Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi: Studien zur christologischen Problematik der historischen Jesusfrage 9783666562211, 9783525562215


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Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi: Studien zur christologischen Problematik der historischen Jesusfrage
 9783666562211, 9783525562215

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Reinhard Slenczka Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi

REINHARD SLENCZKA

Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi Studien zur christologischen Problematik der historischen Jesusfrage

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink

Band 18

©

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1967. Printed in Germany.

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Budi oder Teile daraus auf foto- oder akustomedianisdiem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: H . Hagedorn, Berlin 8684

Vorwort In den letzten Jahren ist die in dieser Arbeit behandelte Problematik zu einem Tagesgespräch geworden, an dem sich über Kirche und Theologie hinaus weite Kreise beteiligen, wo aber auch die Ansichten heftig und gelegentlich unversöhnlich aufeinandertreffen. Uber das Interesse an der Sadie selbst kann man sich im Sinne von Phil. 1,12 ff nur freuen, ganz gleich, ob es um Sensation, Streit oder Wahrheit geht. Doch man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß der historischen Jesusfrage seit jeher eine Unausweichlichkeit wie auch eine gewisse Vergeblichkeit anhaften, wobei sich die Argumente und Standpunkte mit oft nur geringfügigen Änderungen wiederholen. Es brechen Gegensätze auf, die im Grunde keine echten Alternativen enthalten, sondern sich eher in einer permanenten Dialektik fortsetzen. Vorherrschend ist in einer Fülle weitgestreuter Beiträge das Aphoristische, und eine systematische Zusammenfassung trifft daher auf große Schwierigkeiten. Das eigentliche Problem zeigt sich nicht so sehr im einzelnen Entwurf oder in einer bestimmten Konzeption, sondern eher im Verlauf der Diskussion. Dabei mag es durchaus im Wesen der Sache liegen, wenn die Christologie weniger als geschlossenes Lehrsystem von Christi Person und Werk erscheint, sondern mehr als ein Reden von Christus, ein Fragen nach ihm, eine Besinnung auf den Grund und die Möglichkeit der Verkündigung. Unter formalen Gesichtspunkten ist die historische Jesusfrage gekennzeichnet von der Spannung zwischen historischem Verstehen und Glauben; sie ist zugleich ein historisches und ein hermeneutisches Problem. Diese Spannung kann jedoch niemals vermittelt oder aufgehoben werden, und darin liegt der Zirkel, in dem sich die historische Jesusfrage bewegt. Christologie ist aber nun nicht nur auf die historischen Phänomene und den gegenwärtigen Vollzug des Glaubens gerichtet, sondern vor allem auf das vorgegebene Personsein Jesu Christi. Solange die historische Jesusfrage als Substitution der dogmatischen Christologie bzw. des christologischen Dogmas aufgefaßt wird, erscheinen Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi als unvereinbare Gegensätze, die nur durch sekundäre Hilfskonstruktionen vermittelt werden können. Das Ziel dieser Studien ist eine Bestandsaufnahme in dogmatisch-kritischer Würdigung. Es ist der Versuch, die positiven und negativen Ergebnisse der historischen Jesusfrage für die dogmatische Christologie und im 5

Zusammenhang mit ihr zu erschließen. Es ist schließlich eine notwendige Vorarbeit für die im Ergebnis skizzierte Aufgabe, die Christologie nicht nur als historiographisches oder hermeneutisches Problem zu betreiben, sondern unter der Vorgegebenheit des Personseins Jesu Christi. Dies liegt zwar nicht unmittelbar auf der Linie der vorherrschenden und letztlich unbefriedigenden Diskussion um die Legitimität und Illegitimität der historischen Methode in der Theologie, aber es dürfte doch ein Problem sein, das sowohl von der Sache wie auch vom Gang der Diskussion her gestellt wird. Mein aufrichtiger Dank gilt der Heidelberger Theologischen Fakultät, die im Februar 1966 diese Arbeit als Habilitationsschrift angenommen hat, vor allem aber auch meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor D. Dr. E. Sdilink D. D., als dessen Assistent ich ständige Anregung und Förderung, nicht zuletzt aber auch Freiheit und Ruhe bei meinen Studien genossen habe. Heidelberg, Ostern 1967.

6

R. S.

Inhalt 5

Vorwort 1. Kapitel:

Einleitung

15

A) Der Ausgangspunkt

15

B) Die Umgrenzung der Aufgabe Das Personverständnis (17) — Die dogmatische Relevanz der historischen Jesusfrage (18) — Sachliche Abgrenzung (20) — Zeitliche Abgrenzung (21).

17

C) Einige Voraussetzungen Die Bezeichnung »historische Jesusfrage" (22) „Leben Jesu" und „historischer Jesus" (22) — Die historische Jesusfrage als Teil der Christusfrage (23).

22

TEIL I : SYSTEMATISCHE ANALYSE DER HISTORISCHEN JESUSFORSCHUNG

2. Kapitel: Zur theologiegescbichtlichen Darstellung der „Leben-Jesu-Forschung"

25

A) Albert Schweitzers „Geschichte der Leben-Jesu-Forsdiung" Die Abgrenzung der „Leben-Jesu-Forschung" (26) — Die Thesen A. Schweitzers: 1. Die Substitution des christologischen Dogmas (27) — 2. Die konsequente Eschatologie (29) — 3. Das negative Ergebnis der „LebenJesu-Forsdiung" (30) — Die theologischen Konsequenzen (32).

26

B) Die Anfänge der historischen Jesusfrage

33

1. Die rationale Kritik Das Unhistorische in der historischen Kritik (34) — Vernunftgemäßheit und Gegenwartsbedeutung (35).

