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German Pages 252 Year 2014
Julia Reuter Geschlecht und Körper
Julia Reuter (Prof. Dr. phil.) lehrt Soziologie an der Universität Trier. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich soziologischer (Kultur-)Theorien, der neueren Religions- und Migrationssoziologie sowie der Körper- und Geschlechterforschung.
Julia Reuter
Geschlecht und Körper Studien zur Materialität und Inszenierung gesellschaftlicher Wirklichkeit
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Inhalt
Einleitung | 7
KÖRPER, FREMDHEIT , GESELLSCHAFTLICHE O RDNUNG Konstruktionen des Fremden und die Körperlichkeit ethnologischer Feldforschung | 19 Verkörperte Fremdheit. Zur Darstellung von Indifferenz im modernen Alltag | 43 Der Körper als Seismograph gesellschaftlicher (Un-)Ordnung | 65 Eigensinnige Körperinszenierungen. Zur Materialität des Performativen | 85
G ESCHLECHTER-KÖRPER, I DENTITÄT, SOZIALE P RAXIS Krankheitserleben und Geschlechtsrollenkonflikte brustkrebsbetroffener Frauen | 105 Zwischen den Geschlechtern. Der/die Transsexuelle als vertraute/r Fremde/r | 125 Praktizierte Kultur. Das stille Wissen der Geschlechter | 143
G ESCHLECHT, UNGLEICHHEIT, MIGRATION Globalisierung und Geschlecht. Das Beispiel Liebestourismus und Haushaltsmigration | 167
Die Ungleichheit der Geschlechter im Privathaushalt. Neue Perspektiven auf ein altes Problem | 185 Muslimisch, weiblich, selbstbewusst. Selbstorganisation und Interessenartikulation von Migrantinnen | 197 Literatur | 217
Einleitung
»Die Frau mochte sechzig, fünfundsechzig Jahre alt sein. In einem Fitneß-Club im obersten Stock eines modernen Gebäudes, durch dessen breite Fenster man ganz Paris sehen konnte, beobachtete ich sie von einem Liegestuhl gegenüber dem Schwimmbecken aus. Ich wartete auf Professor Avenarius, den ich hier gelegentlich traf, um mit ihm zu plaudern. Doch der Professor kam nicht, und ich betrachtete die Dame; sie stand, bis zur Taille im Wasser, allein im Schwimmbecken und schaute zu dem jungen Bademeister in Shorts hinauf, der ihr das Schwimmen beibrachte. Er erteilte ihr Befehle: sie mußte sich mit beiden Händen am Beckenrand festhalten und tief ein- und ausatmen. Sie tat dies ernst und eifrig, und es war, als sei aus der Tiefe des Wassers eine alte Dampflokomotive zu hören [...]. Ich sah sie fasziniert an. Sie fesselte mich durch ihre rührende Komik [...], bis mich ein Bekannter ansprach und meine Aufmerksamkeit ablenkte. Als ich die Frau nach einer Weile wieder beobachten wollte, war die Lektion beendet, die Frau ging am Becken entlang und am Bademeister vorbei hinaus, und als sie vier oder fünf Schritte von ihm entfernt war, drehte sie nochmals den Kopf, lächelte und winkte ihm zu. In diesem Augenblick krampfte sich mir das Herz zusammen. Dieses Lächeln, diese Geste gehörten zu einer zwanzigjährigen Frau! Ihre Hand schwang sich mit bezaubernder Leichtigkeit in die Höhe. Es war, als würfe sie ihrem Geliebten einen bunten Ball zu. Das Lächeln und die Gesten waren, im Gegensatz zu Gesicht und Körper, voller eleganter Anmut. Es war die Anmut einer Geste, die in die fehlende Anmut des Körpers getaucht war. Die Frau mußte wissen, daß sie nicht mehr schön war, hatte es aber in diesem Augenblick vergessen. [...] Ich war auf merkwürdige Weise gerührt. Und vor mir tauchte das Wort Agnes auf. Ich habe nie eine Frau mit diesem Namen gekannt.« (Kundera 1996: 9f.)
Gibt es eine junge Agnes oder gibt es nur die alte Dame? In den Augen des Mannes, der die Badende vom Beckenrand aus beobachtet, scheinen beide Frauen real: Die schnaufende betagte Dame, deren Leibes-
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fülle das Atmen erschwert und das anmutige, verführerische junge Mädchen, deren Gesten eine bezaubernde Leichtigkeit besitzen. Im ersten Fall scheint es, als würde die unausweichliche Materialität des Körpers, im zweiten Fall die Dramaturgie der Gesten das ›Wesen‹ der Frau bestimmen – ihr Alter, ihre Fitness, ihre Schönheit, ihre Anmut, ihre Weiblichkeit. Das literarische Beispiel berührt auch die soziologische Frage nach dem Verhältnis von Materialität und Inszenierung gesellschaftlicher Wirklichkeit, von der das folgende Buch handelt: Welche Rolle spielt der Körper für die Definition von Identität und vor allem von weiblicher oder männlicher Identität in modernen Gesellschaften? Wie stellen sich Männer und Frauen körperlich dar, wie inszenieren sie ihr Geschlecht mit Hilfe des Körpers beziehungsweise umgekehrt, wie materialisiert sich das Geschlecht in der Praxis, wie viel Materialität steckt in der sozialen Konstruktion und Inszenierung der GeschlechterWirklichkeit? Die Körpersoziologie, die sich in den vergangenen Jahren auch in Deutschland als eigenständige Spezielle Soziologie mit exklusiven Publikationsorganen1, kanonisierenden Wissensbeständen2 und Expertisen3 institutionalisieren konnte, beantwortet diese Frage häufig zu
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Als renommiertes Aushängeschild gilt die internationale Fachzeitschrift »Body & Society«; im deutschsprachigen Raum fehlt bislang ein adäquates Pendant – hier werden körpersoziologische Themen vor allem in der »Zeitschrift für Sexualforschung«, den »Feministischen Studien« oder in der sportsoziologischen Zeitschrift »Sport und Gesellschaft« behandelt, was auch Rückschlüsse auf die Verortung der Körpersoziologie innerhalb der Disziplin zulässt.
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In den mittlerweile zahlreichen körpersoziologischen Einführungs- und Überblicksbüchern (vgl. exempl. Turner 1984; Shilling 1993; Nettleton/ Watson 1998; Hahn/Meuser 2002; Gugutzer 2004; Jäger 2004; Schroer 2005) werden frühe soziologische Zugänge zum Körper vor allem in den Arbeiten von Norbert Elias, Helmut Plessner, Michel Foucault, Pierre Bourdieu und Erving Goffman identifiziert.
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Neben dem Arbeitskreis »Körpersoziologie« der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zählen hierzu auch die themenbezogenen Programmbereiche der Fachverlage, z.B. der Programmbereich »Geschlecht und Körper« im transcript-Verlag (Bielefeld), aber auch Veranstaltungsreihen, z.B. die von Barbara Duden 2000 mitinitiierte (dreimonatige) »Körper-Akademie«
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Gunsten der Inszenierungsperspektive von Körpern und Geschlechtern. Dies ist mitunter dem Einfluss der Geschlechtersoziologie und ihrer Affinität gegenüber konstruktivistischen Perspektiven geschuldet, in der nicht nur das Geschlecht, sondern auch der (geschlechtliche) Körper als sozial konstruiert begriffen wird (vgl. Meuser 2004: 202). Diese de-essentialisierende Sicht findet zudem eine Radikalisierung in der neueren Geschlechterforschung, die nicht mehr von der Materialität des Körpers, sondern von seiner Materialisierung spricht und damit die Idee vom Körper als Agens beziehungsweise als Erzeugungsprinzip von Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungsformen zumindest unwahrscheinlich macht (vgl. exempl. Butler 1995). So wurde zwar im Zuge der letzten Jahrzehnte einer Diskursivierung und damit nicht zuletzt auch einer Soziologisierung des Körpers Vorschub geleistet – eine Unterscheidung von materialem und Sinnkörper war so jedoch kaum noch möglich (vgl. Meuser 2004: 202). Der Körper hatte im Grunde genommen mit der Erkenntnis ›Nichts ist natürlich, alles ist sozial konstruiert‹ zugleich den Höhepunkt wie auch den Endpunkt seiner soziologischen Laufbahn erreicht. Dabei begann die soziale Karriere des Körpers in der wissenschaftlichen Reflexion erst spät und vor allem recht zögerlich. Zu lange hielt sich auch in der Soziologie ein cartesianischer Leib-Seele-Dualismus aufrecht, der eine scharfe Grenzziehung zwischen einer a-sozialen, materiellen Außenwelt (res extensa) und einer ursprünglicheren, vom Geist beseelten Innenwelt (res cogitans) zog, die sich auch in den klassischen Soziologien – wenn auch nicht als Körper-Seele-Konflikt, so doch in einer gewissen Unabhängigkeitserklärung soziologischer Gesellschafts- und Handlungsanalysen gegenüber dem Körper – niederschlug4 (vgl. Turner 1984: 30-59). Der als ›bewußtseinslos‹ markierte
an der internationalen Frauenuniversität in Hannover und Bremen. Während »Geschlechtersoziologie«, »Gender Studies«, »Soziologie der Geschlechterverhältnisse« an den deutschen Hochschulen als Lehrstuhlbezeichnungen quasi explosionsartig zunehmen, stellt »Körpersoziologie« nach wie vor keine institutionell etablierte Denomination dar. 4
Der Philosoph Rene Déscartes begründet diese Leib-Seele-Dichotomie aus der These, dass sich das Bewusstsein menschlicher Existenz einzig und allein aus der Fähigkeit des Denkens ableitet, während der Körper als natürlich geformte »Gliedermaschine« lediglich basale Sinneswahrnehmungen zu produzieren in der Lage sei, ohne dass diese jedoch seiner Ansicht nach
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Körper schien so für die Bestimmung von Identität, ja für das Soziale schlechthin irrelevant. Auch in der psychoanalytischen Entdeckung der im abgespaltenen Körper schlummernden Triebanlagen und ihrer ursprünglichen Verortung im Ich blieb das Verhältnis von Leib und Seele ein grundsätzlich antagonistisches: zwischen vegetativen Triebanforderungen und den von der Zivilisation auferlegten und in der Sozialisation verinnerlichten kulturellen Einschränkungen (vgl. Freud 1948). Während Freud die Umformung und Kontrolle der geschichtslosen körperlichen Natur mit Hilfe des kulturellen Programms als individuelle, weil in jeder Biographie als neu zu lösende Aufgabe betrachtete, erschien sie aus soziogenetischer Sicht eher als historisch langfristiger (Lern-)Prozess der Zivilisation, die ihre Ursache gerade nicht in der Vita des Einzelnen, sondern in der Geschichte und Konstellation der Gesellschaft besaß (vgl. Elias 1976). Die Idee einer kulturellen Bezwingung der körperlichen Natur und damit auch die Gegenüberstellung von Natur und Kultur blieben allerdings in beiden Ansätzen virulent. Erst kulturanthropologische Arbeiten zum Verhältnis von Natur und Kultur (vgl. Lévi-Strauss 1966) lehnten die von Freud und Déscartes vertretene Auffassung einer sich selbst begründenden Natur und die Vorstellung vom Körper als »eine Art von Maschine« (Déscartes 1977a: 151) beziehungsweise »selbstständige Triebanlage« (Freud: 1948: 249) ab; stattdessen akzentuierten sie die Idee einer »kulturellen Anatomie«, eines (aus kulturvergleichender Perspektive) unterschiedlichen »Habitus« (vgl. exempl. Mauss 1975)5, die spätestens nach der interpretativen Wende von der Ethnologie (vgl. Geertz 1992) und dann auch Kultursoziologie (vgl. Soeffner 1988) intensiv durch die These der »kultivierten Natur« aufgegriffen und weitergeführt wurde. Nicht selten wurden dabei Kultur und Identität vom Standpunkt der Verkörperung (›embodiement‹) her gedacht, als grundlegende Bedingung, die den Körper als subjektive Ressource oder intersubjektives Fundament von Erfahrung fasst (vgl. für einen Überblick Csordas 1999). Auch in der gesellschaftstheoretischen Diskussion hatte sich seit den 1970er
irgendeine Form von Erkenntnisgewinn bereithielten (vgl. Déscartes 1977a/b). 5
Wobei sozial- und kulturanthropologische Arbeiten zu Beginn noch eher von einer Überformung des Physiologisch-Anatomischen durch das Gesellschaftlich-Symbolische ausgingen und weniger von seiner konsequenten Verflechtung (vgl. exempl. Douglas 1985).
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Jahren vor allem in Anlehnung an Michel Foucaults Arbeiten zur Geschichte der Sexualität (vgl. Foucault 1977) die Sicht einer kulturellen Formung des sexuellen wie geschlechtlichen Körpers durchgesetzt, der entgegen der psychoanalytischen wie anthropologischen ›Trieblehre‹ nicht nur in den sexuellen Praktiken und körperlichen Ausdrucksweisen, sondern auch in den vermeintlich impulsiven Lustgefühlen, Instinkten und Neigungen, im Begehren und Verlangen den Einfluss (machtvoller) gesellschaftlicher Diskurse identifizierte, die in den 1990er Jahren dann in einer Erweiterung der mikrosoziologischen Perspektive »unter die Haut« (Lindemann 1992; Duden 1987) ihren (vor allem auch empirischen) Widerklang fand. So stellte sich auch in der Soziologie fortan nicht mehr die Frage nach der ›Unschuld‹ beziehungsweise ›Wahrhaftigkeit‹ des Körpers, sondern eher nach der Funktion seiner gesellschaftlichen Institutionalisierung als »Organ der Wahrheit« (vgl. Hahn 1988: 673), nach seine populären Wahrnehmung als ›Bollwerk der Authentizität‹ oder »Schicksal der Geschlechtsidentität« (vgl. Butler 1991). Letzteres wurde insbesondere in der soziologischen Transsexualismusforschung (vgl. für einen Überblick Knoblauch 2002; Hird 2002) weitgehend erforscht und problematisiert. Allerdings wurde hier nicht nur deutlich, wie sehr die Materialität unseres Geschlechtskörpers sozial konstruiert, sondern auch wie sehr soziale Konstruktionen auf eine ›leibhaftige‹ Erfahrung zur Objektivierung der Konstruktion angewiesen sind (vgl. hierzu auch Salomon 2010).6 Allerdings soll hieraus kein Primärstatus körperlicher Materialität abgeleitet werden, wie es etwa in einer phänomenologischen LeibKonzeption oftmals den Anschein hat.7 Die Herausforderung liegt
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Innerhalb der körpersoziologischen Diskussion wird hier auch zwischen Körper und Leib im Sinne von Körperwissen und leiblich-affektiver Erfahrung, zumindest aus methodologischen Gründen, unterschieden – gleichwohl sich beides in der Praxis durchdringt und wechselseitig bedingt. Das heißt, Affekte werden präsozial ›erlebt‹, ihre sinnhafte Wahrnehmung gewinnen sie in den meisten Fällen jedoch erst durch einen erlernten Wissensvorrat über und um den eigenen Körper. Für eine ausführliche Diskussion der Begriffe ›Körper‹ und ›Leib‹ und deren Verschränkung vgl. Jäger (2004).
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Eine prominente Referenz stellt Helmut Plessners Konzept der exzentrischen Positionalität dar, die jedoch genau genommen keine a-historische Essentialisierung der »leiblichen Verfaßtheit« des Menschen bedeutet,
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vielmehr darin, »sich in entnaturalisierender Weise auf die Natur einzulassen« (Degele/Schmitz 2007: 56), oder direkt die Mischung denn die Trennung von Natur und Kultur zu denken (vgl. Latour 2010). Genau um diesen Doppelblick auf Körper und Geschlecht als Materie und Idee geht es im folgenden Band (insbesondere in den Beiträgen zu Geschlechter-Körpern). Im ethnomethodologischen Forschungsprogramm entspricht dies der Unterscheidung zwischen der Zeichenhaftigkeit und der Dinghaftigkeit von Körper und Geschlecht, die in der Realität kaum zu trennen sind beziehungsweise die durch ein bestimmtes gesellschaftliches Wissen um »Sexualität und Wahrheit« (Foucault 1977) zusammengehalten werden: »Das sozial verfaßte objektivierte Geschlecht bewirkt in der Verschränkung mit dem Leib wie von selbst, daß eine Person sich als das Geschlecht realisiert, das der Körper bedeutet.« (Lindemann 1992: 339) Inwieweit dieses Zusammenspiel von Konstitution und Konstruktion passgenau beziehungsweise widerspruchsfrei verläuft, ist eine andere Frage, die in der gegenwärtigen, insbesondere praxistheoretisch orientierten Körpersoziologie – wenn auch noch etwas zögerlich – diskutiert wird (vgl. hierzu etwa Villa 2010; Meuser 2004, 2006; Hirschauer 2004). Grundsätzlich wird hier die Ansicht vertreten, dass Praxis – körpersoziologisch gewendet – mehr ist als die Verkörperung kultureller Diskurse (vgl. Villa 2010: 253); sie ist immer auch eigensinnig, insofern Praktiken gegenüber Diskursen gerade durch ihre somatische Dimension eine eigene Empirizität besitzen, die in der Praxistheorie in Anschluss an Pierre Bourdieu (1998) in Begriffen des »praktischen (Eigen-)Sinns«, des »praktischen Wissens« oder auch der »praktischen Vernunft« reflektiert werden (vgl. für einen Überblick Reuter/Hörning 2004). So stellt sich nicht nur die Frage nach dem Wissen über Körper und Geschlecht und ihrer Praxis, sondern auch die Frage nach dem Wissen der Praxis (vgl. Hörning 2004). Dies schließt eine epistemologische Betrachtung von Körperwissen mit ein, das bislang vor allem in den Theater- oder Sportwissenschaften (vgl. Gugutzer 2006: 11; Alkemeyer et al. 2003), stellenweise auch von der Wissenschaftssoziologie beleuchtet wurde (vgl. Hitzler/Honer 1989; Knorr Cetina 1984). Letztere betonte dabei vor allem die körperliche Mittelbarkeit wissenschaftlicher ›Gewisshei-
sondern eher auf den Umstand verweist, dass Menschen zugleich lebendige Körper sind und haben, in denen Selbstbewusstein wahrgenommen und vermittelt wird (vgl. hierzu auch Lindemann 2009: insb. 162ff.).
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ten‹, die sich in den zum Teil ganz konkreten sozialen Praktiken der WissenschaftlerInnen, in ihrem (Miteinander-)Tun, materialisieren (vgl. hierzu auch den ersten Beitrag). Wie viel Erkenntnis der Körper als Medium bereitstellt, hängt jedoch nicht nur von der tatsächlichen Beschaffenheit des Körpers ab, als vielmehr von den Lesarten, die zu seiner ›Entschlüsselung‹ zur Verfügung stehen. Oder in den Worten der niederländischen Körper-Philosophin Annemarie Mol: »Bodies only speak if and when they are made heavy with meaning.« (Mol 2002: 10) Wie professionalisiert und technologisch moderiert diese Lesarten mittlerweile sind, zeigen uns vor allem aktuelle medizinsoziologische Studien zur Gendiagnostik (vgl. exempl. Lemke 2004), die jedoch gleichzeitig auf das Problem hinweisen, dass ›körperliche Veranlagungen‹ nicht nur neue Erkenntnisse über Krankheiten, Krankheitsverläufe und Heilungschancen bereitstellen können; sie konstruieren überhaupt erst neue Körper- und Selbsterfahrungen, die in der Folge auch unser Bild von Krankheit und Gesundheit, mehr noch, von Leben und Schicksal herausfordern (vgl. hierzu auch den fünften Beitrag in diesem Band). Es ist kein Zufall, dass vor allem die Medizin in modernen Gesellschaften die Deutungshoheit über die Beschaffenheit und Vitalität, Krankheit und Normalität, Wahrheit und Erfahrbarkeit unserer Geschlechter-Körper besitzt – historisch betrachtet ist sie das gesellschaftliche Feld, in dem das Wissen über den Körper und damit auch das Wissen um Wahrheit – quasi als eine Art Ontologie des Körpers – nicht nur am erfolgreichsten archiviert und angewendet, sondern durch die Entwicklung geeigneter Verfahren und Methoden auch am effektivsten mit hervorgebracht wurde (vgl. Foucault 1988). Insofern ist die Medizinsoziologie nach wie vor eine zentrale, wenn nicht die zentralste Grundlage einer Soziologie des Körpers und des Geschlechts (vgl. Turner 1984: 51; O’Neill 1985: 118ff.).8 Insbesondere körper- wie geschlechtersoziologisch inspirierte Studien zu unterschiedlichen zeitgenössischen Manipulationsformen (Fitnesstraining, Hygiene, Essen, Diäten, Tätowierungen, Kosmetik, plastische Chirurgie usw.) als Ausdruck reflexiver Identitätsarbeit (vgl. exempl. Villa 2008) betonen diese historisch tradierte Verwobenheit von medizinischem Körperwissen und -techniken und zeitgenössischer Körperarbeit
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Auch wenn sich die Medizinsoziologie der körpersoziologischen Implikationen ihrer Erklärungsmodelle von Krankheit und Gesundheit häufig kaum bewusst ist.
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und -erfahrung, die nicht nur Manipulationen von Äußerlichkeiten, sondern immer auch Technologien des Selbst sind. Sucht man nach ›blinden Flecken‹ im allseits gefeierten »body boom« (vgl. exempl. Gugutzer 2006), dann muss man lange suchen: Denn neben der Geschlechter- und Medizinsoziologie zählen mittlerweile auch Sport-, Medien-, Gewalt- oder Ungleichheitssoziologie zu Feldern der Thematisierung des Körpers (vgl. Schroer 2005). Allenfalls in soziologischen Reflexionen zur religiösen Gegenwartskultur9 gibt es noch Thematisierungsbedarf, obwohl gerade hier Phänomene wie zeitgenössische Verschleierungspraktiken und -diskurse muslimischer Frauen, aber auch massentouristisch organisierte spirituelle Pilgerevents zeigen, dass Körper entgegen klassisch religionssoziologischer Perspektiven nicht nur Ausführungs- und Repräsentationsorgane religiöser Mythen und Rituale, sondern auch Konstituenten religiöser und spiritueller Erfahrungen sein können (vgl. hierzu auch Hahn 2010: insb. 37-61).10 Und auch die Geschlechtersoziologie hat den Körper eher als feststehende Referenz denn als variable Ressource der sozialen Konstruktion von Geschlecht betrachtet und sich vor allem auf seine ›Oberfläche‹ (primäre und sekundäre Geschlechtsorgane) konzentriert. Dabei lassen sich auch hormonale wie chromosomale ›Realitäten‹ als Produkt komplexer Aushandlungsprozesse zwischen Medizin, experimenteller Biologie und bevölkerungspolitischen Akteuren verstehen, die als außerordentlich wirksame Ressourcen für die körperliche Geschlechterkonstruktion herangezogen werden können (Villa 1996: 110ff.). Dies macht deutlich, dass doing gender-Prozesse und körperliche Materialitäten nicht losgelöst voneinander zu betrachten sind, wie es im Kontext einer unkritischen Unterscheidung von gender als Bezeichnung für das soziale Geschlecht und sex als Ausdruck körperlicher Geschlechtsmerkmale nahelag.
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auf dem hundertjährigen Soziologiekongress in Frankfurt a.M. (2010) eine Kooperationsveranstaltung der Sektionen Sportsoziologie und Religionssoziologie unter der Leitung von Robert Gugutzer stattfand.
10 Unter dem Titel »Glaube in Bewegung: Netzwerke im spirituellen Tourismus« gehen wir im Zuge eines ethnographisch orientierten Forschungsprojektes zum Pilgern unter anderem der Frage nach, in welchem Verhältnis körperliches Langstreckenpilgern und spirituelle Erfahrung stehen. Für weitere Hinweise zum Forschungsprojekt siehe: www.pilgern.eu.
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Das vorliegende Buch zeigt, wie Körper und Geschlecht als Materie und Idee die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit im privaten, öffentlichen und professionellen Alltag formen und durch sie geformt werden. Je nachdem, ob man die Materialität oder den Inszenierungscharakter gesellschaftlicher Wirklichkeit stärker betonen möchte, werden dabei unterschiedliche Perspektiven auf Körper und Geschlecht eingenommen, die häufig auf eine praxistheoretische Vermittlung zwischen struktur- und subjektorientierten Ansätzen hinauslaufen, die eine zentrale Grundlegung in der interaktionistischer Theorietradition Erving Goffmans und seinem auf Intersubjektivität beruhenden Handlungsmodell besitzen (vgl. exempl. Goffman 1994). So ist es nicht verwunderlich, dass die Frage der körperlichen wie geschlechtlichen Identitätskonstruktion, die Wirkungen und Performanzen körperlicher wie geschlechtlicher Praktiken nachfolgend den größten Raum einnehmen, während die anatomischen, hormonellen und physiologischen Materialitäten allenfalls an den Schnittstellen zu ›Natur- und Lebenswissenschaften‹, zum Beispiel in den Betrachtungen zum Transsexualismus und zur Brustkrebsstudie, berührt werden.11 Daneben werden aber auch Fragen der ungleichen Inszenierung von Geschlechteridentitäten sowohl zwischen den Geschlechtern als auch innerhalb einer Geschlechtsklasse beleuchtet (vgl. hierzu v.a. die Beiträge im dritten Buchkapitel). Letzteres, um den kulturellen oder klassenspezifischen Verschiedenheiten von doing gender-Prozessen Rechnung zu tragen beziehungsweise um zu zeigen, wie hybridisiert die Geschlechterwirklichkeit in gegenwärtigen Gesellschaften längst ist – nicht nur hierzulande, sondern auch in ›nicht-westlichen‹ Gesellschaften, wie etwa das Beispiel des Liebestourismus auf Bali zeigt (vgl. Beitrag 7). So mag bisweilen die spannendere Frage nicht die nach der Differenz zwischen Mann und Frau sein, sondern die nach der Differenz z.B. zwischen Frauen und Frauen – trotz oder gerade weil sie sich weltweit als Frauen, Feministinnen oder Musliminnen verstehen, dies aber je nach Kontext anders tun. So sind Differenzen zwischen Frauen nicht allein auf soziale Ungleichheiten, letztlich historisch tradierte gesellschaftliche Geschlechterungleichheiten zurückführbar; sie sind
11 Dies ist aus Sicht einer interdisziplinären, körperwissenschaftlichen Position heraus sicherlich kritisierbar, da damit eine wichtige Frage, nämlich die nach den körperlichen Grenzen der (De-)Konstruktion, letztlich ausgeblendet wird (vgl. Degele/Schmitz 2007: 56ff.).
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immer auch Resultat der Selbststilisierung der Frauen (vgl. Maihofer 1995: 171). Der Band baut auf eigenen, zum Teil umfassend überarbeiteten Einzelstudien auf12, etwa zur öffentlichen Interaktionsordnung, wissenschaftlichen Erkenntnisweise, gesundheitlichen Befindlichkeit und Transsexualität sowie zu geschlechtlichen Arbeitsteilungsformen wie geschlechtsspezifischen Anerkennungspolitiken. Er kann so als Einstiegs- wie Vertiefungslektüre in zum Teil sehr spezielle Felder und Debatten gelesen werden; in der Gesamtschau soll er die Vielfalt wie Relevanz einer körper- und geschlechtersoziologischen Sichtweise auf moderne Gesellschaften abbilden, die eine Soziologie des Körpers und/oder eine Soziologie des Geschlechts als Bindestrich-Soziologien jeweils nur zum Teil abbilden können.13 Vielmehr geht es um die allgemeinsoziologische Bedeutung von Körper und Geschlecht als Basiskategorien der Soziologie (vgl. Gugutzer 2004: 156ff.; Hahn/ Meuser 2002) und die Tatsache, dass die Frage nach der Ordnung des Sozialen nur unter Berücksichtigung der materiellen, das heißt praktischen Verkörperung und Vergeschlechtlichung gesellschaftlicher Ordnung beantwortet werden kann. Damit aus der Idee schließlich eine Buchpublikation werden konnte, war vor allem die Unterstützung des transcript-Verlags, ganz besonders Michael Volkmer, hilfreich. Eva Ross und Hendrik Meyer sei für die Durchsicht und Formatierung des Manuskripts gedankt. Meiner Familie, insbesondere meinem Mann und meinem Sohn, danke ich für die erfolgreiche Ablenkung von der Schreibtischarbeit, die sicherlich genauso wichtig für das Gelingen eines Projekts ist wie die Konzentration darauf.
12 Es handelt sich um bereits publizierte Einzelaufsätze aus den vergangenen acht Jahren, die zum Teil aus Forschungsprojekten hervorgegangen sind und für diesen Band überarbeitet wurden. Die jeweilige Quellenangabe der Erstveröffentlichung ist selbstverständlich zu Beginn jedes Beitrags angegeben. An dieser Stelle sei noch einmal den HerausgeberInnen der entsprechenden Zeitschriften und Sammelbände der Erstveröffentlichungen gedankt. 13 Überhaupt ist die Trennung zwischen Körper und Geschlecht als exklusive Analysekategorien problematisch, da ein soziologischer Zugang zum Körper über das Geschlecht verläuft beziehungsweise ohne die Verdienste der Geschlechterforschung (als »Augenöffner«) nicht denkbar wären (vgl. Degele/Schmitz 2007: 53f.).
Körper, Fremdheit, gesellschaftliche Ordnung
Konstruktionen des Fremden und die Körperlichkeit ethnologischer Feldforschung1
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D IE U NSICHTBARKEIT
DES ›O THERING ‹ IN DER ETHNOLOGISCHEN P RAXIS
EthnologInnen berichten über Orte, Menschen und Kulturen, die auf den ersten Blick zu klein und zu weit entfernt sind, als dass sie die gesellschaftlichen Verhältnisse im ›Hier‹ berühren. Um die fremden Welten und Lebensweisen in die Nähe des Eigenen zu bringen, liefern sie eine Reihe von Zeugnissen ab, mit der sie die Stimme des Anderen erneut zu Wort kommen lassen wollen, ohne dass der Andere dabei körperlich anwesend sein muss. Reiseberichte, Erlebnisprotokolle, Video- und Tonbandaufzeichnungen, meist Ergebnis eines monate- und jahrelangen ›Eintauchens‹ in das äußere und innere Ausland, spiegeln die Erfahrungen und Bilder wider, die der/die EthnologIn auf seiner/ ihrer Reise gesehen, erlebt, organisiert, strukturiert und schließlich niedergeschrieben hat. Dabei fungieren die von EthnologInnen ins Spiel gebrachten Medien nicht nur als Aufzeichnungs- und Speichermedien, sondern stellen geradewegs die Voraussetzung dar, sich ein
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Dieses Kapitel greift im Wesentlichen Argumente zur ethnologischen VerAnderungspraxis aus meiner Dissertation (Reuter 2002a: insb. 143189) auf, die ich in einer weiteren Veröffentlichung ausführlich dargestellt habe: Reuter, Julia (2001): »Sehen als soziale Praxis. Konstruktionen des Fremden als Gegenstand einer Visuellen Anthropologie«, in: Sociologia Internationalis 39, S. 251-275.
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Bild vom Fremden zu machen. Im Sinne bildgebender Verfahren verkörpern sie Instrumente des Entwurfs von Menschen- wie Körperbildern und geben durch diesen Repräsentationsmodus die Anderen als fremde Menschen preis. Denn nur als ›vermittelte‹ Fremde werden die Anderen als Bestandteil wissenschaftlichen Wissens und seiner diskursiven Reflexion zugänglich. Diese Medialität des Fremden, der im Auge der Ethnologie immer schon ein repräsentierter Fremder ist, kennzeichnet das unter postmoderner Perspektive vieldiskutierte Problem der Repräsentation als Übersetzbarkeit des ›Dort‹ ins ›Hier‹. Denn wenngleich EthnologInnen in ihrer Tätigkeit als ÜbersetzerInnen um eine Regulierung der Distanz zwischen ›vertraut‹ und ›fremd‹ bemüht sind, indem sie in ihren Texten und Bildern Zugänge zur ›Welt der Anderen‹ eröffnen, sind sie es auch, die das Fremde als Fremdes entdecken und durch die Kontrastierung und Reifizierung mit der ›Heimat‹ in ihrer Ethnographie geradezu heraufbeschwören. Die dabei immanente Medialität des Fremden bedeutet, dass der ›andere Schauplatz‹ als Ort, an dem sich die Fremde manifestiert als solches nicht erfahrbar ist. »Was man zu fassen bekommt, ist immer der Schatten und nicht die Beute.« (Leiris 1978: 7) Doch auch wenn die Repräsentation des fremden Bildes im Fremdenbild einen notwendigen Selbsterzeugungsmechanismus der Ethnologie darstellt, wirft sie gleichermaßen das Problem auf, inwieweit das Bild vom Fremden durch die in ihm eingelassenen kulturellen wie historischen Prägungen des eigenen Blicks geformt ist. Dabei ist es gerade die ›visuelle Ergiebigkeit‹ des ethnologischen Fremden, die darauf verweist, dass das Fremde beziehungsweise Neuartige im Bild nur deshalb zustande kommt, weil die Sehordnung in einer vorgegebenen Ordnung der Dinge gründet. Ohne diese kulturell geprägte »Ordnung des Sichtbaren« (Waldenfels 1994) wäre das Fremdartige des Anderen an sich ausgeschlossen. Bilder beziehen sich weniger auf etwas tatsächlich Zu-Sehendes, auf etwas, was also an sich schon sichtbar ist, sondern was unter gewissen Bedingungen zugleich sichtbar und unsichtbar wird (vgl. ebd.: 243). Neben den technischen Weisen der Bild- und Welterzeugung sind es daher auch solche Versuche der ›Menschenfassung‹, deren Repräsentationsformen auf einer praxeologischen Erfahrungs- und Vermittlungsebene stattfinden. Insbesondere formgebende Praktiken des Sehens können dabei als Kommunikationsformen verstanden werden, durch der/die Andere als Fremde/r sichtbar und in ein Objekt der Beobachtung überführt wird.
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Die visuelle Praxis vermittelt die Erfahrung der Fremde, mehr noch, sie ist als konstitutive Praxis an der Konstruktion des Fremden beteiligt. Um diese komplexen Resonanzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden in ihrer praxeologischen Tiefenstruktur zu beleuchten2, bedarf es eines ›radikalen Zweifels‹, gerade weil die Praktiken der Fremdsetzung häufig keine ›großen Gesten‹ sind, die sich in ›bestimmten Bahnen‹, quasi modellhaft entäußern. Im Gegenteil, es sind größtenteils unhinterfragte Praktiken, die eher unsichtbar an der Konstruktion des Fremden beteiligt sind. Die ethnologische Praxis ist dabei mehr als die vielfach diskutierten literarischen Strategien der Fremdsetzung in Feldforschungsmonographien und Datenrepräsentationen.3
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Der Begriff der Praxeologie geht auf Bourdieu (1976) zurück, um entgegen strukturaler Gleichschaltungen von Handlungsklassifikationen und Ausführung die »Eigenlogik der Praxis« zu betonen. Im Sinne generativer und performativer Verfahren, die in der praktischen Umsetzung sowohl als strukturiert wie strukturbildend in Erscheinung treten, versucht Bourdieu einen Brückenschlag zwischen einem subjektivistischen und einem objektivistischen Wissenschaftsideal zu schlagen. Er versteht die Praxis weder als »stures Regelbefolgen« noch als »reflexive Kalkulation«, sondern verweist auf die der Praxis eigentümliche Rhythmik, Zeitlichkeit und Dringlichkeit, um ihre Produktions- und Anwendungsbedingungen in den Blick zu rücken. Diese praktischen Taxonomien, die als Werkzeuge der Erkenntnis und Kommunikation an der Hervorbringung von Sinn und des Konsensus über ihn beteiligt sind (vgl. Bourdieu 1976: 229), werden zwar als Ausfluss eines spezifischen Kräftefeldes und damit immer schon durch die soziale Lage des Akteurs/der Akteurin mit beeinflusst gedacht, ihr Wiedergabemodus aber ist ein anderer. So weist Bourdieu über die »soziale Geregeltheit« der Praxis hinaus, indem er die Praxis als konstitutive Taxonomie zur Reproduktion der Gesellschaftsstruktur unter verwandelter Form begreift.
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Insbesondere die von Clifford und Marcus Mitte der 1980er Jahre entfachte »Writing-Culture-Debatte« (Clifford/Marcus 1986) kritisiert die diskursiven Strategien der Fremdsetzung in den klassischen Ethnographien, die die Beziehung zwischen Eigenem und Fremdem als asymmetrisches Verhältnis überformen. So ist die Kluft zwischen einer Auseinandersetzung mit den anderen dort, wo sie sind, und ihrer Wiedergabe dort, wo sie nicht sind, kein ausschließlich ›technisches‹ Problem der Materialauswahl und -
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Praxis bedeutet vielmehr, dass die Konstruktionen des Fremden sich nicht nur auf einer formalen Diskursebene, sondern auch auf einer praktischen Erfahrungsebene materialisieren, die von einem kreativen Austausch zwischen Alltag und Wissenschaft ausgehen, mehr noch, die als Weisen der Wirklichkeitsproduktion eine notwendige Bedingung für die Gewinnung wissenschaftlichen Wissens darstellen.4
bearbeitung; an ihr entzünden sich auch moralische, politische sowie erkenntnistheoretische Bedenken (vgl. Geertz 1990: 128), gerade weil das Verständnis des Fremden eben nicht ›uneigennützig‹ stattfindet. Dabei verbirgt sich hinter der geflügelten Bezeichnung writing culture eine durch Kulturwissenschaft und Linguistik angeführte Debatte zur Literarizität ethnographischer Texte, die sich als Kritik klassischer Ethnographien versteht mit dem zentralen Einwand, dass EthnologInnen mit jeder Interpretation dem Fremden ihren Sinn aufdrücken. Vor allem die Linguistik lieferte Anstöße zu einem Nachdenken über die Literarizität ethnographischer Zeugnisse, indem sie die Problematik der rhetorischen Regeln, allegorischen Bedeutungen, symbolischen Dimensionen, den ›eingeschriebenen‹ Sinngehalten und kulturellen Deutungs- und Sprachkonventionen aufwirft. Diese Neuentdeckung der literarischen Qualität ethnographischen Schreibens bezieht sich dabei weniger auf die Aspekte des Schreibstils selbst, als vielmehr auf die Erkenntnis, »daß sich die Ethnographie – wie andere Textsorten auch – als ein literarisches Genre mit spezifischen Konventionen konstituiert.« (Knecht/Welz 1995: 74) Es geht dabei um die Aufdeckung der Tatsache, dass zwischen ethnographischer Wissenschaft, ihren Methoden der Repräsentation und ihrem eigentlichen Forschungsgegenstand – dem Fremden – ein dichtes Wechselwirkungsmodell besteht. Ethnographische Texte stellen demnach ein entscheidendes Wirkungsmittel dar, das nicht nur die Bilder der zu beschreibenden Anderen, sondern auch die Bilder der ForscherInnen prägt (vgl. hierzu auch Fuchs 1998). 4
Neben Amann und Hirschauer (1997), die diese durch die eigene Kultur ins Spiel gebrachten Praktiken unter der Prämisse des zu entdeckenden Unbekannten betrachten – nämlich so, als seien sie fremd –, entwirft auch Bourdieu (1996) das Programm einer »reflexiven Anthropologie«, mit der er die allgemein zugänglichen Bereiche der Wissenschaftserfahrung, denen das Stigma des Selbstverständlichen anhaftet, einer methodischen Befremdung aussetzt. Es geht gewissermaßen um eine Konversion des Blicks, mit der man in der Lage ist, die gewöhnlichen wissenschaftlichen Präkonstruktionen und vertrauten Herangehensweisen an die Forschungsobjekte vorü-
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Breuer spricht in diesem Zusammenhang von einer »epistemologischen Charakteristik« des Feldforschers/der Feldforscherin, weil seinem/ihrem Körper eine besondere Bedeutung in der Erkenntnisgewinnung zukommt: »Der Ethnologe/Wissenschaftler produziert seine Daten, Beschreibungen, Theorien etc. aufgrund des Erlebens der fremden Kultur und Gesellschaft in einem sehr direktem Sinn ›am eigenen Leibe‹. Er selbst (seine ganze Person, sein Körper/Leib mit allen Sinnen) ist gewissermaßen Instrument der Erkenntnisgewinnung.« (Breuer 2000: 43)
Dabei stellen insbesondere die visuellen Praktiken und ihre korrespondierenden Medien einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor für die wissenschaftlichen Bilderwelten dar, sie machen es zumindest notwendig, das Verhältnis von Sehen und Wissen im modernen Forschungskontext zu präzisieren.5 In der praktischen Verwickeltheit von ForscherIn und Fremden liegt gewissermaßen die Aufforderung, die Wissenschaft vom Fremden, deren kulturelle Auswirkungen und Resultate bislang ausschließlich als Ausbeute sozialer Hierarchien und Herrschaftsstrukturen beobachtet wurden, nun bereits in the making zu untersuchen, weil sie das soziale Entstehungsfeld der Macht als kulturelle Praxis definiert (vgl. Kaschuba 1999: 204). Bilder verwenden Eigenes, um Fremdes sichtbar zu machen. Sie referieren auf vertraute Sinn- und Bedeutungsstrukturen, weshalb sie keine außerhalb des Bildes liegende Fremdheit darstellen, sondern allenfalls das Sichtbare so anordnen, dass es fremd erscheint. Damit wird der Blick sowohl auf die praktischen Ordnungen des Sichtbaren als auch auf die Rolle von Medien, verstanden als generative Prozesse der Bild- und Formgebung bei der Ausbildung von Modellen der Wirklichkeitserfahrung und
bergehend außer Kraft zu setzen (vgl. Bourdieu 1996: 284f.). Denn bereits die Anwendung sprachlicher Äußerungen und eingespielter Bilder des Fremden enthält die Virtualität eines Machtaktes, die immer schon der Versuchung unterliegt, Wissenschaft zum Eingriff in das Objekt zu benutzen (vgl. ebd.: 294). 5
Eine der wenigen Arbeiten, die diese reflexive Wende auf visuelle Praktiken einnimmt und die vermeintliche ›Natur‹ des Sehens auf kontextgebundenes kulturelles Wissens über Sehen, Sichtbarkeiten und Sehvorgänge zurückführt, stammt von Caroline Länger (2002).
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-wissen gelenkt (vgl. Keck/Pethes 2001), denen eine selektive Gestaltungskraft innewohnt, die darüber entscheidet, was wir von dem Fremden zu sehen bekommen. Die Mikroskopie der Verhältnismäßigkeit zwischen ForscherInnen und Beforschten und ihrer praktischen Vermittlung verdeutlicht, dass die sozialen Praktiken der EthnologInnen in erheblichem Maß auf die Entdeckung, Kontrastierung und Darstellung des Eigenen und des Fremden einwirken. Man bezeichnet sie deshalb auch als sogenannte Praktiken des ›Othering‹ – ein Amerikanismus, den man auf Deutsch mit ›VerAnderung‹ wiedergeben könnte –, das heißt sie unterstützen die Unterscheidung des Eigenen und des Fremden, sie bringen sie mit hervor, reproduzieren sie, machen sie verbindlicher. »Othering bezeichnet die Einsicht, dass die Anderen nicht einfach gegeben sind, auch niemals einfach gefunden oder angetroffen werden – sie werden gemacht.« (Kaschuba 1999: 247 [Herv. d. Autorin]) Anstelle der Rede von ›dem Fremden‹ sollte deshalb der praktische Umgang mit dem Fremden in den Blick gerückt werden, weil sich Fremdheit gerade nicht als ein Phänomen der sozialen Wirklichkeit darstellt, zu dem wir eine unmittelbare Beziehung besitzen. Überdies weist die durch die Praxis vermittelte eigene Nähe zum Fremden darauf hin, dass auch die ›ethnologische Fremde‹ keinen exklusiven, sondern allenfalls einen besonders sichtbaren Erfahrungsraum des Fremden darstellt, denn die Repräsentationen des Fremden rekurrieren nicht auf eine objektive Qualität des Fernen, Ausländischen oder Seltenen, sondern verdeutlichen die Qualifizierung ihrer Beziehung zum Eigenen. »Die Gegenstände der Ethnologie sind daher auch nicht einfach Objekte, die der Ethnologe als objektiver Beobachter wertfrei beschreibt und analysiert, sondern sie sind Produkte interkultureller Kommunikation zwischen Feldforscher und Informant.« (Bargatzky 1993: 221)
Fremdheit bezeichnet kein der sozialen Handlungs- und Forschungspraxis vorgängiges Gebilde, sondern generiert sich als Produkt vielfältiger Praktiken ›vor Ort‹. Sie nimmt damit eine doppelte Funktion ein: Als Darstellungsraum bietet sie einerseits Raum für die Darstellung des Fremden, andererseits kann dieser Raum erst durch die Darstellung, das heißt durch den praktischen Vollzug entstehen.
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Die ethnologischen Praktiken bezeichnen gewissermaßen die empfindliche ›Schnittstelle‹, an der Fremdheit aufleuchtet, problematisiert und diskursiviert wird, ohne dass sie im Forschungsprozess selbst benannt würden. Denn bereits die Zielsetzung der Ethnologie, eine andere Kultur darzustellen, also zu zeigen, dass das Handeln oder Denken von Angehörigen einer anderen ethnischen Gruppe oder Religion einer ›anderen‹ Logik folgt als derjenigen, die uns vertraut ist (vgl. Schiffauer 1997: 158), wie spielerisch gebrochen auch immer, kann bereits als eine Form der ›VerAnderung‹ verstanden werden.
2
S EHEN
ALS SOZIALE
P RAXIS
Insbesondere die jüngere Ausdifferenzierung der Visuellen Anthropologie (vgl. Hockings 1995; Ballhaus/Engelbrecht 1995) thematisiert diese VerAnderung auf der Ebene der Praxis des Sehens, indem sie die ›Techniken des Sehens‹ als ›visuelle Vollzüge‹ begreift. Dabei sind es nicht allein die technischen Korrelate des Blicks wie beispielsweise Photoapparat oder Videokamera, die den/die EthnologIn als ›BildermacherInnen‹ hervorbringen. Die visuelle Praxis ist schon deshalb von besonderer Bedeutung, da die Ethnologie in ihrer methodischen Herangehensweise zu einem großen Teil auf das Medium des Auges ausgerichtet ist und damit »[...] eine Wissenschaft, die aus der Anschauung schöpft. Wo es etwas zu sehen gibt, können einem die Augen aufgehen. Ohne andere Lebenszusammenhänge geschaut zu haben, würde sie nicht existieren.« (Friedrich et al. 1984: 11) Die teilnehmend beobachtende Arbeit ›draußen‹ im Feld bringt EthnologInnen geradewegs als ›Augenzeugen‹ der fremden Kultur hervor, denn die Überschreitung der Grenze zur fremden Kultur impliziert jenes ›Dort-gewesenSein‹, das im Sinne der teilnehmenden Beobachtung als die moderne Norm der Ethnologie betrachtet wird. Im Gegensatz zum/zur SammlerIn oder TouristIn beziehungsweise frühen »Lehnstuhl-Ethnologen«6, dessen Blick im Vorbeigehen oder
6
Malinowski kritisiert die frühen Formen ethnologischer Feldforschung als passives und bequemes Ansammeln von Daten meist durch die Arbeit eines Dritten – dem sogenannten Informanten – und fordert als einer der ersten den Vorzug qualitativer Verfahren in der Ethnologie ein, indem er die teilnehmende Beobachtung als »Königsweg« der Sozial- und Kultur-
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aus der Ferne die fremde Kultur ›streift‹, verlangt die ›neuere‹ Feldforschungssituation (nach Malinowski) EthnologInnen eine intensive Auseinandersetzung mit den zu beobachtenden Menschen ab. Gerade die zeitliche ›Strecke‹ der ethnologischen Beobachtung, anstelle von ›Stippvisiten‹ intensiven, über lange Erhebungszeiträume sich erstreckenden persönlichen Kontakt zur fremden Kultur aufzubauen, macht sie gegenüber sozialwissenschaftlichen Datenerhebungsmethoden zu einer besonderen Beobachtungsform.7 So nimmt die ethnologische Form der Beobachtung gewissermaßen einne Sonderrolle ein, da sie einerseits als die fachtypische Methode (vgl. Stagl 1993: 15) eine ganzheitliche Erfassung fremder Kulturen nahelegt, andererseits den Beginn und die Besonderheit der Feldforschung widerspiegelt: Der/die EthnologIn verlässt sein/ihr Arbeitszimmer beziehungsweise sein La-
wissenschaft bezeichnet: »Wir brauchen ganz unzweifelhaft eine neue Methode für das Sammeln von Beweisen. Der Sozialanthropologe muß seine bequeme Position im Sessel auf der Veranda der Missions- und Regierungsstation aufgeben, wo er bewaffnet mit Block und Bleistift und zuweilen mit einem Whisky und Soda, die Erklärung von Informanten entgegennimmt [...]. Er muß stattdessen hinausgehen in die Dörfer und [...] bei der Arbeit in Gärten, am Strand und im Dschungel zusehen [...]. Die Information muß aus dem vollkommen beobachteten Leben der Eingeborenen kommen.« (Malinowski 1979: 218 [Herv. d. Autorin]) 7
Die ethnologische Beobachtung unterscheidet sich von der sozialwissenschaftlichen Beobachtung in ihrer Einbettung in die stationäre Feldarbeit. Denn im Gegensatz zur beobachtenden Feldforschung von SoziologInnen, die für relativ kurze Zeiträume ›fremde Gruppen‹ in der ›eigenen Gesellschaft‹ aufsuchen, müssen EthnologInnen die eigene Gesellschaft für einen längeren Zeitraum (in der Regel mindestens ein Jahr) verlassen und in einem geduldigen und langwierigen Lernprozess mit ›den Anderen‹ leben. Dabei verzichten sie nicht nur in den meisten Fällen auf einen gesicherten sozialen Status, eine klare Rolle beziehungsweise ein Privatleben ›vor Ort‹, sondern durchleben auch häufig einen sogenannten ›Kultur-Schock‹, der durch das Verlassen des eigenen Sprachraums, der identitätsbildenden Primärkontakte und eines institutionalisierten Professionsfeldes Prozesse der Verunsicherung, Desorientierung bis hin zum Identitätsverlust auslösen kann. Zum Phänomen des Kulturschocks in der ethnologischen Forschung vgl. auch Wong (1993).
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bor, um mit dem Fremden den Alltag zu verbringen und ihn sich ›aus nächster Nähe‹ anzuschauen. Gerade der vergesellschaftende Aspekt des/der ForscherIn mit seinem/ihrem Beobachtungsgegenstand betont, dass BeobachterInnen eine höchst aktive Rolle im sozialen Feld einnehmen und ihre Beobachtungen untrennbar mit den Praktiken des Forschens, der Informationsbeschaffung und Wissensproduktion verwickelt sind. Er/Sie taucht regelrecht in das Feld ein, knüpft Kontakte, spricht mit Leuten und lässt sich in die verschiedenen Handlungsrituale einweihen. Sehen meint hier nicht bloß, dass man den Menschen bei all ihren Tätigkeiten zusieht. Sehen und Beobachten bedeutet vielmehr, dass der/die EthnologIn in weiterführenden Gesprächen und Nachforschungen Einsicht nimmt und sich Betrachtungsweisen der von ihm/ihr aufgesuchten Gruppe vor Augen führt, indem er/sie auch praktisch mit ihnen vertraut ist. Dabei scheint die Objektivität von BeobachterInnen fraglich, weil die säuberliche Trennung zwischen Subjekt und Objekt der Erkenntnis im ›Feld‹ mehr als nur einmal zusammenbricht, »[...] da der Beobachter beziehungsweise seine Verhaltensweisen innerhalb der beobachteten Einheit, innerhalb des beobachteten Systems lokalisiert sind. [...] Hier kann der Beobachter sich also nicht als ›außenstehend‹ idealisieren und seine Erkenntnis als ›objektiv‹ ansehen, da er sich und seinen eigenen Einfluß, der womöglich das, was beobachtet wird, erzeugt oder aufrechterhält, nicht aus seiner Beschreibung der Wirklichkeit wegdenken kann. Er findet stets (zumindest auch, manchmal sogar nur) die selbst versteckten Ostereier.« (Simon 1991: 141)
Teilnehmende Beobachtung impliziert also zweierlei, sowohl Teilnahme als auch Beobachtung, und ist damit »[...] irgendwo zweckbestimmt angesiedelt zwischen dem Versuch der objektiven Beobachtung [...] und dem Interagieren mit den beobachteten Subjekten, dem sich der Feldforscher überlassen kann.« (Heeschen 1989: 68) Dabei versucht der/die beobachtende ForscherIn zunächst eine soziale Mitgliedschaft zu erwerben, denn Teilnahme bedeutet in erster Linie ein Leben mit den Fremden. Der/die EthnologIn durchläuft eine Art ›zweite Sozialisation‹ in der anderen Kultur, um den Standpunkt des Fremden, seinen Bezug zum Leben zu verstehen und sich, gemäß des malinowskischen Paradigmas, ›seine Sicht seiner Welt vor Augen zu führen‹.
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Doch insbesondere das Axiom der ›anderen Sicht‹ bringt die ›VerAnderungsmechanismen‹ auf einer visuellen Diskursebene zur Sprache, denn die Trennung der eigenen und anderen Perspektive avanciert nicht selten zum bedeutsamen Strukturmerkmal der Fremdheit. So ist in dem von Malinowski eingeführten methodischen Holismus, der sich in der Forderung ausdrückt, die zum Objekt erkorene Gemeinschaft zunächst während der Feldforschung als in sich abgeschlossene Wirklichkeit zu behandeln (vgl. Berg/Fuchs 1993: 34), die Distanzierung vom Anderen immanent. »Es schafft das Andere als Objekt intimer und systematischer wissenschaftlicher Betrachtung überhaupt erst richtig: ›othering‹ durch Distanzierung, Kontextualisierung, Eingrenzung [...].« (ebd.: 35) 2.1 Sehen als Be-Zeugen In der Beobachtung ›vor Ort‹ schleichen sich immer wieder soziale Praktiken ein, die dem Blick von EthnologInnen Fähigkeiten wie beispielsweise ein gewisses Abstraktionsvermögen oder Objektivität zusprechen. Dieses Abstraktionsvermögen des Auges, das sich vor allem im Begriff der von außen herangetragenen ›Zentralperspektive‹ materialisiert, ist selbst das Produkt einer modernen Sicht von Wissenschaft, die sich in der Vorstellung widerspiegelt, das Sehen und Beobachten als passive und unbeteiligte Formen der Perzeption zu begreifen. Die Moderne privilegiert die Praktik des Beobachtens, die die Wirklichkeit des Feldes in eine Wirklichkeit der Repräsentation zu überführen vermag, ohne dass der/die BeobachterIn personaliter auf der Bildfläche erscheint. Er/sie beobachtet die anderen, aber sieht sich selbst nicht und kann damit das Gesichtete zum überschaubaren Bild zusammenfügen, das durch die fehlende Sichtbarmachung des Beobachters/der Beobachterin seine Künstlichkeit verleugnet. Dieses von der Wissenschaft mit hervorgebrachte Bild des ›unschuldigen Auges‹ folgt dabei drei anachronistischen Prinzipien: »(1) a mechanistic view of the universe as a whole interrelated totality; (2) a principled acceptance that an intrinsic order resides within phenomena as external forms; and (3) the necessary contingency being that understanding proceeds through the ›independence‹ of an observer’s sight.« (Jenks 1995: 4)
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Gerade der Positivismus betont die Objektivität des wissenschaftlichen Beobachters/der Beobachterin, dessen/deren Sichtweise und Wissen bruchlos ineinander aufgehen. Sein Auge wird als ›nackt‹, ›emotionslos‹ und ›pur‹ beschrieben, das objektiv, also ohne Verzerrung, die Außenwelt in der Innenwelt abbildet, getreu dem Motto: »what can be seen can also be believed in« (Jenks 1995: 6). Es ist eine Autorität des Auges, die darin gründet, dass das Auge die Fähigkeit besitzt, einen zeitlich fixierten ›Augenblick‹ zu schaffen, da der Akt des Beobachtens, des Zeuge-Seins, eine Gleichzeitigkeit des Sehvorgangs mit dem erlebten Gegenstand oder Ereignis und damit ein Fenster innerhalb des Zeitflusses erzeugt. Die so hervorgebrachten Bilder vermitteln in ihrer synoptischen und simultanen Zusammenschau den Eindruck, dass sie eben keine Bilder, sondern die Ereignisse selbst wiedergeben.8 Wenn man dagegen von einem Ereignis ›hört‹ oder ›liest‹, bedeutet das, dass es abgeschlossen und vergangen ist (vgl. Leed 1993: 197f.).9 Doch jedes Bildprodukt besitzt vielschichtige theoretische und praktische Implikationen, die relativ wenig mit den indigenen Sichtund Erlebnisweisen zu tun haben. Auch wenn die Bilder vom Fremden den/die BildermacherIn zunächst einmal unsichtbar werden lassen, sind seine Sehgewohnheiten und Bildkonventionen, Methoden und kulturellen Apriori auf sämtlichen Ebenen des Bildes präsent, denn allein schon die Auswahl dessen, was einem von dem Fremden als zeigenswert erscheint, ist nicht wertfrei (vgl. Keifenheim 1995: 48). Dennoch ist die vermeintliche Unsichtbarkeit der Sehpraxis für die ethnologische Datengewinnung gerade dadurch von Bedeutung, dass die dem visuellen Bild zugesprochenen Eigenschaften der Wahrhaftigkeit und Nüchternheit dazu genutzt werden können, die eigene qualitativ ausgerichtete Feldforschung wissenschaftlich abzusichern. Das Sehen wird damit aus dem Kontext persönlicher Erfahrung gelöst, auf der es beruht, und präsentiert das Gesichtete als objektive, wissenschaftliche
8
Hier wird gewissermaßen ein mechanischer Blick illustriert, indem der Sehvorgang mit einem technischen Instrument analogisiert wird – entsprechend wird die Funktion des Auges als Leinwand, Schirm oder Linse beschrieben (vgl. Länger 2002: 89).
9
Auch Simmel betont die Einzigartigkeit des Auges, dass ein reziprokes Wechselverhältnis der Sich-Anblickenden evoziert und im Gegensatz zum Ohr oder Geruchssinn das beweglichste Organ darstellt (vgl. Simmel 1993a).
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Fakten beziehungsweise Beweismittel, mit denen sich vorher gefasste Hypothesen verifizieren oder widerlegen lassen. Der/die ethnologische BeobachterIn authentisiert seine/ihre Erfahrungen gewissermaßen durch Teilnahme, indem er/sie zeigt, wie nahe er/sie seinen Forschungssubjekten gekommen ist. So bezeichnet er/sie die visuellen Repräsentationen des Fremden auch gerne als ›Dokumente‹, ›Zeugnisse‹ und ›Befunde‹, blendet allerdings damit wichtige Fragen zu Produktion, Tradition, narrativen Strukturen, kinematischen sowie ästhetischen Qualitäten und nicht zuletzt Publikums- und Wirkungsfragen aus.10 Damit gewinnen die Techniken des Sehens für die Genese und ›Festschreibung‹ von Wissen im Forschungsprozess in ihrer praktischen Handhabung an Bedeutung, denn der/die EthnologIn legitimiert seine/ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Darstellungen durch die Tatsache, dass er/sie die Fremden ›mit eigenen Augen gesehen hat‹. Er versteht Beobachtung als Synonym einer intensiven Erfahrung ›vor Ort‹ beziehungsweise als jenes ›Dort-gewesen-Sein‹, das seiner/ihrer Arbeit öffentliche Anerkennung, vor allem aber einen gewissen ›Authentizitätsstempel‹ aufdrückt (vgl. Kaschuba 1999: 201). Hier wird das Auge zum ›authentisierenden‹ Vermittlungsmedium, das die Faktizität der Fremdheit des Anderen unterstellt. Schließlich hat man die
10 Insbesondere der/die filmende BeobachterIn, der/die im sogenannten ›Dokumentarfilm‹ eine Möglichkeit der objektiven Reproduktion fremder Kulturen sieht, missachtet die Eigenständigkeit der filmischen Realität beziehungsweise die Responsivität der eigenen Person. So ist die scheinbare Objektivität und Neutralität des automatisch gewonnenen Bildes kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn es sich um Bilder handelt, die Unvertrautes zeigen, welche durch ihre vermeintliche Eindeutigkeit ein zu schnelles Verstehen herbeiführen. Dabei zeichnen sich zwei wesentliche Probleme der visuellen Repräsentationen in der Ethnologie ab: Erstens, die ›Wirklichkeit der Medien‹ und zweitens, die ›Wirklichkeit des Rezipienten‹, die sich in das Verstehen der fremden Kultur einmischen. So ist der ethnographische Dokumentarfilm keineswegs als ein rein technischmechanischer Prozess zu deuten, der ein wertfreies Abbild der Wirklichkeit liefert. Er ist vielmehr in einen komplexen semiotischen und kommunikativen Prozess zur Konstruktion von Wirklichkeit eingebettet, der von gewissen Vorannahmen und Normativismen ausgeht (vgl. Kiener 1999), die dem Dargestellten wie eine ›unsichtbare Matrix‹ anhaften.
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Fremden ›mit eigenen Augen gesehen‹, weshalb Greenblatt auch vom Sehen als Bezeugen spricht (vgl. Greenblatt 1998: 187 [Herv. d. Autorin]). Die Objektivierung des Optischen rührt dabei vor allem aus der Tatsache, dass wir uns beim Sehen normalerweise keiner Alternative bewusst sind, da das Sehen größtenteils ›automatisch‹ abläuft und durch diese Mechanik den Augenschein erweckt, Sehen sei eben kein Deuten – auch wenn wir in den meisten Fällen definieren, ehe wir sehen, und nicht sehen, ehe wir definieren (vgl. Theye 1985: 22). Als eingeschliffene und höchst habitualisierte Praktiken laufen die Deutungsarbeiten unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ab. Doch die vermeintliche Übereinstimmung des Optischen mit dem Realen sollte eben nicht als genuine Korrespondenz betrachtet werden, vielmehr ist sie Ausfluss einer weitläufigen Kulturgeschichte des Sehens in der Moderne, ihrer technischen Apparaturen und der von ihnen mittransportierten Sehkonventionen.11 So sind es vor allem auch die technischen Korrelate des Blicks wie Photographie und Film, die als »unbestechliche« Medien beziehungsweise »große Wahrheitsbringer« (ebd.: 18) Karriere in der Ethnologie machen, denn sie drängen unweigerlich die Einsicht auf, von Dingen und Menschen eben nicht nur vom ›Hörensagen‹ zu erfahren, sondern durch mitgebrachte Bilder aus der Fremde zu zeigen, »[...] wie die fernen Länder, die merkwürdigen Bauten und die gar fremden Wesen,
11 So zeigt beispielsweise Crary in seiner kulturhistorischen Analyse zur Geschichte des Bildes und Betrachters die Genese des ›modernen Blicks‹ anhand des von Wheatstone entwickelten Stereoskops zum Ende des 19. Jahrhunderts. Wheatstone blendet den szenischen Bezug zwischen BetrachterIn und Objekt aus, der auf einer Abwesenheit jeglicher Vermittlung zwischen Auge und Bild beruht (vgl. Crary 1996: 131). Die synthetische Trennung zwischen BetrachterIn und Welt, die die Moderne im Bild des Auges als ›durchsichtiges‹ Vermittlungsmedium herbeiführt, verleugnet die Einbettung des Sehenden/der Sehenden in gesellschaftliche Machtstrukturen und verschmäht den Körper, sein Pulsieren, seine Gebärden und Phantasmen als Grundlage des Sehens (vgl. Crary 1996: 140). Die Moderne produziert einen Beobachtungs- beziehungsweise BetrachterInnentypus, der Sehen als eine vom Körper losgelöste, abstrakte Sinnestätigkeit begreift und als Möglichkeit eines relativ ›unverzerrten‹ Zugangs zur Wirklichkeit beansprucht.
