69 (1986), S. 340f., und Hailbronner, SchJIR 47 (1990), S. 27f.; für die Befugnis zu bewaffneter, grenzübergreifender Gegenwehr in allen Konstellationen (wobei sehr häufig nur zwischen Duldungs- und Unfähigkeilskonstellation unterschieden wird) Dinstein, Self-Defence, S. 238 ff.; ders., FS Ago II, S. 145 f.; Arend/ Beck, International Law and the Use of Force, S. 170ff., 198ff.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 33; Simma, Redebeitrag zu Schindlers Referat, BDGV 26 (1985), S. 122; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 287 (§ 469 a.E.); Combacau, Cassese, Use of Force, S. 26; Frowein, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 66ff.; O'Brien, VaJint'IL 30 (1990), S. 469ff.; Coll, ASIL 1987, S. 302; Blum, GYIL 19 (1976), S. 236; Levenfeld, ColumJTransnat'lL 21 (1982), S. 28ff.; Feinstein, lsrLR 20 (1985), S. 374ff.; Feder, NYUJlnt'lL&Polit 19 (1987), S. 429ff., insbes. 430 (Fn. 158); Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 286, 329- 331, 357; Fawcett, RdC 108 (1961 li), S. 359ff.; Paasche, ColumJTransnat'IL 26 (1987), S. 392 (Fn. 77); Wengler, Gewaltverbot, S. 13, 24ff.; Green, AVR 6 (1956/57), S. 433f.; Botha, SAYIL 11 (1985/86), S. 148 ff.; Panzera, Attivita' terroristiche, S. 103 ff.; Pillitu, Stato di necessita, S. 207ff.; Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 314ff.; Rodriguez Carrion, Uso de Ia fuerza por los Estados, S. 228f.; O'Connell, International Law, S. 316f.; Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 463f. i.V.m. 496f., Stone, AJIL 71 (1977), S. 235; ders., Conflict through Consensus, S. 78f.; Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 262ff.; Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 757 (Rz. 19); Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 103, 134 i.V.m. S. 182ff. (wenn auch nicht eben sehr explizit); hierzu neigend Jessup, Law of Nations, S. 166, 168; Schachter, IYHR 19 (1989), S. 225ff., der allerdings nicht von einem Recht zur Gewaltanwendung, sondern nur von entschuldigter Gewaltanwendung sprechen möchte; speziell für die Duldungskonstellation sprechen sich für ein Recht zur bewaffneten, grenzübergreifenden Gegenwehr aus Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 895 f. (Rz. 49); Menk, Gewalt für den Frieden, S. 206; E. Klein, Seidl-Hohenveldern (Hg.), LdR/VR, S. 289f.; Carrillo Salcedo, Academie de droit international de Ia Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 30ff.; Sciso, RDI 66 (1983), S. 264; Al Chalabi, Legitime defense, S. 86ff.; Dahm, JIR 11 (1962), S. 56ff.; David, Mercenaires, S. 356f. ; Gutierrez Espada, Estado di necesidad, S. 114; Rostow, YaleJint'lL 11 (1986), S. 453 i.V.m. YaleJint'IL 11 (1986), S. 475 (schließt wohl auch die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation und vielleicht sogar die Unfähigkeilskonstellation mit ein); Baker, HJIL 10 (1987), S. 41 ff. (der vorstehende Klammerzusatz gilt auch für Bakers Stellungnahme); Intoccia, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 204ff.; Roberts, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 273ff. ; Stuesser, CalifWint'lLJ 17 (1987), S. 16, 20ff.; Bowett, Self-Defence, S. 46ff. i.V.m. S. 182ff. (schließt die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation mit ein); wohl auch
li. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
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blick auf die Duldungskonstellation eine h. L. für ein Recht des direkt betroffenen Staates zur bewaffneten, grenzübergreifenden Gegenwehr ausmachen.
2. Zur Begründung einer Befugnis des Zielstaates zur Anwendung von grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt Nach dieser einleitenden Feststellung soll der Meinungsstand im Schrifttum im einzelnen beleuchtet werden. Dabei empfiehlt es sich, von der (Kern-)Frage auszugehen, ob und bejahendenfalls mit welcher Begründung eine Befugnis angenommen werden kann, gegen die Gewaltakte mit Gegengewalt unter Einschluß des Territoriums des Basenstaates zu reagieren. a) Selbstverteidigungslösungen gemäß Art. 51 SVN
aa) Zum Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Basenstaates Die Diskussion über das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Basenstaates macht einen S'chwerpunkt der Gesamtdebatte aus. Dabei können zwei Lösungsansätze unterschieden werden, die hier "Zurechnungsansatz" und "Verantwortlichkeitsansatz" genannt werden sollen610 . Nach dem Zurechnungsansatz setzt die Annahme eines staatlichen bewaffneten Angriffs voraus, daß die Privaten als de facto-Organe des Basenstaates angesehen werden können. Nach der überwiegenden Auffassung erfordert die Zurechnung eine engere Verbindung von Staat und Privatem, als sie in der staatlichen Duldung einer bestimmten Handlung des Privaten zum Ausdruck kommt611 • Diese Auffassung kann insbesondere die Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 478 (Fn 301); ders., ASIL 1987, S. 314; Roeser, Waffenhandel, S. 193 i.V.m. 168; Tomuschat, EA 36 (1981), S. 331 f.; problematisch ist die Einordnung Falks, AJIL 63 (1969), S. 430f. (Fn. 39) (vgl. hierzu schon oben unter A.II. und unten C.II.2. e)); unsicher ist die Einordnung Brownlies: Zur Sorgfaltswidrigkeitskonstellation heißt es "it is extremely unlikely if negligence in permitting armed bands to operate from State territory constitues an ,armed attack' on the State which they penetrate", ICLQ 7 (1958), S. 731, zur Unfähigkeilskonstellation findet sich die Bemerkung "It is, however, possible that no state responsibility is involved ... There can be little doubt that states have a right of self-defence in such a case . . . However, the assertion must be made on the basis of principle and policy since the legal materials relating to self-defence in international law contemplate action against states only", Use of Force, S. 375. 610 Nicht mehr eingegangen wird an dieser Stelle auf die These, ein staatlicher bewaffneter Angriff komme allein im Falle des Einsatzes regulärer Streitkräfte in Betracht, s. oben Text bei Fn. 588. 611 Vgl. zu diesem engeren Verständnis der Zurechnungsregeln Condorelli, IYHR, 19 (1989), S. 233 ff.; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113; Dinstein, SelfDefence, S. 237ff.; dagegen sind die Ausführungen dess. in FS Ago II, S. 145, bezüg-
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
von der ILC auf der Grundlage der Berichte des Sonderberichterstatters Ago aufgestellten Zurechnungsregeln für sich in Anspruch nehmen. In Art. 8 a) ILC-Entwurf heißt es, die Handlungen von Privatpersonen seien dem Staat dann zuzurechnen, "if it is established that such persons or group of persons was in fact acting on behalfofthat State"612 . Sowohl die Kommentierung dieses Artikels als auch kommentierende Äußerungen zu anderen Artikeln zeigen, daß nach Auffassung der ILC in der Duldungskonstellation eine Zurechnung der Gewaltakte zum Basenstaat nicht möglich ist. Erst recht muß hiernach die Zurechnung in den beiden anderen Konstellationen ausscheiden61 3 . Neben diesem herrschenden Zurechnungsverständnis finden sich vereinzelt Stimmen, die für eine etwas weitere Fassung der Zurechnungsregeln angeführt werden können. Hiernach erscheint in der Duldungskonstellation die Zurechnung möglich614 . Weiter als der Zurechnungsansatz reicht der Verantwortlichkeitsansatz. Dieser Konzeption zufolge kommt es nicht darauf an, ob die Privaten so eng mit dem Basenstaat verbunden sind, daß sie als seine de facto-Organe angesehen werden müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob den Basenstaat wegen der Nichtverhinderung der Gewaltakte die völkerrechtliche Verantwortlichkeit trifft. Ist die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zu bejahen, so darf der Basenstaat als Angreifer angesehen werden615 . Dieser Ansatz wurzelt, wie an dieser Stelle nur anzudeuten ist, in der Doktrin der lieh der Zurechnungsfrage im Falle der Duldung nicht ganz eindeutig, heißt es doch, die Zurechnung scheide (nur dann) aus, wenn "connivance or complicity" des Basenstaates nicht feststellbar seien; Rowles, AJIL 80 (1986), S. 570 f.; Sciso, RDI 66 (1983), S. 259; Falk, AJIL 63 (1969), S. 427 in Übereinstimmung mit YaleLJ 76 (1976), S. 1124f.; Pocar, L'esercizio non autorizzato, S. 93, 96ff.; Panzera, Attivita' terroristiche, S. 102; Brownlie, Use of Force, S. 373 ; ebenso wohl Hailbronner, SchJIR 47 (1990), S. 27f.; nicht ganz konsistent Meier, der einerseits die Gesichtspunkte der staatlichen Kontrolle und Leitung als allein zurechnungsbegründend herausstellt (Der bewaffnete Angriff, S. 79; zu der entsprechenden Textstelle bereits oben in den Fn. 605 f.), andererseits aber bei - trotz Protestes des Zielstaates - fortdauerndem staatlichen Zulassen grenzübergreifender Bandeneinfälle das Vorliegen eines "verschleierten" staatlichen bewaffneten Angriffs für möglich hält (ebd.,
s. 77).
612 Zum Text vgl. neben der Angabe in der Einleitung in Fn. 11 auch den Anhang bei Malanczuk, ZaöRV 43 ( 1983), S. 804. 613 Vgl. einstweilen nur YILC 1974 II, S. 283ff. (zu Art. 8); YILC 1975 II, S. 79ff. (zu Art. 11); YILC 1980 li 2, S. 44 (zu Art. 33). 614 Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 895 f. (Rz. 49); Menk, Gewalt für den Frieden, S. 206; Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 314f.; Carrillo Salcedo, Academie international de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 33, spricht ebenfalls davon, schon die Duldung könne die Zurechnung der privaten Gewaltakte begründen, verneint aber - zumindest im Falle grenzübergreifender Terrorakte - dennoch das Vorliegen eines (staatlichen) bewaffneten Angriffs, weil es den Gewaltakten an dem erforderlichen Gewicht fehle (zu letzterem Aspekt unten unter D. I. 2. a).
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation
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"(implied) state complicity", die der ILC-Sonderberichterstatter Ago ausdrücklich zugunsten des Zurechnungsansatzes verworfen hat616 . Ob mit dem Verantwortlichkeitsansatz alle drei in Rede stehenden Verwicklungsgrade zu erfassen sind, hängt von der Ausgestaltung des Verantwortlichkeitsmaßstabes ab. Während überwiegend nur in der Duldungs- und Sorgfaltswidrigkei tskonstellation eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Basenstaates angenommen wird617 , gehen andere von einer absoluten Verantwortlichkeit des Basenstaates aus618 , die auch vor der Einbeziehung der Unfähigkeitskonstellation nicht halt macht. Nur kurz sei auf weitere Stellungnahmen hingewiesen, die, ohne daß sie den beiden vorgestellten Ansätzen eindeutig zugeordnet werden könnten, einen bewaffneten Angriff des Basenstaates in der Duldungskonstellation bejahen. Hierbei wird zumeist auf die zweite Alternative des Art. 3 g) der Resolution 3314 verwiesen619 . Diese Bestimmung sei im Wege evolutiver Auslegung des Art. 51 SVN zu berücksichtigen620 . Schließlich wird der Grundgedanke der Beteiligungslehre bemüht, der zu der Gleichsetzung von Teilnehmer und Täter im Rahmen des Art. 51 SVN führe 621 •
615 So insbesondere Blum, GYIL 19 (1976), S. 236: "Yet it has to be remernbered that from the legal point of view the target state, in responding to an act of terrorism, is entitled to regard the sanctuary state itself as the aggressive attacker, irrespective of whether that state has been unwilling or merely unable to curb the terrorist activities from its territory"; Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 376, 381; Rostow, YaleJint'IL 11 (1986), S. 453 i.V.m. YaleJint'1L 11 (1986), S. 475; Thomas/Thomas/Salas, lndirect Aggression, S. 329f. i. V.m. S. 279, 286; wohl ebenso Fawcett, RdC 108 ( 1961 II), S. 358 ff., und Friedländer, IYHR 8 (1978), S. 69 ff; diffizil ist die Einordnung Davids, der in seinem Werk "Mercenaires" zunächst (S. 122ff. insbes. 126f.) dem engen Zurechnungsansatz das Wort redet, dann aber (S. 356 f.) im Widerspruch hierzu Thesen formuliert, die (insbesondere bei Zusammenschau mit den Ausführungen auf den S. 358 i.V.m. 203ff.) nur dem Verantwortlichkeitsansatz zugeordnet werden können. 616 S. einstweilen nur Agos Ausführungen in YILC 1972 II, S. 121 ff.; ausf. zur Zurückweisung der Doktrin der "(implied) state complicity" unten unter D.II. l.c)bb)(l). 617 So etwa Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 78f.; Fawcett, RdC 108 (1961 II), S. 358 ff.; David, Mercenaires, S. 356 ff. 618 Vgl. das Zitat Blums oben in Fn. 615; zustimmend wohl Friedländer, IYHR 8 (1978), S. 69 f., und vielleicht auch Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 381 (Zweifel wecken allerdings die Formulierungen auf den S. 384f.); offen Rostow, YaleJint'IL II (1986), S. 475. 619 Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 114 i. V.m. 128; Pillitu, Stato di necessita, S. 207ff. insbes. 211 f. (Fn. 230); Sciso, RDI 66 (1983), S. 264. 620 Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 128. 621 Al Chalabi, Legitime defense, S. 86 (Fn. I).
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
bb) Zur Annahme eines Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN gegen einen nicht-staatlichen bewaffneten Angriff
Nach Auffassung einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Völkerrechtlern hängt die Bejahung eines Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN nicht vom Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Basenstaates ab. Art. 51 SVN erfasse auch den nicht-staatlichen bewaffneten Angriff622 . Zur Begründung wird teilweise auf den insoweit offenen Wortlaut verwiesen623 , teilweise werden entsprechende Tendenzen in der Staatenpraxis betont624, die es im Wege evolutiver Auslegung zu berücksichtigen gelte. Uneins ist man hinsichtlich der Frage, ob mit der Subsumtion des nichtstaatlichen Angriffs unter Art. 51 SVN die Zuerkennung eines (die Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung einschließenden) Selbstverteidigungsrechts des Angriffsopfers ohne weiteres verbunden ist. Diejenigen, die letztere Frage verneinen625 , verlangen zusätzlich eine mit 622 So vor allem Dinstein, Self-Defence, S. 238 (ein kollektives Selbstverteidigungsrecht will Dinstein allerdings nicht anerkennen, S. 269; ansonsten sind ausdrückliche Stellungnahmen zum kollektiven Selbstverteidigungsrecht gegen einen nicht-staatlichen bewaffneten Angriff selten); Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 757 (Rz. 19); Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 15f.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 33; Simma, Redebeitrag zu Schindlers Referat, BDGV 26 (1985), S. 122; Coll, ASIL 1987, S. 302, Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 385; Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 331; Fawcett, RdC 108 (1961 II), S. 363; Botha, SAYIL II (1985/86), S. 150; vielleicht auch Paasche, ColumJTransnat'IL 26 (1987), S. 392 (Fn. 77); Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 478 (Fn. 301); Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 314f.; zu der Subsumtion des nicht-staatlichen Angriffs unter Art. 51 SVN neigend Feder, NYULint'IL&Polit 19 (1987), S. 430 (Fn. 158); Combacau, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 26; Jessup, Law of Nations, S. 166; nicht ganz klar auszumachen ist die Position Kelsens: Im Jahre 1952 schreibt er in Principles of International Law, S. 60, (allerdings ohne direkten Bezug auf Art. 51 SVN) immerhin, ein illegaler Angriff, der ein Selbstverteidigungsrecht auslöse, könne auch von Privatpersonen ausgehen, woraus im Zusammenhang mit den aus dem Jahre 1951 stammenden Ausführungen in Recent Trends, S. 930, wonach die Annahme, Art. 51 SVN erfasse nur staatliche bewaffnete Angriffe, lediglich "begründbar" ("it may be argued") sein soll, wohl geschlossen werden darf, daß Kelsen die Erstreckung des Art. 51 SVN auf bewaffnete Angriffe Privater nicht ausschließen will; Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 198, meinen, daß "a host of terrorist acts" einen bewaffneten Angriff darstellten. Warum die beiden Autoren das von ihnen befürwortete Selbstverteidigungsrecht in unseren drei Verwicklungskonstellationen dann nur im Kapitel "a recommended jus ad bellum" klar artikulieren und bei der Analyse des geltenden Rechts den Repressaliengesichtspunkt in den Vordergrund stellen (a.a.O., S. 173 und unten in Fn. 644, 649) bleibt unerfindlich. 623 S. nur Dinstein, Self-Defence, S. 238. 624 Insbes. von Combacau, Cassese, Use of Force, S. 26, und Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), S. 427ff. (zu den entsprechenden methodischen Überzeugungen dieser Autoren vgl. oben unter A.l. und IV. (in Fn. 51).
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
153
der Vornahme des nicht-staatlichen bewaffneten Angriffs im Zusammenhang stehende Rechtsverletzung des Basenstaates626 und schließen somit ein Selbstverteidigungsrecht in der Unfähigkeilskonstellation überwiegend627 aus. Nach der Gegenauffassung ist die Feststellung einer Rechtsverletzung des Basenstaates entbehrlich. Bedenken, wonach dieses Verständnis die Grenze zwischen Selbstverteidigung und Notstand aufhebe, hält man entgegen, die Aufrechterhaltung dieser Grenze sei künstlich 628 bzw. es sei gerade der Sinn des Art. 51 SVN, neben Notwehr- auch Notstandskonstellationen zu erfassen629 . b) Selbstverteidigungslösung analog Art. 51 SVN
Vereinzelt wird der analogen Anwendung des Art. 51 SVN auf nichtstaatliche bewaffnete Angriffe das Wort geredet630. Durch die Beschränkung des Art. 51 SVN auf den Fall des (staatlichen) bewaffneten Angriffs, d. h. einen Fall schwerer Gefahr für wesentliche staatliche Interessen, sei das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 SVN an das Notstandskonzept angenähert worden. Mit letzterem decke sich das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN auch insoweit, als es strikt auf die Abwehr der Gefahr beschränkt sei, also nicht zur Vornahme einer Sanktionsmaßnahme ermächtige. Dies rechtfertige es, das Selbstverteidigungsrecht der SVN auf eine andere Notstandskonstellation, den nicht-staatlichen bewaffneten Angriff, im Wege der Analogie zu erstrecken.
625 So insbes. Stuesser, CalifWint' lLJ 17 (1987), S. 20: "With respect to an incursion into the territory of another state, justification rests on establishing a link between the state and the perpetrators of the terrorist acts", und Kelsen, Principles of International Law, S. 60. 626 Deren Vorliegen abweichend von dem oben unter C. II. 2. a) aa) dargestellten Verantwortlichkeitsansatz allerdings nicht dazu führen soll, den Basenstaat selbst als Angreifer im Sinne von Art. 51 SVN anzusehen. 627 Anders möglicherweise Charpentier, RGDIP 65 ( 1961 ), S. 314 f., der auch in der Unfähigkeitskonstellation eine Rechtsverletzung des Basenstaates bejaht. Charpentier ist oben (in Fn. 622) deshalb mit einem einschränkenden Zusatz für die unter C.ll.2.a)bb) referierte Postion in Anspruch genommen worden, weil seine Ausführungen (vgl. insbes. S. 313) vielleicht nur im Sinne der unten (unter C. II. 2. c) darzustellenden Sichtweise verstanden werden können. 628 So Dinstein, Self-Defence, S. 241. 629 Coll, ASIL 1987, S. 302. 630 Pillitu, Stato di necessita, S. 213ff.; relevant ist der Analogieschluß nach Pillitu nur für die Unfähigkeitskonstellation, da die Duldungskonstellation dem Art. 51 SVN bereits in unmittelbarer Anwendung soll subsumiert werden können, s. oben in Fn. 619.
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen c) Völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungslösung
Eine Reihe von Autoren geht bei der Problembehandlung von der Existenz eines über den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN hinausgehenden völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrechts aus 631 . Dieses Selbstverteidigungsrecht werde von Art. 51 SVN, der mit dem (staatlichen632) bewaffneten Angriff lediglich einen Anwendungsfall herausgreife, nicht beschränkt, sondern im Gegenteil bestätigt633. Uneinigkeit besteht allerdings bezüglich der Frage, ob das postulierte Selbstverteidigungsrecht auch die Unfähigkeitskonstellation erfaßt. Dies wird von denjenigen verneint, die das Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung als Voraussetzung des Selbstverteidigungsrechts betrachten und davon ausgehen, daß es in der Unfähigkeitskonstellation an einer solchen Völkerrechtsverletzung fehlt 634 . 631 Levenfeld, ColumJTransnat'IL 21 (1982), S. 19ff.; Intoccia, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 204ff.; Roberts, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 273ff.; Green, AVR 6 (1956/57), S. 432ff.; O' Connell, International Law, S. 316f.; Waldock, RdC 81 (195211), S. 463f. i.V.m. 496f.; Bowett, Self-Defence, S. 46ff. i.V.m. 182ff.; Charpentier, RGDIP 65 (1961 ), S. 313, 315 f.; hilfsweise auch Harry, SIULJ II (1987), S. 1301; nicht ganz frei von Widersprüchen erscheint dem Verf. die Position Ericksons, State-Sponsored International Terrorism, S. 103, 134 i. V.m. S. 182ff.: Zwar heißt es in bezug auch auf unsere drei Konstellationen an einer Stelle (a.a.O., S. 134), daß "even though not constituing armed attack justifying self-defense, intervention may be lawful, nonetheless, under some other concept of international law", doch ist unter den von Erickson (a.a.O., S. 173 ff.) diskutierten "anderen Völkerrechtskonzepten" das einzige zur Rechtfertigung unserer Konstellationen in Betracht kommende das von Erickson (a.a.O., S. 182) so genannte "Protecting One's Own Nationals". Dieses Konzept wiederum scheint Erickson (a.a.O., S. 182) entsprechend der von ihm als herrschend bezeichneten Auffassung aber als Teil des von Art. 51 SVN nicht beschnittenen völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrecht einzuordnen. Wenn Erickson insoweit auch die Unfähigkeitskonstellation nicht ausklammem zu wollen scheint (a.a.O., S. 103 i.V. m. S. 184), so paßt dies freilich nicht recht zu seiner These (a.a.O., S. 131), Selbstverteidigung setze begrifflich eine die Staatenverantwortlichkeit auslösende Rechtsverletzung voraus. 632 Nicht bei allen in der vorstehenden Fn. genannten Autoren ist eindeutig auszumachen, ob sie die Subsumtion des nicht-staatlichen Angriffs unter den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN ausschließen; zu der Unsicherheit hinsichtlich Charpentiers Auffassung in dieser Frage vgl. bereits oben Fn. 627; Levenfeld (ColumJTransnat'lL 21 (1982), S. 16) deutet auf der Grundlage textueller Auslegung immerhin Zweifel an: "One may wonder why govemment complicity should be determinative of an ,armed attack', but this view is confirmed by empirical Observations of United Nations practice". 633 Zumeist erfolgt ein Hinweis auf das Attribut "inherent", weshalb die Deutung nicht durchwegs ausgeschlossen ist, auch das weit verstandene Selbstverteidigungsrecht solle seinen Geltungsgrund in Art. 51 SVN haben. Dies hätte gegebenfalls Rückwirkungen auf das (von den Autoren in diesem Zusammenhang selten ausdrücklich behandelte) kollektive Selbstverteidigungsrecht 634 So insbes. Bowett, Self-Defence, S. 56 ff.; ebenso wohl Intoccia, Case WResJint'IL 19 (1987), S. 204 ff.
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
155
Andere weisen auch diese Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts zurück. Dabei wird entweder - zumeist unter Hinweis auf den CarolineFall - betont, die Staatenpraxis vor der Gründung der VN erlaube den Schluß auf ein Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Angriffe, die von fremdem Territorium ausgeführt werden635 , oder es wird vorgebracht, eine Völkerrechtsverletzung sei auch in der Unfähigkeilskonstellation gegeben636. d) Lösungen über die Begrenzung des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN
aa) Lösung im Sinne einer generellen Restriktion des Art. 2 Zif.f. 4 SVN Der hier vorzustellende Lösungsansatz geht von einem Zwei-EbenenModell aus. Auf der ersten Ebene, der völkervertraglichen Ebene, sollen Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 SVN zusammenspielen, wobei angenommen wird, Art. 2 Ziff. 4 verbiete nur die staatliche Gewaltanwendung größeren Stils637 , d.h. diejenige Gewaltanwendung, die als bewaffneter Angriff das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN (die "große" Selbstverteidigung) auslöst. Auf einer zweiten, der völkergewohnheitsrechtliehen Ebene, sei ein "kleines" Selbstverteidigungsrecht angesiedelt, mittels desselben weniger intensiven Rechtsverletzungen begegnet werden dürfe. Die "kleine" Selbstverteidigung könne die Anwendung militärischer Mittel einschließen, sofern die Schwelle der Gewaltanwendung im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 SVN nicht erreicht werde638 . Eine exakte Grenzziehung zwischen "kleiner" und "großer" Selbstverteidigung wird in den entsprechenden Beiträgen nicht vorgenommen 639 . Wenigstens in der Duldungskonstellation sollen "kleine", nicht gegen Art. 2 Ziff. 4 verstoßende Selbstverteidigungsmaßnahmen in Betracht kommen 640. 635 Levenfeld, ColumJTransnat'IL 21 (1982), S. 27ff.; O'Connell, International Law, S. 316f.; Green, AVR 6 (1956/57), S. 432ff.; wohl auch Roberts, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 273 ff. 636 Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 315; Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 463ff. 637 Ausdruck von Dahm, JIR 11 ( 1962), S. 50 638 So vor allem Dahm, JIR II (1962), S. 50ff.; ähnlich Wengler, Gewaltverbot, S. 13; im Ausgangspunkt zust. Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 153. 639 Von Wengler, Gewaltverbot, S. 12, wird die Schwierigkeit der Grenzziehung ausdrücklich anerkannt. 640 Dahm, JIR 11 (1962), S. 57f., der zudem betont, auf der zweiten (völkergewohnheitsrechtlichen) Ebene sei die Annahme eines ("kleinen") kollektiven Selbstverteidigungsrechts ausgeschlossen, S. 61; auf die Unfähigkeitskonstellation erstreckt sich das "kleine" Selbstverteidigungsrecht nicht, wie aus den Ausführungen aufS. 59 i.V.m. Fn. 36 geschlossen werden darf; Wengler, Gewaltverbot, S. 13, RBDI 1971, S. 411 (wohl auch gegen ein kollektives "kleines" Selbstverteidigungs-
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
bb) Verwirkungs- und Untergangs/äsung( en) speziell für die drei Verwicklungskonstellationen
Die im folgenden zu skizzierenden Lösungsansätze sind nicht dezidiert, sondern in Gestalt vorsichtiger Erwägungen artikuliert worden. Eine erste Überlegung, die zum Teil auf die Duldungs-, zum Teil auf die Unfähigkeitskonstellation bezogen wird, ist die, ob der Basenstaat gegenüber dem von der Gewaltanwendung betroffenen Staat nicht den Schutz des Gewaltverbots verwirke641 . Eine zweite Frage, mit der die Anwendbarkeit des Gewaltverbots in Zweifel gezogen wird, geht dahin, ob nicht in Fällen der Unfähigkeit zur Kontrolle des eigenen Territoriums ein Punkt erreicht werden könne, wo sinnvollerweise vom Fortbestand der Staatsqualität642 bzw. der Gebietshoheit643 nicht mehr ausgegangen werden kann. e) Repressalien- bzw. Gegenmaßnahmenlösung
Ein Teil der Völkerrechtslehre bejaht den Fortbestand eines Rechts zur Durchführung bewaffneter Repressalien auch für Mitglieder der VN644 . Die Repressalienlösung hat durch das Nicaragua-Urteil eine gewichtige Stütze recht und für den Ausschluß der Unfähigkeitskonstellation); sehr reserviert Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 153: "Die verschiedenen Formen ... indirekter . . . Aggression berechtigen allenfalls zur Selbstverteidigung auf gleicher Ebene, aber aller Regel nach nicht zu bewaffnetem Zurückschlagen (Hervorh. v. Verf.)". 641 Tornuschat, EA 36 (1981), S. 332 (für die Duldungskonstellation); Levenfeld, ColurnJTransnat'lL 21 (1982), S. 11 (für die Unfähigkeitskonstellation). Doehring, FS Seidl-Hohenveldern, S. 56 (Fn. 19), zitiert den Verwirkungsvorschlag Tornuschals im Zusammenhang mit der These, daß eine Staatsgewalt, die sich von einer Mörderbande nicht mehr unterscheidet und das auch nicht mehr will, nicht als Staatsmerkmal im Sinne der Definition eines Staates figurieren könne. Mit einer derart hoch angesetzten Schwelle für die Verwirkung der Staatsqualität (und damit des Schutzes durch das Gewaltverbot) dürfte die Duldungskonstellation nicht zu erfassen sein. 642 Friedländer, IYHR 8 (1978), S. 76. 643 Tornuschat, EA 36 (1981 ), S. 332, fragt, ohne dabei den Untergang des Basenstaates ausdrücklich in Betracht zu ziehen, "ob ein Gebietsteil, über den das Gastland keinerlei effektive Herrschaft mehr ausübt, sondern ihn einer fremden Macht überläßt, überhaupt noch den Schutz des Gewaltverbots genießt". 644 Coll, ASIL 1987, S. 302; Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 173; Roberts, CaseWResJint'1L 19 (1987), S. 283ff.; Levenfeld, ColurnJTransnat'lL 21 (1981), S. 35; Friedländer, IYHR 8 (1978), S. 71 f.; die beiden zuletzt genannten Autoren wollen - wohl ausgehend von einer absoluten Verantwortlichkeit - auch in der Unfähigkeilskonstellation ein Repressalienrecht annehmen ; Reisman glaubt in seinem Aufsatz zum Gewalteinsatz der USA gegen den Irak im Juni 1993, EJIL 5 (1994), S. 127, immerhin feststellen zu können, "that the notion of reprisal is generally reviving, under the guise of ,counter-rneasures'"; unklar
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
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erhalten, da hier mit unverkennbarem Wohlwollen645 erwogen worden ist, demjenigen Staat ein Recht zu bewaffneten Gegenmaßnahmen646 zuzugestehen, der von Gewaltanwendung, die keinen bewaffneten Angriff darstellt, direkt betroffen ist. Daher ist es nicht verwunderlich, daß sich neuere Beiträge der Gegenmaßnahmenlösung unter Berufung auf das NicaraguaUrteil anschließen 647 . Hinzuweisen ist noch auf eine Variante der Repressalienlösung, deren methodischer Ausgangspunkt bereits erwähnt worden ist648 . Hiernach ist zwar von einem Repressalienverbot nach der SVN auszugehen, doch schließt dies in unseren Konstellationen die faktische Hinnahme von bewaffneten Repressalien durch die Staatengemeinschaft nicht aus, wenn bestimmte Kriterien, insbesondere dasjenige der Verhältnismäßigkeit erfüllt werden. Es könne dann von einer relativen Rechtmäßigkeit der bewaffneten Reaktion gesprochen werden649 .
bleibt die Einordnung der völkergewohnheitsrechtliehen Befugnis zur Vornahme grenzübergreifender Gegengewalt in der Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation bei Stone, Conflict thraugh Consensus, S. 78 f.; in AJIL 71 (1977), S. 235, spricht ders. von "state rights of self-help" und sogar von "hot pursuit". Soweit ersichtlich wird eine Nacheilebefugnis in unseren Konstellationen ansonsten durchgängig verworfen; vgl. insoweit insbes. Poulantzas, Hot pursuit, S. 15 f., 346, daneben etwa Bowett, Self-Defence, S. 40f., Brawnlie, ICLQ 7 (1958), S. 733f.; Charpentier, RGDIP 65 (1961 ), 311 ; Panzera, Attivita terroristiche, S. 101 ; Pillitu, Stato di necessita, S. 215 (Fn. 235); Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 112. 645 ICJ Reports 1986, S. 110 (par. 210). 646 Der Begriff ist offenkundig in Anlehnung an Art. 30 ILC-Entwurf gewählt. Zu der Entstehung dieses Begriffs und seinem Verhältnis zu demjenigen der Repressalie vgl. einstweilen nur Ma1anczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 715ff. und Knof/Kress, ÖZöRV 41 (1990), S. 32ff. 647 Vgl. diejenigen von Carrillo Salcedo und Frowein, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 30ff. bzw. 66ff. (dabei bezieht Frawein die Unfähigkeitskonstellation ausdrücklich mit ein, S. 68); die Formulierungen Fraweins in einem anderen Beitrag (ZaöRV 47 (1987), S. 72 (Fn. 25)) zeugen demgegenüber von Zurückhaltung gegenüber der "Gegenmaßnahmenlösung" des IGH. 648 Oben unter A. II. 649 Falk, AJIL 63 (1969), S. 430f. (Fn. 39); nur hilfsweise auf diesen Lösungsvorschlag zurückgreifend Bowett, AJIL 66 (1972), S. 11 i. V.m. 22; bei Arend/ Beck, International Law and the Use of Force, S. 173, ist die Repressalienlösung vor dem Hintergrund ihrer radikaleren These vom Geltungsverlust des Art. 2 Ziff. 4 SVN (s. bereits oben in Fn. 30) zu sehen.
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
0 Notstandslösung Insbesondere mit Blick auf die Unfähigkeitskonstellation650 wird von einigen Völkerrechtlern eine Notstandsbefugnis in Betracht gezogen651 . Dieser Lösungsansatz hat durch die kommentierenden Ausführungen der ILC zu Art. 33 ILC-Entwurf eine Aufwertung erfahren. Zwar enthält weder Art. 33 ILC-Entwurf noch dessen Kommentierung in dieser Frage eine Festlegung652, doch ist schon die Ausführlichkeit bemerkenswert, mit der sich die ILC im Anschluß an ihren Sonderberichterstatter653 mit der Notstandsproblematik auseinandersetzt Dabei stehen Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation654 ganz im Vordergrund der Überlegungen. Im übrigen ist nicht zu übersehen, daß die ILC zwei argumentative Schritte in die Richtung einer Notstandsbefugnis gemacht hat. Einmal hat sie festgestellt, das Gewaltverbot gehöre nicht in seiner Gesamtheit zum jedenfalls notstandsfesten jus cogens. Räumlich und zeitlich eng limitierte Gewaltanwendung, wie sie in unseren Konstellationen seitens des betroffenen Staates in Betracht komme, sei nicht als Verstoß gegen jus cogens zu bewerten655 . Daneben wird gesagt, der Umstand, daß die SVN nur ein Selbstverteidigungsrecht vorsehe, zwinge für sich genommen nicht zu der Annahme, eine Notstandsbefugnis existiere nicht. Allerdings wird von einer weitergehenden Prüfung der Frage, ob Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 SVN einem Recht zu bewaffneten Notstandshandlungen entgegenstehen, ausdrücklich abgesehen656 . Es kann hinzugefügt werden, 650 Bei Zugrundelegung des engen Zurechnungsansatzes aber auch hinsichtlich der Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation. 651 Die Festlegung auf die Annahme einer derartigen Befugnis wird zumeist vermieden; vgl. die Ausführungen Bowetts, Self-Defence, S. 56ff.; Gutierrez Espadas, Estado de necesidad, S. 124ff.; Wenglers, Gewaltverbot, S. 24ff.; deutlicher affirmativ Panzera, Attivita' terroristiche, S. 103 f. (wegen eines engen Zurechnungsansatzes die Duldungskonstellation einschließend, S. 102); Schachter, IYHR, 19 (1989), S. 225ff. (ebenfalls die Duldungskonstellation einschließend); Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 263 ff. (auch unter Einschluß der Duldungskonstellation); vgl. daneben noch Friedländer, IYHR 8 (1978), S. 77, der sogar den Fortbestand eines Rechts auf Selbsterhaltung zu postulieren scheint. 652 YILC 1980 II 2, S. 44 f. (par. 24 a. E.). 653 YILC 1980 II 1, S. 39 ff. (par. 56 ff.). 654 Zu dem engen Zurechnungsansatz der ILC vgl. schon oben Text bei den Fn. 612f.; im übrigen behandelt die ILC in diesem Zusammenhang den Fall der gewaltsamen "rescue mission" zugunsten eigener Staatsangehöriger. 655 YILC 1980 II 2, S. 43 f. (par. 23); ebenso Ago, YILC 1980 II 1, S. 40 (par. 58). 656 Auch insoweit folgt die ILC ihrem Sonderberichterstatter, YILC 1980 II 1, S. 44 (par. 66). Vor dem Hintergrund des soeben im Text referierten Kommentars der ILC zu Art. 33 überrascht es, im Diskussionsbericht zur 44. Sitzung der ILC (GAOR, 47th session, Supplement 10, S. 76 (par. 228)) die lapidare Feststellung lesen zu können, daß "it was generally recognized ... that armed intervention based on necessity were (not) allowed under contemporary international law".
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation
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daß diese Prüfung auch in den eingangs zitierten literarischen Beiträgen, die der Bejahung eines Rechts zu bewaffneten Notstandshandlungen zuneigen, unterbleibt. Dies gilt auch für die ausführlichste Studie, die dem hier relevanten Ausschnitt der Notstandsproblematik in jüngster Zeit gewidmet worden ist657 . Hierin wird nach eingehender Würdigung der Arbeit der ILC festgestellt, man stehe vor einer offenen Frage. Angesichts dessen wird Sympathie für eine Lösung geäußert, wonach - methodisch in Anlehnung an die oben658 skizzierte Variante der Repressalienlösung659- bewaffnete Notstandshandlungen von der Staatengemeinschaft in der Unfähigkeitskonstellation660 "toleriert" werden sollen, wenn sie zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Interessenbeeinträchtigung erforderlich sind und als angemessen bewertet werden können661 . g) Geschäftsführungs- bzw. Ersatzvornahmelösung
Vereinzelt wird vorgeschlagen, das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Bewältigung von Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation fruchtbar zu machen662 . Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Feststellung, der Basenstaat sei zur Verhinderung der von seinem Territorium ausgehenden Gewaltakte verpflichtet und habe zur Erfüllung dieser Pflicht erforderlichenfalls seinerseits Gewalt anzuwenden. Dieses Geschäft dürfe der von den Gewaltakten betroffene Staat anstelle des Basenstaates (des Geschäftsherrn) ausführen, wenn dieser zur Geschäftsführung entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist. Daß die Geschäftsführung auch im Interesse des Geschäftsführers liege, sei ebenso unschädlich wie eine etwaige ausdrückliche Ablehnung der Fremdgeschäftsführung durch den Basenstaat Letzterenfalls habe man sich darauf zu besinnen, daß die Geschäftsführung im Interesse der Staatengemeinschaft an der Friedenserhaltung erfolge. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob bzw. inwiefern die vorgeschlagene Lösung mit den Bestimmungen der SVN vereinbar ist, findet sich nicht.
Es handelt sich um diejenige Gutierrez Espadas, Estado de necesidad. Im Text bei den Fn. 648 f. 659 Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 125 (Fn. 108f.). 660 In der Duldungskonstellation nimmt Gutierrez Espada einen bewaffneten Angriff des Basenstaates an, vgl. die Fn. 619 f. 661 Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 133 ff. 662 Panzera, Attivita' terroristiche, S. 107, der dieses Institut offenbar als allgemeinen Rechtsgrundsatz gemäß Art. 38 I c) IGH-Statut ansieht; ein ganz vorsichtiger Anklang dieses Ansatzes findet sich - bezogen allein auf die Unfahigkeitskonstellation -bereits bei Wengler, Völkerrecht II, S. 1053. 657 658
160
C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
Letzteres gilt nicht für eine der Geschäftsführungslösung verwandte, jüngst vorgestellte Konzeption 663 , die als Ersatzvornahmelösung bezeichnet werden kann. Hiernach handelt es sich bei staatlicher Gewaltanwendung gegen dem internationalen Terrorismus zuzuordnende Private um Polizeigewalt, die von Art. 2 Ziff. 4 SVN auch dann nicht erlaßt wird, wenn sie extraterritorial zur Anwendung gelangt. Zur Begründung eines extraterritorialen Einsatzes von Polizeigewalt gegen dem internationalen Terrorismus zuzuordnende Private bedarf es deshalb nicht des Rekurses auf Art. 51 SVN, sondern (nur) der Annahme einer extraterritorialen staatlichen Zuständigkeit. Eine derartige Zuständigkeit wird - und hier knüpft die Ersatzvomahme - an die Geschäftsführungslösung an - aus dem in der Staatenpraxis vielfach bekräftigten Interesse der gesamten Staatengemeinschaft an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus abgeleitet664 . Die Kompetenz sei allerdings insoweit subsidiär, als sie die Ermächtigung zu Polizeieinsätzen auf fremdem Territorium beinhalte. Letzterenfalls dürfe die Polizeigewalt nur ersatzweise ausgeübt werden, d.h. unter der Voraussetzung, daß der qua territorialen Bezugs primär zuständige (Basen-)Staat nicht handeln will oder nicht handeln kann665 . In Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation wäre eine Kompetenz des Zielstaates666, im Wege der Ersatzvornahme extraterritorial Polizeigewalt auszuüben, gegeben667 . h) Neutralitätsrechtliche Anerkennungslösung
Dieser abschließend zu erwähnenden Lösung668 zufolge kann staatliche (Gegen-)Gewaltanwendung auf dem Territorium des Basenstaates in unse663 Ziccardi Capaldos in Terrorismo intemazionale. Ziccardi Capaldo hat bei der Anwendung ihrer Konzeption offenbar weniger unsere Konstellationen vor Augen als etwa staatliche Rettungsaktionen zugunsten eigener Staatsangehöriger, die Opfer terroristischer Gewaltanwendung geworden sind. Die im Text folgenden Ausführungen zeigen aber, daß Ziccardi Capaldos Konzeption auch im Hinblick auf Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unflihigkeitskonstellationen eine Rechtfertigung für grenzübergreifende Gewalteinsätze des Zielstaates liefert. 664 Vgl. zu alldem ausführlich Ziccardi Capaldo, Terrorismo intemazionale, S.81ff. 665 Ziccardi Capaldo, Terrorismo intemazionale, S. 96 ff. 666 Ausgehend von der Annahme eines Interesses der gesamten Staatengemeinschaft wäre darüber sogar an eine universelle extraterritoriale Polizeizuständigkeit zu denken (eine Frage, die sich auch für die Geschäftsführungslösung stellt); dazu Ziccardi Capaldo, Terrorismo intemazionale, S. 97 f. 667 Die Idee einer subsidiären extraterritorialen Polizeizuständigkeit entspricht der Rede Dinsteins (Self-Defence, S. 237 ff., 240), vom staatlichen "extra-territorial law enforcement" in unseren Konstellationen. Doch ist das extra-territorial law enforcement Dinsteins nach Art. 51 SVN rechtfertigungsbedürftig (und -fähig; hierzu bereits oben unter C. II. 2. a) bb ). 668 Seidi-Hohenveldems, Völkerrecht, S. 435 (Rz. 1894) i. V.m. 394 (Rz. 1778).
II. Die Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation
161
ren Konstellationen 669 mit dem neutralitätswidrigen Charakter des Verhaltens letzteren Staates begründet werden, sobald die Privaten als Kriegführende anerkannt worden sind.
3. Die Debatte zu den Grenzen des etwaigen Rechts zu bewaffneter Gegenwehr Der ganz überwiegenden Zahl der Stimmen, die unter Rekurs auf einen oder mehrere der vorstehend skizzierten Lösungsansätze eine Befugnis zur gewaltsamen Reaktion auf die Gewaltakte der Privaten unter Einschluß des Territoriums des Basenstaates wenigstens in einer unserer Konstellationen bejahen, ist die Überzeugung gemein, diesem Reaktionsrecht seien enge Grenzen gesetzt. Soweit angenommen wird, ein Selbstverteidigungsrecht gegen einen bewaffneten Angriff gemäß Art. 51 SVN komme in Betracht, wird eine bedeutsame Limitierung zumeist schon dadurch erreicht, daß man dem Begriff des bewaffneten Angriffs das Erfordernis der Erheblichkeit der Gewaltanwendung zuordnet. Im übrigen liefert das Verhältnismäßigkeitsprinzip einen Schlüssel zur Restriktion des Umfangs zulässiger Gegengewalt Über die hieraus im einzelnen, insbesondere mit Blick auf Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung des Basenstaates zu ziehenden Folgerungen besteht allerdings keine Einigkeit. Auf diesen hier nur angedeuteten Streitpunkt wird unten670 zurückzukommen sein.
4. Zur Anwendung des Art. 2 ZitT. 4 SVN auf das Verhalten des Basenstaates Ausdrückliche Stellungnahmen zu der Frage, ob der Basenstaat gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN verstößt, finden sich deshalb nicht allzu häufig, weil sich die Debatte ganz auf die Rechtsstellung des von der Gewaltanwendung der Privaten betroffenen Staates konzentriert. Dort, wo das Vorliegen eines staatlichen bewaffneten Angriffs in Betracht gezogen wird671 , ist der Rückschluß auf die Annahme einer staatlichen Gewaltanwendung im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 SVN möglich. Umgekehrt wird zum Teil trotz der Vemeinung eines staatlichen Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN eine staatliche Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN in der Duldungskonstellation für möglich gehalten672 . Zieht man wenigstens in der Duldungskonstellation 669 Dafür daß die "neutralitätsrechtliche Anerkennungslösung" auch auf die Unfähigkeitskonstellation bezogen wird, spricht Seidl-Hohenvelderns Überzeugung, Israel könne gegenüber dem Libanon auf diese Konzeption zurückgreifen. 67o Unter D.ll.2. a)cc)(4). 671 Vgl. die Angaben in den Fn. 614f. 672 S. etwa Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye, Terrorisme international, S. 32f.
II Kreß
162
C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
einen Verstoß des Basenstaates gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN in Erwägung, so stellt sich die Frage, ob die Duldung der Formierung gewaltbereiter Privater auf dem eigenen Territorium bereits als solche, d. h. unabhängig von der Durchführung der Gewaltakte, dem Verbot des Art. 2 Ziff. 4 SVN unterfallen kann. Teilweise wird diese Frage unter Hinweis auf die Resolution 2625 bejaht und so eine Erstreckung des Verbots aus Art. 2 Ziff. 4 SVN auf eine Vorbereitungshandlung zu Gewaltakten ausdrücklich anerkannt673 . Restriktive Stellungnahmen, die auch in der Duldungskonstellation einen Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN ablehnen, sind vor allem vor der Verabschiedung der Resolution 2625 anzutreffen674 .
111. Die Unterstützungskonstellation Auch die völkerrechtliche Behandlung dieser Variante staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater ist derart umstritten, daß eine "h.L." nicht auszumachen ist. Bemerkenswert erscheint der Umstand, daß das Nicaragua-Urteil, das vor allem diese Konstellation zum Gegenstand hat, keineswegs zu einer Beruhigung des literarischen Streits geführt hat. Vielmehr wird die Diskussion im Anschluß an das Urteil mit eher größerer Heftigkeit fortgeführt675 . Dabei konzentriert sich die Debatte stärker als in der Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation auf die Auslegung der Art. 51 und 2 Ziff. 4 SVN. 1. Zur Diskussion über die Möglichkeit einer Selbstverteidigungslösung gemäß Art. 51 SVN a) Restriktive Positionen
Die Frage, ob ein bewaffneter Angriff des Unterstützerstaates gemäß Art. 51 SVN angenommen werden kann, wird von einem beträchtlichen Teil der Völkerrechtslehre verneint676 . Dabei wird einmal darauf abgestellt, 673 So Kewenig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 185f.; zu der Frage eines etwa korrespondierenden Selbstverteidigungsrechts äußert sich Kewenig in diesem Beitrag nicht. 674 Vgl. insbes. die sehr reservierten Ausführungen Bowetts, Self-Defence, S. 46f., die diesen Autor freilich nicht daran hindern, in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation ein Selbstverteidigungsrecht anzunehmen, vgl. oben Fn. 631; gegen die Subsumtion unter Art. 2 Ziff. 4 SVN aus neuerer Zeit etwa Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 245. 675 Vgl. einstweilen nur die Bewertung des Urteils als "a tragedy for world order" durch Moore, AJIL 81 (1987), S. 152. 676 Neben den in den Fn. 588 - 594 genannten Autoren Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 245; Thode, Menzel/Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 454 i. V.m. 450;
III. Die Unterstützungskonstellation
163
in der Unterstützungskonstellation sei es nicht möglich, die zur Annahme eines bewaffneten Angriffs notwendige Zurechnung der Gewaltakte zum Unterstützerstaal zu begründen677 . In den neueren Stellungnahmen678 wird von den Vertretern dieser engen Zurechnungslösung auf Art. 8 a) ILC-Entwurf und auf das Nicaragua-Urteil verwiesen. Andere betonen, in der Unterstützungskonstellation komme es nicht zur grenzübergreifenden Anwendung von Gewalt, womit es an der Grundvoraussetzung eines bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN fehle 679 . Schließlich wird von einigen Stimmen hervorgehoben, der Ausschluß des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 SVN sei völkerrechtspolitisch vorzugswürdig. Dafür spreche schon die regelmäßig undurchsichtige Faktenlage in derartigen Fällen680. Vor allem bedeuteten auf das Territorium des Unterstützerstaates gerichtete Gewaltmaßnahmen die Externalisierung eines im Kern internen Konflikts, womit der Externalisierung der Auseinandersetzung Vorschub geleistet werde681 . Roeser, Waffenhandel, S. 193 i.V.m. 169; Rowles, AJIL 80 (1986), S. 570ff., insbes. 579ff.; ders., UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 456ff., insbes. 474 f.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 35; Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 77 f.; Genoni, Notwehr, S. 141; Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 161; Higginbotham, ColumJTransnat'lL. 25 (1987), S. 550 i. V.m. 556; Farer, AJIL 81 (1987), 115; Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1986), S. 208; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 765f.; Kewenig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 187; Frowein und Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 30ff. bzw. 66ff.; Falk, YaleLJ 76 (1967), S. 1124f.; Seara Vazquez, AFDI 10 (1964), S. 649f.; Kahn, YaleJint'IL 12 (1987), S. 22ff. (unter Vorbehalt eines abweichenden Urteils für exzeptionelle Situationen, S. 22); ebenso wohl Brownlie, Use of Force, S. 373; Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 31 ; offenlassend Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 888 (Rz. 31); Schachter, MichLR 82 (1983/84), S. 1642, bejaht zwar einen bewaffneten Angriff, will aber die Selbstverteidigungsmaßnahmen auf das Territorium des Verteidigerstaates beschränken, womit sich im praktischen Ergebnis kein Unterschied zu den vorstehend Genannten ergibt; vgl. zu der entsprechenden Position Rudolfs in der Entsendekonstellation oben Fn. 594; Schachter zust. zitierend Joyner/Grimaldi, VaJint'lL 25 (1985), S. 663, deren Position in der Frage des bewaffneten Angriffs dennoch unklar bleibt. 677 Brownlie, Use of Force, S. 373; Falk, YaleLJ 76 (1967), S. 1124f.; Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 237ff.; Rowles, AJIL 80 (1986), S. 579; UMiamilnterAmLR 17 (1986), S. 474f. 678 Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 237ff.; Rowles, UMiamilnter-AmLR 17 (1986), S. 456f. (Fn. 219). 679 Schindler, BDGV 26 (1985), S. 35; Thode, Menzelllpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 450, mißt speziell bei Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater dem grenzübergreifenden Charakter der Gewaltakte ausschlaggebende Bedeutung zu; dem folgen Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 765 f. und Roeser, Waffenhandel, S. 193 i.V.m. 169. 680 Rowles, AJIL 80 (1986), S. 579. 681 Rowles, AJIL 80 (1986), S. 580; Farer, AJIL 81 (1987), S. 115; Roeser, Waffenhandel, S. 193; Hailbronner deutet die Staatenpraxis in diesem Sinne, BDGV 26 II'
164
C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
b) Extensive Positionen
Nach Auffassung zahlreicher Völkerrechtler soll dagegen die Annahme eines bewaffneten Angriffs des fördernden Staates in Betracht kommen 682 . Nur wenige Stellungnahmen können allerdings dahin verstanden werden, in der Unterstützungskonstellation liege jedenfalls ein staatlicher bewaffneter Angriff vor (extensive Kongruenzlösungy6 83 . Diese Äußerungen gehen davon aus, der Unterstützerstaal verletze Art. 2 Ziff. 4 SVN. Des weiteren liegt ihnen die Überzeugung zugrunde, jede Verletzung des Gewaltverbots gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN stelle einen bewaffneten Angriff dar. Zur Begründung der Verletzung des Art. 2 Ziff. 4 wird entweder angeführt, infolge seiner Unterstützungshandlungen treffe den Staat die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Gewaltakte der Privaten684 (Verantwortlichkeitsansatz685). Oder es wird darauf verwiesen, gemäß der Resolution 2625 sei in der Unterstützungskonstellation ein Verstoß gegen das Verbot der Gewaltanwendung anzunehmen, was der IGH in seinem Nicaragua-Urteil bestätigt habe686 . Ausgehend von dieser Position sind sowohl die Schwere der Gewaltakte als auch das Ausmaß der staatlichen Unterstützung allein für die Bestimmung des Umfangs zulässiger Selbstverteidigungsmaßnahmen von Belang.
(1985), S. 77 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die völkerrechtspolitischen Ausführungen von McDougal/Feliciano, Wor1d Public Order, S. 192 (Fn. 164), aus denen sich allerdings klare Schlüsse bezüglich der Anwendbarkeit des Art. 51 SVN nicht ableiten lassen. 682 Dinstein, Self-Defence, S. 199ff.; Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 135 i.V.m. S. 102f.; Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 197 f.; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113; ders., FS Ago III, S. 157; Goldie, SJint'IL&Com 14 (1988), S. 636; Rostow, YaleJinti'L II (1986), S. 453; Moore, AJIL 80 (1986), S. 84; ders., VaJint' IL 27 (1987), S. 276f.; ders., AJIL 81 (1987). S. 154; etwas weniger deutlich noch ders., AJIL 61 (1967), S. 10; Gill, AHDI I (1988), S. 48 ff. ; ders., NYIL 23 (1992), S. 130 f.; Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 139ff.; Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 154; Turner, VandJTransnat'IL 20 (1987), S. 68; Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), S. 430; Reich1er/Wippman, YaleJint'IL 11 (1986), S. 470f.; Harry, SIULJ II (1987), S. 1299; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 205ff. ; Sciso, RDI 66 (1983), S. 261 ff. ; Schwebe!, RdC 136 (1972 II), S. 482; ders., Damrosch/Scheffer (Hg.), Law and Force, S. 300f. ; Wengler, Gewaltverbot, S. 48; Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 323; F. Klein, FS Jahrreiss, S. 185; Fawcett, RdC 108 (1961 II), S. 359ff.; Bryde, EPIL 4, S. 213; Kelsen, AJIL 42 (1948), S. 791 f.; Higgins, BYIL 37 (1961), S. 302. 683 Es sind diejenigen Hargroves, AJIL 81 (1987), S. 139 ff.; Rostows, YaleJlnt'IL II (1986), S. 453 und Harrys, SIULJ II (1987), S. 1299. 684 Rostow, YaleJint'IL II (1986), S. 453; ganz ähnlich Harry, SIULJ II (1987), s. 1299. 685 Vgl. oben Text bei den Fn. 615 f. 686 Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 139 ff.
III. Die Unterstützungskonstellation
165
Die meisten Autoren berücksichtigen diese Gesichtspunkte hingegen bereits bei der Frage nach dem Vorliegen eines bewaffneten Angriffs. Auf die verbreitete Auffassung, eine gewisse Schwere der Gewaltakte gehöre zu den begrifflichen Voraussetzungen des bewaffneten Angriffs, ist bereits an anderer Stelle hingewiesen worden. Speziell in der Unterstützungskonstellation soll es des weiteren auf Art oder Umfang der staatlichen Unterstützung ankommen. Soweit nach der Art der Unterstützung differenziert wird, führt dies zur Ausklammerung der Finanzierung privater Gewalttäter. Die UnterstützungshandJungen sollen selbst militärischen Charakter aufweisen687 . Zumeist wird das Erfordernis eines gewissen Umfangs der staatlichen Unterstützungshandlungen aufgestellt. Teilweise wird dabei auf jede Konkretisierung verzichtet und auf die Beurteilung im Einzelfall verwiesen688 . Andere übernehmen in Anlehnung an Art. 3 g) Alt. 2 der Resolution 3314 die Formel von der "substantiellen Verwicklung"689 . Unter "substantieller Verwicklung" wird zum Teil ein staatlicher Beitrag verstanden, dem für die Durchführung der Gewaltakte wenigstens in ihrer konkreten Schwere entscheidende Bedeutung zukommt, wobei die Finanzierung ausdrücklich als ein wesentlicher Faktor anerkannt wird690 . In dieselbe Richtung gehen Formulierungen, wonach es infolge der Unterstützung zu einer weitreichenden Abhängigkeit der Privaten vom fördernden Staat kommen muß691 . Die Begründung für die Annahme eines bewaffneten Angriffs bei einem derartigen Grad staatlicher Verwicklung ist nicht einheitlich. Teilweise wird ausgehend von dem engen Verständnis der Zurechnungsregeln betont, eine Zurechnung der Gewaltakte scheide auch bei substantieller Unterstützung aus. Der bewaffnete Angriff sei in dem Beteiligungsverhalten selbst zu 687 Thomas/Thomas/Salas, Indirect Aggression, S. 87 ff., insbes. unter Berücksichtigung der inneramerikanischen Praxis, S. 125; diese Autoren wollen wohl auch die Unterstützungsmodalität des Trainings vom Gewaltverbot ausnehmen, um es für das Interventionsverbot zu reservieren, S. 152 f. Wohl auch für die Ausklammerung der Finanzhilfe Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 115, wenngleich sich der entsprechende Passus direkt nur auf die Auslegung des Art. 3 g) der Resolution 3314 bezieht. 688 So etwa Bryde, EPIL 4, S. 213; F. Klein, FS Jahrreiss, S. 185; Gill, NYIL 23 (1992), S. 130f. (in (leichter) Modifizierung der in Fn. 691 zitierten Stellungnahme aus dem Jahre 1988). 689 So etwa Reichler/Wippman, YaleJint'IL 11 (1986), S. 470f.; Sciso, RDI 66 (1983), S. 261 ff., und Schwebet, Damrosch/Scheffer (Hg.), Law and Force, S. 300f.; Moore, AJIL 80 (1986), S. 84, qualifiziert das erforderliche Maß an Unterstützung als "serious and sustained". 690 Sciso, RDI 66 (1983), S. 261, 265; Cocuzza, IYIL 7 ( 1986/87), S. 205 ff.; Turner, VandJTransnat'lL 20 (1987), S. 68. 691 Gill, AHDI 1 (1988), S. 51; ähnlich Dinstein, Self-Defence, S. 201f. ; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113, bzw. FS Ago III, S. 157, verlangt eine derart umfangreiche Unterstützung, daß die Privaten allein kraft dieser Unterstützung zu de facto-Organen des Unterstützerstaates transformiert würden.
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
sehen. Dieses Verständnis entspreche der Staatenpraxis692 . Nach anderer Auffassung soll bei einer substantiellen Verwicklung die Zurechnung der Gewaltakte möglich sein und daraus die Annahme eines staatlichen bewaffneten Angriffs folgen 693 . Mit Blick auf den Zurechnungsmaßstab des IGH wird auch die Möglichkeit einer zweiten Zurechnungsstufe angedeutet, ohne allerdings spezifische Rechtsfolgen dieser Zurechnungsstufe zu entfalten694. Bemerkenswert ist schließlich, daß auch von seiten derer, die die Möglichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs in der Unterstützungskonstellation nicht ausschließen, die völkerrechtspolitische Vorzugswürdigkeit ihrer Auffassung postuliert wird. Es müsse für diejenige Lösung optiert werden, die am besten geeignet sei, die schwerwiegende Völkerrechtsverletzung zu verhindern, die in der Unterstützung von Gewaltakten Privater auf fremdem Territorium zu sehen sei. In der dezentralen Völkerrechtsordnung gehe eine hinreichende Abschreckungswirkung nur von der Existenz wirksamer Selbstschutzrechte aus. Wirksam sei nur dasjenige Selbstschutzrecht, das dem Unterstützerstaal die Einbeziehung seines eigenen Territoriums in die gewaltsame Auseinandersetzung in Aussicht stelle. Das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN erfülle diese Voraussetzung, weshalb seine Zuerkennung an den von der Gewaltanwendung betroffenen Staat sowie etwaige hilfsbereite Staaten völkerrechtspolitisch wünschenswert sei695.
2. Völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungslösung Einige Völkerrechtler vertreten die Auffassung, daß in unserer Konstellation entweder zusätzlich696 oder ausschließlich697 ein nicht vom Vorliegen eines bewaffneten Angriffs abhängiges Selbstverteidigungsrecht kraft Völkergewohnheitsrechts in Betracht komme, welches durch Art. 51 SVN nicht verdrängt worden sei. Uneins ist man darüber, ob dieses Recht auch kollektiv ausgeübt werden kann698 . Sciso, RDI 66 (1983), S. 259, 26lff. So vor allem Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113, bzw. FS Ago III, S. 157, der den Ausnahmecharakter einer solchen Unterstützungskonstellation betont; daneben Dinstein, Self-Defence, S. 201 f. ; wohl ebenso Gill, AHDI 1 (1988), S. 51 i.V.m. 50 (vorletzter Abs. a.E.); Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 198, sprechen dann, wenn die staatliche Unterstützung "substantial effects on the target state" hat, von einer "attributability of effects". 694 Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 206 f. (Fn. 49). 695 So insbes. Moore, VaJint'IL 27 (1987), S. 281 ; ders., AJIL 81 (1987), S. 152. 696 So wohl Moore, AJIL 61 (1967), S. 6, 10. 697 So sind die etwas unklaren Äußerungen Novogrods, Bassiouni/Nanda (Hg.), International Criminal Law, S. 229f. (Fn. 160f.) am ehesten zu verstehen; eine derartige Lösung andeutend Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1987), S. 208 a.E. 692
693
III. Die Unterstützungskonstellation
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3. Zur Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Unterstützerstaal Seine Fortsetzung findet der Streit über die rechtliche Einordnung der Unterstützungskonstellation bei der Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN. Diesbezüglich herrscht im Schrifttum, wie zu Recht bemerkt worden ist699 , nicht geringe Verwirrung. Diese ist Folge der verbreiteten Neigung, die Begriffe der staatlichen Gewaltanwendung im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 und des staatlichen bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN inkongruent zu bestimmen. Abgesehen davon, daß im Rahmen des Art. 51 SVN häufig eine gewisse Schwere der Gewaltanwendung gefordert wird, ergibt sich speziell in der Unterstützungskonstellation eine Inkongruenz dann, wenn man die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN von der Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum Staat abhängig macht, Art. 2 Ziff. 4 SVN hingegen auch Unterstützungshandlungen unterhalb der Zurechnungsschwelle subsumiert. Dementsprechend ziehen eine Reihe von Völkerrechtlern, die einen bewaffneten Angriff des Unterstützerstaales entweder ganz ausschließen oder nur in engen Grenzen für möglich halten, einen Verstoß gegen das Verbot der Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN in weitestem Umfang in Betracht (lnkongruenzlösungf 00 . Dies geschieht häufig in Anlehnung an die einschlägigen Passagen des Nicara698 Dazu neigend Moore, AJIL 61 (1967), S. 6, 10, und Novogrod, Bassiouni/ Nanda (Hg.), International Criminal Law, S. 229f. (Fn. 160f.); dagegen Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1987), S. 208 a.E. 699 Von Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 460f., der mit seinen eigenen Äußerungen allerdings auch nicht eben klarifizierend wirkt. 700 Zu der ersten Kategorie gehören Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1987), S. 203; Kahn, YaleJint'lL 12 (1987), S. 40f. (Fn. 144) i.V.m. 23 und wohl auch Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 30ff.; zur zweiten Kategorie gehört Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 136 einerseits, S. 149 i.V.m. 154 andererseits. Für die rigorose Anwendung des eng verstandenen Kriteriums der Zurechenbarkeit auch im Rahmen von Art. 2 Ziff. 4 SVN dagegen Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 245, der deshalb einen Verstoß gegen das Gewaltverbot verneint, und allein das Interventionsverbot für einschlägig hält (restriktive Kongruenz/äsung); für die rigorose Anwendung des (von ihm etwas weniger eng verstandenen) Zurechnungskriteriums und damit gegen die Inkongruenzlösung trotz zum Teil etwas unklarer Formulierung auch Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113 (unklar noch aufS. 111), bzw. FS Ago III, S. 157 (unklar noch auf S. 154); ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Zurechnungsregeln verneinen die Anwendbarkeit des Gewaltverbots in der Unterstützungskonstellation Kewenig, Schaumann (Hg.), S. 187f.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 35; Thode, Menzel/ Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 450; Roeser, Waffenhandel, S. 169f., und Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 765 f. (für die vier zuletzt genannten Autoren ergibt sich die Ablehnung des Verstoßes gegen das Gewaltverbot und die Befürwortung einer restriktiven Kongruenzlösung aus dem fehlenden grenzübergreifenden Charakter der Gewaltanwendung).
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C. Die Behandlung verschiedener Konstellationen
gua-Urteils701 . Zum Teil spiegelt sich in den literarischen Stellungnahmen auch die insoweit erkennbare Unsicherheit des IGH702 wider703 .
4. Zu der zwischen individueller und kollektiver (Gegen-)Gewaltanwendungsbefugnis differenzierenden Variante der Inkongruenzlösung Zu der Unübersichtlichkeit des Meinungsstandes trägt weiter der Umstand bei, daß ein Teil derer, die die Inkongruenzlösung befürworten bzw. für möglich halten, eine Befugnis des von der Gewaltanwendung direkt betroffenen Staates annehmen, mit - ggf. grenzübergreifender Gegengewalt gegen den Unterstützerstaat vorzugehen 704 • Auch insoweit stützt man sich auf den IGH, der ein Recht zu individueller gewaltsamer Gegenintervention gerade mit Blick auf unsere Konstellation erwogen hat. Die entscheidende Konsequenz der so verstandenen Inkongruenzlösung ist der Ausschluß eines Rechts zu kollektiver Gewaltanwendung gegen den Unterstützerstaat. Diese Konsequenz sei, so heißt es705 , völkerrechtspolitisch sinnvoll, da von dem Drittstaatenengagement besondere Eskalationsgefahren ausgingen.
701 Vgl. etwa Macdonald, CYIL 24 (1986), S. 136; Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 30ff.; Perkins, GaJint'I&CompL 17 (1987), S. 203. 702 Vgl. oben unter 8. V. l. b). 703 Das gilt etwa für die Ausführungen Rowles' , UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 460ff.; Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 27, stellt nach gründlicher Analyse der einschlägigen Passagen des lOH-Urteils fest, hiermit sei die Gewaltsverbotsproblematik für die Unterstützungskonstellation nicht gelöst. 704 Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye, Terrorisme international, S. 32; ; Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 486, will immerhin "spiegelbildliche" Gegenmaßnahmen zulassen; Perkins dagegen beschränkt Maßnahmen in Ausübung des von ihm sogenannten Rechts zur Gegenintervention auf das Territorium des betroffenen Staates, GaJint'lCompL 17 (1987), S. 201 ff. 705 Farer, AJIL 81 (1987), S. 114.
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen unter Einbeziehung der relevanten textorientierten 706 Auslegungsgesichtspunkte I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 ZifT. 4 und 51 SVN Die Darstellung des Diskussionsstandes in der Völkerrechtslehre hat deutlich gemacht, daß von der Erörterung unserer Problematik einige grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN berührt werden. Hierzu soll zunächst Stellung bezogen werden, um dann auf den gewonnenen Erkenntnissen aufbauend Auslegungsergebnisse zu den einzelnen Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater entwickeln zu können. Getreu dem methodischen Ansatz dieser Untersuchung ist bei der Auslegung nicht nur die Feststellung von Bedeutung, daß die Gründe für eine bestimmte Deutung zumindest erheblich mehr Gewicht aufweisen als etwa vorhandene Gegengründe, sondern es kann auch die Erkenntnis von Interesse sein, daß Gründe gegen ein bestimmtes Normverständnis nicht ganz auszuräumen sind. 1. Zur conditio sine qua non-Qualität des bewaffneten Angriffs für die Satzungskonformität unilateraler707, nicht konsentierter Gewaltanwendung auf fremdem Territorium
Wie oben708 aufgezeigt, begründet ein Teil des Schrifttums die Zulässigkeil der (Gegen-) Gewaltanwendung des von den Gewaltakten der Privaten betroffenen Staates mit einer engen Auslegung des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN und/oder einer weiten Auslegung des Art. 51 SVN bzw. (bei enger Auslegung) der Ablehnung einer Sperrwirkung dieser Bestimmung im Hinblick auf die Satzungskonformität gewaltsamer (über den Fall des bewaffneten Angriffs hinausreichender) Selbstverteidigungs-, Repressalien-, Notstands-, Ersatzvornahme- oder Geschäftsführungsmaßnahmen ohne Auftrag. Diesen Lösungsansätzen steht das Verständnis der ganz h. L. 706 Soweit in diesem Abschnitt schlicht von Auslegung die Rede ist, wird hiermit allein die textorientierte Auslegung bezeichnet. 707 Hiermit sollen Maßnahmen kollektiver Sicherheit ausgegrenzt werden. 708 Unter C. 11. 2. c) - h), III. 2.
170
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
entgegen, wonach der Gewaltverbotstatbestand des Art. 2 Ziff. 4 SVN jede auf fremdem Territorium vorgenommene unilaterale, nicht konsentierte Gewaltanwendung erfaßt709 und Art. 51 SVN als Erlaubnistatbestand dieses Verbot nur hinsichtlich der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs durchbricht710 . Hiermit ist die bekann709 Für die weite Auslegung des Gewaltverbots etwa Brownlie, Use of Force, S. 265 ff.; Greenwood, MLR 55 (1992), S. 176; Taoka, Self-defence, S. 106; Prowein, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 64; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 14; Kewenig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 184; Rifaat, International Aggression, S. 122; Genoni, Notwehr, S. 115f.; Ader, Rettungsaktionen, S. 21; Tomuschat, EA 36 (1981 ), S. 329 f.; Randelzhofer, EPIL 4, S. 270; ders., Simma (Hg.), Charta VN, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 34f. ; Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 759f. (Rz. 29- 31); Beyerlin, ZaöRV 37 (1977), S. 217; de Arechaga, RdC 159 (1978 1), S. 90ff.; Lachs, RdC 169 (1980 IV), S. 160ff.; Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. I !Off.; Rowles, ASIL 1987, S. 309ff.; Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 880 (Rz. 15); Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 287 (§ 469); F. Klein, FS Jahrreiss, S. 165; Kelsen, Principles of international law, S. 45 ; Berber, Völkerrecht li, S. 42 ff.; die Gegenauffassung vertreten - mit Abweichungen hinsichtlich der genauen Reichweite des Gewaltverbots - neben den in den Fn. 637f. Genannten -etwa Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 147ff.; Bowett, Self-Defence, S. 142; Stone, Aggression and World Order, S. 43, 94ff.; O'Connell, International Law, S. 304; Levenfeld, ColumJTransnat'IL 21 (1982), S. 26f.; Botha, SA YIL II (1985/86), S. !52; Perkins, GaJint'IL&CompL 17 (1987), S. 197 ff.; Reisman, AJIL 78 (1984 ), S. 642 ff.; Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 127 ff.; D' Amato, AJIL 84 (1990), S. 520; beachtlich auch das Restaterneut (Revised) Of Foreign Relations Law Of The United States (Tentative Draft No. 6, 1985), section 703, comment e, und noch deutlicher section 905, comment g Ueweils in bezug auf nach Zeit und Umfang begrenzte gewaltsame "rescue missions"); nur scheinbar für ein restriktives Verständnis des Gewaltverbots in Art. 2 Ziff. 4 SVN Jessup, Law of Nations, S. 162f. i.V.m. 165f. und 169ff. 71 Für dieses Verständnis des Art. 51 SVN etwa Brownlie, Use of Force, S. 270ff.; Taoka, Self-defence, S. 126ff. 'i.V.m. 112; Dinstein, Self-Defence, S. 185f.; Zanardi, Legittima Difesa, S. 204ff. ; Genoni, Notwehr, S. 105ff., l34ff. 153f.; Ader, Rettungsaktionen, S. 68; Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. ll5f.; Rifaat, International Aggression, S. 125; Delivanis, Legitime Defense, S. 52 f.; Al Chalabi, Legitime Defense, S. 78 ff.; Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 46; Bryde, EPIL 4, S. 213; Randelzhofer, EPIL 4, S. 272; ders., Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 14; Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 755 (Rz. 9); Cassese, Cot/Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 774ff.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 16f.; Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 886f. (Rz. 28); Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 287 (§ 470); Berber, Völkerrecht li, S. 44ff. ; Jessup, Law of Nations, S. 165f.; Kelsen, Principles of international law, S. 61; Rowles, ASIL 1987, S. 309ff.; de Arechaga, RdC 159 (1978 1), S. 95f.; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 758f.; Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. II; Boyle, ASIL 1987, S. 294; Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), S. 403ff.; Regourd, AFDI 32 (1986), S. 88; Beyerlin, ZaöRV 37 (1977), S. 219ff.; ders., LdRIVR, S. I 13f.; E. Klein, LdRIVR, S. 289f.; Tomuschat EA 36 (1981), S. 329; Rudolf, Vietnam, S. 31 f.; David, Mercenaires, S. 347; Gill, AHDI I (1988), S. 35. ; F. Klein, FS Jahrreiss, S. 165; Dupuy, AFDI 5 (1959), S. 460ff. ; Wright, AJIL 53 (1959), S. 116f.; Röling, FS Verzijl, S. 320; Kunz, AJIL 41 (1947), S. 877 f. ; die Gegenauffassung vertreten außer den in Fn. 631
°
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
171
teste Kontroverse bezüglich der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN angesprochen. Ihr gelten die folgenden Ausführungen. Genannten etwa Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 145ff.; McDougal/Feliciano, World Public Order, S. 232 ff.; bei Schwarzenberger, RdC 87 (1955 1), S. 339, heißt es ausgehend von dem clausula rebus sie stantibus-Gedanken (dazu bereits oben unter A. I in Fn. 30): "any interpretation of Article 51 must take into consideration the actual state of this quasi-order (das System der kollektiven Sicherheit, Verf.) in the concrete circumstances and, accordingly, must vary in strictness and liberality of construction (Hervorh. v. Verf.)"; differenzierend Perkins, GaJint'IL&CompL 17 (1987), S. 206f.: Art. 51 SVN (eng ausgelegt sei konstitutiv nur hinsichtlich der kollektiven Selbstverteidigung); unentschieden etwa Goodrich/Hambro/Simons, UN Charter, S. 345; Thomas/Thomas, OAS, S. 252.; widersprüchlich fällt die Stellungnahme der ILC in ihrem Kommentar zu Art. 34 ILC-Entwurf aus: Zunächst heißt es, Selbstverteidigung komme nur gegen einen bewaffneten Angriff in Betracht (YILC 1980 II 2, S. 53 (par. 5), 54 (par. 8)), dann wird die Frage der Auslegung des Art. 51 SVN ausdrücklich offengelassen (YILC 1980 II 2, S. 58 ff. (par. 19 ff.)) ; mit letzterer Haltung harmoniert die Unentschiedenheil der ILC in der Frage gewaltsamer Notstandsmaßnahmen (dazu oben unter C. II. 2. f). Besonders groß ist die Übereinstimmung im Schrifttum in der Beurteilung gewaltsamer Repressalien als satzungsrechtswidrig. Folgende Befürworter von über den Fall des bewaffneten Angriffs hinausgehenden Selbstverteidigungsbefugnissen teilen diese Bewertung: lntoccia, CaseWResJint'lL 19 (1987), S. 198f.; Mc Credie, CaseWResJint'lL 19 (1987), S. 238f.; Dahm, JIR II (1962), S. 54; Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 493 ; Bowett, Self-Defence, S. 13 f., 34, der diese Auffassung in AJIL 66 (1972), S. 22, 26 f. nur sehr vorsichtig abschwächt; auch die ILC lehnt in ihrem Kommentar zu Art. 30 ILC-Entwurf die Zulässigkeil gewaltsamer Repressalien ab (YILC 1979 II 2, S. 118, par. 10); vgl. in demselben Sinne das Ergebnis der ILC-Diskussion während der 1994er-Session in A/CN.4/L.497 (4 July 1994), S. 20 (par. 55), sowie Draft Article 14 (a) zu Part II in A/CN.4/L.501 (12 July 1994), S. 3. Auch bezüglich der Frage nach der Satzungskonformität gewaltsamer Notstandsmaßnahmen äußern sich bedeutende Vertreter der weiten Selbstverteidigungslösung wie Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 461 f. i. V.m. 492f., und Bowett, Self-Defence, S. 10 (mit einer Einschränkung auf den S. 171 ff.), dezidiert ablehnend. Von seiten der Vertreter des herrschenden Verständnisses der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN wird diese Frage häufig gar nicht erst problematisiert. Die von daher etwas überraschenden Ausführungen der ILC (oben unter C.ll. 2. f) haben die Diskussion im Schrifttum jedenfalls bislang noch nicht nachhaltig beeinflußt. In diesem Zusammenhang soll freilich die neuere Abhandlung des japanischen Völkerrechtlers Tsutsuis, The RoJe of SelfDefense, aus dem Jahre 1992 nicht unerwähnt bleiben. Tsutsui prognostiziert, wenn der Verf. (mit der freundlichen Hilfe von Prof. Tetsu Saito) die Ausführungen in der Einleitung und auf den S. 151 ff., insbes. 158 f., richtig versteht, eine wachsende Bedeutung von Notstandsmaßnahmen für die Zeit nach dem Kalten Krieg. Kaum Resonanz haben schließlich die oben unter C.ll. 2. g) referierten Thesen von der Satzungskonformität gewaltsamer Ersatzvornahme- und Geschäftsführungsaufgaben ohne Auftrag gefunden. Wenn Herdegen in einem Beitrag neueren Datums (FS Doehring, S. 320) feststellt, die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag seien nicht geeignet, "die gewohnheitsrechtliehen Strukturprinzipien des Völkerrechts wie das . . . Gewaltverbot zu relativieren oder erhebliche Verschiebungen im bestehenden System anerkannter Rechtfertigungsgründe zu bewirken", so dürfte dies auch mit Blick auf die Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN der nahezu einhelligen Auffassung entsprechen.