34

2. Die Indifferenz gegenüber dem Historischen in der rationalen Kritik Die Zuordnung von Denken und Sein (37) — Der Primat des Denkens vor dem Sein bei Lessing (38) — Die Zufälligkeit der Geschichtswahrheiten 39 — Der Vernunftglaube bei Kant (40) — Die Auflösung des Historischen in die moralische Funktion (42).

37

3. Die Vermittlung zwischen Rationalismus und Idealismus Die Aufwertung des Historischen in der Korrelation von Wirkung und Ursadie bei Schleiermacher und K. Hase (44).

44

C) Die historische Jesusfrage bei D. F. Strauß 1. Die Ergebnisse der historischen Kritik Die Auflösung der Lebensgeschichte Jesu als Geschichte (49) — Jesu Selbstbewußtsein und die Messias-Idee (51).

46 49

7

2. Der Mythusbegriff Der Einfluß Hegels (52) — Der Vermittlungsprozeß (53) — Mythus und Idee (54) — Die Auflösung des Historischen im Mythusbegriff (55).

52

3. Die Person Jesu Die Bedeutung und Bestimmung des Entwicklungsgedankens (57) — Individuum und Idee (58) — Die Auflösung des Personseins Jesu Christi (59) — Die Person als subjektiver Grund (60).

56

3. Kapitel: A)

B)

Die theologische

Funktion

der historischen

Jesusfrage

Die Quellenkritik

64

1. Die Traditionshypothese Der Verzicht auf die historische Rückfrage und das systematische Interesse am Traditionsprozeß (65) — Strauß als Vertreter der Traditionshypothese (66) — Die Auflösung der geschichtlichen Existenz in subjektive Vorstellungen bei Bruno Bauer (68).

65

2. Die Urevangeliumshypothese Die Frage nach dem Quellenwert und dem Ursprung (69) — Die Kritik an Strauß in der Urmarkushypothese bei Chr. H. Weiße (70).

69

3. Die formgeschichtliche Hypothese Die kritische Modifikation der Urmarkushypothese bei W. Wrede und K . L. Schmidt (72) — Das Problem der formbildenden Faktoren (73) — Die Nähe zu Strauß in der Formalisierung des Traditionsprinzips (74) — Soziologisdi-literarische oder theologisch-christologische Bestimmung des Traditionsprinzips? (76).

71

Die historische und theologische Beurteilung der Person Jesu

78

1. Idee und Individuum Historische Möglichkeit und theologische Notwendigkeit in der historischen Jesusfrage (80) — Idealismus und Positivismus (81) — Die Auseinandersetzung mit D. F. Strauß (82).

80

2. Das „Charakterbild" Jesu Der Begriff des Bildes gegenüber der Idee (85) — Das Bild als Wirkung und Vermittlung geschichtlicher Individualität bei Chr. H. Weiße (86) — Die Kategorie des Ästhetischen (89) — Das Problem der Personalität (90).

84

3. Das Selbstbewußtsein Jesu Selbstbewußtsein und messianisches Bewußtsein (92) — Das zwiefache Interesse am Selbstbewußtsein Jesu (93).

91

1. Die Frage des Selbstbewußtseins Jesu bei W. Baldensperger, J . Weiß und A. Schweitzer (95) — Die Ablehnung der messianischen Akkommodation- bzw. Adaptationstheorie (96) — Die Bedeutung von Eschatologie und Apokalyptik (97) — Die Prolepse (97) — Die Parusieverzögerung (98) — Ergebnis (98). 2. W. Wrede und das Messiasgeheimnis (99) — Das Auseinandertreten von Geschichte und Glauben (100) — Analytische und synthetische Betrachtungsweise (101). 3. R. Bultmann und seine Schule (102)

8

62

a) Die Position R. Bultmanns (105) — Die Fortführung der These vom Messiasgeheimnis (105) — Die Kritik an der historischen Jesusforschung (105) — Die Verbindung von historischem und theologischem Urteil (106) — Implizite und explizite Christologie (107) — Ergebnis (108). b) Kritische Einwände gegen Bultmann (108) — Der Einwand Schniewinds (108) — Die Modifikation der These vom Messiasgeheimnis (110) — Die Zuordnung von historischem Jesus und kerygmatischem Christus bei den Schülern Bultmanns (111) — Implizite und explizite Christologie (112) — Vollmachtsanspruch, Prolepse, Verifikation, Antizipation (113) — Das christologisdie Interesse an der Person (116). C) Die Kritik am christologischen Dogma

118

1. Das formale Verständnis des Dogmas 119 Dogma und historische Forschung als Alternative (119) — Harmonisierungsversuche (120) — Ansätze zur Neubesinnung (121). 2. Die Aporien der Zweinaturenlehre 121 Verzicht auf eine Lehre von der Person Jesu Christi (122) — Das Problem der hypostatischen Union bei Strauß (122) — Das geschichtliche Persönlichkeitsverständnis (124). 3. D i e Beurteilung der kirchlichen Lehrentwiddung 125 Historische Jesusforschung als Dogmeninterpretation (125) — Die Unausweichlichkeit der diristologisdien Fragestellung (125).

4. Kapitel:

Die dogmatische

Problematik

der historischen

A) D i e Motive der historischen Jesusfrage

Jesusfrage

....