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welche sie beleben, wirklich aussehen« (ebd.: 24). Natürlich kann ein Bild als solches nicht direkt falsch sein; doch seine Hervorbringungsprozesse, also Motivauswahl, soziale Normen und Konventionen der Darstellung, Blickwinkel bis hin zur technischen Apparatur, die häufig unsichtbar bleiben, legen ihre Lesarten und Auslegungsmöglichkeiten in das Bild hinein. So ist die vermeintliche Authentizität von Film- und Photobild ein Trugschluss, denn selbst wer solche Techniken der Sichtbarmachung nur als Hilfsmittel benutzt, sollte um ihre ideologischen Implikationen wissen, die jeder Darstellung eigentümlich ist. 2.2 Sehen als Herab-Schauen Die Ordnung des Sichtbaren ist mehr als eine Anordnung. Es ist eine Einordnung in das Ganze, wesentlicher aber eine Über- und Unterordnung, die dazu führt, dass etwas mehr oder weniger sehens- und bildwürdig ist und dass das Sehbegehren gezügelt beziehungsweise angestachelt wird durch eine Hierarchie des Sichtbaren (vgl. Waldenfels 1994: 240). Die strategischen Optionen des Blicks gehen dabei über die konkrete Bildkomposition hinaus, denn bereits die Praxis der vom/von der ForscherIn benutzten Trennung zwischen Innen- und Außenperspektive bringt das Fremde in der eigenen Ordnung des Sehens hervor. Gerade der Blick ›von außen‹, der den/die EthnologIn qua Reise und ›Dort-Sein‹ in die Rolle des reisenden Entdeckers/der reisenden Entdeckerin lotst, sollte auf die strategischen Blickoptionen hin betrachtet werden. Denn obwohl die sozialen Handlungen der anderen nur aus der performativen TeilnehmerInnenperspektive zu verstehen sind, müssen sie in eine Außenperspektive zurückgebettet werden, um sie als eigengesetzliche Strukturen überhaupt erkennen beziehungsweise ihre inneren Beschränkungen aufzeigen zu können. Es ist eine implizit wirkende Hierarchie der Perspektiven, die sich darin zeigt, dass EthnologInnen im Gegensatz zu den Erforschten so etwas wie einen ›offenen Horizont‹ zu konstituieren vermögen, der wiederum als Voraussetzung dafür gilt, extrem abweichende Weltbilder und Lebensformen vorbehaltlos untersuchen und beschreiben zu können (vgl. Gottowik 1997: 74f.). Diese der wissenschaftlichen Beobachtung immanente Unterscheidung zwischen Innen- und Außenperspektive macht deutlich, dass Sehen mehr ist als die Tatsache, die Welt als Objekt hinzunehmen. Das im Forschungsprozess erzeugte Bild des Forschungsgegenstandes ist
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dramatisch durch den Kampf zwischen dem Willen des Beobachters/der Beobachterin, eine Sicht durchzusetzen, und dem Willen des ›Beobachteten‹, sich in seiner Diskontinuität und seiner Augenblicklichkeit durchsetzen (vgl. Baudrillard 2000: 265). Es ist ein Kampf um die Repräsentation von Wirklichkeit, der durch die implizit zugrunde gelegten Techniken des Sehens und ihren eingelassenen Machtakten entschieden wird. Denn die Absicht des wissenschaftlichen Bildermachers/der Bildermacherin ist es zweifellos nicht, die fremde Sicht der Welt zu spiegeln, »sondern sie zum Objekt werden zu lassen, ihre Alterität, die unter ihrer vorgeblichen Realität vergraben ist, freizulegen, dieses Objekt wie ein attracteur étrange hervortreten zu lassen und die seltsame Attraktionskraft im Bild festzuhalten« (ebd.: 265). Auch wenn die teilnehmende Beobachtung die Requalifizierung der ›anderen‹ Perspektive im Forschungsprozess verankert, bei dem das Fremde in seinem typisch erfahrbaren Eigensinn adäquat methodisch kontrolliert erschlossen und interpretativ verfügbar gemacht werden soll (vgl. Honer 1994: 85ff.), ist dieses engagierte Mitspielen durch das inkorporierte Wissen des Beobachters/der Beobachterin mitstrukturiert. Die Ergänzung des Diskurses des Fremdverstehens durch einen Diskurs der Fremderfahrung setzt eine zusätzliche Kontroll- und Reflexionsstrategie voraus, die ForscherInnen noch vor der eigentlichen Feldsituation vor die Frage stellt, welche Implikationen (also die Frage nach dem Was und Wozu) in die von ihnen angewendeten Praktiken des Sehens eingelassen sind. Dabei schlummert das Wissen zumeist in den Praktiken selbst, da erst die praktische Berührung mit der Innensicht als auch ihre Kontrastierung zur eigenen Perspektive jenes Entdecken der Fremdheit des Anderen möglich macht, wie auch die Vorstellung einer Innensicht an die Vorstellung einer Außensicht, die durch die Augen einer irgendwie gearteten Normalität erzeugt wird, rückgekoppelt bleibt. Selbst Malinowski privilegierte den Blick des/der von außen kommenden Beobachters/Beobachterin gegenüber dem/der internen TeilnehmerIn, da der/die ›Eingeborene‹ keine Kenntnis vom Gesamtumfang irgendeiner sozialen Struktur besitzt. So mutmaßt Malinowski in seiner Ethnologie der Kula: »Sie kennen ihre eigenen Motive, wissen um den Zweck individueller Handlungen und um die dafür geltenden Regeln; wie sich aber aus diesen die ganze kollektive Institution zusammensetzt, liegt außerhalb ihres geistigen Horizon-
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tes. Nicht einmal der intelligenteste Eingeborene besitzt eine klare Vorstellung davon, daß das Kula ein großes, organisiertes soziales Gebilde ist, und dessen soziologische Funktion und dessen Auswirkungen kennt er noch viel weniger.« (Malinowski 1979: 116)
Diese Vereinnahmung der Fremden durch die eigene BeobachterInnenperspektive erfolgt aber nicht erst in der theoretischen Verarbeitung der Rohdaten, sondern wirkt gleichfalls in Form einer Hierarchisierung der Sichtweisen auf die Ebene der Datengewinnung ein, die die Allwissenheit des/der ForscherIn implizit zugrunde legt. Allwissend vor allem deshalb, da EthnologInnen ein »paternalistischer Hauch« (vgl. Kaschuba 1999: 198) im vermeintlich objektiven »Forscherblick« anhaftet; die Rekonstruktion der Sicht der »Eingeborenen« ist zwar oberstes Primat, der Andere kommt jedoch selbst nicht zu Wort, da ihm die Außensicht zu fehlen scheint. »Der Andere sieht nur seine Welt, er zählt nur in seinem Kontext, während der Ethnologe sich den Über-Blick über viele Welten, unterschiedliche Kulturen anmaßt und zutraut.« (Berg/Fuchs 1993: 37 [Herv. d. Autorin]) Allein der/die EthnologIn vermag eine Vorstellung von der Gesamtwirkung des Ganzen zu entwickeln, er/sie durchschaut Hintergründe und Zusammenhänge. »Denn nur er kennt die subjektive wie objektive Seite einer Kultur, er ist persönlich involviert (›eingetaucht‹) und schaut gleichermaßen von außen/oben auf die Gesellschaft herab« (ebd.: 37), weshalb das Verstehen des Anderen mehr als nur einmal durch ein Erklären verwechselt wird. So bleibt das Paradigma einer ›native point of view‹ eine Platitüde, deren strategische Absicht Geertz (1983) als »catching ›their‹ views in ›our‹ vocabularies« kritisiert, weil sie die Asymmetrie zwischen emischer und etischer Perspektivität weiterführt.12
12 Vgl. zur Differenzierung zwischen emisch – »von innen heraus« – und etisch – »von außen her« – auch Dworschak (1998: 75f.). EthnologInnen stehen vor der Aufgabe, sowohl die emische Innensicht der Akteure als auch ihre etische Außensicht mitzureflektieren (vgl. Schweizer 1999: 7), um den lokalen Einzelfall beziehungsweise die speziellen Ereignisse in einen kulturellen, sozialen und gesamtgesellschaftlichen Kontext einzubetten. Die aus der linguistischen Unterscheidung von Phonologie und Phonetik in die ethnologischen Methodologie übertragenen Begriffe ›emisch‹ versus ›etisch‹ betrachten dabei die Handlungen und Äußerungen des
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Die durch teilnehmende Beobachtung hervorgebrachten Bilder sind damit, obwohl sie Fremdes zeigen, der Perspektive der eigenen Kultur verhaftet. Sie triefen geradewegs von Botschaften, von Zeugenschaft, von ästhetischer Sentimentalität oder von Stereotypen der Wiedererkennung (vgl. Baudrillard 2000: 270). Denn sobald sie ihre Außenperspektive im Falle der Überidentifikation beziehungsweise des Kontrollverlustes aufgeben, verwirken sie den ›produktiven Fremdheitseffekt‹, den die Wissenschaft, auch wenn sie qualitativ orientiert ist, zur Erkenntnisgewinnung voraussetzt. 2.3 Sehen als Über-Sehen Wenngleich das Auge als Medium der Wirklichkeitserfahrung im Gegensatz zur Sprache, die simultane Ereignisse nur in einzelnen Sequenzen und nacheinander darzustellen vermag, die Realität in ihrer Gesamtheit wiederzugeben scheint, täuscht die vermeintliche Nähe der wahrgenommenen Bilder leicht darüber hinweg, dass das Auge eine Trennung zum Objekt voraussetzt, ohne die keine sinnliche Wahrnehmung möglich wäre. Dieser Bruch zwischen BeobachterIn und Beobachteten ist notwendig, um das Sehenswürdige hervorzuheben und das Feld des Sichtbargemachten so zu organisieren, dass es etwas zu sehen gibt. Dabei hängt die Antwort auf die Frage, was gesehen wird, von der Art und Weise, wie gesehen wird, und der Bewertung dessen, was gesehen wird, ab, weil die Techniken des Sehens an Machtstrukturen gebunden sind. Sie fixieren eine symbolische Ordnung, auf die der Blick gerichtet ist, wenn er Hierarchisierungen und Orientierungen, Abstände und Stufen, Aspekte und Perspektiven ins Auge fasst (vgl. Treusch-Dieter 2000: 253). Sehen als Praxis meint also Wahr-Nehmen, etwas ins Auge fassen, sich ein Bild machen, wobei die ›Vermessenheit des Auges‹ sich darin spiegelt, dass die symbolische Ordnung des Sehens dem Für-wahr-Genommenen einen Blindfleck einprogrammiert, bei dem ein Bild vom Anderen, aber kein reflektiertes Bild von sich selbst entsteht. Im Vollzug der Beobachtung sieht der/die BeobachterIn, was er/sie mittels einer Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem,
Fremden im Hinblick auf die Repräsentanz des Klassifikationssystems der untersuchten ethnischen Gruppe (emisch) als auch auf den Bezugspunkt außerhalb des spezifischen Systems (etisch).
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zwischen ›Sehenswürdigem‹ und ›Übersehbarem‹ sehen kann. Er/sie sieht aber nicht, was er/sie mit dieser Operation nicht sehen kann. Dieser ›blinde Fleck‹ ist also konstitutiv für die Operation des Beobachtens (vgl. Sutter 1997: 19), denn sie macht ein Denken von Identität und Alterität erst möglich. So ist der Blick in die Fremde ein beschränkter Blick: beschränkt auf die zwei Augen des/der jeweiligen Beobachters/Beobachterin, seine Position im Feld, seine/ihre Perspektive und Art und Weise zu schauen, vor allem aber seine/ihre Bewertung dessen, was als ›sehenswürdig‹ gilt und was nicht. In der Regel sind EthnologInnen auf bestimmte Untersuchungsthemen spezialisiert, die ihren Blick vergleichbar mit einem Scheinwerfer über das Feld gleiten lassen und dabei das Anschauungsmaterial in eine bestimmte Perspektive rücken. Beobachten ist kein passives Aufnehmen visueller Sinneseindrücke. »Als ein zielgerichtetes ›Hinsehen‹ erfordert gerade die wissenschaftliche Beobachtungstätigkeit ein Vorwissen um das, was man sehen will und kann.« (Kohl 1993: 110) Bereits die Beschränkung auf ein bestimmtes ›Feld‹, in dem man sich umsehen möchte, formuliert Fragen und Blickrichtungen, die andere Bereiche unbeachtet lassen, verkürzen oder in neue Zusammenhänge stellen (vgl. Kaschuba 1999: 199f.). Die Praxis des Sehens ist immer schon von den gesellschaftlichen Anschauungen und Ansichten überformt, weshalb sie auch als historische Konstruktion betrachtet werden kann. Im Prozess des Beobachtens fließen neben den aktuell wahrgenommenen Dingen und Gegenständen der Umgebung bereits eingelebte und damit oftmals höchst implizite Techniken und Schemata des Beobachtens ein: eingefahrene Blickroutinen und ›Sichtweisen‹, stereotype Vorstellungen des Beobachtungsmaterials, historische beziehungsweise ›zeitgemäße‹ und damit gesellschaftlich überformte und anerkannte Formen des Schauens13, aber auch wissenschaftstheoretisch trainierte Techniken, etwas ›unter die Lupe‹ zu nehmen.14
13 Vgl. Crary (1996) zur Autonomisierung des Sehens gegenüber der anderen Sinne als »Arbeitsform« in der Moderne. Jenks, der sich ebenfalls mit dem visuellen Paradigma als Ausdruck eines spezifischen Wissenschaftsverständnisses auseinandersetzt, spricht in diesem Zusammenhang auch von der »skopischen Ordnung der Moderne« (vgl. Jenks 1995: 15ff.). 14 Beobachtungen an bestimmten Gruppen gehen in der Regel intensive Beobachtungstrainings voraus. Die gründliche BeobachterInnenschulung soll
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»Über alle bewußte teilnehmende Beobachtung hinaus registriert der Mensch, konstruiert Schemata und nimmt Gestalten wahr. Beobachten ist ein aktiver Prozeß, eine Adäquation an das schon Erfahrene und an das durch den Bau der Sinnesorgane Gegebene.« (Heeschen 1989: 60)
BeobachterInnen sind keine passiven Zuschauer, insbesondere wenn es sich um Sehende ›von Berufs wegen‹ handelt, denn häufig verfügt der/die ForscherIn durch seine/ihre Ausbildung über ein theoretisches Vorwissen, das seinen/ihren Blick lenkt beziehungsweise ihn/sie als Person ausweist, die im vornherein weiß, was sie sehen will. Blicke solcher Art ›übersehen‹ einen Großteil ihres eigentlichen Forschungsgegenstandes, sie ignorieren die Kontingenzen und Widersprüchlichkeiten der fremden Kultur, um sie mit dem Bild der überschaubaren Fremde deckungsgleich werden zu lassen. Denn was sich als übersichtlich, ersichtlich beziehungsweise offensichtlich zu erkennen gibt, ist unschwer einzunehmen, anzueignen, zu erobern. Es ist ein Blick, der sich im Feld bestätigen lassen will, das heißt er führt zu einer ethnographischen Diskursform, »[...] die dafür sorgt, daß die Inszenierung der Entdeckung des Fremden als Fortsetzung der Entdeckung des Eigenen nicht stört. Dieser Diskurs lässt keinen Verdacht aufkommen, bezüglich der Stellung der eigenen Kultur und deren Verhältnis zur ›entdeckten‹ Kultur.« (Pfleiderer 1992: 16) Es ist ein Blick, der überlagert ist von der Überbetonung des Gegensatzes zwischen Tradition und Moderne. »Die Moderne, wie sie im Westen inkarniert ist, zugleich von spezifischer Differenz und mit einem Überlegenheitsanspruch daherkommend, bedient sich
vor allem ermöglichen, Kategorien und Fragestellungen der Beobachtungssysteme im Gedächtnis abzuspeichern, die in der Feldforschungssituation abrufbar gemacht werden können. Gleichzeitig werden spezifische Techniken, beispielsweise die verdeckte versus unverdeckte, direkte versus distanzierte, systematische versus unstrukturierte Beobachtung, eingeübt, die sich durch ein unterschiedliches Selbstverständnis des Beobachters/der Beobachterin, seine Bewegung und Sichtbarkeit ›im Feld‹ u.v.m. unterscheiden. Inwieweit die teilnehmende Beobachtung als eine erlernbare Technik betrachtet werden darf und wie viel Intuition und Kompetenz der/die ForscherIn selbst miteinbringen muss, bleibt jedoch schwer zu beantworten.
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anderer Lebensformen als Spiegel und Gegenüber, um sich global zu verorten. Die Anderen dienen als Hintergrund, von dem die Moderne sich abhebt, und sind zu gleicher Zeit Objekt und Opfer ihres Subsumptions- und Appriationsanspruchs.« (Berg/Fuchs 1993: 9)
3
D IE M ITTELBARKEIT
VON
E RKENNTNIS
So ist die Praxis des Sehens selbst ein Medium zur Konstruktion des Fremden, denn Bilder ›zeigen‹ nie nur etwas, sie können auch etwas ›sagen‹.15 Auch die technischen Apparaturen des Sehens wie Photoapparat und Kamera sind in die Praxis des Sehens verwickelt, gerade weil ihre Geschichte von der Wahrnehmung des/der Photographierenden/Filmenden durchdrungen, von dessen Blickpunkt gekennzeichnet, von dessen subjektiven Einstellungen wie kulturellen Hintergrundannahmen durchtränkt ist (vgl. Kiener 1999: 164). Diese Prädisposition des Sehens entfaltet sich in Motivsuche und Blickwinkel, in Konstruktion und Einbindung technischer Apparaturen als auch ihrer Produkte, kurz: in der gesamten Anatomie des Schauens ihre Wirkung, so dass die Bilder des Fremden, die auf der Linse des menschlichen und technischen Auges entstehen, immer auch das Bild der Kultur des Betrachters/der Betrachterin mittransportieren. »Bildliche Darstellungen in der Ethnographie enthalten stets, ob gewollt oder nicht, ob offenkundig oder versteckt, massiv oder geringfügig eine doppelte Mitteilung: eine über den Gegenstand, egal ob dieser korrekt oder weniger korrekt abgebildet sein mag; und eine zweite über den Schöpfer der Abbildung, seine individuellen oder kollektiven Vorstellungen und Phantasien, seine Fertigkeiten und den Stil der Zeit, in der er sich bildnerisch ausdrückt.« (Oppitz 1989: 24)
Legt man die kulturelle Anatomie des Blicks offen, müssen sich EthnologInnen ihrer Rolle als BildermacherInnen bewusst werden, die sich nicht nur beim Arbeiten mit der Kamera durch die Wahl der Kameraeinstellungen, in der Motivsuche und -selektion, sondern in nicht
15 Einen umfassenden Überblick zur Entstehung und Genese des ethnologischen Films, seinen Urhebern und modernen Nachfolgern liefert Jordan (1992) in seinem Abriss zur »Geschichte des Blicks«.
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weniger starkem Maße in der ›bloßen‹ Beobachtung entfaltet und im Sinne ›unsichtbarer‹ subjektiver Sehgewohnheiten und Rezeptionsweisen an den Konstruktionen und Wirkungsweisen des Fremden beteiligt ist. »Denn für den Beobachter erschwert die ›Normalität‹ sozialer Praktiken ein Erkennen-Können der Vorannahmen, die sowohl den Praktiken als auch der Beobachtung zugrunde liegen« (Kalthoff 1997: 263), weshalb die Fremdheit der Fremden ein vom Beobachtungskontext abhängiges Konstrukt bleibt. Insgesamt stellt sich die Methode der Beobachtung als eine Praxis dar, die mit Praktiken des Selektierens, Abstrahierens und Transformierens verschränkt ist, damit aber immer nur eine partielle Sicht auf die Welt generiert. Die durch Teilnahme gewonnenen Bilder des Fremden können daher nicht als ›Abbilder‹ im Sinne für sich selbst stehender objektiver Darstellungen des Fremden betrachtet werden. Als ›Trophäen‹, ›Belege‹ oder ›Beweismittel‹ stellen sie stattdessen aus der visuellen Praxis geronnene ›Feststellungen‹ des Fremden dar, die deutlich machen, wie ›nah‹ der/die ForscherIn den Beforschten gekommen ist. Denn neben einem möglichen Bild des Fremden enthalten sie immer auch Kristallisationspunkte der eigenen Kultur, die sich in den Blickroutinen, Darstellungskonventionen und Bildtraditionen, Perspektiven und der Motivauswahl widerspiegeln. Der Blick auf die praktischen Konstruktionen des Fremden in der Ethnologie macht deutlich, dass eine noch so wissenschaftlich formalisierte und sensibilisierte Methodologie die praktische Verwickeltheit von Eigenem und Fremden nicht auseinanderzudividieren vermag. Insbesondere der Diskurs um die Bilder und bildgebenden Verfahren des Fremden verdeutlicht das Problem, dass die bildliche Hervorbringung den Regeln einer visuellen Grammatik unterworfen ist, die die fremde Kultur nach eigenen Maßstäben beurteilen und bewerten lässt. Insofern sind es im Wesentlichen konstitutive Probleme des Beobachtens, der visuellen Organisation und Präsentation von Wirklichkeit, die als Praktiken der ›VerAnderung‹ und Weisen der Wirklichkeitsproduktion den ethnologischen Konstruktionen des Fremden innewohnen. Auch wenn es nahezu unmöglich erscheint, die Konstruktion des ›Anderen‹, oder allgemeiner, die Konstruktion von ›Alterität‹ in der interkulturellen Begegnung zu unterlassen16, gilt es, diese Konstruktionen
16 Es ist eben nicht die Zugehörigkeit der EthnologInnen, die in Frage gestellt wird, sondern man unterstellt den Vertrautheiten der von ihnen Aufgesuch-
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des Fremden nicht als Ausfluss eines wissenschaftlichen Wissens zu betrachten, das von der ›sozialen Realität‹ und vom Alltag der WissenschaftlerInnen strikt getrennt ist.17 Natürlich bedeutet Wissenschaft nach wie vor eine besondere nicht-alltägliche, theoretische Einstellung, die systematischer als der Alltagsverstand nach expliziten Kriterien des Erkenntniswertes die Gegenstände auswählt und klassifiziert. Das heißt aber nicht, dass der praktische Vollzug von Wissenschaft als Praxis, als Betrieb nicht ein alltägliches Unternehmen wäre, indem Erkenntnisse, Denkmodelle und Paradigmen interaktiv – und das heißt auch körperlich – »gebastelt« werden und die auch praktisch »wirken« (vgl. Hitzler/Honer 1989: 30f.). Auch das Wissen der wissenschaftlichen Praxis besitzt eine pragmatische Struktur, die von und durch Körper getragen wird – sei es, indem wissenschaftliche Verfahren und ihre Vertrauenswürdigkeit an der körperlichen Erfahrung festgemacht wird, wie es insbesondere in der teilnehmenden Beobachtung durch die Handhabung von bilderzeugenden Apparaturen oder der Vorstellung deutlich wird, das interessierende Phänomene face to face, vor Ort in Augenschein nehmen zu wollen. Sei es aber auch nur, dass disziplinäre Wissensformen körperlich bestimmte Habitusformen mithervorbringen und voraussetzen, etwa im Sinne disziplin-spezifischer Einschleifungen von Körperhal-
ten eine gewisse ›Kuriosität‹ – zumindest müssen sie insoweit fremder und aufregender als die vertrauten Dinge des Lebens sein, dass sich der Aufwand einer ethnologischen Untersuchung lohnt; schließlich erhebt die Ethnologie den Anspruch, kulturelle Unterschiede und Fremdes zu erforschen und deutlich machen zu können, worin diese Unterschiede im Vergleich zur eigenen Kultur bestehen. 17 Die Sensibilisierung für diese ›VerAnderungspraktiken‹ kritisiert die oftmals zu statischen Konstrukte des Fremden, die unter Nützlichkeitserwägungen, Herrschaftsansprüchen oder einfach nur aus wissenschaftlichem Ehrgeiz zu einem oberflächlichen, mechanischen, ja künstlichen Unternehmen geraten, maßgeschneidert für die Zwecke der Lehre, geeignet für einen schnell hingeschriebenen Abschlussbericht oder für aufregende Untersuchungsergebnisse (vgl. Shamsul 1992: 393). So kann auch der vorliegende Artikel allenfalls eine beobachterrelative Konstruktion des ethnologischen Fremden in den Blick rücken, die im Zusammenhang einer kritischen Analyse der Praktik des Beobachtens in der interkulturellen Forschung Sinn macht.
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tungen, Sichtweisen, Hantierweisen, spezielle Geschicklichkeiten ebenso wie spezifische Ertragungsweisen (vgl. hierzu auch Knorr Cetina 1988: 97). So wird der Körper mehr als nur einmal in die Fabrikation von Erkenntnis hineingezogen – als Messinstrument, als stummer Zeuge, als Archiv und Depot von Erfahrung (vgl. ebd.). Auch wenn die Wissenschaftssoziologie vor allem die Körperlichkeit von Wissen(schaft) anhand der naturwissenschaftlichen Laborforschung veranschaulicht (vgl. Knorr Cetina 1984), ist die Körperlichkeit (neben Mündlichkeit und Schriftlichkeit) doch ein zentraler Aspekt allen Forschungshandelns (vgl. ebd. 1988: 99). Dies gilt für die teilnehmende Beobachtung der klassischen ethnologischen Feldforschung im besonderen Maße, da sie eine Theorie des ›Selbst-Sehen‹ und des ›Selbstmachen-Müssens‹ impliziert, in dem die Sinneseindrücke und Empfindungen des Forschers/der Forscherin nach wie vor eine gewisse Priorität genießen, die jedoch in den offiziellen Ethnographien keine beziehungsweise kaum Erwähnung finden. Allenfalls werden in sparsamen Fußnoten oder begleitenden Forschungstagebüchern die in physischer Hinsicht strapaziösen Formen der Selbsterfahrung (Krankheiten, Unpässlichkeiten, klimatische Anpassungsschwierigkeiten, erotische Sehnsüchte usw.) erwähnt, nicht aber deren Einfluss auf die wissenschaftliche Arbeit – den Ablauf, die Fragestellungen, Ergebnisse und Analysen der Arbeit, geschweige denn ihre Funktion für das Funktionieren der Unterscheidung von ›echter‹ und ›künstlicher‹ Feldforschung (vgl. hierzu auch Schlehe 1996). So wie für die ›echte‹ Feldforschung die körperliche Entbehrung des Feldforschers/der Feldforscherin gewissermaßen konstitutiv ist, so ›künstlich‹ erscheinen dann doch die Repräsentationen ›der Anderen‹. Schließlich ist ihre Wahrnehmung, Erfassung und Darstellung immer schon das Ergebnis eines Zusammenspiels körperlicher Fremderfahrungen, kognitiver Prozesse und der (nicht selten auch instrumentellen) Erzeugung von Sichtbarkeit, die nicht nur den Erfahrungszusammenhang, sondern auch die strategischen Spielräume ethnologischer Feldforschung beleuchtet, in denen das, was das geistige Auge sieht, transformiert wird in das, was sich den leiblichen Augen darbieten kann (vgl. hierzu auch Kalthoff 2006: 169). So fungieren Beschreibungen, Bilder, Übersetzungen oder Reiseeindrücke gerade nicht als Daten oder Items, die kombiniert oder zusammengenommen ein Abbild der betreffenden Kultur ergeben würden. Es sind Bilder im Sinne von Schau- und Sinnbildern, die eine evozierende Funktion für EthnologInnen und ihre Theorie selbst erfül-
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len: »Sie organisieren deren Wahrnehmungs- und Bedeutungsstrukturen, ihre Emotionen und Einstellungen, sie geben gleichsam deren ›Erfahrung eine Farbe‹.« (Wolff 1992: 347) Auch wenn es unmöglich ist, die Praktiken der ›VerAnderung‹ zu vermeiden, muss der Diskurs über das Fremde durch eine permanente Reflexion über die materielle Realisierung der ethnographischen Forschungspraxis als strategisches Instrument zur Konstruktion von Fremdheit ergänzt werden – gerade in der Feldforschung, in der die Beobachtung von Differenz quasi auf der Tagesordnung steht. Es wäre jedoch zu kurz geschlossen, diese Problematik lediglich als Spezialproblem einer spezifischen Disziplin – der Ethnologie beziehungsweise einer spezifischen frühen Phase der Ethnologie – zu betrachten, da sich die ethnographische Forschung und insbesondere auch ihre privilegierte Methode der teilnehmenden Beobachtung zu einem methodischen Dispositiv gerade auch für soziologische Beschreibungen fremder wie eigener Lebensformen gewandelt hat (vgl. Kalthoff 2003: 70f.). So bleibt am Ende das Plädoyer für eine Beobachtung zweiter Ordnung – der kognitiven Reflexion – der Beobachtung erster Ordnung – der Materialität von Forschungspraxis –, da, wie Kalthoff (ebd.) resümiert, die ethnographische Darstellung einer sozialen Praxis von den Praktiken ethnographischen Darstellens, die das erforschte Feld in einer spezifischen Weise erst zur Existenz bringen, nicht zu trennen ist.
Verkörperte Fremdheit Zur Darstellung von Indifferenz im modernen Alltag
Die Verschiebung von räumlichen Parametern im Zuge globaler Vernetzungs-, Handels- oder Migrationspraktiken bringt neue Verhältnisse des Nahen und des Fernen hervor. Während das ehemals Ferne durch Bildschirme, Verkehrsanbindungen oder Menschen in die Nähe rückt, ist die soziale Nahwelt häufig nichts anderes als eine Vertrautheit unter Fremden. Ja, es scheint zum Signum unserer Zeit zu gehören, dass für Fremdheitserfahrungen jeglicher Art staatliche Grenzübertritte immer weniger nötig sind, da wir mit Nachrichten, Informationen und Bildern aus fremden Welten täglich überschüttet werden (vgl. Schroer 1997: 16).1 Trotz der gegenwärtigen Durchdringung von nationaler und MigrantInnenkultur, Sub- und Superkultur ist die Figur des Fremden keine neue Erscheinung, wie die Diskurse einer ›globalisierten‹ oder ›zweiten‹ Moderne nahelegen. Sie gewinnt allenfalls durch die Verschränkung von Einwanderungs- mit Kriminalitäts- und Arbeitsmarktdiskursen an neuer Brisanz. Bereits die frühe moderne Gesellschaft ist in ihrem Kern darauf angelegt, dass die Identität des Ortes, seine Gestaltung und Organisation mit der Identität der Menschen, die sich vor Ort befinden, auseinanderfällt. Sie verlagert die Frage der Mitgliedschaft auf eine politisch-rechtliche Codierung gesellschaftlicher Integration: die der Staatsbürgerschaft, die zunächst einmal formale Gleichheit und klassentranszendierende Aspiration durch nationalstaatliche Integra-
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Das Kapitel ist die überarbeitete Form einer früheren Publikation: Reuter, Julia (2002b): »Wenn Fremde Fremden begegnen. Zur Darstellung von Indifferenz im modernen Alltag«, in: Soziale Probleme 13, S. 109-128.
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tionsversuche garantiert (vgl. Nassehi/Schroer 1999: 110).2 Insbesondere die moderne (westliche) Großstadt baut ihr Gemeinwesen weder auf direkte Reziprozität noch auf Gemeinsinn, geschweige denn auf verwandtschaftlichen Banden auf (vgl. Nassehi 1999a: 235ff.). Und dennoch gibt es neben permanenter Zu- und Abwanderung in städtischen Ballungsgebieten auch Autochthone, die, obwohl sie sich untereinander häufig nicht als Vertraute behandeln, gleichfalls nicht als Fremde im öffentlichen oder wissenschaftlichen Diskurs auftauchen. Das liegt vor allem daran, dass die moderne Gesellschaft den Fremden als Eindringling in eine stabile Struktur konzipiert, der durch seine Unvertrautheit oder Nicht-Zugehörigkeit krisenhafte Begegnungen provoziert.3 Mit dieser Einengung des Fremdheitsdiskurses auf den außeralltäglichen Randseiter konnte auch die Soziologie ein oft-
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Trotz konzeptioneller Spannungen der Staatsbürgerschaft zwischen Universalität der Menschenrechte und Partikularität seiner jeweiligen Geltung in einzelstaatlichen Kontexten (vgl. Nassehi/Schroer 1999: 99), scheint sich die Tendenz zur Entkopplung von politischen und rechtlichen Inklusionsformen im Gefolge funktionaler Differenzierung ablesen zu lassen. Denn sowie die Staatsbürgerschaft beispielsweise eine rechtliche Inklusion und ökonomische Verkehrstüchtigkeit von Immigranten gewährleistet, ist sie keinesfalls Garant für eine soziale Inklusion im Alltag.
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Die Konstruktion des Fremden in der klassischen Soziologie wird in der Regel auf die recht knappen Exkurse von Simmel (1958), Park (1937) und Schütz (1972) zurückgeführt, die die Fremdheitsforschung als Differenzforschung anlegen. Ihre Konzeption des Fremden als marginaler Randseiter legt neben einer asymmetrischen Einheimischen-Fremden-Beziehung auch eine Gesellschaftstheorie zugrunde, die Gesellschaft »als normativ integrierten Verband mit stabilen Mustern und reziproken sozialen Verhältnissen versteht.« (Nassehi 1995: 446) Natürlich mag die Erfahrung stabiler In-Groups, die für die einzelnen Fremden schwer zu betreten waren, für viele der typisierten Fremden (Juden, ImmigrantInnen usw.) bestimmend gewesen sein; diese Konstellation ist jedoch von begrenzter Reichweite nicht nur, weil sich Gesellschaft eher durch Konflikte als durch Konsens, eher durch Differenzierung als durch Vereinheitlichung auszeichnet (vgl. Bielefeld 2001: 20). Gerade weil Fremdheit ein beobachterrelationales Konstrukt darstellt, erscheint es schwierig, einen signifikanten Begriff von Fremdheit zu entwickeln. Vgl. zu einer ausführlichen Analyse und Kritik der klassischen Soziologie des Fremden auch Reuter (2002a: 77-137).
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mals nur sehr problematisches Verhältnis zum Fremden aufbauen, das in der Gewalt- und Konfliktforschung oder auch in Analysen zu abweichendem Verhalten seinen Ausdruck fand und den vertrauten Fremden im Alltag übersah. Eine kategoriale Gegenüberstellung von vollintegrierter autochthoner Gruppe mit festen Normen und Werten und (noch) nicht integriertem Fremden ist für eine allgemeine Theorie des Fremdseins jedoch zu eng gedacht, denn als Beziehungsprädikat ist die Bedeutung von Fremdheit nicht von vornherein ganz und gar festgelegt, sondern entsteht erst in der Interaktion. So bilden weniger ›tatsächliche‹ Differenzen als vielmehr das aneinander orientierte Handeln im Sinne der Umgangspraxis die Grundlage für die Konstitution von Fremdheit. Es muss also nicht zwangsläufig immer der/die besonders sichtbare Andere (AusländerIn, MigrantIn, AußenseiterIn), der/die heute kommt und morgen bleibt, als Fremde/r konstruiert werden. Es gibt auch Fremde, die immer schon da sind (vgl. Nassehi 1999a: 235) und als vertraute Fremde nicht als soziales Problem des Verstehens oder Kategorisierens sichtbar werden.
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D IE G ENERALISIERUNG VON F REMDHEIT IN DER M ODERNE
Die Großstadt gilt seit jeher als Ort, an dem der Fremde ›zu Hause‹ ist – nicht nur, weil viele der zumeist amerikanischen Metropolen erst durch Fremde in Gestalt von MigrantInnen entstanden sind. Als Geburtsort der modernen differenzierten Gesellschaft verkörpert die Stadt wie kein anderer Ort den Gedanken einer Überwindung von Natur und Tradition durch die Ansammlung unterschiedlicher Identitäten im urbanen Raum (vgl. hierzu auch Müller 1988). So ist es geradezu symptomatisch, dass die frühe Stadtsoziologie immer auch eine Soziologie des Fremden ist. Denn Städte sind, wie Zygmunt Bauman es einmal formulierte, maßgeschneiderte Bühnen für das permanente Zusammentreffen fremder Menschen, für das Spiel der Flaneure (vgl. Löw/Stoetzer 2007: 47; Bauman 1995: 259). Für Simmel ist dies eine wesentliche Folge der Ausdifferenzierung der Gesellschaft und des Einzugs des Geldes als generalisiertes Kommunikationsmedium. Die Großstadt als Sitz der Geldwirtschaft konzipiert das Individuum als beweglichen Händler, der einerseits aus Gründen der »Selbsterhal-
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tung« (Simmel 1996: 595), andererseits zur Gewährleistung eines reibungslosen Wirtschaftsverkehrs eine ›Allianz auf Distanz‹ eingeht. Der Begriff der Urbanität bedeutet dabei mehr als die städtebauliche Differenz zwischen den Wohnstandorten Stadt und Land. Ihr liegt auch eine normative Vorstellung von der Qualität städtischen Lebens zugrunde, denn die Konstitution urbaner Räume ist geradewegs die Voraussetzung für die Heraufkunft einer liberalen, individualisierten und kulturell pluralistischen Gesellschaft (vgl. Nassehi 1999a: 239). Die Großstadt ist daher nicht nur eine Zusammenballung vieler Menschen auf engstem Raum. Ihre physisch reale Struktur, ihre Größe, Dichte und Heterogenität ist geradezu die Matrix solcher Sozialformen, die nicht mehr auf die Ähnlichkeit der Menschen untereinander abstellen, sondern die Einmaligkeit und Kontingenz als Eigenwert anerkennen. Städte etablieren eine Kultur der Vergegnungen. Als gesellschaftlicher Verdichtungsort, in dem sowohl die räumliche Nähe als auch funktionale Abhängigkeit untereinander extrem gesteigert werden (Nassehi 1999a: 235f.), gelangt die auf direkte persönliche Reziprozität aufbauende Gemeinschaft im urbanen Nebeneinander an ihre Grenzen. Denn die moderne städtische Lebensform nimmt den Anderen im Rahmen einer losen Soziabilität wahr, nicht nur weil der Ballungsraum Stadt durch die arbeitsteilige Differenz und kulturelle Diversität die Verschiedenheit ihrer Bewohner geradezu erzwingt. Die quantitative Dichte der Stadtbevölkerung macht es schon aus Gründen der kognitiven Entlastung notwendig, Mitmenschen nicht mehr als Nachbarn oder Vertraute zu domestizieren, sondern als sonstige Andere in die Sphäre der Nichtaufmerksamkeit abzuschieben.4 Im Gegensatz zum starren Koordinatensystem traditioneller Solidargemeinschaften, die Identität an angeborene Loyalitäten und einem lebenslangen »Eingewachsensein in einen Kreis« (Simmel 1992: 467)
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Berger und Luckmann (1998) unterscheiden zwischen signifikanten und sonstigen Anderen, die sich größtenteils als zufällige Alltagskontakte oder Gelegenheitsbekanntschaften identifizieren lassen. Obwohl die signifikannten Anderen als intime Bezugspersonen für soziale Konstruktion der Wirklichkeit eine bedeutsame Rolle einnehmen, werden auch den weniger signifikanten Anderen wirklichkeitssichernde Funktionen zugesprochen. Als »Chor« im Hintergrund garantieren sie das Intaktsein der Alltagswirklichkeit, was umso bedeutsamer erscheint, je mobiler und differenzierter Gesellschaften sind (vgl. Berger/Luckmann 1998: 160ff.)
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koppelt, ist die physische wie soziale Beweglichkeit des Stadtlebens Voraussetzung dafür, dass nicht nur individualisierte Lebensformen und relativ freie persönliche Orientierungen ästhetischer, ethischer und religiöser Art überhaupt möglich sind (vgl. Nassehi 1999a: 237). In der Großstadt als »Gebilde von höchster Unpersönlichkeit« (Simmel 1995: 132) existiert eine hohe Konzentration von Mensch, Ware und Verkehr. Die damit einhergehende Vervielfachung sozialer Kreise verlangt auch neue Wahrnehmungs- und Umgangsformen. Denn die Kommunikation im öffentlichen Raum ist durch ihre fehlende Eingrenzbarkeit und Verbindlichkeit nicht darauf angelegt, emotionale Bindungen aufrecht zu erhalten. Sie dient eher der subjektiven Wirklichkeitsversicherung.5 Der durch die Erosion stabiler Gemeinschaften ausgelöste Evidenzverlust, der Distanz und persönliche Neutralität an die Stelle gewachsener und ›dichter‹ Sozialkontakte setzt, bringt neben ungeahnten Freisetzungsprozessen auch neue Spannungen hervor. Mit der Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme und mit der dadurch verbundenen Entkopplung von Handlungsbereichen in der modernen Gesellschaft geht ein entscheidender Grundzug der Moderne einher, nämlich die Dezentralisierung und strukturelle Desintegration der modernen Welt (vgl. Nassehi 1995: 451f.) Es ist jenes Gefühl von aufregendem Abenteuer und lähmender Verwirrung, das der Balance von ausdifferenzierter und pluralisierter Lebenswelt einerseits und einer erodierenden Beliebigkeit von Beziehungen andererseits entspringt. Denn die
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Die meisten Anderen, denen der Einzelne im Alltagsleben begegnet, tragen dazu bei, den Gewissheitsstatus der subjektiven Wirklichkeit zu stabilisieren und sie damit als objektive Tatsache erfahren zu lassen, die selbst in nicht-signifikanten Situationen zum Tragen kommt. Im Sinne einer »stillen Bruderschaft« werden die Mitmenschen zu »Versicherungsagenten« der eigenen Identität und Wirklichkeit, wie beispielsweise im Falle einer allmorgendlichen Zugfahrt zur Arbeit: »Man braucht keinen Menschen zu kennen und mit keinem zu reden. Dennoch sichert die Masse der Mitfahrer die Grundstruktur der Alltagswelt. Mit ihrem Allerweltsbenehmen holen sie den Einzelnen aus der vernebelten Wirklichkeit ihres Morgenkaters heraus und demonstrieren […] unmissverständlich, dass die Welt aus ernsten Männern, die zur Arbeit fahren, besteht, aus Pflichtbewusstsein und Terminkalendern, aus der New-Haven-Bahn und der New-York-Times.« (Berger/Luckmann 1998: 160)
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frühere Unzweideutigkeit und Sicherheit weicht zunächst einer Schwankung der Lebenstendenzen (vgl. Simmel 1992: 467). Das Lebensgefühl der Moderne, das der Erfahrungsraum Großstadt am eindringlichsten vermittelt, ist ambivalent. Einerseits wird Fremdheit als Eigenwert erkannt, indem sie eine notwendige Bedingung für politische oder ökonomische Transaktionen im öffentlich differenzierten Raum darstellt, in denen es darauf ankommt, die KommunikationsteilnehmerInnen nicht als Individuen, sondern als FunktionsträgerInnen wahrzunehmen. Andererseits unterstützt die strukturelle Fremdheit die fortschreitende Vereinzelung der Menschen, denn was dem urbanen Leben tendenziell abgeht, ist Vertrautheit, Bindung und Dauerhaftigkeit (vgl. Nassehi 1999a: 237). Die Generalisierung von Fremdheit in der modernen Gesellschaft (vgl. Hahn 1994: 162) bezieht sich dabei auf die Tatsache, dass Personen in der Moderne nicht als ganze Personen, sondern in erster Linie als FunktionsträgerInnen in verschiedene arbeitsteilige Systeme inkludiert sind, mit der Folge der Pluralisierung, aber auch Desintegration von Lebensformen (vgl. Nassehi 1995: 454). Die Dominanz von Leistungs- und Vergesellschaftungsformen, die gerade nicht eine persönliche Bindung, Freundschaft oder moralische Übereinstimmung voraussetzen, sondern auf bürokratischen Strukturen einer funktionalistisch differenzierten Gesellschaft aufbauen, machen deutlich, dass Fremdheit in der Moderne »kein sozialer Status (Einzelner) mehr ist, sondern allgemeines Los« (Hahn 1994: 162), das lediglich an eine abstrakte Nationalgesellschaft rückgekoppelt bleibt.
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Z UR K ONSTRUKTION DES F REMDEN IM T AUSCH
NEUTRALEN
Die Verschiebung von traditioneller Sozialintegration zu moderner Systemintegration mit ihrer ausdifferenzierten Partizipation an verschiedenen Kreisen und Rollen ist die Antriebskraft für die Konstruktion eines modernen bürgerlichen Individuums, das nicht mehr als Mitglied eines Sozialkollektivs, sondern größtenteils als Marktteilnehmer mit dem öffentlichen Raum in Berührung kommt. Die händlerische Lebensform stellt den objektiven Niederschlag der Moderne schlechthin dar, gerade weil der Händler in seiner sozialen Beweglichkeit keine Sozialintegration verlangt und damit für Simmel immer
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schon der prototypische Fremde ist (vgl. Simmel 1958).6 Die sachlichen Tauschbeziehungen, die auf der Basis einer »organischen Solidarität« relativ autonome Funktionseinheiten miteinander verbindet, sind dabei Folge und Antrieb einer segmentären Differenzierung. Die Sozialfigur des Händlers agiert nicht mehr aus dem Gefühl »mechanischer« Verbundenheit oder Verpflichtung.7 Der Tausch gründet vielmehr in der Vorstellung eines machtgleichen Besitzverhältnisses, indem der Nehmende zugleich Gebender ist. Als Modellfall funktional spezialisierter Kommunikation ist der Tausch darauf angelegt, subjektiv besetzte Lebensinhalte durch die geteilte Überlegung der Quantität des Geldes in eine transindividuelle Gestaltung zu überführen (vgl. Simmel 1996: 386). Deshalb ist es gewissermaßen eine Leistung der Moderne, die Figur des neutralen Fremden so zu konstruieren, dass zunächst einmal ethnische oder kulturelle Merkmale in der konkreten Interaktion unsichtbar werden. Zwar verschwindet der ›empirische‹ Fremde schon aufgrund der differenzierungsbedingten Multiplizierung der Innen-
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Im Gegensatz zum sogenannten »Urproduzent«, ist der Händler nicht an den Ort der Erzeugung von Produkten gebunden. Er kümmert sich wesentlicher um reine (räumlich abstrakte) Geldgeschäfte. Darüber hinaus findet seine Tätigkeit des Warenverkaufs selten in einem geschlossenen Wirtschaftskreis statt. Simmel portraitiert den fremden Händler als beweglichen Kaufmann, der in »einen Kreis eindringt, in dem eigentlich die wirtschaftlichen Positionen schon besetzt sind« (ebd. 1958: 510), hier für einen bestimmten Zeitraum den Warentausch zwischen den in sich abgeschlossenen, autarken Ökonomien organisiert, Kontakte aufnimmt und wieder abbricht, um weiter zu reisen.
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Die Unterscheidung zwischen den sozialen Prinzipien von mechanischer und organischer Solidarität geht auf Émile Durkheim (1977) zurück, der die unterschiedlichen Solidaritätsformen auf unterschiedliche Differenzierungsgrade von Gesellschaften zurückführt. Während in vormodernen Gesellschaften die zwischenmenschliche Verbundenheit durch den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Individuum und Gemeinschaft direkt gegeben ist, bringt die zunehmende Arbeitsteilung in modernen Gesellschaften neben einer neu erwachten Konkurrenz um Lebenschancen und wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen sowohl ein Gefühl für Individualität als auch strukturell bedingte Formen des Aufeinanderangewiesenseins mit sich, so dass Durkheim von organischer Solidarität spricht.
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Außen-Verhältnisse nicht. Die Umstellung auf funktionale Differenzierung hat aber zur Folge, dass eine strukturgefährdende Potenz seiner individuellen Fremdheit dadurch gemildert wird, dass jeder im System eindeutige Positionen bekleidet, die nicht zur Disposition stehen und eine formale Gleichheit auf einem freien Markt des Wettbewerbs um knappe Ressourcen und Lebenschancen gewährleisten (vgl. Nassehi 1995: 456).8 Versachlichung und vermeintliche Entkörperli-
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Diese im Tausch praktizierte formale Gleichheit stellt zweifellos ein zentrales Element eines sich in der Moderne etablierenden Verständnisses sozialer Staatsbürgerschaft dar, die Gleichheit rechtlich kodifiziert und die Freiheit des Einzelnen als Mitgliedschaftsgenerator zur allgemeinen Freiheit des Staates aufhebt. Die Enttraditionalisierung der gesellschaftlichen Struktur sowie der liberale Markt, in dem der Geldcode kulturelle und ständische Fesseln sprengt und alle potenziellen Zahler zu ungleichen Gleichen macht, bedürfen einer rechtlichen und politischen Kodifizierung von Gleichheit (vgl. Nassehi/Schroer 1999: 98). Das Konzept der Staatsbürgerschaft moderner Staaten, das im Gefolge der bürgerlichen Revolutionen, vor allem der französischen Revolution, entstand, unterlag aber stets einer unauflöslichen Spannung, denn es musste die Universalität der Menschenrechte als politischen und rechtlichen Gleichheitsindex mit seiner jeweiligen Geltung in einzelstaatlichen Kontexten versöhnen (vgl. Nassehi/Schroer 1999: 99). Dies bedeutet einerseits, dass die Staatsbürgerschaft und Nationalität nicht nur die grundlegenden Instrumente repräsentieren, die neben den ›Gleichen‹ auch die ›Anderen‹ festlegen. Andererseits macht der partikularistische Zuschnitt des Konzeptes deutlich, dass in der gesellschaftlichen Praxis teilweise erhebliche Unterschiede im Umgang mit diesen ›Gleichen‹ und ›Anderen‹ bestehen. Während das französische Staatsbürgerschaftsmodellmodell auf der Idee der politischen Nation beruht und durch die Definition der nationalen Zugehörigkeit als voluntaristischen Akt der einzelnen »citoyens« eine schwache Sensibilität gegenüber ethno-kulturellen Differenzen besitzt, liegt der deutschen Version ein Diskurs der Abstammung und gemeinsamen Herkunft zugrunde, das im Prinzip des »jus sanguinis« die Nation als Kultur-Nation verfasst. Während also den in Frankreich lebenden »Fremden« theoretisch die Chance der Assimilation offen gelassen wird, bleiben sie angesichts der deutschen Kultur-Nation »Fremde«, weil sie aufgrund »objektiver« Kriterien wie Abstammung und Herkunft zu einem anderen »Volk« gehören (vgl. Giordano 2000: 385ff.). Vgl. hierzu auch Schiffauers (1993) Analyse
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chung der Kommunikation sind dabei durch die gewerblich-händlerische Struktur und ihren geldwirtschaftlichen Verkehr wesentlich mitgeprägt, denn das Geld lässt das Verhalten ausschließlich durch die geteilte Überlegung der Quantität bestimmen, statt durch einzigartige, subjektgebundene qualitative Werte (vgl. Bauman 1995: 228f.). Entgegen kapitalistischer Vereinseitigungen, in denen die moderne Geldwirtschaft als mächtige Wirtschaftsordnung alle Bereiche des Lebens zu rationalisieren droht, reformuliert Simmel das Medium Geld kommunikationstheoretisch. Im Sinne eines generalisierten Interaktionsmediums ist es damit »Ausdruck und Mittel des Aufeinanderangewiesenseins der Menschen, ihrer Relativität, die die Befriedigung der Wünsche des einen immer von anderen wechselseitig abhängen hat« (Simmel 1996: 179). Inhaltlich bleibt das Geld jedoch als Medium unterdeterminiert, da sein Wert nicht von vornherein festliegt, sondern in den sozialen Handlungskontexten seine Bedeutung erhält. »Den Wert, den das Geld als solches besitzt, hat es als Tauschmittel erworben; wo es also nichts zu tauschen gibt, hat es keinen Wert.« (ebd.) Durch die Auflösung der Verbindlichkeit von Gabe und Geschenk entlastet das Medium Geld in seiner wohltuenden Neutralität und Rationalität von traditionellen Menschlichkeiten wie Hass, Gewalt und Ressentiment, weshalb man es auch als reines Medium dessen betrachten kann, was man Entfremdung nennt (vgl. Bolz 1993: 100).9 »Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem Rate, den ich einmal geben hörte: man
der Verhältnisse von Gleichheit und Fremdheit in unterschiedlichen politischen Kulturen. 9
Die Vergesellschaftungsformen von Gabe und Tausch unterscheiden sich in ihren Handlungs- und Bewertungsmustern. Während in der Gabe persönliche Motive vorherrschen und die Beziehung zwischen den Interagierenden diffus und affektiv aufgeladen sind, basiert der Tausch auf einer Machtgleichheit der TauschpartnerInnen, die sich auf universalistische Prinzipien berufen und durch diese überindividuellen vertrauensbildenden Maßnahmen (Zinssatz, gesetzliche Bestimmungen, Vertrag usw.) die Beziehung zum/zur TauschpartnerIn affektiv neutral halten. So wird der Gegenüber als RollenträgerIn (KundIn, VerkäuferIn, AnbieterIn usw.) und gerade nicht in seiner persönlichen Ganzheit wahrgenommen. Vgl. hierzu auch Bauman 2000: 126ff.
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solle mit zwei Menschen niemals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde. [...] Der indizierte Partner für das Geldgeschäft – in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört – ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.« (Simmel 1996: 227f.)
Interaktionstheoretisch eröffnet das soziale Spiel des Tausches und sein generalisiertes Medium Geld eine neue Form der Beziehung, denn das Individuum unterwirft sich nicht mehr einem sozialen Code des ›Gleich und Gleich gesellt sich gern‹, sondern einem funktionalistischen Spiel der Knappheit, dessen binärer Code ›Bezahlen‹ oder ›Nicht-Bezahlen‹ lautet. Dabei scheint es zu kurz gedacht, die unpersönlichen Transaktionen als Signum einer abgestumpften oder herzlosen Welt zu deuten.10 Denn die Anstrengung, die nötig ist, um eine hohe Gefühlsintensität über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten und die Frustrationen zu ertragen, die aus den häufigen Zusammenstößen zwischen affektiven Neigungen und den Erwägungen der Effektivität hervorgehen, schafft mehr Probleme als die auf unpersönlichen Beziehungen beruhende Alternative (vgl. Bauman 2000: 136f.). Wenngleich der geldwirtschaftliche Tausch als Inbegriff des typisch städtischen Umgangs betrachtet werden kann, lassen sich auch solche formale Muster des In-Beziehung-Tretens im öffentlichen Raum denken, in denen die Tauschbeziehung auf andere Güter wie beispielsweise Dienstleistungen oder Informationen abstellt. So kann auch das bloße Verhalten auf der Straße, im Theater oder in der Kneipe als geregeltes Tauschverhältnis gedeutet werden, da die Beteiligten eine Verpflichtung gegenüber einer bestimmten Rolle – die des Fuß-
10 Simmel fasst die Vergesellschaftungsform der Fremdheit, verstanden als Gleichgültigkeit, nicht als Auswuchs einer fortschreitenden Dissoziierung der modernen Gesellschaft. Im Gegenteil, die ›Gemeinschaft von Fremden‹ wird von ihm als Chance einer höheren Zivilisationsstufe gedeutet. »[D]ie Fähigkeit der objektiven Betrachtung, des Absehens vom Ich mit seinen Impulsen und Zuständen zugunsten der reinen Sachlichkeit – dass eben dies dem geschichtlichen Prozess zu einem vielleicht edelsten, veredelsten Ergebnis verhilft, zu dem Aufbau einer Welt, die ohne Streit und gegenseitige Verdrängung aneigenbar ist, zu Werten, deren Erwerb und Genuss seitens des einen den anderen nicht ausschließt, sondern tausendmal den Weg zu dem gleichen öffnet.« (Simmel 1996: 386)
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gängers, Autofahrers, Besuchers/der Fußgängerin, Autofahrerin, Besucherin usw. – wahrnehmen müssen (vgl. Goffman 1994: 124ff.) und dabei wichtige Informationen mit ihrer Umgebung austauschen. Auch wenn sich die Beteiligten in Tauschbeziehungen im Grunde darauf verlassen, dass sie für einander unsichtbar bleiben, ist diese wechselseitige Fremdheit, verstanden als Gleichgültigkeit oder Distanz, keinesfalls eine Form der Beziehungslosigkeit. Ganz im Gegenteil, Simmel spricht von spezifischen modernen Wechselwirkungsformen, die das Verhältnis der Gruppenelemente zueinander als soziale Beziehung ausweisen. Bei dieser Form des In-Beziehung-Tretens ist es offenkundig unerwünscht, seinen Mitmenschen als ›Freund‹ zu begegnen. Ja, es wäre für das Funktionieren der meisten Sozialkontakte geradezu schädlich (vgl. Nassehi 1999a: 236), da die laufende Operation mit traditionellen Unterscheidungen des Freund/Feind auf Dauer zu belastend und überfordernd wäre. Eine funktionsspezifische Kommunikation basiert vielmehr darauf, dass der Andere möglichst fremd bleibt. Würde man die Funktionsrolle permanent auf Religion, Region oder biographisches Identitätsgepäck hin befragen, bestünde die Gefahr, dass die reibungslose Reziprozität durch Unsicherheit und Bedrohung überlastet würden, weil die Ausfüllung von Funktionsrollen von diesen Merkmalen gerade nicht abhängt (vgl. Radtke 1991: 92).
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›D IE K UNST DER V ERGEGNUNG ‹: Z UR D ARSTELLUNG VON F REMDHEIT
Die Verdrängung der moralischen Nähe in der körperlichen Begegnung muss dabei nicht zwangsläufig als ›asozial‹ bewertet werden; ihre moralische Ordnung besteht geradezu in der Abwesenheit eben dieser Ordnung, die eine Hegemonie über die Stadt als ganze ausübt.11
11 Der amerikanische Stadtsoziologe Richard Sennett bezeichnet die großstädtische Kultur in Anlehnung an die Tradition der Chicagoer Schule daher auch als eine »Kultur des Unterschieds«, denn sie lasse Unterschiede nicht nur zu, sondern fördere und begünstige die Indifferenz ihrer Einwohner. Der Stadtbewohner als Fremder, dessen Entwicklung des Selbst auf einer komplexen und fragmentierten Erfahrung der Außenwelt beruht, verliert das Bewusstsein für die »Natalität« und das »biologische Schicksal«. Doch gerade diese Idee der Unpersönlichkeit und Selbstentfremdung, die-
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Stattdessen ist die moderne großstädtische Ordnung dadurch gekennzeichnet, dass sie die ehemals exklusive, traditionelle hierarchische Ordnung in eine neue kapitalistische, durch Massenkonsum geprägte Ordnung überführt, in der Statussymbole zwar überleben, aber keine exklusiven Rechte mehr darstellen. Vielmehr ist es so, dass nun Identität und Status permanent in face to face-Interaktionen konstituiert werden müssen, gerade weil Massenproduktion, -markt und -konsum die exklusiven Kennzeichen sozialer wie personaler Identität unterlaufen (vgl. Turner 1984: 109f.). Soziale Interaktion in der Öffentlichkeit nimmt dann die Form einer Begegnung auf Distanz an. Bei dieser Form der Begegnung ist entscheidend, dass die Beziehungslosigkeit interaktiv aufrechterhalten wird, also Anknüpfungszwänge an frühere Begegnungen unterbunden und das Wiedererkennen von Gesichtern nicht zum Ausdruck gebracht werden; es geht also um die Darstellung von Indifferenz. Goffman hat diesen permanenten Darstellungszwang in seinen Arbeiten zur öffentlichen Ordnung als »höfliche Gleichgültigkeit« eindrucksvoll beschrieben – was für den Einzelnen die Bewahrung von Status und Ansehen bedeutet, die nichtsdestotrotz höchst ritualisiert abläuft. Die Darstellung von Indifferenz in sogenannten »nicht-zentrierten Interaktionen« (Goffman 1971a), also in Interaktionsgefügen, die öffentlichen Charakter besitzen und dadurch gekennzeichnet sind, das die Interaktionsbeteiligten keinen gemeinsamen visuellen oder kognitiven Aufmerksamkeitsfokus besitzen, kann als modernes Ritual der Vergesellschaftung betrachtet werden. Es ist jene »obskure Kunst der Vergegnung« (Bauman 1995: 229), die der Wechselbeziehung zwischen dem verdichteten Raum der Stadt und der geistigen Distanz ihrer Bewohner entspringt. Sie steht unter dem Zeichen der totalen Indifferenz, in der der Andere als gesichtsloser Fremder wahrgenommen wird. Auch wenn es sich scheinbar um unbedeutende, weil wenig auffällige Rituale des »Augen-Niederschlages«, »Vorbei-Gehens« oder »berührungslosen Nebeneinanderstehens« handelt, ist ihre korrekte Handhabung für den reibungslosen sozialen Verkehr von besonderer
ses »Transzendieren der eigenen Identität« deutet Sennett als Chance, andere Menschen auf der Straße mit neuen Augen zu sehen (vgl. Sennett 1991: 179f.). Solange der Andere als Typus, also als RollenträgerIn wahrgenommen wird, ist er in seiner (auch ethnischen) Eigenart für uns unsichtbar.
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Bedeutung. Es ist gewissermaßen ein »delikates Übereinkommen« (Goffman 1971a: 85), ein Ritual, das eher stillschweigend zwischen den Beteiligten geschlossen wird, dessen Zuwiderhandeln jedoch als »Fehlverhalten« oder »schlechtes Benehmen« sanktioniert wird.12 Die Praxis der Fremdheit lässt sich als eine stillschweigende Übereinkunft sozialer Akteure in zentrierten Interaktionsgefügen verstehen, bei der es darauf ankommt, seinen Gegenüber mit einem »entleerten« Blick anzuschauen, mit dem man kund tut, »[...] man habe keinen Grund, den Absichten der anderen Anwesenden zu misstrauen, und auch keinen Grund, die anderen zu fürchten, ihnen feindlich gesonnen zu sein oder sie meiden zu wollen« (Goffman 1971a: 85). Es ist ein Blick, der in der »Zwischenheit« von Schauen und Erkennen gefangen bleibt, da er die Anwesenheit der anderen würdigt, im selben Moment aber deutlich macht, dass sie weder Ziel besonderer Neugier noch spezieller Absichten sind.13 Der Blick aus der Distanz, den Goffman als Verhaltensnorm einer »störungsfreien« Interaktion – »Wohlverhalten« (Goffman 1971a: 88)14 – im öffentlichen Raum begreift, entspricht im Wesentlichen dem Blick des Fremden, aus der »Vogelperspektive«, das heißt aus der inneren Distanz heraus die Dinge zu betrachten. Das
12 Diese interaktive Feinordnung der Situation ist nur bedingt kontrollierbar; einerseits ist sie ›nur‹ in den Köpfen oder Praktiken der einzelnen TeilnehmerInnen präsent (vgl. Hammerich 1997: 102), andererseits ist der Übergang zwischen ›gutem‹ und ›schlechtem‹ Benehmen im nonverbalen Bereich häufig so fließend beziehungsweise persönlich so unterschiedlich punktiert, dass Normbrüche kaum vermeidbar, allerdings auch kaum sanktionierbar sind. 13 Bereits Georg Simmel (1993a) hatte in seiner »Soziologie der Sinne« auf die besondere Funktion des Auges für die interaktive Feinordnung hingewiesen. Diese greift er ebenfalls in seinem Essay zur »ästhetischen Bedeutung des Gesichts« auf (Simmel 1993b). 14 Analog zum Wohlverhalten »höflicher Gleichgültigkeit« spricht Goffman immer dann von schlechtem Benehmen, wenn der Blick in ein »Gaffen« beziehungsweise »Starren« überwechselt und damit einen Normbruch begeht, so zum Beispiel in Situationen, »[...] wo jemand den Moment, in dem der andere nicht herschaut, sich zunutze macht, um seinerseits hinzuschauen, und dann feststellen muss, dass das Objekt seiner Neugier sich plötzlich umwendet und ihn, den illegalen Beobachter, beim Gucken ertappt.« (Goffman 1971a: 87)
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wechselseitige Bekunden der Aufmerksamkeit ist allerdings weniger als Ermunterungssignal zur Kontaktaufnahme zu deuten, als vielmehr eine mimisch-gestische »Engagementsprache«, mit der die Akteure ihre Anwesenheit subtil handhaben.15 Die Interaktionsstrategie der »höflichen Nichtbeachtung« kann folglich als eingelebte und zum größten Teil habitualisierte soziale Praxis in »nicht-definierten Situationen« verstanden werden, also in Situationen, die die oberflächliche und notdürftige Aufrechterhaltung eines Minimalkonsensus bei größtmöglicher Risikovermeidung versprechen (vgl. Esser 1976: 694). Diese eingelebten und häufig nicht verbalisierten Verhaltensmuster dienen einerseits bei der routinemäßigen und nicht mehr reflektierten Abwicklung des modernen Alltags. Sie bieten aber auch ein Mindestmaß an sozialer Anerkennung in kurzfristigen Begegnungen, die trotz ihrer Offenheit und Vergänglichkeit mit einem gewissen ›Verpflichtungsgehalt‹ versehen sind. Denn die wechselseitige Fremdheit ist keine echte Beziehungslosigkeit oder Absenz, sondern vielmehr eine Demonstration von Beziehungslosigkeit, die mehr oder weniger engagiert inszeniert werden kann. Exemplarisch für diese Inszenierung von Fremdheit im modernen Alltag stehen die Überlegungen von Hirschauer zur Interaktionsordnung im Fahrstuhl. Hirschauer untersucht in ethnographischer Manier die interpersonellen Rituale der Fahrstuhlinsassen untereinander, um der Frage nachzugehen, wie kopräsente Individuen in öffentlichen Räumen, die aufgrund ihrer physischen Enge Zugehörigkeit nahelegen, es schaffen, sich konsequent als nicht-zugehörig zu behandeln; oder genauer, wie kopräsente Individuen das ›nichts tun‹ eigentlich tun, ohne einen a-sozialen Raum zu konstituieren (vgl. Hirschauer 1999: 221). Dabei definiert Hirschauer den Fahrstuhl als Schnittstelle einer Kreuzung sozialer Kreise, der im Sinne eines gesichtslosen »Nicht-Ortes« (Augé 1994) zu einem Soziotop moderner Begegnungsstätten geworden ist.16 Als Fortbewegungsmittel handelt es sich in der
15 Goffman selbst spricht von Fähigkeiten, Techniken, Ritualen und verdeutlicht damit, dass er die alltäglichen Praktiken nicht als banale Abläufe, sondern als eine »Kunst des Handelns« bewertet (vgl. hierzu auch de Certeau 1988). 16 Unter einem »Nicht-Ort« kann in Anlehnung an den französischen Ethnologen Marc Augé ein Raum verstanden werden, »der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt.« (Augé
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Regel um »eine optisch geschlossene Kabine für 6-10 Insassen mit automatischen Türen und Aluminiumwänden, die durch einen vertikalen Tunnel ein öffentliches Gebäude durchquert, das vornehmlich Fremde zusammenkommen lässt« (Hirschauer 1999: 222). Trotz der minimalen Bewegungsfreiheit und des allgemein herrschenden Schweigegebotes ist die Interaktionsordnung der Fahrstuhlinsassen keineswegs durch schlichtes ›Nicht-Handeln‹ zu erklären. Bei genauerem Hinsehen lassen sich vielfältige Praktiken des wechselseitigen In-Beziehung-Tretens unterscheiden, die von Körpertechniken des Überholens beziehungsweise Wartens über Blickstafetten des Blick-Wechselns und der pantomimischen ›Fassade‹ bis hin zum Timing des Ein- und Aussteigens reichen. Die komplexen Deferenzgesten können dabei weder als zufällige noch als bloße kulturelle Konventionen betrachtet werden. Es sind vielmehr »laufende Lösungen interaktionsstruktureller Probleme von öffentlichen Begegnungen«, die sich in den multizentrischen Räumen der Moderne verdichten: »ein Problem körperlicher Navigation, ein Problem der Kontaktvermeidung, ein Problem der Fingierung des Selbstbezugs, und das Problem, wie sich die ›Automatik‹ unterbinden lässt, mit der kopräsente Körper Interaktionen ingangsetzen« (Hirschauer 1999: 239).17
1994: 92) Diese durch anhaltende Modernisierungsprozesse hervorgetriebene Rekonfiguration des Raumes unterläuft die klassische ethnologische Vorstellung des Raumes als ein konkretes »Hier und Jetzt«, bei dem der Ort als symbolisch fixierter und qualitativ aufgeladener Ort mit spezifischer historischer Identität betrachtet wird. Als typischen Nicht-Ort charakterisiert Augé die Metro, die eine Gemeinschaft von Fremden dahingehend konstituiert, als dass die Metro die individuellen Verrenkungen auf höchst beruhigende Weise am Schicksal aller teilhaben lässt und ein Geflecht von Parcours symbolisiert, deren kollektiven und geregelten Charakter einige Verbote (»Rauchen verboten«, »Durchgang nicht gestattet«) unterstreichen (vgl. Augé 1988: 43f.). Darin gleichen sich die Dispositionen der einzelnen Individuen, die sich täglich in der Metro treffen, ohne zu wissen, wo sie zur Schule gegangen sind, wo sie gelebt und gearbeitet haben, was aus ihnen geworden ist und wohin sie fahren (vgl. Augé 1988: 10). 17 Auch Erving Goffman hatte in seinen Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung (1974a: 84f.) auf den »Interaktionssynchronismus« hingewiesen, das heißt auf die enge Reziprozität im Hinblick auf die körperlich Bewegung
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Diese interpersonellen Rituale der Fremdheit werden umso bedeutsamer, je komplexer und differenzierter gesellschaftliche Zusammenhänge erscheinen. Denn wo eine gesellschaftlich verbindliche Instanz zur Regelung menschlichen Verhaltens ›trotz‹ beziehungsweise ›wegen‹ zunehmender Individualisierung fehlt (vgl. Hammerich 1999: 105), übernehmen die situationsspezifischen und teilweise sehr leiblichen Nutzungsskripte die Funktion, die wechselseitige Unbekanntheit von Personen aufrechtzuerhalten und damit ein ziviles Muster im Umgang mit massenhaften Fremden zu schaffen. Auch Rainer Paris geht in seiner interaktionistisch-phänomenologisch ausgerichteten Analyse von ›Wartesituationen‹ in verschiedenen Berliner Ämtern (vgl. Paris 2001) auf die situativen Aushandlungsprozesse und das ›impression management‹ der Beteiligten ein. Als Durchgangs- und Warteräume, in denen man weder drinnen noch draußen ist, definieren ›Nicht-Orte‹ wie Flure primär Situationen und nur indirekt eine Beziehung. Das Warten ist nicht adressiert und nötigt niemandem eine unmittelbare Reaktion auf, die Wartenden untereinander sind und bleiben fremd. Auch Paris spricht von einer »Beziehung der Beziehungslosigkeit, deren Ordnung vor allem durch Unterlassen, das Vermeiden von Störungen, konstituiert wird« (Paris 2001: 711). Diese praktizierte Fremdheit, die sich von der konzentrierten bis fahrigen Zeitungs- und Buchlektüre über das ständige Neuordnen von Formularen und Unterlagen bis hin zu extremen Formen des körperlichen Selbstengagements (Reinigung von Fingernägeln, Nasebohren, Zurechtzupfen von Kleidung und Haaren) reichen, ist dabei nicht nur auf die extreme Reizarmut solcher Räume zurückzuführen, die meist lediglich Nummerierungen, Hinweistafeln, unpersönliche Bilder und prekäre Beleuchtungsverhältnissen aufweisen (vgl. Paris 2001: 718). Die Anonymität, Unbequemlichkeit und Vereinzelung ist wesentlich eine Folge der unausgesprochenen Norm eines Sich-wechselseitig-inRuhe-Lassens, denn der räumlichen Verdichtung wird durch Abgrenzungs- und Distanzsignale so entgegengewirkt, dass ein persönliches Territorium zur Vermeidung von Zudringlichkeit aber auch Respektierung der anderen geschaffen wird (vgl. Paris 2001: 725).
zwischen Personen, die zum Beispiel ein lebhaftes Gespräch miteinander führen, während sie gleichzeitig genötigt sind, enger beieinander zu sitzen, als bei einem solchen Gespräch angebracht wäre.
