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German Pages 296 [298] Year 2022
Kasion 7 Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt
Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt Studien zum Siegel(n) als Kulturtechnik von der Antike bis zum frühen Mittelalter Herausgegeben von Johannes Auenmüller und Nikola Moustakis
Κάσιον
Kasion 7 Zaphon
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Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt Studien zum Siegel(n) als Kulturtechnik von der Antike bis zum frühen Mittelalter
Herausgegeben von Johannes Auenmüller und Nikola Moustakis
Kasion Publikationen zur ostmediterranen Antike Publications on Eastern Mediterranean Antiquity Band 7 Herausgegeben von Sebastian Fink, Ingo Kottsieper und Kai A. Metzler
Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt Studien zum Siegel(n) als Kulturtechnik von der Antike bis zum frühen Mittelalter
Herausgegeben von Johannes Auenmüller und Nikola Moustakis
Zaphon Münster 2022
Illustration auf dem Einband: Siegelabdrücke aus dem Archiv von Doliche mit Tyche-Darstellung, © Forschungsstelle Asia Minor.
Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt. Studien zum Siegel(n) als Kulturtechnik von der Antike bis zum frühen Mittelalter Herausgegeben von Johannes Auenmüller und Nikola Moustakis Kasion 7
© 2022 Zaphon, Enkingweg 36, Münster (www.zaphon.de) All rights reserved. Printed in Germany. Printed on acid-free paper.
ISBN 978-3-96327-174-8 (Buch) ISBN 978-3-96327-175-5 (E-Book) ISSN 2626-7179
Inhaltsverzeichnis Geleitwort Angelika Lohwasser ..............................................................................................7 Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt: Siegel(n) und Kulturtechnik Johannes Auenmüller & Nikola Moustakis...........................................................9 Von göttlichen Steinen, gesegneten Werkstoffen und ärgerlichen Missgeschicken: Einige Bemerkungen zur Bedeutung von und zum Umgang mit Siegelsteinen im Alten Orient Georg Neumann ..................................................................................................21 Siegel und Siegeln in der Ikonographie des pharaonischen Ägypten: Soziale Kontexte und Akteure Johannes Auenmüller ..........................................................................................33 Der vierflügelige Skarabäus auf Siegeln und Siegelungen der Eizenzeit II B–C aus Juda und seinen Anrainern: Ein phönizisch vermitteltes Motiv? Rüdiger Schmitt ................................................................................................101 Inschriften als Zeugnisse griechischer Siegelpraxis: Inventarlisten, Staatsverträge und Ehrendekrete Nikola Moustakis ..............................................................................................121 Im Namen des Königs? Überlegungen zur Bedeutung und Funktion hellenistischer Siegel mit Herrscherporträts Torben Schreiber ..............................................................................................153 Das Archiv von Doliche und die ‚offiziellen‘ Siegel Torben Schreiber ..............................................................................................211 Reduplizierte Autorität: Das kaiserliche Stempelwesen und der kontrollierte Warenaustausch in Byzanz Michael Grünbart .............................................................................................259 Siegelringe der Merowingerzeit: Klassifizierung und Ikonographie Michael Odenweller ..........................................................................................273
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .........................................................295
Geleitwort Angelika Lohwasser Die Beschäftigung mit ‚Siegeln‘ hat in den Altertumswissenschaften der WWU Münster bereits eine längere Tradition. Im Archäologischen Museum der Universität sind Siegel aus verschiedenen Kulturräumen beheimatet: eine große Rollsiegelsammlung aus dem Alten Orient,1 Skarabäen aus Ägypten, sowie Siegelringe und Siegelabdrücke aus hellenistischer und römischer Zeit. So ist das Phänomen ‚Siegel(n)‘, als Kulturtechnik und als Artefakt, Studierenden wie auch Forschenden in Münster allgegenwärtig. In das Vermittlungsangebot des Museums war eine Siegelstation integriert, an der sich Besucherinnen und Besucher mit einem Replikat und Knetmasse versuchen dürfen – so kann das Erkennen des Positivabdrucks im Negativ geschult werden. Von 2010 bis 2012 führte das Institut für Ägyptologie und Koptologie ein Projekt zu Skarabäen der Spätzeit durch, das mit der internationalen Tagung „Skarabäen des 1. Jahrtausends v. Chr.“ abgeschlossen wurde.2 Hier kamen Skarabäen aus Ägypten und Nubien, der Levante und dem Mittelmeerraum in ihrer Rolle als Siegelstempel, aber auch als Amulett und Symbol zur Sprache. 2016 veranstaltete das Netzwerk Archäologie Diagonal einen ‚Siegeltag‘, an dem Forschende der Münsteraner Altertumswissenschaften Konvolute von Siegeln, Stempeln, Siegelringen und Siegelamuletten vorstellten und verschiedene mögliche Funktionen diskutierten. Hier zeigte sich, dass eine interdisziplinäre Perspektive die jeweiligen Überlegungen zu diesem Phänomen ungemein bereichert. Ebenso interdisziplinär ausgerichtet war daher auch der Sektor „Siegel als Kontrollinstrumente“ in der Ausstellung „WeltWeit.Unverzichtbar – Kleine Fächer für große Themen“, die 2020 im Archäologischen Museum gezeigt wurde. 2017 fand der interdisziplinäre Workshop zum Siegeln als Kulturtechnik statt, dessen Ergebnisse hier neben einzelnen Beiträgen des ‚Siegeltags‘ 2016 publiziert werden. Der Titel „Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt“ spricht bereits die sehr unterschiedlichen Funktionsdimensionen an. Dieser weite Blick auf Eigenschaften und Bedeutungen korreliert mit einer ebenso breiten Materialbasis. Das pharaonische Ägypten, der Alte Orient, die Levante der Eisenzeit, Griechenland und Rom, das hellenistische Kleinasien, das kaiserliche Byzanz, das Merowingerreich – aus ganz unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln wird das Phänomen ‚Siegeln‘ beleuchtet und interdisziplinär diskutiert. Es wird deutlich, welche Rolle das Siegeln in den antiken und frühmittelalterlichen Kulturen spielte, und wie facettenreich sowohl das Artefakt als auch seine Funktionen waren. 1 2
Neumann 2016. Lohwasser 2014.
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Auch in der Zukunft werden ‚Siegel‘ einen Platz in der Forschungslandschaft der WWU Münster behalten. Der Schritt in Richtung 3D-Dokumentation und Visualisierung ist unternommen: Neue Erkenntnisse sind zu erwarten, wenn die Dreidimensionalität auch im virtuellen Raum erhalten bleibt und mit Verfahren wie Mustererkennung und Volumenberechnung gepaart werden kann. So ist zu hoffen, dass weitere Forschungen, Workshops und Publikationen zu ‚Siegeln‘ folgen werden! Literaturverzeichnis Lohwasser, A. (Hg.). 2014. Skarabäen des 1. Jahrtausends. Ein Workshop in Münster am 27. Oktober 2012. Orbis Biblicus et Orientalis 269, Freiburg (Schw.). Neumann, G. 2016. Altorientalische Siegel und Keilschriftdokumente im Archäologischen Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Stiftung der Sammlung Tono Eitel. Mit Beiträgen von Ingo Kottsieper, Hans Neumann und Annik Wüthrich. Altertumskunde des Vorderen Orients 20. Veröffentlichungen des Archäologischen Museums der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 6. Münster.
Gesiegelt – Versiegelt – Entsiegelt Siegel(n) und Kulturtechnik Johannes Auenmüller & Nikola Moustakis Abstract: In this introduction, the scene is set for understanding seals and sealings in the framework of ‘cultural techniques.’ After an initial discussion of the agency and hybridity of seals and of the practices and cultural concepts involved in the acts of sealing, the focus is shifted to the conceptual basis for the term ‘cultural technique’, which implies the mutual interaction of artefacts and signs in human practices. The topic ‘seals and sealings’ is then discussed against this conceptual backdrop: seals and sealings represent a ‘cultural technique’ throughout the ages and across regions. The chapter is concluded by short overviews of the papers published in the present volume. Schlagworte: Antike, Siegel, Siegeln, Kulturtechnik / keywords: ancient world, seals, sealings, cultural technique
1. Prolegomena Siegel sind in all ihren materiellen und symbolischen Manifestationen nicht nur zentrale Objekte archäologischer und kulturwissenschaftlicher Forschung, sie konstituieren auch ein essenzielles Thema im interdisziplinären Diskurs. Siegel repräsentieren eine Gattung von Objekten, die in den verschiedensten Zeiten, Räumen und Kulturen Verwendung fanden und finden, und die als vom Menschen erdachte und gemachte ‚kulturelle Artefakte‘ die ihnen jeweils zugeschriebenen Rollen und Funktionen erfüllen. Die Forschungen sowohl am Objekt als auch zum Thema haben sich daher die Beschreibung und Erklärung der den Siegeln innewohnenden und durch sie materialisierten ‚Agency‘ in spezifischen kulturellen Kontexten zur Aufgabe gemacht. Diese Agency ist jedoch nicht unidirektional, d. h., nicht nur der Mensch wirkt auf und agiert mit dem Siegel, sondern das Objekt ‚Siegel‘ wirkt in seiner Materialität und Medialität auch zurück auf die Menschen, die es herstellen, besitzen, betrachten, benennen, benutzen, modifizieren, wegwerfen etc. sowie auf deren Umgang und Verständnis solcher Artefakte. Die hier aufgeworfene Dichotomie von Objekt vs. Thema kann noch weiter aufgebrochen werden, indem man den Blick vom Objekt auch auf die sonstigen mit diesem in Zusammenhang stehenden Phänomene erweitert. Das Siegel kann als materielles Artefakt, der Siegelabdruck als Medium der Kommunikation und das Siegeln als kulturelle Technik in den Blick genommen werden. Diese drei Bereiche bedingen sich untereinander, da Rolle, Sinn und Funktion des Artefakts, des Abdrucks und der Praktiken erst im Zusammenspiel ein kohärentes Bild des kulturellen Phänomens ergeben. Die Begriffe ‚Materialität‘, ‚Medialität‘ und ‚Kulturtechnik‘ umschreiben gleichsam nur das thematische Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Siegel und Siegelabdrücke sowie deren kultureller Rolle, ein vitales Zentrum, um das sich je nach wissenschaftlichem
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Ausgangspunkt und Interesse eine Vielzahl weiterer Fragestellungen gruppieren.1 Im Siegel als Artefakt sind unterschiedlichste kulturelle Konzepte und Bedeutungsdimensionen einer mit ihm vollzogenen Handlung des Siegelns verkörpert, die sich in Form eines Siegelabdrucks manifestiert. Dabei ist aber zu beachten, dass das Siegel in dieser engen Definition klar in einer Handlungskette als tatsächliches Werkzeug positioniert ist, so dass die Zeichen, Bilder und/oder Texte, die es trägt (bzw. tragen kann), nur dann zur Entfaltung kommen, wenn es auch praktisch zum Abdrücken seiner Matrize verwendet wird. Allerdings liegt die Besonderheit des Siegels auch darin, auch ohne einen praktischen Einsatz zu ‚funktionieren‘: Hier sind es dann die Potentialität der Zeichen und des möglichen Abdrucks sowie die symbolische Kraft des Objekts, die dem Siegel seinen Sinn geben. In dieser Hybridität zwischen Artefakt und Handlung, zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Mensch und Kultur, liegt ein Moment des enormen Forschungspotentials, das sich bei der Betrachtung von Siegeln und des Siegelns entfaltet. 2. Kulturtechnik Der Begriff ‚Kulturtechnik‘ erfreut sich seit den 1950ern einer stetigen Konjunktur nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs.2 Originär als „alle im Interesse der Bodenkultur auszuführenden technischen Arbeiten (Hervorh. d. Verf.)“3 sowie als „Lehre (Hervorh. d. Verf.) von allen [damit] in Verbindung stehenden Arbeiten“4 in einem sehr spezifischen Sinne verstanden, scheint es heute, als würde jegliche menschliche Handlung oder soziale Praxis als Kulturtechnik konzeptualisiert werden können. 5 Dabei lässt sich eine gewisse Skalierung der Kulturtechniken ausgehend vom Menschen als handelnder Verkörperung einer ‚Technik‘ über Mensch-Artefakt-Relationen bis hin zu komplexeren und mutuellen Verflechtungen von Menschen, Dingen, Medien, Symbolen und Praktiken erkennen. Neben den ‚elementaren Kulturtechniken‘ wie Schreiben, Lesen, Rechnen gelten z. B. Bewegen6 und Schwimmen7 ebenso wie Hören, Erzählen, Malen, Kochen, Essen, Sitzen, Zeit und Kalender als erweiterte Kultur-
1 Cf. Klengel-Brandt 1997; Zwierlein-Diehl 2007; Regulski et al. (Hgg.) 2012; Scofield 2015; Ameri et al. (Hgg.) 2018; Cherry et al. (Hgg.) 2018; Engel et al. (Hgg.) 2021. 2 Vgl. die Wortverlaufskurve zu diesem Begriff unter https://www.dwds.de/wb/Kultur technik (Zugriff 8. April 2021) und die Beispielsätze unter https://www.wortbedeutung.in fo/Kulturtechnik/ (Zugriff 8. April 2021). 3 Anonymus 1905, 793 (http://www.zeno.org/nid/20006953956 [Zugriff 8. April 2021]). 4 Anonymus 1911, 1033 (http://www.zeno.org/nid/20001280287 [Zugriff 8. April 2021]). 5 Vgl. jedoch die Kritik bei Maye 2010, 135; s. a. Fitzenreiter 2020, 63–67. 6 Alkemeyer 2003. 7 Lohwasser 2008.
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techniken. 8 Hinzu kommen – in zufälliger Auswahl – Aberglaube, 9 Spielen, 10 Coolness, 11 Sammeln, 12 Genealogien, 13 Fotografie, 14 Bildbetrachtung, 15 Netze und Netzwerke, 16 Planen und Entwerfen, 17 Musiksampling, 18 Recycling, 19 der Umgang mit dem Computer 20 , Mediennutzung 21 sowie digitale Methoden der Geisteswissenschaften.22 In Berlin widmet sich das „Hermann von HelmholtzZentrum für Kulturtechnik“23 dem Thema, während man in Basel „Kulturtechniken“ studieren kann.24 Wie lässt sich das Verständnis der Kulturtechniken aus kultur-, medien- und technikgeschichtlicher Perspektive nun insgesamt umreißen? Kurz gesagt, es lassen sich Kulturtechniken erster Ordnung, d. h. kulturspezifische Körpertechniken, die der Mensch ohne Hilfsmittel zu praktizieren in der Lage ist, Kulturtechniken zweiter Ordnung, d. h. kulturspezifische Techniken unter Verwendung und Manipulation externalisierter Hilfsmittel, und Kulturtechniken dritter Ordnung, d. h. kulturspezifische Praktiken und Techniken, deren Ausübung der rekursiven, wiederholbaren und selbstreferentiellen Beherrschung einer Vielzahl von Medien und Kulturtechniken bedarf, identifizieren.25 Mit Sybille Krämer bilden „Kulturtechniken eine ‚Nahtstelle‘ im Verhältnis von Alltag und Wissenschaft,“ wobei sie konkret Kulturtechniken als „routinierte und mit körperlichen Praktiken verbundene Verfahren im Umgang mit Zeichen, durch die wir symbolische Welten erzeugen, die uns neue Modalitäten für Kognition und Kommunikation eröffnen“ versteht.26 Andernorts unterscheidet Krämer vier Dimensionen der Kulturtechni-
8 Krämer 2000; Krämer 2002; Bredekamp/Krämer 2003; Macho 2003; Grube et al. 2005; Zanetti 2012; Widlock 2012; Lobin et al. 2013; Siegert 2015; Pabst/Zeuner 2016; Kassung/Macho 2019; Schwarte et al. 2019; Fitzenreiter 2020, 63–67. 9 Kreissl 2014. 10 Dobashi/Marsal 2005. 11 Geiger et al. 2015. 12 Wilde 2015. 13 Pongratz-Leisten 1997. 14 Stiegler 2019. 15 Kruse 2010. 16 Gießmann 2015. 17 Gethmann/Hauser 2015. 18 Bonz 2006. 19 Trischler 2016. 20 Krämer 2004, 164. 21 Schneider 2008. 22 Bender 2020. 23 https://www.kulturtechnik.hu-berlin.de (Zugriff 8. April 2021). 24 https://www.unibas.ch/de/Studium/Studienangebot/Studiengaenge-faecher.html?study =Kulturtechniken-MA (Zugriff 8. April 2021). 25 Maye 2010; zum Begriff der ‚Körpertechniken‘ vgl. Schüttpelz 2010. 26 Krämer 2001, 217.
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ken, bei deren Zusammenwirken „das Technische als eine kulturstiftende Kraft hervortritt, die gerade nicht aufgeht in der gegenständlichen Welt der Gerätschaften und Apparate, sondern sich zeigt in den fluiden alltäglichen Prozessen einer Hybridisierung von Mensch, Technik, Medium und Symbol.“27 Dem eigentlichen Thema des vorliegenden Bandes noch näher kommen Bemerkungen von Thomas Macho mit Blick auf ‚Kulturtechniken der Identität und Identifikation‘. 28 Der Mensch wird dort als ‚Kulturtier‘ konzeptualisiert, da er Kulturtechniken, also „Techniken, mit deren Hilfe symbolische Arbeiten ausgeführt werden können,“ praktiziert.29 Für Macho ist dann Selbstreferentialität eines der wesentlichen Merkmale von Kulturtechniken. So kann man „vom Sprechen sprechen, [...] vom Schreiben schreiben [...] und vom Lesen lesen;“ umgekehrt sei es nicht möglich, „das Feuermachen im Feuermachen, das Pflügen im Pflügen, das Kochen im Kochen [...] zu thematisieren.“30 Mit den Kulturtechniken könne dann allerdings symbolische Arbeit verrichtet werden, indem z. B. über das Feuermachen gesprochen, über das Pflügen geschrieben und vom Kochen gelesen werde.31 So sind Kulturtechniken nach Macho nicht nur „Techniken zweiter Ordnung“, sondern darüber hinaus auch menschliche „Techniken der Selbstthematisierung, der Identitätsbildung und der Identifikation.“32 Weniger symbolische Praktiken, sondern das Verhältnis zwischen Menschen und Dingen in einem erweiterten Horizont in den Blick nehmend, versteht Harun Maye in seinem programmatischen Aufsatz Was ist eine Kulturtechnik? den zentralen Terminus als Bezeichnung von „Praktiken und Verfahren der Erzeugung von Kultur, die [...] als Bedingung der Möglichkeit von Kultur überhaupt begrif27 Krämer 2004, 161: Als ‚Symbolische Dimension‘ kategorisiert Sybille Krämer „an körperliche Routinen gebundene, operationalisierbare und interpretationsneutrale Verfahren im Umgang mit symbolischen Welten.“ Die ‚Instrumentelle Dimension‘ umfasst den Einsatz „symbolische[r] Systeme als zweckgerichtete Werkzeuge bzw. Maschinen des Problemelösens“. Die ‚Aisthetische Dimension‘ verdeutlicht die Fähigkeit von Kulturtechniken, „Ideelles, Kognitives, Abstraktes [...] durch Vergegenständlichung dem Register der Aisthesis zugänglich und damit übertragbar und handhabbar zu machen.“ Zuletzt wird die ‚Epistemische Dimension‘ von Kulturtechniken als „externalisierte Verfahren, die der geistigen Entlastung [...] in Erwerb, Transport, Speicherung und Verarbeitung von Wissen dienen“ begriffen. 28 Macho 2008. 29 Macho 2008, 99; vgl. auch Kassung/Macho 2019, 16. ,Symbolisches Arbeiten‘ kann jedoch selbst nur unter Zuhilfenahme „spezifischer Kulturtechniken: etwa Sprechen, Übersetzen und Verstehen, Bilden und Darstellen, Rechnen und Messen, Schreiben und Lesen, Singen und Musizieren“ (Macho 2008, 99) vonstatten gehen. 30 Macho 2008, 100; vgl. ebd. 115–116. 31 Vgl. jedoch Fitzenreiter 2020, 65–67, der darauf hinweist, wieviel ‚symbolische Arbeit‘ z. B. auch beim Kochen und Essen als identitätsstiftenden, rollenbildenden und kulturproduzierenden Praktiken geleistet wird. 32 Macho 2008, 100.
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fen werden.“33 Er verweist darüber hinaus in Folge von Thomas Macho auf die bedeutsame Tatsache, dass „Medien und Künste späte Manifestationen kultureller Techniken“ sind: Das Zählen ist älter als die Zahl, man kann ohne Notationssysteme Singen, und Bilder und Schreiben stehen chronologisch vor einem ‚Bildbzw. Schriftbegriff‘.34 Die noch nicht vollständig geklärte Frage sei dabei allerdings, ob Kulturtechniken als von Utensilien und Hilfsmitteln beförderte Entfaltungen von Körpertechniken oder gar als originäre ‚Medientechniken‘ zu verstehen sind, die sich erst aus den Potentialitäten und der kreativen Nutzung von Schrift, Bild und Zahl generieren. Klar ist dann jedoch, „dass es ein spezifisch kulturtechnisches Handeln ohne Artefakte (Werkzeuge, Medien) und Symbole (Sprache, Zeichen)“35 nicht gibt und geben kann. 3. Siegel(n) An dieser Stelle setzt die Konzeptualisierung des Siegels und Siegelns als ‚Kulturtechnik‘ an, die dem vorliegenden Sammelband zugrunde liegt. Das Zusammenspiel von Kultur und Technik, von Artefakt und Symbol, von Medium und Zeichen, wird in der „Kulturtechnik des Beglaubigens und Authentifizierens“36 konkret beschreibbar. Dabei ist das Siegeln nicht allein eine „Kulturtechnik des Verwaltens,“37 sondern eine kulturelle Praxis, in der sich die „Hybridisierung von Mensch, Technik, Medium und Symbol“38 manifestiert. In dieser Perspektivierung wird auch der konzeptuelle Bezug mit dem eingangs kurz skizzierten Phänomen der Materialität und Medialität des Siegel(n)s als Objekt und Handlung augenscheinlich. Im Siegel und Siegeln findet sich so das Diktum Mayes, „dass es ein spezifisch kulturtechnisches Handeln ohne Artefakte [...] und Symbole [...] nicht geben kann“,39 eindrucksvoll bestätigt. Auch Macho ist in diesem Zusammenhang nochmals einzubeziehen, denkt er doch in seinem Beitrag konkret über Siegel und Stempel in einer körperanthropologischen Konzeptualisierung nach: „Die Technik des »Abdrucks« differenziert nicht zwischen Körpern und Artefakten, zwischen Praktiken der Verkörperung und der Verwendung von Objekten, die den Körper erweitern.“40 Mit Verweis auf Georges Didi-Huberman41 versteht Macho den individuellen, identifizierenden und autorisierenden Abdruck als Resultat des aus drei Elementen bestehenden Dispositivs ‚Träger (Siegel) – Geste
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Maye 2010, 121. Maye 2010, 122 mit Bezug auf Macho 2003 und Macho 2008, 116–117. 35 Maye 2010, 135. 36 Tschirner 2014, 279. 37 Becker 2010. 38 Krämer 2004, 161. 39 Maye 2010, 135. 40 Macho 2008, 102. 41 Didi-Hubermann 1999. 34
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(Siegeln) – Markierung (Siegelabdruck)‘.42 Die kulturhistorische Sichtung der unterschiedlichen Formen und Materialien der Objekte sowie der Abdrücke, die die ‚Zeichen der Authentifizierung‘ generieren, belegt die zeit-, regions- und kulturspezifischen Ausprägungen des Phänomens. Siegel werden je nach Kontext aus unterschiedlichen Materialien gefertigt, sie treten in den verschiedensten Formen und Typen auf, sie hinterlassen je nach kultureller Verwendung unterschiedliche Spuren und sie werden je nach Umfeld als Werkzeug, Statussymbol, Schmuck oder Amulett angesehen. Darüber hinaus können sie als individuelle Extensionen des menschlichen Körpers und als stellvertretende Entitäten zum Einsatz kommen, wobei sie die Abbilder und Zeichen ihrer Besitzer tragen können. Schließlich ist die kommunikative Rolle des Siegels, des Siegelns und des Siegelabdrucks hervorzuheben: „Siegel, Rollsiegel und Stempel waren (und sind) Objekte, die andere Objekte zum Sprechen bringen. Bis heute besteht ihre wichtigste Funktion darin, Texte, Bilder oder Gegenstände mit einem Ich, einer Person, einem Sprechakt zu verschränken. Mit Hilfe eines Siegels oder Stempels wird ein Sprechakt auf einen Gegenstand übertragen; das jeweilige Artefakt sagt dann – neben den eigentlichen Themen, die es als Bild, Text oder Gegenstand artikuliert – wer es beispielsweise produziert und genehmigt hat, oder wem es gehört. Im Grunde verhalten sich Siegel wie Sprechakte zu einem geschriebenen Text oder gemalten Bild; Siegel und Stempel repräsentieren – als Gegenstände oder Schmuckstücke – gleichsam die extern materialisierte Stimme der Autorität oder des Autors.“43 Die deutsche Sprache bietet die Möglichkeit, die Bedeutung des Verbs ‚siegeln‘ durch Präfixe dem zu bezeichnenden Kontext konkret und metaphorisch anzupassen. Schriftstücke, Türen, Räume, Flächen und Wissen werden versiegelt,44 Versprechen, Freundschaften und Schicksale werden besiegelt45 und Gefäße, Pakete, Betonböden und Sanktuare werden entsiegelt. 46 Darüber hinaus werden Verschlüsse, Dokumente, Urkunden und Staatsverträge gesiegelt.47 In dieser Auflistung der Verwendungen wird ‚Siegeln‘ in seiner Performativität, Intentionalität und Authentifizierungsqualität einerseits, oder aber als Umkehrung dessen erkenn- und konzeptualisierbar. Die soziale Rolle des Siegelns und die Agency des Siegels sind so in einem mehrdimensionalen Geflecht von Begriffen wie ‚Ding/ Objekt‘, ‚Handlung/Akt‘, ‚Zeichen/Bild‘ und ‚Kommunikation/Medium‘ zu ver-
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Macho 2008, 102. Macho 2008, 104. 44 Siehe https://www.dwds.de/wb/versiegeln (Zugriff 18. April 2021). 45 Siehe https://www.dwds.de/wb/besiegeln (Zugriff 18. April 2021). 46 Siehe https://www.dwds.de/wb/entsiegeln (Zugriff 18. April 2021). 47 Siehe https://www.dwds.de/wb/siegeln (Zugriff 18. April 2021). 43
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orten und in diesem Rahmen als ‚Kulturtechnik‘ gewinnbringend in den interdisziplinären altertumswissenschaftlichen Diskurs einzubringen. 4. Themen Im vorliegenden Sammelband werden Beiträge publiziert, die bei zwei Workshops des Centrums für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums (GKM) und des Netzwerks Archäologie Diagonal in den Jahren 2016 und 2017 an der Universität Münster vorgestellt wurden. Siegel und Siegeln werden dabei im Fokus der Kulturtechnik betrachtet, so dass Funktionen des Siegelns und die siegelnden Personen in den Vordergrund rücken. Dabei steht die gewaltige Materialbasis an Siegeln und ihren Abdrücken zwar im Blick der Autorinnen und Autoren, es geht jedoch nicht um eine Vorstellung von Sammlungen, die inzwischen sicherlich weitaus besser von digitalen Formaten übernommen werden kann. Im interdisziplinären Umfeld werden vielmehr neue Fragestellungen aufgeworfen und Methoden angewendet, die die Evidenz in ihren sozialen und zeitlichen Kontexten zum Sprechen bringen. So werden beispielsweise altorientalische Epen, Bilder des pharaonischen Ägypten und epigraphische Dokumente der griechischen Staatenwelt in den Diskurs eingebracht. Die interdisziplinäre Zusammensetzung macht diesen vielseitigen Zugriff ebenso wie den chronologischen Streifzug durch fast vier Jahrtausende – vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis zum Ende des 1. Jahrtausends n. Chr. – möglich. Im Alten Orient kam bereits der Auswahl des Materials, aus dem ein Siegel gefertigt werden sollte, eine große Bedeutung zu. Georg Neumann zeigt anhand von Keilschrifttexten, dass Steinen etwas Göttliches oder Mythisches innewohnte, so dass ihnen magische Kräfte zugesprochen wurden, die Schutz vor allerlei Unheil und Ungerechtigkeiten bieten sollten. Siegel garantierten damit ähnlich wie ein Amulett das Wohlbefinden ihrer Träger und wurden daher oft gar nicht zum Siegeln genutzt. Aus dieser Funktion leitet sich ab, dass der Verlust oder der Bruch eines Siegels Unheil mit sich bringen konnte. Neumann beschreibt schließlich, wie dann zur Schadensabwehr entsprechende Rituale durchgeführt werden mussten. Johannes Auenmüller bringt die Bilder des pharaonischen Ägypten, in denen Siegel als Objekte und das Siegeln als Handlung dargestellt sind, zum Sprechen. Er stellt Marktszenen ebenso wie Schauplätze der Wein-, Bier-, Öl- und Honigherstellung vor und diskutiert dadurch sowohl die ikonographische Realität der Bilder in Tempeln und Elitegräbern als auch den bildlichen Diskurs über das Siegel(n) in der pharaonischen Kultur. Er zeichnet dabei die Praktiken des Siegelns nicht einfach nach, er identifiziert vielmehr auch die sozialen Kontexte, in die das Siegel(n) eingebettet ist. So betrachtet er Siegel, die als Amulette in Kontexten der sozialen Grundschicht auftreten, ebenso wie Siegel, die hohe Funktionäre als Ehrengold oder Amtskennzeichen erhalten, und identifiziert schließlich den König als einzige Person, die im Bild beim Entsiegeln eines magischen Raumes, eines Göttersanktuars, anzutreffen ist.
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Der vierflügelige Skarabäus ist ein auf offiziellen Siegeln der Eisenzeit II B– C (2. Hälfte 8. Jahrhundert bis Anfang 6. Jahrhundert v. Chr.) weit verbreitetes Motiv im syrisch-palästinischen Raum. Rüdiger Schmitt diskutiert die Herkunft und Vermittlung dieses Motivs und konstatiert, dass parallele Entwicklungen am wahrscheinlichsten sind. Lokale Werkstätten anhand rein ikonographischer Kriterien zu bestimmen, erweist sich jedoch als schwierig. Schmitt stellt die These auf, dass die hochwertigen, mit gängigen Motiven verzierten Siegel als halbfertige Produkte aus ‚industriellen‘ Zentren importiert und dann vor Ort beschriftet wurden. Eine Herausforderung des Materials besteht darin, dass nur ein kleinerer Teil der Siegel aus regulären Grabungen stammt, eine Vielzahl hingegen aus dem Kunsthandel. Aus hellenistischer und römischer Zeit ist die beträchtliche Zahl von etwa 200.000 Siegelabdrücken erhalten, die an Urkunden appliziert waren. Allerdings steht die Forschung vor der Herausforderung, dass fast alle dazugehörigen Dokumente zerstört sind. Die Beiträge von Nikola Moustakis und Torben Schreiber machen diese Diskrepanz deutlich und stellen Methoden vor, um dennoch Funktionen und Kontexte des Siegelns zu rekonstruieren. Nikola Moustakis nähert sich dem Phänomen des Siegelns in der griechischen Staatenwelt über epigraphische Quellen. Sie stellt damit nicht das Artefakt Siegel in den Mittelpunkt, sondern analysiert Inventarlisten, Verträge und Ehrendekrete, die die Verwendung von Siegeln dokumentieren. Sie greift damit Szenarien auf, in denen das Siegeln sowohl in innerstaatliche als auch zwischenstaatliche Kommunikationsprozesse eingebettet ist, in denen Akzeptanz und Konsens erforderlich sind. Dabei geht Moustakis den Fragen nach, wer bzw. wie viele Personen siegeln, welche Funktion das Siegeln hat und welche Relevanz dem Siegeln zukommt. Die ausgewählten Beispiele zeigen, wie ‚öffentliche‘ und ‚private‘ Siegelprozesse ineinander verwoben sind und wie das Siegeln Präsenz und Person entkoppelt. Torben Schreiber fokussiert in seinem ersten Beitrag auf die Bedeutung und Funktion hellenistischer Siegel mit Herrscherporträts. Anhand von Siegelabdrücken aus den Archiven von Uruk/Orchoi und Seleukia am Tigris, die das Porträt seleukidischer Herrscher tragen, sowie von Siegelabdrücken mit Porträts ptolemäischer Herrscher aus den Archiven von Kallipolis, Edfu und Nea Paphos geht er der zentralen Überlegung nach, wer mit diesen Siegeln siegelte. Schreiber stellt die These auf, dass es sich weder um die persönlichen Siegel der Herrschenden noch um eine Form von Staatssiegel handelt, vielmehr sei anzunehmen, dass Amtsträger mit dem Bildnis des Königs offizielle Dokumente besiegelten und ausgewählte Personen mit derartigen Porträtsiegeln beschenkt wurden. Er stellt mit Hilfe quantitativer Analysen Kriterien für hellenistische Siegel auf, um ‚offizielle Siegel‘, ‚Siegel offiziellen Charakters‘ und ‚Individualsiegel‘ klarer voneinander abzugrenzen, macht gleichzeitig aber auch die Grenzen einer solcher Me-
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thode deutlich, zumal offizielle Siegel auch im privaten Kontext verwendet werden konnten. Die Universität Münster führt seit 1997 archäologische Feldforschungen in Doliche durch, dem heutigen Gaziantep, nahe der türkisch-syrischen Grenze gelegen. Torben Schreiber stellt in seinem zweiten Beitrag die Siegelfunde aus den Jahren 2017 und 2018 sowie die bereits publizierten Urkundenverschlüsse vor, die im Museum Gaziantep untergebracht sind. Damit liegen der Studie mehr als 2000 Siegelabdrücke von 761 Siegeln zugrunde, die von Anfang des 1. Jahrhunderts v. bis Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden können. Die Evidenz zeigt einerseits, dass die Siegel aus Doliche eng mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus verbunden sind. Schreiber untersucht dann vornehmlich die ‚offiziellen‘ Siegel, wobei er Motive, Schriftträger (Papyrus, Pergament) und Chronologie diskutiert und somit seine im ersten Beitrag vorgebrachten Kriterien für offizielle Siegel weiter exemplifizieren kann. Er schließt einen Überblick über die ‚Individualsiegel‘ an, deren Bearbeitung allerdings zu weiten Teilen noch aussteht. Auch Michael Grünbart greift durch seine Analyse von Metallstempeln aus Byzanz (6.–12. Jahrhundert n. Chr.) die öffentliche Funktion dieser Artefakte auf. Er hebt zum einen die weite Verbreitung identer Stempel hervor, die auf eine Duplizierung hinweist. Damit wären also nicht nur Siegelabdrücke serielle Objekte, sondern auch die Stempel selbst. Zum anderen betont er die klare Komposition, die fast wie ein Logo wirkt, und so eine leichte Einprägsamkeit ermöglicht. Zudem zeichnen sich die Stempel durch eine geringe Vielfalt an vorhandenen Namen aus, die er als Kaisernamen interpretiert. Anhand dieser Merkmale lotet Grünbart aus, ob die Metallstempel im Rahmen der öffentlichen Versorgung bzw. Steuereintreibung verwendet wurden. Der Beitrag von Michael Odenweller präsentiert schließlich eine Klassifikation der Siegelringe der Merowingerzeit. Er benennt dabei zwei Hauptgruppen, die sich sowohl ikonographisch als auch funktional unterscheiden: Die Ringe mit Porträt und Namens- sowie ggf. Titelnennung wurden nach Odenweller sowohl als Amtssiegel von Herrschaftsträgern als auch als Privatsiegel von Amtsinhabern und Privatpersonen genutzt. Die Ringe mit Namensmonogramm interpretiert er als reine Privatsiegel. Hinzu treten zwei kleinere Fundgruppen: zum einen Ringe mit Namen und nicht personenbezogenen graphischen Motiven, und zum anderen Siegelringe, die nur den Namen nennen ggf. ergänzt um ein einleitendes Kreuzzeichen. Odenweller vermutet, dass eine sekundäre Funktion als Amulett bei diesen Untergruppen vorliegt. Er tangiert damit abschließend noch einmal die Ambiguität des Siegels, die sich durch alle Beiträge dieses Sammelbandes zieht. 5. Schluss Die Relevanz des Themas ‚Siegel und Siegeln‘ für die interdisziplinär orientierten Altertums- und Kulturwissenschaften ist unbestreitbar. Dies manifestiert sich nicht nur an einer enormen Fülle an einschlägiger Literatur, sondern auch anhand des vorliegenden Bandes. Darin werden nicht nur Siegel – also die konkreten Ar-
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tefakte – in den Blick genommen. Anhand der sich mit dem Thema ‚Siegel und Siegeln‘ in unterschiedlichen Zeiten und Räumen beschäftigenden Beiträge wird auch eine Diskussion über die Kulturtechnik des Siegel(n)s und die sich darin manifestierenden sozialen, kulturellen, magischen oder rituellen Konzeptualisierungen dieser Artefakte bzw. Praktiken angestoßen. 6. Bibliografie Alkemeyer, T. 2003. Bewegen als Kulturtechnik. Neue Sammlung. VierteljahresZeitschrift für Erziehung und Gesellschaft 43.3, 331–347. Ameri, M., Costello, S. K., Jamison, G. & Scott, S. J. (Hgg.). 2018. Seals and Sealing in the Ancient World: Case Studies from the Near East, Egypt, the Aegean, and South Asia. Cambridge. Anonymus 1905. Kulturtechnik. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Band 11. Leipzig, 793. Anonymus 1911. Kulturtechnik. In: Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. Band 1. Leipzig, 1033. Becker, P. 2010. Kulturtechniken der Verwaltung. Forschungsbericht. Schweizerisches Bundesarchiv Bern. Bern. Bender, M. 2020. Digitale Methoden und Kulturtechniken. In: Friese, H., Nolden, M., Reban, G. & Schreiter, M. (Hgg.). Handbuch Soziale Praktiken und Digitale Alltagswelten. Wiesbaden, 385–392. Bonz, J. 2015. Sampling: Eine postmoderne Kulturtechnik. In: Jacke, C., Kimminich, E. & Schmidt, S. J. (Hgg.). Kulturschutt. Über das Recycling von Theorien und Kulturen. Cultural Studies 16. Bielefeld, 333–335. Cherry, J., Berenbeim, J. & De Beer, L. (Hgg.). 2018. Seals and Status: The Power of Objects. British Museum Research Publications. London. Didi-Huberman, G. 1999. Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks. Köln. Dobashi, T. & Marsal, E. 2005. Das Spiel als Kulturtechnik des ethischen Lernens. Philosophie und Bildung 5. Münster. Engel, E.-M., Blöbaum, A. I. & Kammerzell, F. (Hgg.). 2021. Keep out! Early Dynastic and Old Kingdom Cylinder Seals and Sealings in Context. Menes 7. Wiesbaden. Fitzenreiter, M. 2020. Technologie und / als / eine Kulturwissenschaft: Gedanken zu einer Archäologie von Dingen und Menschen erläutert und mit Beispielen versehen anhand der Funde des Bronzegusskonvolutes von der Qubbet ElHawa (Ägypten). Bonner Ägyptologische Beiträge 10. Berlin. Geiger, A., Schröder, G. & Söll, Ä. 2015. Coolness – Eine Kulturtechnik und ihr Forschungsfeld. In: Geiger, A., Schröder, G. & Söll, Ä. (Hgg.). Coolness – Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde. Kultur- und Medientheorie. Bielefeld, 7–16.
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Von göttlichen Steinen, gesegneten Werkstoffen und ärgerlichen Missgeschicken Einige Bemerkungen zur Bedeutung von und zum Umgang mit Siegelsteinen im Alten Orient Georg Neumann Abstract: The present contribution deals with the often-neglected magical meaning of sealing materials and seals, apart from style and dating. Several aspects are highlighted: The seal stone as medicine, as an amulet and divine aid in legal matters. The analyzed cuneiform texts are Sumerian and Akkadian literary texts of the 2nd and 1st millennium BC, such as Lugal-e and the Gilgamesh epic as well as texts of medical content. Finally, the loss of a seal and its consequences are examined more closely. Schlagworte: Magie, Amulett, Medizin, Rollsiegel, Steine, Hämatit / keywords: Magic, amulet, medicine, cylinder seal, stones, hematite
Die Beschäftigung mit altorientalischen Siegeln beschränkt sich häufig auf Überlegungen zur Datierung und stilistische Analysen. Nicht zuletzt die überaus große Menge an Material, das in vielen Sammlungs- und Museumskatalogen veröffentlicht ist oder noch in den Depots der Museen einer Bearbeitung harrt, prädestiniert diese Fundgruppe für derartige Untersuchungen. Im Folgenden sollen Siegel jedoch einmal von einer anderen Seite betrachtet und deren „Sitz im Leben“ unter spezifischen Gesichtspunkten beleuchtet werden. Daher stehen hier nicht die Zeitstellung oder die Stilanalyse im Fokus der Betrachtung, sondern es soll vornehmlich der (magischen) Bedeutung des verwendeten Materials nachgegangen werden. Zudem wird danach gefragt, was passiert, wenn man beispielsweise sein Siegel verliert oder es zu Bruch geht. Das Abrollen bzw. Abdrücken eines Siegelsteins identifizierte seinen Besitzer und diente gewissermaßen auch als Unterschrift. Es wies darüber hinaus den Eigentümer als Verfasser bzw. Absender eines Briefes, als einen Zeugen oder als Richter in einer Rechtssache aus und manifestierte die Verantwortlichkeit einer Person gegenüber der Unversehrtheit von Verschlüssen und damit auch der jeweiligen Ware oder Einrichtung. Es verkörperte also den Siegelbesitzer in seiner ganzen Autorität und sozialen Stellung.1
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Vgl. Radner 2005, 23 und Winter 2001, 1–3. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch Neumann, G. 2016, 13–26 sowie den kultur- und zeitübergreifenden Sammelband Regulski et al. 2012.
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Göttliche Steine Jedoch war das Siegel im Alten Orient noch mehr. Neben seiner administrativen und rechtlichen Funktion diente es auch als Amulett, das vor bösen Geistern, schlechten Zaubern und sogar vor Krankheiten schützen sollte.2 Bereits die Auswahl des Siegelsteins spielte hierbei eine entscheidende Rolle. So umgab Steine – nicht zuletzt dadurch, dass sie zumeist aus weit entfernten Regionen der damals bekannten Welt importiert werden mussten – immer auch der Hauch des Göttlichen und Mythischen.3 So heißt es am Ende der IX. Tafel des Gilgameš-Eposʼ, nachdem der Held auf der Suche nach dem Geheimnis der Unsterblichkeit den Berg Mašu, jenen Berg, „aus dem die Sonne steigt“, durchschritten hatte, dass er in einen göttlichen Garten gelangte: „Über dem Garten, den er erblickte, lag helles Licht. Auf die glitzernden, bunten Bäume der Götter ging er geradewegs zu, als er sie sah. Ein Karneol-Baum trägt da seine Frucht, er hängt voller Trauben, gar lieblich anzusehen. Ein Lapislazuli-Baum trägt Blätter da, Frucht trägt er, dass eine Lust es ist, ihn zu betrachten. … Der Zeder Stamm ist ganz aus Tigerauge, ihre blatttragenden Äste sind aus schwarz-weißem Streifenachat. [...] Aus Meereskoralle sind ihre Nadeln, ihre Zapfen sind aus rötlichem Streifenachat. Anstelle von Dornen und Disteln wachsen darunter Kristalle. Er berührte eine Schote des Johannisbrotbaumes. Sie bestand aus abaschmu4-Stein.“5 Dieser der Menschenwelt ferne Garten der Götter, in dem Steine wie Pflanzen wachsen, verweist sowohl auf die Dauerhaftigkeit von (Edel-)Steinen als auch auf deren Nähe zu den Göttern. Steine sind die Früchte und Pflanzen des göttlichen Gartens und direkt mit der Welt der Götter verbunden. Ihre Herkunft aus fernen Ländern unterstützte den Glauben an ihre magischen Kräfte. Unabhängig vom Siegelbild kam also bereits dem Material bei der Herstellung von Siegeln große Bedeutung zu.
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Zum Amulettcharakter eines Siegels vgl. Salje 1997. Zur symbolischen und mythologischen Bedeutung von Steinen in Mesopotamien vgl. Simkó 2014 mit weiterführender Literatur. 4 Bei dem abašmû-Stein handelt es sich wohl um einen grünlichen Stein; vgl. SchusterBrandis 2008, 392–393. 5 Übersetzung Maul 2005, 123–124, Z. 171–176 und 185–189. Vgl. auch Simkó 2018, 22– 23. 3
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Die Wahrnehmung dieser Steine als Früchte aus einem göttlichen, ewigen Garten mag ein Grund dafür sein, dass in der mesopotamischen Medizin teilweise Salben und Heiltränke aus zerriebenen Steinen hergestellt bzw. mit ihnen versetzt wurden.6 Auch wurden Steinen auf Grund ihrer Herkunft aus dem scheinbar unveränderlichen und ewig aufragenden Gebirge Eigenschaften wie Stärke und Beständigkeit zugesprochen. Auf ihre Stabilität und Kraft nahm man in Beschwörungen zum Schutz vor einem „Bann“ (akk. māmītu) explizit Bezug.7 Die Kraft, etwas magisch Böses abzuhalten, mag zumindest in Teilen auch im Umkehrschluss gegolten haben, nämlich, dass ein bestimmter Stein mit seiner Stärke auch einen „Eid“ (akk. ebenfalls māmītu)8 nochmals zu bekräftigen imstande war. So galt beispielsweise der Magnetit (akk. šadânu ṣābitu „packender Šadânu/Hämatit“9) mit seiner magnetischen Eigenschaft als Stein der Gerechtigkeit, der richtig von falsch unterscheiden konnte und somit eng mit dem Richtergott Šamaš verbunden war. In dieser Funktion wurde er daher, neben Hämatit, für Siegel und Gewichte verwendet.10 Zur Bedeutung von Steinen als Siegelrohmaterial geben uns nicht zuletzt zwei Keilschrifttextpassagen Auskunft. Zum einen handelt es sich dabei um einen Abschnitt von Traumomina im sog. „Assyrischen Traumbuch“, der „Serie dZiqīqu“, aus der Bibliothek des Assurbanipal (669–631 v. Chr.),11 wonach einem Träumenden unterschiedliche Siegel übergeben werden, die jeweils – abhängig von Farbe, Material, Bearbeitung und Aussehen – mit einer spezifischen Voraussage verbunden sind.12 Die siegelqualifizierenden Angaben sind mit wenigen Ausnahmen allerdings weitgehend unspezifisch. Aufgeführt werden u. a. ein „altes Siegel“, ein „durchbohrtes Siegel“ sowie Siegel einer bestimmten Farbe.13 Zum anderen handelt es sich im vorliegenden Zusammenhang um einen Abschnitt einer in Assur gefundenen Tontafel medizinischen Inhalts aus mittelassyrischer Zeit (2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.),14 wonach dem Besitzer eines 6
Vgl. Schuster-Brandis 2008, 54–55. Vgl. Schuster-Brandis 2012, 240–241. 8 Zum Bedeutungsspektrum (mit den entsprechenden Kontexten) von māmītu vgl. im einzelnen CAD M1 189–195; Maul 2019, 9–11. 9 Zu šadânu als Bezeichnung für Hämatit, Goethit und verwandte Mineralien vgl. Simkó 2018, 83–106. 10 Vgl. Schuster-Brandis 2012, 244. Zur Bedeutung der genannten Mineralien als Material für Gewichtssteine vgl. Powell 1979, 80; Hallo 1992, 355; Stol 1999, 573–574; zuletzt Simkó 2018, 94–97. 11 Zum „Assyrischen Traumbuch“ vgl. die Angaben bei Zgoll 2006, 446–451. 12 Vgl. Schuster-Brandis 2008, 51. 13 Vgl. Oppenheim 1956, 276, 322 (Taf. B, Z. 11–35). 14 BAM 2, 194 (= KAR 185) VIII’ 9’–15’; vgl. Schuster-Brandis 2012, 50. Zu diesem Text (= A) sind weitere Textfragmente aus neuassyrischer Zeit (1. Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr.) aus Ninive zu stellen (B = K 4212; C = Rm 320 [+]? 81-7-27, 281); vgl. dazu 7
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Siegelsteins je nach Art desselben ein bestimmtes (positives) Schicksal zuteilwird:15 „Der ein Siegel aus šadânu-Stein16 trägt – der betreffende Mensch wird das, was er bekommen hat, verlieren.17 Der ein Siegel aus uqnû-Stein18 trägt – die Potenz? eines Gottes19 wird er haben. Dieser Gott wird sich über ihn freuen. Der ein Siegel aus dušû-Stein20 trägt – (sein) Gewinn wird sich vergrößern, einen guten Namen wird er haben.21 Der ein Siegel aus pappardilû-Stein22 trägt – er wird beständig in Herzensfreude gehen.23 Der ein Siegel aus muššaru-Stein24 trägt – wohin er auch geht, werden ihm Beachtung und Zustimmung zuteil. Der ein Siegel aus sāmtu-Stein25 trägt – rīdum im Körper des / eines Mannes wird nicht gelöst werden.“26 ausführlich Simkó 2015. 15 Zur Übersetzung vgl. Schuster-Brandis 2008, 50. Wesentliche Abweichungen hiervon werden in den folgenden Anmerkungen vermerkt. 16 Zu šadânu als Bezeichnung für den Hämatit und ähnliche Steine vgl. oben Anm. 9. 17 Simkó 2018, 105 interpretiert die Zeile im Sinne einer negativen Wirkung des Siegels auf dessen Inhaber: „Diesem Menschen wird alles, was er besessen hat, verloren gehen“ (vgl. auch Schuster-Brandis 2008, 50). Das ist angesichts der folgenden Zeilen aber wenig wahrscheinlich. M. E. ist mit NA.BI „dieser bzw. der betreffende Mensch“ in Z. 9’ nicht der Siegelinhaber, sondern sein Gegenüber bzw. Vertragspartner im Verfahren bzw. im Rahmen eines Rechtsgeschäftes gemeint. Dies würde auch erklären, warum (im Unterschied zu den Z. 10’–13’) nur hier (und in Z. 14’–15’; s. dazu unten mit Anm. 26) ausdrücklich auf eine (weitere involvierte) Person verwiesen wird. Daraus ergibt sich, dass der Inhaber eines šadânu-Siegels das Recht auf seiner Seite, der Siegelstein seinem Inhaber also ein positives Schicksal beschieden hat. 18 Zu uqnû als Bezeichnung für Lapislazuli vgl. CAD U and W 195–201; Schuster-Brandis 2008, 453–454. 19 Anders Schuster-Brandis 2008, 50 („Lebenskraft des Gottes [?]“) und Simkó 2015, 205 („dignity? [in front of his personal] god”). Zu TÉŠ = bāštu „Potenz“ vgl. AHw 112a. 20 Zu dušû vgl. Schuster-Brandis 2008, 407–409 („ein heller, grüner Stein, ‚Chlorit‘, ‚Steatit‘ “). 21 Vgl. auch CAD R 156b. 22 Zu pappardilû vgl. Schuster-Brandis, 2008, 403–404 („ein schwarzer Stein mit einem weißen Streifen, wohl meist aus Bandachat“). 23 D. h., er wird glücklich sein. 24 Zu muššaru vgl. Schuster-Brandis 2008, 433 („rot[braun]-weiß gebänderter Stein, ‚Sardonyx, Karneol-Onyx‘“). 25 Zu sāmtu als Bezeichnung für „Rotstein, Karneol“ vgl. Schuster-Brandis 2008, 413–414. 26 Schuster-Brandis 2008, 50 mit Anm. 100 sieht hier eine negative Wirkung des Siegels auf den Siegelinhaber: „die Verfolgung (?) im Körper des Mannes wird nicht gelöst werden“. Anders Simkó 2015, 205, der hier für rīdum eine andere Bedeutung ansetzt: „The
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Hier wird deutlich, dass neben dem šadânu-Siegel auch Siegel aus anderen Materialien eine positive Wirkung auf den Besitzer haben konnten, also das Tragen von Siegeln gleichbedeutend mit dem Tragen eines schützenden und in jeder Hinsicht (rechtlich, wirtschaftlich, sozial, seelisch, körperlich) Wohlbefinden garantierenden Amuletts war.
Abb. 1: Portrait von Lady Layard (1870). Öl auf Leinwand. Von Vincente Palmaroli y Gonzales (1934–1896). WA 1980-12-14,1. Aus: Curtis/Reade 1995, 221 (Nr. 251). common sense? will not be released from the man’s body“ (vgl. den Kommentar ebd. 206– 207). M. E. ist aber auch hier durch den expliziten Verweis auf LÚ (ähnlich wie in Z. 9’, s. oben Anm. 17, aber im Unterschied zu den Z. 10’–13’) ein Gegenüber des Siegelinhabers gemeint, so dass auch hier im Grundsatz von einer positiven Wirkung des Siegels auf seinen Inhaber auszugehen ist.
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Verwiesen sei im vorliegenden Zusammenhang auch auf die Serie kunuk ḫalti „ḫaltu-Siegel“, die Amulettketten gegen böse Vorzeichen und Krankheiten auflistet.27 Vielleicht geht man mit Blick auf das möglicherweise hierzu zu stellende ḫaštu „Loch“28 nicht fehl in der Annahme, dass es sich bei den als ḫaltu-Siegel bezeichneten Steinobjekten zumindest hier nicht so sehr um Vertreter einer bestimmten Steinart,29 sondern vielmehr um Siegelsteine mit einem Loch, also mit einer Durchbohrung handelt, so dass diese auch als Kette aufgefädelt und getragen werden konnten.30 Dass Siegel, ob mit eingraviertem Bild oder noch im Zustand eines Rohzylinders in entsprechender Weise tragbar waren, verdeutlicht nicht zuletzt ein Ölgemälde, das Lady Mary Enid Evelyn Layard (1843–1912), die Ehefrau des berühmten Archäologen und Politikers Sir Austen Henry Layard (1817–1894) zeigt und auf dem diese eine Kette, Ohrringe sowie einen Armreif aus Roll- und Stempelsiegeln trägt (Abb. 1).31 Gesegnete Werkstoffe – Von einer Steinarmee zum Gebrauchsobjekt Steine waren also nicht nur reine Schmuck- oder Dekorationsobjekte. (Edel-) Steine dienten auch nicht vorrangig als Wertanlage, obgleich ihnen natürlich immer ein gewisser Wert eigen war. Wie gezeigt, wurden ihnen magische Kräfte zugeschrieben, die vor Krankheiten schützten oder diese sogar heilen konnten. Selbst nach dem Tod sollten sie als Grabbeigabe die Geister der Verstorbenen vor Unheil bewahren. Somit ist es nicht verwunderlich, dass auch das Material, aus dem ein Siegel gefertigt wurde, mit Bedacht ausgesucht werden musste. Hierbei spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Steine, denen Heilkräfte nachgesagt und die mit guten Göttern in Verbindung gebracht wurden, standen hoch im Kurs. Die Nähe bestimmter Steine zu Gottheiten wird auch in dem seit altbabylonischer Zeit überlieferten Ninurta-Mythos Lugal-e deutlich.32 Der Text beschreibt den Kampf des mesopotamischen Gottes Ninurta gegen den Dämonen Asakku und dessen Steinarmee. Ninurta, der im Verlauf der Geschichte den Dämon und dessen Truppen bezwingt, weist nach seinem Sieg den verschiedenen Steinen ein gutes bzw. ein schlechtes Schicksal zu.33 Über den bereits zuvor erwähnten Hämatit bzw. hämatitähnlichen Stein (sum. na4KA-gi-na, akk. šadânu), der vor allem in der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. als Siegelstein verwendet wurde, heißt es dort: 27
Vgl. Schuster-Brandis 2008, 192–197 und 358–390. Zu ḫaštu, ḫaltu „Loch, Grube“ vgl. AHw 334b; CAD Ḫ 143. 29 Zum sog. ḫaltu-Stein vgl. CAD Ḫ 53; Schuster-Brandis 2008, 416. 30 Die meisten altorientalischen Rollsiegel weisen eine durchgehende Durchbohrung auf. Die Bezugnahme in der Serie auf eben jene Durchbohrung könnte darin begründet sein, dass die Siegel hier explizit zu einer Kette aufgezogen werden sollten. 31 Vgl. Barnett 1978; Rudoe 1987; Curtis/Reade 1995, 220–221, Nr. 250–251. 32 Dazu zuletzt (mit Literatur) Heimpel/Salgues 2015; Simkó 2018. 33 Vgl. dazu auch Selz 2001; Foster 2014; Simkó 2014 und 2018. 28
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„Der Held wendet sich an den Hämatit, zu seiner Stärke ruft er, Ninurta, der Sohn des Enlil, er entscheidet ihm das Schicksal: ‚Junger frommer Mann, auf dessen Oberfläche sich das Licht reflektiert, Hämatit, als zu dir vom aufständischen Lande die Forderungen drangen, der heftige Kampfschrei, der wütende Schrei dich drängte, bei der Feindlichkeit, hat meine Hand dich nicht ergriffen, ich habe dich nicht aus den Rebellen herausgelesen. Ich werde deinen Fuß im Land Sumer aufrichten, so sei es, dass das Amt des Šamaš deine ME34 ist, dass du wie ein Richter die Bergländer richtest, dass der Handwerker, der in allem wissend ist, dich im gleichen Wert schätzt wie Gold‘.“35 Diese kurze Passage reflektiert den ‚Sitz im Leben‘ dieses Steins. Dessen Aufgabe bestand nämlich darin, das Amt des Sonnen- und Richtergottes Šamaš auszuüben, also Recht zu sprechen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Damit wird er auch zu einem idealen Material für die Herstellung von Siegelsteinen.36 Anders als heute erfolgte die Bestimmung der Steine nicht aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern nach Augenschein sowie auf Grund des Materialverhaltens bei der Bearbeitung, d. h. man registrierte beispielsweise, ob ein Stein weich, brüchig oder fest war. So wurde z. B. Lapislazuli im Akkadischen als uqnû37 und – darauf Bezug nehmend – blaue Fritte als uqnû kūri, „Lapislazuli aus dem Ofen“, bezeichnet.38 Dies bedeutete auch, dass blauer Fritte als lapislazulifarbenem Material ähnliche magische Eigenschaften wie echtem Lapislazuli zugesprochen wurden.39 Von Siegeln und Missgeschicken Ging ein Siegel verloren, war dies – nicht zuletzt auch mit Blick auf die vorhergehenden Bemerkungen – in mehrfacher Hinsicht ein sehr ernstes und folgenreiches Vorkommnis. Um Missbrauch zu vermeiden, musste der Verlust eines Siegels öffentlich bekannt gegeben werden, wie es z. B. im Fall des Kaufmanns Ur34
Mit dem Sumerogramm ME wird hier die göttliche Schicksalsbestimmung bezeichnet; vgl. Farber 1987. 35 Übersetzung nach Van Dijk 1983/I, 115–117, Z. 497–509; vgl. Neumann, G. 2012, 765; vgl. jetzt auch (jeweils mit Abweichungen) Heimpel/Salgues 2015, 57; Simkó 2015, 120– 121. 36 Vgl. Neumann, G. 2012, 764–765; Simkó 2015, 120–122; Simkó 2018, 87–88. 37 S. oben Anm. 18. 38 Vgl. Köcher 1957–1958, 302 I 32 sowie Schuster-Brandis 2008, 8. Zur Herstellung von Glas und Fritte im Alten Orient vgl. Oppenheim et al. 1970; umfassend für das 1. Jahrtausend v. Chr. (insbesondere archäologisch) jetzt auch Schmidt 2019. 39 Zur Steinbestimmung im Alten Orient vgl. Schuster-Brandis 2008, 4–8.
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DUN aus dem 21. Jahrhundert v. Chr. durch eine literarisch überlieferte Musterurkunde bezeugt ist: „Das Siegel (mit) der Inschrift des Kaufmanns Ur-DUN ist verloren gegangen. Auf das Wort der Versammlung hin blies der Herold auf den Straßen das Horn, (damit) niemand irgendeinen Anspruch gegen ihn (= den Kaufmann) habe(n kann). Lu-Su’ena, der General, Lugalmelam, der Statthalter (und) Tempelverwalter, Zuzu, der Meister, Sidu, der Schreiber, Allu, der Hausverwalter, Bansagen, der Kultsänger, Ullia, der Bürgermeister (und) der Herold sind die Zeugen.“40 Durch den Verlust eines Siegels war über die Möglichkeit des rechtlichen und gesellschaftlichen Schadens hinaus weiteres schlimmes Unheil zu befürchten. Damit dem Betroffenen in solch einem Fall keine göttliche Strafe ereilte, mussten Rituale und Beschwörungen, sog. Löserituale (Namburbi), durchgeführt werden, die die Götter gnädig stimmen sollten. So heißt es in einem Löseritual aus Assur: „Wenn das Siegel [eines Mannes] entweder zerbrochen oder verloren gegangen oder in den Fluss [gefallen ist], damit sich das davon (ausgehende) Unheil [einem Menschen] und seinem Hause nicht nähern kann: Die zugehörige Ritualhandlung: Du gehst an das Flussufer. Da[nn] stellst du vor Ea und Ninkurra, dem ,Gott der Siegelschneidekunst‘: dem Gott … ein Tragaltärchen auf. Eine Ration aus Emmer rüstest du für Ea [zu]. Eine Ration aus Emmerbroten rüstest du für Ninkurra [zu]. Datteln und Feinmehl schüttest du hin. mirsu (mit) Sirup (und) Butterschmalz stellst du hin. Du libierst Bier (und) Wein. Der betroffene Mensch kniet nieder und spricht folgendermaßen: Beschwörung: Ea, König des apsû, [Schöpfe]r der Menschheit, ja du! [(Die Auswirkungen des)] unheilvollen [Omenanzeig]ers soll man an den Menschen nicht heranlassen. [Das von] diesem Siegel [(ausgehende) Unheil] lasse an mir vorübergehen, so dass [es sich mir nicht nähern möge], es nicht herankommen, nicht herantreten (und) mich nicht einholen möge! Es [möge den Fl]uss [überschreiten] (und) das Gebirge überqueren! [Aus] meinem [Körper] möge es sich 3600 Doppelstunden41 weit entfernen!“42 Insgesamt gesehen zeigen bereits die wenigen bekannten Keilschrifttexte, die sich explizit mit Siegeln und Siegelsteinen befassen, deutlich die enge Verbindung von administrativ-juristischer Funktion und den magischen Aspekten eines 40
Übersetzung Neumann, H. 2004, 17–18 (mit Literatur); zuletzt Bodine 2014, 43–44 mit Kommentar ebd. 138–143 (ergänzend Spada 2017, 305). 41 Eine Doppelstunde (akk. bēru) entspricht etwa 10,8 km, vgl. Powell 1987–1990, 478. Das Unheil soll sich also 38.800 km entfernen. 42 Übersetzung Maul 1994, 208–209 (LKA 110, Vs. 1 – Rs. 2); vgl. auch Marzahn 1997, 38.
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Siegels. So konnte in der Vorstellungswelt der Bewohner Mesopotamiens ein Siegelstein in Abhängigkeit von Farbe und Material vor Krankheiten schützen, heilende Wirkung haben und göttlichen Beistand in rechtlichen, finanziellen sowie körperlichen Dingen garantieren. Dieser bunte Strauß an möglichen Segnungen sowie der Wunsch nach einem möglichst umfassenden Schutz lassen vermuten, dass so manch ein Siegel einzig als Amulett in Gebrauch war und nicht zum Abrollen genutzt wurde. Abkürzungen AHw von Soden, W., 1965–1981. Akkadisches Handwörterbuch. Wiesbaden. akk. akkadisch BAM Köcher, F. 1963–2005. Die babylonisch-assyrische Medizin in Texten und Untersuchungen. Berlin. CAD Oriental Institute et al. 1956–2010. The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Chicago. K. Museumssignatur des British Museum (Kuyunjik / Niniveh) KAR Ebeling, E. 1915–1923. Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts. Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 28 und 34. Leipzig. LKA Ebeling, E. 1953. Literarische Keilschrifttexte aus Assur. Berlin. Rm Museumssignatur des British Museum (Rassam) sum. sumerisch Literaturverzeichnis Barnett, R. D. 1978. Lady Layard’s jewelry. In: Moorey, R. & Parr, P. (Hgg.). Archaeology in the Levant: Essays for Kathleen Kenyon. Warminster, 172– 179. Bodine, W. R. 2014. How Mesopotamian Scribes Learned to Write Legal Documents. A Study of the Sumerian Model Contracts in the Babylonian Collection at Yale University. Lewiston. Curtis, J. & Reade, J. E. (Hgg.). 1995. Art and Empire. Treasures from Assyria in the British Museum. New York. Farber, G. 1987. s. v. me. In: Edzard, D. O. (Hg.). Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie 7. Libanukšabaš–Medizin. Berlin, 610– 613. Foster, B. R. 2014. Diorite and Limestone: A Sumerian Perspective. In: Sassmannshausen, L. (Hg.). He Has Opened Nisaba’s House of Learning. Studies in Honor of Åke Waldemar Sjöberg on the Occasion of His 89th Birthday on August 1st 2013. Cuneiform Monographs 46. Leiden, 51–56. Hallo, W. W. 1992. Trade and Traders in the Ancient Near East: Some New Perspektives, in: Charpin, D. & Joannès, F. (Hgg.). La circulation des biens, des personnes et des idées dans le Proche-Orient ancien. Actes de la XXXVIIIe
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Siegel und Siegeln in der Ikonographie des pharaonischen Ägypten Soziale Kontexte und Akteure Johannes Auenmüller Abstract: This contribution provides an overview of the iconographic evidence from Pharaonic Egypt relative to seals and sealings, dating from the Old to the New Kingdoms. Images in which certain objects such as vessels are sealed, scenes in which cylindrical seals or signet rings are made, worn, or issued, or depictions in which mud seals are broken (i. e. unsealed), are discussed to not only understand different uses and practices of seals and sealings, but also to identify which persons perform the sealing or unsealing acts in which contexts of action and social settings. Material and textual evidence is also considered to better understand the specific characteristics of the imagery. The main aim of the paper is first to assess the individual social contexts and agents represented and related to seals and sealings. The focus is thus less on administrative uses of seals, but, secondly, on the iconographic discourse within Pharaonic Egypt and the visual representation of the ‘seals & sealings’ topic. Therefore, this contribution is mainly concerned with visual culture and its capacity of – and approach in – depicting certain images that elucidate the iconographic mise-en-scène and construction of this topic. Schlagworte: Pharaonisches Ägypten, Siegel & Verschlüsse, Bilder & Ikonografie, Rollsiegel, Siegelpraxis / keywords: Pharaonic Egypt, seals & sealings, imagery & iconography, cylinder seals, sealing practice
1. Siegel, Siegeln und Bilder In diesem Beitrag soll die „Kulturtechnik des Beglaubigens und Authentifizierens“1 am Beispiel des pharaonischen Ägypten betrachtet werden.2 Dabei wird eine spezifische Perspektive eingenommen, in der nicht die Artefakte, Abdrücke und Techniken im Mittelpunkt stehen, sondern deren ‚Bilder‘. 3 Konkret heißt dies, dass Abbildungen aus dem reichen ikonografischen Fundus des pharaonischen Ägypten zum Sprechen gebracht werden sollen, in denen Siegel und Siegeln thematisiert sind. Bei diesem Unterfangen wird zunächst nach den ins Bild gesetzten sozialen und funktionalen Kontexten des Siegels und des Siegelns ge1
Tschirner 2014, 279. Die im vorliegenden Beitrag besprochene Evidenz stammt hauptsächlich aus zwei Zeitperioden des pharaonischen Ägypten: dem sog. Alten Reich (2592–2118 v. Chr.) und dem Neuen Reich (1539–1076 v. Chr.). Die Evidenz aus dem Mittleren Reich (1980–1700 v. Chr.) wird weniger intensiv zur Sprache kommen. Während das Alte Reich territorial das Kerngebiet des pharaonischen Staates vom Ersten Katarakt bei Assuan im Süden bis zur Küste des Nildeltas im Norden umfasst, gehört zum Ägypten des Neuen Reiches auch ein großer Teil von Nubien im Süden. 3 Boehm 1994 und 2015. 2
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fragt werden, um dadurch gleichsam die ikonografisch konstruierte Perspektive auf diesen Themenkomplex in der pharaonischen Bildwelt zu identifizieren. In welchen Handlungskontexten werden die Siegel und das Siegeln in den Bildern verortet? Welche Personen sind dabei beteiligt und in welcher Rolle? Was sagen diese ‚kulturellen Bilder‘ schließlich über das Verständnis der pharaonischen Kultur über Siegel und Siegeln aus? Als Hintergrundfolie der Überlegungen ist klar, dass die Bilder keine ‚tatsächliche Realität‘ sichtbar machen, sondern eine ikonografisch konstruierte Realität, da in ihrem Wesen sowohl die „signifikative“ als auch die „ikonische Differenz“ im Sinne Bernhard Waldenfels’ greifen.4 Bevor mit der Darstellung und Diskussion der bildlichen Evidenz begonnen werden kann, ist vorauszuschicken, dass Siegel und Siegeln in der Ikonografie des pharaonischen Ägypten nur in wenigen Bildern thematisiert sind. Dies wirft Fragen zum Spannungsfeld zwischen der materiellen Kultur und ihrer Reflexion in den visuellen Medien auf. Wenn die Bedeutung des Siegel-Themas im ikonografischen Diskurs so gering erscheint, wie kann man dies mit der breit belegten Gegenwärtigkeit dieser Kulturtechnik in der alltäglich erlebten Welt in Einklang bringen? Welche Antwort man auch immer auf diese Fragen geben mag, die Seltenheit des Themas dürfte nicht nur generell an seiner ,Profanität‘, sondern auch an der besonderen räumlichen Verortung der für unsere Fragen relevanten ägyptischen Bilder liegen: So sind zum einem Göttertempel, zum anderen weit häufiger dekorierte Elitegräber die Hauptorte für Bilder zum Thema ,Siegel & Siegeln‘.5 Welche Ebenen des ikonografischen Diskurses in diesen Bildern in Szene gesetzt sind, wird bei der Besprechung der Beispiele deutlich werden. Das Ausgangsmaterial für unser Unterfangen wird konstituiert durch das ins Bild gesetzte Auftreten des Themas ,Siegel & Siegeln‘ in seinen verschiedenartigen Ausprägungen: Uns interessieren dabei 1. ,Siegelstempel und Siegelabdrücke‘, d. h. die Artefakte und ihre Botschaften, 2. das ,Verschließen und Versiegeln‘, d. h. die mit Siegelstempeln und Abdrücken verbundenen Handlungen, und 3. auch ,Gesiegelte Dinge‘, d. h. die Zielobjekte der Handlungen, in denen sich gleichsam das Ergebnis des Versiegelns und Authentifizierens manifestiert. Darüber hinaus interessieren uns aber vor allem die in diesen Bildern thematisierten sozialen Kontexte und handelnden Akteure. Diese beiden Aspekte werfen ein entscheidendes Licht auf die Hersteller:innen, Träger:innen und Nutzer:innen solcher Siegel sowie diejenigen Personen, die die Autorität besitzen, gesiegelte Verschlüsse aufzubrechen. Welchen Personen also wird in den Bildern eine Beteiligung an der Herstellung eines Siegels, am Prozess des Siegelns und an der Umkehr der verschließenden und authentifizierenden Funktion des Siegels zugesprochen?
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Waldenfels 2001. Zu Bildern in Tempeln allgemein Arnold 1962, zu Bildern in Gräbern cf. die Beiträge in Fitzenreiter/Herb 2006.
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Mit der in diesem Beitrag gewählten Fokussierung auf die Welt der Bilder steht die der materiellen Kultur zwangsläufig etwas weniger im Blickfeld.6 Ohne den Rekurs auf die materielle Kultur, die archäologischen Kontexte oder auch die textliche Dokumentation allerdings sind die Bilder selbst nicht verständlich. Ein solcher Zugang, der die verschiedenen Dimensionen der Evidenz integriert, findet sich z. B. in Ulrike Dubiels Studie der Amulette, Siegel und Perlen aus den Gräberfeldern der sozialen Grundschicht in Mittelägypten7 und Josefine Kuckertz’ Arbeit zu den Gefäßverschlüssen des ägyptischen Neuen Reiches8 exemplifiziert. Beide Arbeiten haben den vorliegenden Beitrag in entscheidenden Punkten mit Diskussionen und Referenzen bereichert. Die Bedeutung des Siegel-Themas findet auch Ausdruck in zahlreichen interdisziplinären Sammelbänden mit ägyptologischen Beiträgen, die nicht nur einzelne Aspekte beleuchten, sondern auch die grundlegenden Fragen und disziplinären Zugänge zu Typologie, Chronologie und Siegelpraxis aus kulturwissenschaftlich-theoretisch informierter Perspektive in den Blick nehmen.9 2. Siegel(n) im Bild: Die ikonografische Evidenz Nun gilt es, die relevanten Bilder systematisch zu diskutieren. Dabei wird im gewissen Maße einer chronologischen Ordnung gefolgt, welche gleichsam eine thematische Struktur vorgibt. Der Bogen, der im Folgenden gespannt werden wird, reicht vom Verschließen von Wein- oder Honigkrügen über die Darstellungen von (Zylinder-)Siegeln bzw. -amuletten und der Übergabe eines Amtssiegels an einen hohen Funktionär bis schließlich hin zum Brechen des Siegels durch den König. Bei diesem Vorhaben soll die Welt der Bilder teilweise auch mit der materiellen Kultur rückgekoppelt werden, um die Interdependenz und Spezifität der beiden Ebenen im Blick zu behalten. 2.1 Das Verschließen von Bierkrügen im Alten Reich10 Am Beginn unseres Unterfangens stehen die sog. ,Szenen des täglichen Lebens‘ aus monumentalen Grabanlagen der sozialen Elite des Alten Reiches.11 In einigen 6
Vgl. die Überblicke in Wegner 2018, 233–247 und Boochs 1982, 81–104 zu den im pharaonischen Ägypten genutzten Siegeltypen, deren Text- und Bildmotivik sowie deren Materialität (Materialien und Herstellung). 7 Dubiel 2008. 8 Kuckertz 2003; zu dieser Objektgruppe siehe auch Van Elsbergen 2019. 9 U. a. Regulski et al. 2012 und Ameri et al. 2018; vgl. auch Gratien 2002. 10 Zum Versiegeln und Verschließen von Gefäßen allgemein Boochs 1982, 7–17. 11 Zu diesem Korpus u. a. Klebs 1915; Montet 1925; Wreszinski 1936; Harpur 1987; ElMetwally 1992; Van Walsem 2005; Fitzenreiter/Herb 2006; Roeten 2014; Verma 2014. An systematisierenden Datenbanken sind zu nennen https://digitalegyptology.org/masta base/ und https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/oee_ahrc_2006/ (Zugriff 5. Februar 2020). Unter http://nickyvandebeek.com/bibliography/oketib/ (Zugriff 5. Februar 2020) findet man eine Bibliographie zu den dekorierten Elitegräbern des Alten Reiches.
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Bildfolgen der Bierbrauerei wird das ‚Versiegeln‘ bzw. Verschließen von Biertöpfen mit Krugverschlüssen aus ungebranntem Nilschlamm dargestellt (Abb. 1).12
Abb. 1: Bierbrauer dichten Bierkrüge innen mit Ton ab, füllen Bier in bereitstehende Krüge und versehen diese mit Gefäßverschlüssen, die anschließend verschmiert werden. Mastaba des Ti in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Epron 1939, Tf. LXVI).
In unserem Beispielbild sieht man oben links eine auf dem Boden hockende männliche Person, die einen Bierkrug mit einem darauf sitzenden konischen Gefäßverschluss festhält und dessen Übergang mit der Gefäßwand verstreicht. Daneben reihen sich bereits versiegelte Krüge auf.13 Vorher, so ist es in den umgebenden Szenen gezeigt, sind die Bierkrüge von anderen Arbeitern zur Abdichtung 12
Die Belege sind zusammengestellt und kommentiert in Faltings 1998, 156–225; vgl. auch Wild 1966 zur Bildfolge der Bäckerei und Brauerei. Zur archäologischen Evidenz und zum Aussehen solcher Verschlüsse vgl. u. a. Kaplony 1977, 6–8; Engel/Müller 2000, 34–38, Abb. 1, Typ G1–3; Faltings 1998, 217, Abb. 16f, Nr. 129; 224, Abb. 5; Hassan/ Kanawati 1996, Tf. 46, Nr. 50. Zur Funktionalität und Rolle der ‚beer jars‘ allgemein siehe El-Senussi 2013, der 38–39 darauf hinweist, dass die Öffnung des Bierkruges vor dem eigentlichen Aufsetzen des Krugverschlusses zunächst mit einem kleinen Keramikschälchen oder einer Scherbe versehen wurde, um eine Kontamination des Inhalts mit dem Ton des Verschlusses zu verhindern. 13 Versiegelte Bierkrüge sind als Motiv in einer Vielzahl von Gräbern zu sehen: Faltings 1998, 156–225, Doks. (1), (2), (4), (14), (16), (19), (23), (24), (25), (27), (28), (30), (32), (35), (36), (39), (40b), (40c), (41), (42), (44), (48) und (53). In diesen Bildern erkennt man auch die typologischen Varianten des Verschlusses.
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innen mit feuchtem Ton ausgekleidet, dann mit Bier befüllt und schließlich mit solchen Verschlüssen versehen worden. 14 Die Person, die die Verschlüsse anbringt, ist wie die anderen Arbeiter mit einem einfachen Schurz bekleidet und nur durch die Darstellung ihrer aktiven Tätigkeit und den Szenenkontext funktional als Brauer charakterisiert. In der hier gezeigten Szene aus der Mastaba des Ti in Saqqara haben einige Brauer ihren Schurz gerafft, so dass ihr Geschlecht sichtbar ist.15 Zusätzlich dazu ist einer der Brauer ikonografisch durch eine Halbglatze ausgezeichnet, die ihn als älteres Mitglied der sozialen Grundschicht ausweist.16
Abb. 2: Bierkrüge werden von Brauerinnen abgedichtet und mit tönernen Gefäßverschlüssen versiegelt. Mastaba des Ii-nefret (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Schürmann 1983, Abb. 17b). 14
Das Befüllen ist in der Szene (Abb. 1) überschrieben als mH Dwj.w „Das Befüllen der Bierkrüge“, das Aufsetzen der Krugverschlüsse heißt agi.t Dwj.w{t} „Verschließen von Biertöpfen“: Faltings 1998, 163, Fn. 494; St. Grunert, in . Das Formen eines solchen Krugverschlusses aus einem speziellen Ton heißt nach Faltings 1998, 168, Fn. 518: zxi.t jdA „Formbaren Ton zurichten“. St. Grunert, in fasst zxi.t (Wb 3, 466.13–467.13; 4, 228; Lemma-Nummer 141400) und jdA (Wb 1, 152.16, Lemma-Nummer 33870) dagegen als zwei nebeneinanderstehende Infinitive zur Beschreibung der Szene auf: „Kneten und Glattstreichen (des Tons).“ 15 Vgl. zum Thema ‚funktionale Nacktheit‘ in den Gräberbildern u. a. Serova 2018. 16 Vgl. Auenmüller 2018.
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In Szenen der Bierbrauerei treten vereinzelt auch Frauen in verschiedenen Rollen auf. Sie sind u. a. anhand ihrer Kleidung und – wenn die farbliche Fassung der Szenen erhalten ist – an ihrem hellen Inkarnat zu erkennen.17 In der Grabkapelle des Ii-nefret aus Giza, deren Wandreliefs sich heutzutage in Karlsruhe befinden, sieht man eine Frau in gleicher Manier beim Verschließen der Bierkrüge mit Gefäßverschlüssen neben einer weiteren weiblichen Person, welche die Gefäße mit Ton auskleidet (Abb. 2).18 In den kurzen, diese Szenen oft begleitenden hieroglyphischen Beischriften treten zwei Verben zur Beschreibung der Versiegelung auf: sSr „bestreichen“19 und amj „verschmieren“.20 Beide sind als Ausdruck im Sinne des Verschließens der Biertöpfe mit Gefäßverschlüssen als Schutz vor Verunreinigung des Inhalts beim Transport und während der Gärung zu verstehen.21 Der Verschluss scheint mit dem Wort Dnj „Stopfen“ bezeichnet worden zu sein.22 Es ist noch zu bemerken, dass in diesen Szenenfolgen, die im Wirtschaftsbereich des Anwesens des elitären Grabbesitzers spielen, keine Siegel im eigentlichen Sinne zur Kennzeichnung und Authentifizierung der Verschlüsse zum Einsatz kommen. Mit (Roll-) Siegeln gesiegelte Verschlüsse verschiedenster Gefäßtypen sind jedoch archäologisch in funerären und Siedlungskontexten dieser Zeit sehr gut bekannt.23 Das Aufbrechen und Abnehmen sowie das anschließende Entsorgen solcher Verschlüsse wird in den Gräberbildern ebenfalls nicht thematisiert. Im Mittleren Reich wird die Szene des Versiegelns von Bierkrügen nicht gezeigt,24 es gibt jedoch Gräber, in denen versiegelte, d. h. mit Krugverschlüssen ausgestattete Bierkrüge als Bildmotiv in Szenen der Bäckerei und Bierbrauerei einerseits und als gelagerte oder präsentierte (Opfer)gabe andererseits vorkom17 Zur Ikonografie von Frauen allgemein vgl. Robins 1994; Swinton 2003; Roth 2006; Vasiljević 2007; 2012. 18 Schürmann 1983, 43; Faltings 1998, 171–172, Dok. (32). 19 Wb 4, 294.8–15 (Lemma-Nummer 145460); Faltings 1998, 162, Dok. (13), Fn. 489; 163, Dok. (16). 20 Wb 1, 185.7 (Lemma-Nummer 850352); Faltings 1998, 157, Dok. (2); 162–163, Dok. (14); 164–165, Dok. (18); 171–172, Dok. (32). 21 Faltings 1998, 223–225. 22 Faltings 1998, 164–165, Dok. (18), Fn. 504; vgl. ebd. 172, Fn. 528. 23 Z. B. aus Buhen (Kaplony 1977, 8–9, 369–372 mit weiterer Literatur), Abusir/Abu Ghurob (Kaplony 1977, 347–368), Giza (Kaplony 1977, 373–374), Elephantine (Pätznick 2005; auch Engel 2018); vgl. auch Bussmann 2010, 431–457. Zur Illustration sei auf die Verschlüsse Wien KHM Inv.-Nr. 7913 und KHM Inv.-Nr. 7914 (aus der Mastaba des Djati, G 5370, 5. Dynastie, Giza; Kaplony 1981, 180–182, Tf. 58 [4AHw-Ra 13]) mit Abdrücken verwiesen: www.khm.at/de/object/cd599e2488/ und www.khm.at/de/object/cfa 02ed2f6/ (Zugriff 20. Februar 2020); vgl. auch die Siegel und Siegelabdrücke aus Balat in der Oase Dakhla: Pantalacci 1996 und 2001; Soukassian et al. 2002, 385–445. 24 Diese Angabe basiert auf den aktuellen Daten des Meketre Scene Repository http://meketre.org (Zugriff 25. Februar 2020).
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men.25 Archäologisch sind mit Krugverschlüssen versiegelte ,beer jars‘ des Mittleren Reiches ebenfalls bekannt.26 2.2 Rollsiegel, Figurenzylinder und Zylinderperlen im Alten Reich27 Das hieroglyphische Zeichen xtm (Gardiner Sign-list S 20) – das gleichsam selbst ein für die in diesem Beitrag eingenommene Fragestellung relevantes Bild ist – wird meist als Abbildung eines Rollsiegels, das in einen an einer Kette hängenden Rahmen eingespannt ist, verstanden (Abb. 3a–c).28
Abb 3a–c: Das hieroglyphische Zeichen xtm: Ein Rollsiegel an einer Perlenkette. Einzelne Hieroglyphen aus Gräbern in Giza, Beni Hassan und Meidum (Altes und Mittleres Reich) (nach Hayes 1951, 38, Abb. 27; Griffith 1896, Tf. III.36; Petrie 1892, Frontispiece, Nr. 12).
Im Falle besonders detaillierter Darstellungen ist die Kette in bunte Perlen gegliedert und der ‚Rahmen‘ entweder in der gleichen oder einer anderen Farbe als das Zylindersiegel wiedergegeben. Daneben gibt es Zeichen, bei denen das Rollsiegel – beiderseits in Kappen gefasst – vertikal an der Kette befestigt ist. Deren Länge deutet indes darauf hin, dass – wenn die Hieroglyphenzeichen eine tatsächliche Realität abbildeten – solch ein Siegelzylinder eher an einer Halskette denn
25
Keyword „Sealed beer jar“ unter http://meketre.org/repository/search (Zugriff 25. Februar 2020). 26 Z. B. Bierkrug mit Gefäßverschluss aus dem Grab des Wah in Theben West, Mittleres Reich, Amenemhet I.: MMA 20.3.256a–c; https://www.metmuseum.org/art/collection/ search/572197 (Zugriff 4. März 2020). 27 Zu Siegeltypen und Siegelpraxis im Alten Reich siehe allgemein Nolan 2018 und Wegner 2018, 233–236. 28 Newberry 1905, 43–45; Betro 1995, 197; Merrillees 2006, 222, Abb. 4; Dubiel 2008, 141–142. Kaplony 1984, 295 und 300, Fn. 33 führt aus, dass es die Befestigungsart in einem Rahmen, der aus Metall bestehen soll, nicht gegeben habe (gegen die Existenz eines solchen Rahmens spricht auch, dass es dafür bislang keine archäologischen Belege gibt [Anm. des Verf.]). Man habe das Rollsiegel lediglich an einer Schnur aufgefädelt und diese um den Hals gelegt. Daneben gibt es noch an Drahtbügeln befestigte Rollsiegel mit oder ohne Fassungen an beiden Enden (s. u.).