127 128

1. Die historische Motivation 130 Der „historische Jesus" (130) — Das Problem der Kontinuität (132) — Die Deutung des „initium christianismi" (133). 2. D i e christologische Motivation 134 Der Bezug auf die Person Jesu (134) — Das Interesse an der Menschheit und Geschichtlichkeit Jesu (135) — Das christologische Interesse (135). 3. Die hermeneutisch-apologetische Motivation 135 Die Aufgabe der Vergegenwärtigung (136) — Die Vielfalt der Motive (136). B) Die Antagonismen der historischen Jesusfrage

137

1. Der Begriff des historischen Jesus 138 Die Vielzahl der Deutungsmöglichkeiten (138) — Das Historische als bloße Kontingenz (139) — Das Historische als Erkennbarkeit, Erfahrbarkeit und Anschaulichkeit (140) — Die Kritik M. Kählers (141) — Die Krise des Historismus (E. Troeltsdi) (142) — Historie und Geschichte (G. Wobbermin) (143) — Das theologische Problem des Historischen (R. Bultmann) (144) — Das Skandalon der Person Jesu (J. Schniewind) (145) — Die „neue" Frage nach dem historischen Jesus (146) — Der irdische und der historische Jesus (H. Diem) (147) — E. Käsemann (148). 2. D i e Bedeutung der Antagonismen 150 Die Antagonismen schließen eine Alternative aus (150) — Die Eigenart der Antagonismen (151) — Die Auflösung der Antagonismen bei D. F. Strauß (151) — Der historische Positivismus (152) — M. Kähler (153) — Das Problem des Personalismus in der neueren Debatte (154).

9

3. Der Sinn der historischen Jesusfrage 156 Ergebnisse (156) — Die negative und die positive Funktion der historischen Jesusfrage (157) — Die Motive (157) — Der Inhalt des Begriffs „historischer Jesus" (158) — Die Antagonismen: Möglichkeiten der Zuordnung (159) — Das religiöse Apriori und der Primat des Personseins (160). C)

Die Grenzen der historischen Jesusfrage

162

1. Das Schriftproblem Das Problem der Authentie (163) : — Faktizität und Kontinuität (164) — Historie und Kerygma (165) — Die Aporie (166).

163

2. Das Problem der Auferstehung 166 Drei Ansätze: 1. Die Deutung des Faktischen (167) — 2. Die negative und die positive Funktion der historischen Jesusfrage für die Auferstehung (168) — 3. Das Urdatum der Christologie und das Problem der Kontinuität (170) 3. Das Problem der Soteriologie Person und Heilsgeschehen (173) — Das soteriologisdie Interesse an dem Personsein (174) — Das Problem der Externität (175).

173

T E I L I I : D I E HISTORISCHE JESUSFRAGE IM DOGMATISCHEN SYSTEM

5. Kapitel:

....

176

A)

Historische Kritik und dogmatisches System Die historische Skepsis (177) — Die christologisdie Notwendigkeit der historischen Jesusfrage (179) — Die problematische Alternative zwischen historischer und dogmatischer Betrachtungsweise (180).

176

B)

Zur Geschichte der neueren Christologie

182

1. Der christologisdie Konsensus

182

2. Der Entwicklungsgedanke Der Einfluß Hegels und die Tübinger Schule (184) — Die problematischen Konsequenzen (185) — Versuche der Oberwindung (186).

184

3. Der Christozentrismus Anthropozentrismus und Christozentrismus (187) — Vermittlungsversuche zwischen Historie und Dogma (188).

187

Die christologisdie Problematik

189

1. Die Auswahl der Probleme Der Antagonismus von Individualität und Idee (190) — Die Diskrepanz zur traditionellen christologisdien Terminologie (190) — Christologie und Soteriologie (191).

189

2. Die Lösungsversuche im Grundriß Die Kenosis-Lehre (192) — Schleiermadier und seine Auswirkung auf Strauß und A. Schweizer (194).

192

3. Abgrenzung

195

C)

10

Historische

Jesusforschung

und dogmatische

Christologie

6. Kapitel:

Geschichtlichkeit

Die historische Jesusfrage A)

und Urbildlichkeit



in der Christologie

Schleiermachers

197

Die Funktion der historischen Jesusfrage im System

198

1. Die Charakteristik der historischen Jesusfrage Die Vorlesungen über das Leben Jesu (200) — Der diristologisdie Ansatz (200) — Historische Kritik und christlicher Glaube (202) — Die Ablehnung des Rationalismus (202) — Ergebnis (203).

199

2. Die positive Religion 203 Der Primat des Empirischen (204) — Urtatsache und Fundamentalanschauung (206) — Die Wirkung auf das Selbstbewußtsein (207) — Kausalität und Person (208). 3. Der Christozentrismus Das Problem der Objektivation Erlösungswirkung (210). B)

C)



Historisches

Faktum

und

209

Die Person Jesu Christa

210

1. Individuum und Urbild Ursache und Wirkung als Grundprinzip (211) — Der Begriff des Urbildes (212) — Das „Sein Gottes i n . . ( 2 1 3 ) .

211

2. Christologie und Soteriologie Idee und Geschichtswirkung (214) — Auflösung des Personseins? (216).

214

3. Die Kritik des diristologischen Dogmas Das diristologisdie Formalprinzip der Dogmenkritik (217) — Die Durchführung (218) — Ablehnung der Zweinaturenlehre, Transposition der „unio hypostatica" (219).

217

Ergebnis 220 Schwierigkeiten der Beurteilung (220) — Die Problematik im Personverständnis (221) — Auflösung der Personalität in die Kausalität (222).