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Die Kennzeichnung des Fremdseins als Wechselwirkungsform verdeutlicht dabei zweierlei: um einen, dass das Fremde keineswegs als Faktum sozialer Wirklichkeit beziehungsweise als Konsequenz einer spezifischen politischen/rechtlichen Problematik betrachtet werden darf. Zum anderen bringt der wechselseitige Charakter der Gleichgültigkeit die Relationalität von Fremdheit zum Ausdruck, denn Fremdheit ist – auch als Zuschreibung – nicht nur das Resultat einer Begegnung, sie muss auch durch praktischen Vollzug in Gang gehalten werden, indem sich Personen konstant als Fremde behandeln (vgl. Hirschauer 1999: 240). Fremdheit als Beziehung impliziert daher immer auch eine Darstellungsleistung, das heißt sie ist eine kulturelle Praktik, die in der Interaktion – aus rationalem Kalkül und unwillkürlichen Reaktionen, intentionalen Handlungen und nicht-intendierten Effekten, spezifischen Mustern und Ordnungen der Begegnung – entsteht und vollzogen wird. Mit Fremdheit wird unter modernen Vorzeichen also zunächst keine auf eine spezifische Eigenschaft gestützte Randposition, geschweige denn ein krisenhaftes Missverstehen impliziert, wie es die klassische Soziologie des Fremden nahelegt.18 Fremdheit ist vielmehr im Sinne von generalisierter Unbekanntheit ein Hinweis auf die in der urbanisierten Moderne massenhaft hervorgebrachte Begegnung mit insignifikanten Anderen im öffentlichen Raum. Sie wird geradezu zu einer Ressource der modernen Gesellschaft, da die persönliche Neutralität als Freiheit und Beweglichkeit verstanden werden kann, die vor Durchschaubarkeit und damit vor Kontrolle durch andere bewahrt. »To be a stranger may thus constitutes a resource allowing to escape from the control of others: to be an alien protects against alien domination.« (Hahn 2000: 19) Die Entstehung der Bürgerrechte beziehungsweise die gesamte individualisierte Lebensform ist eng damit verbunden, dass sich die Individuen darauf verlassen können, dass sie, wenn sie es wollen, Fremde unter Fremden bleiben können (vgl. Nassehi 1995: 236). Gleichzeitig ermöglicht die Praxis der Fremdheit, verstanden als praktische Vollzüge des Unterlassens, dass die soziale Ordnung der Gesellschaft als anschlussfähige Realität produziert wird. Gerade in Ballungsräumen, die durch die Einschränkung der räumlichen
18 Zur krisenhaften Position des kulturellen Randseiters in der klassischen Soziologie des Fremden vgl. unter anderem Schütz (1972) beziehungsweise Park (1937).
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Mobilität und Bewegungsfreiheit die Möglichkeit verringert, Bedrohungen und Verletzungen des ohnehin verengten persönlichen Raums abzuwehren (vgl. Paris 2001: 726), wird das wechselseitige Bekunden der Gleichgültigkeit für das interaktionale Gleichgewicht bedeutsam.
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D IE M ATERIALITÄT
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Obwohl die modernen ›Nicht-Orte‹ unter dem Eindruck globaler Migrationsbewegungen, flächendeckender Informations- und Kommunikationstechniken ein Übermaß an fremden symbolischen Sinnwelten transportieren, die uns täglich über Werbeflächen, Waren und Dienstleistungsanbieter oder einfach nur über die Anwesenden in diesen Räumen erreichen, ist die gesellschaftliche Ordnung erst dann gefährdet, wenn das Übermaß an Kontingenz als Verlust von Vertrautheit gedeutet wird. Die Anwesenheit von ›empirischen Fremden‹ allein reicht also nicht aus, um Fremdheitsgefühle hervorzurufen, denn die subjektive Wirklichkeitsversicherung ist durch ihre alltagspraktische Prozessierung in Ritualen, Kulissen und Kommunikationen weitaus ›robuster‹ als es die Differenzforschung annimmt. Auch ohne radikal neue Wirklichkeitsakzente sind Vermeidungsrituale oder Unterlassungspraktiken gegenüber Menschen, die möglicherweise im Gegensatz zu den eigenen Wirklichkeitsbestimmungen stehen, bereits in der Internalisierung von mobilen, pluralistischen und höchst differenzierten Wirklichkeiten systematisch angelegt. Solange der Fremde im Alltag ein unsichtbarer Fremder und damit ein nicht-signifikanter Anderer ist, weil er sich als Funktionsträger oder zumindest als Alltagsrequisit integrieren lässt, ist das gesellschaftliche Gleichgewicht in Räumen, in denen eine hohe Kopräsenz von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Schicht und Interessenlage vorherrscht, durch den Verhaltenskodex von Markt- und Tauschbeziehungen als praktische Ordnung gewährleistet.19
19 Gleichgültigkeit als Integrationsmechanismus ist freilich aber dann gefährdet, wenn die systemische Integration – etwa über Arbeitsmärkte – nicht mehr gewährleistet werden kann, die eher stillschweigend in der klassischen Stadtsoziologie als materielle Basis vorausgesetzt wurde. Angesichts eines gegenwärtigen Auseinanderklaffens von Stadtökonomie und Arbeits-
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Gleichzeitig muss diese Form der sozialen Ordnung selbst in nicht oder gering definierten Situationen im Alltag, wenn sie intakt bleiben soll, durch die Praktiken ihrer »Bewohner« ständig am Laufen gehalten werden. Das Reißen der Fäden, der Abbruch der Kontakte, das Unterlassen minimaler Alltagsrituale, ist für jede subjektive Wirklichkeit eine Gefahr (vgl. Berger/Luckmann 1998: 165). Dabei spielt die interaktive Feinordnung des Verhaltens eine bedeutsame Rolle. Denn selbst in formalen Beziehungen, in denen die verbale Kommunikation auf den Austausch funktionaler Inhalte beschränkt ist, ist die Kommunikationsbeziehung aufgrund ihrer Materialität für Idiosynkrasien störanfällig. Der Körper als komplexestes Element materieller Kultur ist durch seine kommunikative Selbsttätigkeit durchaus in der Lage, den Intentionen seines Bewohners/seiner Bewohnerin zuwiderzulaufen (Hirschauer 1999: 242). Die Übergänge zwischen Betrachten und Stieren, Zugewandtheit und Zudringlichkeit, Unruhe und Ungehaltenheit sind fließend. Verglichen mit anderen Kommunikationsmedien lässt sich der Körper nur bis zu einem gewissen Grad vollständig kontrollieren, ein- oder abschalten, so dass mit einer auch noch so kleinen Be-
platzwachstum sowie der zunehmenden sozialen wie ethnischen Differenzierung gerät die urbane Kultur der Indifferenz immer dort in eine Krise, wo das Spiel des Tausches nicht mehr greift, »weil es nichts zu tauschen gibt«. Wenn Differenzen zu Gegensätzen werden, wenn Benachteiligungen in Ausgrenzungen umschlagen, wenn die Perspektive der systemischen Integration nicht nur in wirtschaftlichen Tauschbeziehungen, sondern auch auf dem Bildungs-, Wohnungs- oder Heiratsmarkt grundsätzlich in Frage gestellt wird, dann fehlt der urbanen Lebensweise das materielle Fundament (vgl. Häußermann 1995: 97). Die sozial-räumliche Segregation von ethnischen Minderheiten in den Großstädten Frankreichs, Großbritanniens oder die Slum- und Ghettobildung in amerikanischen Großstädten geben hierfür dramatische Beispiele. Denn anstelle eines integrierten, konfliktfähigen gesellschaftlichen Lebens, das ArbeiterInnen und UnternehmerInnen, KundIn und AnbieterIn, Gast und WirtIn einander entgegensetzt, aber auch miteinander vereint, symbolisieren diese Orte einen Bruch, eine radikale Grenzziehung zwischen denen drinnen und denen draußen. »Blasierte Indifferenz ist unter solchen Umständen nicht mehr die Anerkennung des Fremden als gleich gültig, sondern realer Zynismus, wird selbst Teil einer strukturellen Gewalt, gegen die die Ausgeschlossenen von Zeit zu Zeit mit Gewalt reagieren.« (Häußermann 1995: 97)
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wegung, einem unvorsichtigen Blick oder offenem Gähnen die wechselseitige Fremdheit in mancherlei Tauschbeziehung gefährdet sein kann.20 Andererseits ist der Körper in Tauschbeziehungen, in denen keine materiellen oder kommunikativ bearbeitete Waren (Dienstleistungen), sondern lediglich nonverbale Informationen getauscht werden, konstitutiver Träger von Informationen, die das wechselseitige In-Beziehung-Treten so rahmen, dass es auch ohne Sprache nach angemessenen Konventionen und Regeln verläuft. Auch wenn wir der Sprache häufig die größte sinnstiftende Funktion einräumen, vollzieht sich die Wirklichkeitsbestimmung eher implizit vor dem Hintergrund einer Welt, die durch körperliche Routinen und Rituale, also »schweigend«, für gewiss gehalten wird (vgl. Berger/Luckmann 1998: 163). Im Falle der gemeinsamen körperlichen Anwesenheit in öffentlichen Interaktionsräumen können das minimale Informationen über einen geordneten und ausgewogenen Interaktionsverlauf sein, mit dem man Achtung und Respekt gegenüber sich selbst und anderen bekundet (vgl. Bausch 2001: 205). Dies können minimale bis demonstrative Gesten der Höflichkeit sein; im Fall einer ›unabsichtlichen‹ Interaktionsstörung können aber auch durch Rituale des »korrektiven Austausches«, also solche Gesten, die Goffman (1974) als »Inszenierung von Bagatellisierungen« analysiert (ein abwiegelndes Lächeln, Augenzwinkern, entschuldigende Handbewegung), weitere soziale ›Kollateralschäden‹ abgewendet werden (vgl. hierzu auch Hahn 2002). Im Sinne von sozial eingeübtem Wissen um die praktischen Vollzüge von sozialen Situationen stellt der Körper die unausgesprochene solidarische Situationsdefinition auf Dauer und bildet gerade dort, wo ein geteiltes biographisches Wissen beziehungsweise ähnliche kulturelle Sinn- und Deutungsmuster fehlen, eine materielle Grundlage für die Ordnung der
20 Die Erhaltung von Fremdheit im Sinne von Unbekanntheit kann bisweilen die Bedingung für das Zustandekommen einer Transaktion sein, denn nur solche potentiellen TauschpartnerInnen sind attraktiv, denen gegenüber eine ökonomische Rationalität erlaubt ist. Gerade in Dienstleistungsbranchen, wie beispielsweise der Telefonseelsorge oder Prostitution kann allein die Nennung des Namens die Vertrautheit unter Fremden irritieren, denn die Fremdheit kann von beiden Seiten als Ressource genutzt werden, beispielsweise um die soziale Distanz zu wahren, Anonymität zu sichern oder um vor Fremdbestimmung oder Kontrolle zu schützen.
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Interaktion. In der Soziologie wird dieser öffentliche Verhaltenskodex, der auf einer vollständigen Kontrolle des Trieb- und Affekthaushaltes beruht, im Anschluss an Norbert Elias als erfolgreich verinnerlichter Prozess der Zivilisation gewertet (vgl. Elias 1976; Michel 1997: 31). Es scheint geradezu einen neuen Bedeutungswandel des Körpers trotz oder gerade wegen der zunehmenden Globalisierung und Entgrenzung des Sozialen zu geben. Obwohl die Rede von fortschreitender Mobilität und Vernetzung die Vorstellung einer Immaterialisierung des Raumes evoziert, in dem sich Interagierende allein durch ihre Unsichtbarkeit und Anonymität als Fremde begegnen, bringen die von der Globalisierung ergriffenen ›Nicht-Orte‹, einen Anachronismus zum Ausdruck. Denn trotz Delokalisierung, Dynamisierung und Vervielfachung von Ereignissen und individuellen Referenzen (vgl. Augé 1994: 51) steht der ›Nicht-Ort‹ für räumliche Enge, für den Beförderungsbedarf an Leibern und für Zwangsgemeinschaften (vgl. Hirschauer 1999: 221). Einerseits ermöglicht die Erweiterung und Virtualisierung von Verkehrswegen und Transportmitteln zwar neue ›Erfahrungsräume‹, die körperlose Formen sozialer Vernetzung entstehen lassen. Andererseits ist der Weg dorthin aber häufig eine körperliche Belastungsprobe, die jeder am eigenen Leibe zu spüren bekommt, der einen Warteraum im Flughafen oder einer Behörde, eine öffentliche Toilette, eine Zugfahrt während des Berufsverkehrs, oder ein Internet-Café am Urlaubsort besucht. Obwohl der archetypische Bewohner dieser Räume ein (Durch-)Reisender und damit ein Fremder ist, muss er aufgrund dieser physischen Enge seine Fremdheit fortlaufend inszenieren, um die notwenige soziale Distanz zum Anderen zu wahren. Gerade die allerorts hervorbrechenden ›Nicht-Orte‹, die vom Fahrstuhl über Autobahnkreuze, Flughäfen bis hin zu Freizeit-, Einkaufsund Erlebnisparks reichen, beschwören unaufhaltsam unfreiwillige Ensembles von Fremden, die ihre gegenseitige Unbekanntheit mit Hilfe des Körpers, der Requisiten und der Fassade dramaturgisch inszenieren müssen, um einen Minimalkonsens in ansonsten sozial unverbindlichen beziehungsweise reizarmen Räumen aufrechtzuerhalten. Fremdheits- beziehungsweise Vermeidungsrituale sind geradezu notwendig, um in immer globaleren Kontexten in angemessener Weise das interaktionale Gleichgewicht zu wahren. Die Praxis der Fremdheit ist ein Seismograph der modernen Gesellschaft, die im Ritual der öffentlichen ›Vergegnung‹ die Bedeutung des Körpers für die im Zeitalter der Globalisierung herausgeforderte gesellschaftliche Ordnung
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deutlich macht. Anstatt pauschal zwischen Fremden und NichtFremden im öffentlichen Diskurs zu unterscheiden, liegt die Chance einer allgemeinen Theorie des Fremdseins vor allem darin, diese feineren Differenzierungen und ihre Handhabung in der Alltagskultur näher zu beleuchten. Dabei müssen die in den öffentlichen Vergegnungen zum Ausdruck kommenden korporalen Disziplinierungs- und Kontrollmechanismen nicht zwangsläufig als Verdrängung des Körpers interpretiert werden. Sie zeigen auch die für die Gesellschaft grundlegende Bedeutung des Körpers auf: als Garant wie Konstituent der Interaktions- und damit Soziabilitätsfähigkeit von Individuen.
Der Körper als Seismograph gesellschaftlicher (Un-)Ordnung
Interaktionsrituale der höflichen Gleichgültigkeit und Vergegnung im öffentlichen Raum zeigen, dass Körper zentrale Seismographen gesellschaftlicher Ordnung wie Abweichung sind. Neben der alltagssoziologischen Diskussion hat sich daher gerade auch in den stärker kriminalsoziologisch ausgerichteten Arbeiten zu Formen und Wirkungsweisen sozialer Kontrolle im Alltag eine körperorientierte Perspektive im Anschluss an Michel Foucaults historischen Untersuchungen zur Diszi1 plinierung des Körpers und zur Sexualität herausgebildet. Foucaults »Überwachen und Strafen« gilt als ein Schlüsselwerk in der sozialwissenschaftlichen Diskussion um moderne Formen sozialer Kontrolle. Obwohl ein Großteil des Buches dem Studium des Gefängnisses zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewidmet ist, handelt es weniger von Diskursen über das Gefängnis. Es geht vielmehr um jene ›unausgesprochenen‹ Diskurse und ›Listen‹, die aus dem Gefängnis kommen und auf die anderen gesellschaftlichen Bereiche übergreifen (Foucault 2001: 58). Auch wenn das Gefängnis als Hauptstück im Strafarsenal einen wichtigen Augenblick in der Geschichte der Strafjustiz markiert, dient es Foucault lediglich als allgemeine Form einer Apparatur des Gefügig- und Nützlich-Machens (vgl. Foucault 1976: 294), als Modell einer langwierigen Formierung, die über den Raum
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Das Kapitel greift in großen Teilen auf die Argumentation einer früheren, gleichnamigen Publikation von mir zurück: Reuter, Julia (2003a): »Der Körper als Seismograph gesellschaftlicher (Un-)Ordnung«, in: Kriminologisches Journal 35, S. 201-212.
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der Strafjustiz hinaus eine neue mikroskopische Macht etabliert, die bis heute als ›Disziplinarmacht‹ in der Ordnung des Sozialen wirksam ist. In Abgrenzung zur Strafjustiz und ihren institutionellen Akteuren sozialer Kontrolle zielt dabei der Begriff der modernen Disziplinarmacht auf ein »Strafsystem der Norm« (vgl. Foucault 1976: 236 und konkret hierzu auch Mehrtens 1999), das weder in seinen Grundlagen noch in seinen Wirkungsweisen auf das traditionale Strafsystem des Gesetzes zu reduzieren ist. Die Macht der Norm, auch als ›Normalisierung‹ bezeichnet, stellt vielmehr eine Kontrolltechnik dar, die einzelne Taten, Leistungen und Verhaltensweisen an einer Norm ausrichtet, die im Sinne eines ›Zwangsprinzips‹ zugleich Vergleichsfeld, Differenzierungsraum und zu befolgende Regel sind. Es handelt es sich um eine Kontrollform, die nicht monolithisch, nicht repressiv in Form institutioneller ›Apparate‹ von ›außen‹ auf den Gesellschaftskörper einwirkt. Im Gegenteil, man muss diese Kontrolltechnik mikroskopisch denken. Sie wirkt in dem Gesellschaftskörper, in den Gesten, in den Wahrnehmungen, Einstellungen und Diskursen der Individuen (vgl. Foucault 2001: 59). Dabei kommt Foucault zufolge dem Körper eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung der Macht zu. Ja, in gewisser Weise kann die moderne Disziplinarmacht durch die ›Normalisierung des Körpers‹ auf die üblichen Institutionen sozialer Kontrolle verzichten. Zumindest ist die »ständige Selbstüberwachung« im Sinne einer »KörperKontroll-Politik« die Utopie der Disziplinarmacht (vgl. Fink-Eitel 1997: 76).2 Auch im dominanten sozial-kulturwissenschaftlichen Körperdiskurs drückt sich Foucaults »politische Ökonomie des Körpers« durch die implizite Annahme aus, der Körper sei ein beherrschbares Instrument, beliebig einsetzbar und formbar (vgl. Meuser 2002: 19). So stehen Begriffe der »Zivilisierung«, »Disziplinierung« und »Selbstkontrolle« allenfalls für die Vorstellung, der Körper gewinne in Gestalt nicht-diskursiver körperlicher Praktiken als »Träger« der modernen
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Foucault unterscheidet dabei zwei grundlegende Wirkungsweisen in der Regierung von Körpern. Während sich die Normalisierung in Form von »Disziplinen« am individuellen Körper ausrichtet, stellt sie als (Selbst-) Regulierungsmechanismus moderner Gesellschaften auf den Gattungskörper ab, wobei beide Formen durch ein Bündel von Zwischenbeziehungen miteinander verwoben sind.
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Macht die »Oberhand« gegenüber den moralischen Diskursen und der diskursiven Aussageformation des Strafrechts (vgl. Fink-Eitel 1997: 75). Die Differenzierung zwischen einer sozialen Repräsentation des Körpers und einer körperlichen Repräsentation des Sozialen wurde dabei in der Regel vernachlässigt (vgl. Hahn/Meuser 2002: 9). Die Fabrikation eines Disziplinarindividuums ist jedoch nicht ausschließlich als kulturelle Formung beziehungsweise Disziplinierung des Körpers zu verstehen, die den Körper als Objekt der Kontrolle ›zurichtet‹. Entscheidend ist auch, wie der Körper in Raum und Zeit eingesetzt wird, wie er Bedeutungen verkörpert, gemäß der Frage: Was tut der Körper? Wie handelt der Körper? (vgl. Meuser 2002: 24). Es geht also gewissermaßen darum, den Körper über seine Rolle als Träger von Machtstrukturen hinaus auch als Agens moderner Kontrolle zu verstehen. Vor allem handlungstheoretische Ansätze à la Goffman betonen die Bedeutung der Körperlichkeit für die Ordnung des Sozialen, etwa wenn Personen durch das angemessene Beherrschen von Begrüßungs- und Abschiedsritualen oder durch ihr äußeres Erscheinungsbild sich als ›anständige‹ beziehungsweise ›ungefährliche‹ Personen einschätzen lassen. Gleiches gilt für Stigmatisierungsprozesse, etwa wenn geplatzte Kapillare auf Wange und Nase als Indikator für alkoholische Exzesse gehalten werden (vgl. Goffman 1999: 60ff.). Gerade die Bedeutung der ›Visibilität‹ für die Zuschreibung stigmatisierter Identität zeigt, dass der Körper auch als ein ›Handlungssubjekt‹ gefasst werden kann, weil er die Konstruktion von Normalität und Abweichung und ihre (ungleichen) Positionszuweisungen nicht nur verschleiert, sondern sie in Form spezifischer Verkörperungspraktiken erst hervorbringt.
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N ORMALISIERUNG ALS › SANFTE ‹ K ONTROLLTECHNIK
Der französische Philosoph Michel Foucault gilt heutzutage als ›Urheber‹ des Begriffs der modernen Normalisierungsgesellschaft. In seiner eindrucksvollen Rekonstruktion von Räumen und Weisen der Normalisierung als einem der größten Machtinstrumente der letzten beiden Jahrhunderte hat er dabei immer wieder Impulse für eine kritische sozialwissenschaftliche Modernisierungsforschung geliefert. Während ›einfache Modernisierungstheorien‹ Modernisierung als einen progressiven gesellschaftlichen Prozess fassen, der die ›Selbstentfaltung‹
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beziehungsweise ›Selbständigkeit‹ des Subjekts an die Stelle der Abhängigkeit von Tradition und Kollektiv setzt, rekonstruiert Foucault die Geschichte der Moderne als Programm einer gesamtgesellschaftlichen ›normalisierenden Subjektivierung‹, in der die Subjekte mit Hilfe einer spezifisch historischen Macht-Wissens-Struktur sowohl als Objekte wie als Instrumente einer Disziplinar- und Regulierungsmacht behandelt und eingesetzt werden (vgl. Foucault 1976: 220).3 Der moderne Mensch ist nach Foucault nicht das freie und selbständige Individuum. Im Gegenteil, es sieht sich in einer Struktur von unentrinnbaren Machtstrukturen gefangen (vgl. van der Loo/van Reijen 1992: 209). Auch wenn Foucault den modernen Staat mit seinen zahlreichen ›Orten der Disziplin‹ (Wissenschaft, Gefängnis, Betrieb, Militär, Schule, Fürsorge- und Wohltätigkeitsvereine) als Produzenten einer solchen Wissens-Macht-Struktur identifiziert, agieren die ›sozialen Laboratorien‹, die mit der Entwicklung moderner Machttechniken beschäftigt sind, dabei keinesfalls unter Missachtung des Individuums. Im Gegenteil, sie wirken als eine »[...] raffinierte Struktur, in die Individuen durchaus integrierbar sind – unter einer Bedingung: dass die Individualität in eine neue Form gebracht und einer Reihe spezifischer Modelle unterworfen werde« (Foucault 1999b: 170).
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Normalisierung kann dabei zu Beginn als ein Projekt der aufsteigenden Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts verstanden werden, die mittels systematischer serieller Messungen und statistischer Verarbeitung eine Verdatung, Standardisierung und Normierung unterschiedlicher Lebensbereiche herbeiführen; angefangen von der Erfassung von Intelligenzquotienten über wissenschaftliche Studien zur Betriebsführung und Arbeitsleistung bis hin zur klinischen Konstruktion der ›normalen‹ Körpertemperatur. Normal- und Durchschnittswerte können dabei insofern als Kontrollform betrachtet werden, als sie nicht nur Verteilungen von ausgewählten Merkmalen und Typen angeben, sondern Richt- und Leitlinien (Normen) setzen. Die normalisierende Erfassung unterschiedlicher Lebensbereiche begründete damit eine neue Form der Unterscheidung, ob sich jemand ›normal‹ oder ›abweichend‹ verhält, ob sich jemand nur ›krank‹ fühlt oder auch wirklich ›krank‹ ist. Lenkt man den Blick auf die Abweichungen wird deutlich, wie die Norm operiert, nämlich als ein regulierendes Ideal, das anleitet, wie Subjekte als sinnhafte und nicht-sinnhafte gebildet werden (vgl. Hark 1999: 80).
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Das Paradoxe daran ist, dass die Individuen glauben, über einen ›freien Willen‹ zu verfügen, ihr eigenes Wissen um Normalität und Abweichung aber von einem kulturell geformten ›Normalisierungswissen‹ geregelt wird. »Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht. Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht.« (Foucault 1999b: 166)
Das Normalisierungswissen ›funktioniert‹ als eine Art Orientierungsmuster, das auf das ›Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit‹ abstellt, mit dem Ziel, sie berechenbar und beherrschbar zu machen.4 Dabei ist das Programm einer (An-)Ordnung der Gesellschaft in der Rhetorik der Normalisierung nicht mit bloß eingesetzten und legitimen Formen der politischen oder wirtschaftlichen Unterwerfung zu vergleichen. Sie besteht eher in einem indirekten »Führen der Führungen« (Foucault 1999c: 193), das einwirkt auf ein »Handeln auf ein Handeln, auf mögliche, künftige oder gegenwärtige Handlungen« (Foucault 1999c: 192). Foucaults Begriff der ›Führung‹ ist als eine Regierungstechnologie zu verstehen, die neben der mehr oder minder institutionell organisierten Ausübung von Macht über Individuen und Kollektive vor allem auch die Fähigkeit umfasst, den Rahmen zu setzen, innerhalb dessen Individuen ihr eigenes Verhalten im Hinblick auf das Möglichkeitsfeld des Normalen und des Abweichenden formen (vgl. Hark 1999: 80).5
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Das Normalisierungswissen besitzt dabei drei zentrale Kennzeichen: erstens eine Modellbildung und formalisierte Verallgemeinerung, die als Normbündel fungiert, auf die beobachtbare Phänomene bezogen werden können; zweitens die exklusive Besetzung eines Spezialdiskurses oder einer Disziplin; drittens die Verknüpfung mit anderen Bereichen des Normalisierungswissens und normalisierenden Techniken (vgl. Sohn 1999: 21).
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Vgl. zum Begriff der (Menschen-)Führung bei Foucault und seiner kritischen Anwendung in der gegenwärtigen Forschung vor allem Bröckling et al. (2000).
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Ebenso wie die Geschichte der Ausbreitung einer modernen Disziplinar- und Regulierungsmacht mit Foucault nicht als Geschichte mehr oder weniger ›totaler‹ Institutionen und ›Machthaber‹ beschrieben werden kann, ist auch das Normalisierungswissen kein ›festgezurrtes Bündel‹ an ›Aussagen‹, ›Objekten‹ oder ›wissenschaftlichen Diskursen‹. Zwar sind Human- und Sozialwissenschaften und deren Agenten (MedizinerInnen, PsychiaterInnen usw.) unermüdlich mit der Produktion von Normalisierungswissen beschäftigt. Dennoch tritt es nicht in ›spektakulären Ideologien‹, sondern in Form kapillarer wissenschaftlicher oder auch alltäglicher Praktiken und Taktiken der Kontrolle, Überwachung und Dressur in Erscheinung. Damit unterscheidet es sich grundlegend von traditionellen Formen sozialer Kontrolle. Denn die Kontrolltechnik der Normalisierung basiert nicht auf einer Macht als normativem Gesetz, das ›verbietet‹. Sie ist vielmehr von einer Macht als normalisierender Norm indiziert, die sich in einer Vielzahl von lokalen und kontinuierlichen ›Mikrotechniken‹ dem alltäglichen Leben so geschickt unterlegt, dass sich die Individuen ›freiwillig unterwerfen‹.6 Die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf die umfassenden und detaillierten Strategien und Mechanismen der modernen Wissensmacht, die schon auf der niedrigsten Ebene des sozialen und individuellen Körpers in den alltäglichen Praktiken eher produktiv denn prohibitiv wirken (vgl. Fraser 1994: 31), verdeutlicht, dass Foucault das Szenario eines ›lückenlosen‹ Kontrollsystems entwirft. Lückenlos deshalb, da die Macht jedes Individuum in sich selbst, in seinen Gesten und Verhaltensweisen kontrolliert. Andererseits sind die »geschmeidi-
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Potenziell ist jeder Bereich und jede Tätigkeit von einem komplexen Normalisierungsprozess ergriffen – von den seelischen Konflikten bis hin zu betrieblicher Arbeitsweise, von Familienfragen bis hin zu juristischer Beweispraxis. Es genügt jedoch nicht, dieses Normalisierungswissen als Macht einseitig zu fassen. Vielmehr stehen Macht und Wissen bei Foucault in einem Wechselwirkungsverhältnis: »Die Machtausübung bringt ständig Wissen hervor und umgekehrt bringt das Wissen Machtwirkungen mit sich.« (Foucault 2001: 77) Insofern spricht Foucault von einem ›sanften‹, allgegenwärtigen Macht-Wissens-Regime, das bestimmte Wünsche, Bedürfnisse, Handlungen und Sprechweisen nicht nur unterdrückt und verbietet, sondern gewissermaßen erst dazu anreizt, diese verbotenen Wünsche, Bedürfnisse, Handlungen und Sprechweisen zu produzieren.
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gen« beziehungsweise »atomisierten« Disziplinarmethoden aber auch Grundlage für weitreichende und den gesamten Gesellschaftskörper durchlaufende Spaltungen (vgl. Foucault 1997: 115), die die Normalisierung nicht als ›Blitzkrieg‹ eines aufklärerischen intentionalen Geistes, sondern als langwierigen und unaufdringlichen praktischen Transformationsprozess kennzeichnen. Dabei wirkt die Normalisierung als Norm sowohl vereinheitlichend als auch differenzierend, hierarchisierend und ausschließend: »Sie ist organisierendes Element einer Matrix, die Intelligibles von Verworfenem trennt – und damit beides in Schach hält.« (Hark 1999: 77) Sie zwingt Wahrnehmungen, Erfahrungen und Handlungen in ein Raster des Unterscheidens: Abnormität wird zum Anderen der Norm, Kriminalität zum Anderen der Gesetzestreue, Krankheit zum Anderen der Gesundheit. Das Normalisierungswissen zielt darauf ab, die gesellschaftliche Wirklichkeit durch ein klassifikatorisches Raster zu repräsentieren, in der die Definition der Abweichung einerseits als Ergebnis der Norm erkennbar wird, andererseits aber auch eine Resonanz unter den Nicht-Abweichenden erzeugt und diese dazu bringt, sich selbst in einem Feld der Normalität zu positionieren (vgl. Wahrig-Schmidt 1999: 278). Eben dadurch, dass es Wissen ist, verfügt es über Macht. Je mehr Wissen über die Dinge angesammelt wird, umso mehr lassen sie sich kontrollieren, was jedoch einen Doppeleffekt auslöst, denn die Macht der Normalisierung funktioniert als eine Sirene, die die Fremdheiten, über denen sie wacht, heranlockt und zum Appell ruft (vgl. Foucault 1999a: 60).
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Z UR E INKÖRPERUNG VON N ORMALITÄT UND ABWEICHUNG
Foucaults Dekonstruktion eines juristischen Machtverständnisses geht mit einer Konstruktion eines körperlichen Machtverständnisses einher. Gewissermaßen ist die Fabrikation des Disziplinarindividuums nur möglich, indem sich die Disziplin in den Körper einschreibt (vgl. Krasmann 1995: 240). Seine detailreichen Veranschaulichungen in »Überwachen und Strafen«, aber auch im ersten Band von »Sexualität und Wahrheit« definieren die Normalisierungsgesellschaft als Ergebnis einer bestimmten Art und Weise, in der man den Körper einsetzt und besetzt, worauf Begriffe wie »Biopolitik« oder auch »Anatomopolitik« (Foucault 1999d: 186) verweisen. Damit avanciert der Körper
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zu einem wichtigen, wenn nicht dem wichtigsten Element einer modernen Disziplinarmacht. In der Folge befindet sich die Macht eher in unseren Körpern und nicht in unseren Köpfen (vgl. Fraser 1994: 42). Auch wenn der Übergang von traditionellen zu modernen Formen der Machtausübung von einer ›Bestrafung‹ des Körpers weithin absieht, zielt auch die ›Normalisierung‹ des Körpers darauf ab, sich der Geschichte des Lebens zu bemächtigen, sie zu reformieren, zu kasteien und zu erziehen (vgl. de Certeau 1988: 261). Normalisierung bezeichnet für Foucault eine Kontrolltechnik, die praktisch alle Gewalt auf den Körper ausrichtet, mehr noch: Die Macht schreibt sich im modernen Zeitalter der Überwachung und Kontrolle direkt in den Körper ein (vgl. Krasmann 1995: 244). Für Foucault ist es immer der Körper, der umkämpft ist – wenn das Management die Tätigkeiten der Individuen im Betrieb kontrolliert, in dem sie ihre Körper im Raum verteilen und separieren, wenn MedizinerInnen den Verlauf einer Krankheit durch die ›Vermessung‹ des Körpers der PatientInnen überwachen oder auch wenn der/die LehrerIn die Aufmerksamkeit seiner SchülerInnen durch das ›Stillsitzen‹ erzwingt. Indem der Körper zur Zielscheibe sozialer Kontrolle wird, bietet er sich neuen Wissensformen dar, die ihn einem Reglement von Disziplinen und zeitgenössischen Techniken der Klassifizierung und Tabellierung unterwerfen. »Aus dem formlosen Teig, aus einem untauglichen Körper macht man die Maschine, deren man bedarf; Schritt für Schritt hat man die Haltungen zurecht gerichtet, bis ein kalkulierter Zwang jeden Körperteil durchzieht und bemeistert, den gesamten Körper zusammenhält und verfügbar macht und sich insgeheim bis in die Automatik der Gewohnheiten durchsetzte.« (Foucault 1976: 173)
In Foucaults »Körper-Kontroll-Politik« stellt der Körper keine physische Manifestation, sondern ein durch und durch soziales Gebilde dar, dem die jeweilige Gesellschaftsnorm ihren Stempel aufdrückt (vgl. Lorenz 1999: 11).7 Normen müssen dabei mehr oder weniger flexibel
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Vgl. zur Normierung des Körpers vor Gericht die von Maren Lorenz (1999) ausführlich wiedergegebenen Fallgeschichten. Lorenz’ Rekonstruktion der Wahrnehmung des ›abweichenden Körpers‹ in Gestalt von Impotenz und Unfruchtbarkeit, unehelichen Schwangerschaften, Abtreibungen und Kindsmord, Vergewaltigungen, Selbstmordversuchen oder Hexe-
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gedacht werden, denn die modernen disziplinierenden Institutionen, die sich direkt oder auch indirekt mit der Erfassung körperlicher Abläufe beschäftigen, definieren und verschieben immer wieder Toleranzzonen und Grenzwerte. Wie sieht nun eine solche verkörperlichte Kontrolltechnik aus beziehungsweise wie kommt die Macht, wie kommt das Normalisierungswissen in den Körper hinein, wie werden Körper zu normalen oder abweichenden Körpern? Foucault zeigt am Beispiel des ›synoptischen Blicks‹ als disziplinierende Mikropraktik in Benthams Modell des ›Panopticon‹, eines ringförmigen Gebäudes mit transparenten Zellen, in deren Mitte ein Wachturm steht, wie sich in der Moderne die Macht direkt in den Körper einschreibt. Obwohl der Wachturm als Symbol für die Fremdkontrolle schlechthin steht, besteht die zynische Pointe darin, dass sich die Eingekerkerten scheinbar von sich aus so verhalten, als würden sie beobachtet (vgl. Krasmann 1995: 244). Diese Verschiebung von der Fremd- zur Selbstkontrolle beruht nicht zuletzt darauf, dass die körperliche Praxis des Blickens mit einem neuartigen Wissen und neuen Formen der Macht verknüpft wird. Aufgrund der Einseitigkeit des Blicks (der Aufseher kann den Insassen sehen, aber nicht umgekehrt) bleibt den Insassen das Wissen verwehrt, ob und wann sie eigentlich beobachtet werden. Sie sind gezwungen, den Blick zu internalisieren und sich de facto selbst zu überwachen (vgl. Fraser 1994: 39). Der Titel »Überwachen und Strafen« ist also durchaus programmatisch zu verstehen, denn der Wandel sozialer Kontrolle ist für Foucault ein Wandel von der Bestrafung zur (Selbst)Überwachung. Die Durchsetzung der Selbstüberwachung erfordert die Einrichtung des »zwingenden Blicks« (vgl. Foucault 1976: 221), der nicht allein auf eine ›sinnliche Leistung‹ zurückzuführen ist. Das System der (Selbst-)Überwachung funktioniert nur als Konglomerat einer räumlichen und zeitlichen Ordnung der Körper, der Art und Weise, wie der Körper im Raum angeordnet, wie er im Raum organisiert wird. Dabei geht die bestimmte politische und detaillierte Besetzung des Körpers nicht im Verständnis einer gewaltsamen ›In-Besitznahme‹ des Körpers
rei dient der Aufdeckung der unheilvollen Allianz von Medizin, Psychiatrie und Strafjustiz zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert. Verteilt auf die Kapitel »Körper vor Gericht« und »Seelen vor Gericht« werfen die von ihr geschilderten Fälle ein erhellendes Licht auf die normativen Konstruktionen der damaligen Gesellschaft.
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auf. Stattdessen gleicht sie einer »Mechanik der Macht«, die die »Fähigkeiten« und »Tauglichkeiten« des Körpers und eine vertiefte Unterwerfung miteinander verkettet (vgl. Foucault 1976: 177). Anstelle des ›großen institutionellen Wandels‹ ist für Foucault die ›minutiöse Arbeit‹ am Körper der entscheidende Moment in der Transformation der Machtausübung. So ist neben dem panoptischen Blick, der sich selbst überwachende Individuen hervorbringt, auch die für Wartesituationen typische Anordnung ›in Reih und Glied‹ als eine solche Form moderner Kontrolle zu betrachten. Denn sie bringt nicht nur ›kultivierte‹ beziehungsweise ›höfliche‹ Umgangsformen hervor, sondern sie sorgt auch dafür, dass ›niemand aus der Reihe tanzt‹, mehr noch: Sie sorgt für eine Sichtbarkeit derjenigen, die ›aus der Reihe tanzen‹.8 So verändert sich mit dem Wissen über den Körper der menschliche Körper selbst im Sinne eines simultanen Ineinandergreifens von Natur und Norm (vgl. Krasmann 1995: 255). Die Körperlichkeit der Norm ist durchaus doppelsinnig zu verstehen. Einerseits zeigt sie auf, dass das Normalisierungswissen in die Dinge selbst eingedrungen ist – wissenschaftliche Erkenntnisse sind Teil alltäglicher Körperdiskurse und -praktiken geworden. Andererseits ist der Körper dem Wissen nichts Vorgängiges. Vielmehr bringt das Verfahren der Normalisierung den Körper in seiner bestimmten Materialität erst hervor. Wenngleich das Gefängnis als einer der sichtbarsten, weil ›totalen‹ Räume der Normalisierung von Körpern gilt (Kleidungsvorschrift, Haarschur, fest definierte Bewegungs-, Wasch- und Ruhezeiten usw.), wird es von Foucault als Beleg für die ›Dezentrierung‹ und ›Veralltäglichung‹ von Macht herangezogen. Denn sein Interesse gilt nicht dem Strafvollzug ›an sich‹, sondern seiner ›Technologie‹ des Überwachens. Das Gefängnis fungiert lediglich als Metapher für eine ›Disziplinarmacht‹, die den Körper als ›Instrument‹ sozialer Kontrolle einsetzt.
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Neben der architektonischen und organisatorischen Neuordnung des Gefängnisses können aber auch die Zusammenlegung der PatientInnen nach ihren Krankheiten sowie die Anordnung der SchülerInnen im Klassenraum nach Rang und Fähigkeiten als Beispiel einer solchen »differenzierenden Sichtbarkeit« betrachtet werden (vgl. Fraser 1994: 38). Foucault selbst spricht hier von einer »Architektur der Sichtbarmachung«, die nicht mehr bloß wie der Prunk der Paläste dem Gesehen-Werden oder der Geometrie der Festungen der Überwachung des äußeren Raumes dient (vgl. Foucault 1976: 222).
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Susanne Krasmann geht sogar so weit, dass sie das Gefängnis als das Charakteristikum einer durchgängigen Mikrophysik der Macht bezeichnet, die, gleich einem »Kerker-Kontinuum«, den gesamten Gesellschaftskörper durchzieht (vgl. Krasmann 1999: 107).9 So ist die Materialität der Körpers der Gefangenen keine unabhängige Größe, die von ihren äußerlichen Machtbeziehungen belehnt wird, sondern der Körper ist dasjenige, für das Materialisierung und Belehnung deckungsgleich sind.
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Z UR V ERKÖRPERUNG UND ABWEICHUNG
VON
N ORMALITÄT
Wenngleich die Macht der Normalisierung nicht darauf abzielt, den Körper zu unterdrücken, sondern darauf, ihn umzuformen (vgl. Fraser 1994: 41), macht Foucault deutlich, dass der Umformungsprozess in eine ganz bestimmte Richtung verläuft; sie zielt auf eine immer perfektere Zusammenschaltung von Körper und Geste. Die Disziplinarmacht zwingt zur besten Beziehung zwischen den Gesten und der Gesamthaltung des Körpers (vgl. Meuser 2002: 30). Insofern charakterisiert Foucault Normalisierung als einen Prozess, der produktive Körper hervorbringt, richtet sein Interesse aber nicht auf den produktiven Körper selbst, sondern auf seinen Hervorbringungsprozess. Damit bleibt jedoch nicht nur offen, inwieweit die energische Unterdrückung mit einer Auslöschung undisziplinierter Lebenskräfte gleichzusetzen ist10, sondern auch, welche Rolle der Körper in der alltäglichen Interaktion und (Re-)Produktion gesellschaftlicher Ordnung einnimmt, gewissermaßen, wie gesellschaftliche Normalität und Ab-
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In dieser Hinsicht lassen sich auch Phänomene wie Fitnesskult, Diätwahn oder plastische Schönheitschirurgie als zeitgenössische Variante der Körperkontrolle und -disziplin begreifen, die in der Regel als eigeninitiierte Selbstzwänge greifen und gerade deshalb umso rigider wirken (vgl. hierzu exempl. Villa 2008).
10 So verweist de Certeau in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Foucault auf die Vielzahl widerständiger (Alltags-)Praktiken, die – auch wenn sie keinen Diskurs organisieren – als »gewaltige Reserve« betrachtet werden, die Ansätze oder Hinweise auf differente Entwicklungen enthalten (vgl. de Certeau 1988: 109).
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weichung auch widerständig praktiziert werden. Obwohl Foucault behauptet, dass Widerstand ein unausweichliches Produkt von Macht ist, ist seine Theorie die Theorie der imperialisierenden Macht, die jene körper-praktischen Mikropolitiken im Alltag nicht berücksichtigt, die dieser Macht widerstehen (vgl. Fiske 2001: 230). Körper sind aber nicht nur ›Material‹ von Normalisierungsprozessen; sie greifen auch in das soziale Leben ein, indem sie Bedeutungen in Form expressiver Darstellungen sowohl dramatisieren als auch herunterspielen können. Vor allem Goffman hat in seinen Studien zur Dramaturgie alltäglichen Verhaltens darauf hingewiesen, dass das Regelwerk sozialer Ordnung immer in eine Situation der körperlichen Kopräsenz eingebunden ist. Die Information, die eine Person über sich gibt, ist für Goffman stets eine verkörperte Information; »[S]ie wird durch eben die Person, von der sie handelt, vermittelt, und sie wird vermittelt durch körperlichen Ausdruck in der unmittelbaren Gegenwart derer, die die Äußerung empfangen« (Goffman 1999: 58). Visibilität ist die zentrale Bezugsgröße seiner Soziologie, weshalb Goffman vom Verhalten nicht als Handeln, sondern als Darstellung spricht (vgl. Hirschauer 2008: 979). Seine Beispiele reichen vom vertraulichen Gespräch ›unter vier Augen‹ über die banale Frage, ›mit wem man sich in der Öffentlichkeit sehen lässt‹, bis hin zur Kleider-, Geruchs- oder territorialen (An-) Ordnung. Anstelle der foucaultschen Frage, was in der Interaktion verhandelt wird (die Norm), verschiebt Goffman den Fokus auf die Frage, wie in Interaktionen gehandelt wird. Dabei rückt er neben stark institutionalisierten Handlungsfeldern (Hospital, Gefängnis, Irrenanstalt) immer wieder öffentliche Interaktionsräume unter körper-kontroll-politischer Perspektive in den Blick. Gerade in öffentlichen Interaktionsräumen (Einkaufszentren, Flughäfen oder Fußgängerzonen), die im Gegensatz zu den klassischen ›Räumen der Normalisierung‹ die Grenzen zwischen ›drinnen‹ und ›draußen‹ nicht mehr klar ziehen und häufig durch die Abwesenheit staatlicher Kontrollinstanzen gekennzeichnet sind, ist die soziale (Interaktions-)Ordnung auf die Kopräsenz disziplinierter Körper angewiesen.11 Obwohl ihnen oftmals der Rang des Profanen zugesprochen
11 Im Falle der gemeinsamen körperlichen Anwesenheit auf Straßen oder in der Fußgängerzone können das minimale Informationen über einen geordneten und ausgewogenen Interaktionsverlauf sein, mit dem man Achtung
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wird, können solche kleinteiligen Interaktionsgefüge laut Goffman als indizierte Orte des sozialen Miteinanders betrachtet werden, an dem soziale Ordnungen entstehen und sich erhalten (vgl. Bausch 2001: 204).12 Vor allem Goffmans Stigma-Studien streichen den Stellenwert des Körpers im Kontext der Darstellung des Selbst und seiner Techniken der Imagepflege, aber auch im Hinblick auf formelle wie informelle Formen der Stigmakontrolle heraus, wobei allgemein unter dem Terminus ›Stigma‹ eine zutiefst diskreditierende Eigenschaft verstanden werden kann, die einem Individuum oder einer Gruppe zugeschrieben wird (vgl. Goffman 1999: 11). Goffman lokalisiert Stigmatisierungen in Form von »verkörperten Zeichen« mit dem Effekt der Beschädigung von Identität auf der Ebene der sozialen Identität (vgl. Bausch 2001: 216). Dabei bringt er den Körper aber nicht nur als ›Adressat‹ beziehungsweise ›Identitätsaufhänger‹ von Stigmatisierungsprozessen ins Spiel, etwa wenn körperliche Zeichen (Behinderungen, Male usw.) als ›sichtbarer‹ Beweis für Inferiorität und Gefährlichkeit von Personengruppen herangezogen werden. Werden soziale Identitäten durch Degradierungen beschädigt, können auch Verhaltensweisen des »Stigmamanagement« entwickelt werden, die der Bewältigung des Stigmas dienen. Insofern dient der Körper sowohl der Sichtbarmachung als auch der Verschleierung von Stigmata, etwa wenn eine ›harmlose‹ Erscheinung oder ein ›freundliches‹ Nicken das Stigma der ›Kriminalität‹ verdeckt. Neben dem eigentlichen Stigmatisierungsprozess identifiziert Goffman konkrete körperliche Kontrollpraktiken, die sowohl ›Normale‹ als auch ›Diskreditierte‹ anwenden, um die Informationen über das Stigma zu steuern. So können sich etwa durch das Tragen solider Kleidung (am besten sogar durch das Tragen einer horngerahmten Brille), ausstaffiert mit einer Zeitung, selbst solche Personen unauffällig zur späten Stunden in der New Yorker Central Station aufhalten,
und Respekt gegenüber sich selbst und anderen bekundet (vgl. Bausch 2001: 205; vgl. hierzu ausführlich Reuter 2002a/b). 12 Natürlich hat auch Foucault das Problem moderner Disziplinarmacht nicht auf das Problem moderner Disziplinarinstitutionen reduziert. Dennoch finden sich in seinen Analysen der kapillaren ›Sub-Justiz‹ nur wenige Versuche, den Gedanken auf die Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum zu übertragen.
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die ansonsten leicht das Auge des Gesetzes auf sich ziehen (vgl. Goffman 1999: 60). Auch das angemessene Zurschaustellen von Sauberkeit und Gesundheit kann als eine solche Technik der ›Imagepflege‹ gewertet werden, denn häufig wird damit gleichzeitig eine gewisse Unauffälligkeit und Ungefährlichkeit sowohl im Hinblick auf das Körperliche und die äußerliche Erscheinung als auch auf den moralischen Zustand der Innenwelt demonstriert (vgl. Raab 2001: 177). Gerade weil die Bekanntgabe beziehungsweise ›Entdeckung‹ des Stigmas sozial folgenreich ist – und das gilt gerade für das Stigma der Kriminalität in besonderem Maße –, legen die betroffenen Personen in der Regel eine gewisse ›Professionalität‹ im Bezug auf die Techniken der Informationskontrolle an den Tag. Dies kann in Form von Verkleidungen oder Maskeraden sein, mit der man versucht, die sozialen Informationen über die Identität vollständig ›geheimzuhalten‹. Es lassen sich aber auch undramatische Kontrolltechniken denken, etwa wenn durch die Wahl der Interaktionssituation (dunkle Kneipe, Telefonat usw.), bestimmte Stigmasymbole ›unsichtbar‹ gemacht werden oder durch die Aufrechterhaltung physischer Distanz die anderen daran gehindert werden, eine persönliche Identifizierung anzusammeln. So kann der Kriminelle allein durch das Aufhalten in einer Region mit mobiler Bevölkerung (Hotel, Autobahnraststätte, Bahnhof usw.) die Möglichkeit des ›Entdecktwerdens‹ begrenzen, indem er sich von den meisten jener Kontakte absetzt, in denen sein ›Stigma‹ als Teil der Biographie, die andere von ihm haben, etabliert sein könnte (vgl. Goffman 1999: 126).
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K ÖRPERLICHE ›D OPPELSPIELE ‹
Im Gegensatz zu Foucault, der den Aspekt der kulturellen Formung des Körpers mit Hilfe von diskursiven Praktiken in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt, werfen handlungstheoretische Ansätze wie der von Goffman die Frage nach der konkreten Verkörperung der Ordnung des Sozialen auf. Es ist sicher spannend zu zeigen, wie das Normalisierungswissen körperliche Praktiken, Zustände, Wahrnehmungs- und Erfahrungsweisen formt. Dennoch greift eine ›Körper-Kontroll-Politik‹ dort zu kurz, wo der Körper strategisch in das Aushandeln von Bedeutungen eingreift und auf wirkungsvolle Weise eine Neudefinition von Situationen
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durchsetzt. Hier ist über die bloße körperliche Repräsentation des Sozialen hinaus der Körper als ein konstitutives Medium gesellschaftlicher Ordnung aufzufassen, das Handlungspotential besitzt und auf Diskurse rückwirken, sie initiieren und verändern kann (vgl. Gugutzer 2004: 81). Goffmans Gespür für die Nuancen der Körperpräsentation im Hinblick auf die Ordnung des Sozialen schließt dabei mit ein, dass der Körper durch seine kommunikative Selbsttätigkeit nicht nur in der Lage ist, Informationen über die soziale Identität in gewissem Sinne ›eigenwillig‹ zu steuern. Als das am meisten komplexe Element unserer Kommunikationskultur kann er auch den Intentionen seines/seiner BesitzerIn zuwiderzulaufen – etwa wenn eine unbeabsichtigte Berührung in überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel als »Übergriff« gedeutet wird oder eine offensichtliche »Defensive« des Blicks kund tut, »es sei irgendetwas im Gange« (vgl. Goffman 1971a: 85).13 Neben einer mangelhaften Inszenierung ist es häufig die kommunikative Selbsttätigkeit des Körpers, die eine Darstellung misslingen lassen. Natürlich ist nicht die flüchtige Deutung der Situation, die durch eine ungewollte Geste geschaffen wird, in sich besonders »anstößig«. Der springende Punkt liegt darin, dass sie von der vorher entworfenen Definition abweicht (vgl. Goffman 1976: 49). Gerade weil die Herstellung und Erhaltung sozialer Ordnung auf die praktischen Vollzüge und einen inszenatorischen Körpereinsatz angewiesen sind, bleibt die Gefahr des Misslingens und somit die Fragilität von Wirklichkeit immer bestehen (vgl. Bausch 2001: 220). Dies gilt für spezielle Situationen, die ein bestimmtes Ausdrucksverhalten erfordern (Bewerbungsgespräch, Gerichtsverhandlung, Kreditgesuch) im Besonderen. Aber auch das alltägliche Verhalten ist oft den schärfsten Kontrollen in Bezug auf Eignung, Schicklichkeit und Verträglichkeit ausgesetzt (vgl. Goffman 1976: 52). Goffmans Betonung des Körperlichen, der körperlichen Erscheinung, des körpergebundenen Verhaltens, der Requisiten und Kulisse
13 Auch Fiske gibt in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Foucaults »Körper des Wissens« zu bedenken, dass gerade dort, wo die Disziplin als exzessiv wahrgenommen wird, selbige immer auch in Frage gestellt wird. »Kein Körper ist gänzlich gelehrig, und die Vorstellung der Akteure über die angemessenen Grenzen ihrer Gelehrigkeit muss nicht mit jener der Disziplinarordnung übereinstimmen.« (Fiske 2001: 222)
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als Grundlage von Interaktionsordnungen zeigt, dass es nie vollständig vorhersehbar ist, welche Bruchstücke und Erklärungsmuster unseres (Normalisierungs-)Wissens jeweils interaktionsspezifisch zum Einsatz kommen – häufig scheint es sogar, als würden wir eher auf die Darstellung unseres Gegenübers anstatt auf einen vorstrukturierten ›Ordnungsrahmen‹ Bezug nehmen. Mehr noch, viele Abweichungen führen gerade deshalb nicht zu einem öffentlich ausgetragenen Konflikt, weil jeder auf seine Weise an die Darstellung des anderen anknüpft. So fallen laut Goffman Gesellschaften trotz einer Fülle von alltagspraktischen Abweichungen und ›unzureichender‹ sozialer Kontrolle nicht auseinander; und trotz der Gefahr des Misslingens von Darstellungen, die jede Interaktion in sich birgt, wird auf soziale Bezüge nicht verzichtet (vgl. Hammerich 1999: 113). So schnell eine ›unvorsichtige‹ körperliche Darstellung Stigmatisierungsprozesse auslösen kann, so schnell können körperliche Praktiken auch ›selbstreparierend‹ wirken. Manchmal reicht schon eine kleine Achtungsbekundung (das Niederschlagen der Augen, entschuldigendes Lächeln, Neujustieren im Raum), um das interaktionale Gleichgewicht wieder herzustellen. Nicht jede unwahre Darstellung wird gleich geahndet, weil wir ›mitspielen‹ und uns zum ›Komplizen‹ der ›Verschwörung des Sozialen‹ machen, indem wir dem Anderen helfen, sein Gesicht zu wahren.14 In einigen Fällen werden Abweichungen aber auch gerade wegen der körperlichen Inszenierung von Normalität gar nicht erst ›entdeckt‹. Goffman spricht in diesem Fall von »Täuschungen« als spezielle Form unwahrer Darstellungen. Ein dramatisches Beispiel liefert das gegenwärtige Interesse an der Figur des (unscheinbaren) Terroristen – auch als »Schläfer« bezeichnet: Der Schläfer lebt zivilisiert und ist doch zu barbarischen Gewalttaten fähig. Er nutzt das Wissen um Disziplin und Ordnung, indem er wie ein Guerillakämpfer die verfügbaren Ressourcen »kreativ« für die eigenen Zwecke verwendet. Der Schläfer aktiviert das inkorporierte Normalisierungswissen über situationsangemessene Bewegungen reflexiv und setzt es zur gezielten
14 Hammerich greift hier das Beispiel des außerehelichen Geschlechtsverkehrs auf: »Außerehelicher Geschlechtsverkehr gilt als abweichend, dennoch gibt es Prostituierte, Eroshäuser, Glückssaunen. Personen, die sich dort begegnen, gehen ein enges, körperliches Beziehungsverhältnis ein, sie kennen sich also; dennoch grüßen sie sich nicht auf der Straße.« (vgl. Hammerich 1999: 111)
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Steuerung der eigenen leibgebundenen Expressionen ein (vgl. Meuser 2002: 29).15 Ein solches ›Doppelspiel‹ ist daher – soziologisch – nicht nur als ›Amoklauf‹ oder ›zivilisatorische Entgleisung‹ zu fassen. Es kann mit dem französischen Praxistheoretiker Michel de Certeau (1988) auch als ›taktischer Überfall der Schwachen‹ auf die operierende Machtstrategie der dominanten Anderen betrachtet werden, indem sie die verfügbaren Ressourcen in der Praxis zu ihrem eigenen Nutzen ›wenden‹. Diese Macht ›von unten‹ hat nur den Ort des Anderen. Sie ringt gewissermaßen ihre Macht der Macht ›von oben‹ ab. De Certeau, der sich unter anderem ausführlich mit Foucaults Machttheorie auseinandersetzt, spricht von sogenannten Spielräumen der Praxis, die er vor allem in den unauffälligen Alltags-Praktiken identifiziert. Hier verbirgt sich seines Erachtens ein wirkungsvolles Potential, dass es immer wieder aufs Neue schafft, die foucaultsche Allgegenwart und Unausweichlichkeit der Macht auszuhebeln, zu umschiffen.16
15 Vgl. zur Typisierung des ›Schläfers‹ auch Eva Horns Versuch einer politischen Anthropologie des Partisanen im Anschluss an Carl Schmitt. Neben der Politisierung, Irregularität und Mobilität ist der Schläfer ähnlich wie der Partisan durch seine »Unsichtbarkeit« gekennzeichnet. »Er sieht aus wie ein Zivilist, handelt aber wie ein Krieger.« (Horn 1998: 41) Damit bringt er eine entscheidende Unordnung in die Kategorie des Feindes, denn wo nicht mehr zu erkennen ist, wer kämpft und wer nicht, wird die ganze Bevölkerung zur potentiellen Bedrohung. 16 So entdeckt de Certeau beispielsweise unter den Zuschreibungen des Körpers in Medizin, Psychoanalyse und Biologie, die den Körper als sozial dressierten Leib mit regulierbaren Affekt- und Triebhaushalt behandeln, Spielräume des Gebärdens und der Artikulation: »In der Abgeschiedenheit aller möglichen ›Lesekabinette‹ (vom Studierzimmer bis zum Klo) werden unbewußte Gebärden freigesetzt: Gemurmel, Zuckungen, Herumgekrame oder Drehungen, ungewöhnliche Laute, sozusagen eine wilde Orchestrierung des Körpers.« (de Certeau 1988: 309) Was dem zivilisierten wissenschaftlichen Auge nicht in den Blick gerät, höchstens als Überbleibsel unzivilisierter Verhaltensweisen, will de Certeau als machtvolle körperliche Ressource aufzeigen, die sich gegen den Kanon der Disziplinierung wendet und einen Freiraum darstellt, Dinge anders zu machen, sie anders zu denken, sie anders zu sagen.