172
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
a) Wortlautgesichtspunkte
aa) Art. 2 Ziff. 4 SVN
Nach dem Text dieser Bestimmung ist zu unterscheiden zwischen mit den Zielen der SVN vereinbarer und unvereinbarer Gewaltanwendung. Mit "gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichteter Gewaltanwendung" werden zwei Fälle letzteren Typs des Gewalteinsatzes benannt. Es fragt sich, ob hiermit jede Gewaltanwendung auf fremdem Territorium erfaßt wird. Das wäre zu bejahen, wenn "territoriale Unversehrtheil (integrity)" mit "territorialer Unverletzlichkeit" gleichgesetzt werden müßte. Eine derartige Identifizierung bedeutete jedenfalls eine ausdehnende Auslegung711 . Näherliegend erscheint es, die Begriffe "Unversehrtheit" und "Unverletzlichkeit (inviolability)" voneinander zu unterscheiden 712 . Dann unterfiele dem ersten benannten Fall mit den Zielen der SVN unvereinbarer Gewaltanwendung nur ein Gewalteinsatz mit Aneignungsabsicht713 , vielleicht darüber hinaus noch solcher größeren Stils, soweit hierbei eine Beeinträchtigung der Unversehrtheil allein aufgrund der Wirkung des Gewalteinsatzes angenommen werden muß 714. Nicht minder problematisch ist die Frage, ob jeder Gewalteinsatz auf fremdem Territorium als gegen die politische Unabhängigkeit gerichtet angesehen werden muß. Geht man von der sehr plausiblen Annahme aus, politische Unabhängigkeit bedeute die Unabhängigkeit von dem nicht am Völkerrecht orientierten Willen anderer Staaten715 , so sind etwa gewaltsame Selbstverteidigungsmaßnahmen diesem Begriff ganz entzogen. Im übrigen erscheint es sprachlich möglich, nach Zeit und Umfang geringfügige Dahm, JIR 11 (1962), S. 50. So Bowett, Self-Defence, S. 31; Franzke, OZOR 16 (1966), S. 148; dieser sprachliche Befund wird von den Vertretern des weiten Verständnisses des Gewaltverbots zumeist nicht bestritten; s. etwa Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 493; Brownlie, Use of Force, S. 265; Kewenig, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 183; Beyerlin, ZaöRV 37 (1977), S. 217; Tomuschat, EA 36 (1981), S. 329; anders jedoch H. Lauterpacht, Oppenheims International Law II, S. 154, der die beiden Begriffe ausdrücklich für synonym erklärt; Randelzhofer, EPIL 4, S. 270; unklar Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 109, der meint, Art. 2 Ziff. 4 SVN enthalte im Begriff der Gewalt ein objektives Kriterium, weshalb der Gewaltakt als solcher entscheidend sei. Hiermit entkräftet Derpa die Annahme, die untersuchte Formulierung deute auf ein subjektives Kriterium hin, nicht; der Verweis auf Bowett in Fn. 591 ist im übrigen im Kontext irreführend. 713 So Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 148. 714 Vgl. insoweit Bowett, Self-Defence, S. 150f., und Dahm, JIR 11 (1962), S. 50. 715 Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 149. 7 11
712
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
173
Gewalteinsätze als ungeeignet anzusehen, die politische Unabhängigkeit des Territorialstaates zu beeinträchtigen 716 . Sprechen danach die besseren Gründe dafür, daß die beiden benannten Fälle von mit den Zielen der SVN nicht vereinbarer Gewaltanwendung nicht jeden Gewalteinsatz auf fremdem Territorium erfassen, so kommt dem Hinweis auf unbenannte Fälle von mit den Zielen der SVN unvereinbarer Gewaltanwendung Bedeutung zu. Als ein solcher unbenannter Fall wäre jeder den benannten Fällen nicht zuzuordnende Gewalteinsatz auf fremdem Territorium unter der Voraussetzung anzusehen, daß alle unilateralen Gewalteinsätze mit den Zielen der SVN unvereinbar sind. Letztere Annahme mit Art. 1 Ziff. 1 SVN zu begründen7 17 , ist möglich. Doch zwingt die hierin enthaltene Zielvorgabe, zu den genannten Zwecken wirksame kollektive Maßnahmen durchzuführen, nicht zu einem Umkehrschluß auf die Unzulässigkeil jedweden unilateralen Gewalteinsatzes. Sicher ist Art. 1 Ziff. 1 SVN nur zu entnehmen, daß hierdurch die Wirksamkeit kollektiver Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden darf 18 . Im übrigen ist der Aussagegehalt des Art. 1 Ziff. 1 SVN hinsichtlich unilateraler Gewaltanwendung ungewiß, da die Begriffe "Friedensbedrohung", "Friedensbruch" und "Angriffshandlung", denen eine unilaterale Gewaltanwendung zugeordnet werden mag, nach der SVN-Systematik (die zitierten Begriffe finden sich in Art. 39 SVN wieder), kein Rechtswidrigkeilsurteil implizieren719 . Schließlich kann gegen die Argumentation mit Art. 1 Ziff. 1 SVN vorgebracht werden, daß sie von einer Hierarchie der Satzungsziele720 ausgeht, ohne hierfür im Text eine eindeutige Anordnung vorzufinden. Gegenstimmen verweisen dementsprechend auf die Satzungsziele der Förderung der Menschenrechte und der Achtung vor dem Völkerrecht721 . Jüngst ist sogar - allerdings ebenfalls ohne Textgrundlage - die Vorrangigkeil des Zieles der "Förderung der inneren Selbstbestimmung" behauptet worden 722 . Dahm, JIR 12 (1962), S. 50. So Ke1sen, Principles of international law, S. 45; ähnlich Rifaat, International Aggression, S. 122; nach Ader, Rettungsaktionen, S. 13 f., legt Art. 1 Ziff. 1 SVN eine "gewaltfeindliche" Auslegung des Art. 2 Ziff. 4 SVN nahe. 71 8 Stone, Aggression and World Order, S. 96; Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 151; zust. Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 109. 7 19 Ausführliche Argumentation in diesem Sinne bei Franzke, ÖZÖR 16 (1966), s. 150f. 72° Für eine entsprechende Hierarchie etwa auch Randelzhofer, EPIL 4, S. 270; de Arechaga, RdC 159 (1978 1), S. 91; Berber, Völkerrecht II, S. 43. 721 Insbesondere Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 150, 152 f.; Stone, Aggression and World Order, S. 43, 95, und bezogen auf den Menschenrechtsgesichtspunkt neuerdings Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 131, und D' Amato, AJIL 84 ( 1990), S. 520. 722 Von Reisman, AJIL 78 (1984), S. 642ff., mit dem Schlüsselsatz: "Each application of Article 2 (4) must enhance opportunities for ongoing self-deterrnination" 7 16
71 7
174
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Bleibt zu untersuchen, ob aus Abs. 7 der Präambel abzuleiten ist, jeder nicht ausdrücklich von der SVN gestattete Gewalteinsatz sei mit den Zielen der SVN unvereinbar723 • Hiergegen spricht bereits, daß der angesprochene Präambelabsatz - vollständig gelesen - zur Ausfüllung auf Art. 2 Ziff. 4 SVN zurückverweist724 . Im übrigen ist der in Abs. 7 der Präambel gebrauchte Begriff des "gemeinsamen Interesses" offen725 . Schließlich legt die Formulierung des Art. 2 Ziff. 4 SVN " ... oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar. .. " ein Verständnis im Sinne von " . . . oder nicht anderorts in dieser Satzung ausdrücklich gestattete ... " nicht eben nahe. Die Annahme, jede Gewaltanwendung auf fremdem Territorium, die nicht anderorts ausdrücklich gestattet ist, müsse wegen Abs. 7 der Präambel als mit den Zielen der SVN unvereinbar bewertet werden, sieht sich demnach erheblichen Bedenken ausgesetzt. Eher für die Vereinbarkeil nach Zeit und Umfang begrenzter Gewaltanwendung zu nicht-aggressiven Zwecken726 mit den Zielen der VN spricht sogar der Duktus des Art. 2 Ziff. 4 SVN selbst. Hiernach liegt es nahe, den beiden benannten Fällen von mit den Zielen der SVN unvereinbarer Gewaltanwendung eine Leitlinie für die Konkretisierung des Unvereinbarkeitskriteriums zu entnehmen. Hiervon ausgehend käme dem Umstand Bedeutung zu, daß zwischen dem Fall eines nach Zeit und Umfang begrenzten Gewalteinsatzes zu nicht-aggressiven Zwecken und den beiden benannten Fällen (in dem oben dargelegten Verständnis) ein fundamentaler Unterschied besteht. (S. 643); gegen die von Reisman postulierte Hierarchie Schachter, AJIL 78 (1984), S. 647 f., und Ader, Rettungsaktionen, S. 15, der meint, nur bei nachweisbarer Höherrangigkeit des Menschenrechtsschutzes könne Gewaltanwendung zu diesem Zwecke als mit den Zielen der SVN vereinbar angesehen werden (S. 14); dagegen scheint Chinkin, A YIL 12 (1992), S. 293, Reismans Ansatz zuzustimmen (und die Frage nach einer feministischen Erweiterung dieses Ansatzes aufzuwerfen). 723 So Verdross, RdC 83 II (1953), S. 14. 724 So überzeugend Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 149 f. (der noch weitere Argumente gegen den dargestellten Rekurs auf die Präambel anführt); zust. Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 109. 725 Stone, Aggression and World Order, S. 96. Das gilt nicht nur hinsichtlich Selbstverteidigungssituationen (dazu Franzke, ÖZÖRVR 16 (1966), S. 150), sondern vielleicht noch mehr im Hinblick auf (menschenrechtliche) Verpflichtungen erga omnes; deshalb ist es wenig überraschend, daß Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 133, bei seiner Begründung der Zulässigkeil von Gewaltanwendung zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen auf die Formel vom gemeinsamen Interesse abstellt. 726 S. zu der Wendung "begrenzte Gewaltanwendung zu nicht-aggressiven Zwekken" die Bemerkungen oben in Fn. 577. Nicht von allen Fällen der Gewaltanwendung, die sich der Reisman'schen Formel (oben Fn. 722) zuordnen lassen, kann gesagt werden, sie sie unterfielen dieser Formel; jedenfalls insow. zutr. die Kritik Schachters, AJIL 78 (1984), S. 647.
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
175
Nach alldem ist festzuhalten, daß nach dem Wortlaut des Art. 2 Ziff. 4 SVN die Aussage gut begründbar727 erscheint, daß nach Zeit und Umfang begrenzte, zu nicht-aggressiven Zwecken vorgenommene Gewaltanwendung auf fremdem Territorium dem Gewaltverbot dieser Bestimmung nicht unterfällt.
bb) Art. 51 SVN Zur Begründung der These, Art. 51 SVN sei eine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf. den Fall der Abwehr eines bewaffneten Angriffs nicht zu entnehmen, wird an drei Stellen des Wortlauts dieser Bestimmung angesetzt. Zum einen heißt es, in Ermangelung eines Zusatzes wie etwa " ... nur im Falle ..." könne dem bewaffneten Angriff als Voraussetzung gewaltsamer Selbstverteidigungsmaßnahmen nur exemplarischer Charakter beigemessen werden 728 . Doch pflegt gerade umgekehrt der exemplarische Charakter einer Tatbestandsvoraussetzung durch einen Zusatz wie "insbesondere im Falle" kenntlich gemacht zu werden729 . Dies wäre bei Art. 51 SVN umso mehr geboten gewesen, als die Voraussetzung des bewaffneten Angriffs keine Schlüsse e fortiori erlaubt. Daneben wird der Wendung "nothing shall impair" entnommen, der erste Teil des ersten Satzes des Art. 51 SVN habe nur deklaratorischen Charakter. Deshalb sei es unzulässig, der Bestimmung eine das Selbstverteidigungsrecht beschränkende Wirkung zu attestieren 730 . Art. 51 Satz 1 Erster Teil SVN bedeute nicht mehr als die partielle Klarstellung des bestehenden Selbstverteidigungsrechts. Isoliert betrachtet mag diese Deutung besagter Formulierung etwas für sich haben 731 . Doch würde damit die Gesamtaussage des Art. 51 SVN ganz unplausibel. Nicht nur machte es wenig Sinn, bei einer partiellen Klarstellung das am wenigsten Klarstellungsbedürftige 727 In bezug auf die Wortlautauslegung daher treffend Stone, Aggression and World Order, S. 97: "We do not deny that, as a matter of exegesis, the extreme view of the prohibition of force in Article 2 (4) is possible. We do question whether, even in terms of exegesis, it is the only possible, or even the more likely view (Hervorh. v. Stone)"; vgl. auch Ader, Rettungasaktionen, S. 7, demzufolge den Vertretern der einschränkenden Auslegung zuzugeben ist, "daß der Wortlaut zumindest zweideutig ist"; Brownlie, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 496, spricht in bezug auf eine die h. L. in Frage stellende Wortlautauslegung zu Unrecht von "unelegant casuistry". 728 McDougal/Feliciano, World Public Order, S. 237 (Fn. 261.); zust. Schwebe!, RdC 136 (1972 li), S. 480; ebenso ders. in seiner dissenting opinion zum Nicaragua-Urteil, ICJ Reports 1986, S. 347 (par. 173); Harry, SIULJ II (1987), S. 1301. 729 Dinstein, Self-Defence, S. 185. 730 Bowett, Self-Defence, S. 187; Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 146f. 73 1 Das gesteht auch Brownlie, Use of Force, S. 273, zu.
176
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
herauszugreifen 732 ; geradezu unverständlich wäre es, allein den dringlichsten Selbstverteidigungsfall in zeitlicher Hinsicht zu beschränken (Art. 51 Satz 1 Zweiter Teil SVN) und einem Verfahrenserfordernis zu unterwerfen (Art. 51 Satz 2 SVN)733 . Schließlich wird auf den Gebrauch des Wortes "inherent" abgestellt. Hiermit werde unterstrichen, daß der gewohnheitsrechtliche Gehalt734 des Selbstverteidigungsrechts von der SVN rezipiert bzw. nicht angetastet werde735 . Hierauf ist zu replizieren, daß der Wortlaut des Art. 51 SVN allein das in dieser Bestimmung angesprochene, d. h. das im Falle eines bewaffneten Angriffs bestehende Selbstverteidigungsrecht als "inherent" qualifiziert. Zu Deduktionen im Sinne eines hierüber hinausreichenden Rechts ist das Attribut "inherent" in Art. 51 SVN daher ungeeignet. Vom Wortlaut ausgehend sprechen daher die deutlich besseren Gründe dafür, daß Art. 51 SVN das Selbstverteidigungsrecht auf den Fall der Abwehr eines bewaffneten Angriffs beschränkt. b) Systematische Gesichtspunkte
Ausgehend von der oben736 als gut begründbar qualifizierten Wortlautauslegung des Art. 2 Ziff. 4 SVN hätte der erste Teil des ersten Satzes von Dinstein, Self-Defence, S. 185. Zanardi, Legittima Difesa, S. 216; zust. Genoni, Notwehr, S. 105 f.; in dieselbe Richtung gehen die Ausführungen Aders, Rettungsaktionen, S. 14, 67 f.; dieses Argument wird nicht durch die (einleuchtende) These Franzkes, ÖZÖR 16 (1966), S. 169f. (ebenso Greig, International Law, S. 681) entkräftet, die Beschränkungen des Art. 51 Satz I a. E. und Satz 2 müßten (wegen Art. I Ziff. I SVN) auf jede Selbstverteidigungsmaßnahme Anwendung finden, denn auch hiernach bliebe es ganz unstimmig, die Beschränkungen ausdrücklich nur auf den dringlichsten Fall der Selbstverteidigung zu beziehen. 734 Die französische Textfassung spricht von "droit nature!" und deutet so einen Rekurs auf das Naturrecht an. Dazu daß ein solcher Rekurs bei der Interpretation des Art. 51 SVN nicht weiterhülfe, etwa Bowett, Self-Defence, S. 187; Dinstein, Self-Defence, S. 179f.; Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 107f.; allgemein zur Problematik der "Konkretisierung positiv-völkerrechtlicher Normen aus Naturrecht" Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 44. 735 Die Unterscheidung zwischen "Rezeption" und "Unberührtheit" betrifft den Geltungsgrund des Selbstverteidigungsrechts; zumeist sind die Ausführungen der Befürworter eines weiten Selbstverteidi~un_gsrechts im Sinne der "Unberührtheitslösung" zu verstehen; s. etwa Franzke, OZOR 16 (1966), S. 146f.; Schwebe!, RdC 136 (1972 II), S. 480; Levenfeld, Co1umJTransnat'lL 21 (1982), S. 26; wohl ebenso Greig, International Law, S. 680f.; einige Vertreter der Gegenauffassung deuten diese Ausführungen aber offenbar im Sinne einer "Rezeptionslösung"; vgl. etwa E. Klein, LdRNR, S. 289: "Danach habe die Charta den gesamten Umfang des gewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrechts rezipiert (Hervorh. v. Verf.) ... "; ebenso Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 287 (§ 470). 736 Unter a)aa) a.E. 732 733
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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Art. 51 SVN nur deklaratorischen Charakter737 • Wie oben738 gezeigt, erhielte Art. 51 SVN hiermit eine ganz unplausible Gesamtaussage. Legt man deshalb umgekehrt den konstitutiven Charakter der in Art. 51 SVN enthaltenen Erlaubnis zugrunde mit der Folge, daß auch gewaltsame Selbstverteidigungsmaßnahmen - und damit e fortiori andere Gewalteinsätze zu nicht-aggressiven Zwecken - dem Verbot des Art. 2 Ziff. 4 unterfallen, so folgte hieraus zwar die rechtliche Bedeutungslosigkeit von immerhin dreiundzwanzig der dreiunddreißig Wörter739 des Textes von Art. 2 Ziff. 4 SVN, doch bliebe die Gesamtaussage letzterer Bestimmung sinnvoll. Die systematische Auslegung liefert damit ein sehr gewichtiges Argument für die Deutung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 entsprechend der ganz h. L. c) Genetische Gesichtspunkte aa) Zulässigkeif
Nicht erst seit dem lokrafttreten des Art. 32 WVK wird die genetische Auslegung dann für unzulässig gehalten, wenn die Befragung der "objektiven" Auslegungscanones zu einem eindeutigen Ergebnis führt740 . Während gegen die genetische Auslegung des Art. 2 Ziff. 4 SVN Bedenken zu Recht kaum741 erhoben werden, wird die Zulässigkeit der genetischen Auslegung des Art. 51 SVN teilweise742 mit dem Hinweis betritten, dessen Wortlautaussage sei (im Sinne der h.L.) eindeutig. Die Frage der Wortlautauslegung des Art. 51 SVN ist oben743 offengelassen worden und braucht auch hier nicht entschieden zu werden, haben doch die Ausführungen zur systematischen Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN gezeigt, daß diese beiden Bestimmungen zum Zwecke einer erschöpfenden Auslegung zusammengeZutr. Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 106. Unter a) bb). 739 Die Zahl der potentiell bedeutungslosen Wörter betont Schachter, MichLR 82 (1983/84), s. 1625. 740 Zahlreiche Nachw. zu der entsprechenden Rspr. des StiGH und IGH bei Roeben, GYIL 32 (1989), S. 395 ff. (Fn. 85 ff.); dort aber auch der Hinweis auf abweichende Tendenzen in der jüngeren Rspr. (S. 397f. (Fn. 97, 99)); zur Schwierigkeit, ein derartiges Eindeutigkeilsurteil zu fällen, Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, s. 200f. 741 Unklar allerdings Dahm, JIR 11 (1962), S. 50, der seine (der h.L. entgegengesetzte, oben Fn. 709) Wortlautauslegung des Art. 2 Ziff. 4 zunächst als "nicht zweifelhaft" bezeichnet und hieraus Folgerungen zieht, um dann zu sagen: "Auch ist die Entstehungsgeschichte des Art. 2 (4) nicht ohne Bedeutung". Die Bedeutung mag sich auf die Ausgestaltung der "zweiten Ebene" des Dahm' schen Modells (s. oben unter C. II. 2.d)aa)) beschränken. 742 Von de Arechaga, RdC 159 (1978 1), S. 96. 743 Unter a)aa) a.E.). 737 738
12 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
lesen werden müssen. Die genetische Auslegung des Art. 51 SVN kann danach von derjenigen des Art. 2 Ziff. 4 nicht isoliert werden und ist jedenfalls deshalb zu berücksichtigen744 .
bb) Vorbemerkung zu der Behandlung einer im Vorfeld der genetischen Argumentation angesiedelten Streitfrage Sicher ist, daß mit der Einfügung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN nicht das Ziel verfolgt wurde, den Bereich erlaubter unilateraler Gewaltanwendung auf fremdem Territorium über das geltende Völkergewohnheitsrecht hinaus zu erweitern. Sollte die Abwehr eines bewaffneten Angriffs bereits nach im Jahre 1945 geltendem Völkergewohnheitsrecht der einzige Fall erlaubter Gewaltanwendung im besagten Sinne gewesen sein - so wie es teilweise vertreten wird745 -, so ergäbe sich ohne weiteres ein gewichtiges genetisch-historisches Argument für die Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN im Sinne der h.L. 746 . Hingegen wird der These von den bereits im Jahre 1945 bestehenden engen völkergewohnheitsrechtliehen Grenzen erlaubter Gewaltanwendung in der Völkerrechtslehre mehrheitlich 747 widersprochen. Bei der genetischen Analyse wird - um ausgreifende historische Betrachtungen an dieser Stelle zu vermeiden - davon ausgegangen, daß im Jahre 1945 möglicherweise über den Fall des abzuwehrenden bewaffneten 744 Zu Recht dagegen, Art. 2 Ziff. 4 (vor allem) genetisch, Art. 51 SVN hingegen (vor allem) grammatikalisch auszulegen, Franzke, ÖZöR 16 (1966), S. 144. 745 Dieser Auffassung sind Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 52; Taoka, Self-defence, S. 102, 133; Genoni, Notwehr, S. 83, 107f.; dazu neigend auch Brownlie, Use of Force, S. 241. 746 Konsequent daher Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 52ff.; Genoni, Notwehr, S. 107f. 747 S. neben den in den Fn. 631 Genannten noch Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 103; Franzke, Schutzaktionen, S. 125f. (beide zum Umfang des völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrechts); Schwebe! ist in seiner dissenting opinion zum Nicaragua-Urteil von einem weiten Völkergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht ausgegangen, ICJ Reports 1986, S. 347 (par. 173), und Sir Jennings, der in seiner dissenting opinion die Existenz einer mit Art. 2 Ziff. 4 SVN deckungsgleichen völkergewohnheitsrechtliehen Norm selbst für die Zeit des Nicaraguakonflikts bestritten hat, dürfte kaum anderer Meinung sein. Die Sicht der Richtermehrheit zur Reichweite des völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsrechts zum Zeitpunkt des Nicaraguakonflikts steht dem selbst dann nicht notwendig entgegen, wenn man das obiter dieturn zu den gewaltsamen individuellen Gegenmaßnahmen außer Betracht läßt, da jedenfalls die Deutung Macdonalds, CYIL 24 (1986), S. 147, möglich ist, "that the Court's view isthat Art. 51 is limited to cases of armed attack and that that article is responsible for the narrowing of the doctrine in customary international law". Zum Völkergewohnheitsrechtlichen Status bewaffneter Repressalien vor Inkrafttreten der SVN vgl. noch Nguyen, Quoc/Daillier/Pellet, DIP, S. 824 f.
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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Angriffs hinausgehende völkergewohnheitsrechtliche Befugnisse zur Gewaltanwendung auf fremdem Territorium bestanden. Es wird deutlich werden, daß die Entstehungsgeschichte auch bei Offenhaltung der aufgezeigten Streitfrage zur Historie wichtige Erkenntnisse liefert. cc) Die Genese der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN Kapitel 2 Prinzip 4 der Dumbarton Oaks Proposals enthält die Vorläuferformulierung zu Art. 2 Ziff. 4 SVN mit den Worten: "All members of the Organization shall refrain in their international relations from the threat or use of force in any manner inconsistent with the purposes of the Organization"748 •
Einen Erlaubnistatbestand hinsichtlich der unilateralen Gewaltanwendung enthalten die Dumbaton Oaks Proposals nicht. Aufschluß darüber, ob danach jede unilaterale Gewaltanwendung verboten sein sollte, gibt ein Bericht des amerikanischen Staatssekretärs Stettinius über die diesbezüglichen chinesisch-amerikanischen Verhandlungen. Hierin heißt es: "Dr. Koo asked wether it would be possible under the document for either member or not-member states to use force unilaterally under the claim that such action was not inconsistent with the purposes of the Organization. He seemed satisfied with the explanation that, except in cases of self-defence, no unilateral use of force could be taken without the approval of the council. In this connection Mr. Victor Hoo, Vice-Minister of Foreign Affairs, desired explicit assurance that use of force in cases of self-defence would not be regarded as inconsistent with the purposes of the Organization"749 .
Mithin bestand Einigkeit darüber, daß gewaltsame Selbstverteidigungsmaßnahmen - und nur solche - zulässig bleiben sollten. Als Begründung kam eine entsprechende Auslegung der "inconsistent-Klausel" oder die Annahme eines stillschweigenden Vorbehalts in Betracht. Der Gehalt des angesprochenen Selbstverteidigungsrechts konnte in Ermangelung einer näheren Bestimmung nur dem - vielleicht über den Fall des abzuwehrenden bewaffneten Angriffs hinausreichenden - Völkergewohnheitsrecht entnommen werden. Im Verlauf der San Francisko-Konferenz erhält zunächst Art. 2 Ziff. 4 SVN auf einen australischen Vorschlag hin 750 seine endgültige Gestalt. Mit den Zusätzen reagierte man auf den Wunsch verschiedener Staaten nach Aufnahme einer Besitzstandsklausel entsprechend Art. 10 Völkerbundsatzung 751 . Von der Genese her sind diese Zusätze also durchaus eng zu verUNCIO III, S. 3. Foreign Relations of the United States, Diplomatie Papers 1944, I, S. 862. 75o UNCIO VI, S. 557. 75 1 UNCIO VI, S. 451 ff.; zu diesem Aspekt ausführlich Ader, Rettungsaktionen, s. 8 ff. 748
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
stehen, nur sollten Umkehrschlüsse hieraus nicht gezogen werden. Daß der Wortlaut der Zusätze sowie die "inconsistent-Klausel" in ihrem nun modifizierten Textzusammenhang derartigen Umkehrschlüssen Raum ließ, wurde dabei vereinzelt ausdrücklich festgestellt und moniert752 . Die amerikanische Delegation fühlte sich deshalb veranlaßt zu bekräftigen, daß "the phrase ,or in any other manner' was designed to insure that there should be no loopholes"753. Danach ergibt die Genese, daß der Aussagegehalt des Art. 2 Ziff. 4 SVN kein anderer sein sollte als derjenige des zweiten Prinzips des zweiten Kapitels der Dumbarton Oaks Proposals. Dies gilt auch hinsichtlich des Fortbestands des Selbstverteidigungsrechts, wie die diesbezügliche lapidare Feststellung im Bericht von Committee 111 zeigt: "The use of arms in legitimate self-defence remains admitted and unimpaired" 754 •
Auch hier ist nicht mit Gewißheit festzustellen, ob die Zulässigkeil gewaltsamer Selbstverteidigungsmaßnahmen durch Subsumtion unter die "inconsistent-Klausel" oder - wegen der amerikanischen Stellungnahme vielleicht näherliegender - über einen stillschweigenden Vorbehalt gewährleistet werden sollte755 . Art. 51 SVN verdankt seine Existenz der Sorge zahlreicher amerikanischer Staaten um die Vereinbarkeil der im Akt von Chapultepec756 vorgesehenen Befugnis zu kollektiver Gewaltanwendung mit der SVN757. Es ist gesagt worden 758, gerade deshalb sei es unerfindlich, warum der Begriff "armed attack" in Art. 51 SVN eingefügt worden ist, spreche doch der Akt von Chapultepec in erster Linie von "attack", daneben noch von "aggression". Hierzu ist festzustellen, daß die Begriffe "attack" und "aggression" von Vertretern amerikanischer Staaten im Verlauf der Diskussionen zu Art. 51 SVN zumeist in einem engen Sinne gebraucht wurden759 . Mithin So von der Delegation Brasiliens, UNCIO VI, S. 334. UNCIO VI, S. 335. 754 UNCIO VI, S. 459; dazu daß es unzulässig wäre, in diesen Selbstverteidigungsvorbehalt eine Beschränkung auf den Fall des bewaffneten Angriffs hineinzulesen Stone, Aggression and World Order, S. 97f. 755 Für die letztere Begründung Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, s. ll2f. 756 Text in General Secretariat of the Organization of American States (Hg.), The Inter-American System I 2, S. 270ff. 757 Zu einer minutiösen Darstellung der Genese des Art. 51 SVN s. Russell, History, S. 688 ff., insbes. 694 ff. 758 Von Bowett, Self-Defence, S. 184. 759 Vgl. einmal den ersten offiziellen Formulierungsvorschlag der USA (Text bei Russe!, History, S. 698), in dem es heißt: "Should the Security Council not succeed in preventing aggression, and should aggression occur by any state against any member state, such member state possesses the inherent right to take necessary measures for self-defence. The right to take such measures for self-defence against 752
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I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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bleibt trotz des Zusatzes "armed" die Annahme naheliegend, bei der Einfügung des Begriffs "armed attack" in Art. 51 SVN habe man sich am Akt von Chapultepec orientiere60 • Sicher ergibt sich aus der Genese dann ein Konsens insoweit, als man die von einer Ermächtigung des Sicherheitsrats unabhängige Befugnis zu kollektiver Gewaltanwendung durch Regionalpakte wie den Akt von Chapultepec für den Fall des bewaffneten Angriffs absichern, die Befugnis aber gleichzeitig auf diesen Fall begrenzen wollte. Wenn man in Verfolgung dieses Ziels keine ausdrücklich auf Regionalpakte bezogene Formulierung wählte, sondern ein kollektives Selbstverteidigungsrecht statuierte, so lag dies möglicherweise daran, daß man die Entstehung einer Vielzahl regionaler Pakte zur kollektiven Gewaltanwendung nicht ermutigen761 und Staaten, die keinem Regionalpakt angehörten, in bezug auf die kollektive Gewaltanwendung gegen einen bewaffneten Angriff nicht benachteiligen wollte. Letztere Motivation war jedenfalls ein Grund für die Herauslösung der Bestimmung aus dem achten Kapitel der Satzung762 • Hinsichtlich der kollektiven Selbstverteidigung spricht die Genese mithin für die Auslegung im Sinne der h. L. Umstritten ist, welche Erkenntnisse die Genese des Art. 51 SVN hinsichtlich der individuellen Selbstverteidigung liefert. Teilweise wird vertreten, der Verlauf der San Francisko-Konferenz lasse keine Zweifel darüber zu, daß die Staaten gewillt waren, das individuelle Selbstverteidigungsrecht ebenso wie sein kollektives Pendant auf den Fall des bewaffneten Angriffs zu begrenzen. Daß der Akt von Chapultepec Anstoß der Debatten zu Art. 51 SVN war, sei nicht zu bestreiten, doch erschöpfe sich darin seine genetische Bedeutung763 . Die Gegenauffassung764 hält es dagegen für gewiß, daß mit der Formulierung des Art. 51 SVN eine begrenzende Regelung des individuellen Selbstverteidigungsrechts nicht intendiert war. armed attack shall also apply to understandings or arrangements like those embodied in the Act of Chapultepec, under which all members of a group of states agree to consider an attack against any one of them as an attack against all of them. (Hervorh. v. Verf.)", ferner einen Passus der Bewertung der endgültigen Fassung durch den Vertreter Kolumbiens (Text bei Russe!, S. 705): "But if at any time an armed attack should ensue, that is, an aggression against a state. . . (Hervorh. v. Verf.)". 760 In diesem Sinne zu Recht Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 497. 761 Zu den entsprechenden Sorgen Russe!, History, S. 699. 762 Vgl. insow. den instruktiven Bericht Ciobanus zu der Arbeit des Advisory Committee of Jurists in der Spätphase der Redaktion des Art. 51 SVN in RDI 53 ( 1970), S. 327 f. 763 Genoni, Notwehr, S. 104f. 764 Vertreten etwa von Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 497, und McDougal/Feliciano, World Public Order, S. 235.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Bei zutreffender Bewertung erlaubt die Entstehungsgeschichte demgegenüber in der interessierenden Frage keine eindeutige Aussage765 . Zwar ist es möglich, in Art. 51 SVN die Erfüllung des im Verlauf früherer Diskussionen zum Teil geäußerten Wunsches nach einer ausdrücklichen Regelung des individuellen Selbstverteidigungsrechts zu sehen766 und es ist nicht ausgeschlossen, daß Staaten die Formulierung des Art. 51 SVN in diesem Sinne verstanden und den erwähnten767 weiter gefaßten Vorbehalt zu Art. 2 Ziff. 4 SVN damit für obsolet erachteten. Die Annahme, daß letzteres durchgängig oder auch nur überwiegend geschah, ist jedoch anband des verfügbaren Materials nicht zu belegen768 . Hiernach wurde die Frage nach dem Verhältnis des (potentiell weiten) Selbstverteidigungsvorbehalts zu Art. 2 Ziff. 4 und der (engen) Regelung des individuellen Selbstverteidigungsrechts in Art. 51 SVN nicht erörtert. Eine entsprechende Vermutung aufzustellen, ist angesichts der die Beratungen beherrschenden Zielsetzung, die Zulässigkeil kollektiver Gewaltanwendung außerhalb des Sicherheitssystems der SVN zu begrenzen, nicht gerechtfertigt769 . Die Genese der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN ergibt danach folgendes: Unilaterale Gewaltanwendung auf fremdem Territorium sollte nur in Selbstverteidigung zulässig sein770. Dabei sollten kollektive Selbstverteidigungsmaßnahmen auf den Fall der Abwehr eines bewaffneten Angriffs beschränkt sein, während die Absicht einer entsprechenden Limitierung in bezug auf das individuelle Selbstverteidigungsrecht nicht nachzuweisen ist. d) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte
Die Argumente, auf die an dieser Stelle noch kurz eingegangen werden soll, sind allgemein-praktischer Natur und von daher schwerlich einem der gängigen canones der Vertragsauslegung zuzuordnen771 . 765 So auch - allerdings ohne Differenzierung zwischen individueller und kollektiver Komponente des Art. 51 SVN - Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 755 (Rz. 8). 766 Vgl. die entsprechende Stellungnahme der Türkei in UNCIO IV, S. 675. 767 Oben bei Fn. 754. 768 Bezeichnenderweise wird in den erklärenden Stellungnahmen zu Art. 51 fast durchgängig (Ausnahme: Tschechoslowakei) nur die kollektive Komponente in Bezug genommen; UNCIO XII, S. 680ff. 769 Zu einer derart hinsichtlich individueller und kollektiver Selbstverteidigung differenzierenden Bewertung der Genese neigt auch Perkins, GaJint' l&CompL 17 ( 1987), s. 198 f., 206 ff. 770 Die diesbezüglichen Zweifel Tes6ns, Humanitarian Intervention, S. 134 f., gründen nicht in einer Analyse des genetischen Befundes, sondern in haltlosen Spekulationen. 771 Zum Teil steht hinter der allgemein-praktischen Argumentation die unmißverständliche Relativierung der Bedeutung der "klassischen" Auslegungscanones. So lassen etwa die Ausführungen bei McDougal/Feliciano, World Public Order,
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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Für das Verständnis der h.L. wird angeführt, um Mißbrauch auszuschließen, sei die restriktive Formulierung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts geboten (Mißbrauchsargument)772 . Dagegen wird vorgebracht, es sei nicht auszuschließen, daß gewaltlose Rechtsverletzungen für den betroffenen Staat eine dem bewaffneten Angriff vergleichbare Zwangswirkung auslösten773 . Grundsätzlicher setzt die Frage an, ob nicht mit einem Verständnis der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN im Sinne der h.L. ein - angesichts der strukturellen Fragilität des kollektiven Sicherheitssystems - wichtiger Hemmungsfaktor im Hinblick auf die Begehung schwerwiegender Rechtsverstöße entfalle und so einer Destabilisierung der Völkerrechtsordnung · Vorschub geleistet werde (Abschreckungsargument) 774. Die kategorischste Äußerung geht dahin, die Interpretation der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN im Sinne der h. L. sei weder moralisch noch politisch und auch nicht rechtlich zu rechtfertigen, weil und insofern sie die Vertragstaaten unter Umständen dazu zwinge, Rechtsverletzungen auf Dauer ohne Gegenwehr hinzunehmen (Gerechtigkeitsargument)775 . Bereits das Abschreckungsargument ist plausibel 776 , doch hat vor allem das Gerechtigkeitsargument Gewicht, wie bereits in anderem ZusammenS. 232ff., den theoretischen Ansatz des New Haven Approachs sehr deutlich erkennen, wonach "the task of treaty interpretation . . . is not one of discovering and extracting from isolated words some mystical pre-existing, reified meaning but rather one of giving that meaning to both words and acts, in total context, which is required by the principal, general purposes and demands projected by the parties to the agreement. For determining these major purposes, a rational process of interpretation permits recourse to all available indices of shared expectation ... ". In dieser Untersuchung wird im Rahmen der textorientierten Auslegung zuvorderst mit den herkömmlichen, d. h. in der WVK kodifizierten Regeln gearbeitet. Doch hat bereits der seinerzeitige Spezialberichterstatter der ILC, Waldock, zu Entwürfen der Art. 31 f. WVK ausgeführt, daß "the Commission was fully conscious in 1964 of the undesiderability - if not impossibility - of confining the process of interpretation within rigid rules" (YbiLC 1966 II, S. 51), und Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 201, hat zu demselben Thema festgestellt: "Wenn man überhaupt davon sprechen will, daß die Art. 31 und 32 WVRK eine Entscheidung hinsichtlich der Rechtstheorien treffen, so entscheiden sie sich nicht für eine der ,reinen' Lehren, sondern gegen deren jeweiligen Monopolanspruch". Angesichts dessen empfiehlt es sich nicht, allgemein-praktischen Argumenten jede Relevanz bei der Vertragsauslegung von vornherein abzusprechen. 772 So etwa Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 115 f., und Brownlie, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 496. 773 Dazu ausführlich McDougal/Feliciano, World Public Order, S. 240f. ; daneben Bowett, Self-defence, S. 24. 774 Tomuschat, EA 36 (1981), S. 326; in dieselbe Richtung weisen die Ausführungen Hailbronners, BDGV 26 (1985), S. 49 ff., insbes. 52 f. 775 Stone, Aggression and World Order, S. 98ff. 776 Zu der Schwierigkeit, sie empirisch zu belegen, Hailbronner, BDGV 26 (1985), s. 52 f.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
hang betont worden ist777 . Es muß als problematisch bezeichnet werden, wenn die notfalls gewaltsame Verteidigung bestimmter Rechte unabhängig von der Existenz bzw. Effizienz eines kollektiven Rechtsverteidigungsinstrumentariums untersagt wird. Angesichts dessen ist es ausgeschlossen, gestützt auf das Mißbrauchsargument das Interpretationsergebnis der h. L. im Wege allgemein-praktischer Argumentation als geboten erscheinen zu lassen 778 . Die entscheidende Frage kann demnach nur sein, ob umgekehrt dem Gerechtigkeitsargument im Wege allgemein-praktischer Argumentation etwas entgegenzusetzen ist. Insoweit ist es zulässig, auf die besonders schwerwiegenden Mißbrauchs- und Eskalationsgefahren hinzuweisen, die im Rahmen der Völkerrechtsordnung mit Tatbeständen erlaubter Gewaltanwendung verbunden sind779 und daraus die Offenheit des Ergebnisses allgemein-praktischer Argumentation zu der Frage des Umfangs erlaubter unilateraler Gewaltanwendung im Völkerrecht zu folgem 780. Damit verweist die allgemein-praktische Argumentation im Ergebnis auf die Befragung der herkömmlichen Auslegungsregeln zurück781 . e) Gewichtung und Folgerungen
Erscheint nach der Wortlautauslegung des Art. 2 Ziff. 4 SVN die Annahme eines über den Fall des bewaffneten Angriffs hinausgehenden Bereichs satzungskonformer Gewaltanwendung auf fremdem Territorium gut begründbar, so spricht die systematische Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN deutlich gegen diese Annahme, ohne den Wortlautbefund völlig entkräften zu können. Letzteres leistet die genetische Auslegung 782 im Hinblick auf alle Gewaltmaßnahmen, die nicht als im Zeitpunkt des lnkrafttretens der SVN völkergewohnheitsrechtlich zulässige SelbstverteidiOben im Text u. A.l. bei Fn. 27. Gegen die Überstrapazierung des Mißbrauchsgesichtspunkts auch Hailbronner, BDGV 26 ( 1985), S. 66. 779 Vgl. die Replik Berbers, Völkerrecht II, S. 43, auf die Argumentation Stones (oben bei Fn . .775). 78 Kahn, YaleJint'lL 12 (1987), S. 34, weist zu Recht daraufhin, es sei vielleicht problematisch, doch jedenfalls möglich, daß innerhalb einer Rechtsordnung Inkongruenz zwischen dem Bereich anerkannter Rechtspositionen und demjenigen zulässiger Gewaltanwendung bestehe. 781 Dazu daß die allgemein-praktische Argumentation häufig zu keinem Ergebnis führt und daß sich gerade daraus die Notwendigkeit der spezifisch juristischen, d. h. an den anerkannten Auslegungscanones orientierten Argumentation ergibt, Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 349. 782 Aus der Subsidiarität der genetischen Auslegung darf nicht auf Nachrangigkeit letzterer bei der Gewichtung geschlossen werden, wie es Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 134 ff., in bezug auf Art. 2 Ziff. 4 SVN offenbar befürwortet; zutr. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 202 (Fn. 789). 777 778
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I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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gungsmaßnahmen qualifiziert werden können, sowie im Hinblick auf kollektive Selbstverteidigungsmaßnahmen.
Danach stehen gewaltsame Repressalien-, Notstands- 783 , Geschäftsführungs- und Ersatzvornahmemaßnahmen784 , sowie jede nicht der Abwehr eines bewaffneten Angriffs i. S. d. Art. 51 SVN dienende kollektive Gewaltanwendung785 auf fremdem Territorium eindeutig im Widerspruch zu dem Ergebnis der textorientierten Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN. Zur Annahme der Satzungskonformität bedürfte es nach der oben786 formulierten Gewichtungsregel (1) des Nachweises einer einheitlichen Praxis787 . Satzungskonforme individuelle Selbstverteidigungsmaßnahmen auf fremdem Territorium, die nicht der Abwehr eines bewaffneten Angriffs i.S.d. Art. 51 SVN dienen, kommen, insoweit sie im Jahre 1945 völkergewohnheitsrechtlich zulässig waren, gemäß der Gewichtungsrege1 (2) dagegen schon bei einer ganz überwiegenden Praxis in diesem Sinne in Betracht788 . Daraus 783 Damit ist die von der ILC in ihrem Kommentar zu Art. 33 ILC-Entwurf ausdrücklich offengelassene Auslegungsfrage, "whether the Charter, by Article 2, paragraph 4, is or is not intended to impose an obligation which cannot be avoided by invoking a state of necessity", (YILC 1980 II 2, S. 44 (par. 24)), im ersteren Sinne zu beantworten. Die grundsätzlichere Frage, ob der ILC der Nachweis einer Notstandsnorm des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts gelungen ist bzw. gelingen konnte (vgl. insoweit die Skepsis Radkes, Notstand, S. 91 ff. (zur ILC, S. 91 (Fn. 161 a.E.)) kann deshalb unerörtert bleiben. 784 Da Vertragsauslegungsergebnisse nicht durch den Rekurs auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz korrigiert werden dürfen (dazu nur Verdross/Simma, Universelles VR, S. 389 (§ 608); Heintschel von Heinegg, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 223 (Rz. 5)), kann unerörtert bleiben, ob die Rechtsinstitute der Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. der Ersatzvomahme allgemeine Rechtsgrundsätze nach Art. 38 I c) IGH-Statut darstellen (bejahend Herdegen, FS Doehring, S. 317, der eine gewohnheitsrechtliche Geltung hingegen verneint (S. 308 f.)) und ob - bejahendenfalls ihre Voraussetzungen in Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater erfüllt wären. 785 Außerhalb des kollektiven Sicherheitssystems. 786 Unter A. IV.). 787 Zu einer möglichen Fallkonstellation dieser Art Gutierrez Espada, Estado de necesidad, S. 69 ff. 788 Damit besteht - wenn auch nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis Übereinstimmung mit der oben (unter A.IV. ; vgl. insbes. Fn. 53) dargestellten Position Beyerlins. Virally, Pot/Pellet (Hg.), Charte ONU, S. 115, 123, scheint zu dem Ergebnis zu gelangen, die textuellen Gründe für einen begrenzten Bereich satzungskonformer Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN seien nicht ganz auszuräumen, weshalb der späteren Praxis insoweit besondere Bedeutung zukomme. Doch weder bestimmt Virally besagten Bereich näher, noch formuliert er Gewichtungsregeln. Die Folge ist Unentschiedenheil bei den Gesamtauslegungsergebnissen in concreto (ebd., S. 124); Bothe, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 22 f. , scheint eine "mit Art. 2 Ziff. 4 SVN zu vereinbarende" unilaterale Gewaltanwendung außerhalb des (eng verstandenen) Art. 51 SVN nur bei nachzuweisender "allgemeiner Rechtsüberzeugung" anerkennen zu wollen.
186
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
lassen sich unter Berücksichtigung der oben789 formulierten Ergebnisse erste Folgerungen im Hinblick auf die Gesamtauslegungsergebnisse zum Untersuchungsgegenstand ziehen. Da eine einheitliche spätere Praxis im Sinne einer Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung allenfalls für die Entsendekonstellation auszumachen ist, muß jedenfalls in bezug auf alle anderen Verwicklungskonstellationen der Versuch scheitern, die Satzungskonformität grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung unter Rekurs auf die Rechtsinstitute der Repressalie, des Notstandes, der Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. der Ersatzvomahme zu begründen. Dagegen kann die Satzungskonformität individueller grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung unter dem Gesichtspunkt der Selbstverteidigung in Entsende-, Entsendeförderungs-, Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation unabhängig von der Frage, ob in diesen Konstellationen ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 SVN vorliegt, unter der Voraussetzung bejaht werden, daß eine entsprechende Gewaltanwendung im Jahre 1945 als Selbstverteidigungsmaßnahme völkergewohnheitsrechtlich zulässig war. Hiervon abweichend kann eine Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-) Gewaltanwendung in Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation nur anerkannt werden, wenn hier von einem bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 SVN gesprochen werden kann.
2. Zu zwei Inkongruenzen der Anwendungsbereiche der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN nach dem Nicaragua-Urteil des IGH Der IGH hat in seinem Nicaragua-Urteil den Anwendungsbereich der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN in zweierlei Hinsicht inkongruent bestimmt. Hiermit ist zunächst die Begrenzung des Begriffs "bewaffneter Angriff' auf schwere Gewaltanwendung angesprochen790 • Damit werden die sogenannten low intensity conflicts791 dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN entzogen. Diese Inkongruenz ist im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand deshalb von beträchtlicher Bedeutung, weil die Auseinandersetzungen hier häufig auf der Ebene des low intensity conflict angesiedelt sind. Die zweite Inkongruenz in den Urteilsgründen betrifft speziell die Unterstützungskonstellation. Obgleich im Falle von Waffenlieferungen an und Unter B. VI. S. oben unter B. V. I. c). 791 Vgl. den Titel des Beitrags Goldies, SJint' lL & Com 14 (1988), S. 597 ff., den Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 888 f. (Rz. 31 ), aufgreift. 789 790
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
187
logistischer Unterstützung von Privaten Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN vorliegen soll, wird ein zu Selbstverteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN berechtigender bewaffneter Angriff des Unterstützerstaates ausgeschlossen. Stattdessen ventiliert das Gericht die Möglichkeit eines rechtlichen Sonderregimes für derartige Konstellationen 792 . Die folgenden Überlegungen haben die Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN im Hinblick auf die beiden in Rede stehenden Inkongruenzen zum Gegenstand. a) Zur Begrenzung des Art. 51 SVN auf die Abwehr schwerer Gewaltanwendung
Mit Blick auf die Begrenzung des Begriffs "bewaffneter Angriff' auf schwere Gewaltanwendung weiß sich der IGH in Übereinstimmung mit der h. L. 793 , die auf eine eingehende Begründung ihrer These freilich - auch Oben unter B. V. I. c). Wie der IGH etwa Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 17ff.; Al Chalabi, Legitime Defense, S. 69; Rifaat, International Aggression, S. 125; David, Mercenaires, S. 349, 356; Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 30ff.; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 16, 35; Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 51 , Rz. 4- 8 und 19 (der sein Auslegungsergebnis rechtspolitisch freilich überzeugend kritisiert; ebd., Rz. 8); Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 755 (Rz. 6 i. V. m. 9); Münchau, Terrorismus auf See, S. 128; Verdross/Simma, Universelles VR, S. 289 (§ 472); Thode, Menzelllpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 455; Wengler, Gewaltverbot, S. 13f.; Pocar, L'esercizio non autorizzato, S. 97; Pillitu, Stato di necessita, S. 213 ; Gutierrez Espada, Estado di necesidad, S. 112; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 115; Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 202ff.; Perkins, GaJlnt'l&CompL 17 (1987), S. 204; Rowles, UMiamiInter-AmLRev 17 (1986), S. 462 (Fn. 236); ders., ASIL 1987, S. 310f. ; Virally, RdC 183 (1983 V), S. 103; F. Klein, FS Jahrreiss, S. 179; Dahm, JIR 11 (1962), S. 51 ; B1umenwitz, BayVBl 1986, S. 739; Gill, NYIL 23 (1992), S. 115 ; Stuesser, CalifWint' lLRev 17 (1986), S. 16 f., und Feinstein, lsrLR 20 (1985), S. 385, beziehen die restriktive Begriffsbestimmung offenbar nur auf unsere Konstellationen; ebenso wohl Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 731 i. V. m. Use of Force, S. 366; nicht eindeutig die Ausführungen Genonis, Notwehr, S. 138 f.; die Gegenauffassung vertreten etwa Kunz, AJIL 41 (1947), S. 878 ; Bowett, Self-Defence, S. 257f.; Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 146; Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 139; Harry, SIULJ 11 (1987), S. 1301; Goldie, SJint'lL&Com 14 (1988), S. 630ff.; Dinstein, Self-Defence, S. 192ff.; Fischer, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 888f. (Rz. 31); keiner der beiden Meinungsgruppen ist die Position Reismans, HJIL II (1989), S. 326ff., zuzuordnen: Ihm zufolge ist der dem Art. 3 g) Resolution 3314 und dem Nicaragua-Urteil des IGH zu entnehmende Entzug des "protracted low-level conflict" (wobei Reisman insbesondere unsere Verwicklungskonstellationen im Auge hat) gegenüber dem SVN-Ausgangszustand eine Rechtsänderung, die derzeit aber bereits wieder einer gegenläufigen - vornehmlich von den USA ausgehenden - Rechtsentwicklung ausgesetzt ist mit der Folge, daß unsere Konstellationen in ein "legal no man's land" (a.a.O., S. 330) verwiesen sind. 792 793
188
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
hier in Übereinstimmung mit dem IGH - durchgängig verzichtet794 . Wie es um die Begründbarkeil der h. M. steht, soll nachstehend untersucht werden. aa) Wortlautgesichtspunkte
Das Ergebnis der Wortlautauslegung ist ebenso schlicht wie aufschlußreich: Semantisch erfaßt der Begriff "bewaffneter Angriff' Gewaltanwendung unabhängig von ihrer Intensität795 • Dieser Befund wird von seiten der h. M. zum Teil ausdrücklich anerkannt, wenn dahin formuliert wird, der Anwendungsbereich des Art. 51 SVN sei auf schwere bewaffnete Angriffe zu begrenzen796 . bb) Systematische Gesichtspunkte
Kein Argument für die h. M. ergibt die Gegenüberstellung von Art. 51 und 2 Ziff. 4 SVN. Nichts spricht dafür, den abweichenden Wortgebrauch der beiden Bestimmungen gerade für die Einfügung eines Schwereelements in Art. 51 SVN in Anspruch zu nehmen 797 . Geschieht dies dennoch, so erhebt sich die Frage nach der Rechtsstellung des von "leichter" Gewaltanwendung betroffenen Staates. Insoweit fällt die Antwort von seiten der h. M. nicht einheitlich aus. Soweit von dem oben798 vorgestellten Zwei-Ebenen-Modell ausgegangen wird, hat der von "leichter" Gewaltanwendung betroffene Staat die Befugnis zur Vomahme "leichter" (Gegen-)Gewaltanwendung. Derartige "leichte" Gewaltanwendung soll dem Art. 2 Ziff. 4 SVN nicht unterfallen 799 . Der IGH neigt - wie oben800 794 Eine ausgesprochen flüchtige Begründung liefert etwa F. Klein, FS Jahrreiss, S. 179. Klein begnügt sich mit dem Verweis auf eine Äußerung des amerikanischen Senators Connally während der Senatsdebatte zum NATO-Vertrag, wonach "äußere Angriffe unbedeutenden Ausmaßes" die Verpflichtungen des Art. 5 NATO nicht aktualisieren sollen. Ob Connallys Verständnis von Art. 5 NATO zutrifft, mag für die spätere Praxis zum kollektiven Selbstverteidigungsrecht von Belang sein. Viel zu weit geht jedoch die Folgerung F. Kleins: "Diese amerikanische Auslegung des Art. 5 NATO-Pakt gilt in gleicher Weise für Art. 51 ON-Satzung, da die beiden Vorschriften hinsichtlich des Begriffs ,Angriff' sachlich übereinstimmen." 795 Einigen Gegnern der h.M. reicht diese Erkenntnis; dies gilt für Kunz, AJIL 41 (1947), S. 878, und Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 146. 796 So Al Chalabi, Legitime Defense, S. 69; auch für Röling, FS Menzel, S. 401, stellt sich die vom Text des Art. 51 SVN nicht nahegelegte Frage, wann ein bewaffneter Angriff individuelle und kollektive Verteidigung rechtfertigt; Thode, Menzel! lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 455, meint, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränke den Umfang des Tatbestandsmerkmals "bewaffneter Angriff'. 797 Richtig Hargrove, AJIL 81 (1987), S. 139. 798 Unter C. II. 2. d) aa). 799 So Dahm, JIR II (1962), S. 56; Wengler, Gewaltverbot, S. 13; Verdross/Simma, Universelles VR, S. 290 (§ 472); bemerkenswerterweise ist auch Nicaragua
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
189
gezeigt - ebenfalls zu der Annahme, reziproke (Gegen-)Gewaltanwendung durch den von der "leichten" Gewaltanwendung betroffenen Staat sei zulässig. Die Begründung wird hingegen nicht in einer Einschränkung des Verbotstatbestandes nach Art. 2 Ziff. 4 SVN gesucht, sondern in dem Rekurs auf den Unrechtsausschlußgrund der (nur individuell auszuübenden) Gegenmaßnahme im Sinne von Art. 30 ILC-Entwurf. Das Gericht ist hiermit im Schrifttum zum Teil auf Zustimmung gestoßen801 . Danach kann festgehalten werden, daß ein gewichtiger Teil der h. M. aus der Begrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 51 SVN nicht den Schluß ziehen will, die Rechtsstellung des von "leichter" Gewaltanwendung betroffenen Staates erschöpfe sich in der Befugnis zur Vomahme gewaltloser Gegenmaßnahmen und einem Schadensersatzanspruch. Diesem Teil der h. M. muß entgegengehalten werden, daß besagter Schlußfolgerung unter Berücksichtigung des oben802 erzielten Auslegungsergebnisses auf keinem der beiden vorgeschlagenen Wege ausgewichen werden kann: Mit dem weiten Verständnis des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 SVN und der engen Deutung des Art. 51 SVN als einziger Durchbrechung dieses Verbots ist die Annahme Art. 2 Ziff. 4 SVN-konformer bzw. als Gegenmaßnahme erlaubter "leichter" (Gegen-)Gewaltanwendung nicht zu harmonisieren803. Aufgrund des Zusammenspiels der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN beschränkt die restriktive Bestimmung des Begriffs "bewaffneter Angriff' also die Rechtsstellung des von "leichter" Gewaltanwendung betroffenen Staates auf die Befugnis zur Vomahme gewaltloser Gegenmaßnahmen und
im Nicaragua-Konflikt zum Zwecke einer kongruenten Bestimmung des Anwendungsbereichs der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN davon ausgegangen, daß nur hinreichend schwere Gewaltanwendung dem Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN unterfalle (vgl. dazu bereits oben unter B. II.23. a) und YaleJint'IL 11 (1985), S. 124); zu Recht ablehnend gegenüber dieser bei einem eng verstandenen Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN ansetzenden Kongruenzlösung Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1987), S. 205. 800 Unter B. V.l.c). 801 Insbesondere bei Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 33; auch Froweins Ausführungen ebd., S. 66ff., deuten Zustimmung an, doch äußert ders. in ZaöRV 47 (1987), S. 71 ff. , Zweifel an der mit dem lOH-Modell verbundenen Verengung des Bereichs kollektiver Gewaltanwendung zur Abwehr "leichter" Gewaltanwendung. 802 Unter D. I. 1. e). 803 Treffend zu der IGH-Lösung Dinstein, Self-Defence, S. 194: "lt is certainly not discernible how the whole legal edifice can be reconciled with the provisions of the Charter"; ebenso unstimmig ist die Konzeption Gills, NYIL 23 ( 1992), S. 111 ff. , das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN auf die Abwehr schwerer Gewaltanwendung zu beschränken, gegenüber leichter Gewaltanwendung dann aber (auch grenzübergreifende) "on the spot reaction in self-defense" (auf welcher Rechtsgrundlage ?; Verf.) zuzulassen (a.a.O., S. 111 f.).
190
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
einen Schadensersatzanspruch804 . Die systematische Analyse erweist somit, daß die h.M. zu einem dem Reziprozitätsgedanken widersprechenden Ergebnis führt. Natürlich ist die vertragliche Außerkraftsetzung der Reziprozität ohne weiteres möglich. Angesichts des fundamentalen Charakters der Reziprozität bedarf es aber zur Annahme einer derartigen Vereinbarung eines deutlichen Anhaltspunktes. Wenn im Schrifttum zum Teil gesagt wird, ein kollektives Sicherheitssystem könne das Selbstverteidigungsrecht auf schwerwiegende Fälle verbotener Gewaltanwendung beschränken805 , so ist dem entgegenzuhalten, daß das kollektive Sicherheitssystem der SVN ausweislich ihres Art. 51 Satz 1 a. E. nur in einer Hinsicht eine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts bedingt: Soweit die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen dieses Systems tatsächlich durchgeführt werden, ist die unilaterale Gewaltanwendung einzustellen. Für eine darüber hinausgehende vollständige Ausschaltung des Selbstverteidigungsrechts in Fällen "leichter" Gewaltanwendung läßt sich dem Zusammenspiel der Art. 39 ff. und 51 SVN nichts entnehmen806 . Da die SVN auch im übrigen keinen Anhaltspunkt für die Außerkraftsetzung des Gegenseitigkeitsprinzips im Bereich ihrer Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN liefert, erscheint eine dem Reziprozitätsgrundsatz entsprechende Auslegung als vorzugswürdig 807 . Die systematische Auslegung verstärkt somit die bereits durch die Wortlautauslegung hervorgerufenen Bedenken gegenüber der h. M. erheblich.
804 Fischer, lpsen (Hg.}, Völkerrecht, S. 889 (Rz. 31 }, spricht nur den Schadensersatzanspruch an, vermutlich ausgehend von der (plausiblen) Einschätzung der begrenzten Wirkung gewaltloser Gegenmaßnahmen in low intensity conflicts. 805 So Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 94. 806 Gerade im Hinblick auf "low intensity conflicts" erscheint das Vertrauen auf ein lückenloses Eingreifen des Sicherheitsrates wenig realistisch. 807 Zustimmung verdienen mithin die Ausführungen Hargroves, AJIL 81 ( 1987), S. 137, zu den Regeln der SVN über den unilateralen Gewalteinsatz: "On their face they must command opprobrium for violation, and make fairly clear that reciprocal advantages of preserving and respecting them outweigh the costs, whether in shortterm gains forgone or risks incurred. They must be readily seen as fundamentally fair." Auch Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 119 f., stellt trotz seiner in Fn. 805 zitierten Erwägung bei der Begründung der Nichtanwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Einsatz "nichtmilitärischer Gewalt" entscheidend auf den Reziprozitätsgedanken ab, indem er feststellt: "Eine Lücke zwischen Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 SVN durch Annahme eines weiten Gewaltverbots würde somit bedeuten, daß die Staaten der Anwendung rechtswidriger nichtmilitärischer Gewalt hilflos ausgesetzt wären. Daß dieses wenig sinnvolle Ergebnis von den Verfassern der Satzung gewollt wurde, ist schwer vorstellbar" (S. 120).
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
191
cc) Historische Gesichtspunkte Die im Verlauf der Konferenz von San Francisko geführten Debatten ergeben in der hier interessierenden Frage keinen Aufschluß 808 . Von seiten der h.M. wird jedoch geltend gemacht, die Selbstverteidigungsvoraussetzungen seien im Jahre 1945 bereits in ihrem Sinne festgelegt gewesen. Von diesem Begriffsverständnis habe man in Ermangelung entgegenstehender entstehungsgeschichtlicher Indizien auszugehen809 . Diese historische Argumentation wird in erster Linie auf die Behandlung des griechisch-bulgarischen Konflikts von 1925 durch den Völkerbundsrat8 10, daneben auf Annex B zu Art. II der Londoner Konventionen 811 gestützt. Der griechisch-bulgarische Konflikt scheidet bei näherem Hinsehen als Präzedenzfall im Sinne der h. M. aus. Zwar war die von Griechenland als Selbstverteidigung gerechtfertigte Gewaltanwendung auf bulgarischem Territorium vor dem Völkerbundsrat auf Kritik gestoßen, die den geringen Umfang des bulgarischen Gewalteinsatzes in den Vordergrund rückte. Doch läßt sich diese Kritik nicht für den kategorischen Ausschluß gewaltsamer Selbstverteidigung gegen "leichte" Gewaltanwendung in Anspruch nehmen. Der maßgebliche Passus der Stellungnahme des Ratspräsidenten lautet: "II ne faut pas que, sous pretexte de legitime defense, on donne a des conflits minimes des proportions redoutables: I' incursion bulgare avait une profondeur insignifiante; !es Grecs firent un mouvement toumant qui !es menait a huit kilometres de profondem en territoire bulgare"8 12 .
Hierin wird der Umfang des griechischen Gewalteinsatzes als unangemessen bewertet, nicht jedoch der Rechtsauffassung Ausdruck verliehen, wonach gegenüber "leichter" Gewaltanwendung jede grenzübergreifende Gegengewaltanwendung unzulässig sei 813 • Annex B zu Art. II der Londoner Konventionen dagegen kann 814 dahin verstanden werden, daß jede grenzübergreifende Gewaltanwendung gegen Genoni, Notwehr, S. 138 f. So insbesondere Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 17 ff. 810 Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 18 f. 811 Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 20; Textabdruck bei Brownlie, Use of Force, S. 360. 812 Societe des Nations, Journal Officiel 1925, S. 1707. 813 Zutreffend daher die Bewertung des Konflikts durch Bowett, Self-Defence, S. 258 (Fn. I); auch Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 48f. i.V.m. 43, scheint in dem Konflikt einen Präzedenzfall zum Verhältnismäßigkeitsprinzip zu sehen. 814 Bowett, Self-Defence, S. 257 (Fn. 4), hält diese Interpretation angesichts des Wortlauts für naheliegend, nicht jedoch für zwingend ; Zourek, RdC 92 (1957 li), S. 824, schreibt zu Aggressionsdefinitionsentwürfen der Sowjetunion und Mexikos aus den 50er Jahren, die den Londoner Abkommen in dem interessierenden Punkt 808
809
192
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
eine in die Kategorie des Grenzzwischenfalles einzustufende Gewaltanwendung unzulässig ist. Hieraus eine Beschränkung der völkergewohnheitsrechtlichen Befugnis zur Vomahme grenzübergreifender Selbstverteidigungsmaßnahmen auf Fälle schwerer Gewaltanwendung abzuleiten, ist bereits wegen der nur partikulären Geltung der Londoner Konventionen ausgeschlossen. Im übrigen ist nicht zu übersehen, daß diese Konventionen in bezug auf "leichte" Gewaltanwendung im ganzen nicht stimmig formuliert sind, da gemäß ihrem Art. II Nr. 3 Gewaltanwendung gegen Schiffe und Flugzeuge eines fremden Staates unabhängig von ihrer Intensität dem Aggressionsbegriff unterfällt und so die Befugnis zur Vomahme von Selbstverteidigungsmaßnahmen auslöst815 . Der Versuch der historischen Begründung der restriktiven Auslegung von Art. 51 SVN führt infolgedessen nicht zum Ziel.
dd) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte Hinter der engen Bestimmung des Begriffs "bewaffneter Angriff' steht zum Teil die Vorstellung, mit der Berufung auf Art. 51 SVN sei der Eintritt in den Kriegszustand verbunden, eine Rechtsfolge, an deren Auslösung die Staaten bei low intensity conflicts kein Interesse hätten816. Diese Vorstellung ist jedoch verfehlt. Angesichts der Tatsache, daß die Unterscheidung zwischen kriegerischer Gewaltanwendung und solcher short of war nach Art. 2 Ziff. 4 SVN auf der Verbotstatbestandsebene des Friedenssicheentsprechen, hierdurch werde das Selbstverteidigungsrecht bei Grenzzwischenfällen nicht ausgeschlossen, hat dabei aber offenbar (vgl. S. 825) grenzübergreifende Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht im Auge. 815 Darauf weist Bowett, Self-Defence, S. 258, zu Recht hin; auch unter der Geltung der SVN besteht Einigkeit darin, daß Gewalt gegen ein Schiff eines fremden Staates auf hoher See mit Gewalt abgewehrt werden darf, obwohl hier nur von "leichter" Gewaltanwendung gesprochen werden kann. Für eine in bezug auf das Selbstverteidigungsrecht unterschiedliche Behandlung "leichter" Gewaltanwendung gegen fremdes Territorium und solcher gegen ein fremdes Schiff auf hoher See geben die Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN aber nichts her. Insbesondere erscheint es wenig glücklich, die Gewaltanwendung auf hoher See aus dem Anwendungsbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN herauszunehmen (so wie es häufig geschieht; vgl. etwa Schindler, BDGV 26 (1985), S. 15f.). Auch solche Gewaltanwendung unterfällt dem Bereich der internationalen Beziehungen (insoweit zutreffend Münchau, Terrorismus auf See, S. 126), womit nach den Ausführungen unter D.I.l. die deutlich besseren Gründe für die Subsumtion unter das Gewaltverbot sprechen. Die Zulässigkeil der gewaltsamen Abwehr eines Angriffs auf ein fremdes Schiff ist deshalb wesentlich plausibler über den - nicht auf schwere bewaffnete Angriffe begrenzten - Art. 51 SVN zu begründen (richtig daher etwa Taoka, Self-defence, S. 134f., und Frowein, Redebeitrag, BDGV 26 (1985), S. 147; Dinstein, Self-Defence, S. 214). 816 Bring, SJint'lL&Com 14 (1988), S. 642f. (Redebeitrag zu Goidies Beitrag ebd., S. 597 ff.).
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
193
rungsrechts der SVN ihre vormalige Relevanz verloren hat, ist es unstimmig, dieser Unterscheidung auf der Erlaubnistatsbestandsebene des Art. 51 SVN Bedeutung zuzusprechen 817 • Nur am Rande sei angemerkt, daß die These von der Beschränkung des Art. 51 SVN auf kriegerische Selbstverteidigung auch der Rechtsentwicklung auf der zweiten traditionellen völkerrechtlichen Wirkungsebene des Kriegsbegriffs zuwiderläuft. Ausgehend von dem gemeinsamen Art. 2 der Vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 ist der Begriff des internationalen bewaffneten Konflikts als Anknüpfungspunkt für das humanitäre und das die Methoden und Objekte bewaffneter Schädigungshandlungen regelnde Völkerrecht an die Stelle des Kriegsbegriffs getreten818 . Nach zutreffender Auffassung 819 hat dieser Vorgang die weitreichende Konsequenz, daß jeder staatliche Gewalteinsatz gegen den völkerrechtlich geschützten Bereich eines anderen Staates den vorstehend genannten Völkerrechtsregeln unterfällt Im übrigen wird von seiten der Befürworter der engen Begriffsbestimmung die gerade in low intensity conflicts mit der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts verbundene Eskalations-820 bzw. Mißbrauchsgefahr821 ins Feld geführt. Der IGH scheint diese Gefahr hinsichtlich des kollektiven Selbstverteidigungsrechts besonders hoch zu veranschlagen. Oben822 ist bereits deutlich geworden, warum es ausgeschlossen ist, Restriktionen des Selbstverteidigungsrechts allein oder im wesentlichen gestützt auf diese Gesichtspunkte zu begründen. Dementsprechend ist es unzulässig, dem Opfer "leichter" Gewaltanwendung allein unter Hinweis auf die bestehende Eskalations- und Mißbrauchsgefahr die Befugnis, gemäß Art. 51 SVN grenzübergreifende Selbstverteidigungsmaßnahmen vorzuneh817 Zur rechtlichen Irrelevanz des Kriegsbegriffs im Rahmen der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN besonders prägnant Greenwood, ICLQ 36 (1987), S. 301 ff. ; ders., The Effects of the United Nations Charter on the Law of Naval Warfare, S. 18ff.; ders., Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 38. 8 18 Hierzu vor allem Ipsen, FS Menzel, S. 405 ff., und Greenwood, ICLQ 36 (1987), S. 295 ; vgl. dort (lpsen, S. 424; Greenwood, S. 296- 301) auch zur Debatte über die dem Kriegsbegriff verbleibende Bedeutung. 819 lpsen, FS Menzel, S. 419f.; ders., lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 1007 (Rz. 7); zweifelnd im Hinblick auf bloße Grenzzwischenfälle Greenwood, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 36 (im hervorgehobenen Kernsatz Nr. 202, a.a.O., S. 35, kommt dieser Zweifel freilich nicht zum Ausdruck). 820 Repräsentativ die Formulierung von Perkins, GaJint'l&CompL 17 (1987), S. 204: " .. . a watered-down construction of ,armed attack' under article 51 , construing every use of force in violation of article 2, paragraph 4 as an armed attack ... would .. . create a license for the escalation of force". 821 Repräsentativ die Formulierung von Rowles, ASIL 1987, S. 311: "By establishing the requirement of an armed attack, article 51 Iimits the use of force to situations involving the type of serious attack on a state that can be verified hy independent observers". 822 Unter D. I. I. d). 13 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
men, auch dann abzusprechen, wenn diese zur Abwehr der Gewaltanwendung erforderlich sind. Die Erforderlichkeit ist sicher zu verneinen, "if a rifle shot is fired by an Arcadian soldier across the border of Utopia and the bullet hits a tree or a cow", doch gilt ebenso, daß "when elements of the armed forces of Arcadia open fire upon a border patrol ... of Utopia, the assault has to rank an armed attack and some sort of self-defence must be warranted in response" 823 . Im Hinblick auf die kollektive Selbstverteidigung kann in rechtlicher Hinsicht824 nichts anderes gelten. Insofern ist auch zu bedenken, daß der IGH im Nicaragua-Urteil zu Recht festgestellt hat, daß es sich bei diesem Recht um ein Nothilfeinstrument zugunsten des Angriffsopfers handelt825 . Hiermit hat sich das Gericht für ein mißbrauchsfeindliches Verständnis der kollektiven Komponente des Art. 51 SVN entschieden 826 . Gegen die enge Begriffsbestimmung des Art. 51 SVN sprechen schließlich das pragmatische Argument, daß eine verläßliche Grenzziehung zwischen "leichter" und "schwerer" Gewaltanwendung nicht möglich ist827 sowie die grundsätzliche Überlegung, daß im Bereich der Gewaltanwendung, der jedenfalls die Kraft zur Vernichtung menschlichen Lebens anhaftet, die Verwendung des Attributs "leicht" ausgesprochen problematisch wirkt828 . ee) Ergebnis und Folgerungen
Die Auslegung des Art. 51 SVN spricht danach gegen die Beschränkung des Angriffsbegriffs dieser Bestimmung auf schwere Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN. Die erste vom IGH im Nicaragua-Urteil angenommene Inkongruenz von Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN findet demnach in der Auslegung dieser Bestimmungen keine Grundlage. Soweit in den Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater ein Gewalteinsatz nach Art. 2 Ziff. 4 SVN vorliegt, kann die Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf die Abwehr schwerwiegender Gewaltanwendung nur unter der Voraussetzung eines entsprechenden Staatenkonsenses angeBeides Zitate Dinsteins, Self-Defence, S. 192f. In tatsächlicher Hinsicht mag sich die Frage kollektiver Selbstverteidigung in Fällen "leichter" Gewaltanwendung dagegen häufig nicht stellen. 825 ICJ Reports 1986, S. 104 (par. 195 a.E.), S. 105 (par. 199). 826 Dazu Frowein, ZaöRV 47 (1987), S. 71, und Knof/Kress, ÖZöRVR 41 (1990), S. 27. 827 Auf das Problem der Grenzziehung weisen etwa Hargrove, AJIL 81 ( 1987), S. 137; Dinstein, Self-Defence, S. 192, hin; es wird von Wengler, Gewaltverbot, S. 13 f., ausdrücklich anerkannt; zu der entsprechenden Problematik im Konfliktsvölkerrecht lpsen, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 1019 (Rz. 1). 828 Zutreffend Goldie, SJint'IL&Com 14 (1988), S. 634. 823
824
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
195
nommen werden. Diesen Konsens, so wie es vielfach geschieht 829, der Resolution 3314 (sei es der allgemeinen Schwereklausel des Art. 2 i. V.m. Abs. 5 der Präambel, sei es im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand der speziellen Schwere-Klausel des Art. 3 g) zu entnehmen, ist angesichts der Tatsache unzulässig, daß sich ein Teil der Staatengemeinschaft dagegen verwahrt hat, mit dieser Resolution eine abschließende Regelung des Selbstverteidigungsrechts vorzunehmen830 . Auch im Rahmen der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis ist ein entsprechender Konsens weder im allgemeinen noch speziell im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand auszumachen. Daß die von seiten des Staates, der Art. 51 SVN geltend macht, häufig anzutreffende Erwähnung des Gewichts der abzuwehrenden Gewaltanwendung keineswegs notwendig die Rechtsüberzeugung zum Ausdruck bringt, dieses Gewicht sei für die Entstehung des Selbstverteidigungsrechts konstitutiv, läßt sich anhand der Argumentation der USA im Libyen-Konflikt exemplifizieren. Hier wird im Rahmen einer Stellungnahme im Sicherheitsrat zunächst das Gewicht der libyschen Gewaltanwendung mit den Worten unterstrichen: "Let me make clear that I am not speaking of an isolated instance of the use of force in violation of Art. 2 paragraph 4, of the Charter, although that would be serious enough. What, unfortunately, this Council is faced with is a persistent course of conduct by a member state, Libya, in flagrant disregard of the most fundamental rules of international law", um dessenungeachtet einige Absätze später ohne jede Einschränkung festzustellen, daß "the use of force in violation of Art. 2, paragraph 4, gives rise to a right of selfdefense"831. b) Zur Inkongruenz von Gewaltanwendung nach Art. 2 ZitT. 4 und bewaffnetem Angriff nach Art. 51 SVN speziell in Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater
Es ist sehr zweifelhaft, ob die vom IGH angenommene Inkongruenz von Gewaltanwendung und bewaffnetem Angriff in der Unterstützungskonstellation lediglich als Folgerung aus der Begrenzung des bewaffneten Angriffs auf schwere Gewaltanwendung zu verstehen ist832 . Da die Ablehnung eines 829 Vgl. nur David, Mercenaires, S. 356; auch der IGH bemüht als Element der späteren Praxis allein die Aggressionsdefinition gemäß der Resolution 3314, ICJ Reports 1986, S. 103 f. (par. 195). 830 Vgl. dazu oben unter B. III. 3. b). 831 Department of State Bulletin 86, June 1986, S. 18 bzw. 19. 832 So etwa Strydom, SAYIL 12 (1986/1987), S. 125 (Ende 2. und Anfang 3. Absatz), und vor allem Carrillo Salcedo, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 31 ff. Auch Frawein scheint das IGH-Urteil 13*
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
bewaffneten Angriffs des Unterstützerstaates nach der Urteilsformulierung weder von der Intensität der Gewaltakte der Privaten noch vom Umfang der Waffenlieferungen bzw. der logistischen Unterstützung abhängig ist833 , liegt - zumal nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils - die Vermutung näher, daß diese zweite Inkongruenz auf der Überzeugung basiert, das Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN könne auf bestimmte staatliche Beteiligungshandlungen zu diesem Staat nicht zurechenbaren Gewaltakten Privater erstreckt werden, wohingegen der bewaffnete Angriff nach Art. 51 SVN die Vornahme dem Angreiferstaat zurechenbarer Gewaltakte voraussetze. Auf diese Rechtsüberzeugung zurückgeführt, stünde einer Übertragung der in den Urteilsgründen auf die Unterstützungskonstellation bezogenen Inkongruenzlösung auf andere Verwicklungskonstellationen bei entsprechender Beantwortung der Zurechnungsfrage nichts im Wege. Die Problematik einer derartigen Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN bedarf nach den obigen834 Ausführungen keiner weiteren Begründung mehr. Es genügt der Hinweis, daß auch bei der Annahme dieser zweiten Inkongruenz die Gefahr besteht, daß der Reziprozitätsgesichtspunkt ohne hinreichenden Anhaltspunkt im Vertragstext mißachtet wird. Aus den Darlegungen oben835 ergibt sich des weiteren, daß es eine fehlerhafte Würdigung der späteren Praxis durch den IGH darstellt, aus der inkongruenten Behandlung der Unterstützungskonstellation durch die Resolutionen 2625 und 3314 auf einen Staatenkonsens im Sinne der in Rede stehenden Inkongruenzlösung zu schließen.
3. Zur accumulation of events-Doktrin (a.o.e.D.) Auf eine knappe Formel gebracht bedeutet diese in praxi vor allem im Zusammenhang mit unserem Untersuchungsgegenstand diskutierte Dokso zu deuten, wenn er bezogen auf die Duldungskonstellation schreibt: "It is not clear from the Court's analysis to what extent international law as in force today may justify forcible countermeasures where terrorist action directed at another territory may amount to ,use of force' by the State from whose territory the action is Jaunched. This can be the case where the territorial State in fact acquiesces in such behaviour ... ", Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 68. Frowein will die Gewalt der Privaten dem Staat in der Duldungskonstellation offenbar zwar zurechnen - "terrorist action . . . may amount to ,use of force' by the State" - , dennoch aber das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Basenstaates, das den Rekurs auf das Institut der Gegenmaßnahme entbehrlich machte, verneinen (anders wohl die Position dess. in ZaöRV 47 (1987), S. 72 (Fn. 25)). Eine andere Begründung als diejenige der hinreichenden Schwere der Gewaltanwendung ist nicht ersichtlich. 833 Dieser Aspekt wird von Gill, AHDI 1 (1988), S. 50, zu Recht herausgestellt. 834 Unter D.I.2. a)bb). 835 Unter B. VI.4.).
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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trin 836, daß eine Mehrzahl von derselben Quelle herrührender Gewaltakte auch dann zu einem bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 SVN zusammenzufassen ist, wenn sie in zeitlichen Intervallen vorgenommen werden. Die Relevanz der a.o.e.D. erstreckt sich auf drei Problemfelder837 • Geht man entgegen der oben838 begründeten Auslegung des Art. 51 SVN davon aus, der bewaffnete Angriff im Sinne dieser Bestimmung erfasse nur schwere Gewaltanwendung, so kann schon das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs von der Anwendung dieser Doktrin abhängen. Unterwirft man Selbstverteidigungsmaßnahmen neben dem Erforderlichkeitskriterium einem Verhältnismäßigkeitserfordemis, so begründet die a.o.e.D. die Änderung des für das Verhältnismäßigkeitsurteil maßgeblichen Bezugspunktes. Die wichtigste Auswirkung der a.o.e.D. liegt schließlich im Bereich der Grenzziehung zwischen (zulässigen) Selbstverteidigungsmaßnahmen zur Abwehr eines gegenwärtigen bewaffneten Angriffs, (höchstens in sehr engen Grenzen zulässigen) antizipatorischen Selbstverteidigungsmaßnahmen und (nach der Auslegung der SVN unzulässigen) gewaltsamen Repressalien. Im folgenden ist zu untersuchen, ob die Auffassung eines jedenfalls nicht unwesentlichen Teils des Schrifttums839 zutrifft, wonach die a.o.e.D. mit Art. 51 SVN im Einklang stehen soll. 836 Die mit dieser Doktrin zusammenhängenden Auslegungsfragen sind jedoch von grundsätzlichem Interesse, da auch de iure-Organe eines Staates einen anderen Staat mit einer gewaltsamen "Nadelstichtaktik" konfrontieren können. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Gedanke der a.o.e.D. erstmals im Hinblick auf eine derartige Konstellation bemüht worden ist. Im Jemen-Konflikt hat Großbritannien seinen Gewalteinsatz auf dem Territorium Jemens vom März 1964 als (kollektive) Verteidigung gegen eine Reihe von in zeitlichen Intervallen durchgeführten bewaffneten Angriffen Jemens gegen die Südarabische Föderation gerechtfertigt und dabei die Grenze zur Repressalie wie folgt gezogen : "here is in existing law, a clear distinction to be drawn between the two forms of self-help. One, which is of a retributive or punitive nature, is termed "retaliation" or "reprisals"; the other, which is expressly contemplated and authorized by the Charter, is self-defence against armed attack .. . In the present case . .. the territory of the Federation has been subjected to a series of acts ... of an aggressive nature, against which the people of the Federation have asked to be defended", SCOR, 19th year, 1109th meeting, S. 4 f. In der diesbezüglichen Sicherheitsratsresolution 188 (Wellens, Resolutions, S. 260), die mit neun Stimmen bei zwei Enthaltungen (Großbritannien und die USA) angenommen worden ist, werden die britische Militäraktion bedauert und Repressalien in einer allgemein gehaltenen Wendung verurteilt. Hinter dieser Formulierung scheint die im Verlauf der Sicherheitsratsdiskussion (SCOR, 19th year, 1106th- II IIth meetings) von zahlreichen Debattenteilnehmern zum Ausdruck gebrachte Zurückweisung des britischen a.o.e.-Arguments durch. 837 Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), S. 415f. 838 Unter D. I. 2. a). 839 Feder, NYUJint'IL&Polit 19 (1987), S. 430; Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 739f. ; Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 385f.; Blum, GYIL 19 (1976),. S. 233f.; Dinstein, Self-Defence, S. 224f.; O'Brien, VaJint'IL 30 (1990), S. 469 ff., insbes.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen a) Wortlautgesichtspunkte
Zwar stellt nach dem oben 840 erzielten Auslegungsergebnis bereits jeder einzelne Gewaltakt für sich genommen einen bewaffneten Angriff dar. Doch überschreitet es die Grenzen des gewöhnlichen Wortsinns noch nicht, darüber hinaus eine Reihe von derselben Quelle herrührende Gewaltakte als einen fortgesetzten bewaffneten Angriff anzusehen, sofern diese Gewaltakte in hinreichend engen zeitlichen Intervallen aufeinander folgen 841 . 476f.; Bowett, AJIL 66 (1972), S. 9; Paasche, ColumJTransnat'IL 26 (1987), S. 392 (Fn. 77); Stuesser, CalitWint'lLJ 17 (1987), S. 19; Baker, HJIL 10 (1987), S. 39f.; Schachter, MichLR 82 (1983/84), S. 1638; ders., IYHR 19 (1989), S. 216, 220; Green, AVR 6 (1956/57), S. 435; Schindler, BDGV 26 (1985), S. 36; Ago schreibt in seiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter der ILC: "lf, for example, a State suffers a series of succesive and different acts of armed attack from another State, the requirement of proportionality will certainly not mean that the victim State is not free to undertake a single armed action on a much !arger scale in order to put an end to this escalating succession of attacks", YILC 1980 II I, S. 69 f. (par. 121 ). Ago zieht an dieser Stelle aus dem Grundgedanken der a.o.e.D. zwar ausdrücklich nur eine Folgerung für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Selbstverteidigungsmaßnahme, doch erkennt er hiermit implizit auch die Relevanz der a.o.e.D. für die Abgrenzung von Selbstverteidigung und Repressalie an (einen abweichenden Standpunkt nimmt zumindest implizit Sonderberichterstatter Arangio-Ruiz in seinem dritten Bericht zur Staatenverantwortlichkeit ein (A/CN.4/440/Add.l (19. Juli 1991), S. 9ff.); im Ergebnis unentschieden Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 959f., der aber meint, jedenfalls eine rechtspolitisch begrüßenswerte Entwicklung hin zur Anerkennung der a.o.e.D. ausmachen zu können; ebenso wie Greenwood (allerdings ohne rechtspolitische Bewertung) Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 758 (Rz. 23); Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 84, bezweifelt, "ob die Konzeption einer strikten Begrenzung der Selbstverteidigung auf den direkten oder zumindest unmittelbar bevorstehenden direkten Angriff den Bedingungen eines Konflikts in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden voll gerecht wird", hält das Problem aber im Wege der Auslegung des Art. 51 SVN offenbar nicht für lösbar: "Das Gewaltverbot und das Konzept der Selbstverteidigung gegen den bewaffneten Angriff vermögen das Problem systematischer grenzüberschreitender Terroraktionen und Subversion nicht zu lösen"; Seidi-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 394 (Rz. 1778), will in Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation die Zulässigkeil der Berufung auf die a.o.e.D. von der Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts abhängig machen (zu der "neutralitätsrechtlichen Anerkennungslösung" näher oben unter C. II. 2. h)); die die a.o.e.D. ablehnenden Stimmen verweisen zum Teil auf die Sicherheitsratspraxis im Nahostkonflikt (vgl. etwa Panzera, Attivita' terroristiche, S. 101 f., und Intoccia, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 206) bzw. auf die Staatenpraxis im Zusammenhang mit den Konflikten um die portugiesischen Kolonien, Süd-Rhodesien und Südafrika (Taulbee/ Anderson, CaseWResJint'IL 16 (1984), S. 332 ff.), zum Teil auf die Nichterwähnung der Doktrin in Art. 3 der Resolution 3314 (so etwa Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 208). 840 Unter D. l. 2. a). 841 Hailbronner, BDGV 26 ( 1985), S. 84, bringt das Element der Dauer, das "Akkumulierungskonstellationen" anhaftet, durch die Rede vom "Quasi-Kriegszustand" zum Ausdruck.