7. Kapitel: A)

(209)

Christusprinzip

und Christusperson

224

„Die christologische Frage der Gegenwart". H . Schultz — I. A . Dorner

225

I. Der Ausgangspunkt 226 Die Zuordnung von Individuum und Idee bei A. Schweizer und A. E. Biedermann (227) — I. A. Dorner: das Zentralindividuum (227) — H. Schultz: der Primat der Glaubenserfahrung (229). 2. Der Kontroverspunkt 230 H. Schultz: „Die Lehre von Jesus als dem Christus" (230) — Die Unvereinbarkeit von geschichtlichen Ereignissen und Glauben (231) — I. A. Dorner: die konstitutive Bedeutung des Historischen (233) — Das christologische Problem (234). 3. Das Ergebnis 235 Bei H. Schultz: Schwerpunkt auf der Relation von Wirkung und Ursache (235) — Bei Dorner: die gottmenschliche Person und ihr Werden (235) — Kausalität und Personalität (236).

11

B)

Die Person Jesu Christi als dogmatischer Erkenntnisgrund. — A. Ritsdil

236

1. Der christozentrische Ansatz 23 & Person statt Prinzip (238) — Das „pro me" (239) — Die Konzentration auf die gegenwärtige Heilswirklichkeit (239). 2. Die christologisdien Prinzipien 240' Die Ablehnung der Metaphysik (240) — Die Kritik der „Leben-JesuForschung" (241) — Das Werturteil (243) — Das Prinzip der Korrelation (245).

C)

3. Persönlichkeit und Gottheit Jesu Christi Der Begriff der Persönlichkeit in der Gotteslehre (246) — Offenbare und ewige Gottheit (247) — Christi Person als dogmatisches Erkenntnisprinzip (248) — Aufnahme und Umbildung der Lehren vom dreifachen Amt und den zwei Ständen (250).

245

Das ¿Histologische Problem im 19. Jahrhundert

252

1. Das Urdatum der Christologie Die Bestimmung bei Schleiermacher, Ritsdll und Dorner (253).

253

2. Wirkung und Glaube Der Primat des Noetischen im Verständnis des Glaubens (254) — Die besondere Funktion der Soteriologie und der Ekklesiologie (256).

254

3. Die geschichtliche Person Jesu Christi 257 Das Verhältnis von Glauben und Historischem im Verständnis der Person (257) — Die geschichtliche Person Jesu als Kriterium der Christologie (258) — Die Aporien im Personverständnis (258).

8. Kapitel: Wilhelm

Der geschichtliche Jesus und der verkündigte

Herrmann

Christus

— Martin Kahler

A ) Die Problemstellung

259 261

1. Die Ansatzpunkte 262 Herrmanns Ansatz bei der irdisch-geschichtlichen Existenz Jesu (262) — Kählers Ansatz bei dem biblischen Christus der apostolischen Verkündigung (263).

B)

2. Die Aporien der Ritschlschen Christologie Das Problem der Auferstehung: Th. Haering und J . Kaftan (263) — Die Fortführung des Ritschlschen Ansatzes durch M. Reischle und W. Herrmann (264) — Herrmanns Kritik an dem Schriftprinzip Ritschis (265) — Grund und Inhalt, Entstehen und Bestehen des Glaubens (266).

263

3. Die Grundlagen der Christologie M. Kählers Der Rechtfertigungsglaube (268) — Die Situation des Christen (269) — Der Christozentrismus (271).

268

Die Person Jesu Christi

271

1. Das innere Leben Jesu als Grund des Glaubens 272 Analogieprinzip und Erlösungsbedürfnis (273) — Das Faktum als gegenwärtige Erfahrung personaler Begegnung (274) — Die Funktion der Zweiständelehre (275) — Der Verzicht auf das „Werturteil" (276) — Die personale Begegnung als Postulat der Christologie (276) — Grund und Inhalt des Glaubens im Verständnis der Person Jesu Christi (278) — Ergebnis (280).

12

2. Der geschichtliche biblische Christus 281 Kählers Kritik an der historischen Jesusforschung (282) — Grenze und Möglichkeit der historischen Rückfrage (283) — Das Kerygma (284) — Das Schriftprinzip (284) — Die Auferstehung (285) — Die christologische Bedeutung des „Ubergeschichtlichen" (287) — Die Einheit der Person (288) — Christologie als Soterologie (288). 3. Die diristologisdie Differenz 290 Lokalisierung der Differenz (290) — Die Differenz in der Christologie (291) — Die gemeinsame Front gegen die idealistische Auflösung der Individualität (292) — Das unterschiedliche Personverständnis (293) — Ergebnis (295). C)

Systematische Zusammenfassung

296

1. Die Ansatzpunkte der historischen Jesusfrage im dogmatischen System Das christologische Motiv (296) — Das hermeneutische Motiv (297).

296

2. Die inhaltliche Bestimmung der geschichtlichen Person Jesu Christi 2 9 7 Die anthropologischen Postulate des Menschseins und der Verstehensfrage (297) — Person als geschichtliche Existenz, Wirkung und gegenwärtige Begegnung (298). 3. Das diristologisdie Problem Anthropozentrische Reduktion der Christologie? (299) — Menschheit und Geschichtlichkeit Jesu Christi (300) — Die Modifikationen der traditionellen Christologie (300) — Kausalität und Personalität (301).

299

SCHLUSSTEIL 9. Kapitel: A)

Die christologische

Problematik

der historischen

Jesusfrage

..

Die Ansatzpunkte des diristologischen Problems

303 305

1. Rückblick 305 Historische Möglichkeit und theologische Notwendigkeit der historischen Jesusfrage (305) — Die Antagonismen (306) — Die drei Motive (308). 2. Der diristologisdie Ansatz 309 Die Christologie »von unten" (310) — Die Christologie „von oben" (312) — Die christologische Differenz (313).