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an der Hand getragen wurde.29 Das ägyptische Wort xtm ist, wie im Verlauf des Beitrags immer wieder sichtbar werden wird, neben Dba(.t) das zentrale altägyptische Lexem für Siegel (als Substantiv) und siegeln (als Verb).30
Abb. 4a–b: Ein mit Halskragen, Diadem und Zylindersiegel beschenkter Beamter. Darstellung auf dem Relieffragment MMA 22.1.16 (Altes Reich, 5. Dynastie) aus Lisht aus dem Pyramidentempel Amenemhets I. (Foto Metropolitan Museum of Art;31 Umzeichnung nach Goedicke 1971, 87).
Rollsiegel treten in der pharaonischen Bildwelt selten in Erscheinung. Ein erstes Beispiel findet sich auf einem Relieffragment, das ursprünglich Teil des Dekorationsprogramms einer Pyramidenanlage des Alten Reiches war (möglicherweise des Userkaf in Saqqara, des ersten Königs der 5. Dynastie), dann jedoch in
29
Dubiel 2008, 142. Schott 1957; Kaplony 1971, 13–14; Boochs 1982, 107–120, bes. 109; Kaplony 1984, 294; xtm: Wb 3, 350.3–12 (Lemma-Nummer 121690): „Siegel; Siegelabdruck; Siegelzylinder“; nach Kaplony 1984, 294, kann Dba.t sowohl „Rollsiegel“ als auch „Rollsiegelabdruck“ bedeuten, wobei das Verb Dba „den Finger abdrücken, stempeln“ meint. 31 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/552238 (Zugriff 28. Februar 2020). 30
Siegel und Siegeln in der Ikonographie des pharaonischen Ägypten
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Lisht im Pyramidentempel Amenemhets I. wiederverwendet wurde (Abb. 4a– b).32 Im oberen Register ist ein Boot mit Ruderern gezeigt, darunter sieht man einen Beamten, der mit seiner rechten Hand eine Schnur umgreift, an der möglicherweise ein Halskragen hing.33 Er trägt selbst bereits einen Halskragen und ist mit einem Schleifen-Diadem auf dem Kopf ausgezeichnet. An einem Band um seinen Hals hängt ein leicht konkaves Zylindersiegel vor seiner Brust.34 Das zweite zu diskutierende Bild stammt aus dem Pyramidentempel des Sahure, eines Königs der 5. Dynastie, in Abusir (Abb. 5).35 Innerhalb einer Darstellung der zeremoniellen Verleihung von Ehrengold in Form von Halsketten, Halskragen und Kopfbinden an verdiente Höflinge und Beamte findet sich ein Fragment, auf dem ein Rollsiegel abgebildet ist.36 Man sieht eine Person, die einen Halskragen trägt und mit einer Hand zum Diadem greift, das sie gerade empfangenen hat. In der anderen Hand hält der Funktionär das Rollsiegel an einer Schnur. Es ist wie der Halskragen, dessen Enden hinter dem Hals verknotet sind, und das Diadem als eine Gunstgabe des Königs anzusehen, die sich der Begünstigte später um den Hals legen wird, wie es in Abb. 4 gezeigt ist.37
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Goedicke 1971, 86–88, Nr. 49. Goedicke selbst votiert für eine Herkunft aus dem Pyramidenkomplex des Unas in Saqqara. 33 Vgl. Borchardt 1913, 60–64; Goedicke 1971, 86; vgl. Butterweck-AbdelRahim 2002; Ziegler 2007, Abb. 35. 34 Wilkinson 1971, 55, sieht es als „cylinder-amulet“ an. 35 Borchardt 1913, 62, Bl. 53; Dubiel 2008, 142, Tf. VII. 36 Borchardt 1913, 60–64; zu solchen Szenen allgemein Butterweck-AbdelRahim 2002 und mit Fokus auf das Neue Reich Binder 2008. 37 In seinem Grab spricht der Wesir Senedjemib-Inti davon, dass ihm König Djedkare Isesi eine Halskette oder ein Siegelamulett geschenkt habe und ihm dieses an den Hals gebunden wurde (Brovarski 2001, 90–91, Abb. 31–33, Tf. 58–60, Inschrift A1, Zeile 9–10): jw rDi.n n=(j) (Jzzj)| wAD Sma.w jzn n [...] rDi Hm=f Tz.t(w)=f r xx=[j] „Isesi gab mir – aus grünem oberägyptischen Edelstein (Malachit?) – eine jzn-Kette(?) für [… und] seine Majestät veranlasste, dass sie an [meinen] Hals geknüpft wurde.“ Brovarski 2001, 90–91, liest jzn n [xx] wAD Sma.w (setzt also die bekannte Apposition an, bei der das Material, aus dem etwas besteht, zuerst geschrieben ist) und versteht „[neck]lace of malachite“; St. Grunert, in liest „Asosi gab mir gravierten oberägyptischen Grünstein (= Rollsiegel?) für den Hals [...]“ und sieht j:zn als imperfektivisches Partizip Passiv von zni „abschneiden, abtrennen“ (Wb 3, 457.16–21; Lemma-Nr. 136120) mit j-Augment an. Die Interpretation als Rollsiegel geht auf Kaplony (1984, 297, Fn. 9) zurück. Eine jzn n wAD Sma.w „jzn-Kette(?) aus oberägyptischem grünen Edelstein“ ist auch unter den Schmuckstücken, die als Gunsterweis des Königs Isesi für den Hals (r xx=f) des Sohnes des Akhti-hetep bestimmt waren (Ziegler 2007, 89–90, Abb. 34). Das Herstellen einer jznHalskette wird auch in Meir im Grab des Pepi-ankh dargestellt, wo auch fertige Objekte aus wAD Sma.w und Dam „Elektron“ gezeigt sind: zwS jzn (j)n sTr.w „Das Seilen/Verdrehen der jzn durch den Halskragenknüpfer“ (Blackman/Apted 1953, 26, Tf. XVII); zu Perlenkrägen und Amuletten des Alten Reiches allgemein vgl. Brovarski 1997.
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Abb. 5: Ein Beamter empfängt ein Diadem und ein goldenes Rollsiegel als Gunsterweis des Königs. Szene auf einem Relieffragment aus dem Pyramidentempel des Königs Sahure (Altes Reich, 5. Dynastie) in Abusir (nach Borchardt 1913, Bl. 53).
Abb. 6: Das Rollsiegel MfA 68.115 aus der Zeit des Königs Djedkare Isesi (Altes Reich, 5. Dynastie) ist aus vier Teilen Goldblech über einem Tonkern zusammengelötet, die Inschriften sind in Kaltarbeit eingeschnitten (Foto Museum of Fine Arts, Boston38).
Als Beispiel für ein solches Rollsiegel, dessen konkave Form auch mit dem in den beiden Szenen gezeigten Siegeln übereinstimmt, kann ein Stück aus Goldblech in Boston dienen (Abb. 6), ein ,Amtssiegel‘ aus der Zeit des Djedkare.39 Es trägt dreimal den Horus-Namen des Königs sowie verschiedene Titel eines nicht namentlich genannten Funktionärs.40 Neben ihrer administrativen Funktion die38
https://collections.mfa.org/objects/150473/seal-of-office (Zugriff 26. Januar 2020); für eine Umzeichnung siehe Kaplony 1981, Tf. 92, Nr. 38. Ein Vergleichsstück aus der 4. Dynastie stellt das Ehrengold-Rollsiegel Berlin ÄM 19999 dar. Neben den Königsnamen des Mykerinos wird der Titel jm.j-r’-sT.w-nbw „Vorsteher der Knüpfer der Halskragen“ neben dem Epitheton jrj-wD.t-(Mn-kAw-Ra)-ra-nb „der die Befehle des Königs Mykerinos täglich ausführt“ genannt (Schäfer 1910, 15, Tf. I.7; Möller 1911, 189–191, Abb. 113; Kaplony 1981, 102, Tf. 33, Nr. 9 [Mn-kAw-Ra 9]). 39 Zur Terminologie Kaplony 1977, 5–52; ein Rollsiegel unbekannten Materials, jedoch ebenfalls in konkaver Form, nennt König Mykerinos: Kaplony 1981, 109–110, Tf. 36, Nr. 20 (Mn-kAw-Ra 20). 40 Die Titel sind Hm-nTr-nfr-(9d-kA-Ra) „Priester an der Pyramide ‚Djedkare ist vollkom-
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nen Siegel, wie hier in den Szenen dargestellt, auch als Gunstgabe von Seiten des Königs, wobei sie wie Halskragen und Diademe als besondere Auszeichnung vor allem auch soziales Prestige markieren. Nach diesem Blick in die Sphäre der Bilder in königlichen Kontexten und auf die Amtssiegel, die hohen Funktionären vom König ausgehändigt wurden, wollen wir uns nun wieder den Szenen in elitären Grabanlagen des Alten Reiches widmen. Die für das Hinterlassen eines Abdrucks im noch feuchten Siegelton verwendeten Artefakte, also die eigentlichen Rollsiegel oder Siegelstempel, sind auch hier ein seltenes Motiv.
Abb. 7: Ein auf einer Matte sitzender Siegelschneider. Szene aus der Mastaba des Ti (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Wild 1966, Tf. CLXXIV).
Wie über die Oxford Expedition to Egypt Scene Details Database zu ermitteln, werden Siegel bzw. deren Herstellung und Gravierung in nur drei Elitegräbern des Alten Reiches innerhalb der ,Szenen des täglichen Lebens‘ thematisiert.41 Die men‘“; Hr.j-pr-xnt.jw-S-pr-aA „Hausverwalter der xnt.jw-S des Palastes“, Hr.j-sStA „Hüter des Geheimnisses“ und sHD-xnt.jw-S-nTr.j-s.wt-(Mn-kAw-1r) „Inspektor der xnt.jw-S der Pyramide ‚Göttlich sind die Stätten des Menkauhor‘“. Das Auftreten solcher Titel auf Rollsiegeln wird u. a. diskutiert in Kaplony 1977, 293–303. 41 Die Datenbank ist über https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/oee_ahrc_ 2006/ abrufbar: Szene 10.8 „Seal Engraving“ bzw. Szenendetail 11.1.5 „Seal engraver in
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zwei bekanntesten Szenen zeigen jeweils einen auf dem Boden bzw. einer Matte hockenden Mann mit Halbglatze und einem Beutel über der Schulter, welcher seine Habseligkeiten enthalten dürfte (Abb. 7 und 8).42 Er ist im Begriff, ein in seiner linken Hand gehaltenes zylinderförmiges Objekt mit einem in der anderen Hand geführten spitzen Gerät (wohl ein Spitzbohrer aus Kupfer in einem Holzgriff) zu bearbeiten.
Abb. 8: Ein Dörrfischhändler im Gespräch mit einem Siegelschneider. Szene aus der Mastaba von Ni-anch-Chnum und Chnum-hotep in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Moussa/Altenmüller 1977, Abb. 10).
Beide Bilder sind Teil größerer szenischer Kontexte. Das Bild des Siegelschneiders im Grab des Ti ist in Szenen des Handwerks und der Herstellung der Grabausstattung inklusive Kupfermetallurgie, einer Bildhauer- und einer holzverarbeitenden Werkstatt eingebunden.43 Der Siegelschneider bildet dabei das thematische Scharnier zu einer sich rechts anschließenden ,Marktszene‘, in der viele zum elitären Lebensstil eines Grabbesitzers gehörende Gegenstände (wie Sandalen, Gehstöcke und Öl) getauscht werden.44 Über dem Graveur ist eine kurze, ihn identifizierende Handlungsbeischrift zu lesen: wDa xtm jn xtm.y „Das Schneiden
a market place“ (Zugriff 20. Februar 2020). 42 Merrillees 2006 bietet eine umfassende Diskussion beider Szenen; vgl. jetzt auch Cortebeeck 2016, 119–121. 43 Steindorff 1913, Tf. 132–134; Wild 1966, Tf. CLXXIV. 44 Zu Marktszenen im Alten Reich allgemein Barta 1998; Aly 2005; Livingstone-Thomas 2011.
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(bzw. Bohren) des Siegels seitens des Siegelmachers.“45 Ihm gegenüber steht ein leicht gebückter Mann mit Beutel um den Oberkörper, der in seiner linken Hand wohl ein Zylindersiegel und die Schleife eines Halsbandes mit drei kleinen Fortsätzen hält. Die Beischrift über der Person bereitet grammatische und lexikalische Schwierigkeiten und wird tentativ als „Greif zu!“ zu verstehen sein.46 Das Bild friert nur einen Moment in der ‚chaîne opératoire‘ der Siegelherstellung ein, bei dem nicht eindeutig klar wird, welcher Schritt gemeint ist: das Formen, Durchbohren oder auch Gravieren des Zylinders?47 Im Grab von Nianch-Chnum und Chnum-hotep in Saqqara ist der Siegelschneider in die thematisch umfassendste Marktszene des Alten Reiches eingebettet (Abb. 9).48
Abb. 9: Die große Marktszene in der Mastaba von Nianch-Chnum und Chnumhotep in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Moussa/Altenmüller 1977, Abb. 10).
Uns wird ein lebendiges Treiben präsentiert: Nagelpfleger und Barbiere bieten ihre Dienste an und Bauern, Handwerker und Händler gehen ihren Tauschge45
Steindorff 1913, Tf. 132; unter Lemma-Nummer 52530 zu finden im Thesaurus Linguae Aegyptiae, Sakkara, nördlich der Stufenpyramide, Grab des Tjy, Opferkammer, Südwand, 1. Register v. u., Markt-Szene, Siegelhandel: St. Grunert, in . Merrillees 2006, 217 übersetzt die Passage (mit Verweis auf einen Vorschlag von James P. Allen) als „Drilling the seal by the seal maker“. 46 So Merrillees 2006, 218, der Tt.tj als Stativ der 2. Person Singular eines Verbs Tt auffasst. Wenn man dieses Verb mit Tt „auflösen, beseitigen“ (Wb 5, 411.6–10; Lemma-Nr. 177 440) identifizierte, könnte man auch „Sei entlassen (bzw. vertrieben)!“ verstehen. 47 Merrillees 2006, 218–219; zur Herstellungstechnik vgl. auch Gorelick/Gwinnett 1981; Boochs 1982, 102–104; Gwinnett/Gorelick 1993. 48 Moussa/Altenmüller 1977, 81–85, Tf. 24. Eine hochqualitatives Foto dieses Siegelschneiders findet sich bei Harpur/Scremin 2010, 156, Detail 166.
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schäften mit Gemüse, Obst, Fischen, Broten und Kupferbechern nach. Unser Siegelschneider ist in einen Handel mit einem Dörrfischhändler verwickelt, deren Zwiegespräch ist in fünf kurzen Kolumnen über ihnen wiedergegeben (Abb. 8). Der Fischhändler sagt dort: wdi=(j) Hr=f wDA.w jS.t=(j) jb=(j) nDm(.w) m swn.t „(Ich) setze gegen ihn den Rest (meiner) Habe. (Mein) Herz ist zufrieden mit dem Handel“, worauf ihm der Siegelschneider entgegnet: wDa=(j) xtm „(Ich) schneide (bzw. bohre) den Siegelzylinder“. 49 Das Verb wDa „(ab)trennen, schneiden“ 50 dürfte sich hier – wie auch in der Szene im Grab des Ti (s. o.) – nicht auf das Gravieren der äußeren Oberfläche des Zylinders beziehen, sondern auf das Anlegen bzw. Durchführen der Durchbohrung.51 Über ihre Darstellungsmerkmale lassen sich beide Siegelschneider der sozialen Grundschicht zuordnen,52 ein Fisch, wie ihn der eine Händler dem Siegelmacher reicht, scheint – wenn man diese Szene ökonomisch interpretierte – in diesem sozialen Milieu der Preis für einen durchbohrten Zylinder zu sein.53 An dieser Stelle drängen sich nun Fragen nach Typ, Funktion, Material und Nutzerkreis dieser Zylindersiegel auf.54 Peter Kaplony hat die grundlegenden Begriffs- und Funktionsbestimmungen der Rollsiegel vorgelegt.55 Die erste Gruppe umfasst die ‚Amtssiegel‘, die neben dem Horus-Namen eines Königs die Funktionstitel ihrer Besitzer nennen. Deren Namen werden nicht genannt, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zusammenstellung der Titel individuelle Nutzer impliziert. Die zweite Gruppe sind die ‚Beamtensiegel‘, die über einen Beamtentitel und einen Namen einer ganz bestimmten Person zugeordnet sind. Daneben gibt es ‚Privatsiegel‘, die nur Personennamen, aber kein Amt oder Titel nennen, sowie ‚Verwaltungssiegel von Privathaushalten‘, die eine Kombination aus dem xtm.wTitel mit einem weiteren Titel zeigen. Während in den erstgenannten Gruppen vor allem Charakteristika der offiziellen Ikonografie auftreten, sind bei den anderen auch Figuren und Zeichen vorhanden, die auf die Rolle der Siegel als Amulette hinweisen. Schließlich führt Kaplony die Gruppe der ‚sekundären Königssiegel‘
49
Die Übersetzung orientiert sich am Thesaurus Linguae Aegyptiae, Sakkara, Unas-Friedhof, Mastaba des Nianch-Chnum und Chnum-hotep, Torraum, Nordwand, Sz.11.3.4: 3. Reg. v. o., Mitte, rechts (Lemma-Nummer 52530): St. Grunert, in ; Moussa/Altenmüller 1977, 83, verstehen „O Graveur, den Rest meiner Speise (im Austausch gegen) ein ‚fröhliches Herz‘ (als) Kaufpreis“, wobei das ‚fröhliche Herz‘ als Begriff für das hier in Auftrag gegebene Amulett steht. Merrillees 2006, 220, versteht (mit Verweis auf einen Vorschlag von Kenneth A. Kitchen) die Antwort des Siegelhandwerkers als „I’m piercing a seal“. 50 Wb 1, 404.3–406.12 (Lemma-Nummer 52360). 51 Merrillees 2006, 220–221. 52 Vgl. Auenmüller 2018. 53 Cortebeeck 2016, 119–120. 54 Vgl. Fischer 1972; Dubiel 2008, 66–67, Fn. 61; 118–121; 126–128; 138–144. 55 Kaplony 1977, 10–52; Kaplony 1978; vgl. Nolan 2018, 272–275.
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ein, die ebenfalls nicht zum Siegeln verwendet wurden, sondern als Loyalitätssymbole oder Amulette gelten. Hier stehen Rollsiegel mit vertikalen Horus-Namen, dekorativen Mustern und königlichen Epitheta auf der einen Seite und Rollsiegel mit dem Namen des Königs in einer Kartusche und Epitheta auf der anderen. Durch antithetische und tête-bêche-Kompositionen von hieroglyphischen Zeichen oder Figuren von Tieren und Menschen sind schließlich die ‚Figurenzylinder‘ gekennzeichnet, die – wie die hybriden Formen mit Horus-Name oder Königskartuschen in Kombination mit Figurensymbolen – auch magische Amulette waren. Nun, zu welcher dieser Gruppen gehören die von den beiden Siegelschneidern gefertigten Zylinder? Dass sie xtm heißen und damit konzeptionell in das Feld ‚Siegel(n) und Verschließen‘ gehören, ist anhand der Beischriften zweifelsfrei. Die eigentliche Frage ist mit Blick auf das Bildmaterial nicht oder nur eingeschränkt zu beantworten, zumal die Texte oder Motive, mit denen die Zylindersiegel hätten versehen sein können, in den Szenen schon aufgrund von Format und Größe nicht erkennbar sind. Auch das Material kann nur tentativ anhand der vorhandenen archäologischen Evidenz der Rollsiegel in den Blick genommen werden.56 Würden wir die Text- oder Bildmotive der beiden Siegel kennen, hätte wohl eine Unterscheidung zwischen den qualitätvoll geschnittenen und auch kompositionell einheitlich aufgebauten ‚Amtssiegeln‘ und den anderen Rollsiegeltypen getroffen werden können. In den Szenen der Ehrengoldverleihung (Abb. 4 und 5) haben uns schließlich der Kontext und die materielle Kultur die Richtung ‚Amtssiegel‘ gewiesen. Im Fall der Bilder aus der Mastaba des Ti und von Nianch-Chnum und Chnum-hotep liegt die Sachlage dagegen anders. Der Kontext der Marktszene verdeutlicht, dass hier keine staatlich organisierte Produktion von Zylindersiegeln in hochwertigsten Materialien gezeigt ist, sondern eine informelle Herstellung eines durchbohrten zylindrischen Artefakts, das zwar ebenso gut ein Amulett sein könnte, aber wegen der eindeutigen Beischriften ein xtm-Rollsiegel ist. Aufgrund der Annahme, dass vor allem Zylindersiegel mit eher grafischen Motiven aus dezentraler Produktion und Verbreitung stammen, da ihre Ausführung und Motivik einer großen Variationsbreite unterliegen,57 sollten grafische Siegel wie Figurenzylinder o. ä. das Produkt unserer Siegelschneider sein.58 In dieser typologischen Anspra56
Kaplony 1984, 299: Rollsiegel sind in den folgenden Materialien belegt: Holz, Ebenholz, Knochen, Elfenbein, Ton, Fayence, Fritte, Stein (besonders Serpentinit und Steatit, auch Kalkstein) und Metall; vgl. auch Boochs 1982, 95–101; Merrillees 2006, 221–222. 57 Dubiel 2008, 121 und 126–128; Nolan 2018, 274. 58 Nolan 2018, 274: „The apparently spontaneous carving of the seal in the market scene suggests that the seal being produced for the fishmonger was most likely a Graphical Seal.“; vgl. jedoch Livingstone-Thomas 2011, der die Marktszenen nicht als Thematisierung der ökonomischen Aktivitäten der sozialen Grundschicht, sondern als Ausdruck des Interesses des Grabherrn an Prestigeobjekten ansieht.
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che ist naturgemäß nichts über die Funktion und Bedeutung eines solchen Siegels für seine:n Besitzer:in oder Nutzer:in ausgesagt. Der hybride Charakter eines solchen Objekts als funktionales Artefakt auf der einen und als magisch-kuratives Amulett auf der anderen Seite ist daher stets im Blick zu behalten.59 Wenn wir die ikonografischen Programme der Gräber, in denen die Szenen mit Siegelschneider vorkommen, noch weiter betrachten, fallen in Bildern der Viehzucht in der Mastaba des Ti einige, über ihren Bart und ihre Halbglatze als ältere Landarbeiter gekennzeichnete Personen auf, die einen zylindrischen Gegenstand an einem Faden um den Hals tragen (Abb. 10a–c).60 Durch ihre Nacktheit sind zwei von ihnen deutlich als Mitglieder der sozialen Grundschicht charakterisiert.
Abb. 10a–c: Viehzüchter mit Zylindersiegeln bzw. -amuletten am Hals. Drei Ausschnitte aus Bildfolgen in der Mastaba des Ti in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Wild 1953, Tf. CXIV und CXXIV; 1966, Tf. CLXIX).
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Hornung/Staehelin 1976; Staehelin 1982; Wiese 1996, 159–164; Dubiel 2008, 112–134. Im Grab des Ti treten noch zwei weitere, hier nicht abgebildete Viehzüchter mit Siegel/ Perle an einer Schnur am Hals auf: Wild 1966, Tf. CLXVII und CLXVIII. 60
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Im selben Grab tragen auch einzelne Fischer und Bauern ein solches Objekt um den Hals (Abb. 11 und 12). Drei von ihnen sind anhand weiterer ikonografischer Indizes herausgehoben: der „Vorsteher der Fischer und Vogelfänger“, durch die Beischrift jm.j-r’-wHa.w funktional eindeutig als solcher identifiziert, trägt einen besonderen Vorbauschurz mit vertikalen Streifen (ein Schurz, wie ihn auch einer der Aufseher der Viehhirten mit zylindrischem Objekt am Hals trägt) sowie einen Stab als Symbol von Autorität und Seniorität.
Abb. 11: Aufseher der Fischer mit Zylindersiegeln bzw. -amuletten am Hals. Ausschnitt aus einer Bildfolge in der Mastaba des Ti in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Wild 1953, Tf. CXXIII).
Die beiden Personen in den Bildern der Getreideernte mit Stofftuch in der Hand beaufsichtigen die arbeitsamen Schnitter und fordern sie mit ausladenden Gesten zur Eile auf. Eine der Aufsichtspersonen ruft ihnen zu: zy pw Dd jri=f m tr n.tj-Hna=(j) „Wer, der bei mir ist, ist derjenige, der sagt, dass er (es) in der (schnellsten) Zeit schafft?“61
61
Steindorff 1913, Taf. 123; Thesaurus Linguae Aegyptiae, Sakkara, nördlich der Stufenpyramide, Grab des Tjy, Opferkammer, Ostwand, nördlicher Teil, 7. Register v. u.: St. Grunert, in ; zum Genre der sog. ‚Reden und Rufe‘ Erman 1919; Junker 1943; Guglielmi 1973; Motte 2017. Im Grab des Ti gibt es noch weitere solcher Aufforderungen an die Feldarbeiter von Seiten der Aufseher, die hier nicht wiedergegeben sind.
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Abb. 12: Aufseher der Feldarbeiter mit Zylindersiegeln bzw. -amuletten am Hals. Ausschnitt aus einer Bildfolge in der Mastaba des Ti in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Wild 1966, Tf. CLII).
Diesen über die Ikonografie und Komposition sozial und funktional herausgehobenen Personen möchte man – Kraft ihrer ins Bild gesetzten Rolle – den Besitz und die Nutzung eines Rollsiegels zusprechen. Die Form der Objekte bietet keinen Anhaltspunkt der typologischen Differenzierung. In ihrem Format unterscheiden sie sich zum bei Sahure gesehenen Amtssiegel (Abb. 5) deutlich, sie sollten jedoch, wenn ihre Abbildung maßstabsgetreu zu ihren Trägern ist, ca. 5 cm groß sein.62 Dies entspricht bekannten Maßen von Rollsiegeln,63 ist jedoch kleiner als der vom Siegelschneider im Grab des Ti gehaltene Zylinder. Die Trageweise am Hals scheint für ein schnell einzusetzendes Rollsiegel eher ungeeignet, ist jedoch zumindest archäologisch für ein ‚sekundäres Königssiegel‘, also ein Rollsiegel mit Amulettcharakter, im Grab einer Frau der sozialen Grundschicht in Gebelein belegt.64 Aus einer bereits diskutierten Quelle (Abb. 4) wissen wir dagegen, dass Amtssiegel im Kontext der Ehrengoldverleihung an einer Kette vor der Brust hängend getragen wurden. Darüber hinaus dürfte sicher sein, dass es sich bei den zylindrischen Gegenständen am Hals der Personen nicht um von höchst offizieller 62
Die einzelnen zylindrischen Objekte variieren in ihrer dargestellten Größe (im Mittel ca. eine Daumenlänge). 63 Kaplony 1981, passim. 64 Brunton 1940, 522, 525–526, Tf. 51.17; Kaplony 1981, 300–301, Tf. 83, Nr. 4 (MnkAw-1r 4).
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Seite hergestellte und nur an autorisierte Personen ausgegebene Amtssiegel, die Institutionen und Personen der höchsten ägyptischen Administration repräsentieren und damit in elitärsten Kontexten zirkulierten, handelt, da die mit den zylindrischen Objekten am Hals erscheinenden Personen gänzlich anderen sozialen Gruppen angehören.65 Schließlich ist zu fragen, ob Personen der sozialen Grundschicht überhaupt mit solch prestigeträchtigen (elitären und offiziellen) Objekten wie Amtssiegeln aus Gold(blech) in Verbindung gebracht werden können.66 Es bleiben also zwei Möglichkeiten. Einerseits könnte es sich bei dem röhrenförmigen Gegenstand lediglich um eine Einzelperle im Sinne eines Amuletts handeln, womit sich eine weitere Diskussion zum ,Siegel(n)‘ an dieser Stelle erübrigte.67 Es gibt in der Tat weitere Gräber des Alten Reiches, in denen runde oder längliche Objekte an einer Schnur eng am Hals ihrer Träger erscheinen.68 Dabei sind zylinderförmige Siegel bzw. Perlen aber eher die Ausnahme: In der Mastaba des Ptahschepses in Abusir (5. Dynastie) erscheint der ältere jr.j-zA-pr „Hirte“ Nachti mit einem „Rollsiegel“ in einer Szene der Viehhaltung;69 im Grab des Wesirs Ptah-hotep in Saqqara (5. Dynastie) präsentiert der jm.j-r’-pr „Hausvorsteher“ Seneb mit einem solchen Objekt am Hals gerade gefangene Enten; links daneben steht, mit hochgestecktem Schurz und daher sichtbarem Penis, der als sXA.w-zAb „Schreiber der zAb-Administration“ betitelte Signalmann der Vogelfänger Wp-m-nfr.t am Klappnetz. Er trägt eine Zylinderperle an einem Faden um den Hals und gibt sein Kommando; weiter links ist ein als [Nj]-hetep-[Chnum] bezeichneter Mann mit Zylinderperle am Hals dabei, gefangene Vögel in Transportkisten zu packen; im Register darunter tragen zwei Fischer in einer Bildfolge des sog. ,Fischerstechens‘ zylindrische Objekte am Hals, während ihre Kollegen Lotosblumenketten tragen.70 In der Mastaba des Wesirs Kagemni (6. Dynastie) in Saqqara trägt eine einzige Person, wiederum ein Vogelfänger, der mit drei Kollegen gerade am Seil eines Klappnetzes zieht, um dieses zuklappen zu lassen, ein „tube-shaped bead threaded through a cord […] perhaps for good luck“ um den Hals.71 In all diesen Fällen wird in der Literatur eher von zylindrischen bzw. röhrenförmigen Amulettperlen als von Siegeln gesprochen. Die materielle Kultur des Alten Reiches (und darüber hinaus) ist reich an Perlen verschiedenster Typen und Materialien.72 Während Quarzkeramik (Fayence) 65
Cf. Auenmüller 2018. Vgl. Dubiel 2008, 81–85 und Seidlmayer 2009 zum Verhältnis von Elitekultur und Grundschicht. 67 Staehelin 1966, 104. 68 Staehelin 1966, 104, mit Fn. 3. 69 Vachala 2004, 96–94, Tf. 9 unten, Fragment A 960 (1577). 70 Paget/Pirie 1898, Tf. XXXII; Davies 1900, Tf. XXI & XXVI; Harpur/Scremin 2008, 132, Detail 187; 138–139, Detail 196–197; 142–143, Detail 203 und 205. 71 Harpur/Scremin 2006, 145, Detail 228. 72 Xia 2014, bes. 89–95. 66
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den weitaus größten Anteil hinsichtlich des Materials ausmacht, so sind im Alten Reich auch Perlen aus Hartgestein (u. a. Karneol, Jaspis, Lapislazuli), Weichgestein (u. a. Kalzitalabaster, Kalkstein, Steatit, Serpentinit) sowie glasiertem Steatit neben Metall (u. a. Gold, Kupfer) belegt. Die Formenvielfalt ist ungemein groß.73 Tendenziell sind Perlen aus Fayence, Hartgesteinen und Metall meist zylindrisch; allgemein wurden die Perlen vor allem in Halsketten, Armbändern und Fußketten sowie Netzgewändern verwendet.74 Im Hinblick auf die archäologische Kontextualisierung ist aber auch folgendes beobachtet worden: „In many instances, a single cylinder bead, generally of steatite, was found at the neck of undisturbed tombs, mostly of the V–VIth Dynasties.“75 Dubiel hat eine Gruppe solcher zylindrischer Perlen, die durch Größe und Verzierung herausstechen, als „Sonderperlen“ beschrieben und festgestellt, dass sie als Amulette in Gräbern der sozialen Grundschicht vor allem bei Frauen und Kindern das zentrale Glied der Schmuckkette darstellen.76 Mit Blick auf diese Art von Perlen ist schließlich zu bemerken, dass sie nach Ansicht einiger Forscher typologisch und ideengeschichtlich auf beschriftete Zylindersiegel zurückgehen. 77 Und damit würde sich der Kreis zum Folgenden schließen. Wenn wir nun zur Interpretation der zylindrischen Objekte am Hals der in den Gräberbildern Dargestellten als Rollsiegel zurückkehren, die ob ihrer funktionalen Hybridität auch als Amulett verstanden oder genutzt wurden, wie könnten wir uns dann diese abgebildeten Artefakte als archäologische Objekte vorstellen? Zunächst ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass im Grab des Ti unter den Personen, die durch solche Objekte charakterisiert waren, immerhin ein Vorsteher der Fischer und Vogelfänger auftritt (Abb. 11). Und im Grab des Ptah-hotep ist der Hausvorsteher Seneb neben einem Schreiber der zAb-Administration Wep-emnefret mit solch einem Objekt am Hals gezeigt.78 Wenngleich diese Personen sozial und funktional in Abhängigkeit vom Grabherrn stehen, so sind sie unter den sonstigen Dargestellten von herausgehobener Stellung. Daher dürfte es indes nicht gänzlich abwegig sein, doch mögliche Rollsiegelformen wie ‚Privatsiegel‘, ‚sekundäre Königssiegel‘ oder ‚Figurenzylinder‘ anzunehmen, die teilweise ja auch Amulettcharakter haben. Archäologisch sind Zylindersiegel mit geometrischen Mustern, eher krude ausgearbeiteten Texten und nicht-schriftlichen Motiven aus Gräberfeldern der so73
Xia 2014, 89–93, 153–171. Siehe zu den Netzgewändern auch Hall 1981; zu einfachen Perlenketten und ihren Bestandteilen in Gräbern der sozialen Grundschicht in Qau und Badari vgl. Brunton 1927, Tf. XXXV–XXXVI; XLIII–XLVIII; Xia 2014. 75 Xia 2014, 94; vgl. Brunton 1928, 22; 1948, 48. 76 Dubiel 2008, 159–174, Tf. XIV; in Gräbern von Männern kommen sie ungemein selten vor. 77 Brunton 1948, 48; Wiese 1996, 48–49, 87–88; Dubiel 2008, 139; Xia 2014, 94. 78 Auch Vachala 2004, 69 nennt das zylindrische Objekt am Hals des Hirten „Rollsiegel“. 74
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zialen Grundschicht zwar bekannt, jedoch vergleichsweise selten.79 In diesen Nekropolen, in denen ein dörfliches Milieu repräsentiert ist, das Fischer, Vogelfänger, Viehzüchter, Bauern und deren soziales Umfeld umfassen dürfte (und damit zumindest die in der Mastaba des Ti mit zylindrischen Objekten am Hals ausgestatteten Personen einschließt [vgl. Abb. 10–12]), sind vor allem Frauen mit Siegelzylindern und anderen Amuletten ausgestattet, die sie, wie die Männer in den Gräberbildern, mehrheitlich am Hals tragen (Abb. 13 und 14).80 In den Bestattungen von Männern sind weit weniger Siegel belegt und wenn, treten sie nur im Handbereich auf. 81 Diese Diskrepanz zwischen Ikonografie und Archäologie dürfte nicht nur dadurch erklärbar sein, dass sich beide Dimensionen unterschiedlicher Zeichensysteme bedienen,82 sondern dass (Roll)Siegel nicht üblicherweise Element einer männlichen Grabausstattung waren.83 Es ist dennoch davon auszu79
Dubiel 2008, 91–93, Tf. IV, Typ SF-A, 98–99, Typ SM-Z1/2; Dubiel 2012; zu Siegeln und Siegelabdrücken aus verschiedenen Siedlungskontexten des Alten Reiches siehe u. a. Kromer 1978; Pätznick 2005; Nolan 2007a/b; Nolan/Pavlik 2008; Nolan 2010; Bussmann 2011; Engel 2018; Willems 2018. 80 Seidlmayer 1990, 185–194, Abb. 79–80; Dubiel 2008, 89–112, Tab. VI.8; 138–140; Dubiel 2012, bes. 56–59. Das Rollsiegel aus Gebelein ist publiziert in Brunton 1940, 522, 525–526, Tf. L, Nr. 17; Kaplony 1981, 300–301, Tf. 83, Nr. 4 (Mn-kAw-1r 4). Die Rollsiegel in den Bestattungen von Frauen in Qau und Badari: Brunton 1927, 8, 24 [Grab 1145 in Qau], 25 [Grab 5531 in Badari], 56, 81, Tf. XXXII.1–3; Kaplony 1981, 313–314, Tf. 85, Nr. 6 [9d-kA-Ra 6]). In Balat in der Oase Dakhla ist in Grab T 20 eine weibliche Bestattung mit einem ‚Figurenzylinder‘ im Brustbereich dokumentiert (Valloggia 1998, 90– 91, Abb. 26, Tf. LXXVII, Inv.-Nr. 5192) und in einer sekundären Bestattung (Nr. 30) westlich der Mastaba des Oasengouverneurs Khenti-ka kam ein Rollsiegel mit dem Titel Hm-nTr-1w.t-1r „Priester der Hathor“ als Element einer Armkette einer Frau zu Tage (Castel/Pantalacci 2005, 126–127, 419–420, Abb. 267, F.-Nr. 5906). 81 Dubiel 2008, 107–112, 117; Dubiel 2012, 65–66. Es ist zu vermerken, dass nur bei einer weiblichen Bestattung in Qau und Matmar die Position eines ‚Figurenzylinders‘ an der Hand der Verstorbenen dokumentiert ist: Dubiel 2008, 140. 82 Cf. Seidlmayer 2001, bes. 245–252. In den sog. „Bildern des archäologischen Befundes“ und den „Bildern der bildenden Kunst“ kommen divergierende Strategien einer ohnehin selektiven und typisierenden Abbildung einer gemeinsamen ‚Realität‘ zum Einsatz. 83 Siehe aber vielleicht das Amtssiegel aus Fayence eines Beamten aus der Zeit Pepis I. aus dem intakten Grab (eines Mannes?) in Assiut (BM 47460: Kaplony 1981, 376–377, Tf. 101, Nr. 12 [Mrjj-Ra 12]; Dubiel 2008, 140–141, Fn. 157; Zitman 2010, 73 und 101, Abb. 27.2 (Grab Hogarth 53). Zu weiteren Siegelzylindern dieser Art aus der Zeit Pepis I. siehe Goedicke 1961. Ob das wahrscheinlich aus einer Nebenanlage (QH 35e/b SK II?) von Grab Qubbet el-Hawa QH35e stammende Rollsiegel (Edel et al. 2008, 838–839, 868, Abb. 27) der Bestattung einer Frau oder eines Mannes zugehört, kann aufgrund der fehlenden Dokumentation zu seiner Herkunft nicht gesagt werden. Sollte es aus der gerade genannten Nebenanlage stammen, würde es einer von Labib Habachi als ‚männlich‘ bestimmten Bestattung zugehören. Allgemein ist, was Rollsiegel in Gräbern von Männern während des Alten Reiches betrifft, aus methodischer Perspektive zu sagen, dass die Mehr-
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gehen, „dass die Rollsiegel, die von der Elite getragen wurden, primär in männlichem Besitz waren“ und als Amtssiegel oder aber anerkennendes und Loyalität förderndes Geschenk des Königs fungierten.84 In Frauenbestattungen der sozialen Grundschicht haben sie dann zum Ende des Alten Reiches schließlich als magisch-kurative Amulette gedient.85
Abb. 13: ‚Sekundäres Königssiegel‘ aus Holz, das die Tote als Amulett am Hals trug (aus Gebelein, 5. Dynastie) (nach Brunton 1940, Tf. L.17).
Abb. 14: Zwei Rollsiegel aus Frauenbestattungen der sozialen Grundschicht des Alten Reiches in Qau (Grab 1145) und Badari (Grab 5531) in Mittelägypten (nach Brunton 1927, Tf. XXXII.1–2).
Im Laufe der Diskussion um Rollsiegel oder Perle ist bereits mehrfach der Begriff ,Figurenzylinder‘ gefallen.86 Dabei handelt es sich um Rollsiegel mit eher grob gefertigten figürlichen Darstellungen (Menschen, Tiere und Pflanzen) einerseits und syntaxlosen Hieroglyphengruppen andererseits.87 Sie werden daher im Gegensatz zu den ,offiziellen‘ Amtssiegeln als Objekte für „,informal‘ sealings“ verstanden.88 In diese Gruppe der ,Figurenzylinder‘ fallen auch solche mit lesbaheit der bekannten Stücke keine archäologische Provenienz hat, so dass das Bild unter Umständen doch verzerrt sein könnte. Die archäologisch sorgfältig dokumentierten Nekropolen und deren Funde scheinen jedoch für das nicht nur zufällige, sondern typische Fehlen von Rollsiegeln in Männerbestattungen zu sprechen. 84 Dubiel 2008, 141; vgl. Dubiel 2012, 70–72. 85 Dubiel 2012, 67–69; Willems 2018, 199: „Offenbar hat sich jetzt die Sitte herausgebildet, sekundär in der Schwangerschafts- und Geburtsmagie auch Siegel zu benutzen. Diese Objekte werden deshalb Teil eines religiösen Diskurses, der dazu führt, dass sie nun auch in Gräbern von Frauen mitgegeben werden.“ 86 Zu diesem Typ Fischer 1972; Kaplony 1977, 21–35, 39–43; Kaplony 1981, Tf. 151– 183; Wiese 1996, 48–49; 87–90, Abb. 22–23; Dubiel 2008, 131; Witsell 2014; Quirke 2016, 496–500; Willems 2018. 87 Die, so Willems 2018, 189, „den Eindruck erwecken, dass man eigentlich ein echtes Siegel mit einem Text haben möchte, aber durch fehlende Kompetenz nicht dazu fähig war, so etwas tatsächlich zu produzieren.“ Vgl. zu Abrollungen solcher Siegel u. a. Pantalacci 1996, 360, Abb. 2; 363, Abb. 4; Castel/Pantalacci 2005, 421–427, Abb. 269–271. 88 Nolan 2014, 74: „In contrast to ‘formal’ sealings, ‘informal’ sealings typically display graphical designs such as a simple criss-cross pattern or intermingled animal forms in têtebêche (or ‘head-to-back’) arrangements.”
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ren Hieroglyphen, meist Namen von Königen, die dann von handwerklich besserer Ausführung sind als die eher grob geschnitzten figürlichen Motive, was nach Harco Willems darauf hindeutet, dass „ein kompetenter Siegelschneider den Königsnamen graviert [...], während eine andere Person die graphischen Elemente und manchmal Hieroglyphenimitate eingeritzt hat.“89 Vermittels ihrer individuellen Motivik repräsentieren diese durch das gesamte Alte Reich hindurch über Siegelabrollungen und in der materiellen Kultur belegten Objekte jedoch keine Institution, sondern ihren individuellen Besitzer bzw. Nutzer. Sie sind gleichsam ein Hybrid zwischen Zylindersiegel und Amulett: „Ursprünglich stammt diese Art der Rollsiegel zweifellos aus der Elitekultur. In der Unterschicht übernimmt man die Form des Zylinders, kombiniert sie aber […] mit einem ,nicht-elitären‘ Siegelmuster.“90 Hinzu kommt oft die Verwendung ,billigerer‘ Materialien wie z. B. Kalkstein, so dass Henry G. Fischer zuzustimmen ist, dass „the[ir] material and general character suggest that they were made for persons of relatively lowly station.“91 In dieses soziale Milieu lassen sich auch die beiden Siegelschneider in den Bildern einbetten (Abb. 7–8), von denen man annimmt, dass grafische Siegel wie ,Figurenzylinder‘ deren Produkte sind.92 Zwei Exemplare solcher Figurenzylinder, die einen hieroglyphischen Text mit Tierikonografie kombinieren, sollen noch kurz vorgestellt werden, um einen besseren Eindruck dieser Objekte zu bekommen. Die Inschrift auf dem ersten Beispiel referenziert in den ersten beiden Kolumnen auf sich selbst als xtm (w)DA.w pr-D.t Snw.t jt bd.t „Siegel des Vorratshauses der Totenstiftung und der Scheune von Gerste und Emmer“ (Abb. 15a–b).93 Die zwei weiteren Kolumnen sind mit typischen Tierdarstellungen in tête-bêche versehen, darunter Löwen, Vögel, ein Krokodil und ein Skorpion. Die Siegelfläche des zweiten Figurenzylinders ist ebenfalls in vier Kolumnen eingeteilt (Abb. 16a–b).94 In den einzelnen Feldern erscheinen Fische, eine scheinbar kleinwüchsige Person und der Text hrw nfr
89
Willems 2018, 189. Dubiel 2008, 139; vgl. nun jedoch Willems 2018. 91 Fischer 1972, 15. 92 Nolan 2018, 274. 93 Petrie 1917, Tf. VII.163; Kaplony 1981, Tf. 166, F 92; Wiese 1996, 89, Abb. 22.6; Quirke 2016, 497, Abb. 5.9 (Herkunft unbekannt). Fischer 1972, 14, Fn. 28 versteht den Text des Rollsiegels UC11090 als „Sealer of the treasure of the estate, (and specifically) the granary of barley“ (vgl. auch Boochs 1982, 114–116, mit weiteren Siegeln, bei denen xtm als Bezeichnung des Siegelnden verstanden wird); zu weiteren Zylindersiegeln, die anhand ihrer Texte als Siegel eines wDA.w-Vorratshauses einer bestimmten Institution gedient haben: Fischer 1972, 12–14, mit Abb. 19–22; Kaplony 1981, Tf. 153, Nr. 13 (F. 13; Berlin ÄMP 16433); Tf. 154, Nr. 19 (F. 19; Berlin ÄMP 18487); Tf. 155, Nr. 24 (F. 24; Brooklyn 44.123.29) bzw. Witsell 2014, 33 mit je einem weiteren Abdruck aus Giza und Abusir. 94 Petrie 1917, Tf. VI.144; Quirke 2016, 499, Abb. 5.103. 90
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rnp.t nfr(.t) „Ein vollkommener Tag, ein vollkommenes Jahr“, der auf den Charakter des Objekts als glücksbringendes Amulett verweist.
Abb. 15a–b: Der Figurenzylinder UC11090 aus Kalkstein mit je zwei Kolumnen Text und symbolischer Tierikonografie (Altes Reich, 5.–6. Dynastie) (Foto © The Petrie Museum of Egyptian Archaeology UCL, London; Umzeichnung nach Wiese 1996, Abb. 22.6).
Abb. 16a–b: Der Figurenzylinder UC11080 aus rötlichem Kalkstein mit vier Bildfeldern mit Fischen, einem hieroglyphischen Text und einem Kleinwüchsigen (Altes Reich, 5.–6. Dynastie) (Foto © The Petrie Museum of Egyptian Archaeology UCL, London; Umzeichnung nach Kaplony 1981, Tf. 165, F. 87).
Siegelzylinder dieses Typus sowie ‚sekundäre Königssiegel‘ möchte ich tentativ den in den Bildern auftretenden Personen zuschreiben: ‚Sekundäre Königssiegel‘ auf Grund ihrer Hybridität zwischen Amulett und Siegel, ‚Figurenzylinder‘ wegen ihrer Motivik und Materialität. Zwar lassen sich die auf diesen beiden Typen vorhandenen Inschriften nicht unmittelbar auf die Siegelamulettträger in den Gräberbildern beziehen, dennoch stellen diese Rollsiegeltypen durch ihre Texte und Motive und die spezifische hieroglyphisch-tierbildliche Ikonografie neben zylindrischen Perlen m. E. eine gute Annäherung an die ins Bild gesetzten Objekte am Hals der Aufseher, Fischer und Vogelfänger dar.95 Wenn in den Grä95
Dubiel 2008, 131 zum Figurenzylinder „Hier bedient man sich noch des traditionellen Siegeltyps, allerdings erfährt der konzeptuelle Ansatz eine semantische Verschiebung. Das Siegel soll nicht eine übergeordnete Organisation, sondern ein singuläres Individuum repräsentieren. Folglich ist es nicht auf andere Personen transferierbar, es gehört zum individuellen Besitz des Siegelträgers. Die Loslösung des Siegels aus dem offiziellen, institutionellen Rahmen macht es für den privaten Gebrauch zugänglich und das Siegeltragen damit theoretisch unabhängig vom sozialen Status des Besitzers. Die Figurenzylinder erfüllen somit die Voraussetzungen, um von einem breiten Spektrum der Gesellschaft assi-
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bern des Ti und von Nianch-Chnum und Chnum-hotep zwei Siegelschneider erscheinen, die mit Personen ihres eigenen sozialen Milieus Handel treibend gezeigt sind, dann ist doch zu fragen, wie deren Produkte ausgesehen haben mögen und in der Bevölkerung Verwendung fanden.96 Darüber hinaus ist auch die zeitliche Stellung der Figurenzylinder hinzuzuziehen. Deren Aufkommen wird allgemein in die späte 5. Dynastie gesetzt,97 reicht nach neuesten Studien aber bis in die frühe 4. Dynastie zurück.98 Wenn also die zylindrischen Objekte am Hals der in den Gräbern dargestellten Personen tatsächlich solche Artefakte sind, würde eine zeitliche Parallelität zwischen ihrem Auftreten in der Welt der Gräberbilder und in der materiellen Kultur zu konstatieren sein. In den Nekropolen der sozialen Grundschicht ist das Rollsiegel im Vergleich zu anderen Siegelformen zwar selten, es tritt aber – archäologisch belegt – immerhin in einzelnen Frauengräbern auf, die das gesamte Alte Reich von der 4. Dynastie bis hin zum Ende der 6. Dynastie umspannen.99 2.3 Rollsiegel und Zylindersiegelamulette im Mittleren Reich100 Im ikonografischen Befund des Mittleren Reiches gibt es nur zwei Bilder, die das Nutzen bzw. das Tragen eines Rollsiegels thematisieren. Im Grab des Djehutihotep in Deir el-Bersheh findet sich eine Szene, die seine engsten Untergebenen in einem Defilee vor dem Grabbesitzer zeigt (Abb. 17).101 Sie tragen u. a. Waffen, Sandalen und Kisten herbei und sind über die sog. Ikonografie des körperlichen Nahbereiches in zwei Gruppen unterschieden.102 Die einen tragen einfache Schurmiliert zu werden.“ 96 Eine andere Möglichkeit wäre, in den Händlern Agenten des Grabherrn zu sehen, die in dessen Auftrag auf dem Markt Siegel und andere Güter für ihren Herrn anfertigen lassen bzw. erwerben; vgl. Livingstone-Thomas 2011. 97 Wiese 1996, 48–49; 87–88. 98 Willems 2018, bes. 197. 99 Dubiel 2008, 22, 93–96, mit Tab. VI.3; Dubiel 2012, 55–66; aus weiteren (meist sicheren) Grabkontexten ohne Geschlechtsbestimmung aus dem Alten Reich sind u. a. zu nennen: fünf Rollsiegel aus Kupfer, schwarzem und grünem Steatit und Elfenbein aus Gräbern in Elkab (Quibell 1898, 20, Tf. 20.29–33; Kaplony 1981, 146, Tf. 51 [Wsr-kA-f 3]; 437, Tf. 115.1 [K.u. 1]); Rollsiegel aus Hämatit aus Grab D 239 in Abydos (Kaplony 1981, 174–175, Tf. 57, Nr. 10 [4AHw-Ra 10]); Rollsiegel aus Grab Hogarth 35 in Assiut (Kaplony 1981, 376–377, Tf. 101, Nr. 12 [Mrjj-Ra 12]; Zitman 2010, 73, 101, Abb. 27.2); Rollsiegel aus Stein aus Grab 913 in Abydos (Brunton 1927, 7; Kaplony 1981, 401 [*MrjjRa 46]); zwei Figurenzylinder aus Serpentinit (?) und gebranntem Ton aus der Nekropole von Bubastis (RN 431 & RN 215: Bakr/Brandl 2010, 98–99); vgl. Regulski 2018, 265– 266, zu Siegeln der Frühdynastischen Zeit aus Gräbern. 100 Zu Siegeltypen und Siegelpraxis im Mittleren Reich siehe allg. Wegner 2018, 237–242; Smith 2018, 303–306, 308–310. 101 Zur Szene auch Dubiel 2008, 143. 102 Zur ‚Ikonografie des körperlichen Nahbereiches‘ vgl. Auenmüller 2018.
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ze und meist kurzes Haar, die anderen sind durch lange Gewänder und eine vor dem Oberkörper gekreuzte Binde bzw. ein weites über der Schulter liegendes Tuch gekennzeichnet. Die Mitglieder dieser Gruppe sind auch diejenigen, die Identitätsvermerke bestehend aus Titel und Name haben. Es handelt sich um die xtm.w kfA-jb „vertrauenswürdigen Siegler“ Neferi, Nachti-nechen, Khnumi und Nachti. Der an vorderster Stelle stehende Siegler bringt ein breites, in seiner Hand an einer Schnur oder Kette hängendes Rollsiegel herbei. Mit Blick auf die weiteren Objekte, die die Personen mit sich führen, wird davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Rollsiegel nicht um das persönliche Siegel des Neferi, sondern um das offizielle Amtssiegel des Grabbesitzers Djehuti-hotep handelt.103
Abb. 17: Die engsten Bediensteten des Djehuti-hotep bringen Gegenstände aus dem Besitz des Grabherrn herbei, darunter ein an einer Schnur hängendes Rollsiegel. Szene aus dem Grab des Djehuti-hotep II., Deir el-Bersheh 2, British Museum EA1147 (Mittleres Reich, 12. Dynastie) (nach Newberry 1894, Tf. XXIX).
Wie ein solches offizielles Amtssiegel von einem der höchsten Elitebeamten seiner Zeit tatsächlich getragen wurde, ist im Grab des Wesirs Dagi in ThebenWest in zwei Szenen gezeigt.104 Er erscheint in seiner offiziellen Tracht mit Stab und Szepter bei der Ausübung seiner Amtspflichten, um seinen Hals hängt über dem Halskragen eine lange, bis unter die Brust reichende weiße Schnur mit einem großen, an beiden Enden mit Kappen versehenem zylinderförmigen Siegel daran (Abb. 18 und 19).105 Die Personen in den Bildregistern vor ihm tragen (soweit noch erhalten) Namen und sind als xtm.w Sms.w „Siegler, Gefolgsmann“, xtm.w Hzw nb=f „Siegler, den sein Herr favorisiert“ und xtm.w mry nb=f „Siegler, den sein Herr liebt“ apostrophiert. Ihre Titel beschreiben sie zwar als beliebte Siegler, 103
Dubiel 2008, 143. Davies 1913, 31–33, Tf. XXXIII und XXXIV; Dubiel 2008, 143, Tf. VIII; Fay 2008, 89, Abb. 7–8. Ein Fragment der einen Szene, jedoch ohne das Zylindersiegel, befindet sich im Metropolitan Museum of Art, New York: MMA 12.180.246 (https://www.metmuse um.org/art/collection/search/565088). Zu Dagi vgl. Grajetzki 2000, 10–11, I.2. 105 Wilkinson 1971, 55, spricht hier von einem „cylinder-amulet“. 104
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doch nur der Wesir Dagi lässt (bzw. darf) sich mit dem ihm vom König anvertrauten Rollsiegel, das seine Amtsgewalt manifestiert, abbilden.106 Die Position in der Hand wird als ‚praktischer‘ für die eigentliche Nutzung des Rollsiegels bewertet, da das Siegel direkt zum Einsatz kommen kann, ohne dass man die Kette vom Hals hätte nehmen müssen. Das Siegel an der Schnur vor der Brust dürfte jedoch die „offizielle Trageposition bei einem amtlichen Anlaß“ gewesen sein.107
Abb. 18: Der Wesir Dagi trägt sein Amtssiegel an einer langen Kette um den Hals. Bild aus seinem Grab TT 103 in Theben-West (Frühes Mittleres Reich, 11. Dynastie) (nach Davies 1913, Tf. XXXII).
106
Dass der König seinen Beamten Siegel (als Amtssiegel oder Gunsterweis) verleiht, beleuchtet eine Passage auf der Stele des Jty (BM EA 586; Mittleres Reich, 12. Dynastie; http://collection.britishmuseum.org/id/object/YCA69314 [Zugriff 20. März 2020]), in der es heißt jw Tz.n n=j Hm=f xtm aA m Hzmn wab mj Sps.w-nsw nb „Seine Majestät legte mir (bzw. ‚knüpfte für mich‘) ein großes xtm-Siegel (an) aus reinem Amethyst wie jedem Vornehmen des Königs.“ 107 Dubiel 2008, 143. Auch im Rundbild tritt dieses ikonografische Merkmal in Erscheinung: Bei Statuen von Wesiren und anderen Abbildern dieser Amtsträger wird seit dem Mittleren Reich zwar die Schnur gezeigt, das eigentliche Siegel der Amtsgewalt vor der Brust bleibt aber unter dem charakteristischen Wesirsgewand versteckt: Fay 2008.
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Abb. 19: Der Wesir Dagi trägt sein Amtssiegel an einer langen Kette um den Hals. Bild aus seinem Grab TT 103 in Theben-West (Frühes Mittleres Reich, 11. Dynastie) (nach Davies 1913, Tf. XXXIV).
Ein kurzer Blick in die Welt der materiellen Kultur des Mittleren Reiches zeigt, dass Rollsiegel von Wesiren, also den höchsten Staatsbeamten des pharaonischen Ägypten, nur ein einziges Mal belegt sind.108 Das daher oft zitierte Beispiel ist das leicht tonnenförmige Zylindersiegel des Wesirs Anchu aus der 13. Dynastie im Brooklyn Museum aus Fayence (Abb. 20a–b).109 Eher in die Amtszeit des Wesirs Dagi gehören die drei königlichen Zylindersiegel (,Horusnamensiegel‘) Mentuhoteps II. aus Silber oder Bronze, die in einem kleinen Kästchen aus Kalzitalabaster mit aufschiebbarem Deckel gefunden wurden und heute als Ensemble im Pariser Louvre zu sehen sind.110 Das vollständigste Exemplar (Abb. 21a–b) zeigt den eingeritzten Horusnamen und sechs 108
Vgl. die Belegsammlung in Grajetzki 2000, 9–31. Newberry 1905, 115, Tf. VII, Nr. 13; Martin 1971, 31, Nr. 337, Tf. 46.18; James 1974, 65, 151b, Tf. LXXXIX. Zum Wesir Anchu vgl. Grajetzki 2000, 24–26, I.26. Weitere Rollsiegel mit Titel und Namen ihres Besitzers sind Martin 1971, 123, Nr. 1605, Tf. 46.17 eines xtm.w-bjt jm.j-r’-xnr.t 4nb.t(j)=fj; Martin 1971, 31, Nr. 330, Tf. 46.19 eines HA.tj-a anx-rn und Martin 1971, 119, Nr. 1544, Tf. 46.20 (Serpentinit) des HA.tj-a-(n)-2aj-4j-nWsr.t-mAa-xrw jm.j-r’-Hm.t-nTr-(n.t)-anx-ms.w(t) 4nbj. 110 Vandier 1968, 103–107, Abb. 12–13. Der Kasten hat die Inv.-Nr. E 25685, die Rollsiegel tragen die Nummern E 25688, E 25687 und E 25686: Kaplony 1977, 40–41; 1981, Tf. 185, Abb. 14–16. Zwei der Rollsiegel bestehen aus Bronze, sie haben keine Halterung oder Kappen. Sie tragen den Horus-Namen des Königs im Serech mit oder ohne äußere Begrenzungslinien. Einer dieser Zylinder weist daneben noch die Abbildung von sechs Uräusschlangen auf. 109
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Uräen. Es ist in zwei Kappen aus Elektron gefasst, der Zylinder und der Bügel bestehen aus Silber. Bei diesem Stück könnte man durchaus vermuten, dass es nicht das Siegel des Königs darstellte,111 sondern von einem Wesir wie Dagi, der auch in der Zeit Mentuhoteps II. amtierte, als Zeichen seiner Autorität genutzt und getragen wurde.112
Abb. 20a–b: Das leicht tonnenförmige Zylindersiegel des jm.j-r’-n’.t TA.tj Anchu aus Fayence Brooklyn 44.123.173 (Mittleres Reich, 13. Dynastie) (Umzeichnung nach Newberry 1905, 115, Tf. VII.13; Foto des Abdrucks Brooklyn Museum113).
Abb. 21a–b: Das Königssiegel Mentuhotep’s II., Paris, Louvre E 25686 (Mittleres Reich, 11. Dynastie) (Foto Louvre Collections Online;114 Umzeichnung nach Kaplony 1981, Tf. 185, Nr. 14).
111
Wir wissen allerdings, dass jeder König zum Beginn seiner Regierung einen Siegelring (Dba.t) mit seinen Namen und Titeln ausgehändigt bekam: Boochs 1982, 60. 112 Mit Blick auf diese drei Rollsiegel fällt schließlich auf, dass sie gleichsam drei Stadien der Fertigstellung repräsentieren. Ein Zylinder trägt nur den Horusnamen, und zwar noch ohne Begrenzungslinien des Serechs, beim zweiten ist der Serech komplett und es kommen sechs in Umrissen eingeritzte Uräen hinzu, die beim dritten Stück, das auch mit Kappen und Halterung versehen ist, noch eine deutliche Binnenzeichnung tragen. 113 https://www.brooklynmuseum.org/opencollection/objects/56822 (Zugriff 6. März 2020). 114 https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010004671 (Zugriff 9. April 2021).
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In der materiellen Kultur des Mittleren Reiches sind eine Reihe weiterer Zylinder mit Königsnamen aus verschiedenen Materialien (Jaspis, Steatit, Fayence etc.) bekannt, die den Namen des Herrschers entweder allein, mit Titeln und Epitheta umgeben oder in zwei- bis vierfacher Ausführung tragen.115 Bei diesen Stücken handelt es sich meist um ‚sekundäre Königssiegel‘, die weniger als tatsächliche Rollsiegel, sondern eher als Amulette getragen wurden. Ein eindrucksvolles Beispiel des Auftretens solcher Zylindersiegel stellt eine Perlenkette aus dem Grab eines Kindes in Tell Basta dar, die mit insgesamt 19 Amuletten ausgestattet war. Darunter befinden sich neben einer tonnenförmigen Perle (Inschrift 4j-nWsr.t) und einem Kartuschen-Amulett (Inschrift Nj-MAa.t-Ra) ein Siegelzylinder und ein Doppelzylinder aus Steatit mit den Namen des Königs Amenemhet III.116 Aus Bestattungen des Mittleren Reiches stammen darüber hinaus vereinzelt auch Zylinder, die Könige des Alten Reiches nennen und so entweder Alt- oder ‚Erinnerungsstücke‘ darstellen. 117 Einzelne Perlen sind schließlich vor allem als Elemente von Halsketten bekannt. So wird eine tonnenförmige Perle aus Karneol (ägypt. swr.t) inmitten von zwei zylindrischen oder kugelförmigen Perlen aufgefädelt.118 In den sog. ,frises d’objet‘, Darstellungen von Objekten ritueller und alltäglicher Natur in Särgen des Mittleren Reiches, sind grüne, auf einen Faden gezogene zylinderförmige Perlen zu sehen, die oft von zwei roten, runden Perlen eingefasst sind.119 Die dazugehörenden Texte bezeugen, dass solche Amulettper115
Newberry 1905, 47, Abb. 22; 111–115, Tf. VI.1–22, Tf. VII.2–7; Newberry 1907, 11– 12, Tf. I.7–14; Petrie 1917, Tf. XII, 12.2.28–31; Tf. XIII, 12.3.9–13, 16; 12.4.5–9; 12.5.14–16; Tf. XIV, 12.5.10–19; Giveon 1967, 35–37, Abb. 2–4; Kaplony 1981, Tf. 144– 150, Nr. 13– 18; 24–31; 42; 50; 65; 70; Tf. 186–187, Nr. 17bis–18; 21–22; Hein 2003. 116 El-Sawy 1979, 158–159, Tf. VI–VII; Bakr/Brandl 2014, 94–95, H 209. Weitere Beispiele für die Nutzung solcher ‚sekundärer Königssiegel‘ als Amulette in Grabkontexten des Mittleren Reiches in Harageh siehe Engelbach 1923, 19, Tf. XX; aus dem Grab des Nacht in Lisht stammt das Fayence-Rollsiegel mit Kartuschen der Könige Sesostris III. und Amenemhet III. (NY, MMA 15.3.87; https://www.metmuseum.org/art/collection/ search/559329; Zugriff 11. März 2020); vgl. auch die weiteren Zylindersiegelamulette mit Königsnamen des Mittleren Reiches aus Lisht: MMA 20.1.19; 22.1.570; 22.1.837; 09.180.1140; 09.180.1145; 09.180.1228 und 09.180.1229. 117 Kaplony 1981, 97–98, Tf. 32, Nr. 2 (Mn-kAw-Ra 2) aus El-Kab; vgl. auch das Zylindersiegel aus dem Mittleren Reich mit viermaliger Nennung des Königsnamens Nj-wsr-Ra (5. Dynastie): Kaplony 1981, 549, Tf. 186, Nr. 18. 118 Aldred 1971, 144–145, Abb. 23–24; Belege solcher tonnenförmigen Perlen u. a. im Grab der Senebtisi in Lisht: Mace/Winlock 1916, 62–63; vgl. auch die Kette MfA 2017. 840 (https://collections.mfa.org/objects/334246; Zugriff 17. März 2020) mit einer Karneolperle inmitten von 41 kleinen zylindrischen Steatitperlen. 119 Jequier 1921, 49–51, Abb. 115–120, bes. Abb. 115. Die zentrale Perle wird in den Texten als wAD „grüne Röhrenperle“ (Wb 1, 268.1–3; Lemma-Nummer 43640) bzw. einfach „Amulett“ (Jequier 1921, 51; Wb 1, 264.10; Lemma-Nummer 43560) bezeichnet. Kaplony 1984, 297, Fn. 9 versteht wAD als „R[ollsiegel] aus Fritte“.
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len an zwei Positionen getragen werden sollten: am Hals oder den beiden Händen.120 Die alltägliche Praxis des Siegelns ist vor allem im Kontext von Siedlungen und deren Siegelrepertoire gut zu greifen.121 2.4 Das Versiegeln von Wein-, Öl- und Honiggefäßen im Alten Reich122 Unter dem Thema ‚Versiegeln von Wein-, Öl- und Honiggefäßen‘ machen wir nun wieder einen Schritt zurück zu den Gräberbildern des Alten Reiches. In immerhin sechs Elitegräbern dieser Zeit, so ergibt eine erneute Suche in der Oxford Expedition to Egypt Scene Details Database, wird das Verschließen bzw. Versiegeln von Weinkrügen gezeigt.123 In den Beischriften wird zur Beschreibung der Handlung das Verb xtm „siegeln, verschließen“ verwendet, das uns als Lexem für „Siegel, Siegelabdruck, Siegelzylinder“ bereits in den Marktszenen mit Siegelschneidern begegnet ist. Das Versiegeln der Weinkrüge findet sich eingebettet in Szenen der Weinherstellung, in denen die Weinlese, das anschließende Treten der Trauben, deren Auspressen in der Sackpresse, das Befüllen der Krüge und das Verschließen und Versiegeln der Weingefäße (Abb. 22) gezeigt sind.124 In den Beischriften liest man hier xtm „Verschließen“, xtm m Dba.t „Verschließen mit dem Siegel(-abdruck)“ und xtm jrp „Verschließen des Weins“.125 Der erste Winzer hat dabei Stoff über die Öffnung eines solchen Gefäßes gespannt und macht diesen mit einem außen unter dem Rand herumgeführten Band fest.126 Der zweite Winzer drückt auf die Verschnürung mit beiden Händen einen als Dba.t
120
Jéquier 1921, 50: r ban.t=f „an seinen Hals“ oder r Dr.t=f (imn.tj / jAb.tj) „an seine (rechte oder linke) Hand“; vgl. auch die sog. ‚Zaubersprüche für Mutter und Kind‘ zur Platzierung von Amuletten an bestimmten Körperteilen: Yamazaki 2003. 121 Cf. Von Pilgrim 1996, bes. 234–274 zu Elephantine; Wegner 2001; 2018, 247–256 zu Abydos-Süd und Gratien 2019 zu Mirgissa. 122 Vgl. Boochs 1982, 14–17. 123 https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/oee_ahrc_2006/ (Zugriff 5. Februar 2020): Scene 8.4.2 „Men sealing large jars filled with wine“. In der Mastaba des Ptahhotep in Abusir (5. Dynastie) ist auf einem Fragment, das eine Szene der Möbelherstellung zeigt, das Wort xtm „Versiegeln“ neben einem Kasten mit Hohlkehle zu sehen (Vachala 2004, 172–173, Fragment E 1507 [2236]). Hier könnte es sich einerseits um ein Bild des Versiegelns von Kästen handeln, andererseits könnte es aber auch nur der Titel eines in dieser Szene anwesenden Sieglers sein. 124 Zum Weinbau und Szenen der Vitikultur vgl. Lerstrup 1992; Lesko 1996; Murray et al. 2000; Guasch Jané 2008. 125 Moussa/Altenmüller 1977, 112; St. Grunert, in Thesaurus Linguae Aegyptiae, Sakkara, Unas-Friedhof, Mastaba des Nianch-Chnum und Chnumhotep, Torraum, Westwand, Szene 16. 126 Zum Aussehen eines solchen Verschlusses mit Siegel Engel/Müller 2000, 34–38, Abb. 2, Typ G6.
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bezeichneten Siegelabdruck auf.127 Der dritte Winzer ist wiederum mit dem Zubinden der Halteschnur befasst.128
Abb. 22: Wein wird getreten und in der Sackpresse ausgepresst. Danach werden Weinkrüge befüllt und von Winzern verschlossen und versiegelt. Mastaba von Nianch-Chnum und Chnum-hotep in Saqqara (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Moussa/Altenmüller 1977, Abb. 16).
127
Zum Terminus Dba.t vgl. Schott 1957; Kaplony 1971, 13–14, Boochs 1982, 109. Nach Kaplony 1984, 294, kann Dba.t sowohl „Rollsiegel“ als auch „Rollsiegelabdruck“ bedeuten, wobei das Verb Dba „den Finger abdrücken, stempeln“ meint. 128 Versiegelte Weinamphoren sind in elf Gräbern des Alten Reiches auch Thema eines eigenständig klassifizierten Motivs: https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/ oee_ahrc_2006/ (Zugriff 5. Februar 2020): Scene 8.4.5 „Sealed jars of wine depicted in a register or sub-register“.
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Im Fall des hier genannten Dba.t-Siegels wird angenommen, dass es sich um ein sog. Stempel- bzw. Knopfsiegel handelt.129 Siegel dieses Typs sind vielfältig in verschiedenen Fundkontexten aus der Zeit vom Übergang des Alten zum Mittleren Reich vertreten.130 Sie treten auch in den Gräberfeldern der sozialen Grundschicht in Mittelägypten auf, wobei deren Motivik keinerlei Hinweise auf eine eventuelle Verbindung bestimmter Siegel zu bestimmten Personen oder Professionen gibt.131 Von der Existenz einer solchen Verbindung für die diese Stempelsiegel benutzenden und ,lesenden‘ Personen ist jedoch in den Fällen auszugehen, in denen sie nicht als Amulett, sondern als wirklicher Stempel für die Authentifizierung und Beglaubigung von zu versiegelnden Dingen genutzt wurden. Auch wenn keine mit einer Institution oder einem Amtsträger in Zusammenhang stehende textliche Botschaft in den Siegelton gestempelt wurde, so dürfte für die Sender und Empfänger dieser nicht-textlichen Nachrichten zumindest im sozialen Nahbereich klar gewesen sein, wer und was jeweils am anderen Ende der Kommunikationskette stand. 132 Die in den Gräberbildern mit dem Versiegeln der Weinkrüge assoziierten sozialen Akteure, die Weinbauern, sind im Gegensatz zu den Viehhirten und Feldaufsehern mit Siegelzylindern bzw. -amuletten außer über ihre Bärte ikonografisch nicht spezifisch einer eigenen sozialen Gruppe zugeordnet.133 Ein weiteres, mit dem Thema des (Ver-)Siegelns in Zusammenhang stehendes Motiv im Korpus der Gräberbilder des Alten Reiches ist das Verschließen von Ölkrügen. Es ist allerdings mit nur zwei Belegen, die jeweils nur eine Person beim Verschließen solcher Gefäße zeigen, wiederum äußerst selten.134 Im Gegensatz zu der Seltenheit solcher Szenen sind mit Verschlüssen versehene und teils auch gesiegelte Wein- und Ölkrüge aus dem Alten Reich archäologisch gut bekannt (Abb. 23a–b). Schließlich ist noch auf eine Abbildung des Versiegelns von Honigkrügen hinzuweisen, die nicht aus einem Elitegrab, sondern aus dem Zyklus der sog. Jahreszeitenreliefs aus dem Sonnenheiligtum des Königs Niuserre in Abu Gurob stammt (Abb. 24).135
129
Moussa/Altenmüller 1977, 112 sprechen von einem „knopfartigen Siegel“. Kaplony 1977, 14 denkt an eine größere Varianz der eingesetzten Siegeltypen und führt aus, dass „man mit einfachen Amtssiegeln […], Verwaltungssiegeln [...] und Figurensiegeln [...] die Verschlüsse von Privathaushalten markiert.“ Mit Kaplony 1984, 294, kann Dba.t aber auch „Rollsiegel“ und „Rollsiegelabdruck“ bedeuten. 130 Wiese 1996, 15–33; Dubiel 2012, 55–66. 131 Dubiel 2008, 87–112, 130–134, Tf. IV–V. 132 Vgl. die Diskussion in Dubiel 2008, 126–128. 133 Cf. Auenmüller 2018. 134 https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/oee_ahrc_2006/ (Zugriff 5. Februar 2020): Scene 8.7.2 „Men sealing large jars filled with oil“. 135 Edel/Wenig 1974; Seyfried 2019.
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Abb. 23a–b: Das Gefäß MMA 28.2.20 aus Saqqara (Altes Reich, 3.–4. Dynastie) mit intaktem Verschluss (Foto Metropolitan Museum of Art136) und das levantinische Importgefäß MfA 13.2932 aus Giza (Foto Museum of Fine Arts, Boston137), auf dessen Verschluss sich ein Siegelabdruck mit dem Königsnamen Pepis II. (Altes Reich, 6. Dynastie) befindet.
Man sieht eine kniende Person mit kurzem Kinnbart beim xtm bj.t „Versiegeln des Honig-Gefäßes“.138 Die Gefäße sind kugelig und scheinen einen Standfuß zu haben. Die dargestellten Streifen stellen Schnüre dar, die vom Imker oben verknotet werden, um den oberen Deckel auf dem unteren Teil des Gefäßes zu fixieren. Hier wird kein wirkliches Siegel angebracht, sondern xtm beschreibt das Verknoten der Schur bzw. das Verschließen des Topfes zum Zweck der Lagerung des Honigs.139 136
https://www.metmuseum.org/art/collection/search/552018 (Zugriff 25. Februar 2020): Hayes 1953, 120. 137 http://giza.fas.harvard.edu/objects/17120/full/ (Zugriff 25. Februar 2020): HUMFA_ 12-12-570: Reisner/Smith 1955, 54 und 76, Abb. 54 (das Objekt bzw. der Siegelabdruck ist dort irrtümlich als 12-12-571 identifiziert). Das Stück befindet sich im Museum of Fine Arts Boston: https://collections.mfa.org/objects/140596/storage-jar-with-handles (Zugriff 25. Februar 2020); naturwissenschaftliche Untersuchungen ähnlicher Gefäße haben als Inhalt Baumharz gemischt mit weiteren Stoffen für ein duftendes Öl nachgewiesen. 138 Seyfried 2019, 55–56, Abb. 12 und 19 (Szene Nr. 5) versteht „Versiegeln des Honigs“, während Balcz 1933, 208–210 eher für eine Interpretation des Lexems bj.t als „Honiggefäß“ plädiert. Zu dieser Szene siehe auch Arnold 1999, 356–358, Kat.-Nr. 120. 139 Zum Thema und den Szenen der Imkerei siehe Leclant 1966; Feierabend 2009; Montes Nieto 2014; Kritsky 2015.
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Abb. 24: Ein Imker knüpft Schnüre an einem Honiggefäß oben zu einem Knoten und ‚versiegelt‘ damit die Gefäße. Szene aus den sog. Jahreszeitenreliefs aus dem Sonnenheiligtum des Königs Niuserre in Abu Gurob (Altes Reich, 5. Dynastie) (nach Borchardt 1900, Tf. 5).
2.5 Das Versiegeln von Weingefäßen im Mittleren Reich Aus dem Mittleren Reich sind eine Reihe von Szenen der Weinherstellung in Elitegräbern bekannt. In vier davon werden mit einem Krugverschluss versehene Weinkrüge gezeigt.140 Ein Beleg sticht unter diesen heraus, da hier das tatsächliche ‚Versiegeln‘ von Weingefäßen thematisiert ist (Abb. 25).
Abb. 25: Mit Wein gefüllte Krüge werden mit Stoff bespannt und verschlossen. Szenenfolge auf einem fragmentierten Relief aus dem Grab des Rehuerdjersen in Lisht MMA 16.3.1 (Mittleres Reich, 12. Dynastie) (Foto Metropolitan Museum of Art141).
Es handelt sich um eine Szene aus dem Grab des Rehuerdjersen (Amenemhet I.) aus Lisht.142 Wir sehen in zwei Teilregistern jeweils zwei vor Weinkrügen kniende Personen, die dabei sind, den über deren Mündung gespannten Stoff mit 140
Basierend auf den aktuellen Daten des Meketre Scene Repository unter dem Suchwort „Sealed wine jar“ (unter dem Thema „Manufacture and storage of wine“, Szene „Filling, sealing, recording and/or storing jars of wine“, Motiv „Presentation of sealed wine jar[s])“: http://meketre.org/repository/search (Zugriff 25. Februar 2020). 141 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/546715 (25. Februar 2020): Arnold 2007, Tf. 126–127. 142 http://meketre.org/repository/theme/1146904 (24. Februar 2020): Arnold 2007, Tf. 126–127.
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einer Schnur unter dem Rand zu fixieren und diese fest zu verknoten. Dabei weist der Knoten einmal (wie bei der Hieroglyphe der Buchrolle )143 keine, einmal nur eine und zweimal zwei Schnurenden auf. Die Beischrift xtm beschreibt die dargestellte Aktion als „Verschließen“. Neben den Knienden füllen zwei stehende Winzer Wein in noch offene Amphoren. Das Aufsetzen eines Krugverschlusses wird in den Szenen der Vitikultur des Mittleren Reich nicht gezeigt, die Präsenz solcher Artefakte ist jedoch in den Bildern mit Gefäßverschluss versiegelter Weinkrüge thematisiert. Eine eigene ikonografische Charakterisierung über spezifische Merkmale erfahren die Winzer wie im Alten Reich in dieser Szene nicht. Wenn wir an dieser Stelle kurz rekapitulieren, so werden Biertöpfe in der Brauerei ‚zugeschmiert‘, es werden ,Amtssiegel‘ als Teil des Ehrengoldes an verdiente Funktionäre ausgegeben, es werden Zylindersiegel auf dem Markt durchbohrt, diese werden von Personen der sozialen Grundschicht als Amulett an einer Halskette getragen, und es werden Wein-, Öl- und Honiggefäße verschlossen bzw. versiegelt. Dies geschieht mehrheitlich in Bildern, die an einem bestimmten Ort, dem ägyptischen Elitegrab, ‚publiziert‘ sind. Die Szenen des Ehrengoldes und Versiegelns von Honigtöpfen stammen hingegen aus königlichen Bildkontexten. Die Bilder zeigen nun einerseits, welche Siegel-Themen die ägyptische Ikonografie dieser Zeit generell abbilden kann und andererseits, auf welche Themen sie in diesem Zusammenhang überhaupt scharfstellt. 2.6 Das Versiegeln von Gefäßen für Wein, Honig etc. im Neuen Reich144 An dieser Stelle vollziehen wir einen erneuten zeitlichen Sprung vorwärts in das ägyptische Neue Reich. In den Gräberbildern dieser Zeit wird der Weinbau ebenfalls thematisiert, das eigentliche Versiegeln der Weinamphoren kommt dabei indes zwei Mal vor.145 Im Grab des Khaemwaset TT 261 ist die Weinlese in Szene gesetzt (Abb. 26).146 Darunter wird rechts gezeigt, wie der Wein von sechs Personen in einer Wanne getreten, der Erntegöttin Renenutet ein reiches Opfer dargebracht und der gekelterte Wein in Amphoren abgefüllt wird. Weiter links ist ein Winzer dabei, eine auf einem runden Ständer stehende Weinamphore mit Ton zu verschließen, welcher in einer Schüssel darüber angerührt bereitsteht. Die zweite, links daneben positionierte Amphore ist bereits mit einem konischen Tonver143
Vgl. Schenkel 1962, 27–31; Willems 1996, 24, Fn. 61. Zu Siegeltypen und Siegelpraxis im Neuen Reich allgemein Smith 2018, 306–308, 310–319 (bes. 316–317 zu Gefäßverschlüssen); Wegner 2018, 242–274. 145 Kuckertz 2003, 18–25; vgl. El-Khouli 1993, 93–94, mit Fn. 10 zu zwei weiteren möglichen Szenen zum Thema; zum pharaonischen Weinbau allgemein Lerstrup 1992; Lesko 1996; Murray et al. 2000; Guasch Jané 2008; zum Versiegeln und Beschriften der Weinamphoren auch McGovern 1997, 73–75; Wahlberg 2012. 146 Nasr 1988, bes. 241–242, Tf. 12–13, 14; zu dieser Szene siehe auch http://www.wine ofancientegypt.com/upper-egypt/western-thebes-dira-abu-el-naga/tomb-of-khaemwaset (Zugriff 19. Februar 2020). 144
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schluss versehen, der zudem zwei helle vertikal gestempelte Abdrücke zeigt. Der Siegelstempel, ein flaches Objekt mit Griff auf der Rückseite, ist oben in einer Schale mit Wasser abgelegt.
Abb. 26: Szenen der Vitikultur im Grab des Khaemwaset TT 261 in Theben-West (Neues Reich, 18. Dynastie): Ein Aufseher inspiziert die Weinlese. Nach einem Opfer an die Erntegöttin Renenutet wird der gekelterte Wein in Amphoren gefüllt, die im Anschluss verschlossen und gesiegelt werden (nach Nasr 1988, Tf. 15).
Der konkrete Akt des Aufsetzens solcher Krugverschlüsse und des Siegelns von Amphoren wird im Grab des Parennefer TT 188 in zwei Bildern gezeigt (Abb. 27a–b).147 Rechts ist zu sehen, wie ein Mann einen zylindrischen Krugverschluss aus Ton formt, während der andere gerade dabei ist, den Siegelstempel, den er vorher in die in seiner anderen Hand befindliche Wasserschüssel getunkt hat, auf den noch feuchten Ton eines solchen Verschlusses zu drücken. In der anderen Szene mit nur einer erhaltenen Person wird das zweifache Eindrücken des Siegelstempels in den Krugverschluss noch einmal deutlicher gezeigt. Tatsächlich ist ein Stempel für die versiegelnde Authentifizierung von Weinamphoren bekannt, der sowohl den Inhalt, als auch dessen Herkunft als jrp n jtr.w jmn.tjt „Wein vom Westlichen Fluss“, einer Region im ägyptischen Westdelta, benennt (Abb. 28a–b).148
147
Davies 1923, 143; Hope 1978; Boochs 1982, 10–13; El-Khouli et al. 1993, 91–97, Abb. 2; Kuckertz 2003, 18–25, Abb. 9–10. 148 Petrie 1897, 21, Tf. III.23 (Umzeichnung); Petrie 1927, 69, Tf. LX.165 (Foto); vgl. Hayes 1951, 158, Abb. 25.I. Weitere Beispiele solcher Siegelstempel, die meist aus Kalkstein oder Holz bestehen: Frankfort/Pendlebury 1933, 24, 50, Tf. XXXII.5–6a/b; Petrie 1927, 69, Tf. LX; El-Khouli et al. 1993, 96–97, mit Fn. 19–22.
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Abb. 27a–b: Rechts: Ein Winzer formt konische Krugverschlüsse, während der andere in Begriff ist, diese mit einem Siegelstempel zu versehen. Links: Ein Winzer drückt einen Stempel in den Verschluss einer Weinamphore. Szenenausschnitte aus dem Grab des Parennefer TT 188 in Theben-West (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach Davies 1923, Tf. XXVIIIa & c).
Abb. 28a–b: Der Siegelstempel mit der Aufschrift: „Wein vom Westlichen Fluss“ aus dem Totentempel Thutmosis IV. in Theben-West (Foto nach Petrie 1927, Tf. LX.165; Umzeichnung nach Petrie 1897, Tf. III.23).