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
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b) Teleologische Gesichtspunkte
Auf der teleologischen Auslegungsebene ist folgendes zu bedenken: Die im innerstaatlichen Recht bei Akkumulationskonstellationen häufig mögliche -und sprachlich näherliegende-Annahmeeiner eine Notstandslage begründenden Dauergefahr842 vermag nach der Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN keine Rechtfertigungswirkung zu entfalten843 , so daß der von einer Reihe von Gewaltakten betroffene Staat ohne die Berücksichtigung der a.o.e.D. im Rahmen von Art. 51 SVN darauf verwiesen ist, seine militärische Gegenwehr jeweils zu einem bestimmten Einzelgewaltakt in Bezug zu setzen. Angesichts der Tatsache, daß die SVN die Vomahme gewaltsamer Repressalien untersagt844, bleibt zur Verteidigung entweder der Zeitraum von dem unmittelbaren Ansetzen bis zur Ausführung des "Nadelstichs" oder, sofern man mit einem gewichtigen Teil des Schrifttums jede antizipatorische Selbstverteidigung nach der SVN ausschließt845 , sogar allein die Ausfüh842 Zum deutschen Recht vgl. vor allem die Entscheidung von BGH, NJW 1979, S. 2053 (2054), daneben LK-Spendel, § 32, Rdnr. 126ff. Die Ablehnung einer (innerstaatlichen) Notwehrlösung zur Bewältigung von Akkumulationskonstellationen wird damit begründet, daß es den staatlichen Primat hinsichtlich der Verbrechensprävention und -repression zu wahren gelte. Nach der Notstandslösung sei ein gefahrenabwehrendes Vorgehen des Betroffenen nur insoweit erlaubt bzw. entschuldigt, als der Staat versage, bei Dauergefahren Abhilfe zu schaffen (LK-Spendel, § 32, Rdnr. 129). Die Zuordnung von Akkumulationskonstellationen zum Notstandsbereich ist im Rahmen eines sowohl Notwehr- als auch Notstandsbefugnisse gewährleistenden innerstaatlichen Rechtssystems sehr plausibel. Für die satzungsrechtliche Ebene, wo in Ermangelung anderer zur gewaltsamen Selbsthilfe ermächtigenden Rechtsinstitute allein das Selbstverteidigungsrecht zur Verfügung steht, um im Falle des Versagens des kollektiven Sicherheitssystems Abhilfe zu schaffen, liegt das Nachdenken über eine abweichende Zuordnung gerade bei Berücksichtigung der skizzierten Grundgedanken der innerstaatlichen Regelung nahe. 843 Oben unter D. I. I. e). 844 Oben unter D.I.l.e). 845 Zur Problematik der antizipatorischen Selbstverteidigung soll in dieser Arbeit nicht Stellung genommen werden. Der IGH hat sie im Nicaragua-Urteil ebenso offen gelassen (oben unter B. V.l.c) in Fn. 553) wie die ILC in ihrem Kommentar zu Art. 34 ILC-Entwurf (YILC 1980 li 2, S. 59 (par. 21); im Schrifttum sprechen sich gegen die Satzungskonformität antizipatorischer Selbstverteidigung aus etwa Kunz, AJIL 41 (1947), S. 878; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 84ff.; Genoni, Notwehr, S. 143ff.; Röling, FS Menzel, S. 399; Pillitu, Stato di necessita, S. 215f.; David, Mercenaires, S. 361 f.; Cassese, Pot/Pellet, Charte ONU, S. 776ff.; Zourek, Annu IDI 56 (1975), S. 62 ff.; Dinstein, Self-Defence, S. 182 ff.; Randelzhofer, EPIL 4, S. 272, und Wengler, Gewaltverbot, S. 5f. (jeweils mit Ausnahme des Falles der ausdrücklich erklärten Angriffsabsicht) ; Brownlie, Use of Force, S. 275 ff. (mit geringfügigen Einschränkungen auf S. 367 f.); zur Ablehnung neigend Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 887f. (Rz. 30); antizipatorische Selbstverteidigung speziell in Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater verneinend Stuesser, CalifWint'lLJ 17 (1987), S. 14; für die Satzungskonformität antizipatorischer
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
rungsphase. Auf diesen zeitlichen Rahmen beschränkt, ist der "Nadelstichtaktik" jedoch vonseitendes betroffenen Staates nicht wirksam zu begegnen. Eine direkt auf einen Aspekt unseres Untersuchungsgegenstandes bezogene Formulierung bringt diesen Befund treffend zum Ausdruck: "The very purpose of terrorist tactics is to avoid direct confrontation with state forces. Quite simply, states rarely succeed in catching terrorists in the act. To Iimit state response to only existing attacks results in a mute application of Artic/e 51 (Hervor. v. Verf.)" 846 .
Mit der hervorgehobenen Passage des Zitats wird überzeugend deutlich gemacht, daß dem in Rede stehenden Aspekt nicht nur auf der militärischpraktischen, sondern auch auf der juristischen Ebene Bedeutung zukommt. Ist doch eine Auslegung schwerlich mit dem Sinn des Art. 51 SVN in Einklang zu bringen, welche die VN-Mitgliedstaaten im Ergebnis dazu verpflichtet, eine Reihe gegen sie gerichteter Gewaltakte ohne Gegenwehr hinzunehmen. Die a.o.e.D. ist mithin als geeignete Reaktion auf den Versuch zu begreifen, den Schutzzweck des Art. 51 SVN durch die Anwendung der "Nadelstichtaktik" zu unterlaufen. Unbestreitbar ist, daß mit der Anerkennung der a.o.e.D. eine Ausdehnung des Anwendungsfeldes des Selbstverteidigungsrechts in einen Bereich hinein verbunden ist, in dem auch Repressalien in Betracht kämen. Doch Selbstverteidigung in engen Grenzen (bei unterschiedlicher Nuancierung im einzelnen; häufig wird etwa das unmittelbare Ansetzen zu einem schwerwiegenden Angriff gefordert) sprechen sich, sei es gestützt auf Art. 51 SVN, sei es gestützt auf neben Art. 51 SVN fortgeltendes Völkergewohnheitsrecht aus etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 288 (§ 471); Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 761; Rifaat, International Aggression, S. 126; Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 80f.; Bowett, Self-Defence, S. 188ff.; Rogoff/Collins, BrooklynJint'IL 16 (1990), S. 506; Botha, SAYIL 11 (1985/86), S. 145ff.; E. Klein, LdRIVR, S. 289; Bryde, EPIL 4, S. 213; Green, AVR 6 (1956/57), S. 433; Waldock, RdC 81 (1952 li), S. 497f.; O'Connell, International Law, S. 317; Greig, International Law, S. 680; Fawcett, RdC 108 (1961 li), S. 361 f.; Wright, AJIL 53 (1959), S. 117; Levenfeld, ColumJTransnat'lL 21 (1982), S. 28; Paasche, ColumJTransnat'IL 26 (1987), S. 394; Feder, NYUJint'1L&Polit 19 (1987), S. 413f.; Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 386ff.; Blum, GYIL 19 (1976), S. 234; Schachter, MichLR 82 (1983/84), S. 1633ff.; Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 942ff.; Intoccia, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 203f.; Roberts, CaseWResJint'IL 19 (1987), S. 272; Harry, SIULJ II (1987), S. 1293, 1298; Wildhaber, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 153 ; R. Bindschedler, Bemerkung zum Bericht Zourek, AnnulDI 56 (1975), S. 73 ; zur Annahme der Zulässigkeil antizipatorischer Selbstverteidigung neigend Schwebe!, RdC 136 (1972 II), S. 481 f.; unentschieden Goodrich/Hambro/Simons, UN Charter, S. 347 f.; CastnSn, Bemerkung zum Bericht Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 75. 846 Stuesser, CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 19; dieser Gesichtspunkt wird von den Befürwortern der a.o.e.D. fast durchgängig hervorgehoben; vgl. nur Bowett, AJIL 66 (1972), S. 9; Blum, GYIL 19 (1976), S. 233; Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 944.
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ist dies kein durchgreifendes Gegenargument, da die Grenzziehung zwischen auf die a.o.e.D. gestützten Selbstverteidigungsmaßnahmen und Repressalien wegen der (wenigstens auch) defensiven Zielsetzung ersterer möglich bleibt. Sobald ein fortgesetzter Angriff in Gestalt einzelner bewaffneter Angriffe begonnen hat, unterscheidet sich die Situation schließlich auch wesentlich von derjenigen der antizipatorischen Selbstverteidigung847 . Die Fragwürdigkeit einer Gleichsetzung von Abwehrmaßnahmen gegen einen fortgesetzten bewaffneten Angriff mit antizipatorischer Selbstverteidigung zeigt sich etwa bei der Gewichtung des Mißbrauchsgesichtspunkts, der bei der Begründung der Unzulässigkeil antizipatorischer Selbstverteidigung neben dem Wortlautargument eine bedeutsame Rolle spielt848 • Zwar geht auch mit der Anerkennung der a.o.e.D. Mißbrauchsgefahr einher, doch ist diese angesichts der Tatsache, daß Gewaltanwendung bereits tatsächlich stattgefunden haben muß, deutlich reduziert.
c) Historische Gesichtspunkte
Ein Argument gegen die a.o.e.D. läßt sich möglicherweise bei Einbeziehung der historischen Dimension in die Überlegungen gewinnen. Die wirkungsmächtige Caroline-Formel, die etwa vom Nürnberger Militärgerichtshof aufgegriffen worden ist849, beschränkt Selbstverteidigungsmaßnahmen auf Gefahrensituationen, die mit den Attributen "instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation" versehen werden können. Diesen Kriterien entspricht die sorgfältig geplante, nicht spontan zur Abwehr eines Einzelgewaltaktes, sondern zum Zwecke der Beendigung des fortgesetzten Angriffs im Sinne der a.o.e.D. ausgeführte militärische Aktion nicht850 . Ebenso wie in denjenigen Sicherheitsratsresolutionen, die gemäß der a.o.e.D. gerechtfertigte Gewalteinsätze als "premeditated" und/oder "carefully planned" 85 1 verurteilen, an die Caroline-Tradition angeknüpft worden ist852 , erscheint es vorstellbar, daß bei der Abfassung des Art. 51 SVN Selbstverteidigungsmaßnahmen, so wie die a.o.e.D. sie erlaubt, nicht in Betracht gezogen wurden. 847 Auf die beiden letztgenannten Aspekte weist Schachter, MichLR 82 (1983/ 84), S. 1638, mit Recht hin. 848 Vgl. nur Genoni, Notwehr, S. 147; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 86. 849 AJIL 41 (1947), S. 205. 850 Dies wird von Levenfeld, ColumJTransnat'IL 26 (1986/87), S. 33 f., und Greenwood, WVaLRev 89 (1987), S. 944, richtig gesehen. 85 1 Erinnert sei nur an die Resolutionen 228 und 280 zu Gewalteinsätzen Israels im Nahostkonflikt (oben unter B. II. 25. a) bzw. c) in den Fn. 322 bzw. 340). 852 Zur Übertragung der Caroline-Formel auf "Akkumulierungskonstellationen" durch den Sicherheitsrat auch Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 945.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Letztere Überlegung ist bereits deshalb allenfalls von begrenztem Gewicht, weil sie anband des genetischen Materials nicht belegt werden kann, ist doch die Problematik der a.o.e.D. im Verlauf der San-FranziskaKonferenz nicht erörtert worden. Darüber hinaus ist die erwogene Argumentation angreifbar, weil die Caroline-Formel die Selbstverteidigungspraxis vor 1945 lediglich verkürzt widerspiegelt. Während die Voraussetzungen der antizipierten Selbstverteidigung mit der Caroline-Formel zutreffend umrissen sind (weshalb der oben angesprochene Rekurs des Nürnberger Militärgerichtshofs auf selbige Formel zu Recht erfolgt ist853 ), weist die Praxis insbesondere der USA - und damit des Schöpfers der CarolineFormel - in Akkumulationskonstellationen des 19. Jhdt. eindeutig über den Caroline-Rahmen hinaus und kann ohne weiteres als Antizipation der späteren Praxis zur a.o.e.D. verstanden werden 854 . Die a.o.e.D. geht demnach zwar über die Caroline-Formel, nicht hingegen über die Selbstverteidigungspraxis in früheren Akkumulierungskonstellationen hinaus855 . Selbst wenn man sich letzterer Erkenntnis verschließt, müßte bei der Bewertung des historischen Gesichtspunktes im Rahmen der Auslegung des Art. 51 SVN die durchgreifende Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen bedacht werden, die das Selbstverteidigungsrecht im Gefüge der SVN gegenüber der Caroline Epoche erfahren hat. Während in einer Zeit der erlaubten Kriegführung (und der Zulässigkeit von Repressalien short of war) eine enge Formulierung der Selbstverteidigungsvoraussetzungen (short 853 Der Internationale Militärgerichtshof hat die Caroline-Formel nur im Zusammenhang mit der antizipatorischen Selbstverteidigung fruchtbar gemacht. Zu der deutschen Invasion Dänemarks und Norwegens vom 9. April 1940, die mit der Notwendigkeit begründet worden war, einem britischen Übergriff auf das Territorium dieser Staaten zuvorzukommen, heißt es in dem Urteil: "It must be remernbered that preventive action in foreign territory is justified only in case of ,an instant overwhelming necessity for self-defence, leaving no choice of means, and no moment of deliberation' (The Caroline Case, Moore's Digest of International Law, li, 412) (Hervorh. v. Verf.)", AJIL 41 (1947), S. 205. 854 Dieser Gesichtspunkt wird im Schrifttum kaum berücksichtigt. Beifallswürdig demgegenüber die in Falk (Hg.), Vietnam li, S. 572 ff. abgedruckte Anmerkung, in der zutreffend zwischen Selbstverteidigungsmaßnahmen "against anticipated attack", "against tactical retreat" und "against actual attack" unterschieden wird (S. 575 ff.). Während der Caroline-Fall der ersten Kategorie unterfällt, wird die Praxis insbesondere der USA zu Akkumulierungsfällen an der Grenze zu Mexiko unter der Bezeichnung "tactical retreat" geschildert, worauf einstweilen (von besagter Praxis wird unten (unter D. li. 1. a) dd)(2)(b)(aa)(ccc)) ausführlicher zu handeln sein) verwiesen werden kann. Die angesprochene Anmerkung betont auch zu Recht die Parallelität, der "klassischen" Fälle mit den Gegebenheiten der "modernen Guerillakriegsführung" in dem interessierenden Punkt (S. 578 f.). 855 Dies ist denjenigen entgegenzuhalten, die wie etwa Levenfeld, Colum. J.Transnat'lL. 21 (1982), S. 33 f., und Greenwood, WVaLR 89 (1986/87), S. 953 ff., die a.o.e.D. ausschließlich als Erscheinung der Völkerrechtsepoche nach Inkrafttreten der SVN ansehen.
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
203
of war) die Wehrlosigkeit des von einer Angriffsfolge in Intervallen heimgesuchten Staates nicht heraufbeschwören konnte, ist unter Geltung der SVN - wie im Rahmen der teleologischen Argumentation aufgezeigt eben diese Wehrlosigkeit die Konsequenz eines eng verstandenen Selbstverteidigungsrechts. Dieser Gesichtspunkt erweckt zusätzlich Zweifel hinsichtlich der Begründetheil der Anknüpfung an die Caroline-Formel856 . d) Ergebnis und Folgerungen
Mit Blick auf den historisch nicht zu entkräftenden teleologischen Gesichtspunkt sind jedenfalls gewichtige Gründe für eine Auslegung des Art. 51 SVN im Sinne der a.o.e.D. anzuerkennen. Gemäß der Gewichtungsregel (3) ist es deshalb Staaten wie etwa Großbritannien857 , den USA858 , lsrael859 und vermutlich dem lran860, die Art. 51 SVN entsprechend der a.o.e.D. auslegen, nicht verwehrt, an ihrer Rechtsauffassung festzuhalten. Sie dürfen also auf eine Reihe einzelner, von derselben Quelle herrührender, gegen sie gerichteter Gewaltakte gemäß Art. 51 SVN militärisch reagieren, sofern mit der Vornahme weiterer Gewaltakte von derselben Quelle aus in der nahen Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit861 zu rechnen ist862 . Abschließend ist zu notieren, daß die spätere Praxis nach lange Zeit überwiegender863 Ablehnung jüngst eine zuneh856 Weitergehend noch Levenfeld, ColumJTransnat'IL 21 (1982), S. 33f., der letzteren Gesichtspunkt ganz in den Vordergrund seiner Argumentation stellt. 857 Bowett, AJIL 66 (1972), S. 10, ist darin zuzustimmen, daß Großbritanniens Enthaltung bei der Abstimmung über die Resolution 188 zum Yemen-Konflikt nicht als Aufgabe der a.o.e.D. zu verstehen ist. 858 Im Libyen-Fall im Jahre 1986 (dazu oben unter B. ll. 24.b) und ausführlich Greenwood, WVaLR 89 (1986/87), S. 955 f.) und im Irak-Fall im Jahre 1993 (dazu oben unter B. II. 31.). 859 Durchgängig im Nahost-Konflikt (vgl. oben unter B. II. 25.). 860 Bei der Begründung des Gewalteinsatzes auf irakisehern Territorium im April 1992 (dazu oben unter B.II.27. b). 861 Hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades etwas weniger streng Schachter, MichLRev 82 (1983/84), S. 1638; Greenwood, WVaLRev 89 (1986/87), S. 954; insow. nicht eindeutig die Formulierung der Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II, S. 578 f. 862 Letztere Voraussetzungen sind von den USA in ihrer Begründung des Gewalteinsatzes im Irak vom Juni 1993 nicht dargetan worden. Umso erstaunlicher ist das Ausbleiben des "Vergeltungsschlags-Vorwurfs" in der diesbezüglichen Sicherheitsratsdebatte (dazu oben unter B. II. 31.); geradezu befremdet über das in letzterer Sicherheitsratsdebatte zu Tage tretende Meinungsbild äußert sich Condorelli, EJIL 5 (1994), S. 139ff., der den Gewalteinsatz -im Ergebnis auch nach der hier vertretenen Ansicht zutreffend -als Repressalie qualifiziert (a.a.O., S. 136). 863 Diese Bewertung stützt sich auf das Bild der im Verlauf des Yemen- und Nahost-Konflikts im Sicherheitsrat artikulierten Rechtsauffassungen.
204
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
mende (wenn auch zur Zulässigkeilsbegründung auf Grundlage von Gewichtungsregel (2) noch nicht hinreichende) Bereitschaft zur Hinnahme des Rekurses auf den Akkumulierungsgedanken erkennen läßt. Anders jedenfalls ist die Reaktion auf die US-amerikanische Begründung ihres Gewalteinsatzes im Irak vom Juni 1993 864 schwerlich zu deuten 865 .
4. Zur Frage des grenzübergreifenden Charakters von Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN und staatlichem bewaffneten Angriff nach Art. 51 SVN In zweierlei Hinsicht wird kontrovers diskutiert, ob ausschließlich grenzüberschreitende Gewaltanwendung den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN unterfällt Einmal geht es darum, ob innerstaatliche Gewaltanwendung dem Anwendungsbereich der beiden Bestimmungen kategorisch entzogen ist. Dieser Problemaspekt, der etwa bei der Beurteilung staatlicher Gewaltanwendung gegen auf dem eigenen Territorium befindliche fremde Staatsangehörige Bedeutung erlangt, bedarf hier keiner Erörterung. Von Interesse ist allein die Frage, ob staatliche Gewaltanwendung, die auf fremdem Territorium vorgenommen wird, ohne daß hiermit eine Grenzverletzung einherginge, aus dem Anwendungsbereich der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN auszuklammern ist. Diese Frage wird - wie oben 866 auf gezeigt worden ist - zum Teil bejaht, und hiervon ausgehend die Annahme eines Gewalteinsatzes nach Art. 2 Ziff. 4 SVN bzw. eines staatlichen bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN in Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation ausgeschlossen. Doch werden Auslegungsgesichtspunkte, die geeignet wären, die Existenz eines Tatbestandsmerkmals "grenzverletzende staatliche Gewaltanwendung" nachzuweisen, weder im Hinblick auf Art. 2 Ziff. 4 noch im Hinblick auf Art. 51 SVN benannt867 . Ausgehend vom Wortlaut muß der Gewalteinsatz gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN in den internationalen Beziehungen, der bewaffnete Angriff nach Art. 51 SVN gegen einen anderen (Mitglied- 868 )Staat erfolgen. Beide Voraussetzungen sind jedenfalls dann erfüllt, Oben unter B. II. 31.). Greenwood, WV aLR 89 ( 1986/87), S. 956, bringt bereits in einer Abhandlung zum Libyen-Fall die Einschätzung zum Ausdruck, der Trend gehe hin zur Akzeptanz der Akkumulierungsdoktrin : "In those circumstances, it is better that international law should adapt to take account of state practice than continue to set a standard which is ignored in practice (Hervorh. v. Verf.)"; s. auch Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 758 (Rz. 23). 866 Vgl. die Angaben oben unter C. 111. I. und 3. in den Fn. 679 und 700. 867 Dies gilt auch für die Ausführungen Wittigs, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 44 ff. , auf die sich etwa Roeser, Waffenhandel, S. 168 f. (Fn. 27), beruft. 868 Die mit dieser Beschränkung des Wortlauts zusammenhängenden Rechtsprobleme interessieren hier nicht. 864 865
I. Grundsätzliche Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN
205
wenn die Gebietshoheit eines fremden Staates gewaltsam verletzt wird. Mit der gewaltsamen Gebietshoheitsverletzung geht zwar regelmäßig eine Grenzverletzung einher, erstere setzt letztere aber nicht begrifflich voraus. Wenden - um die in Art. 3 e) der Resolution 3314 angesprochene Konstellation beispielhaft herauszugreifen - Streitkräfte eines Staates, die mit dem Einverständnis eines anderen Staates auf des letzteren Territorium stationiert sind, auf dem Gebiet des Empfangsstaates abredewidrig Gewalt an, so fehlt es an einer Grenzverletzung, nicht aber an einer gewaltsamen Gebietshoheitsverletzung, weshalb sowohl ein Gewalteinsatz in den internationalen Beziehungen als auch ein bewaffneter Angriff gegen einen anderen Staat vorliegen869. Systematische oder teleologische Gesichtspunkte, die dem Ergebnis der WOrtlautauslegung entgegengehalten werden könnten, sind nicht ersichtlich. Der allenfalls zu bemühende historische Gesichtspunkt, daß der Politis-Bericht und dementsprechend die Londoner Abkommen des Jahres 1933 die vorstehend erwähnte Konstellation der abredewidrigen Gewaltanwendung durch auf fremdem Territorium stationierte Streitkräfte abweichend von dem ursprünglichen sowjetischen Entwurf nicht als Fall der Aggression aufführen 870 , ist nicht geeignet, das Ergebnis der objektiven Auslegung ganz oder auch nur wesentlich zu entkräften. Zum Nachweis des Fehlens eines entgegenstehenden Staatenkonsenses genügt bereits der Hinweis auf Art. 3e) der Resolution 3314. Mit Blick auf die jüngste Konfliktpraxis kann zusätzlich auf die Gewaltanwendung durch Teile der "jugoslawischen Volksarmee" in Bosnien-Hercegovina, insbesondere im April und Mai des Jahres 1992 verwiesen werden 871 . Obschon der Gewalteinsatz insoweit keinen grenzübergreifenden (im Sinne von grenzverletzenden) Charakter aufweist, als er von vor Erlangung der Eigenstaatlichkeil BosnienHercegovinas dort stationierten Teilen der Volksarmee ausgeht, wird er sowohl von Bosnien-Hercegowina872 als auch von Drittstaaten873 als Aggres869 Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 78, meint, in unserem Beispiel werde "aUgemein" ein bewaffneter Angriff angenommen. 870 Dazu m.w.Nachw. Brownlie, Use of Force, S. 353 (Fn. 5). 871 Dazu bereits oben unter B. II. 30. 872 Vgl. die Stellungnahme in S/24024 vom 27. Mai 1992. 873 Vgl. etwa die Stellungnahmen Österreichs vom 23. April 1992 (S/23833), sowie der USA vom 30. Mai 1992 (S/PV 3082, S. 33f.); verwiesen sei daneben auf die wiederholte Bekräftigung Deutschlands, im Zusammenhang mit der Gewaltanwendung durch die "Volksarmee" sei der Aggressionstatbestand erfüllt, da BosnienHercegovina die Streitkräfte nicht auf seinem Territorium haben wolle (vgl. etwa FAZ v. 24.04.1992, S. 7 und FAZ v. 04.05.1992, S. 2). Soweit andere Staaten eine entsprechend eindeutige Festlegung vermeiden, dürfte dies nicht im Fehlen des grenzverletzenden Charakters der Gewaltanwendung durch die "Volksarmee" begründet sein, sondern mag - soweit nicht allein politische Gesichtspunkte den Ausschlag geben (vgl. etwa die von Weller, AJIL 86 (1992), S. 599, referierte Stellungnahme Rumäniens vom 6. Mai 1992 während einer KSZE-Debatte) - seinen Grund
206
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
sion874 Serbiens qualifiziert. Knapp vierzig Jahre zuvor hatte die Debatte zum Birma-Konflikt875 deutlich in dieselbe Richtung gewiesen. Mithin müssen weder der Gewalteinsatz nach Art. 2 Ziff. 4 SVN noch der bewaffnete Angriff gemäß Art. 51 SVN grenzüberschreitende im Sinne von grenzverletzende Qualität aufweisen 876 . Danach fehlt es an einer Grundlage dafür, die Ablehnung eines Gewalteinsatzes nach Art. 2 Ziff. 4 SVN bzw. eines staatlichen bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN in Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation mit dem fehlenden grenzübergreifenden Charakter der Gewaltanwendung zu begründen.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen 1. Rechtsfragen mit konstellationsübergreifender Relevanz a) Zum Streit um das Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs im Rahmen von Art. 51 SVN
Die Nachweise oben877 belegen, daß die Feststellung nicht (jedenfalls: nicht länger) zutrifft, wonach es in der Völkerrechtslehre unstreitig sein soll, Art. 51 SVN erfasse allein den staatlichen bewaffneten Angrifrs78 . Dem derzeitigen Diskussionsstand dürfte es entsprechen, von einer ganz h. L. in letzterem Sinne auszugehen879 . Soweit von seiten der h.L. eine Begründung in Unsicherheiten bezüglich der Rolle haben, die der Führung Serbiens bzw. der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien/Montenegro) im Hinblick auf das Vorgehen der "Volksarmee" zukommt (vgl. hierzu etwa den Bericht in FAZ v. 25.04.1992, S. 5). Selbst die Mitgliedstaaten der EG machen erst in einer Stellungnahme vom 12. Mai 1992 (S/23906) deutlich, daß sie von der Kontrolle der "Volksarmee" durch die Belgrader Führung ausgehen. 874 Zum rechtlichen Gehalt des Umgangs mit dem Aggressionsbegriff in diesem Konflikt vgl. oben unter B. II. 30. in Fn. 408. 875 Oben unter B. II. 6. 876 Speziell zum bewaffneten Angriff in diesem Sinne Dinstein, Self-Defence, S. 194 f.; Sciso, RDI 66 (1983), S. 271; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 78 f. 877 Unter C. II. 2. a) bb). 878 Besagte Feststellung findet sich bei Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 78 f. 879 Häufig liegt diese den Ausführungen zu Art. 51 SVN unausgesprochen zugrunde; die ausdrückliche Feststellung, nur der staatliche bewaffnete Angriff sei erfaßt, findet sich etwa bei Kunz, AJIL 41 (1947), S. 878; Delivanis, Legitime Defense, S. 69; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 21 f.; F. Klein, FS Jahrreiss, S. 179; Dahm, Völkerrecht II, S. 414; David, Mercenaires, S. 358; Panzera, Attivita' terroristiche, S. 102; Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 47, 59f.; Levenfeld, ColumJTransnat'IL 21 (1982), S. 16; Genoni, Notwehr, S. 139; Cassese, Pot/Pellet (Hg.), Charte
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
207
überhaupt gegeben wird, fällt diese knapp aus 880 . Nichts anderes gilt für die Vertreter der Gegenauffassung881 . Nicht zuletzt deshalb erscheint es geboten, Art. 51 SVN auf die in Rede stehende Streitfrage hin auszulegen. aa) Wortlautgesichtspunkte
Nach dem gewöhnlichen Wortsinn ist der Begriff "armed attack" nicht auf Staatshandeln beschränkt. Dementsprechend hat auch der Sicherheitsrat in seiner Resolution 241 882 grenzübergreifende Gewaltakte Privater als "armed attacks" bezeichnet883 . Der Bedeutungsgehalt der französischen FasONU, (Hg.), Charte ONU, S. 774; Zanardi, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112; ders. FS Ago III, S. 155; Ader, Rettungsaktionen, S. 57f.; Schachter, IYHR 19 (1989), S. 216; Franzke, Schutzaktionen, S. 132; Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 261; Erickson, StateSponsored International Terrorism, S. 134; Al Chalabi, Legitime Defense, S. 84, betont, Art. 51 SVN sei auch auf den bewaffneten Angriff eines befriedeten lokalen de facto-Regimes anwendbar. Neben den genannten Autoren ist auf die von ihrem seinerzeitigen Sonderberichterstatter Ago übernommene Auffassung der ILC hinzuweisen, wonach die Subsumtion eines bewaffneten Angriffs Privater unter Art. 51 SVN ausscheide; die einschlägigen Passagen im Bericht Agos finden sich in YILC 1980 I 1, S. 15f. (par. 4) i.V.m. S. 39ff. (par. 56ff.) (jeweils zu Art. 33), und S. 61 f. (par. 106 (Art. 34)); zu denjenigen des ILC-Kommentars vgl. YILC 1980 Il2, S. 34 (par. 2) i.V.m. S. 43ff. (par. 23 ff.) (jeweils zu Art. 33 ILC-Entwurf), und S. 57 (par. 16) (zu Art. 34 ILCEntwurf). 880 Vgl. die Ausführungen Meiers, Adersund Schachters (alle vorstehende Fn.). 881 Vgl. hierzu bereits oben unter C.II.2.a)bb). 882 Wellens, Resolutions, S. 43; zu dieser Resolution vgl. bereits oben unter B.II.l5. 883 Anders liegen die Dinge hinsichtlich des Korea-Konflikts des Jahres 1950. In der dritten Präambelerwägung der Resolution 82 vom 25. Juni 1950 (Wellens, Resolutions, S. 252) stellt der Sicherheitsrat "the armed attack on the Republic of Korea by forces from North Korea (Hervorh. v. Verf.)" fest. Kelsen, Recent Trends, S. 927 ff., hat dieser Formulierung angesichts der Tatsache, daß Nord-Korea vom Sicherheitsrat seinerzeit nicht als Staat angesehen wurde, entnommen, daß nach Auffassung des Sicherheitsrates auch die Gewaltanwendung Aufständischer dem Begriff des bewaffneten Angriffs unterfallen könne. Dagegen verweist Al Chalabi, Legitime Defense, S. 84 f. zu Recht darauf, daß der Sicherheitsrat davon ausgegangen sein dürfte, daß Nord-Korea im Jahre 1950 die Merkmale eines Gebildes erfüllt habe, das hier im Anschluß an Frowein (De facto-Regime, S. 51 ff.) als befriedetes de factoRegime bezeichnet wird. Al Chalabi entnimmt der Resolution 82 demzufolge nur die Rechtsüberzeugung, daß bewaffnete Angriffe von seiten eines befriedeten de factoRegimes solchen eines Staates im Rahmen von Art. 51 SVN gleichgestellt sind. Ebenso deutet Frowein (De facto-Regime, S. 56) die Haltung des Sicherheitsrats im Korea-Konflikt. Der Bewertung Al Chalabis und Froweins folgend ist die Gewaltanwendung durch "die Kräfte von Nord-Korea" in dieser Untersuchung im Rahmen der späteren Praxis nicht als Gewaltanwendung durch Private (vgl. zum Arbeitsbegriff des Privaten die Erläuterung in der Einleitung (Fn. 2)) berücksichtigt worden.
208
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
sung "agression armee" ist wohl insofern enger, als hiervon nur unprovozierte bewaffnete Angriffe erfaßt werden. Somit bringt die französische Fassung durch die Verwendung des Begriffs "agression" anstelle von "attaque" wohl bereits eine mißbilligende Wertung zum Ausdruck 884 . Damit ist die Subsumtion privater bewaffneter Angriffe aber nicht ausgeschlossen, da die sprachlich mit dem Begriff "agression armee" etwa verbundene Mißbilligung des bewaffneten Angriffs nicht im Sinne der Bewertung gerade als Verletzung einer völkerrechtlichen Verbotsnorm spezifiziert ist885 . Möglicherweise hat der Sicherheitsrat in seiner Resolution 405 886 den bewaffneten Angriff Privater auf Benin im Jahre 1977 mit diesem sprachlichen Befund übereinstimmend unabhängig von etwaiger staatlicher Verwicklung als "armed aggression" bezeichnet887 . Wie letzterem auch sei, der Begriff des bewaffneten Angriffs erfaßt sprachlich private ebenso wie staatliche Gewaltanwendung888 . Die WOrtlautargumentation der h. L. setzt dementsprechend auch nicht bei dem Begriff "bewaffneter Angriff' an. Vielmehr stellt sie darauf ab, der bewaffnete Angriff werde im Rahmen des Art. 51 SVN als Voraussetzung des Selbstverteidigungsrechts angesprochen. Da das Selbstverteidigungsrecht im Unterschied zum Notstand völkerrechtliches Unrecht voraussetze, müsse der bewaffnete Angriff im Sinne des Art. 51 SVN ein völkerrechtswidriges Verhalten sein, womit privates Verhalten ausscheide889 . Ohne die These, daß das Selbstverteidigungsrecht und damit die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN das Vorliegen völkerrechtlichen Unrechts voraussetzten, an dieser Stelle in Zweifel zu ziehen, ist der vorgestellten Wortlautargumenta884 Zu diesem Bedeutungsunterschied F. Klein, FS Jahrreiss, S. 181 ff., mit zahlr. lexikalischen Nachw., die die Annahme einer implizierten Mißbilligung überwiegend stützen. 885 Ein solches Verständnis ist auch nicht logisch zwingend. Zwar darf eine völkerrechtlich zulässige staatliche Gewaltanwendung nicht als bewaffneter Angriff das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN auslösen. Doch wird dieses Ergebnis bereits dann vermieden, wenn man unter dem bewaffneten Angriff im Sinne der letzteren Norm nur den nicht kraft Völkerrechts erlaubten bewaffneten Angriff versteht. In diesem Sinne sind private bewaffnete Angriffe jedenfalls grundsätzlich als unerlaubt anzusehen. Zu der Diskussion über die Geltung eines völkerrechtlichen Erlaubnistatbestandes für Gewaltakte Privater im Befreiungskampf unten unter D. II. I. d) bb). 886 Wellens, Resolutions, S. 52. 887 Zu der Interpretationsalternative vgl. oben unter B. II. 19. 888 Diesen Wortlautgesichtspunkt stellen die Vertreter der Mindermeinung in den Vordegrund. Lapidar etwa Dinstein, Self-Defence, S. 238: "Armed attacks by nonState armed bands are still armed attacks". Von seiten der Gegenauffassung glaubt man, ihn als "rein formal" (Ader, Rettungsaktionen, S. 57) bzw. "simplistic" (Schachter, IYHR 19 (1989), S. 216) zurückweisen zu können. 889 So insbesondere Ago und die ILC (oben Fn. 879); zust. Schachter, IYHR 19 (1989), s. 217.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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tion entgegenzuhalten, daß die Formulierung "Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs" nicht zu der Annahme zwingt, der bewaffnete Angriff müsse jedenfalls für sich genommen das erforderliche völkerrechtliche Unrecht begründen. Vielmehr kann auch dann von einer Selbstverteidigungssituation "im Falle eines bewaffneten Angriffs" gesprochen werden, wenn völkerrechtliches Unrecht derart mit der Begehung eines bewaffneten Angriffs im Zusammenhang steht, daß mit der Vornahme des bewaffneten Angriffs der Eintritt einer Selbstverteidigungssituation verbunden ist. Da letztere Voraussetzung bei bewaffneten Angriffen Privater erfüllt sein kann 890 , ist ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN nicht deshalb kategorisch ausgeschlossen, weil diese Bestimmung das Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation voraussetzt. Vereinzelt ist zur Begründung des Staatlichkeitserfordemisses auf die zweite Hälfte des ersten Satzes von Art. 51 SVN verwiesen worden 891 . Aus der hierüber bewirkten Ankoppelung des Selbstverteidigungsrechts an das kollektive Sicherheitssystem folge, daß das Selbstverteidigungsrecht nur in Konstellationen Platz greife, in denen der Sicherheitsrat über eine Eingriffsbefugnis verfüge. Letztere wiederum setze das Vorliegen bzw. das Bevorstehen staatlicher892 Gewaltanwendung voraus. Angreifbar ist dieser Gedankengang zunächst insoweit, als er unterstellt, das Selbstverteidigungsrecht bestehe gemäß Art. 51 Satz 1 a.E. SVN nur dann, wenn das kollektive Sicherheitssystem aktiviert werden kann. Der angesprochenen Formulierung ist hingegen nicht mehr zu entnehmen, als daß das Selbstverteidigungsrecht dann nicht mehr besteht, wenn Maßnahmen im Rahmen des kollektiven Sicherheitssystems durchgeführt werden. Davon abgesehen könnte die vorgestellte Argumentation höchstens 893 in bezug auf die innerstaatliche 890 Allein die Unfähigkeitskonstellation wirft insoweit Fragen auf; dazu unten unter D.II.2.a)bb)(l). 89 1 Chalabi, Legitime Defense, S. 83 ff. (zu der von dems. befürworteten Gleichstellung von befriedeten lokalen de facto-Regimen oben Fn. 879). 892 Bzw. denjenigen eines befriedeten lokalen de facto-Regimes. 893 Zu den jüngsten Tendenzen in der Sicherheitsratspraxis, die in die Richtung weisen, den Begriff der Friedensbedrohung auf innerstaatliche Sachverhalte zu erstrecken, etwa Partsch, EuGRZ 1991, S. 475 (in bezug auf die Resolution 688 (Irak) vom 05.04.1991 (Text in VN 1991, S. 77)), lpsen, VN 1992, S. 42 (in bezug auf die Resolution 731 (Libyen) vom 21.01.1992 (Text in VN 1992, S. 67f.) und Sicherheitsratserklärung vom 31. 01. 1992 (Text in VN 1992, S. 66 f.); Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 24 (in bezug auf Resolution 794 (Somalia) vom 03.12.1992 (Text in VN 1993, S. 65f.); Fastenrath, FAZ vom 20.10.1993, S. 2 (in bezug auf die Seeblockade Haitis; vgl. dazu die Sicherheitsratsresolution 875 vom 16.10. 1993 (Text in VN 1994, S. 35); Sicherheitsratsresolutionen 918 und 929 (Rwanda) vom 17.05. 1994 bzw. vom 22.06. 1994 (Texte in VN 1994, S. 151 f.; S. 153 f.); zusammenfassend Delbrück, Kühne (Hg.), Fortentwicklung des Völkerrechts, S. 103 ff.; Kelsen, Recent Trends, S. 930, hat bereits im Jahre 1951 die Auffassung vertreten, die innerstaatliche Gewaltanwendung Privater könne eine
14 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Gewaltanwendung Privater überzeugen. Im Falle grenzübergreifender Gewaltanwendung durch Privatpersonen ist eine Eingriffsbefugnis des Sicherheitsrats nach Art. 39 SVN jedenfalls894 wegen des Vorliegens einer Friedensbedrohung anzuerkennen. Zudem ist die in Art. 51 Satz 1 a. E. SVN angesprochene internationale Sicherheit betroffen 895 . Auch mit einer Verknüpfung von Selbstverteidigungsrecht und kollektivem Sicherheitssystem im Sinne der diskutierten These kann die Ausklammerung grenzübergreifender bewaffneter Angriffe Privater aus dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN demnach nicht begründet werden.
bb) Systematische Gesichtspunkte (1) Das Zusammenspiel mit Art. 1 Ziff. 1 SVN
Es fragt sich, ob das Staatlichkeitserfordemis aus dem Zusammenspiel des Art. 51 SVN mit Art. 1 Ziff. 1 SVN abgeleitet werden kann. Denken läßt sich die folgende Argumentation: Art. 1 Ziff. 1 SVN klassifiziert die Angriffshandlung ("aggression" I "agression") als einen Fall des Friedensbruchs. Friedensbrüche können nur Staaten begehen, da mit "Frieden" nach der SVN ein zwischenstaatlicher Zustand bezeichnet wird896 . Also897 können auch bewaffnete Angriffe (in der französischen Fassung des Art. 51 SVN: "agressions armees") nur durch Staaten begangen werden. Doch ist dieser Gedankengang nicht zwingend. Definiert man "Friede" in Gegenüberstellung zum Kriegsbegriff im technischen Sinne, so kann die Gewaltanwendung durch Private sicher keinen Friedensbruch darstellen. Angesichts des Bedeutungsverlustes des technischen Kriegsbegriffs im Rahmen der SVN erscheint es aber auch möglich, den Zustand zwischen zwei Staaten bereits dann als unfriedlich anzusehen, wenn territoriumsübergreifend Gewalt angewandt wird. Danach müßte auch grenzübergreifende Friedensbedrohung darstellen; die Möglichkeit sogar eines Friedensbruchs in Bürgerkriegssituationen erwägend Frowein, Oe facto-Regime, S. 55. 894 Zur Anwendung der Begriffe Friedensbruch und Aggression im Sinne des Art. 39 SVN auf Konstellationen grenzübergreifender Gewaltanwendung Privater vgl. die nachfolgende systematische Auslegung. 895 Vgl. die dieser Feststellung entsprechende Formulierung der vierten Präambelerwägung der Sicherheitsratsresolution 748 vom 31. März 1992 (Text in VN 1992,
s. 68 f.).
896 Bis an diesen Punkt entspricht der Gedankengang den in Recent Trends, S. 930, vertretenen Thesen Kelsens, denen F. Klein, FS Jahrreiss, S. 185, im Ansatzpunkt zustimmt. 897 Diese Schlußfolgerung zieht Kelsen (vorstehende Fn.) entgegen der Interpretation seiner Darlegungen durch F. Klein (vorstehende Fn.) nicht; dazu näher weiter unten in Fn. 901.
Il. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Gewaltanwendung durch Private einen unfriedlichen Zustand zwischen Basen- und Zielstaat mit der Konsequenz heraufbeschwören können, daß die Qualifizierung als Friedensbruch angezeigt wäre. Wenn es in der oben 898 bereits angesprochenen vierten Präambelerwägung der Sicherheitsratsresolution 748 vom 31. März 1992 heißt, es bestehe die Überzeugung, "daß die Unterbindung von Handlungen des internationalen Terrorismus, so auch von Handlungen, an denen Staaten direkt oder indirekt beteiligt sind, für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unabdingbar ist (Hervorh. v. Verf.)", so deutet dies eher in die Richtung des letztgenannten Verständnisses des Friedensbegriffs der Satzung. Aber auch wenn man davon ausgeht, ein Friedensbruch sei nur in der Gestalt staatlichen Verhaltens möglich, läßt sich dem vorgestellten Gedankengang ein Bedenken entgegensetzen. Dieses gründet darin, daß ausschließlich auf die französische Fassung des Art. 51 SVN abgestellt wird, denn nur hierin findet der in Art. 1 Ziff. 1 SVN als Fall des Friedensbruchs (und damit im Rahmen dieser Überlegung staatliches Verhalten) definierte Begriff der Aggression Verwendung. Die englische Textfassung, die in Art. 51 SVN in auffälliger Abweichung von Art. 1 Ziff. 1 und 39 SVN den Begriff "attack" anstelle desjenigen der "aggression" enthält, rechtfertigt die in Rede stehende begriffliche Deduktion nicht899 . Angesichts des Umstandes, daß Art. 51 SVN auf eine englische Entwurfsfassung zurückgeht900 und die spanische ("ataque armado") der englischen Formulierung entspricht, wäre das Gewicht besagter begrifflicher Deduktion jedenfalls begrenzt901 . In Fn. 895. Dementsprechend ordnet der Weststaatenentwurf zur Resolution 3314 den Aggressionsbegriff ausschließlich dem kollektiven Sicherheitssystem zu : "Under the Charter of the United Nations, ,aggression' is a term to be applied by the Security Council when appropriate in the exercise of its primary responsibility for the maintenance of international peace and security under Art. 24 and its functions under Art. 39" (NAC.I34/L.17 and Add. 1 and 2, Absatz I des operativen Teils). 900 Hierzu Ago, YILC 1980 II I, S. 68 (Fn. 266), und Russe!, History, S. 702 ff. 901 Demzufolge ist es keineswegs widersprüchlich, daß Kelsen, Recent Trends, S. 930, das Staatlichkeitserfordemis in bezug auf den Begriff des bewaffneten Angriffs im Unterschied zu den Begriffen des Friedensbruchs und der Aggression nicht für zwingend hält; insoweit letzlieh ausweichend F. Klein, FS Jahrreiss, S. 185. Dementsprechend verfängt auch die Argumentation Davids, Mercenaires, S. 205 i. V. m. 358, nicht, wonach die in Resolution 3314 getroffene Festlegung des Aggressionsbegriffs nach Art. 39 SVN auf staatliche Gewaltanwendung auf Art. 51 SVN durchschlagen müsse. Mag letzteres auch ausgehend von der französischen Fassung naheliegen, so ist es eben unter Berücksichtigung insbesondere des englischen Pendants nicht zwingend. Der französiche Begriff "agression" kann demnach in bezug auf das Staatlichkeitserfordernis in Art. 39 und 51 SVN unterschiedlich ausgelegt werden - angesichts der Relativität von Rechtsbegriffen kein ungewöhnlicher Befund ; vgl. in diesem Zusammenhang auch die treffende Feststellung der USA im 898 899
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
(2) Das Zusammenspiel mit Art. 2 Ziff. 4 SVN Die systematische Auslegung des Art. 51 SVN i.V.m. Art. 2 Ziff. 4 SVN bildet bei einigen Vertretern der h.M. 902 einen argumentativen Schwerpunkt. Es heißt903 , der Begriff des bewaffneten Angriffs in Art. 51 SVN müsse demjenigen der Gewaltanwendung in Art. 2 Ziff. 4 SVN . wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses dieser beiden Bestimmungen strukturell entsprechen. Daher gelte das Staatlichkeitserfordernis des Art. 2 Ziff. 4 SVN auch im Rahmen des Art. 51 SVN. Dieser Versuch systematischer Begründung des Staatlichkeitserfordernisses vermag nicht zu überzeugen. Richtig ist die Annahme eines Regel-Ausnahme-Verhä1tnisses zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht der SVN. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis verlangt aber eine "strukturelle Entsprechung" in der Staatlichkeitsfrage nur insoweit, als es sich bei den Adressaten von Verbots- und Erlaubnissatz um Staaten handeln muß. Da die (Mitglieds-)Staaten auch dann die alleinigen Adressaten des Erlaubnissatzes nach Art. 51 SVN bleiben, wenn das Erlaubnistatbestandsmerkmal "bewaffneter Angriff' auf Gewaltanwendung durch Private erstreckt wird, ist das Erfordernis struktureller Entsprechung von Verbots- und Erlaubnissatz ungeeignet, die Bestimmung des "bewaffneten Angriffs" im Sinne der h. M. zu begründen. Allein die Ausklammerung innerstaatlicher Gewaltanwendung durch Private aus dem Begriff des bewaffneten Angriffs läßt sich unter Hinweis auf das angesprochene Regel-Ausnahme-Verhältnis dartun. Die staatliche (Gegen-)Gewaltanwendung zur Abwehr innerstaatlicher Gewaltanwendung durch Aufständische o.ä. erfolgt nicht "in den internationalen Beziehungen" und erfüllt dementsprechend nach allgemeiner Auffassung904 nicht den Tatbestand des Art. 2 Ziff. 4 SVN. Mithin fehlt es insoweit bereits an einem Bedürfnis zur Anwendung des in Art. 51 SVN enthaltenen Erlaubnissatzes. Die vorstehend dargelegte These, wonach das Zusammenspiel von Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN einer hinsichtlich der Staatlichkeilsfrage inkongruenten Bestimmung der Begriffe Gewaltanwendung und bewaffneter Angriff nicht Rahmen der Vorarbeiten zur Resolution 3314: "The function of Article 39, which had to do with activating the collective security system, and the quite different function of Article 51, which was designed to exempt the inherent right of self-defence from the prescriptions of Article 2 . .. were different and the context was different. Any attempt to merge these two concepts would produce a distortion of the legal regime embodied in the Charter" (NAC.l34/SR.82, S. 18 f.). 902 Insbesondere bei Ader, Rettungsaktionen, S. 57 f., und Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 94. 903 Bei Ader (vorstehende Fn.); ganz ähnlich Derpa (vorstehende Fn.). 904 Statt aller Schindler, BDGV 26 (1985), S. 14f.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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entgegensteht, steht nicht im Widerspruch zu der oben905 vornehmlich systematisch begründeten Ablehnung anderer Inkongruenzlösungen im Bereich von Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN. Während die Charta-Systematik unter Berücksichtigung des Reziprozitätsgedankens die Überzeugung begründet, die Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 sei (bei Nichteingreifen eines Erlaubnissatzes) hinreichende Bedingung der Annahme eines bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN, läßt sich die Qualität der Gewaltanwendung nach Art. 2 Ziff. 4 SVN als einer notwendigen Bedingung der Annahme eines bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN im Wege systematischer Auslegung nicht herleiten.
cc) Teleologische Gesichtspunkte Während in einer bilanzierenden Abhandlung zur Notwehrbefugnis in der deutschen Rechtsordnung im Jahre 1981 festgestellt werden konnte, "daß die Grenzen der Abwehrbefugnis nur aus den tragenden Prinzipien des Notwehrrechts selbst entwickelt werden können, die als ,Schutzprinzip ' und ,Rechtsbewährungsprinzip' ... eine inzwischen kaum noch bestrittene Anerkennung erlangt haben"906 , so dokumentiert gerade die Debatte über die Behandlung des nicht-staatlichen bewaffneten Angriffs im Rahmen des Art. 51 SVN einen Dissens hinsichtlich der das satzungsrechtliche Selbstverteidigungsrecht tragenden Prinzipien. Wenn von seiten der Befürworter der direkten bzw. analogen Anwendung des Art. 51 SVN auf bewaffnete Angriffe Privater vorgebracht wird, die Grenzziehung zwischen Notstand und Selbstverteidigung sei im Hinblick auf Art. 51 SVN künstlich 907 bzw. die Regelung des Art. 51 SVN sei auf den Notstandsgedanken rückführbar90t!, so wird das Schutzprinzip (i. V.m. mit dem Gedanken der Güterabwägung) zu dem den Erlaubnissatz des Art. 51 SVN allein tragenden Prinzip erklärt. Demgegenüber vermag nach Auffassung der h. M. das Schutzprinzip die in Art. 51 SVN statuierte Befugnis zur Gewaltanwendung auf fremdem Territorium allein nicht zu begründen. Hinzukommen muß - im Unterschied zum Notstand - die aus dem Unrechtscharakter des eigenen Verhaltens resultierende Schwächung der Rechtsposition des zur Duldung der auf seinem Territorium durchgeführten Selbstverteidigungsmaßnahme verpflichteten Staates909 . Unter 0.1. 2.). Roxin, ZStW 93 ( 1981 ), S. 70. 907 Vgl. hiezu oben unter C. II. 2. a) bb). 908 So die Argumentation der oben unter C. II. 2. b) dargestellten "Analogielösung". 909 Vgl. insow. insbes. die Ausführungen Agos (YILC 1980 II I, S. 53f. (par. 88) und der ILC (YILC 1980 II 2, S. 52 f. (par. 3). Daraus folgt nicht mit Notwendigkeit die Anerkennung des Rechtsbewährungsprinzips mit allen seinen Konsequenzen 905
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Sollte allein das Schutzprinzip die Grundlage des satzungsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts bilden, so spräche die Teleologie sicher hinsichtlich der individuellen Komponente für die Erstreckung des Art. 51 SVN auf nicht-staatliche bewaffnete Angriffe. Hingegen erscheint es fraglich, ob bewaffnete Aktionen Privater typischerweise die umfassende Bedrohung darstellen, die den mit dem Rekurs auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht verbundenen Ausbruch aus dem bilateralen Verhältnis unentbehrlich machen können910. Jedenfalls ist die Wirkkraft des Schutzprinzips in bezug auf die Erstreckung der kollektiven Komponente des Art. 51 SVN auf nicht-staatliche bewaffnete Angriffe als schwächer einzustufen. Zu untersuchen bleibt, ob die Teleologie des Art. 51 SVN unter der überwiegend befürworteten Voraussetzung, daß sich der Grundgedanke der Regelung nicht auf das Schutzprinzip reduzieren läßt, für die vollständige Ausklammerung des nicht-staatlichen bewaffneten Angriffs spricht. Im Rahmen der Wortlautauslegung ist herausgestellt worden, daß mit bewaffneten Angriffen Privater eine Völkerrechtsverletzung des von der Selbstverteidigungsmaßnahme potentiell betroffenen Staates direkt verbunden sein kann. Allerdings läßt sich der Einwand denken, die Rechtsverletzung müsse die der Vornahme (im Unterschied insbesondere zur pflichtwidrigen Nichtverhinderung) eines bewaffneten Angriffs eignende besondere Schwere aufweisen, um die aus Art. 51 SVN für den "Selbstverteidigungsbetroffenen" resultierende Duldungspflicht zu begründen. Doch kann hierauf repliziert werden, daß der geringere Unrechtsgehalt bereits darin hinreichend Berücksichtigung findet, daß die von Art. 51 SVN im Falle eines bewaffneten Angriffs Privater vermittelte Befugnis zur Gewaltanwendung strikt auf die Positionen der privaten Angreifer beschränkt wäre911 • (etwa das Nichtbestehen einer der Abwehr vorrangigen Ausweichpflicht bzw. die Verneinung des Erfordernisses der Proportionalität des Wertverhältnisses von abgewehrtem und durch die Abwehr angerichtetem Schaden; dazu näher Roxin, ZStW 93 (1981), S. 71). Andererseits überrascht es nicht, daß bei Ago die strikte Abgrenzung von Notstand und Selbstverteidigung mit einer ganz erheblichen Relativierung des Proportionalitätserfordernisses bei der Selbstverteidigung einhergeht (zu letzterem YILC 1980 II I, S. 69 (par. 121); der Kommentar zu Art. 34 ILC-Entwurf läßt die Frage der Proportionalität ausdrücklich offen (YILC 1980 II 2, S. 60 (par. 22))). 910 Aus der hiermit übereinstimmenden Feststellung, daß "unlike an armed attack by a State, which threatens to spread far and wide, assaults by armed bands are of a more insular nature", folgert Dinstein (Self-Defence, S. 269) ohne weiteres die Verneinung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts gegen bewaffnete Angriffe Privater, da er die kollektive Komponente des Art. 51 SVN anders als die h.M. (zu ihr oben unter D. I. 2. a) dd) in Fn. 826) nicht als Nothilfebefugnis einordnet und deshalb eine Selbstbetroffenheit auch des in kollektiver Selbstverteidigung agierenden Staates fordern (S. 249f.) und bei nicht-staatlichen Angriffen ablehnen (S. 269) muß. 911 Letzteres wird von Dinstein (Self-Defence, S. 245 und FS Ago II, S. 146) zu Recht betont. Vgl. dagegen den Hinweis Wenglers, Gewaltverbot, S. 12, zum möglichen räumlichen Umfang des Selbstverteidigungsrechts im Falle eines staatlichen
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Mithin kann festgestellt werden, daß teleologische Gesichtspunkte den kategorischen 912 Ausschluß nicht-staatlicher bewaffneter Angriffe nicht nahelegen, dies ungeachtet des Streits um das (die) das satzungsrechtliche Selbstverteidigungsrecht tragende(n) Regelungsprinzip(ien).
dd) Genetische und historische Gesichtspunkte Sofern- was nicht allzu häufig geschieht913 - in der literarischen Diskussion genetische und historische Gesichtspunkte berücksichtigt werden, geschieht dies ohne Differenzierung zwischen individueller und kollektiver Komponente der in Art. 51 SVN statuierten Befugnis. Dagegen soll im folgenden gezeigt werden, daß die Analyse der (Vor-)Geschichte in die Richtung einer solchen Differenzierung weist. (1) Gesichtspunkte mit Relevanz für die kollektive Komponente des Art. 51 SVN Wenn unsere Streitfrage auch während der Vorarbeiten zu Art. 51 SVN nicht ausdrücklich erörtert worden ist, so kann der Abfolge der diesbezüglichen Entwürfe doch ein aufschlußreicher Hinweis entnommen werden. In dem ersten offiziellen Formulierungsvorschlag (amerikanischer Provenienz) zu Art. 51 SVN heißt es wie folgt: "Should the Security Council not succeed in preventing aggression, and should aggression occur by any state against any member state, such member state possesses the inherent right to take necessary measures for self-defense. The right to take such measures for self-defense against armed attack shall also apply to understandings or arrangements like those embodied in the Act of Chapultepec, under which all members of a group of states agree to consider an attack against any one of them as an attack against all of them (Hervorh. v. Verf.)"9 14 .
Wird im zweiten Satz der Passage der Begriff "armed attack" auch ohne den Zusatz "by any state" gebraucht, so erhellt doch einmal aus dem bewaffneten Angriffs: "Zur Selbstverteidigung ist aber zweifellos auch der militärische Gegenangriff erlaubt, und zwar auch der (ablenkende) Gegenangriff an einer ganz anderen Stelle als der, wo der Angreifer operiert". Die Aussage Dinsteins, FS Ago II, S. 146, die Selbstverteidigungsmaßnahmen dürften sich im Falle eines bewaffneten Angriffs Privater nicht gegen den Basenstaat richten, bedeutet demzufolge nicht nur eine terminologische Klarstellung. 912 Auf den Streit um das(die) Regelungsprinzip(ien) wird allerdings speziell im Hinblick auf die Unfähigkeitskonstellation (unten unter D. II. 2. a) bb) (I)) zurückzukommen sein. 913 Für die h. M. argumentiert auch historisch Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 22f.; dagegen Dinstein, Self-Defence, S. 241 ff. 914 Zitat nach Russe!, History, S. 698.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Zusammenhang mit der Wendung "aggression occur by any state" im ersten Satz, zum anderen aus der Bezugnahme des zweiten Satzes auf den Akt von Chapultepec, in dem von "every attack of a State"915 die Rede ist, daß mit "armed attack" nur der staatliche bewaffnete Angriff angesprochen ist. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, auch die mit dem "vorkonsensualen" Entwurf der britischen Delegation916 feststehende zusatzlose Verwendung des Begriffs "armed attack" - in Ermangelung von in die entgegengesetzte Richtung weisenden Indizien - im Sinne einer Beschränkung auf den staatlichen bewaffneten Angriff zu verstehen. Hiermit stimmt ein Passus der vielzitierten kolumbianischen Interpretationserklärung zu Art. 51 SVN überein, in dem bekräftigt wird: "But if at any time an armed attack should ensue, that is, an aggression against a state which is a member of the regional group, self-defense, whether individual or collective, exercised as an inherent right, shall operate automatically within the provisions of the Charter, until such time as the Security Council may take the appropriate punitive measures against the aggressor state (Hervorh. v. Verf.)"917 . Danach kann festgehalten werden, daß der Begriff "armed attack" im genetischen Prozeß nur auf staatliches Verhalten erstreckt worden ist. Dieser Gesichtspunkt hat im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 SVN Gewicht, da deren Anwendungsbereich durch die Einfügung des Begriffs "armed attack" begrenzt werden sollte918 . Der soeben erzielte Befund läßt sich weiter erhärten, wenn man die Zielsetzung berücksichtigt, die mit der Regelung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts in Art. 51 SVN verfolgt wurde: Während das Bestreben allein dahin ging, die Satzungskonformität der ausschließlich auf den staatlichen Angriff bezogenen kollektiven Befugnisse nach dem Akt von Chapultepec abzusichern, so hätte demgegenüber die Anerkennung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts gegen bewaffnete Angriffe Privater eine Befugniserweiterung bedeutet. Schließlich hätte die Statuierung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts im Falle bewaffneter Angriffe Privater nicht lediglich zu einer Befugniserweiterung gegenüber dem Akt von Chapultepec geführt, vielmehr hätte hiermit der Bereich im Jahre 1945 zulässiger kollektiver Gewaltanwendung91 9 eine Ausdehnung erfahren, für deren Beabsichtigung die 915 General Secretariat of the Organization of American States (Hg.), The InterAmerican System I 2, S. 270. 916 Text bei Russe!, History, S. 699. 917 Text in UNCIO 12, S. 687; Russe!, History, S. 705. Zum Verhältnis von Aggressions- und Angriffsbegriff im genetischen Prozeß zu Art. 51 SVN vgl. den Text oben unter D.l.l. c)cc) bei Fn. 759. 9 18 Vgl. dazu die Ausführungen oben unter D.l.l. c)cc). 9 19 Von "kollektivem Verteidigungsrecht" wird an dieser Stelle bewußt nicht gesprochen. Bis zum lokrafttreten von Art. l KP war die "kollektive" Kriegführung
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Analyse der Entstehungsgeschichte nichts hergibt. Einmal erhellt aus der einschlägigen zwischenstaatlichen Konfliktpraxis 920, daß eine Befugnis zu kollektiver (Gegen-)Gewaltanwendung gegen (grenzübergreifende) Angriffe Privater von den Staaten vor 1945 nicht beansprucht worden ist921 . Aufschlußreich ist zum anderen die Formulierung der vor 1945 abgeschlossenen Bündnisverträge. Insoweit ist in einer den Zeitraum von 1870 bis 1927 abdeckenden Untersuchung922 nachgewiesen worden, daß der Begriff des Angriffs bei der Festlegung des casus foederis durchgängig als staatliche Gewaltanwendung verstanden wurde. Die aufgezeigten genetischen und historischen Gesichtspunkte sprechen demnach im Hinblick auf das in Art. 51 SVN normierte kollektive Selbstverteidigungsrecht deutlich gegen die Erstreckung des Angriffsbegriffs auf Gewaltanwendung durch Private.
(2) Gesichtspunkte mit Relevanz für die individuelle Komponente des Art. 51 SVN (a) Der Stellenwert des genetischen Begriffsverständnisses
Im Hinblick auf die individuelle Komponente des Art. 51 SVN ist zunächst das Gewicht des unter (I) erzielten Befundes zu bestimmen, wonach der Angriffsbegriff im entstehungsgeschichtlichen Prozeß nur auf staatliches Verhalten bezogen wurde. Dabei kommt der oben923 getroffenen Feststellung ausschlaggebende Bedeutung zu, wonach nicht nachgewiesen werden kann, daß mit der Einfügung des Begriffs "bewaffneter Angriff' neben dem Ziel der Limitierung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts auch dasjenige einer Begrenzung des individuellen Selbstverteidigungsrechts verfolgt wurde. Hiermit stünde es im Widerspruch, würde man dem engen genetischen Angriffsbegriffsverständnis maßgebliche Bedeutung für (mit lokrafttreten der Völkerbundssatzung ggf. im Rahmen von deren prozeduralen Erfordernissen) mangels spezieller vertraglicher Einschränkungen ebenso erlaubt wie die "individuelle". Unter der Geltung des KP bleibt die kollektive Kriegführung gegen "Paktbrecher" gemäß Abs. 4 KP-Präambel i. V. m. Art. 1 KP zulässig, ohne daß es des Rekurses auf ein "kollektives Verteidigungsrecht" bedurfte. Somit bleibt dem "kollektiven Verteidigungsrecht" stricto sensu ein theoretisch möglicher Anwendungsbereich nur in bezug auf die Abwehr nichtkriegerischer Angriffe. 920 Auf diese Praxis wird unten unter (2) näher eingegangen. 921 In diesem Sinne auch Dahm, JIR 11 (1962), S. 60f. 922 In der Untersuchung Steinleins, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. S ff., insbes. S. 14; vornehmlich auf das Ergebnis dieser Untersuchung stützt Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 22, seine historische Begründung der h.M. 923 Unter D. I. I. c)cc).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
die Konturierung auch der individuellen Komponente des Art. 51 SVN zuerkennen. (b) Historische Gesichtspunkte Da eine Erweiterung der individuellen Selbstverteidigungsbefugnisse durch die Einfügung des Art. 51 in die SVN nicht in der Absicht der Satzungsschöpfer lag, wäre ein gewichtiges Argument gegen die Erstreckung des (auf die individuelle Komponente des Art. 51 SVN bezogenen) Angriffsbegriffs auf grenzübergreifende Gewaltanwendung durch Private allerdings dann gewonnen, wenn sich der Nachweis führen ließe, daß nach dem im Jahre 1945 geltenden allgemeinen Völkerrecht ein Anspruch auf individuelle Selbstverteidigung im Falle grenzübergreifender bewaffneter Angriffe durch Private nicht erhoben werden durfte. Ob sich dieser Nachweis führen läßt, soll im folgenden untersucht werden. (aa) Die Artikulation eines Selbstverteidigungsanspruchs im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater in der Staatenpraxis des 19. und frühen 20. Jhdts. (aaa) Der West-Florida-Fall924 Im Jahre 1818 wenden die USA Gewalt in West-Florida an, welches zu dieser Zeit der territorialen Souveränität Spaniens untersteht. Zur Rechtfertigung wird von amerikanischer Seite auf von West-Florida ausgehende, grenzübergreifende Angriffe von Indianern verwiesen. Diese seien Spanien zwar nicht zurechenbar, dennoch begründeten sie ein Selbstverteidigungsrecht der USA. Besonders deutlich wird die Berufung auf ein Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Angriffe in der folgenden Stellungnahme des amerikanischen Staatssekretärs: "He (General Jackson) took possession, therefore, of Pensacola and of the fort of Barrancas, as he had done of St. Mark, not in a spirit of hostility to Spain, but as a necessary measure of self-defense (Klammerzusatz von Moore, Hervorh.· v. Verf.)" 925 .
Es ist nicht erkennbar, daß Spanien den Selbstverteidigungsanspruch der USA bestritten hat926 , allein umfangreiche Plünderungen und Zerstörungen 924 Hierzu ausführlich Moore, Digest II, S. 403 ff; knapper Curtis, AJIL 8 (1914), S. 237; Hyde, International Law I, S. 240 (Text nach Fn. 7); Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam Il, S. 577. 925 Moore, Digest II, S. 405 f. 926 So auch die Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II, S. 577.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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spanischen Eigentums im Zuge des Gewalteinsatzes geben ersterem Staat Anlaß zu einem Protest927 . (bbb) Der Caroline-Fall928 Im Jahre 1837 setzt Großbritannien Gewalt auf dem Territorium der USA ein, um einem auf Kanada (seinerzeit unter der territorialen Souveränität Großbritanniens) übergreifenden Angriff Privater zuvorzukommen929 . Zur Rechtfertigung beruft man sich u. a. 930 auf das Selbstverteidigungsrecht931 . Von amerikanischer Seite wird in Übereinstinstimmung mit der bereits im West-Florida-Fall eingenommenen Position die Möglichkeit eines Selbstverteidigungsrechts gegen grenzübergreifende Angriffe Privater anerkannt, jedoch für den Fall der antizipatorischen Selbstverteidigung in Gestalt der berühmten Webster-Formel von 1842 an den Nachweis einer "necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation"932 geknüpft. Von dieser Rechtsauffassung ausgehend wird im folgenden nur noch über Tatsachenfragen gestritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Caroline-Fall könne nicht als Staatenpraxis zum Selbstverteidigungsrecht, sondern nur als solche zu Notstand bzw. Selbsterhaltung verwertet werden 933 . Nicht zu bezweifeln ist, daß der Selbsterhaltungsgesichtspunkt vor allem in der anfänglichen britischen Argumentation gleichgewichtig neben demjenigen der Selbstverteidigung steht. Doch rechtfertigt dies keineswegs, den Selbstverteidigungsanspruch zu ignorieren934 bzw. letzteren Anspruch hinter dem auf SelbsterhalMoore, Digest Il, S. 404. Ausführlich hierzu etwa Moore, Digest II, S. 409 ff.; Jennings, AJIL 32 (1938), S. 82ff.; Rogoff/Collins, BrooklynJint'lL 16 (1990), S. 493ff. ; Zanardi, Legittima Difesa, S. 43 ff.; Taoka, Self-defence, S. 15 ff.; Genoni, Notwehr, S. 48 ff.; knapper etwa Curtis, AJIL 8 (1914), S. 236f.; O'Connell, International Law, S. 316; Meng, EPIL 3, S. 81 f.; Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam li, S. 575 f. 929 Zu der - hier nicht interessierenden - Bedeutung dieses Falles für die Problematik der antizipatorischen Selbstverteidigung vgl. oben unter D. I. 3. c) und (die Qualität als Präzedenzfall verneinend) Zanardi, Legittima Difesa, S. 54 f. 930 Zu den übrigen Argumenten Großbritanniens s. Jennings, AJIL 32 (1938), s. 85 ff. 93 1 In einer Stellungnahme von 1838 (Jennings, AJIL 32 (1938), S. 85) wird eine "necessity of self-defence" geltend gemacht, in einer Stellungnahme von 184 1 wird der Gewalteinsatz als "public act of force, in self-defense" (Wiedergabe bei Moore, Digest li, S. 41 I) bezeichnet. 932 Das Gesamtzitat ist bei Jennings, AJIL 32 (1938), S. 89, abgedruckt. 933 So insbesondere Zanardi, Legittima Difesa, S. 54, und Ago, YILC 1980 II I, S. 39 f. (par. 57) (Fn. 117) (zu Art. 33 ILC-Projekt) und S. 52 (Fn. 205) (zu Art. 34 ILC-Projekt). 934 So aber Ago (vorstehende Fn.). 927
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
tung zurücktreten zu lassen935 . Ein derartiger Umgang mit dem CarolineFall erscheint umso fragwürdiger, als es der Selbstverteidigungsanspruch ist, der im Verlauf der Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien in den Vordergrund tritt936 . (ccc) Konflikte zwischen den USA und Mexiko937 Der erste dokumentierte Konflikt im Zusammenhang mit grenzübergreifender Gewaltanwendung durch Private geht auf das Jahr 1836 zurück. Hier wenden die USA auf dem Territorium Mexikos Gewalt an, um sich einer Reihe grenzübergreifender Gewaltakte938 Privater zu erwehren. Ebenso deutlich wie im West-Florida-Fall nehmen die USA ein Selbstverteidigungsrecht in Anspruch, um gleichzeitig zu betonen, der Gewalteinsatz sei nicht gegen Mexiko gerichtet. Die markanteste Formulierung dieser beiden Schlüsselelemente der amerikanischen Position findet sich in der folgenden Instruktion des Staatssekretärs: "You will find no difficulties in showing to the Mexican Government that it rests upon the law of nations, entirely distinct from those on which war is justified upon the immutable principles of self-defence (Hervorh. v. Verf.)".
Aufschlußreich ist des weiteren, daß Mexiko den Selbstverteidigungsanspruch nicht kategorisch zurückweist, sich vielmehr ganz entsprechend der amerikanischen Haltung im Caroline-Fall um eine enge Formulierung der Grenzen dieser Befugnis bemüht939 . Im Schrifttum ist die Inanspruchnahme So aber Zanardi, Leggitima Difesa, S. 51. Ebenso Rogoff/Collins, BrooklynJint'IL 16 (1990), S. 496 ff., insbes. 498 ff. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Zuordnung des Caroline-Falles allein zur Notstands- bzw. Selbsterhaltungspraxis sowohl bei Zanardi als auch bei Ago letztlich eine Reflexion des jeweils eigenen Vorverständnisses von der zutreffenden Abgrenzung von Notstand und Selbstverteidigung darstellt. Ein weiteres Beispiel für eine "korrigierende Umdeutung" des Caroline-Materials zum Notstand hin liefern die Ausführungen Greigs, International law, S. 674 ff. Anders verfährt Bowett (SelfDefence, S. 58 ff.), der ohne seine Überzeugung zu verhehlen, daß "strictly speaking . . . vis-a-vis the United States the action taken by Great Britain was taken by virtue of its right of necessity (Hervorh. v. Verf.)", anerkennt, daß der Selbstverteidigungsanspruch in der historischen Auseinandersetzung im Vordergrund stand. 937 Hierzu Moore, Digest II, S. 418 ff.; Hackworth, Digest II, S. 282 ff.; Hyde, International Law I, S. 240ff. ; Curtis, AJIL 8 (1914), S. 237f.; Hershey, AJIL 13 (1919), S. 557ff.; Genoni, Notwehr, S. 50ff.; Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II, s. 577ff. 938 Zu der Bedeutung der an dieser Stelle zu schildernden Praxis als Antizipation der accumulation of events-Doktrin vgl. den Text oben unter D. I. 3. c) (dort insbes. in Fn. 854). 939 Vgl. hierzu die bei Zanardi, Legittima Difesa, S. 52f., wiedergegebene Stellungnahme des mexikanischen Botschafters bei den USA, worin die Grenzen des Selbstverteidigungsrechts wie folgt bestimmt werden: "While it (das Selbstverteidi935 936
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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dieses Konflikts als Praxis zum Selbstverteidigungsrecht aus demselben Grund wie beim Caroline-Fall umstritten 940. Insoweit ist das Notwendige bereits gesagt941 . Zu weiteren amerikanischen Gewalteinsätzen auf mexikanischem Territorium, die wie im Jahre 1836 der Abwehr von in Intervallen stattfindenden grenzübergreifenden Angriffen Privater dienen, kommt es in den Jahren 1860, 1877 942 sowie mehrfach im zweiten Jahrzehnt des 20. Jhdts.943 . Im Zusammenhang mit diesen Konflikten wird der Selbstverteidigungsanspruch zwar nicht so deutlich artikuliert wie noch im Jahre 1836 und häufig werden die Gewalteinsätze jetzt auch als gewaltsame Nacheileaktionen bezeichnet. Doch gilt es hierbei zu bedenken, daß Nacheile und Selbstverteidigung zu dieser Zeit noch nicht strikt voneinander geschieden werden944. Die gewaltsame Nacheile wird in Akkumulierungskonstellationen, wo sie in defensiver Zielsetzung erfolgt, als Fall der Selbstverteidigung angesehen945 . Damit soll die Möglichkeit nicht bestritten werden, daß der amerikanische Gewalteinsatz im Villa-Fall des Jahres 1916 nach Umfang und Zielsetzung946 über die zuvor dargestellte Selbstverteidigungspraxis hinausreicht und so auch als Manifestation eines gegenüber dem Selbstverteidigungsrecht selbständigen Rechtsanspruchs auf die Befugnis zu gewaltsamer Nacheile eingeordnet werden muß947 . Doch finden sich neben gungsrecht; .Verf.) fikes upon us the obligation of preserving and defending ourselves it equally prohibits us from doing so to the evident injury of a third party, unless in a case of absolute necessity when the danger is imminent, when it cannot be avoided by any other means, and when the injury apprehended is infinitely greater than that we are about to occasion". 940 Nachw. oben in den Fn. 933 ff. 941 Vgl. die Ausführungen im Text nach Fn. 933 und in Fn. 936. 942 Hierzu insbesondere die Anmerkung in Falk (Hg.) (oben Fn. 937). 943 Hierzu insbesondere Hackworth, Hyde und Hershey (oben Fn. 937). 944 Dieser historische Befund wird von Poulantzas (Hot pursuit, S. 16), der sich für eine klare Trennung der beiden Institute ausspricht, nicht widerlegt. 945 Vgl. insow. Curtis, AJIL 8 (1914), S. 235 (Überschrift) i.V.m. S. 237; Moore, Digest Il, Inhaltsverzeichnis S. IV, Überschrift zu 7. i.V.m. S. 421 ff.; Hershey, AJIL 13 (1919), S. 562, 569; Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 732f.; Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II, S. 578 f. 946 Vgl. insbesondere die Senatsresolution vom 17. März 1916, worin zum Gewal teinsatz "for the single purpose of arresting and punishing the fugitive band of outlaws" ermächtigt wird (Hackworth, Digest II, S. 293). 947 So die Bewertung von Poulantzas, Hot pursuit, S. 14f., Charpentier, RGDIP 65 (1961 ), S. 308, und Zanardi, Legittima Difesa, S. 59 f. Hackworth, Digest II, S. 291, versieht die Schilderung des Falles mit der Marginalie "Punitive expedition"; Basdevant, RdC 58 (1936 IV), S. 549 (Fn. 3) i.V.m. 542 (Fn. 1), äußert starke Zweifel, ob sich der Gewalteinsatz noch als Selbstverteidigungsmaßnahme rechtfertigen läßt; im Villa-Fall sind die USA bezeichnenderweise im Unterschied zu vorangegangenen Gewalteinsätzen (dazu die Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II,
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Stellungnahmen, die den punitiven Charakter der Aktion herausstellen, auch solche, die exakt an die bekannten Formulierungen zum Selbstverteidigungsrecht im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater anknüpfen. So heißt es in einer Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom September 1916: "We ventured to enter Mexican territory only because there were no military forces in Mexico that could protect our border from hostile attack and our own people from violence, and we have committed there no single act of hostility or inteiference even with the sovereign authority of the Republic of Mexico herself. It was a plain case of the violation of our own sovereignty which could not wait to be vindicated by damages and for which there was no other remedy. The authorities of Mexico were powerless to prevent it (Hervorh. vom Verf.)"948.
Angesichts dessen erscheint es nicht als unzulässig, den Villa-Fall auch als einen weiteren Präzedenzfall für die Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts gegen grenzübergreifende Angriffe Privater zu verwerten949. (ddd) Zwei in der Literatur kursorisch erwähnte Selbstverteidigungsfälle aus der britischen und französischen Praxis Abschließend sei noch auf zwei Konflikte hingewiesen, die in der Literatur vereinzelt in unserem Zusammenhang erwähnt werden. So soll Großbritannien im Jahre 1877 gegenüber grenzübergreifenden Angriffen Privater (von Mexiko aus auf das seinerzeit britischer Souveränität unterstehende Gebiet Honduras) entsprechend der oben unter (ccc) referierten amerikanischen Praxis reagiert haben 950 und von Frankreich wird berichtet951 , es habe gegenüber Marokko im Jahre 190 I ein Selbstverteidigungsrecht in einem Fall von Marokko auf Tunesien übergreifender Angriffe Privater beansprucht. S. 578) auf entschiedenen Widerstand von seiten Mexikos gestoßen (dazu Hackworth, Digest II, S. 293ff.); vgl. auch die Feststellung Poulantzas (S. 15) bezüglich der Befugnis zu gewaltsamer Nacheile: "Such a unilateral right was, however, never conceded by Mexico". 948 Hyde, International Law I, S. 244 (Fn. 21). 949 Auch oder gar nur als Praxis zum Selbstverteidigungsrecht wird der Villa-Fall eingeordnet von Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 732; Fauchille, Droit International Public, S. 421 ; Ch. de Visscher, Responsabilite, S. 108; David, Mercenaires, S. 358; Dinstein, Self-Defence, S. 242; unklar Hershey, AJIL 13 (1919), S. 558, der lediglich feststellt: "lt was not an instance of ,hot pursuit' (Hervorh. v. Verf.)". 950 So die Anmerkung in Falk (Hg.), Vietnam II, S. 578, unter Hinweis auf einen alten Pressebericht in Fn. 25. 951 Vgl. David, Mercenaires, S. 358, mit einem offensichtlich irrtümlichen Zitat in Fn. 3.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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(eee) Der Mongolei-Konflikt Im Jahre 1921 wendet die RSFSR952 Gewalt in der Mongolei an, um sich von dort ausgehender grenzübergreifender Angriffe Privater zu erwehren. Dieser Gewalteinsatz wird teilweise953 als weiterer Präzedenzfall für die Inanspruchnahme einer Selbstverteidigungsbefugnis angesehen. Die unmittelbar auf den in Rede stehenden Gewalteinsatz bezogene sowjetische954 Stellungnahme stützt diese Sichtweise nicht. In der sowjetischen Note wird das Selbstverteidigungsrecht nicht erwähnt, vielmehr heißt es schlicht: " ... in the interests of the safety of its frontiers the Soviet Government was constrained to conduct part of the Red Army into Mongolian territory and liquidate all the White Guard bands and organizations ... " 955 .
Allerdings wird in einer aus Anlaß eines späteren Gewalteinsatzes956 abgegebenen sowjetischen Stellungnahme bekräftigt, daß die Sowjetunion "n'a jamais eu recours a l'action armee, sauf pour des mesures de defense rendues necessairespardes attaques directes contre ['Union soviitique" 957 . Liest man diese Formulierung im Zusammenhang mit derjenigen aus der auf den Gewalteinsatz von 1921 bezogenen Note, daß "White Guard armies routed by the Red Army, retreated to Mongolian territory, where, having united with elements hostile to the Soviet Govemments, they created a base for new attacks upon the territory of the Soviet Republics (Hervorh. v. Verf.)"958 , so muß hieraus der Schluß gezogen werden, daß der Gewalteinsatz des Jahres 1921 wenigstens in der Rückschau als Selbstverteidigungsmaßnahme gerechtfertigt wird. Hinzuzufügen ist, daß der Gewalteinsatz nicht als kriegerisch angesehen wird.