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AUSBLICK
Auch wenn sich de Certeau auf »gewaltlose« Widerstandspraktiken konzentriert17 und Goffman die dramaturgische Disziplin der DarstellerInnen als Technik der Eindrucksmanipulation stärker auf AlltagsAkteure denn auf »professionelle TäuscherInnen« bezieht, finden sich bei beiden fruchtbare theoretische Bezüge für eine kriminologische Fragestellung zur ›Sprache des Körpers‹. Entgegen der Vorstellung, den Körper entweder als kontrolliert und diszipliniert oder als abweichend und damit undiszipliniert anzunehmen, schließen alltägliche ›Techniken der Präsentation‹ Verteidigungs-, Täuschungs- oder auch Schutzmaßnahmen mit ein. Foucaults »Körper-Kontroll-Politik« sollte daher um eine handlungstheoretische Bestimmung des Körpers als Initiator von Bedeutung ergänzt werden. Dann sind neben der Dramatisierung sozialer Ordnungen auch professionelle Täuschungen und »Doppelspiele« mit eingeschlossen, worauf Goffmans Begriffe des »Eindrucksmanagements« oder der »Ausdruckskontrolle«, vor allem aber der Begriff der »unwahren Darstellung« verweisen.18 So mag die aus kriminologischer Sicht häufig gestellte Diagnose richtig sein, dass der Amoklauf, also jener Umstand, dass jemand inmitten des öffentliches Getriebes seine Selbstkontrolle verliert, gegenwärtig als größte Gefahr eingeschätzt wird (vgl. Meuser 2002:
17 De Certeaus Analyse der Vielfalt und Kreativität der Formen des Widerstands ist insofern ein ›Plädoyer‹ für die Schwachen, indem er für die Illustrierung ›taktischer Überfälle‹ auf populärkulturelle Beispiele des Alltags zurückgreift. So kommen taktische ›Doppelspiele‹ bei der Sekretärin zur Anwendung, die während ihrer Arbeitszeit einen privaten Brief auf der Schreibmaschine der Firma tippt, oder bei Arbeitnehmern, die die Werkzeuge und Altmaterialien ihrer Unternehmen nutzen, um für sich selbst etwas zu schaffen (vgl. Fiske 2001: 231). 18 Dennoch bewertet Goffman »unwahre Darstellungen« nicht kategorisch als Abweichung, geschweige denn »Störung« sozialer Ordnung, da die soziale Definition der gewählten Verkörperung in sich nicht besonders folgerichtig ist. »Während wir Darsteller, wie bspw. den Hochstapler, der bewusst alle Fakten seines Lebens falsch darstellt, streng verurteilen, können wir doch Sympathie mit denjenigen empfinden, die nur einen verhängnisvollen Makel haben und zu verbergen suchen.« (Goffman 1976: 56)
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31). Dennoch ist eine Vielzahl ›krimineller‹ Ordnungsübertritte nicht auf einen Verlust der Selbstkontrolle, sondern im Gegenteil auf die professionelle Inszenierung der Selbstkontrolle zurückführen.
Eigensinnige Körperinszenierungen Zur Materialität des Performativen
Eigensinnige Körperinszenierungen und ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung wie Infragestellung gesellschaftlicher Ordnung sind immer häufiger auch Gegenstand der kulturtheoretisch fundierten Performanzdiskussion um Interaktionsordnung und Geschlechtskörper. Hier nehmen eigensinnige Körperinszenierungen eine besondere Rolle ein, geleitet von der Vorstellung, dass sowohl der Charakter als auch die Qualität sozialer Beziehungen von der Art und Weise abhängen, wie Menschen mit ihrem Körper beim Handeln umgehen, welche körperlichen Abstände sie einhalten, welche Körperhaltungen sie zeigen oder welche Gestiken sie entwickeln (vgl. Wulf et al. 2001: 9). Darüber hinaus markiert der Körper einen neuralgischen Punkt performanztheoretischer Ansätze, da an ihm die Materialität der Wirklichkeit zugleich bewiesen wie bestritten wird. Einerseits ist es die Materialität des Körpers, mit der die Inszenierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit unterstützt wird. Andererseits ist es erst die Inszenierung, die eine bestimmte Materialität des Körpers produziert. Erving Goffmans Interaktionsstudien und Judith Butlers Genealogie der Geschlechterdifferenz liefern zentrale Einsichten zur Korporalität der Darstellung beziehungsweise performativer Akte, die sich jedoch darin unterscheiden, dass Goffman auf die körperliche Präsentation des Sozialen, Butler auf die soziale Repräsentation des Körpers abstellt. Damit wird nicht nur die Frage nach der Bedeutung des Körpers für die Stabilisierung gesellschaftlicher Ordnung aufgeworfen, sondern auch nach den Möglichkeiten seines Widerstandes.1
1
Das Kapitel ist die überarbeitete Fassung meines Artikels: Reuter, Julia (2004b): »Körperinszenierungen. Zur Materialität des Performativen bei
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K ÖRPERLICHE I NTERAKTION UND S ELBSTPRÄSENTATION (G OFFMAN )
In Goffmans mikrosoziologischen Studien zur Interaktionsordnung rücken vor allem seine Ausführungen zur alltäglichen Präsentation des Selbst den Aspekt der Inszenierung von Wirklichkeit in den Vordergrund. In Ergänzung zur technischen, politischen, strukturellen und kulturellen Betrachtungsweise auf gesellschaftliche ›Einrichtungen‹ führt Goffman das Theater-Modell als weiteres ›Ordnungsprinzip‹ in die soziologische Analyse ein. Es dient dazu, die Techniken der Eindrucksmanipulation, die in einer bestimmten Institution oder Sozialorganisation angewandt werden, die Identität und das Beziehungsnetz der verschiedenen TeilnehmerInnen zu beschreiben (vgl. Goffman 1969: 219). Diese, auch als ›dramaturgische Perspektive‹ bezeichnete Herangehensweise eignet sich nach Goffman für einen großen Teil sozialer Interaktion, wie sie unter natürlichen Bedingungen stattfindet.2 Interessant erscheint vor allem, dass Goffman die Dramaturgie sozialer Praktiken nicht nur in relativ gering formalisierten Interaktionszusammenhängen aufdeckt – etwa in der alltäglichen Interaktion von Liebespaaren oder allgemein bei Begegnungen auf öffentlichen Plätzen (vgl. Goffman 1971b). Auch in formalen, ja sogar ›totalen‹ Institutionen wie dem Gefängnis oder der Psychiatrie gibt es ausreichend Gelegenheit, die Akteure beim Rollenspiel und der Selbstinszenierung zu beobachten (vgl. Goffman 1972). Goffman legt damit eine Theorie der Interaktionsordnung vor, die Strukturmerkmale ebenso wie situationsspezifische Mikropraktiken einbezieht. Sowohl sein Begriffsrepertoire (Rollenspiel, Selbstpräsentation, Eindrucksmanipulation usw.) als auch sein Gespür für die Körperlichkeit und Visibilität von Interaktionsordnungen erlauben, ihn als ›Denker des Performativen‹ zu lesen (vgl. Bausch 2001: 203). Goffman führt die Gesellschaftsmitglieder in unterschiedlichen sozialen Handlungszusammenhängen als clevere ›Performer‹ in den Blick. Menschen interagieren nicht einfach. Sie sind DarstellerInnen,
Judith Butler und Erving Goffman«, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 46, S. 105-112. 2
Goffmans ›natürliche Bedingungen‹ stehen im Kontext der angelsächsischen Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre.
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sie inszenieren sich in der Interaktion,3 sie arbeiten mit den »präsentativen Symbolismen«, die ihnen zur Verfügung stehen – mit der Kleidung, mit dem Gesicht, mit der Mimik, der Gestik und der Haltung (vgl. Hirschauer 2008: 979). Diese Selbstpräsentation geht über das individuelle Spiel der Eindrucksmanipulation weit hinaus. »Wenn wir das Selbst analysieren, werden wir [...] von seinem Besitzer [...] weggezogen; denn er und sein Körper bieten nur den vorübergehenden Aufhänger für etwas gemeinsam Hergestelltes.« (Goffman 1969: 231 Auch wenn der Begriff der Selbstpräsentation ›existentialistische‹ Annahmen provoziert, geht es Goffman weder um individuelle Idiosynkrasien noch um bis ins letzte Detail durchgeplante Handlungsarrangements. Im Gegenteil, immer wieder zeigt er auf, dass die Mittel, um sein Selbst zu produzieren und zu inszenieren, nicht beim/bei der DarstellerIn, sondern in sozialen Institutionen verankert sind (vgl. ebd.). Vieles von dem, was auf der Bühne des alltäglichen Lebens stattfindet, lässt sich vorher nicht genau festlegen (vgl. Goffman 1994: 73). Wir besitzen zwar als Individuen gewisse praktische Fertigkeiten und Fähigkeiten. Ihr geschickter Einsatz ist abhängig von der gesellschaftlichen Rahmung der Handlungssituation, von Ensemblemitgliedschaften, lokalen Bedingungen (Region, Requisiten, Inszenierungshilfen), nicht zuletzt vom anwesenden Publikum.4 Diese Spannung zwischen ›individuellem Handlungsspielraum‹ und ›sozialer Haftung‹ veranschaulicht Goffman durch die ambivalente Rolle des Körpers in der Interaktion. Zum einen vermittelt er eine bestimmte äußere Fassade: Darstellungen lassen sich durch geschickten Körpereinsatz so idealisieren, dass sie uns Statusvorteile ermöglichen. Aber auch das Gegenteil ist denkbar. So zeigen Goffmans Stigma-Studien (1999) wie sehr etwa physische Missbildungen, die eigent-
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Der Begriff der Darstellung (performance) bezeichnet laut Goffman die Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers/einer Teilnehmerin an einer bestimmten Situation, die dazu dient, die anderen TeilnehmerInnen in irgendeiner Weise zu beeinflussen (vgl. Goffman 1969: 18).
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Während es einer Frau in der Kirche erlaubt sein mag »im Sitzen zu träumen oder sogar zu schlafen, kann von ihr als Verkäuferin in einem Modegeschäft verlangt werden, dass sie steht, aufmerksam bleibt, keinen Kaugummi kaut, dass sie lächelt, auch wenn sie mit niemanden spricht, und dass sie Kleider trägt, die sie sich kaum leisten kann.« (Goffman 1969: 102)
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lich irrelevant für soziale Interaktionen sind, weil sie nicht aus sich heraus die Fähigkeit zur Interaktion direkt behindern, doch in der Tat die Grundlage der Zuschreibung von Identitäten bilden, welche dann zur Interaktions-›Behinderung‹ führen (vgl. Field 1987: 257). Eine augenscheinliche ›physische Deformation‹ von Personen hat in der Regel keine Auswirkungen auf ihre Kompetenz in einzelnen Aufgaben, wenngleich wir sie auch hier diskriminieren könnten, einfach der Gefühle wegen, die wir haben, wenn wir sie sehen (vgl. Goffman 1999: 66). Etwa wenn geplatzte Kapillare auf Wange und Nase als Indikator für alkoholische Exzesse gehalten werden (vgl. ebd.: 60ff.) oder hinter einer körperlichen Behinderung ein geistiger Defekt, zumindest eine hilflose, schüchterne Persönlichkeit vermutet wird. Hier kann der Körper die selbstgewählte Präsentation des Darstellers/der Darstellerin, vor allem aber die ›normale‹ Interaktion erheblich beeinträchtigen. Trotz dieser Schwierigkeit, innerhalb der Visualität des sozialen Stigmatisierungsprozesses zu kontrollieren, räumt Goffman Spielräume des geschickten Identitätsmanagements auch auf Seiten der Stigmatisierten ein.5 Stellenweise gewinnt der Leser sogar den Eindruck, dass gerade die Diskreditierten über gewisse ›praktische Fertigkeiten‹ der Eindrucksmanipulation verfügen. Ihr Körper – eigentlich ›stummer Adressat‹ der Zuschreibung – wird dann selbst zum ›aktiven Mittler‹. Zeichen, die Stigma-Symbole geworden sind, werden durch Kleidungsstücke oder Accessoires verdeckt, die Blicke der anderen werden bewusst auf prestigemächtige Symbole umgelenkt (Markenkleidung, Schmuck, technische Errungenschaften). Aber auch korrektive Gesten (Augenzwinkern, entschuldigendes Lächeln, Zur-Seite-Treten), übertriebene Darstellungen (Verbeugen), also jene Tatsache, sich ›normaler‹ als alle anderen zu verhalten, kann als korrektiver Austausch leibgebundener Informationen betrachtet werden. Insgesamt zeigen Goffmans Stigma-Studien den massiven Einfluss des Körpers auf die Muster sozialer Interaktion, die Zuweisung von Identität und die Entwicklung einer Selbst-Konzeption (vgl. Field 1987: 261). Im Gegensatz zur impliziten ›Komplizenschaft‹ sozialer Akteure im symbolischen Interaktionismus, der vor allem solche Handlungszu-
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Das heißt aber nicht, dass es nicht auch nicht-sichtbare, ›innere Schäden‹ des Körpers (Diabetes, Epilepsie, Impotenz usw.) sein können, die im Umgang mit anderen Menschen Erschwernisse, Beschränkungen und Zwänge auferlegen.
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sammenhänge berücksichtigt, in denen man von einem nach der Sozialisation gegebenen Konsens zwischen den Akteuren ausgeht, ist Goffmans Beitrag durch das Wissen um die Gefährdung des Individuums geleitet. Eine Situation so zu ›machen‹, dass taktvolle Standardregeln eingehalten werden, zeichnen sich meist durch eine gefährliche Ruhe aus. Fast jede körperliche Bewegung, ein etwas längerer Blick auf ›falsche‹ Körperstellen oder eine Übertretung der Territorien des Selbst können Auslöser von Stigmatisierungsprozessen werden (vgl. Goffman 1973: 52). Der ›Goff-Mensch‹ muss die ›Tricks im Handwerk des alltäglichen Lebens‹ beherrschen, einerseits, um nicht ständig stigmatisiert oder entlarvt zu werden, andererseits aber auch, um aus der jeweiligen Situation noch das Beste herauszuholen (vgl. Steinert 1977: 84). Dies wird umso wichtiger, je eher es sich um Situationen handelt, in denen es eine labile Trennung in offiziell relevante und nicht relevante Welten gibt (vgl. Goffman 1973: 61).6
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K ÖRPERLICHE M ATERIALITÄT UND PERFORMATIVES M ATERIALISIEREN (B UTLER )
Während sich Goffman vor allem der körperlichen Präsentation des Sozialen widmet, beschäftigt sich Judith Butler mit der sozialen Repräsentation des Körpers, genauer: mit der diskursiven Repräsentation des Geschlechtskörpers. Butler insistiert darauf, dass unser Körperund Geschlechterverständnis ein Effekt heterosexueller Normierungsprozesse ist, dass dadurch gekennzeichnet ist, dass wir dem (Geschlechts-)Körper Eindeutigkeit, Naturhaftigkeit und Konstanz unterstellen (vgl. Wojke 2003: 50). In Auseinandersetzung mit dem französischen Poststrukturalismus legt sie eine diskurstheoretische Dekonstruktion der Geschlechterontologie vor, deren Ziel die Denaturalisierung der Geschlechtskörper und -identitäten ist. Geschlecht, so ihre These, ist kein ›biologisches Schicksal‹, sondern eine Inszenierung der Körper, deren vermeintlich innere Bedeutung auf ihrer Oberfläche dargestellt werde (vgl. Tervooren 2001: 159). Erst als sedimentierte
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Etwa, wenn Personen mit einem gesellschaftlichen Stigma, z.B. ehemalige Sträflinge, äußerst geschickt ›Erkennungssituationen‹ zu vermeiden wissen, oder umgekehrt, wenn die anderen InteraktionsteilnehmerInnen aus Taktgefühl die Dinge unerwähnt lassen (vgl. hierzu Reuter (2003).
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Wirkung einer andauernd wiederholenden oder rituellen Praxis erlangt das Geschlecht seinen Effekt des Naturalisierten (vgl. Butler 1995: 32). Natur, Biologie und Materialität werden damit selbst zum performativen Akt erklärt oder anders: Performative Akte bewirken die Sedimentierung und Herstellung eines materiellen Effekts. Diese Macht des Performativen, die vor allem in Sprechhandlungen identifiziert wird7, ist dabei zugleich alltägliche Realität als auch politische Analysekategorie. Zumindest bringt Butler das Konzept der Performativität nicht nur als Unterwerfungsmedium, sondern auch als subversive Ressource ins Spiel, mit der die Akte der Verdinglichung und Verleugnung ans Licht gebracht werden, die stillschweigend als substantielle Geschlechterkerne dienen (vgl. Butler 2001a: 317).8 Akte, Gesten, der sichtbare Körper und seine Attribute drücken laut Butler nichts aus – wie der Begriff der Expressivität vorgibt. Sie konstituieren zuallererst das, was sie scheinbar ausdrücken. Nicht der Geschlechtskörper, sondern die Performance des Geschlechts und Konstruktionen des Körpers gewinnen in wiederholten Darbietungen, in Form ritueller gesellschaftlicher Inszenierungen an Bedeutung (vgl. Tervooren 2001: 160). Butler radikalisiert Goffmans Annahme der ›Inszenierung von Identität‹, indem ihr Subjekt nur insofern real wird, als es sich aufführt. »Es konstituiert sich in Akten, die Butler deshalb performativ
7
In Anlehnung an J.L. Austins Sprechakttheorie, in der der (illokutionäre) Sprechakt jene Tat ist, die er hervorbringt, beschäftigt sich Judith Butler (1998) vor allem mit ›verletzenden‹ Sprechhandlungen (hate speech) der Justiz und Pornographie. Die repräsentative Sprache in diesen gesellschaftlichen Bereichen repräsentiert für Butler nicht nur Gewalt; sie ist Gewalt.
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Während die alltägliche Erfahrung performativer Handlungen eine normative Perspektive der Herstellung und Verschleierung der Normalität binärer Geschlechterzugehörigkeit und ihrer heterosexuellen Organisation schwierig macht, dient das Konzept der Performativität auf der Ebene des theoretischen Diskurses sowohl der Kritik an sex-gender-Dualismen als auch der Verabschiedung von der ontologischen Kategorie ›Frau‹ als universale Ontologie feministischer Politik. So lässt sich Butlers Perspektive auch als ›post-feministisch‹ bezeichnen, wie ich unter anderem auch in einem früheren Aufsatz näher ausgeführt habe: Reuter, Julia/Wieser, Matthias (2006): »Postcolonial, gender und science studies als Herausforderung der Soziologie«, in: Soziale Welt 57, S. 177-193.
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nennt, weil sie erst hervorbringen, was sie zeigen.« (Tervooren 2001: 150) Sie legt damit eine Subjekttheorie vor, die anstelle des Subjekts den Begriff der Subjektivierung oder auch Subjektivation, verstanden als iteratives Performieren gesellschaftlich normierter Handlungsschemata, in den Vordergrund rückt. Erst durch diesen Prozess der Unterwerfung und des Unterworfenwerdens in einer symbolischen Ordnung wird man zum ›intelligiblen Subjekt‹ (vgl. hierzu Butler 2001a; Villa 2006: 161f.). Wo Goffman die Darstellung als Schutz des ›heiligen Selbst‹ begreift und am Glauben eines ›authentischen Kerns‹ festhält (der allerdings latent in Interaktionen gefährdet ist), hebt Butler die Trennung zwischen Innen und Außen, zwischen Vorderbühne und Hinterbühne, zwischen Inszenierung und unmittelbarem Ausdruck auf. Butler verdeutlicht dies durch die Unterscheidung der Begriffe Expressivität und Performativität. Während der Begriff der Expressivität Akte und Gesten als Ausdruck eines Kerns der (Geschlechts)Identität interpretiert, besagt die Theorie der performativen Akte, dass die (Geschlechts-)Identität nur real ist, insoweit sie inszeniert wird. Butler versteht die (Geschlechts-) Identität nicht als Rolle, die ein inneres Selbst entweder ausdrückt oder verschleiert (vgl. Butler 2002: 315). Das Verhältnis stellt sich ihrer Ansicht nach genau umgekehrt dar: Das Subjekt und seine (Geschlechts- )Identität ist Effekt performativer Akte, wie beispielsweise Sprechakten (Äußerungen, Zitate) oder identifikatorischen Praktiken.9 Im Gegensatz zur Auffassung Goffmans, der von einem Selbst ausgeht, das im Rahmen der komplexen sozialen Erwartungen des ›Spiels‹ des modernen Lebens verschiedene Rollen annimmt und austauscht, nimmt sie an, dass sich dieses Selbst nicht nur unwiderruflich ›draußen‹ befindet, dass es im sozialen Diskurs konstituiert ist, sondern dass die Zuschreibung von Innerlich selber eine regulierte und sanktionierte Form der Erfindung von Essentialität ist (vgl. Butler 2002: 316).
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Butler betont damit den nicht-theatralischen Aspekt der Performativität, weil das Theatralische als Begriff ein vorgängiges Subjekt nahelegt, das einen einmaligen künstlerischen Akt vor Publikum vollführt. In ihrer Sichtweise bleibt das Subjekt jedoch in regulative Diskurse so verwoben, dass es eine bestimmte ›Anrufung‹ zu einer Identität erfährt (vgl. Stanford Friedman 2003: 42).
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Akte beschreiben eine ritualisierte Inszenierung gesellschaftlich bereits eingeführter Bedeutungen. Es sind soziale, höchst regulierte Praktiken, die eine ständige Wiederholung von Normen erzwingen. Erst durch die ständige wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt, lassen sich Akte für Butler als performative Akte bezeichnen (vgl. Butler 1995: 22). Neben der Abgrenzung zum Begriff des Expressiven richtet sich Butler damit gleichermaßen gegen eine zu individualistische Lesart. ›Aktionen‹ sind unmittelbar öffentlich, obgleich es einzelne Körper sind, die Bedeutungen inszenieren. »Gewiss vollziehe ich meine Geschlechtszugehörigkeit individuell mit eigenen Nuancen, aber dass ich dies tue, und zwar in Übereinstimmung mit bestimmten Sanktionen und Vorschriften, ist ganz klar keine bloß individuelle Angelegenheit.« (Butler 2002: 312). Nicht das Subjekt wählt zwischen verschiedenen Geschlechteridentitäten; es muss seinen Subjektstatus erst durch die Gender-Performance erlangen (vgl. Wojke 2003: 56). Indem Butler die Performanz zugleich als Ausdruck normativer Geschlechterverhältnisse und als Bedingung von Subjektivität und Handlungskompetenz fasst, räumt sie ein, Performativität sei eher ein soziales denn personales Konzept. Trotz der radikalen ›Soziologisierung‹ des Körpers durch die theoretische Dekonstruktion der gesellschaftlich regulierten Verkörperungsakte (Signifizierungen) leugnet Butler seine Materialität nicht. Allerdings spricht sie statt von Materialität von unterschiedlichen Materialisierungen des Körpers. Die Materie der Geschlechterdifferenz – z.B. die Vagina und Eierstöcke der Frauen oder der Penis und die Hoden der Männer – ist für Butler keine ontologische Tatsache, sondern Ausdruck einer symbolischen Geschlechterordnung und der diskursiven Gepflogenheiten über ihre körperliche Materialität zu sprechen. Diese entsprechen den jeweiligen historischen Möglichkeiten, welche durch die ritualisierte Einübung und Wiederholung von Normen konstruiert und unter normativen Bedingungen gestaltet werden (vgl. Zettelbauer 2001: 6).10 Dabei identifiziert Butler in Anschluss an Foucault den Prozess der Materialisierung als den Wirkungsort der Macht
10 Normative Bedingungen der Materialisierung sind etwa Kleidervorschriften, Schönheitsideale, Hygieneartikel, körperliche Therapie oder medizinische Behandlungsmethoden.
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schlechthin.11 Materialisierungen bilden sowohl für Butler als auch für Foucault die empfindliche Schnittstelle zwischen Macht und Körper. Sie weisen die bestehenden Geschlechterverhältnisse als ›Natur‹ aus und stellen damit eine Produktion und Reproduktion ihrer entsprechenden Normen sicher.12 Dabei ist das Verhältnis von Körper und Macht als Wechselbeziehung angelegt. Körperliche Praktiken sind in die ›Kraft des regulierenden Gesetzes sozialer Normen‹ eingebunden. Auf der anderen Seite sind es die performativen Akte, die den Körper in einer bestimmten Materialität erst hervorbringen und den Hervorbringungsprozess verschleiern. Die offensichtliche körperliche Ausstattung (primäre oder sekundäre Geschlechtsmerkmale) ist dann nicht ›bare Münze‹ eines biologischen Geschlechtsfundaments. Die Offensichtlichkeit von Körper und Geschlecht ist vielmehr das Ergebnis routinierter Akte im Sinne selbstvergessener kollaborativer Praktiken von InteraktionspartnerInnen (vgl. Hirschauer 1993a: 62); Praktiken, die etwas eindeutig Sichtbares implizieren, das dann als objektiv betrachtet wird. So erneuern etwa Praktiken des Sehens und Wahrnehmens nicht nur die Geltung einer vorausgesetzten Zeichenrealität. Sie konstituieren auch einen zeichentheoretischen Zusammenhang zwischen Körper und Geschlecht derart, dass beide unmittelbar zusammenfallen
11 Vor allem Foucaults Werk »Überwachen und Strafen« (1976) ordnet die modernen Macht- und Herrschaftssysteme in eine bestimmte politische Ökonomie des Körpers ein. Vgl. hierzu auch das vorangegangene Kapitel. 12 So spiegelt die gegenwärtige Rede von ›Menstruationszyklen‹, ›Menopausen‹ oder ›Hormonmangelerkrankungen‹ nicht nur reale körperliche Situationen wider. Vielmehr sind die damit zusammenhängenden leiblichen ›Zustände‹ (Erfahrungen, Gefühle, Erlebnisse) Ausdruck eines chemischen Modells von Geschlecht und Körper, das die transformative Macht der Biomedizin verdeutlicht. Wie Nelly Oudshoorn (2002) anhand der Darstellung der Archäologie der Sexualhormone im Spannungsfeld wissenschaftlicher Praktiken, institutioneller Infrastruktur und körperlicher Erfahrungen zeigt, ist die Vorstellung vom hormonellen Körper als ›Naturtatsache‹ längst keine Sache der Natur mehr. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer wissenschaftlichen Inszenierung des Körpers mit Hilfe von SexualhormonBluttests, Schwangerschaftstest und vaginalem Abstrich als ›Generatoren‹ chemischer Substanzen, die in Keimdrüsen, Organen und der Hirnanhangsdrüse in einer bestimmten Menge zu einem bestimmten Zeitpunkt produziert werden.
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(vgl. Lindemann 1993a: 349). Solche Praktiken zeugen von der stillschweigenden Performativität der Macht, die eine praktische Wahrnehmung des Körpers herzustellen vermag: nicht nur eine Wahrnehmung dessen, was der Körper ist, sondern auch eine Art, wie er sich Raum schafft oder nicht, wie er seinen Ort in den herrschenden kulturellen Koordinaten einnimmt (vgl. Butler 1998: 225). Butler verschiebt die Rede weg von den biologischen Unterschieden hin zur normativen Rede der Performanz sozialer Verhältnisse. Sie zeigt auf, wie die sexund die gender-Ebene miteinander verwoben sind, auch wenn ihr dekonstruktivistischer Impetus stellenweise Gefahr läuft, die Rede vom ›Schicksal der Biologie‹ in einen sozialen Determinismus umzukehren.
3
E IGENSINNIGE K ÖRPER DES P ERFORMATIVEN ?
ODER
P OLITIK
Sowohl Butler als auch Goffman schenken dem Körper im Hinblick auf die ›Ordnung des Sozialen‹ besondere Aufmerksamkeit, wobei Goffman stärker die körperliche Ordnung des Sozialen, Butler die soziale Ordnung des Körpers thematisiert. Während sich Goffman auf die theatralen Prozesse der Inszenierung alltäglichen Handelns mit Hilfe des Körpers konzentriert und den Körper in seiner äußeren Präsenz (inklusive Narben, minimale Deformationen, Tätowierungen) in den Vordergrund rückt, dekonstruiert Butler seine Existenz als Konglomerat ritueller Akte, die vor allem seine innere Präsenz zur performativen Illusion erklären. Körperliche Materialität wird damit einerseits als Ursache (Goffman) andererseits als Folge (Butler) sozialer Zuschreibungen dargestellt. Dies eröffnet zwei sehr unterschiedliche Lesarten des widerständigen Körpers. Goffmans gesellschaftliches Theaterspiel hängt entscheidend vom Management des Körpers in Raum und Zeit ab. Seine Interaktionsordnung ist eine Theorie der körperlichen Kopräsenz, in der der Körper die Informationen, die eine Person über sich gibt, steuert (vgl. Meuser 2002: 28). Diese Materialität sozialer Ordnung ist ebenso komplex wie fragil. Denn es besteht immer die Gefahr, durch eine ›schlechte‹ körperliche Performance aus dem Rahmen zu fallen oder in den Worten Goffmans: ›das Gesicht zu verlieren‹. Eine unvorsichtige Bewegung im Fahrstuhl (Hirschauer 1999), eine groteske Tanzeinlage auf Partys (Lacrosse 1978), eine unbeabsichtigte Berührung in überfüllten öffent-
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lichen Verkehrsmittel oder ein offensichtlich defensiver Blick in intimen Sozialsystemen (vgl. Goffman 1971b: 85) können zur Destabilisierung sozialer Beziehung, in vielen Fällen auch zur Beschädigung der Identität führen. Der Körper ist für Goffman immer dort widerständig, wo er durch seine kommunikative Selbsttätigkeit eigenmächtig in das Aushandeln von Bedeutungen eingreift und auf wirkungsvolle Weise eine Neudefinition von Situationen oder Identitäten durchsetzt. Es bleibt allerdings zu fragen, inwieweit dieser materielle Eigensinn des Körpers tatsächlich auf eine Residualkategorie in Interaktionszusammenhängen verweist, die noch nicht gesellschaftlich überformt wurde. Obwohl Goffman den Schwerpunkt seiner Studien auf die Analyse jener Verkörperungsstrategien (Impression Management) legt, die diese Überformung der Materialität veranschaulichen, bleibt für ihn die Materialität immer auch eine eigentümlich a-soziale Störquelle der Interaktion, weil sie den Körper in seinen variablen Impulsen, Stimmungen und Energien offenbart (vgl. Goffman 1969: 52). Eine solche Sichtweise geht stillschweigend davon aus, als ›gäbe‹ es ›den Körper‹, der dann mehr oder weniger lückenlos kulturell überformt würde. Es ist aber nicht der Körper ›an sich‹, der die Darstellung misslingen lässt. Weil wir in bestimmten Handlungssituationen bestimmte Erwartungen an die Körperexpressionen stellen, kann der Körper als widerständiger (krimineller, anormaler, pathologischer) Körper in Erscheinung treten. »Kein Körper ist gänzlich gelehrig, und die Vorstellung der Akteure über die angemessenen Grenzen ihrer Gelehrigkeit muss nicht mit jener der Disziplinarordnung übereinstimmen.« (vgl. Fiske 2001: 222) Doch aus der Tatsache, dass der Körper weder dem Bewusstsein noch der Gesellschaft völlig gefügig ist, erwächst ihm kein Privileg der Widerständigkeit. Wie widerständig er sein kann, das hängt davon ab, welche Lesarten in der jeweiligen Situation zur Verfügung stehen (vgl. Hahn 1988: 678). Bereits die Vorstellung des Körpers als Einheit aus Fleisch und Blut mit biologischen Impulsen, Stimmungen und Energien ist in Butlers Augen das Resultat einer Inszenierung, die der Stabilisierung der Geschlechternormen dient. Dies schließt auch mit ein, dass ein gewisses Maß an Widerständigkeit gegen gesellschaftliche Einschreibungen im Körper selbst als materieller Eigensinn (Unaufmerksamkeit, Unkontrollierbarkeit, komplexe Sinnestätigkeit) sozial eingeschrieben ist.
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Unwillkürliche körperliche Doppelspiele bilden keine Beweise einer unhintergehbaren Materialität. Im Gegenteil, der Körper erweist sich selbst in Situationen, in denen er den Intentionen seines/seiner BesitzerIn zuwider läuft, als gehorsam. Butler radikalisiert damit die Vorstellung von der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht auch in den als biologisch angenommenen Teil (vgl. Haug 2001: 778). Dennoch fragt Butler nach der Möglichkeit, »sich mit dem Realen anzulegen« (vgl. Butler 1995: 248). Obwohl sie die performativen (Geschlechter-)Akte einerseits in den zwingenden (Komplizen-)Status ritualisierter Wiederholungen einbindet, andererseits mit dem ›Gewicht‹ vorangegangener Körpermaterialisierungen belastet, ist ihre Arbeit auch ein Versuch, Widerstandsmöglichkeiten auszuloten. Anstelle des Verweises auf Überreste materiellen Eigensinns spricht sie von einer Politik des Performativen und macht deutlich, dass sich Widerstandspotentiale nicht außerhalb, sondern nur innerhalb der normativen Kraft des Performativen entfalten können. Dabei kommt den performativen Akten eine doppelte Bedeutung zu: Denn obwohl sie aus einer Wiederholung von Normen bestehen, die nicht dem Subjekt entsprungen sind, können sie ihre eigene Wirkung niemals vollständig kontrollieren (vgl. Tervooren 2001: 165). Ja, die Notwenigkeit der Wiederholung performativer Akte deutet für Butler geradewegs darauf hin, dass die Materialisierungen nie ganz vollendet sind, dass die Körper sich nie völlig den Normen fügen, mit denen ihre Materialisierungen erzwungen werden (vgl. Butler 1995: 21). Die Ambivalenz ist der Wirkungsweise der performativen Akte damit inhärent (Tervooren 2001: 165); weil performative Akte zugleich körperliche Akte bezeichnen, entziehen sie sich zum Teil der eigenen Kontrolle. Auf diese Weise entstehen Interpretations- und Verhandlungsspielräume. Im Gegensatz zu Goffman verlegt sie den Kampfplatz in die Anfangsphasen der Herausbildung von Identität (vgl. Haug 2001: 778). So bewertet sie den performativen Sprechakt des ›Coming Out‹ homosexueller Neigungen und seine Politisierung in sozialen Bewegungen als Versuch, den herrschenden Diskurs ›von innen‹ auszuhöhlen (vgl. Butler 1998: 149ff.). Auch Drag-Darstellungen in Literatur und Film oder transsexuelle Identitätsentwürfe sind in dem Maße subversiv, als sie die Imitationsstruktur widerspiegeln, von der das hegemoniale Geschlecht produziert wird, und in dem es den Anspruch der Heterosexualität auf Natürlichkeit und Ursprünglichkeit bestreitet (vgl. Butler
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1995: 170; Butler 2001a).13 Sie spricht auch von ›parodistischer Identifikation‹, sogenannten intendierten Abweichungen von anerkannten Geschlechternormen (vgl. Wojke 2003: 56). Indem Butler vorwiegend auf sexuelle Minoritäten beziehungsweise künstlerische Praktiken der Subversion eingeht, macht sie deutlich, dass das Spiel mit Rollen und Masken vor allem dort gespielt wird, wo sich Subjekte aus den Vereindeutigungszumutungen der Zwangsordnung Geschlecht und Sexualität herauskatapultieren. Herauskatapultieren heißt aber nicht, Selbstentwürfe jenseits der Zwei-Geschlechterontologie zu entwerfen, sondern sich in und an ihren Bruchstellen zu orientieren, diese für sich zu nutzen und für sich umzuarbeiten (vgl. Genschel 2001: 827).14 Damit grenzt sie sich von Goffman nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch ab. Für Goffman sind die subtilen Techniken der Eindrucksmanipulation, Rollendistanz und Mimikry nicht auf spezifische Personengruppen begrenzt. Der ›Spaß am Spiel‹ mit gesellschaftlichen Normen ist für ihn ein Allgemeinplatz im Alltagsleben (vgl. Goffman 1973); schließlich spielen alle Theater. Er geht sogar so weit, das raffinierte Lavieren anstelle des mechanischen Wiederholens von Normen als Handlungsnormalität in den Vordergrund zu rücken. Praktiken des Täuschens und Manipulierens sind dann nicht als Subversion, sondern als eine notwendige Routine der gesellschaftlichen Ordnung angelegt. Natürlich besitzt die Performanz bei Goffman und Butler eine sehr unterschiedliche Funktion. Goffmans Körper-Spielräume bilden ein Schutzreservoir vor und kein Angriffsinstrumentarium auf die hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnisse. Beide TheoretikerInnen
13 Allerdings gibt es auch Formen des ›drag‹, die die heterosexuelle Kultur für sich selbst produziert. Filme wie »Manche mögens heiß«, »Tootsie«, aber auch Travestie im Theater bringen ›die natürliche Ordnung der Dinge‹ keineswegs durcheinander. 14 Zwar ist Performativität durch ihren wiederholenden Charakter inhärent subversiv. Allerdings sind es vor allem ›handlungsfähige‹ Identitäten an den Grenzen zwischen kulturellen, geschlechtlichen oder Klassenunterschieden, die eine hybride Performanz konstituieren (vgl. Stanford Friedman 200: 42f.). In diesem Verweis auf avantgardistische Randgruppen gleicht Butlers Entwurf einer feministischen Politik performativer Akte eher einer homöopathischen Befreiungstheorie (vgl. Hirschauer 1993b: 57).
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sprechen zwar von der Gefährdung des Individuums durch gesellschaftlich auferlegte Zwänge. Die eigentliche Gefährdung liegt aber für Goffman in der unwillentlichen Bloßstellung des heiligen Selbst, während Butler die gesteuerte Handlungsunfähigkeit der (marginalisierten) Subjekte durch dominante Gruppen problematisiert. Gleichzeitig räumt Goffman dem Körper gewisse residuale ›Selbsttätigkeiten‹ (Gähnen, Stöhnen, Winde lassen usw.) trotz oder gerade wegen einer zunehmenden Körperdistanzierung dort ein, wo für Butler sämtliche Innenräume und Tiefen des Körpers machtförmig geformt sind. Das Konzept des performativen Körpers leidet damit ebenso wie das des widerständigen Körpers an einem Zuviel oder Zuwenig an Materialität. Wo der Körper der Selbstpräsentation auf der einen Seite behilflich ist oder aber im Weg steht, hat er sich unter dem Einfluss des Dekonstruktivismus längst in ein »KörperPhantom« (Duden 1993: 31) aufgelöst.15
4
F ÜR
EINE EMPIRISCHE R EKONSTRUKTION PERFORMATIVER AKTE
Die Aktualität des Körpers in der soziologischen Performanzdiskussion ist nicht als Rückkehr ›natürlicher‹ Ausdrucksformen in der Gesellschaft auszugeben. Es geht vielmehr darum, die verschlungenen Bande zwischen Materialität und Performativität der Wirklichkeit in den unterschiedlichen Inszenierungen des Körpers aufzudecken.
15 Aus Sicht der ›Körperhistorikerin‹ Barbara Duden ist eine solche Entkörperung nach Butler schon allein deshalb keine ausreichende theoretische Position, da weiterhin praxisleitende Vorstellungen (kinästhetische, haptische, synästhetische und orientierte Körperwahrnehmungen) existieren, die anstelle der performativen Illusion die Leibhaftigkeit und Sinnlichkeit des Körpers in den Mittelpunkt der Selbstwahrnehmung stellen. Duden formuliert polemisch: »Ich bin kein Schneider MeckMeckMeck nach dem Durchlauf in der dekonstruktiven Mühle [...]. Mein Denken hallt in meinen Sinnen: Ich verlasse mich in meinem Urteil auf den Ekel oder das Licht oder die Süße, die mir eine Überlegung einflößt. Damit wird meine Sinnlichkeit nicht zum Wahrheitskriterium – aber sie ist und bleibt Bedingung, um meiner historischen Forschung jene Konkretheit zu verleihen, ohne die Körpergeschichte zum Geschwätz wird.« (Duden 1993: 29)
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Interaktionistische Ansätze wie der von Goffman betonen die Bedeutung des Körpers für die alltägliche wie außeralltägliche Ordnung des Sozialen. Dies schließt sowohl körperliche Techniken der Imagepflege als auch spontane Leibesmanifestationen mit ein. Entsprechend konzentriert sich Goffman auf die ›skillfull performance‹ von Körpern, die angesichts unaufmerksamer Akteure jedoch auch scheitern kann. Somatische Automatismen sind jedoch laut Butler nicht als Restbestände eines wie auch immer gearteten körperlichen Eigensinns zu verstehen. Der dekonstruktivistische Blickwinkel sieht das sozial ›Nicht-Kontrollierbare‹ selbst als Effekt sozial verbindlicher Normen. Widerstand ist dann aber weder ›unter der Haut‹ noch in zu einfachen Emanzipationslogiken zu suchen. Er ist dort, wo der Prozess der Verdinglichung selbst als stillschweigender Beweis für einen natürlichen Leib reflektiert wird. Butler läuft jedoch Gefahr, die theoretische Reflexion der Verdinglichung mit der praktischen Reflexion gleichzusetzen. Dies ist in doppelter Hinsicht problematisch. Einerseits sind kontingente performative Akte empirisch nicht zwangsläufig als widerständige Praxis beobachtbar. Im Gegenteil, es sind mitunter selbst stilbildende Aktivitäten, deren nicht-kopierender Charakter weder ideologischer Schein noch Subversion ist, sondern als Routine zur modernen Gesellschaft notwendig dazugehört (vgl. Hirschauer 2001a: 209). So ist das Neutralisieren des Geschlechts(körpers) in intimen sozialen Systemen eher eine präventive denn rebellische Praktik, um Distanz zu wahren oder aus ›Vertrauensgründen‹ vom Körper abzusehen. Andererseits ist die Überschreitung von Geschlechtergrenzen auch außerhalb subkultureller Milieus längst Normalität. Trotz einer ausgeprägten sexuellen Infrastruktur existieren in praxi bereits vielfältige Formen des Geschlechtertausches beziehungsweise Geschlechtermixes (androgyner Stil), ohne dass diese als ›abweichend‹ etikettiert, geschweige denn als subversive Identitätspolitik gelten könnten. Eher schon bildet ein überkorrektes Inszenieren von Geschlecht die Ausnahme und wird als ›unnatürlich‹ empfunden, wie die Alltagserfahrung Transsexueller eindrucksvoll zeigt (vgl. Hirschauer 1993a). Wo theoretisch weiterhin zwischen ›korrekten‹ und ›widerspenstigen‹ Praktiken unterschieden wird, sind aus empirischer Sicht Zweifel einzuräumen, denn der Alltag kennt viele ›praktische Spielräume‹, die eine Ambiguitätstoleranz für unklare und unstete Geschlechtsdarstellungen ebenso einschließen wie ein praktisches Unterlaufen von Struk-
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turen. So wenig eine ›gute‹ Performance mit strategischer Eindrucksmanipulation zu tun hat, so wenig fällt ein ›schlechter‹ Performer zwangsläufig aus der Rolle. Butler unterschätzt hier die Flexibilität und überschätzt die Rigidität und Identität ›der Gesellschaft‹. Empirisch macht es wenig Sinn, überhaupt von ›der‹ Gesellschaft als ›einem‹ System sich permanent wiederholender Normen zu sprechen. Wenn Frauen Offiziere, Regierungschefs und gewalttätig werden und Männer Hausfrauen, Krankenschwestern und magersüchtig, werden auch die beruflichen, habituellen, gestischen und emotionalen Repertoires verändert, auf die performative Geschlechterakte zurückgreifen. Rollenrepertoires werden durch diesen ›Missbrauch‹ nicht nur reproduziert, sondern auch transformiert, stellenweise sogar desexuiert. Hier eröffnet sich die Chance, ›das‹ Geschlechterverhältnis nicht allein heterosozial zu verstehen (vgl. Hirschauer 1993a: 65). Auf der anderen Seite ist die Durchsetzung der formalen Gleichheit der Geschlechter in zentralen gesellschaftlichen Feldern noch lange kein Grund dafür, dass diese auch tatsächlich praktiziert wird, wie etwa die Informalisierung sozialer Konflikte in Arbeitsorganisationen zeigt. Dies kann in einigen Fällen zu einer Degradierung oder gar Illegalisierung der Geschlechterfrage führen, weil die informelle Beschäftigung mit ihr von der ›eigentlichen‹ Arbeit abhält (vgl. Nollmann 2002: 170). Gleichzeitig bieten Arbeitsorganisationen neue Deutungsmuster, mit denen sich die Geschlechterungleichheit auch im privaten Interaktionsbereich weginszenieren lässt. Angesichts der zunehmenden Härte der Märkte, der globalen Ausbeutungsverhältnisse, des verschärften Wettbewerbs und ›Kollegenstresses‹ ist Mann und Frau sich einig, dass keine soziale Ungleichheit vorliegt, wenn Frauen ihre arbeitenden Männer mit einem Bier auf die Couch vor den Fernseher schicken, während sie den Haushalt organisieren (vgl. ebd.: 174). Angesichts dieser widersprüchlichen Praxisverhältnisse hat der Geschlechterforscher Stefan Hirschauer bereits vor Jahren gefordert, neben der theoretischen Dekonstruktion weiterhin empirisch zu rekonstruieren, wie denn die Geschlechter, Körper und Identitäten sozial-wirklich existieren und praktiziert werden (vgl. Hirschauer 1993b: 57f.). Entgegen der routinemäßigen Nutzbarmachung von theoretischen Diskursen und Modellen bietet die Performanzdiskussion hier die Chance, nicht nur die Reproduktion, sondern vor allem die Kontingenz der Praktiken des Erlebens und Handelns und ihre neuen Gleichheits- und Ungleichheitsinszenierungen thematisch zu machen. Gesell-
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schaftsanalytisch bedeutet dies unter Umständen auch, ›Männer‹ und ›Frauen‹ nicht als theoretisch voraussetzungslose Kategorien, sondern selbst als erklärungsbedürftige Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens zu fassen. Schließlich sind aus performanztheoretischer Sicht auch die Annahmen des Gesellschaftstheoretikers/der Gesellschaftstheoretikerin performative Äußerungen, die es erst einmal empirisch zu prüfen gilt.
Geschlechter-Körper, Identität, soziale Praxis
Krankheitserleben und Geschlechtsrollenkonflikte brustkrebsbetroffener Frauen
Kontrolle und ›Behandlung‹ körperlicher Abweichungen fallen in modernen Gesellschaften in den Aufgabenbereich spezifischer Agenturen sozialer Kontrolle. Neben dem Gefängnis und seiner Disziplinierungsaufgabe ›krimineller Körper‹ zählt hierzu vor allem auch die Klinik, die Abweichungen in Form von Krankheiten als Fehlfunktionen des Körpers, vor allem aber als Abwesenheit von Gesundheit ›behandelt‹. Dabei gehört die Vorstellung, dass Gesundheit und Krankheit gesellschaftliche Konstruktionen darstellen, gewissermaßen zu den Grundannahmen der (Medizin-)Soziologie.1 Wenn wir über Gesundheit oder Krankheit reden, so beziehen wir uns immer auf ein bereits kommunikativ zugerichtetes Konstrukt. Dass dabei die Medizin und ihr zentraler Sitz, die Klinik, eine besondere Macht im Hinblick auf die Deutung und Definition von Gesundheit und Krankheit besitzt, ist spätestens seit Michel Foucaults (1988) Analyse des ›ärztlichen Blicks‹ und seiner Herrschaftsfunktion in totalen Institutionen unbestritten. Offensichtlich wurde dabei auch, dass Kliniken selbst ein durch und durch soziales, das heißt vergesellschaftetes Feld darstellen.2 So präformiert
1
Vgl. hierzu auch die eindrucksvolle Krankenhausethnographie von Annemarie Mol zum »doing desease« (Mol 2005: insb. 1-28).
2
Überhaupt ist die moderne Medizin für Foucault ein Spiegel der modernen Wissensgesellschaft, da sie wesentlich an der Entwicklung bürokratischer Techniken, panoptischer Systeme, statistischer Untersuchungen usw. beteiligt ist beziehungsweise diese aus ihr (mit-)hervorgegangen sind. Turner
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unsere gesellschaftliche Existenz wesentlich unseren Umgang mit Körperzuständen und Befindlichkeiten und widerlegt naive ontologische Vorstellungen von einer ›vorgesellschaftlichen‹ Existenz von Krankheit und Gesundheit (vgl. Bauch 2004). Eine mittlerweile große Zahl von Studien zur gesellschaftlichen Konstruktion von Krankheit, Erkrankungsrisiko und Körperbefindlichkeiten in gegenwärtigen Gesellschaften greift dabei auf das Beispiel Brustkrebs zurück (vgl. exempl. Holmberg 2005; Lemke 2004; Buchinger/Geschwandter 2002; Kirschnig 2001). Dabei liegt der Schwerpunkt der Studien weniger auf der Frage, was es aus professioneller Sicht bedeutet, an Brustkrebs zu erkranken, sondern vielmehr, wie betroffene Frauen mit diesen Konstruktionen umgehen, das heißt, wie sie die Diagnose Brustkrebs erleben und verarbeiten, welchen Einfluss diese auf ihre Identität und ihr Empfinden als Frau, ihre Körperwahrnehmung und nicht zuletzt auf ihre grundsätzlichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit hat.3
1
D IE
GESELLSCHAFTLICHE VON B RUSTKREBS
K ONSTRUKTION
Brustkrebs ist in den Industrieländern die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Zwar können auch Männer an Brustkrebs erkranken, Frauen sind jedoch im Schnitt 100mal häufiger betroffen. In Deutschland liegt die Zahl der Neuerkrankungen bei rund 58.000 pro Jahr (vgl. Deutsche Krebsgesellschaft 2006). Statistisch gesehen entwickelt jede
geht sogar so weit, dass er die Soziologie als eine Form der angewandten Medizin betrachtet: »The implication of Foucault’s perspective is that sociology is applied medicine and its target is the regulation of bodies.« (Turner 1984: 50) 3
Der Aufsatz greift Argumente eines explorativen Forschungsprojektes auf, das ich 2007 an der Universität Trier zum Thema »Verwundete Weiblichkeit. Geschlechterrollenkonflikte brustkrebsbetroffener Frauen« durchgeführt und in einer früheren Publikation zusammengefasst habe: Reuter, Julia (2008b): »Körper und Geschlecht im medizinischen Kontext«, in: KarlSiegbert Rehberg (Hg.), Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungsband des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (CD-Rom), Frankfurt a.M.: Campus, S. 4158-4170.
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neunte Frau in Deutschland in ihrem Leben einen Brusttumor. Mehr als ein Drittel (40%) der neu erkrankten Frauen sind unter 60 Jahre alt.4 Dabei ist laut dem Medizinhistoriker Robert Aronowitz (2006) zu beachten, dass die Definition von Brustkrebs selbst abhängig vom jeweiligen Stand des Wissens und der medizinischen Technik ist. Aronowitz zeigt, dass die Krankheit im Laufe der letzten 150 Jahre ›von der Körperoberfläche‹ immer mehr ›unter die Haut‹ gewandert ist (vgl. hierzu auch Duden 1997a). War Brustkrebs Ende des 19. Jahrhunderts noch ein unschön aussehendes Ding auf der Körperoberfläche, eine makroskopische Krankheit, gilt sie im Zeitalter bildgebender Verfahren in der Medizin als ›Systemerkrankung‹, bei der Krebszellen nicht nur lokal – in der Brust – anzutreffen sind, sondern ›im ganzen Körper streuen‹ und auch nach Jahren wieder auftreten können.5 Wie die Krankheit im Kontext der Gendiagnostik (Bluttests) zur Bestimmung der sogenannten Brustkrebsgene BRCA 1 und BRCA 2 gegenwärtig ihr Gesicht verändert, schildert Thomas Lemke (2004) in seinen Arbeiten zur »Veranlagung und Verantwortung«. Angesichts der Entdeckung und Kartierung der ersten zwei einer Reihe von Genen mutiert Brustkrebs zunehmend zum ›unsichtbaren Risikostatus‹, der aus vormals gesunden Testpersonen potentiell gefährdete Menschen macht. Damit entsteht, wie Feuerstein und Kollek (2001) anmerken, eine neue Personengruppe: die ›gesunden Kranken‹ beziehungsweise ›Nochnicht-Kranken‹, eine Gruppe, die lernen muss, mit ›Risikoinformationen‹ umzugehen.6 Es sind Informationen über Verhaltensweisen, Lebensstile, Familiengeschichten und Selbstuntersuchungen; sie um-
4
Vgl. hierzu die Krebsregisterdaten, die alle zwei Jahre als gemeinsame Publikation der Gesellschaft der epistemologischen Krebsregister e.V. und des Robert Koch Instituts herausgegeben werden; zuletzt in der Publikation: Krebs in Deutschland. Häufigkeiten und Trends. Als PDF verfügbar unter: www.rki.de.
5
Brustkrebs steht – wie andere Krebsarten auch – unter molekularbiologischer Sicht am Ende eines Kontinuums von normaler Zelle zu Krebszelle und schließlich zur systemischen Verbreitung der Krebszellen (vgl. Holmberg 2003: 415).
6
Unter Risikoinformationen verstehe ich in diesem Zusammenhang das Wissen um Dispositionen und statistische Erkrankungswahrscheinlichkeiten, die durch die wissenschaftlichen Testverfahren und Diagnostik eine eigene Realität bekommen.
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schließen die alltägliche Welt, in der alles normal und gleichzeitig seltsam nicht normal ist, sondern der permanenten Überwachung bedarf (vgl. Armstrong 1995). Die Körperhistorikerin Barbara Duden bezeichnet dieses Phänomen der permanenten Selbstüberwachung als Risikomanagement von Krankheitswahrscheinlichkeiten als »Verkrebsung«: eine extreme Form der Verinnerlichung der Risikogesellschaft (vgl. Duden 1997). Ohne auf die Konsequenzen dieser gesellschaftlichen Inszenierung genetischen Wissens für die Betroffenen hier näher eingehen zu können7, sei lediglich darauf verwiesen, dass auch diese gentechnische Erweiterung naturwissenschaftlicher Gewissheiten über Brustkrebs und brustkrebserkrankte Körper die besondere Organsymbolik der Brust vernachlässigt – ›ein Skandal‹, wie die feministische Wissenschaftstheoretikerin Natalie Angier einwendet. In ihren Augen sei es zu kurz gedacht, Brusterkrankungen lediglich auf die Brust als ein krankes Organ zu reduzieren; es sollte nach wie vor auch die gesunde Brust und ihre Bedeutung für die weibliche Identität und Sexualität berücksichtig werden: »Brüste wiegen faktisch nur ein paar hundert Gramm, aber ideell sind sie tonnenschwer.« (Angier 1999: 194) Obwohl die Bedeutung der Brust – als mütterliches und erotisches Symbol der Weiblichkeit – bekannt ist, spielt das Geschlecht in der professionellen Auseinandersetzung mit der Erkrankung in der Regel keine Rolle. Wenn überhaupt, dann wird die Diskussion vielfach auf medizinische Fragen der brusterhaltenden oder -wiederaufbauenden Operation verkürzt oder aus psychosozialer Sicht als (zeitweilig) gestörtes Körperbild behandelt, das mit Beeinträchtigung der Sexualfunktionen einhergeht (vgl. Zettl/Hartlapp 1996). In beiden Fällen wird die Frage nach der Bedeutung der Brust für die weibliche Identität vor allem in funktionaler Hinsicht betrachtet. Dabei umfasst die weibliche Identität weit mehr als das Vorhandensein und Intaktsein biologisch-körperlich gegebener Geschlechtsmerkmale (sex). In der Geschlechterforschung
7
Lemke selbst sieht ein strukturelles Problem in der vermeintlichen »Objektivierung« des Krankheitsbegriffs bei gleichzeitiger Abwertung der Selbsteinschätzung der PatientInnen. So täuscht seiner Ansicht nach der Begriff der »Patientenautonomie« darüber hinweg, dass in prädiktiven Gentests Krankheit allein an molekularen Vorgängen und Genkonstellationen und gerade nicht an den Selbstinterpretationen der PatientInnen gemessen werde (vgl. Lemke 2008: 159).
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unterscheidet man davon eine soziale Geschlechtsidentität (gender), die wesentlich aus gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen und Normen, kulturellen Sinn- und Bedeutungsmustern sowie performativen Körper-Skripten besteht (vgl. Butler 2001b). Aber auch in sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu (Brust-)Krebs bleibt der Gender-Aspekt bislang unterrepräsentiert – hier dominieren Studien zur Demographie, Versorgung, zum familiären ›Coping‹ oder zur beruflichen Integration von Betroffenen (vgl. Aebischer 1987). Erst in den letzten Jahren hat sich unter Einfluss feministischer Sozial- und Gesundheitswissenschaften und ihren politischen Richtlinien des ›Gender Mainstreaming‹8 ein interdisziplinärer Forschungsansatz herausgebildet, der die Aufmerksamkeit auf geschlechtsspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf Gesundheit, Krankheit und Risiko, insbesondere im persönlichen Präventionsverhalten wie bei der Krankheitsbewältigung, in den Blick rückt (vgl. Maschewsky-Schneider 1997). Arbeiten der Frauengesundheitsforschung machten deutlich, wie die Lebensbedingungen von Frauen in unserer Gesellschaft und die darin eingebundenen geschlechtsspezifischen Belastungen, Diskriminierungen und Widersprüche die Gesundheit, das Wohlbefinden und das Gesundheitsverhalten von Frauen beeinflussen (vgl. ebd.: 17). Auch von Seiten der medizinischen Forschung und klinischen Praxis hat sich in Anlehnung an die Etablierung des »Office Research on Women’s Health« in den USA der 1990er Jahre unter dem Begriff der »Gender Based Medizin« (Rieder/Lohff 2005; Nippert 2000) ein interdisziplinärer Forschungsansatz herausgebildet, der Gender-Aspekten besondere Berücksichtigung schenkt: nicht nur im Hinblick auf unterschiedliche Erkrankungsverläufe und -formen der biomedizinischen und psychosozialen Langzeitfolgen (vgl. Marosi et al. 2005), sondern auch im Hinblick auf
8
Gender Mainstreaming bezeichnet »den Prozess und die Vorgehensweise, die Geschlechterperspektive in die Gesamtpolitik aufzunehmen. Dies bedeutet, die Entwicklung, Organisation und Evaluierung von politischen Entscheidungsprozessen und Maßnahmen so zu betreiben, dass in jedem Politikbereich und auf allen Ebenen die Ausgangsbedingungen und Auswirkungen auf die Geschlechter berücksichtigt werden, um auf das Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern hinwirken zu können.« (Bundeszentrale für politische Bildung 2000; vgl. hierzu auch Erhard-Kramer/Jansen 2003)
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diagnostische und therapeutische Vorgehensweisen, nicht zuletzt auf die institutionelle und personelle Struktur des Gesundheitssystems als solches (vgl. Kaupen-Haas 2003). Letzteres ist gerade deshalb besonders hervorzuheben, da auch heute noch die Zahl der männlichen Entscheidungsträger im Gesundheitssystem überwiegt, ohne dass im konkreten Fall Brustkrebs danach gefragt wird, was es bedeutet, wenn männliche Mediziner Frauen und ihre Brust untersuchen (vgl. Buchinger/Gschwandtner 2002: 17). Hinzu kommen nicht selten asymmetrische Beziehungs-, Organisations- und Entscheidungsstrukturen, eine sogenannte paternalistische Grundstruktur des Gesundheitssystems: Es wird nach wie vor durch einen scharf konturierten Gegensatz zwischen ExpertInnen(wissen) und Laien(wissen) konstituiert, der weitere Unterscheidungen nach sich zieht: zwischen der Krankheit als medizinischem Objekt und der alltäglichen Krankheitserfahrung der Betroffenen und damit zusammenhängend zwischen der ärztlichen Definitionsmacht und der Ohnmacht des Kranken (vgl. Lachmund 1997). Im Behandlungsalltag drückt sich dies unter anderem darin aus, dass alle medizinischen Praktiken – diagnostische wie therapeutische Verfahren – gerade nicht auf die Patientin als ›Person‹, sondern als ›Körper‹ ausgerichtet sind. Die (Schul-)Medizin interessiert sich – überspitzt formuliert – nicht für die Person, ihre Biographie, Erfahrung oder Lebensumstände. Diese erscheinen als ›Störvariablen‹ im Bemühen, sich voll und ganz dem ›objektiven‹ Körper zuwenden zu können. Gleichzeitig haben wissenschaftssoziologische Studien unlängst gezeigt, dass auch die Idee des Körpers als physiologische Entität eine soziale Konstruktion darstellt. Schließlich muss der Körper der Patientin zunächst als ein Körper für die medizinische Praxis hergestellt werden, wie etwa Christine Holmberg (2005) in ihrer ethnographischen Brustkrebsstudie anschaulich darstellt: Der Körper der Patientin wird durchleuchtet, vermessen, abgehorcht, in Bild- und Zahlendaten zerlegt, so dass er schließlich für die ÄrztInnen behandelbar beziehungsweise ›handhabbar‹ wird. Ständig müssen die Frauen während ihres Krankenhausaufenthaltes ihren Körper herzeigen: Hier werden Hemden gelüftet, Brüste vermessen, oder die gelungenen Narben gezeigt, Schnittverläufe dargestellt oder unter den Achselhöhlen auf die Stelle der Lymphknotenentnahme hingewiesen. Die Wissenschaftssoziologin Regula Burri (2003) geht sogar so weit, dass sie die medizinischen Praktiken in Anlehnung an Michel Foucault als ›Disziplinierungspraktiken‹ beschreibt. In ihrer Krankenhausethnographie rekonst-
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ruiert sie, wie der Körper durch die unterschiedlichen bildgebenden Verfahren wie Computertomographie oder Magnetresonanz-Imaging zum instrumentellen Körper wird und wie diese Bilder letztlich zur ärztlichen Entscheidungsfindung und Erzeugung biomedizinischen Wissens und Handelns in Bezug auf den Körper beitragen.