Verschlossene und gesiegelte Weinamphoren tauchen dann in weiteren Gräbern in entsprechenden Szenenkontexten als transportfertige Produkte in langen Reihen nebeneinanderstehend auf oder sie werden wie hier von Trägern in einem Magazin eingelagert (Abb. 29). Die Amphoren haben einen zylindrischen oder konischen Verschluss mit einem Siegelabdruck. Dieser wird meist auch farblich hervorgehoben, indem die Siegelfläche weiß oder dunkelbraun auf dem grauen bzw. tongrundigen Nilschlammverschluss erscheint. Ein Text innerhalb der abgebildeten Siegelabdrücke ist allerdings nie zu erkennen, es ist jedoch auch ohne klar, dass es sich um gesiegelte Weinamphoren handelt.149 149
Vgl. Hayes 1951, 156, Fn. 268; Kuckertz 2003, 18–25; Bavay 2015, 131–132, Abb. 7– 8 zu weiteren Darstellungen gesiegelter Weinamphoren; siehe auch Nasr 1988, Tf. 12–14 für Amphoren mit zwei vertikalen Siegelstempeln versehenen Krugverschlüssen und El-
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Abb. 29: Mit Krugverschlüssen versehene und gesiegelte Weinamphoren werden in einem Magazin eingelagert. Szene aus dem Grab des Antef TT 155 in ThebenWest (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach Säve-Söderbergh 1957, Tf. XV).
Abb. 30: Imkerei-Szene im Grab des Wesirs Rechmire TT 100 in Theben-West: Einige Imker versiegeln große Vorratsgefäße mit tönernen Krugverschlüssen (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach Davies 1943, Tf. XLVIII und XLIX).
Weitere zu versiegelnde Krüge finden sich in den Szenen der Apikultur, auch dies ein sehr seltenes Thema der ägyptischen Ikonografie (Abb. 30).150 Im Grab des Wesirs Rechmire in Theben-West ist gezeigt, wie Honigwaben aus dem Bienenstock entnommen und links daneben einige Krüge mit Nilschlamm verschlossen werden. Wegen ihrer szenischen Nähe zum Bienenstock sind diese als Krüge für den gewonnenen Honig anzusehen. In einem anderem Bildzusammenhang im selben Grab, in dem man die Repräsentanten einiger provinzieller Zentralorte Oberägyptens ihre alljährlichen Steuerabgaben nach Theben zum Wesir bringen sieht, sind ebenfalls Krüge für Honig abgebildet, die typologisch eher den bekannten Weinamphoren ähneln (Abb. 31). Sie sind nicht nur mit einem Krugverschluss samt sichtbarem Siegelabdruck verKhouli et al. 1993, 91–97 für weitere archäologische Belege. 150 Zum Thema und den Szenen siehe Leclant 1966; Feierabend 2009; Montes Nieto 2014; Kritsky 2015.
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sehen, ihr Inhalt ist zusätzlich auf der Schulter in einer Tinteninschrift vermerkt: bjt „Honig“. In einigen Fällen ist die Amphore auch als bjt hbn.t „großer Krug Honig“ im Sinne einer Volumen- bzw. Maßeinheit bezeichnet.151
Abb. 31: Unter den Abgaben der provinziellen Zentralorte Oberägyptens befinden sich auch Amphoren mit gesiegelten Krugverschlüssen und der Beschriftung bjt „Honig“ auf der Schulter. Ausschnitt aus der sog. ‚Abgabenliste‘ im Grab des Wesirs Rechmire TT 100 in Theben-West (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach Davies 1943, Tf. XXXIV).
Wie solche Krugverschlüsse technologisch gedacht sind und als archäologische Artefakte aussehen, soll kurz noch dargestellt werden:152 Die Öffnung des Gefäßes wird zunächst mit einer Scherbe oder einem Stopfen aus Pflanzenfasern verschlossen, dann wird der Verschluss aus Nilschlamm je nach Gefäßtyp und Inhalt über den gesamten Hals oder nur die obere Öffnung modelliert (Abb. 32). Die Verschlüsse können dann ein- oder mehrfach mit größeren Stempeln verschiedener Formate, meist oval bzw. in Form von Kartuschen, gesiegelt werden. Die Stempel spezifizieren neben der Herkunft der Ware aus königlichen oder Tempeldomänen auch oft den Inhalt und Bestimmungsort der Ware (Abb. 33a– c).153
151
Wb 2, 487.13–19 (Lemma-Nr. 98170); zu versiegelten Honig-Gefäßen Aston 2007, bes. 17–18. 152 Zur Technologie und archäologischen Evidenz vgl. Hayes 1951, 156–157; Hope 1978, 26–32; El-Khouli et al. 1993, 91–97; Kuckertz 2003. 153 In Malqata, dem Palast- und Festkomplex Amenophis’ III. in Theben-West, sind Wein, Dattelbier, Honig, Öl, Fett und Fleisch unter den in Transportgefäßen mit gesiegelten Krugverschlüssen angelieferten Gütern: Hayes 1951, 156–162; vgl. auch das Korpus der Stempel auf Gefäßverschlüssen aus Amarna: Peet/Woolley 1923, 161–164, Tf. LV; Frank-
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Abb. 32: Die im Grab des Tutanchamun belegten Typen von Krugverschlüssen (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach El-Khouli et al. 1993, 92, Abb. 1).154
Abb. 33a–c: Der Krugverschluss MMA 36.2.5 mit dem Stempel zr n s.t jn (n) pA HAb-sd „(Für) das Sed-Fest gebrachtes zr-Fett des ,Ortes‘“ und die beiden Abdrücke jrp nfr nfr n pA HAb-sd „Sehr guter Wein für das Sed-Fest“ und aD wAD n pA HAb-sd „Frisches Fett für das Sed-Fest“ aus Malqata (Neues Reich, 18. Dynastie) (Foto Metropolitan Museum of Art; 155 Umzeichnungen nach Hayes 1951, Abb. 25.A und 26.X).
fort/Pendlebury 1933, 107–108; Tf. LVII.A-H; Pendlebury 1951, 143–151, Tf. LXXXI– LXXXIII; im Grab des Tutanchamun: El-Khouli et al. 1933, 90–138, Tf. 37–39; aus Buhen: Smith 1976, 162–175, Tf. XLV–XLVIII und aus Deir el-Medina: Bavay 2015. 154 Vgl. Smith 1976, Tf. XLIX (Buhen), Hope 1978, 26–27, Abb. 6 (Malqata), Pendlebury 1951, Tf. LXXXIII (Amarna); Boochs 1982, 8–13, und El-Khouli et al. 1993, 90, Fn. 2 zu archäologisch belegten Typen und Formen. 155 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/554752 (Zugriff 17. März 2020);
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Zum Öffnen der Gefäße wurde der Hals meist mitsamt des gesamten Verschlusses abgeschlagen und beide wurden danach weggeworfen. Eine zusätzliche Versiegelung mit Abdruck ist manchmal noch an einem Faden, der den Verschluss am Hals umgibt und mit einem der beiden Henkel verbunden ist, am Schulterübergang der Amphoren angebracht worden (Abb. 34). Die Schulter solcher Gefäße ist darüber hinaus der Ort für hieratische Tinteninschriften (,dockets‘ bzw. ,jar label‘) mit weiteren Informationen zum Inhalt, im Fall von Wein vor allem über dessen Herkunft und den Jahrgang.156
Abb. 34: Die Amphore MMA 36.3.83 aus dem Grab des Ramose und der Hatnefer in Theben-West (Neues Reich, 18. Dynastie). Das ‚docket‘ nennt Jahr 7 (der gemeinsamen Regierung von Hatschepsut und Thutmosis III.) und spezifiziert den Inhalt als Öl. Der Gefäßverschluss ist mit einem Siegel der Hatschepsut gestempelt, am Übergang zur Schulter sitzt eine weitere Siegelbulle auf dem Knoten des Fadens, der durch einen Henkel geführt und um den Krugverschluss gewunden ist (Fotos Metropolitan Museum of Art157).
2.7 Die Übergabe des Amtssiegels an den Vizekönig Doch nun wieder zurück zur Ikonografie und einer einzigartigen Quelle, die unseren Blick auf das Thema erweitert. Hier wird das Siegel nicht nur konkret als ‚siegelabdrückendes Ding‘ verstanden, sondern als Objekt, dessen Besitz und Nutzung eine herausragende Amtstätigkeit in Stellvertretung des Königs beschreibt. Im thebanischen Grab des Vizekönigs von Nubien namens Amenhotep Huy wird dessen Amtseinführung dargestellt. Ein unbenannter Beamter übergibt
Hayes 1951, 159, Abb. 24.GG. 156 Hayes 1951, 37–40, 82–112; McGovern 1997, 70–75; Wahlberg 2012. 157 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/545141 (Zugriff 19. März 2020).
Siegel und Siegeln in der Ikonographie des pharaonischen Ägypten
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dabei dem gerade zum Vizekönig ernannten Amenhotep einen gelben, d. h. goldenen Stempel (Abb. 35).158
Abb. 35: Dem Vizekönig von Nubien Amenhotep Huy wird der seine Amtsgewalt manifestierende Siegelstempel übergeben. Szene in Grab TT 40 in Theben-West (Neues Reich, 18. Dynastie) (Ausschnitt nach Davies/Gardiner 1926, Tf. VI).
Die Beischrift dazu lautet: rdi.t xtm n jAw.t sA-nsw jn [...] „Aushändigen des Siegels des Amtes des Vizekönigs seitens des [...].“159 Und vor bzw. über dem den Siegelring empfangenden Amenhotep steht sw{A}D n jAw.t n sA-nsw-n-KS 1wy SAa m Nxn r Kry „Übergeben des Amtes an den Königssohn von Kusch Huy (mit Amtsgewalt) von Hierakonpolis nach Karoy.“160 Solche, aus Bronze oder Gold bestehenden Siegelringe mit einer meist rechteckigen oder Kartuschen-förmigen Frontblende, auf der sich das Stempelmotiv befindet, und einem ringför158
Zu dieser Szene Newberry 1905, 28, 105, 219, Tf. II; Davies/Gardiner 1926, 10–11, Tf. V–VI; Boochs 1982, 60–61; Müller 2013, 286–287, Anhang 2.1.1.6. 159 Urk. IV, 2064, 17; Newberry 1905, Tf. II gibt an der fehlenden Stelle den Titel jm.j-r’xtm(.t) „Vorsteher des Siegels (bzw. Schatzmeister)“; Davies/Gardiner 1926, 11, Fn. 2, votieren mit Fragezeichen für [TA.tj] „Wesir“; und Müller 2013, 286 setzt den Titel des Schatzhausvorstehers (jm.j-r’-pr-HD) an. Mit einem dieser Titel sollte die Person, die Amenhotep Huy den Siegelstempel übergibt, identifiziert sein. Gegen die Lesung als TA.tj spricht, dass die Person nicht in der üblichen Ikonografie eines Wesirs erscheint (vgl. Grajetzki 2000, 40; Fay 2008). 160 Urk. IV, 2064, 18–19.
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migen Griff, stellen im Neuen Reich die Amtssiegel dar, „[that] would have been particularly effective when used in sealing, readily identifying both the sealer and his bureaucratic authority.“161 In den Texten dieser Zeit wird das Siegel bzw. das Siegeln selbst als Manifestation der Amtsgewalt vor allem des Wesirs thematisiert.162 Wenn man Nubien, d. h. die Region, über die Amenhotep Huy unter Tutanchamun administrativ die Aufsicht hatte, mit der Frage in den Blick nimmt, ob von dort Belege für Abdrücke solcher Siegel bekannt sind, wird man in der nubischen Festung Buhen unter den Krugverschlüssen fündig. Zwei Siegelabdrücke nennen Turi und Nehi, die unter Amenophis I. bzw. Thutmosis III. als Vizekönige von
161
Smith 2018, 307. Rollsiegel als ‚Beamtensiegel‘ und Figurenzylinder sind im Neuen Reich dagegen seltener; vgl. Newberry 1905, 47, Abb. 24, 116, Tf. VIII.4 (Rollsiegel des jm.j-r’-pr-wr Senenmut = Petrie 1917, Tf. XXIX, 18.6.A); 55, Abb. 32 (Rollsiegel eines jm.j-r’-nb.jw KA-m-WAs.t); vgl. Newberry 1905, Tf. VIII.2–3, 5–7 und Petrie 1917, Tf. XXXIX, 19.2.1; Tf. XLI, 19.3.38 zu weiteren Zylindersiegeln des Neuen Reiches mit Königsnamen. Siehe auch Kaplony 1981, 550, Tf. 187, Nr. 23 zu einem Zylinder mit dem Namen der Hm.t-nTr Hatschepsut. 162 In den ‚Duties of the Vizier‘, einem Text, der die amtlichen Obliegenheiten des Wesirs beschreibt, wird ausgeführt, dass dem Wesir über das xtm xtm.w „Versiegeln der Tresore“ (Urk IV, 1105, 2; 1106, 9) Bericht zu erstatten sei. Der Wesir ist auch derjenige, der die Sfd.w […] Hr xtm n sDm.w „Papyrusrollen […] mit dem Siegel der Verhörenden“ erhalten und öffnen (pgA) darf (Urk. IV, 1109,13–14). Nach Einsicht des Wesirs geht die Akte wieder xtm(.w) Hr xtm n TA.tj „gesiegelt mit dem Siegel des Wesirs“ zurück ins Archiv (Urk. IV, 1110,4). Er versiegelt auch alle jm.jt-pr Testamente (Urk. IV, 1111, 6– 7) und ntf xtm st Hr xtm=f „Er ist es, der sie (i. e. die Angelegenheiten seines Amtsbereiches) mit seinem Siegel siegelt“ (Urk. IV, 1114,11). Darüber hinaus ntf xtm wD [nb n nsw] „ist er es, der [jeden Befehl des Königs] siegelt“ (Urk. IV. 1116,13). Der Wesir Rechmire, in dessen Grab TT 100 sich der Haupttextzeuge für diese Dienstanweisungen befindet, sagt über sich in seiner biographischen Inschrift pr.w-nbw pr[.w-HD DmD(.w)] arf.w Hr Dba.y[t]=f „[Sämtliche] Gold- und [Silber]häuser sind ‚umhüllt‘ mit seinem Siegelri[ng]“ (Urk. IV, 1072,5). In Beischriften in seinem Grab wird er als xtm Spss nb m [prJmn] „der jegliche Kostbarkeit im [Tempel des Amun] versiegelt“ apostrophiert (Urk. IV, 1140,16). Ähnlich heißt der Wesir User xtm Spss nb m Jp.t-s.wt „der jegliche Kostbarkeit in Karnak versiegelt“ (Urk. IV, 1030,13). Der Wesir Ptahmose beschreibt sich auf seiner Schreiberpalette Louvre N 3026 als rdy n=f tA.wj m xfa=f Dba.wt 1r m Amm=f „einen, dem die ‚Beiden Länder‘ in seinen Griff und die Siegel des Horus in seine Faust gegeben sind“ (Maystre 1992, 342–343, Nr. 155). Bei anderen elitären Funktionären wie dem Oberdomänenverwalter Senenmut heißt es z. B. xrp.wt 5ma.w MHw Hr Dba.t=j „die Lieferungen Ober- und Unterägyptens waren unter meinem Siegel“ (Urk. IV, 412.3), der Schatzhausvorsteher Djehuti bezeichnet sich als xtm.w Spss.w m pr nsw „der die Kostbarkeiten im Palast versiegelt“ (Urk. IV, 421.16) und der zweite Priester des Amun Samut nennt sich xtm xtm.t nb(.t) m Jp.t-s.wt „einen, der alles Versiegelte in Karnak versiegelt (Urk. IV, 1950,6).
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Nubien amtierten (Abb. 36a–b).163 Daneben gibt es einen dritten Abdruck mit dem Namen Jmn-Htp und weiteren Textresten, die als Elemente des Titels eines Vizekönigs zu rekonstruieren sind,164 bei dem es sich entweder um den Königssohn von Kusch Amenhotep aus der Zeit Thutmosis’ IV.165 oder unseren Amenhotep Huy handeln könnte (Abb. 36c).166 Wenngleich die prosopografische Zuschreibung dieses Abdrucks nicht klar ist, so dürften wir über die Gefäßverschlüsse in Buhen doch immerhin einige Siegel der Art (bzw. deren Negative) kennen, wie sie in der Szene der Amtseinführung im Grab TT 40 zu sehen sind.167
Abb. 36a–c: Abdrücke von vizeköniglichen Siegelstempeln auf Krugverschlüssen aus der Festung von Buhen in Nubien (Neues Reich, 18. Dynastie) (nach Smith 1976, Tf. XLVIII.67–69).
2.8 Der König als Siegelbrecher im Neuen Reich Bevor wir zum Schluss kommen, möchte ich noch einen weiteren Kontext streifen, in dem Siegel und – das ist neu in unserer Betrachtung – auch das Brechen bzw. Lösen derselben ikonografisch thematisiert sind. Besondere Beachtung verdient dieser Kontext darüber hinaus aus dem Grund, dass hier der König selbst aktiv in Erscheinung tritt. Über Papyri der 22. Dynastie und Szenen in Tempeln vom Neuen Reich bis in die ptolemäische Zeit ist uns das sog. ,Tägliche Kultbild-
163
Smith 1976, 173, Tf. XLVIII, Type 67 & 68; vgl. Müller 2013, 102–104, Nr. 2 zu Turi und 106–108, Nr. 6 zu Nehi. 164 Smith 1976, 173, Tf. XLVIII, Type 69. 165 Müller 2013, 112–113, Nr. 10. 166 Smith 1976, 173. 167 Weitere Siegel dieser Art (auch mit Königsnamen des Neuen Reiches) vgl. Newberry 1905, 92–95, 103–104, Tf. I; Abdrücke von Siegelstempeln mit individueller Signatur mit Titel und Name sind auf Krugverschlüssen selten. Bei den Beispielen aus Buhen dürfte es sich am ehesten um die Angabe der für die Lieferung verantwortlichen Person bzw. Institution des Vizekönigs handeln.
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ritual‘ überliefert, das mindestens seit dem Mittleren Reich wohl dreimal täglich an den Kultstatuen der Götter in den Tempeln Ägyptens von Priestern in Stellvertretung des Königs durchgeführt wurde.168 Eine zentrale Rolle für das Verständnis dieses Rituals spielen die Wandreliefs in den Götterkapellen im Tempel Sethos’ I. in Abydos, die den König beim Vollzug dieses Rituals vor den Gottheiten Osiris, Isis, Horus, Amun-Re, Re-Harachte und Ptah zeigen.169 Die Szenen in Karnak, Qurna und Medinet Habu, die für das Siegel-Thema ebenfalls relevante ikonografische Quellen darstellen, sollen hier nicht eigens diskutiert werden, da die Reliefs in Abydos weitaus detailreicher sind.170 Die Sequenz der abgebildeten Riten wird mit dem Bild des Königs mit einer Räucherschale oder einem Ritualgefäß in der Hand in Anbetung vor der Gottheit eingeleitet, der begleitende Text lautet r’ n aq r wn Hr „Spruch zum Eintreten, um das Gesicht (des Gottes) zu enthüllen“ (Episode 1).171 Dann folgen die weiteren Sprüche bzw. Szenen der Eingangssequenz.172 Die mit r’ n sD sjn „Spruch zum 168
Zu Quellen und älterer Literatur vgl. Osing 1999, bes. 321–331; Braun 2013, 41–87; David 2016, 164–168; neben den Szenen in Abydos (sog. ‚Abydos-Ritual‘) sind die Papyri Berlin 3055 (‚Amun-Ritual‘) und Berlin 3014+3053 (‚Mut-Ritual‘) die Hauptquellen. Einzelne Sprüche sind auch auf Mumienbinden, Ostraka, einem Obelisken und in Gräbern belegt (Braun 2013, 52, Anm. 48–51); zu den Quellen der griechisch-römischen Zeit siehe Hussy 2007. 169 Calverley/Gardiner 1933; 1935; Osing 1999, 317–321; Braun 2013, 72–74, 188–221; David 2016, 126–180; im Folgenden wird mit David 2016, 127–128 die Kapelle des Osiris wegen ihrer Besonderheiten aus der Betrachtung ausgeklammert. 170 Zu Karnak Nelson 1949, 202–206, Abb. 3; Nelson 1981, Tf. 227 und 264; Osing 1999, 319; Braun 2013, 85–87, Fn. 144; zu Qurna: Arnold 1962, 21–23, Tf. 14; Osing 1999, 329, Nr. 14; Braun 2013, 75–76; zu Medinet Habu Epigraphic Survey 1940, Tf. 241; Nelson 1949, 204–206, Abb. 2; Osing 1999, 319; David 2016, 168. 171 Der volle Spruchtitel lautet in der Kapelle des Ptah r’ n aq r wn Hr m Xnw n Hw.t aA.t n PtH nb-MAa.t Hr.j-jb Hw.t-Mn-MAa.t-Ra „Spruch zum Eintreten, um das Gesicht zu enthüllen im Inneren des Tempels für Ptah, den Herrn der Maat, der im Tempel Sethos’ I. residiert“ (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 21); bei Amun-Re und Isis heißt der Spruch r’ n aq r wn Hr m Xnw n Hw.t aA.t Hna pr.w nTr.w n.ty(w) r-gs pr-wr „Spruch zum Eintreten, um das Gesicht zu enthüllen im Inneren des Tempels und den Götterkapellen, die neben dem Sanktuar sind“ (Calverley/Gardiner 1933, Tf. 17; 1935, Tf. 3); in der Re-Harachte-Kapelle wird Sethos I. als Ritualist genannt (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 13). 172 Die Sequenz und Übereinstimmung der einzelnen Riten wird je nach Quelle und Methode mit unterschiedlichen Ergebnissen rekonstruiert; vgl. die Schaubilder bzw. Tabellen in Osing 1999, 318–319; Braun 2013, 211–214, Tab. 4, Tf. XXI–XXIII, Abb. 37–41; David 2016, 133; 177–179. Im Papyrus Berlin 3055 (‚Amun-Ritual‘) findet sich vor dem „Spruch zum Brechen des Siegeltons“ noch der r’ n sD jAd.t „Spruch zum Öffnen bzw. Lösen des Bandes“ (Spruch 7), dessen Thema zwar in Abydos in Episode 3 aufgenommen ist, für das es aber im ‚Amun-Ritual‘ auch einen äquivalenten Spruch (Spruch 9) gibt; vgl. Guglielmi/Buroh 1997, 117–118; Braun 2013, 106–107; zu den entsprechenden Episoden im sog. ‚Opferritual‘ des Neuen Reiches Tacke 2013, 26–35.
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Zerschlagen des Lehmklumpens (bzw. der Siegelplombe)“ überschriebene Episode 2 zeigt den König in den Kapellen der Isis und des Amun-Re, wie er mit einem sD-sjn-Gerät auf den oberen Türriegel der noch geschlossenen Doppeltür der Kapelle schlägt (Abb. 37).173
Abb. 37: Episode 2 im täglichen Kultbildritual in Abydos nach der Kapelle des Horus: Zum Spruch „Zerbrechen des Lehmklumpens“ schlägt der König mit einem gleichnamigen Ritualgerät auf einen noch geschlossenen Türriegel (Neues Reich, 19. Dynastie) (nach Calverley/Gardiner 1935, Tf. 4).
173
Calverley/Gardiner 1933, Tf. 17; 1935, Tf. 4; in der Kapelle des Horus ist diese Episode nicht vorhanden, bei Re-Harachte kniet der König in Anbetungshaltung vor der geschlossenen Kapelle (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 13) und bei Ptah sieht man den König mit einem Ritualgefäß vor der Kapelle stehen (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 21). Ein s[D]sjn(.w)t-Ritualgerät aus Hmt-km „Schwarzem Kupfer“ ist in Abydos im Tempel Thutmosis III. in der Liste von Kultparaphernalia genannt (Petrie 1903, 44, Tf. 34).
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In den begleitenden Texten heißt es dazu als Ritualanweisung: sD sjn wbA qbH.w jtH mt.w n As.t bzw. n Jmn „Zerbrich das Tonsiegel, öffne das Himmelsgewässer und zieh die Schnur (der Kapellentür) der Isis bzw. des Amun“.174 Der Spruch r’ n sfx.t Dba.yt „Spruch zum Lösen des Siegels“ überschreibt die folgende Episode 3, bei der man den König in der Kapelle des Horus die Schnur zwischen den beiden Ösen der Tür lösen sieht (Abb. 38).
Abb. 38: Episode 3 im täglichen Kultbildritual in Abydos nach der Kapelle des ReHarachte: Zum Spruch „Lösen der Schnur“ bindet der König den Strick zwischen den beiden Krammen an den Kapellentüren los (Neues Reich, 19. Dynastie) (nach Calverley/Gardiner 1933, Tf. 26).
Dazu heißt es sD jAd sfx Dba.yt r znS aA pn „Öffne das Band und löse den Verschluss, um diesen Türflügel zu öffnen“.175 Schließlich ist zur Episode 4 (r’ n 174
Calverley/Gardiner 1933, Tf. 17; 1935, Tf. 4; vgl. den Spruch im ‚Amun-Ritual‘: Braun 2013, 108–110. 175 Calverley/Gardiner 1933, Tf. 26; in der Kapelle der Isis greift der König mit der rechten Hand zu einer Türöse (sog. Kramme) (Calverley/Gardiner 1933, Tf. 18), bei Re-Harachte
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sTA z „Spruch zum Zurückziehen des Türriegels“) in den Kapellen von Isis, Horus, Amun-Re und Ptah gezeigt, wie der König mit einer Hand einen der Türriegel wegschiebt, während er in der anderen einen Räucherarm hält.176 Danach nimmt das Kultbildritual nach dem Verbrennen von Weihrauch und dem Öffnen der Türflügel des Naos seinen weiteren Verlauf.177 Text und Bild dieses Rituals lassen sich nicht immer in Übereinstimmung bringen, daher gibt es in der Literatur vielfältige Vorschläge zum Verständnis der Szenen und ihrer Details.178 Wenn wir hier der Sequenz in Abydos folgen, sehen wir den König, im täglichen Ritualvollzug von einem Priester vertreten, bei der Öffnung des Naos, nachdem er eine Siegelplombe zerschlagen, die Siegelschnur gelöst und die Türriegel zurückgeschoben hat. Damit ergäbe sich eine nachvollziehbare Abfolge, die sich recht gut mit der archäologischen Evidenz in Verbindung bringen lässt. Aus dem Grab des Tutanchamun kennen wir mehrere Schreine, die die Technologie der Doppeltür mit Türriegeln auf jeweils einem Türblatt und zentralen ringförmigen Krammen veranschaulichen (Abb. 39).179 Der zweite und dritte Schrein um den Sarkophag des Königs wurden mit intakten Siegeln aufgefunden, die als Vergleich für die Versiegelungstechnologie der abydenischen Götterkapellen dienen können (Abb. 40).180 Der König zerschlägt also zuerst – symbolisch181 oder tatsächlich – das tönerne Siegel, um im Anschluss die Schnur zwischen den beiden Krammen loszubinden. Dann schiebt er die zwei Türriegel beiseite, um die Doppeltüren des Naos öffnen und die weiteren Ritualhandlungen vor den Götterbildern durchzuführen zu können.182
kniet er in Anbetungshaltung vor dem verschlossenen Naos (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 14) und bei Ptah kniet der König in selbiger Haltung vor den bereits geöffneten Türflügeln (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 22). Im ‚Amun-Ritual‘ wird im äquivalenten Spruch 7 die Anweisung gegeben: sD jAd.t sfx Dba „Zerreiße das Band, befreie die Öse“, wobei Dba hier (und damit wohl auch in Abydos) als ringförmiger Türriegelgriff bzw. Kramme (LemmaNr. 450303; Guglielmi/Buroh 1997, 118, Anm. a; Braun 2013, 107, Anm. a–b) zu verstehen ist. 176 Calverley/Gardiner 1933, Tf. 18 (Isis; dort auch z.wj „die beiden Türriegel“); Tf. 26 (Horus); Calverley/Gardiner 1935, Tf. 3 (Amun-Re); Tf. 22 (Ptah; die Kapelle ist dabei bereits geöffnet); in der Kapelle des Re-Harachte kniet der König vor der Kapelle und schiebt die Türriegel mit beiden Händen beiseite (Calverley/Gardiner 1935, Tf. 14). 177 Osing 1999; Braun 2013, 114–205; David 2016, 130–154. 178 U. a. Graefe 1971; Boochs 1982, 35–36; Guglielmi/Buroh 1997, 117–122; Braun 2013, 106–113. 179 Carter/Mace 1927, bes. 41–48, Tf. LIV–LX; siehe http://www.griffith.ox.ac.uk/disco veringTut/ (Zugriff 24. März 2020) zur weiteren Dokumentation; zum kleinen goldenen Statuenschrein (Kairo JdE 61481) siehe umfassend Eaton-Krauss/Graefe 1985. 180 Carter/Mace 1927, Tf. 60C. 181 Graefe 1971, 152–155. 182 Boochs 1982, 35–36.
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Abb. 39: Der sog. kleine goldene Schrein des Tutanchamun mit je einem verschiebbaren Türriegel und einer ringförmigen Kramme auf dem linken und rechten Türflügel (Neues Reich, 18. Dynastie) (Foto Global Egyptian Museum183).
Die das Kultbildritual beschließenden Handlungen werden auf der Siegesstele des Königs Piye (25. Dynastie) thematisiert,184 die damit außerhalb unseres chronologischen Fokus liegt. Der König hat den Sonnengott Re in seinem Allerheiligsten in Heliopolis ‚geschaut‘ und ihm geopfert.185 Nachdem die Türflügel wie-
183
http://www.globalegyptianmuseum.org/detail.aspx?id=15070 (Zugriff 24. März 2020). Zum Denkmal Grimal 1981, Tf. I–XII; El-Hawary 2010, 210–347, Tf. XVII–XXIV, Bild 21–28. Das Öffnen der Kapelle heißt hier sD z.wj sS aA.wj „Lösen (bzw. Wegschieben) der beiden Türriegel, Öffnen der beiden Türflügel“. 185 Das „Schauen des Gottes“ (mAa nTr) ist ebenso ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Kultbildrituals: Osing 1999, 318 (Szene 6); Braun 2013, 116–117 (Spruch 11); David 2016, 130–138, 177 (Episode 8). 184
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der geschlossen wurden, heißt es dort: wAH sjn Dba.t m xtm n nsw Ds=f „Auflegen der Lehmplombe und des Siegelabdrucks in Form des Siegels des Königs selbst“.186 Zum Abschluss sagt der König dann jnk sjp.n=j xtm „Ich (selbst), ich habe die Versiegelung überprüft“187 und bestätigt so das ordnungsgemäße Verschließen des Sanktuars.188
Abb. 40: Die intakte Versiegelung des dritten Sarkophag-Schreins im Grab des Tutanchamun (Neues Reich, 18. Dynastie) (Foto p0631 von Harry Burton189).
3. Schlussbetrachtungen Ausgangspunkt unseres Beitrags waren Fragen nach den bildlichen Kontexten, in denen Siegel als Objekte sowie Ver- oder Entsiegeln als Handlungen vorkommen. Daran schloss sich die Frage an nach der Rolle der Siegel im jeweiligen Bild als Objekte, die einen Verschluss authentifizieren oder Prestige bzw. Status codieren.
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Grimal 1981, 132, 37*.13–14, 138, Tf. X, Z. 104–106 übersetzt: „[A]ppliquer l’argile et (le) sceller du propre sceau du roi.“; S. Grallert in versteht Dba.t offenbar auch als Infinitiv und übersetzt „Auflegen des Lehmklumpens (als Siegelplombe). Siegeln (der Lehmplombe) mit dem Siegel des Königs selbst.“ El-Hawary 2010, 266 dagegen versteht Dba.t(w) als tw-Passiv und übersetzt „Auflegen eines Ton(siegels), wobei gesiegelt wurde mit dem Siegel des Königs selbst“. 187 Grimal 1981, 132, 37*.16, 138 („J’ai mis en place, moi, le sceau“); El-Hawary 2010, 266 („Ich selbst habe das Siegel geprüft); S. Grallert in („Ich [= Piye], ich habe das Siegel [mit dem Siegelabdruck] überprüft“). 188 Im sog. ‚Opferritual‘ bzw. ‚Ritual für Amenophis I.‘ kommen ähnliche Schlusssprüche des Verschließens des Naos vor: Nelson 1949, 226–229; Tacke 2013, 174–178. 189 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_unbroken_seal_on_Tutankhamun’s_to mb,_1922.jpg (Zugriff 24. März 2020); vgl. Carter/Mace 1927, 241, Tf. LX.
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Damit verbunden war auch die Frage nach der ins Bild gesetzten Funktion des Versiegelns als einer einen Verschluss herstellenden und des Entsiegelns als einer diesen auflösenden Handlung. Neben verschlossenen und zu öffnenden Dingen interessierten uns besonders auch die an den jeweiligen Handlungen beteiligten Personen. Nach der Diskussion der einschlägigen Evidenz fällt auf, dass das Thema ‚Siegel & Siegeln‘ selten abgebildet ist, aber nicht etwa, weil Besiegeln, Versiegeln und Entsiegeln in der ägyptischen Kultur keine Rolle gespielt hätten (ganz im Gegenteil), sondern weil die zumeist aus Gräbern und Tempeln stammenden Bilder eine selektive und auch je nach Kontext individuelle Auswahl von Themen bieten. Nichtsdestotrotz entfaltet sich auch in den wenigen Bildern ein ikonografischer Diskurs, d. h. eine gleichsam emische Perspektive auf verschmierte Biertöpfe und gesiegelte Weinkrüge, auf Siegel als administrative Geräte, Prestigeobjekte oder magische Amulette sowie auf andere Aspekte aus diesem Themenfeld. Dort, wo es um die Darstellung der Bierproduktion geht, sind einfache Arbeiter bzw. Brauer aus der sozialen Grundschicht die Personen, die die Bierkrüge mit Krugverschlüssen versehen und diese verschmieren. Ein Versiegeln bzw. Authentifizieren mit einem Siegel findet nicht statt. Auch Frauen sind im Alten Reich in Szenen der Bierbrauerei beim Verschmieren der Verschlüsse auf Bierkrügen thematisiert, sonst spielen sie keine weitere Rolle im ikonografischen Diskurs zum Siegel-Thema. Daneben finden sich in Szenenkontexten der Wein-, Öl- und Honigproduktion Bilder zu unserem Thema. Während das Verschließen von Ölgefäßen ungemein selten ist, wird das Versiegeln von Honiggefäßen sowohl im Alten als auch im Neuen Reich gezeigt. Dabei wird in einem königlichen Bildzyklus des Alten Reiches das Wort xtm „versiegeln“ zur Beschreibung gebraucht, das jedoch hier eher „verschließen bzw. verschnüren“ meint. Im Neuen Reich werden Honiggefäße mit einem Krugverschluss versehen, daneben tauchen Honig- wie Weinkrüge (s. u.) mit doppelt gestempeltem Verschluss und Inhaltsinschrift auf der Schulter auf. Szenen der Weinherstellung lassen sich vom Alten bis ins Neue Reich als Quellen auswerten. Die Winzer sind dabei bis auf den Szenenkontext und ihre Aktivitäten nicht eigens einer ikonografisch besonders charakterisierten Personengruppe zugeordnet. Während die Weinkrüge im Alten und im Mittleren Reich mit einem an ihrem Rand festgebundenen Stoff verschlossen bzw. eher zugeknotet werden (xtm) sowie die Verschlüsse im Alten Reich mit einem Dba-Siegel versehen werden, hebt die ikonografische Evidenz des Neuen Reiches ganz auf die für diese Zeit auch breit belegte Praxis der gesiegelten Gefäßverschlüsse für Weinamphoren etc. ab. Hier fehlen allerdings Beischriften, die das Dargestellte lexikalisch als xtm-Verschluss oder -siegelung beschreiben. Die ikonografische Präsenz von Siegelstempeln und deren Abdrücken zeigt allerdings, welche Rolle diesen Objekten und ihren ‚Eindrücken‘ zugeschrieben wird. Neben der Spezifikation von Inhalt und Ziel der Ware wird auch deren Herkunft über einen Stempelabdruck authentifiziert. Hier begegnen wir dem Siegelstempel und seinem Ab-
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druck also tatsächlich in ihrer administrativen sowie authentifizierenden Funktion. Die eigentlichen Siegel treten als abgebildete Objekte – der Zeit entsprechend als zylinderförmige Rollsiegel – als Auszeichnung eines Funktionärs in königlichen Reliefzyklen des Alten Reiches in den Blick. Rollsiegel sind dort, neben Halskrägen und Diademen, Elemente des sog. Ehrengoldes, das der König als prestigeträchtigen und loyalitätsfördernden Gunsterweis ausgibt. Bemerkenswert dabei ist, dass diese besondere Ehrung in Gräbern von Personen des sozialen Profils der mit Ehrengold Beschenkten ikonografisch nicht thematisiert wird.190 Der praktische Einsatz von Rollsiegeln ist auch nicht eigens ins Bild gesetzt. Die Herstellung von durchbohrten Zylindern allerdings tritt in den ikonografischen Programmen der Elitegräber des Alten Reiches mindestens in zwei Fällen in Erscheinung. Die Siegelmacher in den Marktszenen repräsentieren ein deutlich anderes soziales Milieu als die Grabherrn oder Ehrengold-Rollsiegelbesitzer. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie Siegel für die lokale Bevölkerung oder den elitären Gebrauch produzieren. Träfe der letztgenannte Fall zu, könnten Amtssiegel deren Produkte sein. Sollten sie xtm-Siegel für Kunden ihres eigenen sozialen Milieus anfertigen, ließe sich an ‚sekundäre Königssiegel‘ und ‚Figurenzylinder‘ denken. Nun werden in einigen Elitegräbern des Alten Reiches in den Gräberbildern immer wieder einige Personen mit einem zylindrischen Objekt an einer Kette am Hals dargestellt. Bei ihnen handelt es sich um der sozialen Grundschicht zugehörige Personen. Andererseits sind diese ikonografisch und szenisch als mit besonderen Funktionen und Rollen ausgestattet gekennzeichnet. Ihnen könnte man daher neben dem Tragen einer Amulettperle auch das Tragen eines Siegels zuerkennen, dem hier weniger ein funktionaler, sondern eher ein Amulettcharakter innewohnt. Und tatsächlich sind in Gräberfeldern der sozialen Grundschicht ‚sekundäre Königssiegel‘ in Frauenbestattungen als am Hals getragene Amulette dokumentiert, während Rollsiegel jeglichen Typs bei Männern offenbar nicht Teil der üblichen Grabausstattung waren. Bilder des Mittleren Reiches thematisieren das andere Ende der sozialen Leiter im Fall des mit einem Rollsiegel an einer langen Halskette gezeigten Wesirs Dagi. Das Siegel manifestiert seine ihm vom König übergebene Amtsgewalt und ‚besiegelt‘ damit ikonografisch gleichsam seinen herausgehobenen Status. Das Amtssiegel eines hohen Funktionärs wird wie im Alten Reich auch nie im praktischen Einsatz gezeigt, es erscheint lediglich einmal unter Objekten des persönlichen Besitzes des Grabherrn. Sonst sind ‚sekundäre Königssiegel‘ in dieser Zeit vor allem als Amulette an Schmuckketten in Bestattungen belegt. Das Siegel – in Form eines goldenen Rings mit flacher Stempelblende – wird auch im Neuen Reich als Manifestation eines vom König an einen Beamten übergebenen Amtes
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D. h. Rollsiegel kommen in den entsprechenden Kontexten nicht vor. In biografischen Passagen allerdings ist die Auszeichnung durch den König ein zentrales Thema.
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und Verantwortungsbereichs verstanden. Der Akt der Übergabe des Siegels sowie das Siegel selbst beglaubigen damit gleichsam die neue Rolle sowie den erhobenen Status des Funktionärs. In den Texten wird auf das Siegeln als administrative Obliegenheit vor allem der Wesire scharfgestellt. Und über allen und allem steht sozial und funktional der König. Er ist die einzige Person, die in den Bildern als jemand gezeigt ist, der ein Siegel bricht bzw. einen versiegelten Verschluss öffnet. Zwar wird er im täglichen Kultvollzug von einem Priester vertreten, doch im ikonografischen Diskurs ist er allein derjenige, der die Räume bzw. Schreine, in denen Gottheiten in Form von Statuen wohnen, öffnen darf, indem er die tags zuvor angebrachten Siegel bricht, Verschlüsse löst und die Türriegel beiseiteschiebt. Die Darstellungen unterliegen eigenen ikonografischen Kriterien und sind nicht 1:1 mit den begleitenden Texten kongruent. Beim sD sjn heißt es, dass eine Siegelplombe zerschlagen (bzw. gelöst wird), im Bild ist allerdings keine Siegelplombe zu sehen, sondern allein die Türriegel. Es scheint, als hätte die ägyptische Kunst kein Abbild einer solchen Siegelplombe an einer Naostür ‚erfunden‘, so dass den Darstellungskonventionen folgend dann dieses Detail auch nicht ins Bild gesetzt wurde. Dennoch sind dies die einzigen mir bekannten Bilder, in denen das Entsiegeln eines Verschlusses zum Thema gemacht ist. Insgesamt bilden die betrachteten Szenenkontexte die Welt der kontemporären materiellen Kultur in erstaunlich detailliertem Maße ab, sie erscheinen gleichsam als ikonografische Auseinandersetzung mit der erlebten Welt. Allerdings ist den Bildern ein genuiner Charakter eigen, indem sie basierend auf den Konventionen und Möglichkeiten der ägyptischen Kunst eine neue, ikonografische Realität konstruieren. Obwohl die Praxis des Verschließens, des authentifizierenden Siegelns und des Brechens der je nach zu siegelndem Objekt unterschiedlichen Verschlüsse in ganz verschiedenem Maß Teil des täglichen Erfahrungshorizonts bestimmter Personengruppen war, fanden nur bestimmte Episoden Eingang in die Welt der Bilder. Dies ist vor dem Hintergrund deren bekannter thematischer Selektivität nichts Neues. Es wirft aber ein entscheidendes Licht auf die letztlich realisierten Bilder und deren Rolle in der ikonografischen Repräsentation und Konstruktion der Kultur(techniken) und materiellen Welt des pharaonischen Ägypten. 4. Literaturverzeichnis Aldred, C. 1971. Jewels of the Pharaohs: Egyptian Jewellery of the Dynastic Period. London. Aly, M. I. 2005. The Scenes of the Local Market in Pharaonic Egypt (An Analytic Study). In: Bedier, S., Daoud, K. & Abd El-Fattah, S. (Hgg.). Studies in Honor of Ali Radwan. Supplément aux Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 34. Kairo, 79–100.
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Der vierflügelige Skarabäus auf Siegeln und Siegelungen der Eisenzeit II B–C aus Juda und seinen Anrainern Ein phönizisch vermitteltes Motiv? Rüdiger Schmitt Abstract: The most prominent motif of late Iron II B and Iron II C Age official sealings from Judah (the so-called lmlk-stamps) is the four-winged scarab, which is also well attested in Transjordan. The aim of the article is to address some of the problems relating to the origin of the motif. As the four-winged form of the beetle is not attested in Egypt (except in Nubia in later periods) and is therefore not of direct Egyptian origin, most researchers have proposed a Phoenician origin. The author addresses the problem of the Phoenician origin and related issues, in particular that most of the supposed Phoenician prototypes originate from the art market and do not come from controlled excavations from the heartland, whereas the bulk of the material from regular excavations comes from ancient Israel, Judah and Transjordan. Their place of manufacture, however, must remain open, as there is no proof that these seals were produced locally, rather they are imports from other centers of seal production from the wider Levant, which cannot be identified based on the evidence present, and were inscribed locally. Schlagworte: Skarabäusmotiv, lmlk-Spempel, Siegelimporte, lokale Produktion / keywords: Scarab motif, lmlk-stamp, imports of seals, local production
1. Einführung Das Motiv des vierflügeligen Skarabäus erscheint in der späten Eisenzeit II B und II C mit mehr als 40 Belegen auf Siegeln und Abdrücken aus dem syro-palästinischen Kulturraum1 sowie auf über 600 judäischen Krugstempeln mit der Legende lmlk „Dem König [gehörig]“, davon 507 aus regulären Grabungen.2 Während die zweiflügelige Variante in Ägypten seit der 18. Dynastie gut belegt ist,3 fehlt die
1
Avigad/Sass 1997, Nrn. 59, 103, 163, 475, 662, 729, 775, 839, 865, 981, 987, 1085, 1121, 1085, 1094, 1136, 1150, 1171 & 1175; Bordreul 1993, Abb. 25, 27; Crowfoot et al. 1957, Tf. 15.29b; Deutsch 1999, Nrn. 70 & 91; Deutsch/Lemaire 2003, Nrn. 14 & 19; Giveon 1988, Arban 11; Keel 2013, Geser 459; Eggler/Keel 2006, Amman 7, Umeri 4, Sahab 19 (Kunsthandel, angeblich aus Sahab); Lemaire 1993, 4–5; Reisner et al. 1924, Tf. 56.e2; Tushingham 1970; Ward 1967, 67–77. Nicht mitgezählt sind hier Deutsch/Lemaire 2003, Nr. 11 und Deutsch 2015, Abb. 2 & 3, die aufgrund von Form, Material, Paläographie und Ikonographie kaum authentisch sein dürften. Bullen von einzelnen Siegeln sind ebenfalls nicht mitgezählt. 2 Eine Zusammenstellung des Materials findet sich unter: www.lmlk.com/research/lmlk _corp.html; Lipschits et al. 2011, Tab. 2; dazu zuletzt Lipschits 2018. 3 Schmitt 2017, 92–95, mit Abb. 7.6–9; vgl. Jaeger 1982, § 1178.
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vierflügelige dort auf Stempelsiegeln völlig,4 so dass eine unmittelbare Entlehnung aus dem ägyptischen Repertoire unwahrscheinlich ist. Im ägyptischen Symbolsystem ist der skarabäusgestaltige Gott Chepri die morgendliche Erscheinung des trimodalen Sonnengottes (Chepri/Re/Atum).5 Die geflügelte Form entstand in Ägypten wahrscheinlich aus dem Bedürfnis, das Aufsteigen des Sonnengottes aus der Unterwelt in möglichst plastischer Weise zu veranschaulichen. Ursprünglich war das Motiv in den Jenseitsführern und ihren bildlichen Repräsentationen in Grabkammern beheimatet, wurde jedoch auch auf andere Bildträger wie die Siegelamulette übertragen und erfüllte durch die ausgebreiteten Schwingen auch eine Schutzfunktion. In die lokale westsemitische Glyptik fand das Motiv des geflügelten Skarabäus in der zweiflügeligen Variante wohl vermittelt durch Phönizien seit dem 9. Jahrhundert Einzug, wie einige Siegel der Tyros/Achsib-Gruppe6 zeigen. Damit scheint eine Herleitung der vierflügeligen Variante aus Phönizien bzw. deren Verortung in der phönizisch geprägten levantinischen Koiné-Glyptik nahezuliegen, jedoch stammt das Gros des bisher publizierten Siegelmaterials aus dem Kunsthandel und eine phönizische Herkunft der vierflügeligen Variante ist nicht mit datierten Funden aus regulären Grabungen aus Phönizien selbst zu belegen.7 Der Beitrag möchte anhand des Motivs des vierflügeligen Skarabäus einige Probleme der Ikonographie westsemitischer Glyptik der Eisenzeit, insbesondere die Identifizierung bestimmter lokaler ikonographischer Traditionen, verdeutlichen, wobei die Frage nach der religionsgeschichtlichen Relevanz hier erst einmal außen vor bleiben soll.8 2. Siegel und Siegelungen mit vierflügeligem Skarabäus aus regulären Grabungen aus Palästina Abgesehen von den judäischen lmlk-Stempeln ist die Anzahl von Siegeln und Siegelungen mit vierflügeligem Skarabäus aus regulären Grabungen überschaubar. Die im Katalog von Nahman Avigad und Benjamin Sass (1997) aufgrund paläographischer Argumente oder aufgrund der theophoren Namen als phönizisch 9
4
Dies gilt ebenso für das Motiv der vierflügeligen Uräusschlange und andere Typen vierflügeliger Genien und Mischwesen in der syro-palästinischen Glyptik. 5 Dazu ausführlich Minas-Nerpel 2006. 6 Keel 1997, Achsib 133 & 138; zur Gruppe Boschloos 2012; 2014; vgl. auch Cowie 2004. 7 Avigad/Sass 1997 listen nur ein aufgrund des Namen Baʿal als phönizisch klassifiziertes Objekt aus dem Kunsthandel auf (Nr. 729), das aber aufgrund seines Erwerbsortes (Jerusalem) doch eher als judäisch anzusprechen sein dürfte, sowie zwei weitere Exemplare (Nrn. 1085 & 1994), deren theophore Namen zur Herkunftsbestimmung inkonklusiv sind. 8 Die dargelegten Ausführungen stellen eine überarbeite Version des entsprechenden Kapitels aus meiner Monographie zum Skarabäusmotiv auf Stempelsiegeln aus Palästina dar (Schmitt 2017, 131–168). 9 Avigad/Sass 1997, Nr. 729; evtl. auch Nrn. 1085 & 1994.
Der vierflügelige Skarabäus
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oder aramäisch10 klassifizierten Objekte stammen sämtlich aus dem Kunsthandel; zudem ist die ethnische Zuschreibung häufig durch religiöse Vorurteile bestimmt, wie der impliziten Annahme, israelitische und judäische Namenssiegel müssten das theophore Element yhw enthalten, was aber nur für rund 60 % der Belege korrekt ist, die übrigen 40 % belegen vielmehr 27 andere Gottheiten oder göttliche Epitheta.11 Aus regulären Grabungen ist die vierflügelige Variante zwei Mal aus Samaria (Abb. 1 und 2), zwei Mal aus Gezer (Abb. 3 und 4), einmal aus Lachish (Abb. 5) und drei Mal aus Jerusalem (Abb. 6, 7 und 8) belegt.
Abb. 1: Samaria (Crowfoot et al. 1957, Tf. XV.29b; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 2: Samaria (Reisner et al. 1924, Tf. 56.e2; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 3: Gezer (Keel 2013, Geser 445).
Abb. 4: Gezer (Keel 2013, Geser 459; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 5: Lachish (Avigad/Sass 1997, Nr. 59).
Abb. 6: Jerusalem (Keel 2017, Jerusalem 288; Umzeichnung des Verf.).
10
Avigad/Sass 1997, Nrn. 775, 785, 811, 832, 837, 839 & 843 sowie eine größere Anzahl unbestimmter Stücke. 11 Vgl. Albertz/Schmitt 2012, 508–509, Tab. 5.7 und 5.9.
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Ein Exemplar stammt aus Amman (Abb. 9) und vom Tall al-ʿUmeiri in Ammon ist der der Abdruck des Siegels des Beamten mlkmwr ʿbd bʿlyšʿ (‚Milkomur, Diener des Baʿalisch‘) bekannt (Abb. 10). Sämtliche Exemplare sind in die späte Eisenzeit II B (zweite Hälfte 8. Jahrhundert v. Chr.) und Eisenzeit II C (7.–Anfang 6. Jahrhundert v. Chr.) zu datieren.
Abb. 7: Jerusalem (Keel 2017, Jerusalem 390; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 8: Jerusalem (Keel 2017, Jerusalem 289; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 9: Amman (Eggler/Keel 2006, ʿAmman 7; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 10: Tall al-ʿUmeiri (Eggler/Keel 2006, Tall al-Umeiri 4).
Die zwei Gruppen der judäischen Königsstempel (lmlk-Stempel) mit Skarabäus (Typ I) und Flügelsonnensymbol (Typ II) umfassen mittlerweile über 2250 Abdrücke12 von ca. 19 Stempeln. Davon stammen ca. 1400 aus dokumentierten Grabungen, wovon 507 den vierflügeligen Skarabäus tragen.13 Inklusive der nicht aus regulären Grabungen stammenden Stücke beläuft sich die Anzahl auf über 600 Exemplare. Neben der Inschrift lmlk („dem König gehörig“) sind die Abdrücke mit den Ortsnamen ḥbrn, zyp, swkh und mmšt beschriftet. Die Hauptfundorte der lmlk-Stempel sind Lachish mit 413, Jerusalem mit 270, Ramat Raḥel mit 224, Gibeon mit 92, Tell en-Nasbeh mit 88, Beth Shemesh mit 32, Tell el-Judeideh mit 39, Geser mit 37, Ḫirbet er-Burj mit 24, Maresha mit 19, Azekah (Tell Zakaryia) mit 17, Timnah (Tel Batash) mit 15, Tel Erani (Tell Šēḫ Aḫmed el-Erēni) mit 15, Hebron mit 13 und Beth Zur (Ḫirbet el-Tubēqa) mit 11 Exemplaren.14 Die beiden
12
Siehe www.lmlk.com/research/lmlk_corp.htm (Zugriff 3. April 2020). Persönliche Mitteilung durch Oded Lipschits vom 26.04.2016. 14 Lipschits et al. 2011, Tab. 2. 13
Der vierflügelige Skarabäus
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heute gängigen Typologien von Andre Lemaire und Peter Welten zeigt die untenstehende Übersicht (Abb. 11).15
Abb. 11: Typologische Übersicht der lmlk-Stempel Typ I. Die Großbuchstaben stehen für Hebron, Ziph, Socho und mmšt, die folgenden Buchstaben und Numerale für den Typ.
Datierung und Verwendung der Königsstempel werden in der Literatur nach wie vor intensiv diskutiert. Da der Fokus der vorliegenden Studie auf der Ikonographie der Objekte liegt, seien im Folgenden nur die wesentlichen Streitpunkte hinsichtlich Datierung und Verwendung kurz skizziert:16 Bis in die 1970er Jahre 15
Welten 1969; Lemaire 1981; Umzeichnungen nach Welten 1969. Zusammenfassend zur Diskussion Schmitt 2017, 161–168 (vgl. Schmitt 2001, 171– 179); Lipschits 2018. 16
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hinein herrschte ein weiter Konsens, dass die Skarabäusdarstellungen älter seien als die Flügelsonne und dass der Motivwechsel vom ägyptisch-,heidnischen‘ Symbol zur Flügelsonne durch die religiöse Reform des Josija bedingt sei.17 Die Verbindung des Motivwechsels mit einer religiösen Reform unter Josija oder schon unter Hiskija gilt heute als obsolet. Nach der von Welten vertretenen Theorie bezeichnen die vier Ortsnamen ḥbrn, zyp, swkh und mmšt Krongüter, von denen Versorgungslieferungen an die entsprechenden Fundorte gegangen seien.18 Nach Welten sind die Krugstempel im Zusammenhang mit der judäischen Militärpolitik im 8.–7. Jahrhundert v. Chr. zu sehen, wonach die zumeist in der Shephela gefundenen Stempel mit Skarabäusmotiv die Versorgung der Festungen durch Hiskija in der Zeit der Bedrohung des Südens durch Sanherib 701 v. Chr. reflektierten, die späteren Flügelsonnenstempel jedoch die verstärkte Belieferung der nördlichen Festungen in der Zeit nach 701. Ähnlich interpretiert Yohanan Aharoni die lmlk-Stempel im Zusammenhang mit der von Hiskija vorgenommenen Reorganisation der Reichsverwaltung:19 Die Orte Hebron, Socho, Ziph und mmšt sind als die neuen administrativen Zentren Judas (‚Vorratstädte‘) zu betrachten, in denen Steuereinkünfte zur Weiterleitung in die Hauptstadt gesammelt worden seien. Die zuerst benutzten Skarabäusstempel seien bereits vor 701 durch die Flügelsonnenstempel ersetzt worden, die bis zum Ende der Regentschaft Hiskijas in Gebrauch gewesen seien. Die weiträumige Verteilung der Krugstempel wird mit der administrativen oder privaten Wiederverwendung der Krüge begründet, nachdem sie ihre Aufgabe als Behältnisse für Naturalabgaben erfüllt haben. Auch für Nadav Na’aman20 lässt die Fundverteilung darauf schließen, dass die Einführung des lmlk-Systems im Kontext der Vorbereitungen auf Sanheribs Invasion zu sehen sei. Eine kurzzeitige Verwendung im Kontext militärischer Versorgung vermutet auch Amihai Mazar.21 Andrew G. Vaughn deutet im Hinblick auf 2 Chr 32, 27–30 die lmlkSiegelungen im Zusammenhang mit einem „economic buildup“ in der Zeit Hiskijas.22 Die lmlk-jars dienten demnach der Vorratshaltung und Distribution für die Bevölkerung, nicht jedoch für den Hof oder das Militär. Problematisch an dieser Deutung ist jedoch zum einen die fragwürdige Historizität der entsprechenden Äußerungen im 2. Chronikbuch und zum andern erscheint es kaum evident, warum die Bevölkerung zur Vorratshaltung Gefäße mit offiziellen Siegelungen benutzt haben sollte, auch wenn ein solcher „economic buildup“ zentral gesteuert worden sein sollte. Basierend auf den Grabungsbefunden in Lachish wurde wiederholt die Gleichzeitigkeit bzw. Überlappung von Flügelsonnen- und Skarabäus17
Diringer 1949; Lapp 1960; Cross 1969. Welten 1969; 1977. 19 Aharoni 1984, 404–411. 20 Naʾaman 1986, 16. 21 Mazar 1990, 457. 22 Vaughn 1999, 167, 172. 18
Der vierflügelige Skarabäus
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motiv in der mit dem Sanherib-Feldzug zu assoziierenden Zerstörungsschicht Lachish III betont.23 Hiergegen wurde angeführt, dass die Verteilung der Stempel stärker auf geographische, denn auf chronologische Unterschiede schließen lasse.24 An diese Beobachtungen anschließend und unter Auswertung der Fundverteilung kommen Oded Lipschits, Omer Sergi und Ido Koch zu dem Ergebnis, dass das lmlk-System im späten 8. Jahrhundert v. Chr. (nach 732), nachdem Juda ein Vasallenstaat der Assyrer geworden war, zur Administration der Tribute und Abgaben an die assyrischen Oberherren eingeführt worden sei und dass dieses System im Kontext der unterschiedlichen Fremdherrschaften bis in die persische und hellenistische Zeit persistiere.25 Die Stempel mit Skarabäusmotiv und die Flügelsonnenstempel vom Typ Lemaire IIA=Welten IIB1 finden sich in der Zerstörungsschicht von Lachish III, wobei nach 701 nur das Flügelsonnenmotiv weitergeführt werde. In der Zeit vor 701 sei Lachish (vor Jerusalem, Ramat Raḥel und Beth Shemesh) der Dreh- und Angelpunkt des lmlk-Administrationssystems gewesen, nach dem Sanherib-Feldzug konzentrieren sich die Funde in Jerusalem, Ramat Raḥel, Gibeon und Mizpa, wobei Ramat Raḥel nach dem Fall Jerusalems die Rolle des Verwaltungszentrums übernommen habe.
Abb. 12: Hiskija-Bulle mit Flügelsonne, Jerusalem (Mazar 2015, Abb. III.13.1; die Umzeichnung wurde mir freundlicherweise von Eilat Mazar für den Wiederabdruck zur Verfügung gestellt).
Abb. 13: Hiskija-Bulle mit Skarabäus, Kunsthandel (Umzeichnung nach Cross 1999).
Das Flügelsonnenmotiv ist (allerdings in stärker ägyptisierender Manier) auch auf einer bei den Ophel-Grabungen gefundenen Bulle des Königs Hiskija vertreten (Abb. 12), während die zweiflügelige Variante des Skarabäus auf Bullen des23
Tushinhgham 1970; Usshishkin 1976; 2010. Naʾaman 1986, 16; Barkay/Vaughn 2004, 2148–2173. 25 Lipschits et al. 2010; 2011; Lipschits 2012; 2018; vgl. Lipschits/Vanderhooft 2011. 24
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selben Königs aus dem Kunsthandel belegt ist (Abb. 13). Beide Bullen reflektieren eine höhere handwerkliche Qualität der Siegel im Vergleich zu den lmlkStempeln. Die gepresst wirkenden Inschriften der Abdrücke lassen aber vermuten, dass bereits mit einem Motiv versehene Siegel sekundär beschriftet worden sind – diese also wohl nicht eigens für den König angefertigt worden sind. Eine spezifische Konnotation des vierflügeligen Käfers mit dem Königtum ist nicht wahrscheinlich zu machen, da das Motiv auf Privatsiegeln älter ist als die lmlkStempel (Abb. 1 und 2) und zudem zeitgenössisch ist (Abb. 5) und später auf Privatstempeln benutzt wird. Das Einzige, was die Siegel als ,königlich‘ auszeichnet, ist die Legende lmlk bzw. der Königsname auf den Hiskija-Bullen. Aufgrund der offensichtlichen Multivalenz des Motivs und der parallelen Nutzung der Flügelsonne auf den lmlk-Stempeln sind beide Motive primär als Symbolik göttlichen Schutzes anzusprechen. Im Hinblick auf die Datierung (und geographische Verbreitung) des Motivs aufgrund der Befunde aus regulären Grabungen kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass der vierflügelige Skarabäus seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert auf privaten und offiziellen Siegeln und Siegelungen aus Israel und Juda und in der EZ II C auch in Transjordanien belegt ist, wobei aufgrund der großen Anzahl der Typ-I-lmlk-Stempel eine mehr als deutliche Massierung des Motivs für Juda in der ausgehenden EZ II B im offiziellen Kontext zu beobachten ist. Das Material aus dem Kunsthandel zeigt, dass das Motiv zeitgenössisch auch in der syrisch-aramäischen Glyptik gut belegt ist,26 wohingegen es auf als phönizisch klassifizierten Siegeln zeitgenössisch selbst nicht sicher nachweisbar ist.27 Die Häufung des Motivs im cis- und transjordanischen Palästina hängt natürlich primär mit der intensiveren archäologischen Erforschung hier zusammen und sollte daher nicht vorschnell zur Beantwortung der Herkunftsfrage herangezogen werden. 3. Der vierflügelige Skarabäus in der Ikonographie der Levante im 1. Jahrtausend v. Chr. Auch wenn es keine datierten Siegel mit vierflügeligem Skarabäus aus kontrollierten Grabungen in Phönizien selbst gibt, so erscheint die zweiflügelige Variante jedoch bereits seit einer früheren Phase der Eisenzeit II B (spätes 9. Jahrhundert) in der sogenannten Tyros/Achziv-Gruppe, deren Werkstatt wohl in Tyrus zu verorten ist.28 Wenn die Rezeption der zweiflügeligen Variante in der syro-palästinischen Glyptik sehr wahrscheinlich über Phönizien vermittelt wurde, so erscheint es naheliegend, auch den Ursprung der vierflügeligen Variante hier zu verorten. Hierfür spricht auch, dass das Motiv auf Objekten, für die eine phönizische Werk26
Avigad/Sass 1997, Nrn. 775, 785, 811, 832, 837, 839 & 843. Avigad/Sass 1997, Nr. 729 (eher judäisch); vgl. Nrn. 1085 & 1994 (unsichere Zuweisung). 28 Boschloos 2014, 19. 27
Der vierflügelige Skarabäus
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stätte angenommen wird, sowohl in Mesopotamien als auch später im westlichen Mittelmeerraum weite Verbreitung gefunden hat: So zeigt eine Elfenbeinarbeit aus Nimrud (Abb. 14), die zur ,klassischen‘ ägyptisierenden phönizischen Gruppe gehört, den vierflügeligen Skarabäus, der mit den Vorder- und Hinterbeinen je eine Sonnenscheibe hält. Aber auch hier fehlen direkte Belege für eine phönizische Herkunft, wiewohl eine solche, eventuell aus Werkstätten in einem der phönizischen Zentren (Sidon oder Tyrus), vermutet wird.29 Weiteres (und zumeist deutlich späteres) als phönizisch angesprochenes Material mit dem vierflügeligen Skarabäus stammt aus dem westlichen Mittelmeerraum: Abb. 15 zeigt einen vierflügeligen Skarabäus als alleiniges Bildmotiv auf einem Skarabäus-Siegel aus Etrurien. Dieses Siegel ist durch seine nachträglich nur schlecht dem unteren Rand angepasste Inschrift als Eigentum eines gewissen KΛΕΩΝΗΔΑΣ ausgewiesen.
Abb. 14: Elfenbeinarbeit aus Nimrud (Moscati 1988, Kat.-Nr. 85; Kunsthistorisches Museum Brüssel; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 15: Skarabäus aus Etrurien (Furtwängler 1900, Nr. 64; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 16: Kartuschenring aus Cerveteri (Christofani/Martelli 1985, Nr. 175; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 17: Kartuschenring (Hoffmann/ Claer 1968, 15, Kat.-Nr. 11; Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Inv.Nr. 1967.3; Umzeichnung des Verf.).
29
Herrmann/Laidlaw 2013.
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Abb. 16 zeigt einen goldenen Kartuschenring aus Cerveteri, der – neben dem vierflügeligen Skarabäus im unteren Register – mit einer Flügelsonne und einem Sphinx dekoriert ist. Das Stück diente offensichtlich nicht als Siegel, da die Gravur in erhabenem Relief ausgeführt ist und könnte daher (neben der Schmuckfunktion) als apotropäisches Objekt oder Votiv angesprochen werden. Dasselbe dürfte bei dem Ring auf Abb. 17 der Fall sein, der ebenfalls erhaben ausgeführt ist. Die Motive sind bis auf das Mischwesen aus Fisch und Pferd im oberen Bildabschluss mit dem Ring auf Abb. 16 identisch. Die ähnliche Ausführung beider Ringe könnte darauf hindeuten, dass sie aus einer Werkstatt stammen. Der Hippokamp zeigt deutlich das Eindringen griechischer Motive in die als ,phönizisch‘ bezeichnete Glyptik und verwandte Kleinkunst.30
Abb. 18: Ring aus Nordafrika (Moscati 1988, Nr. 244; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 19: Siegelring aus Sardinien (Scandone 1975, Tf. XXX.A2; Gorton 1996, 82, Abb. 30).
Abb. 18 bildet einen goldenen Ring mit drehbarer Platte aus Nordafrika ab. Die Vorderseite zeigt einen vierflügeligen Skarabäus und auf der Rückseite ein Udjat-Auge, beides in erhabener Arbeit und damit für Siegelzwecke unbrauchbar und daher wohl ebenfalls zu apotropäischen Zwecken oder als Votiv gefertigt. Der silbergefasste Siegelring Abb. 19 aus Sardinien, für den die Herkunft aus einer Werkstatt im Nildelta oder in Karthago geltend gemacht wird,31 zeigt neben Horusknaben, Falken, vierflügeligem Skarabäus und zwei Göttinnen zweimal den Thronnamen des Pharao Necho I. (Mn-xpr-Ra, 672–664 – nicht zufällig derselbe wie der Thutmosis’ III.).
30 31
Vgl. Nunn 2004, T. 57. Gorton 1996, 80.
Der vierflügelige Skarabäus
111
Abb. 20: Armreif aus Tharros (Moscati 1988, Kat.-Nr. 636 [ca. 7.–6. Jahrhundert]; Umzeichnung des Verf.).
Abb. 20 zeigt ein goldenes Armband des 7. oder 6. Jahrhunderts aus Tharros. Die mittlere Platte ist mit einem vierflügeligen, falkenköpfigen Skarabäus graviert, der eine große Sonnenscheibe mit den Händen emporhebt. Mit dem unteren Beinpaar hält das Mischwesen einen šn-Ring. Eine ähnliche Darstellung ist von einer Metallschale des 7. Jahrhunderts aus Praeneste bekannt.32 Ein m. W. bisher einzigartiger Fund ist ein Model aus Ibiza zur Herstellung von (mit 10 cm Durchmesser relativ großen) Amulett-Plaketten mit vierflügeligem Skarabäus.33 Die Verbreitung des Motives durch die phönizische Westexpansion und den Betrieb von Werkstätten in den Kolonien sowie sekundär durch Derivate phönizischer Objekte ist zwar ein mögliches Szenario, doch nach wie vor fehlen Belege aus dem phönizischen Kernland, durch die sich eine solche Vermittlung dingfest machen ließe. 4. Die Hypothese einer nubischen Herkunft des Motivs Welten34 hat in seiner Studie über die Königsstempel auf eine Gruppe von Amuletten aus Nubien des 8.–6. Jahrhundert v. Chr. hingewiesen, die ebenfalls mit vierflügeligen Skarabäen dekoriert sind. Abb. 21 zeigt ein bronzenes SkarabäusAmulett aus der Nekropole von Sanam, die etwa in der Zeit von 730–530 in Benutzung war. Der Skarabäus besitzt einen Falkenkopf, über dem sich eine Sonnenscheibe befindet. Eine zweite, kleinere Sonnenscheibe wird von den Hinterbeinen gehalten. Die Abb. 22a–c zeigen eine Gruppe von Fayenceamuletten aus dem Grab der Königin Tabiry (751–716): Das Amulett Abb. 22a stellt einen vierflügeligen Skarabäus mit sehr gedrungenem Körper dar, der mit den Hinterbeinen eine rosettenförmige Sonnenscheibe trägt. Die Anordnung der Flügelpaare gleicht der des Bronzeamuletts Abb. 21. Die Flügeloberkanten des zweiten Schwingenpaares weisen hier deutlich nach oben. Das Stück ist in einem sehr sorgfältigen, modellierenden Stil gefertigt. Der Skarabäus befindet sich zwischen zwei Randleisten, 32
Moscati 1988, Kat.-Nr. 966. Moscati 1988, Kat.-Nr. 811. 34 Welten 1969, 15–16. 33
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deren obere zwei Ösen zur Befestigung aufweist. Das Pektoral Abb. 22b ist bis auf die geringere Größe und die etwas gröbere Ausführung der Details parallel zu Abb. 22a gestaltet. Auch dieses Objekt besitzt auf der oberen Randleiste zwei Ösen. Das Amulett Abb. 22c zeigt einen vierflügeligen Skarabäus in einem rechteckigen Rahmen, der oben lediglich eine Öse aufweist. Ähnlich den meisten palästinischen Darstellungen sind beide Flügelpaare etwa gleich groß. Der Käfer trägt mit den Vorder- und Hinterbeinen je eine rosettenförmige Sonnenscheibe.
Abb. 21: Bronzenes Skarabäus-Amulett aus der Nekropole von Sanam (Griffith 1923, Tf. LVII.5 (Umzeichnung des Verf).
Abb. 22a, b & c: Fayanceamulette aus dem Grab der Königin Tabiry, el-Kurru (Dunham 1950, Tf. XLIX, Nrn. 1257, 1258 & 1267; Umzeichnungen des Verf.).
Neben den vierflügeligen Skarabäus-Amuletten findet sich noch ein vierflügeliger Skarabäus auf der Kopfseite eines saitischen Kalksteinsarkophags, der in Tuna gefunden wurde (Abb. 23). Der Skarabäus besitzt weit gespreizte Schwingen mit fast geraden Flügeloberkanten. Auch hier sind die Wurzeln des zweiten Flügelpaares durch das erste verdeckt. Der Körper ist viel stärker schematisiert als bei den Amuletten.
Abb. 23: Sarkophag aus Tuna (Gabra 1928, 69).
Abb. 24: Sarkophag aus Tuna (Gabra 1928, 67).
Das hier präsentierte Material wirft die Frage auf, ob der vierflügelige Skarabäus auf palästinischen Siegeln von seinem nubischen Pendant abhängig sein
Der vierflügelige Skarabäus
113
könnte.35 Gegen eine solche Ableitung lässt sich jedoch eine Anzahl von Argumenten anführen: a) Die vierflügeligen Skarabäen aus Nubien und Syrien/Palästina unterscheiden sich stark in ihren Stilisierungsformen. Die Flügeldecken sind in Palästina in der Regel durch zwei Ovale dargestellt, die nubischen Käfer sind dagegen durch T-förmige Kerben segmentiert. Am deutlichsten sind die ikonographischen Unterschiede in der Anordnung der Flügel. Die Schwingen der palästinischen Käfer sind meistens gleich groß und die Flügelwurzel des zweiten Paares nur selten verdeckt. Auch die Form der Sonnenscheiben ist stark unterschiedlich ausgeführt: Die nubischen Amulette tragen eine Sonnenscheibe in Rosettenform, während die syro-palästinischen Käfer ein einfaches, scheibenförmiges Symbol halten. b) In Nubien gibt es offenbar eine eigenständige Tradition vierflügeliger Mischwesen und Genien, die in ptolemäisch/römischer Zeit häufig auf Tempelreliefs erscheinen, darunter auch vierflügelige Skarabäen. Dieser Typus von vierund mehrflügeligen Mischwesen ist nicht erst in der ptolemäischen Epoche entstanden, sondern auch schon in saitischer Zeit belegt: Die Oberseite des bereits oben angeführten Sarkophags zeigt eine Nephthys-Figur mit sechs Flügeln (Abb. 24). Mehrflügelige Numina scheinen überhaupt eine Besonderheit der nubischen Kunst darzustellen, in Unterägypten sind sie nur äußerst selten zu finden.36 c) Durch die große räumliche Entfernung ist eine Beeinflussung als eher unwahrscheinlich anzusehen. Unterägypten scheidet als Vermittler aus, da vierflügelige Skarabäen hier nicht belegt sind. Die Möglichkeit, dass ägyptische Truppenkontingente das Motiv nach Palästina mitgebracht haben könnten, ist unwahrscheinlich, da es schon vor Schabaka und Taharka belegt ist. d) Die Darstellungen befinden sich auf unterschiedlichen Bildträgern, in Syrien/Palästina auf Stempelsiegeln und in Nubien auf Pektoralen. Sollte tatsächlich eine Abhängigkeit bestehen, so sollte man Entsprechungen in den Bildträgern erwarten. Derartige Pektorale sind in Palästina jedoch nicht belegt. Die Argumente sprechen eher dafür, die Möglichkeit einer Beeinflussung durch die nubischen Amulette zu verneinen. Ein Einfluss in umgekehrter Richtung – wie von Welten vermutet – ist ebenfalls durch keinerlei materielle Evidenz zu erweisen. Aufgrund des vorliegenden Materials ist daher die Annahme einer parallelen Entwicklung am wahrscheinlichsten. 5. Zusammenfassung Die hier vorgelegten Überlegungen zur Herkunft des vierflügeligen Skarabäus in der syro-palästinischen Glyptik der Eisenzeit II vergegenwärtigen mehrere Problemfelder der Forschung: zum einen die Frage nach der Herkunft und der Vermittlung von Motiven, zum anderen (damit verbunden) die Frage nach lokalen 35 36
So Welten 1969, 15–16. Keel 1977, 204–205.
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Werkstätten sowie die Frage nach der Gewichtung des vorhandenen Materials aus regulären Grabungen und aus dem Kunsthandel. Die Frage nach der religionsgeschichtlichen Aussagekraft der Objekte wurde hier bewusst ausgeklammert.37 Im Hinblick auf die Frage nach der Herkunft des Motivs waren die Schlussfolgerungen bisher inkonklusiv: Die Frage nach einer phönizischen Vermittlung lässt sich zwar anhand der in der Tyrus/Achsiv-Gruppe belegten zweiflügeligen Variante vermuten, aber nicht mit phönizischem Material aus dem Kernland selbst belegen, zumal das Motiv auch auf den Siegeln aus dem Kunsthandel mit identifizierbar phönizischen theophoren Namen fehlt. Daher kann sicher eigentlich nur festgestellt werden, dass es sich um ein in der syro-palästinischen Glyptik der Eisenzeit II häufiges Motiv handelt, das aufgrund der intensiven archäologischen Erforschung vor allem im ehemaligen Nordreich Israel, in Juda sowie in Transjordanien (Ammon) durch Funde aus regulären Grabungen besonders gut repräsentiert ist. Anhand rein ikonographischer Kriterien ist es nach wie vor schwierig, lokale Werkstätten von Siegelschneidern zu lokalisieren. Insbesondere im Hinblick auf relativ hochwertig ausgeführte Siegel wie Abb. 5–8 aus Lachish und Jerusalem und die Hiskija-Bullen stellt sich die Frage, ob hier überhaupt lokale Werkstätten anzunehmen sind und nicht vielmehr mit marktüblichen Motiven gravierte halbfertige Produkte aus entwickelteren ‚industriellen‘ Zentren importiert und nur lokal beschriftet worden sind. Die Verwendung der rund 19 Typ-I- und -II-lmlkStempel in der judäischen Administration macht jedoch in diesem Falle eine lokale Fertigung wahrscheinlich, zumal diese auch relativ summarisch unter Verzicht auf Details gefertigt worden sind (wie auch das Siegel Abb. 2 aus Gezer), während die für Hiskija belegten Bullen mit einer zweiflügeligen Variante und mit Flügelsonnenmotiv auf qualitativ bessere Siegel schließen lassen, die vielleicht Importe darstellen, die nur sekundär beschriftet worden sind. Das Vorhandensein des Motivs auf den zahlreichen als aramäisch klassifizierten Stücken könnte vielleicht darauf hindeuten, dass (analog zu den sogenannten ‚phönizischen‘ Elfenbeinen)38 mit mehreren Zentren der Produktion gerechnet werden muss, die nicht zwangsläufig in den phönizischen Küstenstädten ansässig gewesen sein müssen, zumal das Motiv auf als ‚phönizisch‘ klassifizierten Siegeln aus dem Kunsthandel zu fehlen scheint. Dass Objekten aus regulären Grabungen – insbesondere im Hinblick auf die Religionsgeschichte – eine höhere Gewichtung zukommt als solchen aus dem Antikenhandel, darf heute als selbstverständlich gelten. Die nach wie vor vorherrschende ethnische Sortierung der beschrifteten Bildsiegel aus dem Kunsthandel aufgrund der theophoren Namen ist hochgradig problematisch und von religiösen Vorurteilen über die Vorherrschaft eines Jahwe-Henotheismus bzw. einer Mono-
37 38
Dazu Schmitt 2017, 131–168. So Herrmann 2000.
Der vierflügelige Skarabäus
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latrie bestimmt. Jedoch sollte vorhandene Evidenz – sofern sie plausibel als authentisch gelten kann – nicht von vornherein ignoriert werden. Im Falle der Hiskija-Bullen ergänzen sich die Funde sogar, indem die Flügelsonnenbulle zusammen mit den Typ-I-lmlk-Stempeln die Authentizität der Bullen mit zweiflügeligem Skarabäus stützen. Literaturverzeichnis Aharoni, Y. 1984. Das Land der Bibel: Eine historische Geographie. NeukirchenVluyn. Albertz, R. & Schmitt, R. 2012. Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant. Winona Lake, IN. Avigad, N. & Sass, B. 1997. Corpus of West Semitic Stamp Seals. Jerusalem. Barkay, G. & Vaughn, A. G. 2004. The Royal and Official Seal Impressions from Lachish. In: Ussishkin, D. (Hg.). The Renewed Archaeological Excavations at Lachish (1973–1994). Monograph Series of the Institute of Archaeology of Tel Aviv University 22. Tel Aviv, 2148–2173. Bordreuil, P. 1993. Le Répertoire iconographique des sceux araméens inscrits et son evolution. In: Sass, B. & Uehlinger, C. (Hgg.). Studies in the Iconography of Northwest Semitic Inscribed Seals. Orbis Biblicus et Orientalis 125. Fribourg, 74–100. Boschloos, V. 2012. Egyptian and Egyptianizing Scarab-Shaped Seals in Syria and Lebanon. Bibliotheca Orientalis 69.3–4, 175–182. Boschloos, V. 2014. Tyre, Achziv and Kition. Evidence for a Phoenician Iron Age II Scarab Workshop. In: Lohwasser, A. (Hg.). Skarabäen des 1. Jahrtausends. Ein Workshop in Münster am 27. Oktober 2012. Orbis Biblicus et Orientalis 269. Fribourg, 7–36. Brandl, B. 2012. Scarabs, Scaraboids, other Stamp Seals, and Seal Impressions. In: de Groot, A. & Bernick-Greenberg, H. (Hgg.). Excavations at the City of David 1978–1985 directed by Yigal Shilo Volume VIIB Area E: The Finds. Qedem 54. Jerusalem, 377–396. Cowie, P. J. 2004. Scarabs. In: Mazar, E. (Hg.). The Phoenician Family Tomb No. 1 at the Northern Cemetery of Achziv (10th–6th centuries BCE). Cuadernos der Arqueología Mediterránea 10. Barcelona, 177–225. Christofani, M. & Martelli, M. 1985. LʼOro degli Etruschi. Rom. Cross, F. M. 1999. King Hezekiah’s Seal Bears a Phoenician Imagery. Biblical Archaeology Review 25.2, 42–45. Crowfoot, J. W., Crowfoot, G. M. & Kenyon, K. M. 1957. The Objects from Samaria. Samaria-Sebaste 3: Reports of the Work of the Joint Expedition in 1931–1933 and of the British Expedition in 1935. London. Deutsch, R. 1999. Messages from the Past: Hebrew Bullae from the Time of Isaiah Through the Destruction of the First Temple. Tel Aviv.
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Inschriften als Zeugnisse griechischer Siegelpraxis Inventarlisten, Staatsverträge und Ehrendekrete Nikola Moustakis Abstract: Frequently, fire disasters have preserved seals by unintentionally burning them. In turn, the documents to which these seals belonged have – almost without exception – been destroyed, so that contents and processes of notarization, including sealing and archiving, can no longer be read in them. However, the Greeks had the habit of recording texts that were or should be constitutive for their community on durable materials such as stone or bronze. The following article thus goes beyond archaeological and art historical investigations of seals. Instead, it approaches the phenomenon of sealing in ancient Greece by means of inscriptions. Based on eight case studies, the following questions are investigated: Who seals (private individuals or officials; one person or several people)? What is the function of sealing? What is the relevance of sealing and was sealing accompanied by other rituals? It will be traced how Greek sealing practices are embedded in communicative contexts that require acceptance and consensus, even when the sender is not present. Schlagwörter: Griechenland, Kleinasien, Inschriften, Siegel und Siegeln, öffentliches Siegel / keywords: Greece, Asia Minor, inscriptions, seals and sealing practices, public seal
Dem römischen Anwalt und Redner Marcus Tullius Cicero gelingt es im Jahr 57 v. Chr. bei der Verteidigung seines wegen widerrechtlicher Geldeinziehungen angeklagten Mandanten Lucius Valerius Flaccus, dem ehemaligen Statthalter von Asien, einem griechischen Zeugen der Anklage ein Geständnis abzuringen, das ein besonderes Licht auf das griechische Siegelwesen wirft (Cic. Flacc. 36): nam ut signum publicum inspexit praeclarus iste auctor suae civitatis, solere suos civis ceterosque Graecos ex tempore quod opus sit obsignare dixit. „Sobald nämlich dieser vortreffliche Vertreter seiner Gemeinde das öffentliche Siegel betrachtet hatte, sagte er, dass seine Mitbürger und die übrigen Griechen für gewöhnlich aus dem Stegreif siegeln,1 was immer gebraucht würde.“ Der Zeuge will mit seiner Aussage offensichtlich deutlich machen, dass das vorgelegte Schreiben wertlos ist, da die Gemeindevertreter in Kleinasien Dokumente in der Regel ohne Überprüfung des Inhalts siegeln. Ganz neutral betrachtet, 1
An dieser Stelle wird bewusst „siegeln“ ohne eine Vorsilbe wie „unter-“ oder „ver-“ verwendet, da die Terminologie eine weitere Interpretation voraussetzt, die im Laufe dieses Beitrags erst erörtert wird.