952 Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik 953 So etwa von Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 732 f., und David, Mercenaires,
S. 354. 954 Es handelt sich um eine Stellungnahme der inzwischen entstandenen UdSSR. 955 Degras, Soviet Documents II, S. 18. 956 Gemeint ist der sowjetische Gewalteinsatz des Jahres 1929 auf chinesischem Territorium, der hier trotz Beteiligung "gegenrevolutionärer Banden" nicht als Fall der Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe Privater verwertet wird. Der folgende Extrakt der sowjetischen Stellungnahme zeigt, daß die Sowjetunion von einem staatlichen Angriff ausgeht: "Le gouvernement de Nankin ... mobilisa, a Ia frontiere sovieto-mandchoue, une armee dont Jes differents detachements, renforces de bandes contre-revolutionnaires russes, firent des attaques systematiques contre l'union sovietique ... ", Wheeler-Bennett, Documents on International Affaires 1929, s. 279. 957 Wheeler-Bennett, Documents on International Affaires 1929, S. 278. 958 Degras, Soviet Documents II, S. 17.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
(fff) Die völkerrechtliche Relevanz der referierten Staatenpraxis Die unter (aaa) bis (eee) referierte Staatenpraxis belegt den nicht nur vereinzelt erhobenen Anspruch von Staaten, grenzübergreifenden Angriffen Privater mit grenzübergreifender Gegengewalt begegnen zu dürfen. Die entsprechenden Gewalteinsätze werden (zumindest auch) als Selbstverteidigungsmaßnahmen short of war gerechtfertigt. Die Zulässigkeit dieser Form des Gewalteinsatzes ist zu dieser Zeit sicher nicht zu bestreiten. In einer Epoche erlaubter Kriegführung 959 kann es den Staaten schwerlich verwehrt sein, nach Dauer und Umfang begrenzte Gewalteinsätze mit defensiver Zielrichtung durchzuführen. Zweifelhaft kann danach nicht die Zulässigkeit der Gewalteinsätze, sondern allein die rechtliche Relevanz der Begründung als Selbstverteidigung short of war sein. Ob dem Selbstverteidigungsanspruch bereits für die Beschreibung des Rechtszustandes dieser Zeit Relevanz zuzuerkennen ist, hängt von der Antwort auf die grundsätzliche Frage ab, ob die in der Staatenpraxis dieser Zeit verbreitete Vorstellung von der Dichotomie rechtfertigungsbedüiftiger Gewaltmaßnahmen short of war und begründungslos erlaubter Kriegführung nicht zu künstlich ist, als daß sie in rechtlichen Kategorien faßbar wäre960. Die Beantwortung letzterer Frage ist für die Zwecke dieser Untersuchung nicht erforderlich961 . Ausreichend ist mit Blick auf die durch das lokrafttreten des KP bedingte Änderung der Rechtslage die Feststellung, daß dem in Rede stehenden Selbstverteidigungsanspruch jedenfalls potentielle rechtliche Relevanz für den Fall der Einführung eines Kriegführungsverbots innewohnt. Dies ist im folgenden zu zeigen. Statt vieler Brownlie, Use of Force, S. 49 f. Die Frage wird von Ago in bezug auf Selbstverteidigungsmaßnahmen short of war bejaht (YILC 1980 II 1, S. 51 f. (s. dort insbesondere Fn. 205)), inkonsequenterweise aber verneint, was gewaltsame Notstandsmaßnahmen short of war anbetrifft (ebd., S. 39 (par. 57)); Schwarzenberger, International Law, S. 151, kennzeichnet die Problematik mit den Worten: "The place of compulsory measures short of war in dassie international law was always ambiguous"; bei Brownlie heißt es in Use of Force, S. 26, zu der Problematik im allgemeinen: "The practice of states since the early ninteenth century has developed a doctrine which might be considered so absurd as not to merit discussion, if it were not for the circumstances that govemments have frequently used the doctrine", die speziell auf die Konstellation grenzübergreifender Angriffe Privater bezogenen Darlegungen dess. in ICLQ 7 (1958), S. 731 f., deuten die Bereitschaft an, den Rechtscharakter des Selbstverteidigungsanspruchs anzuerkennen; unmißverständlich in diesem Sinne etwa Genoni, Notwehr, S. 52, und Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 754. 961 Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik führte unausweichlich zu der Erörterung der Grundfrage, ob bei Erlaubtheit der Kriegführung von einer Völkerrechtsordnung überhaupt gesprochen werden kann; dazu bereits oben unter A. I. bei Fn. 31. 959
960
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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(bb) Der rechtliche Status des Selbstverteidigungsanspruchs nach dem Kellogg-Pakt (KP) Das für die Entwicklung des allgemeinen Völkerrechts zur Gewaltanwendung bis zum Jahre 1945 wichtigste Dokument ist der KP962 . Dementsprechend mußte sich hieran das Schicksal, das unserem Selbstverteidigungsanspruch nach allgemeinem Völkerrecht bis zum lnkrafttreten der SVN beschieden sein sollte, entscheiden. Dieser Selbstverteidigungsanspruch dürfte nach dem KP nur dann nicht mehr erhoben werden, wenn grenzübergreifende staatliche Gewalteinsätze zur Abwehr grenzübergreifender Angriffe Privater mindestens einer der beiden Verbotsnormen des KP unterfielen und nicht von der allgemein akzeptierten Erklärung der USA zum Selbstverteidigungsrecht963 erfaßt wären. Ausgesprochen zweifelhaft ist bereits, ob staatliche Gewalteinsätze der oben964 geschilderten Art einer der beiden Verbotsnormen des KP zu subsumieren sind. Berührt ist die Kernfrage, wie sich die Art. I und 2 KP zu den Gewaltmaßnahmen short of war verhalten 965 . Denkbar sind drei Lösungen. Nach der ersten sind die Maßnahmen short of war in konsequenter Fortführung der hergebrachten Dichotomie als friedlich im Sinne des KP zu behandeln und demnach aus dem Anwendungsbereich beider Eingangsartikel auszuklammern966 . Die zweite Lösung weicht in bezug auf die Auslegung des Art. 2 KP ab. Friedlich im Sinne dieser Bestimmung bedeute gewaltlos967 . Hiernach ist die Subsumtion staatlicher Gewalteinsätze zur Abwehr grenzübergreifender Angriffe Privater unter Art. 2 KP dann zu bejahen, wenn mit dem Vorgehen die Regelung oder die Entscheidung einer Streitigkeit oder eines Konfliktes intendiert ist. Doch kann die grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater für sich genommen weder eine Streitigkeit noch einen Konflikt zwischen zwei KP-Staaten begründen968 . 962 Zum quasi-universellen Charakter des Vertrages im Jahre 1939 s. Brownlie, Use of Force, S. 75; für die Erstarkung zu Völkergewohnheitsrecht überzeugend ders., S. 115, und daneben etwa Berber, Völkerrecht II, S. 35. 963 Zum Text der amerikanischen Note etwa RGDIP 35 (1928), S. 677 (ebd., S. 683, auch der Text der hierauf Bezug nehmenden französischen Note) und Brownlie, Use of Force, S. 236. 964 Unter (aa) (aaa) - (eee). 965 Dazu ausführlich Brownlie, Use of Force, S. 84ff. m. zahlr. Nachw. zum älteren Schrifttum. 966 In diesem Sinne etwa Bowett, Self-Defence, S. 136; jedenfalls für vertretbar wird diese Lesart von Waldock, RdC 81 (1952 II), S. 474, gehalten. 967 Dieses Verständnis hält auf der Grundlage textueller Auslegung Brownlie, Use of Force, S. 86, wohl für vorzugswürdig. 968 Dasselbe gilt im Hinblick auf die Art. 12, 13 und 15 Völkerbundsatzung ; zum Verständnis des Kriegsbegriffs der Völkerbundsatzung vgl. nur Franzke, Schutz15 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Eine dritte Sichtweise schließlich will nicht nur den Friedlichkeitsbegriff im Sinne des Art. 2 KP eng, sondern auch den Kriegsbegriff im Sinne des Art. 1 KP weit dahin auslegen, daß ihm jede bzw. jede substantielle969 Gewaltanwendung unterfällt Diese Auffassung stützt sich vor allem 970 auf die spätere Praxis zum KP. Diese sei von dem Bestreben gekennzeichnet, die Unterscheidung zwischen kriegerischer und sonstiger Gewaltanwendung zu überwinden971 . Nach dieser (in den Jahren bis 1945 kaum als herrschend972 zu bezeichnenden) Deutung des KP ist die Subsumtion der in Rede stehenden staatlichen Gewalteinsätze unter Art. 1 KP mit der Folge möglich, daß ihre KP-Konformität von der Anwendbarkeit der Selbstverteidigungserklärung abhinge973. Die in unserem Zusammenhang entscheidenden Sätze besagter Erklärung lauten: "There is nothing in the American draft of an anti-war treaty which restricts or impairs in any way the right of self-defense ... Every nation is free at all times and regardless of treaty provisions to defend its territory from attack or invasion and it alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defense"974 •
Bereits der erste Satz legt die Anwendbarkeit der Erklärung auf unsere Gewalteinsätze nahe, waren diese doch in der Vergangenheit gerade von den USA als Selbstverteidigungsmaßnahmen eingeordnet worden. Der aktionen, S. I20, und Brownlie, Use of Force, S. 59 ff; Franzke, Schutzaktionen, S. II9, I2I klammert Angriffe wegen ihres einseitigen Charakters schlechthin aus dem Anwendungsbereich der Art. 2 KP bzw. I2, 13, I5 Völkerbundssatzung aus. 969 Bei Brownlie, Use of Force, ist auf S. 87 von substantieller Gewaltanwendung die Rede; selbst auf letztere Beschränkung scheint ders. auf S. 9I verzichten zu wollen; im Erg. wie Brownlie Taoka, Self-defence, S. 95 ff. 970 Daneben wird auf die Effektivitätsregel verwiesen. Die Auslegung im Sinne des im 19. und frühen 20. Jhdts. subjektiv geprägten Kriegsbegriffs beraubte das Verbot des Art. I KP jeder praktischen Wirkung, mit einer objektiven Abgrenzung (Kriterien: entweder schlicht Dauer und Umfang des Gewalteinsatzes oder Substraktionsverfahren unter Rekurs auf die bis dato gebräuchlichen "Rechtfertigungsgründe" für nichtkriegerische Gewaltanwendung) zur Gewaltanwendung short of war wäre ein beträchtliches Maß an Unsicherheit bei der Anwendung der zentralen Verbotsnorm verbunden; Brownlie, Use of Force, S. 86f.). 971 Brownlie, Use of Force, S. 87 f. ; vgl. daneben Zourek, AnnuiDI 56 (1975), s. 34ff. 972 Immerhin deutet Art. 2 der im Jahre I934 verabschiedeten "Budapester Interpretationsregeln" der ILA den Kriegsbegriff des Art. I KP im Sinne von Gewaltanwendung; bezeichnend allerdings der diesbezügliche Kommentar Bowetts, Self-Defence, S. 136: "these articles (die "Budapester Interpretationsregeln", Verf.) cannot, it is submitted, affect the legal limitations of Art. I (KP, Verf.), and only serve to demonstrate its inadequacy". 973 Der Rekurs auf Abs. 4 der KP-Präambel schiede zur Begründung der Zulässigkeil der Gewalteinsätze aus, da Private nicht gegen Art. I KP verstoßen können. 974 Nachw. oben in Fn. 963.
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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zweite Satz, der das Selbstverteidigungsrecht ausdrücklich mit dem Vorliegen eines (nicht weiter qualifizierten) Angriffs verknüpft975 , deutet in dieselbe Richtung, sofern berücksichtigt wird, daß die grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater von den Staaten bis dato durchgängig (auch) mit dem Begriff "attack" bedacht worden ist976 . Danach läßt sich mit Blick auf das Ende des zweiten Satzes gegen die Subsumtion unserer Gewalteinsätze unter die Selbstverteidigungserklärung einzig der Einwand denken, letztere erfasse nur kriegerische, nicht aber Selbstverteidigungsmaßnahmen short of war. Zu diesem Einwand ist zunächst zu sagen, daß er nur dann erhoben werden darf, wenn auch in bezugauf Art. l KP an der Unterscheidung zwischen kriegerischer und sonstiger Gewaltanwendung festgehalten wird. Auf der Grundlage der dritten der oben skizzierten Deutungen zu Art. 1 KP, die allein die Subsumtion unserer Gewalteinsätze gestattet, ist der Einwand damit ausgeschlossen. Hinzugefügt werden kann, daß die nach dem Duktus der Selbstverteidigungserklärung keineswegs zwingende Beschränkung auf kriegerische Gewaltanwendung im technischen Sinne auch auf der Grundlage der beiden anderen vorgestellten Interpretationen der KP-Verbotsnormen nicht naheliegt Zwar bedurfte es hiernach mangels prima facie-Verbots gemäß Art. 1 bzw. 2 KP keiner das Selbstverteidigungsrecht short of war klarstellenden Erklärung, doch erscheint der Anwendungsbereich der Selbstverteidigungserklärung ohnehin nicht auf das nach der in Zusammenschau mit Abs. 4 der Präambel zu erschließenden Reichweite der KP-Verbotsnormen unbedingt erforderliche Maß reduziert worden zu sein977 • 975 Zu der hier nicht interessierenden Streitfrage, ob das Selbstverteidigungsrecht mit diesem Satz auf die Abwehr von Gewalt beschränkt worden ist, etwa Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 102m. w.Nachw. 976 Zu Beispielen aus der einschlägigen Staatenpraxis vgl. die Darstellung oben unter (aa) (aaa) - (eee). 977 Die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang die Berufung auf das in der Erklärung herausgestellte Selbstverteidigungsrecht zur Abwehr eines Angriffs bzw. einer Invasion angesichts des Abs. 4 der KP-Präambel erforderlich ist, wirft äußerst komplizierte, mit der Bestimmung des Kriegsbegriffs zusammenhängende Fragen auf. Ein objektives Verständnis des Kriegsbegriffs schlösse staatliche Angriffe bzw. Invasionen in weitem Umfang ein, weshalb nach Abs. 4 der Präambel entsprechende Gegengewalt erlaubt und die Bemühung eines Selbstverteidigungsrechts entbehrlich wäre. Dementsprechend heißt es bei Berber, Völkerrecht li, S. 36, knapp: "Daß Selbstverteidigung mit kriegerischen Mitteln nicht unter das Kriegsverbot des Kellogg-Paktes fällt, ergibt sich einmal aus den Erklärungen, die von einer Reihe von Staaten vor der endgültigen Annahme des Paktes gemacht wurden, vor allem aber aus der Bestimmung der Präambel, daß der Vertragsverletzer der Vorteile des Vertrags verlustig gehe (Hervorh. v. Verf.)". Basdevant, RdC 58 (1936 IV), S. 544ff., gelangt ausgehend von ähnlichen Überlegungen konsequenterweise zu dem Schluß, daß es sich bei dem Fall grenzübergreifender Angriffe Privater (welcher von der Selbstverteidigungserklärung erfaßt sei, S. 547 (Fn. 2)) um einen der Paradefälle handele, bei denen die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung eines staatlichen Gewalteinsatzes unentbehrlich sei (S. 545). 15*
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Nach alldem erscheinen zwei Wege gangbar, um das (allgemein-) völkerrechtliche Schicksal unseres Selbstverteidigungsanspruchs nach lnkrafttreten des KP zu bestimmen. Hält man auch nach lokrafttreten des KP an der Dichotomie kriegerischer und sonstiger Gewaltanwendung fest, so fällt der staatliche Gewalteinsatz im Falle grenzübergreifender Gewaltakte Privater als Selbstverteidigungsmaßnahme short of war von vornherein aus dem Anwendungsbereich des KP heraus. Die (dann nicht zwingend, aber doch mit den besseren Gründen zu bejahende) Frage der Anwendbarkeit der Selbstverteidigungserklärung auf derartige Selbstverteidigungsmaßnahmen ist hiernach von sekundärer Bedeutung. Die Erhebung des Selbstverteidigungsanspruchs bliebe jedenfalls zulässig. Nimmt man dagegen an, der KP bzw. die diesbezügliche spätere Praxis habe die Dichotomie im Bereich der Gewaltanwendung überwunden, so ist unser Selbstverteidigungsanspruch (zwingend) gemäß der Selbstverteidigungserklärung zum KP begründet. Für den Untersuchungszweck kommt es . nicht auf die (mit Gewißheit schwerlich zu treffende) Feststellung an, welcher der beiden aufgezeigten Wege vorzugswürdig ist. Ausreichend ist der Befund, daß unser Selbstverteidigungsanspruch nach lokrafttreten des KP jedenfalls - und infolge der Einführung des Kriegführungsverbots nun auch sicher als Rechtsanspruch978- weiter erhoben werden darf 979. (cc) Der Stellenwert (möglicher) partikularer Abweichungen von der Rechtslage nach dem Kellog-Pakt Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß mit dem gelegentlich der LocarnoKonferenz im Jahre 1925 geschlossenen Vertrag980 ein partikulares Regelungssystem ins Leben gerufen worden ist, welches das Selbstverteidigungsrecht sicher auf den Fall eines staatlichen Angriffs beschränkt, wobei die zentrale Verbotsnorm staatliche Gewaltanwendung unabhängig von ihrer Einordnung als kriegerisch erfaßt. Die maßgeblichen Sätze des einschlägigen Art. 2 lauten: "Germany and Belgium, and also Germany and France, mutually understand that they will in no case attack or invade each other or resort to war against each other. This stipulation shall not, however, apply in the case of I. The exercise of the right of Iegitimale defence, that is to say, resistance to a violation of the undertaking contained in the previous paragraph . . . (Hervorh. v. Verf.)". 978 Zu der Frage des Rechtscharakters des Selbstverteidigungsanspruchs vor der Einführung des Kriegführungsverbots s. oben unter (aa)(fff) a.E. 979 Für eine abweichende Deutung der Rechtslage nach dem KP in dem interessierenden Punkt s. Taoka, Self-defence, S. I 02. 980 Dazu etwa Brownlie, Use of Force, S. 70f., und Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 28 ff. (jeweils mit Textzitaten).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Indem das Selbstverteidigungsrecht an das Vorliegen einer Verletzung des an die Vertragstaaten gerichteten Angriffsverbots geknüpft wird, wird unserem Selbstverteidigungsanspruch die Grundlage entzogen. Möglicherweise weichen auch die Londoner Konventionen981 in dem interessierenden Punkt von der Rechtslage nach dem KP ab. Der in Art. 2 dieser Konventionen definierte Begriff der Aggression wird auf staatliches Verhalten begrenze82 . Zweifelhaft ist, ob damit nach den Konventionen ein Selbstverteidigungsrecht gegen grenzübergreifende Angriffe Privater ausgeschlossen ist. Das Vorliegen einer Aggression wird im Konventionstext nicht ausdrücklich zur conditio sine qua non des Selbstverteidigungsrechts erhoben. Vielmehr werden im Annex Gründe (nicht abschließend) aufgezählt, die eine Aggression nicht sollen rechtfertigen können. Insofern als der Fall grenzübergreifender Angriffe Privater hierin nicht erwähnt wird, bleibt Raum für eine Argumentation im Sinne der Vereinbarkeit unseres Selbstverteidigungsanspruchs mit den Konventionen. Nach dem Gesamtduktus des Vertragstextes ist aber auch die Annahme möglich, daß jede staatliche Gewaltanwendung, die über das Niveau eines Grenzzwischenfalles hinausgeht983 und nicht zur Abwehr einer Aggression im Sinne der Definition erfolgt, als (unzulässige) Aggression anzusehen ist. Nach diesem Verständnis stünden die Konventionen der Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater entgegen.
(dd) Folgerungen in bezug auf das individuelle Selbstverteidigungsrecht und den völkerrechtlichen Angriffsbegriff im Jahre 1945 Insbesondere bei Zugrundelegung der zuletzt vorgestellten Interpretationsvariante käme im Hinblick auf die Ebene des allgemeinen Völkerrechts dem Umstand Bedeutung zu, daß sich der Politis-Bericht984, auf dem die Londoner Konventionen fußen, nicht allgemein durchzusetzen vermochte und die diesbezüglichen Debatten985 auch keinen Konsens dahingehend 981 Hiermit werden die drei Verträge vom Juli 1933 bezeichnet, die die UdSSR mit Polen, Afghanistan, Persien, Lettland, Estland, der Türkei (3. Juli, LNTS 147, S. 67ff.), Rumänien, der Tschechoslowakei, der Türkei, Jugoslawien (4. Juli, LNTS 148, S. 211 ff.) und Litauen (5. Juli, LNTS 148, S. 79ff.) abgeschlossen hat; Textabdruck auch bei Brownlie, Use of Force, S. 360. 982 Zu der sehr weitgehenden Einbeziehung staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater in Art. 2 Nr. 5 der Londoner Konventionen näher unten unter D. II. 2. a) aa) (I). 983 Diese Einschränkung folgt aus der Aufführung der Grenzzwischenfälle sub B. des Konventionsannex. 984 Zum Text vgl. Ferencz, International Aggression I, S. 215 ff. 985 Vgl. hierzu Ferencz, International Aggression I, S. 238 ff.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
erkennen lassen, daß das Vorliegen einer Aggression im Sinne des Definitionsentwurfs die unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung des Selbstverteidigungsrechts darstelle. Partikulare Abweichungen von der Rechtslage nach dem KP sind demnach zwar teilweise sicher feststellbar (Locarno), teilweise immerhin begründbar (Londoner Konventionen), doch bleibt es für das im Jahre 1945 geltende allgemeine Völkerrecht bei dem oben986 formulierten Befund, wonach ein Selbstverteidigungsanspruch im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater erhoben werden darf 987 . Diesem Ergebnis entspricht die Erkenntnis, daß die These988 , der Angriffsbegriff sei im internationalen Sprachgebrauch des Jahres 1945 auf staatliches Verhalten beschränkt, der Differenzierung nach dem jeweiligen Kontext bedarf. Bei der Bezeichnung des casus foederis in Bündnisklauseln wird der Angriffsbegriff ausschließlich auf staaliches Verhalten bezogen989 . Soweit Angriffsdefinitionen - wie etwa der Politis-Bericht des Jahres 1933 - nicht die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts abschließend bestimmen, sondern die Merkmale eines besonders schweren Völkerrechtsbruchs umreißen sollen990, nehmen sie natürlich ebenfalls nur staatliches Verhalten in Bezug. Daraus Schlußfolgerungen hinsichtlich des Inhalts des Angriffsbegriffs in seiner Funktion als Voraussetzung des individuellen Selbstverteidigungsrechts, d. h. als Erlaubnistatbestandsmerkmal zu ziehen, ist jedoch unzulässig991 • Nicht nur ist der Begriff des Angriffs in letzterer Unter (bb) a. E. Im Ergebnis übereinstimmend neben den oben unter C. II. 2. c) in Fn. 631 genannten Autoren Dinstein, Self-Defence, S. 241 ff., aber auch David, Mercenaires, S. 357; Brownlies Ausführungen in ICLQ 7 ( 1958), S. 731 f., sind schwerlich anders zu verstehen; hierzu steht es allerdings in offenem Widerspruch, wenn ders. in Use of Force, S. 280, feststellt, daß "by 1945 self-defence was understood to be justified only in case of an attack by the forces of a state (Hervorh. v. Verf.)"; Malanczuk, erkennt das Selbstverteidigungsrecht gegen grenzübergreifende Angriffe Privater im Grundsatz an (ZaöRV 43 (1983), S. 754), verneint es hingegen in der Unfähigkeilskonstellation (S. 756) und ist damit hinsichtlich der Bewertung des im Jahre 1945 geltenden allgemeinen Völkerrechts den oben unter C. II. 2. c) in Fn. 634 genannten Autoren zuzuordnen; in Beiträgen aus der Zwischenkriegszeit sprechen sich für ein Selbstverteidigungsrecht im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater aus Basdevant, RdC 58 (1936 IV), S. 545, 547, Brierly, RdC 58 (1936 IV), S. 128, und (noch vor lokrafttreten des KP) Ch. de Visscher, Responsabilite, S. 108 f. 988 Diese These wird etwa von Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 22, vertreten, der so die entsprechende Auslegung des Angriffsbegriffs des Art. 51 SVN begründet. 989 Dazu bereits oben unter D. II. 1. a) dd) (l ). 990 Vgl. die Ausführungen von Politis zu der Zielrichtung seines Berichts in Ferencz, International Aggression I, S. 239; zu dem Verhältnis von Angriffsdefinitionen und Selbstverteidigungsrecht instruktiv Bowett, Self-defence, S. 249 ff. 99 1 Dies gegen Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 22, der sich in erster Linie auf das Ergebnis der Untersuchung Steinleins (Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs) stützt, dabei aber nicht berücksichtigt, daß diese Untersuchung allein vom Angriffsbegriff in Bündnisklauseln sowie im Locamo-Pakt handelt. 986 987
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Funktion in der auch noch nach lokrafttreten des KP relevanten zwischenstaatlichen Konfliktpraxis durchgängig auf grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater bezogen worden, sondern auch die Selbstverteidigungserklärung zum KP, als das für die Zwischenkriegszeit wichtigste Dokument zum Selbstverteidigungsrecht, nach allgemeinem Völkerrecht992 bezieht derartige Gewaltanwendung nach vorzugswürdigem Verständnis ein. Nach alldem ist als Ergebnis der historischen Überlegungen sub (b) festzuhalten, daß sich gegen die Erstreckung des Begriffs des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN auf grenzübergreifende Angriffe Privater im Hinblick auf die individuelle Komponente dieser Satzungsbestimmung nicht einwenden läßt, hiermit ginge eine nicht intendierte Erweiterung des Anwendungsbereichs des Selbstverteidigungsrechts einher. Bestimmt man das Angriffsmerkmal, soweit es auf das individuelle Selbstverteidigungsrecht bezogen ist, nicht nach dem genetischen 993 , sondern nach dem historischen Gebrauch des Angriffsbegriffs, so läßt sich aus den vorstehenden Erwägungen sogar ein Argumentfür die Einbeziehung grenzübergreifender Gewaltanwendung Privater in den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN gewinnen. ee) Sonstige im Schrifttum diskutierte Gesichtspunkte Zu der Annahme, der Begriff des bewaffneten Angriffs erfasse auch die Gewaltanwendung durch Private, ist gesagt worden, sie sei "too simplistic in a world in which territorial sovereignty of States is a dominant principle"994. Dieser Einwand dokumentiert eine Problemvermischung. Das Prinzip der territorialen Souveränität mag bei der Entscheidung der Streitfrage von Belang sein, ob sich der bewaffnete Angriff des Art. 51 SVN gegen das Territorium995 des nach dieser Bestimmung selbstverteidigungsberechtigten Staates richten muß. Nur wenn diese Frage verneint wird996, 992 Zu der Beschränkung der Selbstverteidigungsvoraussetzung "Angriff' auf staatliches Verhalten im Locarno-Pakt oben unter (cc). 993 Zum genetischen Begriffsgebrauch oben unter D. II. 1. a) dd) ( l), zu dessen Stellenwert im Hinblick auf die individuelle Komponente des Art. 51 SVN oben unter D. II. I. a) dd) (2) (a). 994 Schachter, IYHR 19 (1989), S. 216, der zur Verdeutlichung des Konflikts mit dem Prinzip territorialer Souveränität ausführt, die Verneinung des Staatlichkeitserfordernisses müsse zu dem abzulehnenden Ergebnis führen, daß die USA Terroristen der "Rote Armee Fraktion" auf deutschem Territorium bekämpfen dürften, sofern letztere amerikanische Staatsangehörige oder Einrichtungen in Deutschland angriffen. 995 Bzw. gleichgestellte "Außenposten" wie Schiffe und Flugzeuge. 996 So wie es bezeichnenderweise bei Schachter, IYHR 19 (1989), S. 215, geschieht; auf dieser Prämisse beruht auch Schachtees "RAF-Beispiel" (oben Fn. 994); letztlich richtet sich Schachtees Einwand damit gegen die Prämisse der eigenen Argumentation.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
kann die Einbeziehung privater Gewaltanwendung (ohne daß insoweit ein Unterschied zur staatlichen Gewaltanwendung bestünde997 ) zu einem Konflikt mit dem Prinzip der territorialen Souveränität führen. Da eine solche verneinende Antwort durch die Erstreckung des Angriffsbegriffs auf grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater nicht präjudiziert wird, begründet letztere Auslegung keinen Konflikt mit dem Prinzip der territorialen Souveränität. Deshalb greift der vorgestellte Einwand nicht durch. Einem weiteren Bedenken gegen die Erstreckung des Angriffsbegriffs auf Gewaltanwendung durch Private liegt die Überzeugung zugrunde, daß mit dem Selbstverteidigungsrecht die Vorstellung vom Vorliegen einer kriegerischen (bzw. wenigstens kriegsähnlichen) Situation fest verknüpft sei. Da mit grenzübergreifender Gewaltanwendung durch Private ebensowenig wie mit hierauf bezogenen gewaltsamen staatlichen Abwehrmaßnahmen der Eintritt in den Kriegszustand verbunden sei, müsse die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht in diesem Zusammenhang ausscheiden 998 . Diese Argumentation ist in zweifacher Hinsicht verfehlt. Zum einen ist die These, das Selbstverteidigungsrecht assoziiere man mit wenigstens kriegsähnlichen Konstellationen, historisch anfechtbar, wie die Ausführungen oben999 zeigen. Zum anderen ist die Unterscheidung zwischen kriegerischen (bzw. kriegsähnlichen) und sonstigen bewaffneten Konflikten für die Anwendbarkeit der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN ohne Belang 1000• Ein Einwand gegen die Einbeziehung nicht-staatlicher bewaffneter Angriffe in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN ließe sich höchstens dann formulieren, wenn hiermit die Anerkennung einer Kategorie von Selbstverteidigungsmaßnahmen verbunden wäre, die konfliktsvölkerrechtlichen Beschränkungen nicht unterläge 1001 • Insoweit kommt es darauf an, ob mit grenzübergreifender staatlicher Gewaltanwendung zur Abwehr entsprechender Angriffe Privater der Eintritt in den Zustand eines internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Konfliktsvölkerrechts verbunden ist. Dies ist zu bejahen 1002 , da 997 Wendet Staat A auf dem Territorium des Staates B Gewalt gegen Staatsangehörige des Staates C an, so stellt sich bei Zubilligung eines Selbstverteidigungsrechts an Staat C die Frage nach der Vereinbarkeil dieser Befugnis mit der territorialen Souveränität des Staates B nicht prinzipiell anders als die Frage nach der Vereinbarkeil eines Selbstverteidigungsrechts der USA mit der territorialen Souveränität Deutschlands in Schachters Beispiel (oben Fn. 994). 998 Schachter, IYHR 19 (1989), S. 230. 999 Unter D. II. I. a)dd)(2)(b)(aa). 1000 Dazu bereits oben unter D.I.2. a)dd) bei Fn. 817. 1001 Ob Schachters Argumentation von dieser Befürchtung getragen ist, erscheint angesichts der Befürwortung der Notstandslösung (dazu näher oben unter C.II. 2. f) durch dens. ausgesprochen fraglich. 1002 Beifallswürdig in diesem Punkt deshalb die Entscheidung des Supreme Courts Israels in Al Anwar v. Minister of Defence et al., wiedergegeben in IYHR 16 (1986), S. 321 ff. , insbes. S. 322 f. A. A. offenbar Schachter, IYHR 19 (1989),
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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der Begriff des internationalen bewaffneten Konflikts richtiger Ansicht nach jedwede nicht konsentierte Gewaltanwendung im völkerrechtlich geschützten Bereich eines anderen Völkerrechtssubjekts erfaßt 1003 . Ist danach die Anerkennung nicht konfliktsvölkerrechtlich gebundener Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht zu befürchten, scheidet auch der zuletzt erwogene Einwand gegen die Einbeziehung nicht-staatlicher Gewaltanwendung in den Angriffsbegriff aus. ff) Gewichtung und Folgerungen Scheidet die Einbeziehung innerstaatlicher Gewaltanwendung Privater in den Angriffsbegriff des Art. 51 SVN sicher aus, so stellt sich im Hinblick auf die grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater angesichts der Tatsache, daß die Subsumtion nach dem Wortlaut möglich erscheint und jedenfalls eine hiergegen gerichtete zwingende systematische Argumentation ausgeschlossen werden kann, die Gewichtungsfrage. Im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 SVN ist bei der Gewichtung entscheidend, daß die genetischen und historischen Auslegungsgesichtspunkte eindeutig für die Beschränkung des Angriffs auf staatliches Verhalten sprechen und der gegenläufigen Argumentation aus dem Schutzprinzip nur begrenzte Bedeutung zukommt. Im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 SVN läßt sich danach die Beschränkung des Angriffsbegriffs auf staatliches deutlich besser begründen als die Erstreckung auf privates Verhalten. Anders liegen die Dinge im Hinblick auf die individuelle Komponente des Art. 51 SVN. Insoweit stehen die genetischen und historischen Auslegungsgesichtspunkte einer Einbeziehung nicht-staatlicher Gewaltanwendung S. 224, der lediglich feststellt: "Self-defence actions by armed forces against terrorism are not exempt from basic humanitarian rules applicable to armed conjlict (Hervorh. v. Verf.)". Danach bleibt in bezug auf die nach Schachters Ansicht allein als Notstandsmaßnahmen denkbaren Gewalteinsätze zur Abwehr grenzübergreifender Angriffe Privater sogar die Anwendbarkeit der grundlegenden konfliktsvölkerrechtlichen Regeln offen. 1003 Ipsen, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 1007ff. (Rz. 7ff.); zu dem Begriff des internationalen bewaffneten Konflikts bereits oben unter D. I. 2. a) dd); nicht eindeutig in diesem Punkt die hervorgehobene Kernaussage Nr. 202 bei Greenwood, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 35, wonach ein internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, "sobald eine Konfliktpartei gegen eine andere Konfliktpartei Waffengewalt einsetzt". Bei wörtlicher Anwendung dieser Formel könnte der grenzübergreifende Gegengewalt einsetzende Zielstaat die konfliktsvölkerrechtlichen Bindungen mit dem Hinweis unterlaufen, sein Gewalteinsatz sei nicht gegen den Basenstaat, sondern ausschließlich gegen die von dort operierenden Privaten gerichtet - ein gemessen an der Zielsetzung des Konfliktsvölkerrechts ausgesprochen mißliches Ergebnis.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
in den Angriffsbegriff wenigstens nicht entgegen und das Gewicht der auf das Schutzprinzip gestützten teleologischen Argumentation im Sinne einer solchen Einbeziehung ist hier nicht gering zu veranschlagen. Im Hinblick auf die individuelle Komponente des Art. 51 SVN haben die Gründe für die Subsumtion grenzübergreifender Gewaltanwendung Privater unter den Angriffsbegriff danach mehr als nur sehr geringes Gewicht. Diese Gewichtungsergebnisse begründen nur dann ein Dilemma, wenn versucht wird, den Angriffsbegriff im Hinblick auf die beiden Komponenten des Art. 51 SVN einheitlich zu bestimmen. Denn so richtig es nach dem vorstehenden Befund auch ist, wenn man feststellt, das kollektive Selbstverteidigungsrecht sei schwerlich gegen Angriffe von Privatpersonen gedacht 1004, so problematisch erscheint es, mit dieser Feststellung eine entsprechend enge Auslegung des Angriffsbegriffs auch im Hinblick auf das individuelle Selbstverteidigungsrecht zu begründen 1005 • Dem zusammengetragenen Auslegungsmaterial angemessener erscheint demgegenüber eine Lösung, die trotz des auf eine einheitliche Auslegung hindeutenden Formulierungszusammenhanges zwischen den beiden Komponenten des Art. 51 SVN entsprechend der obigen Gewichtungsergebnisse differenziert 1006 • Methodisch mag dieses Vorgehen als (zugegebenermaßen: zugespitzte) Anwendung des Grundsatzes der Relativität von Rechtsbegriffen bezeichnet werden. Aus alldem folgt in Anwendung der Gewichtungseegel (3) und unter Berücksichtung der Bewertung der späteren Praxis 1007, daß es VN-Mitgliedstaaten jedenfalls dann nicht verwehrt werden kann, im Falle grenzübergreifender Angriffe Privater ein individuelles Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN zu beanspruchen, wenn im Zusammenhang mit dem bewaffneten Angriff der Privaten eine Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates festgestellt werden kann. Die Notwendigkeit letzteren Vorbehalts erklärt sich aus den gelegentlich der grammatikalischen und teleologischen Auslegung angesprochenen denkbaren Folgerungen aus dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsbegriff In Anwendung der Gewichtungseegel (2) käme die Beanspruchung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts im Falle grenzübergreifender Angriffe So Ader, Rettungsaktionen, S. 57. So aber Ader (vorstehende Fn.). 1006 Bei der Auslegung des Art. 51 SVN wird nur ganz vereinzelt zwischen individuellem und kollektivem Selbstverteidigungsrecht differenziert; in bezug auf unsere Problematik geschieht dies - wenngleich in der Begründung nicht deckungsgleich -bei Dinstein, Self-Defence, S. 238 einerseits, S. 269 andererseits; zu weitgehend differenziert Perkins, GaJlnt'lL&CompL 17 (1987), S. 206ff., der die Selbstverteidigungsregelung in Art. 51 SVN allein im Hinblick auf ihre kollektive Komponente für konstitutiv hält. too? Oben sub B. VI. 1., 2., 5., 6. 1004
IOos
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Privater für VN-Mitgliedstaaten nur im Falle einer deutlich überwiegenden späteren Praxis in diesem Sinne in Betracht. Eine solche Praxis ist zur Zeit für Entsendeförderungs-, Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation nicht feststellbar 1008. b) Zur rechtlichen Relevanz der Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen
Nach den vorstehend erzielten Ergebnissen läßt sich die rechtliche Relevanz der Feststellung staatlicher Gewaltanwendung im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand näher bestimmen. Zu nennen sind vier Gesichtspunkte. (1) In Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation setzt die Satzungskonformität individueller wie kollektiver grenzübergreifender staatlicher (Gegen-)Gewaltanwendung (mangels grenzübergreifender Angriffe) die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung voraus.
(2) Die Befugnis zu kollektiver grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung setzt in allen Konstellationen außer der Entsendekonstellation die Feststeilbarkeit staatlicher Gewaltanwendung voraus. (3) Aus der Vemeinung staatlicher Gewaltanwendung folgt hinsichtlich der dann einzig in Betracht kommenden individuellen Befugnis zu staatlicher grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung ohne weiteres das Gebot der Beschränkung des Gewalteinsatzes auf die Positionen der Privaten. (4) Mit der Bejahung staatlicher Gewaltanwendung geht die Subsumtion unter Art. 2 Ziff. 4 SVN mit der Folge einher, daß das in der entsprechenden Form der Verwicklung in Gewaltakte Privater liegende Unrecht nicht unter Berufung auf das Repressalien- bzw. Gegenmaßnahmenrecht ausgeschlossen werden kann. c) Die Bedeutung der Zurechnungsnormen der ILC und ihrer Rezeption durch dieneuere IGH-Rechtsprechung für die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen
aa) Der rechtliche Stellenwert der ILC/IGH-Zurechnungsnormen Zu Beginn dieser Untersuchung 1009 ist bereits von dem Anspruch der ILC die Rede gewesen, in Teil 1 ihres Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit für Völkerrechtsverletzungen die für alle völkerrechtlichen (Verhaltens1008 1009
Vgl. die Ausführungen oben unter B. VI. 1., 2., 5.). Vgl. die entsprechende Passage in der Einleitung.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
bzw. Primär-)Normenbereiche gültigen (Sekundär-) Nonnen über die Voraussetzungen des Eintritts der Staatenverantwortlichkeit für Völkerrechtsverletzungen formuliert zu haben 1010 • Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht erforderlich, sämtlichen, insbesondere von seiten der angloamerikanischen Völkerrechtswissenschaft gegenüber dem Sekundärnormenansatz artikulierten Vorbehalten nachzugehen 101 1. Hier interessieren allein rechtliehe Bedenken dagegen, den in Art. 8 a) und 11 ILC-Entwurf enthaltenen Sekundärnormen zur Zurechnung bei der Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen entsprechend dem Anspruch der ILC entscheidende Bedeutung beizumessen 1012 . Den Ansatzpunkt für entsprechende Bedenken bildet der Befund, daß unsere Verwicklungskonstellationen im Rahmen der von Sonderberichterstatter Ago durchgeführten Analyse der Staatenpraxis zur Zurechnung nahezu keine Berücksichtigung gefunden haben. Das in den einschlägigen Berichten 1013 zusammengetragene Material betrifft ganz überwiegend die (Primärnormen-)Bereiche des Fremden- und Diplomaten- bzw. Konsularrechts 1014 . Demnach bedeutet der Rekurs auf die Zurechnungsnormen des ILC-Entwurfs im Zusammenhang mit unseren Verwicklungskonstellationen, aus dem Studium der Staatenpraxis zu bestimmten Primärnonnenbereichen induktiv gewonnene Normen im Wege der Deduktion auf einen anderen Primärnonnenbereich zu übertragen. Im Hinblick auf letztere deduktive Komponente fragt es sich, ob die Anwendung der ILC-Zurechnungsnonnen im Primärnormenbereich zum staatlichen Gewalteinsatz nicht (als Ausfluß 1010 Der Anspruch wird jedoch bei einzelnen Normen des Entwurfs zurückgenommen: Art. 33 ILC-Entwurf relativiert den Anwendungsbereich der Notstandsnorm durch den Hinweis auf mögliche notstandsfeste Primärnormen (in Abs. 2 b) ausdrücklich (dazu bereits oben unter C. II. f) und D. I. I. e) (Fn. 783)). Eine entsprechende Relativierung bedeutet es, wenn in der Kommentierung zu Art. 30 ILC die Repressalienfestigkeit des Gewaltverbots (dazu bereits oben unter D.I.I. a.A. in Fn. 710) und von Primärnormen des humanitären Völkerrechts (YILC 1979 li 2, S. 116 (par. 5)) festgestellt wird. 1011 Zu der "angloamerikanischen" Kritik am Sekundärnormenansatz ausf. Simma, AVR 24 (1986), S. 363 f. (" ,Liebesentzug' aus dem angloamerikanischen Raum"), und Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 20ff. 1012 Die nachfolgend im Text thematisierten Bedenken entfielen dann, wenn die ILC-Normen einmal in Gestalt eines völkerrechtlichen Vertrages normative Geltung beanspruchen könnten. Ob ein Kodifikationsvertrag zur Staatenverantwortlichkeit (bzw. wenigstens zu den Voraussetzungen letzterer) jemals in Kraft treten wird, ist jedoch ungewiß. Simma etwa vermag nicht daran zu glauben (AVR 24 (1986), s. 407). 1013 YILC 1971 III, S. 262ff. (par. !86ff.) (zu Art. 8); YILC 1972 II, S. 95ff. (par. 61 ff.) (zu Art. II). 1014 Das gilt uneingeschränkt für den ungemein ausführlichen Bericht zu Art. II. Dagegen finden im Bericht zu Art. 8 auch "Entführungsfälle" sowie eine Entsendekonstellation Berücksichtigung.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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spezifisch kontinentalen Völkerechtsdenkens entlarvt 1015 ) kategorisch zmückgewiesen werden muß. Gegen eine kategorische Zurückweisung spricht jedoch die Plausibilität der Vermutung, daß die Zurechnungsfrage in Anbetracht ihres grundsätzlichen Charakters von den Staaten in den von der ILC nicht eigens untersuchten Primärnormenbereichen ebenso beantwortet wird wie in den mit ihrem reichhaltigen Praxismaterial umfassend gewürdigten Sektoren des Fremden- sowie Diplomaten- bzw. Konsularrechts. Läßt sich angesichts dessen die deduktive Komponente des oben skizzierten induktiv-deduktiven Normfeststellungsverfahrens bereits für sich genommen als eigengewichtiger Beitrag der Völkerrechtslehre 1016 zur Feststellung des geltenden Völkergewohnheitsrechts einordnen, so ist im Hinblick auf Art. 38 I d) IGH-Statut zudem der Umstand von Bedeutung, daß der IGH den Sekundärnormenansatz der ILC vor allem in bezug auf die Zurechnungsnormen in seinem Urteil zur Teheraner Geiselnahme vom 24. Mai 1980 1017 (im folgenden kurz: Geiselnahmeurteil) aufgegriffen und im Nicaragua-Urteil nun auch speziell im Hinblick auf das Gewaltverbot bestätigt hat 1018 . 1015 Zu der im Zusammenhang mit dem ILC-Projekt beschworenen grundsätzlichen Konfrontation eines strikt induktiven angloamerikanischen mit einem stärker deduktiven kontinentalen "approach" Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 22. Kritisch gegenüber der Etikettierung des Konzepts einer strikten Trennung von Primärund Sekundärnormen als kontinental Simma, AVR 24 (1986), S. 364 (Fn. 22). Nicht zu übersehen ist, daß die Relevanz der ILC-Zurechnungsnormen in unserem Zusammenhang zuvorderst von italienischen Völkerrechtslehrern betont wird (vgl. die Beiträge Zanardis, Cassese (Hg.), Use of Force, S. 112; ders., FS Ago III, S. 155, und Condorellis, IYHR 19 (1989), S. 244f.), während aus dem umfangreichen neueren amerikanischen Schrifttum allein Rowles, UMiami Inter-AmLRev 17 (1986), S. 448 (Fn. 189), 456 (Fn. 217), in diesem Sinne verfährt. 1016 Zur eigengewichtigen Einwirkung von Rechtsprechung und Lehre auf das Völker- insbesondere das Völkergewohnheitsrecht Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 119 ff., insbes. 121. 1017 ICJ Reports 1980, S. 3 ff., zur Anlehnung an den ILC-Entwurf in der Zurechnungsfrage insbes. S. 29 (par. 58); zum Einfluß des ILC-Entwurfs auf die Zurechnungskonzeption des Geiselnahme-Urteils Wolf, ZaöRV 43 (1983), S. 483ff., insbes. 485. 1018 Zur Anlehnung des Nicaragua-Urteils an die Zurechnungsnormen des ILCEntwurfs oben unter B. V. 1. a); vgl. dazu auch Zanardi, FS Ago III, S. 162 ff. ; ausf. zur Rezeption der ILC-Zurechnungsnormen in Geiselnahme- und Nicaragua-Urteil Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 93 ff. Das angesichts des ansonsten zumeist im Verborgenen bleibenden Einflusses der Völkerrechtslehre auf die Rechtsentwicklung (Fastenrath, Lücken im Recht, S. 123) bemerkenswert enge - und die Bedeutung gemäß Art. 38 I d) IGH-Statut verstärkende - Zusammenwirken eines besonders wichtigen völkerrechtswissenschaftlichen Gremiums mit der wichtigsten Rechtsprechungsinstanz ist ohne jeden Zweifel auch und insbesondere an der Person des Wissenschaftlers und Richters Roberto Ago festzumachen (vgl. dazu bereits die Bemerkung oben unter B. V. I. a.A. in Fn. 542).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Erscheint es hiernach verfehlt, den ILC/IGH-Zurechnungsnormen jede normative Relevanz für die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen zu bestreiten, so gilt es doch, diese normative Relevanz entgegen dem einem rigorosen Sekundärnormenansatz eigenen Anspruch dergestalt zu relativieren, daß der induktive Nachweis abweichender Sonderzurechnungsregime für bestimmte Primärnormenbereiche (darunter der Bereich des satzungsrechtlichen Gewaltverbots) möglich bleibt. Letztere These geht von der auch von Ago in einem seiner Berichte 1019 ausgesprochenen und von der ILC bestätigten 1020 Einschätzung aus, daß ein aprioristischer Ansatz bei der Feststellung der Zurechnungsregeln auszuscheiden hat 1021 . Danach ist eine von den Art. 8 a) und 11 ILCEntwurf abweichende Bestimmung der Zurechnungsschwelle theoretisch ohne weiteres möglich. Im neueren Schrifttum ist zudem zu Recht bemerkt worden, daß (auch) über die Ausgestaltung der Zurechnungsregeln Einfluß auf das Ausmaß der staatlichen Anstrengungen zur Überwachung privater Aktivitäten genommen werden kann 1022. Da das Interesse der Staaten an der Überwachung privater Aktivitäten sektoriell divergieren kann, sind nach Primärnormenbereichen variierende Zurechnungsschwellen durchaus denkbar. Eine besonders eingehende Studie, die der Zurechnungslehre nach der Ausarbeitung der ILC-Zurechnungsnormen gewidmet worden ist 1023 , gelangt dementsprechend für bestimmte Primärnormenbereiche zu der Annahme der Existenz von Sonderzurechnungsregimen 1024 und zur Feststellung einer Tendenz zur Senkung der Zurechnungsschwelle bei besonders YILC 1972 II, S. 95 ff. (par. 62 ff.). YILC 1975 II, S. 71 ff. (par. 6f.). 1021 Derselben Ansicht sind Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 117 ff., und Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 91 ff.; a.A. ist der gegenwärtige ILC-Sonderberichterstatter zum Projekt "Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Verhalten" Arangio-Ruiz, der seinen Standpunkt in seinem zweiten Bericht (A/CN.4/425/Add. l, 22. Juni 1989, S. 4 ff. (par. 165 ff.), insbes. S. 13 ff. (par. 173) und dort vor allem Fn. 405 zu Condorellis Zurechnungskonzeption) und in FS Virally, S. 29, 31 ff., näher erläutert; wie Arangio-Ruiz kann Amerasinghe, REDI 22 (1966), S. 92, verstanden werden ("the imputation is the result of an intellectual Operation .. ."). 1022 Condorelli, Faculte de droit de I'Universite Catholique de Louvain (Hg.), La reparation des dommages catastrophiques, S. 270; a.A. Wolf, ZaöRV 45 (1985), S. 236 (Fn. 8): "Substantielle Ausdehnungen der Staatenverantwortlichkeit bei Handlungen von Privatpersonen, wie sie im heutigen Völkerrecht vielfach feststellbar sind, können nicht von den im wesentlich unverändert gebliebenen Zurechnungsregeln her begründet werden (Hervorh. v. Verf.)"; Wolf nimmt Christenson, Lillich (Hg.), State Responsibility, S. 337, für die eigene Auffassung in Anspruch, was jedoch durchaus zweifelhaft ist, da letzterer die Zurechnungsregeln (ebd.) als "the fictional instrument for identifying and enlarging the substantive responsibility of States to prevent a harmful event" bezeichnet. 1023 Es handelt sich um Condorellis Abhandlung in RdC 189 (1984 VI), S. 19 ff. 101 9
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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gefährlichen Aktivitäten 1025 . Dies alles unterstreicht die Widerleglichkeit der oben aufgestellten Vermutung für die Existenz einer einheitlichen völkergewohnheitsrechtliehen Zurechnungsnorm und erweist damit im Hinblick auf die Zurechnungsproblematik die Verfehltheit einer rigorosen Sekundämormenkonzeption. Der rechtliche Stellenwert der ILC/IGH-Zurechnungsnormen für die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung läßt sich nunmehr dahin präzisieren, daß die Zurechnungsfrage diesen Normen entsprechend zu beantworten ist, sofern nicht die Staatenpraxis zu den (bzw. einzelnen) Verwicklungskonstellationen hinreichend deutlich eine abweichende Bestimmung der Zurechnungsschwelle erkennen läßt 1026. Bei der hiermit formulierten Problemstellung wird nicht übergangen, daß in der Kommentierung zu Art. 11 ILCEntwurf die Frage nach der Existenz eines Sonderzurechnungsregimes für unsere Verwicklungskonstellationen bereits ausdrücklich aufgeworfen und 1024 Gewichtige Gründe für die Annahme eines Sonderzurechnungsregimes führt Condorelli im Hinblick auf den Primärnormenbereich des Weltraumrechts an (RdC 189 (1984 VI), S. 121 ff.; vgl. hierzu auch dens. in Faculte de droit de I'Universite de Louvain (Hg.), La reparation des dommages catastrophiques, S. 268 ff.), während sich Art. 139 der Seerechtskonvention von 1982 vielleicht - entgegen der Einschätzung Condorellis (RdC 189 (1984 VI), S. 138ff.) bzw. Condorellis/Diplas (FS Ago III, S. 84 ff.) - besser mit der Kategorie der Erfolgs-(unrechts)haftung erklären läßt; zu dem (problematischen) Verhältnis von Erfolgs-(unrechts)haftungs- und Zurechnungskonzeption im ILC-Entwurf Wolf, ZaöRV 45 (1985), S. 256ff. 1025 Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 165; es ist betrüblich, daß sich Epiney in ihrer jüngst publizierten Dissertation (Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater), in welcher die Zurechnungsfrage ganz im Vordergrund steht, mit den beiden zuletzt im Text aufgeführten Thesen aus Condorellis Haager Abhandlung (trotz Erwähnung letzterer im Literaturverzeichnis) nicht auseinandersetzt Epiney selbst erkennt zwar die Möglichkeit des Nachweises eines "Sonderzurechnungstatbestandes" ausdrücklich an (zusammenfassend S. 274ff.), vorausgesetzt, dieser "fügt sich in das System des Rechts der Staatenverantwortlichkeit ein und entspricht somit der völkerrechtlichen Wirklichkeit" (S. 183). Dabei wird jedoch an die Möglichkeit sektoraler Sondernormen nicht gedacht und darüber hinaus Art. 8 ILC-Entwurf in bezug auf staatliches Verhalten, daß dem privaten Verhalten vorausgeht oder mit diesem zeitlich einhergeht, für abschließend gehalten (S. 196f.). 1026 Vgl. die in der Sache übereinstimmende Schlußfolgerung Condorellis zur Methode der Zurechnungsnormfeststellung in den von der ILC nicht untersuchten Primämormbereichen: "l'applicabilite des principes ,communs' (die im ILC-Entwurf festgehaltenen Prinzipien, Verf.) doit etre sans autre presumee, tant que l'existence d'un principe derogatoire (conventionnel ou coutumier) a preferer en l'espece n'est pas positiverneut demontree", RdC 189 (1984 VI), S. 166; in bezug auf die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen betont Condorelli in einem anderen Beitrag die Geltung der "principes communs", wobei er sich auf die Anwendung dieser Prinzipien im Nicaragua-Urteil beruft (IYHR 19 (1989), S. 237 ff. und insbes. 244: "This approach was authoritatively stated by the ICJ in its 1986 judgment".
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
negativ beantwortet worden ist 1027 . Doch ist letztere Einschätzung der ILC - wie eingangs dieser Überlegungen bereits bemerkt - nicht durch eine Analyse der einschlägigen Staatenpraxis abgesichert und bleibt damit einer induktiv begründeten Widerlegung zugänglich. Dasselbe gilt für die Rezeption der ILC-Zurechnungsregeln im Nicaragua-Urteil 1028 . bb) Die Formulierung der relevanten Grundsatzzurechnungsnorm auf der Grundlage der Art. 8a) und 11 1LC-Entwuif sowie der neueren ICH-Rechtsprechung
Die Gesamtaussage des ILC-Entwurfs zum hier relevanten Ausschnitt der Zurechnungsproblematik erschließt sich aus dem Zusammenspiel der Art. 8 a) und 11 ILC-Entwurf. Dabei enthält Art. 11 Abs. 1 ILC-Entwurf die im zweiten Absatz desselben Artikels lediglich klarifizierte negative, Art. 8 a) die positive Komponente dieser Gesamtaussage 1029 . (1) Die negative Komponente: Die Entscheidung gegen die Doktrin der "(implied) state complicity" (Art. 11 ILC-Entwurf) 1030 Im Zusammenhang mit dem hier relevanten Ausschnitt der Zurechnungsproblematik darf die Widerlegung der Lehre von der "(implied) state complicity" (im folgenden kurz: Complicity-Doktrin) als das zentrale Anliegen 1027 YILC 1975 II, S. 79 f. (par. 32) = YILC 1972, S. 119 f. (par. 135 f.) (AgaBericht zu Art. 11 ). 1028 Vgl. demgegenüber die Einschätzung Condorellis (oben in Fn. 1026 a.E.) zum Gewicht des Nicaragua-Urteils für die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in den Verwicklungskonstellationen. 1029 Der unmittelbare systematische Zusammenhang zwischen Art. 8 a) und 11 ILC-Entwurf kommt im Entwurf nicht recht zur Geltung. Deshalb hat Riphagen, der Nachfolger Agos in der Funktion des Sonderberichterstatters zum Staatenverantwortlichkeitsprojekt, eine Formulierung vorgeschlagen, die - in der Sache einen Vorschlag Deutschlands (YILC 1986 II 2, S. 12 (par. 1 zu Art. 11) aufgreifend die Gesamtaussage in einer Norm zusammenfaßt Riphagens Entwurf lautet: "The conduct of a person or group of persons not acting as an organ of a State, of a territorial govemmental entity or of an entity empowered to exercise elements of the govemmental authority shall not be considered as an act of the State under international law, except if it is established that such person or group of persons acted in concert with and at the instigation of such organ" (YILC 1986 II 2, S. 11 (par. 9 zu Art. 8). IOJO Art. 11 ILC-Entwurf lautet: " 1. The conduct of a person or a group of persons not acting on behalf of the State shall not be considered as an act of the State under international law. 2. Paragraph I is without prejudice to the attribution to the State of any other conduct which is related to that of the persons or groups referred to in that paragraph and which is to be considered as an act of the State by virtue of articles 5 to 10."
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Agas bezeichnet werden. Dementsprechend widmet sich der Sonderberichterstatter in seinem umfassenden Bericht zu Art. 11 nahezu ausschließlich dem Nachweis der Überwindung der im 19. Jhdt. verbreiteten ComplicityDoktrin in der Völkerrechtsentwicklung dieses Jahrhunderts. Die Quintessenz der Complicity-Doktrin 1031 besteht darin, jede auf das schädigende Verhalten eines Privaten bezogene Völkerrechtsverletzung eines Staates 1032 als Zurechnungsgrundlage zu begreifen. Zur Illustration mag der folgende Extrakt des Schiedsspruchs zum Fall Cotesworth and Powell aus dem Jahre 1875 dienen: "One nation is not responsible to another for the acts of its individual citizens, except when it approves or ratifies them. It then becomes a public concem, and the injured party may consider the nation itself the real author of the injury. And this approval, it is apprehended, need not be in express terms; but may fairly be inferred from a refusal to provide means of reparation when such means are possible; or from its pardon of the offender when such pardon necessarily deprives the injured party of all redress (Hervorh. v. Verf.)" 1033 .
Gemäß Art. 11 ILC-Entwurf ist demgegenüber streng zwischen dem Verhalten des Privaten und dem hiermit im Zusammenhang stehenden Verhalten des Staates zu trennen. Letzteres Verhalten mag für sich genommen Ansatzpunkt für die Feststellung eines Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Verhaltensnorm 1034 sein (was klarzustellen die einzige Funktion von Art. 11 II ILC-Entwurf ist 1035 ), doch begründet dies grundsätzlich (Aus1031 Zu den ideengeschichtlichen Wurzeln der Doktrin Ago, YILC 1972, S. 121 f. (par. 139); gegen die auch bei Ago (ebd.) anzutreffende Inanspruchnahme Grotius' als geistigen Vater der Doktrin Mössner, GYIL 24 (1981), S. 69. 1032 Von der Unterstützung über die Duldung und die (sorgfaltswidrige) Nichtverhinderung des Verhaltens bis hin zur (wenigstens sorgfaltswidrigen) Nichtverhinderung der Verfolgung des Privaten nach der Tat. 1033 Zit. nach Agos Bericht zu Art. 11 in YILC 1972, S. 101 (par. 77); Ago sieht in dem Schiedsspruch (ebd.) "an indication of the influence of concepts that were still widely he1d at the time the award was made" und hat bei besagten "Konzepten" sicher vor allem die Complicity-Doktrin vor Augen; vgl. auch die entsprechende Bewertung des Schiedsspruchs durch Mössner, GYIL 24 (1981), S. 69. 1034 Unterstützungs- und Duldungsverbot sowie Verhinderungs- und Verfolgungsgebot usw. 1035 Art. 11 II ILC-Entwurf beugt so dem (krassen Fehl-)Schluß vor, aus der Unbeachtlichkeit des mit dem privaten Verhalten im Zusammenhang stehenden staatlichen Verhaltens als Zurechnungsgrundlage (im Sinne der Complicity-Lehre) folge die Unbeachtlichkeit desselben staatlichen Verhaltens als Grundlage einer staatlichen Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten; Überlegungen Mössners (GYIL 24 (1981), S. 87ff.) und Wolfs (ZaöRV 45 (1985), S. 252ff.), ob Art. II 11 nicht eine weiterreichende Bedeutung zukomme, mündeten jeweils zu Recht in ein negatives Fazit (Mössner, ebd., S. 90; Wolf, ebd., S. 256); mit diesem Befund übereinstimmend fällt die in Art. II II enthaltene Aussage in Riphagens Formulierungsvorschlag (oben Fn. 1029) weg.
16 Kreß
242
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
nahme: Art. 8 a); dazu sub (b)) keine rechtliche Transformation des Verhaltens des Privaten in ein solches des Staates. So eindeutig die Rezeption der vorstehend skizzierten negativen Komponente der ILC-Gesamtaussage in Geiselnahme- und Nicaragua-Urteil auch ise 036 und so widerspruchslos diese negative Komponente in literarischen Stellungnahmen zum ILC-Entwurf auch aufgenommen worden ist 1037 , so bemerkenswert ist die oben 1038 verzeichnete Tatsache, daß ein gewichtiger Teil des Schrifttums im Bereich von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht an der Complicity-Doktrin festhält Es ist kein Zufall, daß gerade im Hinblick auf unsere Verwicklungskonstellationen über die Geltung der Complicity-Doktrin gestritten wird. Denn auf der Grundlage der h.M., wonach einerseits das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs die conditio sine qua non satzungskonformer grenzübergreifender Gewaltanwendung darstellt 1039, andererseits die Subsumtion nicht-staatlicher Gewaltanwendung unter den Begriff des bewaffneten Angriffs ausscheidet 1040, ist mit der Entscheidung für oder gegen die Complicity-Doktrin in einigen Verwicklungskonstellationen gleichzeitig die Entscheidung über die Satzungskonformität grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates getroffen. Demnach zeugt es von einem verengten Blickwinkel, die Bedeutung der in Art. 11 ILC-Entwurf enthaltenen negativen Komponente der Grundsatzzurechnungsnorm des ILC-Entwurfs auf die Kodifikation einer Selbstverständlichkeit zu reduzieren 1041 . Ob zum Zeitpunkt der Fertigstellung des ILC-Entwurfs in den von Ago untersuchten PrimämormenbereiMinutiös nachgewiesen von Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 94 ff. Christenson, Lillich (Hg.), State Responsibility, S. 326f.; Mössner, GYIL 24 (1981), S. 76f.; Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 115; Wolf, ZaöRV 45 (1985), s. 250. 1038 Unter C.II.2. a)aa), vgl. dort insbes. die Nachw. zum "Verantwortlichkeitsansatz" in Fn. 615. Dabei spielt die weiteste Ausdehnung der Complicity-Doktrin, die Zurechnung wegen pflichtwidriger Nichtverfolgung der Privaten nach der Tat, in der Diskussion um Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht natürlich keine Rolle. Von grundlegender Bedeutung für den Rekurs auf die Complicity-Doktrin im Bereich der Gewaltanwendung erscheint das Bekenntnis Garcia-Moras, Hostile Acts, S. 17 ff., zur Fortgeltung dieser Doktrin, ein Bekenntnis, daß Garcia-Mora an den Anfang seiner speziell unseren Verwicklungskonstellationen gewidmeten Monographie gestellt hat. Garcia-Mora hat seine Konzeption allein in den Dienst der Erweiterung der Haftung des verwickelten Staates gestellt und die sich im Hinblick auf Art. 51 SVN aufdrängenden Schlüsse nicht gezogen (vgl. hierzu die Bemerkung in der Einleitung in Fn. 10). Daß andere Völkerrechtler Garcia-Moras Ansatz in der Folgezeit zu Ende gedacht haben, nimmt nicht Wunder. 1039 Insoweit in weitgehender Übereinstimmung mit dem oben unter D. I. 1. e) erzielten Ergebnis. 1040 Insoweit in Abweichung von dem oben unter D. II. 1. a) ff) erzielten Ergebnis. 1041 Vgl. die in diese Richtung weisende Bewertung Mössners, GYIL 24 (1981), S. 89f. 1036 1037
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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chen bereits allgemein Abschied von der Complicity-Doktrin genommen worden war, mag dahinstehen 1042 ; jedenfalls in Ansehung des Primärnormenbereichs des Gewaltverbots bedeutet die in Art. 11 ILC-Entwurf enthaltene Aussage die Entscheidung einer praktisch bedeutsamen 1043 Streitfrage. Da Art. 11 im Hinblick auf die Feststellung staatlicher Gewaltanwendung in unseren Verwicklungskonstellationen für sich genommen nur Vermutungswirkung zukommt 1044, wird im Fortgang dieser Untersuchung die Frage zu beantworten sein, ob die Staatenpraxis zu einzelnen dieser Konstellationen nicht vielleicht hinreichend deutlich auf die Geltung der Complicity-Doktrin im Bereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN hinweist. Die hiermit angesprochene Möglichkeit der Geltung der alten Complicity-Doktrin bietet neben der oben 1045 erwähnten neueren Tendenz zur Senkung der Zurechnungsschwelle bei besonders gefährlichen Aktivitäten einen zweiten denkbaren Ansatzpunkt für die Begründung eines von der ILC-Grundsatznorm abweichenden Sonderzurechnungsregimes im Primärnormenbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN. (2) Die positive Komponente: Die materielle Zurechnungsvoraussetzung (Art. 8 a ILC-Entwurf) 1046 Während die in Art. 8a) ILC-Entwurf enthaltene Beweislastregel ("if it is established") keine Kommentierung erfordert 1047 , ist die Formulierung der materiellen Zurechnungsvoraussetzung ("acting on behalf of that State") in hohem Maße konkretisierungsbedürftig. Nach dem Schlüsselsatz des Kommentars zu Art. 8 a) ILC-Entwurf ist eine Handlung nur unter der Voraussetzung "on behalf of a State" erfolgt, daß die handelnden Personen "were 1042 Jene Bereiche dürfte Mössner (vorstehende Fn.) bei seiner Einschätzung vor Augen gehabt haben. 1043 Die eminent praktische Bedeutung, die der Zurückweisung der ComplicityDoktrin ausgehend von den im Text genannten herrschenden Rechtsüberzeugungen im Hinblick auf unsere Verwicklungskonstellationen zukommt (eine Bedeutsamkeit, die die Kommentierung zum ILC-Entwurf selbst in der Zusammenschau von YILC 1975 II, S. 80 (par. 32 zu Art. II) mit YILC 1980 II 2, S. 44 (par. 23 zu Art. 33) nur ahnen läßt), faßt Condorelli treffend mit den Worten zusammen : "lt is very important to stress that the answer to the question of imputability has direct and formidable consequences on the selection of the appropriate countermeasures"; IYHR 19 ( 1989), S. 244. 1044 Oben unter D.II.I.c)aa). 1045 Unter D.II.I.c)aa). 1046 Art. 8 a) lautet: "The conduct of a person or group of persons shall also be considered as an act of the State under international Iaw if it is established that such persons or group of persons was in fact acting on behalfofthat State". 1047 Zu ihrer Anwendung im Nicaragua-Urteil Condorelli, IYHR 19 (1989), s. 239. 16*
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
actually appointed by organs of the State to discharge a particular function or to carry out a particular duty" 1048 . Auch dieser Satz deckt sich mit Formulierungen des einschlägigen Ago-Berichts 1049• Im Geiselnahme-Urteil kehrt die Kernaussage des Satzes auf das Verhalten der privaten Botschaftsbesetzer bezogen in den Worten wieder: "Their conduct might be considered as itself imputable to the Iranian State only if it were established that, in fact, on the occasion in question the militants acted on behalf on (richtig: of, Verf.) the State, having been charged by some competent organ of the lranian State to carry out a specific operation (Hervorh. v. Verf.)"loso.
In seiner individuellen Stellungnahme zum Nicaragua-Urteil schließlich bemüht Aga "seine" Formulierung, um die Nichtzurechnung des Verhaltens der Contra-Streitkräfte zu den USA zu erläutern : "lt would indeed be inconsistent with the principles governing the question (der Zurechnung, Verf.) to regard rnembers of the contra forces as persons or groupes acting in the name and on behalf of the United States of America. Only in cases where certain members of those forces happened to have been specifically charged by United States authorities to commit a particular act ... it would be possible so to regard them (erste Hervorh. v. Ago, zweite v. Verf.)" 1051 .
Hiernach erfolgt privates Verhalten "on behalf of the State", wenn es sich als Erfüllung eines nach Adressaten und Gegenstand hinreichend konkreten staatlichen Auftrags 1052 darstellt. Als notwendige und hinreichende Bedingung der Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat erscheint nach diesem ersten Versuch der Konkretisierung der "Behalf-Formel" also das Vorliegen einer im obigen Sinne eng verstandenen staatlichen Anstiftung. Zweifel gegenüber einer dementsprechenden Formulierung der positiven Komponente der Grundsatzzurechnungsnorm ergeben sich jedoch aus dem Nicaragua-Urteil. In einem zentralen Satz der Urteilsgründe zu der Frage der Zurechnung der Contra-Aktivitäten zu den USA heißt es, daß "there is no clear evidence of the United States having actually exercised such a degree of control in all fields as to justify treating the contras as acting on its behalf" 1053 .
Hiernach erhebt sich die Frage, ob die "Behalf-Formel" nicht enger als nach dem ersten Konkretisierungsversuch bestimmt und mit dem Erfor1048 YILC 1974 II I, S. 285 (par. 8). 1049 YILC 1971 II I, S. 263 (par. 190). 1oso ICJ Reports 1980, S. 29 (par. 58). 105l ICJ Reports 1986, S. 188 (par. 16). 1052 Gegen einen anderen Staat gerichtete, allgemein gehaltene Gewaltpropaganda - um ein unserem Primärnormenbereich nahestehendes Beispiel herauszugreifen - wäre demnach nicht geeignet, die Zurechnung privater Gewaltakte gegen den Zielstaat zu begründen. 1053 ICJ Reports 1986, S. 62 (par. 109).
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
245
dernis der staatlichen Kontrolle der Tatausführung ausgefüllt werden mußi054.
Mustert man die Kommentierung zu Art. 8 a) ILC-Entwurf daraufhin genauer durch, so findet sich hierfür allerdings keine hinreichende Stütze. Zwar werden einige Fälle angeführt, in denen eine staatliche Kontrolle der privaten Tatausführung vorlag 1055 , doch bilden diese Fälle keineswegs den Kern des ausgewerteten Praxismaterials. Zu den Entführungsfällen etwa, die einen wesentlichen Teil der relevanten Staatenpraxis ausmachen, wird festgestellt, daß .,if the persons in question could be proved to have acted in concert and at the instigation of the organs of a State, the action of abduction must be regarded as an act ofthat State (Hervorh. v. Verf.)" 1056.
Ebensowenig wie der Kommentar zu Art. 8a) ILC-Entwurf läßt sich das Geiselnahmeurteil für das Kontrollerfordernis in Anspruch nehmen. Soweit in letzterem Urteil die Botschaftsbesetzung dem iranischen Staat zugerechnet wird 1057 , wird dies an keiner Stelle mit der staatlichen Kontrolle der Botschaftsbesetzer begründet 1058 . Vielmehr wird entscheidend auf die offizielle Billigung und Bestärkung 1059 der Privaten seitens diverser staatlicher 1054 So Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 104f.; hierzu neigend Condorelli in RdC 189 (1984 VI), S. 101 f., und noch deutlicher in IYHR 19 (1989), S. 238f.; ebenso Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1987), S. 456f. 1055 So der Zafiro-Fall (YILC 1974 li 1, S. 284 (par. 4), wo die Privaten .,under the command of a United States naval officer" standen, und Fälle im Bereich der Massenmedien (ebd., (par. 6), wo die Zurechnung damit begründet worden sei, die Medien .,were really controlled by the Govemment". 1056 YILC 1974 li I, S. 284 (par. 5); bemerkenswerterweise ist auch nach Auffassung Condorellis (RdC 189 (1984 VI), S. 203f. (Text in Fn. 174 a.E.), in den Entführungsfällen die Zurechnung nicht an die Voraussetzung der Kontrolle der Tatausführung geknüpft; auch die im Ago-Bericht (YILC 1971 II I, S. 264 (par. 192)) angesprochene Entsendekonstellation (im Kommentar zu Art. 8 a) nicht aufgegriffen) ergibt nichts für das Kontrollerfordemis. 1057 Der IGH unterscheidet zwei Phasen der Botschaftsbesetzung. Ansatzpunkt für diese Unterteilung ist die abweichende Beurteilung der Zurechnungsfrage. Während das Gericht die Zurechnung für die erste Phase (dazu ICJ Reports 1980, S. 29 - 33 (par. 57 - 68)) in Übereinstimmung mit der negativen Komponente der ILC-Zurechnungsnorm verneint, zeichnet sich die zweite Phase (dazu ebd., S. 33 37 (par. 69 - 79)) durch die positive Antwort auf die Zurechnungsfrage aus. Um die Ausführungen zu dieser zweiten Phase geht es im folgenden Text. 1058 Der Passus in ICJ Reports 1980, S. 35 (par. 75), ist sogar als die ausdrückliche Feststellung des Gegenteils zu verstehen. 1059 Dies ist mehr als .,Duldung" (ungenau in diesem Punkt Wolf, ZaöRV 43 (1983), S. 489). Daß die staatliche Duldung dem IGH zur Zurechnung nicht ausreicht, zeigt die auf die erste Phase der Botschaftsbesetzung bezogene Feststellung, .,that the failure of the Iranian Government to take such steps (um den Angriff auf die Botschaft zu verhindern, Verf.) was due to more than mere negligence or Lack of appropriate means (Hervorh. v. Verf.)", ICJ Reports 1980, S. 31 (par. 63).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Stellen abgehoben 1060. Die Bestimmung der "Behalf-Formel" im Sinne des Kontrollerfordernisses ist somit weder mit den Feststellungen im ILC-Kommentar noch mit denjenigen im Geiselnahmeurteil in Einklang zu bringeni06J_ Dieser Befund regt zu der Frage an, ob das Nicaragua-Urteil nicht vielleicht trotz der oben zitierten Passage Raum für eine Deutung läßt, bei der die staatliche Kontrolle der Tatausführung nicht die conditio sine qua non der Zurechnung darstellt 1062• Einen Ansatzpunkt für eine entsprechende 1060 Ob dieses Verhalten der staatlichen Stellen des Iran ausreicht, um ft!Ststellen zu können, daß die Privaten "(have) been charged by some competent organ of the Iranian State to carry out a specific operation", so wie es der IGH im Geiselnahmeurteil selbst entsprechend dem Schlüsselsatz des ILC-Kommentars zu Art. 8 a) verlangt (dazu oben das Zitat bei Fn. 1050), ist allerdings zweifelhaft: Sowohl Wolf, ZaöRV 43 (1983), S. 531, als auch Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 182, verneinen die Einschlägigkeil von Art. 8a) im GeiselnahmefalL Während Wolf (ebd.) deshalb die Zurechnung in diesem Fall für ausgeschlossen hält, nimmt Epiney das Geiselnahmeurteil zum Ausgangspunkt der Begründung des Sonderzurechnungstatbestandes "Übernahme des Verhaltens Privater durch den Staat" (ebd., S. 161 ff., insbes. S. 179ff.). Der wesentliche Unterschied zur Zurechnung nach Art. 8 a) soll in der mangelnden Einbindung der Privaten in den Staatsapparat (S. 182f., deshalb keine de facto-Organe), die entscheidende Parallele soll in der staatlichen Kontrolle liegen (S. 185 ff.). Mit den Formulierungen im Urteil läßt sich diese Analyse Epineys kaum in Einklang bringen: Zum einen stellt das Gericht in der Sprache des Art. 8 a) ausdrücklich fest, daß "the militants . . . had now become agents of the Iranian State" (ICJ Reports 1980, S. 35 (par. 74)), zum anderen wird das Kontrollkriterium nirgends klar als entscheidungserheblich herausgestellt. 1061 Vgl. dagegen die Bewertung Condorellis, RdC 189 (1984 VI), S. 101 f. bzw. IYHR 19 ( 1989), S. 238 f., wonach die Einführung des Kontrollerfordernisses eine "Präzisierung" bzw. "Kiarifizierung" gegenüber den Feststellungen von ILC-Kommentar und Geiselnahmeurteil bedeuten soll. 1062 Nur am Rande sei auf eine jedenfalls fehlgehende Lesart der Urteilsgründe zur Zurechnungsproblematik hingewiesen: In seiner Urteilsrezension geht Farer offenbar davon aus, der IGH bezöge "seine" Zurechnungsregeln allein auf die Primärnormenebene des humanitären Völkerrechts, meint Farer doch, der IGH habe einen für die Annahme eines staatlichen bewaffneten Angriffs hinreichenden Grad der Verwicklung der USA in die Gewaltakte der Contras festgestellt (AJIL 81 (1987), S. 113). Diese Fehldeutung dürfte ihren Grund darin haben, daß das Gericht die auf die Ebene des humanitären Völkerrechts bezogenen Konsequenzen seiner Zurechnungskonzeption ganz in den Vordergund stellt (ICJ Reports 1986, S. 63 ff. (par. 113- 115)). Dadurch wird etwas verdeckt, daß der IGH sein Ergebnis zur Zurechnungsfrage, "that the United States is not responsible for the acts of the contras, but for its own conduct vis-a-vis Nicaragua" (ICJ Reports 1986, S. 65 (par. 116)), auch den Feststellungen zum Primärnormenbereich des Gewaltverbots zugrunde legt, indem er allein das Unterstützungsverhalten der USA auf einen Verstoß gegen dieses Verbot hin überprüft. Die (zögerliche) Bejahung eines entsprechenden Verstoßes der USA (dazu oben unter B. V. I. b)) beruht also nicht auf der Anwendung einer abweichenden Zurechnungsregel, sondern auf einer erweiternden Auslegung der Primärnorm des Gewaltverbots.
Il. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Interpretation des Urteils bietet die Formulierung eines Absatzes, der ganz zu Beginn der rechtlichen Feststellungen zur Zurechnungsproblematik steht. Hierin heißt es: "Despite the large quantity of documentary evidence and testimony which it has examined, the Court has not been able to satisfy itself that the respondent State ,created' the contra force in Nicaragua. Nor does the evidence warrant the finding that the United States gave ,direct and critical combat support', at least if that form of words is taken to mean that this support is tantamount to direct intervention by the United States combat forces, or that all contra operations reflected strategy and tactics wholly devised by the United States (Hervorh. mit Ausnahme des Wortes "contra" v. Verf.)" 1063 •
Versteht man diesen Absatz, so wie es die Form der Verknüpfung der angesprochenen Gesichtspunkte ("creation", "critical combat support", "wholly devised strategy and tactics") nahelegt, als die Auflistung dreier alternativer, hinreichender Bedingungen für die Zurechnung, so erscheinen die nachfolgenden Ausführungen zum Kontrollerfordernis (darunter die oben zitierte Passage) in einem anderen Licht. Ihr Aussagegehalt kann dann auf diejenigen Konstellationen beschränkt werden, in denen - wie nach der Überzeugung des Gerichts im Falle der Contra-Streitkräfte - die Initiative zur Gewaltanwendung von den Privaten ausgeht. Demgegenüber bliebe die Zurechnung von Gewaltakten Privater auch ohne staatliche Kontrolle der Tatausführung in denjenigen Konstellationen möglich, wo die Formierung der Gewalt anwendenden Privaten auf staatliche Initiative zurückgeht, d.h. wo der Staat die privaten bewaffneten Kräfte geschaffen ("created") hat. Eher für die hier erwogene Deutung sprechen sogar die Ausführungen des IGH zum Begriff des bewaffneten Angriffs 1064 : Die Einreihung der Entsendung bewaffneter Banden auf das Territorium eines anderen Staates unter Zu Farers (Fehl-)Deutung des Urteils sei noch folgendes bemerkt: Da das Gericht eine Erweiterung des Begriffs des bewaffneten Angriffs entsprechend derjenigen des Begriffs des Gewalteinsatzes ablehnt (zu dieser Inkongruenzlösung oben unter D. I. 2. b)), hätte es die nicht entscheidungserhebliche und dementsprechend im Urteil Uedenfalls) nicht (ausdrücklich) beantwortete Frage, ob die USA durch die Unterstützung der Contras einen bewaffneten Angriff auf Nicaragua begangen haben, verneinen müssen (zutr. in diesem Sinne Zanardi, FS Ago III, S. 164). Man kann sogar so weit gehen, den Urteilsgründen eine inzidente Verneinung letzterer Frage dort zu entnehmen, wo die Rechtfertigung der Contra-Unterstützung über das Institut der Gegenmaßnahme erwogen wird (dazu oben unter B. V. I. c)). Da als Gegenmaßnahme nach der Konzeption des Gerichts höchstens Gewaltanwendung unterhalb der Intensitätsschwelle des bewaffneten Angriffs gerechtfertigt werden kann, hätte der Rekurs auf diesen Unrechtsausschlußgrund bei Annahme eines bewaffneten Angriffs der USA von vornherein ausgeschlossen werden müssen. 1063 ICJ Reports 1986, S. 61 f. (par. 108). 1064 Dazu ausf. oben unter B. V. l. c), dort auch der Hinweis auf das Fehlen einer (ausdrücklichen) Verknüpfung der Urteilsfeststellungen zum Begriff des staatlichen bewaffneten Angriffs mit den Zurechnungsregeln.