B)

3. Das „Urdatum" der Christologie Das Selbstbewußtsein Jesu (315) — Die Auferstehung (317) — Das nachösterliche Kerygma (320).

315

Die Person Jesu Christi

322

1. Das Personproblem Das überwiegende noetisdie Interesse (322) — Die bleibende und konstitutive Bedeutung der Person Jesu Christi (323) — Drei Arten des Personverständnisses (324).

322

2. Zum neutestamentlichen Sachverhalt 326 Die personale Kontinuität und. Identität im neutestamentlichen Kerygma (326) — Verkündiger und Verkündigter (327) — Die Kategorie der Personalität bei E. Käsemann (328) — Die Person als Inhalt der Verkündigung und Auftrag zur Verkündigung (329) — Die Evangelien (330) — Paulus (331) — Zusammenfassung (333).

13

3. Konsequenzen Die Person als Objekt und als handelndes, bestimmendes Subjekt (334) — Die Aporie in der personalen Kontinuität (335) — Objektivierende Methoden (336). C) D i e diristologische Problematik

334

336

1. Einheit und Vielfalt der Christologie 337 Kontinuität und Diskontinuität unter dem Gesichtspunkt des Personseins (338) — Die Grundentsdieidung in der Auferstehungsfrage (339) — Die Einheit der Person in der Vielfalt und Entwicklung der Christologie (340). 2. Sein und Werden 342 Historisches und Dogmatisches, Geschichte und Metaphysik (342) — Die Ablösung der „statischen" Zweinaturenlehre durch die „dynamische" Zweiständelehre (343) — Das Personproblem in der „alten" und in der „neuen" Frage nach dem historischen Jesus (345). 3., D o g m a und Bekenntnis 347 Das Personproblem in der Dialektik der historischen Jesusfrage (347) — Vere deus — vere homo (348) — Das hermeneutische Problem und seine Grenze (350) — Das Bekenntnis „Jesus der Herr" (351). Literaturverzeichnis

353

Namensregister

363

14

KAPITE L I

Einleitung

Studien sind etwas Vorläufiges und Fragmentarisches. Ob sie ein Schritt auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel sind, ist von untergeordneter Bedeutung. Denn meist muß der Weg überhaupt erst gebahnt werden, und zwar selbst dort, wo es an Wegen nicht zu fehlen scheint. Im Vordergrund steht das suchende Bemühen, die Frage. Sowohl im Blick auf den Gegenstand wie auch auf die Durchführung dieser Untersuchung ist ein solcher Hinweis angebracht. Denn es geht vor allem darum, die Selbstverständlichkeit der „Frage nach dem historischen Jesus" zu durchdringen, um ihren theologischen Gehalt zu erfassen. Wie aber kann man den rechten Zugang zu dieser Frage — wir bezeichnen sie aus noch darzulegenden Gründen als „historische Jesusfrage" — gewinnen? Daß sie dogmatisch in den Bereich der Christologie gehört, wird durch ihren Gegenstand, die Person Jesu, nahegelegt. Unter methodischen Gesichtspunkten jedoch handelt es sich vorwiegend um ein exegetisches Problem. In ihrer theologiegeschichtlichen Erscheinung steht der Konflikt zwischen historisch-kritischer Exegese und Dogmatik im Vordergrund. Unter drei Gesichtspunkten soll im folgenden der Rahmen für die Behandlung des Themas angedeutet werden. A. Der Ausgangspunkt Den unmittelbaren Anlaß für die Formulierung des Themas bildete die sogenannte „neue Frage nach dem historischen Jesus", die seit mehreren Jahren vor allem durch die Schule Rudolf Bultmanns aufgeworfen worden ist. Es mag noch dahingestellt bleiben, ob die Frage wirklich neu ist oder nur von neuem gestellt wird. Die weit gestreute Fülle von Beiträgen und die Lebhaftigkeit oder auch gelegentliche Heftigkeit einer über das rein Fachliche hinausgreifenden Diskussion zeigen schon die Dringlichkeit des Problems und seine zentrale Bedeutung. Selbst wenn man die Unterschiede zwischen der „Leben-Jesu-Forschung" des vorigen Jahrhunderts und der „neuen Frage nach dem historischen Jesus" hervorhebt, so ist 15