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reflektiert diese Aussage den Eindruck, dass das Siegeln von Schriftstücken – und noch dazu mit einem öffentlichen Siegel (signum publicum) – in Griechenland immens verbreitet war. In der Tat zeugen umfangreiche Funde, bei denen mehrere Hundert, teilweise sogar mehrere Tausend Siegelabdrücke an einem Ort gefunden wurden, von der Verbreitung des Siegelns in der griechischen Staatenwelt.2 Es seien in diesem Zusammenhang nur einige publizierte Zahlen von Siegelabdrücken an ausgewählten Orten genannt, die dies verdeutlichen sollen: Griechisches Festland: Gitana (3.000 Abdrücke),3 Kallipolis (600 Abdrücke),4 Pella (mehr als 100 Abdrücke)5 Inseln: Delos (ca. 27.000 Abdrücke),6 Nea Paphos auf Zypern (mehr als 14.000 Abdrücke)7 Kleinasiatisches Festland: Daskyleion (mehr als 406 Abdrücke),8 Zeugma (mehr als 100.000 Siegelabdrücke),9 Doliche (über 4000 Abdrücke).10 Häufig haben Brandkatastrophen diese Zeugnisse erhalten, indem die tönernen Siegelabdrücke unbeabsichtigt gebrannt und damit für die Nachwelt konserviert wurden. Verschiedene Projekte entwickeln seit einigen Jahren digitale Werkzeuge, um die Erforschung des umfangreichen und kontinuierlich anwachsenden Materials voranzutreiben und dieses für weitere Studien und Fragestellungen zugänglich zu machen.11 Im Gegenzug sind aber die Dokumente, zu denen 2
Schreiber 2019, 231 spricht von 200.000 Siegelabdrücken aus hellenistischer und römischer Zeit. 3 Preka-Alexandri/Stoyas 2010, 677. 4 Pantos 1985, besonders 427–443. 5 SEG 45, 784. 6 SEG 43, 521. 7 SEG 29, 1577; Michaelidou-Nicolaou 1979. 8 Kaptan 2002. 9 Önal 2018. 10 Schreiber 2019, 230 und 233. Konuk/Arslan 2000, 228 führen „some 7000 clay sealings“ an. Wie sie zu dieser hohen Zahl kommen, geben sie allerdings nicht an. Vermutlich fassen sie unter ‚clay sealings‘ sowohl Siegelabdrücke, Siegel und Verschlüsse. Auch ist anzunehmen, dass eine Reihe von Fälschungen darunter sind, zumal immer wieder große Mengen von Siegeln aus Doliche im Kunsthandel auftauchen, vgl. Winter 2008, 53 mit Anm. 5. Siehe auch den Beitrag von Torben Schreiber zum Archiv von Doliche in diesem Band. 11 Z. B. SigNet. A Digital Plattform for Hellenistic Sealings and Archives (vorgestellt von Caneva/van Oppen 2016); Projekt DigANES an der Universität München zur Entwicklung eines Konzeptes zur Digitalisierung und Verschlagwortung altorientalischer Roll- und Stempelsiegel; Digitalisierung des Corpus der minoischen und mykenischen Siegel an der Universität Köln (abgeschlossen); ErKon3D. Erschließung und Kontextualisierung von ägäischen Siegeln und Siegelabdrücken mit 3D-Forensik an der Universität Heidelberg. Zur geplanten Digitalisierung der Siegelfunde aus dem Archiv von Doliche cf. Schreiber,
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diese Siegelabdrücke gehörten, fast ausnahmslos zerstört, so dass sich Inhalte und Prozesse der Beurkundung, einschließlich des Versiegelns und Archivierens, daraus nicht mehr ablesen lassen. Nun hatten aber die Griechen die Gepflogenheit, Texte, die konstitutiv für die Gemeinschaft waren bzw. sein sollten, auf dauerhaften Materialien wie Stein oder Bronze festzuhalten und an zentralen Plätzen zu publizieren, um Vorgänge, die von öffentlichem Interesse waren, transparent zu machen. 12 So ist es möglich, sich dem Phänomen des Siegelns auch über die Epigraphik zu nähern. Exemplarisch soll in diesem Beitrag vorgeführt werden, wie Informationen aus den Inschriften – also abseits von den Artefakten Siegel bzw. Siegelabdruck – für die Thematik des vorliegenden Tagungsbandes gefiltert werden können. Dabei stehen folgende Fragen im Fokus: Wer siegelt (Privatpersonen vs. Beamte; eine Person vs. mehrere Personen)? Welche Funktion hat das Siegeln? Welche Relevanz hat das Siegeln, war es von anderen Ritualen begleitet? Eine vollständige Präsentation des Materials ist dabei in keiner Weise angestrebt, 13 es sollen lediglich Spotlights auf einige ausgewählte Inschriften geworfen werden, um das Potential einer solchen Analyse vorzustellen. 1. Die Parthenoninventare von der Akropolis in Athen Nähern wir uns den aufgeworfenen Fragen durch die Inschriftengruppe der sog. Parthenoninventare von der Akropolis in Athen. Auf Antrag des Athener Staatsmanns Kallias waren die Schatzmeister der auf der Akropolis aufbewahrten Wertgegenstände, die der Stadtgöttin Athena und anderen Gottheiten gehörten, seit 434/3 v. Chr. dazu verpflichtet, jährlich Inventarlisten anzulegen. Sie sollten so über ihre ordentliche Amtsführung und die von ihnen verwalteten Besitztümer Rechenschaft ablegen. Diese Verzeichnisse wurden zunächst alle vier Jahre, dann jährlich veröffentlicht.14 In einer solchen Inventarliste, die in die 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren ist, wird ein Holzkästchen aufgeführt, das vermutlich die Stempel für die Prägung von Goldmünzen enthielt.15 Dieses Kästchen Archiv von Doliche, in diesem Band. 12 Cf. Davies 2003, insbes. 324–329. 13 Cf. den Beitrag von Rudolf Haensch (2006), der grundlegend für das öffentliche Siegel der griechischen Staaten ist, sowie weiterführende Literatur und eine Zusammenstellung der wichtigsten Quellen bietet. 14 Die Texte des 5. Jahrhunderts v. Chr. liegen in einer Edition des Jahres 1980 vor (IG I³ 292–362). Diejenigen des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurden zuletzt 1927 ediert (IG II² 1370– 1513), derzeit ist eine Neuedition dieser Listen in Vorbereitung, die in dem Band IG II3 2,1: tabulae magistratuum erwartet wird. Grundlegend zu den Inventarlisten der Akropolis ist die Monographie von Diane Harris (1995). 15 IG II2 1408 Zeile 1113: … κιβωτός], ἐν ἧι οἱ χαρακτῆρες καὶ ἀκμονίσκοι ε[ἰσίν, ἐφ’ ὧν τὸς χρυσο͂ς ἔ]κοπτον, σεσήμαντ[α]ι τῆι δημοσίαι σφραγῖδ[ι … Als Datierung schlägt IG p. post 385/4 v. Chr. vor, Arthur Maurice Woodward (1931)
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wird in der Inventarliste ausdrücklich als gesiegelt (σεσήμανται) beschrieben; und zwar mit einem Siegel, das mit dem Adjektiv δημοσίαι charakterisiert wird, also dem dēmos (Volk) zugehörig. Es sollte damit offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um ein offizielles Siegel handelt.16 Wer diesem Kästchen das Siegel aufdrückte, ist dieser Inschrift nicht zu entnehmen. Es ist aber festzuhalten, dass inschriftlich nachweisbar in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Athen ein öffentliches Siegel17 zum Einsatz kam, um ein Gefäß zu kennzeichnen, welches für das Gemeinwesen wichtige, kostbare Gegenstände enthielt.18 2. Dekret über die Heilige Au Die Praxis, Gefäße zu siegeln, die auf der Akropolis deponiert wurden und einen für die Polis wichtigen Inhalt hatten, ist auch noch in einem anderen Zusammenhang inschriftlich erwähnt. Als in Athen ein Streit wegen der Nutzung von Ländereien der sog. Heiligen Au, die an der Grenze zwischen Attika und der Megaris lag, entbrannt war, fassten die Athener im Jahre 352/1 v. Chr. den Beschluss, sich an das Orakel von Delphi zu wenden. Sie wollten dem Orakel die Frage vorlegen, ob die Ländereien verpachtet oder brach liegengelassen werden sollen. Das komplizierte Verfahren dieser Orakelbefragung wurde nun ganz genau geregelt und inschriftlich festgehalten.19 Zunächst sollten beide Möglichkeiten auf zwei gleich aussehende Zinntäfelchen geschrieben werden. Anschließend sollten diese Täfelchen aufgerollt, mit Fäden umwickelt und in eine bronzene Hydria gelegt werden, die dann zu schütteln war, so dass sich die Täfelchen verteilen. Danach sollten die Täfelchen einzeln aus dem Gefäß gezogen werden. Das Täfelchen, das zuerst gekombiniert IG 1406 und IG 1388 zu einer Inschrift und datiert diese in das Jahr 398/7 v. Chr.; ebenso Harris 1995, 43. Zu der Vermutung, dass in diesem Kästchen die Stempel für die Prägung von Goldmünzen enthalten waren, cf. Haensch 2006, 267. Ergänzend zu IG II2 1408 sind folgende Inschriften zu nennen: IG II2 1409 Z. 5–6; 1424 Z. 311–312; 1428 Z. 149–150; 1453, Z. 10–11; 1455, Z. 16–17; 1457, Z. 15–17; 1460 Z. 30–31. Allerdings sind diese später zu datieren und zumeist an der entsprechenden Stelle ergänzt, und daher nur unter Vorbehalt zu nutzen. 16 Cf. dazu Stroud 1974, 164–166. 17 Hier wird der ebenfalls von Haensch 2006, 267 vorgebrachte Begriff „öffentliches Siegel“ verwendet. Haensch versucht in seinem Beitrag, die erste Verwendung eines solchen Siegels in Athen unter Heranziehung literarischer Belege und weiterer Überlegungen zeitlich genauer einzugrenzen, kommt aber zu dem Schluss: „Insgesamt bleiben all diese termini ante oder post quos zu unsicher und ungenau, um die Einführung des öffentlichen Siegels Athens mit einem konkreten innen- oder außenpolitischen Ereignis des 5. Jh. verbinden zu können.“ (Haensch 2006, 270). 18 Zu ähnlichen Sicherungsmaßnahmen mittels versiegelter Kisten bei der städtischen Verwaltung insbesondere auch bei der Rechenschaftsabgabe über Finanzen cf. Harter-Uibopuu 2013, 274. 19 IG II3 1, 292.
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zogen wurde, sollte in eine goldene Hydria gelegt werden, das zweite in eine silberne. Diese beiden Behälter sollten sodann jeweils zugebunden und gesiegelt und anschließend auf der Akropolis deponiert werden, während eine Gesandtschaft nach Delphi ziehen sollte, um die Antwort des Orakels zu erfragen. Sobald die Gesandten zurückkehrten, sollten die Hydrien von der Akropolis herabgeholt, der Orakelspruch verlesen, sowie das Täfelchen aus der von dem Orakel bezeichneten Hydria gezogen werden. Wie in den Parthenon-Inventarlisten werden in diesem Dekret Gefäße genannt, die auf der Akropolis verwahrt wurden und mit einem Siegel gekennzeichnet waren, dabei wird auch hier explizit das öffentliche Siegel genutzt (Z. 40: δημοσίαι σφραγῖδι). Das Siegeln als Sicherheitsmaßnahme vor einem unberechtigten Zugriff auf den Inhalt tritt in diesem Dokument zu dem einfachen Zubinden der Gefäße und dem Verwahren im Heiligtum hinzu. Wie in den Inventarlisten wird hier ein Terminus aus dem Lexemverband σημαίνω20 für den Akt des Siegelns benutzt: κατασημη[νά]σθω (Z. 39–40).21 Dieser Inschrift ist zudem zu entnehmen, wer das öffentliche Siegel den Gefäßen aufdrückte, denn diese Person ist ausdrücklich genannt: ὁ δὲ ἐπιστάτης τ[ῶ]μ πρυτάνεων (Z. 39), also der Vorsitzende der Prytanen. Dieser hatte eines der herausragendsten Ämter inne, da er die Rats- und Volksversammlung leitete. Nach Aristoteles wechselte dieser Vorsitzende täglich, er hatte das Amt also gerade einmal 24 Stunden inne.22 Offensichtlich hatte das Siegel somit auch eine symbolische Bedeutung, da die Übergabe des Siegels den Amtsanfang bzw. das Amtsende markierte. Noch ein weiteres Spezifikum des Siegelwesens in Athen lässt sich aus der Inschrift herauslesen. Die Gefäße wurden nicht nur durch den gewählten politischen Vertreter mit dem öffentlichen Siegel versehen, vielmehr wurden auch die übrigen Athener eingeladen, diese Behältnisse ebenfalls mit dem Siegel zu markieren. Dieser Siegelakt der Bürger wird sprachlich vom Siegeln des offiziellen Vertreters abgehoben: Es wird dafür παρασημηνάσθω statt κατασημηνάσθω verwendet. Aber warum genügte das Siegeln der Gefäße durch den Vorsitzenden der Prytanen nicht? Hier fühlt man sich tatsächlich an die eingangs zitierte Textpassage bei Cicero erinnert,23 die einen geradezu inflationären Gebrauch des Siegels konstatiert. Aber liegt in dieser Inschrift nicht doch eine spezifische Funktion des mehrfachen Siegelns vor? Der Aspekt der Sicherung war durch den Ort der De20
LSJ: s. v. σημαίνω: „show by a sign, indicate, point out“. σεσήμανται, 3. Pers. Sg. Medium Perfekt von σημαίνω „er/sie/es ist gekennzeichnet worden“, eine Absicht im Sinne des Subjekts. 22 Aristot. Ath. pol. 44. 23 Vgl. auch Polyb. 6,56,13: Der Geschichtsschreiber Polybios beschreibt darin den Aufwand, den die Griechen betreiben, um einer Veruntreuung von öffentlichen Geldern durch staatliche Beamte vorzubeugen. Dabei führt er u. a. das mehrfache Siegeln von Dokumenten an. Es erstaunt dann allerdings, dass Polybios diesen Eifer im gleichen Atemzug als nutzlos erachtet. 21
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ponierung, das Zubinden und das amtliche Siegel(n) längst erfüllt, es muss also ein anderer Grund dahinter liegen. Aus dem Kontext der Inschrift wird deutlich, dass bei dem gesamten Prozedere ein starkes Bestreben besteht, zum einen möglichst viele Amtspersonen an dem Fall zu beteiligen. So werden erwähnt: der Sekretär, der Vorsitzende der Prohedroi, die Prytanen, die Schatzmeister der Göttin, der Vorsitzende der Volksversammlung, der Schatzmeister des Volkes, der Hierophant, die Priesterin der Demeter, die Poleten. Zum anderen wird an mehreren Stellen betont, dass das Volk bei den verschiedenen Stufen des Verfahrens anwesend sein sollte: Die Zinntäfelchen sollen „in Gegenwart des Volkes“ (Z. 33) aufgerollt, umwickelt und in die bronzene Hydria geworfen werden; die goldene und die silberne Hydria sollen „in die Volksversammlung“ (Z. 35) gebracht werden; der Orakelspruch und die Schriften auf den Zinntäfelchen sollen dem Volk verlesen werden (Z. 48–49) und Gelder sollen ausdrücklich aus dem Fonds des Volkes genommen werden (Z. 62, 65, 72–73). Zudem werden an der Gesandtschaft nach Delphi ausdrücklich sowohl Vertreter des Rates als auch Privatpersonen beteiligt. So passt es gut in den Zusammenhang, dass die Bürger auch an dem Siegelakt beteiligt sein sollten. Damit wird ein wichtiger Grundgedanke der athenischen Demokratie aufgenommen: das Teilnehmen und Teilhaben (μετέχειν bzw. μέθεξις) aller Bürger an den politischen Prozessen.24 In dem Dekret wird das Ringen um die Teilhabe und das Ausprobieren von Mechanismen, eine solche zu ermöglichen, sehr deutlich. Indem die athenischen Bürger ihr25 Siegel unter das öffentliche Siegel setzten, wurde die gemeinsame Einbindung von Volksvertretern und Volk augenscheinlich. Das Siegeln bringt in dem Streit um die Heilige Au somit eine Handlungsmaxime zum Ausdruck, die sowohl am Anfang des Dekretes als auch noch einmal am Ende deutlich formuliert wird „weder aus Gunst noch aus Hass – – – auf gerechteste und gottesfürchtigste Weise“ (Z. 9–10, vgl. auch Z. 51– 52) zu handeln. Insgesamt sollte durch mehrfach abgesicherte Verfahren – und zu diesen gehörte auch das Siegeln durch Volksvertreter und Bürger – eine größtmögliche Akzeptanz des von dem Orakel verkündeten Spruches erreicht werden. Die Siegelabdrücke bekommen damit folgende Funktion: Sie werden zu einem Zeichen der Zustimmung des Volkes und einem Symbol der partizipatorischen Demokratie, um Zwietracht in der Gemeinschaft beizulegen bzw. zu vermeiden. Die beiden vorgestellten Inschriften beinhalten Siegelakte, die innerstaatlich von Bedeutung waren.26 Im Folgenden sollen nun Beispiele vorgeführt werden, die das Siegeln von Dokumenten im zwischenstaatlichen Bereich spiegeln.
24
Cf. Saba 2020, 17 mit Anm. 35; zudem Manville 1990, 7–11; Walter 1993; Funke 2010. Es ist dabei offen zu halten, ob alle Bürger im Besitz eines eigenen Siegels waren, das sie benutzten, oder ob es viel mehr auf das symbolische Handeln, also den Prozess des Siegelns, ankam, und sie dazu ein Leihsiegel verwendeten. 26 Zwar war die Orakelentscheidung bezüglich der heiligen Au von zwischenstaatlicher Bedeutung, das Siegelverfahren betraf aber nur innerathenische Angelegenheiten. 25
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3. Sympolitie- und Friedensvertrag von Smyrna und Magnesia am Sipylos Während des 3. Syrischen Krieges (246–241 v. Chr.) oder kurz danach fasste die Stadt Smyrna einen Volksbeschluss über den Abschluss eines Friedens- und Sympolitievertrags mit den Bewohnern des etwa 30 km entfernt liegenden Magnesia am Sipylos. Magnesia hatte in den Unruhen nach dem Tod des Seleukidenherrschers Antiochos II. Theos offensichtlich den von seiner zweiten Frau geborenen Sohn Antiochos Hierax als Thronfolger unterstützt. Smyra blieb hingegen dem letztlich erfolgreichen Seleukos II. treu, dem von Laodike, der ersten Frau des Antiochos, geborenen ältesten Sohn. Smyrna hatte nach Kampfhandlungen Magnesia dazu bewogen, sich ebenfalls auf die Seite des Seleukos zu stellen, und aus einer Position der Stärke heraus gelang es Smyrna, dass Magnesia sich ihr in Form einer Sympolitie anschloss. 27 Dieser Handlungsablauf lässt sich aus einer umfänglichen Inschrift rekonstruieren. Sie ist mehr als 100 Zeilen lang und auf einem etwa 2,5 m hohen Marmorblock eingeschrieben. Sie wird auf die Zeit 245 bis 241 v. Chr. datiert und war vermutlich in Smyrna aufgestellt.28 Auf der Stele sind drei Dokumente vereinigt: Der erste Teil umfasst ein Dekret der Stadt Smyrna über den beabsichtigten Abschluss einer Sympolitie mit den Bewohnern von Magnesia am Sipylos (Z.1–33), der zweite Teil beinhaltet den Vertragstext selbst (Z. 34– 88), der dritte Teil ist ein weiterer smyrnäischer Volksbeschluss über den Anschluss von Palaiamagnesia an Smyrna (Z. 89–108). Für das Siegeln sind die Zeilen 27–29 sowie 86–88 von besonderer Bedeutung: 27 28 29
προσδεξαμέν[ων] δὲ ταῦτα τῶν ἐμ Μαγνησίαι καὶ συνσφραγισαμένων τὴν ὁμολογίαν καὶ ὁμοσάντων καὶ ἐπανελθόντων τῶμ πρεσβευτῶν συ[ντε]λείσθω καὶ τὰ λοιπὰ πάντα τὰ ἐν τῆι ὁμολογίαι γεγραμμένα, καὶ τὸ ψήφισμα τόδε ἀναγραφήτω κατὰ τὸν νόμον·
„Sobald die Magneten die in dem Abkommen (ὁμολογία)29 festgelegten Verpflichtungen akzeptiert und das Abkommen besiegelt (συνσφραγισαμένων) und den Eid geschworen haben und die Gesandten zurückgekehrt sind, soll alles andere, was in dem Abkommen geschrieben steht, ausgeführt werden, und der Beschluss (ψήφισμα) soll gemäß dem Gesetz abgeschrieben werden.“
27
Sicherlich wird Seleukos II. diese Sympolitie zumindest begrüßt, wenn nicht forciert haben; cf. Walser 2009, 142. 28 Die Inschrift wurde vermutlich in Smyrna gefunden, sie befindet sich derzeit im Ashmolean Museum in Oxford, inv.-no. Chandler II-26. Sie wurde u. a. von Ihnken 1978, 23–130 publiziert und umfassend diskutiert. Zur Datierung ins Jahr 245 v. Chr. siehe Ihnken 1978, 36–42. Andere Editionen datieren sie um 242/1 v. Chr.: OGIS I 229; StV III 492; Petzl 1987, 573; Austin 2006, No. 174. 29 Heuß 1934, 28 übersetzt ὁμολογία mit „Vertragsangebot“.
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Dieser Textausschnitt ist Bestandteil der ersten Urkunde, die den Antrag der smyrnäischen Strategen umfasst.30 Die Gesandten sollten dafür sorgen, dass alle in dem Abkommen genannten Prozeduren innerhalb von fünf Tagen zum Abschluss gebracht werden, woraus zu schließen ist, dass Smyrna offensichtlich sehr daran gelegen war, diese Sympolitie so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen. Ein weiteres Mal findet sich die Verpflichtung, das Abkommen zu siegeln, am Ende der zweiten Urkunde, die den Vertragstext beinhaltet: 86 87
88
συνσφραγισάσθωσαν δὲ τὰς ὁμολογίας τὴμ μὲν Σμυρναίοις δοθησομένην οὓς ἂν ἀποδείξηι τὸ κοινὸν τῶν ἐμ Μαγνησίαι τοῖς τε ἑαυτῶν δακτυλίοις κα[ὶ τ]ῶι ὑπάρχοντι κοινῶι, τὴν δὲ εἰς Μαγνησίαν δοθησομένην σφραγισάσθωσαν Σμρυνα[ίων] οἵ τε στρατηγοὶ καὶ οἱ ἐξετασταὶ τῶι τε τῆς πόλεως δακτυλίωι καὶ τοῖς αὑτῶν
„Das Exemplar des Abkommens, das den Smyrnäern übergeben wird, sollen diejenigen, welche die Gemeinschaft (κοινόν) der in Magnesia Siedelnden nennt, mit ihren eigenen Siegeln (δακτυλίοις) und mit dem Siegel, das sie gemeinschaftlich (κοινῶι) haben, siegeln; und das Exemplar des Abkommens, das Magnesia übergeben wird, sollen die Strategen und die Exetasten der Smyrnäer mit dem Siegel der Stadt und mit ihrem eigenen Siegel siegeln (σφραγισάσθωσαν).“ Im Hinblick auf die Fragestellungen dieses Beitrags ist zu untersuchen, wer hier eigentlich genau siegeln soll. Da es in dem ersten Teil der Inschrift um die Akzeptanz des von Smyrna verfassten Abkommens geht, wird in Zeile 28 nur von den Magnesiern verlangt, zu siegeln. Diejenigen, die siegeln sollen, werden ganz allgemein mit der Formulierung τῶν ἐμ Μαγνησίαι (die Leute in Magnesia) bezeichnet – es gibt an dieser Stelle keine weitere Spezifizierung, indem beispielsweise Gruppen oder Einzelpersonen genannt werden, auch wird kein Ethnikon verwendet. Die Textstelle vermittelt den Eindruck, dass die Smyrnäer mit einer in Magnesia lebenden Gemeinschaft verhandeln, die unisono siegeln soll. Nun hebt sich dieser Eindruck aber sehr deutlich von einigen Formulierungen ab, die wenige Zeilen zuvor in der Inschrift verwendet werden: διεπέμψαντο πρὸς τοὺς ἐμ Μαγνησίαι κατοίκους καὶ πρὸς τοὺς ὑπαίθρους ἱππεῖς καὶ στρατιώτας (Z. 14). 31 Thomas Ihnken 32 ist dieser Differenzierung nachgegangen und hat herausgearbeitet, dass es in Magnesia eine Militärsiedlung gab, die vermutlich
30
So von Ihnken 1978, 49 betitelt. Deutsche Übersetzung: „Sie (d. h. die Gesandten) wurden zu den in Magnesia lebenden Bewohnern und zu den übrigen Reitern und Infanteristen geschickt.“ 32 Ihnken 1978, 43–44. Zur Datierung cf. auch Cohen 1995, 216–217. 31
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von Antiochos I. gegründet worden war. Sie soll aus fest in der Stadt angesiedelten Veteranen (ἐμ Μαγνησίαι κατοίκοι) und aus in Feldlagern stationierten aktiven Verbänden (ὑπαίθροι) bestanden haben, die noch einmal in Reiter (ἱππεῖς) und Infanteristen (στρατιώτας) untergliedert werden können. Mit ihnen wurde im Vorfeld des Abkommens also explizit verhandelt. Und beide Gruppen agierten getrennt voneinander, da ausdrücklich erwähnt wird, dass bei der ersten Kontaktaufnahme zwei Gesandte der einen Gruppe und zwei Gesandte der anderen Gruppe nach Smyrna kamen. So schickten die κατοίκοι Potamon und [Hi]erokles, während die ὑπαίθροι Damon und Apolloniketes entsandten (Z. 21). Daneben gab es in Magnesia auch noch eine Zivilbevölkerung, die aber erst in dem Vertrag und dann in dem zweiten smyrnäischen Dekret genannt wird. Sie findet Erwähnung als οἱ ἄλλοι οἰκηταί33 bzw. καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς οἰκοῦντας ἐμ Μαγνησίαι.34 Anscheinend war die Zivilbevölkerung zunächst nicht als Verhandlungspartner in den Prozess des Vertragsabschlusses einbezogen. Dies ändert sich in dem zweiten Teil der Inschrift, in der sie gleich nach der Datierung unter den Gruppen aufgeführt ist, mit denen die Smyrnäer Freundschaft schließen (Z. 35): οἱ ἐμ Μαγνησίαι κάτοικοι (1) οἵ τε κατὰ πόλιν ἱππεῖς καὶ πεζοὶ (2) κα[ὶ οἱ] ἐν τοῖς ὑπαίθροις (3) καὶ οἱ ἄλλοι οἰκηταί „die Bewohner von Magnesia, die in der Stadt sowie in der Umgebung lebenden Reiter und Infanteristen und die anderen Einwohner.“35 Und im Anschluss daran wird noch einmal ausdrücklich aufgeführt, wem die Smyrnäer mit diesem Vertrag das Bürgerrecht zusichern (Z. 35–37): τὴμ πολιτείαν ἔδωκαν Σμυρναῖοι τοῖς ἐμ Μαγνησίαι κατοίκοις (1) τοῖς τε κατὰ πό[λ]ιν ἱππεῦσι καὶ πεζοῖς (2) καὶ τοῖς ὑπαίθροις (3) καὶ τοῖς [ἄλλοις τοῖς] οἰκοῦσι τὴμ πόλιν „Die Smyrnäer sollen das Bürgerrecht den Bewohnern von Magnesia verleihen, den in der Stadt sowie in der Umgebung siedelnden Reitern und Infanteristen und den in der Stadt lebenden anderen Einwohnern.“36
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So zu lesen in Zeile 35, vgl. auch Z. 36, 43–44, 49–50, 59–60, 71–72 und 73–74; deutsche Übersetzung: „die anderen Einwohner“. 34 Siehe Z. 92; deutsche Übersetzung: „und den anderen, die in Magnesia wohnen“. 35 Cf. zu den in und um Magnesia lebenden Bevölkerungsgruppen Ryan 2020, 61–62. 36 Zu der Ergänzung ἄλλοις τοῖς cf. Ihnken 1978, 68.
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Damit keine Missverständnisse auftreten, dass diese zuletzt genannte Gruppe sehr wohl auch Einschränkungen umfasst, wird in Zeile 45 „die anderen Einwohner“ betreffend noch ergänzt: ὅσοι ἂν ὦσιν [ἐ]λεύθεροί τε καὶ Ἕλληνες.37 Es wird an diesen Formulierungen und Ergänzungen sehr deutlich, dass man genau festzuhalten versucht, wer nun die in dem Vertrag festgelegten Privilegien erhält.38 Das Bestreben, die Bevölkerung von Magnesia umfassend zu benennen, spiegelt sich auch in den Regelungen zum Siegeln des Vertrags. Während auf der Seite Smyrnas eindeutig die Strategen und Exetasten siegeln sollen, ist die Formulierung für diejenigen, die für Magnesia siegeln, sehr viel allgemeiner formuliert: „Es sollen diejenigen siegeln, welche die Gemeinschaft der Einwohner von Magnesia bestimmt“ (οὓς ἄν ἀποδείξηι τὸ κοινὸν τῶν ἐμ Μαγνησίαι). Hieran ist m. E. nicht nur abzulesen, dass es in Magnesia keine mit Smyrna vergleichbaren Ämter gab, sondern auch die Absicht zu erkennen, das gemeinsame offizielle Ratifizieren durch die unterschiedlichen Einwohnergruppen in den Vordergrund zu rücken. Schließlich war mit dem Friedens- und Sympolitievertrag keine Zersplitterung Magnesias beabsichtigt, sondern eine Eingliederung und allgemeine Akzeptanz der Sympolitie aller in und um Magnesia lebenden Bevölkerungsgruppen, ganz gleich, ob es zivile Einwohner oder Militärkolonisten waren. Offensichtlich sollte man sich gemeinsam auf Repräsentanten (Plural!) einigen, die für alle Magnesier verbindlich siegeln. Es kann somit angenommen werden, dass die Formulierung τὸ κοινὸν τῶν ἐμ Μαγνησίαι alle diejenigen bezeichnet, die mit diesem zu siegelnden Vertrag das smyrnäische Bürgerrecht erhalten sollen. Die Inschrift reflektiert somit, wie zivile und militärische Bevölkerung organisatorisch verwoben sein konnten, um gemeinsam zu agieren,39 und lässt dies im Phänomen des Siegelns augenscheinlich werden. Während die Smyrnäer mit dem Siegel der Stadt (τῆς πόλεως) siegeln, verwenden die Magnesier ein Siegel, das sie gemeinschaftlich haben (ὑπάρχοντι κοινῶι). Diese ungelenk wirkende, wenig standardisierte Formulierung macht nochmals deutlich, worum es bei dem Akt des Siegelns in diesem Vertrag ging: 37
Deutsche Übersetzung: „diejenigen, die frei und Griechen sind“. Zur Diskussion, wer unter „Freien“ und „Griechen“ zu fassen ist, cf. Ihnken 1978, 71. Die Nennung von Griechen an dieser Stelle kann im Kontrast zu den Regelungen für Palaimagnesia gelesen werden, da dort auch persische Truppen aufgeführt werden (Z. 104). So stellt Daubner 2011, 41 zu Recht heraus, wie inhomogen die Ansiedlung von Militärs oder Veteranen unter den Seleukiden und Attaliden war und dass kein einheitliches System dahinterstand. Zu den persischen Katoikoi in Palaimagnesia cf. Fingerson 2007. 38 Dies wird auch daran deutlich, dass es noch eines zweiten Dekretes bedarf, um die Bevölkerung von Palaimagnesia, die demnach in diesem ersten Abkommen nicht eingeschlossen war, vertraglich einzubinden. 39 Vgl. eine Inschrift aus dem lydischen Philadelphia (Gschnitzer/Keil 1956, Nr. 4=TAM V 3, 1425; SEG 17,524). Darin wird ein κοινόν τῶν πολιτῶν (Z. 1–2) erwähnt, das die Gymnasion-Ausbildung der Epheben regeln sollte. Zur Interpretation cf. Daubner 2011, 55.
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die Zustimmung der Gemeinschaft, die bildlichen Ausdruck in dem gemeinsamen Siegel fand. Es ist das gemeinschaftliche, dauerhaft vorzeigbare Zeichen der Zustimmung.40 Dass dabei die Smyrnäer, die den Vertrag unterbreiten, und die Magnesier, die den Vertrag annehmen, unterschiedliche Positionen innehaben, wird beim Akt des Siegelns sprachlich deutlich unterschieden. Während das Siegeln der Beamten aus Smyrna mit dem Simplex σφραγίζεσθαι beschrieben wird, wird für die von Magnesia geforderte Siegelung wie auch schon im ersten Teil der Inschrift (cf. Z. 28) das Verb συνσφραγίζεσθαι verwendet. Die Vorsilbe συν- unterstreicht, dass die Magnesier ihr Siegel hinzufügen. Im Deutschen könnten wir das Verb „besiegeln“ an dieser Stelle nutzen, um deutlich zu machen, dass mit diesem Siegel die Vertragsinhalte als von den Siegelnden akzeptiert gelten.41 Diese sprachliche Unterscheidung ist zudem von Bedeutung, da der Akt des Besiegelns als Fristbeginn für die Bereitstellung von Unterkünften für diejenigen, die nach Smyrna umsiedeln wollen, genutzt wird. So verpflichtet sich Smyrna für sechs Monate nach Besiegelung des Vertrags zu dieser Leistung (cf. Z. 56–59). Dem Siegeln kommt damit eine relevante Bedeutung für das verbindliche Umsetzen der in dem Vertrag festgesetzten Rechte und Pflichten zu.42 Es fällt weiterhin ins Auge, dass die auszutauschenden Urkunden sowohl mit den Siegelringen der beauftragten Personen gesiegelt wurden als auch mit dem jeweiligen Gemeinschaftssiegel. 43 Hier finden wir ein Phänomen wieder, das schon bei den oben untersuchten Inschriften aus Athen beobachtet werden konnte, das Kombinieren von persönlichen und gemeinschaftlichen Siegeln. Es muss sich demnach auf den Dokumenten eine Vielzahl von Siegeln befunden haben; das 40
Vgl. in Athen die Praxis, dass die Übergabe des Siegels als Zeichen für Amtsbeginn bzw. -ende des Vorsitzenden der Prytanen galt. Siehe dazu Haensch 2006, 268. 41 Cf. Ihnken 1978, 109–110. Er sieht die Siegelung des Vertrages durch die magnesische Seite als „endgültige Besiegelung“, als Ratifizierung des Vertrages und damit als Eingeständnis der Niederlage. 42 Vgl. Heuß 1934, 218, wonach die völkerrechtliche Abschlusshandlung in der Regel allein in dem mündlichen Schwurakt liegt. Heuß sieht in dem vorliegenden Vertrag eine Besonderheit, da der üblichen mündlichen Vollzugsform eine besondere Variante an die Seite gestellt wird, die sich womöglich daraus ergibt, dass die Soldatensiedlung kein übliches Vertragssubjekt ist (1934, 230). Haensch 2006, 279 mit Anm. 60 spricht bei dem Akt des Siegelns von einer „konstitutiven Bedeutung“ und weist darauf hin, dass im 3. Jahrhundert v. Chr. auch im öffentlichen Bauwesen auf Delos das Siegeln den Beginn einer Frist setzt; cf. Dürrbach 1911, 43, Z. 23. 43 Ihnken 1978, 111 wertet die Verwendung des Begriffs „Ring“ (δακτύλιος) für ein Gemeindesiegel in diesem Zusammenhang als ungewöhnlich, vgl. dazu aber die aktuellen Forschungen von Torben Schreiber, der in seinem Artikel zu den Siegeln aus dem Archiv von Doliche (Schreiber, Archiv von Doliche, in diesem Band) feststellt, dass große und flache Siegelabdrücke von Vollmetallringen stammen, wobei gerade die Größe für ihn ein Kennzeichen für ‚offizielle‘ Siegel ist.
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gemeinschaftliche Siegel ersetzte das Siegeln mit dem persönlichen Siegel also nicht.44 In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Urkunden nicht von beiden Städten gemeinsam gesiegelt werden, jeder siegelt offensichtlich nur das für den anderen Vertragspartner bestimmte Exemplar. Zusammenfassend ergeben die Hinweise in dieser Inschrift folgenden Eindruck: Das Siegeln ist ein Bestandteil des kommunikativen Prozesses im Rahmen von Sympolitie- bzw. Friedensverhandlungen, es bringt die Zustimmung zu ausgehandelten Rechten und Pflichten zum Ausdruck und es setzt den Verhandlungen ein symbolisches Ende sowie den Startschuss für die Umsetzung der Beschlüsse. Die Pluralität der Siegel symbolisiert dabei vermutlich die breite Akzeptanz und das Eingestehen von offizieller Zuständigkeit und persönlicher Verantwortung, die dadurch unterstrichen wird, dass sowohl das Gemeinschaftssiegel als auch das persönliche Siegel verwendet werden. Es ist zu vermuten, dass das Siegeln in der vorliegenden Inschrift auch dadurch eine besondere Funktion erhält, dass die Bevölkerung von Magnesia disparat ist und insbesondere durch das Siegeln mit dem gemeinsamen Siegel die Gesetzmäßigkeit und damit Gültigkeit der Beschlussfassung festgestellt werden sollte. Um die Relevanz des Siegelns einschätzen zu können, muss aber auch für diese Inschrift betont werden, dass das Siegeln von anderen Ritualen begleitet wird: So werden Schwurhandlungen45 und das Anfertigen von fünf (!) Abschriften zur Publikation an öffentlichen Plätzen als verpflichtend festgehalten. 4. Vertrag zwischen Eupolemos und den Theangeleern Auf dem Burgberg der kleinasiatischen Stadt Theangela wurde eine fragmentarisch erhaltene Inschrift gefunden, die einen Vertrag zwischen Eupolemos und den Theangeleern überliefert.46 Eupolemos ist in der Forschung eine schillernde Figur. Vermutlich war er ein makedonischer General Kassanders und von diesem in Kleinasien eingesetzter Stratege, dem es am Ende des 4./Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. in den Wirren der Diadochenkriege gelang, in Karien einen Herrschaftsbereich aufzubauen.47 Dazu schloss er Verträge mit den Gemeinwesen und
44
Eine ähnliche Gegenüberstellung von privater und gemeinschaftlicher Handlung findet sich in der Inschrift in Zeile 10, so sollen die drei Seleukiden nicht nur gemeinschaftlich von der Menge (κοινῆι ὑπὸ τοῦ πλήθους), sondern auch von jedem einzelnen Bürger (ὑφ‘ ἑκάστου τῶν πολιτῶν) verehrt werden. 45 Zu den Eidesleistungen cf. Williamson 2013, 132–135. 46 StV III 429, Rostovtzeff 1931 mit Abbildung, französischer Übersetzung und Kommentar. 47 Einen guten Forschungsüberblick mit der grundlegenden Literatur bietet das Münzportal der Universität Köln unter dem Link http://muenzen.uni-koeln.de/portal/databases/id/ muenzen/titles/id/AM_0597.html?l=de (zuletzt eingesehen am 7.11.2020).
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prägte eigene Münzen.48 In diesen Zeitraum gehört auch das Bündnis49 mit den Theangeleern. Die in der Inschrift genannten Vertragspartner des Eupolemos sind die zivile Bevölkerung von Theangela (πόλις) sowie die sich in der Stadt befindlichen (ehemaligen) Söldner (στρατιώτοι). Neben Eupolemos werden die Anführer Philippos, Damagathos und Aristodemos namentlich genannt. Bei einem Vergleich mit der Inschrift von Magnesia fallen einige Besonderheiten auf, die Rückschlüsse auf die Siegelpraxis geben. Während im Sympolitievertrag von Magnesia und Smyrna ausdrücklich festgehalten wird, dass beide Vertragsparteien jeweils das dem Partner auszuhändigende Exemplar des Vertrags siegeln sollen, ist eine ähnliche Formulierung der Gegenseitigkeit in der vorliegenden Inschrift nicht zu finden: Es wird nur festgehalten, dass der Vertrag von Eupolemos besiegelt und den Theangeleern übergeben wird.50 Auch ein Eid ist nicht von beiden Vertragspartnern überliefert, sondern allein von Eupolemos. In diesem Eid verpflichtet sich Eupolemos auf folgende Dinge: Ich werde tun, was zwischen mir, der Stadt und den Soldaten vereinbart wurde (ἐμμενῶ οἷς ὡμολόγηκα); ich werde die Verträge (συνθήκας) zeichnen (σημανοῦμαι)51; ich werde den Theangeleern [die Verträge] gesiegelt zurückgeben (ἀποδώσω ἐσφραγισμένας Θεαγγελεῦσι); ich werde die Stadt nicht daran hindern, den Eid und die Verträge abzuschreiben. Die Aktivitäten der Theangeleer sind als Reaktion zu lesen: Sie schreiben den Eid und die Verträge auf eine Stele (ἀναγράψαι τὰς συνθήκας καὶ τὸν ὅρκον) und wollen diese in einem Heiligtum ihrer Wahl aufstellen (στῆσαι ἐν ἱερῶι ὧι ἂν βούλωνται). Aus der Inschrift spricht, wie Sebastian Scharff in seiner Dissertation herausgearbeitet hat, ein starkes Sicherheitsbedürfnis der Theangeleer.52 Um eine ge48
Marek 2017, 252 mit Anm. 16. Zur Diskussion, ob Eupolemos eine dynastische Herrschaft innehatte cf. kritisch Descat 1998, 184–185. 49 Es werden die Begriffe συνθήκαι und ὁμολογία benutzt, die von der Forschung unterschiedlich interpretierend übersetzt werden mit: Friedensvertrag, Kapitulationsvertrag, Bündnisvertrag. 50 Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Inschrift nur fragmentarisch erhalten ist. So wäre es grundsätzlich möglich, dass ein solcher Eid der Theangeleer in einem ersten, nicht erhaltenen Teil eingeschrieben war. 51 Scharff 2016, 133 übersetzt: „Und ich werde den Vertrag, den ich mit den Theangeleern geschlossen habe, siegeln und den Theangeleern gesiegelt übergeben.“ Allerdings spiegelt die deutsche Übersetzung nicht die Varianz im Griechischen. Vgl. auch die häufige Formulierung σεσήμαντ[α]ι τῆι δημοσίαι σφραγῖδι („gesiegelt mit dem öffentlichen Siegel“); cf. dazu auch Hartmann 2013, insbes. 193 mit Anm. 35 und 36. 52 Scharff 2016, 132–133 argumentiert, dass gerade die Position der Stärke es Eupolemos erlaubte, auf einen Eid der Gegenseite zu verzichten, denn er sei jederzeit in der Lage
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wisse Garantie dafür zu haben, dass Eupolemos seine Versprechen hält, wird er mit einem detaillierten Eid auf seine Zusagen verpflichtet, bevor ihm die Stadt übergeben wird. Und in diesem Eid kommen dann noch weitere Sicherheitsmechanismen zum Ausdruck: die Übergabe eines gezeichneten und gesiegelten Vertragsexemplars sowie das öffentliche Aufstellen der Vertragsabschrift. Korrelieren wir diese Beobachtung mit der Inschrift aus Magnesia, ergibt sich ein vergleichbares Prozedere nach der Kapitulation, denn auch dort wird neben53 dem Eid das Siegeln der Verträge und das Aufstellen von Abschriften festgehalten. Sowohl in der Magnesia-Smyrna-Inschrift als auch in der Eupolemos-TheangelaInschrift spiegelt sich der Versuch, eine Ordnung nach der Kapitulation vorzubereiten. Die Theangeleer ringen dazu Eupolemos einige Zusagen ab, bevor sie ihm ihre Stadt übergeben. Im Anbetracht ihrer Lage erscheint das Auftreten des Bürgerverbands von Theangela in dieser Inschrift überraschend forsch: So werden sie mehrfach als πόλις (Z. 11, 20 und 27) bezeichnet. Zudem zeigt die Formulierung οὐ κωλύσω (Z. 27) – Eupolemos werde die Stadt nicht am Aufstellen der Abschrift von Vertrag und Eid in einem Heiligtum ihrer Wahl hindern –, dass die Theangeleer ihre bisherigen Rechte einfordern, die sie unter dem Schutz des Eupolemos weiterhin genießen wollen. Diese Formulierung respektiert die Autonomie der Stadt in weitaus stärkerem Maße als eine Bitte um Erlaubnis zur Veröffentlichung, die für die unterworfenen Städte ansonsten charakteristisch ist.54 Nun muss aber zugleich gesehen werden, dass im Fokus der Zugeständnisse des Eupolemos gerade nicht die Bürger von Theangelea stehen, sondern verschiedene Gruppen, die sich dort in dem Moment aufhalten und deren Status nach der Kapitulation als prekär bezeichnet werden muss: (1) Die Söldner. Den Söldnern der drei genannten Anführer sollen vier Monatsgehälter gezahlt werden. Zudem werden Aristodemos und allen Soldaten, die zukünftig in den Dienst des Eupolemos eintreten, zwei zusätzliche Monatsgehälter zugesprochen. Die Artillerie soll vier Monatsgehälter erhalten. Weiterhin wird allen Soldaten, die aus der Stadt fortziehen wollen, freier Durchzug durch das Gebiet des Eupolemos gestattet, sie müssen auch keine Abgaben für ihre Habe zahlen. All denjenigen Söldnern, die in den Dienst des Eupolemos treten, wird ein Stück Land in Pentachora zugesprochen.55
gewesen, seine Forderung nach Übernahme der Stadt durchzusetzen. Die zugesicherte Soldzahlung, die vor der Übergabe der Stadt erfolgen sollte, wertet Scharff als Misstrauen gegenüber Eupolemos. 53 Es ist allerdings zu bemerken, dass in der Magnesia-Smyrna-Inschrift diese Sicherheitsmechanismen nach dem Eid genannt werden, während sie in der Eupolemos-TheangelaInschrift in den Eid eingebettet sind. 54 Cf. Rostovtzeff 1931, 20: „Je n’ai trouvé aucune clause semblable dans d’autres traités.“ 55 Zu der Bedeutung eines solchen Zugeständnisses cf. Chaniotis 2005, 84.
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(2) Deserteure. 56 Allen Deserteuren, die sich in Theangela aufhalten, wird Amnestie gewährt. (3) Entflohene Sklaven. Für alle Sklaven, die während des Krieges nach Theangela geflüchtet sind, soll es eine Amnestie geben. Für diejenigen, die in Friedenszeiten nach Theangela gekommen sind, sollen die Bestimmungen des zwischen Eupolemos und Peukestas geschlossenen Vertrags gelten. (4) Die Bewohner von Erinaea. Dies waren wohl die Bewohner einer mit Theangela verbündeten Gemeinde, die sich zur Zeit der Kapitulation in Theangela aufhielten.57 Für sie soll eine Amnestie gelten. Die vorliegende Inschrift wirft ein Licht darauf, wie nach den Wirren des Krieges ein geordnetes Zusammenleben vorbereitet wird. Die von Eupolemos gewährte mannigfaltige Amnestie bereinigt die durch Kriegsereignisse geschaffenen außergewöhnlichen Verhältnisse und versucht, eine Grundlage für den zukünftigen sozialen Frieden in der Stadt zu legen. Ebenso wird auch die nach den Kriegshandlungen dringliche Frage, was mit den Söldnern geschehen soll, in den Blick genommen, da ihnen zum einen durch die Soldzahlungen eine vorübergehende ökonomische Absicherung gegeben wird, gleichzeitig aber auch verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft aufgezeigt werden: Auf der einen Seite wird ein geregeltes Verlassen des Gebietes von Eupolemos gewährt, um entweder in die Heimat zurückzukehren oder anderswo in den Dienst zu treten; auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, in den Dienst des Eupolemos einzutreten und sich im vermutlich nahegelegenen Pentachora anzusiedeln. Eupolemos übernimmt hier als siegreicher Vertragspartner Führungsstärke und Verantwortung. Er versucht auf diese Weise, inneren Konflikten vorzubeugen, die letztlich auch seine Herrschaft gefährden konnten.58 In diesem Sinne spricht aus der Inschrift ein Sicherheitsbedürfnis, das für alle darin genannten Gruppen gilt, und so ist auch zu verstehen, dass Eupolemos zugesteht, die Söldner bereits vor Übergabe der Stadt zu bezahlen.59 In diesem Zusammenhang könnte nun auch das Siegel(n) noch eine weitere Bedeutung und Funktionalität haben. Wir sehen in dieser Inschrift den Kontext von Migration: Zum einen Wanderungsbewegungen von ehemaligen Söldnern, denen nun zugesagt wird, abgabenfrei durch das Gebiet des Eupolemos zu ziehen.60 Zum anderen Söldner, denen zugestanden wird, dass sie sich in Pentachora 56
Chaniotis 2004, 489. Chaniotis 2004, 482 bezeichnet die Erinaeae als „probably allies of Theangela“. 58 So stellt Descat 1998, 185 heraus, dass es ein Ziel von Eupolemos war, die Positionen von Peukestas und Antigone zu schwächen, was er gerade durch die Übernahme von Theangela erreichte, das seit Alexander d. Gr. in einen Synoikismos unter der Ägide von Halikarnassos eingebunden war. 59 Vgl. auch Anm. 52. 60 Es kann vermutet werden, dass die Söldner eine Abschrift des Vertrags mit sich führten. Derartige Dokumente könnten für sie eine ähnliche Bedeutung wie martyriai bzw. Di57
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ansiedeln dürfen. Und für den Kontext der Amnestie bildet das von Eupolemos gesiegelte Dokument geradezu die Basis, das als archivierbares Zeugnis dieses Zugeständnis dauerhaft nachweisbar macht. So lässt sich festhalten, dass das von Eupolemos gesiegelte Abkommen signifikante Bedeutung für den Frieden in der Stadt Theangela und die Sicherheit der sich auf Wanderschaft begebenden Söldner hatte. Es bildet die Grundlage für die zukünftige Rechtsprechung und ist ein Nachweis von zugestandenen Privilegien. Aufgrund der Relevanz der Zugeständnisse werden alle zur Verfügung stehenden Sicherungsmechanismen genutzt, und dazu zählte eben auch das eidlich zugesicherte Siegeln des schriftlichen Dokuments durch denjenigen, der diese Inhalte zusagt. Somit ist auch verständlich, warum der Eid nur von Eupolemos geschworen wird und die Übergabe des gesiegelten Vertrags unilateral erfolgte, also nur von Seiten des Eupolemos und nicht auch von den Theangeleern. 5. Antigonos I. Monophthalmos und der Synoikismos von Lebedos und Teos Im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. sollten auf Initiative von Antigonos I. Monophthalmos die an der kleinasiatischen Küste gelegenen Nachbarstädte Teos und Lebedos durch einen Synoikismos vereint werden. Dieser Plan wurde letztlich zwar nur für sehr kurze Zeit oder gar nicht umgesetzt,61 weil sich mit dem Tod des Antigonos die Verhältnisse in Kleinasien deutlich änderten, über die Vorarbeiten sind wir aber durch zwei inschriftlich überlieferte Schreiben des Antigonos an die Teier gut informiert.62 Darin werden beispielsweise die provisorische Unterbringung der Lebedier in Häusern der Teier und der spätere Neubau von Unterkünften geregelt sowie die Frage erörtert, welche Gesetze gelten sollen.63 Während Teos zunächst vorschlägt, dass in der Übergangszeit seine eigenen Gesetze Geltung haben sollen,64 will Lebedos in eine andere Stadt entsenden, um die Geplome des cursus publicus gehabt haben; cf. Chaniotis 2004, 490; Haensch 1996, 456– 457. 61 Cf. Walser 2009, 143. 62 Syll.3 344; RC 3. Die Inschrift wurde in einem Dorf bei Teos gefunden und wird zwischen 306 und 302 v. Chr. datiert. Cf. Wörrle, 2003, 1373 mit Anm. 51 und Pezzoli 2006. 63 Zudem werden Regelungen bezüglich der Delegierten von Lebedos zum Panionion, der Bestattungsplätze für die Toten der Lebedier, Übertragung der lebedischen Schulden auf Teos, Übernahme der lebedischen Proxenoi und Euergeten mit allen Privilegien, laufenden Rechtsstreitigkeiten und Klagemöglichkeiten, Befreiung von Leiturgien und Getreideversorgung getroffen. Einteilung bei Egetenmeier 2016/17, 170–171 mit Anm. 13 auf der Grundlage der Edition von Welles 1966. Walser 2009, 142 weist darauf hin, dass nicht nur Unterkünfte gebaut, sondern dass das städtische Zentrum von Teos zumindest teilweise neu errichtet werden sollte. 64 Dass ein derartiges Vorgehen durchaus üblich ist, belegt beispielsweise die SmyrnaMagnesia-Inschrift, wonach die Magnesier bei Rechtsstreitigkeiten das Recht Smyrnas anwenden mussten (Z. 54–55).
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setze von dort einzuholen. Unter Vermittlung von Antigonos einigt man sich darauf, die auf Kos gültigen Gesetze für die Übergangszeit zu übernehmen und diese später durch ein Gesetzeswerk abzulösen, das von einem paritätisch aus Teiern und Lebediern besetzten Ausschuss erstellt werden sollte. Dieses neue Gesetzeswerk sollte dann noch durch den König selbst oder von einer von ihm bestimmten Schiedsrichterstadt geprüft werden. Der gesamte Prozess sollte innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein. Antigonos wollte eine Aufforderung an Kos schicken, die Abschrift ihrer Gesetze zu erlauben. Diese Erlaubnis traf anscheinend zügig ein, so dass Antigonos anordnete, drei Gesandte zu bestimmen und binnen fünf Tagen nach zu Kos schicken. Diese bekamen den Auftrag, eine Kopie der Gesetze anzufertigen und innerhalb von dreißig Tagen mit den Abschriften zurückzukehren, die das Siegel der Koer tragen (Z. 64: ἐσφραγισμένους τῆι Κώιων σφραγῖδι). Gerade die von Antigonos rigide gesetzten und knapp bemessenen Fristen zeigen deutlich, dass für ihn die Forcierung des Synoikismus, der zeitnah zu einem Abschluss kommen sollte, wichtig war.65 In diesem Zusammenhang ist wohl auch die Funktion des Siegels zu sehen, das von Antigonos ausdrücklich gefordert wird. So sollte auf jeden Fall verhindert werden, dass der Prozess durch etwaige Zweifel an der Authentizität der Abschrift in die Länge gezogen wird. Dies ist von besonderer Bedeutung, da offensichtlich keine gemeinsame Gesandtschaft von Teiern und Lebediern nach Kos geschickt werden sollte. Während ausdrücklich auf die gemeinsame Entscheidung, die Gesetze von Kos als Übergangslösung zu nutzen, hingewiesen wird, wird eine solche Einbindung beider Städte bei der Gesandtschaft nach Kos nicht genannt. Vielmehr richtet sich Antigonos in diesem Zusammenhang nur an die Adressaten seines Briefes, also die Teier: „sie sollen Euch zur Abschrift geben“ (Z. 61: δῶσιν ὑμῖν ἐγγράψασθαι). Erst nachdem die Gesetze aus Kos in Teos eingetroffen sind, werden die Lebedier wieder ausdrücklich in den weiteren Prozess einbezogen: „Euch und den Lebediern“ (Z. 65: ὑμᾶς τε καὶ τοὺς Λεβεδίους). Das Siegel der Koer sollte zum einen sicherlich bestätigen, dass es sich tatsächlich um die Abschrift ihrer Gesetze handelt, zum anderen sollte durch dieses Siegel sichtbar werden, dass in der Übergangszeit die Gesetze eines an der Sympolitie unbeteiligten Gemeinwesens gelten. Dieses Faktum der Neutralität scheint Antigonos offensichtlich sehr wichtig, da er ebenso fordert, dass das neue Gesetzeswerk am Ende von ihm selbst oder einer unbeteiligten Stadt geprüft werde. Das Siegel sollte so die Basis für eine Akzeptanz der Übergangsreglungen legen und damit den Sympolitie-Prozess vor unliebsamen Verzögerungen und Streitigkeiten bewahren. 6. Sympolitie von Stiris und Medeon Während in der soeben präsentieren Inschrift ein neutraler Staat in die Sympolitie von Teos und Lebedos involviert war, können wir bei der Sympolitie der in Pho-
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Cf. Egetenmeier 2016/7, 194.
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kis gelegenen Nachbarstädte Stiris und Medeon einen Fall beobachten, in dem eine Privatperson aus einem neutralen Ort in das Prozedere der Sympolitie einbezogen wird.66 Die Inschrift wurde in der Nähe von Stiris gefunden und ist in das 2. Jahrhundert v. Chr. zu datieren.67 Die Regelungen und Beschlüsse, die vergleichbar mit denen anderer Sympolitie-Inschriften sind, sollen hier nicht näher vorgestellt werden.68 Für unsere Fragestellung interessieren nur die Zeilen 68–76, die einen Blick auf die Funktion des Siegels legen: θέστων δὲ τὰν ὁμο[λογί]αν καὶ παρὰ ἰδιώταν ἐσ[φρα]γισμέναν. ἁ ὁμολογία π[αρὰ] Θράσωνα Λιλαιέα. μάρ[τυ]ρες· Θράσων Δαματρίου Ἐλατεύς, Εὐπαλίδας Θράσωνος Λιλαιεύς, Τιμοκράτης Ἐπινίκου Τιθορρεύς. „Sie sollen ein gesiegeltes Exemplar der Vereinbarung auch bei einer Privatperson hinterlegen. Die Vereinbarung ist bei Thrason von Lilaia. Zeugen waren: Thrason, Sohn des Damatrios, aus Elateia, Eupalidas, Sohn des Thrason, aus Lilaia, Timokrates, Sohn des Epinikos, aus Tithorea.“ In dieser Textpassage wird nach der vereinbarten Aufstellung des Vertrages im Heiligtum der Athena das Hinterlegen eines Vertragsexemplars bei einer Privatperson festgehalten. Diese Person wird in der Inschrift namentlich genannt: Thrason von Lilaia, und er wird ausdrücklich als ἰδιώταν, also Privatperson, bezeichnet. Bestätigt wird dieser Vorgang durch drei Zeugen, die ebenfalls namentlich genannt sind und deren Herkunft aus verschiedenen phokischen Gemeinwesen aufgeführt wird. Unter den Zeugen befindet sich anscheinend auch der Sohn des Thrason. Dem Haus des Thrason kommt offensichtlich eine Funktion als Archiv zu. Und bei dieser Funktion der Archivierung hat sicherlich das Siegel seine Bedeutung, um die Integrität69 des Vertrages zu bewahren. 66
IG IX 1,32=Syll.3 647. Griechischer Text und deutsche Übersetzung sowie grundlegende Hinweise: StV IV Nr. 653; https://www.beck-elibrary.de/10.17104/9783406767999180/649-657?page=14. Zuletzt eingesehen am 26.11.2020. 67 Schuler/Walser 2015, 353 Anm. 15 datieren die Inschrift um ca. 175 oder um 135 v. Chr. 68 Cf. Schuler/Walser 2015, 365–366. 69 Cf. Heuß 1934, 227. Dieser Begriff ist in diesem Zusammenhang als ein aus der Informationssicherheit übernommener Terminus zu lesen. Dort wird mit „Integrität“ das Verhindern unautorisierter Modifikation von Informationen bezeichnet (Information Technology Security Evaluation Criteria ITSEC 1991, 1: https://www.bsi.bund.de/Shared/Docs/ Downloads/DE/BSI/Zertifizierung/ITSicherheitskriterien/itsecen_pdf.pdf?blob=publicati onFile). Zuletzt eingesehen am 26.11.2020.
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In der Inschrift wird nicht erwähnt, von wem dieses Dokument gesiegelt ist, es wird weder eine durch das Siegeln gemeinsame Übereinkunft der Medeonier und Stirier, noch eine staatliche Autorisierung durch das ausdrückliche Verwenden eines öffentlichen Siegels herausgestellt. Vielmehr sollte eine möglichst sichere Verwahrung des Dokumentes außerhalb von Stiris dokumentiert werden. Diese scheint in der von dem Vertrag nicht direkt betroffenen Stadt Lilaia gegeben, die ebenfalls dem Phokischen Bund angehört. Um diese Sicherheit noch einmal zu unterstreichen, werden Zeugen aus weiteren neutralen Ortschaften in den Akt der Archivierung eingebunden und in der Inschrift namentlich genannt. Eine rechtliche Bedeutung des Siegels für den Abschluss des Vertrages kann aus dieser Inschrift nicht abgelesen werden.70 Die Funktion des Siegels liegt vielmehr in der sicheren Deponierung des Dokumentes in einem unabhängigen Archiv. 7. Urteil der Knidier im Rechtsstreit zwischen den Söhnen des Diagoras aus Kos und der Stadt Kalymna Die Stadt Kalymna (südliche Ägäis) hatte etwa in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. einen erheblichen Kredit bei Pausimachos und Hippokrates, zwei Privatiers aus Kos, aufgenommen. Die Erben des Pausimachos fordern einige Jahrzehnte später, dass die Stadt die noch verbliebenen Schulden endlich an sie zurückzahlen solle. Die Kalymner bestreiten jedoch, dass noch Schulden ausstünden, da sie das Geld bereits vollständig an die Erben des Hippokrates zurückgezahlt hätten. Der Streit erwächst daraus, dass es zwei Geldgeber gegeben hatte. Während die Kalymner vorbringen, dass sie den Kredit vollständig zurückbezahlt hätten, stellen die Erben des Pausimachos fest, dass sie ihnen noch 30 Talente schuldeten und dass diese Schuld nicht durch eine Zahlung an die Erben des Hippokrates aufgehoben sei. Ein Gericht aus Knidos (Kleinasien) übernimmt71 in diesem Streit die Vermittlerposition und stellt dazu ausführliche Verfahrensregeln auf, die inschriftlich überliefert sind. Die Inschrift ist um 300 v. Chr. zu datieren, sie wurde im Apollon-Heiligtum von Kalymna gefunden.72 Die Kalymner können
70
Cf. Heuß 1934, 227. Cf. Ager 1996, 81: Vermutlich auf Geheiß des Königs Demetrios Poliorketes, an den der Zwist zunächst herangetragen wurde. Die Knidier richten unter dem Vorsitz der Strategen ein Gericht ein, an dem 204 Personen beteiligt sind. 72 Es handelt sich um eine beidseitig beschriebene Marmorstele, die 1,05 m hoch, 0,48 m breit und 0,14 m tief ist. Es können auf der Vorderseite (A) 75 Zeilen gelesen werden, auf der Rückseite (B) 38 Zeilen, dort fehlen vermutlich ca. 25 Zeilen, da die Stele am oberen Rand gebrochen ist. Die Stele kann durch ein Fragment ergänzt werden, das in einer nahegelegenen Kirche verbaut wurde. Dieses trägt die rechte Seite der Zeilen 1–26 der Vorderseite. Editionen: Syll.3 (1917) Nr. 953; Segre 1952, Nr. 79 mit ausführlichem Kommentar und Fotos; Blümel 1992, Nr. 221 mit kurzem Kommentar und grundlegender Literatur; Ager 1996, Nr. 21 mit Besprechung der Inschrift; Cassayre 2014, Nr. 11 mit französischer Übersetzung. 71
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letztlich glaubhaft nachweisen, dass sie die Zahlungen geleistet haben, und werden von der Anklage freigesprochen. Da die Richter aus Knidos nicht in die beteiligten Gemeinwesen kamen, sondern von ihrer Heimat den Fall beurteilten, forderten sie vor Prozessbeginn schriftliche Unterlagen aus den Archiven und eidesstaatliche Zeugenaussagen ein. Sie machten dazu genaue Vorschriften, wie die Beweismittel erstellt und überbracht werden sollten, wobei Siegel mehrfach erwähnt werden. Diese Textstellen sollen nun vorgestellt und die in ihnen greifbaren Funktionen des Siegelns beleuchtet werden. 1) Zur Vorbereitung des Prozesses sollten Anklageschriften und Vorladungen vorgelegt sowie alle notwendigen Unterlagen aus den Archiven geholt werden, wobei jede an dem Prozess beteiligte Partei Dokumente vor das Gericht in Knidos bringen durfte. Allerdings ist diese Regelung an die Bedingung geknüpft, dass die Unterlagen mit dem öffentlichen Siegel beider Städte gesiegelt sind, und zwar in der Weise, wie es die beiden Städte festgelegt haben (Seite A, Z. 35–36).73 Durch das Siegeln mit dem öffentlichen Siegel der Stadt sollte offensichtlich die Legitimität der vorgelegten Dokumente sichergestellt sein. Es konnte so mittels des Siegels zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich tatsächlich um Beweisstücke aus dem Archiv der einen bzw. anderen Stadt handelt und dass sie von der jeweiligen Partei vorgelegt werden, also nicht von der gegnerischen Seite untergeschoben sind. Der ausdrückliche Verweis auf das Einhalten der gegenseitigen Absprachen beim Siegeln sollte vermutlich die Akzeptanz des Beweismaterials von beiden Seiten sicherstellen. 74 Das Siegel symbolisiert eine gemeinsam zuvor getroffene Konvention. Außerdem wird an dieser Absprache deutlich, dass in den Streit, der auf Kos eigentlich nur Privatpersonen betroffen hatte, nun auf beiden Seiten die Städte involviert werden, da diese sich über die Verwendung amtlicher Siegel verständigen. So genügte es ausdrücklich nicht, dass die Erben des Pausimachos bzw. Hippokrates die Beweisstücke als Privatpersonen siegeln. Damit wird der Fall von öffentlichem Interesse für die Kalymner und Koer. 2) Diese mit Siegeln versehenen Unterlagen sollten den Strategen, die den Gerichtsvorsitz innehatten, vorgelegt werden. Die Strategen sollten die Dokumente dann den mit dem Verfahren betrauten Anwälten beider Seiten zugänglich machen, nachdem sie die Siegel gelöst hatten (Z. 37: λύσαντες). Diese Formulierung lässt Rückschlüsse auf die Funktion des angebrachten Siegels zu: Das Siegeln hatte offensichtlich eine Verschlussfunktion. So konnte sichergestellt werden, dass Inhalte auf dem Weg vom Archiv in Kalymna bzw. auf Kos zum Gericht von Knidos nicht verändert wurden. Das Lösen dieses Siegels oblag vor Ort den neutralen Vorsitzenden des Gerichts. Erst im Anschluss daran war es der Gegenpartei möglich, Einsicht in das vorgelegte Beweisstück zu nehmen. 73
Z. 35–36: ἐσφραγισμένα τᾶι δαμοσίαι σφραγίδι πόλιος ἑκα[τέρας] καθά κα ἑκατέρα ἁ πόλις ψαφίξηται. 74 Cf. Ager 1996, 82.
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3) Der Umgang mit den Zeugen ist ebenfalls genauestens geregelt, diese sollten vornehmlich persönlich nach Knidos vor Gericht kommen. Diejenigen, denen dies nicht möglich war, sollten an einem bestimmten, genau festgesetzten Tag in Kos bzw. Kalymna vor die Prostatai treten und ihre Zeugenaussage unter Eid abgeben und ebenso beschwören, dass sie nicht persönlich nach Knidos kommen können. Es ist dann die Aufgabe des Prostates, die Zeugenaussage mit dem staatlichen Siegel zu besiegeln (Z. 53–54).75 Ein Siegel des Zeugen ist an dieser Stelle nicht erwähnt. Offensichtlich waren Vertreter der jeweils anderen Gemeinde bei diesen Zeugenaussagen anwesend – also in Kos Vertreter aus Kalymna und andersherum – und sie sollten zum öffentlichen Siegel des Prostates ebenfalls ein Siegel hinzusetzen (Z. 54: παρασαμαινέσθω). Dass diese Vertreter die Zeugen in ein Kreuzverhör nehmen und ebenfalls befragen können, ist nicht erwähnt; dies war offensichtlich nur bei den Zeugen möglich, die vor Gericht in Knidos erschienen. Eine Kopie des offiziellen, gesiegelten Dokuments der Zeugenaussage sollte umgehend angefertigt werden, diese war für die gegnerische Partei bestimmt. Es wird dabei nicht erwähnt, dass diese Kopie gesiegelt sein muss, wobei allerdings nicht auszuschließen ist, dass dieses Exemplar einen einfachen Urkundenverschluss trug, der nicht gesiegelt war. 4) Die Prostatai von Kos sollten Kopien aller Zeugenaussagen innerhalb von zwanzig Tagen sowohl nach Knidos als auch nach Kalymna schicken. Die nach Knidos verschickten Dokumente sollten mit dem öffentlichen Siegel gesiegelt sein (Z. 61–62: ἐσφραγισμένα τᾶι δαμοσίαι σφραγίδι), die nach Kalymna blieben unversiegelt (Z. 62: ἀσφάγιστα).76 Dieselbe Regelung wird nahezu wortwörtlich auch von den Prostatai von Kalymna gefordert. Die parallel für beide Städte formulierten Bestimmungen unterstreichen wiederum die neutrale Gleichbehandlung der beiden Parteien durch das Gericht von Knidos. Wie bereits unter 1) wird auch an dieser Stelle betont, dass die dem Gericht vorgelegten Dokumente ausdrücklich das öffentliche Siegel tragen sollen, wohingegen die zur Information für die jeweils andere Partei bestimmten Kopien nicht gesiegelt sein mussten. In dieser Inschrift fassen wir also an mehreren Stellen ein gezieltes Verwenden bzw. Nichtverwenden des Siegels, wobei die herausragende Bedeutung des Siegelns daraus erwächst, dass in diesem Prozess viele schriftliche Unterlagen gefordert sind: angefangen von der Anklageschrift über Beweisdokumente bis zu eidesstaatlichen Erklärungen von Zeugen, die nicht persönlich in Knidos erscheinen können. Es wird auf der einen Seite ausdrücklich gefordert, dass die vor Gericht verwendeten Dokumente mit dem öffentlichen Siegel gesiegelt sein müssen, so 75
Z. 53–54: ἐγμαρτυρηθείσας ἐπ’ αὐτῶν ἐπισαμαινέσθω τᾶι δαμοσί[αι σφρα]γίδι. Vgl. die französische Übersetzung von Aude Cassayre, die dies gut zum Ausdruck bringt (Cassayre 2014, 99). Der Kommentar von Sheila Ager ist an dieser Stelle sehr oberflächlich und nimmt keinen Bezug darauf, dass eine Version gesiegelt ist, die andere aber nicht: „The two disputing states were then to exchange copies of all the evidence given in this manner, an act that had to be carried out in twenty days.“ (Ager 1996, 82). 76
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dass beide Seiten ihre Anerkennung als Beweismittel damit zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig wird ausdrücklich festgehalten, dass die Kopien der Zeugenaussagen, die an das jeweils andere Gemeinwesen geschickt werden, nicht gesiegelt verschickt werden, sie dienten offensichtlich zur einfachen Information. So lassen sich in dieser Inschrift Funktionsunterschiede von gesiegelten und ungesiegelten Dokumenten fassen, die sich inhaltlich gar nicht unterscheiden. Ein ähnliches Phänomen kann bei den Zeugenaussagen beobachtet werden: Während das Gericht von Knidos vorschreibt, dass die Prostatai von Kos bzw. Kalymna jede Zeugenaussage mit dem öffentlichen Siegel siegeln müssen, damit sie vor Gericht verwendet werden kann, können die anwesenden Gesandten des jeweils anderen Gemeinwesens ihren Siegelabdruck dazusetzen; hier wird nicht ausdrücklich festgehalten, dass es sich um ein öffentliches Siegel handeln muss. Alles in allem sollten die verwendeten öffentlichen Siegel im vorliegenden Gerichtsprozess Legitimität, Akzeptanz und Authentizität zum Ausdruck bringen und Schriftstücke, die als Beweismittel dienen, vor Manipulation schützen. Gleichzeitig ist aber auch in dieser Inschrift zu beobachten, dass das Siegeln von weiteren Schutzmechanismen wie der Einbindung einer neutralen Stadt in den Rechtsstreit, dem Ablegen eines Eides oder der Beobachtung der Zeugenaussagen durch Gesandte der jeweils anderen Stadt begleitet wird. 8. Ehrendekret der Stadt Eretria für Kos Bis in das 2. Jahrhundert v. Chr. werfen nur wenige Inschriften ein Licht auf das Siegelwesen, von denen hier einige vorgestellt wurden. Die Anzahl der Belege steigt im 2. Jahrhundert v. Chr. rapide an, da nun in den zahlreichen Ehrendekreten77 häufig festgehalten wird, dass ein mit dem öffentlichen Siegel versehenes Exemplar des Beschlusses in die Heimatstadt des Geehrten gebracht werden soll. So ist beispielsweise auf einer Marmorstele aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts, die im Asklepeion auf Kos gefunden wurde, zu lesen (Z. 3–8):78 Ἐρε[τριέω]ν οἱ ἄρχοντες καὶ ἡ πόλις Κώιων τῆι βου[λῆι καὶ] τῶι δήμωι χαίρειν· vacat τῶν ἐψηφισμέ– νω[ν ὑφ᾿ ἡμ]ῶ̣ν τιμῶν τῶι τε δήμωι ὑμῶν καὶ τοῖ[ς ἀποσ]ταλεῖσι δικασταῖς ἀπεστάλκα– μεν [ὑμῖν ἀν]τ̣ίγραφον σφραγισάμενοι τῆι δημο– σίαι [σφραγ]ῖδι, ἵνα παρακολουθῆτε vacat ἔρρωσθε. „Die Amtsträger und die Stadt der Eretrier grüßen den Rat und das Volk der Koer. Von den durch uns beschlossenen Ehren für Euer Volk und die 77
Das Ehrendekret gibt im Gegensatz zur Ehreninschrift den Text des Beschlusses oder zumindest in verkürzter Fassung den Inhalt wieder, cf. Gschnitzer 1994, 282. 78 IG XII 4,1,169. Es handelt sich um eine Marmorstele, die einen Begleitbrief und ein Ehrendekret der Stadt Eretria für Richter aus Kos enthält. Sie wird vor die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. datiert.
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entsandten Richter haben wir euch eine Abschrift geschickt, gesiegelt mit dem Staatssiegel, damit ihr Kenntnis erlangt. Lebt wohl.“ (Übersetzung Klaus Hallof) Es wird in dieser Inschrift ausdrücklich festgehalten, dass Eretria eine Abschrift (ἀντίγραφον) der sowohl für das Volk der Koer insgesamt als auch für die aus Kos entsandten Richter im Besonderen beschlossenen Ehren nach Kos schickt. Der Zweck dieser Abschrift wird ausdrücklich genannt: Damit die Koer Kenntnis erlangen, sie also über die in Eretria gefassten Beschlüsse informiert sind. Ähnliche Formulierungen finden sich in vielen weiteren Inschriften, sie konnten noch ergänzt sein durch Bitten um weitere schriftliche und mündliche Bekanntmachungen sowie Archivierung in der jeweiligen Polis oder die Forderung einer wohlwollenden Gegenleistung. In der Inschrift wird zudem festgehalten, dass diese Abschrift mit dem öffentlichen Siegel von Eretria gesiegelt war. In diesem Zusammenhang ist nicht erwähnt, wer genau diese Abschrift siegelte. Aus anderen Ehrendekreten können wir schließen, dass damit Amtsinhaber betraut waren, die je nach Polis allerdings anders benannt sind:79 Prostates,80 Strategoi,81 Kosmoi.82 Sie treten in diesen Inschriften als Kollektiv auf, es wird also nicht ein Einzelner genannt, der die Aufgabe des Siegelns übernehmen soll, wodurch die Funktion des amtlichen Siegelns nochmals verstärkt wird. Durch das Siegel sollte der offizielle Charakter des Informationsschreibens unterstrichen werden. 9. Schlussbetrachtung Kommen wir zurück zu der Passage bei Cicero, mit der dieser Beitrag eröffnet wurde, und korrelieren den dort vermittelten Eindruck vom griechischen Siegelwesen mit den Ergebnissen der in diesem Beitrag präsentierten Fallbeispiele. Cicero verwendet als Bezeichnung für den Vorgang des Siegelns das Verb „obsignare“, er spezifiziert den Wortstamm also durch eine Vorsilbe. Ein ähnliches Phänomen finden wir auch in den untersuchten Inschriften. In ihnen konnten die Verben σημαίνω/σημαίνομαι und σφραγίζω für das Siegeln nachgewiesen werden, die mit verschiedenen Vorsilben kombiniert sein konnten (s. Tabelle 1).
79
Cf. die Zusammenstellung bei Haensch 2006, 285. Ehrendekret für den königlichen Funktionär Antipatros: IG XII 4,1,33, Z. 2. 81 Ehrendekret von Chalkis für Richter aus Kos: IG XII 4,1,168, Z. 38. 82 Ehrendekret von Aptera für den Arzt Kallipos aus Kos: IG XII 4,1, 171, Z. 21. 80
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σημαίνω/σημαίνομαι σεσήμανται
Parthenon-Inventarliste (Nr. 1)
κατα-σημηνάσθω
Dekret über die Heilige Au (Nr. 2)
παρα-σημηνάσθω
Dekret über die Heilige Au (Nr. 2)
παρα-σαμαινέσθω
Urteil der Knidier im Rechtsstreit zw. Kos & Kalymna (Nr. 7)
ἐπι-σαμαινέσθω
Urteil der Knidier im Rechtsstreit zw. Kos & Kalymna (Nr. 7)
σφραγίζω σφραγισάμενοι
Ehrendekret der Stadt Eretria für Kos (Nr. 8)
σφραγισάσθωσαν
Vertrag zwischen Smyrna & Magnesia am Sipylos (Nr. 3)
ἐσφραγισμένους
Antigonos I. und der Synoikismos von Lebedos & Teos (Nr. 5)
ἐσφραγισμένας
Vertrag zwischen Eupolemos und den Theangeleern (Nr. 4)
ἐσφραγισμένα
Urteil der Knidier im Rechtsstreit zw. Kos & Kalymna (Nr. 7)
συν-σφραγισαμένων
Vertrag zwischen Smyrna und Magnesia am Sipylos (Nr. 3)
συν-σφραγισάσθωσαν
Vertrag zwischen Smyrna und Magnesia am Sipylos (Nr. 3)
ἀσφράγιστα
Urteil der Knidier im Rechtsstreit zw. Kos und Kalymna (Nr. 7)
Tabelle 1: In den Inschriften verwendete griechische Termini für „siegeln“.
Dabei konnte festgestellt werden, dass diese Vorsilben unterschiedliche Funktionen spiegeln. So wurde in dem Sympolitie- und Friedensvertrag von Smyrna und Magnesia am Sipylos (Nr. 3) das Verb σφραγίζω für das Siegeln durch die Vertreter aus Smyrna gewählt. Smyrna war in diesem Fall die Stadt, von der die Verhandlungen über die Sympolitie ausgingen. Für das Siegeln durch die Vertreter von Magnesia hingegen, des kapitulierenden Gemeinwesens, wird συνσφραγίζω genutzt. Ein ähnliches Phänomen ist auch im Urteil der Knidier im Rechtsstreit zwischen Kos und Kalymna (Nr. 7) zu fassen. Die Zeugenaussagen mussten vom Prostates der jeweiligen Heimatstadt des Zeugen gesiegelt werden, für diesen Vorgang wird das Verb ἐπι-σημαίνω verwendet. Zusätzlich konnten Gesandte der anderen Stadt, die der Zeugenaussage beiwohnten, die Niederschrift siegeln, für diesen Vorgang wird jedoch das Verb παρα-σημαίνω verwendet. Und auch das Dekret über die Heilige Au (Nr. 2) macht diese Unterscheidung: Der Prostates soll verpflichtend siegeln, wofür das Verb κατα-σημαίνω verwendet wird, die Bürger können zusätzlich siegeln, was als παρα-σημαίνω bezeichnet wird. Eine solche terminologische Unterscheidung wird mit unterschiedlichen Funktionen des Siegelns zusammenhängen: Während das verpflichtende Siegeln ein Teil des
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Rechtsaktes sein konnte, sind die zusätzlichen Siegel als Zeichen der Zustimmung zu sehen, die eine Sicherheit geben sollen, dass die getroffenen Vereinbarungen von der Gemeinschaft akzeptiert sowie eingehalten bzw. umgesetzt werden. Das bei Cicero erwähnte Empfehlungsschreiben ist mit dem signum publicum gesiegelt. In den griechischen Inschriften finden wir in ähnlicher Weise die Wendung δημοσία σφραγίς (und regionalspezifische sprachliche Varianten). Es wird also ein Siegel beschrieben, das einen Bezug zum Bürgerverband hat, also nicht mit einer Person in ihrer Privatheit verbunden ist. In der deutschen Forschung werden dazu Termini wie öffentliches Siegel, offizielles Siegel oder staatliches Siegel verwendet.83 Inschrift Nr. 4 spricht in ähnlicher Weise vom Siegeln mit dem „Siegel der Koer“ (τῆι Κώιων σφραγῖδι), Inschrift Nr. 7 nutzt die Bezeichnung „Siegel der Stadt“ (σφραγίδι πόλιος). Im archäologischen Befund können wir solche Siegel durch Aufschriften und Parasemata ausmachen, vielleicht weisen auch Merkmale wie Größe und Qualität auf eine solche Funktion hin.84 Solche Siegel sind offensichtlich in der Hand von hohen Beamten, so wird beispielsweise in den Inschriften Nr. 1 und 7 ausdrücklich erwähnt, dass der Prostates mit dem öffentlichen Siegel siegeln sollte. Das öffentliche Siegel kann als Symbol der allgemeinen Zustimmung des Bürgerverbandes gelesen werden, es perpetuiert damit in gewisser Weise den öffentlich abgelegten Eid, der in einigen Inschriften ebenfalls gefordert wird. Diese Funktion der von (einem) Repräsentanten zum Ausdruck gebrachten symbolischen, gemeinschaftlichen Zustimmung ist sehr gut an der etwas ungewöhnlichen Formulierung in dem Sympolitievertrag von Smyrna und Magnesia (Nr. 3) abzulesen. Hier wird von den Magnesiern gefordert, dass sie mit dem Siegel, „das allen gemeinsam ist“ (τῶι ὑπάρχοντι κοινῶι), siegeln. Die öffentlichen Siegel konnten also die Gemeinwesen in optimaler, knapper Form repräsentieren. Das Siegeln mit dem persönlichen Siegel wird von der Verwendung des öffentlichen Siegels sowohl in Inschrift Nr. 2 als auch Nr. 3 deutlich abgesetzt. Es konnte bereits festgestellt werden, dass in dem Dekret über die Heilige Au (Nr. 2) eine demokratische Teilhabe mit dem Siegeln durch den einzelnen Bürger zum Ausdruck gebracht werden sollte, in Inschrift Nr. 3 liegt die Funktion anders, da dieselben Personen sowohl das öffentliche als auch ihr eigenes Siegel verwenden sollen. Diese Doppelung kann damit erklärt werden, dass die siegelnden Personen bei der Umsetzung der Sympolitie weitere Aufgaben übernahmen, wie z. B. das Anlegen der Liste mit den Namen der neuen Bürger. Während sie als offizielle Repräsentanten mit dem gemeinschaftlichen Siegel die Zustimmung des Gemeinwesens zum Ausdruck brachten, verpflichten sie sich mit ihrem persönlichen Siegel auch auf ihr individuelles Handeln im Rahmen dieser Sympolitievereinbarung. Das Siegel ordnet sich damit in ein Spannungsfeld zwischen öffentlich/
83 84
Cf. Haensch 2006, inbes. Anm. 4 mit weiterführender Literatur. Cf. Schreiber, Im Namen des Königs?, in diesem Band.
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gemeinschaftlich und privat/individuell ein, das an dieser Stelle nur angerissen werden konnte und sicherlich auch noch im weiteren Kontext des griechischen Archivwesens untersucht werden sollte, wobei zum einen die Siegel selbst als auch die Pluralität bzw. Singularität des Siegelns in den Blick genommen werden müssten.85 Cicero streift die Funktion des Siegelns nur kurz, wenn er meint, dass alles gesiegelt wird, was notwendig ist. Dies ist sehr allgemein und es sollte daher abschließend auch noch einmal betrachtet werden, was zur Funktion und Intention des Siegelns aus den untersuchten Inschriften abgelesen werden kann. Das Siegel konnte in der Form des Versiegelns eine Verschlussfunktion haben und sollte so die Unversehrtheit des Inhalts nachprüfbar machen (Nr. 2 und 7). Ein solches Verschlusssiegel sollte von Eingriffen abschrecken, konnte aber sicherlich nicht davor bewahren. Das Siegel war ein Zeichen dafür, dass es sich um ein offizielles Dokument handelt (Nr. 5, 6, 7, 8). Es symbolisierte die Echtheit des Dokumentes bzw. beglaubigte die Unverfälschtheit der Abschrift (Nr. 5 und 7). Dadurch machte es Autopsie und Vor-Ort-Präsenz abdingbar. Es stilisierte Urkunden als authentisch, d. h. der Inhalt wird von zwei (oder mehr) Seiten akzeptiert, was insbesondere durch das Siegeln eines Dokumentes von mehreren Parteien zum Ausdruck kommt, wobei entweder ein Exemplar gemeinsam gesiegelt wurde oder aber die eine Partei der anderen Partei das von ihr gesiegelte Exemplar aushändigen konnte (Nr. 3, 7, in gewisser Weise auch Nr. 4). Es autorisierte rechtlich relevante Schriftstücke und unterstrich den rechtskräftigen Charakter eines Dokuments (Nr. 3). Das Siegel sicherte Abmachungen sowie Entscheidungen und verstärkte ihre Verbindlichkeit (Nr. 4 und 8). Siegel sind ein Zeugnis der Zustimmung und Akzeptanz (Nr. 2 und 7). Das Siegeln zeigt den Beginn einer zeitlich determinierten Absprache (Nr. 3). Die Funktionen des Siegelns sind also vielfältig und immer wieder mit dem Einzelfall zu verknüpfen. Insgesamt zeigen die untersuchten Inschriften, dass das Siegeln in kommunikative Kontexte eingebettet ist, die Akzeptanz und Konsens erfordern, auch wenn der Sender nicht anwesend ist. Auf diese Weise konnte das Siegeln Prozesse beschleunigen sowie die Sicherheit von Entscheidungen und die Garantie ihrer Umsetzung erhöhen. Um die Relevanz der aus den Inschriften ablesbaren Funktionen des Siegelns zu erfassen, muss beachtet werden, dass das Siegeln häufig explizit von anderen Sicherungsmechanismen und Ritualen begleitet war. Eine solche zusätzliche Sicherheit ist allein schon darin zu sehen, dass die Beschlüsse inschriftlich festgehalten wurden. So wird in den Verträgen häufig die Abmachung festgehalten, dass Abschriften an zentralen Orten öffentlich gemacht werden sollen (Nr. 3 und 4). 85
So wurde z. B. unter den Volksbeschlüssen von der Chersones auf der Krim regelmäßig vermerkt, wer diese siegelte. Dazu wurde eine lange Reihe von Namen und Amtsbezeichnung aufgenommen, wobei zwischen den Zeilen, in denen die Siegelabdrücke aufgereiht waren, sorgfältig unterschieden wurde; cf. Gschnitzer 1994, 189 mit weiteren Beispielen.