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K RANKHEITSERLEBEN UND G ESCHLECHTSROLLENKONFLIKTE BRUSTKREBSBETROFFENER F RAUEN
Ausgehend von dieser gesellschaftlichen Konstruktion von Brustkrebs ging ich im Rahmen eines Pilotprojekts zum Thema »Geschlechtsrollenkonflikte und Identitätspolitik brustkrebsbetroffener Frauen« der Frage nach, welchen Einfluss die Erkrankung auf die Geschlechtsidentität der Betroffenen besitzt. Ich interessierte mich also weniger für das Wissen der medizinischen ExpertInnen, des klinischen Personals (MedizinerInnen, Psycho- und PhysiotherapeutInnen, KrankenpflegerInnnen usw.), die sich professionell mit der Erkrankung Brustkrebs auseinandersetzen. Stattdessen interessierten mich vor allem die Erfahrungen und das Wissen der betroffenen Frauen, genauer: wie das medizinische Wissen ihr subjektives Krankheitsempfinden beeinflusst. Dabei lag ein besonderer Schwerpunkt auf den Fragen, was es bedeutet, Patientin zu werden, wie sich die Frauen mit den gesellschaftlichen und vor allem biomedizinischen Verkörperungen der Erkrankung auseinandersetzen, wie sie über ihre Erfahrungen sprechen und welche individuellen und gesellschaftspolitischen Hoffnungen sie mit der Forderung einer ›frauengerechten Gesundheitsversorgung‹ verbinden. Hierzu führte ich zwischen August 2005 und Juli 2006 gemeinsam mit zwei Projektmitarbeiterinnen9 insgesamt 21 Leitfadeninterviews mit
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Ich danke an dieser Stelle Kira Holzhausen, M.A. und Dr. Ute Glasmacher für ihre wertvolle Unterstützung bei der Durchführung und Auswertung der Interviews. Da Brustkrebs eine Krankheit ist, in der die Betroffen eine Diagnose verarbeitet müssen, die in unserer Gesellschaft immer noch als ›Todesurteil‹ wahrgenommen wird, war eine sensible Interviewführung und ein feinfühliger Umgang mit den interviewten Frauen von besonderer Bedeutung, denen ich an dieser Stelle ebenfalls für ihre Gesprächsbereit-
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betroffenen Frauen im Raum Köln, Mainz und Trier, mit denen wir über lokale Selbsthilfegruppen und Netzwerke in Kontakt traten.10 Zuvor hatten wir für die Erstellung eines Gesprächsleitfadens über 60 ›Lebensberichte‹ von an Brustkrebs erkrankten Frauen inhaltsanalytisch ausgewertet, die zwischen 2000 und 2005 im Rahmen einer psychoonkologischen Begleittherapie angefertigt wurden.11
schaft und Offenheit herzlich danken möchte. Als langjähriges Mitglied und Dozentin von ›Patientinnenschulungen‹ des Vereins »Kompetenz gegen Brustkrebs« weiß ich um die Sensibilität und Intimität des Themas für Betroffene. 10 Unsere Interviewpartnerinnen waren allesamt Mitglieder in Selbsthilfegruppen beziehungsweise Gesundheitsnetzwerken, teilweise besetzten sie sogar innerhalb dieser Gruppen eine Vorstandsfunktion. Im Nachhinein stellte sich der Zugang über Gruppen und Netzwerke bei der Suche nach Interviewpartnerinnen als sinnvoll heraus, da bei den Mitgliedern die medizinischen Akutbehandlung in der Regel abgeschlossen und die Erstdiagnose soweit ›verarbeitet‹ ist, dass überhaupt Zeit und Ruhe für ein intensives Gespräch über die Erkrankung bestand. Gerade Letzteres, Zeit und Ruhe, fehlen in der Regel während des Klinikaufenthaltes, weshalb wir von einer Befragung von ›Krankenhausinsassen‹ absahen – nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade die Brustkrebspatientinnen im Krankenhaus mit Anfragen zur Teilnahme an klinischen Studien regelrecht ›überhäuft‹ werden. 11 Diese ›Lebensberichte‹ wurden größtenteils von der Projektmitarbeiterin Dr. Ute Glasmacher und zum wesentlich geringeren Teil von mir selbst erstellt. Seit 2000 engagieren wir uns als freie Mitarbeiterinnen in einer in der Nähe von Köln angesiedelten Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft mit Schwerpunkt Psychoonkologie, welche eine kassenfinanzierte Richtlinienpsychotherapie für Krebserkrankte anbietet, die eng mit dem Brustzentrum des örtlichen Krankenhauses zusammenarbeitet. Die ›Lebensberichte‹ sind das Ergebnis eines mehrstündigen biographischen Interviews, das mit Frauen in medizinischer Nachsorge geführt wurde, die sich zu einer psychotherapeutischen Anschlussbehandlung gemeldet hatten. Die Interviews, die nach zentralen Lebensabschnitten (Kindheit/Jugend/Partnerschaft/Ausbildung/Beruf/Familie/Krankheit) strukturiert waren, fanden in der Regel als Erstgespräch vor den eigentlichen therapeutischen Sitzungen statt. Sie dienten zunächst der Erhebung der Krankheitsanamnese, wurden aber von einigen der betroffenen Frauen selbst als the-
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2.1 Der Diagnose-Schock »Man hört das oft, aber man denkt immer, es trifft mich nicht. Und das trifft einen so aus heiterem Himmel. Es war wahnsinnig dieser Schock.« Wie dieses Zitat einer Interviewpartnerin deutlich macht, löst Brustkrebs als Erstdiagnose bei den meisten Frauen ein Schockerlebnis aus. Sie fühlen sich plötzlich wie gelähmt, »lebensuntüchtig« beziehungsweise brechen tatsächlich (zeitweilig) zusammen. Silke Kirschnig (2001) hat diese Schockwirkung der Brustkrebsdiagnose in ihrer soziologischen Analyse eindrücklich beschrieben. Nicht selten geht dabei das Gefühl der Ohnmacht und Lähmung mit massiver Todesangst einher. Viele der betroffenen Frauen quält der Gedanke »jetzt ist alles vorbei«, »jetzt muss ich sterben«. Häufig lebten die Frauen bis zur Diagnose beschwerdefrei und unbekümmert. Da die Erkrankung bei einer Früherkennung nicht sinnlich über Schmerzen oder andere Symptome erfahrbar ist, muss die Diagnose kognitiv verstanden werden. Über die Darstellung und Übersetzung von Bildern und histologischen Befunden als Diagnoseinstrumente wird in der Sprechstunde eine Realität geschaffen, welche die soziale Wirklichkeit der Frau akut gefährdet und die gesamte Wahrnehmung verändert. Der ›Diagnoseschock‹ macht aus den Frauen – wie Christine Holmberg (2005: 119ff.) feststellt – »Schwellenwesen«: Sie verlieren ihren alten Subjektstatus als ›gesunde Frau‹ ohne den neuen Status als ›Patientin‹ bereits nachvollzogen zu haben.12
rapeutische Intervention genutzt. Dabei bin ich mir bewusst, dass solche Daten kritisch zu betrachten sind, da es sich bei Anamnesegesprächen um eine bestimmte Form »institutionalisierter Geständnispraktiken« handelt, die nicht nur vom »privaten« Wissen der Betroffenen, sondern vor allem auch von den Strukturen des Medizinsystems und seinen Anforderungen dessen, was überhaupt als »privates Wissen« beziehungsweise »biographische Informationen« in diesen Gesprächen zu gelten hat, getragen werden (vgl. Hahn 2010: 193ff.). 12 Diese vorübergehende Irritation drückt sich in der Regel auch in der Handlungswirklichkeit aus. Die Frauen benehmen sich unmittelbar nach der Diagnose wie paralysiert: Sie können von heute auf morgen nicht mehr den Haushalt führen, verlieren den Appetit, verweigern den Kontakt zu nahe stehenden Personen oder neigen zu Kurzschlusshandlungen.
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2.2 Die Erschütterung des Frau-Seins Während der akuten Behandlung wurde von den brustkrebsbetroffenen Patientinnen Geschlechtsrollenkonflikte kaum thematisiert. Hier ging es im wahrsten Sinne des Wortes um ›Leben und Tod‹. Aber spätestens nach der Entlassung stellten die Frauen fest, dass die Intimität der Krankenhauswelt eine andere ist als die der Alltagswelt. So leicht sie den Körper in der Klinik noch hergezeigt haben, so schwer fiel es ihnen, sich etwa vor dem Partner auszuziehen, ja auch sich selbst ›zu sehen‹.13 Eine Interviewpartnerin, der im Rahmen der medizinischen Behandlung eine Brust entfernt wurde, drückt dies folgendermaßen aus: »Nun habe ich noch eine Brust. [...] auf alle Fälle ist diese extreme Asymmetrie entstanden und [...] jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel gucke, sehe ich das. Und das ist schon schwer. Oder wenn ich unter der Dusche stehe und ja ... also das ist schon ein Problem.« Diese Erschütterung der Weiblichkeit mag auch auf die Verschränkung von Identität und Verkörperung für das kulturell geprägte Auftreten von Frauen zurückzuführen sein, denn »Frauen konstruieren immer ihre Identität unter der Bezugnahme auf ihren Körper« (Davis 1999: 6). Viele der von uns interviewten Frauen berichteten von regelrechten ›Horrorerlebnissen‹ vor dem Spiegel im heimischen Badezimmer. Sie betonten, dass die Erkrankung ein gravierender Einschnitt für ihren Umgang mit dem eigenen Körper war. Sie fühlten sich »sehr entblößt und verwundbar«, »lädiert und nicht mehr so vollwertig«. Besonders dramatisch wurde der erste Gang zum Friseur geschildert, denn was zuvor im Krankenhauskontext von Pflege und Heilung bewertet wurde, wurde jetzt an den Standards von Weiblichkeit, Schönheit und Erotik gemessen (vgl. hierzu auch Buchinger/Gschwandtner 2002).14 Die tägliche, oft traumatisierende Konfrontation mit dem fehlenden Geschlechtsmerkmal im Spiegel und unter der Dusche machte es den
13 Laut Christine Holmberg überwiegt im Behandlungsalltag – auch bei den Frauen – ein eher instrumentelles Körperverständnis, dass sich in einer anderen ›Intimität‹ ausdrückt. Vgl. hierzu auch die Arbeiten der Wissenschaftssoziologin Regula Burri (2003) oder von Annemarie Mol (2002). 14 Frühere sozialwissenschaftliche Arbeiten hatten bereits auf die Geschlechtsrollenkonflikte bei Erkrankungen rund um die Brust hingewiesen (vgl. hierzu exempl. Olbricht 1985; Angier 1999; Müller-Rockstroh/ Gannon 2002).
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Frauen schwer, die Erkrankung im Alltag zu vergessen. Insbesondere in der ersten Zeit nach der Amputation können sie sich nicht damit anfreunden – wie sie es selbst ausdrücken – »einseitig rumzulaufen« beziehungsweise eine Prothese zu tragen. Neben den ›offensichtlichen‹ körperlichen Veränderungen wie Haarverlust, Brustamputation oder verkleinerung wurden gerade auch die weniger offensichtlichen körperlichen Veränderungen als Geschlechtsrollenkonflikt thematisiert, etwa die hormonelle Umstellung des Körpers aufgrund der Chemotherapie und Medikamente. Die Frauen kamen früher als natürlich bedingt in die Wechseljahre und mussten sich auf die Auswirkungen einstellen und auch mit ihnen leben lernen. Gemütsschwankungen und Gewichtzunahme wurden dabei noch als das geringere Übel geschildert. Viel gravierender für das Weiblichkeitsempfinden insbesondere für jüngere Frauen war die Tatsache, dass sie aufgrund der Einnahme von Östrogen-Blockern keine Kinder mehr kriegen konnten, das Gefühl haben, viel früher als andere Frauen zu altern und der sexuelle Verkehr mit dem Partner an Sinnlichkeit und Lust verliert, weil die Schleimhäute im Vaginalbereich auszutrocknen beginnen. 2.3 Die Entfremdung des Körpers So wurde in den Augen der Patientinnen der »kranke« Körper nach der Klinikentlassung schnell zum »entstellten« Körper, der seine »natürliche Schönheit« verloren hat. Auch wenn viele der Frauen ›nur‹ vorübergehend massive äußerliche Veränderungen hinnehmen mussten, hatte sich ihre Körperwahrnehmung meistens nachhaltig verändert. Der eigene Körper wurde von den meisten Frauen als etwas Fremdes und potentiell Gefährliches wahrgenommen, das überwacht werden muss: Das Achten auf den Körper, auf Schmerzen, Veränderungen oder andere Zeichen wurde intensiver. Eine Interviewpartnerin hierzu: »Krebspatienten [...] sind ja die perfekten Reinhorcher an ihren Körper, also wenn überhaupt nur irgendwas zwickt oder zwackt oder wackelt oder zuckt oder wie auch immer, Schmerzen da sind. Die sind [...] in einer höchsten Alarmbereitschaft.« Auch wenn der Tumor entfernt wurde, trat die Angst bei den regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen oder bei auftretenden Neben- und Nachwirkungen der Behandlungen immer wieder zu Tage, »das heißt ja nicht, wenn ich jetzt die OP hab mit Bestrahlung und Chemo, dass die Sache vergessen ist. Das ist ja eine Krankheit, die man bis an sein Lebensende hat.« Eng-
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maschige Kontrolluntersuchungen wurden für viele zur ›Normalität‹, die jedoch jedes Mal aufs Neue emotionalen Stress verursachten. Der Körper war in den Augen der Frauen dauerhaft nicht mehr selbstverständlich, er blieb eine eigene Entität auch nach der Erkrankung. Jürgen Raab und Hans-Georg Soeffner (2005: 169) beschreiben diese Krisen- beziehungsweise Entfremdungserfahrung in Anlehnung an Helmut Plessners Begriff der ›exzentrischen Positionalität‹ sinngemäß in den Worten: In krisenhaften Momenten [wie die Burstkrebserkrankung dramatisch veranschaulicht] und in der durch sie ausgelösten, reflexiven Haltung bricht diese ungeheure Selbstverständlichkeit unseres Verhältnisses zu unserem Körper auf, die darin gründet, dass der Mensch annimmt, dass er immer zugleich Körper ist und dass er diesen Leib als diesen Körper hat. In der Krise tritt uns jedoch der Körper schlagartig als etwas Eigenständiges, in seiner natürlichen Seinsweise Fremdes, dabei gelegentlich Störendes, entgegen. Dann nehmen wir ihn als ›etwas‹ wahr, über das wir nicht vollständig verfügen und das uns nur teilweise gehört – was teilweise sogar bis zur nachhaltigen Selbstwahrnehmung reichen kann, das ›mein Körper nicht ist, was ich bin‹. Brustkrebsbetroffene lernen so – wie Barbara Duden sagen würde –, »dass sie ihren Sinnen nicht trauen dürfen und sollen« (Duden 2006: 8 [Herv. d. Autorin]). Sie hatten die Deutungsmacht über ihren Körper verloren und an die ExpertInnen abgegeben. Auch Monate und Jahre nach der akuten Behandlung hielt diese Sichtweise an. Duden sieht hierin eine Entfremdung der Frauen von ihrem Körper; sie spricht teilweise auch von einer (modernen) Entkörperung der Frau, die sich vor allem darin ausdrückt, dass es mit der Krebsdiagnostik und der damit einhergehenden medizinischen/onkologischen Risikokommunikation der Verhütung, Vorsorge, Verdacht, Früherkennung, Normalfall, Beratung, Eingriff, Screening, Kontrolle und Krankheits-Management zu einer Verdrängung der wahrgenommenen Rhythmik, zu einem verengten Blick auf die vorweggenommene Zukunft der Frauen kommt (vgl. Duden 1997b: 12ff.). Durch die symbolische Kraft, die Krebs in unserer Gesellschaft hat, bleiben die Frauen Menschen, die Krebs überlebt haben und um die Gefahr einer Neuerkrankung wissen (vgl. Holmberg 2005). Fast alle beschrieben den Weg des Sich-zueigen-Machens des fremd gewordenen Körpers als langwierigen, schwierigen Prozesses, der auch von dem Ergebnis der zum Teil schönheitschirurgischen beziehungsweise korrigierenden Maßnahmen während und nach der Krebsbehandlung abhing. Mündete er bei eini-
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gen in einer eher instrumentell-distanzierten Körper(selbst)gestaltung, in der die ›neue Weiblichkeit‹ mittels bewusster Resexuierung der Geschlechtsmerkmale Brust und Haar dargestellt wurde, bemühten sich andere um eine eher spirituelle Identitätsfindung als Frau ohne Rekurs auf den ›eigenen‹ Körper.15 2.4 Emanzipative Krankheitsbewältigung Die Rückkehr in den Alltag verlief für viele der Frauen nicht problemlos. Durchliefen die Frauen vom Tag der Diagnosestellung bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus verschiedene medizinische Stationen, fiel mit der Entlassung aus dem Krankenhaus diese kontinuierliche Betreuungsbeziehungen durch die ÄrztInnen von einen auf den anderen Tag weg (vgl. hierzu auch Buchinger/Gschwandtner 2002: 60f.). Den meisten Frauen wurde schlagartig bewusst, dass zwar die Behandlung, nicht aber die Bewältigung der Erkrankung abgeschlossen ist. Neben der Angst um eine neuerliche Erkrankung, erwies sich vor allem die Bewältigung des ›ganz normalen Alltags‹ – insbesondere die Bewältigung der Haushaltstätigkeiten – als schwieriger als zunächst angenommen. Letzteres wurde aber nicht nur als ›körperliche Belastung‹ thematisiert; die Frauen litten vor allem auch darunter, dass sie von vielen Dingen »die eine Frau so macht« ausgeschlossen sind. 16 So unterschiedlich die Biographien und Lebensgestaltung der Frauen, ihre Krankheitsverläufe und Auswirkungen der Brustkrebserkrankung auf die Gesundheit auch waren, so einig waren sich alle der Befragten darin, dass Brustkrebs ihr ›ganzes Leben‹ verändert hat. Diese Veränderung wurde aber nicht nur als Beeinträchtigung erlebt. Im Gegenteil, war erst einmal der ›akute Behandlungsstress‹ überstanden, bewerteten einige im Rückblick die Brustkrebserkrankung sogar
15 Zum Zusammenhang von Körper- und Identitätskonzept und seinem Wandel in der Spätmoderne vgl. auch Borkenhagen (2008). 16 Hier wurde vor allem die Einschränkung im Hinblick auf Haushaltstätigkeiten, wie etwa Fenster putzen, Einkäufe tragen oder Gartenarbeit genannt. Im Rahmen des ›Doing-Gender‹-Konzepts (vgl. West/Zimmerman 1989) lässt sich diese Defiziterfahrung durchaus nachvollziehen, da für die Konstruktion der weiblichen (Geschlechts-) Identität das Ausführen ›weiblich konnotierter Tätigkeiten‹ – wie etwa Haushaltstätigkeiten – von zentraler Bedeutung ist.
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als ›Chance zur Emanzipation‹. Brustkrebs fungierte bei ihnen als Anstoß zur Selbstreflexion über das eigene Leben, wie eine Interviewpartnerin betonte: »Es war für mich ein Stopper, [...] ein tiefer Einschnitt in mein bisheriges Leben [...], weil ich sehr exzessiv und leidenschaftlich gearbeitet habe und viel zu viel und auch aus diesem Hamsterrad einfach nicht mehr aussteigen konnte [...] und das war jetzt das erste mal so eine Krankheit, die nicht einfach so wieder weg geht, die ich nicht so auf die leichte Schulter nehmen konnte und deshalb war es für mich wirklich so ein Einschnitt, wo ich mal zu mir kam und gemerkt habe, was ich so mit meinem Leben mache.«
Dabei spielten Reflexionen über die soziale Rolle der Frau, weibliche Fürsorgepflichten und persönliche Erfahrungen des »Daseins für andere« (vgl. Beck-Gernsheim 1983) eine zentrale Rolle. Immer wieder betonten die Frauen, dass sie durch die Erkrankung gelernt hätten, ›jetzt auch nein zu sagen‹ beziehungsweise ›ihr Leben nun selbst in die Hand zu nehmen und bewusst zu gestalten‹. Viele der Frauen zogen nicht nur eine ›Lebensbilanz‹, sondern richten sich ihr Leben im wahrsten Sinne des Wortes neu ein: angefangen von einem neuen Kleidungsstil über neue Aufgaben- und Rollenverteilung in der Familie bis hin zur bewussten Trennung vom Partner oder der Delegation von Betreuungspflichten gegenüber pflegebedürftigen Angehörigen. Dieser Drang nach einer ›(Neu-)Ordnung des eigenen Lebens‹ ging bei den meisten mit dem Bedürfnis einher, die Krankheit sinnvoll zu erklären. Auffällig war in diesem Zusammenhang die ganzheitliche Betrachtung der Erkrankung: Die Frauen nahmen die Krankheit als etwas wahr, das aus ihrem Leben kommt. Brustkrebs wurde so aus Sicht der betroffenen Frauen zu einer Krankheit, die Gründe hat. Neben »falschen Ernährungsgewohnheiten«, »Umweltgiften« und »hektische Zeiten« wurden immer wieder auch »geschlechtsspezifische Stress- und Problemsituationen« als Ursachen angeführt, wie zum Beispiel die »Doppelbelastung der Frau« durch Familie und Beruf. Eine Interviewpartnerin hierzu: »Also, ich muss Lasten tragen, die ich mir nicht mehr aussuche, die liegen mir auf meinen Schultern [...] ich glaube, es trifft für sehr viel Frauen zu [...] unser Leben ist ja nicht durch unsere angebliche Emanzipation einfacher geworden, ich finde, es ist sehr viel komplizierter geworden.« Mit der Begründungsfigur des ›ge-
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schlechtsspezifischen Stresses‹ erschien Brustkrebs so stellenweise als ›Folgekosten‹ der Emanzipation.17 2.5 Solidaritäts- und Kompetenzerlebnis in Frauennetzwerken In unseren Beobachtungen in Patientinnenvereinen, -praxen und Medien wurde uns schnell bewusst, dass Brustkrebs längst keine Krankheit mehr ist, die tabuisiert wird. Im Gegenteil: in jeder Frauenarztpraxis hängen Plakate zur Vorsorge, der Büchermarkt ist überschwemmt von Krankheits- und Gesundungsbiographien, in nahezu jedem Krankenhaus gibt es Selbsthilfegruppen, im Internet finden sich zahlreiche Informationsportale und Angebote überregionaler Gesundheitsnetzwerke. Auch die von uns befragten Frauen waren in überregionalen Gesundheitsnetzwerken oder örtlichen Gruppen der Brustzentren engagiert. Sie hoben hervor, dass sie hier die Möglichkeit bekamen, jenseits des Stigmas der »totkranken Frau« ein positives Selbstbild als »kompetente Patientin, die Brustkrebs überlebt hat« zu entwickeln. Daneben betonten sie die zentrale Bedeutung der Netzwerke und Vereine für die eigene medizinische Aufklärung. Hier erhielten die Frauen Informationen, die sie von den BehandlerInnen nicht bekamen oder nicht gewagt hatten, zu erfragen: Angefangen von Literaturempfehlungen über sozialversicherungsrechtliche Hinweise bis hin zu intimen Fragen zu kosmetischen oder anderen körperbezogenen Themen. Darüber hinaus gaben sie an, in den Gruppen erstmalig so etwas wie »echte Solidarität« erlebt zu haben – nicht unbedingt in dem Sinne, dass sie sich gegenseitig Trost spendeten, sondern vielmehr in dem Gefühl, nicht allein in einer Situation zu sein, die sonst niemand richtig nachempfinden konnte. Eine Gesprächsrundenleiterin fasst dieses Gefühl in Worte:
17 Natürlich stellen solche Krankheitserklärungen zunächst einmal ein Problem dar, da die Patientinnen die Erkrankung als ›selbstverschuldet‹ deuten. Sie hätten sich viel zu wenig um sich selbst gekümmert, nur für andere gesorgt und ihre eigenen Wünsche vernachlässigt. Die Erkrankung sei ein Zeichen für die eigene ›Vernachlässigung‹ und ›Überforderung‹. Dennoch darf man nicht übersehen, dass es für die betroffenen Frauen so möglich wurde, die Krankheit nicht nur zu ›verstehen‹, sondern auch Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
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»Einmal dieser Kontakt mit Menschen, die auch an Krebs erkrankt sind in der Gesprächsgruppe, das finde ich wichtig für mich, weil ich merke, dass ich, wenn ich so außerhalb so einer Gruppe erzähle, dass die anderen nicht mitbetroffen sind und von daher auch anders damit umgehen und ich möchte das auch nicht immer zum Thema machen und da ist das halt so, dass das einfach gut passt und manche Sachen können halt die Gesprächsteilnehmer einfach besser nachvollziehen. Und das tut mir dann gut, also da habe ich dann Verständnis. [...] Ich fühle nicht mehr als Außenseiterin. Ich fühle mich als wirklich dazugehörig und es ist nicht mehr so, dass ich denke, es ist was anderes oder was extra, sondern das gehört für mich mehr und mehr zum Alltag. Auch dass Menschen eben erkranken, dass ich eben auch krank geworden bin.«
Insbesondere intime Probleme als Folge der medizinischen Behandlung könne ›Frau‹ hier offen thematisieren, da sich die Gruppenmitglieder durch dasselbe Schicksal »nahe fühlen« und sich »in den anderen hineinversetzen« können. Nach dem Motto ›Geteiltes Leid ist halbes Leid‹ fühlten sich die Frauen durch den Kontakt mit Gleichgesinnten stärker und schöpften Kraft, ihre Krankheit als ›normal‹ zu betrachten und einen Weg zu finden, sie in ihr Leben zu integrieren. Nicht zuletzt war für die jüngst Erkrankten wichtig, dass sie Frauen treffen, die auch betroffen waren, inzwischen aber die Behandlungen gemeistert haben und weiterleben. Daraus erwächst für sie eine Hoffnung, die ihnen sonst niemand so direkt geben kann.
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F RAUENKRANKHEIT B RUSTKREBS – FRAUENGERECHTE V ERSORGUNG ?
Die Ergebnisse der Auswertung zeigen, dass die Diagnose Brustkrebs nicht nur das Leben der betroffenen Frauen als gesunde Frauen, sondern auch als Frauen bedroht und dass Krankheit und Krankheitsbewältigung von den Frauen selbst geschlechtsspezifisch diskutiert und praktiziert wird. Die Erkrankung oder der Verlust der Brüste durch operative Eingriffe bedroht die weibliche Identität: »Bewusst und sehr schwerwiegend ist für die Frau immer der Verlust an äußerlich sichtbarer Weiblichkeit und Attraktivität sowie das Gefühl der Verstümmelung.« (Olbricht 1985: 68) Gerade im konkreten Fall von Brustkrebs kann sich die besondere Organsymbolik auf unterschiedliche Weise auf die Identität der Frauen auswirken. Schließlich sind Brüste nie nur
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körperliche, sondern immer auch gesellschaftliche Organe (vgl. Angier 1999; Müller-Rockstroh/Gannon 2000). Ihr Gewicht, ihre Form und ihre Silhouette definieren Statuspassagen, Schönheitsideale, das Körperwissen und -erleben, das Frau-Sein schlechthin. Viele Frauen fürchten sich, wie unsere Ergebnisse zeigen, davor, nach Bekanntwerden ihrer Krankheit nicht mehr als ›vollwertige Frau‹ zu gelten, was sie unter Umständen in der Auseinandersetzung und beim Einfordern von Unterstützung hemmt. Die Symbolik erschwert die Verarbeitung der Krebsdiagnose, der Operation und Krankheitsfolgen (vgl. Netzwerk Frauengesundheit 2000: 25). Umso erstaunlicher ist, dass auf Seiten der FachexpertInnen sich in der Betrachtung von Gesundheit und Krankheit nur sehr langsam eine geschlechtsspezifische Sichtweise durchsetzt (vgl. Buchinger/Gschwandtner 2002: 116). Dieses Dilemma wird nicht nur seitens der feministischen Gesundheitswissenschaften zunehmend artikuliert (vgl. exempl. Doyal 2003). Auch aus Sicht der Betroffenen wird die Geschlechtsblindheit der Medizin in Bezug auf Brustkrebs zunehmend als defizitär eingestuft und öffentlich kritisiert. Neben zahlreichen teils literarischen, teils populärwissenschaftlichen Erfahrungsberichten von Betroffenen (vgl. Berg 1995; Love/Lindsey 1998; Creutzfeld-Glees 2001) haben gerade auch eine Vielzahl von neugegründeten Frauen- und Brustkrebsbewegungen sowie Netzwerkinitiativen im Gesundheitsbereich darauf hingewiesen, dass sie sich als Opfer einer defizitären Brustkrebspolitik wahrnehmen, die weder der Geschlechtsspezifik der Erkrankung noch der Besonderheit der Patientinnengruppe und deren Bedürfnissen als Frauen angemessen Rechnung tragen.18
18 Mildred Scheel hat Anfang der 1970er Jahre durch ihre eigene Erkrankung und als Ärztin und Gattin eines Bundespräsidenten für das Thema Krebs in Deutschland erstmals Öffentlichkeit hergestellt. Ihre Gründung der Deutschen Krebshilfe und der Dr. Mildred Scheel Stiftung widmete sich jedoch weitgehend der Krebsforschung und nicht dem Aufbau eines Selbsthilfebereich noch der kritischen Aufarbeitung des Verhältnisses zur Ärzteschaft oder dem sozialen Umfeld der Erkrankten (vgl. Netzwerk Frauengesundheit 2000: 33). Erst 20 Jahre später haben sich in Deutschland eine Reihe von kritischen Gesundheitsbewegungen gegründet, von der die Brustkrebsbewegung eine der erfolgreichsten und aktivsten ist. Viele dieser Aktivistinnen folgten dem Vorbild ihrer amerikanischen Schwesterorganisationen, in denen sich bereits vor über zehn Jahren unterschiedliche Akteure
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Gleichzeitig zeigen die Forschungsergebnisse, dass der Umstand, an Brustkrebs zu erkranken, heutzutage bedeutet, dauerhaft zur Patientin zu werden. Die betroffenen Frauen verlieren ihren alten Subjektstatus als ›gesunde Frau‹ und erlangen erst allmählich über die ›diskursive Normalisierung‹ qua Befunden, Broschüren, Informationsveranstaltungen, Arztgesprächen usw. einen neuen Subjektstatus: als Frauen, die Brustkrebs haben beziehungsweise überlebt haben. Wie umfassend dieser Prozess sein kann, wurde in unseren Interviews daran deutlich, dass viele der betroffenen Frauen ihre Lebensgeschichte vor dem Hintergrund des Wissens um die Erkrankung gewissermaßen neu erzählten: Brustkrebs wurde so in den Augen der Patientinnen zu einer Krankheit, die etwas mit ihnen – mit ihrem Leben – zu tun hat. Auch Monate beziehungsweise Jahre nach der akuten Behandlung hielt diese Sichtweise an. Donna Haraway (1995) hat in ihrem Buch »Die Neuerfindung der Natur« darauf hingewiesen, dass die biomedizinische Sprache in der Lage ist, die unterschiedlichen Erfahrungen von Krankheit und Leiden für Millionen zu formen. Über Narrative, Architekturen, Bilder, Apparate und Statistiken wird die biomedizinische Sicht verstärkt in die Welt der Frauen gebracht. In gewisser Weise unterliegen die Betroffenen, ohne dass sie es merken, einem Subjektivierungsprozess, der sehr konkrete Folgen für sie als Frauen, für ihr Leiden an und ihren Umgang mit der Krankheit, dem Körper und ihr fol-
der Brustkrebsbewegung (z.B. National Breast Cancer Coalition; Breast Cancer Action; Abreast in a Boat) aktiv für finanzielle und ideelle Unterstützung, medizinische Aufklärung und politische Schulung und ebenso für die Enttabuisierung des Bildes in der Öffentlichkeit von brustkrebserkrankten Frauen einsetzten (vgl. hierzu auch Mayer 2001; Stolzenberg 2001; 2004). Unterstützt werden diese nicht selten von berühmten Frauen der Populärkultur, wie der Photographin Katharina Mouratidi, der Journalistin Lilo Berg oder der (mittlerweile verstorbenen) Politikerin Regine Hildebrandt, die durch ihren progressiven Umgang mit der Krankheit den gesellschaftlichen Blick gezielt auf ihre »verwundete Weiblichkeit« gelenkt haben. Exemplarisch sei hier etwa auf die Kunstausstellung »Brustbilder: Von der Ideal- zur Realfrau« und dem gleichnamigen Sammelband von Sabine Voigt (2000) verwiesen oder an die großformatigen Photoportraits brustoperierter Frauen auf Berliner U-Bahnhöfen der Photographin Katharina Mouratidi erinnert, die sich mit unbekleideten Oberkörpern der Öffentlichkeit stellen.
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gendes ›normales‹ Leben hat.19 Holmberg (2005: 155) spricht in diesem Zusammenhang auch von der ›großen Geschichte Krebskrankheit‹: Es ist eine Geschichte, »die im Jetzt einen möglichen Tod in die Zukunft projiziert und im Gegenzug gleichzeitig eine Heilung durch biomedizinische Therapie in der Zukunft avisiert« (ebd.: 213). ›Patientinnenschulungen‹ oder ›Gesprächsgruppen‹, wie sie in vielen Brustzentren mittlerweile mehr oder weniger verpflichtend angeboten werden, unterstützen diesen Subjektivierungsprozess; etwas indem aufwendige Anamnesen angefertigt oder Gesprächsräume zur Verfügung gestellt werden, in denen die Frauen lernen, die großen Narrative der Biomedizin als neue Normalität zu akzeptieren. Viele entwickeln sich in wenigen Wochen und Monaten so zur Expertin ihrer Erkrankung. Kaum jemand entspricht so gut dem gesundheitspolitischen Ideal der ›informierten Patientin‹ wie diese Frauen, mit der sich die ÄrztInnen nach weniger Zeit – salopp gesprochen – wie unter KollegInnen ›auf einer Augenhöhe‹ unterhalten können. Aber die Tatsache, dass sich Patientinnen und BehandlerInnen immer besser verstehen, wirft auch Fragen auf: Einerseits schafft das Informations(über)angebot nicht nur Wissen, sondern auch Unsicherheit unter den Betroffenen.20 Andererseits werden sie zunehmend in die Verantwortung genommen, ihre Krankheit und Gesundheit selbst zu ›managen‹. So verwundert es nicht, dass auch innerhalb der Gesundheitsnetzwerke und Patientinnenvereine medizinkritische Stimmen selten sind beziehungsweise die Kritik sich eher auf spezifische Engpässe lokaler Versorgungsangebote denn auf grundsätzliche Strukturmerkmale des Gesundheitssystems richtet.21 Inwieweit die Forderung nach einer
19 In der kritischen medizinsoziologischen Betrachtungsweise wird dies als sogenannte »Medikalisierungsthese« bezeichnet, also jene Idee einer linearen Medizingeschichte, in der der ärztliche (schulmedizinische) Blick und Fachdiskurse Körperbeschreibungen und -empfindungen beherrschen (vgl. Nolte: 2005: 236). 20 Immer wieder sprachen die Frauen das Problem der fehlenden Orientierung im ›Informationsdschungel‹ an. Gleichzeitig sollen und wollen sie aber (a) ihren Heilungsprozess selbst in die Hand nehmen, um damit (b) auch ihren Ängsten mit Wissen zu begegnen und (c) die dringend anstehenden Entscheidungen wissend zu fällen. 21 Lediglich wenige Vereine und Gesundheitsnetzwerke thematisieren z.B. die systematische Schieflage zwischen dem biomedizinischen Wissen der
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frauengerechten Versorgung nicht nur von dem Wissen und den Bildern der Fachleute, sondern auch von den Geschichten und dem erlebten Körper-Wissen der brustkrebserkrankten Frauen getragen wird, ist fraglich. Solange lediglich quantifizierbare, d.h. statistische, epidemiologische Informationen als legitimes Wissen definiert werden, bleibt das, was ›am eigenen Leibe erfahren werden kann‹, allenfalls eine nachrangige Botschaft.
ExpertInnen und dem Erfahrungswissen der Laien – wie etwa der Kölner Verein »Wir alle. Frauen gegen Brustkrebs e.V.«.
Zwischen den Geschlechtern Der/die Transsexuelle als vertraute/r Fremde/r
Medizinische Diagnosen besitzen eine zentrale Funktion für die Grenzdefinition und -verwaltung, im konkreten Fall zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie besitzen aber auch, wie das Beispiel der an Brustkrebs erkrankten Frauen gezeigt hat, großen Einfluss auf die Möglichkeiten der Selbsterfahrung und Subjektivierung von Betroffenen. Die Krebs-Diagnose schafft in unserer heutigen Gesellschaft – zumindest vorübergehend – ›Schwellenwesen‹; Personen, die ihren alten Subjektstatus als ›gesunde Person‹ verloren hatten, und sich ihre neue Identität als Person, die (Brust-)Krebs (überlebt) hat, erst mühsam neu aneignen mussten. Der Körper, der häufig nach der Diagnose zum Fremd-Körper wurde, blieb eine riskante Entität, die dauerhafter Selbst- wie Fremd-Überwachung bedarf und seine Eigenschaft als ›natürliches‹ beziehungsweise ›offensichtliches‹ Signifikat der Geschlechtsidentität zumindest teil-/zeitweise eingebüßt hat.1 Insofern wirft das Phänomen Brustkrebs auch in einem ganz grundsätzlich (soziologischen) Sinne Fragen nach dem Verhältnis von Körper und Geschlecht auf. In ähnlicher Weise gilt dies für das Beispiel des Transsexualismus, das – wenngleich in medizinisch-therapeutischer Hinsicht grundsätzlich verschieden – zumindest doch auch die (medikal-)diskursive Konstruktion des Körpers und seine Rolle für die binäre Differenzie-
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Auch in der Betroffenenliteratur wird dieses Fremdwerden des eigenen Körpers als ein ganz zentrales Phänomen angesprochen (vgl. Pielhau 2009) – ganz im Gegenteil zum professionellen (schul-)medizinischen Wissen, in dem die soziale Rolle des Geschlechtskörpers ausgeblendet wird.
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rung wie individuelle Subjektivierung als Mann oder Frau reflektiert. Neben den zahlreichen geschlechtertheoretischen, stark (post-)feministisch ausgerichteten Arbeiten2, die das Beispiel Transsexualismus vor allem zur Kritik der binären Geschlechter-Ordnung heranziehen, hat mittlerweile auch die Soziologie des Körpers den/die Transsexuelle/n als Musterbeispiel für den Zusammenhang zwischen dem geschlechtlichen Körper, der Geschlechtsidentität und dem Geschlecht als soziale Kategorie entdeckt (für einen Überblick vgl. Knoblauch 2002). Zwar finden sich schon in der früheren Sozialforschung eine Reihe von Studien, die sich mit dem Phänomen des sexuellen Grenzgängers als Hermaphrodit (vgl. Foucault 1988) oder als Transsexuelle/r (vgl. Garfinkel 1967) beschäftigen. Die bis heute eher unbekannten Erinnerungen des französischen Hermaphroditen Herculine Barbin blieben im sozialwissenschaftlichen Diskurs jedoch eher ein seltenes Dokument oder in den Worten Foucaults »eine kurze, wenig skandalöse Provinzchronik« (Foucault 1988: 18) zur Konstruktion ›monströser Körper‹ und ›Krankengeschichten‹ im 19. Jahrhundert.3 Selbst Harold
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Der politische Feminismus ist wesentlich durch konstruktivistische Debatten und Position um die diskursive Produktion von Geschlecht im Alltag gekennzeichnet, ohne jedoch zentrale Dualismen beziehungsweise Begrifflichkeiten der Moderne, wie etwa zwischen sex und gender, in Frage zu stellen. Postfeministische Debatten hingegen möchten die bipolare Ordnung des theoretischen Diskurses aufbrechen und festgefahrene und überdeterminierte Begriffe und Positionen – wie etwa Essentialismus versus Konstruktivismus – in Bewegung bringen. Interessante Anregungen liefert hier unter anderem das Anwendungsfeld der Genomforschung, die die Grenzziehung zwischen Konstruktion und Gegebenem dahingehend in Frage stellt, als dass das Genom zum Repräsentanten des Natur-KulturHybriden wird, der die Materialität und Diskursivität der Welt untrennbar in sich vereint. Als Träger von Information symbolisiert das Genom zugleich die Zugriffsmöglichkeit auf die Schicksalshaftigkeit der Natur. Zu einer ausführlicheren Diskussion vgl. Weber (1998); Steiner (1998).
3
Barbin, der zunächst als Mädchen erzogen wird, später aufgrund fehlender Brüste und sexueller Beziehungen zu Mädchen von ÄrztInnen, Priestern und RichterInnen gezwungen wird, als Mann weiterzuleben, spiegelt die moderne Ordnung der Sexualität und ihre gewaltvolle Konstruktion des ›wahren Geschlechts‹ auf tragische Weise wider. Barbin, geplagt von Selbstzweifeln, Schuldgefühlen, Einsamkeit, Angst- und Wutanfällen, vor
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Garfinkels zur damaligen Zeit überaus innovativen Agnes-Studie (1967) wurde vorwiegend als Einzelfallstudie im Kontext der mikrosoziologisch orientierten Geschlechterforschung rezipiert, obwohl es Garfinkel eher um eine radikale Neuorientierung der Sozialtheorie denn um ein interessantes Beispiel aus dem Geschlechteralltag ging.4 Kulturelle oder geschlechtliche Grenzgänger, im Alltagsdiskurs häufig als ›Exoten‹ oder ›Perverse‹ verunglimpft, kamen so lange Zeit im wissenschaftlichen Diskurs nicht über den Status der ›konfliktreichen Randgruppe‹ oder des ›Opfers einer Geschlechtsidentitätsstörung‹ hinaus, die es zu ›integrieren‹ oder zu ›behandeln‹ gilt (vgl. Pfäfflin 1983). Dies zeigt sich in der überwiegend medizinischen Besetzung des Transgender-Themas in der westlichen Kultur, in der das Wissen um ›dritte Körper und Geschlechter‹ fast vollständig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Mehr noch: Durch die Abdrängung in das ›natur‹-wissenschaftliche Accomplishment von Medizin, Psychologie, Chirurgie und Endokrinologie und ihren standards of care wurde es vollständig depolitisiert: »Sex-change surgery privatizes and depoliticizes individual experiences of gender-role distress.« (Billings/Urban 1982: 265) Die typischen Metaphern von ›Fremdheit‹ im ›falschen‹ Körper und vom ›Zuhause‹ im ›richtigen‹ Körper zeigen dies deutlich. Sie betonen die Ebene individuellen Unbehagens mit dem eigenen Körper, blenden aber die gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen und dichotomen Bilder von Männlichkeit und
allem aber von dem juridischen Druck, seine Lüste, Sehnsüchte und Gefühle einem ›von außen‹ auferlegten Sexus unterzuordnen, beging nach seiner ›männlichen Geschlechtsumwandlung‹ Selbstmord. 4
Garfinkel untersucht in seiner umfangreichen Studie, auf welche Weise der sich stets als Mädchen empfindende Junge, ›Agnes‹, das spezifische Alltagswissen erwarb, dank dessen er in die Rolle der Frau überwechseln konnte. In zahlreichen gemeinsamen Gesprächen, die Garfinkel mit ›Agnes‹ vor und nach ihrer Operation zwischen Oktober 1958 und August 1959 führte, ging es vor allem um die Frage, welche besonderen Erfahrungen ›Agnes‹ mit ansonsten selbstverständlichen Sachverhalten machte, wie sie jene Kompetenzen erwarb, die als typisches weibliches Alltagswissen gelten und welche szenischen Praktiken für einen gelingenden Aufbau der sozialen Wirklichkeit einer Frau überhaupt notwendig sind.
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Weiblichkeit aus, auf deren Hintergrund das Unbehagen erst aufkommt (vgl. Franzen 2002: 77).5 Während das ›Regime der Zweigeschlechtlichkeit‹ Mann und Frau hervorbringt und sie als verkörperte Subjekte und nicht als kulturelle, sondern natürliche Repräsentationen der Wirklichkeit sichtbar macht, bringt der/die Transsexuelle durch seinen/ihren (zeitweiligen) Zwischenstatus neben der Ungenügsamkeit binärer Einteilungen auch das Gemachtsein der Unterscheidung von Natur und Kultur zur Sprache.6 Er/Sie erscheint also zunächst in der Diktion Zygmunt Baumans (1992) selbst als ein/e Fremde/r, da er/sie weder Mann noch Frau ist; er/sie repräsentiert gerade in seiner/ihrer Ambivalenz, dass es überhaupt einen Raum »zwischen den Geschlechtern« gibt, der keinesfalls unbewohnt ist (vgl. Genschel 2001: 823), gleichwohl der Zwischenraum (noch) ein wenig lebbarer und vermittelbarer Raum ist.7 Gemäß der Definition der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung ist Transsexualität
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Das Kapitel enthält Argumentationen aus früheren Artikeln – zum Beispiel: Reuter, Julia (2003b): »Zwischen den Geschlechtern. Der Transsexuelle als vertrauter Fremder«, in: Sinn-haft. Zeitschrift zwischen Kulturwissenschaften 16, S. 101-105; Reuter, Julia/Matthias, Wieser (2005): »›Dazwischen-Sein‹. Zur Konvergenz postkolonialer und postfeministischer Diskurse«, in: Michael Schultze et al. (Hg.), Diskurse der Gewalt. Gewalt der Diskurse, Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 59-73. Darüber hinaus enthält der Beitrag Anregungen aus eingehenden persönlichen Gesprächen mit Transsexuellen, die ich im Laufe meiner damaligen Recherche unter anderem beim Aachener Transsexuellen-Stammtisch führen durfte.
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Zusätzliche Verwirrung stiftet der/die Transsexuelle durch seinen/ihren (nicht seltenen) Wunsch nach homosexuellen Beziehungen, denn auch durch die Nicht-Anpassung an heterosexuelle Normen hinterfragt er/sie die dominante Ideologie, Sex sei »angeboren« und »natürlich« (vgl. Caplan 2000: 45).
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Pat Caplan zeigt unter Rückgriff auf Unni Wikans Studien zu transsexuellen Identitäten der Xanith in Oman sowie anhand der Studie von EvansPritchard über transsexuelle Beziehungen von Jungen bei den Azande, dass in anderen Kulturen durchaus gesellschaftlich anerkannte Räume und Rollen existieren, in denen transsexuelle Lebens- und Beziehungsformen denkbar sind, ohne stigmatisiert zu werden (vgl. Caplan 2000: 61f.).
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»durch die dauerhafte innere Gewissheit, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, gekennzeichnet. Dazu gehören die Ablehnung der körperlichen Merkmale des angeborenen Geschlechts und der mit dem biologischen Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen, sowie der Wunsch, durch hormonelle und chirurgische Maßnahmen soweit als möglich die körperliche Erscheinungsform des Identitätsgeschlechts anzunehmen und sozial und juristisch anerkannt im gewünschten Geschlecht zu leben.« (Becker et al. 1997 [Herv. d. Autorin])
Während einerseits dem/der Transsexuellen bei der Bewilligung einer operativen Geschlechtsumwandlung unterstellt wird, sein/ihr Körper müsse in bestimmter Weise erscheinen, damit das Geschlecht funktioniert, wird andererseits implizit auch eine geschlechteressentialistische Einstellung bekundet, denn um wirklich Mann oder Frau zu werden, muss er/sie dazu in einer bestimmten Weise fühlen. Die derzeit angewandten Diagnosekriterien, nach denen Transsexuelle von nichttranssexuellen PatientInnen abgegrenzt werden, richtet sich nach dem International Classification System of Desease der Weltgesundheitsorganisation in seiner zehnten Revision. Zur Diagnosestellung des Transsexualismus werden dabei folgende Kriterien aufgeführt: 1) Der Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden, 2) der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen, 3) das Bestehen der transsexuellen Identität seit mindestens zwei Jahren, 4) der Ausschluss des Transsexualismus als Symptom einer anderen psychischen Störung, wie zum Beispiel einer Schizophrenie, 5) der Ausschluss des Zusammenhanges des Transsexualismus mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien. Interessant an dieser Standardisierung der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen ist – neben der Objektivierungsgeste eines immer schon unkonventionellen und amorphen Phänomens – die Verstrickung von biologisch-essentialistischen mit konstruktivistischen Argumenten. Denn so wie die chirurgischen und hormonellen Korrekturen deutlich machen, dass Biologie kein Schicksal ist, werden eher ›weiche‹ Begründungen zu den ausschlaggebenden, letztlich ›harten Fakten‹, wie etwa das persönliche Gefühl oder der Wunsch, die quasi als ›innere Wahrheit‹ beziehungsweise ›innere Natur‹ betrachtet werden. Dennoch zeigt bereits Foucault in seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sexuali-
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tät in der Moderne, dass letztlich auch Gefühle, Triebe, Instinkte, Wünsche und Begehren keinesfalls machtfremde und damit ›a-soziale‹ Phänomene sind. Im Gegenteil, er fasst sie als besonders dichte Durchgangspunkte für Machtbeziehungen, die ihren Ausgangspunkt in der zunehmenden Pädagogisierung, Psychologisierung und öffentlichen Diskursivierung der Sexualität im ausgehenden 18. Jahrhundert besitzen (vgl. hierzu auch Caplan 2000). Diese an Transsexualismus aufgezeigte Paradoxie der ›Naturtatsache‹ Sex wird von (post)feministischen Arbeiten zur (De-)Konstruktion von Körper und Geschlecht vor dem Hintergrund einer Kritik an der vom sozialkonstruktivistischen Feminismus gesetzten sex/gender-Unterscheidung aufgeworfen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Annahme, dass Natur ein Konstrukt ist, ja dass Natur nicht vor ihrer Konstruktion existieren kann. Auch der Körper als natürliches Objekt der Anschauung ist alles andere als natürlich, geschweige denn passiv. Der Körper ist selbst ein engagiertes Wesen, ein materiell-semiotischer Erzeugungsknoten, dessen Grenzen nicht einfach schon da sind, sondern sich in der sozialen Interaktion materialisieren (vgl. Haraway 1995: 96).
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D IE P OLITIK
DER
S ICHTBARKEIT
Transsexuelle irritieren eingespielte Seh- und Erkenntnisgewohnheiten dahingehend, dass sie nicht zwangsläufig die Grenzen zwischen den Geschlechtern auflösen, sondern die Logik, in Grenzen zu denken beziehungsweise zwischen Bereichen, die durch Grenzen gespalten werden, zu unterscheiden, als unbrauchbar vorführen. Der/die Transsexuelle markiert als Fremde/r etwas Hybrides, das nicht in den üblichen Unterscheidungen aufgeht, aber auch nur angesichts der Unterscheidung existiert, gewissermaßen als ihr eingeschlossenes-ausgeschlossenes Drittes. Er/sie personifiziert eine ambivalente oder nichtidentische Identität (vgl. Holz 2000: 281), die in ihrer Unvertrautheit häufig Gefühle der Ungewissheit, Unbestimmtheit, ja das Gefühl des Unheimlichen nicht nur im Fremd-, sondern auch im Selbstverständnis auslösen, da er/sie die vertrauten Sichtweisen entstellt, ohne eine neue Ordnung zu repräsentieren (vgl. Nassehi 1999b: 357).8
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So wird die »Krisis«, als Zustand der Desorientierung und Verwirrung, von Alfred Schütz als ein typisches Phänomen im Selbst- und Fremderle-
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Diese ›Körperlichkeit‹ von Fremdheit, die immer in Gestalt von Personen, Dingen, Sachverhalten erlebt und gefühlt wird, ist aber keinesfalls mit Personen, Dingen oder Sachverhalten zu verwechseln, geschweige denn ist sie auf eine tatsächliche ›körperliche Ausstattung‹ zurückzuführen. Schließlich unterscheiden sich Körper physiologisch auf vielerlei Weise, werden aber durch die soziale Praxis vollkommen transformiert, so dass sie in die zentralen Grundkategorien einer Gesellschaft hineinpassen, deren wichtigste Unterscheidung die von ›weiblich‹ und ›männlich‹ ist (vgl. Lorber 1999: 87). Solche selbstverständlichen Oppositionen, wie etwa Mann und Frau, sind in Wirklichkeit im Namen der Natur vorgenommene Setzungen, die der Handhabbarkeit und Kontrolle, Unterscheidbarkeit und Vergleichbarkeit sozialer Wirklichkeit dienen. Doch auch wenn Männlichkeit und Weiblichkeit als ›von außen‹ auferlegte Normen betrachtet werden, vermittelt über eine Reihe von Erwartungen, Gefühle und Lebensformen, ist ihre ›Politik der Wahrheit‹ präsent, denn häufig werden Geschlechternormen zum Medium, durch das sich Personen als Personen sehen. Sie werden zum Rahmen des eigenen Sehens und seiner Selbstsicherheit.9 Als Struktur des als fraglos gegebenen Alltags ist das Geschlecht eine sozial vermittelte Wirklichkeit, die jedoch durch die Wahrnehmung und Darstellung mittels des Mediums Körper zu einer offensichtlichen und damit objektivierten Wirklichkeit wird (vgl. Lindemann 1990: 275). So legen soziale Kategorien – auch wenn sie gesellschaftlich konstruiert sind – relativ fest, was angesichts einer gegenwärtigen Seinsordnung der Fall ist und was nicht beziehungsweise wer als Frau und wer als Mann anerkannt wird und wer nicht. Dabei ist die Offensichtlichkeit von Körper und Geschlecht in mehrfacher Weise mit Bedeutung aufgeladen; sie impliziert sowohl
ben von Fremdheit bezeichnet. Unter Rückgriff auf William I. Thomas klassische Definition begreift Schütz die Krisis als eine persönliche Situation, die »den Fluss der Gewohnheiten unterbricht und die Bedingungen [...] sowohl des Bewusstseins wie auch der Praxis ändert« (Schütz 1972: 59) . 9
Judith Butler zeigt in ihrer Studie zum prominenten rechtlichen und psychiatrischen Fall John/Joan, der in den frühen 1990er Jahren durch die BBC und verschiedene populäre, psychologische und medizinische Zeitschriften an die Öffentlichkeit gebracht wurde, wie stark die Frage nach der inneren Wahrheit mit der äußeren Erscheinung verknüpft ist (vgl. Butler 2001a).
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etwas eindeutig Sichtbares, das als objektiv betrachtet wird.10 Die Offensichtlichkeit des Körpers wird aber auch von einem Wissen gesteuert, was überhaupt kognitiv sichtbar sein kann, gemäß einer Alltagstheorie, die ein »Entweder-Oder« beziehungsweise »Einmal-fürImmer« vorsieht (vgl. Hirschauer 1989: 106). Das Sehen des Körpers erneuert also nicht nur die Geltung einer vorausgesetzten Zeichenrealität, sondern konstituiert einen zeichentheoretischen Zusammenhang zwischen Körper und Geschlecht derart, dass beide unmittelbar zusammenfallen (vgl. Lindemann 1993a: 349). Insofern werden Personen beziehungsweise Personengruppen mit weniger ›eindeutigen‹ Körper- oder auch Geschlechtszeichen zu unmöglichen Objekten, die nicht zur Ordnung des Sichtbaren gehören und gehören sollen (vgl. Hirschauer 1989: 107). Sie irritieren die Wahrnehmungs- und Erkenntnisroutinen, denn das Sehen von Körpern und ihrer offensichtlichen Geschlechtszugehörigkeit steht unter Entscheidungs- und Fortschreibungszwängen, Entzifferungs- und Anerkennungszwängen (vgl. ebd.: 107). Der Körper ist folglich alles andere als ›unschuldig‹, denn der Materialität und Sichtbarkeit von Körpern im sozialen Konstruktionsprozess von Geschlecht, Gewicht oder Gestalt kommt nur insofern Bedeutung zu, als diese erst durch diesen Prozess hervorgebracht werden. Andererseits ist es gleichsam eine moderne Logik des Blicks, die das Sichtbare als Erkennbares hervorbringt und damit die Offensichtlichkeit des Körpers als Bezugsgröße für ›passende‹ oder ›unpassende‹, für ›sichere‹ und ›unsichere‹, ›vertraute‹ und ›fremde‹ Wirklich-
10 Dabei ist die Selbstverständlichkeit weder von gender noch von sex gegeben: »Kombinationen von inkongruenten Genen, Genitalien und Hormonen bleiben bei der Kategorisierung des sex ebenso unberücksichtigt wie Kombinationen von inkongruenter Identität, Sexualität, inkongruentem Aussehen und Verhalten bei der sozialen Konstruktion des gender-Status. Menstruation, Milchbildung und Schwangerschaft unterscheiden Frauen nicht von Männern. Nur manche Frauen sind schwanger, und auch dann nur eine gewisse Zeit; manche Frauen haben keine Gebärmutter oder keine Eierstöcke. Bei manchen Frauen setzt die Menstruation zeitweise aus, andere sind bereits in den Wechseljahren, und manche haben eine Totaloperation hinter sich. Manche Frauen stillen eine gewisse Zeit, aber auch bei Männern kommt es zur Milchbildung.« (vgl. Lorber 1999: 87)
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keitsrepräsentationen an Bedeutung gewinnt.11 Neben ›normalen‹ Entwicklungsverläufen, ›normalen‹ Formen der Lebensführung oder ›normalen‹ Geschlechtszeichen macht der Körper gleichsam Abnormitäten, Missbildungen oder Perversionen sichtbar. Er fügt sich damit auf indirekte Weise in die Ökonomie der Ordnung ein, indem er die Ungleichheits- und Geschlechterverhältnisse, sexuelle Identität und körperliche Klassifikationen als ›Natur‹ der Gesellschaft ausweist und damit eine (Re-)Produktion ihrer entsprechenden Normen sicherstellt (vgl. Reuter 2002a: 202); denn geschlechtliche Zugehörigkeit, ethnische Herkunft und Abstammung, aber auch Gewicht, Alter oder Gesundheit/Krankheit lesen wir am Körper ab, ohne uns immer gewahr zu werden, dass es kulturell erzeugte Codes sind, die wir als Eigenschaften dem Körper zurechnen.12 Dabei wird der Körper sicherlich zu
11 Der französische Diskurstheoretiker Michel Foucault verweist in seiner Archäologie der Humanwissenschaften etwa auf die Genese des ärztlichen Blicks vor dem Hintergrund der Entstehung der klinischen Medizin. Als letzte und entscheidendste Instanz der Anatomie genießt der Blick eine besondere Bedeutung in der klinischen Praxis. »Das Auge blickt auf die Gesamtheit des Spitalfeldes, es sammelt alle einzelnen Ereignisse, die sich in ihm abspielen; und je mehr und besser es sieht, umso mehr wird es Wort, das aussagt und lehrt; die Wahrheit, die sich in den Wiederholungen und Konvergenzen der Ereignisse unter seinem Blick abzeichnet, ist durch diesen Blick und gerade durch ihre Anordnung als Lehre denen vorbehalten, die nicht wissen und noch nicht gesehen haben. Dieses sprechende Auge ist der Diener der Dinge und der Herr der Wahrheit.« (Foucault 1973: 128f.) 12 Während sich die äußeren Kennzeichen von Geschlechtsidentität wie Haarlänge, Körperbehaarung, Fingernägel oder Körperhaltung noch relativ einfach einen Geschlechtswechsel ermöglichen, sind andere Geschlechtsindizien wie etwa die Stimme, die Brust oder die Genitalien nur unter kompliziertesten medizinischen Bedingungen – und in der Regel nicht mehr rückgängig – verkörperbar. Der Körper eignet sich daher nur bedingt als Medium des Geschlechtswechsels, da er der Verkörperung selbst Grenzen setzt; entweder weil die Dehnbarkeit der Haut, der Blutverlust bei einer geschlechtsangleichenden Operation oder eine Allergie gegen hormonelle Präparate der Willkürlichkeit der Konstruktion ›einen Riegel vorschiebt‹, ganz zu schweigen von den zutiefst eingelebten Urinier-, Schambeziehungsweise Flirtpraktiken.
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einem der trägesten ›Bewahrer‹ kultureller Bedeutungen, insbesondere wenn es sich um die Bewahrung der Geschlechtsidentität handelt.
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Z UR H ERAUSFORDERUNG BINÄRER G ESCHLECHTERORDNUNGEN
So gerät der Körper mehr als nur einmal in den Diskurs um die Gestaltbarkeit von Natur und ihre fehlende Abgrenzbarkeit von Kultur hinein, wie der/die Transsexuelle in besonderer Weise demonstriert. Denn gemäß der Diagnosefindung und Argumentation im Fall der Behandlung beziehungsweise operativen Geschlechtsumwandlung bei Transsexuellen wird ein nicht-natürlicher Eingriff in die Biologie/ Anatomie möglicherweise am Ende genau das, was die Natur vorschreibt, gleichwohl Natürlichkeit künstlich herbeigeführt wird (vgl. Butler 2001b: 677). Durch diese Dematerialisierung des biologischen Körpers – als hormonelle oder chirurgisch herbeiführbare Erscheinungsform – bei gleichzeitiger Materialisierung der Geschlechtsidentität – als ›unhintergehbarer Wunsch‹ – wird nicht nur die Unterscheidung zwischen ›Mann‹ und ›Frau‹, sondern auch zwischen ›Biologie‹ und ›Kultur‹ reflexiv, die bislang als ›Politik der Wahrheit‹ die Welt auf bestimmte reguläre und regulierbare Weise geordnet und als das gegebene Wissensfeld akzeptiert wurden (vgl. Butler 2001a: 671). In gewisser Weise wird der im Diskurs der Transsexualität thematisierte biologische wie kulturelle Übergang von Frau zu Mann oder von Mann zu Frau auch als Möglichkeit virulent, Körper und Geschlecht selbst als Umgestaltung zu begreifen (vgl. ebd.: 676f.). Denn wenn eine Frau – ganz im Sinne Simone de Beauvoirs (vgl. Beauvoir 2000) – nicht als Frau zur Welt kommt, sondern zu einer wird, um dann anschließend zum Mann zu werden beziehungsweise eigentlich immer schon Mann gewesen zu sein, kann auch der Leib nicht länger als eine außerhalb des Diskurses liegende natürliche Konstante betrachtet werden. Er muss zu einer solchen erst gemacht werden. In seinem (zeitweiligen) queren Geschlechtermodell ruft der/die Transsexuelle Zweifel hervor, da er/sie die ›natürliche Ordnung‹ unterläuft und damit gleichzeitig seine/ihre Künstlichkeit entlarvt; gewissermaßen macht der/die Transsexuelle durch sein/ihr Schwanken zwischen einem noch nicht ganz abgelegten Geschlecht und übereifrigem Nachahmen des anderen Geschlechts, ohne immer auch damit den
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›medizinischen‹ Geschlechtswechsel zu wünschen, deutlich, dass weder ein Geschlecht zu haben noch ein Geschlecht zu sein auf Natur basiert.13 Schließlich muss der Geschlechtswechsel praktisch erarbeitet werden, um quasi natürlich zu werden (vgl. Nassehi 1999a: 355).14 Als Person, die erst Mann ›war‹, dann Frau ›ist‹ oder umgekehrt, gleicht der/die Transsexuelle dem Fremden, der heute kommt und morgen
13 Angesichts einer gegenwärtig zunehmenden Pluralisierung von Lebensstilen und der Ausfransung klar umrissener Geschlechtsstereotype erscheint der/die Transsexuelle in seiner Referenz auf eine idealisierte Form des Mann- beziehungsweise Frauseins selbst als Konstrukteur eines Regimes der Zweigeschlechtlichkeit. Der/die Transsexuelle wirft womöglich einen »schützenden Schatten« auf eine (westliche) Kultur, in der ein großer Teil der Angehörigen selbst zu Geschlechtsmigranten geworden ist, denn Prozesse der Individualisierung, des Genus-Verlust, der Geschlechtsrollennivellierung und Emanzipation machen deutlich, dass viele Tätigkeiten, Räume und Positionen bereits ihr Geschlecht verloren haben und die Geschlechtsunterscheidung von Personen ihre Funktion mehr und mehr einbüßt (vgl. Hirschauer 1993a: 351). Seine/ihre Assimilation an bestehende Geschlechterverhältnisse hält jedoch auf verschleierte Art und Weise an seiner Unerwünschtheit und Deplatzierung fest, indem die Vergangenheit des/der Transsexuellen als Transsexuelle/r annulliert beziehungsweise ihrer Relevanz beraubt wird, gleichzeitig indirekt bestätigt wird, was zu beweisen war – nämlich die Dominanz und Wirklichkeit der binären Ordnung der Geschlechter. Doch auch die Assimilation löst sich nicht zwangsläufig in eine zukünftige Gleichbehandlung und -berechtigung des/der Transsexuellen auf. Allenfalls kann er/sie ein Freund auf Bewährung werden, der permanent von ÄrztInnen, PsychotherapeutInenn, Bekannten, FreundInnen oder sich selbst aufmerksam bewacht wird. Vgl. zur Ideologie der Assimilation des Fremden allgemein Bauman (1997: 94). 14 So verdeutlicht der »Alltagstest« als medizinische Maßnahme gleichzeitig auch die von der Medizin selbst gehegten Zweifel an bloßer Genitaloperation. Auch wenn der Alltagstest, der sich in der Regel über 1 ½ Jahre erstreckt und vor Beginn einer geschlechtsangleichenden Operation den Diagnostiker in seiner Diagnose und Einschätzung absichert, dient er dem Klienten dazu, seine Erwartungen beziehungsweise Entscheidungen an die neue Situation zu modifizieren und sich schrittweise seiner neuen (wahren) Identität anzunähern; gewissermaßen muss ihm auch die ›eigentliche‹ Identität natürlich werden.
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bleibt (vgl. Simmel 1958: 509). Simmel, der in seinen knappen Essay den Fremden als heimatlosen Händler typisiert, betont die physische wie soziale Beweglichkeit des Fremden, der als »Neuankömmling« unter den »Autochthonen« Misstrauen auf sich zieht, da er die scheinbar natürlichen Grenzen durchbrochen hat und alles, was bislang normal und selbstverständlich erschien, in Frage stellt. Seine Position ist also dadurch bestimmt, dass er nicht von vornherein zu einem bestimmten räumlichen Umkreis – oder einem, dessen Grenzbestimmtheit analog ist, – dazu gehört und dass er Qualitäten, die nicht aus ihm stammen und stammen können, in ihn hineinträgt (vgl. Simmel 1958: 509); im Fall des/der Transsexuellen, der/die die ›natürliche‹ Grenze des Geschlechts übertritt, sind dies Erfahrungen im je anderen Geschlecht. Stefan Hirschauer (1993a) zeigt in seiner kulturwissenschaftlichen Dekonstruktion des medizinischen Konzepts der Transsexualität und der Zweigeschlechtlichkeit, die auf einer Feldstudie in verschiedenen medizinischen sowie außermedizinischen Einrichtungen beruht und neben Beobachtungen wesentlich Interviews mit allen am Geschlechtswechsel beteiligten Personengruppen enthält, dass dabei nicht nur die Transsexuellen für ihre Umwelt zu Fremden werden, sondern ihnen ihre Fremdheit auch selbst zum Problem wird, schließlich beobachten sie sich selbst häufig mit den kulturellen Normalitätsstandards; »[S]ie werden sich selbst fremd, gehören für sich selbst zu ›denen‹, die doch von ›uns‹ zu unterscheiden sind. Transsexuelle beschreiben in ihren Biographien diesen Zustand als eine lange namenlose Verwirrung, ›was mit mir los ist‹.« (ebd.: 336) Gleichzeitig drückt der Wunsch, wieder jemand zu werden, der man eigentlich ist, das Dilemma einer unhinterfragten Trennung von Natur und Kultur aus, denn transsexuelles sense-making ist von vornherein ein Versuch der Selbstnormalisierung. Wenn Geschlechtswechsler versuchen, sich in Ordnung zu bringen, ist diese Ordnung keinesfalls eine natürliche, sondern immer schon die Ordnung, die ihre Kultur für zwei Geschlechter vorsieht (vgl. ebd.: 337). Auch Gesa Lindemann, die in ihrer Doppelrolle als Beraterin und Mikrosoziologin in zahlreichen Einzelgesprächen mit Transsexuellen der Entfremdung bezüglich der leiblichen und affektiven Erfahrung Betroffener nachspürt, betont den Prozess des mühsamen Prozesses des Sich-zu-eigen-Machens des ›eigentlich‹ anderen Geschlechts beziehungsweise des ›neuen‹ Körpers nach einer geschlechtsangleichen-
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den Operation. Die Wirklichkeit des neuen Geschlechts ist auf vielfältige Weise in sich gebrochen, da zumindest der Bezug zur eigenen Geschichte das neue Geschlecht immer wieder in Frage stellt (vgl. Lindemann 1993a: 154). Die Figur des/der Transsexuellen unterläuft daher neben der Natürlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit auch die Natürlichkeit der Unterscheidung von Natur und Kultur, die vom politischen Feminismus als Unterscheidung von sex und gender benutzt wird. Denn während die Unterscheidung von biologischem Geschlecht (sex) und sozialem Geschlecht (gender) zwar das kulturelle Gemachtsein der Zweigeschlechtlichkeit betont, macht der Diskurs des Transsexualismus deutlich, dass bereits die Unterscheidung zwischen einem natürlichen und einem kulturellen Geschlecht eine kulturelle Unterscheidung ist. Schließlich geht der gewünschte Geschlechtswechsel in den seltensten Fällen mit einer ausschließlichen Veränderung der körperlichen Ausstattung einher (vgl. Nassehi 1999a: 355). Überhaupt ist bereits die Identifizierung der Transsexualität mit Genitaloperationen, also mit ›wirklichen‹ Geschlechtswechseln problematisch, da es genügend Menschen gibt, die ohne chirurgische Zutaten ihr Geschlecht wechseln und auch nicht pauschal unter einer »Ablehnung« eigener Körperlichkeit subsumiert werden können (vgl. Hirschauer 2001b: 3). Der Geschlechtswechsel ist keine medizin-biologische Unternehmung, sondern wird selbst zum kulturellen Projekt, das auch den Körper als Sexus nicht als ›unschuldigen‹, weil natürlichen Träger von Bedeutungen begreift. Der Körper erscheint in Bezug auf gesellschaftliche Vorstellungen zur Geschlechterdifferenz niemals wertfrei, an ihn sind immer schon Bilder über die Bedeutung und Funktion der Geschlechter geknüpft, so dass auch die Rede von sex nichts weiter als ein naturalistischer Effekt des Gender-Diskurses ist (vgl. Zettelbauer 2001: 5). Auch wenn der Körper im Zuge der Moderne zu einem ›Austragungsort‹ sichtbar gemachter Wirklichkeitskonstruktionen geworden ist, der die Geschlechtszugehörigkeit begründet, zeigt die Figur des/der Transsexuellen, dass bereits diese Trennung von Körper und Geschlecht eine kulturelle Setzung ist, die sich angesichts der Geschlechtsumwandlung schwierig aufrecht erhalten lässt. Denn während die Geschlechtsumwandlung den Transsexuellen darin bestätigt, dass er/sie tatsächlich eine Frau/ein Mann ist (und war), bändigt sie ›uns‹ nachträglich den Schrecken, dass jemand, der für uns eine Frau ist, in Wirklichkeit ein Mann sein könnte: dadurch, dass die Operation ihn erst dazu macht, zeigt sie, dass er es vorher nicht war (vgl. Hirschauer 1993a: 342).