dodi auffallend, wie eine Problemstellung, die von Martin Kahler als ,Holzweg' angesehen wurde, deren negatives Ergebnis von Albert Schweitzer ausführlich geschildert wurde und die von der dialektischen Theologie, der in den zwanziger Jahren audi noch Rudolf Bultmann verbunden war, als historisch unlösbar und theologisch irrelevant angesehen wurde, in dieser Intensität wieder aufbricht. Sind unbeantwortete Fragen, sind neue Erkenntnisse, oder ist die Dialektik einer geistesgeschichtlichen Entwicklung die Ursache dieser Erscheinung? Jede Antwort umschließt bereits eine Stellungnahme, und die Hauptschwierigkeit beruht wohl darin, daß sich allein schon aus der neueren Diskussion keine eindeutige Bestimmung des Problems erheben läßt. Es ist z. B. etwas anderes, ob man fragt nadi dem „Jesus, wie er wirklich war", ob man ausgeht von der Bedeutung des Geschichtlichen für die Verkündigung und für den Glauben, oder ob es um einen Konflikt des modernen Gesdiichtsbewußtseins und Weltverständnisses mit der Christusverkündigung des Neuen Testaments geht. Ein nidit geringer Teil der Diskussion um die historische Jesusfrage scheint durch die vielfach ungeklärten Intentionen und Motive in der Problemstellung bedingt zu sein. Sie überhaupt erst einmal zu fixieren ist schon eine wichtige Aufgabe. Ein weiterer Anlaß zur Formulierung des Themas liegt in dem Niederschlag, den die historische Jesusfrage in der Dogmatik gefunden hat. Er ist bisher noch kaum beachtet worden, weil meistens der Konflikt zwischen Exegese und Dogmatik mit ihren jeweiligen Methoden im Vordergrund steht und die historische Jesusfrage trotz ihrer unbestreitbaren dogmatischen Relevanz vorwiegend als ein exegetisches Problem im weitesten Sinne angesehen wird. Es fehlt jedoch nicht, und zwar schon vor dem Beginn der „neuen Frage nach dem historischen Jesus", an Versuchen, die historische Jesusfrage konstruktiv in die dogmatische Christologie einzubeziehen. Kritische Einwände gegen die Konsequenzen, die besonders R. Bultmann aus der liberalen „Leben-Jesu-Forschung" gezogen hatte, hat schon E. Brunner in seiner Christologie „Der Mittler 1 " geäußert. In ähnlicher Weise hat Donald M. Baillie2 in Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie die historische Jesusfrage in seine Christologie aufzunehmen und ihre dogmatische Bedeutung herauszustellen versucht. In einer Reihe von neueren Dogmatiken schließlich wird die Zweinaturenlehre und besonders die Inkarnationsvorstellung von der histori1

E. Brunner, Der Mittler, Zürich 1947 4 (1. Aufl. 1927), S. 131 ff, 161 f. D . M. Baillie, Faith in God and its Christian Consummation, London 1964 1 (1. Aufl. 1927) S. 231 ff, 265 ff. Ausführlicher zu dieser Problematik: D. M. Baillie, God was in Christ. An Essay on Incarnation and Atonement, London I960 8 (1. Aufl. 1948 — deutsch: Göttingen 1959). 2

16

sehen Jesusfrage her korrigiert. Einer Christologie „von oben" wird, unter noch zu überprüfendem Hinweis auf Luther oder auch A. Ritsehl, eine Christologie „von unten" gegenübergestellt, die dann bei dem historischen Jesus einsetzt3. Wenn man bei den erwähnten Beispielen noch von einer unter dem Einfluß der historischen Jesusfrage stehenden Korrektur des christologischen Dogmas sprechen kann, die ihre Vorläufer schon im vorigen Jahrhundert hat, so zeigt sich demgegenüber die radikalste Aufnahme und dogmatische Auswertung nicht nur der historischen Jesusfrage, sondern überhaupt der historisch-kritischen Forschung in der Dogmatik von Hermann Diem4. Das christologische Dogma wird hier prinzipiell aufgelöst in Verkündigungsgeschichte und Existenzdialektik. In dem Niederschlag der historischen Jesusfrage in der neueren Dogmatik ist schon angedeutet, daß die Problemstellung unseres Themas nicht auf den nur vordergründigen Konflikt zwischen den Methoden verschiedener Disziplinen begrenzt werden kann. Dem entspricht auch die in der „neuen Frage nach dem historischen Jesus" spürbare Tendenz, daß die eigentlich historischen Anliegen hinter die dogmatischen zurücktreten. Die weitverbreitete Klage über die zunehmende Distanz zwischen den einzelnen Fachrichtungen und ihrer jeweiligen Arbeitsweise ist mindestens bei der historischen Jesusfrage kaum berechtigt. Die Schwierigkeit dürfte vielmehr darin liegen, das Problem in seiner theologiegeschichtlichen und theologischen Vielschichtigkeit zu erfassen.

B. Die Umgrenzung der

Aufgabe

Das ursprüngliche Ziel dieser Untersuchung war auf das Personverständnis gerichtet, wie es sich im Zusammenhang mit der historischen Jesusfrage in der neueren Christologie etwa seit Schleiermacher entwickelt hat. In der Christologie des vorigen Jahrhunderts liegen verschiedene Ansätze vor, den spezifisch christologisch und trinitarisch geprägten Personbegriff einem modernen Personverständnis anzugleichen. Danach beschränkt sich die Eigentümlichkeit des Begriffs nicht auf die individuelle Selbständigkeit gegenüber den beiden anderen wesensgleichen Personen 3 Vgl. z . B . : P. Althaus, Die christliche Wahrheit, Gütersloh 1959 5 , S. 424 £; W. Eiert, Der christliche Glaube, Hamburg i960 5 , S. 291 ff. Kritisch äußert sich zu diesen Ansätzen O. Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. II, Neukirchen 1962, S. 22—39. Neuerdings ist die Berechtigung dieser Unterscheidung wieder vertreten worden von W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964, S. 26 ff. Es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich allein schon bei den angeführten Beispielen die mit diesem Schema verbundenen Ansätze sind. 4 H . Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft. Bd.II: Dogmatik, München 1955.