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Hinzu tritt in den Sympolitieverträgen regelmäßig die Verpflichtung, einen Eid zu schwören (Nr. 3 und 4). Die Androhung von Sanktionen, Verfluchungen und göttlichen Strafen bei Missachtung der Vereinbarungen konnte an den Eid angeschlossen werden. Auch die Hinterlegung der versiegelten Urkunde bei einer namentlich aufgeführten Person, sowie die Bestätigung dieser Deponierung durch mehrere, ebenfalls genannte Zeugen (Nr. 6) ist üblich. Das Siegel war also nur eines von mehreren Systemen, die den festgehaltenen Inhalten unverfälschte Dauerhaftigkeit verleihen sollten. Die hier präsentieren Inschriften zeigen, dass eine systematische Untersuchung der epigraphischen Dokumente die Siegelforschung bereichert, da sie abseits der archäologischen Funde und anders als literarische Quellen ohne sprachliche Elaborationen einen authentischen Einblick in die griechische Siegelpraxis geben. Abkürzungen IG Inscriptiones Graecae. Berlin seit 1873. LSJ Liddel, H. G., Scott, R. & Jones, H. S. 1996. A Greek-English Lexicon. Oxford. OGIS Dittenberger, W. 1903–1905. Orientis Graeci Inscriptiones Selectae. 2 Bde. Leipzig. RC Welles, C. B. 1966. Royal Correspondence in the Hellenistic Period. A Study in Greek Epigraphy. Studia Historica 28. 2. Aufl. Rom. SEG Supplementum Epigraphicum Graecum. Leiden, später Amsterdam. Seit 1923. StV III Schmitt, H. H. 1969. Die Staatsverträge des Altertums. Bd. III: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 338 bis 200 v.Chr. München. StV IV Errington, R. M. 2020. Die Staatsverträge des Altertums. Bd. IV: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von ca. 200 v. Chr. bis zum Beginn der Kaiserzeit. München. Syll.3 Dittenberger, W. (Hg.). 1915–1924. Sylloge Inscriptionum Graecarum. 3. Aufl. Leipzig. TAM V 3 Petzl, G. 2007. Tituli Asiae Minoris. Vol. V.3: Tituli Lydiae linguis Graeca et Latina conscripti. Philadelpheia et Ager Philadelphenus. Wien. Literaturverzeichnis Ager, S. L. 1996. Interstate Arbitrations in the Greek World, 337–90 B.C. Hellenistic Culture and Society 18. Berkley. Austin, M. M. 2006. The Hellenistic world from Alexander to the Roman conquest. A selection of ancient sources in translation. 2. erw. Aufl. Cambridge.
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Im Namen des Königs? Überlegungen zur Bedeutung und Funktion hellenistischer Siegel mit Herrscherporträts Torben Schreiber Abstract: The article examines the question of who could potentially have used the seals with ruler portraits that are preserved in the form of many impressions from Hellenistic archive complexes. It focuses on finds from the archives of Uruk/ Orchoi and Seleucia on the Tigris that show portraits of Seleucid kings. It turns out that these impressions are most likely from ‘official’ seals, i. e. those used by officeholders. For Ptolemaic Egypt, from where numerous seal impressions with portraits of the Ptolemaic kings are known, especially in the case of the Archive of Nea Paphos, the question of who used such seals can be answered less clearly than for the Seleucid Empire. The distinction between ‘official’ and ‘private’ seals has been much discussed, however, without consensus. Methodologically, the present paper uses the quantitative analysis which offers the possibility to identify characteristics that allow to classify other seals regarding their ‘official’ character. Seals that can be called ‘official’ with certainty, because they carry an inscription naming the officeholder who used them, and seals with e.g., the Seleucid anchor that are known from literary sources to have been used in official contexts, are considered as the material basis to ask the following research questions: Who sealed with the portrait of the king and did this take place in an ‘official’ or ‘private’ context? Schlagworte: Hellenistische Herrscherporträts, Siegelpraxis, Archive, offizielle Siegel / keywords: Hellenistic ruler portraits, seals and sealing practice, archives, official seals
Einleitung Aus hellenistischer und römischer Zeit sind ca. 200.000 Abdrücke von Siegeln auf Urkundenverschlüssen aus Ton überliefert.1 Diese sind in den meisten Fällen nur deshalb erhalten, weil die zugehörigen Archive abgebrannt sind. Während das Feuer die eingelagerten Dokumente aus brennbarem Material – Pergament und Papyrus – sowie zumeist die architektonischen Kontexte zerstörte, wurden die ursprünglich nur luftgetrockneten Urkundenverschlüsse aus Ton, dem Keramikbrand ähnlich, haltbar gemacht.2 Dieser Weg der Überlieferung ist äußerst paradox: Durch Zufall wurden so tausende von Objekten für die Nachwelt konserviert, zugleich wurden diese jedoch zweifach dekontextualisiert, denn die Dokumentinhalte wurden vernichtet und die Aufbewahrungsorte schwer beschädigt oder zerstört. Fachwissenschaftler:innen stehen daher im Fall der besiegelten Urkunden1
Siehe die Zusammenstellung der Befunde u. a. bei Lesperance 2010, 30–60; Plantzos 1999, 22–32; Berges 1997, 33–38; Klose 1984, 70–71; Salzmann 1984, 164–166. 2 Zum Prozess der Versiegelung u. a. Lindström 2003, 7–11 mit Abb. 1 und 2; Berges 1997, 14–17 mit Abb. 1–3.
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verschlüsse vor einer besonderen Herausforderung, denn die Masse an Funden muss aus sich selbst heraus erklärt werden, da es kaum äußere Anhaltspunkte gibt, um die verlorenen Kontexte zu rekonstruieren. Papyrusfunde aus Ägypten und besiegelte Tontafeln aus Mesopotamien belegen, dass die Namen der siegelnden Personen häufig unter oder neben den besiegelten Urkundenverschluss geschrieben wurden und dass im Dokumenttext oftmals das Siegelmotiv und die Funktion der siegelnden Personen genannt sind. 3 Somit ist beispielsweise der Verwendungskontext des noch zu besprechenden Siegels mit dem Löwen und dem seleukidischen Anker (s. Abb. 3) aus dem Urkundentext ersichtlich. Diese Informationen – wer, was, wann besiegelte – sind für die hier zu bearbeitenden Objekte aufgrund der fehlenden Dokumente verloren. Somit scheint es zunächst nahezu unmöglich zu sein, Fragen nach dem Beurkundungs-, Versiegelungs- und Archivierungsprozess anhand dieser Funde beantworten zu können, darunter eben auch die zentrale Frage: Wer siegelte mit den zahlreichen Siegeln mit Herrscherporträts? Es gibt insgesamt nur wenige in Abdrücken überlieferte Siegel, deren Funktion sich anhand der im Siegelbild enthaltenen Inschrift erkennen lässt.4 Es handelt sich um Siegel, die sich bestimmten Ämtern, Amtsinhabern, Städten oder Städtebündnissen zuordnen lassen und die somit als ,offizielle‘ Zeugnisse zu deuten sind und die dann Verwendung fanden, wenn die Amtsinhaber beziehungsweise siegelführende Institutionen am Beurkundungsprozess beteiligt waren. 5 Abgesehen von diesen Siegeln mit Inschriften gibt es wenige Fälle, in denen anhand der literarischen Überlieferung offizielle Siegel identifiziert werden konnten.6 Als Beispiel ist hier der Anker zu nennen, den die seleukidischen Herrscher beziehungsweise die königliche Kanzlei als Siegelbild verwendeten. Diese Siegel – auf die noch näher eingegangen wird (s. Abb. 1) – können anhand der literarischen und archäologischen Überlieferung klar dem seleukidischen Hof und somit der Gruppe der offiziellen Siegel zugeschrieben werden. 3
Vgl. zu den Tontafeln Wallenfels 2015, 57; Lindström 2003, 6: „Jeder Siegelabdruck ist mit einer Beischrift versehen, die oberhalb des Abdrucks meist ‚Siegel‘ (un-qa) lautet und unterhalb den Namen des Siegelinhabers nennt. Auf dem rechten Rand wird in der Regel zusätzlich die Funktion der jeweils Siegelnden angegeben“. Zu den ägyptischen Papyri Vandorpe 1996, 231–238. 4 Für den Hellenismus sind dies insgesamt 392 Siegel, die in über 15.000 Abdrücken überliefert sind. Diese hohe Zahl der Abdrücke ergibt sich insbesondere aus den Steuersiegeln (vgl. Messina/Mollo 2004 I, 3–24). Zieht man diese ab, bleiben insgesamt 153 Siegel in 1033 Abdrücken. Ausführlicher hierzu Schreiber in Vorb. 5 Zu den offiziellen Siegeln Schreiber 2019, 157–158 (Doliche); Lilibaki-Akamati 2011, 104–105 (Pella); Preka-Alexandri/Stoya 2011, 678–681 (Gitana); Zoppi 2011, 30 (Selinus); Messina/Mollo 2004 I, 25–32 (Seleukeia am Tigris); Ariel/Naveh 2003, 61–77 (Kydissos); Lindström 2003, 25–51 (Orchoi); Boussac 1992, 11–18 (Delos); Pantos 1985 (Kallipolis); Nicolaou 1979, 413–416 (Nea Paphos); Conze 1913, 253–254 (Pergamon). 6 Siehe hierzu Instinsky 1962, 13–22.
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Gegenübergestellt werden den offiziellen Siegeln in der Forschung stets die ,Individualsiegel‘, 7 die letztlich aber nichts anderes darstellen als eine große Masse von in Ermangelung von Inschriften und/oder literarischer Quellen unbestimmten Siegeln, denen zuweilen ein ,offizieller Charakter‘ auf Grundlage zumeist subjektiver Einschätzung der jeweiligen Bearbeiter:innen zugesprochen wird.8 In eben diese Gruppe fallen auch die hier zu betrachtenden Siegel mit den Porträts hellenistischer Herrscher, da diesen durch die Verwendung des Königsporträts als Siegelmotiv per se ein offizieller Charakter zu eigen ist.9 Es muss allerdings ein deutlich objektiverer Ansatz im Umgang mit diesen Zeugnissen gefunden werden, der es erlaubt, die offiziellen Siegel, die Siegel offiziellen Charakters und die Individualsiegel klarer voneinander abzugrenzen. Somit kann es auch gelingen, die Siegel mit Herrscherporträts näher zu klassifizieren.10 Offizielle Siegel ohne Inschrift: Der seleukidische Anker Wie bereits erwähnt, sind nur wenige Siegel der hellenistischen Zeit in Abdrücken überliefert, die eine Inschrift aufweisen und die somit eine eindeutige Bestimmung des jeweiligen Siegels als ‚offiziell‘ zulassen. Dass es allerdings auch inschriftenlose Siegel gegeben hat, die eindeutig von hohen Amtsträgern verwendet wurden, belegen die bereits genannten Ankersiegel.11 Bei diesen handelt es sich um insgesamt 22 unterschiedliche Siegel, die den seleukidischen Anker zeigen. Die Siegel sind anhand von Abdrücken aus Seleukeia am Tigris (Abb. 1), Orchoi, Delos, Kallipolis und Kydissos überliefert12 und zeigen bis auf wenige Ausnahmen den Anker in Kombination mit einer Pferdeprotome.13 Appian und Iustinus berichten, dass Seleukos I. als König einen Siegelring mit dem Symbol eines Ankers verwendete und seine Nachfolger es ihm gleichtaten.14 7
Siehe hierzu auch Wallenfels 2015, 56–57. So z. B. McDowell 1935, 199–208: „Seals of private agents of royality“, eine Deutung, die in der Folge stark diskutiert wurde (vgl. Brown 1938, 614–616; Welles 1935, 120– 121). 9 Rostovtzeff 1932, 53 klassifizierte die großen, unbeschrifteten Siegel mit Herrscherporträts bereits als „offiziell“. Ebenso Lindström 2003, 27–36. 10 Zu der hier gewählten Methode Schreiber in Vorb. 11 Hierzu auch Wallenfels 2015, 62–63. 12 Messina/Mollo 2004 I, 30–31, Kat.-Nrn. SU 3–19 (Seleukeia am Tigris); Lindström 2003, 36–38, Kat.-Nrn. 258-1 und 268-1 mit Abb. (Orchoi); Boussac 1992, 15, Kat.-Nr. SP 8 (Delos); Pantos 1985, Kat.-Nr. 94 (Kallipolis); Lesperance 2010, 76, 84–85, Kat.-Nr. ANC 1.3 (Kydissos). 13 Messina/Mollo 2004 I, 31, Kat.-Nr. SU 17 zeigt anstatt des Pferdekopfes ein Füllhorn. Gleiches vermuten die Autoren des Katalogs für Kat.-Nr. SU 19. Ein bisher ungeklärtes Detail zeigen die Abdrücke eines Ankersiegels aus Kallipolis (Pantos 1985, Kat.-Nr. 94), denn dort ist zusätzlich zum Pferdekopf ein auf einer der Flunken sitzender Papagei angegeben. 14 Appian, Syr. 56, 286–287; Iustinus 15, 4.3–4. Auch Clemens Al., Paedag. 3, 59.2 und 8
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Abb. 1: Abdruck eines Siegels mit Anker und Pferdekopf aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 I, Fabtf. 1, Kat.-Nr. SU 3: S7-3341).
Abb. 2: Abdruck eines Siegels mit gehörnter Pferdeprotome und Anker aus Orchoi (nach Lindström 2003, Tf. 15, Kat.-Nr. 121-1).
Neben der literarischen Überlieferung gibt es noch weitere Hinweise, welche belegen, dass der Anker als Motiv des seleukidischen Königssiegels verwendet wurde. An erster Stelle ist hier die seleukidische Münzprägung zu nennen, in deren Kontext der Anker als Reversbild weite Verbreitung fand. Ein gehörnter Pferdekopf auf dem Avers in Kombination mit einem Anker auf dem Revers ist von Bronzeprägungen aus Seleukeia15 und Silberprägungen aus Nisa16 unter Seleukos I. bekannt. Unter Seleukos II. wurde dieses Motiv in Nisibis geprägt.17 Darüber hinaus erscheint der Anker auf Prägungen des Alexander Balas, des Demetrios II. und des Antiochos VII.18 Auch als Gegenstempel findet dieses Motiv Verwendung.19 Bei dem Hörnerpferd handelt es sich nicht – wie oftmals angenommen20 – um Bukephalos, sondern um eine Art ,persönliches‘ Symbol des Seleukos I.21 Die
Ausonius, carm. 287, 11 berichten über das Ankersiegel des Seleukos. Hierzu: Instisky 1962, 17–18. Zur Episode in der Seleukidengeschichte des Appian Brodersen 1989, 138– 139 mit Anm. 15 Houghton/Lorber 2002, 99, Nr. 256, Tf. 15. 16 Houghton/Lorber 2002, 64–65, Nrn. 145 und 146, Tf. 67. 17 Houghton/Lorber 2002, 273, Nrn. 756–758, Tf. 82. 18 Alexander I. Balas: Hougthon et al. 2008, 251, Nr. 1865; Le Rider 1965, 458, Tf. 74, 30 und 31; Demetrios II.: Houghton et al. 2008, 288–289, Nrn. 1928 and 1928A, Tf. 79; Antiochos VII.: Houghton et al. 2008, 392, Nr. 2123, Tf. 85. Darüber hinaus wird der Anker weiterhin bis in die Zeit des Antiochos III. als Beizeichen geprägt: Houghton/Lorber 2002, Nrn. 975, 979, 1044, 1045, 1059, 1086, 1089, 1090, 1095, 1216, 1217, 1240–1245, 1275– 1277, 1283, 1284 und 1288. 19 Mittag 2006, 124–125 mit Anm. 136; Boehringer 1972, 20–22. 20 Z. B. Lindström 2003, 38–39; Mørkholm 1991, 73; Jenkins 1990, 133. 21 Zur Diskussion um die Deutung des gehörnten Pferdes auf Münzen: Miller/Walters
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Hörner erscheinen in Darstellungen des Königs auch an seinem eigenen Kopf oder an seinem Helm und sind wohl in ,orientalischer‘ Tradition als Zeichen der göttlichen Stärke zu interpretieren.22 Ein Siegel – überliefert in Abdrücken aus dem großen Archiv von Seleukeia am Tigris23 und aus Orchoi24 (Abb. 2) – zeigt die Kombination einer gehörnten Pferdeprotome mit einem Anker, wie sie sonst nur von den Rückseiten von Bronzemünzen bekannt ist, die unter Seleukos I. geprägt wurden.25 In dieser Darstellung sind somit zwei seleukidische Herrschaftssymbole kombiniert.26 Der Anker findet auch auf anderen Siegeln Verwendung. Hervorzuheben ist der Abdruck eines Siegels mit einem nach rechts schreitenden Löwen und einem darüber liegenden Anker auf einem Sklavenkaufvertrag aus Orchoi aus dem Jahr 275 v. Chr. (Abb. 3), wo die Beischrift lautet: „Das Siegel des Königs“.27 Zu dieser Zeit regierte Antiochos I., der diesen Kaufvertrag sicherlich nicht persönlich gesiegelt haben wird. Vielmehr wird dieser Akt stellvertretend durch einen Beamten erfolgt sein.28 Dieser siegelte jedoch eindeutig im Namen des Königs bzw. im Namen der königlichen Kanzlei. Der offizielle Charakter, der bereits durch die Beischrift gegeben ist, wird auch in diesem Falle durch vergleichbare Münzdar-
2004, 45–56. 22 Zur Deutung Miller/Walters 2004, 51–52 mit Anm. 30–32; Lindström 2003, 28–29, 38– 39. Zu Tierangleichungen bei hellenistischen Herrschern z. B. Barre 2013, 125–145; Ehling 2013, 164–169; Kroll 2007, 113–122; Ehling 2000, 153–162. 23 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 1. 24 Lindström 2003, 38–39; Rostovtzeff 1932, 48, Nr. 81 mit Tf. 9.3. 25 Houghton/Lorber 2002, 101–102, Nrn. 269–270, Tf. 68. 26 Es wurde in Erwägung gezogen, dass es sich bei dem gehörnten Pferd um das des Seleukos I. handelt (Houghton/Lorber 2002, 7; Newell 1938, 43–44; Babelon 1890, 23). Dies basiert allerdings auf der umstrittenen Interpretation des ‚Heros mit Hörnerhelm‘ auf den seleukidischen Münzen, welches sowohl als Bildnis des Alexander als auch als das des Seleukos I. gedeutet wurde (vgl. zu hellenistischen Herrschern mit dem Stierhorn Svenson 1995, 40–46 mit Tfn. 19–21; Smith 1988, 40–41). Zu den unter Seleukos I. geprägten Münzen, die Alexander mit Hörnerhelm zeigen Houghton/Lorber 2002, 6–7 mit Anm. 21 mit einer Zusammenfassung der problematischen Interpretation; Houghton/Lorber 2002, 71–73, 77–78, Nrn. 173–176, 195 und 196 mit Tfn. 10–11 deuten die Darstellung als „Head of a hero […] assimilating Seleucos, Alexander and Dionysos“. Zur Interpretation als Alexander-Bildnisse Svenson 1995, 119–121; Fleischer 1991, 5–6, Tf. 57b. 27 Un-qa sa-um-bu-lu ša LUGAL. McEwan 1982, 51–53, bes. 53. Vgl. Monerie 2015, 354– 355; Wallenfels 1994, 9. Ein weiterer Abdruck dieses Siegels ist aus Seleukeia am Tigris überliefert: Messina 2005, 128–129; Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 2. Bei sa-um-bulu handelt es sich wohl um die Transkription des griechischen Wortes symbolon. Durch die Angabe des akkadischen un-qa entstand in der Inschrift die Doppelung „seal (of the) seal of the king“ (Monerie 2015, 354–355). Siehe hierzu auch Wallenfels 2015, 61. 28 So auch Wallenfels 1994, 9; 2015, 61.
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stellungen unterstrichen, da schon unter Seleukos I. die Kombination von Löwe und Anker auf den Münzreversen belegt ist.29 Der Anker bzw. Halbanker wird auch auf Steuersiegeln verwendet (Abb. 4). Von über 160 solcher Siegel sind im großen Archiv von Seleukeia über 16.000 Abdrücke überliefert. Die Siegel stammen von unterschiedlichen Steuerbehörden und sind mit Inschriften versehen, die die Art der Steuer benennen.30
Abb. 3: Abdruck eines Siegels auf einem Sklavenkaufvertrag aus Orchoi (nach Wallenfels 1994, Tf. 1, Kat.-Nr. 1).
Abb. 4: Abdruck eines Steuersiegels aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 I, Farbtf. 1, Kat.-Nr. alk 1: S9-602).
Durch diese Formen der Verwendung des Ankers ist eindeutig belegt, dass der Anker das Hoheitszeichen der Seleukidendynastie war und als eine Art ‚Wappen‘ fungierte.31 In diesen Kontext sind entsprechend auch die bereits angesprochenen 29
Houghton/Lorber 2002, 44–45, 49, Nrn. 88–90, 102–104, 144, 185, 220 und 221, Tfn. 5, 6, 8, 10 und 13. 30 Messina/Mollo 2004 I, 3–24; vgl. auch die Funde aus Orchoi Lindström 2003, 51–58. 31 Das Auftreten des Ankers auf den Steuersiegeln und somit im fiskalischen Kontext hat zu der Annahme geführt, dass es sich um das Symbol der ‚Staatskasse‘ handle: Messina/ Mollo 2004 I, 29–30 mit Anm. 43; Mollo 1997, 91; McDowell 1935, 34. Anders: Lindström 2003, 52, Anm. 328. Dies wurde u. a. daraus geschlossen, dass es ein einziges Ankersiegel gibt, welches die Inschrift ΚΑΤΑΓ[ΡΑΦΙΟΥ] trägt (Messina/Mollo 2004 I, Kat.Nr. SU 18). Aus einem einzigen Abdruck dieses Siegels allerdings zu schließen, dass es sich bei dem Anker um das Symbol der Steuerbehörde handelt, ist nicht stichhaltig und erscheint vor dem Hintergrund des häufigen Auftretens des Ankers auf den Münzen, der anderen Steuersiegel und der literarischen Überlieferung mehr als unwahrscheinlich. Der Anker zeigt vielmehr an, dass die Steuern im Namen des seleukidischen Hofs erhoben wurden. Neben dem Anker gab es weitere Hoheitszeichen der Seleukiden. So haftet beispielsweise auch der Darstellung der Nike auf den Steuersiegeln (so z. B. Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. adk 5) der Charakter eines Hoheitszeichens an, zumal die Nike – wie auch der Anker – auf seleukidischen Bleigewichten dargestellt ist: Rostovtzeff 1955, 353–354
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Siegel einzuordnen, die einen aufrechtstehenden Anker und einen Pferdekopf zeigen. Der offizielle Charakter dieser Siegel findet neben dem verwendeten Motiv in weiteren – noch ausführlicher zu betrachtenden – Merkmalen seinen Niederschlag. Dass mit dem stehenden Anker besiegelte Urkundenverschlüsse auch außerhalb des seleukidischen Herrschaftsbereichs – auf Delos und in Kallipolis – gefunden wurden, deutet an, dass hiermit Dokumente versiegelt wurden, die über die Grenzen des Seleukidenreichs hinaus Verbreitung fanden. Zwar ist die Zahl von nur zwei Siegeln in vier Abdrücken sehr gering, es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es keinen vergleichbaren Fall einer solch weiten Distribution von Siegeln gibt.32 Ein weiterer Aspekt, der den offiziellen Charakter dieser Siegel unterstreicht, ist die Tatsache, dass die Siegel auf keinem Urkundenverschluss mit anderen Siegeln kombiniert wurden. Demnach handelt es sich durchweg um Einzelsiegelungen, die bei Briefen, Depeschen und Dekreten zu erwarten sind.33 Aus dieser Tatsache ergibt sich allerdings unmittelbar ein chronologisches Problem: Dadurch, dass die Abdrücke der Ankersiegel nicht mit anderen Abdrücken fest datierter Siegel kombiniert sind, lässt sich nur ein ungefährer Zeitraum angeben, wann die Siegel in Benutzung waren. Das früheste datierbare Siegel aus dem Archivkomplex von Seleukeia am Tigris – ein Steuersiegel mit den Angaben der seleukidischen Ära – datiert in die Jahre 257/256 v. Chr.34 Dies legt die Vermutung nahe, dass die Ankersiegel nach diesem Zeitpunkt benutzt wurden, wenn auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch ältere Dokumente, die vor der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. ausgestellt wurden, hier eingelagert waren. Mindestens zwei der in Seleukeia gefundenen Siegel zeigen Demetrios II. nach seiner Rückkehr aus der parthischen Gefangenschaft.35 Demnach wird das Archiv bis minmit Tf. 54.1. Auf Münzen des Seleukos I. werden Nike und Anker kombiniert, Nike bekränzt den seleukidischen Anker: Houghton/Lorber 2002, 35 und 45, Nrn. 66, 92 und 93, Tfn. 4 und 5. Das Hörnerpferd als weiteres Hoheitszeichen der Seleukiden bekränzend: Houghton/Lorber 2002, 87, Nr. 219, Tf. 12. Unter Seleukos II. geprägte Bronzemünzen zeigen Nike zudem mit einem Schild, den ein Ankeremblem ziert (Houghton/Lorber 2002, 261, Nr. 715, Tf. 81), und die Göttin, die sich auf einem Anker abstützt (Houghton/Lorber 2002, 261, Nr. 714, Tf. 81). Siehe hierzu auch Schreiber in Vorb. 32 In nur sehr seltenen Fällen ist nachweisbar, dass es Abdrücke identischer Siegel in unterschiedlichen Archiven gibt. Diese lagen geographisch meist recht nah beieinander bzw. gehörten demselben Herrschaftsbereich an. So finden sich Abdrücke identischer Siegel bspw. in Orchoi und Seleukeia, was wenig verwunderlich erscheint. Vgl. Messina 2005, 124–144. 33 Einschränkend ist anzumerken, dass es sich auch um Siegelungen handeln könnte, die an Dokumenten angebracht waren, die mehrere Verschlüsse aufwiesen, vgl. z. B. Vandorpe 1996, Tf. 46, Nr. 7. 34 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. kat 1. 35 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nrn. 47 und 48. Zur Chronologie: Messina 2006, 66–69 mit
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destens 129 v. Chr. in Betrieb gewesen sein.36 Möglicherweise stellen die bereits kurz angesprochenen Siegel mit dem Anker und der gehörnten Pferdeprotome Vorläufer des Ankersiegels dar. Dies ergibt sich aus der Beobachtung Gunvor Lindströms, dass das Motiv des Hörnerpferdes nach der Regierungszeit des Seleukos II. (246–226 v. Chr.) nicht mehr auf Münzen erscheint.37 Die gehörnte Pferdeprotome bleibt ausschließlich auf die Regierungszeit des Seleukos I. beschränkt, was die Annahme unterstreicht, dass es sich um ein ‚persönliches‘ Motiv dieses Herrschers handelt. Demnach ist es möglicherweise das früheste Königssiegel. Daran schließt dann chronologisch wohl das Anker-Löwen-Siegel an. Davon ausgehend, dass das Siegel mit dem Löwen und dem darüber liegenden Anker von einem hohen Beamten im Namen des Königs genutzt wurde,38 und er dies in einer ähnlichen oder gleichen Funktion tat wie die Chreophylakes39 – deren Siegel und Funktion noch zu besprechen sind – liegt es nahe, in dem Siegelträger des Anker-Löwen-Siegels einen eben solchen Chreophylax oder einen Beamten mit sehr ähnlichen Befugnissen anzunehmen. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass ein Abdruck desselben Siegels in Seleukeia am Tigris mit dem Siegel des Katagraphion, einer Behörde zur Registrierung von Kaufverträgen, kombiniert wurde,40 denn ebenso ist ein Abdruck eines späteren Chreophylax-Siegels41 mit einem Abdruck eines Steuersiegels des Katagraphion42 auf einem Urkundenverschluss vergesellschaftet. Somit ist belegt, dass 242 v. Chr. ein Chreophylax einen Vertrag siegelte, der durch einen Beamten des Katagraphion ebenso besiegelt werden musste. Möglicherweise wurde dies rund 30 Jahre zuvor in gleicher Weise getan und der Chreophylax siegelte mit dem Löwen-Anker-Siegel im Namen des Königs.43 Dass die Beischrift „Das Siegel des Königs“ bei den späteren Siegeln überflüssig wurde, könnte darin begründet liegen, dass auf den Siegeln in Seleukeia am Tigris der König abgebildet wurde und sich die Kombination aus der Inschrift und dem Bild als „Chreophylax des Königs“ lesen lässt und in Orchoi die Chreophylakes aus-
Abb. 64. 36 Die letzten fest datierbaren Steuersiegel gehören in die Jahre 155/154 v. Chr.: Messina/ Mollo 2004 I, Kat.-Nr. alk 89 und 90. 37 Lindström 2003, 38. 38 So auch Wallenfels 2015, 61–62; Lindström 2003, 60, Anm. 367. 39 So auch Wallenfels 2015, 61–62. 40 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 18. Hierzu Wallenfels 2015, 61–62. Zum Katagraphion vgl. Messina/Mollo 2004 I, 21: „ufficio di registrazione degli atti di comprevendita“. Bekannt ist diese Behörde bisher ausschließlich über die Siegellegenden aus Seleukeia am Tigris, vgl. Liddell et al. 1996, 887 (s. v. καταγραφή). So auch Rostovtzeff 1932, 101. 41 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 3 zeigt Seleukos I. oder dessen Sohn Antiochos I. 42 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Kat 4. 43 So auch Wallenfels 2015, 62 mit Anm. 23.
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nahmslos das Toponym „Orchoi“ auf ihren Siegeln angegeben haben.44 Dass im Falle der Siegel der Chreophylakes des Königs auch lange über den Tod des Seleukos I. hinaus dessen Porträt auf den Siegeln abgebildet wurde, mag bei seiner Bedeutung für die Dynastie nicht verwundern. 45 Das Bildnis des Seleukos I. wurde bis mindestens 212 v. Chr. als Siegelbild des Chreophylax verwendet.46 Darüber hinaus sind auch die Nachfolger des Seleukos I. auf Chreophylax-Siegeln zu finden.47 Diese Tatsache führt auch zu der Interpretation, dass die Chreophylax-Siegel mit dem Bildnis des Seleukos I. keinen unmittelbaren Bezug auf Seleukos als Gründer von Seleukeia am Tigris nehmen und sich die Beamten somit nicht als „Chreophylax von Seleukeia“, sondern eben als Chreophylakes des Königs beziehungsweise der seleukidischen Herrscher zu erkennen geben. Lindström weist in Bezug auf das Anker-Löwen-Siegel auf der Tontafel zwar darauf hin, dass im Urkundentext Orchoi als Ausfertigungsort genannt ist,48 dies bedeutet allerdings nicht zwingend, dass der damit siegelnde Beamte auch in Orchoi residierte. So wäre es auch möglich, dass der Beamte reiste oder aber auch, dass die Keilschrifttafel nach der Ausstellung von Seleukeia nach Uruk verbracht wurde. 49 Möglicherweise gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Chreophylax in Orchoi.50
44 Somit lautet die Inschrift in Übersetzung „des Chreophylax von Orchoi“ (Lindström 2003, 33–34, 40–48 mit Abb.) oder in einem Fall „des Chreophylax in Orchoi“ (Lindström 2003, 30–31 mit Abb. 13). Ein einziger Abdruck eines Chreophylax-Siegels in Orchoi (Lindström 2003, 27–29) weist kein Toponym auf und ist zudem mit dem Bildnis des Seleukos I. verziert. Demnach ist es das Siegel des „Chreophylax des Königs“, der in Seleukeia ansässig war. 45 Das Porträt des Dynastiegründers wurde zudem auch erst postum durch Antiochos I. auf Münzen geprägt. Zu den frühesten Prägungen Houghton/Lorber 2002, 123–124, Nr. 322 und Houghton/Lorber 2002, 161, Nrn. 469–472. 46 Für das Siegel Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 1 ist eine Nutzung in der Zeit von 240–212 v. Chr. belegt. 47 Möglicherweise Antiochos I.: Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 3; Seleukos II.: Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 7; Demetrios I.: McDowell 1935, 49, Tf. 2.15. Das einzige Chreophylax-Siegel aus Orchoi, auf dem mit Sicherheit ein König dargestellt ist, zeigt Antiochos IV.: Lindström 2003, 33–34 mit Abb. 24. Die Annahme, dass es sich auch bei einem Siegel mit dem Bildnis des Apollon um ein Königsporträt – demnach eines des Antiochos III. als Apollon – handeln müsste, bleibt spekulativ, siehe hierzu Lindström 2003, 30–31 mit Abb. 13. Zu weiteren Siegeln mit Bildnissen seleukidischer Herrscher, die keine Inschrift aufweisen, siehe weiter unten. 48 Lindström 2003, 60–61. 49 Wallenfels 1994, 9 nimmt an, dass der Beamte in Seleukeia residierte. Wallenfels 2015, 62 bleibt diesbezüglich unklar. 50 Den ersten sicheren Beleg für einen Chreophylax, der in Orchoi ansässig war, liefert ein Siegel, welches rund 40 Jahre später in Benutzung war: Lindström 2003, 46, Kat.-Nrn. 771 und 92-1.
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Es bleibt unklar, ob die Siegel mit dem stehenden Anker und dem Pferdekopf in der Nachfolge der Stücke mit Anker und Löwe sowie mit Anker und gehörnter Pferdeprotome stehen, von denen erstere nachweislich im Jahr 275 v. Chr. verwendet wurden, oder ob die Siegel zeitgleich in Benutzung waren. Auch innerhalb der Gruppe der Siegel mit stehendem Anker lässt sich anhand stilistischer Merkmale keine chronologische Untergliederung vornehmen. Die Stücke aus Kallipolis, Delos und Kydissos zeigen jedoch, dass die Ankersiegel bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. – womöglich auch darüber hinaus und somit bis zum Ende der Seleukidenherrschaft – Verwendung fanden.51 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Chreophylax-Siegel aus Orchoi, welches einen Stockanker auf einem Rundschild zeigt (Abb. 5).52 Bei diesem Stück könnte es sich aufgrund der engen Verwandtschaft zu Darstellungen auf Münzen, die unter Antiochos I. (281–261 v. Chr.) geprägt wurden,53 um das älteste Chreophylax-Siegel aus Orchoi handeln. Aufgrund der Inschrift wäre es somit auch das früheste sicher als solches zu benennende Chreophylax-Siegel überhaupt. Unter Seleukos II. (246–225 v. Chr.) geprägte Münzen zeigen ebenfalls den Anker als Schildzeichen, allerdings auf dem Schild einer Nike oder unterhalb eines Pferdes;54 unter den Nachfolgern des Seleukos II. findet sich keine Darstellung eines Ankers auf einem Schild mehr, was Lindström dazu veranlasst hat, das besagte Chreophylax-Siegel in die Zeit vor das letzte Viertel des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren.55 Da allerdings die wenigen Münzen, welche den Schild mit dem Anker als alleinstehendes Symbol zeigen, ausschließlich unter Antiochos II. geprägt wurden, kann angenommen werden, dass das Siegel vor dessen Tod 261 v. Chr. entstanden ist. Die übrigen Chreophylakes-Siegel aus Orchoi zeigen figürliche Szenen. Vermutlich bildet sich in der zweiten Hälfte des 51
Im Archiv von Kallipolis wurden drei Abdrücke eines Ankersiegels gefunden: Pantos 1985, Kat.-Nr. 94. In Kydissos fanden sich ebenfalls drei Abdrücke eines Ankersiegels: Lesperance 2010, 76 und 85 Kat.-Nrn. ANC 1 und ANC 3. Aus dem Archiv von Delos ist ein Abdruck eines Ankersiegels überliefert: Boussac 1992, 15, Kat.-Nr. SP8 mit Tf. 2. Das Gebäude, in dem das Archiv von Kydissos untergebracht war, wurde wohl kurz nach 144/143 v. Chr. im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen dem Hasmonäer Jonathan und dem Seleukidenkönig Demetrios II. verlassen: Berlin/Herbert 2012, 28; Lesperance 2010, 21 mit Anm. 59; Berlin/Herbert 2005, 37–38; Berlin/Herbert 2003, 24. Mit der literarischen Erwähnung und Datierung dieses Konfliktes (1. Mak. 11, 63–74) gehen auch die anhand von Stempelungen datierbaren Keramikfunde einher, siehe Berlin/Herbert 2012, 27; Berlin/Herbert 2005, 38–39; Berlin/Herbert 2003, 23–24 Auch das Archiv von Kallipolis wurde um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zerstört: Pantos 1996, 185–194, bes. 194. Das Archiv von Delos bestand in den Jahren 128/127 bis 69 v. Chr.: Lesperance 2010, 42; Berges 1997, 34; Boussac 1992, 16–17; Boussac 1982, 444. 52 Lindström 2003, 40 mit Abb. 42. 53 Hougthon/Lorber 2002, 129–130 und 137, Nrn. 339–342, 365 und 366, Tfn. 71–72. 54 Houghton/Lorber 2002, 261, Nrn. 715 und 716, Tf. 81. 55 Lindström 2003, 40.
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3. Jahrhunderts v. Chr. eine Siegelpraxis heraus, die den Anker mit dem Pferdekopf endgültig als Siegelbild der seleukidischen Könige etabliert, weshalb dieses Motiv von den Chreophylakes dann nicht mehr verwendet wird.
Abb. 5: Abdruck eines Siegels mit der Darstellung eines Ankers auf einem Rundschild und der Inschrift ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ ΟΡΧΩΝ aus Orchoi (nach Lindström 2003, 40, Abb. 42).
Abb. 6: Abdruck eines Siegels mit dem Bildnis des Seleukos I. oder des Antiochos I. und der Inschrift [XΡΕΟ]Φ[Υ]ΛΑΚΩ[Ν] aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 I, Tf. 15, Kat.-Nr. Se 3: S9-364).
Abb. 7: Abdruck eines Siegels mit dem Bildnis des Seleukos I. und der Inschrift [XP]ΕΟΦΥΛΑΚΩΝ aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 I, Farbtf. 1, Kat.-Nr. Se 1: S9-347).
Abb. 8: Abdruck eines Siegels mit stehender Athena und der Inschrift ΧΡΕΟΦ[ΥΛΑΚΙΚΟΣ] ΟΡΧΩΝ aus Orchoi (nach Lindström 2003, Tf. 11, Kat.-Nr. 77-1).
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Das früheste, sicher datierte Chreophylax-Siegel ist in vier Abdrücken aus dem Archiv von Seleukeia am Tigris überliefert (Abb. 6).56 Es zeigt ein Königsporträt – Seleukos I. oder Antiochos I. – und wurde mit einem Steuersiegel, welches das Jahr 70 der seleukidischen Ära nennt, auf einem Urkundenverschluss kombiniert. 57 Demnach wurde dieses Siegel definitiv in den Jahren 242/241 v. Chr. genutzt. Hieran schließt sich das Chreophylax-Siegel mit der Darstellung Seleukos I. an, welches ab 240 v. Chr. nachweislich verwendet wurde (Abb. 7).58 In Orchoi ist ein Chreophylax-Siegel mit einer stehenden Athena durch die Kombination mit einem Steuersiegel aus dem Jahr 76 der seleukidischen Ära fest in das Jahr 236/235 v. Chr. datiert und damit das früheste chronologisch fest fixierbare Chreophylax-von-Orchoi-Siegel (Abb. 8).59 Wohl erst nach 129 v. Chr. wurde ein weiteres Siegel mit einer Inschrift durch seleukidische Beamte verwendet. Es ist aus dem Archiv von Delos anhand von 17 Abdrücken bekannt und zeigt eine Nike, die die Inschrift ΒΑΣΙΛΕΩΣ ANTIOXOY bekränzt (Abb. 9).60 Aufgrund der ovalen Form kann ein Münzstempel als Siegelinstrument ausgeschlossen werden. Die Inschrift belegt hingegen, dass hier jemand im Namen des Königs gesiegelt hat, ähnlich wie dies bereits bei Abb. 9: Abdruck eines Siegels mit der dem Anker-Löwe-Siegel der Fall war. Inschrift ΒΑΣΙΛΕΩΣ | ANTIOXOY und Welcher Antiochos hier gemeint ist, einer Nike aus Delos (nach Boussac muss ebenso offenbleiben wie die prä1992, Tf. 2, Kat.-Nr. SP 9 [74/8559]). zise Datierung des Stückes, denn in der recht kurzen gesicherten Nutzungsdauer des Archivs (von 128/127 bis 69 v. Chr.) kommen mit Antiochos VIII., Antiochos IX., Antiochos X., Antiochos XI. und Antiochos XII. fünf Seleukidenherrscher in Frage. Somit ergibt sich folgender – in weiten Teilen sehr hypothetischer – chronologischer Rahmen (Tabelle 1):61
56
Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 3. Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. kat 4. 58 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 1. 59 Lindström 2003, 46. 60 Boussac 1992, 16, Kat.-Nr. SP 9 mit Tf. 2. 61 In weiten Teilen übereinstimmend mit Wallenfels 2015, 62 und 65. 57
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Motiv
Datierung
Nutzer
Abb.
Anker – gehörnte Pferdeprotome
1. Viertel 3. Jh. v. Chr.
Königssiegel; Siegel des Seleukos I.? (= Chreophylax des Königs?)
Abb. 2
Anker – Löwe
275 v. Chr. verwendet
Königssiegel; Siegel des Antio- Abb. 3 chos I. (= Chreophylax des Königs?)
Anker auf Schild mit Inschrift ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ ΟΡΧΩΝ
1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.
Chreophylax von Orchoi
Abb. 5
Anker – Pferdekopf
ab Mitte 3. Jh. v. Chr.
Königs-/Kanzleisiegel
Abb. 1
Seleukos I. oder Antiochos I. und Inschrift [XΡΕΟ]Φ[Υ]ΛΑΚΩ[Ν]
242/241 v. Chr. verwendet
Chreophylax des Königs
Abb. 6
Seleukos I. und Inschrift [XP]ΕΟΦΥΛΑΚΩΝ
zwischen 240 und 212 v. Chr. verwendet
Chreophylax des Königs
Abb. 7
Stehende Athena und Inschrift ΧΡΕΟΦ[ΥΛΑΚΙΚΟΣ] ΟΡΧΩΝ
236/235 v. Chr. verwendet
Chreophylax von Orchoi
Abb. 8
Nike bekränzt die Inschrift ΒΑΣΙΛΕΩΣ | ANTIOXOY
nach 129 v. Chr
Königssiegel/Beamtensiegel?
Abb. 9
Tabelle 1: Die frühesten datierbaren Chreophylax-Siegel (fett = durch die Kombination mit Steuersiegeln fest datiert). Es wurden hier nur die frühesten Siegel und das letzte bekannte berücksichtigt.62
Über die Chreophylakes wissen wir wenig Konkretes.63 Es handelt sich wohl um „Vorsteher eines Archivs, in dem Privatverträge und gerichtliche Entscheidungen aufbewahrt wurden“.64 Während χρεωφυλάκια vor allem im westlichen Kleinasien und auf den griechischen Inseln anhand von Inschriften belegt sind,65 62
Zu weiteren fest datierten Chreophylax-Siegeln aus Orchoi vgl. Lindström 2003, 25–48. Zu einem schlecht erhaltenen Chreophylax-Siegel aus Nippur Wallenfels 2015, 66–67; Gibson 1994, 97–98. 63 Allgemein zu den Chreophylakes Aperghis 2004, 286; Messina/Mollo 2004 I, 25–30; Lindström 2003, 58–59; Mollo 1997, 93; Doty 1977, 316–335; Bikerman 1938, 208–209; Rostovtzeff 1932, 57–74. 64 Thalheim 1899. 65 Dareste 1882, 241–245 zu den in Inschriften genannten χρεωφύλακες und χρεωφυλάκια.
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sind nur aus dem Seleukidenreich Siegel von Chreophylakes überliefert. Der Tätigkeitsbereich dieser Behörde war nach Ausweis der epigraphischen Zeugnisse sehr heterogen. So wurden in dieser Behörde Darlehensverträge hinterlegt,66 sie tritt aber auch in anderen Kontexten in Erscheinung.67 Die Siegel der Chreophylakes sind häufig mit den Steuersiegeln kombiniert, womit anzunehmen ist, dass es sich um eine zentrale Behörde zur Registrierung von Kaufverträgen handelte.68 Auch ist davon auszugehen, dass die Chreophylakes je nach Polis unterschiedlichen Aufgaben nachgingen.69 Zu den Chreophylakes von Dura-Europos hat sich zuletzt Gaëlle Coqueugniot geäußert.70 Offizielle Siegel mit Inschrift: Die Beamtensiegel aus Orchoi und Seleukeia am Tigris Insgesamt gibt es 15 in Abdrücken überlieferte Siegel aus Orchoi und neun Siegel aus Seleukeia am Tigris, die anhand der im Siegelbild enthaltenen Inschriften eindeutig auf Ämter beziehungsweise Amtsträger verweisen. 13 der aus Orchoi überlieferten Siegel lassen sich den Chreophylakes zuschreiben, wobei eines wohl dem „Chreophylax des Königs“71 und die übrigen mit Sicherheit dem „Chreophylax von/in Orchoi“72 zugewiesen werden können. Die Siegel der Chreophylakes von Orchoi zeigen in einem Falle das Bildnis Antiochos’ IV.73 (175–164 v. Chr.) und somit ein relativ spätes Motiv, welches gleichsam eine Ausnahme darstellt, da auf den übrigen Siegeln zumeist Götter abgebildet sind.74 Lediglich das Siegel 66
Weiss 1923, 408–409 mit Anm. 182. Eine Inschrift aus Seleukeia am Eulaios erwähnt einen ἐπιστάτης χρεοφυλακίου als Zeugen einer Sklavenfreilassung, siehe Rostovtzeff 1932, 62–63. 68 So auch Lindström 2003, 59. 69 Für die seleukidische Administration sind Chreophylakia neben Seleukeia und Orchoi auch in Susa und Dura Europos belegt, siehe Bikerman 1938, 209. 70 Coqueugniot 2021. 71 Lindström 2003, 27–29 mit Abb. 3. 72 Hier nennt die Inschrift auch das Toponym ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ ΟΡΧΩΝ oder ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΙΚΩΝ EN OPXOIΣ. Die Form χρεoφuλακικός ist so nur von den Siegeln bekannt. Es handelt sich um eine im Nominativ stehende adjektivische Form und kann wohl am besten in den deutschen Genitiv übertragen werden („des Chreophylax“) beziehungsweise deklariert den Inhalt der Urkunde als „Angelegenheit der Chreophylakes/des Chreophylax“ (vgl. Montanari 2014, 2375, s. v. χρεoφῠλᾰκικός). Im Falle der singulären Inschrift ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΙΚΩΝ EN OPXOIΣ müsste die Übersetzung „der Chreophylakes in Orchoi“ lauten. 73 Lindström 2003, 33–34 mit Abb. 24. 74 Apollo (3×): Lindström 2003, 30–31, 40–42. Zum Apollo mit angeblichen Gesichtszügen des Antiochos III. siehe oben Anm. 47; Athena (4×): Lindström 2003, 43–46; Nike (1×): Lindström 2003, 42–43; nicht benennbare, thronende Göttin mit Nike (1×): Lindström 2003, 46–47; Heros (1×): Lindström 2003, 48. Diese Darstellung wurde verschiedentlich als „Heroisierter Herrscher“ gedeutet (vgl. Lindström 2003, 48; Fleischer 1991, 117; Rostovtzeff 1932, 30), was m. E. jedoch zu weit geht. Objektiv betrachtet handelt es 67
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mit dem Rundschild, auf dem ein Anker abgebildet ist, trägt ein gegenständliches Motiv (Abb. 5).75 Die gewählten Motive sind auch aus der Münzprägung geläufig, sodass sich in dieser Gattung für nahezu jedes Chreophylax-Siegel eine Darstellung mit großen ikonographischen Übereinstimmungen finden lässt.76
Abb. 10: Abdruck eines Siegels mit Dreifuß und der Inschrift ΒΥΒΛΙΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 I, Farbtf. 1, Kat.-Nr. SU 20: S7-4919).
Abb. 11: Abdruck eines Siegels mit einem Monogramm aus Seleukeia am Tigris (nach Messina/Mollo 2004 III, Tf. 119, Kat.-Nr. MO 4: S-5521).
Neben den Chreophylax-Siegeln ist in Orchoi noch mindestens ein weiteres eindeutig offizielles Siegel überliefert. Es zeigt einen Dreifuß und die Inschrift ΒΥΒΛΙΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ.77 Vito Messina konnte belegen, dass die drei Abdrücke sich um eine auf einen Speer gestützte Figur eines nackten Mannes. 75 Lindström 2003, 40. 76 In der Forschung wurde immer wieder und zu Recht auf die großen stilistischen und ikonographischen Übereinstimmungen hingewiesen: z.B. Killen 2017, 47; Lesperance 2010, 61; Messina/Mollo 2004 I, 25; Lindström 2003, 25 und 49–51; Berges 1997, 45–49; Rostovtzeff 1932, 23. Allerdings sollte hier weniger eine Abhängigkeit des Siegelbildes vom Münzbild angenommen werden, sondern vielmehr eine gemeinsame, offizielle Bildsprache, derer sich beide Medien bedienen, postuliert werden. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen die Siegelschneider und die Münzstempelschneider identisch gewesen sein werden, vgl. Lindström 2003, 49; Zwierlein-Diehl 1992, 106–117; Hackens 1989, 157–162; Boardman 1970, 158, 210 und 238; Richter 1968, 23–24; Sambon 1906, 275–284; Furtwängler 1900, 126. Für die klassische Zeit vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. hat Angela Berthold die Arbeitsprozesse der Münz- und Gemmenkünstler vergleichend nebeneinandergestellt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsprozesse zwar durchaus verwandt sind, aber eine „Doppeltätigkeit eines Künstlers sowohl als Gemmengraveur wie als Stempelschneider“ nicht nachgewiesen werden kann (Berthold 2013, 294–297). Zur Frage bzgl. der in Abdrücken überlieferten Siegel des Hellenismus und der damit verbundenen Frage zum verwendeten Material der verlorenen Siegel Schreiber in Vorb. 77 Lindström 2003, 39.
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in Orchoi von demselben Siegel stammen wie 35 überlieferte Abdrücke aus Seleukeia am Tigris (Abb. 10).78 Darüber hinaus ist m. E. ein Monogrammsiegel79 den offiziellen Siegeln zuzurechnen, denn es enthält die Buchstaben ΣΕ, die als Akronym der Stadt Seleukeia gedeutet werden können. Diese Deutung wird dadurch untermauert, dass in der Querhaste ein Anker zu erkennen ist (Abb. 11 und 12).80
Abb. 12: Mögliche Auflösung des Monogramms Abb. 11 (Grafik: T. Schreiber).
Aus Seleukeia am Tigris ist ein Abdruck eines Siegels mit einem identischen Monogramm überliefert,81 allerdings stammt dieser nicht von demselben Siegel wie der Abdruck in Orchoi. 82 Die übrigen eindeutig offiziellen Siegel mit Inschriften, die in Abdrücken aus Seleukeia am Tigris überliefert sind, lassen sich den Ämtern des Chreophylax, des Bybliophylax und dem Katagraphion zuweisen. Während letzteres,83 wie bereits erwähnt, einen stehenden Anker zeigt und aufgrund der Inschrift ΚΑΤΑΓ[ΡΑΦΙΟΥ] nicht den zuvor beschriebenen Ankersiegeln zugerechnet werden kann, 84 zeigen die Chreophylax-Siegel Seleukos I. (Abb. 7),85 Seleukos I. oder Antiochos I. (Abb. 6)86 und Seleukos II.87 in Kombination mit der Inschrift ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΩΝ. Die Siegel des Bybliophylax – zu dem bereits genannten, welches auch in einem Abdruck aus Orchoi überliefert ist, kommen drei weitere hinzu88 – sind mit dem Dreifuß in der Kombination mit der 78
Messina 2005, 132–135 mit Abb. 3; Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Su 20. Lindström 2003, Kat.-Nr. 89-1. 80 Ein vergleichbarer Fall, der eine Verschmelzung eines Symbols und Buchstaben in Monogrammform belegt, liegt in der Stadt Tyros vor, wo in seleukidischer Zeit ein Monogramm auf Münzen geprägt wird, welches die Buchstaben T und Y abbildet und deren vertikale Haste durch eine Keule gebildet wird: vgl. Houghton et al. 2008, 300–303, Nrn. 1959, 1963 und 1967, Tf. 28 (Demetrios II.); 383–386, Nrn. 2107–2110, Tf. 36 (Antiochos VII.). 81 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. MO 3. 82 Messina 2005, 139–140 mit Abb. 7. 83 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 18. 84 Zum Katagraphion und den zugehörigen Siegelabdrücken Messina/Mollo 2004 I, 21– 22 31, Kat.-Nr. SU 18; Mollo 1997, 91. 85 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 1. 86 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 3. 87 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 7. 88 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nrn. SU 20 (= Orchoi: Lindström 2003, 39 mit Abb. 39), SU 21, SU 22 und SU 23. 79
Im Namen des Königs?
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Inschrift ΒΥΒΛΙΟΦΥΛΑΚΙΚΟΣ versehen.89 Aus den Archiven im sog. Great House in Seleukeia am Tigris kommen zwei weitere Chreophylax-Siegel hinzu.90 Das eine zeigt ebenfalls Seleukos I. und die Inschrift ΧΡΕΟΦΥΛΑΚΩΝ (Abb. 13),91 das andere Demetrios I. und ein Monogramm „☧“ (Abb. 14).92 Letzteres Siegel ist aufgrund des Monogramms, welches sich zu Chreophylax auflösen ließe, der Tatsache, dass ein seleukidischer Herrscher dargestellt ist, und der auffälligen Größe der Gruppe der Chreophylax-Siegel zugeordnet worden.93 Ronald Wallenfels äußerte hierzu, dass dieser Siegelabdruck nicht alleine aufgrund des Monogramms, welches auch von Münzen bekannt sei, 94 einem Chreophylax zugeschrieben werden sollte, sondern dieses Stück der Gruppe von großen, unbeschrifteten Siegeln mit Königsporträt zuzurechnen sei, deren Funktion bisher ungeklärt ist.95
Abb. 13: Abdruck eines Siegels mit dem Porträt des Seleukos I. und der Inschrift [XΡΕΟΦ]ΥΛΑΚΩΝ aus Seleukeia am Tigris (nach McDowell 1935, Taf. 1.2).
Abb. 14: Abdruck eines Siegels mit dem Porträt des Demetrios I. und dem Monogramm XP aus Seleukeia am Tigris (nach McDowell 1935, Tf. 2.15).
Aufgrund des Monogramms – welches de facto eine Beschriftung darstellt – gehört aber eben dieses Siegel nicht der von Wallenfels genannten Gruppe an. Dieses Stück erfüllt eindeutig die wesentlichen Merkmale offizieller Siegel, die 89
Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 22 nennt in der Inschrift zudem das Toponym [ΣΕ]ΛΕΥΚΕΙΑΣ. Zu diesen Siegeln auch Wallenfels 2015, 63. 90 Zu den Archiven im ‚Great House‘: McDowell 1935, VII, 10–24; McDowell 1932, 98– 103; Invernizzi 1969, 72–73 Zu den Grabungsberichten der Universität von Michigan: Waterman 1933. 91 Es ist nicht abschließend zu klären, ob die Abdrücke McDowell 1935, 40, Tf. 1.2 von demselben Siegel stammen wie die Abdrücke Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 1. 92 McDowell 1935, 49, Tf. 2.15. 93 Brown 1938, 614 Anm. 1. 94 Houghton/Lorber 2002, 174–178, Nrn. 483, 488, 489, 493, 495 und 496, Tfn. 22–23. 95 Wallenfels 2015, 66 mit Anm 41.
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Torben Schreiber
im nachfolgenden Abschnitt nochmals zusammengefasst werden, bevor die Gruppe der inschriftenlosen Siegel mit Herrscherporträts genauer betrachtet wird. In Bezug auf das Monogramm muss erwähnt werden, dass im Chreophylakeion von Dura Europos das gleiche Monogramm aus X und P in der Beschriftung der Regale auftaucht und dort als Abkürzung für den Chreophylax bzw. dessen Behörde gedeutet wurde.96 Offizielle Siegel der Seleukiden mit und ohne Inschriften: Ein Vergleich Grundlage für die nun nachfolgende Darstellung sind zunächst alle aus Seleukeia bekannten und mit Inschriften versehenen und daher eindeutig als offiziell gekennzeichneten Siegel, die in Abdrücken überliefert sind. 97 In einem weiteren Schritt werden die Siegel aus Orchoi miteinbezogen. Abschließend erfolgt eine vergleichende Betrachtung der offiziellen Siegel mit Inschriften und solcher, die anhand der literarischen Überlieferung als solche erkannt worden sind, sprich den Siegeln mit Anker. Die Siegel aus Seleukeia am Tigris Die zehn Siegel mit Inschriften, die aus Seleukeia in Abdrücken überliefert sind, stellen sich wie folgt dar: 1. Sie sind mit einer durchschnittlichen Siegelfläche von 21,5 × 18,4 mm deutlich größer als der Gesamtdurchschnitt der sonst aus Seleukeia in Abdrücken überlieferten Stücke.98 2. Alle hinterließen einen flachen Abdruck. Im Gesamtbestand der Abdrücke liegt der Anteil der flachen Siegel bei nur 35,9 %.99 3. Sieben der zehn Siegel wurden mehrfach verwendet (s. Diagramm 1). Im Gesamtbestand liegen hingegen nur von 15,1 % aller Siegel in mehr als einem Abdruck vor. Durchschnittlich wurden die eindeutig offiziellen Siegel mit Inschrift 11,8-fach verwendet (s. Diagramm 2), wohingegen im Gesamtbestand eine 4,9-fache Verwendung feststellbar ist. Lässt man hier die Steuersiegel außen vor, sinkt dieser Wert deutlich, wobei die Anzahl der verwendeten Siegel insgesamt nur geringfügig auf 6132 fällt. Dies ist erforderlich, um die Dominanz der wenigen, aber teilweise hundertfach 96
Zuletzt Coqueugniot 2021; Leriche 1996, 160; Posner 1972, 131. Zudem wurden kürzlich in einem Archiv in Maresha Abdrücke von Chreophylax-Siegeln mit Akronymen entdeckt, s. Stern/Ariel 2020, 46–51. Mein Dank für diesen Hinweis gilt D. Ariel. 97 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nrn. SU 18, 20–22, Se 1, 3 und 7; Messina/Mollo 2004 III, Kat.-Nr. MO 3; McDowell 1935, 40, Tf. 1.2; 49, Tf. 2.15. 98 Für 991 Stücke ließ sich anhand des Katalogs Messina/Mollo 2004 I–III die vollständige Größe der Siegelfläche feststellen, sie beträgt im Durchschnitt 13,1 × 11,9 mm. 99 Der Gesamtbestand umfasst 6293 Siegel. Für 7,1 % der verwendeten Siegel konnte keine Aussage über die Oberflächengestaltung getroffen werden, 57 % hinterließen einen konkaven Abdruck.
Im Namen des Königs?
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verwendeten Steuersiegel zu kompensieren. Diese Stücke ausgenommen, wurde ein Siegel in Seleukeia am Tigris im Durchschnitt nur 2,7-mal benutzt. 4. Neun der zehn Siegel zeigen Motive, die auch von Münzbildern und damit von anderen ‚offiziellen‘ Bildträgern bekannt sind. Das Monogrammsiegel ist hier ausgenommen, da es keine figürliche Verzierung zeigt.100 Diagramm 1: Mehrfachverwendung offizieller Siegel in Seleukeia am Tigris Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) 0 Mehrfach überliefert
0,2
0,4
0,6
0,8
1
Einfach überliefert
Diagramm 2: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Seleukeia am Tigris 14 12 10 8 6 4 2 0 Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293)
100
Gesamt Seleukeia am Tigris ohne Steuersiegel (n=6132)
Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10)
Es handelt sich entweder um das Königsporträt im Falle der Chreophylax-Siegel (vgl. Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nrn. Se 1 [Seleukos I.], Se 3 [Seleukos I. oder Antiochos I.] und Se 7 [Seleukos II.]; McDowell 1935, 40, Tf. 1.2 [Seleukos I.], 49 Tf. 2.15 [Demetrios I.]) oder um einen Dreifuß im Falle der Bybliophylax-Siegel (vgl. Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nrn. SU 20 [=Lindström 2003, 39 mit Abb.], SU 21, SU 22 und SU 23). Der Dreifuß ist aufgrund seiner Verbindung zu Apollon ein sehr beliebtes Reversmotiv der seleukidischen Münzen und wurde seit der Zeit des Seleukos I. bis in die späten Jahre der Seleukidenherrschaft geprägt: Seleukos I.: Houghton/Lorber 2002, 62, Nrn. 134–136, Tf. 8; Antiochos I.: Houhton/Lorber 2002, 128, Nrn. 336–337. Tf. 70; Antiochos II.: Houghton/ Lorber 2002, 209, Nrn. 594–597, Tf. 78; Seleukos II.: Houghton/Lorber 2002, 255–256, Nrn. 693–699, Tf. 80–81; Seleukos III.: Houghton/Lorber 2002, 341, Nrn. 945–947, Tf. 86; Antiochos III.: Houghton/Lorber 2002, 372–373, Nrn. 971–975, Tf. 87; Antiochos IV.: Houghton et al. 2008, 66, Nr. 1406; Seleukos VI.: Houghton et al. 2008, 564, Kat.-Nr. 2426.
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Torben Schreiber
Die Siegel aus Orchoi Auch wenn in Orchoi der Erhaltungszustand der überlieferten Siegelabdrücke insgesamt deutlich schlechter ist, so lassen sich hier jedoch für die 14 mit Inschrift überlieferten Siegel101 sehr ähnliche Zahlenwerte feststellen: 1. Mit 25,9 × 19,2 mm sind die Siegel mit Inschriften deutlich größer als der Gesamtdurchschnitt.102 2. Alle Abdrücke dieser Siegelgruppe sind flach.103 3. 78,6 % der eindeutig offiziellen Siegel aus Orchoi wurden mehrfach verwendet (s. Diagramm 3). Im Durchschnitt wurde jedes dieser Siegel 6,1fach genutzt (s. Diagramm 4). Im Gesamtbestand ist für nur 16,2 % eine Mehrfachverwendung nachweisbar, sodass der durchschnittliche Nutzungsfaktor bei 1,3 pro Siegel liegt. Die Ankersiegel aus Seleukeia am Tigris, Orchoi, Kydissos, Kallipolis und Delos Wie verhält es sich mit den Siegeln mit dem seleukidischen Anker, die anhand der literarischen Überlieferung als ‚offiziell‘ anzusehen sind? 1. Die Ankersiegel sind im Durchschnitt 19,6 × 15,4 mm und somit deutlich überdurchschnittlich groß (Abb. 15).104 2. Sie weisen alle eine flache Siegelfläche auf.
101
Zu den Siegeln Lindström 2003, 27–48 mit Abb. Für die Statistik wurden hier nur diejenigen Siegel berücksichtigt, die auch eine Inschrift aufweisen. 102 Der feststellbare Gesamtdurchschnitt liegt in Orchoi bei 10,5 × 13,7 mm. Allerdings sind hier nur 175 Stücke erfasst, die einen entsprechenden Erhaltungszustand aufweisen. Die andere Orientierung (längsoval) ergibt sich dadurch, dass hier wesentlich mehr ‚orientalische‘ Bildthemen enthalten sind, die ein Querformat der Siegelfläche bedingen. Zu den unterschiedlichen Themen in Seleukeia und Orchoi vgl. auch: Wallenfels 2015, 59– 60 mit Anm. 13 und 14. 103 Der Anteil an flachen Siegelflächen liegt bei den 1008 überlieferten Siegeln aus Orchoi bei 81,2 %. Nur 18,1 % wölbten sich in den Ton hinein. Somit sind die Verhältnisse hinsichtlich dieses Merkmals deutlich anders als in Seleukeia, für die hier zu betrachtende Gruppe der eindeutig offiziellen Siegel ergibt sich jedoch, dass der Anteil der flachen Stücke 18,8 % höher ist als im Gesamtdurchschnitt. 104 Einbezogen wurden neben den Stücken aus Seleukeia am Tigris (Messina/Mollo 2004 I, 30–31, Kat.-Nrn. SU 3–17 und SU 19) und Orchoi (Lindström 2003, 36–38, Kat.-Nrn. 258-1 und 268-1) auch diejenigen aus Delos (Boussac 1992, 15, Nr. SP 8), Kallipolis (Pantos 1985, Kat.-Nr. 94) und Kydissos (Lesperance 2010, 76, 84–85, Kat.-Nrn. ANC1 und ANC3). Von den insgesamt 23 Ankersiegeln sind 17 in einem so guten Zustand erhalten, dass sich die Gesamtgröße der Siegelfläche bestimmen lässt. Das Siegel Messina/ Mollo 2004 I, Kat.-Nr. SU 18 wird in der Statistik nicht berücksichtigt, da es aufgrund der Inschrift in die Gruppe der eindeutig offiziellen Siegel fällt.
Im Namen des Königs?
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3. 78,3 % wurden nachweislich mehrfach verwendet (s. Diagramm 5). Im Durchschnitt wurde jedes Siegel somit 10,7-mal benutzt (s. Diagramm 6). Diagramm 3: Mehrfachverwendung offizieller Siegel in Orchoi Offizielle Siegel Orchoi (n=14) Gesamt Orchoi (n=1008) 0
0,2
Mehrfach überliefert
0,4
0,6
0,8
1
Einfach überliefert
Diagramm 4: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Orchoi 8 6 4 2 0 Gesamt Orchoi (n=1008)
Offizielle Siegel Orchoi (n=14)
Diagramm 5: Mehrfachverwendung der Ankersiegel im fundplatzübergeifenden Vergleich 0
0,2
0,4
Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Orchoi (n=1008) Offizielle Siegel Orchoi (n=14) Ankersiegel, fundplatzübergreifend (n=23) Mehrfach überliefert
Einfach überliefert
0,6
0,8
1
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Diagramm 6: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Seleukeia am Tigris und in Orchoi im fundplatzübergreifenden Vergleich mit den Ankersiegeln Durchschnittliche Mehrfachverwendung Ankersiegel (n=23) Offizielle Siegel Orchoi (n=14) Gesamt Orchoi (n=1008) Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Seleukeia am Tigris ohne Steuersiegel (n=6132) Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) 0
5
10
15
Abb. 15: Durchschnittliche Größe der offiziellen Siegel im Vergleich mit dem Gesamtdurchschnitt in Seleukeia am Tigris (a) und Orchoi (b) sowie den Ankersiegeln (c).
Somit lassen sich anhand dieser Kriterien zwischen den Ankersiegeln und den eindeutig offiziellen Siegeln mit Inschriften kaum Unterschiede feststellen. Die Siegel sind geringfügig kleiner, aber immer noch deutlich größer als der Gesamtdurchschnitt, sie sind flach und durchschnittlich ähnlich häufig verwendet worden. Aus diesen Beobachtungen lassen sich mehrere Schlüsse ziehen, die wiederum Fragen aufwerfen. Es gab demnach offizielle Siegel ohne Inschriften, die sich über die oben genannten Merkmale identifizieren lassen: Ein offizielles seleukidisches Siegel, welches sich nicht anhand einer Inschrift oder anhand literarischer Quellen als solches erkennen lässt, müsste dadurch auffallen, dass es überdurchschnittlich groß ist, eine flache Siegelfläche aufweist, in mehreren Abdrücken überliefert ist und sehr wahrscheinlich ein Motiv trägt, welches dem ,offiziellen‘
Im Namen des Königs?
175
Bildrepertoire zuzuordnen ist. Diese Gruppe von Siegeln sind als „Siegel mit offiziellem Charakter“ zu benennen und stehen zwischen den eindeutig offiziellen Siegeln und den Individualsiegeln, die im Grunde nichts Anderes darstellen als eine Masse von Siegeln, die keiner Institution und/oder keinem Amtsträger zugeordnet werden kann.105 Im Namen des Königs: Wer siegelte mit den Porträts seleukidischer Herrscher? Wenn nun postuliert werden kann, dass der seleukidische Herrscher bzw. der königliche Hof mit dem Anker siegelte, wer siegelte dann mit dem Porträt des Herrschers? Im Falle einiger Siegel mit Königsbildnissen lässt sich diese Frage unzweifelhaft beantworten, da hier Inschriften enthalten sind, welche die Chreophylakes nennen. Was aber, wenn diese Information fehlt? Den Siegeln mit Herrscherporträts ist per se ein offizieller Charakter zu eigen, da das Porträt des Königs in der Regel die Averse der Münzen ziert. Somit ist ein wesentliches Charakteristikum der offiziellen Siegel erfüllt, da hier ein Motiv verwendet wurde, welches von anderen ‚offiziellen‘ Bildträgern bekannt ist. Zu untersuchen bleibt demnach, wie es sich mit den anderen Merkmalen – Größe, Abdruckform, Mehrfachverwendung – verhält, um zunächst ganz grundsätzlich festzustellen, ob es sich tatsächlich um offizielle Siegel handelt. Grundlage der Identifizierung der Dargestellten als Herrscher ist das Diadem, welches als das zentrale Herrschaftsattribut hellenistischer Könige gelten muss.106 Nach kritischer Durchsicht des Katalogs zu den Stücken aus Seleukeia am Tigris bleiben 53 Siegel mit Herrscherporträts, die in insgesamt 149 Abdrücken überliefert sind.107 Unter ihnen sind die seleukidischen Könige mit 30 Siegeln in 123 Abdrücken vorherrschend. Nachfolgend nicht beachtet werden die bereits erwähnten Chreophylax-Siegel mit Herrscherporträts, da diese anhand der Inschriften eindeutig als offizielle Siegel gekennzeichnet sind. Unberücksichtigt bleiben im Rahmen des vorliegenden Beitrags zudem die Bildnisse anderer hellenistischer Herrscher aus Seleukeia am Tigris und eine Reihe von nicht näher bestimmbaren Diademträgern. Dies dient dazu, ausschließlich die seleukidischen Siegel zu betrachten und nicht potenziell kulturell bedingte Eigenheiten fehlzuinterpretieren.
105
Hierzu Schreiber in Vorb. Zum Diadem hellenistischer Herrscher Lichtenberger et al. 2012; bes. Salzmann 2012, 337–383 zur Typologie und Trageweise. 107 Zu dieser Gruppe von Siegeln aus Seleukeia am Tigris Messina/Mollo 2004 I, 26–27, 35–39, 47–59. Zahlreiche Siegel, die von den Bearbeitern als Herrscherbildnisse klassifiziert wurden, sind hier nicht berücksichtigt worden, da nicht nur die Benennung unsicher ist, sondern auch in vielen Fällen kein eindeutiges Indiz dafür vorliegt, dass es sich überhaupt um Bildnisse von Herrschern handelt. Da es hier vornehmlich auch um die statistische Auswertung der Archivinventare geht, können nur die Bildnisse berücksichtigt werden, die mit absoluter Sicherheit einen Herrscher zeigen. 106
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Torben Schreiber
Hinzugenommen werden die sieben Siegel mit seleukidischen Herrschern aus Orchoi.108 Unter den dargestellten Königen sind Seleukos I., Antiochos I., Seleukos II., Antiochos III., Seleukos IV., Antiochos IV., Demetrios I. und Demetrios II. zu finden.109 Die für die eindeutig offiziellen Siegel festgestellten Merkmale finden sich zum Teil auch bei diesen Stücken wieder: 1. Mit 19,2 × 17 mm sind die Siegel mit Herrscherporträts deutlich überdurchschnittlich groß (Abb. 16).110 2. Nach Ausweis der Abdrücke sind alle Siegelflächen flach gearbeitet. 3. Die Siegel mit Porträts seleukidischer Herrscher aus Seleukeia am Tigris und Orchoi wurden zu 35,1 % mehrfach verwendet (s. Diagramm 7). Im Schnitt wurde jedes dieser Siegel 3,8-mal benutzt (s. Diagramm 8). Somit ist festzuhalten, dass sich die Stücke zwar deutlich von der Masse der ‚Individualsiegel‘ abheben, sich aber keineswegs eindeutig der Gruppe der offiziellen Siegel zuordnen lassen. Gerade die Werte im Bereich der Mehrfachverwendung liegen deutlich niedriger im Vergleich mit der Gruppe der eindeutig offiziellen Siegel. Hinsichtlich der Größe ist hingegen auffällig, dass die Werte dieser Siegel nahezu denen der Ankersiegel entsprechen, dennoch gilt es im Einzelnen zu überprüfen, welche Merkmale genau erfüllt sind. Beispielsweise zeigt ein Siegel mit dem Bildnis des Seleukos I.111 mit einer Höhe von 28 mm und einer Breite von 20 mm sowie 36 überlieferten Abdrücken sehr eindringlich alle Merkmale offizieller Siegel. Lediglich die Inschrift fehlt. Eine solche findet in der Publikation keine Erwähnung und ist auch in der publizierten Abbildung nicht zu erkennen. Die großen stilistischen Übereinstimmungen mit einem der zuvor betrachteten Chreophylax-Siegel112 sowie die genannten Merkmale legen die Vermutung nahe, dass sich eine potenzielle Inschrift in den Abdrücken nicht erhalten hat. Ein Siegel mit dem Bildnis des Seleukos IV.,113 welches in 31 Abdrücken vorliegt, und eines mit dem Bildnis des Demetrios II.,114 welches 14-mal überliefert ist, erfüllen ebenfalls die für die offiziellen Siegel festgestellten Merkmale und heben sich deutlich von der Masse ab.
108
Zu diesen Siegeln Lindström 2003, 27–36. Im vorliegenden Beitrag sind nur diejenigen Siegel ohne Inschrift berücksichtigt worden. 109 Auf die Benennungen kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Vgl. Messina/ Mollo 2004 I, 26–27, 35–39, 47–59; Lindström 2003, 27–36. 110 Entsprechende Werte ließen sich für 22 Siegel feststellen, da diese (nahezu) vollständig in Abdrücken überliefert sind. 111 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 2. 112 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 1. 113 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 32 (18 × 15 mm). 114 Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. Se 47 (19 × 21 mm).
Im Namen des Königs?
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Diagramm 7: Mehrfachverwendung der Herrschersiegel in Seleukeia am Tigris und Orchoi 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Orchoi (n=1008) Offizielle Siegel Orchoi (n=14) Siegel mit Herrscherportäts (n=30) Mehrfach überliefert
Einfach überliefert
Diagramm 8: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Seleukeia am Tigris und in Orchoi im Vergleich mit den Siegeln mit Herrscherporträts Durchschnittliche Mehrfachverwendung Siegel mit Herrscherporträts (n=30)
3,8
Offizielle Siegel Orchoi (n=14)
6,1
Gesamt Orchoi (n=1008)
1,2
Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Seleukeia am Tigris ohne Steuersiegel (n=6132)
11,8 2,7
Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293)
4,9 0
2
4
6
8
10
12
14
Abb. 16: Durchschnittliche Größe der offiziellen Siegel im Vergleich mit dem Gesamtdurchschnitt in Seleukeia am Tigris (a) und Orchoi (b) sowie den Siegeln mit Herrscherportäts (c).
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Hieran lassen sich weitere Siegel – auch aus Orchoi – anschließen, die ebenfalls eine entsprechende Größe aufweisen, teils in mehreren Abdrücken vorliegen, aber relativ schlecht erhalten sind, sodass eine Siegelinschrift möglicherweise nicht in den Abdrücken zu erkennen oder weggebrochen ist.115 Mögliche Ausschlusskriterien, um diejenigen Siegel zu identifizieren, die den Merkmalen der ‚offiziellen‘ Siegel nicht entsprechen, wären die Kriterien Größe und Anzahl. Wendet man ‚Größe‘ an, so fällt auf, dass keines der hier zusammengestellten Siegel, sofern vollständig überliefert, unter die Durchschnittsgröße fällt. Geht man nach der Anzahl der Abdrücke, so blieben 13 Siegel, die das Merkmal der Mehrfachverwendung erfüllen. Somit würden 64,9 % der Siegel mit Herrscherporträts ausgeschlossen. Allerdings liegt der Anteil der eindeutig offiziellen Siegel – die Ankersiegel miteinbezogen –, die in nur einem Abdruck vorliegen, bei 20–30 %. Da diese eben eindeutig offiziell sind, würde die strikte Anwendung des Kriteriums ‚Mehrfachverwendung‘ 20–30 % der potenziell offiziellen Siegel ausschließen. Darüber hinaus liegt der Wert für die durchschnittliche Mehrfachverwendung mit 3,8 deutlich über den Vergleichswerten des Gesamtbestandes aus Orchoi und – lässt man die Steuersiegel aus den bereits genannten Gründen außen vor – auch über dem Referenzwert aus dem Archiv von Seleukeia am Tigris. Um also ein Ausschlusskriterium zu vermeiden, müssen die genannten Kriterien hierarchisch angewandt werden. Dies erfolgt über die Häufigkeit des Auftretens dieser Merkmale: Die Siegel mit Herrscherporträts (1) zeigen alle ein Motiv, welches aus anderen offiziellen Gattungen – z. B. den Münzbildern – bekannt ist: das Herrscherporträt. Darüber hinaus zeigen alle (2) eine flache Siegelfläche116 und alle, deren Erhaltungszustand eine solche Einschätzung erlaubt, sind (3) überdurchschnittlich groß. Der offizielle Charakter wird zudem bei einigen Stücken noch dadurch unterstrichen, dass sie (4) mehrfach verwendet worden sind. Möglicherweise sind bei den hier betrachteten Siegeln mit seleukidischen Herrscherporträts die Inschriften verloren gegangen. Dies erscheint umso wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass die Amtsbezeichnungen auch als Akronym angegeben werden konnten. Eine solche Abkürzung in Form des ☧-Monogramms
115
Lindström 2003, Kat.-Nrn. 292-1, 313-1 (24 × 19 mm; 2 Abdrücke; Seleukos I.), 83-1 (> 13 × 19 mm; 1 Abdruck; Seleukos I.), 84-1, 103-1, 108-1, 109-1, 110-1, 115-1 und 3281 (27 × 21 mm; 7 Abdrücke; Antiochos I.). 116 Die flache Siegelfläche, die sich bei allen Stücken dieser Gruppe anhand der Abdrücke feststellen lässt, kann als Indikator gesehen werden, dass die Siegel aus Metall gefertigt waren. Dieser Schluss liegt auch deshalb nahe, da die stilistischen Ähnlichkeiten mit den Münzbildern vermuten lassen, dass die Münzstempelschneider die Siegelringe hergestellt haben und diese dementsprechend in ‚ihrem‘ Material – Metall – gearbeitet haben. Diese Vermutung bleibt aufgrund der Quellenlage allerdings sehr hypothetisch. Zu dieser Frage vgl. Lindström 2003, 49; Zwierlein-Diehl 1992, 106–117; Hackens 1989, 157–162; Boardman 1970, 158, 210 und 238; Richter 1968, 23–24; Sambon 1906, 275–284; Furtwängler 1900, 126.
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ist bisher nur bei einem einzigen Siegel bekannt. Bedenkt man jedoch den generellen Erhaltungszustand der Siegelabdrücke und bezieht die Beobachtung mit ein, dass die Siegelnden bemüht waren, auf den teils für die gesamte Fläche des Siegels zu kleinen Tonklumpen das zentrale Bildmotiv – in diesen Fällen das Herrscherbildnis und nicht die Inschrift oder ein Monogramm – zu applizieren,117 so ist davon auszugehen, dass uns zumindest bei einer Vielzahl der hier betrachteten Stücke, wenn nicht gar bei allen, die Inschrift nicht erhalten ist. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass es sich um Kopien in Ton handelt und somit Details verloren gehen konnten. Eine weitere mögliche Erklärung für das Fehlen von Inschriften könnte in der Etablierung der Siegelpraxis zu finden sein: Möglicherweise war das Aufbringen der Inschrift auf Chreophylax-des-Königs-Siegeln nicht mehr zwingend erforderlich, da das Königsporträt im Laufe der Zeit fest mit diesem Amt assoziiert war. Diese mögliche Erklärung ergibt sich aus der Beobachtung, dass nach der Regierungszeit des Seleukos II. (246–226 v. Chr.) keine Chreophylax-des-Königs-Siegel mit Inschrift mehr überliefert sind. Nachweislich wurde eines noch 212 v. Chr. verwendet, es ist aber bereits vor 240 v. Chr. entstanden. Bei dem aus Orchoi überlieferten Siegel mit dem Porträt des Antiochos IV. handelt es sich nach Ausweis der Inschrift eindeutig um den Chreophylax von Orchoi. Es ist das einzige Chreophylax-Siegel aus Orchoi, welches ein Königsporträt zeigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Siegel mit Herrscherporträts einen starken offiziellen Charakter haben und demnach höchstwahrscheinlich hohe Beamte mit diesen Siegeln gesiegelt haben. Sollte dies zutreffen, sind in den Siegelträgern die Chreophylakes oder Amtsträger mit ähnlichen Befugnissen zu sehen. Die Amtsbezeichnung in Form einer Inschrift oder eines Akronyms ging möglicherweise verloren oder war gar nicht erst vorhanden. Diese Schlussfolgerung gewinnt zusätzlich an Wahrscheinlichkeit, wenn man sich andere ikonographische Gruppen von Siegelbildern aus Seleukeia am Tigris im Vergleich anschaut. Hier wird die Gruppe der Siegel mit Athenadarstellungen herausgegriffen.118 Athena gehört neben Eros,119 Tyche120 und Apollon121 zu den am häufigsten auf den Siegeln zu findenden Götterdarstellungen. Es handelt sich im Falle der Athena um 328 Siegel, die in 666 Abdrücken überliefert sind. Im Durchschnitt wurde demnach jedes dieser Siegel 2-fach verwendet (s. Diagramm 9). Insgesamt ist für 279 Stücke nur je ein Abdruck überliefert, womit der Anteil der häufiger verwendeten Siegel bei nur 14,9 % liegt (s. Diagramm 10). Die 117
Dies beobachtet Kyrieleis 2015, 17 in Bezug auf die Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts aus Nea Paphos. Ähnlich äußerte sich auch Weiß 1992, 80 in Bezug auf die Siegel aus Doliche. 118 Messina/Mollo 2004 II, 11–31, Kat.-Nrn. At 1–209 und AtT –119. 119 Messina/Mollo 2004 II, 87–113m Kat.-Nrn. Er 1–351 und ErT 1–105. 120 Messina/Mollo 2004 II, 121–141, Kat.-Nrn. Tk 1–322. 121 Messina/Mollo 2004 II, 35–60, Kat.-Nrn. Ap 1–188, ApT 1–87 und Nb 1–2.
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durchschnittliche Größe der Siegel beträgt 13,1 × 10,6 mm,122 was nahezu dem Gesamtdurchschnitt (13,1 × 11,9 mm) entspricht. Allerdings zeigt eine Sortierung der Stücke nach der Größe der Siegelfläche, dass 77,3 % der Siegel in dieser Gruppe unterdurchschnittlich groß sind.123 Nur 24,1 % zeigen eine flache Siegelfläche, was deutlich unterhalb des Gesamtdurchschnitts von 35,9 % liegt. Dieser Gegensatz unterstreicht nochmals sehr eindrücklich den offiziellen Charakter der Siegel mit Herrscherporträts (Abb. 17): Diagramm 9: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Seleukeia am Tigris im Verleich mit den Siegeln mit Herrscherporträts und den Siegeln mit Athenadarstellungen Durchschnittliche Mehrfachverwendung Siegel mit Athenadarstellung (n=328) Durchschnittliche Mehrfachverwendung Siegel mit Herrscherporträts (n=30) Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Gesamt Seleukeia am Tigris ohne Steuersiegel (n=6132) Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) 0
2
4
6
8
10
12
14
Zusätzliche Signifikanz erhält diese Statistik dadurch, dass aus der Gruppe der Siegel mit Athenadarstellungen diejenigen Siegel mit offiziellem Charakter, die es auch in dieser Gruppe gibt, zuvor nicht herausgefiltert wurden. Davon ausgehend, dass 39 Siegel dieser Gruppe einen starken offiziellen Charakter haben, da sie die Merkmale der offiziellen Siegel erfüllen, sind die hier angegebenen Werte deutlich nach unten zu korrigieren.124
122
Hierbei konnten nur 22 Siegel, die anhand der Abdrücke vollständig überliefert sind, berücksichtigt werden. Bezieht man alle Stücke, ungeachtet des Erhaltungszustandes mit ein, so liegt die Größe der Siegelfläche bei 11,5 × 10,5 mm. 123 Auch hier wurden zunächst nur die 22 Siegel, die anhand der Abdrücke vollständig überliefert sind, berücksichtigt. Bezieht man hier alle Siegel der Gruppe (n=328) mit ein, so ändert sich der Anteil der unterdurchschnittlich großen Siegel kaum: 75,3 % zeigen unterdurchschnittlich große Siegelflächen. 124 Zu einzelnen Gruppen von Siegeln und dem potenziellen Anteil von offiziellen Siegeln Schreiber in Vorb.
Im Namen des Königs?
181
Diagramm 10: Mehrfachverwendung der Athenasiegel im Vergleich mit den Siegeln mit Herrscherporträts, den offiziellen Siegeln und dem Gesamtbestand aus Seleukeia am Tigris 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
Gesamt Seleukeia am Tigris (n=6293) Offizielle Siegel Seleukeia am Tigris (n=10) Siegel mit Herrscherportäts (n=30) Siegel mit Athenadarstellung (n=328) Mehrfach überliefert
Einfach überliefert
Abb. 17: Durchschnittliche Größe der offiziellen Siegel im Vergleich mit dem Gesamtdurchschnitt in Seleukeia am Tigris (a), den Siegeln mit Herrscherportäts (b) und den Siegeln mit Athenadarstellungen (c).