248
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
die Kandidaten eines staatlichen bewaffneten Angriffs ist unter der Voraussetzung unproblematisch, daß die staatliche "creation" der bewaffneten Kräfte zur Zurechnung hinreicht. Anders verhält es sich dann, wenn die staatliche Kontrolle der Tatausführung jedenfalls Zurechnungsvoraussetzung ist, impliziert doch die Formel "staatliche Entsendung bewaffneter Kräfte" keineswegs "staatliche Kontrolle der Gewaltanwendung bewaffneter Kräfte". Ob die zuletzt als möglich aufgezeigte und auf der Linie von ILC-Kommentar zu Art. 8 a) und Geiselnahmeurteil liegende Zurechnungskonzeption den Intentionen der Verfasser des Nicaragua-Urteils eher entspricht als die rigorose "Kontrollösung", ist im Wege der Urteilsexegese nicht zu erweisen1065. Ungeachtet dessen läßt sich jedoch folgendes festhalten: Wenn auch die Möglichkeit der Deutung der einschlägigen Ausführungen des Nicaragua-Urteils im Sinne der "Kontrollösung" in Anbetracht der abweichenden Feststellungen in ILC-Kommentar zu Art. 8 a) und Geiselnahmeurteil nicht Grundlage für eine entsprechende Bestimmung der positiven Komponente der Grundsatzzurechnungsnorm sein kann 1066, so ergeben sich doch angesichts der Zurechnungskonzeption des Nicaragua-Urteils Bedenken gegen eine Grundsatzlösung, derzufolge das Vorliegen einer staatlichen Anstiftung zur Zurechnung privaten Verhaltens hinreicht. Dies gilt auch dann, wenn man die Urteilsgründe so deutet, daß die staatliche "creation" bewaffneter Kräfte neben der Kontrolle eine eigenständige Zurechnungsgrundlage bildet, impliziert doch "creation" einen über die - allerdings sehr wesentliche - Anstiftung hinausgehenden Beitrag zur Durchführung der Gewaltakte. Die Bedenken werden durch die Formulierungen im ILC-Kommentar zu Art. 8 a) zwar nicht durchgängig 1067, immerhin jedoch durch die Bewertung der (von der ILC erkennbar als besonders aussagekräftig einge1065 Weiteren Aufschluß über die Zurechnungskonzeption des IGH könnte ein Urteil in der Hauptsache des rechtshängigen Streitfalles zwischen Bosnien-Hercegovina und der Föderativen Republik Jugoslawien (Case conceming application of the convention on the prevention and punishment of the crime of genocide) liefern. In der Anordnung vorsorglicher Maßnahmen vom 08. April 1993 (ICJ Reports 1993, S. 22 (par. 44 f.) enthält sich das Gericht noch ausdrücklich einer Stellungnahme zur Zurechenbarkeit von Akten bewaffneter Irregulärer in Bosnien-Herzegowina zur Föderativen Republik Jugoslawien (hierzu näher Oellers-Frahm, ZaöRV 53 (1993),
s. 649ff.).
1066 Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Nicaragua-Urteils für die Kontrolllösung legt lediglich die Untersuchung der Staatenpraxis zu unseren Verwicklungskonstellationen daraufhin nahe, ob nicht die Zurechnung privaten Verhaltens speziell im Primärnormenbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN die Kontrolle der Tatausführung voraussetzt, so wie man es im Schrifttum teilweise (vgl. im einzelnen die Nachw. oben unter C.l. 2. in den Fn. 604 ff.) annimmt. 1067 Einzelne Formulierungen (YILC 1974 II I, S. 283 (par. I) "when in fact prompted to do so" sowie ebd., S. 285 (par. 8) "that they performed a given task at the instigation of those organs")
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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stuften) Staatenpraxis zu den Entführungsfällen bestätigt, wonach die Anstiftung allein die Zurechnung nicht zu begründen vermag, das private Handeln hierzu vielmehr "in concert with and at the instigation of the organs of a State" 1068 erfolgen muß. Angesichts dessen erscheint es vorzugswürdig, die "Behalf-Formel" in Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Aga-Nachfolgers Riphagen 1069 dahin zu konkretisieren, daß sie die Zurechnung privaten Verhaltens zu einem Staat bei fehlender staatlicher Kontrolle der Tatausführung an die Voraussetzung der staatlichen Anstiftung und Unterstützung des Verhaltens knüpft. Dafür daß die hierbei wesentliche Verknüpfung von Anstiftung und Unterstützung im Sinne kumulativ zu erfüllender Voraussetzungen hinsichtlich des Unterstützungselements nicht durch einen weit verstandenen Kontrollbegriff abgeschwächt werden kann, ist noch einmal das Nicaragua-Urteil zu bemühen. Hierin erkennt das Gericht an, daß dem Unterstützerstaat im Hinblick auf den unterstützten Privaten kraft der Möglichkeit, die Unterstützung einzustellen, eine "Hemmungsmacht" zuwachsen könne. Derartige "Hemmungsmacht" sei jedoch nicht mit zurechnungsbegründender Kontrolle gleichzusetzen, sondern berge nur ein KontrollpotentiaL Nur in dem Maße, in dem der Staat von diesem Potential Gebrauch mache, sei ihm das Verhalten der Privaten zuzurechnen 1070 . Der IGH gebraucht den Begriff der Kontrolle im Nicaragua-Urteil also gleichbedeutend mit demjenigen der Steuerung. Die Grundsatzzurechnungsnorm kann in Zusammenfassung der Überlegungen sub bb) wie folgt formuliert werden: Die Tat einer Privatperson ist dem Staat einmal dann zuzurechnen, wenn dieser die Tatausführung steuert, des weiteren dann, wenn er zu der Tat anstiftet und ihre Ausführung unterstützt. Entsprechend dem sub aa) erzielten Ergebnis ist die Zurechnungsfrage im Rahmen des Art. 2 Ziff. 4 SVN gemäß dieser Grundsatzzurechnungsnorm zu beantworten, sofern nicht die Staatenpraxis zu unseren Verwicklungskonstellationen hinreichend deutlich auf eine abweichende Bestimmung der Zurechnungsschwelle hinweist.
1068 Nachw. oben in Fn. 1056; auch Seaman vermag sich in einer speziell der Entführungsproblematik gewidmeten Studie (Calitwlnt'lLJ 15 (1985), S. 397 ff., insbes. S. 408) nicht zu der These durchzuringen, die staatliche Anstiftung allein begründe die Zurechnung des Entführungsakts; Beachtung verdient auch, daß die Formel "in concert with and at the instigation of' im Kommentar zu Art. II ILCEntwurf an einem Punkt aufgegriffen wird, wo es gerade um die präzise Abgrenzung zwischen Art. 8 a) und 11 ILC-Entwurf geht (YILC 1975 II, S. 80 (par. 32, bei Fn. 158)). 1069 Text des Riphagen-Vorschlags oben in Fn. 1029. 101o ICJ Reports 1986, S. 62 (par. 109 f.).
250
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
d) Zur möglichen Geltung von Sonderregeln für mit Bürgerkriegen bzw. nationalen/humanitären Befreiungskämpfen verknüpfte Verwicklungskonstellationen
Weder bei der Analyse des Problems, ob und inwieweit dem Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN auch nicht-staatliche Gewaltanwendung subsumiert werden kann 1071 , noch bei der näheren Befassung mit den völkergewohnhei tsrechtlichen Zurechnungsregeln 1072 sind Gesichtspunkte zu Tage getreten, die es als begründbar erscheinen ließen, bei der Bewertung des Verhaltens von verwickeltem Staat und Zielstaat unter den Gesichtspunkten von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht gemäß der SVN nach bestimmten Kategorien von Privaten zu differenzieren. Noch offen ist die Frage, ob sich derartige Gesichtspunkte dann ergeben, wenn man die in der Praxis häufige Verknüpfung von Verwicklungskonstellationen mit Bürgerkrieg oder Befreiungskampf in die Überlegungen einbezieht. Damit ist die Frage nach der Geltung von bei der Darstellung der Rechtslage nach Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN zu beachtenden Sonderregeln für Bürgerkrieg und/oder Befreiungskampf gestellt. aa) Zur These von der Erlaubtheil staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater im Bürgerkrieg Im Rahmen der Auseinandersetzung um die völkerrechtliche Bewertung auswärtiger Verwicklung in Bürgerkriege ist in der zweiten Hälfte der 60er Jahre vereinzelt geäußert worden, daß die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Aufständischer in Bürgerkriegssituationen zulässig sein kann 1073 (im folOben unter D.ll. 1. a). Oben unter D.II.l.c). 1073 Als Vertreter dieser These ist zuvorderst Pinto, RdC 114 (1965 I), S. 489f., zu nennen; Farer muß ebenso verstanden werden, wenn er (in Falk (Hg.), Vietnam I, S. 516) feststellt: "The central truth of the matter is that today there are no real norms goveming intervention by third parties in civil wars"; nicht ganz zweifelsfrei möglich ist in diesem Zusammenhang die Einordnung Falks, der von Thierry, Thierry/Sur/Combacau/Vallee, DIP, S. 537, für die Position Pintos in Anspruch genommen wird: Die Aussage Falks (in Falk (Hg.), Vietnam I, S. 376f.), daß "at some stage in civil strife it is permissible for outside states to regard the insurgent elite the equal of the incumbent regime and to render it equivalent assistance (Hervorh. v. Verf.)", deutet auf die Einschränkung hin, daß das Eingreifen auf seiten der Aufständischen nur als Reaktion auf eine entsprechende Beteiligung eines dritten Staates auf seiten der de iure-Regierung in Betracht kommen soll (in letzterem Sinne unmißverständlich Wengler, Gewaltverbot, S. 48); in YaleLJ 76 (1976), S. 1134f., schreibt Falk dagegen: "International law does not prohibit discrimination in favor of an insurgent, especially one that has already enjoyed a degree of support, who is deemed to be ,just" nor does it prohibit counter-interventionary efforts designed to offset intervention on behalf of the incumbent (Hervorh. v. Verf.)"; in letzterem Sinn auch die Ausführungen ebd., S. 1146. 1071
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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genden kurz: Erlaubtheitsthese). Als entscheidendes Kriterium für die Erlaubtheit der Verwicklung wird es dabei mehrheitlich angesehen, daß die Aufständischen einen nennenswerten Teil des Bürgerkriegsterritoriums beherrschen 1074. Eine signifikante Handlungsbeschränkung des verwicklungsgeneigten Staates ist mit dieser Zulässigkeitsvoraussetzung allerdings nicht verbunden. Nicht nur wird der Status der Beherrschung eines Teilgebietes unterhalb der Schwelle des befriedeten de facto-Regimes angesiedelt 1075 , sondern es wird auch der aus der praktischen Schwierigkeit der Feststellung jenes Status resultierende Beurteilungsspielraum der (auswärtigen) Staaten betont 1076. Auf der Grundlage der Erlaubtheitsthese ist demnach die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater der Subsumtion unter das Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen in weitem Umfang von vomherein entzogen. In demselben Umfang scheidet auch auf das Selbstverteidigungsrecht gestützte, auf das Territorium des verwickelten Staates übergreifende Gewaltanwendung des Zielstaates aus. Aufgrund dieser Auswirkung auf die Rechtslage nach Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN erscheint es angezeigt, die Erlaubtheitsthese auf ihre Haltbarkeit hin zu untersuchen. Gestützt wird diese These in erster Linie auf die Staatenpraxis. Lapidar zusammengefaßt lautet der Befund, die Annahme eines Verbots (dritt-) staatlichen Eingreifens auf seiten der Aufständischen sei "wholly out of joint with actual practice" 1077 • Dabei wird als Beleg das Verhalten der USA im Guatemala- und Kuba-Konflikt herausgestellt. Im übrigen, so heißt es, sei die Erlaubtheitsthese rechtspolitisch vorzugswürdig: In einer Bürgerkriegssituation gelte es vor allem, die Externalisierung der Gewaltanwendung zu verhindern. Diesem Ziel diene die Erlaubtheitsthese, da sie einer 1074 Pinto, RdC 114 (1965 1), S. 489; Falk, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 376 f. i. V.m. 367; zu Farers abweichender Sicht unten in Fn. 1076. 1075 Woraus die Relevanz der in Rede stehenden These für die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater (vgl. zu diesem Arbeitsbegriff Fn. 2 in der Einleitung) erhellt. 1076 Bei Pinto, RdC 114 (1965 1), S. 489f. heißt es dazu: "Les Etatsamis (der Aufständischen, Verf.) seront tentes de constater l'existence d'une veritable guerre civile qui leur permet l'assistance avant que toutes les conditions requises soient remplies. Uneperiode incertaine est inevitable"; noch deutlicher läßt sich Falk, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 377, in diesem Sinne ein: "Since no collective procedures are available to deterrnine when an insurgency has proceeded far enough to warrant this status (den zum Hilferuf an auswärtige Staaten ermächtigenden, Verf.), outside states enjoy virtually unlimited discretion to deterrnine the comparative legitimacy of competing elites"; von dieser Einschätzung ist es nur noch ein kurzer Schritt zur Ablehnung des Kriteriums der Gebietsbeherrschung, wie sie bei Farer, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 514 i.V.m. 517f., zum Ausdruck kommt. 1077 Bei Farer, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 514; Pinto, RdC 114 (1965 1), S. 489, resümiert: "La pratique contradictoire des Etats confirrne Ieur liberte dans ce domaine".
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Berufung der de iure-Regierung auf Art. 51 SVN von vornherein die Grundlage entziehe 1078 • Die Erlaubtheitsthese ist jedenfalls zum gegenwärtigen Stand der Völkerrechtsentwicklung nicht mehr vertretbar. Schon die Verwertung von Guatemala- und Kuba-Konflikt im Sinne der Artikulation von auf die Unterstützung Aufständischer im Bürgerkrieg gerichteten Rechtsansprüchen ist verfehlt. Soweit es in diesen Konflikten eine Verwicklung der USA und anderer Staaten in Gewaltakte Aufständischer gegeben hat, ist diese entweder geleugnet oder besonders gerechtfertigt worden 1079 . Angesichts dessen stellt die Inanspruchnahme dieser Konflikte für die Erlaubtheitsthese eine methodisch unzulässige Isolierung des tatsächlichen Staatenverhaltens von der zugrundeliegenden Rechtsüberzeugung dar. Des weiteren steht die Erlaubtheitsthese in diametralem Gegensatz zur Resolutionspraxis der VN. In Resolution 2131 (XX) über die Unzulässigkeit der Intervention vom 21. Dezember 1965 1080 wird in Absatz 2, Satz 2 a.E. erklärt, daß "no State shall ... interfere in civil strife in another State". Dieselbe Formulierung findet sich in Absatz 2, Satz 2 a.E. der Explikation des Interventionsverbots in Resolution 2625 1081 . Daneben steht die Bekräftigung der dem Gewaltverbotsprinzip zugeordneten staatlichen Pflicht, "to refrain from ... assisting or participating in acts of civil strife" 1082 . Vor dem Hintergrund dieses unmißverständlich formulierten und nicht auf die Phase bis zur Erlangung von Teilgebietsbeherrschung beschränkten Verdikts der Völkerrechtswidrigkeit der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater in Bürgerkriegssituationen bedurfte es zur Begründung der Erlaubtheitsthese zumindest einiger - hinreichend deutlicher - gegenläufiger Anhaltspunkte in der den zitierten Resolutionen nachfolgenden Konfliktpraxistos3. 1078 Farer, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 519; Falk, Falk (Hg.), Vietnam I, S. 377. De lege f erenda sollte nach Auffassung Farers (ebd., S. 518ff.; weitgehend zust. Falk, Yale L. J. 76 (1976), S. 1145 (im Text und in Fn. 129)) die erlaubte Verwicklung auf die der Unterstützungskonstellation zuzuordnenden Modalitäten beschränkt werden. 1079 Zum Guatemala-Konflikt oben unter B. II. 7., zum Kuba-Konflikt oben unter 8.11. 12. 1080 Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of Their Independence and Sovereignty, 2131 (XX), GAOR, 20th session, Supplement 14, S. II f. (Angenommen mit 109 Stimmen bei einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen). 108 1 GAOR, 25th session, Supplement 28, S. 123; angesichts der Wiederholung des zitierten Passus der Resolution 2131 (XX) in Resolution 2625 kann auf eine genauere Einordnung des rechtlichen Stellenwerts ersterer Resolution (vgl. hierzu die Bemerkung des IGH in ICJ Reports 1986, S. 107 (par. 203)) verzichtet werden. 1082 Zu diesem Extrakt des Abs. 9 der Gewaltverbotsexplikation der Resolution 2625 näher oben unter B. III. 2. a).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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An derartigen Anhaltspunkten fehlt es: Zwar sind auch in der Konfliktpraxis seit 1970 staatliche Verwicklungen in Gewaltakte Privater in Bürgerkriegssituationen zu verzeichnen, doch ist dabei ein Rechtsanspruch im Sinne der Erlaubtheilsthese nicht erhoben worden. Die typischen Argumentationsmuster (vermeintlich) in Bürgerkriegsakte Privater verwickelter Staaten lassen sich besonders deutlich anband der im Verlauf des NicaraguaKonflikts artikulierten Rechtsüberzeugungen 1084 exemplifizieren. So haben die USA ihre von seiten Nicaraguas als rechtswidrig bezeichnete Verwicklung in die Gewaltakte der Contra-Streitkräfte nicht etwa als erlaubte Unterstützung von Aufständischen im Bürgerkrieg dargestellt, sondern unter Rekurs auf das (kollektive) Selbstverteidigungsrecht zu rechtfertigen versucht. Grundlage dieser Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht ist die Annahme der Verwicklung Nicaraguas in Gewaltakte der bewaffneten Opposition in El Salvador. Nicaragua wiederum hat zu keinem Zeitpunkt des Konflikts die Befugnis beansprucht, in die bewaffneten Auseinandersetzungen in El Salvador unter Hinweis auf eine Bürgerkriegssituation auf seiten der Privaten einzugreifen. Den Verwicklungsvorwurf hat es vielmehr in tatsächlicher Hinsicht bestritten. Ebensowenig wie die Argumentation der Konfliktsbeteiligten liefert die Behandlung des zentralamerikanischen Konflikts durch die Staatengemeinschaft ein Anzeichen für die Existenz einer Rechtsüberzeugung im Sinne der Erlaubtheitsthese. Danach ist es jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt letztere These, von der gesagt werden muß, sie sei "wholly out of joint with actual practice". Der IGH hat sich im Nicaragua-Urteil im Rahmen seiner Ausführungen zum Interventionsverbot inzident mit der Erlaubtheilsthese auseinandergesetzt1085. Dabei wird zunächst anerkannt, daß es in der jüngeren Vergangenheit mehrfach zu auswärtiger Verwicklung in Gewaltakte bewaffneter Oppositionen gekommen sei. Angesichts dessen müsse der Frage nachgegangen werden, "whether there might be indications of a practice illustrative of believe in a kind of general right of States to intervene . .. with ... armed force, in support of an intemal opposition in another State ... " 1086 . Insofern hält es das Gericht in Übereinstimmung mit der soeben vorgenom1083 Farer erkennt in einem späteren Beitrag zur "Intervention im Bürgerkrieg" (RdC 142 (1974 II) S. 297ff.), in dem er den rechtspolitischen Vorzug der "Erlaubtheitsthese" nocheinmal herausstellt (ebd., S. 362), immerhin an, daß "if one equates near unanimous normdeclaring resolutions of the Generaly Assembly with international law, then there appears to be a rebuttable presumption against the permissibility of assistance to insurgents" (ebd., S. 365). 1084 Zum Nicaragua-Konflikt bereits oben unter B. II. 23. (dort insbesondere sub a). 1085 Vgl. die Passagen in ICJ Reports 1986, S. 108 - 110 (par. 205 - 209), S. 126 (par. 246). 1086 ICJ Reports 1986, S. 108 (par. 206).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
menen Analyse der Staatenpraxis für entscheidend, daß die verwickelten Staaten "have not justified their conduct by reference to a new right of intervention or a new exception to the principle of its prohibition" 1087 und gelangt infolgedessen zu dem Ergebnis, daß "no such right of intervention, in support of an opposition within another State, exists in contemporary international law" 1088 . Kein durchgreifender Einwand gegen eine Interpretation dieser Schlußfolgerung im Sinne einer Ablehnung auch der Mehrheitsvariante der Erlaubtheitsthese läßt sich daraus ableiten, daß der IGH die Konstellation einer Teilgebietskontrolle ausübenden bewaffneten Opposition nicht ausdrücklich in sein Ergebnis einbezogen hat 1089. Vielmehr hätte es bei einer Befürwortung der Mehrheitsvariante der Erlaubtheitsthese nahegelegen, das kategorisch formulierte Verbot der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte einer bewaffneten Opposition mit einem Vorbehalt für den Fall der Teilgebietsbeherrschung letzterer zu versehen und den Status der Contras auf diesen Vorbehalt hin genauer zu überprüfen. In Ermangelung von in diese Richtung weisenden Überlegungen kann dem Nicaragua-Urteil nur die Zurückweisung der Erlaubtheilsthese (auch in ihrer Mehrheitsvariante) entnommen werden 1090. Damit dürfte dem IGH im Ergebnis die abschließende Klärung des hier interessierenden Teilaspekts der Bürgerkriegsproblematik gelungen sein, mögen auch einzelne im Rahmen der Begründung offenbarte Überzeugungen anfechtbar bleiben 1091 . ICJ Reports 1986, S. 109 (par. 207). ICJ Reports 1986, S. 109 (par. 209). 1089 Auch die Anwendung der in Rede stehenden Schlußfolgerung auf den Streitfall (in ICJ Reports 1986, S. 126 (par. 246)) muß nicht als ausdrückliche Zurückweisung auch der Mehrheitsvariante der Erlaubtheilsthese verstanden werden: An einer Stelle der Urteilsgründe klassifiziert das Gericht den Konflikt zwischen den Contras und der nicaraguanischen de iure-Regierung zwar als bewaffneten Konflikt im Sinne des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konvention vom I 2. August I 949 (ICJ Reports 1986, S. 114 (par. 219), doch impliziert dies nicht notwendig, daß das Gericht von einer Teilgebietsbeherrschung der Contras ausgeht. 1090 Ebenso wohl Thierry, Thierry/Sur/Combacaou/Vallt!e, DIP, S. 538. 1091 Nurmehr von rechtshistorischer Bedeutung ist die Frage, ob eine auf die jüngere Staatenpraxis gestützte Anerkennung eines Rechts zur Unterstützung einer bewaffneten Opposition die Feststellung einer "fundamental modification of the customary Iaw principle of non-intervention" bedeutet hätte, wie es der IGH in ICJ Reports 1986, S. 108 (par. 206) in Übereinstimmung mit der h.M. annimmt. Vgl. zur Gegenauffassung Pinto, RdC 114 (1965 1), S. 490, wonach sich im Zeitalter des klassischen Völkerrechts ein Verbot der Unterstützung Aufständischer im Bürgerkrieg niemals herausgebildet haben soll; skeptisch bezüglich der Geltung eines derartigen Verbots jedenfalls für die Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg Farer, RdC 142 (1974 II), S. 324f. Von eminent praktischer Bedeutung ist demgegenüber die in einem Nebensatz geäußerte Rechtsüberzeugung von der (uneingeschränkten) Zulässigkeil der Unterstützung der de iure-Regierung: "Indeed, it is difficult to see what would remain of the principle of non-intervention in international law if intervention, which is 1087
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Die Geltung von Sonderregeln, die bei der an den Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN ausgerichteten Bewertung staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater in Bürgerkriegssituationen beachtet werden müßten, kann nach alldem ausgeschlossen werden. bb) Zur Diskussion über die Geltung von Sonderregeln für nationale Befreiungskämpfe Der nationale Befreiungskampf interessiert hier ebenso wie der Bürgerkrieg nur unter dem Gesichtspunkt der möglichen Geltung von die Rechtslage nach Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN beeinflussenden Sonderregeln. Zu entscheiden ist, ob der Gewalteinsatz durch Private im nationalen Befreiungskampf als völkerrechtlich erlaubt qualifiziert und damit auch grenzübergreifende bewaffnete Aktionen mangels Rechtswidrigkeit 1092 der Subsumtion unter den Begriff des (nicht-staatlichen) bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN entzogen sind. Mit dieser Entscheidung ist die Beantwortung der weiteren Frage auf das Engste verknüpft, ob es geboten ist, die staatliche Verwicklung in nationale Befreiungskampfakte Privater von vomherein aus dem Verbotstatbestand des Art. 2 Ziff. 4 SVN sowie aus dem Anwendungsbereich des Begriffs des (staatlichen) bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN auszuklammern. In Art. 7 der Aggressionsdefinition der VN-Generalversammlung umfaßt der Begriff des nationalen Befreiungskampfes die Erhebung gegen Kolonialismus, Rassismus und andere Formen der Fremdbeherrschung 1093 . Im Rahmen der folgenden Überlegungen wird der Begriff des nationalen already allowable at the request of the government of a State, were also to be allowed at the request of the Opposition (Hervorh. v. Verf.)" (ICJ Reports 1986, S. 126 (par. 246)). Mit dieser beiläufigen Bemerkung hat das Gericht in erstaunlich apodiktischer Form zu einer kontrovers diskutierten Rechtsfrage Stellung genommen, ohne daß der Streitfall hierzu Anlaß gegeben hätte. Es darf bezweifelt werden, daß mit diesem obiter dieturn das letzte Wort in der Debatte um die Zulässigkeil des (bewaffneten) Eingreifens auswärtiger Staaten auf seiten der de iure-Regierung gesprochen worden ist (für eine eingehende Spezialstudie mit der IGH-These entgegengesetzter Tendenz aus neuerer Zeit s. Doswald-Beck, BYIL 56 (1985), S. 189 ff.). 1092 Zu dem aus rechtslogischen Gründen implizierten Rechtswidrigkeilserfordernis vgl. die Ausführungen oben unter D. II. 1. a) aa) in Fn. 885. 1093 In Art. I IV des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte wird dem Begriff des Befreiungskampfes der gegen Kolonialismus, Rassismus und fremde Besetzung gerichtete Gewalteinsatz zugeordnet. Mit "fremder Besetzung" dürfte nicht die militärische Besetzung von Staatsgebiet durch den Gegnerstaat gemeint sein, "denn diese erfolgt ohnehin im Rahmen eines internationalen Konflikts" (Ipsen, FS Menzel, S. 416). Gedacht ist also wohl ebenso wie in Art. 7 der Aggressionsdefinition an die "Fremdbeherrschung" des Lebensgebiets einer von der übrigen Bevölkerung abgrenzbaren Menschengruppe durch den staatlichen Territorialherrn.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Befreiungskampfes in diesem weiten, über den Fall der bewaffneten Erhebung gegen ein Regime des "salt-water colonialism" hinausgehenden Sinne gebraucht 1094• Dies nicht nur aus dem Grund, weil auf diese Weise alle Phänomene erfaßt werden, die im Rahmen der späteren Praxis zu den Verwicklungskonstellationen Anlaß zur Behauptung von Sonderregeln gegeben haben 1095 , sondern vor allem auch deshalb, weil mit der "sonstigen Fremdbeherrschung" der Gesichtspunkt angesprochen wird, dem allein auch zukünftig noch eine größere Bedeutung bei dem Versuch der völkerrechtlichen Rechtfertigung von Gewaltakten Privater bzw. der staatlichen Verwicklung in derartige Gewaltakte zukommen kann. Eine Befugnis Privater zur Vomahme von nationalen Befreiungskampfakten läßt sich sicher nicht aus Art. 51 SVN ableiten, da weder Kolonialherrschaft noch Rassismus noch sonstige Fremdbeherrschung einen bewaffneten Angriff gegen einen anderen Staat darstellen 1096. Da nach klassischem Völkerrecht die Annahme einer entsprechenden Befugnis ebenfalls sicher ausscheidet, hängt die Entscheidung in der ersten der eingangs formulierten Fragen davon ab, ob sich nach 1945 eine einheitliche Praxis im Sinne der völkerrechtlichen Verankerung eines Erlaubnistatbestandes speziell für Gewaltakte Privater im nationalen Befreiungskampf nachweisen läßt. Die diesbezügliche Resolutionspraxis der VN zeugt nicht von der Existenz einer allgemeinen Rechtsüberzeugung im Sinne der Geltung des erwogenen Erlaubnistatbestandes: Die Resolutionen 2625 und 3314, als die beiden wichtigsten der relevanten Konsensusresolutionen 1097 , verkörpern den Dissens im Hinblick auf den erwogenen Erlaubnistatbestand in Gestalt von Formelkompromissen 1098 . Diejenigen Generalversammlungsresolutio1094 Dagegen erübrigt es sich angesichts des jüngsten weltpolitischen Umbruchs, auch noch die exzessivste Ausdehnung, die der Befreiun~skamptbegriff durch die kommunistische Völkerrechtsdoktrin erfahren hat, in die Uberlegungen einzubeziehen (vgl. dazu nur Uibopuu, EPIL 4, S. 345). 1095 Zur Bedeutung des Kolonialismusgesichtspunkts im Algerien-Konflikt oben unter B. II. 10., im Malaysia-Konflikt oben unter B.II. 13. sowie in den Konflikten um Angola und Guinea-Bissau oben unter B. II. 16.; zur Bedeutung des Fremdbeherrschungsgesichtspunkts in Konfikten mit Beteiligung Israels oben unter B. II. 25.; zur Bedeutung des rassistischen Charakters Südafrikas in den Konflikten mit Beteiligung dieses Staates oben unter B. II. 22. 1096 Insoweit sei auf die überzeugenden Ausführungen Schindlers, BDGV 26 (1985), S. 27, und Uibopuus, EPIL 4, S. 344, (jeweils m.w.Nachw.) verwiesen, die ausdrücklich zwar nur den Kolonialismus in Bezug nehmen, jedoch auf Rassismus und Fremdbeherrschung zu übertragen sind. 1097 Zu der Unergiebigkeit der Entkolonisierungserklärung vom 14. Dezember 1960 (Resolution 1514 (XV)) für die Herleitung des fraglichen Erlaubnistatbestandes Schindler, BDGV 26 (1985), S. 25. 1098 Zur Resolution 2625 (insbesondere deren Abs. 13 zum Gewaltverbotsprinzip) überzeugend in diesem Sinne Graf Dohna, Grundprinzipien, S. 90ff., insbes. 92
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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neo, die unzweideutig eine Befugnis zur Gewaltanwendung im nationalen Befreiungskampf postulieren, sind ausnahmslos auf die Ablehnung eines Teils der Staatengemeinschaft gestoßen 1099 und bringen den Dissens damit offen zum Ausdruck. Auch die Konfliktpraxis weist nicht einheitlich in die Richtung der Verankerung des fraglichen Erlaubnistatbestandes im Völkerrecht. In bezug auf die Entwicklungstendenz kann hier zwischen den drei angesprochenen Formen des Befreiungskampfes weiter differenziert werden 1100. Während etwa die antikolonialen Befreiungskämpfe um Angola und Guinea-Bissau eine Mehrheitsauffassung im Sinne einer Befugnis zum Gewalteinsatz deutlich zu Tage treten lassen, erscheint ein entsprechender Befund im Falle des gegen die Rassenherrschaft in Südafrika gerichteten Kampfes bereits weniger sicher. Was den Befreiungskampf gegen sonstige Fremdbeherrschung anbetrifft, so ist neben dem Kampf der PLO gegen Israel 1101 kein Konflikt zu verzeichnen, bei dem die Annahme einer Mehrheitsauffassung im Sinne unseres Erlaubnistatbestandes auch nur ernsthaft in Betracht gezogen werden kann. Insoweit verdient einmal die Praxis im Rahmen der OAU besondere Beachtung, weil sie zeigt, daß selbst im Lager der Hauptbefürworter einer Befugnis zum Gewalteinsatz im antikolonialen Befreiungskampf nur eine Minderheit bereit ist, eine entsprechende Befugnis unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen sonstige Fremdbeherrschung anzuerkennen 1102. Aufschlußreich ist daneben die Behandlung des Ostpakistan-Konflikts durch die VN 1103 • Wenn der Begriff der Fremdbeherrschung neben Kolonialismus und Rassismus überhaupt einen selbständigen Anwendungsbereich haben soll, dann müßte sich dieser auf die Situation in Ostpakistan erstrecken, da hier die kraß diskriminierende Behandlung einer räumlich wie kulturell abgrenzbaren Menschengruppe durch den staatlichen Territorialherrn außer Frage stand. Davon daß die Geltung unseres Erlaubnistatbestandes im Kontext des a. E.; zur Resolution 3314 (insbesondere deren Art. 7) überzeugend in diesem Sinne Bruha, Aggressionsdefinition, S. 125f., 134. 1099 Nachw. zu den einzelnen Resolutionen bei Schindler, BDGV 26 (1985), S. 25 sowie bei Uibopuu, EPIL 4, S. 345. 1100 Im wesentlichen wie im folgenden Text die differenzierende Bewertung der Praxis durch Uibopuu, EPIL 4, S. 343. 1 101 Bei dem häufig schwer auszumachen ist, ob sich der auf die Befugnis zum Gewalteinsatz gerichtete Rechtsanspruch auf eine Fremdbeherrschung der Palästinenser schlechthin oder lediglich auf die Beherrschung der Palästinenser in den militärisch besetzten Gebieten bezieht; zu dieser Differenzierung vgl. etwa oben unter B.II.25.b) a.E. 1102 Eine gute Zusammenfassung der OAU-Praxis zu den unter dem Gesichtspunkt der Fremdbeherrschung geführten Befreiungskämpfen etwa in Nigeria (Biafra), Äthiopien (Eritrea) und im Sudan (Südsudan) bietet Farer in RdC 142 (1974 II), S. 349 ff. 1103 Hierzu Farer in RdC 142 (1974 II), S. 344ff. 17 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Ostpakistan-Konflikts in nennenswertem Umfang behauptet worden wäre, kann keine Rede sein. In jüngster Zeit hätten die Konflikte im Zusammenhang mit der Kurdenfrage 1104 sowie der Abchasien-Konflikt 1105 hierzu etwa geneigten Staaten eine Möglichkeit geboten, unseren Erlaubnistatbestand ins Feld zu führen. Daß tatsächlich derartige Stimmen laut geworden wären, ist jedoch nicht ersichtlich 1106 . Kein anderes Bild ergibt schließlich die Analyse der Konflikte während und nach Abschluß des Zerfallprozesses der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens. Insoweit stand die Frage nach einer völkerrechtlichen Befugnis zum nationalen Befreiungskampf außerhalb des kolonialen Kontextes in zweierlei Hinsicht zur Debatte. Einmal (der Chronologie der Ereignisse zuwider) ging es um die Rechtsstellung der serbischen Bevölkerungsgruppen in den neuentstandenen Staaten Kroatien und Bosnien-Hercegovina, in denen sich jeweils Teile für unabhängig erklärten 1107 . Hier ließ die Staatengemeinschaft keine andere Position erkennen als die Badinter-Schiedskommission, die in ihrem zweiten Gutachten jeden Gedanken an eine Befugnis zur bewaffneten Sezession mit den folgenden Worten ausschließt: " ... whatever the circumstances, the right to self-determination must not involve changes to existing frontiers at the time of independence (uti possidetis juris) except where the states concemed agree otherwise .. .'d 108 .
Zeitlich vorrangig stellte sich die Frage nach einer Befugnis zum nationalen Befreiungskampf im Hinblick auf die Loslösung Sloveniens und insbesondere Kroatiens. Es soll dahingestellt bleiben, ob die Staatengemeinschaft insoweit auf universeller oder wenigstens europäisch-regionaler Ebene die Überzeugung von der Existenz einer völkerrechtlichen Sezessionsbefugnis von Gliedstaaten eines Bundesstaates zum Ausdruck gebracht hat 1109 . Nicht Hierzu näher oben unter B. II. 26. Hierzu näher oben unter B. II. 29. 1106 Zu einer entsprechenden Bewertung der Haltung der Staatengemeinschaft zum Kurden-Konflikt s. McCorquodale, RADIC 4 (1992), S. 600f.; bezüglich des Abchasien-Konfliktes heißt es etwa in einer Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 10. September 1992 (S/24542; VN 1992, S. 172): "Die Ratsmitglieder unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer auf dem Verhandlungsweg herbeigeführten politischen Beilegung des Konflikts mit friedlichen Mitteln und bekräftigen die Unzulässigkeif jeglicher Verletzung des Prinzips der territorialen Unversehrtheil und der international anerkannten Grenzen Georgiens sowie die Notwendigkeit, die Rechte aller Menschen sämtlicher ethnischer Gruppen in der Region anzuerkennen (Hervorh. v. Verf.)". 1107 Dazu Weller, AJIL 86 (1992), S. 585 bzw. 591. 1108 Textabdruck in EJIL 3 (1992), S. 184; dazu ausführlicher Weller, AJIL 86 ( 1992), s. 592. 1109 Bejahend wohl Weller, AJIL 86 (1992), S. 606 (allerdings in ein und demselben Absatz zwischen (der unproblematischen Formulierung) "not legally precluded from secession" und (der kritischen Formulierung) "right to secession" schwan1104
110s
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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mit hinreichender Deutlichkeit 1110 läßt sich jedenfalls aus dem verfügbaren Material die Befürwortung einer Befugnis zum Gewalteinsatz (bis hin zu einem solchen grenzübergreifender Natur) zur Durchsetzung der Loslösung in einer derartigen Konstellation herauslesen 1111 • Als Ergebnis dieses Überblicks über die relevante jüngere Praxis kann festgehalten werden, daß sich die zur Herausbildung einer völkerrechtlichen Befugnis Privater zum Gewalteinsatz erforderliche Praxis für keine der drei nationalen Befreiungskampfkonstellationen nachweisen läßt 1112 • Im Hinblick auf den aufgrund seiner notorischen Unbestimmtheit 1113 besonders "zukunftsträchtigen" Gesichtspunkt "sonstige Fremdbeherrschung" ist zu unterstreichen, daß insoweit eine in die Richtung der Verankerung eines Erlaubnistatbestandes für den Gewalteinsatz durch Private weisende Entwicklung der Praxis nicht einmal im Ansatz auszumachen ist 1114• Im Ergebnis steht damit fest, daß der grenzübergreifende Gewalteinsatz durch Private der Subsumtion unter den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN auch dann nicht mangels Rechtswidrigkeit entzogen ist, wenn er im Rahmen eines nationalen Befreiungskampfes erfolgt. Hiermit ist die Antwort auf die Frage nach der (Sonder-)Behandlung der staatlichen Verwicklung in Befreiungskampfakte Privater im Rahmen der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN bereits vorgezeichnet. Da es ausgeschlossen ist, kend), der meint, auch die Badinter-Schiedskommission nehme die Existenz eines solchen Rechts an (ebd., S. 591), und McCorqodale, RADIC 4 (1992), S. 600; a.A. Partsch, EuGRZ 1991, S. 473. 1110 Zu der generellen Schwierigkeit der Feststellung der im Hinblick auf die Loslösung Sloveniens und Kroatiens manifestierten Rechtsüberzeugung(en) treffend Weller, AJIL 86 (1992), S. 606: "Overall, therefore, when the organs of the international community confronted, almost for the first time since the founding of the United Nations, a case of opposed, but effective, secession outside the colonial context, they acted in a confused and inconsistent manner". 1111 A.A. möglicherweise Weller, AJIL 86 (1992), S. 606f. 1112 Wilson ist 1988 in einer eingehenden Studie zum nationalen Befreiungskampf (National Liberation Movements, S. 135f.) zu demselben Befund gelangt; speziell im Hinblick auf den antirassistischen Befreiungskampf ebenso Higginbotham, ColumJTransnat'lL. 25 (1987), S. 585, der freilich gleich im Anschluß an diese Feststellung an den Sicherheitsrat appelliert, gemäß der Art. 39 ff. SVN zu bewaffneten Maßnahmen gegen das Apartheidsregime zu autorisieren; für die Gegenauffassung Uedenfalls bezüglich der ersten beiden Befreiungskampfkonstellationen) s. nur Reisman, HJIL II (1989), S. 324 ff. 1113 Hierzu näher lpsen, FS Menzel, S. 416f. 1114 Mit dieser restriktiven Sicht zur erlaubten Gewaltanwendung ist eine entsprechend reservierte Aussage über Existenz bzw. Inhalt des Selbstbestimmungsrechts als solchem nicht notwendig verbunden. Vgl. für eine recht weitreichende Bestimmung des Selbstbestimmungsrechts außerhalb des kolonialen Kontexts den Beitrag McCorquodales, RADIC 4 (1992), S. 601 ff., für eine reserviertere Sicht die Ausführungen Partschs, EuGRZ 1991, S. 473f. 17*
260
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
staatliche Gewaltanwendung zur Unterstützung von nationalen Befreiungskämpfern im Wege textorientierter Auslegung als kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 SVN einzuordnen, bedarf es zur Annahme der Satzungskonformität eines derartigen Gewalteinsatzes gemäß der Bewertungsregel (1) i. V. m. dem oben 1115 erzielten Auslegungsergebnis des Nachweises einer einheitlichen Praxis in diesem Sinne. Ein solcher Nachweis ist nicht zu führen, da der soeben festgestellten Uneinheitlichkeit in der völkerrechtlichen Bewertung der Gewaltakte Privater im Befreiungskampf ein Dissens bezüglich des erwogenen (Ausnahme-)Tatbestandes satzungskonformer staatlicher Gewaltanwendung korrespondiert 1116• Danach kann die vom IGH im NicaraguaUrteil ausdrücklich offen gelassene Frage, ob für den antikolonialen Befreiungskampf ein Recht dritter Staaten zur gewaltsamen 1117 Intervention anzunehmen sei 1118, in Übereinstimmung mit dem abweichenden Votum Schwebeis 1119 verneint und generell festgehalten werden, daß die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater von der Subsumtion unter den Verhotstatbestand des Art. 2 Ziff. 4 SVN sowie unter den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Gewaltakte im Rahmen eines nationalen Befreiungskampfes erfolgen. Unter D. l.l.e). In den beiden zentralen Konsensusresolutionen ist insoweit der Fonnelkompromiß erzielt worden, daß gegen Kolonialismus, Rassismus und fremde Beherrschung gerichtete Befreiungsbewegungen berechtigt sind, "to seek and to receive support in accordance with the purposes and principles of the Charter" (Absatz 5, Satz 2 zum Selbsbestimmungsprinzip der Resolution 2625), bzw. "to seek and to receive support, in accordance with the principles of the Charter and in confonnity with the abovementioned Declaration (Resolution 2625, Verf.)" (Art. 7 der Resolution 3314). Im Hinblick auf den nationalen Befreiungskampf außerhalb des kolonialen Kontexts haben die während der Auflösung Jugoslawiens von EG, KSZE und VN wiederholt an die Nachbarstaaten gerichteten Aufforderungen, sich Handlungen zu enthalten, die die Situation verschlimmem könnten, und das vom Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo (Resolution 713 vom 25. September 1991; VN 1991, S. 175) noch einmal gezeigt, daß (selbst für den Sonderfall der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Glied- und Bundesstaat) in der Staatengemeinschaft wenig Neigung besteht, der Entstehung einer Befugnis zur Gewaltanwendung durch Drittstaaten zugunsten nationaler Befreiungskämpfer den Weg zu bahnen (in diesem Sinne auch Weller, AJIL 86 (1992), S. 607). 1117 Zu der Frage einer Befugnis auswärtiger Staaten zur Vomahme einer Intervention, die nicht gleichzeitig dem Gewaltverbot unterfällt näher unten unter D. II. 2. c) bb)(2). 1118 ICJ Reports 1986, S. 108 (par. 206); die Beschränkung des obiter dictums auf den antikolonialen Befreiungskampf kann dahin verstanden werden, daß das Gericht eine Befugnis zur gewaltsamen Intervention in den anderen beiden Befreiungskampfkonstellationen nicht einmal für erwägenswert erachtet, eine Differenzierung, die der im Text angenommenen Differenzierung hinsichtlich der Entwicklungstendenz entspräche. 1119 ICJ Reports 1986, S. 351 f. (par. 179 - 181 ). 1115
1116
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
261
Zum Abschluß sei noch bemerkt, daß sich im Hinblick auf den antikolonialen Befreiungskampf auch nach letzterer Feststellung noch eine Möglichkeit der Begründung einer rechtlichen Besonderheit bietet, welche die Anwendbarkeit des Art. 51 SVN zugunsten des Kolonialstaates betrifft. Es konnte gezeigt werden, daß spätestens im Zusammenhang mit den antikolonialen Befreiungskämpfen um Angola und Guinea-Bissau eine Rechtsauffassung in den Vordergrund der Debatte gerückt ist, derzufolge dem Kolonialstaat im nationalen Befreiungskampf in Ansehung seiner Kolonie die Berufung auf Art. 51 SVN verwehrt sei 1120• Es erscheint nicht unvertretbar anzunehmen, daß sich bezüglich dieser Position mit Abs. 8 der Explikation des Selbstbestimmungsprinzips in Resolution 2625, wonach "the territory of a colony or other Non-Self-Goveming Territory has, under the Charter, a status separate and distinct from the territory of the State administering it ... " ein Konsens mit der Folge herauskristallisiert hat, daß dem Kolonialstaat die Möglichkeit genommen ist, mittels grenzübergreifender Gewaltanwendung auf grenzübergreifende Befreiungskampfakte zu reagieren 1121 • Die hier aufgezeigte Argumentationsmöglichkeit bezieht sich ausschließlich auf die rechtliche Bewertung des antikolonialen Befreiungskampfes 1 122 und ist 1120 Zu dieser Argumentation und ihrer Resonanz auch bei westlichen Staaten oben unter B. II. 16. bei und in Fn. 212. 1121 Erhalten bleibt dem Kolonialstaat dagegen nach der zumindest überwiegenden Rechtsüberzeugung die Berufung auf Art. 51 SVN in Ansehung seiner Kolonie in rein zwischenstaatlichen Konflikten; vgl. in diesem Sinne allgemein Schindler, BDGV 26 (1985), S. 29; speziell im Hinblick auf den Falkland-Konflikt Randelzhofer, EA 38 (1983), S. 687 i.V.m. 692; besonders aufschlußreich ist die Reaktion Spaniens auf die Invasion der West-Sahara durch Marokko im Jahre 1975. So eindeutig Spanien das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung der West-Sahara anerkennt (vgl. etwa die Stellungnahme in SCOR, 30th year, 1852nd meeting, S. 6 (par. 39), so entschieden wird gegenüber Marokko das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN geltend gemacht: "Spain, conscious of the responsibilities incumbent on it under the Charter of the United Nations and the right of Iegitimale selfdefence also enshrined in that Charter, will take all necessary measures to deal with the violation of the frontier and to restore the situation of normalcy which existed previously" (SCOR, 30th year, 1854th meeting, S. 2 (par. 17). 1122 Eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen Murswieks, Der Staat 23 (1984), S. 542. Dieser führt zunächst aus: "Der Erwerbstitel (im Hinblick auf Kolonien; Verf.) wird illegitim und- so kann man wohl die Entwicklung seit der Dekolonisierungsdeklaration von 1960 verstehen - auch auf gewohnheitsrechtlichem Wege nachträglich illegal ... Der entscheidende Unterschied zu sonstigen Selbstbestimmungskonstellationen - das hebt die Prinzipiendeklaration zutreffend hervor - ist der, daß die Kolonien wegen der Illegalität des Erwerbstitels einen besonderen, vom Kolonialstaat zu unterscheidenden Territorialstatus haben, und zwar auch dann, wenn nach dem Recht des Kolonialstaates die Kolonie zu seinem Staatsgebiet gehört" (Vor dem Hintergrund der Feststellungen zu rein zwischenstaatlichen Konflikten in Ansehung einer Kolonie in der vorstehenden Fußnote wäre über die Einschränkung bzw. Präzisierung der These von der nachträglichen Illegalität des Erwerbstitels im Sinne einer Illegalität relativ auf das Kolonialvolk nachzu-
262
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
deshalb nach Abschluß des Dekolonisierungsprozesses an sich nurmehr von völkerrechtshistorischer Qualität. Doch stellt sich angesichts der Reaktion der Staatengemeinschaft auf die bewaffneten Auseinandersetzungen im Zuge der Loslösung insbesondere Kroatiens von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens die Frage, ob eine ähnliche Rechtsauffassung für den Fall der Loslösung von Gliedstaaten vom Bundesstaat im Vordringen begriffen ist. Zwar hatte die bewaffnete Auseinandersetzung hier keine über die Außengrenzen des jugoslawischen Bundesstaates hinausgehende Dimension, doch ist es auch im Hinblick auf grenzübergreifende Gewaltanwendung bemerkenswert, daß zunächst der Ausschuß Hoher Beamter der KSZE am 3. Juli 1991 erklärt, "that any recourse to the use of force in the present crisis in Yugoslavia continues to be absolutely inadmissible" 1123 und am 27. August 1991 in einer Erklärung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit im Hinblick auf den Zentralstaat von einem "illegal use of forces under its command" 1124 gesprochen wird. Auf universeller Ebene kann die Waffenembargo-Resolution des Sicherheitsrats 1125 als Bestätigung der zitierten Stellungnahmen auf europäischer Ebene gelesen werden, doch muß berücksichtigt werden, daß der Präzedenzwert dieser Sicherheitsresolution wegen der Besonderheit des formellen zentralstaatlichen Ersuchens um eine Embargoverhängung sehr eingeschränkt ist 1126 . Insgesamt gesehen ist es möglich, in der Reaktion der Staatengemeinschaft auf den Gewalteinsatz der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens eine Tendenz hin zur Annäherung der Rechtsstellung des von gliedstaatliehen Loslösungsbestrebungen betroffenen Bundesstaates an die zuvor erwogene Rechtsstellung des Kolonialstaates im antikolonialen Befreiungskampf auszumachen 1127 . denken). Des weiteren wird hervorgehoben daß diese Differenzierung zwischen der antikolonialen und den übrigen Selbstbestimmungskonstellationen als ein Instrument zur Liquidierung des ius publicum europaeum zugunsten des universellen Völkerrechts zu rechtfertigen sei. Schließlich äußert Murswiek die Überzeugung, daß "Kolonialismus" als konkret-historischer Begriff verwendet ("salt-water colonialism") und "sonstige Fremdbeherrschung" ("alien domination") wenigstens grundsätzlich voneinander unterschieden werden können. An dieser Stelle sei noch angemerkt, daß sich eine durchaus parallel gelagerte, hier ebenfalls nicht zu vertiefende Rechtsfrage hinsichtlich der Berufung auf Art. 51 SVN zur Abwehr von gegen die militärisch besetzten Gebiete gerichteter Gewaltanwendung dann stellt, wenn die fortdauernde Besetzung als illegal zu bewerten ist. In diesem Zusammenhang sei an die im Verlauf des Nahostkonflikts teilweise geäußerte Rechtsauffassung erinnert, Israel sei die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht in Ansehung der militärisch besetzten Gebiete verwehrt (Nachw. etwa oben unter B. II. 25. in Fn. 333.). 1123 Zit. nach Weller, AJIL 86 (1992), S. 573 (dort bei Fn. 21). 1124 Zit. nach Weller, AJIL 86 (1992), S. 575 (dort bei Fn. 41). 1125 Oben Fn. 1116. 1126 Zum Ganzen ausführlich Weller, AJIL 86 (1992), S. 577 ff., insbes. 580. 11 27 In diesem Sinne Weller, AJIL 86 (1992), S. 607.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
263
Allzu stark kann man besagte Staatenpraxis jedoch nicht veranschlagen, ist doch ihr hervorstechendstes Merkmal die Verworrenheit 1128 • cc) Zur Diskussion über die Geltung von Sonderregeln für humanitäre Befreiungskämpfe
Bereits vor einiger Zeit hat Doehring in einem wichtigen Beitrag zum Selbstbestimmungsrecht die These vorgebracht, der Befreiungskampf mit Gewaltanwendung könne gerechtfertigt sein, wenn die humanitäre Intervention dritter Staaten gerechtfertigt wäre 1129• Diese Formel regt in mehrfacher Hinsicht zu Überlegungen an : Beifallswürdig ist zunächst die Annahme eines Gleichlaufs von Drittstaats- und Gruppenbefugnis zum Gewalteinsatz. Es müßte in der Tat als unerträglich inkonsistent bezeichnet werden, den grenzübergreifenden Gewalteinsatz dritter Staaten zur Abwehr eines Völkermordes als erlaubt (und so der Subsumtion unter den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN entzogen) und gleichzeitig den der Selbsterhaltung dienenden grenzübergreifenden Gewalteinsatz der ausrottungsbedrohten Menschengruppe als rechtswidrig im Sinne des Art. 51 SVN anzusehen. Die Verknüpfung der Befugnis Privater zum Gewalteinsatz mit der staatlichen Befugnis zur Vomahme einer humanitären Intervention ist aber noch in anderer Hinsicht interessant: Angesichts der Zielrichtung der humanitären Intervention ließe sich denken, daß massivste Verletzungen fundamentaler Menschenrechte auch ohne das von Doehring allein thematisierte Zusammmentreffen mit einer Verletzung des (äußeren) Selbstbestimmungsrechts eine Gewalteinsatzbefugnis der von den Menschenrechtsverletzungen betroffenen Privaten auslösen. Dies bedeutete die völkerrechtliche Anerkennung des "Befreiungskampfes gegen Terrorregime" (der hier als humanitärer Befreiungskampf bezeichnet wird), so wie sie in einer eingehenden jüngeren Monographie zur humanitären Intervention befürwortet wird 1130 . Doehrings Formel und die hieran geknüpften Folgerungen stehen und fallen allerdings damit, daß mit dem Stichwort "der humanitären Intervention ein Tatbestand satzungskonformer Gewaltanwendung benannt ist. Der IGH hat sich im Nicaragua-Urteil in diesem Zusammenhang wie folgt geäußert: "In any event, while the United States might form its own appraisal of the situation as to the respect for human rights in Nicaragua, the use of force could not be the appropriate method to monitor or ensure such respect (Hervorh. v. Verf.)" 1131 •
Dazu bereits oben Fn. 1110. BDGV 14 (1973), S. 35. 1130 Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 142. Tes6n geht es vor allem um eine rechtsphilosophische Herleitung der Zulässigkeit der humanitären Intervention, vgl. Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 1 - 127 und 146ff.; ders., YaleJint'IL 15 (1990), S. 84 ff., insbes. 117 ff.; ders., ColumLR 92 (1992), S. 53 ff., insbes. 89 ff. 1131 ICJ Reports 1986, S. 134 (par. 268). 1128
1129
264
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Zwar läßt diese Formulierung Raum für eine Deutung im Sinne einer kategorischen Zurückweisung des Konzepts der humanitären Intervention selbst nach Völkergewohnheitsrecht, doch dürfte es vorzugswürdig sein, den zitierten Passus nicht als abschließende Stellungnahme zur Frage der Zulässigkeit der humanitären Intervention zu verstehen, sondern seine Reichweite auf die Umstände des Streitfalles zu begrenzen, insbesondere darauf, daß etwaige Menschenrechtsverletzungen Nicaraguas jedenfalls unterhalb der Schwelle anzusiedeln waren, von der an eine humanitäre Intervention in Betracht gezogen werden kann 1132• Gemäß dem methodischen Ansatz dieser Untersuchung gilt hinsichtlich der Satzungskonformität der humanitären Intervention folgendes: Da es sich selbst bei massivsten Verletzungen fundamentaler Menschenrechte nicht um einen bewaffneten Angriff gegen einen anderen Staat nach Art. 51 SVN handelt und die humanitäre Intervention des weiteren keine bei Inkrafttreten der SVN völkergewohnheitsrechtlich zulässige Selbstverteidigungsmaßnahme darstellt, ist zur Begründung der Satzungskonformität der humanitären Intervention gemäß der Bewertungsregel (1) i.V.m. dem oben 1133 erzielten Auslegungsergebnis der Nachweis einer einheitlichen späteren Praxis in diesem Sinne erforderlich 1134. Die Möglichkeit eines solchen Nachweises wurde lange Zeit überwiegend verneint 1135 . Wie auch immer die ältere Praxis zu bewerten ist 1136, es 11 32 In diesem Sinne auch Tes6n, Humanitarian intervention, S. 240ff.; a.A. (generelle Vemeinung der Völkerrechtmäßigkeit) Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 27. 1133 Unter D. I. 1. e). 1134 Zudem dürfte die humanitäre Intervention nicht gegen jus cogens verstoßen; eine plausible Argumentation gegen die Annahme der Unvereinbarkeit der humanitären Intervention mit jus cogens entwickelt (in Übereinstimmung mit dem oben in Fn. 577 Ausgeführten) Kadelbach, Zwingendes Recht, S. 234; Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 740f. geht sogar so weit, die Zulässigkeil der humanitären Intervention unter Berufung auf den jus cogens-Charakter der Menschenrechte zu begründen; nicht nur ist dieser Begründungsansatz satzungsrechtlich bedenklich, auch die Folgerung Blumenwitz' erscheit zu weitgehend, wonach das Institut der humanitären Intervention derzeit das wichtigste friedensvölkerrechtliche Instrument zur Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus sei. Dabei dürfte Blumenwitz die Schwelle, von der an die Möglichkeit einer satzungskonformen humanitären Intervention aufgrund der nachfolgend im Text dargestellten Staatenpraxis zu erwägen ist, zu niedrig ansetzen. 1135 Durchaus repräsentativ für die Mehrheitsauffassung ist die Bewertung der Praxis zu der Kongo-Rettungsaktion der USA, Belgiens und Großbritanniens (1964), der Gewaltanwendung Indiens in Ostpakistan (1971) sowie der Interventionen Tansanias in Uganda bzw. Vietnams in Kambodscha (jeweils 1979) durch Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 97ff. Immerhin stellt Hailbronner jedoch a.E. (ebd., S. 100) fest : "In dem praktisch äußerst seltenen Fall strikter Gewaltanwendung gegen grobe Menschenrechtsverletzungen aus nachweislich rein humanitären Beweggründen dürfte sich die internationale Gemeinschaft -wenn überhaupt (!; Verf.) -
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
265
soll nicht unerwähnt bleiben, daß in der jüngsten Praxis deutliche Anzeichen für eine weitverbreitete Bereitschaft zur Hinnahme des grenzübergreifenden Gewalteinsatzes im humanitären Extremfall zu erkennen sind: So liegt zunächst dem Streitkräfteeinsatz der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) in Liberia in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 "to stop senseless killing of innocent civilian nationals and foreigners"1137 in Ermangelung einer Ermächtigung der VN 1138 der Anspruch auf die Befugnis zur Vomahme einer humanitären Intervention zugrunde 1139. Bemerkenswert ist neben dem Umstand, daß hier afrikanische Staaten die mit einem rein formalen Tadel begnügen." Ob der nachfolgende Satz: "Das reicht aber nicht aus, der humanitären Intervention unter bestimmten eng begrenzten Voraussetzungen den Stempel der Legalität aufzudrücken", mit Hailbronners methodischem Ansatz zur Bewertung der Staatenpraxis (ebd., S. 67 und oben unter B. VI. I. in Fn. 579), harmoniert, erscheint fraglich. Für eine Analyse der Praxis mit entgegengesetztem Ergebnis s. Somarajah, GaJint'l&CompL II (1981), S. 64ff., insbes. S. 73. 1136 Beachtung verdiente in diesem Zusammenhang auch der von Tes6n, Humanitarian Intervention, S. 144 ff., herausgestellte Gesichtspunkt, daß die vielfach anzutreffende Befürwortung eines Dispenses auswärtiger Staaten vom Gewaltverbot gegenüber einem "rassistischen Regime" konsequenterweise mit der Annahme eines entsprechenden Dispenses für den Fall des humanitären Extremfalles einhergehen müßte, "for racial discrimination, odious as it is, is certainly not the most egregious human rights violation. Mass murder, torture, genocide, enslavement and even arbitrary imprisonment, when practiced on a massive scale, are indeed more serious deprivations than apartheid schemes (Hervorh. v. Tes6n)", ebd., S. 145. 1137 So ein Passus aus der Erklärung der Staats- und Regierungschefs der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 9. August 1990; zit. nach Greenwood, The World Today February 1993, S. 36. 1138 Vgl. Art. 53 Abs. I, S. 2 SVN. Der ECOWAS-Streitkräfteeinsatz war den VN lediglich notifiziert worden, Weller, RADIC 3 (1991), S. 35; dazu daß "Kenntnisnahme" im Rahmen des Art. 53 Abs. 1, S. 2 SVN nicht ausreicht, bereits oben unter B.IV. l.a) in Fn. 513; zu der Frage, ob der Sicherheitsrat eine Ermächtigung zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen hat, verneinend Nolte, ZaöRV 53 (1993), S. 631 ff.; zur Vemeinung neigend auch Theuermann, Kühne (Hg.), Fortentwicklung des Völkerrechts, S. 257. 1139 So Greenwood, The World Today February 1993, S. 36, und Weller, RADIC 3 (1991), S. 35; etwas zögerlicher Rodley, Rodley (Hg.), To Loose the Bands of Wickedness, S. 24, der den regionalen Charakter der Operation unterstreicht. Nolte, ZaöRV 53 (1993), S. 621 ff., meint, die Rechtsgrundlage für die Militäraktion sei in der Einladung der de iure-Regierungen Liberias (zunächst derjenigen Samuel Does, dann derjenigen Amos Sawyers) zu finden. Ob diese Einladungs-Lösung den von Greenwood (ebd.) geäußerten Bedenken Stand hält, mag hier auf sich beruhen. Denn in unserem Zusammenhang ist allein die (auch von Nolte, ebd., S. 618 ff., nicht bestrittene) Tatsache von Belang, daß die ECOWAS-Staaten ihren Gewalteinsatz nicht auf die Einladung der de iure-Regierung, sondern einzig auf das Vorliegen eines humanitären Extremfalles gestützt haben. Zum tatsächlichen Verlauf des Liberia-Konflikts ausführlich Jonah, Kühne (Hg.), Fortentwicklung des Völkerrechts, S. 303 ff.
266
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
humanitäre Operation durchgeführt haben, die wohlwollende Reaktion der Staatengemeinschaft 1140• Neben dem Liberia-Konflikt sind Errichtung und Durchsetzung der Flugverbotszonen im Nord- und Südirak zum Schutz der lokalen Bevölkerung vor Angriffen der eigenen Regierung nach Abschluß der Militäroperation zur Befreiung Kuwaits im Rahmen der Praxis zur humanitären Intervention von unmittelbarem Interesse. Da es von seiten der Initiatoren der Flugverbotszonen wiederholt hieß 1141 , letztere seien "consistent with" Sicherheitsratsresolution 688 1142, konnte der Eindruck entstehen, als begründe besagte Resolution eine Befugnis zu entsprechendem Vorgehen. Letzteres ist nicht der Fall 1143 und wurde jedenfalls von Großbritannien auch nicht so gesehen. Britischer 11 44 Rechtsüberzeugung nach handelte es sich bei der Errichtung der Flugverbotszonen um einen Fall völkerrechtlich zulässiger humanitärer Intervention. So heißt es in der Stellungnahme des britischen Verteidigungsministers zu den alliierten Luftangriffen auf irakisehe Flugabwehrraketen vom 13. Januar 1991: "The no-fly zone was necessitated by a situation of severe humanitarian need in southern Iraq arising from Iraq's failure to comply with the terms of United Nations Security Council resolution 688, which calls on Iraq to refrain from further repressing its civilian population" 1145 • Auch in bezug auf die humanitäre Intervention der Alliierten im Irak ist eine bemerkenswert wohlwollende Reaktion der Staatengemeinschaft zu notieren. Wenn auch eine abschließende Bewertung der späteren Praxis zur humanitären Intervention im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen 1140 Vgl. insow. insbes. die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 22. Januar 1991 (S/22133; VN 1991, S. 153). 1141 Dazu Rodley, Rodley (Hg.), To Loose the bands of wickedness, S. 32; Greenwood, The World Today February 1993, S. 35. 1142 Vom 5. April 1991 ; VN 1991, S. 77. 1143 So zutreffend Greenwood, The World Today February 1993, S. 36; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 18 f.; nicht sehr deutlich in diesem Punkt Rodley, Rodley (Hg.), To Loose the Bands of Wickedness, S. 32ff. 1144 Da eine entsprechende Rechtsüberzeugung der USA nicht mit derselben Klarheit auszumachen ist (vgl. immerhin die Hinweise von Roberts, International Affairs 69 (1993), S. 437, auf amerikanische Stellungnahmen, die vorsichtig auf eine solche Rechtsüberzeugung hindeuten), ist es von besonderem Interesse, daß der amerikanische Präsident Serbien in einem Brief vom 25. Dezember 1992 die Möglichkeit einer humanitären Intervention im Hinblick auf den Kosovo in Aussicht stellt, Keesing's Record of World Events December 1992, S. 39240, und Greenwood, The World Today February 1993, S. 39. 1145 H. C. Debates, vol. 216, col. 1012 (13 January 1993); die Luftangriffe vom 13. Januar selbst werden in derselben Stellungnahme mit antizipatorischer Selbstverteidigung in Verbindung mit humanitärer Intervention gerechtfertigt: Da die alliierten Flugzeuge in humanitärer Intervention und damit rechtmäßig im Irak stationiert seien, dürfe auf unmittelbar bevorstehende irakisehe Angriffe auf selbige Flugzeuge in Selbstverteidigung reagiert werden.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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werden soll, so kann doch angesichts der referierten jüngsten Praxis 1146 mindestens eine Rechtsentwicklung hin zur Satzungskonformität des grenzübergreifenden Gewalteinsatzes im humanitären Extremfall festgehalten werden 1147 . Vor diesem Hintergrund deutet sich die mögliche praktische Relevanz der hier vertretenen Auffassung an, wonach grenzübergreifende humanitäre Befreiungskampfakte Privater soweit nicht rechtswidrig im Sinne des Art. 51 SVN sind, wie die Satzungskonformität der humanitären Intervention bejaht werden kann. dd) Ergebnis
Nach den Überlegungen sub aa) - cc) kann festgehalten werden, daß es für die Darstellung der Rechtslage gemäß den Art. 2 Zif.f. 4 und 51 SVN in unseren Verwicklungskonstellationen in weitestem Umfang irrelevant ist, bei den Gewalt anwendenden Privaten nach Begriffen wie "Rebellen", "Aufständische", "Guerillas", "Terroristen", "Söldner", "Freiheitskämpfer", "bewaffnete Banden" etc. zu differenzieren. Hingewiesen wurde auf eine 1146 Der Somalia-Konflikt wurde deshalb nicht erwähnt, weil der Gewalteinsatz hier als "vom VN-Sicherheitsrat authorisierte humanitäre Intervention" einzuordnen ist; hierzu näher Greenwood, The World Today February 1993, S. 37f.; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 24; dasselbe gilt für die mit humanitären Motiven begründete französische Militäraktion im Rahmen des Rwanda-Konflikts; vgl. hierzu die Sicherheitsratsresolution 929 vom 22. 06. 1994 (dt. Übersetzung in VN 1994, S. 153f.). 1147 Ebenso im neuesten Schrifttum Greenwood, The World Today February 1993, S. 39f.; ders., Fleck (Hg.) Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 4; Weller, The Guardian January 15 1993, S. 8; Roberts, International Affairs 69 (1993), S. 433, 444ff. (sehr nuanciert); Rodley, Rodley (Hg.), To Loose the Bands of Wickedness, S. 24 ff. , unterscheidet die humanitäre Intervention auf dem Territorium eines Staates mit einer Terrorregierung (Typ Kambodscha, Irak) von derjenigen auf dem Territorium eines Staates ohne funktionierende Regierung (Typ Liberia, Somalia) und will nur für die letztere Variante eine Rechtsentwicklung hin zur Zulässigkeit anerkennen (schöpft dabei aber die Praxis zum Fall Irak noch nicht voll aus); Delbrück, Kühne (Hg.), Fortentwicklung des Völkerrechts, sieht immerhin eine Entwicklung hin zur Anerkennung einer Befugnis regionaler Organisationen zur humanitären Intervention; Malanczuk, in dessen Studie "Humanitarian Intervention" der Liberia-Konflikt unberücksichtigt bleibt, gelangt zu dem Schluß, daß "if collective enforcement measures fail or are not available in extreme and compelling cases the international community, as in comparable cases in the past, will not accept unilateral intervention as legal, but refrain from condemning it (a.a.O., S. 30)" (vgl. die in dieselbe Richtung gehende Stellungnahme Hailbronners oben in Fn. 1135 und die diesbezügliche Bemerkung des Verf. ebd.); die Beiträge von Corten/Klein (Droit d'ingerence ou Obligation de reaction, Nos 165- 202), Michel-Cyr (RADIC 4 (1992), S. 570ff.), Arend/Beck, International Law and the Use of Force, S. 112 ff., sowie die Stellungnahme Dinsteins, Self-Defence, S. 89ff., in denen die im Text identifizierte Entwicklungstentenz bestritten wird, setzen sich mit der jüngsten Praxis zur humanitären Intervention nur unzureichend auseinander.
268
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
denkbare, praktisch aber bedeutungslos gewordene Sonderregel für den antikolonialen Befreiungskampf sowie auf das mögliche Sonderregime für den Extremfall einer mit einem humanitären Befreiungskampf verknüpften Verwicklungskonstellation. 2. Die (Satzungs-)Rechtslage in den einzelnen Verwicklungskonstellationen a) Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unrahigkeitskonstellation
aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation ( 1) Die Zurechnungsfrage Am Maßstab der oben 1148 formulierten Grundsatzzurechnungsnorm scheidet die Zurechnung der Gewaltakte zum verwickelten Staat in diesen Konstellationen aus. Doch es sind mit der (Fort-) Geltung der Complicity-Doktrin und der Tendenz zur Senkung der Zurechnungsschwelle bei besonders gefährlichen Aktivitäten bereits die beiden Gesichtspunkte herausgestellt worden 1149, unter denen ein auf den Primärnormenbereich des satzungsrechtlichen Gewaltverbots bezogenes Sonderzurechnungsregime in Betracht gezogen werden kann. Im folgenden soll diesen beiden Gesichtspunkten näher nachgegangen werden. Ausgangspunkt der Überlegungen in Richtung der Geltung eines Sanderzurechnungsregimes gemäß der Complicity-Doktrin kann Art. 2 Ziff. 5 der Londoner Konventionen 1150 sein, in dem es heißt: "Accordingly, the aggressor in an international conflict shall, subject to the agreements in force between the parties to the dispute, be considered to be that State which is the first to commit any of the following actions: ... 5. Provision of support to armed bands formed on its territory which have invaded the territory of another State, or refusal, notwithstanding the request of the invaded State, to take, in its own territory all the measures in its power to deprive those bands of all assistance or protection (Hervorh. v. Verf.)".
Die Kommentierung des Politis-Berichts 1151 , auf dem der Text der Konventionen fußt, unterstreicht die vom Wortlaut nahegelegte Intention der Einbeziehung von Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation in den 1148 1149 11 50 1151
Unter D. II. I.c) a.E. Vgl. oben unter D.II. c)bb)(l) a.E.). Dazu bereits oben unter D.II.I.a)dd)(2)(cc) in Fn. 981. Dazu bereits oben unter D. II. I. a) dd)(2)(dd) in Fn. 984.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
269
hervorgehobenen Teil der Ziffer 5 1152• Sowohl der Duktus des Art. 2 (in den Ziffern 2 - 4 werden verschiedene Formen staatlicher Gewaltakte aufgelistet) als auch die Arbeit mit dem Complicity-Begriff in der Kommentierung des Politis-Berichts deuten darauf hin, daß Ziffer 5 im Sinne der Complicity-Doktrin zu lesen ist. Berücksichtigt man nun des weiteren, daß Art. 2 Ziff. 5 vom Nürnberger Internationalen Militärgerichtshof rezipiert worden ist 1153 , so kann das Vorliegen beachtlicher Indizien für die Geltung der Complicity-Doktrin im Bereich der Gewaltanwendung jedenfalls bis zum lokrafttreten der SVN schwerlich bestritten werden. Auf der anderen Seite darf das Gewicht dieser Indizien schon für die Zeit bis zum Inkrafttreten der SVN nicht zu hoch veranschlagt werden: So läßt die relevante Konfliktpraxis bis zu diesem Zeitpunkt (oben unter D.II.l.a)dd)(b)(aa)) eine verbreitete Überzeugung von der Geltung der Complicity-Doktrin nicht erkennen. Und hiermit übereinstimmend bezeichnete Politis selbst die Aussage der Textgrundlage für Art. 2 Ziff. 5 als "in some ways a novelty" 1154. Ausschlaggebend muß jedoch die jüngere Praxis sein. Die Konfliktpraxis ist hinsichtlich der Grenzziehung zwischen staatlicher Verantwortlichkeit in bezug auf Gewaltakte Privater und Zurechnung letzterer zum Staat in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation selten aufschlußreich. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet Sicherheitsresolution 241 vom 15. November 1967 zum Kongo-Konflikt 1155 • Hierin wird streng zwischen den grenzübergreifenden Gewaltakten der Privaten einerseits, die als bewaffnete Angriffe bezeichnet werden, und der Duldung dieser Gewaltakte durch den Basenstaat Portugal andererseits unterschieden. Und Portugal wird dementsprechend nicht wegen der Vomahme eines bewaffneten Angriffs verurteilt, sondern lediglich aufgrund "the failure ... to prevent the mercenaries from using the territory of Angola under its administration as a base of operations for armed attacks against the Democratic Republic of the Congo" 1156• Resolution 241 spricht mithin unmißverständlich gegen das Vorhandensein einer Überzeugung von der Geltung der 1152 Die Kommentierung ist bei Ferencz, International Aggression I, S. 220, wiedergegeben. 1153 Band 2, S. 175, der deutschen Ausgabe des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof; vgl. dazu auch Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 76 f. (Fn. 30). 11 54 Politis' Stellungnahme ist abgedruckt bei Ferencz, International Aggression I, S. 240; vgl. auch die während der Debatte über den Politis-Bericht abgegebene Stellungnahme des Franzosen Paul-Boncour (Abdruck bei Ferencz, ebd., S. 248), in der der Aussagegehalt der 2. Alternative der Ziffer 5 auf den Einschluß von Entsendeund vielleicht noch Entsendeförderungskonstellation reduziert wird; auch Ferencz, ebd., S. 32, bescheinigt dem fraglichen Passus, er "added a new concept, which had not previously been recognized". 1155 Zu diesem Konflikt oben unter B.II.15. 11 56 Wellens, Resolutions, S. 43.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Complicity-Doktrin 1157• Im Hinblick auf die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation bestätigt die allgemeine Resolutionspraxis der VN den von Resolution 241 nahegelegten Schluß eindeutig. Die Nichtberücksichtigung letzterer Konstellation sowohl in den Absätzen 8 und 9 zu Prinzip 1 Resolution 2625 1158 als auch in Art. 3g) der Resolution 3314 1159 wäre bei gleichzeitiger Überzeugung von der Geltung der Complicity-Doktrin nicht verständlich. Etwas schwieriger ist der Aussagegehalt der beiden angesprochenen Generalversammlungsresolutionen in bezug auf die DuZdungskonstellation zu bestimmen, da Absatz 9 Prinzip 1 Resolution 2625 diese Form staatlicher Verwicklung einschließt, wohingegen Art. 3 g) Resolution 3314 diese nicht erfaßt. Insoweit ist jedoch zu bedenken, daß es der Duktus der zu Prinzip 1 Resolution 2625 formulierten Subprinzipien (etwa wegen der Erwähnung des Verbots der Angriffspropaganda oder des Hinweises auf aus dem Gebot von Treu und Glauben folgenden Verpflichtungen im Umfeld des Gewaltverbots Oder auch wegen des Verzichts auf das Erfordernis tatsächlich durchgeführter Gewaltakte in Absatz 8) nicht nahelegt, den in den Absätzen 8 und 9 postulierten Geboten Regeln über die Zurechnung von Gewaltakten zu entnehmen. Hinsichtlich der Zurechnungsfrage erscheint die auf der Linie der Sicherheitsratsresolution 241 liegende Ausklammerung der Duldungskonstellation aus Art. 3 g) der Resolution 3314 1160 wesentlich bedeutungsvoller. Danach läßt sich der Praxis weder zu Duldungs- noch zu Sorgfaltswidrigkeitskonstellation hinreichend deutlich die Überzeugung entnehmen, daß abweichend von der Grundsatzzurechnungsnorm die Complicity-Doktrin die Zurechnungsschwelle bestimme 1161 • Infolgedessen scheidet entgegen der Auffassung eines Teils des Schrifttums 1162 und im Ergebnis in Übereinstimmung mit der ILC 1163 der Rekurs auf die Complicity-Doktrin bei der Analyse von Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation sub specie Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN aus. Es bleibt zu fragen, ob nicht die Zurechnung der Gewaltakte in unseren beiden Konstellationen auch ohne Nachweis einer hinreichend deutlichen Praxis in diesem Sinne in Analogie zu der neueren Tendenz zu begründen ist, die Zurechnungsschwelle bei besonders gefährlichen Aktivitäten zu senken 1164• Auch wenn der Gedanke an einen Analogieschluß zu besagter Tendenz angesichts der Evidenz der besonderen Gefährlichkeit von Gewalt1157 11 58 1159 I 160 1161 1162 1163 11 64
In demselben Sinne David, Mercenaires, S. 127. Zu den Abs. 8 und 9 der Resolution 2625 ausf. oben unter 8. III. 2. Zu Art. 3 g) der Resolution 3314 ausf. oben unter 8. IV. 3. Dazu oben unter B. IV. 3. a). Vgl. die Formel oben unter D.II.l. c)aa) a.E. Nachw. oben unter C.II.2. a)aa) in Fn. 615 und D. II. l.c)bb)(l) in Fn. 1038. Oben unter D.II. l.c)bb)(l) i.V.m. D. II.l.c) aa). Zu dieser Tendenz oben unter D. Il. I. c) aa) im Text bei Fn. 1025.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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akten durchaus nicht abwegig anmutet, ist ersterer doch aus den folgenden drei Gründen zu verwerfen: Zum einen ist es wegen des für die Zurechnungsregeln geltenden Vorrangs der induktiven Normfeststellung 1165 nicht angängig, die in der relevanten Praxis recht klar erkennbare Tendenz zur Zurechnungsverneinung mittels eines Analogieschlusses zu überspielen. Zum zweiten erscheint die Analogiebasis (noch) recht dünn, ist doch allein im Weltraurnrecht 1166 und im Recht der militärischen Nutzung der Kernkraft1167 die Geltung von Sonderzurechnungsregimes gut begründbar 1168, auf die im Wege der Analogie abgestellt werden könnte. Drittens schließlich erweist sich die Analogiebasis auch als brüchig, wenn man bedenkt, daß sich die Überwachungsmöglichkeiten des Staates in den beiden angesprochenen Sektoren einerseits und dem Bereich des Gewalteinsatzes durch Private andererseits nicht unbedingt entsprechen 1169. Es sei daran erinnert, daß die These von der möglichen Geltung von Sonderzurechnungsregimes mit der Idee verknüpft ist, (auch) über die Zurechnungsregeln könne und solle Einfluß auf das Ausmaß der staatlichen Anstrengungen zur Überwachung privater Aktivitäten genommen werden 1170. Im Ergebnis ist also die Geltung eines Sonderzurechnungsregimes mit Relevanz für die Anwendbarkeit von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation zu verneinen. Damit steht fest, daß die Gewaltakte der Privaten dem verwickelten Staat in diesen beiden Konstellationen nicht zugerechnet werden können. (2) Die Begründung der individuellen Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates Mangels Zurechenbarkeit der Gewaltakte liegt ein staatlicher bewaffneter Angriff in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation nicht vor. Daraus folgt auf der Grundlage der oben 1171 erzielten Ergebnisse, daß nach dem jetzigen Stand der Rechtsentwicklung die Satzungskonformität kollektiver grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung zu verneinen ist. Im folgenden kann es daher nur noch um die Begründung der Satzungskonformität individueller grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung des 1165 Zu Induktion und Deduktion bei der Ermittlung der Zurechnungsregeln vgl. oben unter D. II. l.c)aa). 1166 Nachw. oben in Fn. 1024. 1167 Dazu unten unter D.II.2.a)ee)(l). 11 68 Zu der Zweifelhaftigkeit der Interpretation von Art. 139 der Seerechtskonvention von 1982 im Sinne eines Sonderzurechnungsregimes s. oben in Fn. 1024. 1169 Auf diesen Unterschied weist Kilian, NZWehrr 24 (1982), S. 124, zu Recht hin. 1170 Vgl. oben unter D.II. l.c)aa) im Text bei Fn. 1022. 1171 Unter D.II.I.a)ff) i.V.m. D. II.l.b) sub (2).