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8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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der Trinität und in der personalen Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der hypostatischen Union. Entscheidend ist vielmehr, daß der Begriff der Person — ähnlich wie auch der Begriff der Natur — rein empirisch verstanden und mithin konstitutiv für die Menschheit und auch für die Geschichtlichkeit wird. Absolutes und Person schließen sich gegenseitig aus; zur Person gehört wesentlich die Einheit des Selbstbewußtseins und die Selbstbestimmung6; zur Person gehört auch die geschichtliche Wirkungskraft der Persönlichkeit', die sich nur in einem Prozeß des Werdens entwickeln kann 6 . Albrecht Ritsehl hat zwar noch versucht, diese anthropologische Bestimmung des Begriffs zu durchbrechen, indem er das menschliche Personsein aus der in der Offenbarung gegebenen Vorstellung Gottes als Persönlichkeit ableitete7. Doch es ist bei ihm wie auch bei anderen nicht zu verkennen, daß in dem Bemühen um eine Überwindung der ontologischen Voraussetzungen der altkirchlichen Christologie die soteriologische Funktion der Zweinaturenlehre aufgegeben wird. Dies läßt sich deutlich an der Kritik, die sowohl in der dogmatischen Christologie wie auch in der „Leben-Jesu-Forschung" an der Zweinaturenlehre geübt wird, verfolgen. Mit der Frage nach dem Personverständnis ist zweifellos ein Problem getroffen, in dem sich bestimmte Tendenzen der dogmatischen Christologie und der historischen Jesusforschung berühren und das weit über eine bloße Begriffsverschiebung hinausgeht. Ihm soll daher auch in der weiteren Untersuchung besondere Aufmerksamkeit gelten. Allerdings erwies es sich sehr bald als notwendig, den Rahmen zu erweitern, um die dogmatische Relevanz der historischen Jesusfrage im Zusammenhang der christologischen Problematik zu erfassen. Dies vor allem deshalb, weil die historische Jesusfrage auch in ihrer alten Form der „Leben-Jesu-Forschung" keineswegs, wie es oft scheint und besonders durch die Darstellung Albert Schweitzers nahegelegt wird, sich in einer kritischen Destruktion oder auch Substitution des christologischen Dogmas erschöpft. Eine kritische Gegenüberstellung der historischen Jesusfrage mit dem christologischen Dogma reicht nicht aus und wird schwerlich weder dem einen noch dem anderen gerecht. Dies wäre nur unter der Voraussetzung möglich, daß man auf der einen Seite in der historischen Jesusfrage lediglich ein geschichtswissenschaftliches Problem erblickte und auf der anderen Seite eine Unterscheidung oder auch eine Trennung von ,Historischem' und ,Dogmatischem' in unreflektierter Weise voraussetzte, 5 2 . B. F. D. Schleiermacher, Der christliche Glaube (2. Aufl.) § 96; D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, Bd. I, Tübingen 1840. S. 502; 504. 6 Z. B. M. Reischle, Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den ,geschichtlichen' Jesus Christus. In: ZThK 7 (1897) S. 182. 7 A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung. Bd. III 4 , S. 224.305 f.

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wie es in der Tat und besonders im vorigen Jahrhundert vielfach geschehen ist und wohl auch heute noch bisweilen geschieht. Es ist eine höchst bezeichnende Erscheinung, daß gerade im Zusammenhang der historischen Jesusfrage mit der merkwürdigen Begriffsdifferenzierung zwischen „historisch" und „geschichtlich" bei Martin Kühler und dann vor allem bei Georg Wobbermin8 im Grunde doch nur einer Verengung des sog. Historischen auf das empirisch Verifizierbare bzw. auf ein mechanisches Kausalprinzip entgegengewirkt wurde. Diese eindeutig theologische Begriffsdifferenzierung ist nur auf dem Hintergrund der historischen Jesusfrage des vorigen Jahrhunderts und ihres negativen Ergebnisses zu sehen. Aber es ist nicht nur die Vieldeutigkeit des „Historischen", die bei der historischen Jesusfrage zu berücksichtigen ist. Es gilt vielmehr auch zu sehen, daß die impliziten und expliziten dogmatischen Intentionen und Motive in der historischen Jesusfrage beachtet werden müssen. Die Frage nach dem historischen Jesus ist eben nicht einfach die — ohnehin schon komplizierte — Frage nach dem Jesus, wie er wirklich war', der aus der Übermalung neutestamentlicher und dogmengeschichtlicher Uberlieferung hervorzuholen wäre. Weder die alte und noch weniger die neue Frage nach dem historischen Jesus läßt sich auf diese Formel bringen. Genaugenommen ist die historische Jesusfrage für sich und auch unabhängig von einer direkten Auseinandersetzung mit dem christologischen Dogma bereits ein christologisches Problem, in dem sich die christologischen Entscheidungen der alten Kirche in einer neuen Weise stellen®. Auf die dogmatische Relevanz der historischen Jesusfrage ist zwar schon verschiedentlich hingewiesen worden 10 , aber es fehlt bisher noch eine zusammenhängende Analyse. Denn die Frage hat sich mehr und mehr 8

G. 'Wobbermin, Gesdiidite und Historie in der Religionswissenschaft. (2. Erg.-heft zur ZThK 1911) Tübingen 1911. Im Hintergrund steht hier vor allem die von W. Windelband und H. Richert durchgeführte Unterscheidung der Kultur- und Geisteswissenschaften von der Naturwissenschaft und ihrem vom Kausalitätsprinzip bestimmten Medianismus. 8 K. Dunkmann, Der historische Jesus. Der mythologisdie Christus. Leipzig 19112. S. 111. E. Fuchs, Glaube und Erfahrung. Tübingen 1965, S. 1: „Die Frage nach dem historischen Jesus ist die uns auferlegte Form des diristologisdien Problems." 10 Vgl. z. B.: F. W. Schmidt, Das Verhältnis der Christologie zur historischen LebenJesu-Forsdiung (bei W. Herrmann und M. Kahler). In: ZThK 1 (1920) S. 249—276; 323—353 (ungedr. Tüb. Diss. 1917). — P. Althaus, Das sogenannte Kerygma und der historische Jesus. Gütersloh 19582. H.-W. Bartsch, Der historische Jesus als dogmatisches Problem (in: Bartsch, Entmythologisierende Verkündigung, Hamburg 1962, S. 193 bis 209). — W. Kreck, Die Frage nadi dem historischen Jesus als dogmatisches Problem. In: EvTh 22 (1962) S. 460—478. — Vgl. auch die Beiträge von H. Gollwitzer, E. Brunner, H. Diem, P. Althaus, R. Hermann, M. Werner in: H. Ristow-K. Matthiae (Hrsg.), Der historische Jesus und der kerygmatisdie Christus. Berlin 19612. — W. Künneth, Glauben an Jesus? Hamburg 1962 (2. Aufl. 1963). Vgl. jetzt auch den Forschungsberidit von G. Sauter, Fragestellungen der Christologie. In: VuF 11 (1966) H. 2, S. 37—68. 2*