Alles nicht so einfach, wie es scheint? – Ein seleukidisches Siegel mit Königsporträt in privatrechtlichem Kontext Den vorherigen Ausführungen scheint zunächst eine Beobachtung von Wallenfels diametral entgegenzustehen. Ihm ist es zu verdanken, dass eine besiegelte Tontafel aus Orchoi mit dem Abdruck eines Siegels mit Herrscherporträt in die Diskussion einfließen kann.125 Die Tontafel aus dem Jahr 163 v. Chr. befindet sich in der MacKenzie Art Gallery und beinhaltet den Verkauf einer Parzelle städtischen Grundbesitzes im Distrikt des Lugal-Irra-Tempels.126 Die Verkäufer sind die Brüder Demokrates und Diophantos, Söhne des Kephalon. Für die Diskussion um die Frage nach den mit den Herrscherporträts Siegelnden ist dieser Vertrag daher von
125
Wallenfels 2015, 55–89 mit Abb. MacKenzie Art Gallery Inv.-Nr. 1983-031-080. Zum Inhalt der Urkunde: Wallenfels 2015, 69–83. 126
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besonderer Relevanz, da Diophantos den Vertrag mit einem Porträt des Antiochos IV. besiegelte.127 Sein Bruder Demokrates verwendete hingegen ein Siegel mit dem Porträt eines Kurzhaarigen oder Glatzköpfigen nach rechts, welches keinerlei Anzeichen königlicher Ikonographie erkennen lässt.128 Mit einer Größe von 20,5 × 19 mm und einer flachen Abdruckform erfüllt das Siegel mit dem Königsporträt die Charakteristika der übrigen Siegel mit Herrscherporträts. Das Siegel des Demokrates ist mit einem Durchmesser von 25 mm noch deutlich größer und ebenfalls flach. Keines der Siegel enthält eine Inschrift und somit auch keinen eindeutigen Hinweis, dass es sich um offizielle Siegel – also solche von Amtsträgern – handelt. Wallenfels deutet dies dahingehend, dass es sich bei den beiden Siegelnden um Angehörige der städtischen Elite handelt, die als Siegelmotiv ein Porträt des Königs bzw. anderer einflussreicher Personen wählten.129 Daraus schließt er, dass „andere große, nicht beschriftete Porträtsiegel, die diesen und andere hellenistische Könige und Königinnen darstellen, ebenfalls keine offiziellen Siegel, d. h. nicht die Siegel königlicher Ämter oder Amtsträger an sich, schon gar nicht der Chreophylakes, sondern vielmehr die persönlichen Siegel der wohlhabendsten und mächtigsten Bürger dieser Zeit und ihrer Agenten [sind], die ihre Loyalität gegenüber der Monarchie auffallend zur Schau stellen“.130 Die Beobachtungen von Wallenfels sind jedoch stark zu relativieren und seine weitreichende Interpretation ist schließlich sogar abzulehnen. Zwar zeigt der Verwendungskontext des Siegels mit dem Porträt des Antiochos IV. in Form des Kaufvertrages sehr eindrücklich, dass ein solches Siegel in einem privatrechtlichen Kontext verwendet wurde, jedoch erlaubt diese Beobachtung keinerlei Rückschlüsse auf mögliche andere Verwendungskontexte und – dies ist entscheidend hinsichtlich der Interpretation – des Entstehungskontextes eines solchen Siegels. Die von Wallenfels skizzierten Fragen, (1) ob die großen unbeschrifteten Siegel mit Königsporträts weiterhin als Amtssiegel – möglicherweise sogar als Siegel der Chreophylakes – interpretiert werden sollten, (2) wer damit siegelte, wenn es keine offiziellen Siegel waren und, (3) wen die nicht-königlichen Porträts auf solchen Siegeln zeigen, können unter den gegebenen Vorzeichen auch anders beantwortet werden:
127
Wallenfels 2015, 72, 74 und 83, Abb. 6. Zur Identifizierung des Dargestellten: Wallenfels 2015, 74–75 mit Anm. 67. 128 Wallenfels 2015, 72, 74–75, 83 mit Abb. 6. 129 Wallenfels 2015, 76. 130 Wallenfels 2015, 76: „Therefore, in the absence of evidence to the contrary, other large uninscribed portrait seals depicting this and other Hellenistic kings and queens are likewise not official seals, that is not the seals of royal offices or officers per se, certainly not of the chreophýlakes, but rather are the personal seals of the period’s most wealthy and powerful citizens and their agents conspicuously displaying their fealty to the monarchy.”
Im Namen des Königs?
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Der Vater der beiden Brüder, Kephalon, ist durch mehrere Keilschrifttafeln und Bauinschriften über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahrzehnten als höchster Beamter der Stadt Orchoi (rab ša rēš āli ša Uruk) bekannt. Auch der Großvater der beiden hatte dieses Amt sowie die Position als Tempelverwalter inne.131 Diophantos selbst war rab ša rēš āli ša Uruk im Jahr 173 v. Chr.,132 also während der Regierungszeit des Antiochos IV., der zum Zeitpunkt der Vertragsausstellung schon mehrere Monate tot war, dessen Porträt Diophantos allerdings zum Siegeln verwendete. Dass Diophantos zum Zeitpunkt der Vertragsausstellung dieses Amt nicht mehr innehatte, schließt Wallenfels daraus, dass bereits 169 v. Chr. ein anderer Amtsträger in den Quellen genannt ist.133 Im Urkundentext selbst ist ebenfalls kein Amt genannt. Dennoch gibt es hier zwei Möglichkeiten, die erklären könnten, warum Diophantos mit einem Amtssiegel siegelte: 1. Er hat das Amtssiegel über seine Amtszeit hinaus behalten. 2. Er hatte im Jahr der Vertragsausstellung ein Amt inne, dieses ist aber im Text nicht genannt. Die Schlussfolgerung von Wallenfels, dass Diopahntos und Demokrates „nun private Bürger sind und ihre ‚persönlichen‘ Siegel für ihre persönlichen Geschäfte verwenden“ 134 ist zu modern gedacht. Möglicherweise ist das Siegel mit dem Porträt des Antiochos IV. zum persönlichen Siegel des (ehemaligen) Amtsinhabers Diophantos geworden. Die Trennung zwischen ‚öffentlich‘ und ,privat‘, wie wir sie heute kennen, entstammt der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts135 und ob jemand, der zuvor „im Namen des Königs“ siegelte, diesen Habitus nach Ende seiner Amtszeit abgelegt hat, wissen wir schlicht nicht. Dass die großen, unbeschrifteten Siegel mit Herrscherporträts als Siegel der Chreophylakes anzusehen sein können, gewinnt durch den vorgelegten Kaufvertrag sogar an Wahrscheinlichkeit: So ist die Definition des rab ša rēš āli ša Uruk 131
Wallenfels 2015, 70–71 mit Anm. 62–65. Wallenfels 2015, 74. 133 Wallenfels 2015, 75 mit Anm. 70. 134 Wallenfels 2015, 75: „[…] are nonetheless now private citizens employing their ‘personal’ seals in the course of pursuing their personal business”. 135 Zur althistorischen Forschungslage bezüglich der Begrifflichkeiten ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ vgl. Höcker 2001 mit weiterer Literatur sowie Winterling 2005, 226–235, der sich zwar inhaltlich mit dem kaiserzeitlichen Rom befasst, aber grundlegende Probleme dieser Begrifflichkeiten und ihrer Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert aufgreift. Methodisch folgert er, dass die Frage nicht lauten kann, „was in der römischen Kaiserzeit ‚öffentlich‘ und was ‚privat‘ war“, sondern stattdessen zu fragen ist, „wie wurden die Kategorien ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ von den Zeitgenossen auf bestimmte Phänomene angewandt?“ (Winterling 2005, 235). Da die Quellenlage für die hellenistische Zeit bedeutend dürftiger ausfällt, muss an dieser Stelle gelten, dass mit den Begriffen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ hier nicht gearbeitet werden sollte, da ihnen moderne, auf die Antike nicht zu übertragende Vorstellungen zugrunde liegen. 132
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als höchster administrativer Beamter der Stadt doch mit der des Chreophylax deckungsgleich. Sollte der Titel nicht dem des Chreophylax entsprechen, so wäre es sogar denkbar, dass Diophantos zum Zeitpunkt der Vertragsbesiegelung Chreophylax war und er auch in privatrechtlichem Kontext sein Amtssiegel verwendete.136 Einen umgekehrten Fall hätten wir in den Elephantine-Papyri vor uns, in denen bezeugt ist, dass ein Amtsträger mit seinem privaten Siegel siegelte und dies im Urkundentext durch die Angabe des Amtes kenntlich machte.137 Auch wenn dies ungewöhnlich erscheinen mag, so wäre es immerhin nicht undenkbar. Darüber hinaus ist wohl auch damit zu rechnen, dass, wenn Amtssiegel in den ‚persönlichen‘ Besitz übergingen, diese auch vererbt werden konnten. Im Falle des Vaters des Diophantos scheint dies ausgeschlossen, da dieser Amtsträger war, bevor Antiochos IV. König wurde. Ausschließen lässt sich dies aber grundsätzlich nicht. Dies würde eventuell auch die teils langen Laufzeiten von ChreophylaxSiegeln erklären und könnte zu dem Schluss führen, dass diese eventuell sogar parallel verwendet wurden. Dies würde wiederum bedeuten, dass nur über den Urkundentext ersichtlich gewesen wäre, ob die entsprechende Person als Amtsträger oder Privatperson siegelte – wie dies im umgekehrten Falle in Elephantine auch nur aus dem Text zu entnehmen war. Diese Überlegungen bleiben zwar hypothetisch, da zu wenig über die Ämter in Orchoi oder auch in Seleukeia bekannt ist, aber es soll an dieser Stelle nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die These von Wallenfels wegen der genannten Punkte nicht zwangsläufig die antiken Gegebenheiten realistisch abbildet. Die Argumentation führt m. E. sogar zu einer Verzerrung, denn die durchaus wichtige Beobachtung, dass ein Siegel mit Herrscherporträt in ‚privatem‘ Kontext genutzt wurde, schließt die anderen Deutungsmöglichkeiten keineswegs aus. Im Gegenteil, die Argumente können sogar als Hinweise auf die Nutzung des Herrscherporträts auf Amtssiegeln gelesen und der offizielle Charakter dieser Stücke dadurch gestärkt werden. Hierin die persönlichen Ringe der wohlhabendsten und mächtigsten Bürger und/oder der Philoi, den „Freunden“ des Königs und somit dem Herrscher nahestehenden Würdenträgern, zu sehen138 ist zwar möglich – 136
Es ist selbstredend auch denkbar, dass eine Person ein solches Amt mit Unterbrechungen öfter bekleidete. Das Schweigen der Quellen sollte hier gewiss nicht überinterpretiert werden. 137 Wobei darauf hinzuweisen ist, dass über das ‚Amt‘ des Syggraphophylax eigentlich nichts bekannt ist. Vandorpe 1996, 233–234 erweckt eher den Eindruck, als würde einer der Zeugen ‚spontan‘ bestimmt, den gesiegelten Kontrakt aufzubewahren. Im Falle der Elephantine-Papyri siegelte aber ein und dieselbe Person als Syggraphophylax, was eher darauf hinzudeuten scheint, dass diese Person häufiger damit beauftragt war. In jedem Falle handelt es sich um einen offiziellen Akt und innerhalb dessen wurde ein Siegel verwendet, welches wir, so denn der Kontext nicht erhalten geblieben wäre, sicherlich als ‚Individualsiegel‘ deuten würden, vgl. Rubensohn 1907, 6–7. 138 Wallenfels 2015, 76. Dazu auch Coro Capitanio 2012, 157; Mitchell/Searight 2008, Nr. 736a.
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wie sich zeigen wird, gilt dies für das ptolemäische Ägypten sogar als sehr wahrscheinlich –, beweisen lässt sich dies allerdings nicht. Zudem ist eine strikte Trennung zwischen den Hoftiteln, zu denen der des Philos in unterschiedlichen Rangabfolgen zählt, und Amtsträgern kaum möglich, schließlich konnte die Verleihung des Hoftitels mit der Einsetzung in ein Amt kombiniert sein.139 Es ist davon auszugehen, dass sich nicht nur im Ptolemäerreich „eine eigene ‚Beamtenschaft‘ mit einem an die Ämter gebundenen Hoftitelsystem“140 herausbildete und die Philoi somit Amtsträger waren. Wer gehörte zu den wohlhabendsten und mächtigsten Bürgern, auf die im Rahmen dieser Diskussion verwiesen wird, wenn nicht die Amtsträger und die dem königlichen Hof nahestehenden Personen? Wallenfels selbst verweist auf die Tatsache, dass ein Apollonios im Auftrag des rab ša rēš āli ša Uruk Diophantos im Jahr 173 v. Chr. Einen Kaufvertrag mit einem anderen Siegel mit dem Bildnis des Antiochos IV. besiegelte.141 Dies bedeutet schlussendlich nur, dass eine von Diophantos beauftragte Person mit dem Siegel des Diophantos gesiegelt haben könnte. Dass Diophantos sein Amtssiegel behielt oder sogar in einer weiteren Amtszeit ein zweites verliehen bekam, würde auch erklären, warum er zu einem Zeitpunkt, als Antiochos V. bereits König war, mit dem Bildnis dessen verstorbenen Vorgängers siegelte. Die drei Grundsatzfragen könnten demnach wie folgt beantwortet werden: 1. Die großen unbeschrifteten Siegel sind höchstwahrscheinlich Amtssiegel und allen bisherigen Erkenntnissen nach die Siegel der Chreophylakes. 2. Es gibt keine Indizien, die darauf verweisen, dass jemand anderes als die Amtsinhaber diese Stücke verwendete. Offensichtlich konnten die Siegel aber auch in ‚privaten‘ Kontexten verwendet werden. 3. Womöglich handelt es sich um die Siegelträger selbst, die sich hier porträtieren ließen, wobei dies nur eine von zahlreichen Möglichkeiten darstellt. Einen Nachweis dafür, dass es sich um ‚einflussreiche Personen‘ handelt, haben wir nicht. Die Angehörigen der städtischen Elite waren diejenigen, die die Siegel selbst führten. Warum sollte Demokrates, der nach Ausweis der Quellen nie ein Amt innehatte, also nicht sein eigenes Konterfei verwendet haben, während sein Bruder – eine wesentlich größere Auszeichnung – als aktiver oder ehemaliger Beamter das Bildnis des Königs und damit das Autoritätszeichen verwenden konnte, welches den Bürgern tagtäglich den Wert der Münzen bescheinigte.
139
Ameling/Euskirchen 1998, 665–669 mit älterer Literatur. Völcker-Janssen 1993, 7–15. Die Diskussion um die Rolle der Philoi kann im Rahmen des vorliegenden Artikels nicht erschöpfend dargestellt werden. Vgl. u. a. Savalli-Lestrade 1998 und die Rezension Austin 2000, 193–195; Herman 1980, 103–149. 140 Völcker-Janssen 1993, 13. 141 Wallenfels 2015, 76.
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Wer siegelte mit den ptolemäischen Herrscherporträts? Zur archäologischen Quellenlage im ptolemäischen Ägypten Nachdem die Ausführungen zu den potenziell Siegelnden im Falle der seleukidischen Herrscherporträts bereits sehr thesenreich waren, wird sich die Beantwortung der Frage nach den Nutzern von Siegeln mit Herrscherporträts für die Siegel mit Porträts der ptolemäischen Herrscher als noch problematischer herausstellen. Dies liegt darin begründet, dass trotz einer beträchtlich größeren Anzahl von Siegeln mit Herrscherporträts die Referenzgruppe der eindeutig offiziellen Siegel für das ptolemäische Ägypten ausfällt, da es kaum Siegel mit Inschriften gibt, die eine Definition dieser Gruppe von Siegeln erlauben würden. Dies hat unweigerlich zur Folge, dass auch die Gruppe der Siegel mit offiziellem Charakter entfällt und sich die unterschiedlichen Gruppen, die es auch hier gegeben haben muss, nicht klar voneinander trennen lassen. Die Gründe hierfür sind zum einen möglicherweise einer anderen Siegelpraxis geschuldet, da es deutlich weniger eindeutig offizielle Siegel aus dem Herrschaftsgebiet der Ptolemäer gibt, zum anderen ist aber auch die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung der Siegelabdruckhorte zu nennen. So ist es Helmut Kyrieleis zu verdanken, dass die Siegel mit Porträts der ptolemäischen Herrscher aus dem Archiv von Nea Paphos mittlerweile vorgelegt sind,142 für die übrigen ca. 10.000 im sog. Haus des Dionysos gefundenen Abdrücke fehlt allerdings weiterhin ein Katalog. Bisher wurden die Stücke vereinzelt erwähnt,143 sodass nur ca. 20 Abdrücke in Abbildung publiziert wurden.144 Das Archiv war vermutlich von der Mitte des 2. Jahrhunderts bis zum Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Betrieb.145 Über 300 Siegelabdrücke mit Inschriften weisen darauf hin, dass es sich um ein öffentliches Archiv gehandelt haben wird.146 Auf wieviele einzelne Siegel die ca. 11.000 Abdrücke zurückgehen, ist der Literatur nicht zu entnehmen. Bei den Siegeln mit Herrscherporträts handelt es sich um 638 Siegel, die in insgesamt 865 Abdrücken überliefert sind.147 142
Kyrieleis 2015. Zum Haus des Dionysos allgemein Nicolaou 1966, 591–596; zur Auffindung der Siegelabdrücke Kyrieleis 2015, 3–4; Nicolaou 1997, 47–53; Kyrieleis 1986, 56; Nicolaou 1979, 413; Nicolaou 1978, 849–850; Nicolaou 1976, 59; Nicolaou 1972, 315 mit Tfn. 66, 33–34; Karageorghis 1971, 415–416; Nicolaou 1971, 51–52 mit Abb. 2–3. 144 Siehe dazu v. a. Nicolaou 1978, Tfn. 177–178; Nicolaou 1971 mit Abb. 1.7. 145 Dies lässt sich v. a. daraus schließen, dass unter den Porträts der ptolemäischen Herrscher Ptolemaios VIII. als erster unter den Abdrücken erscheint und die spätesten Porträts Kleopatra VII. und Octavian zeigen: siehe Kyrieleis 2015, 3; Kyrieleis 1996, 316; Kyrieleis 1990, 456; Kyrieleis 1986, 56–57. Zudem kann die Zerstörung des Archivs historisch mit einem Erdbeben in Verbindung gebracht werden, siehe hierzu Maier/Karageorghis 1984, 250 mit Anm. 9. 146 Zu den Siegelabdrücken mit Inschriften Nicolaou 1979, 413–416. 147 Die Zahlen weichen von den Angaben in Kyrieleis 2015 ab, da im vorliegenden Artikel nur diejenigen Siegel berücksichtigt werden, die mit Sicherheit einen Diademträger zeigen. 143
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Neben dem Archiv von Nea Paphos, dessen Aufarbeitung zur Rekonstruktion der ptolemäischen Siegelpraxis einen erheblichen Beitrag leisten könnte, ist der Hortfund von Edfu zu erwähnen. Allerdings ist der archäologische Kontext so gut wie unbekannt und die Stücke werden derzeit für eine Katalogvorlage vorbereitet.148 330 Siegelabdrücke des in einem Gefäß gefundenen Depots gelangten 1906 in das Royal Ontario Museum Toronto149 und weitere 317 Stücke befinden sich heute im Allard Pierson Museum in Amsterdam.150 Unter den verwendeten Siegeln finden sich auch 90 mit Herrscherporträts.151 Von diesen Siegeln sind 111 Abdrücke überliefert. Darüber hinaus ist für das ptolemäische Ägypten der Hortfund von Elephantine von besonderer Bedeutung, da sich hier insgesamt acht noch versiegelte Papyri mit 35 Siegelabdrücken auf den Urkundenverschlüssen gefunden haben.152 Da sich unter den in Elephantine gefundenen Siegelabdrücken allerdings keines mit dem Bildnis eines Herrschers oder einer Herrscherin und/oder eines eindeutig offiziellen Siegels findet, wird dieser Befund hier nicht weiter berücksichtigt. Durch das Auftreten von Siegeln mit Porträts ptolemäischer Herrscher ist auch das Archiv von Kallipolis in die Diskussion mit einzubeziehen. Es handelt sich um mindestens zwölf Siegel, die in 34 Abdrücken überliefert sind.153 Somit ergibt sich, dass mindestens 740 unterschiedliche Siegel, die in 1004 Abdrücken überliefert sind, die Porträts ptolemäischer Herrscher zeigen.154 Bevor die Merkmale dieser Siegel quantitativ betrachtet und der Frage nachgegangen werden soll, wer potenziell damit gesiegelt hat, werden zunächst – wie im vorherigen Abschnitt zu den seleukidischen Siegeln – die Merkmale eindeutig offizieller Siegel im Ptolemäerreich betrachtet.
Hierzu Schreiber in Vorb. 148 Zuletzt zu diesem Fundkomplex: van Oppen/Lorber 2017, 73–95. 149 Milne 1916, 87. 150 Plantzos 1999, 27; Plantzos 1996, 307. 151 Milne 1916. 152 Lesperance 2010, 37–39; Plantzos 1999, 24–27; Vandorpe 1996, 232–234; Rubensohn 1907. 153 Pantos 1985, Kat.-Nrn. 251, 253, 254, 256, 258, 259, 263, 264, 269, 270 und 273. Eventuell ist das in einem einzigen stark fragmentierten Abdruck vorliegende Siegel mit dem Bildnis eines Diademträgers (Kat.-Nr. 297) ebenfalls hinzuzurechnen. Zahlreiche von Pantos als Könige identifizierte Personen sind nicht sicher als solche zu benennen, da hier das Diadem nicht zu erkennen ist: vgl. Pantos 1985, Kat.-Nrn. 249, 250, 252, 255, 257– 262, 265–268, 271–272, 277–280, 283–286, 292–301, 307 und 317. 154 Mit einbezogen wird hier auch ein Siegel mit dem Porträt eines ptolemäischen Herrschers mit Doppelkrone aus Seleukeia am Tigris, siehe Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. La 3.
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Offizielle Siegel im ptolemäischen Ägypten Unter den von Joseph G. Milne publizierten Siegelabdrücken aus dem Edfu-Hort findet sich kein einziger mit einer Inschrift.155 Somit kann kein eindeutig offizielles Siegel identifiziert werden. Anders verhält es sich mit den Funden von Nea Paphos, da hier – wie bereits erwähnt – 300 Abdrücke von Siegeln mit Inschriften überliefert sind. Allerdings ist keines dieser Stücke mit den benötigten Angaben zur Größe, Anzahl der Abdrücke und Gestaltung der Abdruckform oder überhaupt in Abbildung publiziert.156 Demzufolge lässt sich bis zur endgültigen Vorlage dieses Archivbestandes ebenfalls keine Definition für ein offizielles Siegel im ptolemäischen Ägypten erarbeiten. Hier soll nun jedoch kurz auf die wenigen bekannten Siegel eingegangen werden, um einen Eindruck von deren ikonographischer Gestaltung zu bekommen: Die mit Inschriften versehenen Siegel aus Nea Paphos lassen sich der Stadt Kition zuordnen und zeigen mit der Prora das Parasemon der Stadt.157 Gleiches gilt für das Siegel von Kourion mit der Inschrift ΚΟΥΡΙΟΥ ΙΗ und der Darstellung eines Bukranion.158 Durch die Inschrift [Λ]ΕΔΡΩΝ lassen sich zwei Siegel mit unterschiedlichen Darstellungen – einer Tyche mit Füllhorn und Ruder und ein Bukranion – der Stadt Ledroi zuweisen. Da die städtische Münzprägung allerdings nicht bekannt ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob es sich um Parasema handelt.159 Ein weiteres Siegel zeigt die Inschrift ΔΙΚΑΣΤΩΝ und einen stehenden Zeus und verweist somit auf eine nicht näher bestimmbare juristische Behörde.160 Ein Siegel mit der Inschrift ΚΛΗΡΩΤΟΥ bezieht sich auf einen Amtsträger κληρωτής, der per Los gewählt wurde. Eine figürliche Verzierung dieses Siegels findet keine Erwähnung.161 Den Zeus Salaminios und dazu eine Inschrift bestehend aus den Buchstaben ΣA, die sich laut Ino Nicolaou zu ΣΑ[λαμίς] ergänzen lässt, zeigt ein weiteres Siegel.162 Der Deutung als Parasemon steht Simone Killen kritisch gegenüber, da zwar das verkürzte Ethnikon auf den Münzen der Stadt ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Erscheinung tritt, aber auf den seltenen Prägungen mit Darstellungen des Zeus Salaminios gerade eben nicht.163 Da das einzige Siegel, welches sich auf ein Amt bezieht, keine Verzierung aufweist, lassen sich auch
155
Milne 1916, Tfn. 6–7. Nicolaou 1979, 413–416. 157 Killen 2017, 263, Kat.-Nr. Kit h 1. 158 Killen 2017, 263, Kat.-Nr. Kur h 1–2. Nicolaou 1979, 414 dort auch zur Datierung der Jahresangabe IH, die vom Ende des 2. Jahrhunderts bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. reichen könnte. 159 Nicolaou 1979, 415; vgl. Killen 2017, 277 (Appendix 2, I Bukranion 2), 290 (Appendix 2, III Tyche 1). 160 Nicolaou 1979, 414. 161 Nicolaou 1979, 414 mit Anm. 2–5. 162 Nicolaou 1979, 415. 163 Killen 2017, 290–291 (Appendix 2, III Zeus 2). 156
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hinsichtlich der ikonographischen Gestaltung offizieller Siegel keine Rückschlüsse aus diesen wenigen Funden ziehen. Bei einer solchen Quellenlage bzw. deren mangelnder Aufarbeitung bleibt lediglich ein einziger Hinweis, der Rückschlüsse zu einem offiziellen Siegel zulässt: Ein besiegelter Urkundenverschluss auf einem Papyrus in Leiden stützt die Vermutung, dass der Adler „das Emblem des ptolemäischen Staatssiegels war“.164 Dargestellt ist ein stehender Adler, wie er hinreichend als Reversbild der ptolemäischen Münzen bekannt ist.165 Das zugehörige Dokument war ein Schreiben aus der Kanzlei Ptolemaios’ X.166 Somit nimmt der Adler – auch wenn keineswegs annähernd so häufig belegt – eine durchaus dem seleukidischen Anker vergleichbare Stellung ein. Dies mag auch für andere hellenistische Herrscherhäuser zutreffen,167 allerdings lässt sich dies anhand der literarischen und archäologischen Quellen nicht zuverlässig rekonstruieren. Wer aber siegelte dann mit den Hunderten von Siegeln mit Herrscherporträts, wenn der ptolemäische Hof den Adler als Siegelbild verwendete? Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, werden auch die Siegel mit den Porträts ptolemäischer Herrscher quantitativ betrachtet. Hierbei wird in der chronologischen Reihenfolge der Archivbefunde vorgegangen. Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts aus Kallipolis Bevor die Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts aus Kallipolis im Kontext des Archivfundes betrachtet werden, ist darauf hinzuweisen, dass der Aussagewert dieser Analyse durch mehrere Umstände deutlich eingeschränkt ist: Die 540 Siegelabdrücke wurden im Brandschutt eines Wohnhauses gefunden.168 Es ist davon auszugehen, dass das Archiv zwischen 279 und 168 v. Chr. in Benutzung war.169 Dies ist aus den Siegelabdrücken mit dem Namen des Charixenos und den 164
Kyrieleis 2015, 53 mit Tf. 80. Zum ptolemäischen Adler, der seit der Regierungszeit des Ptolemaios I. eine wichtige Rolle in der Selbstdarstellung der Herrscher spielte und auf dem Blitzbündel zum wichtigsten Rückseitenbild der ptolemäischen Münzen wurde, Lorber 2018, 25; Schreiber 2014/2015, 254–255; Willers 2007, 81; Thomas 2002, 88–97: Tabelle mit den Attributen hellenistischer Herrscher auf Münzen; Salzmann 1980, 36–37; vgl. beispielsweise Lorber 2018, Nrn. 130–192, 210–213, 217–239 und 241–245. 166 Kyrieleis 2015, 53 mit Anm. 164. 167 Instinsky 1962, 13–22, bes. 18. 168 Vgl. Themelis 1999, 428 mit Abb. (Gesamtplan des Stadtgebietes); Themelis 1999, 430 mit Abb. (Steinplan der freigelegten Häuser = Themelis 1979, 251, Abb. 7); Themelis 1999, 432 mit Abb. (Detailplan der Häuser III und IV). Ein älterer topographischer Plan bei Themelis 1979, 248, Abb. 3; der Plan der Häuser III und IV auch bei Themelis 1979, 255, Abb. 10, allerdings spiegelverkehrt; vgl. den Plan bei Touchais 1979, 574, Abb. 111; Pantos 1985, Tf. 1 (Luftbilder aus dem Jahr 1979); Touchais 1979, 572, Abb. 109 (Foto des Grabungsgeländes). 169 Pantos 1996, 185–194, bes. 194. 165
190
Torben Schreiber
Siegelabdrücken mit dem Bildnis Ptolemaios’ II. zu erschließen.170 Das Inventar des Archivs zeichnet sich durch eine Vielzahl von Porträts aus.171 Es sind 34 eindeutig offizielle Siegel überliefert, die sich anhand der Inschriften als Koinonsiegel, Amtssiegel und Polissiegel identifizieren lassen, wobei die Zuweisung einiger Stücke nicht eindeutig möglich ist.172 Hinzu kommt das bereits erwähnte Siegel mit dem seleukidischen Anker.173 Einige Siegelabdrücke stammen von Agetas, Sohn des Lochagos, und dessen Sohn Lochagos, die namentlich als Strategen des aitolischen Bundes auf diesen Siegeln erwähnt sind.174 Agetas war 218/217 v. Chr. und 202/201 bzw. 201/200 v. Chr. Stratege des aitolischen Bundes. Sein Sohn bekleidete dieses Amt 180/179 v. Chr.175 Dieser Familie schreibt Pantos A. Pantos das Gebäude als Wohnhaus zu.176 Sollte dies zutreffend sein, so handelt es sich bei dem Befund von Kallipolis um ein in einem Wohnhaus untergebrachtes Archiv, in dem die Hausherren ihre Ämterkorrespondenz lagerten.177 Petros Themelis bezeichnet den Hausherren als „bedeutende Persönlichkeit der Stadt Kallipolis“, „Bewahrer des Stadtsiegels (σφραγιδοφύλαξ) und Bewahrer des Archivs (ἀρχειοφύλαξ)“, 178 wobei er Belege für diese Amtsbezeichnungen schuldig bleibt. Fest steht jedoch, dass hier die Grenzen zwischen ,privat‘ und ,öffentlich/offiziell‘ verwischen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussagekraft der quantitativen Betrachtung, gerade hinsichtlich der Herausarbeitung von Merkmalen offizieller Siegel, stark eingeschränkt. Zudem handelt es sich um ein Archiv des aitolischen Bundes, in dem offensichtlich Korrespondenzen mit ptolemäischen Individuen und/oder Amtsträgern aufbewahrt wurden. Die hier zu betrachtenden Siegel mit Porträts der ptolemäischen Herrscher sind somit zwar in administrativem Kontext, aber nicht im ptolemäischen Herrschaftsgebiet und somit nicht im Kontext der ptolemäischen Administration zu sehen. Dies schränkt den Aussagewert der quantitativen Betrachtung dieser Stücke im Vergleich mit dem übrigen Archivinventar 170
Pantos 1985; vgl. Plantzos 1999, 31–32 mit Anm. 104. Vgl. z. B. die Porträts Pantos 1996, Tf. 38–39. Ob die Zuweisung im Einzelnen einer Überprüfung standhalten kann, ist zunächst nicht von Interesse. Aufgrund der starken Ähnlichkeit zu den jeweiligen Herrschern wird die daraus resultierende Datierung vor die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. richtig sein. 172 Koinonsiegel: Pantos 1985, Kat.-Nrn. 97, 129, 131 und 163; Amtssiegel: Pantos 1985, Kat.-Nrn. 117–127, 130 und 133; Polissiegel: Pantos 1985, Kat.-Nrn. 6, 33, 64, 88, 113, 132, 144, 165, 166 und 238; Pantos 1985, 545 mit Tf. 49; nicht eindeutig: Pantos 1985, Kat.-Nrn. 68, 111, 150 und 157. 173 Pantos 1985, Kat.-Nr. 94. 174 Zu den Siegelabdrücken mit Namensbeischriften: Pantos 1985, 148–162, Nrn. 118–134, Tfn. 20 und 21. 175 Vgl. Plantzos 1999, 31–32 mit Anm. 104; Berges 1997, 35. 176 Pantos 1985, 427–443. 177 Vgl. Plantzos 1999, 31–32; Berges 1997, 35; Pantos 1985, 427–443. 178 Themelis 1979, 265–267. 171
Im Namen des Königs?
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stark ein, da hier keine grundsätzlichen Merkmale der ptolemäischen Siegelpraxis zu fassen sind. Vielmehr kann hier nur festgestellt werden, ob sich die Siegel mit Ptolemäerporträts vom übrigen Siegelabdruckinventar abheben. Aus Kallipolis ist keines der hier zu betrachtenden Siegel vollständig in den Abdrücken überliefert. Im Durchschnitt ergibt sich für die Siegel mit Herrscherporträts eine Größe von 16,6 × 15,6 mm. Von den 329 Siegeln aus Kallipolis sind nur vier vollständig in Abdrücken überliefert. Dieser schlechte Erhaltungszustand trifft auch auf die 35 eindeutig offiziellen Siegel zu. Es ergibt sich somit in Bezug auf die Größe ein unvollständiges Bild. Das Gesamtinventar weist eine Durchschnittsgröße von 13,5 × 13,3 mm auf. 14,3 × 13,4 mm beträgt hingegen die Durchschnittsgröße der eindeutig offiziellen Siegel. Hier ist demnach festzuhalten, dass sich – unter Annahme einer Gleichverteilung der Beschädigung der Siegelabdrücke – die offiziellen Stücke nicht aufgrund der Größe vom Gesamtbestand abheben. Die Siegel mit den Herrscherporträts, die in elf Fällen einen ptolemäischen König und in einem Fall einen nicht näher zu identifizierenden Diademträger zeigen, sind jedoch im Durchschnitt 1,4-fach größer als der Gesamtdurchschnitt. Der Frage, ob der minimale Größenunterschied der offiziellen Siegel zum Gesamtbestand in Kallipolis eine andere Siegelpraxis innerhalb des aitolischen Bundes im Vergleich mit dem Seleukidenreich andeutet und die offiziellen Siegel hier deutlich kleiner waren, kann an dieser Stelle nicht hinreichend nachgegangen werden. 179 Festhalten lässt sich aber, dass die Siegel mit Herrscherporträts, die einem anderen Kulturraum entstammen, deutlich hervorstechen, auch wenn sie im Vergleich mit den seleukidischen Pendants kleiner sind (Abb. 18). Dieser Umstand kann allerdings allein der Herkunft der Urkunden/ Siegelungen aus dem ptolemäischen Raum geschuldet sein und muss kein Merkmal der ptolemäischen Siegel mit Herrscherporträts im Allgemeinen darstellen.
Abb. 18: Durchschnittliche Größe der Siegel aus Kallipolis insgesamt (a) im Vergleich mit den eindeutig offiziellen Siegeln (b), den Siegeln mit Herrscherporträts (c) und den Siegeln mit Herrscherporträts aus Seleukeia am Tigris und Orchoi (d).
179
Hier mangelt es zudem an der Aufarbeitung wichtiger Befunde in griechischen Kontexten, wie beispielsweise dem bedeutenden Archiv von Gitana, welches noch immer nicht adäquat vorgelegt wurde.
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Torben Schreiber
Die Abdruckform der Siegel mit Herrscherporträts in Kallipolis ist, soweit feststellbar, ausnahmslos flach.180 Der Gesamtbestand weist gegenüber den seleukidischen Archiven eine Besonderheit auf, denn hier hinterließen 72,6 % der Siegel einen flachen Abdruck.181 Auch hier bleibt unklar, inwiefern dies als Indiz für eine andere Siegelpraxis im Vergleich mit den seleukidischen Siegeln gewertet werden kann. Von den 329 Siegeln liegen insgesamt 540 Abdrücke vor. Somit wurde jedes Siegel 1,6-fach verwendet. Der Anteil mehrfach verwendeter Siegel liegt damit bei 25,2 % (s. Diagramm 11). Die 35 eindeutig offiziellen Siegel liegen hingegen in 81 Abdrücken vor und wurden dementsprechend im Durchschnitt 2,3-fach verwendet (s. Diagramm 12). Der Anteil der mehrfach verwendeten administrativen Siegel liegt bei 40 %. Hier deutet sich somit an, dass auch in Kallipolis eine überdurchschnittlich häufige Verwendung eines Siegels als Merkmal offizieller Siegel gelten könnte. Allerdings gilt die im Vergleich mit anderen Fundkomplexen überschaubare Datenmenge als weniger aussagekräftig. Auch hier müssten vergleichbare Befunde aus dem griechischen Kulturraum aufgearbeitet werden. Die zwölf Siegel mit Herrscherporträts liegen in 34 Abdrücken vor und wurden im Durchschnitt 2,8-fach verwendet. Der Anteil der Mehrfachverwendung liegt in diesem Fall bei 28,3 %. Auch hier ist allerdings der Fundort zu beachten: Der Kontext des Archivs im aitolischen Kallipolis erlaubt keine weiterführenden Rückschlüsse auf die Siegelpraxis im ptolemäischen Ägypten. Die Tatsache, dass die Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts hier in teils hoher Stückzahl vorliegen, 182 kann wohl nicht dadurch erklärt werden, dass ein Beamter vor Ort ein Siegel mit ptolemäischem Herrscher verwendete. Vielmehr lässt dies wohl Rückschlüsse auf einen lebhaften Austausch mit der ptolemäischen Administration zu, sofern man denn in den Siegeln mit ptolemäischen Herrschern Amtssiegel sehen möchte. Zusammenfassend lässt sich somit zu den Siegeln mit ptolemäischen Herrscherporträts aus dem Archiv von Kallipolis festhalten: 1. Sie sind überdurchschnittlich groß. 2. Sie zeigen alle eine flache Siegelfläche. 3. Sie treten überdurchschnittlich häufig in mehreren Abdrücken auf.
180
Für zwei der Siegel kann aufgrund der stark fragmentarischen Erhaltung der Abdrücke keine Aussage über die Beschaffenheit der Siegelfläche getroffen werden. 181 Konkave Abdrücke: 15,8 %; konvexe Abdrücke: 1,8 %; keine Angaben möglich: 9,7 %. Konvexe Abdrücke, die demnach von sich nach innen wölbenden Siegelflächen stammen, sind bisher lediglich in Kallipolis zu beobachten. 182 So sind bspw. neun Abdrücke des Siegels Pantos 1985, 337–339, Kat.-Nr. 264 überliefert. Aus Kallipolis sind somit nur fünf Siegel häufiger überliefert (n=329).
Im Namen des Königs?
193
Diagramm 11: Mehrfachverwendung der Siegel mit Herrscherporträts in Kallipolis 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
Gesamt Kallipolis (n=329) Eindeutig offizielle Siegel (n=35) Siegel mit Herrscherporträts (n=12) mehrfach überliefert
einfach überliefert
Diagramm 12: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung von Siegeln in Kallipolis im Vergleich mit den offiziellen Siegeln und den Siegeln mit Herrscherporträts 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Gesamt Kallipolis (n=329) Offizielle Siegel Kallipolis Siegel mit (n=35) Herrscherporträts (n=12)
Auf den begrenzten Aussagewert hinsichtlich der Charakterisierung von offiziellen Siegeln und Siegeln mit Herrscherporträts im ptolemäischen Ägypten wurden mehrfach hingewiesen. Daher folgt nun die Betrachtung der Siegelabdrücke aus Edfu. Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts aus Edfu Da der Gesamtbestand der Siegelabdrücke aus Edfu noch nicht vorgelegt wurde, werden hier die 90 Siegel mit Herrscherporträts mit dem von Milne vorgelegten Bestand von insgesamt 224 Siegeln verglichen.183 Eindeutig offizielle Siegel sind nicht zu finden, daher kann auch hier diese Referenzgruppe nicht geltend gemacht werden. Die Durchschnittsgröße der Siegel mit Herrscherporträts liegt bei 15,1 × 12,4 mm. Damit sind die Stücke nur geringfügig größer als der Gesamtdurchschnitt von 14,6 × 11,8 mm. Es fällt zudem auf, dass die Stücke im Vergleich mit den Siegeln mit Herrscherporträts aus Kallipolis und somit auch Seleukeia am Tigris deutlich kleiner sind (Abb. 19).
183
Milne 1916, 87–101, mit Tfn. 4 und 5.
194
Torben Schreiber
Sofern feststellbar, hinterließen die Siegel mit Herrscherporträts aus Edfu durchweg flache Abdrücke.184 Bei nur wenigen Exemplaren macht der Autor die Angabe einer konvexen Siegelfläche, sodass auch im Gesamtbestand die flachen Siegelflächen vorherrschen.185 Von den 90 Siegeln mit Herrscherporträts liegen 105 Abdrücke vor. Somit wurde jedes Siegel hier im Schnitt 1,3-fach verwendet. Für nur 12,2 % ist überhaupt eine Mehrfachverwendung nachgewiesen (s. Diagramm 13). Diese Werte entsprechen dem Gesamtbestand: 224 Siegel sind in 260 Abdrücken überliefert, womit jedes Siegel im Durchschnitt 1,2-fach verwendet wurde. Nur 8 % der Siegel sind in mehr als einem Abdruck überliefert.
Abb. 19: Größenvergleich der Siegel aus Edfu (a) mit Siegeln mit Herrscherporträts aus Edfu (b), Kallipolis (c) und Seleukeia (d).
Diagramm 13: Mehrfachverwendung der Siegel mit Herrscherporträts in Edfu 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
Gesamt Edfu (n=224; Milne 1916) Siegel mit Herrscherporträts (n=90; Milne 1916) mehrfach überliefert
einfach überliefert
Somit lässt sich für die Siegel mit Herrscherporträts aus Edfu festhalten: 1. Sie sind nahezu durchschnittlich groß. 2. Sie zeigen alle eine flache Siegelfläche. 3. Sie treten nur geringfügig häufiger in Abdrücken in Erscheinung. 184
Nur für sieben der 90 Siegel kann hier nach Durchsicht Milne 1916, Tfn. 4–5 keine Angabe gemacht werden. 185 Milne 1916, 88–90, Kat.-Nrn. 2, 7 und 55: „Convex die“.
Im Namen des Königs?
195
Durch keines der genannten Merkmale heben sich die Siegel mit Herrscherporträts vom Gesamtbestand ab. Es ist allerdings auch weiterhin völlig unklar, um welche Art von Archiv es sich bei dem Hortfund von Edfu gehandelt haben könnte.186 Auffällig ist in jedem Fall die hohe Anzahl von Siegeln mit Herrscherporträts im Vergleich mit den seleukidischen Archiven. 40,2 % der von Milne publizierten Siegel zeigen ein Herrscherporträt. Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts aus Nea Paphos Kyrieleis hat über 1000 Siegelabdrücke aus dem Archiv von Nea Paphos vorgelegt.187 Berücksichtigung finden im vorliegenden Artikel nur die Stücke, die den auf dem Siegelabdruck Dargestellten eindeutig anhand des Diadems als König identifizieren. Somit bleiben 638 Siegel, die in 865 Abdrücken vorliegen. Für die quantitative Untersuchung ergibt sich hier die Schwierigkeit der fehlenden Referenzen. Es fehlen – wie bereits erwähnt – die entsprechenden Angaben zu den eindeutig offiziellen Siegeln. Auch für die übrigen Siegel liegen diese Daten nicht vor. Somit kann die Gruppe der Siegel mit Herrscherporträts aus Nea Paphos hier zunächst nur für sich betrachtet und erst dann mit den bereits vorgestellten Funden aus Edfu und Kallipolis sowie den seleukidischen Siegeln mit Herrscherporträts verglichen werden. Die Siegel mit Herrscherporträts sind im Durchschnitt 12,3 × 10,8 mm groß. Dies bedeutet, dass diese Siegel unter denen mit Herrscherporträts, die hier betrachtet werden, eindeutig die kleinsten sind (Abb. 20). Die Siegel mit Herrscherporträts aus Nea Paphos sind somit im Durchschnitt sogar deutlich kleiner als der Gesamtdurchschnitt aller Siegel aus Edfu, Kallipolis und den seleukidischen Archiven. Die Siegel wurden im Durchschnitt 1,4-fach verwendet (s. Diagramm 14). Dieser Wert ist durchaus mit dem Archiv von Edfu (1,3) vergleichbar, liegt aber ebenso deutlich unter den übrigen Vergleichswerten der anderen Archivbestände (Kallipolis: 2,8; Seleukeia/Orchoi: 3,8). Gleiches gilt für den Anteil von 13,8 % an Siegeln, die mehrfach verwendet worden sind (s. Diagramm 15). Dieser Wert entspricht ebenfalls dem Vergleichswert in Edfu (12,2 %), liegt aber deutlich unter denen der anderen Archive (Kallipolis: 58,3 %; Seleukeia/Orchoi: 35,1 %). Mit 83,5 % lässt sich hingegen der Anteil der Siegel, die einen flachen Abdruck hinterließen,188 gut mit den übrigen Beständen vergleichen. Wie hoch der Anteil der Siegel am Gesamtbestand ist, lässt sich aufgrund der unzureichenden Publikationslage des Archivkomplexes von Nea Paphos nicht ermitteln.
186
Siehe hierzu van Oppen 2021 und Bianchi 2021. Kyrieleis 2015. 188 Der Anteil von Siegeln, die einen konkaven Abdruck hinterließen, liegt bei 6,1 %. Für die übrigen Stücke konnten hier keine Angaben gemacht werden. 187
196
Torben Schreiber
Es bleibt für die Siegel mit Herrscherporträts aus Nea Paphos im Vergleich mit den übrigen Siegelabdruckkonvoluten somit lediglich festzuhalten, dass sie auffällig klein sind und nicht signifikant häufiger verwendet wurden. Diagramm 14: Durchschnittlich nachgewiesene Mehrfachverwendung der Siegel mit Herrscherporträts 4 3 2 1 0 Nea Paphos (n=638)
Edfu (n=90)
Kallipolis (n=12)
Seleukeia/Orchoi (n=37)
Diagramm 15: Mehrfachverwendung von Siegeln mit Herrscherporträts Seleukeia/Orchoi (n=37) Kallipolis (n=12) Edfu (n=90) Nea Paphos (n=638) 0
0,2
mehrfach überliefert
0,4
0,6
0,8
1
1,2
einfach überliefert
Abb. 20: Größenvergleich der Siegel mit Herrscherporträts aus Nea Paphos (a), Edfu (b), Kallipolis (c) und Seleukeia/Orchoi (d).
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Fundplatzübergreifender Vergleich: Siegel mit Herrscherporträts aus Kallipolis, Edfu und Nea Paphos Nach Ausweis der Statistik entsprechen die Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts kaum den Merkmalen, die für die offiziellen seleukidischen Siegel festgestellt wurden. Die 740 Siegel, die in 1004 Abdrücken überliefert sind, haben im Gesamtdurchschnitt gerade einmal eine Größe von 12,7 × 11 mm. Jedes der Siegel wurde im Durchschnitt 1,4-fach verwendet. Der Anteil der Siegel, die mehrfach überliefert sind, liegt mit 106 Siegeln bei 14,3 %. Der Anteil der Siegel, die einen flachen Abdruck hinterließen, liegt bei 84,5 %, der Anteil der Siegel mit konvexer Siegelfläche bei 5,4 %. Stellt man diesen Werten nun die Charakterisierung des archetypischen offiziellen Siegels aus den seleukidischen Archiven gegenüber, so ist festzustellen, dass die Siegel mit Bildnissen ptolemäischer Herrscher deutlich kleiner sind und dass sie weitaus seltener verwendet wurden. Dieser Befund steht also in klarem Kontrast zu den Siegeln mit Bildnissen der seleukidischen Herrscher, welche die Merkmale offizieller Siegel zu großen Teilen erfüllt haben. Welche Gründe kann es hierfür geben? 1. Der Kulturraum: Es könnte nach diesem Befund davon ausgegangen werden, dass die Siegelpraxis und somit auch die Form der Siegel im ptolemäischen Herrschaftsbereich anderen Konventionen unterworfen war als im Herrschaftsbereich der Seleukiden. Für den Bereich der ptolemäischen Administration ist die Anzahl der Funde – zumindest der bisher in der Literatur erwähnten189 – äußerst gering und somit ist es nicht möglich, offizielle Siegel der Ptolemäer anhand ihrer Merkmale zu kategorisieren. Die Anwendung der statistisch festgestellten Merkmale für die eindeutig offiziellen Siegel aus Seleukeia am Tigris und Orchoi ist somit für die ptolemäischen Siegelabdruckkonvolute aus Edfu, Nea Paphos und für die aus Kallipolis überlieferten ptolemäischen Siegel nicht möglich. 2. Der Zeitraum: Es hat sich gezeigt, dass die Siegel mit Bildnissen der ptolemäischen Herrscher aus Kallipolis die meisten Merkmale der offiziellen Siegel, gemäß der seleukidischen Befunde definiert, erfüllen, denn diese sind überdurchschnittlich groß und deutlich häufiger in mehreren Abdrücken überliefert. Allerdings gilt es zu bedenken, dass es hier zum einen möglich war, die Siegel mit Herrscherbildnissen mit dem Gesamtbestand des Archivs von Kallipolis zu vergleichen, während die Bezugsgrößen aus Edfu nur teilweise bekannt und aus Nea Paphos gänzlich unbekannt sind, und zum anderen, dass sich hier ein chronologischer Aspekt offenbaren könnte, denn das Archiv von Kallipolis datiert in die Zeit 279–168 v. Chr., während sich das Siegelinventar von Edfu auf das 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. beschränkt und Nea Paphos in die Zeit 145–15 v. Chr. gehört. Somit ist das Archiv von Kallipolis das einzige, welches – wie die seleukidischen Archiven aus Seleukeia am Tigris und Orchoi – bereits im 3. Jahrhundert v. Chr.
189
Nicolaou 1979, 413–416.
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existierte. Die Unterschiede in der Größe der Siegel mit ptolemäischen Herrscherbildnissen könnten somit chronologische Ursachen haben. Die Definition eines archetypischen offiziellen Siegels im Herrschaftsbereich der Seleukiden kann sich aufgrund der Quellenlage nur auf die zweite Hälfte des 3. und die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. beziehen. Mit dem Untergang des Seleukidenreichs fällt dieser Vergleichswert ohnehin aus. Eine mögliche chronologische Ursache, die sich nach den bisherigen Materialvorlagen nicht evaluieren lässt, könnte auch erklären, warum die Siegel aus Edfu die Größe betreffend zwischen denen aus Kallipolis und denen aus Nea Paphos stehen. Möglicherweise sind die offiziellen Siegel bzw. die Siegel mit offiziellem Charakter im 1. Jahrhundert v. Chr. kleiner als im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. (Abb. 21).190 Es ergibt sich für die Gruppe von Siegeln mit Herrscherporträts aus den genannten Archiven die große Schwierigkeit, dass die genannten Merkmale, die für die seleukidischen Siegel gelten, nicht ohne weiteres auf diese Stücke anwendbar sind. Neben den unterschiedlichen Kulturräumen ergibt sich ein deutliches chronologisches Problem. Zudem lässt der Mangel an eindeutig offiziellen Siegeln aus dem Ptolemäerreich diese ,Kontrollgruppe‘ zur Feststellung des ,offiziellen Charakters‘ der Siegel mit Herrscherbildnissen entfallen. Ein möglicher Hinweis bleibt neben der Verwendung des Herrscherbildes die überlieferte Mehrfachverwendung einiger Stücke, die es wahrscheinlich machen könnte, dass diese Siegel in offizieller Funktion genutzt wurden; aber alle diesbezüglichen Überlegungen bleiben rein hypothetisch. Auch die Papyri von Elephantine191 bieten hier keinerlei weiterführende Informationen.
Abb. 21: Größenvergleich Siegel mit Herrscherporträts aus Kallipolis (a; 279–168 v. Chr.), Edfu (b; 2./1. Jh. v. Chr.) und Nea Paphos (c; ca. 145–15 v. Chr.).
Der seltene Fall, dass sich die besiegelten Dokumente erhalten haben, führt zu weiteren Schwierigkeiten, denn nach diesem Befund zu urteilen, muss zumindest für das ptolemäische Ägypten die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass 190
Diese Beobachtung lässt sich allein für das Archiv von Nea Paphos feststellen, hierzu ausführlicher Schreiber in Vorb. 191 Rubensohn 1907.
Im Namen des Königs?
199
auch ein Beamter mit einem persönlichen Siegel, also einem ,Individualsiegel‘ siegelte und lediglich der Urkundentext oder seine Namensbeischrift Auskunft über seine Funktion gegeben hat: Papyrus II wurde von Herakleitos in seiner Funktion als Syggraphophylax besiegelt. Das Siegelbild zeigt eine männliche Figur in Dreiviertelrückansicht nach links.192 Auch die übrigen Papyri belegen, dass die Syggraphophylakes mit ‚Individualsiegeln‘ gesiegelt haben.193 Ob es sich bei diesen Personen um „private agents“194 oder um ‚vollwertige‘ Amtsinhaber gehandelt hat, ist ungewiss. Festzuhalten bleibt, dass hier Personen in offizieller Funktion mit Individualsiegeln – vermutlich ihren persönlichen – gesiegelt haben. Dies zeigt, dass zumindest für das frühhellenistische Ägypten – die Papyri datieren in die Jahre 311/310195 bis 284/283 v. Chr.196 – keine weiterführenden Hinweise für die Frage zu erwarten sind, welcher Gestalt die offiziellen Siegel waren. Auch für die sog. Ptolemäerringe, die hauptsächlich aus der 2. Hälfte des 3. Jahrhundert v. Chr. bekannt sind, wurde ein offizieller Kontext vermutet.197 Ikonographisch unterscheiden sich die Stücke von den hier thematisierten Siegeln mit ptolemäischen Herrscherporträts dadurch, dass in der Darstellung kein Diadem zu sehen ist und somit auch keine Herrscherinnen und Herrscher gemeint sein können, sondern vielmehr Porträts anderer Individuen darin zu sehen sind, die dem Zeitstil geschuldet dem Herrschenden stark ähneln oder bei denen eine bewusste Angleichung vorgenommen wurde.198 Um diese Ringe hat sich – auch da oftmals postuliert wurde, die Stücke zeigten den Herrschenden – eine weitreichende Diskussion entsponnen, wer mit diesen Ringen in welchem Kontext gesiegelt haben könnte.199 Auch in Bezug auf die hier thematisierten Siegelabdrücke wurde versucht, die Siegelträger, also die Siegelnden, zu identifizieren. Kyrieleis hat sich zuletzt im Zuge der Bearbeitung der Porträtsiegel von Nea Paphos dieser Frage gewidmet.200 Ihm ist zuzustimmen, wenn er schreibt „über Vermutungen kommt man in dieser Frage nicht hinaus“.201 Dennoch sollen diese Vermutungen hier nochmals zusammengetragen werden, um die Aporie aufzuzeigen, in die sich 192
Vgl. Plantzos 1999, 25, Abb. 7. Das genaue Motiv ist schwer zu erkennen. Um eine Karikatur – wie Plantzos 1999, 26 mit Fragezeichen annimmt – handelt es sich gewiss nicht. 193 Vgl. Plantzos 1999, 24–27. 194 Plantzos 1999, 24. 195 Rubensohn 1907, 18. 196 Rubensohn 1907, 32. 197 Vgl. Anhang IA bei Schreiber 2014/2015, 273–274 mit weiterführender Literatur und den in der Forschung vorgeschlagenen Benennungen sowie Schreiber 2018, 59–65. 198 Zur Deutung der Porträts auf den Ptolemäerringen als ‚Zeitgesichter‘ Schreiber 2014/ 2015, 269–272. 199 Zur Deutung der Porträts als Darstellung der Königin beziehungsweise des Königs und die damit einhergehenden Schlussfolgerungen Schreiber 2014/2015, 250–256. 200 Kyrieleis 2015, 42, 53–55. 201 Kyrieleis 2015, 42.
200
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die Forschung diesbezüglich begeben hat. Zunächst bleibt grundsätzlich festzuhalten: 1. Die Anzahl der aus ptolemäischen Siegelkonvoluten und aus Kallipolis überlieferten Siegel mit Bildnissen der ptolemäischen Herrscher ist – gerade im Vergleich mit der Anzahl von seleukidischen Porträtsiegeln – immens. Insgesamt sind mindestens 740 unterschiedliche Siegel in 1004 Abdrücken überliefert. Im Vergleich dazu sind die seleukidischen Herrscher auf nur 36 Siegeln in 135 Abdrücken vertreten. Nimmt man hier die Zahl der eindeutig offiziellen Siegel hinzu, so kommt man auf insgesamt 43 Siegel in 217 Abdrücken mit Bildnissen der Seleukiden. Diese Zahlen werden zwar dadurch relativiert, dass das Archiv von Nea Paphos eine rund 50 Jahre und somit um rund ein Drittel längere Laufzeit hat, allerdings liegen 18-mal mehr ptolemäische als seleukidische Siegel in vierfacher Abdruckmenge vor. Diese Diskrepanz lässt sich demnach nicht durch die längere Laufzeit erklären, zumal die Gesamtmenge von überlieferten Siegelabdrücken aus Seleukeia die aus Nea Paphos um ein Vielfaches übersteigt. Im Reich der Lagiden wurde wesentlich häufiger das Herrscherporträt auf Siegeln verwendet als bei den Seleukiden. Dies zeigt auch der prozentuale Anteil: Im Archiv von Seleukeia am Tigris machen die Abdrücke von Siegeln mit Herrscherbildnissen ca. 2 % aus, in Nea Paphos sind es, sollte die Zahl von 11.000 Abdrücken stimmen, fast 8 %. Der Anteil ist somit viermal höher.202 Zudem fällt auf, dass die Siegelbildnisse von Seleukiden bisher nicht außerhalb des eigenen Herrschaftsbereiches gefunden wurden. 2. Es ist mit absoluter Sicherheit der Herrscher bzw. in wenigen Fällen die Herrscherin dargestellt. Es scheint m. E. kaum denkbar, dass solche Siegel ohne vorherige Autorisierung gefertigt und ausgegeben wurden. 3. Es handelt sich weder um die persönlichen Siegel der Herrschenden noch um eine Form von ‚Staatssiegeln‘.203 Zum einen ist durch den Papyrus in Leiden belegt, dass Ptolemaios X. mit dem stehenden Adler gesiegelt hat und zum anderen ist der Adler das Reversmotiv der ptolemäischen Münzen. Somit nimmt der Adler eine durchaus mit dem seleukidischen Anker vergleichbare Stellung ein, auch wenn er bisher nur durch einen einzigen Siegelabdruck im Kontext bezeugt ist. Zum anderen würde die Annahme, es handle sich bei den Siegeln mit ptolemäischen Herrscherporträts um die Siegel der königlichen Kanzlei, dazu führen, dass allein für Ptolemaios XV. insgesamt 258 (!) ‚Kanzleisiegel‘ in Gebrauch waren. 4. Diese immense Anzahl von Ringen kann kaum allein von Beamten genutzt worden sein, zumal die Siegel mit den ptolemäischen Herrscherporträts bis auf wenige Ausnahmen lokal begrenzt zu sein scheinen. Aus Seleukeia am Tigris ist ein einziges Siegel bekannt, welches eindeutig einen ptolemäischen König 202
Ausgenommen sind für Seleukeia am Tigris erneut die Steuersiegel. Diese Abdrücke miteinbezogen, läge der Anteil mit Seleukidenbildnissen bei nur 0,6 %. 203 Hierzu auch Kyrieleis 2015, 53.
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zeigt.204 Wie es sich diesbezüglich mit Delos verhält, bleibt unklar, aber auch aus Kallipolis sind mit nur 12 Siegeln in 34 Abdrücken relativ wenige Siegel dieser Art außerhalb des Ptolemäerreiches belegt. Dies kann zwar sowohl mit dem Forschungs- als auch dem Überlieferungsstand zusammenhängen, aber der Vergleich mit den seleukidischen Archiven belegt, dass auch hier die Siegel mit den Herrscherporträts lokal begrenzt waren und außerhalb ihres Herrschaftsbereichs nicht überliefert sind. Der Anker ist hingegen sowohl auf Delos als auch in Kallipolis unter den Abdrücken zu finden. Demnach waren wohl die Siegel mit Herrscherbildnissen sowohl bei den Seleukiden als auch bei den Ptolemäern vornehmlich für den ‚internen Gebrauch‘ bestimmt. Von dieser Hypothese – nichts anderes kann hier anhand des Überlieferungsstandes gerade für das 1. Jahrhundert v. Chr. formuliert werden – ausgehend, könnte man zwar annehmen, dass Beamte diese Siegel verwendeten, nur stellt sich dann die Frage, wieviele Regierungsvertreter in den 14 ‚Regierungsjahren‘ des Ptolemaios XV. mit seinem Bildnis siegelten. Nach diesen Überlegungen bliebe eigentlich nur noch die Gruppe der Philoi als Träger und Nutzer dieser Ringe, wie dies in der Forschung auch schon ausgiebig dargelegt wurde.205 Als prominente Schriftquellen werden immer wieder die Vita des Lucullus 206 und die Fragmente des Athenaios genannt. 207 Athenaios schildert, wie sich Athenion mittels eines gravierten Porträtringes als Parteigänger des Mithridates VI. zu erkennen gibt. Plutarch beschreibt, wie Lucullus von Ptolemaios IX. einen in Gold eingefassten geschnittenen Stein mit dem Konterfei des ptolemäischen Königs überreicht bekommt. Kyrieleis nimmt sogar an, „dass die Qualifizierung als φίλος τοῦ βασιλέως u. a. mit der Verleihung eines Siegelringes mit dem Bildnis des Königs verbunden war“.208 Dass aber auch Beamte mit dem Bildnis des Königs siegelten, belegt ein heute verlorener Urkundenverschluss, der einen Papyrus aus dem Jahr 127 v. Chr. bezüglich einer Truppenzuweisung und Soldauszahlung verschloss.209 Absender des Briefes war ein gewisser Amphikles, der offensichtlich ein Amt innegehabt haben muss und mit dem Bildnis des Königs siegelte. Leider ist uns auch in diesem Falle nicht bekannt, welches Amt Amphikles bekleidet hat. Es bleibt somit festzuhalten, dass es Belege dafür gibt, dass ausgewählte Personen mit Porträtsiegeln beschenkt wurden und dass es Amtsträger gab, die mit dem Bildnis des Königs offizielle Dokumente besiegelt haben.210 Kein einziger der überlieferten Siegelabdrücke mit Bildnissen ptolemäischer Herrscher wurde 204
Messina/Mollo 2004 I, Kat.-Nr. La 3. Z. B. Kyrieleis 2015, 53–54; Gerring 2000, 125–126; Völcker-Janssen 1993, 155–164. 206 Plutarch, Luc. 3, 1–2. 207 Athenaios 5, 212 b–e. 208 Kyrieleis 2015, 54. 209 Dazu Kyrieleis 2015, 54 mit Anm. 170; Vandorpe 1996, 268, Nr. 84. 210 Ausführlicher, auch zu eventuell infrage kommenden Beamten Kyrieleis 2015, 54–56. 205
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auf Urkundenverschlüssen mit anderen Siegeln kombiniert, somit handelte es sich vermutlich um Briefsiegel.211 Als Urheber könnte man daher wohl eher Beamte annehmen und nicht ,Privatpersonen‘, die Verträge oder sonstige von mehreren Parteien zu bezeugende und somit zu besiegelnde Dokumente versiegelten. Die Philoi am Hofe der Ptolemäer werden aber vielfach auch Amtsträger mit politischer Gewalt gewesen sein.212 Gerade die Vielzahl der unterschiedlichen Siegel – wie bereits erwähnt sind es allein für Ptolemaios XV. 258 Exemplare – lässt eventuell auch die Vermutung zu, dass die Siegelringe als politisches Instrument gleichsam zur Förderung und Bekundung von Loyalität genutzt wurden. Auch die Vielzahl der verwendeten Attribute auf den Siegeln mit den Porträts der „kurzlebigen Endzeitkönige“213 mit 72 unterschiedlichen Siegeln in gerade einmal sieben Regierungsjahren, sollte die Zuschreibung an Ptolemaios XIII. und/oder Ptolemaios XIV. zutreffend sein, zeugt geradezu von einer gewissen Verzweiflung, „sämtliche Heilserwartungen, die auf den letzten Sprösslingen der Lagidendynastie geruht haben mögen“214 in den Siegelbildern unterzubringen. Unter den Ptolemäern und – besonders unter den späten – wurde die Gattung der Siegelringe wohl verstärkt als Propagandamittel eingesetzt, wobei der Wirkradius unbekannt bleiben muss. Zusammenfassend lässt sich zu den Abdrücken der Siegel mit ptolemäischen Herrscherporträts sagen, dass sie höchstwahrscheinlich von offiziellen Siegeln stammen, aber die Amtsträger nicht konkret benannt werden können. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich unter den Stücken auch Abdrücke solcher Siegel befinden, deren Träger ihre Loyalität zum ptolemäischen Königshaus zum Ausdruck bringen wollten. Ohne staatliche Autorisierung wird aber wohl keine ‚Privatperson‘ mit dem Bildnis des Königs gesiegelt haben. Hinzu kommt, dass die für die offiziellen Siegel festgestellten Charakteristika auf die ptolemäischen Siegel nicht ohne Weiteres anwendbar sind. Wenn auch die wenigen Stücke mit den Bildnissen früherer Herrscher eventuell den Schluss erlauben, dass die Siegelinstrumente von ähnlicher Größe waren wie vergleichbare Siegel aus dem Seleukidenreich, so gilt dies im 1. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr. Ob sich die hier postulierte Veränderung bezüglich der Größe auch anderswo feststellen ließe, muss aufgrund des Forschungs- und Überlieferungsstandes offenbleiben. Welcher Gestalt die verwendeten Siegelinstrumente gewesen sein könnten, zeigen die berühmten goldenen Siegelringe im Louvre mit den vermeintlichen Bildnissen des Ptolemaios VII. 215 und der ehemals in London befindliche Bronzering, dessen 211
Wobei darauf hinzuweisen ist, dass eine Urkunde auch mit mehreren einzeln besiegelten Verschlüssen versiegelt gewesen sein konnte, vgl. Vandorpe 1996, 231–235 mit Abb. A und Tfn. 45–46. 212 Vgl. Völcker-Janssen 1993, 13. 213 Kyrieleis 2015, 40. 214 Kyrieleis 2015, 40. 215 Gerring 2000, 97, 174–175, Kat.-Nr. XVII/19; 183, Kat.-Nr. Vr/27; Kyrieleis 1975, 63
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Bildnis von Kyrieleis als das des Ptolemaios XI. gedeutet wurde.216 Vermutlich handelt es sich im Vergleich mit den Siegelabdrücken aus Nea Paphos hierbei eher um ein ,spätes‘ Bildnis des Ptolemaios XV.217 Literaturverzeichnis Ameling, W. & Euskirchen, M. 1998. s. v. Hoftitel. In: Cancik, H., Schneider, H. & Landfester, M. (Hgg.). Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Band V. Stuttgart, 665–669. Aperghis, G. G. 2004. The Seleukid Royal Economy. The Finances and Financial Administration of the Seleukid Empire. Cambridge. Ariel, D. T. & Naveh, J. 2003. Selected Inscribed Sealings from Kedesh in the Upper Galilee. Bulletin of the American Schools of Oriental Research 329, 61–80. Austin, M. M. 2000. Friends indeed? The Classical Review 50, 193–195. Babelon, E. 1890. Les Rois de Syrie, d’Armenie et de Commagene. Catalogue des monnaies grecques de la Bibliotheque Nationale. Paris. Barre, R. 2013. Les Antigonides avaientils des cornes? Su l’utilisation d’un attribut divin dans les représentations d’une dynastie hellénistique. Dialogues d’histoire ancienne 39, 125–145. Berges, D. 1997. Die Tonsiegel aus dem karthagischen Tempelarchiv. Karthago 2. Die Deutschen Ausgrabungen in Karthago. Mainz. Berlin, A. & Herbert, S. 2003. A New Administrative Center for Persian and Hellenistic Galilee. Preliminary Report of the University of Michigan – University of Minnesota Excavations at Kedesh. Bulletin of the American Schools of Oriental Research 329, 13–59. Berlin, A. & Herbert, S. 2005. Life and Death on the Israel-Lebanon Border. Excavation Yields Thousands of Seal Impressions. Biblical Archaeology Review 31.5, 34–43. Berlin, A. & Herbert, S. 2012. Excavating Tel Kedesh. The Story of a Site and a Project. Archaeology 65, 24–29. Berthold, A., 2013. Entwurf und Ausführung in den artes minores. Münz- und Gemmenkünstler des 6. – 4. Jhs. v. Chr. Hamburg. Bianchi, R. S. 2021. Pharaonic-Themed Sealings in the Edfu Hoard. In: van Oppen de Ruiter, B. & Wallenfels, R. (Hgg.). Hellenistic Sealings & Archives. Proceedings of the Edfu Connection, an International Conference. Studies in Classical Archaeology 10. Turnhout, 9–15. Bikerman, E. 1938. Institutions des Séleucides. Paris. Boardman, J. 1970. Greek Gems and Finger Rings. London. mit Anm. 234 und Tf. 46.5 und 6 (dort auch die ältere Literatur). Parlasca 1967, 182 hat die Ringbildnisse als die des Ptolemaios XII. gedeutet. 216 Kyrieleis 1975, 68 mit Tf. 55.15. 217 Zur Problematik der Zuschreibung Schreiber in Vorb.
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Das Archiv von Doliche und die ‚offiziellen‘ Siegel Torben Schreiber Abstract: This article deals with the archive of Doliche, whose seal impression inventory has been generally known since the 1940s. Archaeological field work in the ancient city of Doliche conducted by the Asia Minor Research Centre of the University of Münster has brought to light over 4000 more seal impressions in recent years. The processing of this large number of objects is still ongoing. Therefore, this article will only give a first insight into the study of the material. The focus is on the official seals that were used in Doliche. After the presentation of the history of research on the seal impressions from the archive, an outline of the sealing process is given. Subsequently, the seals that can be understood as ‘official’ are comprehensively presented and discussed. After a summary of the preliminary results and the presentation of a chronological framework for the activity period of the archive, the author outlines possible future perspectives for the work on the archive inventory. Schlagworte: Doliche, Hellenismus, Römische Kaiserzeit, Siegel, Siegelpraxis, offizielle Siegel, Archiv / keywords: Doliche, Hellenistic times, Roman Empire, seals and sealing practice, official seals, archive
1. Einleitung* Seit 1997 führt die Forschungsstelle Asia Minor der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster (WWU) archäologische Feldforschungen im Gebiet der modernen Stadt Gaziantep nahe der türkisch-syrischen Grenze durch (Abb. 1). Von 2002 bis 2015 lag der Schwerpunkt der Arbeiten auf der Erforschung des Hauptheiligtums des Iuppiter Dolichenus, welches sich auf dem Dülük Baba Tepesi befindet (Abb. 2).1 Der Gott aus Doliche fand besonders unter den Soldaten reichsweite Verehrung.2 Das Epitheton Dolichenus verweist eindeutig auf die antike Stadt Doliche, die rund 3,8 km nord-östlich des Heiligtums liegt. Der moderne Name des Siedlungshügels lautet Keber Tepe (Abb. 3).3 Seit 2015 wird das Siedlungsgebiet von einem internationalen Team unter der Leitung der Forschungsstelle Asia Minor der WWU gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und in Kooperation mit dem Centre for Urban Network Evolutions der Universität Aarhus systematisch erforscht. Durch die Unterstützung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Form eines Aus*
Vorliegender Artikel erscheint nahezu zeitgleich in englischer Fassung, vgl. Schreiber 2021. 1 Zu den Ergebnissen v. a. Winter 2017; 2014; 2011; 2008a. 2 Zum Kult des Iuppiter Dolichenus Blömer/Winter 2012. 3 Zur Geschichte der Stadt im Allgemeinen s. Winter 2003 sowie die Zusammenfassung und weiterführende Literatur bei Blömer et al. 2019, 104–107.
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landsstipendiums an der Abteilung Istanbul war es dem Autor 2018 und 2019 möglich, sich intensiv mit den zahlreichen besiegelten Urkundenverschlüssen aus dem städtischen Archiv zu befassen.4
Abb. 1: Karte Nordsyriens (© Michael Blömer). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 2: Blick auf den Dülük Baba Tepesi und den Keber Tepe. Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
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Zu den Ergebnissen der Feldarbeiten 2015–2018 s. Blömer et al. 2019, 107–126. Zum Archiv von Doliche zuletzt Schreiber 2019a, 155–160; Schreiber 2019b, 229–237.
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Abb. 3: Blick auf den Keber Tepe vom Dülük Baba Tepesi. Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Ziel des vorliegenden Artikels ist es, den aktuellen Stand der Arbeiten zum Dolichener Archiv darzustellen. Nach einem Überblick zur Forschungsgeschichte folgen einige Überlegungen zur Siegelpraxis. Im Anschluss an einige allgemeine Bemerkungen zu den Siegelabdrücken5 erfolgt die Vorstellung der bisher bekannten ‚offiziellen‘ in Doliche verwendeten Siegel.6 Anhand dieser Siegel kann ein Einblick in die Chronologie, die Funktion und den potentiellen Nutzerkreis des Dolichener Archivs gewonnen werden. Abschließend erfolgt ein kurzer Überblick zu den ‚Individualsiegeln‘, deren Bearbeitung zu weiten Teilen noch aussteht. Dieses Material birgt das Potenzial, wesentlich zu unserem Verständnis der Archivierungs- und Siegelpraxis in hellenistischer und römischer Zeit an der Nahtstelle zwischen Mesopotamien, der Levante und Kleinasien beizutragen. Darüber 5
Seit der ersten Publikation von ‚Bullae‘ (vgl. Salinas 1883, 287–314) ist die verwendete Terminologie zu den Siegelabdrücken ein gravierendes Problem. Der hier vorliegende Artikel verwendet folgende Begriffe: ‚Siegel‘ meint stets das (verlorene) Siegelinstrument, welches in ‚Abdrücken‘ auf ‚Urkundenverschlüssen‘ überliefert ist. Zur häufig verwirrenden Terminologie im deutschen Sprachgebrauch, s. Berges 1997, 11–12; Lindström 2003, 7. 6 In diesem Zusammenhang meint der Begriff ‚offiziell‘, dass die Siegel von Amtsträgern verwendet wurden. Somit lassen sie sich von der unbestimmten Masse der ‚Individualsiegel‘, die keinem Amt, keiner Stadt und keiner sonstigen öffentlichen Einrichtung und/oder Person zugeordnet werden können, abgrenzen; s. hierzu auch Schreiber, Im Namen des Königs?, in diesem Band.
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hinaus wird ersichtlich, dass die Siegel aus Doliche eng mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus verbunden sind, der sich im 2. und frühen 3. Jahrhundert n. Chr. im gesamten Römischen Reich großer Beliebtheit erfreute. 2. Forschungsgeschichte Die Möglichkeit, dass in der Stadt Doliche ein hellenistisch-römisches Archiv existiert habe, wird seit den 1940er Jahren diskutiert. Sebastian Ronzevalle und Henri Seyrig waren die ersten, die Urkundenverschlüsse aus Doliche publizierten.7 Von den vorgelegten Exemplaren zeigen einige eine Dexiosis zwischen einem römischen Kaiser und der Hauptgottheit der Stadt Iuppiter Dolichenus sowie in Inschriften den Namen der Stadt (s. u.). Die besiegelten Urkundenverschlüsse wurden in Aleppo erworben und befinden sich nun in der Bibliothèque Nationale de France (BNF), Paris.8 Fast dreißig Jahre später veröffentlichte Jacques Schwartz elf Abdrücke von sechs Siegeln, die 1969 in Izmir erworben wurden.9 Heute befinden sich diese Urkundenverschlüsse in einer Privatsammlung. Marianne Maaskant-Kleibrink machte 1971 auf weitere 150 in Istanbul und Gaziantep gekaufte Urkundenverschlüsse aufmerksam, die sich heute im Münzkabinett in Amsterdam befinden.10 Weitere 61 Exemplare tauchten 1985 im Kunsthandel auf und wurden von Dietrich O. A. Klose veröffentlicht. Vier davon gelangten in das Münzkabinett Amsterdam, der Rest wurde an Privatsammler verkauft. 11 Im Jahr 1992 veröffentlichte Jeffrey Spier elf Siegelabdrücke in der Sammlung der Getty Villa.12 Im gleichen Jahr wurde eine Privatsammlung von Peter Weiß publiziert, die weitere 29 Siegelabdrücke umfasst.13 Da diese verschiedenen Sammlungen durch Abdrücke identischer Siegel miteinander verbunden sind, ist klar, dass sie aus demselben Archiv stammen müssen.14 In den späten 1990er Jahren übergaben Dorfbewohner aus Dülük dem Museum von Gaziantep mehr als 1800 Siegelabdrücke, die 1994 auf dem Keber Tepe gefunden worden waren.15 Im Jahr 2000 schrieb Weiß schließlich, „der Schlüssel 7
Ronzevalle 1940, 69–77; Seyrig 1940, 86–94. Ronzevalle 1940, 69–70. Dank der freundlichen Unterstützung durch Mathilde Avisseau-Broustet war es mir möglich, die Stücke im Original zu sehen. Marcus Heim hat dankenswerterweise neue Aufnahmen der besiegelten Urkundenverschlüsse angefertigt. 9 Schwartz 1962, 7–10. 10 Maaskant-Kleibrink 1971, 23–63. Zunächst waren die Urkundenverschlüsse Teil des Königlichen Münzkabinetts in Den Haag. 11 Klose 1984, 63–76. 12 Spier 1992, 169–171. 13 Weiß 1992, 171–193. 14 Hierbei handelt es sich in der Mehrzahl um die Siegel, die als ‚offiziell‘ zu benennen sind, da diese am häufigsten verwendet wurden, s. u. 15 Zu diesem Konvolut und den wenigen Details zu den Fundumständen Önal 2014; 2012; 2011. 8
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für alles liegt freilich in Gaziantep“.16 Ebenfalls im Jahr 2000 veröffentlichten Koray Konuk und Melih Arslan 65 Abdrücke von 40 verschiedenen Siegeln aus der Erimtan-Collection in Ankara.17 Im Jahr 2008 kamen 48 Abdrücke von Siegeln aus der Sammlung des Museums von Karaman hinzu, die von Ertekin M. Doksanaltı und Suhal Sağlan veröffentlicht wurden.18 Als Co-Direktor des Doliche-Projekts im Jahr 2010 folgte Mehmet Önal den Hinweisen der Dorfbewohner und legte Sondagen am Südosthang des Keber Tepe im Feld 415 an. Dort wurden mehr als 200 Urkundenverschlüsse gefunden.19 Önal publizierte die meisten Stücke, die sich heute im Museum Gaziantep befinden,20 während Weiß 2012 noch einmal 300 Siegelabdrücke aus einer Privatsammlung veröffentlichte.21 40 noch unpublizierte Stücke befinden sich zudem in der Sammlung des Archäologischen Museums der Universität Münster. Obwohl sich der größte Teil der genannten Urkundenverschlüsse/Siegelabdrücke aus Doliche heute in Gaziantep befindet, sind beträchtliche Mengen über die Museen in Karaman, Ankara, München, Münster, Amsterdam, Malibu, Paris und mehrere Privatsammlungen verteilt. Die Verteilung über die Türkei, Deutschland, die Niederlande, die Vereinigten Staaten und Frankreich macht es schwierig, das bislang bekannte Repertoire des Archivs von Doliche wieder kohärent zusammenzuführen. Etwa 7000 ,Siegel‘ werden Doliche zugeschrieben, aber diese Zahl ist kaum verlässlich, da oft unklar ist, ob sich die Autoren auf Siegel, Urkundenverschlüsse oder Abdrücke beziehen.22 Nach Durchsicht der Literatur kann festgestellt werden, dass vor 2017 und den systematischen Grabungsarbeiten insgesamt 2811 Siegelabdrücke von über 780 Siegeln aus dem Dolichener Archiv bekannt waren. Darüber hinaus vermutet Önal, dass sich unter den im Kunsthandel verkauften Stücken zahlreiche Fälschungen befinden.23 Schon heute liefert eine Online-Suche nach Siegeln aus Doliche hunderte von Siegeln im Kunst- und Antiquitätenhandel, von denen einige offensichtlich gefälscht sind. Auch wenn in den oben genannten Konvoluten keine offensichtlichen Fälschungen zu finden sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Stücke unterschiedlicher Herkunft von modernen Kunst- und Antiquitätenhändlern gemischt 16
Weiß 2000, 103. Konuk/Aslan 2000, 228–292. 18 Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 63–84. 19 Önal 2012, 174; 2011, 248. 20 Önal 2014; 2011. 21 Weiß 2012, 167–172. 22 Konuk/Arslan 2000, 228 erwähnen „some 7000 clay sealings“. Woher diese hohe Anzahl stammt, bleibt unklar. Die Ungenauigkeiten sind Ergebnis der sprachlichen Ungenauigkeiten. Auch im Englischen wird häufig nicht strikt zwischen ‚sealings‘, ‚seal impressions‘ und ‚seals‘ getrennt. 23 Önal 2011, 248. Zudem erwähnt Önal 2018, 5, Anm. 44 in Bezug auf die Siegelabdrücke Konuk/Arslan 2000 einen in Vorbereitung befindlichen Artikel zu Fälschungen unter den Siegelabdrücken. 17
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wurden. So ist z. B. das Siegel von Nikopolis (Kilikien) nur in den von Klose und Seyrig publizierten Sammlungen vorhanden, es fehlt aber in den fast 1800 Stücken des Museums Gaziantep und ist auch unter den Grabungsfunden der letzten Jahre nicht vertreten.24 Dies erhärtet den Verdacht, dass Siegelabdrücke aus Doliche durch Händler mit Material von anderen Fundorten ,kontaminiert‘ wurden. Stücke aus dem Kunstmarkt sollten daher – wenn überhaupt – nur nachgeordnet betrachtet werden. Für die weitere Bearbeitung des Dolichener Archivs werden neben den Urkundenverschlüssen, die aus den Grabungen stammen, nur diejenigen miteinbezogen, die als ,geschlossene Gruppe‘ ins Museum Gaziantep gelangten. Die übrigen kontextlosen Stücke werden zunächst nicht weiter beachtet, da seit der Grabungskampagne 2020 nun erstmals mehr besiegelte Urkundenverschlüsse des Archivs aus gesicherten archäologischen Kontexten bekannt sind als aus dem Kunsthandel. Zwischen 2017 und 2020 ist die Zahl der vor Ort gefundenen Urkundenverschlüsse auf ca. 4250 Exemplare angewachsen, was über 60 % des gesamten mit dem Dolichener Archiv in Verbindung gebrachten Materials ausmacht. Neben den Funden aus dem Stadtgebiet wurden einige besiegelte Urkundenverschlüsse im Heiligtum auf dem Dülük Baba Tepesi gefunden.25 Auch wenn anhand dieser wenigen Funde innerhalb des Heiligtums keine gesicherten Rückschlüsse auf einen dortigen Archivkontext möglich sind, so ist doch darauf hinzuweisen, dass hier ebenso Abdrücke solcher Siegel gefunden wurden, die einen starken Bezug zum Kult des Iuppiter Dolichenus erkennen lassen (Dexiosis; Opferszene).26 3. Ein Archiv ohne Kontext? Seit 2017 wird das Areal, in dem Önal zuvor Testgrabungen durchgeführt hatte, systematisch erforscht. Die zuvor angewandte geophysikalische Prospektion ließ hier größere Baustrukturen erwarten.27 Das Ziel der ersten Kampagnen war, das Archiv und das öffentliche Zentrum der Stadt zu erforschen.28 Die Grabungen ergaben, dass das Areal von den Überresten eines römischen Badekomplexes dominiert wird, der vermutlich Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. zerstört wurde (Abb. 4).29
24
Klose 1984, 73, Nrn. 1–11 mit Taf. 9; Seyrig 1940, 94–95 mit Taf. 6. Heedemann 2008, 97–106. 26 Ein Archiv im Heiligtum wurde u. a. von Önal 2012, 174 angenommen. 27 Blömer et al. 2019, 110–112 mit Abb. 6. 28 Zu den Ergebnissen der Kampagnen 2017 und 2018 auf Feld 415 s. Blömer et al. 2019, 108–117. Zu den Ergebnissen des Surveys s. Whybrew 2019, 161–171. 29 Blömer et al. 2019, 116–117. 25
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Abb. 4: Mosaikboden im Badekomplex, Doliche. Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 5: Die Schnitte K17-05 und K17-07, welche bisher die höchste Konzentration von Siegelabdrücken enthielten. Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Im Osten dieses Komplexes fanden sich Überreste römischer Fundamente, deren Funktion noch unklar sind. Die Ausgrabungen sowie die systematische Begehung der benachbarten Felder brachten keine architektonischen Überreste zum Vorschein, die sich eindeutig mit einem Archivbau in Verbindung bringen lassen. Nichtsdestotrotz wurden hier seit 2017 über 4200 Urkundenverschlüsse gefunden. Die meisten dieser Stücke stammen aus oberen Erdschichten und wurden durch
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die landwirtschaftliche Nutzung der Felder an die Oberfläche gepflügt. Zwar ließ sich eine deutliche Konzentration von Urkundenverschlüssen feststellen, die Streuung der Funde erreicht aber insgesamt einen Radius von ca. 70 m. Das Areal wurde offensichtlich nach der Zerstörung nicht wieder bebaut. Stattdessen wurde Baumaterial systematisch entfernt und an anderer Stelle wiederverwendet. Die Konzentration östlich des Bads gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich in Zukunft vielleicht doch noch intakte Bereiche des Archivgebäudes finden lassen (Abb. 5).30 Nach den bisherigen Erkenntnissen wurde das Bad im 2. Jahrhundert n. Chr. errichtet. Möglicherweise war das Archiv zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Betrieb. Einige der Siegel können mit Sicherheit ins 1. Jahrhundert v. Chr. datiert werden, was vermuten lässt, dass das Archiv seit dieser Zeit existierte.31 Es kann mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das Areal bereits Teil des hellenistischen Stadtzentrums war. Für die römische Zeit bestätigen dies Dachziegel, die mit ΔΗΜΟCΙΑ gestempelt wurden.32 Das Siegel, welches ein Doppelporträt des Marcus Aurelius und des Lucius Verus zeigt (Kat.-Nr. 13, Abb. 25 und 26), ist das bisher jüngste, welches sich sicher datieren lässt und somit nachweist, dass bis in die 170er Jahre v. Chr. Dokumente im Archiv von Doliche eingelagert wurden.33 Die noch offenen Fragen hinsichtlich der Lokalisierung des Archivs werden hoffentlich in Zukunft geklärt werden können. Der große Anteil von offiziellen Siegeln, die hier verwendet wurden, belegt jedoch, dass es sich um das Siegelabdruckinventar eines öffentlichen Archivs handelt. 34 Vorliegender Artikel wird sich hauptsächlich mit diesen offiziellen Siegeln befassen, da die Bearbeitung der ‚Individualsiegel‘ noch aussteht. 4. Der Versiegelungsprozess Die ursprünglich nur luftgetrockneten tönernen Urkundenverschlüsse wurden durch das Niederbrennen des Archivs gehärtet und dadurch konserviert, während 30
Möglicherweise gehören einige östlich des Badkomplexes gefundene massiv gestörte Kalksteinblöcke zum Fundament des Archivgebäudes. 31 Das früheste Siegel ist bisher wohl Kat. 1 mit der Darstellung der Tyche im Typus des Eutychides. Auch die Siegel Kat. 7 und Kat. 8 gehören wohl in das 1. Jahrhundert v. Chr.; zur Chronologie s. weiter unten. 32 Es handelt sich um eine Gruppe von sieben Dachziegeln, die mit drei unterschiedlichen Stempeln versehen sind (ΔΗΜΟCΙΑ, ΔΗΜΟΑϹΙ und ΔΗΜΟCΙA); vgl. Facella 2019, 152–154. 33 Önal 2014. Önal 2011 gibt an, dass einige der verwendeten Siegel ins 3. Jahrhundert n. Chr. gehören. Die vorgeschlagenen Datierungen gilt es im Zuge der Bearbeitung der ‚Individualsiegel‘ kritisch zu prüfen. Bisher gibt es m. E. keine zwingenden Belege dafür, dass das Dolichener Archiv noch bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. genutzt wurde. 34 Sämtliche hier vorgestellten Ergebnisse – auch die zu den schon länger bekannten offiziellen Siegeln aus Doliche – müssen als vorläufig betrachtet werden.