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T RANSSEXUALITÄT
ALS HYBRIDE
K ULTUR ?
Der Diskurs der Transsexualität unterläuft neben der binären Entgegensetzung von ›Mann‹ und ›Frau‹ stellenweise auch das Vergesellschaftungsprinzip Geschlecht als solches. Denn hinter der Allegorie des ›richtigen Lebens im falschen Körper‹ und umgekehrt klafft häufig eine Lücke zwischen dem, was man ist, und dem, was man hat, die selbst durch komplizierteste Operationen, Hormonpräparate, Kleidungsstücke und Therapiegespräche nicht vollständig zur Deckung kommt.15 Während jedoch für eine Geschlechtsattribution nahezu alles sexuiert werden kann (auch Blicke, Äußerungen, Sprechweisen, materielle Situationsbestandteile usw.) (vgl. Hirschauer 1989: 109), setzt der Körper in seiner medialen Beschaffenheit Grenzen, er macht eine spontane Geschlechtsumwandlung zumindest schwierig. So bleiben trotz geschlechtsangleichender Operation, insbesondere bei ›Mann-zuFrau‹, einige physiologische Prozesse unabhängig von dem Wechsel des Sexus, wie etwa die Mortalität. Die Fertilität hingegen ist laut des Transsexuellengesetzes von einem operativen Geschlechtswechsel unmittelbar betroffen, denn das Gesetz schreibt hier vor, dass die chirurgische Veränderung der Körperform bei einer transsexuellen Frau automatisch Unfruchtbarkeit zur Folge hat, da bei der Operation auch die Hoden entfernt werden. Bei transsexuellen Männern hingegen wird
15 Wenn die geschlechtsangleichende Operation aus persönlichen oder medizinischen Gründen nicht wahrgenommen wird, können die Geschlechtsorgane in einigen Fällen ihre Bedeutung völlig einbüßen. Sie werden von den nicht-operierten Transsexuellen nicht mehr als Geschlechtszeichen, sondern eher als deplatzierte Missbildungen oder unbedeutende Körperteile wahrgenommen. Solche »Randerscheinungen« weiten den Blick für den Kontext, in dem Geschlechtsorgane bestehen können (vgl. Hirschauer 1989: 105). Trotz dieser Desexuierung ist eine beliebe Vergeschlechtlichung jedoch fraglich. Lindemann zeigt in ihrer empirischen Rekonstruktion der leiblichen Erfahrung Transsexueller (1993a) die kulturell gezogenen »natürlichen« Grenzen der Beliebigkeit von De- aber auch Resexuierungspraktiken. So kann der üppige Busen eines transsexuellen Mannes zwar desexuiert, aber wohl kaum so vergeschlechtlicht werden, dass aufgrund ihrer Wahrnehmung die Person als Mann eingeordnet wird. Das gleiche gilt für den Penis einer transsexuellen Frau (vgl. Lindemann 1993b: 51)
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die Unfruchtbarkeit durch die Entfernung der Gebärmutter/Eierstöcke sichergestellt. Darüber hinaus ist die geschlechtsangleichende Operation selbst ein der wohl kompliziertesten Eingriffe, der lediglich von wenigen ÄrztInnen beherrscht wird.16 Auch wenn der medikale Diskurs Transsexualität mit bloßem Geschlechtswechsel und Geschlechtswechsel mit Operationswunsch in eins setzt und für die Betroffenen häufig erst die Operation die »Echtheit einer Geschlechtszugehörigkeit« dokumentiert (vgl. Hirschauer 1993a: 328), ist Transsexualität primär ein Wunsch nach Intelligibilität, nach Zugehörigkeit, nach Mensch-Sein, der mit Hilfe des Körper, nämlich durch die Geschlechts-Identität, verwirklicht werden soll. So bleiben bei vielen Transsexuellen – auch nach dem Geschlechtswechsel – Fragen, wie: Bin ich weiblich/männlich genug? Habe ich es zur Weiblichkeit/ Männlichkeit geschafft? Wird das Geschlecht angemessen verkörpert? Funktioniert die Verkörperung? Tut sie’s? Tut sie’s wirklich? Wie kann man das wissen? Welchen Beweis kann man heranziehen, um es zu wissen? (vgl. Butler 2001b: 678). Unter Einfluss schwul-lesbischer Subkultur und Politik, die sich als eigenständiger Diskursakteur gegen eine medikale und psychotherapeutische Alleinbesetzung des Transsexuellendiskurses zur Wehr setzt, wird Transsexualität zunehmend auch als kreative Praxis der Selbstvergesellschaftung betrachtet, die nicht einfach unter einer Assimilierung beziehungsweise Anpassung an das Regime der Zweigeschlechtlichkeit zu subsumieren ist.17 Anpassung wird hier vielmehr
16 Vergleiche exemplarisch den von Hirschauer (1993a: 272ff.) protokollierten Operationsbericht. 17 Vgl. hierzu etwa die Vielzahl an Transsexuellen und TransgenderNetzwerken, die neben persönlichen Kontakten und Erfahrungsaustauschen auch über Literatur-, Kosmetiktipps oder Klinikadressen informieren (www.transgender-net.de; www.postgender.de; www.hettyvstolberg.org; www.vivats.de). Der politische Diskurs um Transsexualismus ist allerdings eher marginal, insofern der Geschlechtswechsel von einem professionellen Accomplishment zwischen praktischer Ärzteschaft, Chirurgie, Amtsgericht, Endokrinologie, Psychotherapie, Kosmetik und Stimmpädagogik besetzt und damit als individuelles Problem beziehungsweise als PatientInnenkarriere und nicht als politisches Problem der Normalisierung, Kontrolle und Abweichung beziehungsweise als professionspolitisches Problem der Zuständigkeit, Expertise oder einfach nur als attraktive Forschungsgelegen-
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als streitbarer Prozess des ›Sich-passend-Machens‹ betrachtet, bei dem sich die Betroffenen an den Bruchstellen und Widersprüchen der zweigeschlechtlichen Ordnung orientieren, diese für sich nutzen, um ihren Wünschen nach sozialen Beziehungen eine Form zu geben und sie für sich umzuarbeiten (vgl. Genschel 2001: 827).18 Gleichzeitig wird der Körper zwar als Bezugspunkt für eine Erzählung benutzt, in der es aber konkret weniger um den Körper als vielmehr um Lebensentwürfe, Wünsche und Identitätspolitiken geht. Jenseits von geschlechtsangleichenden Wünschen ist der Transsexualitätsdiskurs ja geradewegs darauf angelegt, permanent die Widersprüche zwischen der körperlichen Ausstattung, ihrer Darstellung und ihrem Empfinden aufzudecken. Transsexualität wird auch zu einem Ort, an dem sich das Subjekt als Knotenpunkt einer Vielzahl von Diskursen (medikaler, psychologischer, biologischer, alltagspraktischer, identitätspolitischer Diskurs) in einer polykontexturalen Welt erfährt und diese unterschiedlichen Referenzsysteme aufeinanderprallen lässt. Denn der Prozess des ›Sich-zueigen-Machens‹ des anderen Geschlechts vor, während und nach dem medizinisch/therapeutisch begleiteten Geschlechtswechsel ist mehr als
heit in den Blick rückt. Billings und Urban betonen daher in ihrer kritischen Abhandlung zur sozio-medizinischen Konstruktion von Transsexualität: »Sex-change surgery privatizes and depoliticizes individual experiences of gender-role distress.« (Billings/Urban 1982: 265) 18 Diese Sensibilität für die Bedeutsamkeit von Geschlechtsdarstellung tritt häufig auch im Gespräch mit TherapeutInnen und GutachterInnen zutage, denn die Transsexuellen inszenieren nicht einfach Männlichkeit oder Weiblichkeit. Hirschauer schildert, dass sie ihre interaktive Realisierung als Gleich- oder Verschiedengeschlechtlichkeit darstellen und damit die Gesprächssituation steuern beziehungsweise Konvergenz oder Divergenz praktisch vollziehen. »Einige transsexuelle Frauen schmeicheln ihren männlichen Gutachtern gerne mit ihrer Abhängigkeit oder bezirzen sie regelrecht: Brust und Bein präsentierende Sitzhaltungen und ein ›befangenes‹ Spiel mit dem Rocksaum, einer Zigarette oder Fingernägel [...] laden zur Betrachtung ein und versuchen, eine erotische Konnotation in die Interaktion zu bringen. [...] Transsexuelle Männer stellen Gleichgeschlechtlichkeit etwa dadurch dar, dass sie von ›den Frauen‹ oder ›Mädels‹ sprechen oder indem reckend ein breiter Streifen Bauch entblößt wird, zwanglos ›unter Männern‹.« (vgl. Hirschauer 1993a: 201)
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bloße Assimilation, mehr als operatives Entfernen oder Hinzufügen.19 So wie das Bild der Transsexualität fast allen Beteiligten als ›Krankheit‹ erscheint, so etabliert ist sie doch, sie als ein kurzzeitiges ›medizinisches Stadium‹ zu betrachten. So dramatisch die Chirurgie die körperliche Geschlechtsgrenze überschreitet, so sehr reaffimiert sie die Körpergebundenheit der Geschlechtszugehörigkeit. So massiv die sozialen und biographischen Brüche eines Geschlechtswechsels sind, so massiv negieren biographische Rekonstruktionen und die Unterstellung einer psychischen Geschlechtssubstanz, dass ein Wechsel stattfand. An der Transsexualität werden die Axiome unserer kulturellen Ausstattung bewiesen und bestritten (vgl. Hirschauer 1993a: 350f.). In diesem Sinne ist der/die Transsexuelle ein/e epistemologische/r Bruder/Schwester des Transmigranten (vgl. Nassehi 1999a: 356), denn beide Figuren stehen nicht nur für Ortswechsel zwischen Kultur- beziehungsweise Geschlechtsräumen, sondern auch für eine empirische Dekonstruktion sozial-wissenschaftlicher Konstruktionen.20 Trotz seinem Wunsch nach Anerkennung in der bestehenden binären Geschlechterordnung, schlägt der/die Transsexuelle auf sie zurück. Er macht nicht nur die semantische Behauptung sexueller Identität, ver-
19 Bereits Alfred Schütz (1972) betont die kritische Objektivität des Fremden, der sich angesichts der fehlenden ›echten‹ Vertrautheit mit Kulturmustern, unfreiwillig zum ›Experten‹ ihrer Bruchstellen und Inkohärenzen entwickelt. 20 Doch im Gegensatz zum Transmigranten, dem ungeachtet seiner gelebten kulturellen Hybridität vielfach eine klare ethnische Zugehörigkeit unterstellt wird, verhält es sich beim/bei der Transsexuellen häufig umgekehrt: Er/sie wird – mitunter auch nach einer geschlechtsangleichenden Operation – als sexueller Hybrider betrachtet, obwohl er/sie wie kein anderer als typischer Mann oder Frau wahrgenommen werden möchte. Diese Inkongruenz von Selbst- und Fremdwahrnehmung selbst bei operierten Transsexuellen macht deutlich, dass der Körper den Konstruktionsprozess nicht nur unsichtbar machen, quasi vernatürlichen kann, sondern in Umdeutungs- und Übergangsprozessen auch sichtbar werden lässt, gerade dann, wenn er durch Narben, Poren, Schmerzen, Rötungen oder Blutungen die Grenzen sozialer Konstruktion verrät. Gleichwohl Spuren einer operativen Geschlechtsumwandlung bleiben, sagen diese nicht zwangsläufig etwas über den ›Erfolg‹ des Geschlechtswechsels aus. Vgl. hierzu unter anderem Lindemann (1993a: 246ff.).
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standen als soziale Identität von Frauen als Frau und Männer als Mann, zirkulär, sondern auch jene, die kulturelle Konstruktionen für beliebig und frei wählbar halten (vgl. ebd. 1999a: 357). In diesem subversiven Sinne ist auch Transsexualität eine hybride Kultur, denn sie ist ein Ort des Widerstreits zwischen Repräsentationen von Welt, Subjekt, Körper, Geschichte usw. (vgl. Bronfen/Marius 1997: 11). Hybridität ist dabei mehr als bloße Vermischung und Überschneidung unterschiedlicher Beobachtungs- beziehungsweise Referenzsysteme; Hybridität beinhaltet auch ein widerständiges Element, denn die unterschiedlichen Repräsentationen werden nicht in auf ein einheitliches Koordinatensystem hochgerechnet (vgl. ebd.). Der/die Transsexuelle verdeutlicht, dass es keine ›körperliche Heimat‹ gibt, zu der er/sie zurückkehren kann, denn weder ein Geschlecht haben noch ein Geschlecht sein ist ihm/ihr selbstverständlich. Das im gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Diskurs virulente Konzept der Hybridität verweist also über die vorherrschende Ordnung hinaus, weil es verdeutlicht, dass Differenz als das ständige Markieren und Neumarkieren von Positionen innerhalb eines diskursiven Systems konzeptionell eingeschlossen ist (vgl. Bronfen/Marius 1997: 19). Die Figur des/der Transsexuellen ist daher ein/e vertraute/r Fremde/r. Sie tritt als ein ›Parasit‹ (im Sinne des eingeschlossenen-ausgeschlossenen Dritten) eines ›Regimes der Zweigeschlechtlichkeit‹ hervor, der zwischen ›biologischer Herkunft‹ und ›autonomer Geschlechtssetzung‹ oszilliert, denn auch der Natur muss mit Hilfe von chirurgischen, hormonellen oder alltagspraktischen Mitteln ›auf die Sprünge geholfen werden‹. Seine/Ihre Hybridität ist aber weder ein spezielles Merkmal noch eine zu vermeidende Gefahr, sondern ein grundlegendes Merkmal einer binär codierten Geschlechter-Normalität. Solange man dem/der Transsexuellen aber lediglich mit ›korrigierenden Operationen‹ und ›Behandlungs- und Begutachtungsstandards‹ anstelle von öffentlichen Bühnen der Auseinandersetzung und Repräsentationsmöglichkeit begegnet, wird sich weder der eigene Leidensdruck noch der des/der Transsexuellen verringern.
Praktizierte Kultur Das stille Wissen der Geschlechter
Während differenztheoretische Perspektiven Transsexualität vor allem als reflexives, wenn nicht sogar subversives Element einer heteronormativen Sexualkultur diskutieren, hat auch die neuere praxistheoretische Diskussion das transsexuelle doing gender als Untersuchungsgegenstand (wieder-)entdeckt. Dabei liegt der Fokus weniger auf der vor allem minderheitenpolitisch gestellten Frage, was es bedeutet, in einer Gesellschaft, die Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als natürliche Norm betrachtet, transsexuell zu sein. Im Vordergrund einer praxistheoretischen Perspektive steht vielmehr die Frage, inwiefern die Praktiken der Herstellung von Geschlecht an ein praktisches Wissen gebunden sind, das in körperlichen Routinen und sozial eingeübten Fähigkeiten und Fertigkeiten verankert ist (vgl. Hirschauer 1994: 672f.). Es handelt sich also um ein eher theorieästhetisches Interesse an dem Verhältnis von kulturellem Wissen und sozialer Praxis. Geschlecht erscheint in diesem Zusammenhang als Praxis, die trotz ihrer ›Fraglosigkeit‹ ein gewisses praktisches Wissen abverlangt. Es geht also nicht um die bewusste Relevantsetzung des sozialen Geschlechts durch Akteure, also dem, was häufig unter doing gender verstanden wird. Es werden auch jene Praktiken in den Vordergrund der Betrachtung gerückt, die eher unbemerkt als inkorporierte Normalität ›mitlaufen‹. Ausgehend von einer praxistheoretisch angeleiteten Kulturperspektive sollen daher unter Bezugnahme auf die zum Teil bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellten Studien zur Alltagserfahrung Transsexueller die mitlaufenden ›feinen Unterschiede‹ der Selbstpräsentation als ›praktisches Wissen‹ der Geschlechter rekonstruiert werden.
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Dabei soll nicht nur ein Bild der Realität gewonnen werden, aus dem Transsexuelle ausscheren. Mit dem Phänomen des Geschlechtertauschs soll vor allem ein Praxisfeld erkundet werden, in dem kulturelle Vorannahmen und Wissensbestände in einer Weise explizit und zugänglich werden, wie es für andere Praxisfelder so nicht gilt. Schließlich gilt der/die Transsexuelle als aufmerksamer/aufmerksame ›BeobachterIn‹ jener fraglos-unbemerkten Praktiken des ›Mann-Seins‹ beziehungsweise ›Frau-Seins‹, welche ›von vornherein normale Personen‹ ganz einfach benutzen. So eröffnet sich eine Sicht auf unser kulturelles Wissen, das gerade nicht als ›mentales Kollektivphänomen‹ aufscheint, das in der Praxis eines kulturell überformten Körpers lediglich zum Ausdruck kommt. Die Ebene der sozialen Praktiken wird vielmehr selbst als Analysegegenstand betrachtet, in der sich das ›Wissen‹ der Geschlechter in alltagspraktischen Relevanzen fundiert.1
1
P RAXISTHEORIEN
UND DER PERFORMATIVE TURN
Schon immer haben sich soziologische Theorien für die Frage interessiert, inwieweit in den Praktiken der Gesellschaftsmitglieder nicht nur gesellschaftliche Sinnmuster und Wissensordnungen, sondern auch ein Handlungswissen zum Ausdruck kommt, mit dem sie sich die Wirklichkeit praktisch erschließen. Während Handlungstheorien im Anschluss an Max Weber auf die bewusste Absicht der Akteure setzt, Ziele und Zwecke möglichst rational zu realisieren, konzentrieren sich die im Anschluss an pragmatistische und ethno(methodo)logische Arbeiten herausgebildeten ›praxistheoretischen‹ Ansätze2 auf eine ›in-
1
Das Kapitel geht auf einen früheren Aufsatz zurück, den ich gemeinsam mit Karl H. Hörning verfasst habe: Reuter, Julia/Hörning, Karl H. (2005): »Praktizierte Kultur. Das stille Wissen der Geschlechter«, in: Ursula Rao (Hg.), Kulturelle Verwandlungen. Die Gestaltung sozialer Welten in der Performanz, Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 51-73.
2
Was hier und im Folgenden »Theorie sozialer Praktiken« oder knapp »Praxistheorie« benannt wird, ist nicht so sehr eine Theorie, sondern eher ein Bündel von Ansätzen, die eine soziale Praxisperspektive einnehmen und diese theoretisch auszuarbeiten suchen. In der Soziologie bildete sich dieser theoretische Praxisbezug vor allem unter dem Einfluss von Bour-
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nere Geregeltheit‹ sozialen Handelns, die auf einem weithin unthematischen Hintergrundwissen fußt. Gegenüber Einzelhandlungen, in denen individuelle Handlungsabsichten überwiegen, betonen sie die in den sozialen Praktiken wirksamen gemeinsamen Fertigkeiten und Gepflogenheiten. Damit setzt sich eine dezidiert soziale Praxisperspektive zunächst einmal von der recht üblichen Gleichsetzung mit Handlungstheorien ab, die den Intentionen und Entscheidungen der Einzelakteure Vorrang einräumen. Soziale Praktiken weisen als soziales Phänomen weit über den einzelnen Handelnden sowie die Situation hinaus, in der die Handlungen jeweils zum Einsatz kommen. So, wie individualistische Theorien das Handeln aus den Eigenschaften (Ziele, Absichten und andere mentale Charakteristika) der Individuen herleiten, die sie ausführen, und gemeinsame Praktiken lediglich als kollektive Aufsummierung von Einzelhandlungen betrachten3, sehen PraxistheoretikerInnen die einzelne Handlung als Teil von wechselseitig aneinander ausgerichteten, sozialen Praxisabläufen. Auch in der jüngeren praxistheoretischen Diskussion in Gefolge von Pierre Bourdieu und Anthony Giddens werden soziale Praktiken als ontologisch grundlegender als die einzelnen Handlungen der Individuen gesehen. Solche übersubjektiven Handlungskomplexe existieren aber nur dann, wenn die sie konstituierenden Handlungsweisen und Gepflogenheiten über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg ständig ausgeführt und in Gang gehalten werden. Damit dies geschieht, müssen die Akteure mit einer bestimmten sozial institutionalisierten Disposition (Bourdieus ›Habitus‹) beziehungsweise einer bestimmten praktischen Fähigkeit des Handelnden (Giddens’ ›praktisches Bewußtsein‹) ausgestattet sein, um so auf die Handlungszüge anderer angemessen zu antworten, sich in das Praxisgeflecht einzuklinken und das passende Handeln auszuführen. Sowohl der ›Habitus‹ wie das ›praktische Bewusstsein‹ sind als eine Art Antwortdispositiv
dieu (1976) und Giddens (1979) heraus, die vom späten Wittgenstein und der Ethnomethodologie beeinflusst waren. Eine ausführliche Darstellung der praxistheoretischen Kulturperspektive habe ich bereits gemeinsam mit Karl H. Hörning in einer früheren Publikation formuliert (vgl. exempl. Reuter/Hörning 2004). 3
So sieht Turner (1994) aus radikal-individualistischer Sicht gemeinsame Praktiken lediglich als »Bündel individueller Gewohnheiten«.
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gefasst, eine Art ›implizites Wissen‹4 von der Relevanz, Bedeutung und Geeignetheit bestimmter Handlungsweisen, das sich im/in der AkteurIn durch soziale Einübung und Erfahrung im fortlaufenden Handlungsvollzug eingelebt hat (vgl. Hörning 2001: 162). Obwohl soziale Praxis nicht je einzelnen Individuen zuzurechnen ist, beeinflussen soziale Praktiken erheblich unsere Vorstellung von Wirklichkeit, denn erst im gemeinsamen Vollzug der Handlungspraktiken erlangen wir neben einem Gebrauchswissen von den Problemen der Sachwelt auch Einblick in und Verständnis für die Mithandelnden (vgl. ebd. 2001: 162). Praxistheorien geht es daher um das Hervorbringen von Denken und Wissen im gemeinsamen Handeln, weniger um ein intentionales Vorwissen um die Welt. Um dieses ›Wissen im Einsatz‹ in seiner praktischen Wirksamkeit hervorzuheben, bedienen sich viele Autoren dem in den Sprach- und Kulturtheorien neuerdings (wieder-)entdeckten Performanzbegriff.5 Soziale Praktiken besitzen hiernach insofern einen performativen Charakter, als sie Bedeutungen in Form konkreter Gesten oder Handlungsmuster nicht nur repräsentieren, sondern Bedeutungen auch präsentieren und damit evozieren oder transformieren können. Wenngleich sich der Begriff der Performanz stellenweise mit dem der sozialen Praxis überlappt, ist eine Differenzierung notwendig. Denn soziale PraktikerInnen sind keine ›frei flottierenden Konstrukteure‹, wie der Performanzbegriff in seiner theaterund sprachwissenschaftlichen Konzeption stellenweise implementiert. Handlungspraktiken stützen sich auf kulturelle Wissens- und Bedeutungsschemata, die sich den Praxiszügen so unterlegen, dass sie zu ihrer impliziten Geregeltheit und sozialen Angemessenheit beitragen. Praktiken beziehen sich also immer auf soziale Gepflogenheiten und kulturelle Ressourcen. Solche Ressourcen sind dabei jedoch nicht nur als geordnete Ensembles von kulturellen Wissensbeständen zu denken. Sie stellen gleichermaßen ein Repertoire an praktischem Wissen und interpretativem Können zur Verfügung, ein Wissen-wie, das sich erst in konkreten Praktiken vollständig ausformt. Dieses sogenannte praktische Wissen stellt – mit Frederik Barth (2002) – eine zentrale Modalität von Kultur dar. Ein solches Wissen enthält nicht nur grundlegende
4
Vgl. Polanyis (1985) einflussreiche These, »[...] daß wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen«.
5
Vgl. zur Diskussion des Performanzbegriffs in den Kultur- und Sprachwissenschaften: Wirth (2002); Fischer-Lichte (2000); Koepping/Rao (2000).
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Ideen und Annahmen über die Welt, es zeigt vor allem Kultur in ihrem Einsatz und rückt damit dynamische Fragen nach Variation, praktischem Austausch und Wandel in den Vordergrund. Es ist dann der Doppelcharakter von Kultur, der die Praxis als kontinuierliche Mischung aus Routine und Reflexion, Wiederholung und Neuerschließung ausweist (vgl. Hörning 2001: 185ff.). Insofern folgt die (Wieder-)entdeckung des Performativen in der Soziologie einer doppelseitigen Erschließung der Praxis. Sie weist keinesfalls nur künstlerische oder ritualisierte Praktiken als performativ aus. Im Gegenteil, neuere Praxisansätze akzentuieren vor allem die Geschicklichkeit und Kompetenz der Akteure im alltäglichen Praxiszusammenhang.
2
P RAXIS UND KULTURELLES W ISSEN S ICHT DER E THNOMETHODOLOGIE
AUS
Neben George Herbert Mead, dessen pragmatistisch geprägte Analyse der Genese einer ›intelligenten Praxis‹ als programmatische Geste gegen eine behavioristische Ausrichtung der geisteswissenschaftlichen Strömungen seiner Zeit gelesen werden kann, haben vor allem Harold Garfinkels ethnomethodologische Studien (1967) die praktischen Kompetenzen der Gesellschaftsmitglieder in den Vordergrund gerückt. Garfinkel interessierte sich für die Frage, wie kulturelles Wissen praktisch aufgebaut und realisiert wird, denn er wollte verdeutlichen, dass auch AlltagspraktikerInnen methodisch kompetent in der Bewältigung ihres Alltagslebens vorgehen. Um das praktische Alltagswissens gegenüber theoretisch-methodischen Wissensformen aufzuwerten, berief sich Garfinkel auf das Konzept der ›Ethnomethoden‹, die er als relevanter und wirkungsmächtiger als die Absichten der einzelnen Akteure einschätzte. Ethnomethoden beschreiben methodische Verfahren, ein ›praktisches Betriebswissen‹ (knowing-how), mit denen die Gesellschaftsmitglieder den ›Sinn‹ ihrer Alltagshandlungen vermitteln. Diese Ethnomethoden stützen sich auf ein Alltagswissen, das neben subjektiven Relevanzen auch kollektiv geteilte (ethniespezifische) Wissensbestände und Deutungsroutinen umfasst. Wissensbestände enthalten neben Hintergrunderwartungen und Interpretationsverfahren vor allem auch komplexitätsreduzierende »Schematismen der Interaktion«, also Praktiken wirk-
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lichkeitskonstruktiven Alltagshandelns (vgl. Patzelt 1987: 103). Ethnomethoden schließen damit ein praktisches Wissen ein, was in einer bestimmten Situation jeweils zu tun ist, beispielsweise wie man bei einem bestimmten Ereignis ›die rechten Worte findet‹, wie man weiß, ›was sich gehört‹ und den ›richtigen Ton trifft‹. Dieses Wissen basiert weder auf Entscheidungen der Vernunft als rationales Kalkül noch liegt es in den Determinierungen durch Mechanismen, die den Handelnden äußerlich oder übergeordnet wären (vgl. Gebauer/Wulf 1998: 48f.). Es existiert vielmehr in den sozialen Praktiken, die Akteure müssen lediglich wissen, wie etwas zu tun ist, ohne zu wissen, wie sie es tun (vgl. Hirschauer 1994: 674). Während sich die klassische Wissenssoziologie vornehmlich mit den Strukturen der Entstehung und Institutionalisierung von Wissen und seiner Distribution beschäftigt, wirft die ethnomethodologische Diskussion die Frage nach der Handhabung, dem Praktizieren und Umsetzen von Wissen auf. Wissen wird dabei als kulturelle Form nicht kognitivistisch verengt, sondern als Wissen in actu untrennbar an die soziale Praxis gekoppelt. Dabei impliziert der Begriff der Praxis zweierlei. Einerseits geht er davon aus, dass Personen kompetent in ihrem Handeln sind in dem Sinne, dass sie die verschiedenen kulturellen Wissensvorräte in unterschiedlichen Situationen so ›zur Hand haben‹, dass sie aus Sicht der anderen angemessen, vernünftig und verständlich handeln. Andererseits verweist der Praxisbegriff darauf, dass situative Darstellungen (performances) nicht an ein mentales, sondern an ein praktisches Wissen gebunden sind (vgl. Hirschauer 1994: 673), das in körperlichen Routinen, Gepflogenheiten oder inkorporierten Wahrnehmungsweisen verankert ist. Dies schließt mit ein, dass das praktische Wissen auf intersubjektiv geteilte Wissensbestände und Deutungsroutinen bezogen bleibt (vgl. Patzelt 1987: 45), d.h. Basisregeln beziehungsweise einen gemeinsamen Wissensnenner. Die Ethnomethodologie wählt also gerade nicht die »unhintergehbaren fundamentalen Tatsachen des Bewusstseinslebens« (vgl. Schütz 1974), sondern die sozialen Praktiken als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Praktiken verdeutlichen die wechselseitige Bezugnahme der Akteure aufeinander, ohne dass dieses Aufeinanderbezogensein auf vorgegebene Handlungsnormen zurückführbar ist. Zwar liegt den Praktiken ein Vorrat an kollektiv geteilten Wissens- und kulturellen Deutungsschemata zugrunde. Dennoch richtet die Ethnomethodologie den Fokus auf die im Kontext sozialer Aktivitäten virulenten Prakti-
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ken, die keiner ›expliziten Kenntnis‹ dieser kulturellen Wissensschemata bedürfen; Wissen bleibt stets auf eine Praxis gerichtet, für die es zudem oft unwichtig ist, ob wir uns tatsächlich verstehen, oder ob wir nur so tun oder nur glauben, dass wir uns verstehen. Nicht der Wahrheitsgehalt, sondern der Gebrauchswert des Wissens steht im Vordergrund. Damit betont die Ethnomethodologie den Durchführungscharakter von Wissen, wie Garfinkel in seinem Konzept der »Vollzugswirklichkeit« verdeutlicht.6 Obwohl die Ethnomethodologie ähnlich der Phänomenologie von einem ›Wissen‹ der Akteure ausgeht, das sie zu einem ›sinnhaften Aufbau der sozialen Welt‹ befähigt, gilt ihr zentrales Interesse den wechselseitigen praktischen Methoden der Sinnkonstitution und Handlungsrealisierung (vgl. Eickelpasch 1983: 64). Praktiken können daher in ihrem Sinne als soziale Handlungsabläufe oder auch Gepflogenheiten verstanden werden, nicht als ständig neu und bewusst einsetzende Handlungsakte. Es sind eingespielte Handlungsprozeduren, die in einer mehr oder weniger vertrauten Welt mit anderen ablaufen7, ohne dass das ihnen zugrunde liegende Wissen mit der
6
Der Begriff der »Vollzugswirklichkeit« zeigt ja gerade, dass die sozialen Strukturen primär als Hervorbringungen, als koordinierte Leistungen der Gesellschaftsmitglieder, und nicht ausschließlich als feste Bestände von dem Einzelhandeln vorgegebenen Strukturen gesehen werden (vgl. List 1983: 57).
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Dabei beruht die ›Vertrautheit‹ der Wirklichkeit ähnlich wie bei Schütz auf verschiedenen Generalthesen beziehungsweise einem ›common-senseknowledge‹. Dieses umfasst einen gemeinsamen Wissensvorrat, der nie explizit wird – etwa die Vertauschbarkeit der Standpunkte, die Idealisierung von Kontinuität und Wiederholbarkeit und die Kongruenz der Relevanzsysteme. Zum Ausdruck kommt dies unter anderem in sogenannten ›Gelegenheitsausdrücken‹ im Alltagsdiskurs, also solchen sprachlichen Formulierungen, deren Sinn im Gegensatz zu objektiven Ausdrücken von einem/einer HörerIn ›nicht festgestellt‹ werden kann, ohne dass letztere/r mit Notwendigkeit über die Lebensgeschichte, die Absichten des Sprechers/der Sprecherin, über situative und textliche Umstände der Äußerung usw. etwas wissen oder annehmen muss. Hier existiert ein stillschweigender Anspruch auf Sinnübereinstimmung, ein unausgesprochener gemeinsamer Einvernehmenszusammenhang wie gegenseitig unterstellte Lebensgeschichten oder eine Anzahl von stereotypisierten Ansichten über die Re-
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verbalisierten Einsicht der Akteure deckungsgleich ist. Häufig existiert sogar eine Diskrepanz zwischen manifester Kommunikation und dem praktisch gemeinten Sinn.8 Das Auseinanderklaffen von Kommunikation und Praxis verdeutlicht nicht nur, dass es eine Fülle an Wissen gibt, das Akteure im Alltag permanent einsetzen, ohne es als solches formulieren zu können (vgl. Villa 2006: 71f.). Es werden geradewegs auch die Relevanzen eines solchen praktischen Wissens aufgezeigt, eine ›vernünftige‹ soziale Praxis anzuleiten.
3
V OM › PRAKTISCHEN W ISSEN ‹ DER G ESCHLECHTER
Auch die Geschlechterforschung bekundete schon früh ein Interesse an der ethnomethodologischen beziehungsweise praxistheoretischen Diskussion um implizite kulturelle Wissensbestände. Die unter dem Stichwort doing gender versammelten Beiträge (vgl. klassisch West/ Zimmermann 1987; für die neuere Forschung auch Gildemeister 2001) beschäftigen sich vor allem mit der Frage, wie sich Menschen als männlich oder weiblich zu erkennen geben, auf welche kulturellen Wissensbestände sie dabei zurückgreifen und mittels welcher Verfahren das so gestaltete Geschlecht im Alltag relevant gesetzt wird (vgl. Kotthoff 2002: 2).9 Frau- und Mann-Sein ist dabei wie überhaupt so-
gelmäßigkeiten des Gruppenlebens. Im krassen Gegensatz dazu werden Versuche, diese stillschweigende Übereinkunft aufzubrechen, gewöhnlich von den InteraktionspartnerInnen als ein Entzug von Solidarität, Zuneigung und Billigung erfahren. Wenn ein Bräutigam seiner Ehefrau kurz nach der Trauung ›Ich liebe Dich‹ sagt, erscheint eine objektive Definition der einzelnen Begriffe ebenso unangebracht wie das Nachhaken des Hörers/der Hörerin beim Benutzer/bei der Benutzerin dieser Ausdrücke, dass der Sinn dieser Bemerkungen ›geklärt‹ werden müsse (vgl. Garfinkel 1973: 203f.). 8
Ein (psychiatrisches) Fallbeispiel verdeutlicht das: »An der Tür eines Arztzimmers ist ein Schild ›Bitte klopfen‹ befestigt; der Akteur klopft immer dann an die Türe, wenn er auf seinem Gang über den Flur daran vorbeikommt.« (Legnaro 1974: 634)
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Die von West und Zimmerman 1987 erstmals als doing gender bezeichnete These, Geschlecht sei das Ergebnis von Alltagspraktiken, avancierte zum
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ziale Phänomene in der konstruktivistisch orientierten Mikrosoziologie als Herstellungsprozess zu verstehen und nicht als gegebener Fakt jenseits des Tuns der Akteure (vgl. Villa 2006: 75). In Anlehnung an die Arbeiten von Erving Goffman zu Interaktion und Geschlecht (1994) beziehungsweise Harold Garfinkels »Agnes«Studien (1967) bezieht sich der Ansatz des doing gender auf die kulturgebundenen Methoden (Ethnomethoden) der Geschlechterstilisierung, die sich in einem sogenannten »Arrangement der Geschlechter«, einer spezifischen Interaktionsordnung verdichten. Während Goffman auf dramaturgische Elemente der Geschlechterdarstellung und ihrer (lockeren) Verbindung zur Sozialstruktur abstellt und damit von einer Spannung strategischer individueller Interessen und vorgegebener Muster ausgeht, fragt Garfinkel grundsätzlicher nach der wirklichkeitskonstituierenden Funktion von szenischen Praktiken der Geschlechtsausweisung und ihren sozialen Bezügen. Geschlecht, so lautet die Grundthese beider Ansätze, ist eine kulturelle Praxis, die einmal als aktive Inszenierung (Goffman), im anderen Fall eher als habitualisierte Ethnomethode (Garfinkel) in Erscheinung tritt. Obwohl Goffman und Garfinkel darin übereinstimmen, dass die interaktiven Darstellungen oder Ethnomethoden auf eine mehr oder weniger institutionalisierte (habitualisierte) sexuierte Sozialordnung rekurrieren, versucht Goffman immer wieder die Dramatisierung (die eher als Bestätigung denn Subversion zu verstehen ist) dieser von ihm vorausgesetzten Ordnung durch das Individuum in den Blick zu rücken, während Garfinkel grundlegender nach der (eher undramatischen) situativen Verwirklichung der Ordnung fragt. Ähnliches gilt für die Unterscheidung von sex und gender, die in der soziologischen Tradition als Unterscheidung zwischen sozial Kontingentem und biologisch Gegebenen betrachtet wurde (vgl. Hirschauer 1994: 670). Obwohl nach Goffmans Ansicht die Ausdrucksformen des Männlichen und des Weiblichen kaum etwas mit der Biologie zu tun haben, gibt er den Be-
›Klassiker‹ der konstruktivistischen Mikrosoziologie der Geschlechter. In Abgrenzung zu strukturalistischen beziehungsweise rollentheoretischen Modellen ging es West/Zimmerman in der Nachfolge Garfinkels vor allem um die Ebene der Interaktion, auf der Männer und Frauen sich zueinander positionieren und dabei zu Frauen und Männer machen: »We argue that gender is not a set of traits, nor a variable, nor a role, but the product of social doings of some sort.« (West/Zimmerman 1987: 129)
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griff der ›Natur‹ weder auf, noch verleugnet er ihre Materialität. Denn auch der Körper ist bei ihm mehr als ein diskursiver Effekt. So ist immer auch Biologisches in den Konstruktionsprozess eingegangen – etwa wenn die Geschlechtsorgane schon vor, während und nach der Geburt ausschlaggebend für die Gruppierung zu einer bestimmten Geschlechtsklasse sind (vgl. Kotthoff 1994: 166). Garfinkel ist insofern radikaler, als dass er die Dichotomie von sex und gender grundlegend in Frage stellt, denn Natürlichkeit ist für ihn das Produkt einer Naturalisierung. Auch wenn der Ansatz des doing die ›Gemachtheit‹ des Geschlechts und der Geschlechterdifferenz herausstreicht, engen viele daran anschließende Studien das konkrete ›Machen‹ auf einen individuellen Aktionsradius ein10, obwohl dies in der ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen war: »In one sense, of course, it is individuals who ›do‹ gender. But it is a situated doing, carried out in the virtual or real presence of others who are presumed to be oriented to its production.« (West/Zimmerman 1987: 126)
Geht man von einem doing gender aus, das sich nicht nur in ›dramatischen‹ Einzelhandlungen, sondern vor allem in sozial eingeübten und aufeinander ausgerichteten Praktiken widerspiegelt, müssen auch die übersubjektiven kulturellen Wissensbestände mitsamt ihren Symbolisierungen in Artefakten und ihrer Inkorporierung in kollektiven Dispositionen in den Blick gerückt werden. Denn geschlechtsspezifische Ethnomethoden werden nicht als solche, sondern stets innerhalb konkreter über längere Zeiträume eingeübter Handlungszusammenhänge und in Bezug auf kulturspezifische Wissensbestände eingesetzt. Dabei kommen häufig solche Praktiken ›zum Zug‹, die von uns gar kein aktives und bewusstes doing verlangen. Eine praxistheoretische Geschlechterforschung nimmt daher die so oft proklamierte These ernst, gender sei eher eine soziale als eine personale Kategorie (vgl. Kotthoff 2002: 15), denn sie räumt der wechselseitigen Praxis Vorrang gegenüber dem individuellen Denken, dem
10 Auch wenn jedes Individuum bei seiner Geschlechtsdarstellung auf die ihm zur Verfügung stehenden kulturellen Ressourcen wie Kleidung, Gesten, Namen und Bezeichnungen, Tätigkeiten, Stimme, Nutzung von Räumen usw. zurückgreift.
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Interpretieren, dem Verstehen und Machen ein. »From this perspective, gender is not merely an individual attribut but something that is accomplished in interaction with others« (Fenstermaker/West 1995: 21). Geschlecht ist aus ethnomethodologischer Sicht kein »askriptives Merkmal«, sondern eine »Vollzugswirklichkeit« (vgl. Villa 2006: 75). Es sind immer mehrere Mitspieler am Vollziehen, am doing beteiligt, ohne dass den Beteiligten ihre Gender-Symbolik unbedingt klar ist, die aber dennoch ihre Konsequenzen hat. Nicht jedes Tun ist schon Praxis, nicht jedes doing gender lässt sich als Zeichen einer bestimmten Politik der Ungleichheit deuten.11 Jedes Gesellschaftsmitglied ist somit immer schon in gesellschaftliche Praktiken eingebettet, die kein aktives doing beanspruchen. Dies können (ver-)körperlichte Wissensbestände (Blickpraktiken12, Stimmund Prosodiepraktiken13, Praktiken des Gehens14) ebenso wie Arte-
11 So kann die Beschimpfung »Dumme Kuh« unter AutofahrerInnen zwar als individuelle Zumutung erlebt werden, für das weitere (Zusammen-)Leben von Männern und Frauen aber folgenlos bleiben. Erst durch häufiges und regelmäßiges Miteinandertun bilden sich kollektive Handlungsmuster und -stile heraus, die gewissen Handlungszüge erwartbar machen. 12 Stefan Hirschauer hat in seinen Arbeiten immer wieder auf die Praxis des Sehens als wesentliches Mittel der Darstellung der Geschlechterdifferenz verwiesen (vgl. etwa Hirschauer 1993a: 29ff., 1994: 672ff.), »schließlich werden Geschlechtsattributionen von einem Wissen darüber gesteuert, was überhaupt ›kognitiv‹ sichtbar sein kann.« (Hirschauer 1993a: 31) Dieses sogenannte »Doing Sehen« (Villa 2006: 83) drückt sich darin aus, dass es den Blick auf die richtigen Stellen am Körper lenkt und andere unwichtig erscheinen lässt, ohne dass wir uns der Lenkung bewusst sind. Denn das Sehen wird durch soziomatische Praktiken geformt, die vergessen machen, dass die Praxis eine soziale Praxis ist (vgl. ebd.: 90). 13 So verweist Helga Kotthoff etwa auf die Geschlechterdifferenzen in Stimme und Prosodie (Intonation, Lautstärke, Rhythmus, Pausensetzung), die normalerweise im Hintergrund der Interaktion bleiben. Auch wenn es einige physiologische beziehungsweise hormonelle Ursachen für Stimmunterschiede gibt, macht Kotthoff darauf aufmerksam, dass diese ›körperlichen Unterschiede‹ in der Regel im Einklang mit den kulturellen Geschlechterimages in eine Richtung gesteigert werden – etwa wenn Mädchen schon früh auf dem Nukleus (Hauptsilbe eines Satzes) mehr steigend und die Jungen mehr fallend intonieren (vgl. Kotthoff 2002: 11).
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faktwissen (Umgang mit Haushaltsgeräten)15, nicht zuletzt auch ein Wissen mit und von ›MitwisserInnen‹ sein, also Personen, die an einmal vollzogenen Geschlechtsdarstellungen beteiligt waren16. Diese Wechselseitigkeit und Inkorporiertheit der Praxis zeigt, dass die Relevantsetzung von gender in Blick-, Stimm-, Bewegungs- und Um-
14 Marcel Mauss spricht in seinen ethnologischen Studien von sogenannten »Techniken des Körpers«, diejenigen Weisen, in der sich die Menschen in der einen wie der anderen Gesellschaft traditionsgemäß ihres Körpers bedienen (vgl. Mauss 1975: 199-217). Denn weder die Stellung der Arme noch die der Hände während des Gehens, Essens, Schwimmens oder Marschierens ist einfach ein Produkt irgendwelcher rein individueller psychisch bedingter Mechanismen. Es sind vielmehr soziale Eigenheiten (»Habitus«), die vor allem mit den Gesellschaften, den Erziehungsweisen, den Schicklichkeiten und Moden variieren. Dabei ist vor allem die Aufteilung der Techniken nach den Geschlechtern eine der zentralen Klassifikationsprinzipien, gleichwohl Mauss’ Argumentation hier stellenweise eine dichotome Vorstellung vom Körper als ›natürlichem Faktum‹, das ›kulturell überformt‹ wird, provoziert. 15 So haben unter anderem Cockburn und Ormrod (1997) die Rolle der Geschlechterverhältnisse beim Kochen mit der Mikrowelle untersucht. Neben der Frage, wie Menschen Geräte produzieren, mit denen andere kochen sollen, geht es dabei im Wesentlichen um den konkreten Gebrauch dieser Geräte in der Praxis. Obwohl die Mikrowelle einen gewissen Grad an Flexibilität offeriert (Kochen mit der Mikrowelle beansprucht nur einen winzigen Teil der Zeit und des Bewusstseins der meisten BenutzerInnen), zeigt sich deutlich ein doing gender im Umgang mit ihr. Während die Männer sogar hochausgefeilte Modelle in einer nicht-differenzierenden ›zappenden Art‹ gebrauchen, nutzen Frauen vor allem die Kombination der Mikrowelle mit der konventionellen Wärme der Kombi-Herde. 16 Hirschauer spricht hier von einem Gedächtnis der Mitwissenden, das dafür sorgt, dass die geschlechtliche Mobilität erschwert wird. Dieses Gedächtnis, dass in der Regel von Angehörigen, Freunden und Bekannten getragen wird, hält – genauer noch als das korporale Gedächtnis – die einmal vollzogene Geschlechtsdarstellung fest. Dabei dient dieses Wissen über das Geschlecht anderer gleichsam als Stabilisierungsfaktor für Beziehungen, in denen jemand zum einen als Frau oder Mann bekannt, zum anderen als ›Tochter‹, ›Freund‹ usw. verbunden ist und herhalten soll (vgl. Hirschauer 1994: 683f.).
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gangspraktiken teilweise gar nicht als Geschlechter-, sondern schlicht als Persönlichkeits- oder Kompetenzunterschiede wahrgenommen werden (vgl. Kotthoff 2002: 23), obwohl wir bestimmte Gesten, Gesichter und Haltungen nicht als geschlechtliche Eigenschaft, sondern umgekehrt Geschlecht nur als Eigenschaft jener Gesten und Tätigkeiten haben (vgl. Hirschauer 1994: 670). So kann die Blickpraxis beim Flirt (gucken, ob der andere auch guckt/gucken, wenn der andere nicht guckt), die Gestik in Begrüßungssituationen (Handschlag, Schulterklopfen, Wangenkuss) oder die Gesprächspraktiken in Diskussionen (Redezeit, Selbstdarstellung, Verfahren der Rederechtssicherung) als permanentes Praktizieren einer Geschlechterstruktur und nicht als erstarrte Entität betrachtet werden. Im Erleben der InteraktionsteilnehmerInnen ist der Bezug dieser Form des doing zu gender den meisten Menschen aber kaum klar. Dazu kommen Genderismen, die die meisten von uns nicht selbst erzeugen, zum Beispiel die der Massenmedien (Werbung), die wir kontinuierlich rezipieren, gemäß dem Motto: »gender is done for us« (vgl. Kotthoff 2002: 9).17 Führt man diese praxistheoretische Diskussion um die verdeckten Dimensionen des Geschlechter-Handelns mit einer wissenssoziologischen Diskussion um implizite kulturelle Wissensbestände zusammen, werden neben den aktiven ›Schlüsselpraktiken‹ moderner Geschlechterinszenierung, wie etwa Schmink-, Kleidungs- oder Namenspraktiken, auch solche Praktiken beleuchtet, die eher den im Hintergrund liegenden Genderismus als inkorporiertes und gemeinsam geteiltes kulturelles Wissen aufdecken. Sowohl Wissen als auch Kultur werden dabei aus praxistheoretischer Sicht nicht als ein abgegrenztes Ensemble kollektiver Sinn- und Deutungsschemata betrachtet, die sich lediglich in der Praxis äußern. Vielmehr wirkt dieses kulturelle Wissen der Geschlechter derart, dass es sich dem praktischen Leben so raffiniert unterlegt, dass es nur selten thematisch in den Vordergrund rückt. Jeder produziert diese fraglose und selbstverständliche Hintergrundstruktur, indem er Handlungen nicht einfach ausführt, sondern sie als Mann oder als Frau ausführt, ohne es zu bemerken. Alle fordern aber genauso unbemerkt voneinander, dass sich jeder und jede bei jeder Handlung darauf bezieht (vgl. Lindemann 1990: 273). Geschlecht wird
17 Vgl. hierzu auch Goffmans (1981) Studie zur Darstellung der Geschlechter in der Werbung.
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so zu einem Merkmal der Sozialorganisation, es liegt in sozial organisierten Praktiken (vgl. Hirschauer 1994: 670). Ein solcher praxistheoretischer Zugang reduziert die Praxis der Geschlechter nicht auf ein bloßes ›Ausführen‹ von institutionellen Arrangements, rituellen Systemen, feldspezifischen Handlungskapitalien oder ideologisch besetzten Geschlechterdiskursen. Bloß, weil sie eher unbemerkt und nebenbei geschehen und damit vergessbar werden, erschöpfen sich alltägliche Praktiken des Mann- oder Frau-Seins keineswegs in automatisierten Routinen. Entscheidend ist vielmehr, dass sie nur mit dem Wissen um ihre soziale Bedeutung Sinn machen und dass dieses Wissen gleichermaßen von DarstellerInnen und MitwisserInnen geteilt werden muss, damit die Geschlechtszugehörigkeit als Vollzugswirklichkeit gelingt (vgl. Villa 2006: 93). Praktiken sind auf ein praktisches Wissen angewiesen, um möglichst reibungslos zu funktionieren. Dabei bedeutet ›reibungslos‹ keinesfalls ›mechanisch‹ oder ›monoton‹.18 Trotz einer gewissen Regelmäßigkeit sind soziale Praktiken genauso kontingent wie ›selbstreparierend‹. Praktiken stützen sich zwar auf Vorhandenes, auf Handlungsrepertoires und kulturelle Wissens- und Deutungsbestände, sie müssen aber auch produktiv gedacht werden, als andersartige Hervorbringung des Vertrauten. Flirt- und Werbungspraktiken (Tür-Aufhalten, In-den-Mantel-Helfen, Rosen-Mitbringen) mögen zwar von mehr oder weniger expliziten kulturellen Wissensbeständen durchzogen sein. Ihr Erfolg in der Praxis, also ob jemand als flirtend für sich selbst und für andere erscheint, vor allem aber, ob sein Verhalten als Flirt Anschluss findet, hängt in entscheidendem Maße von der konkreten Realisierung in der Situation ab. Das Überreichen einer Rose allein macht noch keinen Flirt aus. Hier muss über das Hintergrundwissen hinaus ein praktisches Wissen verfügbar sein, das sich im Fortgang der Praktiken herausgebildet hat und in der tatsächlichen Aus- beziehungsweise Aufführung von Handlungsweisen zum Ausdruck kommt. Eine praxistheoretische Perspektive auf das Geschlecht sollte aber nicht nur die Existenz und Relevanz dieses praktischen Wissens für
18 Ein einfaches Beispiel dafür ist das Lächeln, das auf ein anderes ebenso freundlich antwortet, wie das erste. Es ist keine einfache Reproduktion des ersten und erst recht kein vom ersten verursachter Reflex (vgl. Gebauer/ Wulf 1998: 49f.)
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das ›störungsfreie‹ Funktionieren gesellschaftlicher Wirklichkeit herausarbeiten. Sie muss auch offen für die Verschiebungen und Kontingenzen der Praxis sein, etwa wenn ›große‹ Frauen konsequent ihre Kleidung in der Herrenabteilung kaufen. Angesichts einer immer noch sehr ausgeprägten sexuellen Infrastruktur (Kodierung von Sexualbeziehungen, geschlechtssegregierte Räume, Mutterschaftsnormen, Eltern-Kind-Beziehung), die die Nachfrage nach eindeutigen und berechenbaren Geschlechtsdarstellungen verschärfen (vgl. Hirschauer 2001a: 224), bleibt ein ›praktischer Spielraum‹, der eine gewisse Ambiguitätstoleranz für unklare und unstete Geschlechtsdarstellungen ebenso einschließt wie ein praktisches Unterlaufen von Strukturen – ohne dass die Praxis sofort als ›abweichend‹ etikettiert wird.19 So ist das praktische Wissen der Geschlechter trotz seiner Einbettung in kulturelle Vorannahmen und Bedeutungsbestände innerhalb unterschiedlich ausgeformter Praxisstile für Transformationen und Performanzen prinzipiell offen. Soziale Praktiken sind also nicht nur Quelle für die Unvermeidbarkeit gesellschaftlicher Strukturen, sondern auch Quelle sozialen Wandels.
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Trotz des theoretischen common sense, Geschlecht als soziale Konstruktion zu begreifen, nehmen wir in unserer Alltagswelt Geschlechtszugehörigkeit nicht als ›gemacht‹, sondern als ein objektives körperli-
19 So weisen Phänomene wie Unisex-Kleidung, -Vornamen oder -Waren, das Wechseln von SexualpartnerInnen (Bisexualität) ebenso wie ein mehr oder weniger institutionalisierter Geschlechtertausch beziehungsweise Geschlechtermix (androgyner Stil) in urbanen Milieus und Szenen stellenweise auf eine Kreolisierung der Geschlechter (vgl. Hirschauer 2001a: 231ff.). Aber auch ›alltäglichere‹ Phänomene sind denkbar – etwa wenn Männer und Frauen in öffentlichen Saunen trotz ihrer Nacktheit vom Geschlecht absehen oder in Organisationen gerade dort gender praktiziert wird, wo es ›unsachgemäß‹ einen Organisationszweck unterwandert. Da sich die TeilnehmerInnen dieser Geschlechterdarstellungen solche Aushandlungen selbst leisten, wäre eine schlichte soziologische Zuweisung der Geschlechterproduktion an bestimmte Orte und soziale Systeme unterkomplex (vgl. Hirschauer 1994: 679).
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ches Merkmal wahr, als ein ›Sein‹, das mit Wahrnehmung und Darstellung nichts zu tun hat (vgl. Heintz 1993: 32). Die Einbettung der Geschlechterpraxis in implizite, kollektiv geteilte Wissensbestände verdeutlicht ja geradewegs, dass das doing gender häufig eine größtenteils verselbständigte Praxis ist, die in einem langwierigen Sozialisationsprozess ›naturalisiert‹ wurde.20 Der konstruierte Charakter der Geschlechterwirklichkeit kommt dann – wenn überhaupt – nur in Krisenphasen zum Vorschein. »Transsexuelle bilden dafür ein Lehrstück. Sie führen exemplarisch vor, dass die körperliche Differenz zwischen den Geschlechtern nicht das naturhafte Fundament sozialer Prozesse ist, sondern deren Ergebnis.« (ebd.: 32f.) Insbesondere die kultur- und praxistheoretische Geschlechtersoziologie der jüngeren Zeit führte dazu, dass dem Phänomen des Geschlechtertauschs eine symptomatische Bedeutung für das Verhältnis der Geschlechter in der modernen Gesellschaft zugeschrieben wird (vgl. Knoblauch 1997: 84).21 Denn so wie das Phänomen des Geschlechtertauschs Geschlecht als zugleich zentrales und binär codiertes Vergesellschaftungsprinzip moderner Gesellschaft virulent werden lässt (vgl. das vorangegangene Kapitel), rückt die konkrete Praxis des Geschlechtertauschs neben den ›äußerlichen‹ Mitteln der Inszenierung der Geschlechter wie Kleidung und Dekor auch solche Inszenierungsformen in den Blick, die eher einen ›innergesellschaftlichen Zugang zur Kontingenz‹ von Geschlechterwirklichkeit eröffnen; sei es in Form eines Selbstzweifels an oder Revolte gegen die eigene Geschlechtsidentität, sei es in Form eines langwierigen Prozesses, in dem der/die Transsexuelle lernt, sich die Körpersprache des anderen Geschlechts
20 Bourdieu spricht auch von einer habituellen Geschlechtskonstruktion, die verinnerlicht, verkörpert wird und im Laufe der Sozialisation personale Gestalt annimmt. Gerade weil die Geschlechtszugehörigkeit zu den frühesten Schemata sozialer Differenzierung gehört und sich an bereits ausgeprägte körperliche Merkmale knüpft, sitzt es besonders fest (vgl. hierzu auch Bourdieu 2001). 21 In Anlehnung an Hird (2002) lassen sich drei dominante Diskurse der Transsexualität unterscheiden: 1. Der medizinische oder psychiatrische Diskurs des »authentischen Geschlechts«, 2. der soziologische Diskurs des »performativen« Geschlechts und 3. der Diskurs des »grenzüberschreitenden« Geschlechts in feministischen, queer und transgender Studien (vgl. ebd.: 581).
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anzueignen oder durch eine zu sichtbare und damit unangemessene Geschlechterdarstellung.22 Gerade weil das fraglose Wissen der Geschlechter für Transsexuelle dauerthematisch ist, wie etwa das ›richtige‹ Gehen, Sitzen, Essen oder auch Schimpfen, Streiten, Flirten als Frau oder Mann, lassen sie auch jene verdeckten Wissensbestände und normativen Dimensionen der Geschlechtszugehörigkeit hervortreten, die ein grundlegendes doing gender ausmachen. Bereits Garfinkel verwies auf dieses eher implizite Alltagswissen der Geschlechter und seiner ›angemessenen‹ Anwendung im Alltag, indem er auf die Erfahrungen des Hermaphroditen ›Agnes‹ zurückgriff.23 Gerade weil ›Agnes‹ kein typisches weibliches (Alltags-)Wissen (zumindest nicht für die Geschlechtszuständigkeit als Frau) im Laufe ihrer Sozialisation erworben hatte, wurde deutlich, dass zu den Kompetenzen einer Geschlechtszuständigkeit neben dem expliziten Wissen, ›was sich als Mann oder Frau gehört‹, auch die Beherrschung körperlicher Funktionen und Fertigkeiten zählt, ein sogenanntes ›Darstellungs-knowing-how‹. Diese Form des Wissens ist höchst sozial und zeigt sich eher in einem Können, denn sie erfordert zugleich situativ angemessenes Verhalten und Improvisationsfähigkeiten im Sinne eines kompetenten Reagierens auch auf Situationen, für die die verkörperten Routinen unzureichend sind (vgl. Hirsch-
22 Obwohl transsexuelle Menschen sich häufig nichts sehnlicher wünschen, als endlich im alltäglichen Spiel mitzuspielen (freilich auf der jeweils anderen Seite), qualifiziert sie ihr (zeitweiliger) Zwischenstatus dazu, prinzipiell zu begreifen, »welches Spiel gespielt wird«. Transsexuelle bilden daher das kulturelle Werkstück im Laboratorium der Geschlechter (vgl. Knoblauch 2002: 118). 23 Garfinkel stellt in Anlehnung an seine Agnes-Studie einige Grundannahmen über das Geschlecht auf, die als unhinterfragte Selbstverständlichkeiten die gesellschaftliche Ordnungen durchziehen: 1. Es gibt nur zwei Geschlechter (weiblich und männlich); 2. Das Geschlecht einer Person ist unveränderlich; 3. Die Genitalien sind die »Insignien« des Geschlechtes; 4. Es gibt keinen Wechsel von einem Geschlecht zum anderen; 5. Jeder Mensch muss entweder als Mitglied des einen oder des anderen eingeordnet werden; 6. Der Männlich/Weiblich-Gegensatz ist »natürlich« und 7. die Mitgliedschaft in dem einen oder anderen Geschlecht ist »natürlich« (vgl. hierzu auch Garfinkel 1967: 122ff.). Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen des vorangegangenen Kapitels.
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auer 1993a: 50). So musste ›Agnes‹ nicht nur lernen, sich wie eine Frau zu kleiden, frisieren oder zu bewegen – sie musste vor allem lernen, sich fehlerlos »normal« zu kleiden, »korrekt« einzukaufen, »unauffällig« Gespräche zu führen, sich »angemessen« zu bewegen (vgl. Patzelt 1987: 157). Geschlechtsdarstellungen sind also weniger theatralische Inszenierungen als vielmehr kompetente (Re-)Aktionen auf und/oder Umgangspraktiken mit gewissen Geschlechtszuständigkeiten.24 Sie bleiben damit relationale Darstellungen, da sie nicht nur auf den geübten Einsatz kultureller Ressourcen (Stimme, Kleidung, Gestik), sondern vor allem auf die Kollaboration der BetrachterInnen angewiesen sind. Beide Aspekte dieses doing gender stellen für Transsexuelle ein besonderes Problem dar. Transsexuelle verfügen zwar häufig über ein ausgesprochen umfassendes (mentales) Geschlechterwissen, doch genau dieses Wissen hindert sie auch an einem geübten, sprich selbstvergessenen Praktizieren des Geschlechts, das von einer ›echten‹ Geschlechtszugehörigkeit abverlangt wird.25 Ihnen fehlt die sogenannte
24 Der Begriff der Geschlechtszuständigkeit im Sinne Hirschauers wird benutzt, um zum einen die Relation zwischen DarstellerIn und kulturellen Ressourcen, zum anderen die soziale Beziehung zwischen DarstellerIn und BetrachterIn zu umschreiben (vgl. Hirschauer 1993a: 49ff.). 25 Die Herstellung der konkreten Bedeutung von Geschlecht in der sozialen Interaktion bedeutet also nicht, dass die Geschlechterdifferenz den Akteuren dabei als hergestellte Differenz erscheint. Auch wenn Differenzen durch ein aktives ›Tun‹ der Menschen erzeugt werden, werden sie auf diese Weise auch ›naturalisiert‹ und reproduziert. Die Praxis der Geschlechterdifferenz bestätigt auf diese Weise nicht nur die angeblich von ›Natur‹ aus ungleichen Eigenarten von Mitgliedern unterschiedlicher Kategorien, sondern auch die auf der Zuordnung beruhenden institutionellen Ungleichheits-Arrangements. »Die soziale Ordnung, die auf der Zuordnung zu bestimmten Kategorien gründet, wird erst durch die aktive Leistung der Beteiligten als normal und ›natürlich‹ wahrgenommen« (Fenstermaker/West 2001: 238), oder wie Garfinkel konstatiert: »For normals, the presence in the environment of sexed objects has the feature of a ›natural matter of fact‹. This naturalness carries along with it, as a constituent part of its meaning, the sense of its being right and correct, i.e., morally proper that it be that way. Because it is a natural matter of fact, for the members of our
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›natürliche Einstellung‹ (»attitude of daily life«) zu ihrem (neuen) Geschlecht, die im Sinne eines unhinterfragten, indexikalischen Wissensbestands für das reibungslose Funktionieren von Handlungsvollzügen sorgt. Häufig sind für die alltagsweltlichen Konstruktionsprozesse des Geschlechts aber gerade diese impliziten Wissensbestände von weitaus größerer Bedeutung als das explizite Wissen, auch wenn diese Unterscheidung bisweilen sehr vernachlässigt wird.26 Neben der Selbstvergessenheit ist auch die Beziehung zwischen DarstellerInnen und BetrachterInnen für den Erfolg der Geschlechtsdarstellung von entscheidender Bedeutung. Für Transsexuelle ist dies darin erfahrbar, dass andere ihren Geschlechtswechsel mitvollziehen müssen, damit er gelingt (vgl. Hirschauer 1993a: 53). Auch die BetrachterInnen besitzen eine Zuständigkeit für das Geschlecht ihres Gegenübers. Sie sind an der Herstellung und Bestätigung der Geschlechtszugehörigkeit in praxi maßgeblich mitbeteiligt, nicht zwangsläufig indem sie die Geschlechtszugehörigkeit ihres Gegenübers erfragen oder ignorieren, sondern kooperativ unterstützen. »Die Geschlechtszuständigkeiten von Darsteller und Betrachter sind wie ineinandergreifende Parts, deren ›Erledigung‹ sie voneinander fordern können.« (ebd.: 54) Diese wechselseitigen praktischen Aus- und Durchführungen (accomplishment) generieren, wenn sie sich in vielen Begegnungen mit denselben TeilnehmerInnen wiederholen, eine raumzeitliche Struktur der individuellen Geschlechtszugehörigkeit. Genau dies macht es für Transsexuelle im Übrigen so schwierig, ihr Ge-
society there are only natural males and natural females.« (Garfinkel 1967: 123) 26 Natürlich orientieren sich Transsexuelle an gesellschaftlich verfügbaren Kategorien, die von machtvollen Diskursen in Massenmedien, im Rechtssystem und medizinischen System vorgegeben werden. Neben diesem institutionell verfestigten kulturellen Wissensvorrat thematisieren sie aber immer wieder auch solche Wissensformen, die sich in Form alltagspraktischer Methoden der alltäglichen Interaktion unterlegen. So zeigt Gesa Lindemann (1993a) in ihren mikrosoziologischen Studien zur Transsexualität die Korporalität und Verästelung (und Konstruktion) des praktischen Wissens der Geschlechter auf, die bis in die leibliche Erfahrung und Wahrnehmung hineinreicht und auch von ExpertInnen für Sprach- und Körpertraining als nahezu unüberwindliche Probleme beim Geschlechtswechsel herausgestellt werden.