272
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Zielstaates gehen. Eine solche Begründung kommt auf der Grundlage der Gewichtungsregeln (2) und (3) 1172 in Betracht. Oben 1173 ist herausgearbeitet worden, daß gemäß Gewichtungsregel (2) grenzübergreifende staatliche Gewaltanwendung unabhängig vom Vorliegen eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN dann als satzungskonform angesehen werden kann, wenn sie im Jahre 1945 als individuelle Selbstverteidigungsmaßnahme völkergewohnheitsrechtlich zulässig war, und eine ganz überwiegende Praxis im Sinne der Satzungskonformität zu verzeichnen ist. Die völkergewohnheitsrechtliche Zulässigkeit grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates unter dem Gesichtspunkt der individuellen Selbstverteidigung ist oben 11 74 , die Existenz einer ganz überwiegenden Praxis im Sinne der Satzungskonformität eines solchen Gewalteinsatzes oben 1175 ermittelt worden. Daraus folgt die Satzungskonformität der individuellen grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates gemäß Gewichtungsregel (2) 1176• Allerdings ist der Umfang der so begründeten Befugnis zum Gewalteinsatz entsprechend dem Befund der späteren Praxis sehr eng begrenzt: Insbesondere der Rekurs auf die Doktrin der accumulation of events scheidet aus, konnte doch eine die Satzungskonformität dieser Doktrin stützende ganz überwiegende spätere Praxis nicht ausgemacht werden 1 177 • Schon wegen dieser engen Grenzen ist es von Bedeutung, der Frage nachzugehen, ob die Satzungskonformität der (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates auch nach Gewichtungsregel (3) zu bejahen ist. Oben 1178 ist dargelegt worden, daß textorientierte Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht jedenfalls dann für die Ableitung eines individuellen Selbstverteidigungsrechts des Zielstaates aus Art. 51 SVN angeführt werden können, wenn eine auf den bewaffneten Angriff der Privaten bezogene Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates gegeben ist. Da eine derartige Völkerrechtswidrigkeit sowohl in Duldungs- als auch in Sorgfaltswidrigkeitskonstellation vorliegt 1179 , folgt die Satzungskonformität grenzübergreifender Oben unter A. IV. Unter D. I. I. e). 1174 Unter D.Il. l.a)dd)(2)(b)(dd). 1175 Unter B. VI. 1./2. 1176 Zur Geltung der Regelungen in Art. 51 Satz 1 a. E. und Satz 2 für nach Gewichtungsregel (2) satzungskonforme Gewaltanwendung vgl. oben unter D.I.l.a)bb) Fn. 733. 1177 Oben unter B. VI. 1. 1178 Unter D. II. I. a) ff). 1179 Die Völkerrechtswidrigkeit des Verhaltens des verwickelten Staates in diesen beiden Konstellationen ist unstreitig (s. statt aller Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 262 ff.), der Bezug dieser Völkerrechtswidrigkeit auf den bewaffneten Angriff evident. 1172
1173
Il. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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individueller (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates auch aus der Anwendung von Gewichtungsregel (3). Dies hat die bereits angedeutete Folge, daß die Grenzen der Gewalteinsatzbefugnis 1180 weiter gezogen sein können als auf der Grundlage von Gewichtungsregel (2). So ist vor allem der Rekurs auf die Doktrin der accumulation of events entsprechend den obigen 1181 Folgerungen möglich. (3) Zur Frage der Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf den Basenstaat Insoweit muß zwischen unseren beiden Verwicklungskonstellationen differenziert werden. In der Sorgfaltswidrigkeitskonstellation scheidet ein Verstoß gegen das Gewaltverbot aus. Zunächst fehlt es an der Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum Basenstaat 1182• Dariiber hinaus bietet die spätere Praxis im Hinblick auf eine mögliche Ausdehnung des Gewaltverbots im Sinne der Einbeziehung dieser Verwicklungsform ein recht eindeutig negatives Bild 1183• Anders und komplizierter stellt sich die Lage in Ansehung der Du/dungskonstellation dar. Auf der einen Seite steht nach den Ausführungen sub (1) fest, daß hier mangels Zurechenbarkeit der Gewaltakte von staatlicher Gewaltanwendung nicht gesprochen werden kann. Andererseits läßt die relevante spätere Praxis einen Konsens im Sinne der Einbeziehung dieser Verwicklungsform in das Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN erkennen 1184• Letzterer Konsens legt es nahe, das satzungsrechtliche Gewaltverbot im (Gesamtauslegungs-) Ergebnis abweichend vom Satzungstext dahin zu verstehen, daß es auch die Verwicklung des duldenden Staates in ihm nicht zurechenbare Gewaltakte Privater erfaßt. Ein derartiges Verständnis bedeutet zwar für die Duldungskonstellation eine Inkongruenz zwischen der Subsumtion des staatlichen Verhaltens zum einen unter Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN und zum anderen unter den Begriff des bewaffneten Angriffs nach Art. 51 SVN. Doch ist diese Inkongruenz hinzunehmen, da mit ihr wegen der sub (2) begrundeten individuellen Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates ein Verstoß gegen das Reziprozitätsprinzip ausnahmsweise nicht verbunden ist, und die oben 1185 geäußerten Bedenken gegenüber Inkongruenzlösungen im Bereich der Verwicklungskonstellationen hier deshalb nicht durchgreifen 1186. Damit kann festgehalten werden, daß das Dazu näher unten sub cc). sub D. I.3.d). 1182 Oben sub (1). 1183 Oben sub B.VI.2. 1184 Vgl. oben unter B. VI. I. a. E. 1185 Unter D.I.2. b). 1186 Ebensowenig relevant wird der im Hinblick auf die spätere Praxis zu Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation oben unter B. VI.4. formulierte Vorbehalt. 1180 1181
18 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Verhalten des Basenstaates in der Duldungskonstellation dem Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN unterfällt Diese Zuordnung ist nicht allein symbolischer Natur. Vielmehr folgt aus ihr die Repressalien- (bzw. Gegenmaßnahmen-)Festigkeit des Verbots einer Verwicklung in Gewaltakte Privater im Sinne der Duldungskonstellation, eine Konsequenz, von deren praktischer Relevanz noch zu reden sein wird 1187• bb) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Unfähigkeitskonstellation
Die sub aa)(l) erzielten Ergebnisse zur Zurechnungsfrage in Duldungsund Sorgfaltswidrigkeitskonstellation gelten für die Unfähigkeitskonstellation e fortiori. Demzufolge kann es auch im Hinblick auf diese Verwicklungskonstellation - entsprechend den Ausführungen sub aa) (2) a. A. - nur um die Begründung einer individuellen Befugnis des Zielstaates zur grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung gehen. Eine derartige Befugnis folgt zunächst auf der Grundlage von Gewichtungsregel (2). Insoweit gelten die Darlegungen zu Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation 1 188 mutatis mutandis. Dagegen könnte die Anwendung von Gewichtungsregel (3) auf die Unfähigkeitskonstellation zu einem anderen Ergebnis führen als bei Duldungsund Sorgfaltswidrigkeitskonstellation, da es in ersterer Konstellation im Unterschied zu letzteren beiden Konstellationen zweifelhaft erscheint, ob eine auf den bewaffneten Angriff der Privaten bezogene Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates vorliegt. Sollte sich die Feststellung einer Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates in der Unfähigkeitskonstellation als unmöglich erweisen, so trüge Gewichtungsregel (3) die Satzungskonformität der interessierenden Befugnis des Zielstaates unter der weiteren Voraussetzung nicht, daß die oben 11 89 offen gelassene Frage, ob der Selbstverteidigungsbegriff ein Völkerrechtswidrigkeitserfordemis impliziert, zu bejahen ist. ( 1) Die Erfolgsunrechtsthese Vorrangig ist demnach das Problem der Feststeilbarkeit einer Völkerrechtswidrigkeit in der Unfähigkeitskonstellation zu erörtern. Prämisse der folgenden Überlegungen ist die von Felber 1190 überzeugend begründete Unten unter D.Il. 2. c)bb)(2). sub aa)(2). 11 89 Unter D. II. I. a)ff). 11 90 In: Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 6777, insbes. 74ff. 1187 11 88
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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These, "daß die Rechtswidrigkeit, je nach Funktion der betreffenden Regelung, verschiedene Inhalte haben kann und damit keineswegs für alle Bereiche des Rechts eine einheitliche zu sein braucht" 1191 . Zur Wahl stehen die eifolgs- und handlungsbezogene Bestimmung des Begriffs 1192. Bei Stuesser heißt es in diesem Zusammenhang, daß "although it (absolute liability; Verf.) may be a tolerable theory on which to base a claim for state compensation, it is an unacceptable basis to justify an action in selfdefense"1193. Im Gegensatz hierzu soll im folgenden gezeigt werden, daß in unseren Verwicklungskonstellationen derzeit zwar keine Eifolgsunrechtshaftung in Betracht kommt, sich aber Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht für eine rein eifolgsbezogene Bestimmung des (Völker-) Rechtswidrigkeitsbegriffs im Rahmen des Art. 51 SVN (im folgenden kurz: Erfolgsunrechtsthese) formulieren lassen 1194. Hinsichtlich der Haftungsfrage ist bemerkenswert, daß soweit ersichtlich kein Zielstaat das Vorliegen einer Unfähigkeitskonstellation zum Anlaß genommen hat, einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Basenstaat zu erheben 1195 . In der relevanten Praxis ist demnach nicht einmal eine Ten1191 Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 77; diese von Felber mit Blick auf eine nationale (die deutsche) Rechtsordnung verfochtene These gilt gleichermaßen für die Völkerrechtsordnung. Sie ist ein Anwendungsfall des allgmeinen Grundsatzes der Relativität von Rechtsbegriffen. 1192 Auch hierzu ausf. Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 67 ff. 1193 Calitwlnt'lLJ 17 (1987), S. 20; hiermit liegt Stuesser im Ergebnis ganz auf der Linie von Garda-Moras Vorstellungen (zu ihnen bereits oben in der Einleitung bzw. unter D.II.l.c)bb)(l) in den Fn. 10 bzw. 1038) von Haftung einerseits und Selbstverteidigung andererseits, auch und insbesondere in der Unfahigkeitskonstellation, wobei im Falle des letzteren Autors weite Zurechnungs- und Erfolgsunrechtshaftungskonzeption ineinander übergehen. 1194 Soweit im Schrifttum bei der Begründung der hier interessierenden Befugnis des Zielstaates auf das Vorliegen von "Verantwortlichkeit" des Basenstaates abgestellt wird, wird dies nicht (so bei Frowein, Academie de droit international de La Haye (Hg.), Terrorisme international, S. 68) bzw. nicht explizit (so bei Charpentier, RGDIP 65 (1961), S. 314f.) im Rahmen der Auslegung des Art. 51 SVN relevant; auch die Unterscheidung von erfolgs- und verhaltensbezogener Rechtswidrigkeit wird in diesem Zusammenhang nicht thematisiert; explizit mit einer rein erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbestimmung im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts arbeitet hingegen Franzke (ÖZöR 16 (1966), S. 133f.; Schutzaktionen, S. 91 f. , 108), der (ebd.) auch überzeugend dartut, derart verstandene Rechtswidrigkeit reiche für eine Repressalienbefugnis wegen deren andersartiger Funktion nicht aus; Franzke geht es allerdings um die Begründung einer völkergewohnheitsrechtliehen Selbstverteidigungsbefugnis in Fällen der Unfähigkeit, Gewaltakte gegen Fremde auf dem eigenen Territorium zu verhindern; keiner der genannten Autoren setzt sich mit denkbaren Einwänden gegen die Möglichkeit einer rein erfolgsbezogenen Bestimmung der Rechtswidrigkeit in der Notwehrregelung auseinander. 1195 Übereinstimmend in bezugauf den israelisch-libanesischen Konflikt Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 241.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
denz hin zur Erfolgsunrechtshaftung zu erkennen. Dieser Befund steht nicht im Widerspruch zu Art. 23 ILC-Entwurf, in dem es heißt: "When the result required of a State by an international obligation is the prevention, by means of its own choice, of the occurrence of a given event, there is a breach of that obligation only if, by the conduct adopted, the State does not achieve that result".
Zwar kann dieser Text im Sinne einer uneingeschränkten Erfolgsunrechtshaftung gelesen werden 1196, doch macht die Kommentierung zu Art. 23 deutlich, daß eine solche Lesart der Intention der ILC nicht entspricht1197. Was die Möglichkeit einer Analogie zu Rechtsentwicklungen in anderen Bereichen besonders gefährlicher Aktivitäten anbetrifft, so ist insbesondere an das bei der Diskussion der Zurechnungsfrage 1198 formulierte Gegenargument von den nicht notwendig gleichartigen staatlichen Überwachungsmöglichkeiten zu erinnern 1199. Dürfte danach auch eine Erfolgsunrechtshaftung des Basenstaates in der Unfähigkeitskonstellation derzeit nicht zu begründen sein 1200, so ist damitangesichtsder andersartigen Regelungsfunktion des Selbstverteidigungsrechts (es geht hierbei nicht um Restitution sondern - zumindest in erster Linie - um Prävention) der Erfolgsunrechtsthese nicht von vomherein der Boden entzogen. In diesem Zusammenhang ist zunächst aufschlußreich, daß die Rechtsauffassung der Zielstaaten in den meisten Fällen am besten im Sinne der Erfolgsunrechtsthese zu erklären ist 1201 . So wird häufig ungeachtet der Unfähigkeit des Basenstaates und der Nichtgeltendmachung von Ersatzansprüchen gegen diesen Staat von dessen "responsibility" gesprochen 1202. 1196 Darauf weist Zemanek in seinem kritischen Beitrag in FS R. Bindschedler, S. 323 ff. , hin. 1197 Dazu ausf. Wolf, ZaöRV 45 (1985), S. 256ff. 1198 Oben sub aa)(1). 1199 Kilian (oben Fn. 1169) setzt dieses Argument gerade in bezug auf die Haftungsfrage ein. 1200 Nach h.L. scheidet eine Erfolgsunrechtshaftung in der Unfähigkeitskonstellation aus; vgl. nur Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 241 ; Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 102f.; Dinstein, FS Ago II, S. 146; Kilian, NZWehrr 24 (1982), S. 124; hierzu neigend auch Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 270; einer Auseinandersetzung mit der Streitfrage, ob die Haftung des Basenstaates in den anderen Verwicklungskonstellationen dogmatisch als Verhaltensunrechts- oder als Verschuldenshaftung zu qualifizieren ist, bedarf es hier nicht. 1201 Um mehr als einen Erklärungsversuch kann es sich nicht handeln, da sich die Staaten auf eine Erörterung rechtlicher Subtilitäten durchweg nicht einlassen. 1202 Vgl. die Stellungnahmen Frankreichs im Algerienkonflikt (oben unter B.II. 10. in Fn. 155), Portugals im Konflikt um Guinea-Bissaus (oben unter B. ll. 16. in Fn. 209), und des Iran im Konflikt mit dem Irak vom April 1992 oben unter B. I. 27. b) bei Fn. 390); die oben unter B. II. 22. in Fn. 269 zit. Stellungnahme Süd-
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Beachtlich ist auch die nicht auf einen bestimmten Konflikt bezogene Rechtsäußerung des US-amerikanischen Außenministers vom 29. Mai 1974, wonach "it is the established policy of The United States that a State is responsible for the international armed force originating from its territory, whether that force be direct and overt or indirect and covert'" 203 . Es gibt demnach Anhaltspunkte dafür, daß in der Praxis selbst für die Unfähigkeltskonstellation von einer Verantwortlichkeit des Basenstaates ausgegangen wird, einer Verantwortlichkeit allerdings, die angesichts der Nichtgeltendmachung von Ersatzansprüchen mit Dinstein 1204 als "nominal international responsibility" qualifiziert werden kann. Mit "nominal (international) responsibility", so darf vermutet werden, wird nichts substantiell anderes bezeichnet als strikt erfolgsbezogene (Völker-)Rechtswidrigkeit. Dieser Befund stellt freilich noch keine im Rahmen der Auslegung von Art. 51 SVN erfolgte Begründung von mehr als nur geringem Gewicht für die Erfolgsunrechtsthese dar. Insoweit ist vorweg zu überlegen, ob in der Unfähigkeitskonstellation von Erfolgsunrecht gesprochen werden kann. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn das "due diligence-Kriterium" als Bestandteil bereits des Tatbestandes der jeweiligen Gebotsnorm angesehen werden müßte. Entsprechenden Erwägungen im Rahmen der Diskussion zu afrikas deutet dieselbe Sichtweise zumindest stark an; in einer der ausführlichsten einschlägigen Stellungnahmen Israels (SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 4 ff.) ist zwar nicht von "responsibility" die Rede, doch heißt es "Israel is entitled to expect that the territory of Lebanon will not be permitted to serve . .. as a launehing pad for murderaus attacks against its citizens" (ebd., S. 6 (par. 61)) und "confronted by repeated PLO outrages coupled with the inability of the Lebanese Government to fulfil its international obligations, Israel cannot be expected to sit back passively ... (Hervorh. v. Verf.)". Auch diese Formulierungen lassen sich mit der Erfolgsunrechtsthese zwanglos in Einklang bringen. Insbesondere klingt in dem hervorgehobenen Teil unverkennbar der folgende unmißverständlich im Sinne des Vorliegens von Erfolgsunrecht formulierte Satz Garda-Moras (Hostile Acts, S. 30) an: "if a state has obviously used all means at its disposal to prevent a hostile act of a person against a foreign nation but is physically unable to suppress it, it certainly has not discharged its international duty". Letzterer Satz wird von demselben Blum in GYIL 19 (1976), S. 236, beifällig zitiert, der im Namen Israels die in Rede stehende Stellungnahme abgegeben hat. Ob die Rechtsauffassung Israels darüber hinaus mit der von Blum in dem zitierten Aufsatz privat geäußerten Rechtsüberzeugung übereinstimmt, daß "the target state .. . is entitled to regard the sanctuary state itself as the aggressive attakker, irrespective of whether that state has been unwilling or merely unable to curb the terrorist activities from its territory" (S. 236), bleibt zweifelhaft. 1203 AJIL 68 (1974), S. 736; liest man diese Rechtsäußerung zusammen mit derjenigen des Außenministers desselben Staates vom Juni 1916, wonach die "inability (grenzübergreifende Gewaltakte Privater zu verhindern; Verf.), as this Government has had occasion in the past to say, may excuse the failure to check . .. " (Hackworth, Digest II, S. 297, Herv. v. Verf.), so gelangt man zu der Annahme von Erfolgsunrecht in der Unfähigkeitskonstellation. 1204 Self-Defence, S. 240; FS Ago II, S. 146.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Art. 23 ILC-Entwurf ist Zemanek 1205 u.a. unter Hinweis auf Art. 22 Abs. 2 der Wiener Diplomatenrechtskonvention überzeugend entgegengetreten. Auch mit der vorstehend referierten Staatenpraxis speziell im Hinblick auf die Unfähigkeitskonstellation ist eine Tatbestandslösung nicht zu vereinbaren. Richtigerweise ist das "due diligence"-Kriterium nicht der Tatbestands-, sondern entweder der (Verhaltens-) Unrechts- oder der Schuldebene zuzuordnen. Deshalb ist es möglich, in der Unfähigkeitskonstellation von Erfolgsunrecht zu sprechen. Ausschlaggebende Bedeutung kommt demnach der Antwort auf die Frage zu, ob nicht die Erfolgsunrechtsthese 1206 eine zu weitgehende "Ausdünnung" der Rechtswidrigkeit bedeutet, bzw. das Rechtsbewährungsgegenüber dem Schutzprinzip zu sehr in den Hintergrund treten läßt. Interessante Erkenntnisse insoweit lassen sich aus der Diskussion über die Bestimmung des Rechtswidrigkeitsbegriffs in den Notwehrbestimmungen des deutschen Rechts gewinnen. Nachdem hier zunächst recht eindeutig die erfolgsbezogene Begriffsbestimmung vorherrschte 1207 , ist inzwischen 1208 die Ansicht jedenfalls im Vordringen begriffen, Rechtswidrigkeit im Sinne der Notwehrbestimmungen setze Verhaltensunrecht voraus. Bei flüchtiger Betrachtung könnte diese Entwicklung (bei Nachweisbarkeit ähnlicher Tendenzen in anderen nationalen Rechtsordnungen) gegen die Erfolgsunrechtsthese in Anspruch genommen werden. Genaueres Hinsehen hingegen legt eher das gegenteilige Vorgehen nahe: So muß bedacht werden, daß die ursprünglich h.L. im Kern auf eine Zeit zurückgeht, in der der "rechtfertigende Notstand" im deutschen Strafrecht noch nicht anerkannt war 1209 . Und eben der systematische Zusammenhang der Notwehr- mit den Notstandsregelungen ist es, der heute die gewichtigsten Argumente dafür liefert, den Rechtswidrigkeitsbegriff in den deutschen Notwehrbestimmungen handlungsbezogen zu verstehen 1210 . Auch wenn man der These nicht In FS R. Bindschedler, S. 329f. Soweit man die insbesondere von der ILC vertretene Auffassung (Nachw. oben unter D.II.l.a)aa) in den Fn. 889 bzw. 879 weiterhin als richtig unterstellt, daß der völkerrechtliche Selbstverteidigungsrechtsbegriff das Vorliegen von Völkerrechtswidrigkeit zur Voraussetzung hat (dazu oben unter D. II. l.a)aa)), und daß dementsprechend die Regelungsprinzipien des Art. 51 SVN Schutz- und Rechtsbewährungsprinzip sind (dazu oben unter D.II.l.a)cc). 1207 Umfangreiche Nachw. bei Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 38 ff. 1208 Ein wichtiges Datum markiert hier sicher die Publikation der eingehenden Untersuchung Felbers, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, im Jahre 1979, in der eine verhaltensbezogene Begriffsbestimmung befürwortet wird; zu den Folgerungen speziell für Unterlassungen s. ebd., S. 198 f. 1209 Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 2. 12 10 Vgl. nur die Ausführungen Felbers, Die Rechtswidrigkeit in den Notwehrbestimmungen, S. 116f., S. 129ff. 1205
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
279
zustimmen möchte, das Notwehr- bzw. Selbstverteidigungsrecht sei auch ein Fall des Notstandsrechts 1211 , so legt doch der Blick auf die Entwicklung im deutschen Recht den Schluß nahe, daß es eine unverrückbar vorgegebene Bestimmung des Rechtwidrigkeitsbegriffs in Notwehr- bzw. Selbstverteidigungsbestimungen nicht gibt, daß vielmehr der Systematik der beiden Eingriffsbefugnisse Notwehr bzw. Selbstverteidigung und Notstand im jeweiligen Rechtsbereich maßgebliche Bedeutung zukommt. Gemäß dem oben 1212 erzielten Auslegungsergebnis ist die Begründung der Zulässigkeil eines dem Art. 2 Ziff. 4 SVN unterfallenden Gewalteinsatzes unter dem Gesichtspunkt des Notstandes nicht möglich. Angesichts dessen kann die Bestimmung des Rechtswidrigkeilsbegriffs im Rahmen der Selbstverteidigungsbestimmung der SVN bzw. die Abgrenzung von (zulässigkeitsbegründender) Selbstverteidigung und (nicht zulässigkeitsbegründendem) Notstand anders ausfallen als im nationalen Recht oder auch im Völkergewohnheitsrecht, soweit diese Rechtsordnungen sowohl Notwehr bzw. Selbstverteidigung als auch Notstand als Unrechtsausschlußgründe anerkennen1213. Dies läßt es im Rahmen der SVN begründbar erscheinen, das Schutzprinzip gegenüber dem Rechtsbewährungsprinzip durch eine rein erfolgsbezogene Bestimmung der Rechtswidrigkeit deutlich in den Vordergrund zu stellen und so die Selbstverteidigungsregelung auf Fallkonstellationen zu erstrecken, die in einem Seihtverteidigung und Notstand einschließenden System von Eingriffsbefugnissen vielleicht besser dem Notstand zugeordnet würden. Vielleicht läßt sich in Anknüpfung an Stuesser gegen die Erfolgsunrechtsthese und die hiermit verbundene Zurücksetzung des Rechtsbewährungsgedankens der Einwand formulieren, daß "sovereignty and the territorial integrity of nation states are paramount principles of international law and ought not lightly be supervened'" 214 . Insoweit ist jedoch nicht nur (unter dem Gesichtspunkt der Eingriffsintensität) an die bereits oben 1215 betonten engen Grenzen der in Rede stehenden Selbsverteidigungsbefugnis zu erinnern, sondern speziell im Hinblick auf die Unfähigkeitskonstellation 1211 Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 128; Nachw. für die entsprechende These für das Völkerrecht oben unter C. II. 2. a) bb) in Fn. 628 und unter C. II. 2. b) in Fn. 630. 1212 Unter D. I. l. e). 121 3 Zur Problematik des Nachweises der Geltung einer Notstandsnorm des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts entsprechend Art. 33 ILC-Entwurf vgl. die Andeutung oben unter D.I.l.e) in Fn. 783; Franzke, der auch für den Fall der Geltung einer allgemeinen völkergewohnheitsrechtliehen Notstandsregelung einer rein erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbestimmung im Rahmen des völkergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts den Vorzug gibt (ÖZöR 16 (1966), S. 132f.) setzt sich mit diesem Gesichtspunkt nicht auseinander. 1214 CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 20. 1215 Unter D. II. l. a)cc).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
kann einmal (unter dem Gesichtspunkt des Gewichts der vom Eingriff betroffenen Rechtsposition) repliziert werden, daß die Unfähigkeit des Basenstaates dessen schwache Gebietshoheit dokumentiert, zum anderen ist hier (wiederum unter dem Gesichtspunkt der Eingriffsintensität) der Hinweis 1216 darauf am Platz, im Wege der Selbstverteidigung würde nur Gewalt eingesetzt, die der Basenstaat von Rechts wegen selbst einzusetzen habe. Ein die Argumentation im Sinne der Begründbarkeil der Erfolgsunrechtsthese entkräftendes Gegenargument ergäbe sich allerdings dann, wenn für das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN eine Begrenzung durch ein selbständig neben dem Notwendigkeits- stehendes Verhältnismäßigkeitskriterium kategorisch abzulehnen sein sollte. Denn einer derart weitreichenden Selbstverteidigungsbefugnis müßte eine gegenüber der Erfolgsunrechtsthese stärkere Betonung des Rechtsbewährungsprinzips korrespondieren. Das hier erwogene Gegenargument soll nicht einfach mit dem Hinweis darauf abgetan werden, der IGH habe im Nicaragua-Urteil 1217 die Geltung eines selbständigen Verhältnismäßigkeitserfordernisses pauschal anerkannt. Zunächst einmal sagt der Text des Art. 51 SVN über ein Verhältnismäßigkeilserfordernis nichts. Hieraus ist allerdings -jedenfalls insoweit ist dem IGH zuzustimmen - nicht auf den kategorischen Ausschluß eines solchen Erfordernisses zu schließen. Vielmehr ist auch hier der Zusammenhang mit dem (fehlenden) Notstand zu beachten. Enthielte die SVN eine Notstandsregelung mit dem insoweit üblichen Verhältnismäßigkeitskriterium 1218, so ließe sich hieraus für Art. 51 SVN ein gewichtiges argurnenturn e contrario ableiten. Ohne eine solche Regelung ist es möglich und geboten, Verhältnismäßigkeit und Rechtsbewährungsprinzip in ihrer gegenläufigen Tendenz 1219 im Wege der teleologischen Interpretation in Beziehung zu setzen 1220 • Dieser Ansatz wird an verschiedenen Stellen dieser Arbeit 1221 fortzuführen sein. Hier genügt die Feststellung, daß für das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN eine Begrenzung durch ein selbständig neben dem Notwendigkeitskriterium stehendes Verhältnismäßigkeilsprinzip nicht kategorisch abzulehnen ist. Nach alldem steht fest, daß Auslegungsgesichtspunkte von mehr als nur sehr geringem Gewicht für die Erfolgsunrechtsthese formuliert werden Dinsteins in Self-Defence, S. 240, und FS Ago II, S. 146. ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 194). 1218 Vgl. nur Art. 33 ILC-Entwurf oder den Normvorschlag Radkes, Notstand, S. 206. 1219 Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, s. 129. 1220 Ähnlich Pillitu, Stato di necessita, S. 216 f. 122 1 Vgl. die Ausführungen unten unter D. II.2.a) cc)(l) und b)cc)(3). 1216
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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können. Daraus folgt, daß die Anwendung von Gewichtungsregel (3) auch im Hinblick auf die Unfähigkeilskonstellation die Annahme eines individuellen Selbstverteidigungsrechts des Zielstaates nach Art. 51 SVN stützt 1222 • Auf eine Entscheidung in der Frage, ob der Selbstverteidigungsbegriff wirklich ein (Völker-)Rechtswidrigkeitserfordernis impliziert, kommt es danach nicht mehr an. Ebensowenig ist es erforderlich, näher auf den weiteren denkbaren Ansatz zur Begründung einer auf den bewaffneten Angriff der Privaten bezogenen Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates einzugehen: Sollte die im Schrifttum teilweise vertretene bzw. erwogene These zutreffen, daß der Basenstaat in einer Unfähigkeitskonstellation verpflichtet sei, einem gegen die Positionen der Privaten gerichteten Gewalteinsatz entweder durch den Zielstaat selbst 1223 oder durch eine Internationale Organisation 1224 zuzustimmen, so könnte in der Verweigerung einer solchen Zustimmung ein mit 1222 Die sich aus den Darlegungen dieses Textabschnitts i. V. insbesondere mit den Ausführungen sub D. II. I. a) ergebende Begründung der Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates entspricht keiner der oben unter C. II. 2. a) - c ), insbesondere der unter a) bb) referierten Selbstverteidigungslösungen ganz (vgl. jedoch die oben unter C. II. 2. a) bb) in Fn. 627 notierten Schwierigkeiten bei der Deutung der Position Charpentiers). Gemäß dem oben unter A. IV. a. E. formulierten Vorbehalt zu auf Gewichtungsregel 3 (und 2) gestützten Gesamtauslegungsergebnissen bleibt bei Nachweis eines entsprechenden partikularen Konsenses in einem Konflikt zwischen konsentierenden Staaten die Vemeinung der hier angenommenen Selbstverteidigungsbefugnis möglich. Erwägen läßt sich eine derartige partikulare Abweichung etwa für das Verhältnis der Rio-Vertragstaaten zueinander. Doch sei bedacht, daß mit dem Rekurs auf Art. 3 Rio-Vertrag und dessen Erfordernis eines staatlichen bewaffneten Angriffs der erforderliche Nachweis nicht erbracht ist, da letztere Bestimmung keine abschließende Aussage über den Umfang des individuellen Selbstverteidigungsrechts zwischen den Vertragstaaten trifft. Auch könnte gefragt werden, ob in Westeuropa bzw. einem Teil hiervon die Locarno-Tradition (zur Relevanz von Art. 2 Locamo-Vertrag für den Untersuchungsgegenstand oben unter D. II. I. a)dd)(2)(b)(cc)) dergestalt fortwirkt, daß die in Rede stehende Selbstverteidigungsbefugnis ausscheidet. Dann müßte der Nachweis gelingen, daß die bzw. einige westeuropäische Staaten die Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates in Unfähigkeits- und ggf. in Sorgfaltswidrigkeits- und Duldungskonstellation inter se anders beurteilen als erga omnes (zur Beurteilung erga omnes s. die Stellungnahme der EG-Mitgliedstaaten zu grenzübergreifenden Gewalteinsätzen der Türkei im Kurden-Konflikt oben unter B. II. 26.). 1223 So erwogen von Frowein in einem Redebeitrag in BDGV 26 (1985), S. 147 (Direktbezug: Gewaltakte gegen Fremde auf dem Territorium des Basenstaates, aber sicher übertragbar), und wohlwollend aufgenommen von Hailbronner in seiner Replik, ebd., S. 152, sowie vorsichtig de lege ferenda postuliert von Carrillo Salcedo, Academie de droit international de Ia Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 27 f. (principe 2.3). 1224 So Garcfa-Mora, Hostile Acts, S. 30; ablehnend Kilian, NZWehrr 24 (1982), s. 128.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
dem bewaffneten Angriff der Privaten in hinreichendem Zusammenhang stehendes (Verhaltens-)Unrecht des Basenstaates gesehen werden 1225 . Schließlich ergibt sich aus dem vorstehend erzielten Auslegungsergebnis die praktisch relevante Erkenntnis, daß es für die Befugnis des Zielstaates zur individuellen grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung weder auf die Feststellung von Sorgfaltswidrigkeit in tatsächlicher noch auf die konkrete Ausgestaltung des Sorgfaltswidrigkeitsgebots in rechtlicher Hinsicht ankommt. Die für die Grenzziehung zwischen Sorgfaltswidrigkeitsund Unfähigkeitskonstellation relevanten Fragen, ob dem Basenstaat jedenfalls Sorgfaltswidrigkeit anzulasten ist, wenn er keine "Infrastruktur" zur Bekämpfung von von seinem Territorium ausgehenden Gewaltakten Privater aufweist, und bejahendenfalls, welcher Art diese "Infrastruktur" zu sein hat, um den Sorgfaltswidrigkeitsvorwurf zu vermeiden 1226, sind demnach allein von haftungsrechtlichem Interesse. (2) Zu möglichen Besonderheiten in Unfähigkeitskonstellationen bei vollständigem Zerfall der Staatsgewalt- zugleich Auseinandersetzung mit "Untergangslösung(en)" Mindestens in der oben 1227 berührten Phase des israelisch-libanesischen Konflikts geht das Vorliegen einer Unfähigkeitskonstellation mit dem vollständigen Zerfall der Staatsgewalt in dem Territorium einher, von dem aus Private grenzübergreifende bewaffnete Angriffe durchführen. Dies hat die oben 1228 angesprochene Fragestellung provoziert, ob nicht in einer derartigen Situation der Untergang des Basenstaates mit der Folge der Unanwendbarkeit des satzungsrechtlichen Gewaltverbots angenommen werden sollte. So nahe letztere Überlegung auch liegt, ihr steht der schlichte Befund entgegen, daß innerhalb der Staatengemeinschaft derzeit ein Konsens darüber besteht, daß die Staatlichkeil zumindest den vorübergehenden Zerfall der Staatsgewalt überdauern kann, mit anderen Worten, daß die Drei-Elemente-Lehre für den Staatenuntergang nicht ohne weiteres gilt 1229• Nicht 1225 Die (an und für sich richtige) Feststellung Hailbronners, BDGV 26 (1985), S. 152, die Verweigerung der Zustimmung sei nicht gleichbedeutend mit einem bewaffneten Angriff, ginge vor dem Hintergrund der im Text begründeten Auslegung von Art. 51 SVN ins Leere. 1226 Dazu l(jlian, NZWehrr 24 (1982), S. 132, und Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 224ff., insbes. 241. 1227 Unter B. II. 25.e). 1228 Unter C.ll.2.d)bb). 1229 Zur Gebotenheit einer differenzierenden Anwendung der Drei-ElementeLehre (G. Jellineks) treffend Schiedermair, JAI6 (1984), S. 641.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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nur die Behandlung des Libanon 1230, sondern jüngst auch diejenige Somalias durch die Staatengemeinschaft kann als Beleg für besagte Rechtsauffassung gelten. Während der Sicherheitsratsdebatte im Vorfeld der Annahme von Resolution 794 wird von verschiedenen Staaten geäußert, der Fall Somalia sei insofern einzigartig, als man es mit einem Staat ohne Regierung zu tun habe 1231 • Der zweite Präambelabsatz von Resolution 794 1232 muß als Bestätigung dieser Sichtweise gesehen werden. In Übereinstimmung mit der Kontinuitätsvorstellung ist im israelisch-libanesischen Konflikt nicht einmal von seiten Israels die Untergangslösung bemüht worden, um die Satzungskonformität des Gewalteinsatzes im Libanon zu begründen. Die Untergangslösung findet demnach zur Zeit nicht die geringste Stütze in der Staatenpraxis. Allerdings bleibt eine modifizierte Untergangslösung denkbar, bei der nicht auf den Untergang der Staatsqualität, sondern auf denjenigen der Gebietshoheit abgestellt wird 1233 . Eine solche modifizierte Untergangslösung setzt zweierlei voraus: Zunächst dürfte die Gewaltanwendung in einem bestimmten Gebiet nur gegenüber demjenigen Staat als Eingriff in eine Rechtsposition zu qualifizieren sein, der Gebietshoheit über dieses Territorium innehat. Darüber hinaus müßte die Anwendbarkeit des satzungsrechtlichen Gewaltverbots einen derartigen Eingriff zur Bedingung haben. Für die erste Voraussetzung hat Meier vor allem die Überlegung angeführt, daß die territoriale Souveränität als solche durch einen Gewalteinsatz nicht beseitigt werden, und so das durch einen Gewalteinsatz betroffene Gebietsrecht nur die Gebietshoheit sein könne 1234 . Bemerkenswerterweise wird die zweite Voraussetzung von demselben Autor hingegen ausdrücklich verworfen: Das satzungsrechtliche Gewaltverbot, so heißt es, erfasse auch den Gewalteinsatz in (gebiets-)hoheitslosen Gebieten 1235 . Soweit der Wegfall der Gebietshoheit des Basenstaates im Rahmen der späteren Praxis überhaupt betont wird, geschieht dies vielleicht im Sinne der differenzierenden Betrachtungsweise Meiers, sicher aber nicht im Sinne eines Widerhalls der modifizierten Untergangslösung. So wird zwar hinsichtlich der jüngsten Gewalteinsätze der Türkei auf irakisehern Territorium 1236 von seiten der 1230 Hierzu zutreffend Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 258 (Fn. 175). 123 1 Hierzu ausf. Greenwood, The World Today February 1993, S. 37 mit Nachw. in Fn. 24. 1232 Textabdruck in VN 1993, S. 65. 1233 Die oben unter C. II. 2. d) bb) in Fn. 643 zitierte Formulierung Tomuschats zielt vorsichtig in diese Richtung. 1234 Der bewaffnete Angriff, S. 34, S. 43 f.; Meier verweist daneben (S. 35 ff.) auf jedenfalls in unserem Zusammenhang nicht hinreichend aussagekräftige Praxis. 1235 Der bewaffnete Angriff, S. 46. 1236 Oben unter B. II. 26.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Türkei das "Autoritätsvakuum" und von den EG-Mitgliedstaaten die "absence of legal authority" im Nordirak betont. Doch bleiben beide Stellungnahmen den entscheidenden zweiten Schritt hinter einer Argumentation im Sinne der modifizierten Untergangslösung zurück, da mit dem Hinweis auf "Autoritätsvakuum" bzw. "absence of legal authority" nicht die Rechtsansicht verbunden wird, der türkische Gewalteinsatz sei dem Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN bereits tatbestandlieh entzogen. Sowohl dieser als auch bereits die relevante Phase des israelisch-libanesischen Konflikts Anfang der 80er Jahre dokumentieren allgemeine Übereinstimmung darin, daß das satzungsrechtliche Gewaltverbot den Gewalteinsatz in einem Gebiet, über das Gebietshoheit (des Basenstaates zeitweise) nicht ausgeübt wird, jedenfalls dann erfaßt, wenn territoriale Souveränität (des Basenstaates) an demselben Gebiet (fort-)besteht. Hat sich die Untergangslösung als unvereinbar mit der Staatenpraxis zur völkergewohnheitsrechtliehen Frage des Staatenuntergangs erwiesen, so widerspricht danach ihre Modifikation eindeutig der späteren Praxis zu Art. 2 Ziff. 4 SVN. Danach bleibt zu überlegen, ob der Wegfall der Staatsgewalt des Basenstaates die sub (1) auf der Grundlage von Gewichtungseegel (3) entwickelte Begründung der Satzungskonformität des (Gegen-) Gewalteinsatzes des Zielstaates auf der Ebene des Art. 51 SVN beeinflußt. Das ist davon abhängig, ob die Feststellbarkeil von Eingriff und Erfolgsunrecht an die territoriale Souveränität oder Gebietshoheit des Basenstaates geknüpft werden. Bei "souveränitätsbezogener Betrachtung" (kennzeichnend für die Debatten der frühen 80er Jahre zu den israelischen Gewalteinsätzen im Libanon) sind Eingriff (in eine Rechtsposition des Basenstaates) und Erfolgsunrecht (auf seiten des Basenstaates) zu bejahen, und die sub (1) entwickelte Begründung für die Anwendung von Art. 51 SVN gilt ohne Veränderung. Wählt man dagegen - in Anknüpfung an die Überlegungen Meiers und wie andeutungsweise in der Debatte zu den türkischen Gewalteinsätzen im Nordirak in den Jahren 1991 und 1992 geschehen - einen gebietshoheitsbezogenen Ansatz, so entfallen sowohl Eingriff als auch Erfolgsunrecht Bei diesem konstruktiven Ansatz paßt Art. 51 SVN auf der Grundlage des insbesondere von der ILC vertretenen Selbstverteidigungsbegriffs mangels Völkerrechtswidrigkeit auf seiten des Basenstaates nicht direkt. Dies kann jedoch ein abweichendes Ergebnis nicht begründen, da sich sonst der eklatante Wertungswiderspruch ergäbe, daß die von Art. 2 Ziff. 4 SVN ausgehende Verbotswirkung bei Gebieten, über die keine fremde Gebietshoheit ausgeübt wird, stärker wäre als bei Gebieten, die fremder Gebietshoheit unterstehen. Allein die Begründung der Satzungskonformität wäre demnach bei gebietshoheitsbezogener Betrachtung leicht zu modifizieren: Die durch das Zusammenspiel von auch (gebiets-)hoheitslose Gebiete schützendem Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN mit Völkerrechtswidrigkeit voraussetzendem Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN für den Fall der mit dem
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Wegfall von Gebietshoheit verbundenen Unfähigkeilskonstellation bewirkte wertungswidersprüchliche Verbotswirkung wäre durch eine teleologische Extension von Art. 51 SVN zu beseitigen 1237 . Oder anders gewendet: Von der Selbstverteidigungsrechtsvoraussetzung der Völkerrechtswidrigkeit des Staates, auf dessen Territorium die Selbstverteidigungsmaßnahme durchgeführt wird, wäre für den Fall eine Ausnahme zu machen, in dem erstere Voraussetzung mangels Gebietshoheit dieses Staates nicht erfüllt ist. Denn derselbe Mangel nimmt dem Gewalteinsatz gegenüber letzterem Staat die Eingriffsqualität. Der Wegfall der Staatsgewalt des Basenstaates beeinflußt die sub (1) auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) entwickelte Begründung der Satzungskonformität des (Gegen-)Gewalteinsatzes danach entweder - d. h. bei Anknüpfung von Eingriff und Erfolgsunrecht an die territoriale Souveränität des Basenstaates - gar nicht oder - d. h. bei Anknüpfung von Eingriff und Erfolgsunrecht an die Gebietshoheit des Basenstaates - nur marginal dahingehend, daß Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht nicht für eine direkte Anwendung, sondern für eine solche im Wege teleologischer Extension formuliert werden können. (3) Parallelität und Divergenz zur Selbstverteidigungsproblematik in der "neutralitätsrechtlichen" Unfahigkeitskonstellation zugleich Auseinandersetzung mit der "neutralitätsrechtlichen Anerkennungslösung" Mit ",neutralitätsrechtlicher' Unfähigkeitskonstellation" wird hier kurz eine Situation bezeichnet, in der der Basenstaat nicht in der Lage ist, einen Drittstaat (bzw. ein befriedetes de facto-Regime) daran zu hindern, vom Basenstaatsterritorium aus einen bewaffneten Angriff auf das Territorium des Zielstaates durchzuführen. Es erscheint reizvoll, an dieser Stelle einen vergleichenden Blick auf die Rechtslage, insbesondere die Rechtsposition des Zielstaates, in dieser ähnlich gelagerten Konstellation zu werfen. Die "neutralitätsrechtliche" Unfähigkeitskonstellation hat im Schrifttum nach Inkrafttreten der SVN vermutlich deshalb, weil sie im Rahmen der späteren Praxis nur selten relevant geworden ist 1238 , keine unserer Unfä1237 Diese Begründung einer teleologischen Extension von Art. 51 SVN weicht von der oben unter C. II. 2. b) vorgestellten Analogielösung Pillitus ab. Näher zu dem hier zugrunde gelegten Verständnis der Figur der teleologischen Extension und ihrer Abgrenzung zu derjenigen der Analogie Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 397 ff. 1238 Geltend gemacht worden ist eine "neutralitätsrechtliche" Unfahigkeitskonstellation etwa im Rahmen des Vietnam-Konflikts, als die USA im Frühjahr 1970 Ge-
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
higkeitskonstellation vergleichbare Bedeutung erlangt 1239 . Nur vereinzelt werden die beiden Unfähigkeitskonstellationen zueinander in Beziehung gesetzt. Dabei spricht sich Schindler 1240 dafür aus, beide Unfähigkeilskonstellationen hinsichtlich der Befugnis des Zielstaates zur Vomahme von grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung parallel zu behandeln, d.h. in beiden Fällen ein Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN anzuerkennen. Dagegen bedeutet nach Auffassung Bowetts 1241 der Umstand, daß in dem einen Fall einem bewaffneten Angriff Privater, in dem anderen einem bewaffneten Angriff eines Staates (bzw. eines befriedeten de factoRegimes) begegnet werden soll, auch in rechtlicher Hinsicht einen wesentlichen Unterschied. Bowett geht für beide Unfähigkeitskonstellationen davon aus, der Zielstaat befinde sich gegenüber dem Basenstaat in einer Notstands- und (mangels Völkerrechtswidrigkeit) nicht in einer Selbstverteidigungssituation 1242 . Und da gelten soll, daß "the circumstances in which necessity may excuse the non-observance of the duties imposed by international law restricting the use of force are those in which, as an incidental to the exercise of the right of self-defence, the rights of an innocent state are infringed (Hervorh. v. Verf.)'" 243 ,
ist die interessierende Befugnis des Zielstaates Bowett zufolge in der "neutralitätsrechtlichen" Unfähigkeitskonstellation zu bejahen 1244, dagegen in unserer Unfähigkeilskonstellation von der de lege lata schwer zu erfüllenden Voraussetzung abhängig, daß den Privaten in bezug auf die Vomahme der Gewaltakte (partielle) Völkerrechtssubjektivität zugebilligt werden kann 1245 . Seidl-Hohenveldern schlägt mit seiner oben 1246 referierten "neutralitätsrechtlichen Anerkennungslösung" insofern eine Brücke zwischen SchindZers und Bowetts Positionen, als er mit der Anerkennung der Privaten als Kriegführende ein Instrument bezeichnet, mit Hilfe dessen die Rechtswalt auf dem Territorium Kambodschas mit der Begründung einsetzten, dieser Staat sei nicht in der Lage, von seinem Territorium aus auf dasjenige Süd-Vietnams geführte nord-vietnamesische bewaffnete Angriffe zu verhindern; vgl. zu diesem Aspekt des Vietnam-Konflikts die Beiträge in Falk (Hg.), Vietnam III. 1239 Für eine ausführlichere Spezialbehandlung sei auf Schindlers Beitrag in FS Miaja de Ia Muela II, S. 847 ff. verwiesen. 124 0 In BDGV 26 (1985), S. 39. 1241 Self-Defence, S. 10, 56ff., 171ff. 1242 Self-Defence, S. 56 bzw. 171. 1243 Self-Defence, S. 10. 1244 Self-Defence, S. 173 f. 1245 Self-Defence, S. 56ff.; Bowett meint (S. 56), "the current trend is towards a recognition of the need to impose responsibility on individuals for the same acts which, if undertaken by a state, involve state responsibility", und begrüßt diese Entwicklung. 1246 Unter C. II. 2. h).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Iage übereinstimmend im Sinne der Bejahung einer Befugnis zum (Gegen-) Gewalteinsatz soll gestaltet werden können. Keiner dieser Positionen kann auf der Grundlage der bisher erzielten Ergebnisse uneingeschränkt zugestimmt werden. Die beiden Unfähigkeilskonstellationen sind im Hinblick auf unsere Rechtsfrage in zweierlei Hinsicht parallel und in einem Punkt verschieden gelagert. Die Parallelen bestehen in der Konfrontation des Zielstaates mit einem grenzübergreifenden bewaffneten Angriff sowie im diesbezüglichen Erfolgsunrecht auf seiten des Basenstaates 1247 . Diese Parallelen tragen nach hier vertretener Auffassung die Gleichbehandlung beider Konstellationen im Hinblick auf die individuelle Befugnis des Zielstaates 1248 ; und dies entgegen SeidlHohenveldern, ohne daß es insoweit auf die Anerkennung der Privaten als Kriegführende ankäme. Dagegen weist die Divergenz bezüglich des Angreifers nach dem oben 1249 festgestellten Stand der Rechtsentwicklung 1247 Letztere Parallele ist dann irrelevant, wenn man annimmt, Selbstverteidigungsmaßnahmen setzten keine Völkerrechtswidrigkeit des Staates voraus, auf dessen Territorium sie vorgenommen werden; dementsprechend hat es Dinstein, SelfDefence, S. 195, mit der Begründung eines Selbstverteidigungsrechts aus Art. 51 SVN in der "neutralitätsrechtlichen" Unflihigkeitskonstellation leicht: Ihm genügt der Hinweis auf das Vorliegen eines staatlichen bewaffneten Angriffs. Im übrigen ist ebenso wie bei unserer Unfähigkeitskonstellation (dazu sub (2)) auch bei der "neutralitätsrechtlichen" Unflihigkeitskonstellation der vollständige Verlust der Gebietshoheit des Basenstaates möglich: bei abgeschlossener militärischer Besetzung durch den Drittstaat Bei gebietshoheitsbezogener Betrachtung schiede dann die Annahme von Erfolgsunrecht auf seiten des Basenstaates aus (ebenso wie die Annahme eines Eingriffs in eine seiner Rechtspositionen durch einen Gewalteinsatz des Zielstaates; vgl. speziell hierzu Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 44). Dies nötigte hier anders als im Falle unserer Unfähigkeitskonstellation selbst bei Zugrundelegung des engen, Völkerrechtswidrigkeit voraussetzenden Selbstverteidigungsbegriffs nicht zu einer teleologischen Extension von Art. 51 SVN, da auf die Völkerrechtswidrigkeit des Drittstaates, in allein dessen Gebietshoheit ein Gewalteinsatz des Zielstaates eingriffe, abzustellen wäre. Nach Auffassung der USA war der von ihrem Gewalteinsatz betroffene Teil des Territoriums Kambodschas zum Zeitpunkt des Gewalteinsatzes militärisch von Nord-Vietnam besetzt (Falk (Hg.), Vietnam III, S. 32). Ob und ggf. inwieweit dieser Umstand die Begründung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 SVN, das bereits vor dem Eintritt des Besatzungszustandes bestanden haben soll (ebd., S. 31), verändert, wird nicht ganz deutlich. Immerhin schimmert eine gebietshoheitsbezogene Betrachtungsweise in der Feststellung durch: "We have limited our area of operations to that part of Cambodia from which Cambodian authority had been eliminated" (ebd., S. 32). 1248 In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß die USA zur Begründung ihrer Berufung auf Art. 51 SVN im Rahmen des Kambodscha/Vietnam-Konflikts des Frühjahres 1970 Teile der oben unter D.II. l.a)dd)(2)(b)(aa) referierten älteren Staatenpraxis zu unserer Unfähigkeitskonstellation ins Feld führen ; vgl. dazu im einzelnen die Ausführungen des Rechtsberaters Stevensan in Falk (Hg.), Vietnam III, S. 30. 1249 Unter D. II. I. a)ff).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
auf eine Ungleichbehandlung beider Konstellationen im Hinblick auf die Frage der kollektiven Reaktionsbefugnis hin 1250. Hier ist Seidl-Hohenvelderns "Brückenschlagskonstruktion" insofern von Interesse als erwogen werden kann, einem bewaffneten Angriff durch als Kriegführende anerkannte Private eine hinreichende Nähe zum staatlichen bewaffneten Angriff zu attestieren. Jedenfalls zu widersprechen ist Seidl-Hohenveldern allerdings hinsichtlich der befugnisbegründenden Norm, da diese nach dem lokrafttreten der SVN nicht mehr dem Neutralitätsrecht entnommen werden kann 1251 . Grundlage der etwaigen kollektiven Reaktionsbefugnis wäre vielmehr wiederum Art. 51 SVN, und die "Brückenschlagskonstruktion" diente lediglich zu dessen Aktivierung. (4) Die Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf den Basenstaat Diese ist nach dem für die Sorgfaltswidrigkeitskonstellation oben 1252 erzielten Ergebnis für die Unfähigkeitskonstellation erst recht zu verneinen. cc) Zu möglichen spezifischen Grenzen der (individuellen) Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt Im folgenden geht es allein um die weiterreichende, auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) begründete Se1bstverteidigungsbefugnis. (1) Zur Möglichkeit einer quantitativen Schwelle in Gestalt des Erfordernisses der Schwere der privaten Gewaltakte Oben 1253 ist festgehalten worden, daß die Auslegung des Art. 51 SVN gegen die Beschränkung des Angriffsbegriffs dieser Bestimmung auf schwere Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN spricht, und daß ein Staatenkonsens im Sinne eines solchen Begriffsverständnisses nicht nachweisbar ist. Noch nicht geklärt wurde, ob die Auslegung des Art. 51 SVN 1250 Interessanterweise haben die USA in der von ihnen angenommenen "neutralitätsrechtlichen" Unfähigkeitskonstellation ein kollektives Selbstverteidigungsrecht beansprucht; eine Ungleichbehandlung der beiden Unfähigkeitskonstellationen in bezug auf die Frage einer kollektiven Reaktionsbefugnis wird - mit anderer Begründung als im Text - auch von Dinstein, Self-Defence, S. 195 i. V.m. S. 269, vertreten. 1251 Überzeugend in diesem Sinne Schindler, FS Miaja de Ia Muela II, S. 855, und Greenwood in Dinstein (Hg.), International Law at a Time of Perplexity, S. 277 i.V.m. 283ff. 1252 Unter aa) (3). 1253 Unter D.l. 2. a)ee).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
289
wenigstens hinsichtlich der Subsumierbarkeit privater Gewaltanwendung unter den Begriff des bewaffneten Angriffs die Aufstellung eines Schwereerfordernisses fordert, und/oder ob sich ein Staatenkonsens in diesem Sinne nachweisen läßt. Wenigstens für Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation gilt die oben 1254 dargelegte systematische Argumentation gegen das Schwereerfordernis nicht, da hier mangels Verstoßes gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN der Rekurs auf den Reziprozitätsgedanken ausscheidet. Zur zumindest weitgehenden Entkräftung des auch in bezug auf den nicht-staatlichen bewaffneten Angriff gültigen WOrtlautbefundes oben 1255 bedurfte es aber darüber hinaus eines gewichtigen sytematischen, historischen oder teleologischen Arguments für die restriktive Bestimmung des Angriffsbegriffs. Betrachtet man die oben 1256 referierte Praxis bis zum Inkrafttreten der SVN, so zeigt sich einerseits, daß die Selbstverteidigungsmaßnahmen durchwegs eine Reaktion auf wiederholte Angriffe Privater darstellen 1257 , auf der anderen Seite tritt nicht klar zu Tage, ob diese Beschränkung auf einer Rechtsüberzeugung beruht. Insbesondere bringt die berühmte Webster/Caroline-Formel keine Rechtsüberzeugung im Sinne des Schwereerfordernisses zum Ausdruck 1258 . So muß bereits bezweifelt werden, ob mit der Feststellung, das Selbstverteidigungsrecht berechtige zu "nothing unreasonable or excessive; since the act, justified by the necessity of self-defence, must be limited by that necessity, and kept clearly within it" 1259 überhaupt über die Bekräftigung des Erforderlichkeitskriteriums ("since ... limited by that necessity") hinausgegangen wird. Keinesfalls kann der Gebrauch des Wortes "excessive" im Sinne eines selbständig neben dem Erforderlichkeitskriterium stehenden Verhältnismäßigkeilsgebots dergestalt verstanden werden, daß der Zielstaat zur Duldung leichter grenzübergreifender Gewaltanwendung durch Private unter allen Umständen verpflichtet ist. Ein hinreichend gewichtiges Argument für die restriktive Bestimmung des Angriffsbegriffs liefert die Historie demnach nicht. Möglicherweise läßt sich das Schwereerfordernis aber im Wege teleologischer Auslegung herleiten. Angesichts der Gegenläufigkeit von VerhältnisUnter D.I. 2. a)bb). Unter D.I.2.a)aa). 1256 Unter D.II.l.a)dd)(2)(b)(aa). 1257 Auch beim britischen Gewalteinsatz im berühmten Caroline-Fall geht es nicht um die Abwehr eines isolierten Gewaltaktes Privater: So wird in der ersten offiziellen diesbezüglichen britischen Stellungnahme betont, "Her Majesty ' s subjects in Upper Canada had already severely suffered ; and they were threatened with still further injury and outrage" (Jennings, AJIL 32 (1938), S. 85). 1258 Wohl ebenso Goldie, SJint'IL&Com 14 (1988), S. 631. 1259 Zit. nach Jennings, AJIL 32 (1938), S. 89. 1254 1255
19 Kreß
290
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
mäßigkeits- und Rechtsbewährungsprinzip 1260 ist die Geltung des ersteren jedenfalls 1261 in Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeltskonstellation teleologisch gut zu begründen. Hieraus folgte das Schwereerfordernis jedoch nur dann, wenn das Verhältnismäßigkeltsprinzip für die in Rede stehenden Konstellationen das wesentliche Überwiegen des geschützten gegenüber dem beeinträchtigten Interesse fordern sollte. Dies ist selbst für die sehr "notstandsnahe" Selbstverteidigungsbefugnis in der Unfähigkeltskonstellation zu verneinen. Die Begründung liefert die einem ausdifferenzierten Notstandsrecht1262 eigene unterschiedliche Bestimmung der Verhältnismäßigkeit für Offensiv- und Defensivnotstandsfälle 1263 . Allein für den Offensivnotstand paßt die obige Verhältnismäßigkeitsformel. Dagegen kann dem Defensivnotstandseingriff Verhältnismäßigkeit bereits attestiert werden, wenn das beeinträchtigte das geschützte Interesse nicht wesentlich überwiegt. Analysiert man den Eingriff des Zielstaates in den in Rede stehenden Verwicklungskonstellationen in Notstandskategorien, so muß von einem Defensivnotstandseingriff gesprochen werden, da gerade die Sphäre beeinträchtigt wird, von der die Gefahr ausgeht. Da die oben 1264 begründete Zuordnung des Eingriffs zum Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN sicher nicht dazu führen kann, ein strengeres Verhältnismäßigkeltserfordernis zu statuieren, als es bei Zuordnung zum Notstand am Platz wäre, ist die Orientierung an der Verhältnismäßigkeitsformel des Defensivnotstands geboten. Danach läßt sich das Schwereerfordernis nicht im Wege teleologischer Auslegung aus dem Verhältnismäßigkeltsprinzip ableiten 1265. Dazu oben unter D.II.2.a)bb)(l) bei Fn. 1219. Für eine zwischen Entsendeförderungs- und Duldungskonstellation einerseits und Unfähigkeilskonstellation andererseits differenzierende Bestimmung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs spricht sich Simma in einem Redebeitrag zum "Gewaltverbotsreferat" Schindlers aus (BDGV 26 ( 1985), S. 122). Schindlers Zustimmung hierzu (BDGV 26 (1985), S. 125) bezieht sich allein auf die Entsendeförderungskonstellation. 1262 Ein Befund, daß die bisherige Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts die nachfolgend dargestellte Ausdifferenzierung noch nicht entwickelt habe, stünde der Berücksichtigung letzterer im Rahmen der teleologischen Auslegung von Art. 51 SVN nicht entgegen. 1263 Eine solche Unterscheidung kennt das deutsche Zivilrecht in den §§ 228 und 904 BOB, nicht aber (wenigstens nicht explizit) das deutsche Strafrecht in § 34 StOB; zur Notwendigkeit besagter Unterscheidung zur Vermeidung von Inkonsistenz vgl. die beeindruckenden Darlegungen von Hruschka, Strafrecht nach logischanalytischer Methode, S. 72 ff. 1264 Unter D.II. 2.a)bb)(l). 1265 Nicht nur im Hinblick auf unsere Konstellationen sehr aufschlußreich ist das folgende Bekenntnis Davids (ein Befürworter des Schwerekriteriums): Das Schwereerfordemis, so heißt es in Mercenaires, S. 366, unterdrücke ("supprime") die Verhältnismäßigkeitsfrage, und weiter: Gegenüber leichter Gewaltanwendung sei selbst verhältnismäßige (grenzübergreifende) Selbstverteidigung ausgeschlossen. 1260 1261
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
291
Nicht bestritten werden kann dagegen, daß in bezug auf Gewaltakte Privater vielleicht noch in stärkerem Maße als bei staatlicher Gewaltanwendung der Mißbrauchs- und damit verbunden der Eskalationsgedanke für das Schwereerfordernis bemüht werden können 1266• Doch genügt dieser Gesichtspunkt zur auch nur weitgehenden Entkräftung des Wortlautbefunds nicht. Danach ist festzuhalten, daß die Verneinung des Schwereerfordernisses bei Gewaltakten Privater im Rahmen der Auslegung des Art. 51 SVN, wenngleich nicht deutlich besser (wie bei staatlichen Gewaltakten), so doch auch nicht deutlich schlechter begründbar ist als die Bejahung des fraglichen Erfordernisses. Zu untersuchen bleibt, ob sich die Staaten im Rahmen der späteren Praxis im Sinne des Schwerekriteriums festgelegt haben. Das Bild der zwischenstaatlichen Konfliktpraxis entspricht nahezu vollständig demjenigen der früheren Praxis, so wie es im Rahmen der historischen Auslegung skizziert worden ist: So haben die (Gegen-)Gewalt einsetzenden Zielstaaten in ihren diesbezüglichen Stellungnahmen durchwegs zu verstehen gegeben, sie hätten es mit wiederholten Angriffen Privater zu tun 1267, ohne diesem Umstand erkennbar konstitutive Bedeutung für die Satzungskonformität ihres Vorgehens einzuräumen. David 1268 hat aus der Gesamtheit der Konfliktpraxis in Verbindung mit der spezifischen Schwereklausel des Art. 3 g) der Resolution 3314 das Vorliegen eines Staatenkonsenses im Sinne des Schwereerfordernisses gefolgert. Dem ist zuzugeben, daß das Fehlen von im Widerspruch zum Schwerekriterium stehendem tatsächlichen staatlichen Verhalten über einen derart langen Zeitraum für sich genommen ein starkes Indiz für eine entsprechende Rechtsüberzeugung bilden kann. Doch alle Zweifel sind nicht auszuräumen, auch nicht bei einem genaueren Blick auf den zu Art. 3 g) Resolution 3314 1269 hinführenden Konsensbildungsprozeß. Sicher hat sich hier die Rechtsüberzeugung einer beträchtlichen Zahl von Staaten im Sinne des Schwereerfordernisses manifestiert, auf der anderen Seite muß daran erinnert werden, daß sich der Versuch, die Schwereklausel Wie es etwa bei Stuesser, CalifWint'lLJ 17 (1987), S. 16f., geschieht. Vgl. ftir die beiden jüngsten einschlägigen Konflikte die oben unter B. II. 26. bzw. 27. b) zitierten Stellungnahmen der Türkei, wo von "verstärkten Anschlägen" der Privaten die Rede ist, bzw. des Iran, in der der Umstand betont wird, dem konkreten Angriff, der drei Todesopfer gefordert habe, seien "a number of similar ones" vorausgegangen. 1268 Mercenaires, S. 356f. 1269 Art. 3 g) ist hier nicht deshalb irrelevant, weil er die in Rede stehenden Verwicklungskonstellationen nicht erfaßt. Denn eine aus dieser Bestimmung bzw. aus dem auf sie hinführenden Konsensbildungsprozeß abgeleitete einheitliche Rechtsüberzeugung im Sinne des Schwereerfordernisses im Rahmen des Art. 51 SVN müßte für die nicht erfaßten Verwicklungskonstellationen erst recht gelten. 1266 1267
19'
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
direkt auf den Begriff des bewaffneten Angriffs gemäß Art. 51 SVN zu beziehen, gerade nicht durchgesetzt hat 1270 • Zusammenfassend gilt: Grenzübergreifende (Gegen-)Gewalt wird von den (Ziel-)Staaten in Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation durchwegs erst dann eingesetzt, wenn die Gewaltakte der Privaten über die Schwelle des isolierten und in seiner Wirkung begrenzten Anschlags hinausgehen. Ob diese Enthaltsamkeit auf einer Rechtsüberzeugung beruht, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Die diskutierte quantitative Schwelle ist demnach sicher von geringerer praktischer Relevanz als im Schrifttum weithin angenommen wird. Sie erfaßt höchstens isolierte und ihrer Wirkung nach begrenzte Anschläge oder Grenzzwischenfälle. Jedenfalls sobald sich Gewaltakte Privater, sei es in unmittelbarer Abfolge, sei es als fortgesetzter Angriff im Sinne der Darlegungen oben 1271 , wiederholen, ist die Schwelle passiert, von der an die Annahme eines nicht staatlichen bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN nicht beanstandet werden kann 1272 • (2) Die Grenze hinsichtlich der Ziele des Gewalteinsatzes Insoweit bedarf es an dieser Stelle lediglich der Bezugnahme auf das oben 1273 festgehaltene Ergebnis, daß sich die Selbstverteidigung gegen einen nicht-staatlichen bewaffneten Angriff nur gegen die Positionen der privaten Angreifer richten darf (3) Die zeitliche Grenze In zeitlicher Hinsicht ist eine spezifische Grenze nicht zu verzeichnen. Die Selbstverteidigungsbefugnis ist in unseren Verwicklungskonstellationen wie ansonsten auch strikt durch das allein zulässige Ziel der Angriffsabwehr begrenzt. Reine Vergeltungsschläge sind danach satzungsrechtswidrig. Dagegen kann für solche Gewalteinsätze die Selbstverteidigungsbefugnis in Anspruch genommen werden, die dazu bestimmt, geeignet und notwendig sind, einen fortgesetzten bewaffneten Angriff im Sinne der obigen 1274 Darlegungen abzuwehren.
1270 127 1 1272
127 3 1274
Dazu ausführlich Bruha, Aggressionsdefinition, S. 234 i. V. m. 231 f. Unter D. I. 3. d). Ähnlich Blum, GYIL 19 (1976), S. 233. Unter D. II. I. b) sub (3). Unter D. I. 3. d).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
293
(4) Die Grenzen hinsichtlich der Schädigung Unbeteiligter In Anbetracht der bereits mehrfach betonten 1275 Anwendbarkeit des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts auf grenzübergreifende (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates in unseren Verwicklungskonstellationen können die hier interessierenden Grenzen unter Rekurs auf die Kampfführungsbestimmungen des Konfliktsvölkerrechts fixiert werden. Daraus ergeben sich zunächst einmal die völkergewohnheitsrechtliehen Verbote des gegen Unbeteiligte 1276 gezielten bzw. des Unbeteiligte unterschiedslos treffenden Gewalteinsatzes, so wie sie in den Art. 48 und 51 Absatz 2, 4 und 5a) des 1977er Zusatzprotokolls I zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949 (im folgenden kurz: ZP1) ihre Kodifizierung oder jedenfalls ihre Kristallisierung 1277 gefunden haben. Ob bei der Begründung direkt auf das Konfliktsvölkerrecht Bezug genommen wird oder nicht, die Geltung dieser in gewissem Umfang die sub (2) herausgestellte, direkt aus Art. 51 SVN folgende Grenze der Selbstverteidigungsbefugnis konfliktsvölkerrechtlich verdoppelnden Verbote wird weder in der Praxis noch im Schrifttum bestritten. Hiermit ist das im Rahmen der späteren Praxis im Zusammenhang mit der Schädigung Unbeteiligter virulent gewordene Problem allerdings noch nicht einmal berührt. Letzteres resultiert aus der von den privaten Gewalttätern zum Teil bewußt betriebenen Vermischung mit Unbeteiligten dergestalt, daß sich Kollateralschäden unter letzteren selbst bei äußerster Bemühung um Unterscheidung bei der Bekämpfung ersterer nicht vermeiden lassen 1278 • Ersetzt man "retaliation" durch "defence", so Oben unter D.I.2.a)dd) und insbesondere unter D.II.l.a)ee). Der Begriff "Unbeteiligter" wird hier anstelle desjenigen des ,,Zivilisten" deshalb verwandt, um die Ausklammerung der privaten Gewalttäter deutlich zu machen. Art. 51 Absatz 3 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen spricht die Selbstverständlichkeit aus, daß nur am Gewalteinsatz unbeteiligte Zivilisten den Schutz der hier interessierenden Kampfführungsbestimmungen genießen. 1277 Zum völkergewohnheitsrechtliehen Charakter dieser Bestimmungen etwa v. d. Heydte, Europäische Wehrkunde 26 (1977), S. 552; Penna in: FS Pictet, S. 220; Greenwood, FS Kalshoven, S. 108 f., letzterer zu Art. 51 Absatz 4 und 5 a) mit dem Zusatz, diese "probably constituted a refinement of the customary law, albeil a desirable one" (ebd., S. 109); differenzierend dagegen Oeter, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, demzufolge die Absätze 2 und 4 des Art. 51 Völkergewohnheitsrecht kodifizieren, wohingegen Absatz 5 a) eine Neuerung darstellen soll. 1278 Von seiten Israels ist dieser Umstand immer wieder herausgestellt worden; vgl. statt aller übrigen Stellungnahmen diejenige in SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 5 f.: "The unfortunate fact is that for many years now, the PLO ... has chosen to take cover in villages and refugee camps . . . I must emphasize that it has never been Israel's intention to harm innocent Lebanese civilians. Because of the way the PLO deploys itself, they tragically find themselves caught in the cross-fire". Selbst gegenüber Israels Vorgehen sehr kritische unabhängige Beobachter haben die Exi1275
1276
294
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
bringt Schachter die hierdurch aufgeworfene Rechtsfrage mit der Formulierung auf den Punkt: "The hard question is whether a terrorist base should in effect acquire immunity from retaliation by locating itself in the middle of a city or residential area" 1279 •
Soweit man dieser Frage im Schrifttum überhaupt nachgeht, bleiben die Antworten ganz überwiegend vage 1280 . Wie oben 1281 bereits angedeutet, wird in diesem Zusammenhang häufig entweder direkt oder implizit das Verhältnismäßigkeitsprinzip genannt, im Hinblick auf dessen Anwendung aber höchstens noch die Schwierigkeit der Konkretisierung unterstrichen 1282 . Diesen Stimmen zu folge sind unvermeidbare Kollateralschäden unter Unbeteiligten also im Rahmen eines nicht spezifizierten Verhältnismäßigkeitserfordemisses völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Nur ganz vereinzelt begegnet man Formulierungen, die für eine restriktivere Sichtweise in Anspruch genommen werden können. So schreibt Stuesser: "There will be instances where proximity of terrorist targets to civilian population makes a military response unacceptable. It is no answer for the responding state to pass blame on to the terrorists for purposely hiding among the civilian population. In such situations, military actions, if they cannot pinpoint the terrorist targets, should not be undertaken (Hervorh. v. Verf.)" 1283 .
Die das Schrifttum beherrschende Vagheit findet in der Praxis ihre Entsprechung. Im Rahmen der relevanten Praxis bis zum lokrafttreten der SVN hat das Problem unvermeidbarer Kollateralschäden offenbar nicht im Vordergrund der Auseinandersetzungen gestanden. Dementsprechend ist dieser Praxis im Hinblick auf Schäden unter Unbeteiligten nicht mehr zu entnehmen als die von Webster anläßlich des Carotine-Falles geäußerte Überzeugung, daß die Zulässigkeil grenzübergreifender Gewaltanwendung durch den Zielstaat auch voraussetze, "that there could be no attempt at discrimistenz und die Bedeutung des Vermischungsproblems anerkannt. So heißt es in diesem Zusammenhang in einem 1983 veröffentlichten Bericht einer internationalen Expertenkommission zum israelischen Gewalteinsatz im Libanon des Jahres 1982 (MacBride-Report, S. 59): "The Commission has much evidence of the assertion of the IDF (Israeli Defence Forces; Verf.) that the intermingling of combatants with civilians and the location of military targets within civilian areas made civilian casualties unavoidable, an indirect and collateral result of attacks upon those Iegitimale military objectives". 1279 IYHR 19 (1989), S. 224. 1280 Typisch Schachtees eigene Antwort in dem dem Zitat aus IYHR 19 (1989), S. 224 nachfolgenden Satz: "In answering this, much depends on the magnitude and gravity of the terrorist activity". 1281 Unter C.II.3. 1282 Typisch Levenfeld, ColurnJTransnat'IL 21 (1982), S. 41 ff.; im MacBride-Report, S. 82, heißt es zur Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, jedes Urteil insoweit "is necessarily a subjective one". 1283 CalifWint'ILJ 17 (1987), S. 39f.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
295
nation between the innocent and the guilty" 1284 . In bezug auf die spätere Praxis ist oben 1285 zwar gezeigt worden, daß die Schäden unter Unbeteiligten bei der Verurteilung grenzübergreifender Gewalteinsätze Israels eine sehr bedeutsame Rolle gespielt haben bzw. Kritik an den jüngsten türkischen Gewalteinsätzen hervorgerufen haben. Doch vermittelt auch eine genauere Betrachtung wenig Aufschluß über die Rechtsauffassungen zu der Problematik unvermeidbarer Kollateralschäden. Was die Zielstaaten angeht, so dominiert das Bestreben, die Vereinbarkeit der eigenen Kampfführung mit den beiden genannten unstreitigen Konfliktsvölkerrechtssätzen (ausschließlich militärische Zielsetzung, unterscheidende Kampfführung) herauszustellen 1286• Allein Israel macht darüber hinaus seine Rechtsauffassung unmißverständlich klar, die Unvermeidbarkeit von Kollateralschäden unter Unbeteiligten sei nicht geeignet, militärische Ziele in jedem Fall gegen Bekämpfung zu immunisieren 1287 • Die wohl meisten der zahlreichen Verurteilungen, die die von Israels Gewalteinsätzen verursachten Schäden unter Unbeteiligten hervorgerufen haben, bedeuten deshalb keine direkte Ablehnung dieser Rechtsauffassung Israels, weil ihnen die Annahme von Verstößen gegen zumindest einen der beiden unstreitigen Grundsätze des Konfliktsvölkerrechts zugrunde liegt 1288 . Festlegungen in der interessierenden Rechtsfrage sind ihnen also nicht zu entnehmen. Immerhin ist es möglich, die in Debattenbeiträgen zu Israels Gewalteinsätzen teilweise anzutreffende Kritik am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch auf unsere Rechtsfrage zu beziehen. Wenn einige Israels Kampfführung kritisierende Stellungnahmen wohl dahin zu verstehen sind, die Iokaufnahme erheblicher Kollateralschäden sei in den in Rede stehenden Verwicklungskonstellationen keinesfalls zulässig 1289, so können hierin vielleicht seltene Versuche gesehen werden, das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Ansehung unserer Verwicklungskonstellationen etwas zu konturieren. Zitiert sei hier eine auf den israelischen Gewalteinsatz vom Juli 1981 bezogene britische Rechtsäußerung: Zit. nach Jennings, AJIL 32 (1938), S. 89. Unter B. Il. 25. und 26. 1286 Vgl. etwa für die Türkei die Erklärung des Generalstabschefs vom 13. Oktober 1991 , in der es in bezugauf einen der zahlreichen grenzübergreifenden Gewalteinsätze dieser Zeit heißt: "Wie immer wurden auch bei dieser Operation ausschließlich die Banditenlager als Ziel gewählt. Keine zivile Siedlung wurde Ziel der Operation". 1287 Vgl. noch einmal die Stellungnahme in SCOR, 36th year, 2292nd meeting, S. 5 f. 1288 Vgl. etwa die Nachw. oben unter B. II. 25. e) in Fn. 355. 1289 Es handelt sich vornehmlich um Rechtsäußerungen westlicher Staaten; vgl. etwa die Stellungnahmen der USA, SCOR, 30th year, 1860th meeting, S. I , und Großbritanniens, SCOR, 36th year, 2293rd meeting, S. 5; aber auch diejenige Kameruns in SCOR, 30th year, 1861th meeting, S. 2f. 1284
1285
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
"The scale of recent Israeli actions and the resulting deaths, particularly the civilian casualties, can in no way be justified" 1290.
Eine noch restriktivere Position könnte Deutschland bei seiner oben 1291 bereits erwähnten Kritik an der Kampfführung der Türkei in den jüngsten militärischen Auseinandersetzungen mit kurdischen Privaten eingenommen haben. Deutschland geht bei der Verurteilung der mit den Gewalteinsätzen der Türkei seiner Ansicht nach verbundenen Schädigungen Unbeteiligter nicht gesondert auf den grenzübergreifenden Aspekt des Konflikts ein, sondern qualifiziert letzteren als im Kern interner Natur und führt dementsprechend bei seiner Kritik menschenrechtliche Bewertungsmaßstäbe an. Dies nimmt der Möglichkeit, die deutsche Position im Sinne einer sehr restriktiven Antwort auf die interessierende Rechtsfrage zu deuten, nichts an Interesse. Zwar sind die einschlägigen Informationen des Pressereferats des Auswärtigen Amtes 1292 so formuliert, daß der Eindruck entsteht, man moniere gegen Unbeteiligte gezielte Gewaltanwendung. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung einer zum türkischen Vorgehen vor dem Deutschen Bundestag abgegebenen Erklärung des Staatsmininisters im Auswärtigen Amt, in der es heißt: "Die Auffassung der Bundesregierung zu militärischen Schlägen gegen den Terrorismus, bei denen immer wieder auch die unschuldige Zivilbevölkerung leidet, ist bekannt. Ich verweise auf unsere früheren Erklärungen (Hervorh. v. Verf.)" 1293 .
Diese Formulierung legt es zumindest nahe, daß sich die deutsche Verurteilung der türkischen Kampfführung auch auf die Inkaufnahme von in quantitativer Hinsicht nicht spezifizierten, unvermeidbaren Kollateralschäden bezieht. Damit läge sie auf einer Linie mit der oben angesprochenen restriktiven Sichtweise Stuessers. Eine von einer Mehrzahl von Staaten in bezug auf die türkische Kampfführung geäußerte Rechtsauffassung repräsentierte eine derartige Haltung allerdings nicht. So trifft man etwa im Schlußsatz der oben 1294 bereits auszugsweise zitierten, im Namen von EG und deren Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Parlament abgegebenen und direkt auf die grenzübergreifenden Gewalteinsätze der Türkei bezogenen Stellungnahme nicht auf eine Verurteilung der Türkei, sondern auf die vergleichsweise milde Formulierung: "The Community and its member states regret any casualties which may have occurred among the civilian population (Hervorh. v. Verf.)" 1295 • SCOR, 36th year, 2293rd meeting, S. 5. Unter B. II. 26. 129 2 311/91 vom 09. August 1991 und 109/92 vom 26. März 1992. 1293 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Band 160, S. 6173 (Sitzung vom 23. Januar 1992). 1294 Unter B. II. 26. 1295 Answer to oral question n h-0017/92. 129° 1291
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Nicht ergiebiger ist eine Stellungnahme der Sprecherio des US-amerikanischen Außenministeriums zur türkischen Kampfführung, in der es nur heißt: "We welcome the Turkish Govemment's efforts to act with restraint in response to PKK terrorist provocations, and we urge that every possible step be taken to avoid the death or injury of innocent citizens (Hervorh. v. Verf.)'" 296. Nach alldem kann die Praxis vielleicht am besten dahin zusammengefaßt werden, daß die mit einem grenzübergreifenden Gewalteinsatz des Zielstaates verbundene erhebliche Schädigung Unbeteiligter innerhalb der Staatengemeinschaft mit großer Wahrscheinlichkeit in nennenswertem Umfang Kritik auslösen wird, daß bei dieser Kritik aber eine Stellungnahme zu dem der Verteidigung des Zielstaates dienenden Gesichtspunkt der "Unvermeidbarkeit wegen Vermischung" in rechtlicher Hinsicht überwiegend gemieden und allein auf eine der beiden unstreitigen Kampfführungsregeln des Konfliktsvölkerrechts abgestellt werden wird. Ganz im Unterschied hierzu sind die folgenden Überlegungen ausschließlich der Problematik unvermeidbarer Kollateralschäden unter Unbeteiligten in unseren drei Verwicklungskonstellationen mit dem Ziel gewidmet, aus dem geltenden Völkerrecht etwas bestimmtere Bewertungskriterien zu gewinnen, als Schrifttum und Praxis sie erkennen lassen. Die rechtliche Analyse muß bei Art. 51 Absatz Sb) ZPl ansetzen, in dem es heißt: "Among others, the following types of attacks are to be considered as indiscriminate: ... b) an attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, darnage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated" 1297 . Diese Kampfführungsregel ist entgegen der irreführenden Einleitungsformel nicht Ausfluß des Unterscheidungsgebots, sondern verkörpert einen selbständigen konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1298 , und ist als Kristallisierung von Völkergewohneitsrecht anzusehen 1299 . Aus ihr folgt unmißverständlich, daß der Inkaufoahme auch unvermeidbarer 1296 Der zitierte Passus ist Teil der Antwort Tutwilers auf eine bei einer Pressekonferenz vom 26. 03. 1992 gestellte Frage. 1297 Textabdruck in Roberts/Guelff, Documents on the Laws of War, S. 416; denselben Ansatz wählt der MacBride-Report, S. 80. 1298 Zutreffend Greenwood, FS Kalshoven, S. 108; Oeter, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 141; kritisch gegenüber der Zuordnung von Art. 51 V b) zum Unterscheidungsgebot auch Kalshoven, Constraints on the Waging of War, S. 94. 1299 Greenwood, FS Kalshoven, S. 109; wohl ebenso Oeter, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 145; Penna, FS Pictet, S. 220, spricht sogar von Kodifizierung.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Kollateralschäden in quantitativer Hinsicht Grenzen gesetzt sind. Bevor der Versuch der Konkretisierung dieser Grenzen unternommen wird, ist noch kurz zu bemerken, daß den in Art. 51 Absatz Sb) ZPI statuierten bzw. kristallisierten Grenzen nicht unter Hinweis auf den im Schrifttum teilweise1300 betonten Umstand ausgewichen werden kann, die Vermischung gehöre zur Taktik der privaten Gewalttäter und stehe damit im Widerspruch zu der in Art. 51 Absatz 7 ZP1 kodifizierten Regel Konfliktsvölkerrechts. Der in diesem Zusammenhang allein erwägenswerte Rekurs auf das Institut der konfliktsvölkerrechtlichen Repressalie wird bei vertraglicher Geltung des Art. 51 Absatz 5 b) ZPI durch Art. 51 Absatz 6 ZP1 ausgeschlossen1301. Sofern der in Art. 51 Absatz Sb) ZPI enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur kraft Gewohnheitsrechts bindet, ist ihm gegenüber die Berufung auf konfliktsvölkergewohnheitsrechtliches Repressalienrecht zwar (noch) nicht generell 1302, aber doch in unserer Konstellation ausgeschlossen. Denn zur Begründung eines Repressalienrechts dürfte nicht auf die Vermischungstaktik der privaten Gewalttäter, sondern müßte auf das diesbezügliche Verhalten des Basenstaates abgestellt werden. Die Nichtverhinderung der Vermischung kann zwar in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation unter Umständen als völkerrechtswidrig im Sinne des Repressalienrechts bezeichnet werden (vgl. insoweit die in Art. 58 ZPI enthaltenen Gebote); eine derartige Völkerrechtswidrigkeit erreichte aber sicher nicht das - angesichts der eindeutig zur Beschränkung der konfliktsvölkerrechtlichen Repressalie tendierenden Gewohnheitsrechtsentwicklung 1303 - erforderliche Gewicht. In Übereinstimmung mit diesem Befund ist das Repressalienargument in der einschlägigen Praxis nicht artikuliert worden. Die unbestimmt gehaltene Formulierung des konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeilsprinzips in Art. 51 Absatz Sb) ZP1, wonach der Kollateralschaden nicht "excessive in relation to the concrete and direct military advantage" sein darf, läßt jedenfalls Raum für eine Konkretisierung im Sinne der Defensivnotstandsformel, der zufolge der Eingriff nur dann unverhältnismäßig ist, wenn das beeinträchtigte das geschützte Interesse (wesentlich) überwiegt 1304. Demgegenüber wird hier die These aufgestellt, Etwa von Feinstein, IsrLR 20 (1985), S. 394 (Fn. 129). Art. 51 Absatz 8 ZP1 stellt im Vorfeld klar, daß das Verbot des Absatzes 7 nicht als pflichtbegrenzend in Absatz 5 b) hineingelesen werden darf; dazu Oeter, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 146. 13°2 Vgl. insoweit die überzeugende Argumentation Greenwoods, NYIL 20 (1989), S. 61 ; s. auch lpsen, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. I 036 (Rz. 7). 1303 Die restriktive Tendenz bestreitet auch Greenwood, NYIL 20 (1989), S. 60 f. nicht. 1304 Vgl. etwa die Ähnlichkeit der Verhältnismäßigkeitsfonnel des Defensivnotstands im deutschen Recht (§ 228 BOB) mit der deutschen Übersetzung des Art. 51 1300
1301
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
299
daß in bezug auf unsere Verwicklungskonstellationen einer Konkretisierung im Sinne der Offensivnotstandsformel der Vorzug gebührt, daß also die Inkaufnahme unvermeidbarer Kollateralschäden nur so weit zulässig ist, wie im Verhältnis zu ihnen das hinter dem militärischen Vorteil stehende geschützte Interesse des Zielstaates wesentlich überwiegt. Nach den vorstehenden Ausführungen zu Wortlaut und Geschichte steht fest, daß die Begründung dieser These nur systematisch-teleologischer Natur sein kann. Dies mag auf den ersten Blick befremden, ist doch sub (1) im Rahmen der teleologischen Auslegung dargelegt worden, in Notstandskategorien sei der zielstaatliche Eingriff dem Defensivnotstand zuzuordnen. Diese Qualifizierung soll hier keineswegs zurückgenommen, sondern nur um den Zusatz "gegenüber dem Basenstaat" ergänzt werden. Dieser Zusatz öffnet den Blick für die Möglichkeit einer abweichenden Bestimmung der Verhältnismäßigkeitsformel in dem in Rede stehenden konfliktsvölkerrechtlichen Kontext. Dabei soll nicht behauptet werden, Art. 51 Absatz 5 b) ZPl beinhalte die vollständige völkerrechtliche Verselbständigung der Interessen von Individuen. Hier wie anderorts bewegt sich das Konfliktsvölkerrecht im Gegensatz zum vertragsvölkerrechtlichen Menschenrechtsschutz im Kern in den Bahnen der herkömmlichen Rechtssubjektskonzeption, die den Schutz des Individuums allein rechtsreflexartig ansteuert 1305 . Diese Rechtssubjektskonzeption soll hier nicht mißachtet werden, denn intendiert ist nicht mehr als die Stärkung des durch Art. 51 Absatz 5 b) ZPl reflexartig vermittelten Individualschutzes. In diesem begrenzten Rahmen ist es von Relevanz, daß inzwischen auch die in Art. 51 Absatz 5 b) ZPI enthaltene Kampfführungsbestimmung von der konfliktsvölkerrechtlichen Tendenz hin zu einer gewissen Verselbständigung der Individual- gegenüber den Staatsinteressen erfaßt worden ist, wie sie insbesondere 1306 die schon angesprochene Entwicklung des konfliktsvölkerrechtlichen Repressalienrechts dokumentiert. Diese für Absatz 5 b) ZPI (Sartorius li, Ordnungsziffer 54 a); wenn Bothel /psen/Partsch, ZaöRV 38 (1978), S. 41 , konstatieren, daß die in Art. 51 Absatz 5b) ZPl enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe einer einheitlichen Anwendungspraxis nicht eben förderlich sein werden, so gilt dies sicher auch für den im Text herausgestellten Passus; bezeichnend auch die deutsche Haltung zur näheren Bestimmung der Verhältnismäßigkeitsformel: "Artikel 51 Abs. 5 des I. Zusatzprotokolls verlangt in jedem Einzelfall einer militärischen Aktion eine Abwägung zwischen dem ,erwarteten konkreten und unmittelbaren Vorteil' und den zivilen Begleitschäden. Abstrakte Quantifizierungen sind nicht möglich", Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage in Bundestags-Drucksache 10/445 vom 05.10.1983, S. 11 f., Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, Drucksachen, Band 296. 1305 Diesen Unterschied zwischen Konfliktsvölkerrecht und völkerrechtlichem Menschenrechtsschutz betont Partsch, NZWehrr 16 (1974), S. 4 f. 1306 Daneben kann auf die Nichtgeltung des Unrechtsausschlußgrundes der staatlichen Einwilligung und darüber hinaus mit gutem Grund auf den erga omnes-Charakter der einschlägigen Normen verwiesen werden; zu beiden Aspekten Condorelli/ Boissonde Chazoumes, FS Pictet, S. 22f. bzw. 29ff.