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das Feuer die eingelagerten Dokumente zerstörte, wie dies von anderen hellenistischen und römischen Archivbefunden bekannt ist.35 Aus Doliche sind nur solche Urkundenverschlüsse bekannt, die in Form von handgeformten Tonklumpen auf die zu versiegelnden Dokumente aufgebracht wurden. Ein weiterer, im mesopotamischen Raum verbreiteter Typus, der aufgrund seiner Form an Serviettenringe erinnert, ist aus Doliche nicht überliefert.36 Die ‚Tonklumpenversiegelung‘ lässt sich anhand vollständig erhaltener Papyri und anhand der Spuren an den Verschlüssen gut rekonstruieren.37 Folgender Versiegelungsprozess lässt sich für die in Doliche eingelagerten bzw. deponierten Urkunden postulieren (Abb. 6): Zunächst wurde der Papyrus oder das Pergament aufgerollt und ein Tonstreifen aufgelegt. Das Dokument und die Hälfte des Tonstreifens wurden dann mit einer Schnur umwunden. Anschließend wurde der Tonstreifen über die Verschnürung geklappt, von Hand zu einem Klumpen geformt, glattgestrichen und besiegelt. Die Rückseiten der Urkundenverschlüsse sind entweder glatt, was auf Pergament als Schriftträger schließen lässt, oder sie zeigen die Abdrücke von Papyrusfasern (Abb. 7). Einige der Urkundenverschlüsse lassen noch Schnurkanäle erkennen. Nach der Versiegelung war es nicht mehr möglich, das Dokument zu öffnen, ohne den Verschluss oder das Abb. 6: Tonklumpenversiege- Dokument selbst zu beschädigen. Keiner der lung (nach Lindström 2003, Urkundenverschlüsse aus Doliche weist mehr 10, Abb. 2). Zeichnung von als einen Siegelabdruck auf. Dies bedeutet aber Helga Kosak; verwendet mit keineswegs, dass in Doliche die Dokumente freundlicher Genehmigung v. Gunvor Lindström, DAI, Ber- nur von einzelnen Personen besiegelt wurden. Es ist hingegen anzunehmen, dass die Dokulin. mente mit mehreren Verschlüssen versehen
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In der Literatur wurden einige Listen mit vergleichbaren Archiv- bzw. Siegelabdruckfunden zusammengestellt: vgl. u. a. Berges 1997, 33–38; Weiß 1992, 171–193; Klose 1984, 63–76; Coqueugniot 2013; Lesperance 2010. 36 Diese ringförmigen Urkundenverschlüsse sind aus Uruk, Larsa, Babylon, Nippur und Seleukeia am Tigris bekannt; vgl. z. B. Lindström 2003, 8–11 mit Anm. 37 und 42. 37 Vgl. Lindström 2003, 7–11 mit Abb. 1–2; Berges 1997, 14–17 mit Abb. 2–3; Vandorpe 1996, 231–291 mit Abb. A–I und Tfn. 45–47; Invernizzi 1968–69, 70–71; McDowell 1935, 1–14.
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waren und jede der beteiligten Parteien je einen Verschluss besiegelte (Abb. 8).38 Demnach ist es allein anhand der erhaltenen Urkundenverschlüsse nicht möglich, Aussagen darüber zu treffen, wie viele Dokumente im Archiv von Doliche eingelagert waren und welchen Inhalts die Dokumente waren. Für andere Archive bzw. Siegelabdruckkonglomerate, in denen mehrere Vertragsparteien ihr Siegel auf einem einzigen Urkundenverschluss applizierten, sind versuchsweise die Dokumentinhalte rekonstruiert worden.39
Abb. 7: Urkundenverschlüsse aus Doliche. Links (Inv. K17_501-606): glatte Rückseite (Pergament); rechts (Inv. K17_501-632): Faserabdrücke (Papyrus). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 8: Hypothetische Rekonstruktion eines Dokuments mit zwei Verschlüssen.
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Ein solches ‚Siegelverhalten‘ ist bspw. aus Wadi Daliyeh bekannt; vgl. Leith 1997, Taf. 22. 39 Hier sind die Papyri aus Elephantine (Rubensohn 1907) und andere vollständig erhaltene Papyri zu nennen: Vandorpe 1996, 231–291 mit Tfn. 45–47. Zu den serviettenringförmigen Urkundenverschlüssen aus dem seleukidischen Babylonien s. z. B. Lindström 2003, 7–9 mit Tfn. 2–4 (Uruk); Lecomte 1987, 233–234 mit Tfn. 48–49 (Larsa); Schmidt 1941, 793–797 mit Abb. 2 (Babylon); Gibson 1994, 97–102 mit Abb. 2, 4 (Nippur); McDowell 1935; Messina/Mollo 2004 (Seleukeia am Tigris); Wallenfels 2016 (Babylon). Vgl. auch die mehrfach besiegelten Urkundenverschlüsse aus Selinus und Delos: Zoppi 2001, 30 mit Abb. 1–3 (Selinus); Boussac 1988, 307–309, 312–313 mit Abb. 1, 6–7 (Delos).
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In Bezug auf die Dolichener Urkundenverschlüsse ist eine weitere Beobachtung für den Versiegelungsprozess von Bedeutung: Einige der Verschlüsse weisen gar keine Siegelabdrücke auf. Sie zeigen lediglich Fingerabdrücke, und zwar des Daumens und des Zeigefingers (Abb. 9).
Abb. 9: Dokumentverschluss aus Doliche (Inv. K17_501-658) mit Abdrücken des Daumens und des Zeigefingers. Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Eine solche, beziehungsweise eine sehr ähnliche Form der ,Versiegelung‘ ist auch aus anderen Archiven bekannt, so zum Beispiel aus Pella, wo die Ausgräber annehmen, dass es sich bei den nicht-besiegelten Verschlüssen um solche handelt, die für die Besiegelung vorbereitet waren.40 Eine solche Deutung kann m. E. – zumindest für die Urkundenverschlüsse aus Doliche – ausgeschlossen werden, da die Rückseiten der Tonklumpen belegen, dass die Verschlüsse bereits auf Dokumente appliziert waren und somit gar nicht besiegelt werden sollten.41 Möglicherweise wurden die Verschlüsse ohne Siegelabdrücke auch mit solchen Verschlüssen kombiniert, die Abdrücke aufwiesen. Nach bisherigem Kenntnisstand 40
Lilibaki-Akamatis 2011, 70. Es könnte auch angenommen werden, dass die Fingerabdrücke als Siegelabdrücke fungierten. Dies ist m. E. auszuschließen, da die Fingerabdrücke rein technischer Natur sind und vom Aufbringen und Zusammenpressen des Tonklumpens herrühren. Dies wird auch durch die Gleichförmigkeit dieser Verschlüsse unterstrichen, die kein intentionelles und somit exponiertes Eindrücken der Finger erkennen lassen. Anders verhält es sich hingegen mit Urkundenverschlüssen aus Seleukeia am Tigris und Uruk, wo deutlich die Abdrücke von Daumennägeln zu erkennen sind: s. Wallenfels 2016, 20–21.
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handelt es sich allerdings lediglich um unbesiegelte und rein funktionale Urkundenverschlüsse.42 5. Allgemeine Bemerkungen zum Dolichener Siegelabdruckinventar Die nachfolgenden Beobachtungen beziehen sich auf die Funde aus den Jahren 2017 und 2018 sowie auf die bereits publizierten Urkundenverschlüsse im Museum Gaziantep.43 Die letztgenannten Stücke kamen als ,geschlossenes Ensemble‘ ins Museum, sodass hier keine Vermischung mit Material anderer Fundplätze zu befürchten ist, anders als dies für andere Konglomerate, besonders die von Klose und Seyrig veröffentlichten, angenommen werden muss.44 Die hier folgenden Ausführungen sind dennoch als vorläufig zu betrachten, da die weitere Aufarbeitung des Archivinventars noch aussteht. Insgesamt liegt den Beobachtungen mit 2032 Siegelabdrücken, die auf 761 Siegel zurückgehen, allerdings bereits jetzt eine breite Materialbasis zugrunde. Die Siegelbilder lassen sich in folgende Gruppen unterteilen: Gottheiten, Mischwesen, Porträts, bukolische Szenen, Tierkreiszeichen, mythologische Figuren, männliche und weibliche Figuren, Symbole und Tiere.45 Nahezu die Hälfte der verwendeten Siegel zeigt Darstellungen von Gottheiten.46 Diese Dominanz ist auch bei anderen Siegelabdruckkonglomeraten feststellbar.47 Unter den Gottheiten sind die häufigsten Darstellungen die von Tyche, Apollo und Hermes.48 Auch dies entspricht den Befunden anderer Siegelabdruckinventare.49 Die zweitgrößte Gruppe (ca. 14 %) zeigt im weitesten Sinne menschliche Darstellungen, darunter
42 Diese Form der Urkundenverschlüsse unterstreicht nochmals, wie wichtig eine eindeutige Terminologie ist, denn es handelt sich bei den hier besprochenen Stücken weder um ‚Siegel‘ noch um ‚Versiegelungen‘ noch um ‚Siegelabdrücke‘, schon gar nicht um ‚Bullae‘, sondern lediglich um rein funktionale Urkundenverschlüsse. 43 Önal 2014, 173–293; 2012, 173–180; 2011, 247–279. 44 Seyrig 1940, 58–117; Klose 1984, 63–76. 45 Önal 2011, 249 hat die Dolichener Siegelbilder in 122 ‚Typen‘ unterteilt. Es versteht sich, dass eine solche Einteilung zu weiten Teilen subjektiv ist. Es kann allerdings im Allgemeinen festgehalten werden, dass sich das Repertoire der Dolichener Siegel bislang nicht signifikant von anderen Archivbeständen unterscheidet. Die Funde des benachbarten Zeugma, für dessen Siegelabdruckinventar/Archiv eine nahezu identische Datierung angenommen wird, lassen sich gut mit dem Befund von Doliche vergleichen. Önal 2018, 19– 26 hat die Darstellungen auf den in Zeugma verwendeten Siegeln in acht Hauptgruppen und über 200 Untergruppen unterteilt. 46 Von den 761 Siegeln zeigen 372 (ca. 49 %) Darstellungen von Gottheiten. 47 So ist z. B. im großen Archiv von Seleukeia am Tigris der Anteil von Siegelbildern, die Gottheiten zeigen, der weitaus größte; vgl. Messina/Mollo 2004 II. 48 Tyche: 75; Apollo: 48; Hermes: 38. 49 Seleukeia am Tigris: Messina/Mollo 2004 II, Nrn. Tk 1–322, Ap 1–188, ApT 1–87, Nb 1–2. Zeugma: Önal 2018, 19.
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römische Kaiser.50 Die drittgrößte Gruppe (ca. 11 %) bilden die Darstellungen von Tieren.51 Von den Funden der Jahre 2017 und 2018 sowie den Urkundenverschlüssen im Museum Gaziantep wurden ca. 30 % der Siegel auf Urkundenverschlüssen abgedrückt, die Spuren von Papyrusfasern zeigten. Ca. 37 % der Siegel wurden auf Urkundenverschlüssen auf Pergament appliziert und 4 % der verwendeten Siegel finden sich auf Urkundenverschlüssen, die auf Papyrus und Pergament befestigt waren. 52 Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass Pergament das bevorzugte Schreibmaterial in Doliche war, da nicht feststellbar ist, welche Dokumente in der Stadt ausgestellt wurden und welche von außerhalb in das Archiv gelangten.53 Bemerkenswert ist, dass die weiter unten vorgestellten 15 ,offiziellen‘ Siegel eine andere Verteilung zeigen: ca. 20 % waren auf Urkundenverschlüssen mit Abdrücken von Papyrusfasern zu finden, ca. 7 % der offiziell besiegelten Verschlüsse wiesen eine glatte Rückseite auf und ca. 73 % der Siegel wurden auf Verschlüssen beider Schreibmaterialien appliziert.54 Einige der offiziellen Siegel waren demnach offenbar auf ein bestimmtes Schreibmaterial begrenzt: Urkundenverschlüsse mit Abdrücken der Dexiosis A (Kat. 3, Abb. 13 und 14) verschlossen ausschließlich Papyri. Da insgesamt 13 Abdrücke dieses Siegels erhalten sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Zufall handelt, äußerst gering. Sollte die Vermutung, dass es sich hierbei um eines der/das Siegel der Priesterschaft handelt, zutreffend sein, würde dies bedeuten, dass die Tempeladministration zu der Zeit, als das Siegel in Benutzung war, ausschließlich für die hiermit zu besiegelnden Dokumente Papyrus als Schreibmaterial verwendete.55 Die beiden Siegel mit dem Bildnis des Vespasian wurden ausschließlich für das Versiegeln von Papyri (Kat. 11, Abb. 23) beziehungsweise Pergament (Kat. 12, Abb. 24) verwendet. Ob eine der hier in Erscheinung tretenden Institutionen und/oder Beamten nun in Doliche ansässig war und die andere von außerhalb Dokumente nach Doliche sandte, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. 50
Menschliche Darstellungen: 106 von 761. Tiere: 84 von 761. 52 Papyrus: 230; Pergament: 279; Papyrus und Pergament: 33. Bei den Abdrücken von 219 Siegeln ließ sich das Material, auf dem die besiegelten Urkundenverschlüsse appliziert waren, nicht mehr feststellen. 53 Für die Archive bzw. Urkundendepots von Uruk war es möglich, zwischen Dokumenten, die vor Ort ausgestellt wurden und solchen, die von außerhalb in die Stadt gelangten, zu unterscheiden. Dies liegt daran, dass in Uruk der Anteil von Urkundenverschlüssen mit Abdrücken von Papyrusfasern sehr gering ausfällt. Nur zwei Abdrücke eines Ankersiegels befanden sich je auf einem Urkundenverschluss, der einen Papyrus verschloss. Dies deutet darauf hin, dass diese beiden Dokumente nicht in Uruk selbst ausgestellt wurden; vgl. Lindström 2003, 9, 12, 36–38, Nrn. 258-1, 268-1. 54 Papyrus: 3; Pergament: 1; Papyrus und Pergament: 11. 55 Die anderen Dexiosis-Siegel (Kat. 4 und 5) wurden sowohl zum Besiegeln von Papyri als auch Pergamenten verwendet. 51
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Die Frage nach den Schriftträgern wird bei der Auswertung der ‚Individualsiegel‘ von großer Bedeutung sein. Mit welchen Motiven wurden Papyri gesiegelt und mit welchen Bildern Pergamente? Lässt sich feststellen, ob Urkunden innerhalb der Stadt ausgestellt wurden oder nicht, und lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Wirtschaftsgeschichte der Stadt und der Region ziehen? Diese Überlegungen bleiben zunächst vorläufig, bis die endgültige Auswertung des Archivbestandes abgeschlossen ist. Gleiches gilt für die nachfolgende Bewertung der Nutzung der Dolichener Siegel, wobei zu betonen ist, dass die Auswertung der 1444 in den Jahren 2017 und 2018 gefundenen Abdrücke und der Stücke im Museum Gaziantep eine solide statistische Grundlage bietet und für die Zukunft keine wesentlichen Änderungen durch Neufunde zu erwarten sind. Im Durchschnitt wurde ein Siegel in Doliche 2,7mal verwendet. 88,3 % der Siegel sind allerdings in nur einem Abdruck überliefert, 5,7 % liegen in zwei, 1,8 % in drei und 0,9 % in vier Abdrücken vor. 3,3 % der Siegel sind anhand von fünf oder mehr Abdrücken nachgewiesen (Abb. 10).56
Abb. 10: Anzahl der Abdrücke pro Siegel.
Die letztgenannte Gruppe enthält auch diejenigen Siegel, die als ,signifikant‘ zu beschreiben sind, da der Gesamtbestand des Archivs dadurch charakterisiert ist, dass eine große Anzahl von Abdrücken von nur wenigen Siegeln stammt. Diese sehr dominante Gruppe besteht aus den Abdrücken von 15 Siegeln, welche auch die oben beschriebenen weit verteilten Konglomerate miteinander verbinden. Diese Siegel, die nachfolgend näher vorgestellt werden, sind als ,offiziell‘ zu 56
Ein Abdruck: 672; zwei Abdrücke: 43; drei Abdrücke: 14; vier Abdrücke: 7; fünf und mehr Abdrücke: 25.
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benennen, d. h., dass sie von öffentlichen Institutionen und/oder Beamten verwendet wurden. Dieser offizielle Charakter lässt sich entweder durch eine Inschrift auf dem verwendeten Siegel und/oder durch die Größe, die häufige Verwendung, die Siegelmotive und die flache Abdruckform recht eindeutig erkennen.57 Allein in den Jahren 2017 und 2018 wurden 89 Urkundenverschlüsse mit Abdrücken von Siegeln gefunden, die dieser Gruppe zugeordnet werden können. Unter Berücksichtigung der Stücke im Museum Gaziantep wurden bisher 1121 Abdrücke dieser 15 Siegel gefunden. Das bedeutet, dass mindestens 25 % aller erhaltenen und lesbaren Abdrücke aus Doliche auf nur etwa 2 % der verwendeten Siegel zurückgehen. Zieht man nun die Abdrücke der offiziellen Siegel vom Gesamtbestand der Abdrücke ab, so wird ersichtlich, dass die übrigen Siegel im Durchschnitt nur 1,3mal verwendet wurden. Dies deutet an, dass diese übrigen Siegel zunächst nicht als offiziell charakterisiert werden können. Um dennoch in diesem Bestand die Siegel mit ,offiziellem‘ Charakter ausfindig machen zu können, bedarf es der ausführlichen ikonographischen Analyse. Insbesondere der Vergleich der Siegelbilder mit Darstellungen anderer offizieller Gattungen, insbesondere der Münzprägung, ist unverzichtbar. Die hier vorgestellten offiziellen Siegel sind zunächst einmal die, die sehr wahrscheinlich in Doliche selbst verwendet wurden, da sie hier in sehr hoher Zahl überliefert sind. Andere offizielle Siegel, die womöglich in nur einem einzigen Abdruck vorliegen, da sie Dokumente besiegelten, die nicht in Doliche selbst ausgefertigt wurden, können nur anhand der ausführlichen Bearbeitung des Gesamtbestandes ausfindig gemacht werden. Betrachtet man die offiziellen Siegel genauer, so sind weitere Merkmale offensichtlich: Die Siegel aus dem Gesamtbestand hinterließen im Durchschnitt Abdrücke mit einer Größe von 10,9 × 9,6 mm. Die offiziellen Siegel sind hingegen mit 21,3 × 21 mm deutlich größer. Hinzu kommt, dass im Gesamtbestand 36,6 % aller Siegel konkave und 60,1 % flache Abdrücke hinterließen.58 Unter den offiziellen Siegeln liegt der Anteil der flachen Abdrücke bei mindestens 93,4 %.59 So lässt sich festhalten, dass die offiziellen Siegel, die in Doliche verwendet wurden, deutlich größer sind als der Gesamtdurchschnitt und dass sie fast ausnahmslos flache Abdrücke hinterließen. Dies bedeutet nicht nur, dass die offiziellen Siegel im Abdruck relativ leicht zu erkennen sind – für den antiken, wie den modernen Betrachter – sondern, dass die verlorenen Siegelinstrumente höchstwahrscheinlich Vollmetallringe waren.60 57
Zu den Merkmalen offizieller Siegel s. a. Schreiber, Im Namen des Königs?, in diesem Band. 58 Flach: 458; konkav: 278; nicht feststellbar: 25. 59 Flach: 14; konkav: 1(?). 60 Zum Zusammenhang zwischen Größe und Abdruckform Schreiber in Vorb. Es ist bei genauerer Betrachtung ein Zusammenhang zwischen der Größe und der Abdruckform erkennbar, der darauf schließen lässt, dass große und flache Abdrücke von Vollmetallrin-
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6. Die offiziellen Siegel 6.1 Die Stadtsiegel mit Darstellung der Tyche Kat. 1 (Abb. 11) zeigt die Tyche im Typus des Eutychides beziehungsweise die Tyche von Doliche im Typus A.61 Die Göttin, gekleidet in einen Chiton und ein Himation, sitzt in Dreiviertelansicht nach links gerichtet auf einem Felsen. Auf dem Kopf, der im Profil dargestellt ist, trägt sie eine Mauerkrone. In der rechten Hand hält sie eine Kornähre. Unterhalb des Felsens ist ein Flussgott mit ausgebreiteten Armen dargestellt. Das Siegel wurde sowohl auf Papyrus- als auch auf Pergamentverschlüssen appliziert. Mit einer Größe von mindestens 22 × 19 mm war das verlorene Siegel, vermutlich ein Vollmetallring, weit überdurchschnittlich groß. Mit insgesamt 394 Abdrücken ist es das mit Abstand am häufigsten im Dolichener Archiv nachgewiesene Siegel. Es handelt sich um eines der am häufigsten verwendeten Siegel der Antike überhaupt. Selbst im großen Archiv von Seleukeia am Tigris mit über 30.000 überlieferten Siegelabdrücken wurden nur wenige Exemplare häufiger verwendet als das Tyche-Siegel.62
Abb. 11: Tyche von Doliche A (Inv. K17_524-504, K17_501-562 und K17_519513, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Der Stil und die Ikonographie deuten darauf hin, dass das Siegel um 100 v. Chr. und nicht – wie zuvor angenommen – in der Kaiserzeit angefertigt wurde.63 Damit handelt es sich um eines der frühesten im Archiv von Doliche nachgewiesenen Siegel und der offizielle Charakter des Stückes ist hinreichend gen, und kleine konkave Abdrücke – zumindest zu weiten Teilen – von Gemmen stammen. 61 Zur Tyche des Eutychides und/oder der sog. Tyche von Antiochia: Meyer 2006. Zu den Siegelabdrücken: Meyer 2006, 193–194, 442–443, Kat. H1. 62 Die Steuersiegel nicht berücksichtigend wurden in Seleukeia lediglich die Siegel Messina/Mollo 2004 III, Kat. M 59 (1422×); M 73 (931×); Messina/Mollo 2004 II, Kat. Nb 1 (875×), ApT 10 (800×); Messina/Mollo 2004 I, Kat. TM 220 (443×) häufiger als das Tyche-Siegel verwendet. 63 Vgl. Klose 1984, 66 (augusteisch oder später); Balty 1981, 849, Nr. 127, s. v. Antiocheia (traianisch oder später), deren Argumente Meyer 2006, 193, Anm. 959 überzeugend zurückgewiesen hat.
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belegt.64 Hinzu kommt, dass das Siegel qualitativ hervorsticht und sich hierdurch von anderen Siegeln des Archivs deutlich abhebt.65 Aufgrund des häufigen – und bisher exklusiven – Auftretens dieses Siegels in Abdrücken aus Doliche kann es sich bei dem zugehörigen Siegelinstrument nicht um das Stadtsiegel von Antiochia am Orontes handeln.66 Es ist wohl mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass es sich um das Stadtsiegel von Doliche selbst handelt.67 Möglicherweise wurde dieses Stadtsiegel später durch ein anderes Tyche-Siegel (Kat. 2, Abb. 12) ersetzt. Das Siegel zeigt die frontal thronende Göttin, deren Füße auf einem Bänkchen ruhen. Auf dem Kopf trägt die Göttin einen hohen Kalathos. Der linke Arm liegt gebeugt am Körper an und in ihrer Rechten hält sie ein nicht näher bestimmbares Attribut. Die Inschrift ΔΟΛΙΧΑΙ – ΩΝ identifiziert das Siegel eindeutig als offiziell. Die Größe ist mit mindestens 17 × 16 mm überdurchschnittlich. Insgesamt sind bisher 65 Abdrücke nachgewiesen. Die Rückseiten der entsprechenden Urkundenverschlüsse zeigen an, dass diese sowohl auf Papyrus als auch auf Pergament appliziert waren.
Abb. 12: Tyche von Doliche B (Inv. K17_519-515, K17_519-527, K17_601-502 und K17_500-507, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
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Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es sich womöglich um ein Siegel handelt, welches als ‚Leihsiegel‘ fungierte. D. h., dass dieses Siegel eventuell keiner Institution zuzuweisen ist, sondern im Archiv deponiert war und von Personen, die kein eigenes Siegel besaßen, zur Besiegelung von Dokumenten verwendet wurde. Zur These des Leihsiegels Schreiber in Vorb. 65 Meyer 2006, 194 führte dies als Beleg an, dass das Siegel nicht der Stadt Doliche zugeschrieben werden könne. 66 Vgl. Meyer 2006, 193–194. Die alternative Zuschreibung des Siegels an die Stadt Zeugma, die Meyer vorgeschlagen hat, kann ebenfalls ausgeschlossen werden, da sich im Archiv von Zeugma kein einziger Abdruck dieses Siegels gefunden hat. 67 So auch Weiß 2012, 169; 1992, 189.
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Das Siegel kann in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert werden. Maaskant-Kleibrink hat die Darstellung mit Münzbildern aus Hierapolis-Kastabala verglichen und das Siegel in den späten Hellenismus datiert.68 Dem schloss sich Önal an.69 Auf diesen Münzen ist die Tyche allerdings in Dreiviertelansicht nach links und nicht frontal wiedergegeben. Das Fußbänkchen fehlt ebenfalls. Der hohe Kalathos, der sich zwar gut vergleichen lässt, rechtfertigt jedoch keine zeitgleiche Datierung des Siegels, da die Unterschiede zum Münzbild deutlich überwiegen. Es ist davon auszugehen, dass diese ungewöhnliche Darstellung wesentlich später als das angenommene Vorgängersiegel (Kat. 1) datiert. Die wohl beste Parallele findet sich auf palmyrenischen Münzen des 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr.: Dargestellt ist eine weibliche Gottheit mit Mauerkrone und Schleier, die frontal auf einem Löwen sitzt.70 6.2 Dexiosis-Siegel Insgesamt drei Siegel (Kat. 3–5, Abb. 13–16) zeigen Iuppiter Dolichenus im Handschlag (Dexiosis) mit einem römischen Kaiser.71 Die drei Siegel sind in insgesamt 130 Abdrücken erhalten, die allesamt aus Doliche stammen. Kat. 3 (Dexiosis A, Abb. 13–14) zeigt den Gott mit vollem Haar und langem Bart in römischer Militärtracht und einer hohen, konischen Kopfbedeckung in Dreiviertelansicht nach rechts.
Abb. 13: Iuppiter Dolichenus und Kaiser, Dexiosis A (Inv. K17_523-501, K17_519-504, K17_601-502 und K17_500-507, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
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Maaskant-Kleibrink 1971, 33 Nr. 47. Önal 2011, 251 Anm. 24; Ziegler 2001, Taf. 32, Nrn. 529–534. 70 Krzyzanowska 2002, 169 und 173: Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin, Inv. 18252799. 71 Zu diesen Siegeln mit detaillierten Beschreibungen: Blömer 2012, 73–74 (Typ I = Dexiosis A; Typ II = Dexiosis B; Typ III = Dexiosis C). 69
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Der Gott trägt eine Doppelaxt über seiner linken Schulter. Die rechte Hand streckt er in Richtung des rechtsstehenden römischen Kaisers aus. Zwischen den beiden Protagonisten ist ein kleiner Altar angegeben. Der bartlose Kaiser, ebenfalls in römischer Militärtracht, steht in Dreiviertelansicht nach links. In der linken Armbeuge trägt er einen Speer oder ein Szepter. Die Gesichtszüge sind nicht auszumachen. Unterhalb der Szene ist eine Standlinie angegeben. Die Inschrift ΔΟΛΙ – ΧΑΙΩΝ – ΕΤΟΥC – Δ umgibt die Szene auf allen vier Seiten und belegt, dass es sich bei dem in 34 Abdrücken überlieferten Siegel um ein offizielles Siegelinstrument handelt. Die flachen, elliptischen Abdrücke lassen auf ein Siegel von mindestens 19 × 22 mm schließen. Damit war das Siegel deutlich überdurchschnittlich groß. Die Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse belegen, dass diese nur Papyri Abb. 14: Dexiosis A. Umzeichnung. verschlossen. Die Inschrift ΕΤΟΥC – Δ bezieht sich auf das Jahr 4 einer Ära. Seyrig datierte das Siegel unter Vorbehalt in die Zeit des Pompeius oder Iulius Caesar. Später korrigierte er zwar die Lesung der Inschrift, beließ es aber bei der angenommenen Datierung.72 Er interpretierte die Darstellung als die des Iuppiter Dolichenus mit einem römischen Feldherrn.73 Michael P. Speidel lehnte die Datierung ab, sah aber in der Dexiosis die Aufnahme Caesars oder Pompeius’ in die Kultgemeinschaft des Iuppiter Dolichenus.74 Schwartz sah in der Darstellung des Römers Vespasian und verband die Darstellung mit der Annexion Kommagenes und einer möglichen Neugründung Doliches.75 Seyrig folgte später dieser Deutung.76 Jörg Wagner sah in der Darstellung eine Verbindung zur Schlacht von Actium und dem damit verbundenen territorialen Verlust Mithradates’ II. So sei es gut möglich, dass der König Doliche nach der Schlacht an die Römer abtreten musste. Damit würde das Siegel in das Jahr 27/26 v. Chr. datieren.77 Ebenso wäre denkbar, dass es sich um das vierte Jahr der Herrschaft des Tiberius (17/18 n. Chr.) handelt, als Germanicus Kommagene in die Provinz Syria integrierte.78 Elmar Schwertheim nahm eine Darstellung des Antiochos I. von Kommagene anstatt 72
Seyrig 1940, 88–90 las den letzten Teil der Inschrift zunächst als ΔΛ. Das Zeichen oberhalb des Δ ist kein I, sondern markiert das Δ als Jahreszahl. 73 Seyrig 1950, 49–50. 74 Speidel 1980, 6–7; 1978, 3. 75 Schwartz 1962, 8–9. 76 Seyrig 1970, 93. 77 Wagner 1982, 135–137. 78 Vgl. Hörig/Schwertheim 1987, 18–19 mit Weiß 1992, 176, Anm. 14.
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eines römischen Kaisers an und verband das Jahr Δ mit dem vierten Jahr seines Katasterismos (58 n. Chr.).79 Weiß stellte hingegen fest, dass der Darstellung jegliche Attribute eines kommagenischen Herrschers fehlen.80 Weiß datierte das Siegel aufgrund stilistischer Merkmale in die augusteische bis frühe iulisch-claudische Zeit. Aufgrund stilistischer Übereinstimmungen mit dem Augustus/Dea Roma-Siegel (Kat. 10, Abb. 22) nimmt er an, dass es sich bei der Darstellung des römischen Kaisers auf Kat. 3 ebenfalls um Augustus handelt.81 Demnach würde es sich bei Jahr 4 um das vierte Jahr nach Actium (27/26 v. Chr.) und bei der Darstellung um Augustus handeln, auch wenn dies aufgrund der geringen Größe der Darstellung nicht eindeutig ist.82 Der Kaiser ist hier beim Handschlag mit der zentralen Gottheit Kommagenes dargestellt. Somit drückt diese Dexiosis eine besondere Verbundenheit beider Protagonisten aus, die entweder durch den Kaiser selbst oder durch die Stadt Doliche und/oder die Priesterschaft initiiert wurde. Dexiosis B (Kat. 4, Abb. 15) zeigt Iuppiter Dolichenus mit vollem Haar, einem in den Nacken fallenden Zopf und einem gepunkteten Bart in Dreiviertelansicht nach rechts.
Abb. 15: Iuppiter Dolichenus und Kaiser, Dexiosis B (Inv. K17_519-578 und K17_501-641). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Der Gott trägt eine dreiteilige konische Kopfbedeckung mit stilisierten Hörnern und ein knielanges, gegürtetes Gewand. Die linke Hand ist nach vorne gestreckt und hält ein Blitzbündel. Die Rechte streckt er dem ihm gegenüber und in Dreiviertelansicht links stehenden Kaiser entgegen. Der Kaiser trägt ein Militärgewand. Der linke Arm ist stark gebeugt und die linke Hand zur Faust geballt vor die Brust gelegt, mit der rechten Hand fasst er die Hand des Gottes. 79
Schwertheim 1991, 35, Anm. 32. Weiß 1992, 176–177, Anm. 14. 81 Weiß 1992, 176–177, Anm. 14. 82 Vgl. Blömer 2012, 75. 80
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Von diesem Siegel sind 66 Abdrücke mit einer Größe von bis zu 20 × 20 mm überliefert. Die hiermit besiegelten Urkundenverschlüsse waren sowohl auf Papyrus als auch Pergament appliziert. Die Abdrücke sind flach und das Siegel war von nahezu runder Form. Aufgrund der Größe, der Darstellung – die eng mit Kat. 3 verwandt ist – und der häufigen Überlieferung weist das Siegel einen starken offiziellen Charakter auf. Maaskant-Kleibrink und Schwartz haben den dargestellten Kaiser als Vespasian identifiziert.83 Önal vermutet in dem Porträt eine Darstellung des Nero oder des Domitian.84 Michael Blömer merkt hierzu an, dass aufgrund der undeutlichen Gesichtszüge zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um ein Porträt Vespasians, Domitians oder Trajans handelt.85 Tatsächlich sind aufgrund der sehr geringen Größe (der Kopf misst ca. 2,5 mm in der Höhe) keine individuellen Porträtmerkmale erkennbar. Auch die Qualität der Darstellung muss beachtet werden: Siegelabdrücke sind Kopien von Siegelbildern in (zunächst) feuchtem Ton. Die Qualität dieser Abdrücke kommt kaum an die von in Metall geprägten Münzen heran, und die Konturen sind viel weniger detailliert, so dass es bei der Größe des hier betrachteten Siegelporträts unmöglich ist, charakteristische Merkmale zu erkennen, die eine Identifizierung ermöglichen würden. Zusammenfassend lässt sich nur feststellen, dass das Siegel einen Kaiser des ersten Jahrhunderts n. Chr. abbildet, der eng mit dem Kult des Jupiter Dolichenus verbunden dargestellt wird. Dexiosis C (Kat. 5, Abb. 16) zeigt Iuppiter Dolichenus mit vollem Haar und langem Bart in römischer Militärtracht und mit einer hohen konischen Kopfbedeckung in Dreiviertelansicht nach rechts.86 Die linke Hand ist ausgestreckt und hält ein Blitzbündel. Die rechte Hand streckt der Gott dem ihm gegenüber in Dreiviertelansicht nach links gewandt stehenden römischen Kaiser entgegen. Der Kaiser ist in römischer Militärtracht dargestellt. Der linke Arm ruht auf einem Speer oder Szepter. Auffällig ist der Vollbart des Porträtierten. Insgesamt sind 37 flache, elliptische Abdrücke dieses Siegels überliefert. Die maximale Größe beträgt 23 × 27 mm und ist damit überdurchschnittlich groß. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Darstellungen ist eine Identifizierung des Kaisers möglich: Es handelt sich um Antoninus Pius.87
83
Maaskant-Kleibrink 1971, 27–28, Kat. 5; Schwartz 1962, 8–9. Önal 2012, 176 mit Anm. 467; 2011, 253 mit Anm. 39. 85 Blömer 2012, 76. 86 Hörner, wie sie Weiß 1992, 175 annimmt, fehlen in der Darstellung. 87 Blömer 2012, 75; Önal 2011, 253–254, Nr. 12; Weiß 2000, 103; 1992, 177. In den 23 Jahren seiner Herrschaft hat sich das Porträt des Antoninus Pius nicht signifikant verändert. Noch immer grundlegend zum Porträt dieses Kaisers: Wegner 1939, 15–25. 84
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Abb. 16: Iuppiter Dolichenus und Kaiser, Dexiosis C (Inv. K17_701-502, K17_700-582 und K17_501-605, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Alle drei Dexiosis-Siegel bringen eine besondere Verbundenheit zwischen dem Gott von Doliche und den dargestellten Kaisern zum Ausdruck. Es kann mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Priesterschaft des Iuppiter Dolichenus diese Siegel fertigen ließ und als ihr offizielles Siegel verwendete. Die Dexiosis hat eine unverkennbare regionale Tradition. Zahlreiche späthellenistische Stelen zeigen Antiochos I. von Kommagene im Handschlag mit unterschiedlichen Gottheiten.88 Die Dexiosis ist Ausdruck der göttlichen Unterstützung für den legitimen Herrscher. Somit vermitteln die Dolichener Siegel die Legitimität des römischen Kaisers als Nachfolger der kommagenischen Könige.89 6.3 Der opfernde Kaiser Ein weiteres Siegelbild unterstreicht die besondere (tatsächliche oder intendierte) Bedeutung des Iuppiter Dolichenus-Kultes im Römischen Reich. Kat. 6 (Abb. 17–18) zeigt einen römischen Kaiser beim Opfer an den höchsten Gott von Doliche. Obwohl in Aussehen und Komposition ähnlich, unterscheidet sich das Siegel grundlegend von den vorangegangenen Darstellungen.90 Auf der linken Seite ist der Kaiser in Dreiviertelansicht nach rechts in römischer Militärtracht dargestellt. Mit dem erhobenen linken Arm stützt er sich auf einen Speer oder ein Szepter. In der ausgestreckten rechten Hand hält er eine Opferschale. Der Kaiser trägt keinen Bart, individuelle Gesichtszüge sind nicht zu erkennen. Vor ihm steht Iuppiter Dolichenus in Dreiviertelansicht nach links auf dem Rücken eines Stieres. Der 88
Jacobs/Rollinger 2005, 144–150; vgl. Waldmann 1973, z. B. Tfn. 3, 5, 7, 11, 21–22, 24, 31. 89 Es ist keine Aufnahme des Herrschers in göttliche Sphären gemeint: vgl. Blömer 2012, 78. 90 Vgl. die Beschreibung von Blömer 2012, 74–75, Typ IV.
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bärtige Gott trägt eine konische Kopfbedeckung und ein kurzes Gewand mit langen Ärmeln, das in der Taille gegürtet ist und darunter in wellenförmigen Falten fällt; zudem trägt er eine Hose. Ein an der rechten Seite getragenes Schwert ist kaum zu erkennen. In der erhobenen rechten Hand hält Iuppiter einen Kranz mit herabhängenden Bändern, in der gesenkten linken Hand hält er ein Blitzbündel. Der Stier steht im Profil nach links, der Kopf ist frontal dargestellt. Zwischen dem Kaiser und dem Gott ist ein achtzackiger Stern zu sehen. Unterhalb der Darstellung ist eine Standlinie angegeben.
Abb. 17: Kaiser beim Opfer an Iuppiter Dolichenus (Inv. K17_519-501). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 18: Kaiser beim Opfer an Iuppiter Dolichenus. Umzeichnung.
Das Siegel ist in insgesamt 34 Abdrücken überliefert. Mit einer maximal erhaltenen Größe von 25 × 21 mm ist es zudem auffallend groß, hinterließ einen flachen Abdruck und zeigt einen Rand um das Bildfeld, der auf die Einlage eines Intaglios hindeutet. Die Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse zeigen, dass diese sowohl von Papyri als auch von Pergamenten stammen. Der dargestellte Kaiser wurde als Hadrian identifiziert, doch das Fehlen eines Bartes schließt dies aus.91 Eine Datierung anhand des Kaiserporträts ist ebenso unmöglich wie eine Datierung anhand der Ikonographie des Iuppiter Dolichenus, da die Gottheit hier nicht in römischer Militärtracht erscheint, sondern – abgesehen von der Hose – auch altorientalische Elemente wie die Hörnerkrone und der Zopf fehlen.92 Bezüglich der Dexiosis-Siegel und des Siegels Nr. 6 argumentiert Blömer, dass es kaum anzunehmen ist, dass die Darstellung auf den Siegeln das Kultbild des Gottes zeigt, wie es im Heiligtum aufgestellt war.93 Dies ist insofern richtig, als der
91
Önal 2012, 176; 2011, 253. Vgl. Blömer 2012, 77. 93 Blömer 2012, 77. 92
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Gott hier in Interaktion mit dem jeweiligen Kaiser zu sehen ist. Dennoch hat die Szene einen viel stärkeren kultischen Charakter als die Darstellungen Iuppiters in den Dexiosis-Szenen, da der Gott auf dem Stier stehend dargestellt ist. Zweifellos muss aber der dem Kaiser entgegengestreckte Kranz eine Abweichung vom unbekannten Kultbild darstellen. Der Kaiser – wer auch immer er sein mag – opfert dem höchsten Gott von Doliche. Somit kann man in dieser Darstellung die Aufnahme des Kaisers in die Kultgemeinschaft des Iuppiter Dolichenus erkennen. Der Grund für die Herstellung eines solchen Siegels mag vielleicht ein Besuch des Kaisers im Heiligtum gewesen sein. Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, dass unter den acht Siegelabdrücken, die im Heiligtum gefunden wurden, die Nr. 6 als einziges zweimal vorkommt.94 6.4 Iuno und Iuppiter (A) Das Siegel Kat. 7 (Abb. 19) ist in 90 Abdrücken überliefert und zeigt die antithetischen Büsten der Iuno und des Iuppiter im Profil. Iuno auf der linken Seite trägt einen Schleier und ist etwas niedriger platziert als Iuppiter, der ihr auf der rechten Seite gegenübergestellt ist. Iuppiter hat volles Haar und einen langen Vollbart. Er trägt ein perlenbesetztes Stirnband im Haar und einen Mantel. Das 25 × 26 mm große Siegel war vermutlich von elliptischer Form und ist weit überdurchschnittlich groß. Die Abdrücke zeigen einen Rand, der auf die Kante einer Intagliofassung hinweist. Den Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse nach zu urteilen, wurden sie sowohl auf Papyrus als auch auf Pergament aufgebracht. Die Darstellung zeichnet sich durch ihre große Plastizität aus. Das zugehörige Siegel wurde tief eingeschnitten und hebt sich durch seine hohe künstlerische Qualität von den meisten anderen Siegeln des Archivs ab. Das Siegel wurde in das 1. Jahrhundert v. Chr. und in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert.95 Weiß vermutet, dass beim Siegelvorgang verstärkt darauf geachtet wurde, dass das Bild des Iuppiter im Abdruck zu erkennen ist, wohingegen die Darstellung der Iuno teilweise oder sogar ganz fehlen kann.96 Die neuen Funde aus Doliche bestätigen diesen Eindruck jedoch nicht.97
94
Hedeemann 2008, 101–103, Nrn. 2–3. Heedemann erkannte nicht, dass die beiden Abdrücke von demselben Siegel stammen. 95 Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 68; Konuk/Arslan 2000, 250–251; Weiß 1992, 180; MaaskantKleibrink 1971, 27. 96 Weiß 1992, 180, Kat. 12. 97 Ebenso wenig bestätigen die bisher in Abbildung publizierten Abdrücke diese Beobachtung, vgl. Önal 2012, Nr. 3a; Önal 2011, Nr. 13; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, Nrn. 5–7; Konuk/Arslan 2000, Nrn. 215–218; Maaskant-Kleibrink 1971, Nr. 4.
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Abb. 19: Iuno und Iuppiter A (Inv. K17_701-585, K17_701-587 und K17_701-500, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Während Seyrig in dieser Darstellung bereits einen Bezug zu den Göttern von Doliche sah, sehen Monika Hörig und Elmar Schwertheim in dem Bild keine offensichtliche Anspielung auf Iuppiter Dolichenus und Juno Regina.98 Die große Anzahl der in Doliche gefundenen Abdrücke spricht eindeutig für eine Deutung als Götterpaar von Doliche. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, wer dieses Siegel verwendet hat. 6.5 Iuno Ein Siegel (Kat. 8, Abb. 20) mit der Darstellung der Iuno ist in 37 Abdrücken überliefert. Die Göttin ist im Profil nach rechts dargestellt, der Hinterkopf ist verschleiert und sie trägt eine Stephane. Rechts vor ihr ist ein Szepter bekrönt mit einem runden Gegenstand – vielleicht ein Granatapfel oder eine Mohnkapsel – dargestellt. Mit 23 × 20 mm ist dieses Siegel erneut deutlich größer als der Durchschnitt. Die besser erhaltenen Abdrücke zeigen einen Rand, der die Kante einer Intaglioeinfassung andeutet. Die Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse belegen, dass sowohl Papyri als auch Pergamente mit Siegel Nr. 8 versiegelt wurden. Eine Identifizierung als Iuno oder Hera ist sehr plausibel, zumal das längliche Objekt eindeutig ein Szepter ist und der krönende Granatapfel ein Attribut der Hera/Iuno ist.99 Eine Mohnkapsel kann sogar mit der Göttin von Doliche in Verbindung gebracht werden, was es unwahrscheinlich macht, dass es sich um eine Darstellung einer Tyche handelt.100 98
Seyrig 1940, 91; Hörig/Schwertheim 1987, 20, Nr. 14B. Önal 2012, 177; 2011, 255; Weiß 1992, 180–181. Maaskant-Kleibrink 1971, 26 wollte einen Buchstaben und keinen Granatapfel erkennen. 100 Weiß 1992, 181; Hörig/Schwertheim 1987, 27–28, Nr. 23 mit Taf. 7; 30, Nr. 27 mit 99
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Abb. 20: Iuno (Inv. K17_701-596). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Die vorgeschlagenen Datierungen reichen vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr. 101 Weiß vermutet, dass das Siegel entweder in späthellenistischer Zeit oder in der frühen Kaiserzeit hergestellt wurde. 102 Die große Anzahl von Abdrücken, die Größe des Siegels und die Darstellung der Iuno Regina legen nahe, dass es sich um ein offizielles Siegel handelt. Auch hier lässt sich nicht feststellen, wer der Besitzer des Siegels gewesen sein könnte.
6.6 Dioskuren (A) Siegel Kat. 9 (Abb. 21) zeigt die identischen, gegenübergestellten Büsten der Dioskuren. Die göttlichen Zwillinge sind bartlos und mit Pillei auf dem Kopf dargestellt. Unterhalb des Randes der Kopfbedeckung ist jeweils eine breite Reihe wolliger Locken zu sehen. Beide tragen einen Kürass sowie einen Mantel und schultern einen Speer. Über ihren Stirnen ist ein fünfzackiger Stern abgebildet. Die 92 Abdrücke stammen von einem flachen Siegelinstrument, dessen Oberfläche von einem Rand umgeben gewesen sein könnte. Das länglich-elliptische Siegel ist mit 22 × 24 mm deutlich überdurchschnittlich groß und hat damit einen starken offiziellen Charakter, der durch die Darstellung der göttlichen Zwillinge noch verstärkt wird. Den Spuren auf den Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse nach zu urteilen, wurde das Siegel sowohl für Papyrus als auch für Pergament verwendet. Ein göttliches Paar, häufig Castores Dolicheni genannt, ist in Inschriften und Darstellungen im Zusammenhang mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus gut dokumentiert.103 Ihre Ikonographie – wie die des Iuppiter Dolichenus selbst – variiert und kann sowohl altorientalische als auch griechisch-römische Einflüsse aufweisen.104 Die göttlichen Zwillinge werden hier in griechisch-römischer Ikono-
Taf. 9; 47, Nr. 43 mit Taf. 14; Hörig/Schwertheim 1987, 19, Nr. 14A interpretierten die Darstellung als Tyche. 101 Hörig/Schwertheim 1987, 19, Nr. 14A; Maaskant-Kleibrink 1971, 26–27; Konuk/ Arslan 2000, 262–264. 102 Weiß 1992, 181. 103 Hörig/Schwertheim 1987, 91, Nrn. 125; 188–191, Nrn. 239–294; 243, Nr. 378; 249– 250, Nr. 383; 253–254, Nr. 386; 329, Nr. 525. 104 Hörig/Schwertheim 1987, 20–23, Nr. 15; Merlat 1960, 36–40, 88–98; Seyrig 1940, 91– 94.
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graphie als bartlose Jünglinge dargestellt.105 Wer dieses Siegel verwendet hat, muss offenbleiben. Die starken Bezüge zum Kult des Iuppiter Dolichenus legen jedoch nahe, dass es die Priester oder eine andere Gruppe oder Institution, die mit dem Kult und/oder dem Heiligtum verbunden war, verwendeten.106
Abb. 21: Castores Dolicheni A (Inv. K17_704-504, K17_704-505 und K17_704504, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Ähnliche Abbildungen der Dioskuren, jeweils mit einem Stern über der Stirn, finden sich auf Münzen, die in Flaviopolis (Kilikien) unter Domitian und Antoninus Pius geprägt wurden.107 Da das Siegelbild stilistisch den unter Domitian geprägten Münzen nähersteht, kann das Siegel sicher in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert werden und sollte nicht als ‚späthellenistisch‘ angesehen werden.108 6.7 Augustus und Dea Roma Siegel Kat. 10 (Abb. 22) zeigt eine männliche Büste mit Lorbeerkranz im Profil nach rechts. Oberhalb der Stirn ist das Haar in sichelförmige Locken geteilt. Die 105
Klose 1984, 66 schloss eine eindeutige Zuordnung der Siegel an Doliche wegen des Fehlens von Bärten aus. Diese Aussage beruhte auf der Beobachtung, dass die Castores Dolicheni in anderen Darstellungen bis auf eine Ausnahme immer bärtig erscheinen. Nach Hörig/Schwertheim 1987, 21 kann dies nicht mehr zutreffen. Außerdem kann die große Zahl von über sechzig Abdrücken dieses Siegels, die aus der Stadt Doliche stammen (vgl. Önal 2011, 255, Nr. 18), als eindeutiger Beweis dafür gelten, dass die Castores Dolicheni gemeint sind. 106 Zur Verbindung der Dioskuren mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus zuletzt: Blömer 2017, 90–91, 93–94. 107 Weiß/Vecchi 1986, Taf. 104, Nr. 1529; Tahberer 2014, 674–675, Taf. 58; Ziegler 2001, Taf. 30, Nr. 491; Hermary 1986, 138; Önal 2011, 255 mit Anm. 50. 108 Vgl. Konuk/Arslan 2000, 229, 268–269 (m. E. handelt es sich bei Konuk/Arslan 2000, 268–269, Nrn. 234–235 um die Dioskuren und nicht um „busts of a man and a woman facing each other“); Spier 1992, 169; Weiß 1992, 181–182. Maaskant-Kleibrink 1971, 27– 28 datiert das Siegel späthellenistisch.
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Augen sind mandelförmig, der Nasenrücken ist sehr gerade und die Nasenlöcher sind deutlich sichtbar, während Mund und Kinn weniger ausgeprägt sind. Auf der rechten Seite ist eine weibliche Büste im Profil nach links dargestellt. Sie trägt einen gefiederten attischen Helm. Ihr Haar ist zu einem Zopf geflochten, der eng am Hals herabhängt.
Abb. 22: Büsten des Augustus und der Dea Roma (Inv. K17_519-544, K17_519561 und K17_501-561, v.l.n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Mit 149 Abdrücken gehört es zu den am häufigsten verwendeten Siegeln aus Doliche und fand sowohl auf Pergament als auch Papyri Verwendung. Die flache Siegelfläche von 22 × 21 mm hatte vermutlich eine längliche, elliptische Form. Das Bild kann leicht als das eines römischen Kaisers und der Dea Roma gedeutet werden. Wie schon Seyrig vermutete, ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dem dargestellten Kaiser um Augustus handelt. 109 Abgesehen vom Hauptheiligtum der Stadt, dem des Iuppiter Dolichenus, ist über die sakrale Topographie von Doliche wenig bekannt. Das Siegel kann als Beweis für die Existenz eines mit Dea Roma verbundenen Augustuskultes gewertet werden. Vielleicht gehörte dann dieses offensichtlich offizielle Siegel der Priesterschaft dieses Tempels. 6.8 Vespasian (A) Zwei Siegel, die in Abdrücken aus Doliche überliefert sind, zeigen das Porträt des Vespasian. Kat. 11 (Abb. 23) zeigt den Kopf des Kaisers im Profil nach rechts. Der Kaiser trägt einen Lorbeerkranz mit weit in den Nacken fallenden Bändern. Die hohe Stirn und die veristischen Züge sind sehr markant. Die Stirn ist gefurcht, die Brauenbögen und die Nasolabialfalten sind akzentuiert. Die Konturen von Kinn und Ohr sind in den Abdrücken deutlich zu erkennen. Die physiognomi109
Seyrig 1940, 88; vgl. Ronzevalle 1940, 75; Weiß 1992, 186 mit Anm. 31.
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schen Merkmale lassen keinen Zweifel daran, dass das Porträt Vespasian zugeschrieben werden kann.110
Abb. 23: Vespasian A (Inv. K17_519-537, K17_509-500 und K17_408-500, v.l. n.r.). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Das Siegel ist in 57 Abdrücken erhalten.111 Das elliptische Siegel hinterließ flache Abdrücke mit Abmessungen von 19 × 18 mm. Aufgrund der genannten Merkmale und der Darstellung des Kaisers hat es einen starken offiziellen Charakter, aber wer es benutzt hat, bleibt ungewiss. Es ist denkbar, dass ein hoher städtischer Beamter – vergleichbar den seleukidischen Cherophylakes – mit dem Porträt des Kaisers siegelte.112 Da keine Abdrücke dieses Siegels aus anderen Archiven bekannt sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass es von einer in Doliche ansässigen Behörde verwendet wurde. Im Archiv des benachbarten Zeugma, wo eine beträchtliche Anzahl von Kaiserporträts gefunden wurde, gibt es keinen Abdruck dieses oder eines anderen Vespasian-Siegels.113 6.9 Vespasian (B) Das zweite Siegel mit einem Porträt des Vespasian (Kat. 12, Abb. 24) zeigt den Kaiser ebenfalls mit Lorbeerkranz im Profil nach rechts.114 Die hohe Stirn und die anderen veristischen Züge sind deutlich zu erkennen. Die Kontur des Ohres ist 110
Dies gilt auch für die von Klose 1984, 74, Nrn. 31, 33 und 35 aufgeführten Abdrücke, deren Porträt wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes nicht als das des Vespasian erkannt werden konnten. Die charakteristische Form des Ohres lässt jedoch diese Zuordnung zu. Dasselbe gilt für Seyrig 1940, Nr. 11, wobei er den Dargestellten als Trajan identifiziert. 111 Es gibt unzählige Münzbildnisse Vespasians, die sich als Vergleiche anführen lassen: vgl. im Besonderen die Tetradrachmen der Jahre 69 bis 72 n. Chr. bei McAlee 2007, 336; Burnett et al. 1999, 1947; Prieur/Prieur 2000, 113. 112 Zur Frage, wer im Hellenismus mit Herrscherporträts siegelte, s. Schreiber, Im Namen des Königs?, in diesem Band. 113 Önal 2018, 60–82, Nrn. 131–176 mit Tfn. 14–19. 114 Zu den Münzen, s. Anm. 111.
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besonders ausgeprägt. Wangenknochen und Kinn sowie die Brauen sind in den Abdrücken trotz ihres schlechten Zustands sehr prägnant. Die große Anzahl von 30 Abdrücken, ihr auffälliges Format von 22 × 21 mm und das kaiserliche Porträt des Vespasian weisen auf den offiziellen Charakter des Siegels hin. Wie beim vorherigen Siegel auch (Nr. 11) ist es denkbar, dass ein hoher Beamter der Stadt dieses Siegel verwendete. Von besonderem Interesse für die weitere Forschung ist, dass die Rückseiten der mit Kat. 12 besiegelten Urkundenverschlüsse bisher immer glatt sind und somit auf Pergament aufgeAbb. 24: Vespasian B (BNF Inv. Y-21108). Foto von Marcus Heim. Mit bracht waren, während alle Siegel des freundlicher Genehmigung der Biblio- vorherigen Exemplars (Nr. 11) ausschließlich auf Urkundenverschlüssen thèque Nationale de France, Paris. zu finden sind, die Papyri versiegelten. Diese beiden Siegel, die in die Regierungszeit Vespasians (69–79 n. Chr.) datiert werden, könnten zudem mit der historischen Rolle des Kaisers zusammenhängen, der das Königreich Kommagene in das Römische Reich eingliederte.115 6.10 Marcus Aurelius und Lucius Verus Siegel Kat. 13 (Abb. 25) zeigt zwei einander zugewandte männliche Büsten mit Lorbeerkränzen im Haar. Die Männer tragen Vollbärte und haben volles, lockiges Haar. Auffallend sind die weit aufgerissenen Augen. Die Porträts können Marcus Aurelius und Lucius Verus zugeschrieben werden, deren Doppelporträt auch von im Namen der Stadt Doliche geprägten Münzen bekannt ist.116 Die Größe (20 × 19 mm), die Darstellung der beiden Kaiser und die überdurchschnittlich häufige Verwendung des Siegels mit 11 erhaltenen Exemplaren zeugen von einem starken offiziellen Charakter. Ähnlich wie bei den oben beschriebenen Siegeln mit dem Porträt Vespasians (Kat. 11–12, Abb. 23–24) ist es denkbar, dass das Siegel von hohen städtischen Beamten oder einer anderen lokalen Autorität verwendet wurde – zumal Doliche auch Münzen mit den Porträts der beiden Kaiser prägte. Die Rückseiten einiger der besiegelten Urkundenverschlüsse zeigen Abdrücke von Papyrus, andere wurden auf Pergament appliziert. Das Siegel stammt aus der Zeit der gemeinsamen Herrschaft von Marcus Aurelius und Lucius Verus zwischen 161 und 169 n. Chr. 115
Önal 2012, 178; 2011, 256; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 71. Wroth 1964, 20, 114, Nr. 1, Taf. 15. Nr. 11; Baldus 2001, Taf. 15, 361–362. Vergleichbar sind auch Münzen der Aelia Capitolina: Meshorer 1989, 80, Nrn. 52–56.
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Die erneute Untersuchung der Abdrücke in der Bibliothèque Nationale de France (Paris), die erstmals 1940 von Seyrig veröffentlicht wurden, führte zu dem Ergebnis, dass zwei Siegelabdrücke, die zunächst als von zwei unterschiedlichen Siegeln stammend inventarisiert wurden, von einem einzigen Siegel stammen.117 Es handelt sich um das hier beschriebene Siegel mit den Darstellungen des Marcus Aurelius und Lucius Verus (Abb. 26). Damit kann dieses Siegel nun fast vollständig rekonstruiert werden und weist die beachtlichen Maße von 29 × 20 mm auf.
Abb. 25: Marcus Aurelius und Lucius Verus (BNF Inv. Y-21-142). Foto von Marcus Heim. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque Nationale de France, Paris.
Abb. 26: Marcus Aurelius und Lucius Verus (BNF inv. Y-21-142 und Y-21134). Fotos von Marcus Heim. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque Nationale de France, Paris.
6.11 Iuno und Iuppiter (B) Das Siegel Kat. 14 (Abb. 27) zeigt eine auffallend ähnliche Darstellung wie Kat. 7 (Abb. 19). Die Büsten von Iuno und Iuppiter sind einander zugewandt dargestellt. Iuno trägt einen Schleier und Iuppiter ist mit einem langen Vollbart und einer breiten Reihe von wolligen Haarlocken dargestellt. Bislang sind 18 Abdrücke dieses Siegels mit einer maximalen Größe von 22 × 22 mm bekannt. Die Größe und die häufige Verwendung können als Indiz dafür gewertet werden, dass es sich um ein offizielles Siegel handelt. Qualitativ kommt die Darstellung nicht an die von Kat. 7 heran. Die Plastizität des Reliefs ist weitaus weniger ausgeprägt. Es scheint daher jünger zu sein und datiert vielleicht sogar in das 2. Jahrhundert n. Chr. Wie bei dem anderen Siegel, das Iuno und Iuppiter darstellt, bleibt hier unsicher, wer es verwendete. Möglich scheint, dass Kat. 14 das Siegel Kat. 7 ersetzte.118 Die Rückseiten der besiegelten Urkundenverschlüsse sind glatt oder zeigen Abdrücke von Papyrusfasern. 117 118
Seyrig 1940, 89, Nrn. 12 und 15. Bei den Stücken im Museum Gaziantep (Önal 2011, 254) und den Neufunden der Gra-
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Abb. 27: Iuno und Iuppiter B (Inv. K17_501-595). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 28: Castores Dolicheni B (BNF inv. no. Y-21-141). Foto von Marcus Heim. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque Nationale de France, Paris.
6.12 Dioskuren (B) Das Siegel Kat. 15 (Abb. 28) ist dem Siegel Kat. 9 (Abb. 21) auffallend ähnlich. Anders als der erste Typus sind die göttlichen Zwillinge bärtig. Sie tragen jedoch Pillei, aus denen wiederum eine breite Reihe von wolligen Locken unterhalb des Randes hervortritt. Mit 18 × 21 mm ist dieses Siegel überdurchschnittlich groß; es ist in neun Abdrücken überliefert. Die Urkundenverschlüsse zeigen auf der Rückseite Spuren von Papyrusfasern.119 Es scheint möglich, dass ein Siegel das andere ersetzt hat. Die Reihenfolge jedoch und die Frage, wer die Siegel benutzte, müssen offenbleiben. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass die Priesterschaft oder Personen, die dem Kult und dem Tempel besonders verbunden waren, diese Siegel nutzten.120 7. Vorläufige Ergebnisse Auch wenn viele Fragen zu den hier vorgestellten Siegeln offenbleiben, lassen sich einige Schlussfolgerungen ziehen: (1) Die hier vorgestellten Siegel sind mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem offiziellen Kontext verwendet worden. Im Falle der Tyche B (Kat. 2) und der Dexiosis A (Kat. 3) ist dies durch die Inschrift belegt. Die anderen Siegel zeichnen bung kann es sich nicht um Fälschungen handeln. Ein Abdruck in der Getty Villa (Spier 1992, 169, Nr. 466) stammt nicht von Siegel Kat. 7, sondern von Kat. 14 (vgl. Önal 2011, 254, Nr. 45). 119 Laut Önal 2011, 255 waren einige der Urkundenverschlüsse auf Stoff appliziert. Belege hierfür ließen sich unter den Siegelabdrücken, die während der Grabungsarbeiten gefunden wurden, nicht ausmachen. 120 Zur Verbindung der Dioskuren mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus s. Anm. 106.
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sich durch ihre häufige Verwendung und ihre auffällige Größe aus, die auf einen offiziellen Charakter schließen lassen. Tyche A (Kat. 1) ist auch durch die Wahl der Darstellung eng mit dem eindeutig offiziellen Siegel des Typs Tyche B verbunden. Dasselbe gilt für die Siegel mit der Dexiosis B (Kat. 4) und Dexiosis C (Kat. 5). Ihre Ikonographie entspricht weitgehend der Dexiosis A (Kat. 3). Der opfernde Kaiser (Kat. 6) verbindet dieses Siegel eindeutig mit dem Heiligtum und unterstreicht seinen offiziellen Charakter. Auch wenn bei anderen Stücken (Kat. 7–9 und Kat. 14–15) der Bezug zum Kult des Iuppiter Dolichenus nur durch ihre Herkunft aus Doliche geschlossen werden kann, wird der offizielle Charakter durch die gewählten Darstellungen zusätzlich unterstrichen. Die Siegel mit der Darstellung der römischen Kaiser (Kat. 10–13) zeigen einen besonders starken offiziellen Charakter. (2) Das Siegel mit der Tyche B (Kat. 2) war ein offizielles Siegel der Stadt Doliche, wenn nicht sogar das offizielle Siegel. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch das Siegel mit der Tyche A (Kat. 1) ein Stadtsiegel gewesen ist, welches wahrscheinlich durch das andere ersetzt wurde. Vielleicht machte die Verwendung des Tyche-Bildes in anderen Städten die Aufbringung einer Inschrift notwendig.121 (3) Das Dexiosis-Siegel Typ A (Kat. 3) war wahrscheinlich das Siegel der Priesterschaft des Iuppiter Dolichenus, wobei nicht auszuschließen ist, dass es auch als Stadtsiegel verwendet wurde. Hier beziehen sich die Inschrift und das Bild auf die Stadt und den Kult. Wenn auch ohne Inschriften, so ist der Bezug der übrigen Dexiosis-Siegel (Kat. 4 [Dexiosis B] und Kat. 5 [Dexiosis C]) eindeutig. Die Siegel folgten chronologisch aufeinander und lösten sich daher wahrscheinlich gegenseitig ab. Welche Ereignisse die Herstellung und Benutzung eines neuen Siegels auslösten, bleibt ungewiss. Dexiosis A gehört wahrscheinlich in das 1. Jahrhundert v. Chr., während Dexiosis C Antoninus Pius zeigt und damit in das 2. Jahrhundert n. Chr. datiert. Dexiosis B datiert wahrscheinlich an das Ende des 1. oder den Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. und ist damit chronologisch zwischen Dexiosis A und C einzuordnen. (4) Das Siegel mit dem römischen Kaiser, der Iuppiter Dolichenus opfert (Kat. 6), wurde höchstwahrscheinlich ebenfalls von der Tempelverwaltung verwendet, zumal Abdrücke dieses Siegels im Heiligtum selbst gefunden wurden. (5) Die Herkunft der Siegel mit dem Götterpaar Iuno und Iuppiter (Kat. 7 und 14), Iuno (Kat. 8) und den Dioskuren (Kat. 9 und 15) legt einen Zusammenhang mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus nahe, auch wenn die Ikonographie keine eindeutigen Bezüge zum Kult des Gottes aufweist. Es ist daher anzunehmen, dass die Priesterschaft die Siegel benutzte, aber es ist ebenso möglich, dass städtische
121
Vgl. Meyer 2006, 221–222 zum Stadtsiegel von Nikopolis, Kilikien (vgl. Klose 1984, 161–169) und anderen vergleichbaren Beispielen.
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Behörden und/oder Beamte ihre Verbundenheit mit den dargestellten Gottheiten Ausdruck verleihen wollten. (6) Das Siegel mit den Darstellungen des Augustus und der Dea Roma (Kat. 10) muss einen städtischen Kult für Augustus und Dea Roma widerspiegeln, auch wenn die Existenz eines solchen Kultes in Doliche archäologisch bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Möglicherweise war dies das Siegel der Priesterschaft des Kultes. (7) Die Siegel mit Kaiserporträts (Kat. 11–13) lassen sich nicht mit Sicherheit lokalen Institutionen zuordnen. Nach hellenistischem Vorbild könnte es aber sein, dass sie im Besitz hoher städtischer Beamter waren.122 Diese Siegel können als weiterer Beleg dafür dienen, dass in griechisch-römischer Zeit Münzstempelschneider höchstwahrscheinlich für die Herstellung der Amtssiegel zuständig waren.123 8. Chronologie Da die ‚Individualsiegel‘ bisher nicht ausreichend untersucht werden konnten, beruht der chronologische Rahmen zunächst ausschließlich auf den hier vorgestellten, vorläufigen Ergebnissen (Abb. 29). Dem Stil nach zu urteilen, gehört das Tyche-Siegel (Kat. 1) zu den frühesten Siegeln des Archivs. Hier ist dem Datierungsvorschlag von Marion Meyer, die das Siegel um 100 v. Chr. datiert, zu folgen.124 Die außergewöhnlich große Anzahl von Abdrücken (385) lässt darauf schließen, dass es über einen langen Zeitraum verwendet wurde. Das zweite Tyche-Siegel (Kat. 2) folgte später, vielleicht im 2. Jahrhundert n. Chr. Die Siegel Kat. 7 und Kat. 8 gehören wahrscheinlich ebenfalls in das 1. Jahrhundert v. Chr. Das Siegel mit der Dexiosis A (Kat. 3) stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 27/26 v. Chr. und wurde gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. durch die Dexiosis B (Kat. 4) und in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. durch die Dexiosis C (Kat. 5) ersetzt. Der opfernde Kaiser (Kat. 6) wird wohl ins 1. Jahrhundert n. Chr. gehören, auch wenn der darauf abgebildete Kaiser nicht identifiziert werden kann.125 122
S. Schreiber, Im Namen des Königs?, in diesem Band. Zu dieser These siehe Lindström 2003, 49; Zwierlein-Diehl 1992, 106–117; Hackens 1989, 157–162; Boardman 1970, 158, 210, 238; Richter 1968, 23–24; Sambon 1906, 275– 284; Furtwängler 1900, 126. Berges 1997, 47–48 widerspricht dem. Für die klassische Periode vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. vergleicht Berthold 2013, 294–297 die Arbeitsprozesse der Münz- und Gemmenschneider. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Arbeitsprozesse zwar verwandt sind, eine Doppeltätigkeit eines Künstlers sowohl als Edelsteingraveur als auch als Stempelschneider aber nicht nachgewiesen werden kann. Es wäre zu fragen, ob dies bei der hier betrachteten Gattung, den Amtssiegeln, die also offizielle Zeugnisse darstellen, anders ist. 124 Meyer 2006, 193–194, 442–443, Nr. H1. 125 Blömer 2012, 76–77 argumentiert anders. Er sieht die ‚orientalischen‘ Elemente als 123
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Abb. 29: Vorläufige Chronologie. Das Siegel mit den Dioskuren (Kat. 9) datiert anhand vergleichbarer Münzen in das 1. Jahrhundert n. Chr., könnte aber auch späthellenistisch sein. Das Gleiche gilt wahrscheinlich für das zweite Dioskuren-Siegel (Kat. 15). Das Siegel mit der Darstellung des Augustus und der Dea Roma (Kat. 10) war seit augusteischer Zeit in Gebrauch, die übrigen Siegel mit Darstellung der Kaiser (Kat. 11–13) lassen sich jeweils in die Regierungsjahre des abgebildeten Herrschers datieren: Kat. 11 und 12 datieren in die Jahre 69–79 n. Chr. und Kat. 13 in die Jahre 161–169 n. Chr. Das Siegel mit Iuno und Iuppiter (Kat. 14) gehört wahrscheinlich ebenfalls in das 2. Jahrhundert n. Chr. Möglicherweise ersetzte es das wesentlich ältere Siegel mit Iuno und Iuppiter (Kat. 7). Die hier vorgestellten Amtssiegel geben also einen ungefähren chronologischen Rahmen des Archivs von Doliche vor. Es wurde wahrscheinlich in späthellenistischer Zeit gegründet und blieb bis etwa 170 n. Chr. aktiv. Die hier vorgestellten Siegel legen daher nahe, dass der Betrieb noch vor der Zerstörung der Stadt durch Šāpūr I. im Jahr 253 n. Chr. endete.126 Dieser Terminus bleibt jedoch vorläufig. Eine genauere zeitliche Eingrenzung erfordert weitere Untersuchungen und die Analyse der großen Gruppe der bereits ausgegrabenen Individualsiegel.
älter an und sieht eine Entwicklung zur stärker römisch geprägten Darstellungsform. 126 Önal datiert einige der verwendeten Siegel in das 3. Jahrhundert n. Chr., so z. B. Önal 2014, 177, Nrn. 23–24 mit Farbtaf. 18; 186, Nr. 87 mit Farbtaf. 20; 187, Nrn. 88–90 mit Farbtaf. 20.
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9. Schlussbemerkungen und Ausblick Die Funde aus Doliche liefern uns eine Fülle von Material, eine statistisch fundierte Basis, ein umfangreiches ikonographisches Repertoire und könnten – bei adäquater Bearbeitung – helfen, Fragen zur Kultur-, Religions-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte des Nahen Ostens in hellenistisch-römischer Zeit zu beantworten. Darüber hinaus besteht die Hoffnung, dass das Doliche-Archiv in Zukunft zu einem zentralen Bezugspunkt für die Sphragistik im östlichen Mittelmeerraum wird. Doch all dies steht in starkem Kontrast zum derzeitigen Stand der Bearbeitung des Materials. Um nicht an den eigenen guten Vorsätzen zu scheitern und sich aus dem Dilemma zu befreien, soll der Siegelabdruckbestand des Doliche-Archivs ab 2022 sukzessive in einer Online-Datenbank der interessierten Öffentlichkeit und der ‚scientific community‘ zur Verfügung gestellt werden. Es ist – anders lautenden Gerüchten entgegen – nicht so, dass derjenige, der das Material zur Verfügung stellt, auch alle damit verbundenen Fragen beantworten muss.
Abb. 30: Athena Promachos (Inv. K17_ 701-513). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 31: Kopf des Apollo (Inv. K17_ 501-632). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Die Siegelbilder lassen sich in zahlreiche ikonografische Gruppen einteilen: Gottheiten (vgl. Abb. 30–32), figürliche Szenen, Porträts (vgl. Abb. 33), bukolische Szenen, Symbole des Tierkreises, mythologische Figuren, männliche und weibliche Figuren, Symbole, Mischwesen (vgl. Abb. 34) und Tiere. Da diese Masse an Funden so groß ist und jedes dargestellte Thema für sich das Potential einer berufsqualifizierenden Arbeit in der Archäologie hat und keinesfalls ‚nebenbei‘ angegangen werden kann, muss das Material jetzt zur Verfügung gestellt werden, um eine wissenschaftliche Bearbeitung und Diskussion zu ermöglichen. Und wenn das Ergebnis sein sollte, dass die oben kurz skizzierten Fragen mit dem Material nicht beantwortet werden können und dass die Grenzen der Gattung enger sind, als wir vermutet oder gar befürchtet haben – dann wäre dem so. Es ist
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aber auch möglich, dass das beschriebene Potenzial nur ein Bruchteil dessen ist, was zu Tage gefördert werden könnte.
Abb. 32: Tyche (Inv. K17_601-504). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Abb. 33: Männliches Porträt (Inv. K17_ 501-639). Mit freundlicher Genehmigung der Forschungsstelle Asia Minor.
Aus all diesen Gründen entsteht aktuell in Zusammenarbeit mit dem Center for Digital Humanities der Universität Münster eine Open-Access-Datenbank, die die Siegelabdrücke aus Doliche erfassen und alle verfügbaren Daten bereitstellen wird. Darüber hinaus ist zu hoffen, dass die geplante Einrichtung eines 3D-Labors an der Universität Münster zur dreidimensionalen Dokumentation der Siegelabdrücke Abb. 34: Greif (Inv. K17_701-507). Mit führt und in Zusammenarbeit mit dem freundlicher Genehmigung der For- Fachbereich Informatik die zukünftige schungsstelle Asia Minor. Arbeit am Archivbestand deutlich erleichtert wird. Durch die Analyse der zahlreichen Fingerabdrücke auf den Urkundenverschlüssen könnte mit Hilfe der computergestützten Verarbeitung, z. B. der Mustererkennung, sogar herausgefunden werden, ob immer wieder dieselben Personen am Akt der Versiegelung beteiligt waren.127 So könnte z. B. geklärt werden, ob es sich bei dem Tyche-Siegel um ein offizielles Siegel handelt (immer wieder sind dieselben Personen beteiligt) oder um ein ‚Leihsiegel‘ (hunderte von Personen benutzen dasselbe Siegel).
127
Eine Frage, welche die Forschung schon länger beschäftigt: vgl. Invernizzi/Papotti 1991, 133–143.
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Eine solche Technik würde sicherlich auch die Suche nach Abdrücken identischer Siegel im Doliche-Archiv oder in anderen Archiven vereinfachen.128 Diese Aufgabe ist praktisch unmöglich ‚von Hand‘ zu erledigen, aber sie kann wichtige Ergebnisse liefern, wie vergleichbare Studien an anderem Material bereits gezeigt haben.129 Aber all das ist nur der aktuelle Stand der Ideen und Vorhaben, zumal wir nicht wissen, welche Möglichkeiten die Zukunft bereithält und welche Fragen in Bezug auf das hier kurz vorgestellte Material noch drängender werden könnten. Eines ist jedoch sicher: Das Material aus Doliche wird ab 2022 zur Verfügung stehen. 10. Katalog Kat. 1: Tyche von Doliche (A) Datierung: ca. 100 v. Chr. Anzahl der Abdrücke: 394 H × B: 22 × 19 mm Abdruckform: flach Siegelform: rund? Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Weiß 2012, 168, Abb. 148a; Önal 2012, 175, Abb. 153a; Önal 2011, 250–251, Nr. 6 mit Farbtaf. 10; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 66–68, 82, Abb. 1– 4; Heedemann 2008, 101, Nr. 1 mit Abb. 1; Weiß 2000, 100, Abb. 146b; Weiß 1992, 174–175, Nrn. 1–3 mit Abb.; Salzmann 1989, 362, mit Taf. 58.2; Klose 1984, 73, Nrn. 12–18 mit Taf. 9; Maaskant-Kleinbrink 1971, 24–25, Nr. 1 mit Abb. 2–4; Parlasca 1961, 86 mit Taf. 38, Nr. 2; Ronzevalle 1940, 71, Nrn. 5– 6 mit Taf. 4; Seyrig 1940, 87, 91, Nr. 1. Kat. 2: Tyche von Doliche (B) Datierung: 1./2. Jahrhundert n. Chr. Anzahl der Abdrücke: 65 H × B: 17 × 16 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: ΔΟΛΙΧΑΙ – ΩΝ
128
Messina 2005, 125–144 hat eine solche Untersuchung für einige ausgewählte Siegelabdrücke aus Uruk und Seleukeia am Tigris mittels mikroskopischer Analysen durchgeführt. 129 Lichtenberger/Moran 2018, 1–6.
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Bibliografie: Weiß 2012, 168, Abb. 148b; Önal 2012, 175, Abb. 153b; Önal 2011, 251, Nr. 7 mit Farbtaf. 10; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 66–68, 83, Abb. 24; Maaskant-Kleinbrink 1971, 33–34, Nr. 15 mit Abb. 22–23. Kat. 3: Iuppiter Dolichenus und Kaiser im Handschlag (Dexiosis A) Datierung: 27/26 v. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 34 H × B: 19 × 22 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: Abdrücke von Papyrus Inschrift: ΔΟΛΙ – ΧΑΙΩΝ – ΕΤΟΥC – Δ Bibliografie: Önal 2012, 175, Abb. 153c; Önal 2011, 251–252, Nr. 9 mit Farbtaf. 10; Weiß 2000, 100, Abb. 146a; Seyrig 1950, 49–50 mit Abb. 2; Seyrig 1940, 87–88, Nr. 7 mit Taf. 5; Ronzevalle 1940, 70, 72, Nrn. 1, 19 mit Taf. 4. Kat. 4: Iuppiter Dolichenus und Kaiser im Handschlag (Dexiosis B) Datierung: 1. Jahrhundert n. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 66 H × B: 20 × 20 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 175, Abb. 153d; Önal 2011, 252–253, Nr. 10 mit Farbtaf. 10; Klose 1984, 73, Nr. 21 mit Taf. 9; Maaskant-Kleinbrink 1971, 27–28, Nr. 5 mit Abb. 9; Seyrig 1940, 88, Nr. 8 mit Abb. 2; Ronzevalle 1940, 70–71, Nrn. 2–4 mit Taf. 4. Kat. 5: Iuppiter Dolichenus und Kaiser im Handschlag (Dexiosis C) Datierung: 138–161 n. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 37 H × B: 23 × 27 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2011, 253–254, Nr. 12 mit Farbtaf. 11; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 82, Abb. 8; Weiß 2000, 100, Abb. 146f; Konuk/Arslan 2000, 253, Abb. 219; Weiß 1992, 176–178, Nrn. 4–6 mit Abb. 5; Klose 1984, 74, Nrn. 22–23 mit Taf. 9 (=Hörig/Schwertheim 1987, Taf. 5, 13).
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Kat. 6: Kaiser beim Opfer an Iuppiter Dolichenus Datierung: 1. Jahrhundert v. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 34 H × B: 25 × 21 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 176, Abb. 154a; Önal 2011, 253, Nr. 11 mit Farbtaf. 10; Heedemann 2008, 102, Nr. 2 mit Abb. 2; Heedemann 2008, 103, Nr. 3 mit Abb. 3. Kat. 7: Iuno und Iuppiter (A) Datierung: 1. Jahrhundert v. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 90 H × B: 25 × 26 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2014, 173, Nrn. 1–2; Önal 2012, 176, Abb. 154b; Weiß 2012, 168, Abb. 148d; Önal 2011, 254, Nr. 13 mit Farbtaf. 11; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 82, Abb. 5–7; Weiß 2000, 100, Abb. 146c; Konuk/Arslan 2000, 249– 252, Abb. 215–218; Weiß 1992, 178–180, Nr. 7–14 mit Abb.; MaaskantKleinbrink 1971, 27, Nr. 4 mit Abb. 8; Seyrig 1940, 87, 91, Nr. 5 mit Taf. 5. Kat. 8: Iuno Datierung: 1. Jahrhundert v. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 37 H × B: 23 × 20 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2014, 175, Nr. 13; Önal 2012, 176, Abb. 154c; Weiß 2012, 168, Abb. 148e; Önal 2011, 255, Nr. 15 mit Farbtaf. 11; Konuk/Arslan 2000, 262–264, Abb. 228–230; Weiß 2000, 100, Abb. 146e; Weiß 1992, 180–181, Nr. 15 mit Abb.; Maaskant-Kleinbrink 1971, 26–27, Nr. 3 mit Abb. 6–7; Seyrig 1940, 87, 91, Nr. 3 mit Taf. 5; Ronzevalle 1940, 71, Nr. 7 mit Taf. 4.
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Kat. 9: Dioskuren (A) Datierung: 1. Jahrhundert n. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 92 H × B: 22 × 24 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 176, Abb. 154d; Weiß 2012, 168, Abb. 148f; Önal 2011, 255, Nr. 16 mit Farbtaf. 11; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 82, Abb. 9; Konuk/Arslan 2000, 229, Abb. 195, 268–269, Abb. 234–235; Weiß 2000, 100, Abb. 146d; Spier 1992, 169, Nr. 468 mit Abb.; Weiß 1992, 181–182, Nrn. 16–19 mit Abb.; Klose 1984, 74, Nrn. 24–27 mit Taf. 9; Maaskant-Kleinbrink 1971, 29–30, Nr. 8 mit Abb. 13–15. Kat. 10: Augustus und Dea Roma Datierung: augusteisch Anzahl der Abdrücke: 149 H × B: 22 × 21 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 177, Abb. 155a; Önal 2011, 255–256, Nr. 18 mit Farbtaf. 11; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 82, Abb. 10–15; Spier 1992, 169, Nr. 467 mit Abb.; Klose 1984, 74, Nr. 30 mit Taf. 9; Maaskant-Kleinbrink 1971, 28–29, Nr. 6 mit Abb. 10–11; Seyrig 1940, 88, Nr. 9 mit Taf. 5; Ronzevalle 1940, 71, Nrn. 11–12 mit Taf. 4. Kat. 11: Vespasian (A) Datierung: 69–79 n. Chr. Anzahl der Abdrücke: 57 H × B: 19 × 18 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 177, Abb. 155b; Önal 2011, 256, Nr. 21 mit Farbtaf. 11; Heedemann 2008, 103, Nr. 4 mit Abb.; Doksanaltɪ/Sağlan 2008, 82, Abb. 16; Klose 1984, 74, Nrn. 31, 33, 35 mit Taf. 9; Seyrig 1940, 88, Nr. 11 mit Taf. 5.