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schlecht zu wechseln – denn im Gedächtnis der anderen, zu denen sie eine persönliche Beziehung unterhalten, kursiert eine nicht rückholbare Geschlechtszugehörigkeit (vgl. ebd.: 57). Transsexuelle müssen folglich nicht nur bei den professionellen MitwisserInnen (ÄrztInnen, TherapeutInnen), sondern gerade bei den alltäglichen MitwisserInnen langwierige Überzeugungsarbeit leisten, damit Angehörige oder Freunde ihre Wahrnehmung umdisponieren. Auch hier macht die Praxis des Geschlechtswechsels deutlich, dass doing gender in der Regel keine individuelle Relevantsetzung von Geschlecht ist, geschweige denn eine ›performative Spielerei‹. Sowohl der Verweis auf das Wissen, das für einen kompetenten Gebrauch kultureller Ressourcen benötigt wird, als auch der Umstand, dass das doing nicht nur eine kontextuelle, sondern auch soziale Verankerung – im Wissensbestand der Gesellschaftsmitglieder – besitzt, unterstützen die Relevanz einer praxistheoretischen Perspektive in der Geschlechterforschung.
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AUSBLICK
Trotz der ›radikalen Soziologisierung‹ des Geschlechts angesichts der transsexuellen Inszenierung des Mann- oder Frau-Seins (Kleidung, Schmuck usw.) ist eine gewisse Materialität nicht zu leugnen. So sehr transsexuelle Personen die Konstruktion von Geschlecht offen legen, so sehr reifizieren sie in ihrem Wunsch, dauerhaft nicht nur das Geschlecht (gender), sondern auch den Körper (sex) zu wechseln, die Körpergebundenheit der Geschlechtszugehörigkeit. Doch es wäre zu kurz geschlossen, die Materialität des Körpers als hinreichende Bedingung für einen gelingenden Aufbau der sozialen Wirklichkeit als Mann oder Frau zu betrachten. Überhaupt ist die Materialität des Körpers angesichts somatisierter sozialer Praktiken neu zu überdenken, denn trotz ›eindeutiger‹ organischer Geschlechtsindizien kann die körperliche Praxis für Uneindeutigkeit sorgen – etwa wenn Transsexuelle nach der Operation zur Frau immer noch ›wie ein Mann‹ gucken oder umgekehrt. Gerade die praxistheoretische Diskussion um die impliziten Wissensbestände der Geschlechter verdeutlicht, dass wir eine ›natürliche‹ Weiblichkeit oder Männlichkeit nur dann überzeugend ›besitzen‹, wenn wir über ein praktisches Wissen verfügen, das uns in die Lage
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versetzt, mit dieser ›natürlichen‹ Weiblichkeit oder Männlichkeit in einer selbstverständlichen und erwartbaren, stellenweise aber auch kreativen Art und Weise umzugehen. Im Gegensatz zu institutionellen Diskursen um Transsexualität, über die Betroffene nicht zuletzt aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen für die ersehnte Geschlechtsumwandlung viel ›wissen‹, ist das praktische Wissen nur im Miteinanderhandeln, also auch nur praktisch zu erwerben. Insofern stellt der sogenannte ›Alltagstest‹ nicht nur sicher, ob der/die Einzelne im neuen Geschlecht leben will, sondern ob er/sie es auch tatsächlich kann, das heißt, ob sein Handeln als männliches oder weibliches Handeln Anschluss findet. Dabei ist Können keinesfalls mit individueller Leistung, geschweige denn strategischer Planung gleichzusetzen. Vielmehr steht hier die soziale Angemessenheit der Geschlechterpraxis im Vordergrund, die gewissermaßen interne Maßstäbe der ›Richtigkeit‹ an die Hand gibt und für einen ›geregelten‹ Fortgang der Praxis sorgt. Inwieweit diese unbemerkte Selbstverständlichkeit der Praxis für die Personen realisierbar ist, die ja gerade als Transsexuelle diese Selbstverständlichkeit in Frage stellen (müssen), sei dahingestellt. Dass der Geschlechtertausch allerdings nur mit anderen realisierbar ist, zeigt ein praxistheoretischer Blick besonders deutlich.
Geschlecht, Ungleichheit, Migration
Globalisierung und Geschlecht Das Beispiel Liebestourismus und Haushaltsmigration
Geschlechteridentitäten und -praktiken werden im Zeitalter weltweiter Bilder-, Menschen- und Warenströme immer häufiger von lokalen wie globalen Komponenten bestimmt. Insbesondere in den durch Tourismus und Migration hervorgebrachten Begegnungsräumen ist das doing gender zunehmend Ausdruck einer Kreolisierung der Geschlechter geworden. Dies bedeutet weder die Auflösung herkömmlicher Geschlechtermodelle und -identitäten noch deren Reproduktion im globalen Maßstab. Es geht vielmehr um die Verschiebungen und Überlagerung von Bedeutungen und Grenzen inmitten und entlang von Kulturund Geschlechterordnungen. Dies hat mittlerweile auch die sozialwissenschaftliche Globalisierungsdiskussion erkannt, die von Seiten der Geschlechterforschung immer häufiger darauf hingewiesen wird, dass soziale Geschlechterarrangements mitsamt ihren typischen Geschlechtsrollenerwartungen und Glaubensvorstellungen ein wichtiges Strukturierungsmerkmal von kulturellen Transformations- und Vernetzungsprozessen sind (vgl. Sassen 1998a; Wichterich 1998; Young 2001). Der Zusammenhang von Globalisierung und Geschlecht ist ihrer Ansicht nach als eine hochkomplexe Wechselbeziehung zu verstehen, in der traditionelle Geschlechtsrollenbilder und Beziehungsmuster ebenso häufig in Frage gestellt wie bestätigt und erneuert werden. Vor allem praxiszentrierten Analysen geht es neben der Auseinandersetzung mit institutionalisierten Männlichkeits- und Weiblichkeitsmustern in staatlichen Transformationsprozessen – etwa dem Maskulinismus im modernen Recht, der Wirtschaft und Politik (vgl. Young 1998) – um die Frage, wie diese Muster in der alltäglichen Praxis immer wieder neu gestaltet werden. Im Gegensatz zu früheren
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Analysen von doing gender-Prozessen, die sich häufig auf eng begrenzte Lokalitäten des sozialen Nahbereichs in der eigenen Kultur beschränkten, heben sie die über- und translokale Dimension des Praktizierens von Weiblichkeit und Männlichkeit zwischen den Kulturen hervor. Ausgehend von einer groben Skizzierung des sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdiskurses der letzten Jahre möchte ich diese Wechselbeziehung anhand zweier Fallbeispiele aus der interkulturellen Geschlechterforschung illustrieren: dem Liebestourismus und der Haushaltsmigration von Frauen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit Geschlecht als strukturiertes und strukturierendes Moment der Globalisierung in Erscheinung tritt, das heißt inwieweit die bestehenden kulturellen Geschlechterverhältnisse Globalisierungsprozesse unterstützen und begrenzen oder aber welche neuen Genderregime und -ordnungen sich hierbei herausbilden.
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G LOBALISIERUNG UND G ESCHLECHT
Praxiszentrierte Kulturanalysen in der Tradition der interpretativen Soziologie und Ethnologie haben aus einer (ethnographischen) Perspektive des Lokalen auf die unscheinbaren, weil subtilen, Verarbeitungen und Verschiebungen von globalen ›Fremdeinflüssen‹ auf der Ebene sozialer (Gebrauchs-)Praktiken hingewiesen. Statt von ›der‹ Globalisierung sprechen sie von unterschiedlichen Dimensionen der Globalisierung, die eine empirische Sensibilität für die ›feinen Unterschiede‹ der regionalen und lokalen Distributionen der Globalisierungsprozesse einschließt und damit gewissermaßen einen cultural turn in der Globalisierungsdiskussion eingeläutet hat (vgl. für einen Überblick Reuter 2008b). Initiiert wurde diese Perspektivverschiebung durch Autoren wie Anthony Giddens (1990) oder Roland Robertson (1992), die schon früh auf die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Durchdringung dessen verwiesen haben, was üblicherweise als das Globale und das Lokale bezeichnet wurde. Was Giddens und Robertson für das Verhältnis von Raum und Zeit im Zeitalter der Globalisierung im Allgemeinen konstatieren, haben Autoren wie Ulf Hannerz, Arjun Appadurai, Stuart Hall oder Jan Nederveen Pieterse für das Verhältnis von Kultur und Identität im Besonderen konkretisiert: In Anlehnung an Giddens’ und Ro-
G ESCHLECHT , U NGLEICHHEIT , M IGRATION
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bertsons Bild einer wechselseitigen Durchdringung des Globalen und Lokalen richtet sich ihr Blick auf Kulturbegegnungen, auf Mischungsverhältnisse, Kreuzungen, Übergänge und Übersetzungen, die als kreolisiert, synkretisch oder hybrid bezeichnet werden.1 Ihr Programm einer ›Ethnologie der Globalisierung‹ setzt gegen den Kampf den Dialog oder besser: die wechselseitige Vermischung der Kulturen. Anders als Differentialismusthesen à la Samuel Huntington (1996) und Konvergenzthesen à la Georg Ritzer (2000) betonen sie, dass der kulturelle Wandel einer wesentlich komplexeren und bisweilen konfliktreichen Dynamik folgt. Nicht mehr die Autonomie einzelner Kulturen, sondern Kultur als Fluss von vielfältig synchron und diachron gespeisten und verknüpften Bedeutungen und Praktiken wird zum Gegenstand ihrer Reflexion. Ihre Kernaussage ist ebenso simpel wie folgenreich: Bedeutungen, Identitäten und Praktiken liegen nicht entweder in ›der‹ einen oder ›der‹ anderen Kultur, sie gehen durch sie hindurch und beziehen sie aufeinander. Die Welt gleicht dann weniger einem Mosaik, dessen Steinchen die einzelnen Kulturen sind. Sie gleicht vielmehr einer Kulturmelange im Sinne einer wechselseitigen kulturellen Durchdringung globaler und lokaler Sinnbezüge, die in den alltäglichen Praktiken mobilisiert und reproduziert werden (vgl. Reuter 2004a). Globale Kulturströme und -melangen – um bei dem Bild zu bleiben – fließen jedoch nicht ungebremst aufeinander. Und auch Praktiken sind keine heroischen Akte Einzelner, auch wenn dies die Rede vom global player oder hybriden Nomaden stellenweise nahe legt (vgl. hierzu auch Reuter/Bucakli 2004). Sie werden weiterhin ›gerahmt‹ von bestimmten Situationsdefinitionen, Beziehungsgefügen, Rollenbildern und Interaktionsschemata, die alte und neue Ungleichheiten definieren. Denn spätestens seit Pierre Bourdieu (1987) wissen wir, dass im Praktizieren von Kultur Macht und soziale Ungleichheit repräsentiert werden; in ihr werden sie verwirklicht: Das Praktizieren von Kultur – doing culture – ist immer auch ein Praktizieren von sozialer Ungleichheit – doing difference (vgl. hierzu auch Reuter/Hörning 2004). Dies hat die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung schon früh erkannt: Sie prägte Mitte der 1980er Jahre in Abgrenzung zu
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Einen guten Überblick über die Diskussion und Theoretisierung von Hybridität in der neueren kulturwissenschaftlichen Debatte liefert Ackermann (2004).
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strukturalistischen und rollentheoretischen Modellen den Ausdruck des doing gender als doing difference und stellte damit neben der grundsätzlichen Frage, wie sich Menschen in ihrem alltäglichen Handeln als männlich oder weiblich zu erkennen geben, auch die Frage, auf welche Weise sie dabei das Geschlecht als soziale Zurechnungskategorie etwa in der Politik, in der Arbeitsorganisation oder in der Familie relevant setzen (vgl. West/Zimmerman 1987; vgl. Kotthoff 2002). Jüngere Arbeiten der interkulturellen Geschlechterforschung haben die Frage nach dem alltäglichen Praktizieren von Geschlecht unter Globalisierungsbedingungen neu gestellt. Einerseits fokussieren sie Zwischen- und Begegnungsräume, wie etwa die des Tourismus und der Migration als zentrale Handlungskontexte. Andererseits haben sie den Radius des doing gender insofern ausgeweitet, als dass sie das alltägliche (Aus-)Handeln des Geschlechts in raum-zeitlich gedehnte soziale Zusammenhänge einbetten, die unter dem Druck der Globalisierung ganz neue Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse hervorbringen. Gerade die Ethnologie setzt sich unter dem Einfluss eines ›postmodernen Zeitgeistes‹ und seiner Absage an das Bild abgegrenzter, homogener Kulturen zunehmend mit der Frage auseinander, inwieweit die lokalen doing gender-Prozesse durch globale Geschlechterbeziehungen geprägt sind, inwieweit sich aber auch neue, kreolisierte Geschlechtsidentitäten herausbilden (vgl. exempl. Schlehe 2001a/b). Zwar richtet sich auch ihr Blick auf konkrete Menschen als TrägerInnen und SchöpferInnen von Geschlechtsidentitäten. Aber sie sieht, dass ihr doing gender nicht auf abgezirkelte lokale Bereiche begrenzt ist, sondern dass das, was heute im Hier und Jetzt soziale Praxis geworden ist, unausweichlich mit Vorstellungen, Ideen und Gelegenheiten verbunden ist, die anderswo herkommen und oftmals durch die Massenmedien transportiert werden (vgl. Appadurai 1998: 23). Diese globalisierte Geschlechterpraxis soll im Folgenden an zwei Beispielen verdeutlicht werden.
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Das erste Beispiel führt nach Indonesien.2 Der Inselstaat mit über 200 Millionen Einwohnern ist den meisten nicht zuletzt durch Werbeanzeigen aus Reiseprospekten der Urlaubsinsel Bali bekannt. Die ›Insel der Götter‹, wie Bali auch genannt wird, lockt jährlich Tausende von TouristInnen ins Land.3 Insbesondere Alleinreisende, wirtschaftlich unabhängige Frauen aus reichen Industrienationen Europas, aber auch aus Japan und Australien, haben die Insel als beliebtes Urlaubsziel entdeckt. Neben Natur und Tempelanlagen sind nach Ansicht Judith Schlehes4 die indonesischen Männer ein Grund für die wachsende Beliebtheit der Insel unter alleinreisenden Frauen. Diese sind gemäß der Images der heutigen Reiseindustrie auf den ersten Blick als stereotype Gegenbilder zum ›westlichen‹ Mann angelegt – ähnlich wie es Edward Said in seiner berühmten Orientalismuskritik (1978) am romantisierten Stereotyp der exotisch-sinnlichen fremden Frau deutlich gemacht hat: »[D]ie Frau erlebt ihn als von tiefgründiger Ruhe und Gelassenheit, von natürlicher Schönheit, Grazie und Erotik. Die langen schwarzen Haare, die lässige Kleidung, der selbstbewusste entspannte Umgang
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Die ehemals niederländische Kolonie und heutige Präsidialrepublik Indonesien ist seit 1945 unabhängig, obwohl Englisch nach wie vor als Bildungs- und Handelssprache gilt. Die fünftgrößte Nation der Welt besteht aus mehr als 3000 Inseln und umfasst 200 verschiedene ethnische Gruppen mit jeweils eigener Sprache. Über 30% der gesamten Bevölkerung lebt in den urbanen Regionen, davon über 20% in Armut, bedingt unter anderem durch die seit 1997 anhaltende massive wirtschaftliche Krise.
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Die Zahl der TouristInnen, die jedes Jahr nach Indonesien reisen, beläuft sich laut der World Tourism Organization auf über 5 Millionen, davon reisen allein über 1,2 Millionen nach Bali. Auch die Nachbarinseln Flores, Lombok und Java sind beliebte Urlaubsziele (Quelle: www.worldtourism.org).
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Die Ethnologin Judith Schlehe hat sich diesem bislang wenig beachteten Phänomen touristischer Kulturbegegnungen in einem von der DFG finanzierten Forschungsprojekt im Rahmen des Bremer Instituts für Kulturforschung unter Leitung von Maya Nadig gewidmet und die wechselseitigen Geschlechtsidentitäten und -praktiken reisender Frauen und einheimischer Männer im Zeitraum zwischen 1999 und 2002 untersucht.
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mit den Freunden, die endlos zur Verfügung stehende Zeit, all das bietet einen Gegenmodell zum Mann der eigenen Kultur.« (Schlehe 2000: 134f.) Dabei sind die Männer mit der ›künstlerisch-authentischen‹ Ausstrahlung, die die Frauen meist als guides oder Künstler auf der Straße und am Strand kennenlernen, keine Vermittler einer ›authentischen‹, traditionellen indonesischen Kultur. Sie geben vielmehr ein perfektes Beispiel für kulturelle Hybridität ab: Bedingt durch die seit 1997 anhaltende wirtschaftliche Krise und die steigende Arbeitslosigkeit kommen viele der Männer selbst als Migranten von anderen Inseln in die touristischen Zentren Balis. Ihr Englisch haben sie auf der Straße gelernt, auf der sie in losen Seilschaften mit anderen Männern leben. Je nach Situation praktizieren sie ihre kulturelle Zugehörigkeit und ›Männlichkeit‹ unterschiedlich – mal gehören sie der kosmopolitischen TouristInnenkultur an, mal zählen sie zu den echten Javanern oder sehen sich als Mitglieder der guide-Kultur mit ihren eigenen Lokalitäten, eigenen Umgangsweisen, Solidaritäten und Hierarchien. Sie integrieren – relativ konfliktfrei – die Einflüsse durch Touristinnen aus aller Welt und bringen sie mit den Prägungen des jeweiligen Herkunftskontextes als auch mit der lokalen Kultur des aktuellen Wohnortes zusammen.5 Schlehe geht es darum, deutlich zu machen, dass die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Kulturen und Geschlechtern keineswegs so eindeutig sind, wie es allzu einfache ›Täter-Opfer-Modelle‹ nahelegen (vgl. Schlehe 1998: 290). Auch wenn sich die Männer in der Regel über die Kommission von Ladenbesitzern oder die Geschenke und Einladungen der Frauen finanzieren, ist ihre Reputation als ›Mann‹ im eigenen sozialen Umfeld keineswegs nur schlecht. Durch den Kontakt zu den Touristinnen wird ihnen sowohl ein mate-
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Die Tatsache, dass viele BewohnerInnen Balis selbst MigrantInnen sind, zeigt, dass das ethnologische Feld nicht mehr als eine räumlich fixierte Kapsel beziehungsweise als eingegrenzte Einheit gedacht werden darf, die sich kartographisch verorten und begrenzen lässt, geschweige denn, dass kulturelle Gemeinschaften ausschließlich aus Autochthonen bestehen. Vgl. zu einer neuen ›Ortsbestimmung‹ der Feldforschung im 21. Jahrhundert Schmidt (2004).
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rieller wie symbolischer Prestigegewinn zuteil.6 Diese bewussten wie unbewussten Optionen auf Seiten der lokalen Bevölkerung werden in Studien zum sogenannten Sextourismus häufig übersehen.7 Überhaupt erscheint angesichts des romantischen Diskurses in den offen gestalteten Partnerschaften der Begriff des Sextourismus das Phänomen nicht hinreichend zu erfassen, zumal keine organisierte Prostitutionsindustrie und massenmediale Vermarktung existiert (vgl. ebd.). Auch das Deutungsmuster kolonialer Ausbeutungsverhältnisse zwischen überlegener Erster Welt und ungleicher Dritter Welt greift angesichts der wechselseitigen Dynamiken nicht, schließlich haben auch die Männer Methoden entwickelt, um die Touristinnen dazu zu bringen, auch nach ihren Bedürfnissen zu funktionieren. Ebenso wenig wie die einheimischen Männer den Urlauberinnen nur ausgeliefert sind, können die Frauen als Opfer der auf Touristinnenfang gehenden Männer betrachtet werden. Denn trotz ihrer finanziellen Überlegenheit zahlen sie nicht den Preis einer symbolischen Entwertung als Frau. Überhaupt relativiert sich die These des ›wer zahlt, nimmt aus‹ angesichts der Tatsache, dass in den meisten Teilen Südasiens nicht unsere binäre Logik ›Geld oder Liebe‹ existiert8, sondern gerade in unteren sozialen
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Neben dem persönlichen Triumph des Überschreitens ›rassischer Grenzen‹ durch die Eroberung ›weißer‹ Frauen und der Erfahrung, dass ihre Beziehungs-Strategien erfolgreich sind, wird ihnen von Seiten der eigenen Gruppe häufig auch sexuelle und Welterfahrung zugesprochen.
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Und selbst in diesen Studien wird zunehmend das offensichtliche patriarchale Geschlechtermodell in Frage gestellt: Sextourismus wird in makrotheoretischen Ansätzen gerade nicht mehr als ein Indikator für die ›Macht der Männer‹ betrachtet. Im Gegenteil, er ist eher ein Hinweis für den Bedeutungsverlust traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit und einer zunehmenden Unabhängigkeit der Frau (vgl. Kruhse-Mount Burton 1995).
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Sowie das generalisierte Kommunikationsmedium Geld in westlichen Industriegesellschaften im Anschluss an Georg Simmel (1996) als quantifizierendes, als Entfremdungs-Medium betrachtet werden kann, besteht zwischen dem ökonomischen und emotionalen Füreinandersorgen in der indonesischen Kultur kein Gegensatz. Im Gegenteil, für die indonesischen Männer ist es nicht unüblich, finanziell von der Frau abhängig zu sein, da der Bereich des Materiellen per se eher mit der Frau verbunden wird. Das Konzept der ›reinen Liebe‹, die nicht durch Geld korrumpiert wird, ist in den armen Bevölkerungskreisen eher selten anzutreffen.
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Schichten ökonomische und emotionale Fürsorge zusammenhängen (vgl. Schlehe 2002: 136f.). Viele der Frauen empfinden die Beziehungen als bereichernd: Sie beziehen ihre Stärke nicht aus einer überlegenen (finanziellen) Position, sondern aus dem Impuls, sich wirklich interkultureller Kommunikation zumindest für einen bestimmten Zeitraum zu stellen. Kommt es zu länger anhaltenden Beziehungen oder gar Ehen, wird an den kulturellen Grenzen verhandelt.9 Häufig sind ›hybride‹ Beziehungspraktiken das Ergebnis: Die Frauen erkennen, dass sie nicht den vollkommenen Status einer ›Einheimischen‹ erhalten, können sich aber in Familie und Nachbarschaft als ›kulturelle Außenseiterin‹ positionieren – zumal sie durch die Verbindung zu ihrem Herkunftsland über rechtlichen und finanziellen Rückhalt verfügen (vgl. Schlehe 2002: 218). Die Männer erwarten nicht mehr, von ihren Frauen uneingeschränkt finanziell unterstützt zu werden und passen sich in Bezug auf die Arbeitsteilung im Haushalt und partnerschaftliche Streitkultur den Wünschen ihrer Partnerin an. Dies geschieht nicht immer frei und reziprok, sondern im Rahmen von Dominanzstrukturen. Und dennoch: Hybridisierungsprozesse werden nicht nur durch intellektuelle Praktiken privilegierter Reisender, sondern auch durch populäre Praktiken von Angehörigen unterer sozialer Schichten forciert – dies wird in der Diskussion um Hybridisierung oft übersehen.10 Auch wenn die Entwürfe von Männlichkeit und Weiblichkeit in touristischen Liebesbeziehungen nicht eine radikale Neustrukturierung der Geschlechterverhältnisse provozieren, so sind die Beziehungen nicht einfach mit Konzepten des Patriarchats oder dem Verhältnis zwischen mistress und master zu erklären. Auch in der Tourismusforschung werden zunehmend Gegendiskurse zur einseitigen These laut, welche den Tourismus als Industrie rein westlicher Imaginationen und Images begreift: Anstelle einer pau-
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Schlehe beobachtet, dass einige dieser Paare die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Ansichten zur Arbeitsteilung durch die Beschäftigung von Hausangestellten abmildern. Wohnverhältnisse entsprechen einer Mischung aus balinesischer Tradition und europäischem Standard. Die Hauptbezugsgruppe der Paare ist die transnationale Gemeinschaft anderer gemischter Paare.
10 Vgl. zur Kulturgeschichte der Hybridität und ihrer zeitgenössischen Diskussion und Kritik exempl. Ha (2010).
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schalen Gegenüberstellung der TouristInnen als manipulierte Masse und der Lokalbevölkerung als einheitlich ausgelieferte Opfer, ist es Aufgabe der neueren ethnologischen Tourismusforschung, die konkreten Beziehungen und Verquickungen zwischen beiden hervorzuheben, denn »[t]ourismusinduzierter Kulturwandel ist ein komplexer und dynamischer, beidseitiger Prozess« (Schlehe 2003: 36), zumal es in jeder ›Lokalbevölkerung‹ immer schon Einflüsse von ›außen‹ gab.11 Zu betonen sind die individuellen und lokal konstituierten Gestaltungsoptionen beider Seiten: von guests und hosts, von TouristInnen und Angehörigen der Lokalbevölkerungen (vgl. hierzu auch Smith/Brent 2001). Michel Picard geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, »that tourism should be viewed as an integral part of Balinese culture« (ebd. 1995: 47). Schließlich profitieren nicht nur die TouristInnen von der Erfahrung einer authentischen balinesischen Kultur, sondern auch ›die Balinesier‹ realisieren, dass sie in Besitz einer wichtigen Ressource sind: »[T]hanks tourism the Balinese realize they possess something valuable called ›culture‹.« (ebd.: 60; vgl. hierzu auch Yamashita 2003)
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Das zweite Beispiel führt zunächst zu den Philippinen. Jeden Tag verlassen hunderte von philippinischen Frauen ihre Heimat, um im Ausland für einige Jahre zu arbeiten. Neben Hongkong, Singapur und Saudi Arabien zählen auch europäische Länder wie Griechenland, Italien, Spanien oder Deutschland zu den Zielen der Migrantinnen (vgl. Han 2003: 53). Während in anderen Ländern die kulturell geprägten Geschlechtsrollen die Migration der Frauen restriktiv einschränken, ist die Arbeitsmigration der philippinischen Frauen im eigenen Land ein breit akzeptiertes Phänomen, da diese der Familienstrategie der Einkommensbeschaffung entspricht (vgl. ebd.: 129). Grundsätzlich sind Mobilitäten integraler Bestand der philippinischen Kultur, weshalb
11 Dennoch gilt es weiterhin Faktoren zu berücksichtigen, die den Einfluss des Kontaktes zwischen ›TouristInnen‹ und ›Einheimischen‹ mitbestimmen, wie etwa der Typus des Touristen/der Touristin, Reisearrangements, der Grad der touristischen Erschließung, die Verfügbarkeit und Qualität der Informationen usw. (vgl. Reisinger 1994).
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Andrea Lauser die philippinische Kultur als Migrationskultur, die philippinischen Migrantinnen als Prototyp moderner und postmoderner Nomaden bezeichnet (vgl. Lauser 2004: 30f.).12 Ihre Arbeitsmigration steht nicht im Widerspruch, sondern eher im engen Zusammenhang mit den Überlebensstrategien der Familien in zumeist ländlichen Regionen.13 Hier genießen sie hohes Ansehen unter den ›Zurückgebliebenen‹. Selbst die Regierung in Manila nennt ihre gegenwärtig über 2 Millionen oversea contract workers »Helden der Gegenwart«. Und dennoch hinterlässt die massenhafte Migration junger philippinischer Frauen, die im Ausland vor allem im privaten domestic service überwiegend als Krankenschwester, Au-Pair oder Putzfrau arbeiten, ihre ›Spuren‹ – sowohl in der neuen als auch in der zurückgelassenen Gesellschaft: Viele Orte rund um Manila haben sich, wie Ludger Pries (1998) es nennt, zu sogenannten transnationalen sozialen Räumen entwickelt, mit einer eigenen materialen Infrastruktur, mit eigenen Handlungsnormen und Kulturmilieus, mit eigenen Berufs- und Lebensverläufen, neuen transnationalen Familienformen und einer eigenen lokalen Ökonomie: Jobbörsen und Agenturen, die Frauen als Dienstmädchen ins Ausland mitsamt den benötigten Visa und Reisetickets vermitteln, Schul- und Lehrgänge, die den häufig gut ausgebildeten Frauen die fremden Umgangs- und Putzgewohnheiten beibringen, bis hin zu Banken, Bauunternehmern und Privatschulen, die sich auf die Devisen aus dem Ausland spezialisiert haben. Schließlich sollen es die Zurückgebliebenen – meist Kinder – einmal besser haben. Die Schattenseite der Medaille: Viele der Kinder wachsen ohne Mutter, Vater oder ganz ohne Eltern auf. In der Regel übernehmen Groß-
12 Die Philippinen sind neben Mexiko die (zweit-)größte Emigrationsnation der Welt. Über zwei Millionen Phillipinas/os arbeiten und leben als oversea contract workers in über 130 Ländern der Welt. Über viele Generationen hinweg sind die Menschen sowohl innerhalb des Archipels als auch nach Übersee migriert, um ihr Leben zu verbessern. Lauser (2004) unterschiedet drei Migrationswellen: 1) die ›Hawaiwelle‹ zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die USA (Zuckerplantagen), 2) den brain drain seit den 1970er Jahren und 3) die Arbeitsmigration seit dem Ölboom der Golfstaaten. 13 Die Arbeitsmigration wird zudem als eine Art säkulare Pilgerschaft betrachtet, aus der man Wissen, spirituelle Erfahrung und Überlegenheit schöpfen kann.
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eltern und Bekannte die Funktion als ›Ersatzeltern‹. Oder die Arbeitsmigrantinnen stellen mit dem im Ausland verdienten Geld selbst wieder gering bezahlte Kindermädchen ein: »[D]omestic workers are taking care of children of others, while their own children are cared for by kin, mainly female, and sometimes local domestic workers.« (Moors 2003: 392) Die amerikanische Soziologin Arlie Russel Hochschild (2000) spricht hier von weltweiten Fürsorge-Ketten. Neben dem von MigrationsforscherInnen oft beklagten brain drain, der angesichts des Bildungsgrades der Frauen wohl eher an ein brain waste erinnert, stellt sich hier ein ganz neues, möglicherweise noch dramatischeres Problem: care drain – der Abfluss von Fürsorge, der sich in fehlenden Familienzeiten, einer Rationalisierung der Versorgungsarbeiten, Fragmentierung von Mutterschaft und einem generellen Geburtenrückgang ausdrückt (vgl. Uchatius 2004).14 Gerade letzteres zeigt, dass die von der Migrationssoziologie erst spät zur Kenntnis genommene Feminisierung der Migration mit demographisch bedingten Problemketten einhergeht: Demographische Alterung, niedrige Geburtenraten oder eine gänzlich fehlende Fertilität einer bestimmten (gut ausgebildeten, erwerbstätigen) Bevölkerungsgruppe ist ein gemeinsames Problem von Industrienationen und Schwellen- und Entwicklungsländern. Dennoch variieren die konkreten Aufenthalts- und Lebensbedingungen der Haushaltsmigrantinnen in erheblichem Maße. Allein in Europa gibt es je nach Land nicht nur unterschiedliche dominante Migratinnengruppen und durch rassistische Stereotype legitimierte ethnische Hierarchien; auch die Regelungen zur Visa- und Arbeitserlaubnis ist uneinheitlich (vgl. Lutz 2002: 70; vgl. hierzu auch Anderson 1999). Auch in Deutschland wird die ›Dienstmädchenfrage‹ neuerdings im Kontext der neueren Geschlechter- und Hausarbeitsforschung diskutiert (vgl. Gather/Geissler/Rerrich 2002), obwohl hierzu bis vor kur-
14 Viele der philippinischen Frauen stellen fest, dass es nicht nur durch ihre Abwesenheit, sondern auch durch ihre verbesserte finanzielle Situation zu unvorhergesehenen Problemen kommt: Die Ehemänner kommen mit der veränderten Machtbalance in der Ehe nicht zurecht oder die Frauen berichten von Schwierigkeiten beim Wiedereinfinden in die Familie, da die erzwungene Selbständigkeit und die im Ausland gemachten Erfahrungen sich nicht ohne weiteres auf die Familienverhältnisse vor Ort anwenden lassen.
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zem noch keine Studien vorlagen. Möglicherweise ist dies dem Umstand geschuldet, dass haushaltsnahe Dienstleistungen in Deutschland im internationalen Vergleich verhältnismäßig selten an (ausländisches) Personal ›outgesourct‹ werden, während dies in anderen Ländern längst ›Gang und Gäbe‹ ist: In den global cities von Japan oder Malaysia, in Saudi-Arabien oder Australien arbeiten Tausende von Dienstboten im informellen Sektor, die aus – ärmeren – Schwellen-/Entwicklungsländern (Philippinen, Bangladesch usw.) kommen (vgl. Han 2003). In Deutschland liegt ihr Anteil wesentlich niedriger: Schätzungen zufolge arbeiten derzeit zwischen 130.000 und 5 Millionen Menschen in deutschen Haushalten.15 So wie die meisten der Arbeitsmigrationen als Notlösungen für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme ihrer Herkunftsgesellschaften erscheinen, so gibt es auch umgekehrt das Phänomen, dass die Anstellung von domestic worker als strukturelle Notlösung hiesiger Familien analysiert werden: »In theory, the availability of domestic service may mean that higherclass/white women can continue working outside the home, and thus it can be argued that domestic workers release other women for work in the labour force. But, in reality, this is often not the case, because the aim of employing domestic workers is actually for some women to gain more leisure, more choice about time allocation, more autonomy and more control within the household.« (Moore 1988: 89)
Verwiesen wird in den Analysen zum einen auf den bereits angesprochenen demographischen Wandel mit einer wachsenden Zahl an hilfsbedürftigen Menschen, Patchworkfamilien und Alleinerziehenden, zum anderen auf strukturelle Betreuungsdefizite oder aber auf das Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie bei Doppelverdiener-
15 Aufgrund der ungeregelten, teilweise auch illegalen Beschäftigungsformen sind die hierzu vorliegenden Zahlen allenfalls Schätzwerte, die je nach statistischem Design beträchtlich variieren: So kommt etwa der Mikrozensus für das Jahr 2000 auf 137.000 Beschäftigte in privaten Haushalten, davon 95% Frauen, während die Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung von rund 1,15 Millionen in Privathaushalten tätigen Personen spricht, während die Hartz-Kommission von 5 Millionen Personen ausgeht – zum Großteil Frauen, die als Migrantinnen in die Haushalte kommen (vgl. hierzu auch Schupp 2002).
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paaren, die den Rückgriff auf die weibliche Unterstützung aus dem Ausland notwendig machen (vgl. Thiessen 2003: 68). Hier haben sich die ausländischen domestic worker nicht nur zum Seismographen einer weltweiten Feminisierung von Migration und Servicemarkt entwickelt, sondern sie sind paradoxerweise in den Worten Elisabeth BeckGernsheims (1983) auch der Beweis für den »verwirklichten Anspruch der Frauen auf ein Stück eigenes Leben«. Wo die wohlfahrtsstaatlichen Konzepte nur ungenügend der seit Ende der 1970er Jahre zunehmenden Erwerbsbeteiligung der Frauen gefolgt sind, sind die Vereinbarkeitsprobleme den privaten Beziehungen zur Aushandlung überlassen worden – diese lösen das Problem nicht selten durch informelle Strategien, etwa durch die Delegation an Dritte. So können laut Petrus Han die Arbeitsmigrantinnen im domestic service als Folge und Voraussetzung des sozialen Aufstiegs einheimischer Frauen betrachtet werden: Die ›Geburt‹ der erwerbstätigen Frau hierzulande geht quasi mit einem Comeback der fremden Dienstmädchen einher (vgl. Hess/ Lenz 2001; Lutz 2007; Rerrich 2006). Diese Ungleichzeitigkeiten in der Konstruktion von Weiblichkeit in der globalen Ökonomie sind als Forschungsgegenstand bislang eher marginalisiert worden. Erst in den letzten Jahren wird das Phänomen der Haushaltsmigrantinnen nicht mehr nur als Ausdruck einer strukturellen Notlage thematisiert – gemäß dem Motto: Die staatlichen Versorgungs- und Betreuungsangebote für Familien mit Kindern oder das Angebot an haushaltsnahen Service-Dienstleistungen sind hierzulande schlecht. Neuere Studien der interkulturellen Geschlechterforschung stellen es zunehmend auch als Ausdruck einer kulturellen Bedeutungsverschiebung von Erwerbs- und Versorgungsarbeiten und veränderter Geschlechterpraktiken einheimischer Mittelschichtsfrauen dar. Wie beispielsweise Sabine Hess (2002a) in ihrer ethnographischen Studie über osteuropäische Au-Pair-Mädchen in deutschen Haushalten zeigen kann, wird die Arbeit dieser Frauen gar nicht als Arbeit, geschweige denn als Ausbeutung, sondern eher als Entwicklungshilfe rationalisiert: Da wird die Aufforderung der Gastmütter an die Au-Pairs, sich an die deutschen Sauberkeitsstandards und an das Sparbewusstsein anzupassen, als gut gemeinter Rat umgedeutet: ›Das ist später nützlich für Dich, das kannst Du für Dein weiteres Berufsleben gut gebrauchen‹. Gleichzeitig dient der andere Kulturkreis zur Distanzierung von den Haushaltstätigkeiten – gemäß der Vorstellung, dass solche ›einfachen‹ und ›monotonen‹ Sisyphusarbeiten ja besser von Mitglie-
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dern aus armen, ›einfachen‹ und ›rückständigen‹ Kulturkreisen erledigt werden können.16 Viele der interviewten Gastmütter würdigten die Arbeitsleistungen der Au-Pairs nicht, obwohl sie die Tätigkeiten selbst als undankbar empfanden. Sie reproduzierten bewusst wie unbewusst die gesellschaftliche Abwertung der Hausarbeit. Ihr doing gender als progressive berufstätige Frau verläuft entlang der Abwertung der klassischen Hausfrauenrolle und der Aufwertung der Arbeit als Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Die Au-Pairs wiederum, die häufig selbst in der Migration eine Möglichkeit sahen, aus traditionellen Familienstrukturen ihrer Herkunftsländer auszubrechen, werteten sich selbst auf, indem sie die deutschen Gastmütter als ›Rabenmütter‹ und ›schlechte Hausfrauen‹ abqualifizierten und damit ihrerseits traditionelle Weiblichkeitsmuster reproduzierten. Hier zeigt sich deutlich, dass doing gender immer auch doing difference ist – interessanterweise nicht nur zwischen den Geschlechtern, wie es in der Frauenforschung häufig den Anschein hat. Auch innerhalb ein und derselben Geschlechtsgruppe/-klasse kommt es zu sozialen Polarisierungen. Bundesdeutsche Frauen haben die Kosten für die Teilnahme am gesellschaftlichen Strukturwandel an Frauen ausländischer Herkunft weitergereicht. Auch wenn sie selbst Benachteiligungen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit erfahren mögen, genießen sie aufgrund ihrer sozialen und nationalen Zugehörigkeit Privilegien gegenüber jenen ›anderen‹ Frauen, die aus dem Gleichberechtigungsdiskurs ausgeblendet werden (vgl. Hess/Lenz 2001: 157). Hier greifen geschlechtliche und rassistische Diskriminierung neu ineinander: »It is not only gender but also ›racial‹ identitites that are reproduced through household labour.« (Anderson 1999: 119) Und dennoch: Der Einzug der bezahlten Haushaltshilfen, der auf den ersten Blick als eine mögliche Lösung von Vereinbarkeits- oder Gleichberechtigungsproblemen erscheint, ändert nichts daran, dass auch im Zeitalter der Globalisierung Hausund Reproduktionsarbeiten als Arbeit unsichtbar und in der Hand von Frauen verbleiben. Neu ist lediglich, dass jetzt die Frauen die gesellschaftliche Abwertung der Versorgungsarbeiten und Hausfrauenrollen
16 Hier leben rassistische Klischees wieder auf, zumindest bietet der Privathaushalt für die Reaktivierung solcher kruden Stereotype ein gut geschütztes Terrain, denn obwohl es sich um einen Weltmarkt handelt, ist der Privathaushalt politisch betrachtet ein Niemandsland (vgl. Gather/Geissler/ Rerrich 2002: 9).
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mit produzieren. Neu ist auch, dass die Fragen ›Wer putzt das Haus? Wer versorgt die Kinder? Wer kümmert sich um die Alten?‹ keine Fragen mehr sind, die es nur im Rahmen des Containermodells der Nationalgesellschaft zu diskutieren gilt, sondern längst Fragen der internationalen Arbeitsteilung berühren (vgl. Rerrich 2002a: 21). Neben den demographisch bedingten Problemketten in den Herkunftsländern der ausländischen Dienstboten ist daher auch die kulturelle Bedeutungsverschiebung von Erwerbs- und Versorgungsarbeiten zu thematisieren. Wie viele der Studien zeigen konnten, wird die Trennung von (gut angesehener und bezahlter) Produktion und (unsichtbarer/schlecht bezahlter) Reproduktion perpetuiert und in einer ›globalisierten‹ Welt auf eine neue Ebene gehoben. Die alte, lokale Strukturierung nach Klassen oder Schichten wird ersetzt durch eine neue Art von globaler Sozialstruktur. Im neuen Beschäftigungsregime einer internationalen Arbeitsteilung greifen geschlechtliche und rassistische Diskriminierung neu ineinander.
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N OCH EINMAL : G LOBALISIERUNG UND G ESCHLECHT
Der Blick auf die Kulturbegegnungen im globalen Tourismus wie im Weltmarkt Privathaushalt macht deutlich, dass gender matters (vgl. Wichterich 2000). Aber – um beim Bild zu bleiben – it matters in different ways: denn das weibliche oder das männliche Geschlecht gibt es nicht. Was wir finden, sind nicht einmal-für-immer gestellte Geschlechterpraktiken und -identitäten, wie es in der feministischen Engenderingdebatte und ihren Beschwörungen des Geschlechtskollektivs den Anschein hat. Statt auf die Strukturförmigkeit der sozialen Ordnungskategorie Geschlecht und seine Gemeinsamkeiten abzuheben, zeigt eine Ethnologie der Globalisierung gewissermaßen in poststrukturalistischer Manier die durch Globalisierung forcierte Offenheit und die individuellen Unterschiede von geschlechtsspezifischer Identitätsbildung und von Geschlechterbeziehungen. »Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Spielräume für neue Deutungen und Aushandlungen der Geschlechterrepräsentation und -performation, für Individualisierungsstrategien und Pluralisierung der Lebensentwürfe.« (Wichterich 2000: 52) Das heißt, dass auf der Ebene der Interaktion, auf der Männer und Frauen sich zueinander positionieren und dabei zu
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Frauen und Männern machen, es nicht nur entlang unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, sondern auch innerhalb der Praxis ein und derselben Gruppe, ja sogar innerhalb der Praxis einzelner Akteure vielfältige Differenzen gibt, so dass von einer Kreolisierung der Geschlechter gesprochen werden kann. Kreolisierung bedeutet dabei keine kunstförmige Auflösung der Geschlechterdifferenz in kulturellen Zwischenwelten. Kreolisierung als analytische Kategorie bedeutet, dass Weiblichkeits- und Männlichkeitsmuster und -praktiken im Zeitalter der Globalisierung durch unterschiedliche kulturelle Kontexte geprägt sind. Natürlich sind doing gender-Prozesse auch im Zeitalter der Globalisierung weiterhin in eine ausgeprägte sexuelle Infrastruktur eingebettet. Der Privathaushalt als durch und durch geschlechtssegregierter Raum mit seinen Assoziationen von Familie, Beziehungsarbeit und Mutterschaft, aber auch das Reisen mit seinen Imaginationen der exotischen Fremde und des verführerischen Unbekannten bilden hier sicherlich keine Ausnahme. Aber das doing gender in diesen Zwischenräumen ist trotz seiner Einbettung in kulturelle Vorannahmen und Bedeutungsbestände auch als eine Quelle sozialen Wandels zu betrachten. Ja, vielleicht sind es, wie Judith Schlehe vermutet, gerade die Intimitätspraktiken als Fürsorge-, Pflege-, Partnerschafts- oder Sexualpraktiken, die im Hinblick auf die Dimensionen und Interpretationen von Gender, Klasse und Rasse ebenso machtvoll wie subversiv sein können. Sicherlich gelten Strandbars und Hoteldiskos oder Bügel- und Kinderzimmer bislang nicht als die zentralen Schauplätze der Globalisierungsdiskussion. KritikerInnen und BefürworterInnen der Globalisierung schauen lieber auf das Treiben an den internationalen Finanzmärkten und Börsen oder in die Chefetagen multinationaler Konzerne in global cities mit ihren kosmopolitischen, hochqualifizierten professionals. Materielle Infrastruktur sowie die wenig qualifizierten und prekären Beschäftigungsverhältnisse oder gänzlich informalisierte, illegale transnationale Räume werden hier weitgehend ausgeblendet (vgl. Sassen 1998b: 202). Dabei stellen sie doch so etwas wie den Unterbau der Globalisierung dar. Vor allem personenbezogene Dienste wie das Reinigungswesen, Hausarbeit und Kinderbetreuung, aber auch Unterhaltungs- und ›Liebesdienste‹ in Touristenzentren bleiben weitgehend ortsgebunden.
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Neben den high potentials und global players der Finanzwelt gilt es so auch das ›Bodenpersonal der Globalisierung‹ (vgl. Hess 2002b: 13) in den Blick zu rücken. Allerdings nicht im Sinne eines ›bloßen‹ Gegen- oder Betroffenheitsdiskurses. Im Gegenteil: Statt die Menschen durch pauschale Argumente der ›HaushaltssklavInnen‹ oder des ›Sextourismus‹ in die Rolle passiver Opfer oder außeralltäglicher Problem- und Sonderfälle forschungs- wie gesellschaftspolitisch ›mundtot‹ zu machen, müssen sie auch als produktive Akteure des kulturellen Wandels betrachtet werden. Es geht gewissermaßen um eine Wiederbelebung der anderen Perspektive, die die Praxis marginalisierter Subjekte als kulturelle Praxis ernst nimmt, denn auch hier lässt sich Kreativität und Widerständigkeit entdecken.17 Globalisierung und Geschlecht, um noch einmal auf die Ausgangsthese zurückzukommen, ist kein einseitiger Ursache-WirkungsProzess, sondern ein Wechselwirkungsverhältnis, dass von tiefgreifenden Ambivalenzen geprägt ist: von zunehmenden Egalisierungstendenzen zwischen Frauen und Männern der Mittelschicht bei gleichzeitig zunehmender Ungleichheit und Ausdifferenzierung zwischen Frauen nach schichtspezifischer, ethnischer und nationaler Zugehörigkeit (vgl. Young 1998: 188); von einer Unterminierung des fordistischen Familienernährermodells und einer Transnationalisierung von Familienformen bei gleichzeitiger Informalisierung und Lokalisierung von Versorgungs- und Reproduktionsarbeiten; oder ganz allgemein: von einer Globalisierung und Lokalisierung der Geschlechteridentitäten und -praktiken. Die allgemeine Rede von Globalisierung und Geschlecht bleibt in ihrer Mikrosoziologik eine Herausforderung mit zwei unterschiedlichen theoretisch-methodologischen Konsequenzen, wie Regina Becker-Schmidt betont (2003: 127ff.): Auf der einen Seite verlangt die empirische Klärung die Beobachtung von Differenzen:
17 Gerade letzteres zeigen nicht zuletzt europaweite Frauen-NGOs und Migrantinnennetzwerke wie »RESPECT«, die zuvorderst nicht um Mitleid oder Entschädigung, sondern für mehr Selbstbewusstsein und Agency der Haushaltsmigrantinnen kämpfen und Selbstorganisationsprozesse dieser Frauen unterstützen, gemäß dem Motto: Selbstbewusste Migrantinnen kennen ihre Rechte, dokumentieren ihre eigene Situation und entwickeln eine politische Agenda und Strategien, um ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern (http://www.solidar.org oder www.respect-netz.de). Vgl. hierzu auch Schultz (2001); oder auch Schwenken (2003).
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Doing male or female gender ist nicht überall und jederzeit gleich und kann auch von ein und derselben Person unterschiedlich praktiziert werden. Auf der anderen Seite gilt es, über die lokale Gruppe hinaus nach der Positioniertheit und Positionierung der Akteure innerhalb globaler Diskurse und Organisations- oder Klassenstrukturen zu fragen, das heißt, die empirische Konkretion muss auf der anderen Seite mit einer begrifflichen Abstraktion einhergehen, um nicht nur feine Unterschiede, sondern auch hässliche Analogien erkunden zu können, wie etwa die weltweite Ethnisierung und Feminisierung des informellen Servicemarktes oder die Transnationalisierung wie Taylorisierung des Familienlebens (vgl. Moors 2003). Globalisierung bewegt die Menschen – aber sie bewegt sie als Frauen und Männer anders. Dennoch: Gewinner und Verlierer gibt es auf beiden Geschlechterseiten, wie die Beispiele zeigen. Sie schließen die Mittäterschaft von Frauen in Unterdrückungssystemen bei gleichzeitiger Fragmentierung einer weiblichen corporate identity ebenso wenig aus wie die Objektivierung und Sexualisierung des ›fremden‹ Mannes bei gleichzeitiger Konstruktion neuer Männerkollektive. Schließlich ist es weder in wissenschafts- noch gesellschaftspolitischer Hinsicht hilfreich, wenn Männer überall und immerzu als die ›Bösewichte‹ gelten und umgekehrt Frauen nur als ›Opfer‹.
Die Ungleichheit der Geschlechter im Privathaushalt Neue Perspektiven auf ein altes Problem
Die Analyse sozialer Ungleichheit innerhalb und zwischen den Geschlechtsklassen sowie ihre Verknüpfung mit anderen Dimensionen und Formen der Diskriminierung bleibt auch gegenwärtig eine der zentralen Aufgaben sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung.1 Personenbezogene, haushaltsnahe Dienstleistungen bilden hierfür, wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, ein gutes Beispiel, da es deutlich macht, dass obwohl oder gerade weil formale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern nahezu verschwunden sind (vgl. exempl. Heintz et al. 2001), diese in den weniger sichtbaren, weil informellen Bereichen überlebt haben. Fürsorge- und Haushaltstätigkeiten sind auch heute noch vor allem eines: Frauensache, und das recht unabhängig von der Erwerbstätigkeit, dem Bildungsniveau und dem Einkommen der Frau (vgl. Allmendinger et al. 2001; Bien/ Marbach 2003; vgl. Steinbach 2004). Die Hausarbeitsforschung sieht hier vor allem die Ehe und Elternschaft als Auslöser und Verstärker der ›alten Verhältnisse‹ des strong breadwinner-Modells, mit dem Mann als Ernährer und der Frau als housekeeper (vgl. Lewis/Ostner 1994). Ökonomistische Arbeiten sehen in der Höhe des Einkommens
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Letzteres, die Überschneidung von geschlechtlicher mit anderen Diskriminierungsformen, etwa rassischer, ethnischer oder klassen- beziehungsweise schichtspezifischer Ungleichheit, wird dabei unter dem Begriff der Intersektionalität verhandelt. Für einen Überblick über die damit verbundenen theoretischen wie methodischen Ansätze vgl. Winker/Degele (2009).
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einen der wesentlichen Verteilungsschlüssel für die Arbeitsteilung im Haushalt (vgl. Bittman et al. 2003). Aus Sicht der Betroffenen sind dies jedoch keine legitimen Argumente mehr für eine ungleiche Verteilung der Fürsorge- und Haushaltstätigkeiten. Im Gegenteil, auch in der intimen Paarkommunikation dominieren moderne Gleichheits- und Gleichberechtigungsdiskurse mit der Vorstellung zweier autonomer Subjekte im Zentrum. Die Frage ist dann nicht so sehr, ob und warum die Hausarbeit ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt wird, sondern wie diese (Ungleich-)Verteilung der Hausarbeit trotz oder gerade wegen der Gleichheits- und Gleichberechtigungsdiskurse der Betroffenen gerechtfertigt wird. Die gegenwärtige Geschlechtersoziologie bietet hierzu unterschiedliche Antworten. In Anlehnung an aktuelle Studien zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Haushalt möchte ich drei Antworten skizzieren: (1) die Umdeutung, (2) die Umverteilung und (3) die Unwissenheit der Ungleichheit.2
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U MDEUTUNG
DER
U NGLEICHHEIT
Bereits Ende der 1980er Jahre haben ModernisierungstheoretikerInnen auf die Widersprüche geschlechtsspezifischer Freisetzungs- und Individualisierungsprozesse im Hinblick auf die (Neu-)Verteilung der Haushalts- und Familienarbeiten verwiesen: Zwar hätten Bildungsexpansion, Frauenerwerbstätigkeit und eine Enttraditionalisierung der Familie die Annäherung zwischen weiblicher und männlicher Normalbiographie eingeleitet. Diese Prozesse führten aber nicht zwangsläufig zu einem Weniger an Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Auch wenn die Zuweisung von Positionen und Rollen auf der Grundlage des Geschlechts in der Moderne in den Hintergrund getreten ist, habe sich an den alten Zuständigkeiten für Haushalt und Kinder wenig oder gar nichts geändert (Beck 1986: 169f.). Das Fortbestehen der Ungleichheit der Geschlechter im Privathaushalt wird dabei vor allem auf veränderte Wahrnehmung zurückge-
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Das Kapitel greift in großen Teilen auf die Argumentation einer früheren, gleichnamigen Publikation von mir zurück: Reuter, Julia (2004c): »Die Ungleichheit der Geschlechter im Privathaushalt. Neue Perspektiven auf ein altes Problem«, in: Soziale Probleme 15, S. 164-175.
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führt: Sie ist deshalb so resistent, weil sie von den Betroffenen nicht oder besser: nicht mehr als ungerecht erlebt und bewertet wird. Angesichts der Macht der Gleichheitsidee verbietet es sich geradezu, die Arbeitsteilung im Haushalt als Ergebnis einer Geschlechterdifferenz zu verstehen. Im Gegenteil, solche Argumente werden als ›vormodernes Relikt‹, als ›altertümliches Dual‹ oder ›nicht mehr anschlussfähiges Wissen‹ zurückgewiesen, so dass Angelika Wetterer (2003) auch von einer Dethematisierung der Geschlechterdifferenz spricht: Anstelle von traditionellen geschlechtsspezifischen Mustern sprechen Männer und Frauen auf einer rationalen Ebene von einer modernen partnerschaftlichen Arbeitsteilung, die die Aufteilung als Ergebnis einer freien und bewusst getroffenen Wahl deuten (vgl. ebd.: 298). Diese Umdeutung der Ungleichheit im Kontext egalitärer Partnerschaftsmodelle hat Folgen: Während die (Mehr-)Arbeit der Frauen als Frauenarbeit zunehmend entwertet wird – sie erscheint nicht als gesellschaftlich notwendige Reproduktions- und Fürsorgearbeit, eher schon als selbstbestimmte Wahl oder individuelle Ordnungsvorliebe –, wird die Beteiligung der Männer im Haushalt unter Gleichheitspostulaten geradezu aufgewertet. Da wird regelrecht von Männern geschwärmt, die bügeln und kochen können, Männern, die mit Kindern spielen und das Auto zur Werkstatt bringen. Vor allem die Frauen bringen enorme diskursive Bemühungen auf, um die praktizierte Ungleichheit als Gleichheit umzuinterpretieren, wie Arlie Russell Hochschild (1989) in ihrer ethnographischen Studie über berufstätige Eltern in den USA gezeigt hat. Viele ihrer weiblichen Interviewpartnerinnen investierten ein hohes Maß an emotionaler und kommunikativer Energie, um die ungleiche Mitbeteiligung des Mannes im Haushalt als ›Hälfte‹ des partnerschaftlichen Arrangements zu präsentieren. Aber auch die Männer haben gelernt, ihre Mithilfe im Haushalt zumindest rhetorisch auszubauen und angesichts abstrakter Gleichheitspostulate zu rechtfertigen. Die Studienergebnisse treffen nicht nur auf amerikanische Verhältnisse zu. Ähnliche Befunde lassen sich auch in der europäischen Paarforschung finden. So waren es etwa in Jean-Claude Kaufmanns Studie über die Haushaltstätigkeiten und -theorien französischer Ehepaare ebenfalls vor allem die Männer, die sich als moderne Helden des Alltags in Szene setzten. Sie beschrieben das gelegentliche Staubsaugen oder sonntägliche Grillen nicht etwa neutral oder objektiv: »[…] aus ihren Worten spricht der pure Stolz« (Kaufmann 1994: 176).
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Ungleichheit lässt sich demnach nicht nur an Verteilungsfragen und Partizipationschancen festmachen, sondern auch an der Frage der Interpretation von Gleichheit oder, wie Gerd Nollmann (2002) einräumt, an der Legitimation von bestimmten Formen von Ungleichheit im Kontext moderner Individualisierungs- und Flexibilisierungsdiskurse. Letzteres zeige der Flexibilisierungsdiskurs der arbeitsorganisatorischen Seite, der in die interaktionsnahen Bereiche informeller Paarbeziehungen ›hinübergeschwappt‹ ist, besonders deutlich: So seien sich beide Geschlechter angesichts des ›knallharten Business‹ und ›der nie schlafenden Konkurrenz‹ heutzutage darin einig, dass keine Ungleichheit vorliegt, wenn der Mann nach der Arbeit mit einer Flasche Bier auf die Couch geschickt wird, während die Frau den Haushalt organisiert. Auf Ungleichheitskonflikte verweisende Ansprüche auf gleichberechtigtes Familien- und Hausarbeitssharing werden hier mit dem Verweis auf Globalisierung und Marktzwänge zum Schweigen gebracht. Folglich kommt es gerade nicht zu Verschärfung der Ungleichheitskonflikte zwischen den Geschlechtern, sondern ganz im Gegenteil zu stahlhartem, erpresstem, hörigem Ungleichheitskonsens (vgl. ebd.: 179). Wenn überhaupt, dann wird die Ungleichheit in vielen Fällen nicht als Geschlechterungleichheit wahrgenommen, sondern in einem umfassenderen Rahmen als soziale Ungerechtigkeit oder umgekehrt in einem sehr konkreten Sinn als personenbezogene Ungerechtigkeit.3 Dies hat nicht nur zur Folge, dass das Überschreiten von individuellen Belastungsgrenzen in der flexibilisierten Arbeitswelt häufig zu ›privaten‹ oder besser: privatisierten Konflikten führt. Insgesamt lässt sich eine Neukontextualisierung gesellschaftlich notwendiger Fürsorgearbeiten unter dem Druck der Anpassung an die Bedingungen des Arbeitsmarktes beobachten: Sie werden zur individuellen ›Selbstsorge‹.4
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Zu ähnlichen Ergebnissen kommt etwa auch Marie Lam (2004) in ihrer Studie zum Ungleichheitsempfinden von berufstätigen Frauen der chinesischen Mittelschicht. Trotz einer weithin offensichtlichen strukturellen Benachteiligung der Frau gaben diese in den Interviews an, die Ungleichheit nicht als solche wahrzunehmen. Viele hatten sich den Gegebenheiten angepasst oder billigten die Benachteiligung, indem sie diese als soziale oder personenbezogene Ungleichheiten rechtfertigten.
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Iris Peinl und Susanne Völker (2001) sprechen von einer Verlagerung gesellschaftlich notwendiger Reproduktionsaufgaben in die individuellen
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U MVERTEILUNG
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U NGLEICHHEIT
Neben der Umdeutung des Ungleichgewichts durch Berufung auf abstrakte Gleichheitsideale und/oder der Legitimation unter dem Druck der veränderten Bedingungen des Arbeitsmarktes wird aus einer geschlechterpolitischen Perspektive zudem auf die Umverteilung der Haushaltstätigkeiten hingewiesen. Grundsätzlich räumen zwar auch GeschlechterforscherInnen ein, dass die Männer heutzutage im Haushalt ›mit anpacken‹ – die Frauen seien jedoch weiterhin für die weniger prestigeträchtigen und verantwortungsvollen Tätigkeiten verantwortlich. Während die Männer vor allem jene Aufgaben erledigen, die als Arbeit sichtbar und öffentlich anerkannt sind (Behördengänge, Gartenpflege, Autoreparatur), bleibt der ›unangenehme‹, weil öffentlich nicht anerkannte und in der zivilisierten Moderne eher tabuisierte Umgang mit den Spuren des Lebens (Wäsche waschen, Putzen, Kinder wickeln) in der Hand der Frauen. Bittman et al. (2004) kommen in ihrer Studie zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in australischen Haushalten zu ähnlichen Ergebnissen. »Women specialize in laundry, [food/ drink preparation and cleanup], while men are the predominant contributors to ground care […].« (ebd.: 410) So habe sich unter dem Deckmantel der partnerschaftlichen Arbeitsteilung eher unbemerkt eine neue Ordnung der Frauenarbeit und Männerarbeit im Haushalt entlang bestimmter symbolischer Markierungen des außen/innen, schwer/leicht, trocken/nass, außeralltäglich/alltäglich eingeschlichen.5
Verantwortlichkeiten und Lebensarrangements. Wie sie in ihrer empirischen Studie zur Unternehmensreorganisation der Deutschen Bahn AG in den 1990er Jahren zeigen, werden Vereinbarkeitsarrangements durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit überdehnt und Belastbarkeitsgrenzen durch die konsequente kundenorientierte Dienstleistungstätigkeit überschritten. Die Folge ist, dass eine zusätzliche Motivations- und Unterstützungsstruktur durch den/die PartnerIn eingefordert wird, die – wenn sie ausbleibt – eher zu privaten denn betrieblichen Krisen führt: Das Gefühl, man werde vom/von der PartnerIn ausgenutzt. 5
Wie die Journalistin Barbara Bierach mit Blick auf eine Umfrage der Gesellschaft für rationelle Psychologie provokativ anmerkt, wird diese Aufteilung – Männer sind für das Grobe zuständig, Frauen für die Details – von den Frauen mit vollzogen: 93% der Frauen finden, der Mann sollte das Auto waschen, 73% definieren Behördengänge als Männerarbeit und im-
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Selbst in Partnerschaften, in denen die Väter eine Beteiligung an Erziehungsaufgaben als selbstverständlich betrachten, bleibt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung entlang traditioneller symbolischer Markierungen erhalten – wie wir in unserem Forschungsprojekt zum Vereinbarkeitsmanagement männlicher Professoren feststellen konnten: Die Frauen der befragten Hochschullehrer waren nach wie vor für die alltägliche, emotionale Fürsorgearbeit in der Familie zuständig, während sich der Beitrag der Partner häufig auf die außeralltäglichen, zeitlich flexibleren Tätigkeiten beschränkte: »Ich habe bestimmte Dinge übernommen, vor allem den Spaßfaktor, und meine Frau, die Ärmste, hat die Erziehung gemacht« – so lauteten die typischen Antworten auf die Frage nach der partnerschaftlichen Arbeitsteilung (vgl. hierzu ausführlich: Reuter/Vedder/Liebig 2008). In diesem Punkt bestätigen unsere Befunde die These einer ungebrochenen Geschlechterungleichheit im Privathaushalt, wie sie in der aktuellen Geschlechterforschung diskutiert wird (für einen Überblick vgl. Reuter 2004). Auch in zeitlicher Hinsicht unterscheiden sich die Tätigkeiten deutlich voneinander: Während sich Männer den zeitlich flexibleren Tätigkeiten im Haushalt widmen, übernehmen Frauen vor allem täglich anfallende Routineaufgaben, die monotoner, aufwendiger und zeitlich fixierter sind. Selbst Haushaltsgeräte wie Spülmaschine, Waschmaschine oder Trockner, die die Arbeitszeit der Frauen im Haushalt eigentlich reduzieren sollten, haben daran nichts geändert – im Gegenteil: »Clothes dryers increase the time women spend doing laundry, while microwaves, dishwashers and deep freezers have no significant effect on women’s daily hours devoted to housework. Paradoxically, some kitchen appliances, such as dishwashers and deep freezers, lead to reductions in men’s housework time.« (ebd.: 413)
Wenn überhaupt, dann finden eher Umverteilungen der Hausarbeit zwischen unterschiedlichen Gruppen von Frauen statt, zum Beispiel zwischen Müttern und Großmüttern, zwischen Freundinnen und Nachbarinnen, oder aber zwischen Müttern und bezahlten Haushaltshilfen beziehungsweise Au-Pair-Mädchen aus dem Ausland (vgl. hierzu auch das vorangegangene Kapitel). Dabei weist der Rückgriff auf Haus-
merhin möchten 47% der Frauen, dass die Männer die Reparaturen rund ums Haus übernehmen (vgl. Bierach 2004: 125).