300
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
die Auslegung des Art. 51 Absatz 5 b) ZPl generell gültige Erkenntnis ist mit einer weiteren, speziell auf unsere Verwicklungskonstellationen bezogenen Einsicht zu verbinden. Im typischen Fall des bewaffneten internationalen Konflikts handelt ein Staat in Selbstverteidigung 1307 gegen einen staatlichen bewaffneten Angriff. In dem im Hinblick auf die Bedürfnisse des Verteidigerstaates zugespitzten Fall der unvermeidbaren Kollateralschäden trifft die angesprochene moderne Verselbständigungstendenz möglicherweise noch auf den rudimentär fortwirkenden Gedanken der (materiellen) Kollektivhaftung der Mitglieder des Staates für den von dessen Regierung begangenen völkerrechtswidrigen bewaffneten Angriff1308 und wird hierdurch in ihrer Wirkung abgeschwächt. So läßt es sich, wenn auch vielleicht nicht moralisch rechtfertigen 1309 , so doch historisch-völkerrechtsstrukturell erklären, daß in Art. 51 Absatz 5 b) ZPI eine Formulierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gewählt worden ist, die ohne weiteres Raum für eine Interpretation im Sinne der permissiveren Defensivnotstandsformel läßt. Die wesentliche Divergenz unserer drei Verwicklungskonstellationen zu dem typischen Anwendungsfall des Art. 51 Absatz 5 b) ZP 1 besteht demnach darin, daß mangels bewaffneten Angriffs des Basenstaates keine hinreichende Grundlage dafür besteht, gegenüber der Tendenz der Verselbständigung der geschützten Individualpositionen Rudimente des Kollektivhaftungsgedankens abschwächend ins Spiel zu bringen 1310 • Angesichts dessen erscheint es im Hinblick auf unsere Verwicklungskonstellationen nicht nur zulässig, sondern aus systematisch-teleologischem Blickwinkel sogar stimmiger, bei der Konkretisierung der konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsforrnel anstelle des Basenstaates die betroffenen Unbeteiligten im 1307 Und es sind die Bedürfnisse dieses Staates, die der Normgeber bei der Frage, wie eng die Grenzen der konfliktsvölkerrechtlichen Kampfführungsbestimmungen gezogen werden dürfen, vor Augen haben muß. 1308 Zum Kollektivhaftungsgedanken im Völkerrecht besonders prägnant Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 326 f. 1309 Eine spannende Behandlung der Stellung von "civilians in contemporary wars" auch und insbesondere unter moralischen Gesichtspunkten liefert Best, Air University Review 35 (1984), S. 29ff. Am Ende dieses Beitrags stehen die Fragen: "If war became morally bearable only because it could at least be discriminating, does it remain morally bearable past the point where it cannot be? And with an eye particularly to the civilian, whom the law knows by only the simplest test, should ethics complement it by inviting distinction between civilians who may with some truth be said to have brought war upon themselves and civilians upon whom war comes more like a hurricane from afar?" 1310 Die hier vorgetragene Argumentation findet indirekt eine Bestätigung in den Darlegungen Blums, GYIL 19 (1976), S. 236. Denn Blum führt seine (oben unter D.Il.2.a)aa)(l) i.V.m. bb)(l) abgelehnte) Auffassung, in unseren drei Verwicklungskonstellationen sei ein bewaffneter Angriff des Basenstaates anzunehmen, gerade bei seiner Begründung der Völkerrechtskonformität der Inkaufnahme unvermeidbarer Kollateralschäden unter Unbeteiligten heraus.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
301
Basenstaatsgebiet mit dem Zielstaat ins Verhältnis zu setzen. Damit ist die Begründung der eingangs aufgestellten These erbracht, weist doch der zielstaatliche Gewalteinsatz diesen Unbeteiligten gegenüber Offensivnotstandsqualität auf. Weiter untermauem läßt sich unsere These durch die Einbeziehung der völkerrechtlichen Menschenrechtsentwicklung in die Betrachtung. Dabei kann die seit langem gebräuchliche Feststellung zum Ausgangspunkt der Überlegungen genommen werden, daß der Zielstaat bei seinem Gewalteinsatz materiell in Fremdgeschäftsführung bzw. Ersatzvomahme für den Basenstaat handelt 1311 . Dieser ist es, dem primär die Verhinderung der grenzübergreifenden Gewaltakte der Privaten, nötigenfalls mit Gewalt, obliegt. Von daher erscheint es lohnend, das Problem der unvermeidbaren Kollateralschäden mit der Pflicht des Basenstaates zum Gewalteinsatz gegen die privaten Gewalttäter auf seinem Territorium in Beziehung zu setzen. Diese Beziehung kann auf die Formel gebracht werden, daß die Nichterfüllung der Pflicht zum internen Gewalteinsatz gegen grenzübergreifend operierende private Gewalttäter jedenfalls so weit gerechtfertigt ist, wie mit diesem Gewalteinsatz Kollateralschäden unter Unbeteiligten von einem Gewicht verbunden wären, das nicht wesentlich geringer anzusetzen ist als das durch den Gewalteinsatz geschützte Interesse. Die Begründung für diese Formel ist - wie bereits angedeutet - durch die Einbeziehung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes in die Betrachtung zu gewinnen. Es gilt folgendes: Das völkervertragliche Menschenrechtsschutzniveau 1312 schließt bei einem internen Gewalteinsatz der erwogenen Art den Rekurs auf die vergleichsweise permissive Verhältnismäßigkeitsformel des Defensivnotstands sicher aus. Da das vertragliche Menschenrechtsschutzniveau im Einklang mit dem allgemein anerkannten Ziel der Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte steht (vgl. nur Art. 55 c), 56 SVN), muß es selbst bei Fehlen einer entsprechenden Verpflichtung von Basen- und Zielstaat1313 als Rechtfertigungsgrund für die Nichterfüllung unserer völkerge1311 In diesem Sinne bereits im Jahre 1877 der US-amerikanische Kriegsminister (Moore, Digest II, S. 422): "lf the Govemment of Mexico shall continue to neglect the duty of suppressing these outrages, that duty will devolve upon this government, and will be performed, even if its performance should render necessary the occasional crossing of the border by our troops (Hervorh. v. Verf.)"; zu den Literaturstimmen, die diesen Gedanken befugnisbegründend einsetzen s. die Nachw. oben unter C. II. 2. g) ; daneben vor allem Dinstein, Self-Defence, S. 240. 1312 Vgl. nur (den gemäß Art. 4 notstandsfesten) Art. 6 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 1313 Besteht eine solche völkervertragliche Verpflichtung, so mag eine noch über die Offensivnotstandsformel hinausgehende Bindung des Zielstaates direkt aus den einschlägigen menschenrechtliehen Bestimmungen ableitbar sein. Zum problematischen Verhältnis zwischen Konfliktsvölkerrecht und völkerrechtlichem Menschenrechtsschutz weiter unten im Text und in Fn. 13 15.
302
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
wohnheilsrechtlichen Pflicht fungieren können 1314• Ist demnach der Basenstaat aus Gründen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes positiv gerechtfertigt, einen internen Gewalteinsatz gegen grenzübergreifend operierende private Gewalttäter zugunsten unbeteiligter Bevölkerungsteile gestützt auf die restriktive Offensivnotstandsformel zu unterlassen, so sollte es dem Zielstaat nicht konfliktsvölkerrechtlich erlaubt sein, das "Geschäft" eines entsprechenden Gewalteinsatzes ersatzweise durchzuführen. Gegen diesen Gedankengang läßt sich der Einwand denken, die Kampfführungsbestimmungen des Konfliktsvölkerrechts seien gegenüber Regeln des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes die speziellere Materie und deshalb einer Konkretisierung durch letztere nicht zugänglich. Hierauf wäre zu erwidern, daß es zwar in bezug auf Selbstverteidigungsmaßnahmen zur Abwehr eines staatlichen bewaffneten Angriffs vorzugswürdig erscheinen mag, konfliktsvölkerrechtliche Kampfführungsbestimmungen als Ieges speciales gegenüber Menschenrechtsnormen zu behandeln 1315, daß demgegenüber aber der Selbstverteidigungseinsatz gegen einen grenzübergreifenden nicht-staatlichen bewaffneten Angriff unverkennbar eine besondere Nähe zum genuinen menschenrechtliehen Anwendungsfeld aufweist, eine Nähe, die in Ziccardi Capaldos Rede vom extra-territorialen Polizeieinsatz 1316 treffend zum Ausdruck gelangt. Vielleicht haben Überlegungen der vorstehenden Art bei Deutschlands einheitlich menschenrechtlich fundierter Kritik an den mit den jüngsten türkischen Gewalteinsätzen gegen kurdische Private verbundenen Schäden unter Unbeteiligten eine Rolle gespielt. Nach alldem ist festzuhalten, daß der zielstaatlichen Befugnis zum grenzübergreifenden Gewalteinsatz hinsichtlich der Schädigung Unbeteiligter nicht nur durch das Unterscheidungsgebot, sondern auch durch das konfliktsvölkerrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip weitreichende Grenzen gesetzt sind. Denn für unsere drei Verwicklungskonstellationen ist letzteres Prinzip dahin zu konkretisieren, daß die Inkaufnahme auch bei unterscheidender Kampfführung unvermeidbarer Kollateralschäden unter Unbeteiligten nur so weit zulässig ist, wie im Verhältnis zu diesen Schäden das hinter 1314 Wenn auch nicht mit exakt demselben Begriindungsansatz und mit unbestimmter gehaltener Folgerung, so weist doch Kilians (NZWehrr 24 (1982), S. 133) These in dieselbe Richtung, wonach "von einem Staat . .. nicht verlangt werden kann, daß er zur Bekämpfung des Terrorismus seine rechtsstaatlich ausgestaltete innere Ordnung aufgibt und sozusagen Terror mit "Gegenterror" vergilt. Die ,due diligence'-Regel kennzeichnet somit 'zugleich ein Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, den Terrorismus grundlieh zu bekämpfen und dem Gebot, Menschenleben und andere Rechtsgüter dabei möglichst zu schonen". 1315 Für die Europäische Menschenrechtskonvention bietet deren Art. 15 Absatz 2 einen Ansatzpunkt für die Annahme von Spezialität; vgl. hierzu Frowein, FS Schlochauer, S. 295; zum Verhältnis Konfliktsvölkerrecht-Menschenrechtsschutz allgemein Partsch, NZWehrr 16 (1974), S. I ff., und Robertson, FS Pictet, S. 793ff. 1316 Nachw. oben unter C. II. 2. g) in den Fn. 663 ff.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
303
dem militärischen Vorteil stehende geschützte Interesse des Zielstaates wesentlich überwiegt 1317 . dd) Anmerkungen zu konnexen haftungsrechtlichen Problemen zugleich weitere Auseinandersetzung mit Notstandsund Geschäftsführungs- bzw. Ersatzvornahmelösung
Wenn auch die eingehende Erörterung von Haftungsfragen den Rahmen dieser Arbeit überschritte, so sollen doch an dieser Stelle einige diesbezüglich naheliegende Folgerungen aus den bisher gewonnenen Einsichten gezogen werden, die den Rahmen für eine eigenständige haftungsrechtliche Untersuchung abstecken. Im Zusammenhang mit unseren drei Verwicklungskonstellationen sind jeweils drei Ersatzpflichten denkbar, von denen bislang allein die erste in der Literatur die gebührende Aufmerksamkeit erfahren hat. ( 1) Zur möglichen Schadensersatzplicht des Basenstaates gegenüber dem Zielstaat in bezug auf von den Gewaltakten der Privaten verursachte Schäden 1318 Insoweit ist für die Unfähigkeitskonstellation oben 1319 bereits ein negatives Ergebnis erzielt worden. In Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation ist eine Schadensersatzpflicht des Basenstaates dem Grundsatz nach anzuerkennen, daneben aber auch an den oben 1320 aus dem völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz abgeleiteten Rechtfertigungsgrund zu erinnern, 1317 Im praktischen Ergebnis dürfte damit für die meisten Fälle der von Pilloud/ Pietel in: Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hg.), Commentary on the Additional Protocols, Art. 51, Rz. 1980, erhobenen Forderung entsprochen sein, daß "incidental Iosses and damages should never be extensiv". Daß für alle Fälle zu gelten habe, daß "the Protocol does not provide any justification for attacks which cause extensive civilian Iosses and damages", wie Pilloud/Pictet in derselben Rz. vertreten, läßt sich aus Art. 51 Abs. Sb) ZPI hingegen selbst speziell für unsere drei Verwicklungskonstellationen nicht ableiten; kritisch gegenüber Pillouds/Pictets Position auch Greenwood, Rowe (Hg.), Gulf War, S. 78f.; permissiver als Pillouds/Pictets Position erscheint auch das Fazit Oeters, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 147 (dort vor 4.), und Gardams, AJIL 87 (1993), S. 407 ; vgl. des weiteren die Bemerkungen unten unter D. II. 2.b)cc)(4) bei und in Fn. 14 17. 1318 Hierzu in der Tendenz wie im Text die Untersuchungen von Lillich/Paxman, AmULR 26 (1977), S. 251 ff., Kilian, NZWehrr 24 (1982), S. 121 ff., und Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 205 ff., insbes. S. 240f., die sich sämtlich um die Konkretisierung des due diligence-Maßstabes bemühen; für die Unfähigkeitskonstellation mit abweichender Tendenz Garcia-Mora, Hostile Acts, zusammenfassend etwa aufS. 35. 1319 Unter D.II.2.a)bb)(l). 1320 Unter D. II. 2. a)cc)(4).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
auf den sich der Basenstaat jedenfalls dann berufen kann, wenn bei einem von ihm durchgeführten Gewalteinsatz Kollateralschäden nicht hätten vermieden werden können, deren Gewicht im Verhältnis zu dem auf dem Spiel stehenden Interesse des Zielstaates nicht wesentlich geringer zu veranschlagen ist 1321 . (2) Zur möglichen Aufopferungsentschädigungspflicht des Zielstaates gegenüber dem Basenstaat für Schäden, die aus einem grenzübergreifenden, innerhalb der ermittelten Grenzen durchgeführten (Gegen-) Gewalteinsatz resultieren In bezug auf diese zweite denkbare Anspruchsbeziehung könnte sich die hier getroffene Entscheidung für eine Selbstverteidigungs- und gegen die Notstandslösung 1322 als praktisch relevant erweisen. Denn während auf der Grundlage einer Selbstverteidigungslösung die Annahme einer zielstaatlichen Ersatzpflicht femzuliegen scheint, wird von seiten derer, die mit der Notstandslösung liebäugeln, eine solche Pflicht teilweise ernsthaft erwogen1323. Insoweit besteht zunächst einmal Anlaß zu der Feststellung, daß eine Haftung wegen der Beeinträchtigung basenstaatlicher Rechtspositionen im engeren Sinne in Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation sicher zu verneinen ist, da hier auf seiten des Basenstaates jedenfalls Verhaltensunrecht vorliegt. Es stellt ein bemerkenswertes Defizit der insbesondere von
der /LC erwogenen weiten, d. h. auch Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation einschließenden Notstandslösung 1324 dar, diesen Gesichtspunkt zu ignorieren und so haftungsrechtlichen Fehlschlüssen bezüglich Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation den Weg zu ebnen. 1321 Für die Entscheidung in der Haftungsfrage macht es praktisch keinen Unterschied aus, ob man wie hier einen menschenrechtliehen Rechtfertigungsgrund annimmt, oder denselben Gesichtspunkt mit Kilian (NZWehrr 24 (1982}, S. 133) bei der Konkretisierung der "due diligence" in Ansatz bringt. 1322 Zur Notstandslösung oben unter C. II. 2. f). 1323 Vgl. insoweit zuvorderst die Ausführungen der ILC im Kommentar zu Art. 33 ILC-Entwurf in YILC 1980 112, S. 51 (par. 39); Bowett diskutiert die Möglichkeit einer zielstaatlichen Haftpflicht allein in bezug auf die "neutralitätsrechtliche" Unflihigkeitskonstellation (Self-Defence, S. 173 f.) und äußert sich dabei dahingehend, daß die Zuordnung zum Notstand die Bejahung einer Ersatzpflicht prinzipiell nahelege, daß allerdings ein Blick auf die Staatenpraxis Skepsis angezeigt sein lasse; Espada, Estado di necesidad, S. 133, meint, daß gewaltsame Notstandsmaßnahmen grundsätzlich eine Ersatzpflicht nach sich ziehen, neigt aber in der Unfahigkeitskonstellation dann zu einer Ausnahme, wenn der Basenstaat "se niega pura y simplemente a entrar en negociaciones, o las hace imposible de manera flagrante, a fin de estudiar las medidas para resolver este problema". 1324 Nachw. zu "weiter" und "enger" Notstandslösung oben unter C. II. 2. f).
li. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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Im Hinblick auf die haftungsrechtliche Lage in der Unfähigkeitskonstellation erscheint es trotz der hier getroffenen Entscheidung für eine Selbstverteidigungslösung geboten, die Stichhaltigkeit der These, eine gewaltsame Notstandsmaßnahme ziehe eine Ersatzpflicht nach sich (im folgenden: notstandsrechtliche Ersatzpflichtthese), zu überprüfen. Denn es läßt sich argumentieren, daß es hinsichtlich der Haftungsfrage weniger auf die mit der Regelung der Eingriffsbefugnisse in der SVN begründete Zuordnung des Gewalteinsatzes zum Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 SVN als auf die "Notstandsnähe" des zielstaatlichen Gewalteinsatzes ankommen sollte. Einen ersten Ansatzpunkt für die Begründung der notstandsrechtlichen Ersatzpflichtthese bietet die im angelsächsischen Schrifttum teilweise anzutreffende Auffassung, eine Notstandssituation vermöchte nur zu entschuldigen und nicht zu rechtfertigen 1325 . Schachte r nimmt die ILC für die Entschuldigungsthese in Anspruch, doch zu Unrecht: Die Völkerrechtskommission macht in ihrem Kommentar zu Art. 33 ILC-Entwurf durchgängig deutlich, daß dem - von ihr im Grundsatz anerkannten - Notstand Rechtfertigungs- und nicht lediglich Entschuldigungswirkung zukommt 1326 . Andernfalls wäre es in der Unfähigkeitskonstellation auf der Grundlage der Notstandslösung sehr schwierig, dem Basenstaat ein Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 SVN zur Abwehr des zielstaatlichen Gewalteinsatzes zu bestreiten 1327 • Es drängt sich der Eindruck auf, als habe Schachter seine nur "entschuldigende Notstandslösung" insoweit nicht zu Ende gedacht 1328 . Geht man danach mit der ILC von einer "rechtfertigenden Notstandslösung" aus, so ist zwar eine Schadensersatzpflicht des Zielstaates für begangenes Unrecht ausgeschlossen, nicht aber eine Entschädigungspflicht nach Aufopferungsgrundsätzen. Eine solche muß die ILC mit der Wendung im Sinne haben, daß 1325 So jüngst Schachter, IYHR 19 (1989), S. 229; früher schon Bowett, SelfDefence, S. 10; Kunz, AJIL 41 (1947), S. 876 (dort insbes. in Fn. 14). 1326 Ganz unmißverständlich etwa der Passus in YILC 1980 II2, S. 51 (par. 39). l 327 Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 264f., sieht die Zuerkennung eines derartigen Selbstverteidigungsrechts bei nur entschuldigendem Notstand sogar als unausweichlich an. Die schwächere Formulierung im Text läßt Raum für den wenig erfolgversprechenden Versuch, dem bewaffneten Angriff gemäß Art. 51 SVN ein ungeschriebenes Attribut "schuldlos" beizufügen. 1328 Bezeichnenderweise geht Schachter bei seiner Notstandslösung nicht über die Feststellung hinaus: "Consequently no right to force is created by that theory. Instead the illegal act would be excusable . . . because of the particular circumstances. A somewhat similar distinction has been drawn in criminal law between ,justification' as a matter of right and ,excuse' as always personal to the actor", IYHR 19 (1989), s. 229.
20 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
"there can be no question of excluding the possibility of an obligation of this kind (to make compensation; Verf.) being laid on the State which has adopted the conductjustified by a state of necessity (Hervorh. v. Verf.)" 1329•
Hinsichtlich einer solchen Aufopferungsentschädigung empfiehlt sich eine Differenzierung zwischen der Beeinträchtigung basenstaatlicher Rechtspositionen im engeren Sinne und der Beeinträchtigung Unbeteiligter. In bezug auf erstere erscheint die Herleitung einer Entschädigungspflicht unmöglich. Einmal fehlt es sicher an einer zum Nachweis eines völkergewohnheitsrechtlichen Anspruchs hinreichenden Praxis in diesem Sinne. Darüber hinaus wird auch die Suche nach einem entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatz (Art. 38 Absatz 1 c) IGH Statut) erfolglos bleiben. Insoweit kommt der oben 1330 begründeten und unter (4) spezifizierten Feststellung große Bedeutung zu, daß der zielstaatliche Gewalteinsatz gegenüber dem Basenstaat in notstandsrechtlichen Kategorien als Defensivnotstandseingriff einzuordnen ist. Ein solcher Eingriff zieht nach deutschem Recht keine Entschädigungspflicht nach sich 1331 . Dagegen kann eine Pflicht zur Aufopferungsentschädigung (und dies wohl selbst in Sorgfaltswidrigkeits- und Duldungskonstellation) nicht von vomherein ausgeschlossen werden, soweit Schäden unter Unbeteiligten in Rede stehen. Interessanterweise hat Frankreich nach einem Gewalteinsatz im Algerien-Konflikt 1332 für derartige Schäden Kompensation angeboten 1333 . Reicht dieses Angebot, das vielleicht nur ex gratia unterbreitet worden ist, auch zum Nachweis eines völkergewohnheitsrechtliehen Anspruchs nicht hin, so verdiente die Frage eine rechtsvergleichende Untersuchung, ob nicht ein allgemeiner Rechtsgrundsatz eine Aufopferungsentschädigung, wie sie von Frankreich angeboten worden ist, fordert. Relevante Normen der nationalen Rechtsordnungen wären in Anknüpfung an die Rede vom extra-territorialen Polizeieinsatz neben privatrechtliehen Aufopferungsentschädigungsansprüchen des Notstandsbetroffenen bei Offensivnotstandseingriffen 1334 vor allem auch etwaige öffentlich-rechtliche Entschädigungsregelungen. Denn es wäre nicht einzusehen, warum die Staaten bei extra-territorialen Polizeieinsätzen eine Entschädigung nicht sollten leisten müssen, die bei einem internen Polizeieinsatz durchgängig anfiele. Sollte das Ergebnis besagter rechtsvergleichender Untersuchung die Annahme einer auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gestützten Entschädigungspflicht untermauern, YILC 1980 112, S. 51 (par. 39). Unter D.II.2.a)cc)(l). IJ3I § 228 Satz 2 BGB e contrario. 1332 Nach Auffassung Frankreichs war jedenfalls eine Duldungskonstellation gegeben, näher dazu oben unter 8 . II. 10. 1333 SCOR, 13th year, 819th meeting, S. 14 (par. 73). 1334 Vgl. für das deutsche Recht § 904 Satz 2 BGB. 1329
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II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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so spricht viel dafür, dieser Pflicht nicht deshalb die Anerkennung zu versagen, weil die satzungsrechtlich zutreffende Begründung der Eingriffsbefugnis nicht in der Notstands-, sondern in einer Selbstverteidigungslösung besteht. (3) Zur möglichen Aufwendungserstattungspflicht des Basenstaates in bezug auf einen zielstaatlichen Gewalteinsatz Mangels Praxis kann auch eine Aufwendungserstattungspflicht des Basenstaates höchstens einem allgemeinen Rechtgrundsatz entspringen. Als Kandidaten kommen Geschäftsführung ohne Auftrag und Ersatzvomahme in Betracht. Der Rekurs auf Grundsätze der Fremdgeschäftsführung bzw. Ersatzvornahme verbietet sich nicht etwa wegen der Unhaltbarkeit der oben 1335 vorgestellten Fremdgeschäftsführungs- bzw. Ersatzvomahmelösung. Denn bei diesen Lösungen werden Fremdgeschäftsführung bzw. Ersatzvornahme zur Begründung einer Befugnis zu einem grenzübergreifenden Gewalteinsatz eingesetzt, während es an dieser Stelle allein darum geht, ob besagte Institute für eine (Aufwendungs-)Ersatzpflicht fruchtbar gemacht werden können. Herdegen hat in einem jüngeren Beitrag zur Geschäftsführung ohne Auftrag im Völkerrecht zu Recht gerade im Hinblick auf grenzübergreifende Gewalteinsätze die Notwendigkeit herausgestellt, zwischen einer (abzulehnenden) eigenständigen Rechtfertigungsfunktion und einer (je nach Fallkonstellation erwägenswerten) Ersatzpflichtbegründungsfunktion streng zu unterscheiden 1336. Ob zumindest eines der beiden Rechtsinstitute in den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes erhoben werden darf, und ob bejahendenfalls in unseren Konstellationen eine Subsumtion möglich wäre, bedürfte einer eingehenden Prüfung. Hier muß es genügen, einige Schwierigkeiten der erwogenen Ersatzpflichtbegründung anzudeuten. Hinsichtlich der Geschäftsführung ohne Auftrag begegnet schon die Geltung als allgemeiner Rechtsgrundsatz aus dem englischen Recht resultierenden Zweifeln 1337 . Seine Unter C.II. 2. g). Herdegen, FS Doehring, S. 320f. i.V.m. S. 305f. (dort insbesondere bei Fn. II); eine unselbständige Rechtfertigungsfunktion der Geschäftsführung ohne Auftrag hält Herdegen bei einem Gewalteinsatz zur Verteidigung eines infolge des bewaffneten Angriffs handlungsunfähig gewordenen Staates im Rahmen von Art. 51 SVN für möglich (ebd., S. 311 f.). 1337 Während Herdegen (FS Doehring, S. 315 f.) gestützt auf englisches Schrifttum aus dem Jahre 1983 meint, im englischen Recht eine vorsichtige fremdgeschäfsführungsfreundliche Tendenz ausmachen zu können, formuliert Aitken (Sidney Law Review II (1988), S. 566ff.) mit einer beachtlichen Argumentation die Gegenthese, deren Position nach der Entscheidung des House of Lords in The Go ring (( 1988) AC 831) sicher an Solidität noch gewonnen hat. Zu undifferenziert angesichtsdessen die Stellungnahme von Münchaus, Terrorismus auf See, S. 123. 1335
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Geltung einmal unterstellt, so bliebe auf der Ebene der Anspruchsvoraussetzungen die Frage, ob der allgemeine Rechtsgrundsatz auch Fälle erfaßt, in denen der Geschäftsführer jedenfalls primär im eigenen Interesse handelt und dazu noch im Widerspruch zum Willen des Geschäftsherrn 1338. Diese Subsumtionsprobleme stellten sich hinsichtlich der Ersatzvomahme nicht. Insoweit allerdings ergeben sich nicht minder schwierige Fragestellungen: Lassen sich in den nationalen Rechten Ersatzvornahmebestimmungen mit der gesuchten haftungsrechtlichen Konsequenz in hinreichender Zahl außerhalb des vollstreckungsrechtlichen Kontexts ermitteln? Ginge es zu weit, vemeinendenfalls, unter Einbeziehung der nationalen Vollstreckungsrechte etwa feststellbare gemeinsame Ersatzvornahmegrundsätze in modifizierender Analogie (Selbstverteidigungsbefugnis als Titelsurrogat) auf die Völkerrechtsebene zu übertragen? Das vielleicht intrikateste Problem ergäbe sich dann, wenn sowohl die hier erwogene Aufwendungserstattungs- als auch die sub (2) thematisierte Entschädigungspflicht zu bejahen sein sollte: Hätte der Basenstaat dann kraft seiner Aufwendungserstattungspflicht den Zielstaat von dessen Entschädigungspflicht freizustellen, oder könnte der Basenstaat einem Freistellungsbegehren entgegenhalten, er wäre unter allen Umständen menschenrechtlich gerechtfertigt, jedwedem Kollateralschaden unter Unbeteiligten durch Unterlassung eines internen Gewalteinsatzes aus dem Weg zu geheni339?
ee) Zur Möglichkeit eines Sonderregimes für Kernwaffeneinsätze durch Private Einige weltpolitische Umbrüche der jüngeren Vergangenheit haben ein Problempotential geschaffen, das es nicht länger als ganz realitätsfern erscheinen läßt, sich die (bzw. der) Frage zu stellen, ob für einen grenzübergreifenden Gewalteinsatz Privater im Rahmen von Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN dann Sonderregeln gelten, wenn dieser Gewalteinsatz mittels Kernwaffen erfolgt. Die Möglichkeit eines Sonderregimes ergibt sich aus den folgenden zwei Gesichtspunkten, wobei die Überlegungen hierzu angesichts S. zu beidem die Überlegungen Herdegens, FS Doehring, S. 318 ff. Oben unter D.II.2.a)cc)(4) ist unentschieden geblieben, ob der Basenstaat die Unterlassung eines zur Verhinderung grenzübergreifender Gewaltakte Privater erforderlichen internen Gewalteinsatzes unter allen Umständen menschenrechtlich damit rechtfertigen kann, daß andernfalls Kollateralschäden unter Unbeteiligten unvermeidbar gewesen wären; Stellungnahmen in der Literatur, die über die Formulierung Kilians (NZWehrr 24 (1982), S. 133) hinausgingen, wonach zwischen "der Notwendigkeit, den Terrorismus gründlich zu bekämpfen und dem Gebot, Menschenleben und andere Rechtsgüter möglichst zu schonen (Hervorh. v. Verf.)" ein Spannungsfeld bestehe, sind nicht ersichtlich. 1338 1339
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
309
des hypothetischen Charakters des Problems tastend-fragend und nicht dezidiert-behauptend verstanden werden möchten.
(1) Zur Diskussion um die Geltung einer Sonderzurechnungsregel für die militärische Nutzung der Kernkraft
Condorelli 1340 hat der Debatte zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 eine Sonderzurechnungsregel des Inhalts
entnommen, daß
"quels que soient, d'une part, l'organisation specifique dont un Etat nucleaire se dote, d'autre part, Je roJe que celui-ci laisse jouer a des entreprises privees dans ce contexte, tout Je processus par lequel ledit Etat se proeure un armement nucleaire (conception, planification, fabrication, detention, deploiement, transfert, etc.) ne peut qu'etre impute directement a l'Etat, de sorte que n'importe quel comportement interdit par !es normes internationales pertinentes (que celles-ci aient ou non trait a Ia question de non-proliferation des armes nucleaires) engagera Ia responsabilite international dudit Etat, meme s 'il n'a pas ete adopte par l'un de ses organes mais par des particuliers que ceux-ci auraient du controler (Hervorh. v. Verf.)" 1341 . Wenn auch nicht mit unbestreitbarer Klarheit, so deuten doch einige Debattenbeiträge 1342 tatsächlich in die mit dem Zitat aufgezeigte Richtung. Gestützt wird Condorellis Interpretation weiter dadurch, daß besagte Sonderzurechnungsregel als konsequente 1343 Fortführung der mit Art. 6 Weltraumvertrag1344 ein Jahr zuvor eingeführten Technik der Senkung der 1340 RdC 189 (1984 VI), S. 131 ff.; aufbauend auf Vorarbeiten von Meriboute, Revue de politique internationale 1986 (no 20), S. 12ff. 134 1 RdC 189 (1984 VI), S. 133f. 1342 Die Diskussion über den hier interessierenden Punkt war durch einen ägyptischen Änderungsvorschlag ausgelöst worden, der darauf abzielte, der Möglichkeit relevanter privater Aktivitäten im Rahmen von Art. I und 2 des Nichtverbreitungsvertrags ausdrücklich Rechnung zu tragen. Während die Formulierung des ägyptischen Vorschlags selbst nicht im Sinne einer Sonderzurechnungsregel verstanden werden muß (Zitat bei Meriboute, Revue de politique internationale 1986 (no 20), S. 14), weisen die Reaktionen, indem sie die Notwendigkeit der Änderung bestreiten, in diese Richtung. So erklärt etwa der US-amerikanische Delegierte, die Übertragung relevanten Materials an einen Nichtkernwaffenstaat sei von Art. 1 des Vertrags erlaßt, "quelle que soit l'identite de leur proprietaire, que ce soit un Etat ou un particulier" (s. hierzu im einzelnen Meriboute, ebd.). 1343 Die Entsprechung der beiden Sachbereiche zu Recht herausstellend Meriboute, Revue de politique internationale 1986 (no 20), S. 12. 1344 Die deutsche Übersetzung des hier allein interessierenden Passus' von Art. 6 lautet: "Die Vertragstaaten sind völkerrechtlich verantwortlich für nationale Tätigkeiten im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper, gleichviel ob staatliche Stellen oder nicht-staatliche Rechtsträger dort tätig werden . .. " ; minutiöse Analyse bei Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 121 ff.
310
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Zurechnungsschwelle für besonders gefährliche Aktivitäten 1345 begriffen werden kann. In unserem Zusammenhang ist dies alles nicht deshalb irrelevant, weil der Kernwaffeneinsatz außerhalb der Reichweite der Verhaltensnormen des Nichtverbreitungsvertrags liegt. Denn eine Anwendung der in Rede stehenden Zurechnungsnorm auf den Einsatz von Kernwaffen dürfte e fortiori möglich sein 1346 . Die Parallelität zum Weltraurnrecht 1347 erleichterte zudem die Begründung des völkergewohnheitsrechtliehen Charakters letzterer Norm. Dennoch ist es zweifelhaft, ob der erwogenen Sonderzurechnungsnorm (weitreichende) Bedeutung für die Rechtslage in unseren Verwicklungskonstellationen sub specie Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN zukommt. Insoweit wird die rechtliche Relevanz zunächst durch die Präzisierung der (Sonder-) Zurechnungsschwelle ganz erheblich relativiert. Bereits Condorellis Formulierung deutet darauf hin, daß es in der Debatte zum Nichtverbreitungsvertrag nicht um die Einführung einer absoluten Zurechnung der militärischen Kernkraftnutzung durch Private zum Territorialstaat ging. Vielmehr standen durchwegs solche Aktivitäten in Rede, die mit Genehmigung des Territorialstaates begonnen werden. Insoweit soll letzterer Staat zur rigorosen und fortlaufenden Überwachung angehalten werden, und die Senkung der Zurechnungsschwelle läßt sich, wie oben 1348 bereits bemerkt worden ist, in diesem Sinne instrumentalisieren. Anzeichen für eine Rechtsüberzeugung im Sinne einer darüber hinausgehenden Zurechenbarkeit lassen sich nicht ausmachen. In Entsprechung hierzu lassen sich auch im Weltraumrecht gewichtige Gründe dafür anführen, daß die Zurechnung keinen absoluten Charakter hat, sondern in Gestalt der Registrierung eine gewisse (wiederum mit der Pflicht zur fortlaufenden Überwachung verknüpfte) Anhindung der Privaten an den Staat voraussetzt 1349 . Demnach erfaßte die erwogene Sonderzurechnungsregel nicht den Fall, in dem nukleares Material ohne Kenntnis der Organe des Basenstaates in die Hände Privater gelangte und von diesen zu einem grenzübergreifenden Kernwaffeneinsatz genutzt würde. Dazu bereits oben unter D.II.l.c)aa). Bei Condorelli heißt es dazu: "II va sans dire qu'il doit en (in der Zurechnungsfrage; Verf.) aller de meme pour ce qui est de l'eventuel usage effectif des armes en question (Hervorh. v. Verf.)". 1347 Wo das Sonderzurechnungsregime schnell völkergewohnheitsrechtliehen Charakter erlangt hat; Condorelli RdC 189 (1984 VI), S. 125. 1348 Unter D. Il. 1. c) aa). 1349 Hierzu ausführlich Condorelli, Faculte de droit de l'Universite Catholique de Louvain (Hg.), La reparation des dommages catastrophiques, S. 271 f.; die Auslegung des Begriffs der nationalen Aktivitäten im Sinne des Art. 6 Weltraumvertrag ist freilich umstritten; a. A. als Condorelli beispielsweise Bittlinger, Hoheitsgewalt und Kontrolle im Weltraum, S. 40, der sich für das folgende weite Verständnis ausspricht: "Le terme ,activites nationales' peut designer, a part les etatiques, celles de toute personne soumise a sa competence territoriale ou personelle". 1345
1346
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
311
Doch läßt sich mit dem Zweifel hinsichtlich der Bedeutung der Sonderzurechnungsregel für Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht grundsätzlicher ansetzen. Denn es erhebt sich die Frage, ob sich die Sonderzurechnungsregel nicht allein auf solche Primärnormen bezieht, die speziell den Kernwaffeneinsatz und nicht wie Art. 2 Ziff. 4 SVN den Waffeneinsatz generell zum Gegenstand haben 1350. Mangels Praxis muß die Antwort auf diese Frage ungewiß bleiben.
Danach ist die Geltung einer Sonderzurechnungsregel für den Kernwaffeneinsatz zwar gut begründbar. Doch muß die Relevanz einer solchen Regel für den Primärnormenbereich des Gewaltverbots mangels spezifischen Kernwaffenbezugs grundsätzlich in Zweifel gezogen werden, und selbst wenn dieser Zweifel sollte ausgeräumt werden können, bliebe der Großteil von unseren Verwicklungskonstellationen zuzuordnenden Fällen wohl unterhalb der (Sonder-)Zurechnungsschwelle.
(2) Besonderheiten bei der Auslegung des Begriffs "bewaffneter Angriff" in Art. 51 SVN Wenn oben 1351 das Auslegungsergebnis erzielt worden ist, daß es sich im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 SVN deutlich besser begründen läßt, den Begriff des bewaffneten Angriffs auf staatliches Verhalten zu beschränken, so waren hierfür genetische, historische und teleologische Gesichtspunkte ausschlaggebend, die im Hinblick auf einen grenzübergreifenden Kernwaffeneinsatz in einem anderen Licht erscheinen. Insoweit wird zum einen die Annahme 1352 problematisch, bewaffnete Aktionen Privater stellten typischerweise nicht die intensive Bedrohung dar, die den mit dem Rekurs auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht verbundenen Ausbruch aus dem bilateralen Verhältnis unentbehrlich machen können. Anders gewendet: Die Argumentation aus dem Schutzprinzip für die Erstreckung des Angriffsbegriffs auf nicht-staatliches Verhalten hat im Hinblick auf den Kernwaffeneinsatz auch im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 S VN erhebliches Gewicht. Darüber hinaus haben die oben 1353 ange1350 Von Condorelli wird diese Frage nicht ausdrücklich aufgeworfen, doch darf man vermuten, daß er nicht den unproblematischen Art. 2 Ziff. 4 SVN sondern konfliktsvölkerrechtliche Regeln im Sinn hat, wenn er die These, die Sonderzurechnungsregel erfasse auch den Kernwaffeneinsatz (dazu das Zitat oben in Fn. 1346) mit dem Zusatz versieht (RdC 189 (1984 VI), S. 134), "en limitant naturellement nos Observations a Ia thematique de l'imputation (et sans ceder a Ia tentation de se prononcer incidemment ici sur l'aspect de l'infraction, ce qui serait hors sujet)". 135 1 Unter D. II. I. a) ff). 1352 Von oben unter D.II.l.a)cc). 1353 Unter D. II.l.a)dd)(l).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
führten und bei der Gesamtbewertung oben 1354 für sehr bedeutsam erachteten genetischen und historischen Gesichtspunkte im Hinblick auf den Kernwaffeneinsatz deutlich geringeres Gewicht, da es bei der früheren Praxis ausschließlich um konventionelle Gewaltakte Privater ging, und die Eventualität privater Kernwaffeneinsätze die Vorstellungen der Väter des Art. 51 SVN sicher nicht beherrscht hat. Im Hinblick auf den Kernwaffeneinsatz gilt demnach abweichend von dem eingangs wiederholten Ergebnis, daß Auslegungsgesichtspunkte von mehr als nur sehr geringem Gewicht die Erstreckung des Angriffsbegriffs der kollektiven Komponente des Art. 51 SVN auf privates Verhalten nahelegen. b) Entsende- und EntsendefOrderungskonstellation
aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Entsendekonstellation Nach den oben 1355 erzielten Ergebnissen steht bereits fest, daß sich nicht nur ein individuelles, sondern auf der Grundlage von Gewichtungsregel (2) auch ein kollektives Selbstverteidigungsrecht unabhängig davon begründen läßt, ob in dieser Konstellation ein bewaffneter Angriff des Entsendestaates im Sinne des Art. 51 SVN vorliegt. Zur Präzisierung der Rechtslage und insbesondere im Hinblick auf die Grenzen der Selbstverteidigungsbefugnis bleibt zu untersuchen, ob in der Entsendekonstellation ein staatlicher bewaffneter Angriff gemäß Art. 51 SVN anzunehmen ist. Dann wäre auch das kollektive Selbstverteidigungsrecht zusätzlich auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) mit der Folge zu begründen, daß auch insoweit der Rekurs auf die Doktrin der accumulation of events im Rahmen des Ergebnisses oben 1356 möglich wäre. Insoweit bedarf es zuerst der Zurückweisung der oben 1357 angesprochenen Vorstellung, der Begriff des staatlichen bewaffneten Angriffs sei auf den Einsatz regulärer Streitkräfte (d.h. de iure-Organe) beschränkt. Weder Wortlaut noch Genese, Systematik oder Teleologie des Art. 51 SVN geben den geringsten Anhaltspunkt für eine derartige Restriktion 1358 • Und allein ein Blick auf Art. 2 Ziff. 5 der Londoner Konventionen erweist, daß der internationale Sprachgebrauch auch historisch nicht in einem solchen Sinne festgelegt war. Eine entsprechende Begriffsbestimmung allein auf MißUnter D. II. I. a) ff). Unter B. VI. 6. und D. II. I. a) ff). 1356 Unter D.l. I. 3. d). 1357 Unter C.l. I. 1358 Diesen Befund bringt die oben unter B. II. 9. bei Fn. 140 zitierte libanesische Stellungnahme aus dem Jahre 1958 trefflich zum Ausdruck. 1354 1355
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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brauchs- bzw. Eskalationsgefahr zu stützen, ist schließlich ebensowenig angängig wie eine Begründung desselben Ergebnisses mit dem Postulat von der notwendig restriktiven Auslegung des Art. 51 SVN 1359. Die Annahme eines staatlichen bewaffneten Angriffs in unserer Konstellation scheitert demnach nicht an der Irregularität der entsandten Kräfte. Vielmehr kommt es in der Staatlichkeitsfrage einzig auf die Zurechenbarkeit der Gewaltakte an. Insoweit bedarf der Verwicklungsgrad des Entsendestaates der Präzisierung. Bereits bei der näheren Analyse der Zurechnungsdogmatik des Nicaragua-Urteils oben 1360 ist ausgeführt worden, daß die Entsendung bewaffneter Kräfte nicht die Steuerung der von letzteren durchgeführten grenzübergreifenden Gewaltakte impliziert, sondern eine entsprechende Auftragserteilung in Verbindung mit Unterstützung etwa bei Organisation oder Ausrüstung. Als repräsentativ für den internationalen Sprachgebrauch können Passagen einer marokkanischen Stellungnahme im Westsahara-Konflikt gelten, in denen solche grenzübergreifende Gewaltakte der Entsendekonstellation zugeordnet werden, die "were committed by bands which have been recruited, equipped, armed, trained and financed" durch den verwickelten Staat 1361 . Der Verwicklungsgrad des Entsendestaates unterfällt damit der oben 1362 formulierten Grundsatzzurechnungsnorm, weshalb die Zurechnung der Gewaltakte zum Entsendestaat nur noch daran scheitern kann, daß die Praxis speziell für den Primärnormenbereich des Art. 2 Ziff. 4 SVN hinreichend deutlich auf eine Anhebung der Zurechnungsschwelle hinweist. Daß letzteres nicht der Fall ist, zeigt bereits die Übereinstimmung von Art. 3 g) Alt. 1 Resolution 3314 mit der Grundsatzzurechnungsnorm. Nichts anderes erhellt aus der Debatte über die Gewalteinsätze der USA gegen Libyen vom April 1986 und den Irak vom Juni 19931363.
Aus alldem folgt, daß in der Entsendekonstellation sowohl ein Gewalteinsatz des Entsendestaates gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN als auch ein bewaffneter Angriff desselben gemäß Art. 51 SVN anzunehmen ist; dies entgegen einigen oben 1364 erwähnten Literaturstimmen auch dann, wenn die de iureOrgane letzteren Staates die Ausführung der Gewaltakte nicht steuern bzw. jederzeit beeinflussen können. Ein kollektives Selbstverteidigungsrecht ergibt sich danach in der Entsendekonstellation auch auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3).
1359 1360 l 36 l 1362 1363 1364
Hierzu oben unter A.l. Unter D. II. 1. c) bb) (2). SCOR, 34th year, 215lst meeting, S. 3 (par. 22 i.V.m. 26). Unter D. II. l.c)bb)(2). Zu diesen beiden Konflikten oben unter B. II. 24. b) bzw. 31. Unter C.l.2.
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
bb) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in der Entsendeförderungskonstellation Entsprechend den oben 1365 zur Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation getroffenen Festellungen und unter Einbeziehung des Ergebnisses sub B. VI. 5. ließe sich ein individuelles Selbstverteidigungsrecht des Zielstaates auf der Grundlage von Gewichtungsregel (2) selbst dann bejahen, wenn das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 SVN verneint werden müßte. Und auf der Grundlage der Gewichtungsregeln (2) und (3) ließe sich dasselbe Recht nach den Ausführungen oben 1366 unabhängig von der Bejahung eines bewaffneten Angriffs des Entsendeförderungsstaates begründen. Angesichts des Befundes sub B. VI. 5. kommt dagegen die Begründung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts in der Entsendeförderungskonstellation nur nach der Gewichtungsregel (3) in Betracht, und eine solche Begründung setzt angesichts des oben 1367 erzielten Ergebnisses das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs des Entsendeförderungsstaates voraus. Mangels Steuerung der Tatausführung bzw. eines Zusammentreffens von AuftragseTteilung zur und Unterstützung der Tatausführung läßt sich die Verwicklung des Entsendeförderungsstaates der oben 1368 herausgearbeiteten Grundsatzzurechnungsnorm nicht subsumieren. Deshalb fragt es sich, ob für den Normbereich der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN der Nachweis einer Sonderzurechnungsregel zu führen ist, die den in Rede stehenden Verwicklungsgrad erfaßt. Als Ausgangspunkt der diesbezüglichen Überlegungen kann wieder 1369 Art. 2 Ziff. 5 der Londoner Konventionen dienen, dessen Alt. 1 die Entsendeförderungskonstellation betrifft. Im Unterschied zur Duldungskonstellation ist dann im Hinblick auf die Entsendeförderungskonstellation im Rahmen der späteren Praxis kein zwischenstaatlicher Konflikt ersichtlich, der deutlich eine Rechtsüberzeugung im Sinne der Zurechnungsvemeinung erkennen ließe. Schließlich und vor allem wird die Entsendeförderungskonstellation - wiederum abweichend von der Duldungskonstellation - von Art. 3 g) (Alt. 2) Resolution 3314 erfaßt 1370. Allerdings ist eine Interpretation als Zurechnungsregel bei Art. 3 g) Resolution 3314 ebensowenig zweifelsfrei wie im Hinblick auf Art. 2 Ziffer 5 Londoner Konventionen. So legt es der Wortlaut des Art. 3 g) zunächst nahe, diese BestimUnter D. II. 2. a) aa) (2). Unter D. II. I. a) ff) und D. II. 2. a) aa)(2). 1367 Unter D. II. I. a)ff). 1368 Unter D. II. I. c) bb) (2). 1369 Zur Relevanz dieser Bestimmung für die Zurechnungsfrage bereits oben unter D. II. 2. a) aa) (1 ). 1370 Dazu oben unter B. 111. 3. a); dort auch zur genauen Grenzziehung zwischen Duldungs- und Entsendeförderungskonstellation. 1365
1366
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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mung als Erstreckung des Aggressionsbegriffs der Resolution auf die in den beiden Alternativen genannten Formen der Beteiligung an nicht zurechenbaren Gewaltakten bewaffneter Banden zu verstehen, da als Aggressionsakte die Entsendung bzw. die substantielle Verwicklung in die Entsendung bezeichnet werden. Doch bedeutete eine derart wörtliche Lesart einen Bruch mit dem Gesamtduktus der Resolution. Denn als Aggression im Sinne der Resolution bezeichnet Art. 1 den Gewalteinsatz und als solcher wird in Art. 3 g) allein das Verhalten der bewaffneten Kräfte benannt. Dieses Verhalten ist es auch, das über die Schwereklausel zu den zuvor aufgeführten Gewalteinsätzen in Beziehung gesetzt wird. Hinzu kommt, daß bei der Entsendealternative des Art. 3 g) die wörtliche Lesart zu einer künstlichen Verdopplung des Aggressionstatbestandes führte (Entsendung und (zuzurechnende) Gewaltakte der Entsandten als Aggressionsakte), so daß sich eine Deutung als (die Grundsatzzurechnungsnorm bestätigende) Zurechnungsregel insoweit aufdrängt. Angesichts dessen liegt eine Deutung als Zurechnungsregel hinsichtlich der Entsendeförderungsalternative nahe, da Art. 3 g) auf eine rechtliche Gleichbehandlung seiner beiden Alternativen angelegt ist 1371 . Aus diesen Gründen erscheint die Interpretation von Art. 3 g) Alt. 2 als Zurechnungsregel vorzugswürdig 1372 und damit die Annahme einer entsprechenden Sonderzurechnungsregel geboten 1373 . Auf den ersten Blick steht dieses Ergebnis im Widerspruch zu der im Kommentar zum ILC-Entwurf vertretenen Konzeption, da hier Sonderregeln für die Bestimmung der de facto-Organ-Schwelle in unseren Verwicklungskonstel1371 Dies gegen Sciso, RDI 66 (1983), S. 259, die die Alt. I als Zurechnungsregel und die Alt. 2 als Extension des Aggressionsbegriffs auf die staatliche Beteiligung an nicht zurechenbaren Gewaltakten Privater interpretiert. 1372 Ebenso offenbar Bruha, Aggressionsdefinition, S. 228, der seine Ausführungen zu Art. 3 g) mit "Zurechnung der Aggression" überschreibt; die Zurechnung in der Entsendeförderungskonstellation ohne nähere Begründung bejahend neuerdings Menk, Gewalt für den Frieden, S. 206. 1373 Diese Sonderzurechnungsregel erfaßt auch den wohl recht theoretischen (und in Art. 2 Ziff. 5 Londener Konventionen zumindest nicht ausdrücklich aufgeführten) Fall der Erteilung eines Auftrags zu grenzübergreifender Gewaltanwendung ohne jede Unterstützung der Tatausführung, denn auch hier ist eine "substantielle Verwicklung in die Entsendung" bewaffneter Kräfte gegeben. Die Begründung der Sonderzurechnungsregel steht im Gegensatz zu der insbesondere von Zanardi (Cassese (Hg.), Use of Force, S. 115; FS Ago III, S. 161) und diesem folgend noch Knof/ Kress (ÖZöRVR 41 (1990), S. 18) befürworteten Methode, von feststehenden Zurechnungsregeln auszugehen und Art. 3 g) in deren Licht zu interpretieren. Zu den Prämissen des Vorgehens im Text vgl. die Ausführungen oben unter D.ll.l.c)aa) zu Deduktion und Induktion bei der Feststellung der Zurechnungsnormen. Es erstaunt, daß Condorelli trotz seiner Überzeugung von der Möglichkeit sektoraler Sonderzurechnungsregimes in einem Beitrag speziell zur Zurechnungsproblematik im einschlägigen Primärnormenbereich (IYHR 19 (1989), S. 244 f.) Art. 3 g) Alt. 2 nicht auf eine derartige sektorale Abweichung hin untersucht (dazu bereits die Bemerkung oben unter D. II. I. c) aa) in Fn. 1026).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
lationen ausdrücklich verworfen werden 1374. Doch wird die hiernach auf der Grundlage der ILC-Gesamtkonzeption für die Entsendeförderungskonstellation naheliegende Konsequenz der Einreihung in die Kandidatenliste für die erwogene Notstandslösung nicht gezogen. Bei der Erörterung dieser Lösung finden vielmehr allein Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation Erwähnung 1375 . Die rechtliche Behandlung der Entsendeförderungskonstellation durch die ILC erscheint danach merkwürdig ungewiß 1376. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Passus zur Zurechnungsdogmatik am Anfang der Kommentierung zu Art. 11 ILC-Entwurf1377. Hier wird die Möglichkeit einer Zurechnung privaten Verhaltens unterhalb der de facto-Organ-Schwelle auf der theoretischen Ebene anerkannt und wie folgt umrissen: "The action of the private person would be at the heart of the internationally wrongful conduct of the State, and the State would breach an international obligation through the action of that person, in which certain organs would merely be accomplices".
Für den Nachweis einer derartigen Zurechnung gelte, daß "the examination of specific cases would always have to Iead to the same conclusion, namely that the internationally wrongful act with which the State was charged was the breach of an international obligation perpetrated through the action of YILC 1975 II, S. 79f. (par. 32 zu Art. II). YILC 1980 112, S. 44 (par. 23 zu Art. 33). 1376 Zanardi meint (in Cassese (Hg.), Use of Force, S. 113 (Fn. 8), bzw. in FS Ago III, S. 157 in Fn. 8), die oben in Fn. 1374 zitierte Passage der Kommentierung zu Art. II ILC-Entwurf impliziere die Auffassung, daß die Privaten in Ausnahmefällen massiver Unterstützung "simply by virtue of this assistance"/"per il solo fatto dell' assitenza loro prestata" zu de facto-Organen des Unterstützerstaales würden. Die relevanten Formulierungen des ILC-Kommentars lauten: "In order for the State to incur responsibility arising from other causes - responsibility arising directly from actions by the bands or groups in question - the situation must be different. These groupes must maintain different and closer relations with the Government of the country in which they are based. Where that Government is known to encourage and even promote the organization of such groupes, to provide them with financial assistance, training and weapons, and to co-ordinate their activities with those of its own forces for the purpose of possible operations, and so on, the groupes in question cease to be individuals from the Standpoint of international law. They become formations which act in concert with, and at the instigation of, the State, and perform missions authorized by or even entrusted to them by that State. They then fall into the category of persons or groups which are linked, in fact if not formally, with the State machinery and are frequently called ,de facto organs' , and which were dealt with in article 8 (a) of this draft (erste Hervorh. v. Verf.)". Es erscheint sehr zweifelhaft, ob diese nicht übertrieben präzisen Wendungen die Deutung Zanardis stützen, wird doch das in der Kommentierung zu Art. 8 (a) zentrale Anstiftungselement im hervorgehobenen Satzteil ausdrücklich wieder aufgegriffen. 1377 YILC 1975 II, S. 72 (par. 7 zu Art. 11 , dort auch in Fn. 98). 1374 1375
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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the private person concemed and not, for example, some other deliquency committed by someone eise".
Zwar setzt die ILC diese Zurechnungsform mit keinem praktischen Fall staatlicher Beteiligung an privatem Verhalten in Beziehung, doch hindert dies die Feststellung nicht, daß die hier vorgetragene Interpretation von Art. 3 g) Alt. 2 Resolution 3314 hierzu im Hinblick auf die Entsendeförderungskonstellation eine Grundlage böte 1378 . Die Ausklammerung dieser Konstellation aus dem Anwendungsbereich von Art. 8 (a) ILC-Entwurf bei gleichzeitiger Nichteinreihung derselben Konstellation in die Kandidatenliste für die Notstandslösung gemäß Art. 33 ILC-Entwurf wäre dann innerhalb der ILC-Konzeption bruchlos zu erklären. Die hiermit aufgeworfene zurechnungsdogmatische Frage, ob die befürwortete Sonderzurechnungsregel unterhalb der de facto-Organ-Schwelle auf einer zweiten Zurechnungsstufe anzusiedeln ist 1379, mag unentschieden bleiben, liefert aber willkommenen Anlaß zu der Bekräftigung, daß mit der Annahme dieser Sonderzurechnungsregel für den Primärnormenbereich des Gewalt- bzw. Aggressionsverbots Fragen wie die der strafrechtlichen Immunität der Privaten 1380 bzw. 1378 Auch die Argumentation Nicaraguas im Konflikt mit Costa Rica (zu diesem Konflikt näher oben unter B. II. 23. b)) harmoniert mit dieser Zurechnungsform. Die Feststellung, Costa Rica, treffe als Entsendeförderungsstaat der Vorwurf der Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN (Memorial in ICJ Pleadings, Case conceming Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Costa Rica), S. 106f. (par. 349 f. )), wird wie folgt expliziert (ebd., S. 100 (par. 321)): "The submission of Nicaragua ... is that the policy of the Costa Rican Govemment in providing active co-operation and assistance to the cantras Operating from its territory results in the existence of State responsibility on the basis of complicity in the acts of persons not formally acting on the State's behalf. The responsibility thus arising would be for breaches of the principle of the prohibition of the use of force, but the precise axis or generator of responsibility is the element of complicity in the acts of persans outside the apparatus of the State (Hervorh. im Memorial)". Nicht recht verständlich ist im Zusammenhang hiermit allerdings die These Nicaraguas, in der Duldungskonstellation treffe den Basenstaat "a simple or direct responsibility for breach of the principle of the prohibition of the use of force (Hervorh. v. Verf.)" (ebd., S. 94f. (par. 301)), weil sich hierin die Vorstellung einer weitergehenden Form der Zurechnung auszudrücken scheint. 1379 So wie sie Cocuzza, IYIL 7 (1986/87), S. 205 ff. , dort insbes. in Fn. 49, erwägt, der bei dieser zweiten Zurechnungsstufe nicht zwischen Entsendeförderungsund Unterstützungskonstellation unterscheidet (vgl. den Nachw. oben unter C. 111. 1. b) bei Fußn. 694). Wenngleich nicht in unserem Zusammenhang, so hält doch auch Epiney, Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 135 f., die Zurechnung privaten Verhaltens unterhalb der de facto-Organ-Schwelle nicht für ausgeschlossen. 1380 Macht der Zielstaat das Vorliegen eines Gewalteinsatzes/bewaffneten Angriffs des Entsendeförderungsstaates geltend, so kann er nach der hier vertretenen Auffassung (s. dazu oben unter D. I. 2.dd) und D.ll. l.a)ee)) nicht gleichzeitig die Existenz eines bewaffneten internationalen Konflikts und deshalb die Anwendbarkeit der Kriegsgefangenenregeln bestreiten (zu der "Senkung der Anwendungs-
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
der Zurechnung von konfliktsvölkerrechtswidrigem Verhalten letzterer zum Entsendeförderungsstaat 1381 nicht präjudiziert sind. Nach alldem ist festzuhalten, daß der Entsendeförderungsstaat sowohl gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN Gewalt einsetzt als auch einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 SVN begeht. Daraus ergibt sich für die Entsendeförderungskonstellation die akkurate Begründung des individuellen schwelle" der "Kriegs"gefangenenregeln nach modernem Konfliktsvölkerrecht "auf militärische Operationen kleineren Ausmaßes unter Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedenszustandes" zutreffend Bothe, ZaöRV 31 (1971 ), S. 261 ). Auf der anderen Seite folgt aus der Anerkennung der Existenz eines bewaffneten internationalen Konflikts keineswegs mit Notwendigkeit die Bejahung des Kriegsgefangenenstatus' der Privaten und die hiermit einhergehende strafrechtliche Immunität hinsichtlich der Gewaltanwendung als solcher (in bezug auf konfliktsvölkerrechtswidriges Verhalten wie etwa gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Terrorakte ist strafrechtliche Verfolgung jedenfalls zulässig). Vielmehr ist die Zubilligung letzteren Status' von der Erfüllung der einschlägigen konfliktsvölkerrechtlichen Voraussetzungen abhängig. Der Völkergewohnheitsrecht enthaltende Art. 4 A (2) der Dritten Genfer Konvention verlangt in bezug auf nicht in die regulären Streitkräfte einer Konfliktspartei eingegliederten bewaffneten Kräfte u.a., daß diese zu jener Konfliktspartei "gehören". Letzteres ist mit der Feststellung der Sonderzurechnungsregel zu Gewaltund Aggressionsverbot nicht dargetan. Vielmehr ist die Frage des "Gehörens" i. S. v. Art. 4 A (2) Dritte Genfer Konvention konfliktsvölkerrechtlich zu entscheiden (s. dazu einmal die auf den Vietnam-Konflikt bezogenen Ausführungen Meyrowitz', Falk (Hg.), Vietnam li, S. 538, daneben die Kommentierung in Pictet, 3ieme Convention de Geneve, S. 64 f.). Dazu daß die Annahme strafrechtlicher Immunität auch dann Zweifeln ausgesetzt wäre, wenn man die Existenz eines bewaffneten internationalen Konflikts verneinte und die Privaten als de facto-Organe des Entsendeförderungsstaates ansähe s. Wellers Darlegungen zum Lockerbie-Fall in RADIC 4 (1992), S. 304ff., insbes. S. 309. Von der Problematik der Immunität der Privaten gegenüber strafrechtlicher Verfolgung durch den Zielstaat ist die Frage nach einer Bestrafungspflicht des Entsendeförderungsstaates in bezug auf die Privaten zu unterscheiden. Wolf hat die völkerrechtliche Pflicht des Basenstaates zur Bestrafung privater Schädigungshandlungen zur Begründung seiner Ablehnung jedweder Senkung der Zurechnungsschwelle angeführt. Die Senkung der Zurechnungsschwelle führe zu der wenig sinnvollen Erweiterung der Bestrafungspflicht dergestalt, daß die beteiligten de iure-Organe von ihrem eigenen Staat bestraft werden müßten (ZaöRV 43 (1983), S. 534 f.). Dem ist Epiney überzeugend entgegengetreten, indem sie darlegt, mit der Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat sei die Annahme einer Bestrafungspflicht desselben Staates in bezug auf dieses Verhalten unvereinbar. An die Stelle der Bestrafungspflicht träte die weitergehende Einstandspflicht des Zurechnungsstaates für alle von den Privaten verursachten Folgen (Vr Verantwortlichkeit von Staaten für rw Verhalten im Zshg mit Aktionen Privater, S. 180f.). Speziell für unseren Untersuchungsgegenstand ist hinzuzufügen, daß die mit der Zurechnung verbundene volle Einstandspflicht eine weitergehende Duldungspflicht gegenüber Verteidigungsmaßnahmen des Ziel- und hilfsbereiter Drittstaaten einschließt. 1381 Vgl. demgegenüber die oben unter C.I.2. in Fn. 602 erwähnte Position Wenglers, wonach der Zurechnungsmaßstab für den bewaffneten Angriff dem Konfliktsvölkerrecht zu entnehmen ist.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
319
und die Begründung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts des Zielstaates bzw. von um Hilfe ersuchten Drittstaaten auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3). cc) Zu möglichen spezifischen Grenzen der (individuellen und kollektiven) Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt (1) Die Ablehnung des Schwereerfordernisses
Diese folgt für unsere beiden Verwicklungskonstellationen angesichts der insoweit zu bejahenden Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum verwickelten Staat ohne weiteres aus den obigen 1382 Feststellungen. (2) Die zeitlichen Grenzen
Hier gelten die Ausführungen von oben 1383 entsprechend. (3) Zu der Diskussion über räumliche Grenzen
Spätestens die Bombardierungen Nord-Vietnams durch die USA im Vietnam-Konflikt1384 haben die bis heute anhaltende Diskussion um etwa aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgende räumliche Grenzen von Selbstverteidigungsmaßnahmen des Zielstaates bzw. hilfsbereiter Drittstaaten ausgelöst1385. Dabei können im wesentlichen drei Positionen unterschieden werden. Die restriktivste Auffassung geht dahin, dem Zielstaat grenzübergreifende Gewaltanwendung ganz zu versagen 1386. Einer zweiten Ansicht zufolge schließt das Verhältnismäßigkeitsprinzip einen grenzübergreifenden Gewalteinsatz des Zielstaates zwar nicht aus, doch beschränke dieses Prinzip einen solchen Gewalteinsatz auf die direkte Bekämpfung der bewaffneten Kräfte und die Instrumente ihrer Unterstützung (wie insbesondere Nachschublinien)1387. Noch permissiver ist eine dritte Sicht, wonach auch die Unter D. I. 2. a)ee). Unter D. ll. 2. a)cc)(3). 1384 Dazu oben unter B. II. 14. 1385 Vgl. für die Zeit zuvor die in der Tendenz restriktive, aber sehr vage Formulierung Brownlies, Use of Force, S. 373; zu Recht als nach wie vor schwelender Streit wird die Frage der räumlichen Grenzen bei Fischer, Ipsen (Hg.), Völkerrecht, S. 892 (Rz. 39 a.E.) angesprochen. 1386 Rudolf, Vietnam, S. 33 f. (zu Rudolfs Position bereits oben unter C. I. 1. in Fn. 594). 1387 Falk, YaleLJ 76 (1967), S. 1133; Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 (1986), S. 480 (bezogen auf die Unterstützungskonstellation, doch auf unsere beiden Ver1382 1383
320
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Zulässigkeil einer Defensivstrategie nicht ausgeschlossen werden könne, die über die direkte Bekämpfung der bewaffneten Kräfte und ihrer Nachschublinien hinaus den "militärischen Multiplikatoreffekt" auf den Angreiferstaat wälze 1388 . Bei der eigenen Stellungnahme zu dieser Kontroverse sollen drei Gesichtspunkte gesondert daraufhin überprüft werden, ob und bejahendenfalls inwieweit sie sich für die Begründung räumlicher Grenzen fruchtbar machen lassen. Dem Selbstverteidigungsbegriff immanent ist das Gebot der Eiforderlichkeit der Gewaltanwendung zur Abwehr des bewaffneten Angriffs 1389. Hieraus können sich je nach Lage des Falles räumliche Grenzen ergeben. So ist an eine aus dem Erforderlichkeilsgebot abgeleitete Beschränkung des Gewalteinsatzes auf das eigene Staatsgebiet in dem von Meier 1390 gebildeten Fall zu denken, in dem die von dem Angreiferstaat ausgerüsteten bewaffneten Kräfte den Grenzübertritt von dessen Territorium auf dasjenige des Zielstaates abgeschlossen haben, auf letzterem Territorium mehr oder minder frei operieren und keinen grenzübergreifenden Nachschub (mehr) erhalten. Wo hingegen der Grenzübertritt und/oder grenzüberschreitende Unterstützungsleistungen andauern 1391 , wird der grenzübergreifende (Gegen-) Gewalteinsatz häufig eine wirksamere und/oder für die eigenen Kräfte weniger riskante Verteidigung ermöglichen und deshalb unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeil nicht zu beanstanden sein. Auch einer Verteidigungsstrategie, die darauf abzielt, mittels räumlicher Ausdehnung der Kampfhandlungen über das Operationsgebiet der bewaffneten Kräfte bzw. deren Nachschublinien hinaus einen militärischen Multiplikatoreffekt auszulösen, um so Druck auf den Angreiferstaat im Sinne einer Verhaltensänderung auszuüben, kann nicht kategorisch die Erforderlichkeil bestritten werden. In einem zweiten Schritt ist zu überlegen, ob und ggf. in welchem Umfang räumliche Grenzen aus einem selbständig neben dem Erforderlichkeilsgrundsalz stehenden Verhältnismäßigkeilsprinzip resultieren. Gedacht ist hierbei nicht an das konfliktsvölkerrechtliche 1392, sondern an ein Verhältnismäßigkeitsprinzip des Selbstverteidigungsrechts ("ius ad bellum"wicklungskonstellationen mutatis mutandis zu übertragen) ; ebenso dürfte Blumenwitz, BayVBI 1986, S. 740, zu verstehen sein. 138 8 Moore, VaJint'IL 27 (1987), S. 275. 1389 Verkannt von Kunz, AJIL 41 (1947), S. 877f., und Dinstein, Self-Defence, s. 233f. 1390 Der bewaffnete Angriff, S. 79 (dazu daß Meier in diesem Fall mangels Zurechenbarkeit bereits das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs verneint, der Nachw. oben unter C. I. 2. bei Fn. 606). 1391 Und sei es nach dem oben unter D. I. 3. d) formulierten und unter D.II.2.b)cc)(2) in Bezug genommenen Kriterium. 1392 Dazu unten unter (4).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
321
Verhältnismäßigkeit). Der IGH ist im Nicaragua-Urteil von der Geltung eines derartigen Prinzips für das völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht gestützt auf den diesbezüglichen Konsens der Streitparteien ausgegangen 1393 und hat bei der nicht entscheidungserheblichen Anwendung in concreto für die Unterstützungskonstellation apodiktisch einige Folgerungen gezogen, die auf eine eher prohibitive Sichtweise hindeuten 1394. Es erscheint nicht allzu gewagt zu vermuten, daß mit den besagten dicta des IGH das letzte Wort zum Verhältnismäßigkeilsprinzip noch nicht gesprochen worden ist 1395 . Letzteres hätte schon angesichts der nicht unbeachtlichen Zahl von Stimmen, die die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bestreiten 1396 bzw. bezweifeln 1397, zumindest die Angabe eines triftigen Grundes erfordert. Dies um so mehr, als zu denjenigen, die das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Erforderlichkeilskriterium aufgehen lassen, auch der IGH-Richter Ago gehört. Dieser hat in seiner früheren Eigenschaft als ILC-Sonderberichterstatter zu der Verhältnismäßigkeitsproblematik u. a. ausgeführt: "It would be mistaken, however, to think that there must be proportionality between the conduct constituting the armed attack and the opposing conduct. The action needed to halt and repulse the attack may weil have to assume dimensions disproportionate to those of the attack suffered ... In fact the requirements of the ,necessity' and ,proportionality' of the action taken in self-defence can simply be described as two sides of the same coin" 1398 .
ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 194). ICJ Reports 1986, S. 122f. (par. 237): "Whether or not the assistance to the cantras might meet the criterion of proportionality, the Court cannot regard the United States activities ... relating to the mining of the Nicaraguan ports and the attacks on ports, oil installations, etc., as satisfying that criterion. Whatever uncertainty may exist as to the exact scale of the aid received by the Salvadorian armed Opposition from Nicaragua, it is clear that these latter United States activities in question could not have been proportionale to that aid (Hervorh. bis auf "contras" v. Verf.)". 1395 Der in der vorstehenden Fn. zitierte Urteilspassus ist derart lapidar formuliert, daß es auf (müßige) Spekulation hinausliefe zu ergründen, ob das Gericht meinte, aus dem Verhältnismäßigkeilsprinzip die (sicher falsche) Folgerung ziehen zu können, auf einen staatlichen Gewalteinsatz durch Verwicklung in Gewaltakte Privater dürfe nicht oder nicht sofort mit dem Einsatz regulärer Streitkräfte reagiert werden (vgl. die diesbezüglichen Überlegungen Macdonalds, CYIL 24 (1986), S. 153). 1396 Etwa Kunz, AJIL 41 (1947), S. 877f. ; Dahm, JIR II (1962), S. 58; Franzke, Schutzaktionen, S. 156ff.; Zourek, AnnuiDI 56 (1975), S. 49; R. Bindschedler, Anhang zum Referat Zourek AnnuiDI 56 (1975), S. 73; Chaumont, ebd., S. 76; David, Mercenaires, S. 366; diese Stimmen übergeht Gardam, AJIL 87 (1993), S. 403 (dort bei Fn. 96). 1397 So Castren, Anhang zum Referat Zourek AnnuiDI 56 (1975), S. 75. 1398 YILC 1980 111, S. 69 (par. 121); vgl. in direktem Gegensatz hierzu die Formulierung des Befürworters eines eigenständigen Verhältnismäßigkeitsprinzips, Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 740, die Abwehrhandlung dürfe höchstens so gravierend sein wie die Angriffshandlung. 139 3
1394
2 1 Kreß
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
Daß diesen Darlegungen Agos von Richter Schwebet bei dessen Widerspruch gegen die von der Richtermehrheit aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gezogenen Folgerungen viel Raum gewidmet wird 1399 , nimmt nicht Wunder. Es bleibt also auch nach dem Nicaragua-Urteil lohnend, darüber nachzudenken, inwieweit sich zu Art. 51 SVN trotz der Unergiebigkeit des Wortlauts ein Gesamtauslegungsergebnis im Sinne der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips formulieren läßt. Dabei ist an die oben unter D.II.2.a)bb)(1) i.V.m. D.II.2.a)cc)(1) gewonnene Erkenntnis anzuknüpfen, daß der teleologischen Auslegung angesichts der Unergiebigkeit von Wortlaut, Systematik und Geschichte hervorragende Bedeutung zukommt, und daß die Verhältnismäßigkeitsfrage hiernach nicht für alle Selbstverteidigungskonstellationen einheitlich ausfällt, sondern entsprechend der Gegenläufigkeit von Rechtsbewährungs- und Verhältnismäßigkeitsprinzip variiert. Danach kann das für Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation 1400 erzielte Ergebnis, wonach das durch den Selbstverteidigungseingriff beeinträchtigte das geschützte Interesse nicht wesentlich überwiegen darf, nicht auf Entsende- und Entsendeförderungskonstellation übertragen werden. Denn hier liegt ein bewaffneter Angriff des vom Selbstverteidigungseingriff betroffenen Staates vor, und so wird das Verhältnismäßigkeits- durch das Rechtsbewährungsprinzip weiter zurückgedrängt. Diesen Überlegungen läßt sich nicht entgegenhalten, sie ignorierten den spezifisch völkerrechtlichen Befund, daß mit jeder Selbstverteidigungsmaßnahme die Gefahr verbunden ist, die häufig unschuldige Zivilbevölkerung direkt oder indirekt in Mitleidenschaft zu ziehen 1401 • Denn das Völkerrecht hält mit den Kampfführungsbestimmungen des Rechts des bewaffneten internationalen Konflikts einen Normenkomplex bereit, der dazu bestimmt ist, dem genannten völkerrechtlichen Spezifikum Rechnung zu tragen. Ein Gesamtauslegungsergebnis zu Art. 51 SVN im Sinne der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für unsere Verwicklungskonstellationen läßt sich danach nur noch bei Nachweis einer entsprechenden späteren Praxis erzielen. Ein derartiger Nachweis läßt sich sicher nicht durch Auswertung des Konsensbildungsprozesses zu Resolution 3314 führen. Denn hierbei sind, wie Bruha im einzelnen nachgewiesen hat 1402, in nicht unbeträchtICJ Reports 1986, S. 367f. (par. 212). Zur Möglichkeit einer permissiveren Bestimmung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs in der Duldungskonstellation s. oben unter D.II.2.a)cc)(l) in Fn. 1261. 1401 Auch Zourek, der das im Text genannte völkerrechtliche Spezifikum eingangs seines Berichts zum Selbstverteidigungsrecht betont (AnnuiDI 56 (1975), S. !Of.), folgert hieraus nicht die Geltung unseres Verhältnismäßigkeilsprinzips (ebd., S. 49). 1402 Aggressionsdefinition, S. 172 ff. mit zahlr. Zitaten und Nachw. ebd. 1399
1400
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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licher Zahl Stimmen gegen die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips laut geworden. Was die Konfliktpraxis angeht, so ist zwar nicht zu verkennen, daß die Vokabel "proportionality" häufig im Munde geführt wird 1403 . Doch verbleiben insbesondere bei der angloamerikanischen Rede von "proportionality" erhebliche Zweifel daran, ob hiermit eine selbständig neben dem Eiforderlichkeitskriterium stehende Schranke bezeichnet werden soll. Nicht zuletzt das tatsächliche US-amerikanische Vorgehen im Vietnam- und im Nicaragua-Konflikt läßt es mindestens ebenso plausibel erscheinen, daß unter "proportionality" im Anschluß an beachtliche Stimmen aus dem angloamerikanischen Schrifttum lediglich das Erfordernis verstanden wird, "that responding coercion be limited in intensity and magnitude to what is reasonably necessary promptly to secure the permissible objectives of self-defense (Hervorh. v. Verf.)" 1404.