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Kat. 12: Vespasian (B) Datierung: 69–79 n. Chr. Anzahl der Abdrücke: 30 H × B: 22 × 21 mm Abdruckform: konkav? Siegelform: oval Rückseite: glatt Inschrift: – Bibliografie: Önal 2011, 256, Nr. 20 mit Farbtaf. 11; Seyrig 1940, 88, Nr. 10 mit Taf. 5. Kat. 13: Marcus Aurelius und Lucius Verus Datierung: 161–169 n. Chr. Anzahl der Abdrücke: 11 H × B: 20 × 19 mm Abdruckform: flach Siegelform: rund? Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2012, 177, Abb. 155d; Önal 2011, 257, Nr. 23 mit Farbtaf. 11; Klose 1984, 74, Nr. 29 mit Taf. 9; Seyrig 1940, 89, Nrn. 12. 15 mit Taf. 5. Kat. 14: Iuno und Iuppiter (B) Datierung: 2. Jahrhundert n. Chr. Anzahl der Abdrücke: 16 H × B: 22 × 20 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: glatt oder Abdrücke von Papyrus Inschrift: – Bibliografie: Önal 2011, 254, Nr. 14 mit Farbtaf. 11; Spier 1992, 169, Nr. 466 mit Abb. Kat. 15: Dioskuren (B) Datierung: 1. Jahrhundert n. Chr.? Anzahl der Abdrücke: 9 H × B: 18 × 21 mm Abdruckform: flach Siegelform: oval Rückseite: Abdrücke von Papyrus Inschrift: –
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Bibliografie: Önal 2011, 255, Nr. 17 mit Farbtaf. 11; Seyrig 1940, 87, 91–92, Nr. 6 mit Taf. 5; Ronzevalle 1940, 71, Nr. 15 mit Taf. 4. Literaturverzeichnis Baldus, H. R. 2001. Sylloge Nummorum Graecorum Deutschland. Staatliche Münzsammlung München, Heft 28. Syrien: Nicht-königliche Prägungen, Nr. 1–1066. München. Balty, J. C. 1981. s. v. Antiocheia. In: Fondation pour le Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (Hg.). Lexicon iconographicum mythologiae classicae 1. Zürich, 843–850. Berges, D. 1997. Die Tonsiegel aus dem karthagischen Tempelarchiv. In: Rakob, F. (Hg.). Karthago 2. Die Deutschen Ausgrabungen in Karthago. Mainz, 10– 244. Berthold, A. 2013. Entwurf und Ausführung in den artes minores. Münz- und Gemmenkünstler des 6.–4. Jhs. v. Chr. Antiquitates – Schriftenreihe archäologische Forschungsergebnisse 61. Hamburg. Blömer, M. 2012. Iuppiter Dolichenus zwischen lokalem Kult und reichsweiter Verehrung. In: Blömer, M. & Winter, E. (Hgg.). Iuppiter Dolichenus. Vom Lokalkult zur Reichsreligion. Orientalische Religionen in der Antike 8. Tübingen, 39–98. Blömer, M. 2017. Der Gott im Blätterkelch. Ein neues Relief vom Dülük Baba Tepesi. In: Winter, E. (Hg.). Vom eisenzeitlichen Heiligtum zum christlichen Kloster: Neue Forschungen auf dem Dülük Baba Tepesi. Dolichener und Kommagenische Forschungen 9. Asia Minor Studien 84. Bonn, 85–98. Blömer, M., Çobanoğlu, D. & Winter, E. 2019. Die Stadtgrabung in Doliche. Zu den Ergebnissen der Feldarbeiten 2015–2018. Istanbuler Mitteilungen 69, 103–185. Blömer, M. & Winter, E. 2012 (Hgg.). Iuppiter Dolichenus. Vom Lokalkult zur Reichsreligion. Orientalische Religionen in der Antike 8. Tübingen. Boardman, J. 1970. Greek Gems and Finger Rings. London. Boussac, M.-F. 1988. Sceaux déliens. Revue archéologique 2, 307–340. Boussac, M.-F. & Invernizzi, A. 1996 (Hgg.). Archives et sceaux du monde hellénistique. Actes du Colloque de Turin 1993. Bulletin de Correspondence Hellénique Supplement 29. Paris. Burnett, A., Amandry, M. & Carradice, I. 1999. Roman Provincial Coinage 2. From Vespasian to Domitian (AD 69–96). London. Coqueugniot, G. 2013. Archives et bibliothèques dans le monde grec. Édifices et organisation, Ve siècle avant notre ère – IIe siècle de notre ère. British Archaeological Reports, International Series 2536. Oxford. Doksanaltı, E. M. & Sağlan, S. 2008. Karaman Müzesi’nde bulunan bir grup mühür başkısı. Anadolu 34, 63–84.
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Reduplizierte Autorität Das kaiserliche Stempelwesen und der kontrollierte Warenaustausch in Byzanz Michael Grünbart Abstract: The study of metal stamps provides insights into the organization and processing of imperially controlled trade (and taxation) in the Eastern Roman Empire. Based on some metal objects as well as amphora findings dating from the period from the 6th to the 10th century, an attempt is made to reconstruct this process. Schlagworte: Metallstempel, Sicherheit und Kontrolle, Siegelkunde, Stempelwesen / keywords: Metal stamps, safety and control, sigillography, stamping
1. Allgemeines Es gehört zu den Grundanliegen des menschlichen Daseins, sich Dinge anzueignen, diese zu besitzen und als persönliche Gegenstände zu markieren. Dabei ist zu bedenken, dass auch magische und spirituelle Komponenten eine Rolle spielen können.1 Man trifft auf mehrere Spielarten, auf Objekten Zeichen anzubringen oder ihnen einen Besitzstempel aufzuprägen. Es genügt oft, einen Finger oder eine Hand einzufärben und einen Abdruck herzustellen. Sichtbare Zeugnisse dazu findet man schon in prähistorischer Zeit auf Wandmalereien. Leicht ging es auch, Finger oder Hände in eine weiche Masse zu pressen, um eine identifizierbare Individualität auszudrücken. In historischer Zeit findet man dies etwa im Kontext der Ziegelproduktion. Hier diente die Kennzeichnung dem individuellen Nachweis einer Tagesproduktion.2 Im Hoch- und Spätmittelalter wurden in Wachssiegel oft Finger eingedrückt, sodass die Abdrücke bis heute klar sichtbar sind.3 Wesentlich ausgeklügelter sind Patrizen, bei denen die Individualität und Unverwechselbarkeit einer Person betont wurden. Nicht nur Zeichen oder Symbole, auch Buchstaben, Namen und Wörter konnten damit beliebig oft reproduziert werden.4 Aus diesem Grund sind schrifttragende Stempel auch für die Druckge-
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Caseau 2012, 119–137. Dinge, die verloren gehen und wiedergefunden werden, tauchen in allen Kulturen in unterschiedlichen Kontexten auf. 2 Bardill 2004. 3 Ein Projekt an der University of Lincoln (Imprint Project) widmet sich Fingerabdrücken auf Wachssiegeln vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, welche mit modernen Unterschriften zu vergleichen sind. Siehe https://www.lincoln.ac.uk/home/hh/history/currentprojects/im printproject/ (Zugriff 3. April 2020). 4 Allgemein Giele et al. 2015 (zur sprachlichen Fassung des Phänomens, byzantinische Praktiken aber nicht beleuchtend). Zu prähistorischen schriftlosen Stempeln siehe Makkay 1984; 2005 (in den Balkanregionen); Skeates 2007; Feingold 2014 (zu Mesopotamien).
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schichte vor Gutenberg von Interesse.5 Die Parameter Name, Familienname, Amt und Titel erlaubten die eindeutige Zuordnung eines Objektes und damit höchstmögliche Authentifizierungsmöglichkeit. Diese war in komplexeren Abläufen des Handels, der Militär- und Fiskalverwaltung von entscheidender Bedeutung. Die Erforschung der Verwendung und Funktion von Stempeln aus dem griechischen Mittelalter gehört nach wie vor zu den Randgebieten der Hilfswissenschaften, genauer gesagt fallen sie in den Grenz- oder Überlappungsbereich der Sphragistik und der Epigraphik.6 Dabei ergänzen gerade diese Objekte das Verständnis von Autorität und die Rekonstruktion der Kontrolle von Transaktionen. Es handelt sich bei den Stempeln nicht um Zahlungsmittel, sondern um Werkzeuge, die etwas markieren, sichern oder garantieren.7 Ergänzend zu den Objekten müssen auch die Abdrücke der Stempel, etwa auf Amphoren oder seltener auf Gefäßstoppeln, mitberücksichtigt werden. Der Einsatz von Stempeln lässt sich in nahezu allen Regionen der vorantiken und antiken Welt nachweisen: Von Mesopotamien bis zum Balkan kann man einfache und komplexere, bild- und inschriftentragende Objekte finden; deren Ausformung und Materialbeschaffenheit variiert dabei stark.8 Bezüglich der klassischen und hellenistischen Zeit gibt es mittlerweile zahlreiche übergreifende Werke, die die Form, Funktion und den Informationsgehalt der Inschriften beleuchten.9 Auch die römischen signacula sind in der epigraphischen Forschung akzeptierte und behandelte Schriftträger.10 Signacula, die im militärischen Bereich auch als ,Erkennungsmarken‘ verstanden werden konnten, 11 sind meist aus Bronze oder anderen Metalllegierungen gegossen und tragen den Namen eines Produzenten, oft begleitet von der Angabe seiner Profession. In der Spätantike kommen zunehmend christliche Komponenten mit ins Spiel, es bilden sich liturgische Stempel heraus, die Tradition des Brotstempelns wirkt bis heute nach.12 Bis ins 6. 5
Brekle 2013, 86–94 (zu Ziegelstempeln aus Konstantinopel). Siehe Grünbart 1994; Lochner-Metaxas/Grünbart 2004; Grünbart 2005; 2016. 7 Grundlegend immer noch Nesbitt/Vikan 1980. 8 Verwendet werden Stein, Ton, Metall oder Holz; das letztgenannte Material lässt sich nur in koptischem Kontext archäologisch nachweisen, siehe Nachtergael 2003. Im Berliner Bode-Museum, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst liegen einige unpublizierte Exemplare. Jonathan Bardill geht davon aus, dass Holzstempel zur Kennzeichnung der aus Lehm geformten trocknenden Ziegel verwendet wurden, da diese einfach hergestellt und bei einem Bedarfsfall rasch geändert werden konnten: Bardill 2004, 6. 9 Siehe etwa die Bände der Reihe „Corpus international des timbres amphoriques“. 10 Schon Stein 1933; Dressel 1975. Regelmäßig sind diese Artefakte auch Thema von altertumswissenschaftlichen Kongressen, siehe Buonopane/Braito (Hgg.) 2014. 11 Davies 1969. 12 Galavaris 1970. Die Bezeichnung Brotstempel wird nach wie vor oft unreflektiert auf alle Stempel des byzantinischen Jahrtausends angewandt, dabei ist ihre Machart deutlich von den Objekten, die für den wirtschaftlichen Sektor bestimmt sind, zu unterscheiden; 6
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Jahrhundert n. Chr. lässt sich ein großer Variantenreichtum an Legenden belegen (Buchstaben, Wörter, Sätze, Monogramme, Namen, Titelangaben), die eine Vielfalt an Verwendungskontexten widerspiegeln. Danach scheint sich die Evidenz auf Personen der byzantinischen Verwaltung einzuengen (z. B. Stadteparchen [von Konstantinopel] oder Funktionsträger mit der Verantwortung, Dinge zu verwahren).13 Wahrscheinlich spielte auch die Vervielfältigung und Verbreitung des Kaisernamens eine große Rolle, was im Folgenden behandelt wird.14 Die Verwandtschaft zwischen den Stempelsiegeln und den byzantinischen Bulloterien lässt sich durch die Ähnlichkeit der Inschriften leicht nachweisen.15 Texte wie Κύριε βοήθει Στέφανον βασιλικὸν πρωτοσπαθάριον („Herr, hilf dem kaiserlichen protospatharios Stephanos“), Κύριε βοήθει τῷ σῷ δούλῳ Μιχαὴλ πρωτονοταρίῳ („Herr, hilf deinem Diener, dem protonotarios Michael“) oder Κύριε βοήθει τῷ σῷ δούλῳ Νικήτα κουβουκλεισίου ἀμήν („Herr, hilf deinem Diener, dem kubukleisios Niketas, Amen“) erinnern unübersehbar an Siegellegenden.16 Bei der Beschäftigung mit den byzantinischen Metallstempeln kann man noch nicht auf ein Corpus zurückgreifen, lediglich einige Sammlungen sind bisher erschlossen und kommentiert worden, eine Synthese steht noch aus. 17 Metallstempel lassen sich sicher bis ins 12. Jahrhundert n. Chr. nachweisen.18 Auffällig dabei ist, dass die Amtsbezeichnungen meist mit Tätigkeiten zusammenhängen, die etwas mit Archivieren oder Lagern zu tun haben.19
siehe den Überblicksartikel von Galavaris 1966. Zu jüngsten Funden der Objektgattung liturgischer Stempel vgl. Varalis 1994; Petridis 2012 (terracotta stamps); Caseau 2014. Westliche Objekte: Allemann/Ristow 2013/2014; östlicher Mittelmeerraum: Kakish 2014 (Funde in Jordanien aus Kalkstein). 13 Sztetyłło/Borkowski 1986. Im sogenannten Eparchenbuch aus dem 10. Jahrhundert findet man Hinweise darauf, dass der praefectus urbi seine Kontrollfunktion mit dem Einsatz von Stempeln und Siegeln ausübte, siehe Koder 1991. Zu den Märkten zuletzt Morrisson 2012. 14 Lochner-Metaxas/Grünbart 2004, 187. Zu Siegellegenden siehe die Einführung von Oikonomides 1986. 15 Siehe Grünbart 2005, 102–103. Jüngst wurde wieder ein seltenes Exemplar eines Bulloterions, einer byzantinischen Siegelzange, publiziert: Campagnolo-Pothitou/Cheynet 2016, 13 (mit weiterführender Literatur). 16 Stephanos: Stiegemann 2001, 235 (III.6); Michael: Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung, Kunst der Antike. 124. Auktion, 27. Mai 2003. München 2003, Nr. 497; Niketas: Nesbitt 1983; vgl. Grünbart 2006 (2007), 20. 17 Z. B. Berlin: Weitzmann 1979, 627–628 (Nr. 565: Four bread stamps); Genf: Martiniani-Reber 2015, 166–167 (Nr. 217–219), 278 (Nr. 337); Karlsruhe: Grünbart 2017; London: Grünbart 2009; Mainz: Galavaris/Hamman-MacLean 1979; Piraeus: Koltsida-Makre 2019; Washington, D. C.: Grünbart 2006 (2007). 18 Nesbitt 1983 (datiert nicht später als 1150) und siehe unten das Beispiel aus Synaxis/ Thrakien. 19 Grünbart 2005.
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Die Masse der Güter wurde in der Antike und im Mittelalter auf dem Seeweg transportiert.20 Tönerne Amphoren wurden dabei als die maßgeblichen Container eingesetzt. Ihre Produktion war billig, sie waren nässe- und schädlingsresistent, und man konnte damit Schütt- und Flüssiggut effizient verladen und verschiffen. Um die Amphoren identifizieren zu können, wurden sie markiert. Das geschah mit dem Anbringen von Dipinti oder dem Abdruck von Stempeln auf den Transportobjekten selbst oder auf den Verschlüssen.21 Damit war gewährleistet, dass man den Produzenten oder Händler kannte und dass die Güter ihr Ziel erreichten.22 Leider wurden die Stoppel (aus Gips oder Lehm) beim Öffnen meist zerstört, sodass Reste ursprünglicher Kennzeichnung äußerst selten zu finden sind.23 Ein weiterer Anwendungsbereich lässt sich gut dokumentieren: Die noch weiche Masse von Ziegeln ermöglichte das Einpressen von Stempeln. Aus der römischen Kaiserzeit stammen tausende Ziegelstempel, die dem militärischen Kontext zuzuordnen sind. Durch die imperiale Kennzeichnung wurde gesichert, dass der Baustoff in einem bestimmten Rahmen eingesetzt wurde. Ziegelstempel lassen sich zumindest in der frühbyzantinischen Zeit noch auf Großbaustellen wie der Hagia Sophia in Konstantinopel (6. Jahrhundert n. Chr.) nachweisen. In die trocknende Masse wurden Stempel, meist aus Holz, gepresst. Dabei wurden oft Abkürzungen und Zeitangaben (Indiktionen) verwendet.24 Seit der Antike waren auch Techniken des Einbrennens von Zeichen und Symbolen auf Tieren bekannt.25 Die Brandmarkung ist in schriftlichen Quellen, auf
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Zu mittelbyzantinischen Amphoren siehe Günsenin 1990, Abb. 43: „Table des timbres d’amphores identiques“; Günsenin 2002; 2009. 21 Stempelabdrücke auf Verschlüssen bei Wulff 1909, Nr. 1455–1463. 22 Man muss davon ausgehen, dass es auch ‚Frachtbriefe‘ gegeben haben muss. Aus byzantinischer Zeit gibt es vereinzelt Beispiele, zumeist aus der Briefliteratur: siehe z. B. Grünbart 2010, 165–169 (Brief des Michael Choniates, Metropolit von Athen, ca. 1140– 1220 lebend, mit einer Liste von Dingen [Kleidungsstücke, Seife und Öl], die für ihn auf einem Schiff transportiert wurden). 23 Haury 1905, VII (III) 35, 5–6: οἴνου τε ὃς ἐνθένδε γεγονὼς ἔτυχε πίθων οἱ θεράποντες ἐμπλησάμενοι μέγα τι χρῆμα, καὶ αὐτῶν τὰ μὲν ἔνερθεν κατορύξαντες, τὰ δὲ ὕπερθεν πηλῷ ἐς τὸ ἀκριβὲς ἐπιβύσαντες; ἐν τῷ οἰνῶνι κατέθεντο. μησὶ δὲ ὀκτὼ ὕστερον ἐν πίθοις τισὶν ἀναβράσσων ὁ οἶνος διεσπάσατο μὲν τὸν πηλὸν ᾧπερ ἐπέφρακτο αὐτῶν ἕκαστος, ὑπερβλύσας δὲ καὶ ῥεύσας πολὺς ἐς τοσόνδε γῆν τὴν ἐχομένην ἐπέκλυσεν ὥστε καὶ τέλμα ἐν τούτῳ τῷ ἐδάφει ἐργάσαθαι μέγα. „Mit dem daraus gewonnenen Wein füllten seine Knechte eine große Menge von Krügen, gruben diese mit dem unteren Ende in die Erde ein, verstrichen den Hals sorgfältig mit Lehm und ließen sie so im Weinkeller lagern. Acht Monate später begann der Wein in einigen Krügen zu gären, sprengte die Lehmverschlüsse, schäumte über und ergoss sich in solchen Strömen rings über den Boden, dass sich darauf eine große Lache bildete.“ Übersetzung Veh 1978, 669–671; dazu Anagnostakis 2015, 34– 40; 2016. 24 Bardill 2004. 25 Fink 1985.
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bildlichen Darstellungen und durch die für die Kennzeichnung vorgesehenen Objekte nachweisbar: Die Tradition setzte sich bis in die byzantinische Zeit fort. Besonders im kaiserlichen Umkreis war es notwendig, Tiere für den öffentlichen (,postalischen‘) und den militärischen Bereich mit Brandzeichen zu versehen, um diese vor unbefugtem Zugriff zu schützen. 26 Konstantin VII. Porphyrogenetos (944–959 n. Chr.) geht darauf in seinen taktischen Schriften ein.27 Damit waren diese vor unbefugtem Zugriff besser geschützt. 2. Mittelbyzantinische Stempel und ihre Eigenarten Durch archäologische Forschungen sind in den letzten zwanzig Jahren an vielen Orten Reste von byzantinischen Amphoren entdeckt und auch ausgewertet worden. Besonders ukrainische Archäologen haben sich um ihre Aufarbeitung verdient gemacht. Sie konnten auch eine ungefähre chronologische Abfolge der Amphorentypen samt ihren Inschriften bestimmen. Auffallend bei der Auswertung der eingeprägten Inschriften ist, dass einerseits hauptsächlich die Monogrammform oder Abkürzungen auftraten, andererseits die Vielfalt an Namen im Vergleich zur Spätantike sehr geschrumpft ist.28 Man kann nun aufgrund der Materialfülle die Frage stellen, warum so viele ähnliche oder idente Stempelabdrücke gefunden wurden. Diese lassen sich in vielen Fällen mit erhalten gebliebenen Metallpatrizen zur Deckung bringen.29 Ausschließen lässt sich, dass hier in besonderem Maße Individualität zum Ausdruck kommen soll. Üblich sind Namen wie Konstantinos, Ioannes, Theophilos, Leon oder Manuel. Der Stempel mit dem Namensmonogramm Konstantinos (Abb. 1) lässt sich auf zahlreichen Amphoren eingedrückt finden; von der PatAbb. 1: Stempel eines Konstanti- rize selbst gibt es auch einige Exemplare, nos (10.–11. Jahrhundert) (Photo: d. h. sie wurden in Serie hergestellt und an privat). unterschiedlichen Orten eingesetzt. Der Stempel (der Durchmesser des abgebilde26 Bendall/Morrisson 2003; Grünbart 2005, 100–101. Auf dem Stempel eines Elaphios magistrianos (um 400) sind auf der Rückseite der Stempelplatte Pferde eingeritzt: siehe Martiniani-Reber 2015, 278 (Nr. 337). Zum öffentlichen, kaiserlich kontrollierten Transportwesen in der Spätantike Stoffel 1994. 27 Haldon 1990, 99; Grünbart 2005, 101. 28 Parshina 2001; Todorova 2008; Grünbart 2002 (mit Beispiel eines Stempels mit dem Namen Konstantinos). 29 Grünbart 2002.
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ten Exemplars beträgt 35 mm) wurde in den noch nicht gehärteten Ton oder Lehm eingepresst, die in die Stempelplatte gebohrten Löcher dienten dem Entweichen der Luft. Dadurch konnte ein klar lesbarer Abdruck hergestellt werden. Mittels eines Griffes oder eines an einer Öse angebrachten Ringes wurde die Patrize wieder aus der Masse herausgezogen.30 Das Phänomen der Vervielfältigung von Stempelobjekten kann man schon in der Spätantike beobachten. So befinden sich, nur um ein Beispiel anzuführen, in der Menil Collection (Houston, Texas) mehrere identische gegossene Exemplare des Namenstempels Meliton (Abb. 2).31
Abb. 2: Stempel eines Meliton (Skizze M. G.).
Abb. 3: Stempel eines Ioannes (Skizze M. G.)
Dem Schema der monogrammartigen Inschrift Konstantinos folgt auch die Anordnung der Buchstaben auf einem Objekt, welches in einer Klosteranlage in Synaxis, Thrakien, gefunden wurde. 32 Der zentrale Buchstabe dieses Monogramms ist Iota (mit Trema). Wenn man die übrigen Buchstaben anfügt, dann kommt man auf die Lesung Ioa(nn)es (Ἰωά[νν]ης) (Abb. 3). Bei der Sichtung und Bearbeitung der Stempel des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe entdeckt man eine interessante Spielart der Namensabkürzung. 33 Auffallend ist, dass in beiden hier angeführten Fällen (Abb. 4 und 5) prima vista fast ausschließlich nebeneinanderstehende Konsonanten, aber nicht monogramm-
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Abdrücke dieses Typs z. B. bei Günsenin 1990, Tf. LXXXVIII. Bei einem praktischen Versuch wurde die Nützlichkeit sowohl der Luftlöcher als auch der Öse bzw. des dort ursprünglich angebrachten Rings deutlich: Der in Lehm eingepresste Stempel kann nur so einigermaßen sicher und ruhig herausgezogen werden und einen deutlichen Abdruck hinterlassen. 31 Grünbart 2016; Vikan/Nesbitt 1980, 27 (Abb. 62) (Menil Collection, Houston, Texas, F18 und F19). 32 Bakirtzis 1993; vgl. Evans/Wixom (Hgg.) 1997, Nr. 179 (Durchmesser 38 mm) sowie Papanikola-Bakirtze 2002, Nr. 38. 33 Grünbart 2017, Nr. IV.138 (Theophilos; Durchmesser 44 mm), Nr. IV.152 (Manuel; Durchmesser 38 mm).
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artig verflochtene Buchstaben ins Auge springen, welche – nach einem kurzen Reflektieren – leicht als Theophilos und Manuel gelesen werden können. Die Formen der Stempel ändern sich im Lauf der Zeit. Der römische Metallstempel ist üblicherweise rechteckig, in der Spätantike findet man einen großen Variantenreichtum (Kreuz, Fuß, Dreieck, Blattformen etc.) und danach überwiegt die Rundform, wie bei den letzten abgebildeten Stücken. Die Datierung der Stücke kann nur grob vorgenommen werden: Der Stempel Abb. 2 gehört in die Spätantike (Buchstabenformen und Machart), während sich die übrigen Objekte Abb. 1, 3–5 in den Zeitraum vom 9.–12. Jahrhundert n. Chr. einordnen lassen.
Abb. 4: Stempel eines Theophilos (Skizze M. G.; Karlsruhe, Badisches Landesmuseum 94–715).
Abb. 5: Stempel eines Manuel (Skizze M. G.; Karlsruhe, Badisches Landesmuseum 96–304).
3. Schluss An das hier versammelte Material knüpfen sich abschließend einige Fragen: 1. An welches Publikum sind die Inschriften dieser Objekte adressiert? 2. Warum sind sie vervielfältigt worden? 3. Wer ist der Stempelherr? Ad 1. Wenn man sich die vorgestellten mittelbyzantinischen Stempel nochmals vergegenwärtigt, dann fällt auf, dass die monogrammartigen Namensverbindungen bzw. die abgekürzten Namen auf den ersten Blick erfassbar sind. Das menschliche Auge schafft maximal die Erfassung von drei oder vier Objekten, hier eben graphische Elemente.34 Zudem lassen sich die Formen auch von nicht oder wenig lesefähigen Personen merken, sie mutieren geradezu zu Logos,35 wie man sie auch von modernen Produkt- und Markennamen kennt. Die klare Komposition macht auch das Wiedererkennen leicht. Ad 2. Auffällig ist, dass eine große Anzahl von gleichen Stempeln existiert, 34
Graphicacy wird zunehmend erforscht, siehe Garipzanov 2015; 2018 und Garipzanov et al. 2017. 35 Für Byzanz führte das kurz Vikan 1988 aus.
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die der massenweisen Vervielfältigung eines Namens dienten. Dies unterstreicht, dass eine Person bzw. Autorität über eine große Menge von – in unserem Fall – Transportcontainern verfügte. Es ging dabei keineswegs um den Ausdruck eines Individuums, dazu sind die Namen zu geläufig und nicht näher durch ergänzende Angaben wie Titel oder Funktion präzisiert. Die derzeitigen Fundorte von Stempeln und gestempelten Amphorenresten zeigen, dass sie in allen Gegenden byzantinisch dominierter Gebiete anzutreffen sind. Ad 3. Wer steht nun dahinter? Wenn man die Faktoren der weiten Verbreitung, der leichten Einprägsamkeit und der geringen Vielfalt der Namenslegenden zusammennimmt, dann engt sich die Interpretation auf Kaisernamen ein. Kaiser bedienten sich seit der Spätantike zunehmend des Monogramms, um ihre Autorität zu besiegeln.36 Das kaiserliche Monopol lag nicht nur auf dem Nachrichtentransport, sondern auch auf der öffentlichen Versorgung bzw. der Steuereintreibung in Naturalien und öffentlichen (‚staatlichen‘) Versorgung. Anzumerken ist, dass der Name hier wahrscheinlich auch im Nominativ zu verstehen ist; dies entspricht auch den Usancen auf anderen kaiserlichen Objekten.37 Der Transport von Massengütern war durch den Kaiser organisiert, teilweise wurden in mittelbyzantinischer Zeit Steuerleistungen noch in Naturalien abgeführt (z. B. in Bulgarien nach der Eroberung durch Basileios II.). Zudem gibt es Nachrichten von kaiserlichen Getreidespeichern.38 Das Studium der byzantinischen Metallstempel kann eine weitere Facette aufzeigen, wie sich imperiale Autorität im Alltag ausbreitete, Dingen ihren Stempel aufprägte, aber auch schützend zeigte. Literaturverzeichnis Allemann, M. & Ristow, S. 2013/2014. Brotstempel des ersten Jahrtausends außerhalb von Byzanz. Jahrbuch für Antike und Christentum 56/57, 161–175. Anagnostakis, I. 2015. Cold and Wine: On the Freezing of Wine and on Vases Broken by Frost. Textual and Climatic Evidence (4th–9th c.). In: Efthymiadis, St., Messis, Ch., Odorico, P. & Polemis, I. (Hgg.). Pour une poétique de Byzance. Hommage à Vassilis Katsaros. Dossiers byzantins 16. Paris, 25–45. Anagnostakis, I. 2016. Wine, Water, Bread, and Love-affairs on a Sixth-century Military Campaign: Narrative Strategies, Politics and Historicity. In: Cvijanović, I. R. (Hg.). Homage to Tibor Živković. Belgrad, 23–38. Bakirtzes, Ch. 1993. Ανασκαφή στη Σύναξη Μαρωνείας 1990. Το αρχαιολογικό έργο στη Μακεδονία και Θράκη 4, 573–585. Bardill, J. 2004. Brickstamps of Constantinople. Oxford Monographs on Classical Archaeology. Oxford.
36
Grünbart 2002; Garipzanov 2017; Eastmond 2017. Darauf aufmerksam gemacht hat Ivanov 2013. 38 Koder 2016, 31–44. 37
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Siegelringe der Merowingerzeit Klassifizierung und Ikonographie1 Michael Odenweller Abstract: The following paper examines a group of finger rings from the Merovingian Era which can be associated with the function of signet rings by the nature of their design: they all show personal names in mirrored engraving, so they could produce a readable stamp. There are two main groups of these signet rings: for the first, rings with the portrait of the seal’s owner, its name and, in some cases, his official title, for the second, rings with a monogram of the owner’s name. The most known exemplar of the portrait rings is the one of King Childeric I, found at Tournai in 1653. These rings can be divided in official seals (with the full title of its owner, e.g., Childebertus Rex Francorum) and private seals (with a short title, e.g., Childerici Regis, or no mentioning of a title). The monogram rings on the other hand are always private seals as they never mention any title (I will argue that the monograms at the rings of Queens Arnegunde and Bertildis cannot be read as Reginae but as an artistically designed shortening of the names). There are also two other small groups of finger rings which can be addressed as signet rings. One shows the image of a bird, maybe a dove. With some certainty this is a Christian symbol with a protective meaning, making the ring an amulet in a secondary function. The other group of rings only shows a personal name, sometimes appended by the sign of the cross as an invocation of God as protector and witness of the act of certification of a document. Schlagworte: Merowingerzeit, Amtsiegel, Privatsiegel, Personenporträt, christliche Symbolik / keywords: Merovingian Age, seal of office, private seal, portrait, Christian symbolism
1. Einleitung Obwohl der Grad der Alphabetisierung breiter Bevölkerungskreise Westeuropas nach dem Ende der Antike umstritten ist,2 kennt das Frühmittelalter doch, zumindest im Bereich der weltlichen und geistlichen Herrschaftsausübung, weiterhin das aus der spätrömischen Rechtspraxis weiterentwickelte3 Konzept der Beurkundung von Schriftstücken und damit verbunden die Verwendung von Siegeln. Unklar bleibt die rechtliche Stellung des Siegelns im Beurkundungsvorgang: Hier wird von der historischen Forschung immer wieder betont, dass in den fränkischen Königsurkunden selbst nur die Unterschrift des Herrschers als Beglaubi-
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Dem Herausgeberteam, Nikola Moustakis und Johannes Auenmüller, sei herzlich für die Aufnahme dieser Studie, die ein bislang unpubliziert gebliebenes Nebenprodukt meines Dissertationsprojektes ist, in den vorliegenden Band gedankt. 2 Grundmann 1958; Vollrath 1981; Schieffer 1985; Green 1990. 3 Classen 1983; Stieldorf 2002. Beispiele für spätantike Siegel finden sich etwa bei Berndt 2009, 48–52.
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gungsmittel genannt wird, nicht aber das Siegel.4 Dass in der Merowingerzeit gesiegelt wurde, steht allerdings aufgrund einiger weniger erhaltener Siegel, der Autopsie von erhaltenen Urkunden mit Resten der Siegelbefestigung und nicht zuletzt durch wenige Schriftquellen fest.5 Die einschlägigen Textstellen erwähnen zum einen das Aussehen des Königssiegels Chlodwigs I., welches eine eingravierte Inschrift und ein Bild zeigte („[…]anolum, Chlodovechi inscriptionem vel imaginem inscriptum“6), zum anderen, dass das Königssiegel nicht vom Herrscher selbst, sondern von Beamten seiner Kanzlei (den referendarii) geführt und unter die Urkunden gesetzt wurde.7 Der in den Schriftquellen für das Siegel verwendete lateinische terminus technicus ,anulus‘ (dt.: Ring) weist bereits darauf hin, dass die Siegel der Merowingerzeit, wie ihre antiken Vorläufer, im Regelfall die Form von Siegelringen hatten. Aufgrund des geringen Informationsgehaltes der Schriftzeugnisse und der nur in sehr kleiner Zahl vorliegenden zeitgenössischen Siegelabdrücke stellen die meist aus archäologischen Befunden stammenden Siegelringe unsere Hauptinformationsquelle zu den merowingerzeitlichen Siegeln dar. Für die vorliegende Untersuchung wurde als Materialgrundlage auf die Kataloge von Maximin Deloche, William Filmer-Sankey, Reine Hadjadj sowie die Arbeit zu den Siegelringen von Axel G. Weber zurückgegriffen.8 Von historischer Seite war die Studie von Andrea Stieldorf zur „Gestalt und Funktion der Siegel auf merowingischen Königsurkunden“9 eine zentrale Quelle. In der vorliegenden Untersuchung sollen v. a. eine Klassifikation der unterschiedlichen Typen von merowingerzeitlichen Siegelringen vorgenommen und einige Überlegungen zu ihrer Ikonographie vorgestellt werden. Zunächst ist dafür zu definieren, welche zeitgenössischen Ringe überhaupt als mögliche Siegelringe angesprochen werden können. Fingerringe gehören generell in der Archäologie des Frühmittelalters zu den Ausnahmefunden, d. h. sie stellen in der Merowingerzeit eine Objektgruppe dar, die keinem größeren Personenkreis zur Verfügung stand. In seiner Dissertation „On the function and status of prestige finger-rings in the Early Medieval Germanic world, c. 450–700“ konnte Filmer-Sankey aufzeigen, dass im Durchschnitt nur eine kleine, einstellige Prozentzahl von Individuen in den von ihm untersuch4
Classen 1956, 107; Brühl 1989, 480; Stieldorf 2002, 134; 151–154. Classen 1956, 105–115; Brühl 1989, 480; Stieldorf 2002. 6 Liber Historiae Francorum, c. 12 (publiziert bei Krusch 1888, 257, Zeile 4–6); zu diesem Zitat auch Richter 2004, 360–361. 7 Mit Bezug auf das Siegel König Sigiberts: Gregor von Tours, Decem Libri Historiarum V.3 (Buchner 1964, 284–285); zu diesem Zitat siehe Weidemann 1982, 21. Ausführlicher zu den fränkischen Referendaren: Bresslau 1912, 360–362; Classen 1956, 71–73; 1983, 70–71. 8 Deloche 1900; Filmer-Sankey 1989; Hadjadj 2007; Weber 2014. 9 Stieldorf 2002. 5
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ten Gräberfeldern einen Ring als Grabbeigabe erhielt; zum gleichen Ergebnis kam auch Sabine Früchtl in ihrer Untersuchung „Fingerringe aus merowingischen Grabfunden“10. Angesichts des Beigabenreichtums gerade im Hinblick auf Tracht und Schmuck in der Merowingerzeit ist dies ein auffällig niedriger Wert. Als mögliche Siegel interpretierbar sind von diesen Ringen nur eine sehr geringe Anzahl. Wie im weiteren Verlauf der Studie noch zu zeigen sein wird, sind innerhalb der Grenzen des Frankenreiches zur Zeit seiner größten merowingerzeitlichen Ausdehnung im 7. Jahrhundert weniger als 100 Ringe mit einer möglichen Siegelfunktion in Verbindung zu bringen. 2. Definition von ‚Siegelring‘ Filmer-Sankey unterscheidet in seiner Untersuchung der merowingerzeitlichen Ringe grundsätzlich zwei Gruppen: „practical function rings“ und „non-practical function rings“.11 Zur ersten Gruppe zählt er Siegelringe, Ringe mit Namensinschriften, Ringe mit eingelassenen, gravierten Edelsteinen und Ringe mit eingelassenen Münzen, zur zweiten Gruppe Ringe mit ungravierten Edelsteinen und einfache, ornamentlose Ringe.12 Die Unterscheidung von Objekten mit und ohne Funktion erscheint aus heutiger methodischer Perspektive nicht sinnvoll, da sich die Funktion auch hinter einer abstrakten Materialsymbolik verbergen kann, wie beispielhaft die Überlegungen zur symbolischen Bedeutung von Almandin (bzw. Granat) zeigen, 13 welcher auch zur Verzierung von Fingerringen Verwendung fand. Schon aus der Zuordnung der einzelnen Ringtypen in Filmer-Sankeys Gruppen wird deutlich, dass das eigentliche Klassifizierungskriterium die Ornamentik ist, weswegen man besser von Ringen ‚mit‘ bzw. ‚ohne Ikonographie‘ sprechen sollte. Aber was macht einen Ring nun zum ‚Siegelring‘? Die Funktion des Siegels liegt primär in der Beglaubigung der Authentizität von Schriftstücken, insbesondere Urkunden, durch eine natürliche oder juristische Person, sekundär auch im Verschließen von Schriftstücken oder Behältern, die dadurch nachprüfbar vor unbefugtem Zugriff geschützt werden. 14 Das Siegel selbst wird aus einem harten, möglichst beständigen Material wie Metall oder Stein gefertigt, in das ein Siegelbild in Form einer Inschrift und/oder einer graphischen Darstellung eingraviert ist. Es wird in ein weicheres, später nachhärtendes Material wie Wachs oder Ton gedrückt. Das Siegelbild muss die siegelführende Person eindeutig identifizieren, d. h. es muss einmalig und unverwechselbar 10
Filmer-Sankey 1989, 427–429, Tab. 22; Früchtl 2004, 123, Abb. 6. Eine umfassende Zusammenstellung und Auswertung der merowingerzeitlichen Ringfunde ist bislang ein Forschungsdesiderat geblieben, einen guten, wenn auch knappen Materialüberblick bieten Ristow/Roth 1995. 11 Filmer-Sankey 1989, 25–29. 12 Filmer-Sankey 1989, 27. 13 Arrhenius 1969; Lipinsky 1978. 14 Stieldorf 2004.
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sein. Dieser Umstand ist hier hervorzuheben, da damit nicht jeder potenziell aufgrund seiner handwerklichen Gestaltung als Siegelstempel in Frage kommende Fingerring diese Funktion auch tatsächlich erfüllen konnte. Potenzielle Kandidaten für Siegel sind alle Ringe, deren Köpfe eine erhabene oder ins Material eingetiefte Verzierung (sei es ein Bild oder eine Inschrift) aufweisen, die also stempelfähig sind. Zumindest die Inschriften müssen dabei auf dem Siegel spiegelverkehrt und linksläufig graviert sein, um einen lesbaren Abdruck zu hinterlassen.15 Aufgrund der Anforderung an die Unverwechselbarkeit können tatsächlich aber zunächst einmal nur Ringe mit Namensinschriften, die eventuell noch um weitere ikonographische Elemente ergänzt sind, als mögliche Siegel angesprochen werden. Theoretisch könnten auch singulär vorkommende Bilder als ‚Siegelbilder‘ interpretiert werden, wobei allerdings die der Archäologie aufgrund der Erhaltungsbedingungen inhärente Lückenhaftigkeit bzw. deren Zufälligkeit die Feststellung von Singularität deutlich erschwert. Auch darf man andererseits natürlich nicht vergessen, dass zumindest beim Siegelgebrauch unterhalb der Ebene der Staatsverwaltung in der Merowingerzeit keine Normierung oder gar offizielle, gesteuerte ‚Vergabe‘ von Siegelbildern anzunehmen ist. Es kam vermutlich eher darauf an, dass der Empfänger eines Schriftstückes das Siegelbild mit dem Urheber des Dokumentes in Verbindung bringen konnte.16 Tatsächliche Belege für den privaten Siegelgebrauch fehlen allerdings weitestgehend (s. hierzu die Diskussion unten). Da die zuletzt genannte Möglichkeit privaten Siegelgebrauchs letztlich zu rein spekulativen Deutungen von graphisch gestalteten Ringen führen würde, sollen im Folgenden nur solche Ringe untersucht werden, die aufgrund der obigen Definition erstens einen Personennamen zeigen, der zweitens spiegelverkehrt und linksläufig ist. 3. Siegelringe der Merowingerzeit 3.1 Ringe mit Namensinschriften und Porträts Wenn von merowingerzeitlichen Siegelringen die Rede ist, steht den meisten Kennern des frühmittelalterlichen Fundgutes sicherlich zunächst der Siegelring des Königs Childerich I. (gest. 481/82 n. Chr.) vor Augen, welcher 1653 aus dem
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Dies wird allerdings von Hermann Ament (1964) in seiner Untersuchung zum Arnegunde-Ring mit Blick auf einige bei Deloche 1900 aufgeführte Funde (s. die Liste ebd. 325) in Frage gestellt. Zwar sind diese Ringe prinzipiell als Siegel geeignet (da sie den Namen des Eigentümers nennen) und unterscheiden sich von Siegelinschriften z. T. nur durch die Schriftausrichtung, es bleibt aber das Problem, dass der Abdruck der Inschrift verkehrt herum ist. Zu überlegen wäre, ob die Ringe auch eine Ausweisfunktion hatten, die nicht zwingend einen Gebrauch als Siegel inkludierte. Joachim Werner (1967/68, 120) weist die Einwände Aments mit dem Argument zurück, dass alle mit einer gewissen Sicherheit als Siegel zu deutenden Ringe eine spiegelverkehrte Inschrift tragen. 16 Vgl. Grünbart, in diesem Band.
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Grab dieses ersten historisch nachweisbaren Frankenherrschers in Tournai (Belgien) geborgen wurde.17 Der Ring, dessen Original im 19. Jahrhundert durch einen Diebstahl verloren ging, dessen Aussehen aber durch Zeichnungen, Repliken und Abformungen des Siegelbildes bekannt ist, bestand aus Gold und verfügte über einen ovalen, flachen Kopf, in den das Siegelbild graviert war (Abb. 1). Im Zentrum steht das Porträt des Königs in Form eines en face-Brustbildes: Dargestellt wird er als römischer Heerführer, bekleidet mit Panzer und Paludamentum (also dem Soldatenmantel), einen Speer in der rechten Hand haltend. Obwohl das Bild offenkundig die römische Herrscherikonographie zum Vorbild hat, fällt doch das Fehlen des traditionellen römischen Herrschersignums, des Diadems, auf, mit dem sich spätere fränkische Könige, die oströmische Kaiserikonographie nachahmend, z. B. auf Münzen darstellen ließen. Obwohl die für spätantike Porträts ungewöhnlich lang dargestellten Haare häufig als Hinweis auf seine ‚germanische‘ Königswürde gedeutet werden18 und trotz der Siegelinschrift CHILDERICI REGIS, scheint sich Childerich zumindest ikonographisch eher als römischer Beamter und Heerführer zu präsentieren, der er ja offiziell war. Die Ikonographie erinnert, wenn auch nicht in allen Details, an das als Darstellung des magister utriusque militae Stilicho (gest. 408 n. Chr.) gedeutete Bild eines römischen Feldherrn auf einem Elfenbein-Dyptichon, das sich heute im Domschatz von Monza befindet.19 Auch hier steht der Dargestellte en face dem Betrachter zugewandt, ist mit dem Paludamentum bekleidet und hält einen Speer in der rechten Hand. Anders als der Porträtierte auf dem Childerich-Ring trägt der auf dem Dyptichon Dargestellte keinen Panzer, dafür aber einen Schild und an der Schulter eine Zwiebelknopffibel. Es fällt auf, dass die Person auf dem Childerich-Ring auf den ersten Blick nicht mit einer derartigen Fibel, die ein Rangabzeichen der höheren römischen Staatsbeamten war, abgebildet zu sein scheint, obwohl Childerich nachweislich über eine solche Fibel verfügte und mit ihr bestattet wurde.20 Allerdings lässt sich bei einer starken Vergrößerung des am besten erhalten Siegelabdrucks im Ashmolean Museum Oxford21 an der linken Schulter eine punktförmige Struktur beobachten, die möglicherweise als Scheibenfibel oder Andeutung einer Zwiebelknopffibel interpretiert werden könnte.22 Eine ikonographische Konkurrenz mit dem römischen Kaisertum, das von den frühen Frankenherrschern zumindest no17
Périn/Kazanski 1996 (mit weiterführender Literatur); Richter 2004. Aktuell zum Childerich-Grab und seinen Funden: Quast 2015. 18 Weber 2014, 12–15. Philipp von Rummel (2007, 265–268, bes. 267) sieht in den langen Haaren dagegen die typische Frisur eines hochrangigen Soldaten des 5. Jahrhunderts, er diskutiert auch ausführlich die bisherigen Deutungsansätze zur Haartracht (ebd. 213–231). 19 Warland 1994, 177–189; 2009. 20 Périn/Kazanski 1996, 177; Quast 2008, 167. 21 Richter 2004, 363, Abb. 2. 22 Weber 2014, 21–24 verweist auf eine sehr ähnliche Struktur am Childebert-Ring.
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minell als übergeordnet anerkannt wurde,23 scheint beim Childerich-Ring nicht intendiert gewesen zu sein. Einen interessanten Deutungsansatz für die Ikonographie des Ringes bietet Michael Richter mit dem Hinweis, dass Childerich eigentlich nur in seiner Funktion als römischer Beamter eines Siegels bedurfte, sich das Siegelbild also primär an ein gallo-romanisches Publikum richtete.24 In diesem Zusammenhang wäre m. E. auch zu überlegen, ob die Titulatur des Childerich als rex nicht eher aus der lokalen Konkurrenz mit dem selbsternannten rex romanorum Syagrius (gest. 486/87) in Nordgallien zu erklären ist, denn als Ausdruck eines fränkischen Königtums.25
Abb. 1: Umzeichnung der Siegelplatte des Childerich-Rings, Musée Dobrée, Nantes, Siegelplatte aus Gold, 2,1 × 1,7 cm (nach Salün 2008, 221, Abb. 12, überarbeitet und korrigiert durch Verf.).
Abb. 2: Umzeichnung der Siegelplatte des [C]Hildebert-Rings. Die Siegelplatte besteht aus Gold, 1,94 × 1,97 cm (nach Weber 2014, 13, Abb. 4).
Dass es sich bei dem Ring des Childerich tatsächlich um ein Siegel handelt, wird daraus ersichtlich, dass die Inschrift spiegelverkehrt und linksläufig graviert ist, mit Ausnahme des ‚S‘ in Regis. Auf diese Auffälligkeit ist weiter unten noch einzugehen. Sehr viele Ähnlichkeiten mit dem Childerich-Ring weist der aus dem Kunsthandel stammende und daher in seiner Echtheit umstrittene goldene [C]HildebertRing auf.26 Auch hier steht das Porträt des königlichen Siegelinhabers im Zen-
23
Geary 2007, 87–88. Richter 2004, 361, 365. 25 Vgl. hierzu die Überlegungen bei Halsall 2001. 26 Weber 2014. 24
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trum einer runden Ringkopfplatte (Abb. 2). Anders als auf dem Childerich-Ring wird [C]Hildebert im Profil gezeigt. Bekleidet ist er mit einem Panzer, in der rechten Hand hält er einen Speer, in der linken einen Schild. Auch hier fehlt das Diadem als Herrscherinsignie. Anders als die Darstellung des Kopfes beim Childerich-Ring folgt der [C]Hildebert-Ring ansonsten aber eng dem ikonographischen Vorbild spätantiker Kaiserbilder, etwa bei der Gestaltung des Haares und der Gesichtsform. Das Porträt ist umgeben von der Inschrift +HILDEBERTI REGIS, wobei das ‚S‘ in Regis wieder abweicht, indem es hier gegenüber den anderen Buchstaben um 90° gekippt ist. Zu überlegen wäre, ob die Abweichung bei den ansonsten sehr sorgfältig gearbeiteten Buchstaben auf den Ringen des Childerich und [C]Hildebert Flüchtigkeitsfehler der Handwerker waren, oder ob hier absichtlich Fehler eingebaut wurden, um Fälschungen zu erschweren. Weber vermutet beim [C]Hildebert-Ring allerdings (m. E. nicht gänzlich überzeugend) ein Platzproblem bei der Unterbringung des ‚S‘.27 Da ein König Hildebert weder aus der Merowinger- noch der Karolingerzeit bekannt ist, vermutet Weber sicherlich zurecht, dass der Ring das Siegel eines der vier merowingischen Frankenkönige mit Namen Childebert war, 28 aus stilistischen Gründen am ehesten Childebert I. (497–558 n. Chr.) oder Childebert II. (570–596 n. Chr.).29 Ein weiteres Beispiel für einen Siegelring mit Porträt bietet das im Kunsthistorischen Museum Wien verwahrte Siegel des Westgoten-Königs Alarich II. (gest. 507 n. Chr.).30 Anders als bei den beiden vorher besprochenen Ringen ist das Siegelbild hier in einen blauen, ovalen und flachen Saphir eingeschnitten, es handelt sich also um einen Gemmenring (Abb. 3). Der Goldring, in den der Stein heute eingelassen ist, ist nicht das frühmittelalterliche Original, sondern eine frühneuzeitliche Ergänzung. Es erscheint wegen der Größe und Form allerdings wahrscheinlich, dass das Siegel auch ursprünglich Teil eines Rings war. Dargestellt ist zentral wieder das Porträt des Siegelinhabers in Form eines en face-Brustbildes. Als einziges Attribut trägt der König einen Panzer 31 oder eine konsularische Amtstracht,32 aber weder Waffen noch Diadem. Die spiegelverkehrte und linksläufige Umschrift lautet ALARICVS REX GOTHORVM und wird in der Forschung mit dem westgotischen Herrscher Alarich II. in Verbindung gebracht.33 Gegenüber den Childerich- und Childebert-Siegeln fällt auf, dass bei Alarich nicht allein der Titel rex genannt wird, sondern auch eine ethnische Zuordnung erfolgt: Er ist der Rex Gothorum, also „König der Goten“. Weber vermutet als 27
Weber 2014, 6–7. Weber 2014, 2. 29 Weber 2014, 165. 30 Zwierlein-Diehl 1991, 74; Kornbluth 2008. 31 Schramm 1954, 218; Kornbluth 2008, 318. 32 Schmauder 1998, 66. 33 Siehe hierzu Weber 2014, 16, Anm. 31 mit der entsprechenden Forschungsliteratur. 28
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Hintergrund, dass das Alarich-Siegel ein Amtssiegel war, die Ringe des Childerich und Childebert demgegenüber aber Privatsiegel.34 Zumindest bei den sieben erhaltenen Abdrücken jüngerer merowingischer Königssiegel 35 erfolgt bei der Namensinschrift ebenfalls ein ethnischer Zusatz, so etwa bei drei Exemplaren König Childeberts III. (678/79–711 n. Chr.), wo das zentrale Porträt von der Umschrift CHILDEBERTVS REX FRANCORVM begleitet wird.36 Auch eine (in ihrer Echtheit allerdings umstrittene) Siegelmatrize eines der drei Frankenkönige mit Namen Dagobert trägt neben dem Porträt die spiegelverkehrte Inschrift ΔAGOBERTVS REX FRANCORVM.37
Abb. 3: Siegel des Alarich, Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung VIIb 23, Siegelplatte aus Saphir, 2,06 × 1,67 cm (Foto: KHMMuseumsverband).
Abb. 4: Umzeichnung der Siegelplatte des Rodchis-Rings, Soprintendenza Archeologica Milano. Die Siegelplatte besteht aus Gold, Durchmesser: 2 cm (Zeichung: Verf.).
Für eine Unterscheidung von Amts- und Privatsiegeln könnten Funde aus dem langobardischen Italien sprechen: So stammt aus Grab 2 von Trezzo sull’Adda in der Provinz Mailand ein goldener Siegelring, der das en face-Brustbild eines bärtigen Mannes in ziviler Kleidung zeigt, mit der spiegelverkehrten und linksläufigen Inschrift +RODCHIS VIL (Abb. 4).38 Der Erstbearbeiter Otto von Hessen interpretierte den Fund als ,Dienstsiegel‘ eines Beamten namens Rodchis, das ihm durch einen langobardischen König (von Hessen vermutet Agilulf) verliehen wor-
34
Weber 2014, 11–12. Vgl. hierzu Stieldorf 2002, 139–141. 36 Stieldorf 2002, 140–141; Weber 2014, 164–165, 167, Abb. 67. 37 Weber 2014, 118–119 mit Abb. 60. 38 Hessen 1976, 244–245; 1983; Kurze 1986. 35
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den sei. Das Porträt zeige nicht den Beamten, so von Hessen, sondern den König. Wilhelm Kurze weist in seiner Replik auf von Hessens Ausführungen allerdings darauf hin, dass es für eine Trennung von Porträt und Inschrift beim RodchisRing keinen Hinweis gibt. Die Ikonographie des Porträts lasse sich vielmehr auch einem Beamten zuweisen. Beide Autoren stimmen darin überein, die Inschrift als Name plus persönlichem Titel zu deuten: Rodchis war demnach VIL, was als V[ir] IL[uster] aufgelöst wird. Der Siegelinhaber hätte damit eine hohe Beamtenposition am Hof der Langobardenkönige innegehabt. Für eine Funktion als Dienstsiegel gibt es keinen Hinweis, vielmehr spricht die Tatsache, dass Rodchis mit diesem Ring begraben wurde, m. E. für eine private Funktion. Hätte es sich um ein offizielles Siegel gehandelt, wäre dieses sicherlich beim Tod des Beamten zurückgefordert oder zerstört worden, um Missbrauch zu verhindern. Die Annahme einer Trennung von Amts- und Privatsiegel auf der Ebene der Königsherrschaft wird schließlich durch einen Satz aus dem fünften Buch der Decem Libri Historiarum des Gregor von Tours gestützt. Im 3. Kapitel dieses Buches wird angemerkt: „Siggo quoque referendarius, qui anolum regis Sigyberthi tenuerat […]“ („Auch der Referendar Siggo, der das Siegel König Sigiberts geführt hatte […]“).39 Demnach wurde zumindest ein Siegelring des Königs Sigibert nicht von ihm persönlich, sondern durch einen Beamten seiner Kanzlei namens Siggo getragen. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Ring um das ,offizielle‘ Königssiegel gehandelt hat, mit dem die Kanzlei die von ihr ausgestellten Urkunden besiegelte.40 Da das Childerich-Grab in Tournai leider das einzige archäologisch untersuchte merowingische Königsgrab ist und kein anderes Siegel dieses Königs existiert, lässt sich letztlich nicht feststellen, ob die Könige jeweils ein privates, nach dem Tod mit ihnen begrabenes Siegel und parallel dazu ein von einem oder mehreren referendarii geführtes Amtssiegel besaßen. Man könnte aus den bisher vorgestellten Ringen die Schlussfolgerung ziehen, dass hochrangige Personen über ein privates Siegel verfügten, welches ihr Porträt, den Namen und den persönlichen Titel beinhaltete, und dass es demgegenüber auch ähnlich gestaltete Amtssiegel gab, die den vollen Amtstitel, etwa Rex Francorum oder Rex Gothorum trugen. Aufgrund der geringen Zahl entsprechender Ringe mit bekanntem Fundkontext müssen diese Überlegungen Spekulation bleiben. Es fällt aber auf, dass die beiden sicher aus Grabkontexten stammenden Ringe des Childerich und des Rodchis nach der obigen Überlegung ‚Privatsiegel‘ sein müssten, während die Siegelmatrize mit der vollen Titulatur eines Königs Dagobert (sofern das Stück authentisch ist) aus einem Fluss stammen soll,41 also ein Verlustfund sein könnte.
39
Buchner 1964, 284 (lat. Text); 285 (dt. Text). Siehe hierzu auch die Überlegungen zu den Referendaren bei Bresslau 1912, 360–362; Classen 1956, 71–73; 1983, 70–71. 41 Weber 2014, 118. 40
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Hinzuweisen ist noch darauf, dass Siegelringe mit Porträt und Namensinschrift offenbar nicht allein Herrschaftsträgern vorbehalten waren. Wir kennen in einer geringen Zahl Ringe, die ein Porträt und nur einen Namen, aber keinen Titel tragen.42 Zu finden sind sowohl Frauen- wie auch Männernamen. Die Ringe bestehen in der Regel aus Gold, seltener aus Silber und spiegeln damit offensichtlich einen Brauch der sozialen Eliten wider, ohne dass dieser aber zwingend an ein Amt gebunden wäre. Mit Blick auf das Porträt des Siegelinhabers wäre zu überlegen, ob die Darstellung möglicherweise der bildlichen Stellvertretung dienen sollte und eine eigenständige ,agency‘ im Sinne von Horst Bredekamps Bildakt-Theorie besaß:43 So stellt Stieldorf die These auf, dass das Herrscherporträt auf den Siegeln der merowingischen Könige die Legitimation der Urkundenbeamten beweisen sollte;44 der König war bei der Besiegelung der Urkunde zwar nicht persönlich anwesend, aber durch sein Porträt quasi mit seinem Avatar vertreten und der Beurkundungsakt damit legitimiert.45 Ähnliche Überlegungen existieren für die Porträts bzw. Statuen der römischen Kaiser, die v. a. im administrativen, judikativen und militärischen Bereich genutzt werden und die universelle Anwesenheit des Herrschers in jedem Winkel des Imperiums und bei allen Amtshandlungen seiner Beauftragten symbolisieren.46 Auch im Kontext figürlicher religiöser Darstellungen, etwa christlicher Heiligenbilder (speziell den Ikonen der Ostkirchen), wird eine reale Präsenz des Dargestellten im Bild angenommen, wodurch diese heilige Person für die das Bild verehrenden Gläubigen unmittelbar erreichbar ist. Möglicherweise sind hier Vorbilder für die Porträtverwendung durch die fränkischen Könige zu sehen. Theoretisch könnte man sogar noch einen Schritt weiter gehen und mutmaßen, dass die Anwesenheit des Siegelinhabers in Form seines Porträts die Wahr- und Dauerhaftigkeit des Dokumenteninhaltes garantieren sollte, auch wenn diese Person physisch nicht vor Ort oder vielleicht sogar bereits verstorben war. Siegel stellen „einen Akt der Entpersonalisierung [dar]: zwischen Personen tritt ein Artefakt; das schafft die Möglichkeit, die Raum- und Zeitgebundenheit persönlich-gegenwärtiger Vertrauenserzeugung aufzulösen“.47 Auf diese Weise hätte man eine Erklä-
42
Weber 2014, 68–97 führt unter anderem zwei Beispiele aus dem Frankenreich und neun aus Italien an; seine Angaben werden durch Filmer-Sankey 1989, 405, Tab. 5 bestätigt; in Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 123, 310, 327, 475, 487, 497 & 529 finden sich zusätzlich zum Katalog von Filmer-Sankey sieben Siegelringe aus dem nördlichen Gallien, die das Porträt zeigen und den Namen nennen; ein weiterer, von Hadjadj nicht erfasster Ring, findet sich bei Deloche 1900, 60–62, Kat.-Nr. LI; zu den Ringen siehe die Fundliste 1 im Anhang. 43 Bredekamp 2010. 44 Stieldorf 2002, hier insb. 158, 160. 45 Stieldorf 2002, 162. 46 Lippold 1993, 84–88. 47 Brandt 2007, 21.
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rung dafür, warum nicht nur Herrscher, sondern auch Privatpersonen Siegel mit Porträts verwendeten. Eine Legitimationsfunktion des Porträts ist bei diesen privaten Siegelinhabern sicherlich nicht zu erwarten, da bei ihnen sicher weniger die Notwendigkeit bestand, ihr Siegel dritten Personen anzuvertrauen. 3.2 Ringe mit Monogrammen Im Fundgut der Merowingerzeit finden sich in einiger Zahl48 Ringe, auf deren Kopfplatten Buchstaben zu kunstvollen Monogrammen arrangiert sind. Eine Funktion als Siegel erscheint bei vielen dieser Stücke als durchaus möglich, bei einigen wenigen ist das Monogramm allerdings so oberflächlich eingraviert, dass sie kaum einen sichtbaren Abdruck fabrizieren können. Die Vorbilder für die Monogramm-Ringe sind zweifelsohne im byzantinischen Raum zu suchen.49 Das bekannteste Beispiel für einen Ring mit Monogramm ist sicherlich derjenige aus Sarkophag 49 aus der Basilika von Saint-Denis bei Paris.50 Aufgrund der zusätzlich zum Monogramm angebrachten Inschrift ARNEGVNDIS wird die Bestattung mit der aus Schriftquellen bekannten Königin Arnegunde, Ehefrau des Merowingerkönigs Chlothar I. (gest. 561 n. Chr.), in Verbindung gebracht. Im Zentrum der Kopfplatte findet sich ein Monogramm aus verflochtenen Buchstaben, die in der Literatur meistens als Regine und damit als Titel der Arnegunde aufgelöst werden (Abb. 5).51 Tatsächlich könnte man hier in den Buchstaben aber auch eine Abkürzung des Personennamens wiedererkennen, zumal der Buchstabe ‚A‘ dominant erscheint. Der Goldring wird zwar immer wieder als ‚Siegelring‘ angesprochen, kann allerdings nicht in dieser Funktion gedient haben, da die Na-
48 Im Katalog von Deloche 1900 finden sich rund 70 Ringe mit Namensmonogrammen, bei Hadjadj 2007 ebenfalls, wobei allerdings ca. 20 dieser Ringe auch schon im Katalog von Deloche vorkommen; im Katalog von Filmer-Sankey 1989 finden sich demgegenüber keine Monogramm-Ringe aus dem Gebiet des Frankenreiches, die nicht auch bei Deloche erfasst sind, vgl. Filmer-Sankey 1989, 405–406, Tab. 5–6; die Ringe mit Namensmonogramm sind aufgeführt in Fundliste 2. 49 Stiegemann 2001, 328–329; zu byzantinischen Monogramm-Stempeln siehe auch Dodd 1961 sowie den Beitrag von Michael Grünbart im vorliegenden Band. 50 France-Lanord/Fleury 1962, 358, Taf. 33.3, Taf. 35.1; Alföldi 1963; Wilson 1964; Bony de Lavergne 1967, 15–34; France-Lanord/Fleury 1998, II–153. 51 Zur Diskussion der Monogramm-Lesung siehe Weber 2014, 111–114; der Lesung als „Regina/Regine“ widerspricht Adolf Gauert (1972, 328–347) mit dem Hinweis, dass es im Frankenreich (anders als in Byzanz) keine anderen Beispiele für eine Darstellung des Titels in Monogrammform gibt. Das Monogramm auf dem Arnegunde-Ring könne vielmehr als Kürzel des Namens gelesen werden. Axel Weber (2014, 114) weist darüber hinaus darauf hin, dass die korrekte zeitgenössische Schreibweise des Namens (die sich auch in den Schriftquellen findet) „Aregund“ war und sich das Monogramm in diesem Fall schlüssig auflösen ließe. Diese Deutung ist m. E. bei genauer Betrachtung des Monogramms überzeugend.
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mensinschrift nicht spiegelverkehrt graviert ist und somit kein lesbares Stempelbild fabriziert.52 Dem gegenüber steht ein mittlerweile verschollener goldener Ring aus einer Privatsammlung in Laon. Die in diesem Fall spiegelverkehrt angebrachte Namensinschrift lautet hier +BERTEILDIS und wird mit der Königin Bertilde, Gattin von König Dagobert I. (gest. 639 n. Chr.), in Verbindung gebracht. Auch bei diesem Ring findet sich im Zentrum der Kopfplatte ein Monogramm, das wiederholt als Abkürzung des Titels Regina oder Reginae gedeutet wurde, 53 obwohl ziemlich sicher der Buchstabe ‚B‘ erkennbar ist und somit auch hier sicherlich ein Monogramm des Namens vorliegt (Abb. 6).
Abb. 5: Umzeichnung der Siegelplatte des Arnegunde-Rings. Siegelplatte aus Gold, Durchmesser: 1,65 cm (nach Weber 2014, 111, Abb. 54).
Abb. 6: Umzeichnung des Siegelabdrucks der Bertilde. Die Siegelplatte besteht aus Gold, Durchmesser 1,9 cm (nach Weber 2014, 112, Abb. 55).
Diese Doppelung der Namensnennung (einmal in ausgeschriebener und einmal in Monogrammform) auf einem Ring konnte bislang nur auf dem Arnegundeund dem Bertilde-Ring beobachtet werden. In der Regel findet sich auf den Monogramm-Ringen allein das Monogramm, ohne weitere Ornamente. Da der Name hier nie vollständig codiert wird, sondern immer nur einige Buchstaben übernommen werden, ist eine sichere Lesung der Namen heute nicht mehr möglich, wird von vielen Bearbeitern aber dennoch versucht.54 Gleichzeitig erlaubt die Abstra52
Wilson 1964, 265; zu den Gegenargumenten von Ament 1964 siehe Anm. 15. Deloche 1900, 203–205, Kat.-Nr. CLXXXVI; Bony de Lavergne 1967, 59–72; Hadjadj 2007, 104, Kat.-Nr. 11 (mit ausführlicher Literaturliste); Weber 2014, 111. 53
54
Vgl. Grünbart, in diesem Band.
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hierung des Namens zu einer komplexen Graphik ein hohes Maß an Individualität und macht die Gravur auf der Kopfplatte des Rings damit zu einem sicherlich als Siegel brauchbaren Erkennungszeichen. Anders als bei Ringen mit einer vollständig ausgeführten Inschrift stellt sich bei den nur mit einem Monogramm versehenen Ringen nicht die Frage nach der Spiegelung des Motivs, da die Buchstaben hier dem graphischen Muster untergeordnet und nicht an eine Leserichtung gebunden sind. In keinem Fall ist auf einem Monogramm-Ring die Nennung eines Titels sicher nachgewiesen. Dies spricht deutlich dafür, dass, wenn diese Ringe als Siegel Verwendung fanden, es sich um Privatsiegel gehandelt haben wird. Auf Grund der Probleme bei der Auflösung der als Monogramme codierten Namen lässt sich bei den Monogramm-Ringen nicht viel über den Geschlechtskontext aussagen. Im Fall von Arnegunde und Bertilde ist der Gebrauch durch Frauen belegt. Die Kontextangaben im Katalog von Hadjadj zeigen, dass die Ringe sowohl in Bestattungen von Frauen wie auch von Männern vorkommen, wobei allerdings für die allermeisten Objekte kein Fundkontext bekannt ist. Von den 75 bei Hadjadj zu findenden Monogramm-Ringen konnten nur 16 einem Geschlecht zugewiesen werden, nämlich zehn Frauen und sechs Männern.55 Legt man das Material der Ringe zu Grunde, scheint der Gebrauch von Monogramm-Ringen in der merowingischen Gesellschaft verbreiteter gewesen zu sein als die Verwendung von Siegelringen mit Porträt und Namensnennung. Über die Hälfte der 75 Monogramm-Ringe aus Hadjadjs Katalog bestehen aus Bronze oder Kupfer und damit aus vergleichsweise günstigen und in der Merowingerzeit verbreiteten Materialien. Ein Viertel sind Silberringe und rund 20 % Goldringe, ein Ring besteht aus Elektrum. Allerdings stellen die Ringe trotzdem eine Ausnahmeerscheinung im Fundmaterial der Merowingezeit dar; im Katalog von Hadjadj machen sie nur rund 13% der Ringe aus. Man kann davon ausgehen, dass die Monogramm-Ringe Kennzeichen einer vergleichsweise kleinen gesellschaftlichen Schicht gewesen sind, da die Notwendigkeit des Siegelgebrauchs in erster Linie auf den amtlichen und geschäftlichen Schriftverkehr beschränkt gewesen sein dürfte bzw. auf Personen mit weiträumiger Korrespondenz, die eine Versiegelung notwendig macht. 3.3 Überlegungen zu anderen gravierten Ringen Im Katalog von Hadjadj sind vier Goldringe und ein Elektrumring ohne Fundortangaben aufgeführt, die im Zentrum der Kopfplatte die Darstellung eines Vogels zeigen, der jeweils von einer spiegelverkehrten Namensinschrift umgeben ist.56 55
In den Kontext von Frauenbestattungen gehören Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 3, 11, 26, 196, 286, 290, 333, 347, 355 & 416; zu Männerbestattungen Kat.-Nrn. 121, 122, 133, 134, 195 & 391; generell scheinen nach der Beobachtung von Sabine Früchtl (2004, 114, Abb. 1) an den von ihr untersuchten Gräberfeldern Fingerringe mehrheitlich in Frauengräbern vorzukommen. 56 Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 480, 481, 486, 533 & 537.
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Beim Maiorellus-Ring57 findet sich im Zentrum einer achteckigen Kopfplatte ein stehender, im Profil mit dem Kopf nach rechts blickender Vogel, umgeben von der spiegelverkehrt gravierten Inschrift +MAIORELLI (Abb. 7). Eine konkrete Ansprache des Vogels ist wegen der groben handwerklichen Ausführung nicht möglich, man könnte allerdings aufgrund der Schnabelform die Darstellung einer Taube vermuten.58 Im Zeitkontext wäre damit ein christlicher Bedeutungshintergrund des Tiermotives durchaus wahrscheinlich. Die Taube ist hier in der Christus- bzw. weiter gefasst in der Heilssymbolik zu verorten59 und damit am ehesten mit einer apotropäischen Funktion zu verbinden. Die Heilssymbolik bezieht sich v. a. auf die alttestamentarische Sintflut-Perikope in Genesis 6–9, in der die Taube zur Hoffnungsbringerin wird.60 Die Deutung als Christus-Symbolik geht dagegen auf exegetische Schriften der Kirchenväter zurück, die die Taube weiterhin auch als Symbol für den gläubigen Christen bzw. dessen Seele ansprechen.61 Da in denjenigen Fällen, in denen sich auf merowingerzeitlichen Schmuck- und Trachtelementen christliche Symbolik findet, diese Symbole meist einen Bezug zur Rettungs- und Schutzhoffnung der Objektträger haben,62 ist auch beim vorliegenden Siegelring eine apotropäische Bedeutung des Tauben-Motives wahrscheinlich.
Abb. 7: Umzeichnung des Maiorellus-Rings. Siegelplatte aus Gold, k. A. zur Größe (Zeichnung: Verf.).
57
Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 481. Vgl. Odenweller 2019, 65–66, Abb. 54. 59 Poeschke 1968; zur Taube als Symbol siehe auch Sühling 1930; zur Deutung von Vögeln im Kontext christlicher Symbolik Odenweller 2017; 2019, 64–66. 60 Genesis 8,8–12. 61 Vgl. hierzu Poeschke 1968, 242. 62 Dies wird besonders an der weit verbreiteten Anbringung von Kreuzzeichen auf allen möglichen Alltagsobjekten deutlich, vgl. hierzu Odenweller 2019, 42–53. 58
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Unterstützt wird diese Deutung des Motives durch einen anderen Ringfund unbekannter Herkunft,63 der einen aufgerichtet stehenden, nach links blickenden Vogel zeigt, umgeben von der spiegelverkehrt gravierten Inschrift SALBA ME+, die man vielleicht als die in fehlerhaftem Latein wiedergegebene jüdisch-christliche Bittformel Salva me („Errette mich“) interpretieren kann.64 Damit stünde der Vogel sicher im Kontext der christlichen Rettungssymbolik. Ebenso erwähnenswert ist, dass die Taube zu denjenigen Motiven gehört, die Clemens von Alexandria gegen Ende des 2. Jahrhunderts in seinem Werk Paidagogos als ein für einen Christen geeignetes Siegelbild vorschlägt.65 Dasselbe Motiv wie auf dem Maiorellus-Ring, diesmal mit einem nach links blickenden Vogel, findet sich auf dem Cinana-Ring, wieder auf einer achteckigen Platte.66 Die spiegelverkehrte Inschrift ist nicht klar zu deuten: Hadjadj liest hier CINANE VIVA+, allerdings lässt sich dies m. E. für die letzten vier Buchstaben nicht aufrechterhalten, da hier eindeutig CIVV zu lesen ist. Das dritte Beispiel ist der Trasildus-Ring.67 Die Kopfplatte ist hier quadratisch, der Vogel blickt wieder nach links. Die Namensinschrift lautet +TRASILDI.68 Ein mögliches viertes Beispiel69 zeigt einen nach rechts blickenden, stark abstrahierten Vogel, an dessen rechter Seite die spiegelverkehrte gravierte Buchstabenfolge ABT zu lesen ist.70 Deloche sieht hierin den Namen eines später als Heiligen verehrten Bischofs Abto von Angoulême.71 Es ist fraglich, ob bei den oben vorgestellten Ringen eine direkte Beziehung zwischen der auf Grund der spiegelverkehrt angebrachten Namen anzunehmenden Siegelfunktion und den Bildmotiven besteht. Da Ringe, wie viele ständig am Körper getragene Schmuck- und Trachtbestandteile der Merowingerzeit, neben ihrer praktischen Funktion häufig auch die sekundäre Aufgabe von Apotropaika übernahmen, wäre die Anbringung eines christlichen Heilssymbols auf einem Siegelring am ehesten in diesem Kontext zu sehen.72 Kreisförmig auf die Kopfplatte des Rings gravierte Namensinschriften ohne weitere Motive finden sich im Katalog von Hadjadj drei Mal. Ein Ring aus Florennes trägt die nicht weiter interpretierbare Buchstabenfolge VEEC oder AEEC 63
Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 486. So auch die Vermutung von Deloche 1900, 337–338. 65 Clemens von Alexandria, Paidagogos 3, 59.2 (publiziert bei Stählin 1934, 188); zu dieser Stelle auch Eizenhöfer 1960. 66 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 480. 67 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 537. 68 Hadjadj liest hier S TRASILDI, das vorangestellte ‚S‘ ist allerdings auf den Abbildungen des Rings nicht zu erkennen und wird auch in der Erstpublikation bei Deloche 1900, 301–302 nicht erwähnt. 69 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 533. 70 Deloche 1900, 299 liest hier ABTO. 71 Deloche 1900, 299. 72 Hierzu grundsätzlich: Odenweller 2019. 64
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spiegelverkehrt graviert,73 aus Pondrôme stammt ein Beispiel mit der Inschrift +AIRINVSI, bei der allerdings nicht alle Buchstaben spiegelverkehrt ausgeführt sind74 und schließlich findet sich noch ein Ring unbekannter Herkunft mit der spiegelverkehrten Inschrift +TRASOLFVS.75 Bei den beiden zuletzt genannten Ringen fällt noch stärker als bei vielen der übrigen Ringe das den Namen einleitende Kreuzzeichen auf. Diese Einleitung (in einigen Fällen alternativ auch der Abschluss) einer Inschrift ist in der Merowingerzeit nicht nur bei Siegeln zu beobachten, sondern auch in den sehr seltenen Fällen einer Zitation von Psalmversen auf Gürtelschnallen.76 Toni Diederich argumentiert m. E. überzeugend, dass das Kreuzzeichen im Kontext von Inschriften eine auf patristische Forderungen (insbesondere Johannes Chrysostomos) zurückgehende Invokation Gottes darstellt, die den Beurkundungsakt (oder im Fall der Gürtelschnalle das Beten des Psalms) unter dessen Schutz und Autorität stellt.77 Nicht auszuschließen, letztlich aber auch nicht zu beweisen, ist die Möglichkeit, dass das Kreuzsymbol darüber hinaus ebenfalls eine vom Inhalt der Inschrift unabhängige apotropäische Funktion erfüllt, wie dies bei einem alleinstehenden Kreuz auf einem Schmuck- oder Trachtelement wahrscheinlich wäre. Bei der Frage nach den Siegelringen der Merowingerzeit ist abschließend noch eine weitere Gruppe von Funden zu nennen: Ringe mit einer einfachen, ein- oder zweizeiligen, spiegelverkehrt gravierten Inschrift. Im Katalog von Hadjadj finden sich derer acht.78 Die meisten Inschriften sind nicht interpretierbare Buchstabenfolgen, zwei Ringe tragen allerdings Namensinschriften: Auf einem Goldring aus Paris ist die Gravur GVN SID bzw. GVN DIS zu lesen.79 Patrick Périn interpretiert die Inschrift nicht gänzlich nachvollziehbar als INGVNDIS und setzt sie mit der aus Schriftquellen bekannten Schwester der Königin Arnegunde, Ingunde, in Verbindung.80 Ein zweiter Ring unklarer Herkunft trägt die Inschrift GVNDEHILDIS.81 3.4 Chronologische Einordnung der Siegelringe Eine klare chronologische Trennung der unterschiedlichen Typen von merowingerzeitlichen Siegelringen ist nicht möglich, allerdings zeichnen sich einige Tendenzen ab. Die Ringe mit Porträt und Namensinschrift lassen sich mehrheitlich in die Zeit des mittleren 5. bis beginnenden 7. Jahrhunderts n. Chr. einordnen, aller73
Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 384. Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 415. 75 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 478. 76 Odenweller 2019, 54. 77 Diederich 1996, 161–162. 78 Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 110, 269, 293, 295, 470, 542, 543 & 558. 79 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 293. 80 Périn 1985, 438. 81 Hadjadj 2007, Kat.-Nr. 470. 74
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dings finden sich entsprechende Ringe auch noch bis ins 8. Jahrhundert hinein.82 Da für die Mehrheit der bekannten Porträtsiegelringe kein archäologischer Kontext bekannt ist, lassen sie sich fast nur über stilistische Merkmale chronologisch einordnen, wobei die meisten fränkischen Exemplare in die zweite Hälfte bzw. an das Ende des 6. Jahrhunderts gesetzt werden, die langobardischen dagegen eher an den Beginn des 7. Jahrhunderts. Die Monogramm-Ringe kommen erst im Laufe des 6. Jahrhunderts auf und erleben ihre größte Verbreitung im folgenden 7. Jahrhundert. Eine zeitliche Einordnung der Ringe mit einer Kombination von Vogeldarstellung und Namensnennung sowie nur mit Nennung eines Namens ist nur eingeschränkt möglich; folgt man den Datierungen von Hadjadj, finden sie sich über das gesamte 6. und 7. Jahrhundert hinweg, ohne dass sich, auch aufgrund der geringen Zahl von Beispielen, ein Schwerpunkt erkennen ließe. 4. Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, dass in der Merowingerzeit v. a. zwei wichtige Gruppen von Siegelringen existierten: Ringe mit Porträt und Namens- sowie ggf. Titelnennung einerseits sowie solche mit einem Namensmonogramm andererseits. Die Porträtsiegel dienten sowohl als Amtssiegel von Herrschaftsträgern, in welchem Fall der volle Titel des Amtsinhabers genannt wird, als auch als Privatsiegel von Amtsinhabern und Privatpersonen, bei denen entweder ein Kurz- oder gar kein Titel erscheint. Die Anbringung des Porträts wird als Repräsentation des Siegelinhabers gedeutet, welche die Legitimation der Urkundenbeamten und den Wahrheitsgehalt sowie die dauerhafte Gültigkeit des besiegelten Dokumentes belegen sollte. Porträtsiegel kommen chronologisch in der Zeit vom mittleren 5. bis ins 7./8. Jahrhundert vor. Die von byzantinischen Vorbildern abgeleiteten Monogramm-Ringe waren reine Privatsiegel. Die gegenüber den Porträtringen wesentlich höhere Zahl von belegten Exemplaren und der hohe Anteil von Ringen aus weniger kostbaren Materialien zeigen, dass Monogramm-Ringe in der merowingischen Gesellschaft verbreiteter waren. Allerdings dürften sie trotzdem Kennzeichen einer relativ kleinen Elite mit Bedarf nach Siegeln gewesen sein, in erster Linie (lokalen) Amtsträgern, Händlern und weiträumig vernetzten schriftkundigen Personen. Die Monogramm-Ringe datieren mehrheitlich ins 7. Jahrhundert, ihr Vorkommen setzt aber bereits im 6. Jahrhundert ein. Nur sehr selten finden sich Ringe mit Namen und nicht personenbezogenen graphischen Motiven, etwa christlicher Symbolik. Hier wird von einer sekundären Funktion der Ringe als Amulette ausgegangen. Die kleinste Fundgruppe stellen schließlich Siegelringe dar, die nur den Namen nennen, ggf. ergänzt um ein einleitendes Kreuzzeichen, das primär wohl den
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Besiegelungsakt unter den Schutz und die Autorität Gottes stellt, sekundär den Ring vielleicht ebenfalls zum Amulett macht. Mit Blick auf die Problematik, dass es auch Fingerringe mit Namensinschriften gibt, die nicht spiegelverkehrt ausgeführt sind, sich ansonsten aber nicht von den Inschriften auf Siegelringen unterscheiden, wäre zu überlegen, ob die Ringe möglicherweise neben der Siegel- auch eine Ausweisfunktion besaßen. Fundlisten In den Fundlisten werden die Referenzstellen in den Katalogen von Deloche 1900 und Hadjadj 2007 genannt. Da Filmer-Sankey 1989 in seinem Katalog keine Nummern vergeben hat, werden hier die Fundstellen aufgeführt. Fundliste 1: Ringe mit Porträt und Namen Aus dem Gebiet des Frankenreiches: Deloche 1900, Kat.-Nr. LI; Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 123, 310, 327, 422, 475, 487, 497 & 529. Aus dem langobardischen Italien (Filmer-Sankey 1989): Bagnoregio, Bergamo, Chiusi/Montepulciano, Friaul, Mailand (St. Ambrogio), Palazzo Pignano, Trezzo sull’Adda (Grab 2), Trezzo sull’Adda (Grab 4), unbekannter Fundort (verwahrt im Ashmolean Museum Oxford). Fundliste 2: Ringe mit Namensmonogrammen (ausschließlich Gebiet des Frankenreiches) Deloche 1900, Kat.-Nrn. III, IV, VI, X, XI, XII, XIII, XIX, XXI, XXIII, XXVI, XXXI, XXXIV, XXXVI, XLI, XLVII, XLIX, L, LVI, LX, LXI, LXIII, LXVI, LXVII, LXIX, LXXXI, LXXXIII, LXXXIV, LXXXVI, LXXXVII, XCI, XCIV, CXV, CXIX, CXX, CXXI, CXXVI, CXL, CXLVIII, CLIV, CLXIV, CLXXXI, CLXXV, CLXXXII, CLXXXIII, CLXXXV, CLXXXVI, CXCIII, CXCVI, CXCVII, CCII, CCV, CCXI, CCXIV, CCXV, CCXXIII, CCXLVII, CCXLVIII, CCLVIII, CCLIX, CCLXI, CCLXIV, CCLXXI, CCLXXII, CCLXXVIII, CCLXXX, CCLXXXI, CCLXXXIII, CCLXXXV & CCLXXXIX. Hadjadj 2007, Kat.-Nrn. 3, 8, 11, 26, 27, 29, 34, 40, 41, 42, 74, 76, 78, 79, 85, 121, 122, 125, 130, 133, 134, 157, 161, 163, 165, 174, 179, 195, 196, 216, 248, 286, 290, 308, 309, 311, 333, 347, 355, 388, 391, 400, 409, 416, 429437, 442, 455, 457, 460, 463, 468, 477, 489, 495, 496, 504, 512, 513, 517, 518, 519, 523, 524, 526, 535, 545, 546, 551, 559, 570, 584, 588, 589 & 590. Doppelungen liegen vor (nach dem Schema Kat.-Nr. Deloche = Kat. Nr. Hadjadj) bei: VI=78, XIII=79, XXI=76, XLVII=125, LXI=347, LXXXIV=590, LXXXVI=416, LXXXVII=391, XCIV=388, CXIX=3, CXX=8, CXXVI=163, CXL=174, CLIV=333, CLXXXIII=309, CLXXXVI=11, CCXLVIII=588, CCLXIV=535, CCLXXVIII=517, CCLXXX=524 & CCLXXXI=519.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Johannes Auenmüller Fondazione Museo delle Antichità Egizie di Torino Dipartimento Collezione e Ricerca Via Accademia delle Scienze 6 10123 Turin (TO), Italien [email protected] Michael Grünbart Institut für Byzantinistik und Neogräzistik Westfälische Wilhelms-Universität Münster Rosenstraße 9 48143 Münster [email protected] Angelika Lohwasser Institut für Ägyptologie und Koptologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Schlaunstraße 2 48143 Münster [email protected] Nikola Moustakis Centrum für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums (GKM) Westfälische Wilhelms-Universität Münster Universitätsstraße 13–17 48143 Münster [email protected] Georg Neumann Institut für Altorientalistik und Vorderasiatische Archäologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Rosenstraße 9 48143 Münster [email protected]
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Michael Odenweller Historisches Seminar, Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster Domplatz 20–22 48143 Münster [email protected] Rüdiger Schmitt Exzellenzcluster Religion und Politik Westfälische Wilhelms-Universität Münster Johannisstraße 1 48143 Münster [email protected] Torben Schreiber Institut für Klassische Archäologie und Christliche Archäologie / Archäologisches Museum Westfälische Wilhelms-Universität Münster Domplatz 20–22 48143 Münster [email protected]