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haltsmigrantinnen über strukturelle Betreuungsdefizite und Vereinbarkeitsprobleme von Beruf und Familie hinaus: Er macht deutlich, dass die Umverteilung der Alltagsarbeit zwischen Frauen auch entlang schicht- und ethnizitätsbezogener Kriterien zunimmt (vgl. Hess/Lenz 2001: 128ff.). Die ›ethnische Differenz‹ macht es leichter, mit dem Öffentlichmachen des privaten Schmutzes umzugehen. Der andere Kulturkreis dient zur Distanzierung von den Haushaltstätigkeiten – gemäß der Vorstellung, dass solche ›einfachen‹ und ›monotonen‹ Sisyphusarbeiten ja besser von Mitgliedern aus armen, ›einfachen‹ und ›rückständigen‹ Kulturkreisen erledigt werden können. Neben der Praxis der kulturellen Differenzierung ist auch die Strategie der sozialen Vereinnahmung der Beschäftigten im Haushalt beliebt, um die eigentliche Arbeit zu verschleiern und die ›Unprofessionalität‹ der Beschäftigten hervorzuheben. So werden bezahlte Putzhilfen gerne als ›unsere Perle‹, Au-Pairs eher als ›Familienmitglied‹ denn ›professionelle Erzieherin‹ bezeichnet. Damit werden bewusst wie unbewusst die Arbeitsverhältnisse unkenntlich gemacht und eine nicht konfliktfreie ›Sit-inKonstellation‹ geschaffen. Denn die soziale und emotionale Eingebundenheit in den Privathaushalt macht es den Beschäftigten schwer, einen Standpunkt zu beziehen und sich gegen Anordnungen im gegebenen Fall zu widersetzen (vgl. Hess 2002a: 114). Erschwerend kommt hinzu, dass sich im Haushalt um hierarchische Arbeitsverhältnisse zwischen Frauen handelt, für die jenseits der privaten Räume kaum kulturelle Vorbilder innerhalb der weiblichen Genusgruppe existieren (vgl. Thiessen 2003: 69). Dennoch ist grundsätzlich weder die Frau selbst aus ihrer Zuständigkeit für Haus und Kinder entlassen worden, noch hat sich die Anerkennung der Reproduktionsaufgaben als Arbeit hierdurch geändert. Letzteres wird vor allem daran deutlich, dass die meisten der Haushaltsmigrantinnen keine formale Qualifikation nachweisen müssen und ihre Entlohnung äußerst gering ist – schließlich stimmen die Mehrheit der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen darin überein, dass »jede Frau putzen kann« (von Oertzen 2001: 30). Häufig fehlt es an rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Die meisten der Beschäftigungsverhältnisse sind informell und basieren auf mündlichen Absprachen (vgl. hierzu auch Gather/Meißner 2002). So erscheint der Privathaushalt im Zeitalter der Globalisierung
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als ethnisierter und weiterhin feminisierter wie informalisierter Ökonomiesektor (vgl. Wichterich 2000: 58).
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U NWISSENHEIT
DER
U NGLEICHHEIT
Eine dritte Antwort auf die Frage nach der Hartnäckigkeit der Geschlechterungleichheit im Privathaushalt setzt an einer anderen Stelle als an den Diskursen oder den verteilungspolitischen Fragestellungen unter Bedingungen von Migration an. Nicht die Logik der Diskurse und Globalisierung, sondern die alltäglichen und nicht weiter reflektierten Handlungsroutinen der Akteure sind aus einer Praxisperspektive das eigentliche Problem. Die Aufgabenverteilung im Haushalt orientiere sich trotz aller verbalen Beteuerungen an den praktischen Tiefenstrukturen des ursprünglichen Geschlechtsrollengewebes. Das eigensinnige Beharrungsvermögen der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung und Rollenzuschreibung im Haushalt beruht aus praxistheoretischer Sicht auf einem habituellen Repertoire an inkorporierten Praktiken und Routinen. Diese Praktiken und Routinen sind durch Sozialisation in ›Fleisch und Blut‹ übergegangen und stellen einen Fundus an selbstverständlichen Handlungsweisen dar, die wie von selbst geschehen: wie man die Dinge macht, wie man Wäsche faltet, was und wie man bügelt, wie die Handtücher und die Strümpfe im Schrank liegen sollen. Der Körper dient hier als stiller Komplize der gesellschaftlichen Geschlechterordnung, da sich Wahrnehmungsund Betrachtungsweisen in körperliche Handlungs-, Verhaltens- und Bewertungsweisen einschreiben und ihnen so Stabilität, Evidenz und eine vermeintliche Natürlichkeit verleihen. Der Körper ist so Speicher wie Generator eines vergeschlechtlichten Wissens- und Handlungskapitals, das Männer und Frauen beinahe immer und mühelos zu Hand haben, dass aber nur äußert bedingt reflexionsfähig ist. Der Privathaushalt als zentraler Ort der Sozialisation gilt dabei als ein Setting, dem das eigentümliche Potential innewohnt, dieses stille Handlungskapital ›in Gang zu setzen‹. Gerade Frauen geraten dabei aufgrund ihres großen Fundus an in der Sozialisation erworbenem praktischen Haushaltswissen in die Falle, permanent alles ›mühelos‹ zu erledigen, während die Männer mit lehrlingshafter Unbeholfenheit daneben stehen (vgl. Wetterer 2003: 301). So reproduzieren sich eher stillschweigend Rollenbilder der tüchtigen Hausfee und deren Pendant
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vom Mann als schuldbewusstem Schüler, die sich damit wechselseitig verstärken. Gerade die Frauen machen sich durch die Herausstreichung ihrer besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften zu Komplizinnen einer »männlichen Herrschaft« (Bourdieu 2001). Sie geben lediglich eine idealisierte Darstellung der Unterdrückten und Stigmatisierten ab – sie sind zugleich Herrin wie Sklavin des Haushalts. Praxistheoretische Arbeiten, die in der Geschlechterforschung unter dem Stichwort des doing gender prominent wurden (vgl. West/ Zimmerman 1987; Kotthoff 2002), wiesen schon früh auf die Macht der Gewohnheiten und Gesten hin, die auf subtile Weise die Frauen dazu zwingen, innerhalb der Norm zu bleiben. Einer Norm, die immer noch die Frau im häuslichen Bereich verortet, in dem der Mann eine untergeordnete Rolle spielt. Kaufmann (1999: 113f.) sieht einen Grund hierfür in dem Bild, das sich die Frau bewusst wie unbewusst von ihrer Rolle im Haushalt macht. Keine andere – so die ungebrochene Vorstellung der Frauen von heute – als sie selbst wäre in der Lage, die Familienaufgaben zu erfüllen. Aufgaben zu delegieren würde bedeuten, die hausfrauliche Seele zu verlieren beziehungsweise an den impliziten und unantastbaren Prinzipien zu rühren, die ihr Handeln lenken. Automatismen, die etwa beim Anblick schmutziger Wäsche oder dreckigen Geschirrs aktiviert werden: Man oder besser: Frau muss sie einfachen machen.6 Dieses Dilemma wird verstärkt durch die Tatsache, dass nicht nur Personen, sondern auch viele Dinge und Objekte im Privathaushalt weiterhin ein doing gender abverlangen, zum Beispiel der Bügel- oder Wickeltisch, dessen Höhe und Form für Männer einfach ›unbequem‹ ist, oder das Putzmittel, dass für Frauen, nicht aber unbedingt für Männer so wunderbar nach Blumen riecht. Rosafarbene Reinigungstücher und mit Bärchen oder Herzchen bedrucktes Küchenpapier tun ihr übriges. Sie bieten genügend Gelegenheiten, die Geschlechtsstereotype mitsamt ihren Statusunterschieden in den Praktiken eher beiläufig zu reaktivieren. Jedes Reagieren von und auf Dinge kann hier mit geschlechtlichem Sinn versehen werden und an beiden Enden der Paar-
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Kaufmann führt auch an, dass Frauen häufig selbst ein gehöriges Potential an Widerstand gegen die Delegation von Haus- und Fürsorgearbeiten besitzen – nicht unbedingt aus finanziellen Gründen oder aus Schutz der Intimsphäre, sondern gerade weil diese dem eigenen Handeln Sinn und Identität verleihen.
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beziehung als Geschlechtseigenart zugerechnet werden. So gelingt es den Männern im Haushalt schon durch die kleinsten praktischen Idiotien, etwa dem Nicht-richtigen-Einstellen der Waschmaschine, dem Zu-heißen-Bügeln, der falschen Falttechnik von T-Shirts oder auch nur dem eigensinnigen Gebrauch der Mikrowelle, bestimmte Tätigkeiten weiblich zu konnotieren und durch ihre Behandlung als ›wesensfremde‹ Arbeit auch eine männliche Essenz darzustellen (vgl. Hirschauer 1994: 688). Häufig ist es gerade dieses stille, weil inkorporierte Wissen der Geschlechter, das die Rollenbilder zu träge macht, weil es sich dem praktischen Leben so raffiniert unterlegt, dass es nur selten thematisch in den Vordergrund rückt (vgl. Reuter/Hörning 2005); oder wie Kaufmann (1994: 30) es formuliert: »Die Organisation des Haushalts basiert vor allem auf Handgriffen, die automatisch und ohne bewusstes Nachdenken ablaufen, weil sie in dem ›Gedächtnis außerhalb des bewussten Gedächtnisses‹, das die Gewohnheiten darstellen, gespeichert sind.« Jeder produziert diese fraglose und selbstverständliche Hintergrundstruktur, indem er Handlungen nicht einfach ausführt, sondern sie als Mann oder als Frau ausführt, ohne es zu bemerken. Bourdieu spricht von einer unausweichlichen praktischen Verstrickung in die Welt als Folge einer Somatisierung der Herrschaftsverhältnisse, die dazu führt, dass Mann und Frau mit einer Art ›Betriebsblindheit‹ geschlagen sind: Ihr Tun umfasst stets mehr Sinn, als sie aktiv davon wissen.7
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Natürlich bleibt auch für Bourdieu die Logik der Praxis in eine Theorie der strukturellen symbolischen Gewalt eingebunden, denn die Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit von Praktiken wird hier auf einen (Geschlechts-) Habitus zurückgeführt, der sich dem/der AkteurIn von früh an einverleibt und dem er trotz aller Feld- und Weltverschiebungen nicht entkommt. Sicherlich lässt sich in dynamischen Gesellschaften bezweifeln, ob das Wirken dieses Habitus immer wieder ein ähnliches Milieu, eine konstante Welt von Situationen hervorbringt, die geeignet sind, die von ihm gestützten Dispositionen zu verstärken. Für den Privathaushalt scheint dies zumindest größtenteils zuzutreffen – er ist und bleibt gerade in Deutschland der zentrale Ort der Sozialisation und damit auch die zentrale Reproduktionsinstanz des männlichen und weiblichen Habitus.
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F AZIT
Trotz oder gerade wegen der Omnipräsenz von Gleichheits- und Gleichberechtigungsdiskursen im Geschlechteralltag ist es mitunter schwieriger, die ›alten‹ Ungleichheiten thematisch zu machen. Genderismen in der Hausarbeit sind häufig zu einem nicht mehr anschlussfähigen Wissen geworden (Kaufman spricht von ›Negativkapital‹), über die man/frau besser schweigt – mit der Folge, dass die Genderismen resistent gegenüber Veränderungen werden. Hier wäre es jedoch zu kurzsichtig, das Verschweigen per se als Beleg für das Verschwinden der Ungleichheit der Geschlechter zu betrachten. Selbst die Frauenund Geschlechterforschung hat sich im Rahmen ihrer Institutionalisierung und Professionalisierung vom eher ›altertümlich‹ und ›traditionell‹ wirkenden Thema der Haushaltsarbeit verabschiedet. Dabei ist es gerade der Haushalt, der unter Individualisierungs- wie Globalisierungsbedingungen zu einer analytischen Schlüsselkategorie avanciert, weil in ihm die Erfahrung von Zugehörigkeit und die Bildung von Identität ebenso sichtbar wird wie die Auf- und Abwertungsprozesse der Geschlechter im Kontext globaler Wirtschaftsprozesse (vgl. hierzu das vorangegangene Kapitel; oder auch Sassen 1998a). Auch im Hinblick auf die ungleiche Verteilung der Hausarbeit kommt dem Haushalt aus Sicht praxistheoretischer Geschlechterstudien eine Schlüsselposition zu: Schließlich gilt für sie nicht die Ehe oder Elternschaft, sondern die Haushaltsintegration als eigentlicher Auslöser und Verstärker einer traditionellen Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern, eben weil Hausarbeit eine massiv gendered activity ist, »sie ist emotional hochgradig mit Bedeutungen verbunden, wer wir als Frauen und Männer sind und wer wir sein wollen« (Rerrich 2002b: 21).8 Der Privathaushalt ist und bleibt (zumindest in Deutschland) der zentrale Ort der Sozialisation und Reproduktion von gender displays, jener Wissens- und Handlungsrepertoires, die in Form von körperlichen Routinen und sozial eingeübten Fähigkeiten und Fertigkeiten jederzeit aktivierbar sind.9 Er erscheint so als letztes großes
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Vgl. hierzu klassisch Barbara Dudens und Gisela Bocks Definition privater Haushaltsarbeit als »Arbeit aus Liebe« (Duden/Bock 1997).
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Cunningham schlägt daher in seiner Langzeitstudie (1962-1993) zum Einfluss der elterlichen Arbeitsteilung im Haushalt auf die Arbeitsteilung der Kinder vor, sozialisationstheoretische und kontextualistische Erklärungs-
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Spielfeld, in der die Frauen kraft ihres im Geschlechterhabitus inkorporierten Haushaltswissens den alltäglichen ›Kampf der Geschlechter‹ noch mühelos gewinnen können. Solange sie jedoch dieser Verführung erliegen, wird sich an ihrer Schlechterstellung im Haushalt wenig ändern.
ansätze zusammenzufassen: »By recognizing that early experiences in the family contribute to individuals conceptions of what it means to ›do gender‹ in a particular context, we can approach a more comprehensive understanding of the mechanisms by which housework takes on symbolic importance for gender.« (Cunningham 2001: 199)
Muslimisch, weiblich, selbstbewusst Selbstorganisation und Interessenartikulation von Migrantinnen
Obwohl mittlerweile zahlreiche Studien zur Verschränkung von geschlechtlicher wie ethnischer Ungleichheit im Zeitalter der Globalisierung die Perspektive der Betroffenen explizit mit aufnehmen (wie insbesondere das Beispiel der Haushaltsmigration in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt hat), werden politische Widerstandsformen und Strategien selbst organisierter Migrantinnenkritik nach wie vor kaum beleuchtet. Zu hartnäckig hält sich das von der Mehrheitsgesellschaft und teilweise auch der sozialarbeiterischen Praxis erzeugte Bild der hilfslosen, unmündigen und passiven Migrantin aufrecht.1 Dabei haben sich in den letzten Jahren in spürbarem Maße eine große Zahl an politischen Selbstorganisationen von Migrantinnen herausgebildet, die mit ihren Identitätsentwürfen ganz gezielt einen Gegenentwurf, einen oppositionellen Standort markieren, mit dem sie die von außen (der Mehrheitsgesellschaft) auferlegten Identitätsstereotype und verinnerlichten Unterdrückungsformen kritisch hinterfragen (vgl. hierzu auch
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Symptomatisch hierfür sind etwa die in regelmäßigen Abständen erscheinenden Leitartikel deutscher Nachrichtenmagazine wie etwa der 2004 vom SPIEGEL plakatierte Titel »Allahs rechtlose Töchter«, in dessen Einleitungsartikel es heißt: »Tausende Musliminnen leben in Deutschland unter dem Joch des Patriarchats, weggesperrt in der Wohnung, hilflos gegen Gewalt und Zwangsheirat. Ohne Chance auf Integration verschwinden sie in einer Parallelwelt, die von fundamentalistischen Haustyrannen dominiert wird.« (Brandt et al. 2004: 60)
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Pallares 2006). Dies betrifft nicht nur die große Anzahl von Organisationen, die von und für Migrantinnen in prekären, informellen oder illegalen Beschäftigungsverhältnissen gegründet wurden und hier teilweise ganz gezielt bestimmte Beschäftigtengruppen ansprechen, sondern auch solche, die in einem ganz grundsätzlichen Sinne ›orientalisierte‹ Frauenbilder hinterfragen, die geradezu im Gegensatz zu dem von westlichen Frauenbewegungen forcierten Selbstbild der modernen, gebildeten, autonomen Frau stehen.2 Ein prototypisches Beispiel bildet hierfür die muslimische Frau, die geradezu zum »Inbegriff weiblicher Unterdrückung« (FeMigra) beziehungsweise des kulturell Anderen, des Fremden geworden ist (vgl. Lutz 1989), nicht selten sogar zum Inbegriff einer generellen Islamophobie. Dabei ist muslimisches Frauenleben nicht nur vielfältiger und bunter als es verbreitete Stereotype zeichnen – viele der hierzulande lebenden Musliminnen sind gut gebildet, selbstbewusst und wenden sich bewusst, zum Teil auch gegen den Willen ihrer Eltern dem Islam zu (vgl. Kök 2009). Darüber hinaus hat sich neben dem zumeist männlich geprägten muslimischen Vereins- und Kulturleben eine eigene Infrastruktur für religiöse und politische Selbstbestimmung für Musliminnen herausgebildet – in Form von muslimischen Frauenvereinen, Frauenbildungseinrichtungen, Freizeit- und Beratungsorganisationen, aber auch nicht formale Beziehungen zwischen Gruppen, Projekten und Netzwerken. Wie internationale Studien beispielsweise in Indonesien und Marokko zeigen, ist diese Selbstorganisation muslimischer Frauen zum einen eine Reaktion auf die vorwiegend männlich geprägte muslimische Infrastruktur (vgl. Geertz 1991). Zum anderen kann dieser Prozess – in einem weiteren nicht-muslimischen Kontext – als Anerkennungs- und Repräsentationspolitik in rassistisch-strukturierten Gesellschaften betrachtet werden (vgl. Werbner/Moodod 1997). Dabei nut-
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Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf die Frankfurter Gruppe FeMigra, feministischer Migrantinnen, verwiesen oder das europäische Netzwerk RESPECT zur Unterstützung von Migrantinnen, die in privaten Haushalten arbeiten. Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Migrantinnen werden auch vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. zunehmend in der Verbandstätigkeit aufgegriffen und in der Kampagnenarbeit – etwa zum Thema Mindestlohn in der Gebäudereinigung – umgesetzt.
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zen muslimische Frauenorganisationen nicht selten das World Wide Web als Plattform, um soziale Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen, sich in religiösen Fragen auszutauschen, vor allem um sich gegen das öffentliche Bild der ›unterdrückten und unmündigen Muslimin‹ zur Wehr zu setzen. So lässt sich ihre Identitätspolitik nicht nur auf eine alltägliche Anerkennungspolitik reduzieren, sondern kann in einem umfassenderen politischen Kontext als (neue) soziale Bewegung verstanden werden, die unter dem Begriff eines ›islamischen Feminismus‹ firmiert. Ausgehend von aktuellen Befunden, die die These einer Islamophobie und Stereotypisierung der muslimischen Frau stützen, werden im Rückgriff auf Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojektes zu muslimischen Frauenselbstorganisationen kollektive Widerstandsformen und Gegen-Identifikationen vorgestellt3, die neben der grundsätzlichen Bedeutung von Selbstorganisationen für die Integration und Partizipation von Migrantinnen vor allem die Bedeutung der Verknüpfung Geschlecht und Religion als Eigen-Ressourcen für die Selbstverwirklichung wie politische Interessenvertretung deutlich machen.
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Das Projekt mit dem Titel »Neo-Muslima-Netzwerke als Antwort auf androzentrischen Islam und kategoriale Fremdstereotype« ist Teil eines Forschungsverbundes des Landes-Exzellenzclusters RLP »Soziale Netzwerke und Abhängigkeiten« der Universitäten Trier und Mainz, das ich gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Dr. Markus Gamper zwischen 2006 und 2009 bearbeitet habe. Die folgenden Ausführungen greifen dabei größtenteils auf bereits vorliegende Veröffentlichungen zurück: Reuter, Julia/Gamper, Markus (2007a): »Islamischer Feminismus. Religion und Emanzipation in Muslima-Netzwerken«, in: Migration und soziale Arbeit, S. 306-313; sowie: Reuter, Julia/Gamper, Markus (2008): »Muslimische Frauen-Netzwerke in Deutschland Selbstorganisation und Interessenartikulation von Migrantinnen«, in: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, S. 81-93. Aktuell ist auch die Gesamtstudie im Erscheinen (vgl. Gamper 2011).
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I SLAMOPHOBIE UND DIE › UNTERDRÜCKTE MUSLIMISCHE F RAU ‹ IM EUROPÄISCHEN K ONTEXT
Die Zuschreibung ›Muslim‹ ist seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 zu einer wirkungsmächtigen Kategorie in der politischen Diskussion um Einwanderung und Integration sichtbar geworden – häufig als Stigma, das synonym zu ›Islamist‹ oder ›Fanatist‹ benutzt wird (vgl. hierzu etwa Göle 2004: 22ff.) Auch wenn Stigmata in der Regel nicht auf die aktuale, sondern auf die virtuale, das heißt erwartete soziale Identität des Stigmatisierten verweisen (vgl. Goffman 1999: 10), besitzen sie durch ihren Bezug zu externen Manifestationen des designierten Objektes (physische Merkmale) oder auch Eigenschaftsunterstellungen (persönliche – psychische oder soziale – Charakteristika), eine gewisse Trägheit, da gerade letztere durch ihre ›Unsichtbarkeit‹ schwierig zu widerlegen sind. Was aber sind typische Einstellungen gegenüber ›den Muslimen‹, die von einer breiten Masse der Gesellschaft geteilt werden und damit die Bezeichnung ›Muslim‹ in den Augen der Mehrheitsbevölkerung zum Stigma werden lässt? Zur Beantwortung dieser Frage soll auf einige zentrale Einstellungsstudien der letzten Jahre eingegangen werden. Das »European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia« (EUMC) weist in seiner breit angelegten Studie auf der Basis von Länderberichten einzelner EU-Staaten auf die große Kluft zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung (hier insbesondere von MuslimInnen) in den meisten Ländern nach dem 11. September 2001 hin. Diese manifestiert sich etwa im Misstrauen gegenüber muslimischen Bevölkerungsgruppen: »Most assessments of current situation come to the conclusion that Muslime see themselves confronted with an increased subliminal mistrust by the German population.« (EUMC 2002)4 Hinzu kommt, dass MuslimInnen ihrerseits darauf verweisen,
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Die Aussagen des EUMC basieren zumeist auf ›Näherungsdaten‹, da Muslime wie auch andere religiöse Gruppen statistisch nicht ausreichend erfasst werden. Es handelt sich meist um inoffizielle Zahlen, die erheblich variieren. Aufgrund dessen müssen die Zahlen mit Vorsicht interpretiert werden.
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dass sie sich permanent aufgefordert fühlen, ihre Missbilligung gegenüber dem islamistischen Terrorismus zum Ausdruck zu bringen (vgl. EUMC 2006: 5f.). Auch die Nichtregierungsorganisation »Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte« (IHF) veröffentlichte im Jahr 2005 einen Bericht über die Diskriminierung und Intoleranz gegenüber MuslimInnen. Ihre Daten basieren auf »second-hand information, including statements by Muslim and antiracist groups, material published by international human rights organizations and monitoring bodies, research findings, media reports and official documents« (Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte 2005: 6).5 Die Studie geht von einer Erhöhung der Feindseligkeiten und des Misstrauens gegenüber MuslimInnen in der EU aus. Ferner spricht sie die zahlreichen Stigmatisierungen aufgrund der Religion an. In Deutschland wird von verbalen wie auch physischen Übergriffen auf MuslimInnen und islamische Einrichtungen berichtet. Auch der Umgang der Regierung mit den islamischen Organisationen oder mit muslimischen MitbürgerInnen nach dem 11. September 2001 sowie die Medienberichterstattung werden anhand des vorliegenden Datenmaterials kritisiert (vgl. ebd.: 77f.). Der »GfK Custom Research«6 fand heraus, dass über 50 Prozent der befragten WesteuropäerInnen der Aussage zustimmten, dass MuslimInnen, die in europäischen Gesellschaften leben, eher abgelehnt werden. Außerordentlich groß ist die vermutete Ablehnung in Schweden (75%) und in den Niederlanden (72%). In Deutschland glauben etwa 61 Prozent der Befragten, dass MuslimInnen zurückgewiesen werden. Zu einem ähnlichen Befund kamen ForscherInnen des »Pew Global Attitudes Project«7, die bei der Frage nach der Sympathie für
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In Anbetracht der Datenbasis ist die Studie nicht repräsentativ, sondern kann nur einzelne Beispiele herausgreifen und darstellen.
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In der 2004 durchgeführten Studie wurde 21.102 Personen in 21 verschiedenen Ländern die Frage gestellt: »Wie schätzen Sie die heutzutage bestehende Ablehnung gegenüber Muslimen ein, die in der Europäischen Gesellschaft leben?« (http://www.gfk.com/group/press_information/press_ releases/00643/index.de.html vom 10. Juli 2007).
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Dabei wurden 17.766 Menschen in 17 unterschiedlichen Staaten befragt. Darunter befinden sich auch fünf europäische Staaten inklusive Deutschland (http://pewglobal.org/reports/pdf/248.pdf vom 11. Juli 2007).
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MuslimInnen feststellten, dass insbesondere NiederländerInnen und Deutsche ein negatives Bild besitzen. Auch das Allensbacher Institut konnte diese ›deutsche Islamophobie‹ in ihrer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2004 bestätigen. Der Islam führt nach Meinung der Befragten zur Unterdrückung der Frau (93%), unterstützt den Terrorismus (83%), ist radikal (82%) und gefährlich (70%). Erst an sechster Stelle wird die Gastfreundlichkeit genannt (45%). Den Aussagen, dass der Islam bedeutende kulturelle Errungenschaften hervorgebracht hat (39%), dass er faszinierend ist (16%), Nächstenliebe (12%) und Offenheit (6%) postuliert, wird nur von einer Minorität zugestimmt. Sympathisch finden den Islam lediglich 6 Prozent (vgl. Noelle 2004: 5). Auch das ForscherInnenteam rund um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer musste in seiner repräsentativen Studie zu den »Deutschen Zuständen« im Zeitvergleich (2003-2005) feststellen, dass Deutsche den MuslimInnen eher skeptisch gegenüberstehen und selten eine differenzierte Sicht auf den Islam besitzen (vgl. Leibold/Kühnel 2006: 135-155). Dazu geht eine große Anzahl der Befragten (60%) davon aus, dass islamistische TerroristInnen einen großen Rückhalt bei der muslimischen Bevölkerung besitzen. Dies hängt nach Ansicht der Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer (2004) unter anderem mit der (verzerrten) Konstruktion des Islambildes in den Massenmedien zusammen. Ihrer Ansicht nach besteht ein Problem der Islamberichterstattung darin, dass die Medien selten zwischen Islam, Islamismus und islamistischen Terrorismus unterscheiden (vgl. Schiffer 2005: 4) und daher oft nur ›Halbwissen‹ vermitteln. Auch das Kopftuch müsse immer wieder als ›Symbol der Unterdrückung‹ herhalten: »Es genügt bereits, eine verschleierte Muslima über den Bildschirm huschen zu lassen oder sie in einem Text zu erwähnen, um alle damit in Verbindung gebrachten Assoziationen auftauchen zu lassen. Damit ist dem Diskurs über den Islam ein sehr argumentations-ökonomisches Mittel gegeben, die gesamte Kultur als negativ zu identifizieren, ohne dies begründen zu müssen.« (ebd.: 85)
Zusammenfassend weist die Autorin darauf hin, dass es zu einem Zusammenspiel zwischen Meinungsbildung und Mediendarstellungen kommen kann. Dabei gilt »veröffentlichen ist überzeugen« und »wiederholen ist beweisen«, was zu Halbwahrheiten und zur Stereotypen-
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bildung gegenüber MuslimInnen in der Gesellschaft führt (vgl. ebd.: 238). Trotz der unterschiedlichen Datenbasis und Untersuchungsanlage zeigen die vorgestellten Ergebnisse, dass von einer skeptischen Haltung gegenüber dem Islam beziehungsweise MuslimInnen in Europa und vor allem auch in Deutschland ausgegangen werden kann. Der Islam wird zu einem großen Teil als frauenfeindlich, gewalttätig und intolerant wahrgenommen beziehungsweise als eine Religion betrachtet, die mit einem modernen, westlichen Leben nicht in Einklang zu bringen ist. MuslimInnen erfahren durch einen großen Teil der christlich geprägten Gesellschaft in Deutschland eine Abwertung ihres ›religiösen Kapitals‹. Hinzu kommt, dass die meist einseitige Medienberichterstattung die Vorurteile hervorruft beziehungsweise noch verschärft. Auch wenn viele der Studien keine genderspezifische Sichtweise verfolgen, wird an den oben genannten Ergebnissen deutlich, dass ›islamophobe‹ Einstellungen häufig auf der anderen Seite mit Idealen der Gleichberechtigung verknüpft sind. Die Frage der Frauenrechte, der Gleichbehandlung und Gleichstellung der Geschlechter nach westlichem Verständnis scheint also eine ausschlaggebende Rolle bei der Einstellung zum Islam zu spielen – obwohl dies in einem Widerspruch zu der Erkenntnis steht, dass Gleichstellung ein ansonsten eher randständiges Thema, gerade in Deutschland, darstellt. Dass es aber durchaus Sinn macht, eine geschlechtertheoretische Perspektive auf die gegenwärtige Migrations- und Islamforschung zu werfen, zeigen nicht nur die empirischen Befunde der Einstellungsforschung, sondern auch die Beispiele der öffentlichen Identitätspolitik der betroffenen MuslimInnen und ihre Diskursivierung im Kontext einer dezidiert feministischen Islamforschung.
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D ER
NEUE I SLAM DER
F RAUEN
Die feministische Islamforschung, die sich bislang als ›Sammelbecken‹ einzelner AutorInnen ganz unterschiedlicher Disziplinen darstellt (vgl. exempl. Karakasoglu-Aydin 1999; Stauch 2004; Tietze 2001; Schröter 2002), weist seit geraumer Zeit auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in öffentlichen Ausdruckformen und Identitätsund Anerkennungspolitiken von MuslimInnen hin. Insbesondere muslimische Frauen fallen gegenüber muslimischen Männern durch ihre
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intensivere Beschäftigung mit dem Islam, ihre diszipliniertere religiöse Praxis und ihr explizites Inbeziehungsetzen von Gender- und religiösen Fragen auf, wovon letzteres in der Literatur neuerdings immer häufiger als ›islamischer Feminismus‹ bezeichnet wird (vgl. exempl. Badran 1996) – wohl auch deshalb, weil viele der Musliminnen sich explizit gegenüber den frauenfeindlichen Stigmatisierungen der Mehrheitsbevölkerung und gegen patriarchalische Strukturen in Teilen der muslimischen Gesellschaft mit Hilfe des Islams zur Wehr setzen. Dabei wird das selbst gesteuerte ›Erlernen des Islam‹ als ein wichtiges Medium der Identitätsarbeit betrachtet, dass neben Emanzipationsprozessen auch Konflikte anstößt, insbesondere mit der ersten Generation, die in den Augen der ›jungen‹ Musliminnen ein sehr ›traditionelles‹, wenn nicht sogar androzentrisch verengtes Islamverständnis besitzen. Die in den letzten Jahren (zahlreich) erschienenen Studien zum ›neuen‹ Islam der Frauen bestätigen dies: So beschreibt etwa Sigrid Nökel (2002) in ihrer empirischen Studie über die Töchter der Gastarbeiter die emanzipatorische Bedeutung des Islam für die junge Generation muslimischer Migrantenkinder. In ihren gesammelten biographischen Erzählungen junger Frauen der zweiten und dritten Generation aus unterschiedlichen (muslimischen) Ländern wird erkennbar, dass sich im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter eine neue islamische Praxis und ein verändertes Selbstverständnis entwickelt hat, das Nökel bereits in einer früheren Veröffentlichung als ›Neo-Islam‹ bezeichnet. Darunter versteht sie eine »private, alltagsorientierte Politik der Differenz, die, basierend auf der Konstituierung eines distinguierten islamischen Habitus, Integration und Selbstbehauptung aufs engste miteinander verknüpft« (ebd. 1996: 176f.). Am deutlichsten kommt dieses neue muslimische Selbstverständnis der jungen Frauen in der intellektuellen und selbstorganisierten Auseinandersetzung mit den heiligen Schriften zum Ausdruck. Die eigenständige Aneignung des Korans stellt nicht nur ein wichtiges Moment der Identitätsentwicklung und -erfahrung der Neo-Muslimas dar, sondern zieht laut Nökel auch eine feminine Selbststeuerung und Begrenzung des maskulinen und konservativen Einflusses des Elternhauses nach sich. Ähnlich wie Necla Kelek, die in ihrer Studie von 2002 den Islam als orientierungsstiftendes und integratives Subsystem fasst, das von den jugendlichen MuslimInnen in Deutschland vieldeutig und unterschiedlich – aber zumeist selbstbewusst – angeeignet wird, zeichnet auch Nökel in ihrer Arbeit die komplizierte Neuinterpretation des Islam in-
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nerhalb der ›zweiten Generation‹ muslimischer Einwanderer nach. Allerdings sieht sie darin mehr als ›nur‹ eine emanzipatorische Alltagspraxis junger Musliminnen. Die Autorin spricht von einer neuen Form der Identitäts- und Anerkennungspolitik, die über die von ihr betrachteten Einzelfälle hinausgeht. Diese löse sich zunehmend von den Anerkennungspolitiken muslimischer Vereine und Gemeinden, ja wende sich teilweise sogar gegen sie. Die meisten der von ihr befragten Frauen besitzen eine lediglich schwache organisatorische Bindung zu muslimischen Verbänden. Als Ursache hierfür verweisen die muslimischen Frauen auf die grundsätzliche Diskriminierung von Mädchen und Frauen in den Moscheen, in denen eine strikte Geschlechtertrennung sowohl im organisatorischen beziehungsweise entscheidungspolitischen wie auch im religiösen Bereich herrsche.8 Auch Karimah Stauch betont die fehlende Anschlussmöglichkeit individualisierter Glaubenskonzeptionen junger Musliminnen an ›traditionelle‹ muslimische Gruppierungen und Organisationen. In ihrer Studie macht sie auf das ambivalente Verhältnis zwischen Musliminnen und muslimischen Organisationen und Moscheen aufmerksam. Zwar fühlen sich fast alle der Befragten einer islamischen Gemeinde zugehörig, die Arbeit der Moscheen wird aber grundsätzlich kritisiert. Die Frauen fordern, soziale und Bildungsangebote für und von Frauen stärker zu unterstützen (vgl. Stauch 2004: 103). Insgesamt wünschen sie sich mehr Partizipationschancen bezüglich der Führungspositionen in den muslimischen Organisationen, aber auch eine höhere Teilhabe im ›deutschen‹ öffentlichen Leben, denn schließlich wollen die Frauen in beiden ›Gesellschaften‹ – in der muslimischen wie in der deutschen – als gleichberechtigt wahrgenommen werden. Der Islam dient ihnen
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Dies deckt sich mit den Ergebnissen der biographischen Studie von Hildrut Schröter. Auch hier führt der Erfolg der von ihr befragten in Deutschland lebenden Musliminnen im Bildungssystem zu einer selbstbewussten Kritikfähigkeit, im Rahmen derer ›der Islam‹ als ›Orientierungsgröße‹ und ›Kraftquelle‹ eine besondere Rolle einnimmt, gleichwohl religiöse Regeln und Vorschriften von den Frauen der Lebenssituation in Deutschland angepasst beziehungsweise neu interpretiert werden, so dass ›der Islam‹ selbst einem Wandel unterliegt. Die deutsche Aufwachssituation der Frauen hat laut Schröter dazu geführt, dass sich ihre islamische Überzeugung zwar gefestigt haben, sie aber gleichzeitig alte Traditionen kritisch hinterfragen.
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dabei als Mittel zur Bildung einer eigenen positiven Identität wie zur Verteidigung eines individuellen Lebensstils (vgl. Klein-Hessling/ Nökel/Werner 1999). Es sind vor allem die jungen muslimischen Frauen, die – so der Tenor der meisten Studien – in ihrem Lebensstil beides, ›modern-rationale‹ und ›religiöse‹ Werte, verbinden: »Sie sagen ja zur beruflichen Karriere, aber ohne ihre Religion verleugnen zu müssen und sie möchten vor der Heirat sicherstellen, dass der Ehemann im Haushalt mit hilft. Eine Lebensweise, wie sie sie im Elternhaus erlebt haben, lehnen sie ab. Denn sie machen gerade jene Traditionen ihrer Eltern und Großeltern für die Unterdrückung der Frau verantwortlich. Ihr Wissen über den Islam verleiht ihnen eine größere Autorität und Freiraum in ihren Familien und der muslimischen Gemeinde.« (Kök 2009)
Auch wenn viele der neueren Studien die muslimischen Frauen als selbstbewusste und durchaus widerständige Subjekte charakterisieren, die mittels ›Selbstislamisierung‹ eine eigene Anerkennungs- und Identitätspolitik betreiben, bleibt die Netzwerk- und Community-Bildung muslimischer Frauen in den Studien und damit die öffentliche Artikulation ihrer Identitäts- und Geschlechterpolitik wie auch die ›translokalen‹ partizipationsorientierten Formen der Selbstorganisation häufig unberücksichtigt.
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S ELBSTORGANISATIONEN VON F RAUEN IN D EUTSCHLAND
MUSLIMISCHEN
Vor diesem Hintergrund haben wir uns in einem Forschungsprojekt mit der kollektiven Repräsentation muslimischer Frauen in der deutschen Öffentlichkeit beschäftigt, die wir vor allem mit den seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland gegründeten muslimischen Frauennetzwerken und -organisationen identifizieren.9 Bereits in ihren öffent-
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Es wurden in einer ersten Feldphase insgesamt 20 explorative Gespräche und Leitfadeninterviews mit diversen Funktionsträgerinnen der unterschiedlichen Leitungs- und Umsetzungsebenen der einzelnen Netzwerke geführt als auch Organisations-Dokumente inhaltsanalytisch ausgewertet. In einem zweiten Schritt führten wir eine Fragebogenuntersuchung unter den Netzwerkmitgliedern (n=131) zu Mitgliederstruktur, religiöser Einstellung und
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lichen ›Selbstbeschreibungen‹ proklamieren die in der Regel als Vereine institutionalisierten Frauennetzwerke, dem in Medien und Öffentlichkeit viel beschworenen Stereotyp der ›unterdrückten, nicht selbstbestimmten Muslima‹ durch Selbstaufklärung und Empowerment, Öffentlichkeitsarbeit und Solidarisierungen mit anderen Institutionen entgegenzuwirken. Gleichzeitig verstehen sie sich aber auch als neue Organisationsformen im innermuslimischen Kontext, da sie sich von der als androzentrisch wahrgenommenen Struktur muslimischer Verbände und Gemeinden absetzen beziehungsweise dort Veränderungen einleiten wollen. Im Folgenden sollen drei der Selbstorganisationen vorgestellt werden. Das politisch und ethnisch unabhängige Netzwerk »HUDA – Netzwerk für muslimische Frauen e.V.« wurde Mitte der 1990er Jahre (1996) in Bonn gegründet und wird nach wie vor durch ehrenamtliche Arbeit getragen. Am Anfang stand die Idee, eine Plattform für deutschsprechende Musliminnen zu schaffen, auf der unabhängig von den häufig ethnisch geschlossenen Moscheen, in den Worten eines Vorstandmitglieds, »die muslimischen Frauen […] bundesweit miteinander in Austausch kommen [und] Erfahrungen austauschen können.« Daneben macht es sich das Netzwerk zur Aufgabe, den innerislamischen Dialog durch Informations- und Meinungsaustausch zu fördern. Schwerpunkte waren und sind beispielsweise Stellungnahmen zu ausgewählten Koranversen, aktuellen tagespolitischen Ereignissen wie etwa ›islamistischen‹ Terroranschlägen oder auch Meinungen zu Geschlechterfragen, insbesondere zur Frage eines ›frauengerechten Islamverständnisses‹, die in der eigenen Zeitschrift HUDA veröffentlicht werden. Letzteres war auch ein Motiv für die Gründung des Vereins, da es damals aus Sicht des Vereinsvorstands kaum organisierte Frauenvereine in Deutschland gab, die einen ›frauengerechten‹ und offenen Umgang mit dem Islam verfolgten. Auch wollte man dem Vorurteil der unmündigen muslimischen Frau entgegentreten, das in großen Teilen der deutschen Bevölkerung vorherrscht. Nach der anfänglich großen Nachfrage nach der Zeitschrift des Netzwerkes, die eine Auflage von etwa 600 Stück erreichte, hat sich die (aktive) Mitgliederzahl im
Praxis sowie Bewertung islamischer Organisationen wie auch nichtislamischer Institutionen in Deutschland durch; dabei bildet das qualitative Datenmaterial den Kern der folgenden Darstellung.
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Laufe der Jahre kontinuierlich reduziert und umfasst heute nur noch 158 Personen, davon größtenteils Frauen. Auch die Darmstädter Organisation »IMAN – Bildungs- und Freizeitzentrum muslimischer Frauen e.V.« ist politisch wie ethnisch unabhängig und wird durch ehrenamtliches Engagement der Mitglieder getragen. Der eingetragene gemeinnützige Verein wurde im Jahr 2001 gegründet, ist aber aus dem früheren »Deutschsprachigen Islamischen Mädchentreff (DIM)« von 1994 hervorgegangen. Zu Beginn stand die Idee von befreundeten muslimischen Mädchen aus verschiedenen Nationen, die auf der einen Seite Diskriminierungen aufgrund ihres Glaubens ausgesetzt waren, auf der anderen Seite kein adäquates religiöses Angebot in ihrem lokalen Umfeld vorfanden. So ist eines der Hauptziele des Vereins, das Selbstbewusstsein und die Identitäten der muslimischen Frauen zu stärken und sie dahingehend zu befähigen, dass sie ihren Platz in der ›Umma‹ (Gemeinschaft der Gläubigen) selbständig, selbstbewusst und reflektiert einnehmen können. Zweitens möchte das IMAN mit seinen Offerten das Gemeinschaftsgefühl der Muslime über Sprachbarrieren, Altersunterschiede und religiöse Schulen hinweg stärken. Darüber hinaus soll muslimischen Mädchen und Frauen die Möglichkeit geboten werden, sich zu vernetzen und über unterschiedliche Themen auszutauschen. Durch die professionelle Hilfe eines Organisationsberaters – dem Ehemann eines Mitgliedes – hat die Organisation in den letzten Jahren neue effiziente Strukturen entwickelt. Der Verein für muslimische Frauen, Mädchen und Kinder umfasst heute etwa 60 weibliche Mitglieder zwischen 12 und 50 Jahren. Die Zusammenarbeit mit lokalen staatlichen Stellen funktioniert zwar immer besser, dennoch werden die Kooperationsversuche mit anderen Organisationen von den Mitgliedern häufig als mühsam und als ein nach wie vor asymmetrischer Dialog empfunden. Die letzte hier vorgestellte Selbstorganisation muslimischer Frauen, das »Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung e.V. (ZIF)« in Köln, basiert auf einem 1993 gegründeten Gesprächskreis von Theologinnen, Islamwissenschaftlerinnen und Pädagoginnen sowie Studierenden aus diesen Fachrichtungen. Drei Jahre später wurde der Arbeitskreis zu einem eingetragenen gemeinnützigen Verein umgewandelt. Auch er ist nicht Teil eines Dachverbandes und, wie die anderen Netzwerke auch, multireligiös und multiethnisch strukturiert. Begonnen hat es damit, dass ein Großteil der Vorstandsmitglieder neben dem normalen Studium eine islamisch-wissen-
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schaftliche Akademie besuchte, in der theologisch-philosophische Themen mit Fokus auf den Islam behandelt wurden. Auch wenn die philosophisch-wissenschaftliche Vorgehensweise bei den Frauen auf große Resonanz stieß, wurde dennoch kritisiert, dass der GenderAspekt kaum Berücksichtigung fand. »Und daraus hat sich das eigentlich dann so herauskristallisiert, dass wir gesagt haben, gut dann erlernen wir diese Methodik, wir erlernen Möglichkeiten, wie man mit Texten umgeht und werden uns dann mit diesen Frauenthemen beschäftigen«, so ein Mitglied des Vereins. Die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, die rein praktische beziehungsweise finanzielle Motive hatte, führte zu einer Erweiterung des Angebots. Heute kommt es der Gruppe nicht mehr alleine darauf an, wissenschaftlich-theoretische Erkenntnisse in einschlägigen Organen zu veröffentlichen, sondern Frauen auch praktisch darin zu unterstützen, eine eigene weibliche muslimische Identität zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Angebote für Mitglieder und Interessierte offeriert: Einerseits besteht ein (religions-)wissenschaftlicher Anspruch dahingehend, dass der Koran mit Hilfe unterschiedlicher Methoden gender- und frauengerecht interpretiert wird. Andererseits sollen muslimische Frauen und Mädchen zu unterschiedlichen Lebensfragen alltagsnah beraten werden. Die Angebote richten sich aber nicht nur an Musliminnen, sondern auch an Teile der Mehrheitsgesellschaft – was sicherlich auch dem hohen Anteil an ›deutschen‹ Konvertitinnen geschuldet ist. So werden Informationsmaterialien erstellt, zum Beispiel ein Leitfaden für den Dialog zwischen muslimischen Frauen und NichtMusliminnen, der dazu beitragen soll, Vorurteile auf beiden Seiten zu beseitigen (vgl. ZIF 2004). Auch werden interkulturelle Trainings offeriert, um Konflikte innerhalb von Organisationen und Institutionen zu verhindern beziehungsweise zu schlichten. Daneben kommt es zu einem gesellschaftlichen interreligiösen Engagement. Hierfür bestehen lokale (Dialogforum Christentum-Islam), nationale (interreligion(e)s – Forum für interreligiöse Bildung; Zusammenarbeit mit feministischen Zeitschriften) und europaweite (Empowering Women to active European Citizenship) Kooperationen mit anderen, meist Frauengruppen. Die Zusammenschau zeigt, dass es trotz unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzungen Berührungspunkte zwischen den Selbstorganisationen gibt: (1) Die Vereine wurden durch Frauen für Frauen aus verschiedenen Nationen, Ethnien und unterschiedlichen muslimischen Ausrichtungen gegründet. (2) Diese Idee wurde institutionali-
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siert (z.B. eingetragener Verein, Satzung mit Vorstand, Normen und Wertekanon, kollektive Identität)10, wobei die untersuchten Netzwerke nicht Mitglied eines (muslimischen) Dachverbandes sind. (3) Alle Vereine besitzen einen starken Bezug zur Idee eines ›weiblichen Islam‹, auch wenn dieser von den Vereinen unterschiedlich interpretiert wird. (4) Der Vorstand ist weiblich, was darauf zurückzuführen ist, dass (5) Gründungsmotiv und Selbstverständnis unter anderem auf der Kritik an einer androzentrischen Struktur anderer muslimischer Organisationen basieren. (6) Angebote richten sich an muslimische Frauen beziehungsweise Mädchen, die einen starken Bezug zu Deutschland und zur deutschen Sprache besitzen, aber dennoch ihre muslimische Identität nicht aufgeben wollen. (7) Die Vernetzung mit anderen nichtmuslimischen Organisationen (z.B. Frauenbeauftragte, interreligiöse Vereinigungen) wird als wichtig, wenn auch kompliziert und (noch) nicht gleichberechtigt bezeichnet. (8) Ferner setzen alle Vereine auf Medienpräsenz: Während HUDA eine Zeitung publiziert, die mehrmals jährlich erscheint, und das ZIF ein Buch und Broschüren zu verschiedenen religiösen Themen anbietet, beschränkt sich die Medienpräsenz des IMAN hauptsächlich auf die Webseite. Neben den Parallelen zeigen sich aber auch Unterschiede: (1) Auch wenn die Vereine die gleichen Ziele verfolgen, sehen sich das IMAN und ZIF eher als aktive Organisation, die in die Öffentlichkeit treten, indem sie beispielsweise Demonstrationen organisieren oder auch auf Tagungen ihre Botschaften offensiv vertreten. HUDA versteht sich eher als Plattform, auf der verschiedene Standpunkte und Ansichten – hauptsächlich über religiöse Themen – ausgetauscht werden können. (2) Obwohl alle Organisationen den Islam und die Identitätsentwicklung der Muslima in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, zeigen sich auch kleine Differenzen bei der Vermittlung: Während IMAN eher freizeit- und bildungsbezogene Angebote zur ›religiösen Selbstermächtigung‹ macht, verläuft der Zugang zum Islam beim ZIF über wissenschaftliche Methoden der Texthermeneutik, bei HUDA über die Diskussionsforen im Netz und in der ›Hauszeitschrift‹. Sie
10 Unter kollektiver Identität verstehen wir die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beziehungsweise Gemeinschaft, die sich durch eine regelmäßige Interaktion, ein gemeinsames Wir-Gefühl und ein Gruppenziel auszeichnet (in unserem Fall das Ziel eine mündige und selbstbewusste muslimische Frau zu sein).
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verfolgen zwar die gleichen Ziele, bedienen sich aber unterschiedlicher Angebote und haben damit eine Nische gefunden, in der sie nicht in Konkurrenz zueinander stehen. (3) Bezüglich der Vereinszentrale zeigt sich, dass nicht nur die AbonnentInnen, sondern auch die Vorstandsmitglieder von HUDA in ganz Deutschland verteilt sind und auch das Angebot einen starken nationalen beziehungsweise übernationalen Charakter besitzt. Das Kölner ZIF, in dessen näheren Umgebung auch die meisten Vorstandsmitglieder wohnen, hat einen stärker lokalen Bezug. Nichtsdestotrotz besitzt der Verein besonders durch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, durch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Konferenzteilnahmen einen überlokalen Bezug. Die stärkste lokale Beziehung besitzt das IMAN. Hier sind die Angebote und das politische Engagement deutlich auf Darmstadt und seine Umgebung zugeschnitten.
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I NTERESSENARTIKULATION ALS SELBSTBEWUSSTE F RAU GLÄUBIGE M USLIMIN
UND
In allen der von uns untersuchten Selbstorganisationen muslimischer Frauen artikulierten die Mitglieder den Wunsch, als selbstbewusste Frau und als gläubige Muslimin in der Gesellschaft anerkannt zu werden, oder in den Worten eines Vorstandsmitglieds der HUDA: »Am Anfang ging es mehr um muslimische Frauen, wie kann man religiös hier in dieser Gesellschaft leben? Und um, ich sage es ganz banal, nicht ganz unterzugehen. Religiös sein, aber auch ein Teil dieser Gesellschaft sein. Das waren sehr stark die anfänglichen Fragen.« Viele der von uns befragten Frauen gaben an, dass das Bild des Islam in der Öffentlichkeit zu negativ dargestellt würde, weil es, so eine Interviewpartnerin, mittlerweile »in den Köpfen der Menschen fest verankert ist, dass der Islam frauenfeindlich sei«. Das Problem der verzerrten und undifferenzierten stereotypen Fremddarstellung identifizierten die Frauen nicht nur auf Seiten der deutschen Berichterstattung, sondern auch auf Seiten der Personen in der Öffentlichkeit, die die (muslimischen) Migrantinnen in Deutschland repräsentieren. Einige verwiesen etwa auf ›berühmte‹ Migrantinnen, wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali oder Seyran Ates, die in den vergangenen Jahren durch ihre Bücher und die darin enthaltene, als einseitig empfundene, Kritik am Islam in der Öffentlichkeit für Aufse-
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hen gesorgt haben.11 Neben der grundsätzlichen Kritik an der Tatsache, dass einige wenige Frauen für eine große, weit gefächerte ›muslimische Community‹ sprächen, übten die Vertreterinnen der Organisationen vor allem Kritik an der vermeintlich theologischen Diskussion um die Interpretation des Korans im Hinblick auf brisante Themen wie ›körperliche Züchtigung‹ oder ›Zwangsehe‹. Hier sollten weniger Orient- oder IslamforscherInnen denn Gelehrte befragt werden, die in ihren Augen mit der Auslegung theologischer Schriften besser vertraut seien. Obwohl Moscheen oder etablierte muslimische Verbände aus Sicht der von uns befragten Frauen nach wie vor zentrale Orte der Integration von MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft darstellen, da es auf staatlicher Seite an geeigneten Institutionen mangele, fehle es auch hier an AnsprechpartnerInnen in religiösen Fragen. Dies hat einerseits inhaltliche, andererseits strukturelle Gründe. Letztere drücken sich etwa darin aus, dass, so die Meinung eines Mitglieds, »die wirklichen Verhältnisse der Macht immer noch ausschließlich in den Händen der Männer sind«,12 und so der Zugang zu religiösen Texten nur in einem von »männlichen Gelehrten vorgesteckten Rahmen« möglich sei. Inhaltlich kritisieren die befragten Frauen, dass in vielen Moscheen Religion und Tradition vermischt werden. Es werde versucht, traditionelle Geschlechterrollen, Verbote oder Reglementierungen mit religiösen Glaubenssätzen zu erklären, wie uns eine junge Muslima aus Darmstadt verdeutlicht: »In den Moscheen erlebe ich, dass das Traditionelle mit dem Islam verwechselt wird und versucht wird, in Einklang zu bringen.« Auch wenn sich die Selbstorganisationen selbst nicht unbedingt als progressiv bezeichnen würden, vertreten die Frauen doch feministische Werte, die in Teilen der muslimischen Gemeinde, besonders bei den ›orthodoxen‹ Muslimen, als ›Häresie‹ bezeichnet werden. Dieser Vorwurf erhärtet sich zusätzlich dadurch, dass der Islam in den Augen der
11 Das hat unter anderem zur Petition gegen die deutsche Islamberichterstattung von Seiten zahlreicher MigrationsforscherInnen Anfang 2006 geführt. 12 Die Frauen bezeichnen das Problem des Ausschlusses der Frauen von Verkündigungsämtern als »Machtspiel«. Daran würden auch die neu geschaffenen »Frauenbeauftragten« in den muslimischen (Groß-) Organisationen und Verbänden nichts ändern, da man mit ihnen, sobald es um Hermeneutik ginge, »nicht wirklich substanziell arbeiten« könne, da sie immer »im Rahmen bleiben müssen«.
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Frauen kein reines ›Verkündigungswissen‹, sondern vor allem eine ›praktizierte Lebensweise‹ darstellt und der religiöse (Wissens-) Monopolanspruch von Moscheen, Imamen oder anderen männlichen Gelehrten damit in Frage gestellt wird. Doch genau um dieses ›InFrage-Stellen-Dürfen‹ von religiösen Ämtern, Wahrheiten und Praktiken geht es den Frauen, denn für viele stellt der Glauben der älteren Generation keine echte Alternative dar – sie kommen, wie es beispielsweise ein Vorstandsmitglied des ZIF einschätzt, »mit den Traditionen der Eltern nicht klar«, möchten sich aber auf der anderen Seite nicht vom Islam abwenden und »von der (christlichen) Kultur der Aufnahmegesellschaft assimilieren lassen«. Sie suchen ›einen dritten Weg‹, der zunächst einmal mit Zweifeln und Fragen verbunden ist. Eine Antwort auf diese Fragen sehen viele Frauen in einem eigenen Zugang zum Islam, etwa über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Koran im Rahmen hermeneutischer Lesezirkel. Sie betrachten die Schriften im Gegensatz zu der »konservativen Szene« nicht als »unantastbares Heiligtum«, sondern als »Diskussionsgrundlage« für teilweise ganz alltagspraktische Probleme. So erklärten uns eine Reihe der ZIF-Mitglieder, dass die Suren13 von den meisten Gelehrten dogmatisch interpretiert würden, um muslimische Frauen zu marginalisieren. Um dem entgegenzutreten, würden sie religiöse Schriften, speziell den Koran, mit Hilfe der Hermeneutik situationsbezogen auslegen. Beispielsweise wurden schon unterschiedliche Broschüren und Bücher veröffentlicht, die sich mit der Sure 4 Vers 34 befassen, der für viele Gelehrte die Begründung für die Züchtigung der Frau durch den Mann beinhalte (vgl. ZIF 2005a). Es werden aber auch allgemeine Themen und Fragen, etwa zum ›Islam und Medien‹ oder zur ›Gewalt gegen Frauen‹, wissenschaftlich ausgearbeitet (vgl. ZIF 2005b). Unabhängig von der inhaltlichen Diskussion ist den Frauen wichtig, dass der Islam etwas ist, das nicht mit einem ›Ein-für-allemal-festgeschriebenen-Text‹, einer ›unantastbaren Wahrheit‹ gleichzusetzen ist; der Islam ist für sie eher eine Lebensweise, die je nach Kontext variieren kann, vor allem aber interpretiert werden muss. Aber genau in diesem Punkt würden sich die Lager der MuslimInnen unterscheiden: in eine große traditionelle Gruppe, »die das natürlich sakralisieren und damit sozusagen auch die Zeit einfrieren und die andere Gruppe, zu der wir uns [die muslimischen Frauenvereine] zählen«.
13 Unter Sure versteht man ein in Versform verfasstes Kapitel des Korans.
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G LOBALER ISLAMISCHER F EMINISMUS ?
Dass solche innermuslimischen Abgrenzungsbemühungen in Form von unabhängigen Selbstorganisationen muslimischer Frauen kein auf Deutschland begrenztes Phänomen sind, zeigen die Beispiele aus aller Welt: Bewegungen wie die ›Sisters of Islam‹ in Malaysia oder die indonesische Frauenorganisation ›Rahima‹ ringen schon seit geraumer Zeit um mehr Rechte für Frauen ›im Namen Allahs‹ (vgl. Geertz 1991).14 Cooke u.a. bezeichnen diese neue Form des (selbst organisierten) religiösen Engagements von Musliminnen als ›islamic feminism‹, ein Label, »that brings together two epithets whose juxtaposition describes the emergence of a new, complex self-positioning that celebrates multiple belongings. To call oneself an Islamic feminist is not to describe a fixed identity but to create a new, contingent subject position.« (Cooke 2001: 59f.) Auch wenn Cooke ihre Aussagen auf Beobachtungen in muslimischen Staaten wie beispielsweise Malaysia, Indonesien oder Ägypten bezieht, werden auch in den Selbstorganisationen muslimischer Frauen in Deutschland Glaubensschriften als Argumentationsgrundlage für die eigene Interessenartikulation und Emanzipation herangezogen – und damit der scheinbare Widerspruch zwischen explizit ›religiösen‹ und ›modernen‹ Identitätspolitiken aufgehoben. Badran geht sogar davon aus, dass der islamische Feminismus die Trennlinie zwischen West und Ost auflöse. Sie hofft, dass er besonders muslimischen Frauen in der Diaspora helfen kann, Partialismus und Islam zu entwirren: »[I]t gives them Islamic ways of understanding gender equality, societal opportunity, and their own potential.« (Badran 2006) Für andere hingegen erscheint der westliche Feminismus mit dem muslimischen Feminismus aufgrund interkultureller Unterschiede inkompatibel, eben weil die Ziele von Frauen in der westlichen, christlichen Welt andere
14 Beispielsweise kämpften die ›Sisters of Islam‹ gegen die Scheidung per SMS. Ein Sharia-Gericht bewertet drei SMS eines Muslim auf das Handy seiner Frau als ausreichend, um eine Trennung vollziehen zu können. Die Frauenrechtlerinnen kritisieren hier eine Ungleichbehandlung, die durch muslimische Oberhäupter gestützt wird. Männer wird es ihrer Meinung nach in Malaysia leichter gemacht, sich von ihrer Frau zu trennen, während Frauen dieser Schritt von den Richtern erschwert wird.
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sind und in diesen Ländern andere kulturelle und politische Voraussetzungen vorliegen (vgl. Hassan 2002). Betrachtet man die Selbstorganisationen muslimischer Migrantinnen in einem internationalen Kontext, ließe sich schlussfolgern, dass es eine globale muslimische Frauenbewegung gibt, in der Frauen Religion als Kapital für ihre Identitätsbildung auch gegen Widerstand zu ihren Gunsten nutzen (vgl. Klein-Hessling 2000: 259f.). Nichtsdestotrotz gibt es innerhalb des islamischen Feminismus keine kohärente und leicht identifizierbare Ideologie. Vielmehr existiert eine Vielzahl von muslimischen Feministinnen beziehungsweise Bewegungen, die, bedingt durch die landes- und kulturspezifischen Repressalien, unterschiedliche Strategien zur Entschärfung von Ungerechtigkeit entwickelt haben, die sich zum Teil vom westlichen Weg unterschieden beziehungsweise immer noch unterscheiden (vgl. Moghissi 2002). Feminismus ist heute sicherlich Teil eines globalen Referenzsystems, ein gemeinsames Forum, über das sich Frauen – in bewusster wie unbewusster Weise – zueinander in Beziehung setzen, Allianzen bilden und ihr Leben verändern. Aber das globale Konzept Feminismus wird auch für die Bestätigung der eigenen, lokalen Lebensentwürfe herangezogen – und befördert so immer auch eine Ausdifferenzierung der Lebenswelten (vgl. Breidenbach/Zukrigl 2000: 217ff.) – nicht zuletzt in solchen Staaten ohne ›offizielle‹ Frauenbewegung. Hierin liegt sicherlich ein Untersuchungsfeld zukünftiger Bewegungsforschung, die sich, besonders im Bereich der Frauenbewegungen, bislang zu stark auf den ›Okzident‹ konzentriert hat, obwohl sich bereits im frühen 20. Jahrhundert Frauenbewegungen im ›Orient‹ herausgebildet haben (vgl. Badran 1996).15 Immer schon nahmen muslimische Frauenbewegungen, die sich auf Religion als ›einflussreiche Quelle für Identität‹ und damit auch als Quelle des Widerstands beriefen, eine besondere Rolle ein und fungieren nach wie vor als Vorbild für viele der jüngeren Frauenrechtlerinnen (vgl. Rosen 1998; Berktay 2001). Heutige Bewegungen profitieren lediglich mehr von der Nutzung neuer Kommunikations- und Informationsmedien sowie von Migrationsbewegungen, die es erlauben, sich rund um den Erdball zu vernetzen und auszutauschen (vgl. Kreile 2003). Damit ist der Widerstand gegen patriarchalische Strukturen nicht mehr ein lokal begrenzter Kampf einzelner, sondern
15 Hierbei waren auch Frauen in muslimisch geprägten Ländern beteiligt – insbesondere Ägypten zählte hier als Vorreiter.
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global und durch vielfältige Einflüsse – auch anderer sozialer Bewegungen – geprägt. Gleichzeitig fließen neue Ideen durch den Austausch in die verschiedenen Regionen zurück, mit durchaus widersprüchlichen ›Erfolgen‹, wie uns die Beispiele aus dem bundesdeutschen Alltag zeigen: Muslimas, die versuchen, das traditionelle Frauenbild der Hausfrau und Mutter aufzuwerten, aber verschleiert in den öffentlichen Raum eintreten, dies mitunter losgelöst von Traditionen und als berufstätige, gut gebildete und selbstbewusste Frau tun. Sie lockern damit traditionelle Geschlechtermuster auf, schützen sie aber gleichzeitig mit der Einhaltung religiöser Normen. Diesen vermeintlichen Widerspruch nicht nur zu erkennen, sondern auch anzuerkennen, bleibt eine Forderung für die zukünftige Islamforschung und -berichterstattung.
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Gender Studies Kerstin Bronner Grenzenlos normal? Aushandlungen von Gender aus handlungspraktischer und biografischer Perspektive
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Andreas Heilmann Normalität auf Bewährung Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit
Uta Schirmer Geschlecht anders gestalten Drag Kinging, geschlechtliche Selbstverhältnisse und Wirklichkeiten
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