Demnach erscheint es ausgeschlossen, der späteren Praxis einen Konsens im Sinne der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu entnehmen, womit ein entsprechendes Gesamtauslegungsergebnis zu Art. 51 SVN ausscheidet. Schließlich muß der von Röling angeregte Versuch jedenfalls weitgehend scheitern, die Verhältnismäßigkeitsschranke einem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. I c) IGH-Statut zu entnehmen. Denn Rölings Bemerkung, das Proportionalitätsprinzip sei "unausgesprochen Teil jeder Notwehr-Regelung im nationalen Strafrecht" 1405 muß jedenfalls im Hinblick auf das deutsche Recht ganz erheblich qualifiziert werden. Hiernach ist eine zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderliche Verteidigungshandlung nur im Falle eines "unerträglichen Mißverhältnisses" zwischen geschütztem und beeinträchtigtem Interesse 1403 So betonen etwa in bezug auf den OS-amerikanischen Gewalteinsatz gegen den Irak vom Juni 1993 die USA selbst (S/PV 3245, S. 6), Frankreich (ebd., S. 13) und Großbritannien (ebd., S. 21) dieses Kriterium. 1404 So McDougal/Feliciano, World Public Order, S. 242. Diese Formel wurde von Moore zur Rechtfertigung der Vietnam- und Nicaragua-Operationen der USA aufgegriffen (AJIL 61 (1967), S. 16, bzw. VaJint'lL 27 (1987), S. 274f.); der englische Völkerrechtler Greenwood verwendet die Formulierungen "reasonably proportionate" und "reasonably necessary" austauschbar (The Effects of the United Nations Charter on the Law of Naval Warfare, S. 16) und zitiert (ebd., S. 17) zum "proportionality-requirement" zustimmend die oben im Text wiedergegebene Passage aus ILC-Sonderberichterstatter Agos Bericht; bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, daß Gadam in ihrem ausführlichen Beitrag zu "Proportionality and Force in International Law" zu keiner klaren Verselbständigung des (ius ad bellum-) Verhältnismäßigkeitsprinzips vom Erforderlichkeitsgebot findet, wie zum einen ihre Ausführungen zur "Webster-Formel" (a.a.O., S. 403), daneben ihre zusammenfassenden Bemerkungen (a.a.O., S. 412) zeigen. 1405 FS Menzel, S. 401. 21 *
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
nicht als Notwehr gerechtfertigt 1406 . Es soll hier nicht vertieft werden, ob mit letzterer Formel der kleinste gemeinsame Nenner der Schranken der nationalen Notwehrrechte bezeichnet ist, und so ein allgemeiner Rechtsgrundsatz in diesem Sinne bejaht werden kann, und ob ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz noch als Ausprägung des Verhältnismäßigkeilsprinzips oder mit Dahm 1407 besser als solche des Rechtsmißbrauchsverbots zu begreifen ist. Es genügt festzuhalten, daß die durch Rekurs auf allgemeine Rechtsgrundsätze höchstens begründbare Ausübungsschranke der Selbstverteidigungsbefugnis permissiver zu formulieren wäre als die hier befürwortete Verhältnismäßigkeitsformel für Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation. Aus alldem folgt im Ergebnis, daß ein selbständig neben dem Erforderlichkeitskriterium stehendes "ius ad bellum"-Verhältnismäßigkeitsprinzip in Entsende- und Entsendeförderungskonstellation sicher nicht gegen eine Erstreckung von Selbstverteidigungsmaßnahmen auf bewaffnete Kräfte oder Nachschublinien im Territorium des verwickelten Staates ins Feld geführt werden kann. Und die Beanstandung einer räumlichen Ausdehnung der Kampfführung durch den Zielstaat zur Schaffung eines "militärischen Multiplikatoreffekts" kommt unter den Gesichtspunkten von Unverhältnismäßigkeil bzw. Rechtsmißbrauch nur dann in Betracht, wenn die hiermit verbundene Beeinträchtigung in einem "unerträglichen Mißverhältnis" zum Gewicht des zu schützenden Interesses steht. In einem letzten dritten Schritt bleibt zu untersuchen, ob sich räumliche Grenzen aus konfliktsvölkerrechtlichen Kampfführungsbestimmungen ergeben. An dieser Stelle geht es noch nicht um den konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Schutz ziviler Positionen, sondern um die Möglichkeit, aus dem Gebot der Beschränkung der Kampfführung auf militärische Ziele für unsere Verwicklungskonstellationen räumliche Grenzen der Kampfführung abzuleiten. In einem Beitrag zum Vietnam-Konflikt hat Meyrowitz das Problem getroffen (wenn auch jedenfalls aus heutiger Sicht vielleicht nicht ganz präzise formuliert), indem er fragte, ob nach Konfliktsvölkerrecht "all military objectives, including those which do not have a direct relationship with the infiltration of men and supplies" zum Gegenstand von Angriffen gemacht werden dürften 1408 . Diese Frage ist auf 1406 Z.B. BGH, NStZ 1981, S. 22f.; auch in der neuesten Rspr. des BGH werden über das Erforderlichkeilsgebot hinausgehende Notwehrgrenzen nicht mit der Anerkennung eines allgemeinen Angemessenheitsprinzips, sondern mit besonderen Gesichtspunkten, insbesondere demjenigen der pflichtwidrigen Herbeiführung der Notwehrlage durch den Verteidiger begründet; vgl. insoweit vor allem die Entscheidung BGHSt 39, S. 374ff. 1407 JIR 11 (1962), S. 58. 1408 Falk (Hg.), Vietnam II, S. 551 in Fn. 68.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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der Grundlage von Art. 52 Abs. 2 Satz 2 ZPl zu verneinen, denn hiernach gilt, daß "military objectives are limited to those objects which by their nature, location purpose or use make an effective contribution to military action and whose total or partial destruction, capture or neutralization, in the circumstances ruling at the time, offers a definite military advantage (Hervorh. v. Verf.)" 1409. Die hervorgehobene, kumulativ zu erfüllende 1410 zweite Begriffsvoraussetzung macht deutlich, daß es absolute "militärische Objekte" nicht (mehr) gibt 1411 , sondern daß zur Verleihung des Attributs "militärisch" stets darzulegen ist, daß mit der Bekämpfung des jeweiligen Objekts ein mehr als nur möglicher oder unbestimmter militärischer Vorteil 1412 verbunden ist. Damit setzt das gemäß Art. 52 Abs. 2 S. 2 ZPl präzisierte Gebot der Beschränkung der Kampfführung auf militärische Ziele einer Defensivstrategie der Druckerzielung durch räumliche Ausdehnung der Kampfhandlungen auf Ziele, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Entsendung von bewaffneten Kräften bzw. der Entsendeförderung stehen, engste Grenzen141 3. Diese Grenzen gelten nicht nur für die Parteien des ZPl, da Art. 52 Abs. 2 Satz 2 Völkergewohnheitsrecht kristallisiert hat 1414. (4) Die Grenzen hinsichtlich der Schädigung ziviler Positionen Hinsichtlich der konfliktsvölkerrechtlichen Verbote der gegen zivile Positionen gerichteten bzw. der unterschiedslosen Kampfführung gelten die Ausführungen von oben 1415 unverändert. Eine Abweichung ergibt sich bei 1409 Text zit. nach Roberts/Guelff, Documents on the Laws of War, S. 417. 1410 Pilloud/Pictet, Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hg.), Commentary on the Additional Protocols, Art. 52, Rz. 2018. 1411 Zutr. Penna, FS Pictet, S. 219; nicht hinreichend berücksichtigt von Greenwood, Dinstein (Hg.), International Law at a Time of Perplexity, S. 279; mindestens mißverständlich Kalshoven, Constraints on the Waging of War, S. 90; etwas mißverständlich auch die Auflistung in der hervorgehobenen Kernaussage Nr. 443 Oeters, Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, S. 130, nach zunächst zutreffenden Ausführungen a.a.O., S. 128 ff. 1412 Pilloud/Pictet, Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hg.), Commentary on the Additional Protocols, Art. 52, Rz. 2024; in der deutschen Übersetzung (Sart. II, Ordnungsnummer 54a) ist von "eindeutigem" militärischen Vorteil die Rede. 1413 In dem eingangs der Überlegungen sub (3) zitierten Beispiel Meiers können diese Grenzen sogar das gesamte Territorium des verwickelten Staates gegen Kampfhandlungen immunisieren. 1414 Greenwood, FS Kalshoven, S. 108; Penna, FS Pictet, S. 219; wohl ebenso Bothel /psen/Partsch , ZaöRV 38 (1978), S. 42; die These vom völkergewohnheitsrechtlichen Charakter des Art. 52 Abs. 2 Satz 2 ZPI hat durch die Kampfführung der Alliierten im Kuwait-Konflikt eine nachhaltige Bestätigung erfahren (s. insoweit die eingehende Analyse Greenwoods, Rowe (Hg.), Gulf War, S. 71 ff.). 14!5 Unter D.II.2.a)cc)(4).
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
der Bestimmung der konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsformel. Da in Entsende- und Entsendeförderungskonstellation ein bewaffneter Angriff des verwickelten Staates vorliegt, greifen hier die Gründe nicht durch, die für Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation zu einer prohibitiven Fassung der Verhältnismäßigkeitsformel angeführt worden sind. Im Hinblick auf die ersteren beiden Verwicklungskonstellationen schließt die Auslegung des Art. 51 Absatz Sb) ZPI vielmehr- wie in allen Fällen der Selbstverteidigung gegen einen staatlichen bewaffneten Angriff- eine permissive Fassung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs dergestalt nicht aus, daß die (unvermeidbare) Schädigung ziviler Positionen erst dann als unverhältnismäßig zu bewerten ist, wenn ihr Gewicht dasjenige des hinter dem militärischen Vorteil stehenden geschützten Interesses wesentlich überwiegt. Derzeit erscheint es nicht möglich, der Praxis hinreichend deutliche Konturen im Sinne einer prohibitiveren Verhältnismäßigkeitsformel zu entnehmen. Eine Stellungnahme der Regierung der Bundesrepublik Deutschland von 1983 läßt keine Neigung erkennen, sich im Hinblick auf eine Präzisierung der Verhältnismäßigkeitsformel des Art. 51 Absatz Sb) ZPl festzulegen. Eine hierauf abzielende große Anfrage wird lapidar dahin beschieden, abstrakte Quantifizierungen seien nicht möglich 1416• Äußerungen von alliierter Seite im Kuwait-Konflikt deuten sogar eher auf ein Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgebots im permissiveren Sinne hin. So heißt es in einem Zwischenbericht der Konfliktsvölkerrechtsabteilung des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums zum Verhältnismäßigkeitserfordemis: "It prohibits military actions in which the negative effects (such as collateral casualties) clearly outweigh the military gain (Hervorh. v. Verf.)" 1417 •
Bei der Debatte über den Gewalteinsatz der USA im Irak vom Juni 1993 1418 schließlich bleibt den irakischen Bemühungen, die Sicherheitsratsmitglieder mit dem Hinweis auf nicht unerhebliche Schädigungen ziviler Positionen zu einer Verurteilung der USA zu bewegen 1419 , jeglicher Erfolg versagt. Besagte Schäden, die von US-amerikanischer Seite nicht bestritten 1416 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, Drucksachen, Band 296, Drucksache 10/445, S. 12; Reimann, FS Pictet, S. 781, hält die deutsche Zurückhaltung für repräsentativ. 14 17 Department of Defense, Conduct of the Persian Gulf Conflict: An Interim Report to Congress (July 1991), S. 12- 2; vgl. auch die Stellungnahme des britischen Air Vice-Marshals Wratten in House of Commons Defence Committee, Tenth Report, Preliminary Lessons of Operation Granby (HC No 287/l), S. 38 (Frage 274); s. auch die (zu) skeptische These Gardams, AJIL 87 (1993), S. 410, derzufolge die Kampfführung der Alliierten im Golf-Konflikt erweisen soll, daß "the military advantage always outweighed the civilian casualties as long as civilians were not directly targeted and care was taken in assessing the nature of the target and carrying out the attack itseir'. 14 18 Oben unter B.II.31. 141 9 S/PV 3245, S. 9f.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
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werden 1420, werden nicht in einem einzigen Debattenbeitrag zum Anlaß genommen, die USA zu verurteilen. Vielmehr wird auf die zivilen Verluste lediglich mit Bedauern reagiert 1421 . c) Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation
aa) Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht beim Zusammentreffen beider Verwicklungsformen Oben 1422 ist aus den bereits zuvor 1423 getroffenen Feststellungen die Folgerung gezogen worden, daß die Satzungskonformität individueller wie kollektiver grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung des Zielstaates in Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation zur Voraussetzung hat, daß hier von einem Gewalteinsatz des verwickelten Staates gesprochen werden kann. Letzteres ist der Fall, wenn die Gewaltakte der Privaten dem verwikkelten Staat zuzurechnen sind. Beim Zusammentreffen der beiden in Rede stehenden Verwicklungselemente sind die Voraussetzungen der Grundsatzzurechnungsnorm1424 erfüllt, so daß zur Vemeinung der Zurechnung der Nachweis einer hinreichend deutlichen Praxis in diesem Sinne speziell für unseren Primärnormenbereich erforderlich ist. Allein die Nichtaufnahme der Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation in die Kataloge der Aggressionsdefinitionen der Londoner Konventionen bzw. der Resolution 3314 könnte eine derartige Praxis dokumentieren. Während sich die Nichtberücksichtigung im Katalog der erstgenannten Definition noch ebensogut mit dem fehlenden grenzübergreifenden Charakter der Gewaltakte in unserer Verwicklungskonstellation erklären läßt, scheidet eine solche Deutung bei Art. 3 der Resolution 3314 angesichts dessen Buchstaben e) aus 1425 . Jedenfalls bei Art. 3 Resolution 3314 liegt also eine Lesart im Sinne der Zurechnungsverneinung nahe. Zum Nachweis einer hinreichend deutlichen Praxis reicht dieser Befund jedoch nicht aus. Hierzu wäre zusätzlich darzulegen, daß mit der Nichtaufnahme in die Liste der benannten Aggressionsfälle wenigstens ganz weitgehende Übereinstimmung über den Ausschluß unserer Verwicklungskonstellation aus dem Aggressionsbegriff der ResoluS/PV 3245, S. 7. S. die gemeinsame Erklärung von Kap Verde, Dschibuti, Marokko, Pakistan und Venezuela, S/PV 3245, S. 17; Brasilien, ebd., S. 18 ; China, ebd., S. 21 ; Spanien, ebd., S. 24. 1422 Unter D. II. I. b)(l). 1423 Oben unter B. VI. 3. und 4. i. V. m. D. II. I. a) ff). 1424 Oben unter D. II. l.c)bb)(2). 1425 Zu der Divergenz des Londoner Aggressionskatalogs von demjenigen der Resolution 3314 bezüglich nicht grenzübergreifender staatlicher Gewaltanwendung näher oben unter D.l.4. 1420
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
tion 3314 erzielt worden ist. Dies ist nicht der Fall, da die Unterzeichner des Weststaatenentwurfs 1426 ihre Zustimmung zum Resolutionstext und insbesondere zu dessen Art. 3 g) nicht als Aufgabe ihrer Forderung nach Einbeziehung aller in Absätzen 8 und 9 Prinzip I Resolution 2625 aufgeführten Verwicklungsformen verstanden wissen wollten 1427, eine Haltung, die auf Art. 4 Resolution 3314 gestützt werden konnte 1428. Demnach ist von der Grundsatzzurechnungsnorm auszugehen, und so die Zurechnung der Gewaltakte zum verwickelten Staat zu bejahen. Daraus folgt, daß beim Zusammentreffen der Verwicklungsformen von Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation eine Gewaltanwendung gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN und mangels Beschränkung des Begriffs auf grenzübergreifende Gewaltanwendung1429 bzw. auf den Einsatz regulärer Streitkräfte 1430 - ein staatlicher bewaffneter Angriff im Sinne von Art. 51 SVN vorliegt. Damit steht für den Fall der Kumulation von Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation gemäß Gewichtungsregel (3) ein Gesamtauslegungsergebnis im Sinne einer individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates bzw. um Hilfe ersuchter Drittstaaten fest 1431 . In der Frage der Grenzen dieser Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt gelten die oben 1432 für Entsende- und Entsendeförderungskonstellation festgehaltenen rechtlichen Gesichtspunkte. Die ebenda sub (4) explizierten Gebote der Erforderlichkeit und der Beschränkung der Kampfführung auf militärische Ziele können grenzübergreifender (Gegen-) Gewaltanwendung insbesondere dort Raum lassen, wo es um die Bekämpfung von Nachschublinien oder - bei Anwendung einer "Nadelstichtaktik" terroristischer Anschläge im Zielstaatsterritorium - Schaltstellen der Verwicklungspolitik (d.h. Teile der "terroristischen Infrastruktur") geht. 1426 Ausführlich zu Resolution 3314 und zum diesbezüglichen Konsensbildungsprozeß oben unter B. III. 3. 1427 Bruha, Aggressionsdefinition, S. 238 f. (mit Nachw.). 1428 Dementsprechend heißt es in der Erklärung der USA zum Wert des in Art. 3 Resolution 3314 enthaltenen Katalogs: "Those subparagraphs did not, of course, purport to spell out in detail all the illicit uses of force which could qualify as acts of aggression. They should be understood as a summary, and reference to such documents as the Declaration on Friendly Relations was particularly helpful in understanding some of them and accepting the summary treatment of the issues in, for example, subparagraphs (f) and (g)"; GAOR, 29th session, 6th committee, 1480th meeting, S. 95 (par. 71 ). 1429 Dazu oben unter D. I. 4. 1430 Dazu oben unter D.II.2.b)aa). 1431 Dasselbe gilt natürlich für die in dieser Untersuchung nicht direkt behandelte Konstellation der staatlichen Steuerung von auf das Zielstaatsterritorium beschränkten Gewaltakten Privater (vgl. insoweit die Auswertung der Debatte zun BinnaKonflikt oben unter B. II. 6. ). 1432 Unter D. II.2.b)cc).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
329
bb) Selbstverteidigungsrecht und Gewaltverbot in Anstiftungsund Unterstützungskonstellation jeweils für sich genommen (1) Die Ablehnung einer Selbstverteidigungsbefugnis
Bei jeweils isolierter Betrachtungsweise kann keine der beiden in Rede stehenden Verwicklungsformen der Grundsatzzurechnungsnorm 1433 subsumiert werden, und angesichts der Nichtaufnahme beider Verwicklungskonstellationen in die Kataloge der Aggressionsdefinitionen von Londoner Konventionen und Resolution 3314 ist der Nachweis einer hinreichend deutlichen Praxis im Sinne einer Sonderzurechnungsregel ausgeschlossen. Dieser Befund steht keineswegs im Widerspruch zu dem für die Entsendeförderungskonstellation erzielten Zurechnungsergebnis 1434, da bei letzterer Verwicklungsform zu dem Unterstützungselement die territoriale Verwicklung (oder: die auf das eigene Territorium bezogene Garantenstellung) hinzutritt1435. Danach scheidet in unseren beiden Verwicklungskonstellationen bei jeweils isolierter Betrachtungsweise die Zurechnung der Gewaltakte zum verwickelten Staat aus. Aus der Ablehnung eines Gewalteinsatzes des verwickelten Staates ergibt sich die Vemeinung eines bewaffneten Angriffs dieses Staates gemäß Art. 51 SVN. Dem hieraus folgenden Schluß, daß sich auch auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) in unseren beiden Verwicklungskonstellationen keine Selbstverteidigungsbefugnis begründen läßt, und daß deshalb nach geltender Satzungsrechtslage eine Befugnis des Zielstaates bzw. um Hilfe ersuchter Drittstaaten zu auf das Territorium des verwickelten Staates übergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung ausscheidet, kann nicht mit dem Gedanken 1436 ausgewichen werden, der verwickelte Staat nehme an (privater) Gewaltanwendung teil, und die Teilnahme sei der Täterschaft rechtlich gleichzustellen1437. Weder gibt es einen solchen Grundsatz, noch wäre es angängig, ein Gesamtauslegungsergebnis zu einem bestimmten völkerrechtlichen Vertrag Von oben unter D.II.l.c)bb)(2). Von oben unter D.II. 2.b)bb). 1435 Deshalb ist die Anstiftung oder Unterstützung Privater zu grenzübergreifender Gewaltanwendung auf den Zielstaat von einem Drittstaatsterritorium aus (wie sie etwa die UdSSR der USA im Guatemala- bzw. der USA und China im Afghanistan-Konflikt vorgeworfen hat (vgl. oben unter B. II.7. a.E. bzw. B.II. 20.a) und in Brownlies Katalog der Verwicklungskonstellationen (ICLQ 7 (1958), S. 71 2 sub 2., und oben in der Einleitung bei Fn. 6) - wenngleich zu undifferenziert - angedeutet wird) in rechtlicher Hinsicht nicht der Entsendeförderungs-, sondern der Anstiftungs- bzw. Unterstützungskonstellation gleichzustellen. 1436 Ein Gedanke, der sicher bei einigen der oben unter C. 111. I. b) referierten extensiven Bestimmungen des Begriffs des bewaffneten Angriffs mitspielt. 1437 So - bezogen auf die Subsumtion unter Art. 2 Ziff. 4 SVN - Derpa, Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 20 f. 1433 14 34
330
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
durch Rekurs auf einen solchen Grundsatz zu überspielen. Dies steht auch für die Unterstützungskonstellation nicht in Widerspruch zu der in Art. 27 ILC-Entwurf dokumentierten Auffassung der ILC, die Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Akt eines anderen Staates stelle selbst eine Völkerrechtswidrigkeit dar 1438 . Selbst wenn man dem dogmatischen Unterschied zwischen der in Art. 27 ILC-Entwurf behandelten Konstellation (Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Tun eines anderen Staates) und unserer Unterstützungskonstellation (Beihilfe zu privatem Verhalten, das, hätte es staatlichen Charakter, völkerrechtswidrig wäre) keine entscheidende Bedeutung zumessen will und bereit ist, Zweifel an dem völkergewohnheitsrechtliehen Gehalt des Art. 27 ILC-Entwurf zurückzustellen 1439, bliebe der ausdrückliche Vorbehalt im Kommentar zu letzterem Artikel zu berücksichtigen, wonach eine rechtliche Gleichstellung von Beihilfe und Täterschaft über das Verdikt der Völkerrechtswidrigkeit hinaus (und das heißt auch und insbesondere hinsichtlich der Gegenmaßnahmen) mit der fraglichen Bestimmung keineswegs notwendigerweise verbunden sei 1440• Unser Gesamtauslegungsergebnis zur Unterstützungskonstellation stimmt demnach, was die Frage kollektiver grenzübergreifender (Gegen-) Gewaltanwendung angeht, mit der im Nicaragua-Urteil vertretenen Rechtsauffassung überein und zwingt hinsichtlich der Problematik der individuellen grenzübergreifenden (Gegen-) Gewaltwendung zur Verneinung der im Urteil offen gelassenen 1441 Zulässigkeitsfrage 1442 • In diesem Zusammen1438 Einen ausdrücklich erwähnten Beihilfefall bildet die Waffenlieferung an einen Aggressorstaat oder die logistische Unterstützung des letzteren; YILC 1978 112, s. 102. 1439 S. etwa die kritischen Bemerkungen E. Kleins, FS Schlochauer, S. 433 ff., und Steins, AVR 30 (1992), S. 49f. 144° YILC 1978 112, S. I 04. 1441 Vgl. oben unter B. V. l.c). 1442 Im Hinblick auf die oben unter B. II. 23. a) festgehaltene weitreichende Auslegungsübereinstimmung zwischen der USA und Nicaragua im Sinne einer permissiveren Bestimmung der Grenzen satzungskonformer (Gegen-)Gewaltanwendung in der Unterstützungskonstellation erhebt sich die Frage, ob gemäß dem oben unter A.IV. a.E. formulierten Vorbehalt ein von dem hier erzielten Gesamtauslegungsergebnis abweichender partikularer Konsens der Konfliktparteien vorrangig zu berücksichtigen ist (Zu der Parallelproblematik auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts und ihrer Behandlung im Nicaragua-Urteil oben unter A. IV. in Fn. 65). Insoweit ist zu unterscheiden: Während sich die vorrangige Berücksichtigung eines partikularen Konsenses im Sinne eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts nach dem Ergebnis oben unter D.l. I. e) wegen Art. 103 SVN verbietet, ist die Bejahung eines individuellen Selbstverteidigungsrechts gestützt auf einen entsprechenden partikularen Konsens unter der Voraussetzung möglich, daß die h. A. zutrifft, wonach das (individuelle) Selbstverteidigungsrecht vor 1945 auch von Rechtsverletzungen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs ausgelöst wurde (zu letzterer Streitfrage näher oben unter l.l.c)bb)).
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
331
hang ist allerdings zu erinnern, daß diese Untersuchung allein die Satzungsrechtslage zum Gegenstand hat, wohingegen das Nicaragua-Urteil auf der Grundlage von Völkergewohnheitsrecht gesprochen worden ist. Diese Feststellung ist von Bedeutung, da der etwa von ILC-Sonderberichterstatter Ago vertretenen 1443 und mit der IGH-Position im Nicaragua-Urteil weitgehend übereinstimmenden 1444 Auffassung zu widersprechen ist, wonach die Grenzen des Selbstverteidigungsrechts nach Gewohnheits- und Satzungsrecht identisch zu bestimmen sind. Dies gilt selbst dann, wenn man mit Ago annimmt, die VN-Mitgliedstaaten gingen von der Identität von Gewohnheits- und Satzungsrecht aus. Denn über die Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN besteht zwischen den Staaten Streit, und es ist möglich, daß sich eine Rechtsauffassung, die sich als Gesamtauslegungsergebnis zu den genannten Satzungsbestimmungen nicht halten läßt, nach Gewohnheitsrecht zu behaupten vermag 1445 . Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Gewohnheitsrechtslage zu Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht in Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation von dem hier erzielten Gesamtauslegungsergebnis zur SVN abweicht. Große praktische Relevanz dürfte eine derartige Abweichung allerdings angesichts der beinahe universellen Geltung der SVN und der begrenzten Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der prozessualen Sonderlage des Typs "Nicaragua" nicht erlangen, weshalb der Verzicht auf eine Analyse der Gewohnheitsrechtslage in dieser Arbeit erträglich erscheint. Die völkerrechtspolitische Angreifbarkeil des Ausschlusses jedweder Befugnis zu (sei es individueller, sei es kollektiver) grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung 1446 (oder es ließe sich auch sagen : demjenigen der Bewährung der Völkerrechtsordnung) ist nicht zu bestreiten. Insbesondere für den Fall der massiven Unterstützung der bewaffneten Opposition in einem anderen Staat kann mit Fug und Recht bezweifelt werden, ob das Extemalisierungsargument1447 Gewicht genug hat, die völkerrechtspolitische Vorzugswürdigkeit einer Lösung zu begründen, die dem Zielstaat die unter Umständen wirksamste Möglichkeit verwehrt, einer schweren Rechtsverletzung zu begegnen. Keinesfalls angemessen erscheint es allerdings, in dem hier erzielten Gesamtauslegungsergebnis eine "Tragödie für die Weltordnung" 1448 zu 1443 YILC 1980 III, S. 63 (par. 108); im Kommentar wird die Frage offen gelassen YILC 1980 112, S. 59 (par. 20). 1444 Zur IGH-Position in dieser Frage bereits oben unter B. V. 2. 1445 Zutreffend Randelzhofer, Siroma (Hg.), Charta VN, Art. 51, Rz. 39f.; s. auch Schulze, Wolfrum (Hg.), Hdb. VN, S. 760f. (Rz. 33). 1446 Vgl. dazu oben unter C.III. l.b) a.E. 1447 Vgl. dazu oben unter C. III. I. a) a. E. 1448 So wie Moore, AJIL 81 (1987), S. 152, das Nicaragua-Urteil bewertet hat.
332
D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
sehen. Denn zunächst gilt es, sich nocheinmal zu vergegenwärtigen, daß der Ausschluß grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung für die Fälle nicht gilt, wo die unterstützten Privaten entweder grenzübergreifend operieren (Entsendeförderungskonstellation) oder sich nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag des Unterstützerstaates zur Gewaltanwendung formiert haben (Kumulation von Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation). Darüber hinaus ist der Zielstaat gegenüber der Gewaltanwendung sicher nicht machtlos, sondern darf grundsätzlich 1449 dort, wo sie stattfindet, d. h. auf dem eigenen Territorium, gegen sie vorgehen. Dabei ist es ihm nicht zu verwehren, einen Drittstaat um Hilfe zu ersuchen. Denn selbst die vom IGH obiter verworfene 1450, in der Völkerrechtslehre aber häufig anzutreffende Auffassung, wonach im Bürgerkrieg nicht nur die Opposition, sondern auch die de iure-Regierung von Drittstaaten nicht unterstützt werden dürfe 1451 , steht der Hilfeleistung eines Drittstaates in der Unterstützungskonstellation nicht entgegen, da sich die Unterstützung der de iure-Regierung hier als Reaktion auf die Unterstützung der bewaffneten Opposition darstellt. Eine derartige reaktive Unterstützung der de iure-Regierung auf dem Bürgerkriegsterritorium ist jedenfalls zulässig 1452 . Eines Rekurses auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht bedarf es insoweit in Übereinstimmung mit der britischen Position im Jordanien-Konflikt von 1958 1453 nicht.
(2) Zur Gewaltverbotsproblematik Nach der Zurechnungsverneinung und der Ablehnung einer rechtlichen Gleichstellung von Täterschaft und Teilnahme sprechen Text und Systematik gegen die Subsumtion des Anstiftungs- und Unterstützungsverhaltens unter das Gewaltverbot gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN, woraus sich eine restriktive Kongruenzlösung 1454 zu Selbstverteidigungsrecht und Gewaltverbot in unseren beiden Verwicklungskonstellationen ergäbe. Doch stellt sich hier 1449 Zur Problematik der Reaktion auf die auswärtige Unterstützung einer bewaffneten Opposition gegen eine fundamentale völkerrechtliche Menschen- bzw. Gruppenrechte systematisch verletzende de iure-Regierung unten unter bb) a. E. 1450 Dazu oben unter D. II. I. d) aa) in Fn. 1091. 145 1 So insbesondere die Resolution des Institut de Droit International vom 14. August 1975, AnnuiDI 56 (1975), S. 544ff.; Doswald-Beck, BYIL 56 (1985), S. 251 f., gelangt in ihrer ausführlichen Untersuchung der Problematik zu der Differenzierungslösung, wonach auswärtige Staaten die de iure-Regierung zwar mit Waffen und anderem militärischen Material, nicht aber durch einen eigenen Truppeneinsatz unterstützen dürften. 1452 Rauschning, Schaumann (Hg.), Gewaltverbot, S. 87. 1453 Dazu oben unter B. II. 9. a. E. 1454 Nachw. zu den Vertretern einer solchen Lösung im Schrifttum oben unter C. III. 3. in Fn. 700.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
333
wie bei der Duldungskonstellation die Frage, ob nicht angesichts von Abs. 9 des Gewaltverbotsprinzips der Resolution 2625 1455 angenommen werden muß, die spätere Praxis dokumentiere einen Konsens im Sinne der Erstrekkung des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf die in Rede stehenden Formen der Teilnahme an Gewaltakten Privater. Diese Frage kann nicht einfach unter Hinweis auf die entsprechenden Darlegungen zur Duldungskonstellation 1456 bejaht werden. Denn während die sich bei einer Subsumtion unter Art. 2 Ziff. 4 SVN ergebende Inkongruenzlösung 1451 in der Duldungskonstellation wegen der Begründbarkeit eines individuellen Selbstverteidigungsrechts kein Reziprozitätsproblem aufwirft, wäre ein derartiges Problem für Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation die Konsequenz. Dem Zielstaat wäre nicht nur ein grenzübergreifender Gewalteinsatz im Wege der Selbstverteidigung verwehrt, sondern zudem noch die Vomahme spiegelbildlicher Gegenmaßnahmen. Mit anderen Worten: Solange sich ein Selbstverteidigungsrecht des Zielstaates nicht begründen läßt, läuft die Subsumtion des Verwicklungsverhaltens unter Art. 2 Ziff. 4 SVN scheinbar paradoxerweise auf eine weitere Schwächung der zielstaatlichen Position hinaus. Da dies den Intentionen der "Weststaaten", die die Einbeziehung unserer beiden Verwicklungsformen in Art. 2 Ziff. 4 SVN zuvorderst betrieben haben 1458 , diametral zuwiderläuft 1459, muß eine auf die spätere Praxis und insbesondere auf Abs. 8 Prinzip I Resolution 2625 gestützte Erstreckung des Gewaltverbots gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN auf das Verwicklungsverhalten in unseren beiden Konstellationen solange ausscheiden, wie nicht gleichzeitig zumindest eine individuelle Selbstverteidigungsbefugnis angenommen werden kann. Die halbherzig vorgetragene 1460 Inkongruenzlösung des IGH ist danach abzulehnen. Vielmehr ist das Verhalten des verwickelten Staates in Übereinstimmung mit der restriktiven Kongruenzlösung allein als Intervention zu qualifizieren 1461 . Bedeutsam ist diese Feststellung wegen der fehlenden Gegenmaßnahmen(Repressalien-)Festigkeit des Interventionsverbots 1462 . Angesichts dessen Dazu oben unter B. III. 2. a). Oben unter D. II. 2. a) aa) (3). 1457 Nachw. zu den Vertretern einer solchen Lösung für die Unterstützungskonstellation im Schrifttum oben unter C. III. 3. in Fn. 700. 1458 Dazu oben unter B. IV. 2. b) a.E. und Randelzhofer, Simma (Hg.), Charta VN, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 22. 1459 Dazu bereits oben unter B. VI.4. a.E. 146° Dazu oben unter B. V. 1. b). 1461 Worauf sich die IGH-Erwägung einer Gewaltandrohung gründet (oben unter B. V. 1. b) bei Fn. 547 und unter B. V. 1. c) bei Fn. 557), ist unerfindlich. 1462 Vgl. nur das Fehlen eines dem Absatz 6 des Gewaltverbotsprinzips entsprechenden Passus bei der Explikation des Interventionsverbots in Prinzip 3 der Resolution 2625. 1455
1456
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D. Die Formulierung von Gesamtauslegungsergebnissen
ergibt sich zunächst wie bereits angeklungen, daß der Zielstaat bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen befugt ist, individuelle, spiegelbildliche Gegenmaßnahmen anzuwenden, um den verwickelten Staat zur Beendigung seiner Intervention zu bewegen 1463 . Daß diese Gegeninterventionsoption nicht nur theoretischer Natur ist, zeigen die zentralamerikanischen Verhältnisse der 80er Jahre. Mit Blick auf die Rechtsüberzeugungen der Staaten ist letztere Folgerung aus der objektiven Rechtslage jedoch um den folgenden Zusatz zu qualifizieren: Die Gegeninterventionsoption kann nur von einem solchen Zielstaat in Anspruch genommen werden, der sich entweder die restriktive oder die extensive Kongruenzlösung zu eigen macht. Bei der extensiven Kongruenzlösung 1464 gilt dies deshalb, weil die Beanspruchung einer Selbstverteidigungsbefugnis die Befugnis spiegelbildlicher Gegenmaßnahmen einschließt, und so in bezug auf letztere Befugnis zwischen Rechtsüberzeugung und objektiver Rechtslage nur eine konstruktive Divergenz besteht. Dagegen besteht zwischen einer Rechtsüberzeugung im Sinne der Inkongruenzlösung und der objektiven Rechtslage in bezug auf die Gegeninterventionsoption ein unüberbrückbarer Widerspruch. Neben der Gegeninterventionsoption ergibt sich auf der Grundlage der restriktiven Kongruenzlösung angesichts der fehlenden Gegenmaßnahmenfestigkeit des Interventionsverbots ein Argumentationsansatz zur Rechtfertigung der Unterstützung einer bewaffneten Opposition durch Waffenlieferungen o.ä., wo sich letztere gegen eine de iure-Regierung richtet, die fundamentale völkerrechtliche Menschen- bzw. Gruppenrechte systematisch verletzt. Dieser Argumentationsansatz ist brisant, da ein Gewalteinsatz auswärtiger Staaten zur Beendigung derartiger Rechtsverletzungen wenn überhaupt, so nur im humanitären Extremfall in Betracht kommt 1465 , wohingegen die hier erwogene Interventionsbefugnis bereits unterhalb dieser Schwelle zum Tragen käme. Eine solche Unterstützungsbefugnis ginge einen Schritt über das teilweise zu Recht angenommene Verbot hinaus, eine de iure-Regierung, die fundamentale völkerrechtliche Menschen- bzw. Gruppenrechte systematisch verletzt, (militärisch) zu unterstützen 1466 • Eine erfolgreiche Argumentation im Sinne der erwogenen Interventionsbefugnis sieht sich jedoch zwei Hindernissen ausgesetzt. Zum einen wird teilweise bestritten, daß die Verletzung von erga omnes-Verpjlichtungen 1463 Dies entspricht der von Rowles, UMiamilnter-AmLRev 17 ( 1986), S. 486, vertretenen Position. 1464 So wie sie bislang zuvorderst von den "Weststaaten" vertreten worden ist; Nachw. zu den Vertretern einer solchen Lösung im Schrifttum finden sich oben unter C. III. 1. b). 1465 Vgl. das Ergebnis der Überlegungen oben unter D. II. 1. d) dd). 14 66 Vgl. die Kommentierung zu Art. 27 ILC-Entwurf in YILC 1978 112, S. 102, und Schachter, AJIL 78 (1984), S. 647.
II. Rechtsfragen mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen
335
stets oder zumindest in den hier interessierenden Fällen allen Staaten eine Befugnis zur Vomahme unilateraler Gegenmaßnahmen gibt 1467 . Die endgültige 1468 Antwort der ILC zu dieser Frage darf mit Spannung erwartet werden. Eine eigene Stellungnahme zu dieser Problematik und damit zu der Frage, ob das erste Hindernis überwunden werden kann, überstiege den Rahmen dieser Untersuchung. Ein zweites Hindernis kann sich aus der zur Unterstützungskonstellation vertretenen Rechtsauffassung ergeben. So ist die Inanspruchnahme der erwogenen Interventionsbefugnis auf der Grundlage von sowohl extensiver Kongruenz- als auch Inkongruenzlösung ohne substantiellen Widerspruch nur möglich, wenn gleichzeitig bei systematischer Verletzung fundamentaler Menschen- bzw. Gruppenrechte (sogar) ein Dispens auswärtiger Staaten vom Gewaltverbot angenommen wird. Dies ist - wie oben 1469 gezeigt werden konnte - jedenfalls unterhalb der Schwelle zum humanitären Extremfall nur bei einem Teil der Staaten und auch hier nur im Hinblick auf zwei praktisch kaum mehr relevante Rechtsverletzungen, d.h. die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Kolonialvolks und der Verstoß gegen das Apartheidsverbot, der Fall. Hieraus folgt, daß es derzeit vielen Staaten in vielen Fällen systematischer Verletzung völkerrechtlicher Menschen- und Gruppenrechte angesichts ihrer Rechtsauffassungen zur Unterstützungskonstellation einerseits und zur Reaktionsbefugnis bei besagten Völkerrechtsverletzungen andererseits verwehrt ist, im Sinne der nach der objektiven Rechtslage durchaus erwägenswerten Interventionsbefugnis zu argumentieren.
1467 Vgl. etwa die Skepsis Ipsens, lpsen (Hg.), Völkerrecht, S. 496ff., insbes. 498 (Rz. 18ff., insbes. Rz. 26); für ein Repressalienrecht in bezug auf eindeutige und schwere Menschenrechtsverletzungen, etwa Frowein, FS Mosler, S. 258 f., und Verdross/Simma, Universelles VR, S. 908f. (§ 1343). 1468 Der zwischenzeitliche ILC-Sonderberichterstatter Riphagen hat die Auffassung vertreten, daß selbst bei internationalen Verbrechen im Sinne von Art. 19 ILCEntwurf nur Sanktionen (d. h. in der ILC-Terminologie Gegenmaßnahmen mit Ermächtigung eines zuständigen internationalen Organs), nicht aber Repressalien zulässig seien; dazu ausf. Hofmann, ZaöRV 45 (1985), S. 215; der derzeitige Sonderberichterstatter Arangio-Ruiz hat für die Sitzung des Jahres 1995 einen Vorschlag angekündigt (s. A/CN.4./L.497 (4 July 1994), S. 39 (par. 120), nachdem er sich in seinem 5. Bericht (A/CN.4/453/Add.2 (8 June 1993), S. 8f. (par. 14) und S. 22f. (par. 39) darauf beschränkt hatte, das Problem zu konturieren und dabei die bestehende Unsicherheit zu vermerken. Die Erörterung der Problematik durch die ILC während der Sitzung des Jahres 1994 ließ erwartungsgemäß Meinungsverschiedenheiten deutlich werden (s. A/CN.4/L.497 (4 July 1994), S. 21 f. (par. 58ff.). 146 9 Unter D. II.l.d)bb) und cc).
Zusammenfassung Gegenstand dieser Arbeit war die satzungsrechtliche Analyse verschiedener Konstellationen staatlicher Verwicklung in Gewaltakte Privater, wobei unter dem Arbeitsbegriff "Private" alle Personen zusammengefaßt wurden, die nicht dem Begriff des de iure-Organs unterfallen. Im einzelnen wurden sieben Verwicklungskonstellationen unterschieden: (1) Ein Staat entsendet Private von seinem Territorium aus auf das Territorium eines anderen Staates, wo die entsandten Kräfte bestimmungsgemäß Gewaltakte ausführen (kurz: Entsendekonstellation). (2) Ein Staat fördert die von seinem Territorium ausgehende Entsendung von Privaten auf das Territorium eines anderen Staates, wo die Privaten Gewaltakte ausführen. Die Förderung kann sich etwa in Gestalt von Ausrüstungs-, Organisations- oder Ausbildungshilfe vollziehen (kurz: Entsendeförderungskonstellation). (3) Ein Staat duldet, daß Private von seinem Territorium aus gegen das Territorium eines anderen Staates gerichtete Gewaltakte vornehmen, wobei er über die Mittel verfügt, die Gewaltanwendung zu verhindern. Die Gewaltanwendung erfolgt dabei entweder durch direkte Beschießung über die Grenzen hinweg oder indem die Privaten zum Zwecke der Gewaltanwendung auf das Territorium des Zielstaates übertreten (kurz: Duldungskonstellation). (4) Sorgfaltswidrigerweise versäumt es ein Basenstaat, Gewaltakte der unter (3) beschriebenen Art zu verhindern (kurz: Sorgfaltswidrigkeitskonstellation). (5) Mangels geeigneter Mittel erweist sich ein Basenstaat unfähig, Gewaltakte der unter (3) beschriebenen Art zu verhindern (kurz: Unfähigkeitskonstellation). (6) Auf die Bestimmung eines Staates hin und gemäß derselben wenden auf dem Territorium eines anderen Staates befindliche Private ebendort Gewalt an (kurz: Anstiftungskonstellation). (7) Private wenden aus eigener Initiative auf dem Territorium eines Staates gegen denselben Gewalt an. In der Folgezeit wird den Privaten von seiten eines anderen Staates Unterstützung zuteil. Die Unterstützung mag die Gestalt von finanziellen Zuwendungen und/oder Lieferungen von Waffen/ Ausrüstung annehmen. Hinzukommen mag Ausbildungs-
Zusammenfassung
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hilfe und/oder die Versorgung mit Informationen über die Truppenlozierung bzw. -bewegungen in dem bekämpften Staat. Dabei bleibt die Steuerung der Gewaltakte den Privaten vorbehalten (kurz: Unterstüt~ zungskonstellation). Bei der Analyse dieser Verwicklungskonstellationen standen zwei Gesichtspunkte im Vordergrund: (1) Die Kernfrage betraf die Satzungskonformität grenzübergreifender Gegengewaltanwendung des Zielstaates bzw. hilfsbereiter Drittstaaten. (2) Daneben ging es um die Anwendbarkeit des Gewaltanwendungsverbotes gemäß Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den verwickelten Staat. Der zur Beantwortung der Kernfrage gewählte methodische Ansatz verband textuelle Auslegungsgesichtspunkte und spätere Praxis in Gestalt folgender drei Gewichtungsregeln: (1) Erscheint ein Gewalteinsatz nach der textorientierten Auslegung eindeutig satzungswidrig, so kommt die Bejahung der Satzungskonformität nur unter der Voraussetzung einer einheitlichen späteren Praxis im Sinne der Satzungskonformität in Betracht. (2) Lassen sich im Rahmen der textorientierten Auslegung für die Satzungskonformität Gründe anführen, die durch Gegengründe nicht ganz entkräftet werden können, diesen gegenüber aber nur sehr geringes Gewicht aufweisen, so ist eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne der Satzungskonformität ausreichend, um ein entsprechendes (Gesamt-)Auslegungsergebnis zu erzielen. (3) Lassen sich im Rahmen der textorientierten Auslegung für die Satzungskonformität eines Gewalteinsatzes Gründe anführen, denen mehr als nur sehr geringes Gewicht zukommt, so kann selbst eine deutlich überwiegende abweichende spätere Praxis nicht zur Begründung des Verdikts der Unzulässigkeil angeführt werden. Von einem sich auf der Grundlage von Gewichtungseegel (2) bzw. (3) ergebenden Gesamtauslegungsergebnis ist allerdings im konkreten Fall zugunsten eines zweifelsfrei nachweisbaren Auslegungskonsenses der Konfliktparteien abzuweichen. Von diesem Ansatzpunkt ausgehend wurde die Gewinnung von Gesamtauslegungsergebnissen in drei Arbeitsschritten vorbereitet. In einem ersten Schritt wurde die spätere Praxis zu den Verwicklungskonstellationen durchgemustert. Hierbei traten die folgenden Ergebnisse zutage: (1) Für die Entsendekonstellation ist eine deutlich überwiegende spätere
Praxis im Sinne einer individuellen wie kollektiven Befugnis zur grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung nachweisbar. Daß der Ent-
22 Kreß
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Zusammenfassung sendestaat gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN verstößt, dürfte inzwischen sogar allgemeiner Rechtsauffassung entsprechen.
(2) Hinsichtlich der Entsendeförderungskonstellation ist eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne einer Befugnis des Zielstaates zur Vornahme grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt zu bejahen. Dagegen erscheint es trotz einer entsprechenden Tendenz (noch) nicht möglich, den Nachweis einer deutlich überwiegenden späteren Praxis im Sinne einer Befugnis hilfsbereiter dritter Staaten zur Vornahme von (Gegen-) Gewalt zu erbringen. Schließlich zeugt das verfügbare Material von der grundsätzlichen Bereitschaft der VN-Mitgliedstaaten, dem Entsendeförderungsstaat einen Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN anzulasten. (3) Die spätere Praxis zur DuZdungskonstellation entspricht in den interessierenden Punkten im wesentlichen derjenigen zur Entsendeförderungskonstellation. Deutlicher als bei letzterer Verwicklungskonstellation tritt zutage, daß die deutlich überwiegende spätere Praxis im Sinne einer Befugnis des Zielstaates zur grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung den Rekurs auf die Doktrin der accumulation of events nicht einschließt. Im übrigen ist bei der Duldungskonstellation nicht einmal eine Tendenz zur Herausbildung einer deutlich überwiegenden Praxis im Sinne einer Befugnis hilfsbereiter dritter Staaten zur grenzübergreifenden (Gegen-)Gewaltanwendung auszumachen. (4) Bei Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation ist wie bei Duldungs- und Entsendeförderungskonstellation eine deutlich überwiegende spätere Praxis im Hinblick auf eine (insbesondere in zeitlicher Hinsicht eng begrenzte) Befugnis des Zielstaates zur Vomahme grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt zu bejahen, im Hinblick auf eine entsprechende Befugnis hilfsbereiter dritter Staaten hingegen zu verneinen. Abweichend von dem bei Duldungs- und Entsendeförderungskonstellation erzielten Ergebnis liefert die spätere Praxis zu der Frage der Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Basenstaat in Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation ein recht eindeutig negatives Bild. (5) Bei Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation ist eine deutlich überwiegende spätere Praxis derzeit weder im Sinne einer individuellen noch im Sinne einer kollektiven Befugnis zur Vornahme grenzübergreifender (Gegen-)Gewalt zu verzeichnen. Die VN-Resolutionspraxis dokumentiert zwar die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Erstreckung des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf Anstiftungs- und Unterstützungskonstellation; keine Übereinstimmung besteht jedoch darin, daß eine derartige Erstreckung auch um den Preis der Inkaufnahme einer Inkongruenz der Anwendungsbereiche der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN zu gelten habe.
Zusammenfassung
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In einem zweiten Schritt wurden vier Auslegungsfragen zu den Art. 2 Ziff 4 und 51 SVN behandelt, deren Bedeutung über die Verwicklungskonstellationen hinausgreift: (1) Die erste Frage betraf die mögliche conditio sine qua non-Qualitätdes bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN für die Satzungskonformität von nicht konsentierter Gewaltanwendung außerhalb des kollektiven Sicherheitssystems auf fremdem Territorium. Bei textorientierter Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN ergeben sich Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht für die Satzungskonformität individueller sowie kollektiver Gewaltanwendung (außerhalb des kollektiven Sicherheitssystems) nur im Falle der Abwehr eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN. Nicht ganz entkräftet werden können allerdings Gründe für die Satzungskonformität individueller Gewaltanwendung, die nicht der Abwehr eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN dient, soweit die entsprechende Gewaltanwendung bei Inkrafttreten der SVN völkergewohnheitsrechtlich als Selbstverteidigungsmaßnahme zulässig war. Im übrigen steht Gewaltanwendung außerhalb des kollektiven Sicherheitssystems, die nicht der Abwehr eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN dient, eindeutig im Widerspruch zu dem Ergebnis der textorientierten Auslegung der Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN. (2) Die zweite Frage betraf zwei mögliche 1nkongruenzen der Anwendungsbereiche von Art. 2 Ziff 4 und 51 SVN. Dabei ergab sich zunächst, daß die textorientierte Auslegung gegen die Beschränkung des Begriffs "bewaffneter Angriff" im Sinne des Art. 51 SVN auf schwere Gewaltanwendung im Sinne des Art. 2 Ziff 4 SVN spricht. Ein Konsens der VNMitgliedstaaten im Sinne einer derartigen Beschränkung besteht nicht. Des weiteren war speziell im Hinblick auf die Verwicklungskonstellationen festzuhalten, daß die Erstreckung des Gewaltverbotes nach Art. 2 Ziff 4 SVN auf staatliche Beteiligungshandlungen zu diesem Staat nicht zurechenbaren Gewaltakten Privater bei gleichzeitiger Beschränkung des Angriffsbegriffs in Art. 51 SVN auf dem Angreiferstaat zurechenbare Gewaltakte dort abzulehnen ist, wo hiermit die Mißachtung des Reziprozitätsgedankens verbunden ist. (3) Die dritte Frage betraf Satzungskonformität der accumulation of eventsDoktrin. Insoweit sprechen nach der textorientierten Auslegung Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht für die Zulässigkeit der militärischen Reaktion auf eine Reihe einzelner, von derselben Quelle herrührender Gewaltakte, sofern mit der Vomahme weiterer Gewaltakte von derselben Quelle aus in der nahen Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. 22*
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(4) Die Untersuchung der vierten Auslegungsfrage erbrachte das Ergebnis, daß nach der textorientierten Auslegung weder der Gewalteinsatz nach Art. 2 Ziff. 4 SVN noch der bewaffnete Angriff im Sinne des Art. 51 SVN grenzüberschreitende im Sinne von grenzverletzende Qualität aufweisen müssen. Ein Konsens der VN-Mitgliedstaaten im Sinne eines derartigen Erfordernisses existiert nicht. In einem dritten Schritt wurden zwei Probleme mit Relevanz speziell für die Verwicklungskonstellationen erörtert: (1) Einmal ging es um die Frage des Staatlichkeitserfordernisses bei der Bestimmung des Begriffs "bewaffneter Angriff" im Sinne des Art. 51
SVN. Insoweit ergab die textorientierte Auslegung im Hinblick auf die individuelle Komponente jedenfalls dann Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht für die Subsumtion grenzübergreifender Gewaltanwendung Privater unter den Angriffsbegriff, wenn in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gewaltanwendung der Privaten eine Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates festgestellt werden kann. Dagegen haben die Gründe für die Erstreckung des Angriffsbegriffs auf grenzübergreifende Gewaltanwendung Privater im Hinblick auf die kollektive Komponente des Art. 51 SVN gegenüber den Gegengründen grundsätzlich nur sehr geringes Gewicht. Hiervon ist allerdings für den Kernwaffeneinsatz Privater eine Ausnahme zu machen. Hier entspricht das Auslegungsergebnis zur kollektiven Komponente demjenigen zur individuellen Komponente des Art. 51 SVN.
(2) Des weiteren war die Zurechnungsdogmatik in die Betrachtungen einzu-
beziehen. Auf der Grundlage der Art. 8 a) und 11 des ILC-Entwurfs (Teil I) zur Staatenverantwortlichkeit für rechtswidriges Verhalten sowie der neueren IGH-Rechtsprechung konnte die Grundsatzzurechnungsnorm des Inhalts formuliert werden, daß die Tat einer Privatperson dem Staat einmal dann zuzurechnen ist, wenn dieser die Tatausführung steuert, darüber hinaus dann, wenn er zu der Tat anstiftet und ihre Ausführung unterstützt. Der rechtliche Stellenwert dieser Norm konnte im Hinblick auf die Verwicklungskonstellationen dahin präzisiert werden, daß die Zurechnungsfrage dieser Norm entsprechend zu beantworten ist, sofern nicht die Staatenpraxis zu den (bzw. einzelnen) Verwicklungskonstellationen hinreichend deutlich eine abweichende Bestimmung der Zurechnungsschwelle erkennen läßt.
Auf der Grundlage der im Rahmen dieser drei vorbereitenden Arbeitsschritte erzielten Ergebnisse ließen sich die Gesamtauslegungsergebnisse zu den einzelnen Verwicklungskonstellationen formulieren: (1) In Du/dungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation be-
steht derzeit grundsätzlich keine Befugnis hilfsbereiter dritter Staaten
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zu (kollektiver) grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung. Mangels Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum Basenstaat scheidet die Begründung einer solchen Befugnis auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) aus, und das Fehlen einer deutlich überwiegenden späteren Praxis in diesem Sinne steht einer Heranziehung von Gewichtungsregel (2) entgegen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) für den Fall des Kernwaffeneinsatzes durch Private zu machen und im übrigen bei Anerkennung der Privaten als Kriegführende zu erwägen. Dagegen ist eine (individuelle) Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates generell zu bejahen. Diese Befugnis läßt sich zunächst unabhängig von der Beantwortung der Frage des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN auf der Grundlage von Gewichtungregel (2) herleiten; dann jedoch unter Ausschluß des Rekurses auf die Doktrin der accumulation of events. Darüber hinaus ergibt sich die Selbstverteidigungsbefugnis - und zwar unter Einschluß der Doktrin der accumulation of events in der zuvor präzisierten Form- auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3 ). Dies gilt auch bei Zugrundelegung der Annahme, aus Begriff und Telos des Selbstverteidigungsrechts folge das Erfordernis einer direkt auf den bewaffneten Angriff der Privaten bezogenen Völkerrechtswidrigkeit des Basenstaates. In Duldungs- und Sorgfaltswidrigkeitskonstellation wirft die Bejahung einer derartigen Völkerrechtswidrigkeit keine Probleme auf. In der Unfähigkeitskonstellation läßt sich von Erfolgsunrecht auf seiten des Basenstaates sprechen, und im Hinblick auf Art. 51 SVN sprechen Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht für die erfolgsbezogene Bestimmung des Rechtswidrigkeitsbegriffs. Das Gesamtauslegungsergebnis zur (individuellen) Reaktionsbefugnis des Zielstaates gilt auch in einer Unfähigkeitskonstellation, die mit dem vorübergehenden, vollständigen Zerfall der Staatsgewalt im (bzw. in Teilen des) Basenstaatsterritorium(s) verbunden ist. Hier ist allerdings die Begründung der Satzungskonformität eines zielstaatlichen (Gegen-)Gewalteinsatzes leicht zu modifizieren, sofern die Gebietshoheit des Basenstaates anstelle seiner territorialen Souveränität bei der Auslegung des Art. 51 SVN zum maßgeblichen Bezugspunkt genommen wird : Gründe von mehr als nur sehr geringem Gewicht sprächen dann nicht für die direkte Anwendbarkeit, sondern für die teleologische Extension des Art. 51 S VN.
Die Untersuchung der (individuellen) Selbstverteidigungsbefugnis des Zielstaates auf mögliche spezifische Grenzen nach Voraussetzung und Inhalt hin ergab folgendes Bild: (a) In quantitativer Hinsicht gilt, daß die Annahme eines nicht-staatlichen bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 SVN j edenfalls
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dann nicht unter dem Gesichtspunkt mangelnder Schwere beanstandet werden kann, wenn sich Gewaltakte Privater, sei es in unmittelbarer Folge, sei es als fortgesetzter Angriff im Sinne der näher bestimmten Doktrin der accumulation of events, wiederholen. (b) Selbstverteidigung
gegen einen nicht-staatlichen bewaffneten Angriff daif sich nur gegen die Positionen der privaten Angreifer richten.
(c) Darüber hinaus ergibt sich eine praktisch sehr bedeutsame Grenze der Selbstverteidigungsbefugnis aus dem Recht des internationalen bewaffneten Konfliktes. Denn das konfliktsvölkerrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip ist für Du/dungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation dahin zu konkretisieren, daß die Inkaufnahme von auch bei unterscheidender Kampfführung unvermeidbaren Kollateralschäden unter Unbeteiligten nur so weit zulässig ist, wie im Verhältnis zu diesen Schäden das hinter dem militärischen Vorteil stehende Interesse des Zielstaates wesentlich überwiegt. In Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation scheidet ein Verstoß des Basenstaates gegen Art. 2 Ziff. 4 SVN aus. Hingegen ist ein derartiger Verstoß in der Duldungskonstellation - trotz der Verneinung der Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum Basenstaat - im Hinblick auf die spätere Praxis und wegen der Vereinbarkeil mit dem Reziprozitätsgedanken zu bejahen. (2) Sowohl in der Entsende- als auch in der Entsendeförderungskonstella-
tion sind individuelle wie kollektive Selbstverteidigungsbefugnis auf der Grundlage von Gewichtungsregel (3) zu bejahen. Dabei impliziert die Entsendung bewaffneter Kräfte nicht die Steuerung der von letzteren durchgeführten grenzübergreifenden Gewaltakte, sondern lediglich eine entsprechende Auftragserteilung in Verbindung mit Unterstützung etwa bei Organisation oder Ausrüstung. Bei der Entsendeförderungskonstellation ergibt sich die zur Bejahung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts notwendige Begründbarkeil eines bewaffneten Angriffs des Entsendeförderungsstaates anders als bei der Entsendekonstellation nicht aus der Zuordnung des Verwicklungsgrades zu der Grundsatzzurechnungsnorm, sondern aus der Geltung einer entsprechenden Sanderzurechnungsregel speziell für den Primärnormenbereich des Gewaltbzw. Aggressionsverbotes.
Hinsichtlich möglicher spezifischer Grenzen der (individuellen wie kollektiven) Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt ergaben sich für diese beiden Verwicklungskonstellationen folgende Ergebnisse:
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(a) Das Erfordernis einer gewissen Schwere der Gewaltakte ist zu ver-
neinen.
(b) Räumliche Grenzen der Selbstverteidigungsmaßnahmen - bis hin zur Beschränkung des (Gegen-)Gewalteinsatzes auf das Zielstaatsterritorium - können je nach Lage des Falles aus dem Erforderlichkeilsgebot resultieren. Verfehlt ist es, weitreichende räumliche Grenzen aus dem Verhältnismäßigkeilsprinzip des "ius ad bellum" abzuleiten. Ein derartiges, selbständig neben dem Erforderlichkeitskriterium stehendes Prinzip kann sicher nicht gegen die Erstrekkung von Selbstverteidigungsmaßnahmen auf bewaffnete Kräfte oder Nachschublinien im Territorium des Entsende- bzw. Entsendeförderungsstaates ins Feld geführt werden. Und die Beanstandung einer räumlichen Ausdehnung der Kampfführung durch den Zielstaat zur Schaffung eines "militärischen Multiplikatoreffekts" kommt unter dem Gesichtspunkt der ("ius ad bellum-)Unverhältnismäßigkeit (bzw. des Rechtsmißbrauchs) nur dann in Betracht, wenn die hiermit verbundene Beeinträchtigung in einem unerträglichen Mißverhältnis zum Gewicht des zu schützenden Interesses steht. Dagegen setzt das gemäß Art. 52 Abs. 2 S. 2 ZP 1 präzisierte konfliktsvölkerrechtliche Gebot der Beschränkung der Kampfführung auf militärische Ziele einer Defensivstrategie der Druckerzielung durch räumliche Ausdehnung der Kampfhandlungen auf Ziele, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Entsendung von bewaffneten Kräften bzw. der Entsendeförderung stehen, engste Grenzen. (c) Hinsichtlich der Verursachung von auch bei unterscheidender Kampfführung unvermeidbaren Kollateralschäden unter Unbeteiligten ist eine Konkretisierung der konfliktsvölkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsformel in ebenso prohibitiver Form wie bei Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeilskonstellation derzeit nicht möglich. (3) Im Falle der Kumulation der Verwicklungsformen von Anstiftungs- und
Unterstützungskonstellation ergibt sich wegen der Subsumierbarkeit unter die Grundsatzzurechnungsnorm ein Gesamtauslegungsergebnis gemäß Gewichtungsregel (3) im Sinne einer individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsbefugnis zugunsten des Zielstaates, sowie die Anwendbarkeit des Gewaltverbotes nach Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den verwickelten Staat. Bezüglich spezifischer Grenzen der Selbstverteidigungsbefugnis nach Voraussetzung und Inhalt gelten die zu Entsendeund Entsendeförderungskonstellation getroffenen Feststellungen mutatis mutandis.
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Hingegen ist bei jeweils isolierter Betrachtungsweise von Anstiftungsbzw. Unterstützungskonstellation derzeit weder eine kollektive noch eine individuelle Befugnis zu grenzübergreifender (Gegen-)Gewaltanwendung gegeben. Die Begründung einer solchen Befugnis auf der Grundlage von Gewichtungseegel (3) scheitert mangels Zurechenbarkeit der Gewaltakte zum verwickelten Staat. Der Heranziehung von Gewichtungseegel (2) zur Begründung wenigstens einer individuellen Selbstverteidigungsbefugnis steht das Fehlen einer entsprechenden deutlich überwiegenden späteren Praxis entgegen. Der Zielstaat ist hier demnach darauf verwiesen, die Privaten auf seinem Territorium zu bekämpfen. Hierbei dürfen ihm hilfsbereite dritte Staaten grundsätzlich zu Hilfe kommen, da es zur Rechtfertigung einer derartigen reaktiven Unterstützung der de iure-Regierung des Rekurses auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht nicht bedarf. Das Verhalten des Anstifter- bzw. Unterstützerstaares ist nicht dem Gewalt-, sondern allein dem Interventionsverbot zuzuordnen. Bei textorientierter Auslegung folgt dies aus der Zurechnungsvemeinung. Ein abweichender Konsens der VN-Mitgliedstaaten besteht trotz der Annahme von Absatz 9 Prinzip 1 Resolution 2625 nicht, da die Erweiterung des Gewaltverbotes wegen der Unanwendbarkeit des Art. 51 SVN hier anders als in der Duldungskonstellation die Konsequenz einer dem Reziprozitätsgedanken zuwiderlaufenden Inkongruenz der Anwendungsbereiche von Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN hätte, d. h. ein Ergebnis, das ein Teil der Staatengemeinschaft nicht zu akzeptieren bereit ist und mit der Annahme von Absatz 9 Prinzip 1 Resolution 2615 auch nicht akzeptiert hat. Die besondere Komplexität der Rechtslage in Anstiftungs- bzw. Unterstützungskonstellation sub specie Art. 2 Ziff. 4 und 51 SVN kann mit folgender Formulierung zum Ausdruck gebracht werden: Die Einbeziehung der beiden Konstellationen in Absatz 9 Prinzip 1 Resolution 2625 dokumentiert den Versuch der Staaten, von der nach der textorientierten Auslegung vorzugswürdigen restriktiven Kongruenzlösung (d. h. Unanwendbarkeit sowohl von Art. 2 Ziff. 4 als auch von Art. 51 SVN) im Wege der späteren Praxis abzuweichen. Dieser Versuch mußte bislang erfolglos bleiben, da ein Dissens hinsichtlich der intendierten Satzungsrechtslage besteht. Der Widerspruch zwischen der von einem Teil der Mitgliedstaaten befürworteten oder zumindest hingenommenen Inkongruenzlösung (Anwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 auf den verwikkelten Staat bei gleichzeitiger Unanwendbarkeit des Art. 51 SVN zugunsten des Zielstaates) und der von einem anderem Teil der Mitgliedstaaten befürworteten extensiven Kongruenzlösung (Anwendbarkeit von sowohl Art. 2 Ziff. 4 als auch 51 SVN) bewirkt das nur
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scheinbar paradoxe Ergebnis, daß die restriktive Kongruenzlösung nach wie vor die objektive Satzungsrechtslage darstellt, d.h. die Rechtslage, die im Verhältnis von Konfliktparteien mit unterschiedlicher Rechtsauffassung maßgeblich ist. Die Unanwendbarkeit des Gewaltverbotes nach Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Anstifter- bzw. Unterstützerstaal ist wegen der Gegenmaßnahmen (-Repressalien-)festigkeit letzteren Verbots bzw. wegen der fehlenden Gegenmaßnahmen(-Repressalien-)festigkeit des Interventionsverbotes von Bedeutung. Hieraus folgt zunächst, daß der Zielstaat bei Erfüllung der allgemeinen Zulässigkeilsvoraussetzungen von Gegenmaßnahmen (Repressalien) befugt ist, spiegelbildliche Gegenmaßnahmen anzuwenden. Ein die Inkongruenzlösung befürwortender Zielstaat handelte allerdings bei der Inanspruchnahme dieser Gegeninterventionsoption widersprüchlich. Im übrigen ergibt sich bei Unanwendbarkeit des Art. 2 Ziff. 4 SVN auf den Unterstützerstaal ein Argumentationsansatz zur Rechtfertigung der Unterstützung einer bewaffneten Opposition, die sich gegen eine de iure-Regierung wendet, die fundamentale Menschenbzw. Gruppenrechte systematisch verletzt, ohne hierbei notwendigerweise die Schwelle zum humanitären Extremfall zu überschreiten. Dieser Argumentationsansatz muß wegen des Gebots der Widerspruchsfreiheit allerdings denjenigen VN-Mitgliedstaaten verwehrt bleiben, die entweder Inkongruenz- oder extensive Kongruenzlösung befürworten. Die Durchbrechung dieser zu den einzelnen Verwicklungskonstellationen erzielten Gesamtauslegungsergebnisse durch Sonderregime kommt nur in den engsten Grenzen in Betracht: (l) Für Bürgerkriegssituationen ist die Geltung von Sonderregeln zu ver-
neinen.
(2) Für nationale Befreiungskämpfe ist die Geltung von Sonderregeln in weitestem Umfang zu verneinen. Auf eine praktisch bedeutungslos gewordene, mögliche Sonderregel für den antikolonialen Befreiungskampf wurde hingewiesen. (3) Dagegen deutet sich vor dem Hintergrund der jüngsten Staatenpraxis zur humanitären Intervention die Möglichkeit der Begründung einer Sonderregel des Inhalts an, daß grenzübergreifende Befreiungskampfakte Privater im humanitären Extremfall völkerrechtlich erlaubt und damit nicht rechtswidrig im Sinne des Art. 51 SVN sind. Konsequenz dieser Sonderregel wäre die Verneinung des Selbstverteidigungsrechts des (von einer Terrorregierung repräsentierten) Zielstaates.
Summary The prohibition of the use of force and the right of self-defence under the UN-Charter in cases of state involvement in acts of force by private persons This study considered the UN-Charter (hereinafter "UNC") regime governing several forms of state involvement in acts of armed force (hereinafter "force") by private persons (the latter term for convenience not being understood in its international legal meaning but as encompassing every person that is not a de iure-organ). Throughout the analysis the following seven types of state involvement were distinguished: (1) The involved state sends private persons from its territory to that of the target state, where these persons use force according to the instructions given by the involved state (hereinafter: "sending case"). (2) The involved state supports, for example logistically, the use of crossborder force directed against the target state (hereinafter: "support of sending case"). (3) The involved state tolerates the use of force by private persons from its territory against that of the target state, the involved state being able to prevent this use of force which may take the form of either crossborder blows (bombardment) or cross-border armed incursions (hereinafter: "toleration case"). (4) Negligently the involved state does not succeed in preventing the use of force as described in case (3) (hereinafter: "negligence case"). (5) The involved state is not able to prevent the use of force as described in case (3) (hereinafter: "inability case"). (6) At the instigation of the involved state private persons, already being within the territory of the target state, use force against the target state (hereinafter: "instigation case"). (7) The involved state supports, for example logistically, private persons who on their own initiative are already using force within the territory of the target state (hereinafter: "support case").
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The two main issues of the analysis were ... (1) ... whether the target state and third states respectively act lawful under the UNC when using cross-border Counterforce and (2) ... whether the involved state comes within the scope of the prohibition of the use of force as contained in Art. 2 (4) UNC.
As a matter of method the following three "balancing rules" combining considerations of exegesis and subsequent practice were used to cope with both ambiguous text and non-uniform subsequent practice when confronting the above-stated crucial question: (1) If the use of force appears to be unambiguously contrary to the UNC as
a matter of exegesis, its lawfulness presupposes a uniform subsequent practice to that effect.
(2) If there are text-based considerations in favour of the lawfulness that are not fully refutable but have only very little weight compared to the pertinent counterarguments, the lawfulness of the use of force presupposes a clearly prevailing subsequent practice to that effect. (3) If textual considerations of more than very little weight can be advanced in favour of the lawfulness of the use of force, even a clearly prevailing subsequent practice to the contrary does not Iead to the verdict of wrongfulness. A deviation from the result reached on the basis of balancing rules (2) or (3) has to be made in circumstances in which there exists beyond doubt between the conflicting parties a consensus of legal opinion at variance with the effect of those rules. On the basis of this starting point three analytical steps had to be taken to prepare the answers to the above-raised questions. Firstly, the pertinent subsequent practice had to be scrutinized. From this the following conclusions could be drawn: (1) For the sending case there is a clearly prevailing subsequent practice in
favor of the lawfulness of the use of individual and collective crossborder counterforce. It even appears to be generally accepted that the sending state violates the prohibition of the use of force as contained in Art. 2 (4) UNC.
(2) As to the support of sending case there is a clearly prevailing Subsequent practice pointing to the lawfulness of the use of cross-border Counterforce by the target state. By contrast it does not (yet) appear to be justified - despite a tendency pointing in this direction - to affirm a clearly prevailing subsequent practice in favour of the lawfulness of cross-border counterforce by third states coming to the help of the
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target state. Finally, the member states appear to be prepared to charge the involved state with a use of force in the sense of Art. 2 (4) UNC. (3) The subsequent practice relating to the toleration case essentially corresponds with the one referred to in (2) above. More clearly than in the support of sending case it can be shown that the acceptance of (individual) cross-border counterforce does not go so far as to include the accumulation of events doctrine. Finally the subsequent practice with respect to the toleration case does not even reveal a tendency pointing in the direction of a clear predominance in favour of a third state's use of cross-border counterforce. (4) In the negligence and inability-cases there is a clearly prevailing subsequent practice supporting the lawfulness of (strictly limited) use of cross-border counterforce by the target state, the same not being true, however, for a corresponding use of force by third states. Differing from the results reached in (1) - (3) above the applicability of the prohibition of the use of force in Art. 2 (4) UNC to the involved state is quite unambiguously ruled out by the subsequent practice in point. (5) In the cases of instigation and support neither the target state's nor a third state's use of cross-border counterforce is accepted as lawful in the form of a clearly prevailing subsequent practice. Whereas the pertinent UN resolutions indicate that the member states are prepared to extend the prohibition of the use of force in Art. 2 (4) UNC to these two involvement cases there is no consensus as to endorsing this extension, even at the price of accepting an incongruity of Art. 2 (4) and 51 UNC in their respective scopes of application. Secondly, Jour points of controversy relating to the interpretation of Art. 2 (4) and 51 UNC the significance of which goes beyond the involvement cases had to be discussed : (1) The first question was whether an armed attack in the sense of Art. 51
UNC is conditio sine qua non for a lawful use of force on foreign territory authorized neither by the territorial state nor by the Security Council (as a measure of collective security). Text-based arguments of more than little weight can be given in favour of the lawfulness of an individual and collective use of force (outside the collective security framework) only in the case of an armed attack. 1t is not possible, though, completely to refute textual considerations in favour of the lawfulness of an individual use of force, not being directed against an armed attack, if such a use of force was admissible as a measure of self-defence under customary international law at the time when the
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UNC came into force. In all other circumstances any use of force outside the collective security system appears to be unambiguously contrary to the UNC as a matter of exegesis.
(2) Secondly, two possible incongruities in the respective scopes of application of Arts. 2 (4) and 51 VNC were considered. lt followed from the discussion that the restriction of the term "armed attack" in the sense of Art. 51 UNC to grave uses of force in the sense of Art. 2 (4) UNC has no firm ground in text-based analysis. Nor does a consensus of the member states support such a restriction. With special regard to the involvement cases the conclusion was that the extension of the principle of the non-use of force in Art. 2 (4) UNC to state involvement under the imputability threshold has to be rejected as incompatible with the principle of reciprocity if, at the same time, the notion of armed attack in Art. 51 UNC is confined to acts of force imputable to the involved state. (3) The third issue concemed the lawfulness of the recourse to the accumulation of events doctrine. In this respect textual reasons of more than very little weight can be given in favour of the admissibility of a military reaction against a series of individual acts of force, if such acts emanate from the same source and if their repetition in the near future is most probable. (4) Fourthly, as a matter of exegesis, neither the use of force in the sense of Art. 2 (4) UNC nor the armed attack in the meaning of Art. 51 UNC need be a cross-border (that is, frontier-violating) one. Neither can a consensus of the member states about such a requirement be said to exist. Thirdly, two issues specifically related to the involvement cases had to be addressed : (1) Firstly, it was asked whether "armed attack" in Art. 51 UNC presup-
poses a state 's use of force. The textual interpretation led to the following distinction. As to the individual component of Art. 51 UNC arguments of more than very little weight can be advanced for the inclusion of cross-border acts of force by private persans in the said legal term, this being so at least if there is a wrong.fulness of the harbouring state directly related to the private persans' use of force. As to the collective component of Art. 51 UNC, however, the text-based reasons for an inclusion of the acts of force in question in the term "armed attack", though not being completely refutable, have only very little weight. An exception from the latter conclusion has to be made for a use of nuclear force by private persons. Here textual reasons of more than
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very little weight support the inclusion of the private persans' act of force in the term "armed attack" also in respect to the collective component of Art. 51 UNC. (2) Secondly, the pertinent rules of imputation needed thorough examination. On the basis of both Arts. 8 a) and 11 of the ILC-Draft (Part One) on state responsibility for intemationally wrongful acts and the recent case law of the ICJ, a basic rufe of imputability was formulated with respect to acts of private persons (this term still being understood as stated at the outset of this summary): the act of a private person is attributable to a state if the latter either directs the act or if the act is executed at the latter's instigation and with its support. The legal significance of this basic rule was qualified with regard to the involvement cases. Here the imputability is govemed by this rufe unless the state practice directly in point clearly shows a different determination of the imputability threshold. Having taken these preparatory steps it was possible to proceed to the formulation of general rules (subject to the previously stated possibility of a deviation inter partes) containing for each involvement case the answers to the questions raised at the outset: (1) In the cases of toleration, negligence and inability the cross-border use of counterforce of third states is, at present, unlawful. Neither is it pos-
sible to justify such a use of force on the basis of balancing rule (3) (the major obstacle being the fact that the private persons' acts of force cannot be attributed to the harbouring state). Nor does the lawfulness follow from the application of balancing rule (2) as there is no clearly prevailing subsequent practice supporting such an assertion. An exception has to be made on the basis of balancing rule (3) for the case of a use of nuclear force by individuals. A further exception is arguable in circumstances where the private persons have been recognized as belligerents. By contrast, the cross-border use of force by the target state is lawful as a measure of (individual) self-defence. Independently from the question of armed attack this follows from the application of balancing rule (2), thereby excluding the recourse to the accumulation of events doctrine. Beyond that, the said right of (individual) self-defence can be based on balancing rufe (3 ), this time including the admissibility of the accumulation of events doctrine in the above-stated version. The latter conclusion stands even if one accepts the premise that "self-defence" necessarily implies the requirement of the harbouring state's wrongfulness in direct connection with the privates' armed attack. In the cases of toleration and negligence the affirmation of such wrongfulness does
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not pose any difficulty. In the case of unability tt ts conceivable to admit a "wrongfulness of result" (Erfolgsunrecht) and reasons of more than very little weight could be identified according to which "wrongfulness of result" suffices in the context of the right of self-defence under the UNC. The affirmation of the lawfulness of the target state's use of cross-border Counterforce still holds true in those inability cases which are characterised by a temporary breakdown of effective authority (Gebietshoheit) in (parts of) the harbouring state' s territory. The reasoning, however, has to be slightly modified if one takes effective authority instead of territorial sovereignty as the point of reference for the interpretation of Art. 51 UNC; in this hypothesis reasons of more than very little weight could be advanced not for a direct application but rather for a teleological extension of the latter provision. The specific Iimits of the stated right of (individual) self-defence were defined as follows : (a) An arguable quantitative threshold is passed if acts of force occur repeatedly, be it in immediate succession or be it as a continued attack in the above-stated accumulation of events formula. (b) Self-defence against a non-state armed attack has to be directed exclusively against the private attackers. (c) An additional Iimit of great practical significance results from the law of international armed conflict. The ius in bello principle of proportionality has to be given specific content in the cases of toleration, negligence and inability: that collateral dammage - inevitable even in the case of discriminatory use of weapons - is tolerable only to the extent that it is significantly outweighed by the target state's interest behind its achieved military advantage.
In the cases of negligence and inability the harbouring state is not in breach of Art. 2 (4) UNC. The contrary is true for the case of toleration even though (here also) the acts of force are not attributable to the harbouring state. This conclusion is based on the subsequent practice in point which, in this case, does not Iead to a result that is incompatible with the principle of reciprocity. (2) In the cases of sending and support of sending a right of self-def ence,
both in its individual and collective forms follows from balancing rule (3 ). Sending does not require "direction"; instigation in conjunction with support to the organisation or to the equipment suffices. In the support of sending case the existence of an armed attack by the involved state - which is indispensable in view of the collective component of the right of self-defence - does not, other than in the sending
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Summary case, follow from the applicability of the basic rule but rather from the existence of a specific rule of imputation which comes into play in conjunction with the primary rule of the prohibition of the use of force. With respect to the discussion about possible specific Iimits of the stated right of self-defence the following conclusions were drawn: (a) There is no quantitative threshold that the acts of force have to pass to activate the right of self-defence. (b) Territorial Iimits for the measures of self-defence going so far as to confine the use of Counterforce to the target state' s territory may according to the circumstances of the concrete case result from the principle of necessity. The deduction of far-reaching Iimits from a ius ad bellum principle of proportionality is untenable. Such a proportionality principle, being understood as a second barrier going beyond the one of necessity, certainly cannot be construed so as to preclude the target state from adopting measures of self-defence directed against attackers or supply lines within the territory of the involved state. And even the lawfulness of a territorial extension of the conduct of hostilities "to shift the military multiplier on the attacker" cannot be questioned under a ius ad bellum proportionality principle, unless the effect can be said to be blatantly disproportionate. Strict Iimits for a defensive strategy of territorial extension of the conduct of hostilities to targets not directly related to the sending or its support do, however, follow from the customary rule of the law of international armed conflict as stated in Art. 52 (2) 2 Additional Protocol I to the Geneva Conventions. (c) It is not possible to deduce from the ius in bello principle of proportionality a standard as restrictive with respect to inevitable collateral darnage as that stated for the cases of toleration, negligence and inability.
(3) Where instigation and support cases come together, a right of individ-
ual and collective self-defence to the benefit of the target state can be affirmed. This results from the applicability of the basic rule of imputation. By the same token the involved state is in breach of Art. 2 (4) UNC. As to possible specific Iimits of the right of self-defence, reference can be made mutatis mutandis to the conclusions summarised in (2) (a) - (c) above.
If one takes both instigation and support-case separately neither third states nor the target state are entitled to use cross-border counterforce. A justification on the basis of balancing rule (3) is excluded by the non-imputability of the acts of force to the involved state. Equally a
Summary
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justification on the basis of balancing rule (2) is excluded as there is - at present - no clearly prevailing practice in favour of the lawfulness of the use of cross-border counterforce. Thus, the target state is confined to fight the private persans on its territory. In doing so the target state may in principle ask for the assistance of third states. No recourse to the right of collective self-defence is necessary to justify the rendering of such an assistance to the de iure govemment. In instigation and support cases taken separately the involved state is in breach not of Art. 2 (4) UNC but only of the customary principle of non-intervention. As a matter of exegesis this results from the nonimputability of the acts of force. A deviating subsequent consensus cannot be said to exist despite the adoption of Principle 1, Paragraph 9 of the General Assembly's Resolution 2625. This is so because the extension of the prohibition of the use of force would lead - other than in the toleration case - to an incongruity between Arts. 2 (4) and 51 UNC and such an exception from the principle of reciprocity has not been accepted by a number of the member states. To read such an acceptance into the adoption of Principle 1, Paragraph 9 of Resolution 2625 would be erroneous. The particular complexity of the state of law in instigation and support cases under Arts. 2 (4) and 51 UNC can best be expressed along the following lines. The inclusion of both cases of involvement in Principle 1, Paragraph 9 of Resolution 2625 shows the member states' effort to deviate by way of subsequent practice from the "restrictive congruity" (that is the inapplicability of both Arts. 2 (4) and 51 UNC) that follows from text-based interpretation. This attempt was not successful for want of agreement as to the content of the intended deviation. The discrepancy between an incongruity (that is the applicability of Art. 2 (4) UNC only) desired or at least accepted by a number of the member states and an "extensive congruity" (that is the applicability of both Arts. 2 (4) and 51 UNC preferred by the other (or some other) member states leads to the apparent paradox that restrictive congruity still operates as the general rule applicable between member states of different legal opinion. The inapplicability of Art. 2 (4) UNC to the involved state in instigation and support cases is of no little practical significance because the wrongfulness of a use of force cannot be precluded by a recourse to countermeasures, whereas the same cannot be said as a matter of principle with respect to intervention. From this it follows firstly that the target state may be entitled to adopt reciprocal countermeasures. A target state adhering to the above-stated concept of incongruity would, 23 Kreß
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Summary however, act in a self-contradictory manner in making use of this option of counterintervention. Secondly, the inapplicability of Art. 2 (4) to the involved state offers a basis to justify support to an armed opposition operating within another state against the latter's de iure-govemment if that govemment systematically violates fundamental human rights or rights of groups of persons (without hereby necessarily passing the threshold of the extreme case of humanitarian need). This legal basis must, however, remain a purely theoretical one as long as member states either adhere to the concept of incongruity or that of extensive congruity; the reason again being the necessity to avoid selfcontradiction.
Only within the strictest Iimits may a deviation from the above-stated principles may be considered: (1) No particular regime exists in cases of civil wars.
(2) For nearly all practical purposes, a particular regime for wars of national Iiberation has to be denied. Reference was made to a possible particularity for a war of anticolonial liberation having lost almost all practical significance today. (3) Against the background of the latest state practice on humanitarian intervention it was considered that a deviating rule may at least be in statu nascendi pursuant to which cross-border acts of force by private persans are lawful under international law and thus not constitute an armed attack in the sense of Art. 51 UNC in the case of extreme humanitarian need. Such a rule would preclude a target state represented by a terror regime from asserting the right of self-defence.
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