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zu einem selbständigen Problem mit eigener Dynamik entwickelt, das bereits in sich derartig kompliziert ist, daß ein Überblick nur noch schwer zu gewinnen ist. Vor allem durch die ebenso großartige wie einseitige Darstellung in Albert Schweitzers „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" wurde eine Isolierung der historischen von der dogmatischen Problemstellung vorgenommen, die auch heute noch weithin richtungweisend ist. Die durchgehend von der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann bestimmten Darstellungen zur „neuen Frage nach dem historischen Jesus" haben trotz verstreuter .kritischer Hinweise diese Einseitigkeit auch nicht überwinden können. So ist es nicht verwunderlich, wenn die von Schweitzer schon übergangenen Beiträge etwa von Wilhelm Herrmann und Martin Kahler nur am Horizont der neuen Frage gelegentlich erscheinen, ohne daß sie jedoch bisher ausreichend berücksichtigt worden wären. Dies ist nicht nur eine theologiegeschichtliche Lücke in den zusammenfassenden Darstellungen, sondern auch eine bedenkliche Verengung der Problemstellung, weil die dogmatischen Aspekte der historischen Jesusfrage vernachlässigt werden. Vor der zunehmenden Spezialisierung der theologischen Disziplinen seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts haben Theologen wie Schleiermacher, Karl Hase, Chr. H . Weiße (ursprünglich Philosoph), Daniel Schenkel — um nur einige zu nennen — sowohl auf dem Gebiet der Leben-Jesu-Forschung wie auch als Dogmatiker gearbeitet. Es bestehen hier nicht nur biographische, sondern auch sachliche Querverbindungen in beiden Richtungen, die am schärfsten bei D. F. Strauß in ihrer ganzen Unauflöslichkeit zum Vorschein kommen. Ohne die Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie Hegels ist weder der Dogmatiker noch der Leben-Jesu-Forscher Strauß zu verstehen; beide jedoch bilden nicht nur in der Person, sondern auch in den theologischen Intentionen eine Einheit. Es wäre daher ebenfalls eine einseitige Verkürzung, wollte man die historische Jesusfrage lediglich unter dem gewiß bedeutsamen, aber doch keineswegs erschöpfenden Gesichtspunkt der historisch-kritischen Methode sehen. Sie gehört vielmehr auch theologiegeschichtlich und systematisch in die neuere Auseinandersetzung um die Christologie, ein Zusammenhang, der bisher noch kaum beachtet worden ist11. Aus diesen Erwägungen ergeben sich folgende Konsequenzen für die Abgrenzung der Aufgabe: 1. Die christologische Problematik der historischen Jesusfrage kann nicht durch eine Gegenüberstellung mit dem chri11

Einige Ansätze dazu bei E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi im X I X . Jahrhundert. Tübingen 1911. Einzelbeispiele bei H . Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, verglichen mit der Christologie Hegels und Sciileiermadiers. Düsseldorf-Köln 1960.

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stologischen Dogma ermittelt werden. 2. Es genügt aber auch nicht, die historische Jesusfrage nur unter dem Gesichtspunkt der historisch-kritischen Methode zu sehen. 3. Infolgedessen kann die Problemstellung auch nicht auf eine Gegenüberstellung von historisch-kritischer Exegese und Dogmatik bzw. Geschichte und Glaube beschränkt werden. Positiv ausgedrückt kommt es vielmehr darauf an: 1. die impliziten bzw. expliziten dogmatischen Entscheidungen bei der Anwendung der historisch-kritischen Methode in ihren verschiedenen Formen auf die historische Jesusfrage zu ermitteln; 2. die historische Jesusfrage ist im Zusammenhang nicht nur der exegetischen, sondern auch der dogmatischen Auseinandersetzung um das christologische Dogma zu sehen; 3. erst von hier aus ist eine ausreichende Bestimmung der mit der historischen Jesusfrage verbundenen christologischen Problematik möglich und sinnvoll. Im Grunde geht es bei dieser Frage nach der christologischen Problematik darum, daß die historische Jesusfrage weder in ihren verschiedenen methodischen Voraussetzungen noch mit ihren Ergebnissen als ein Thema von eigenständiger Bedeutung angesehen wird. Dies nicht nur aus systematischen Erwägungen heraus, nach denen die Frage in einen weiteren Zusammenhang gehört, sondern auch aus theologiegeschichtlichen Gründen. Beiden, den theologiegeschichtlichen wie auch den systematischen Zusammenhängen, soll in dieser Untersuchung nachgegangen werden, um die dogmatische Problematik zu erfassen und zu formulieren. Die Behandlung des Themas geht aus von einer „theologiegeschichtlichen Analyse". Sie zielt auf die Frage nach der Grundlegung der Christologie, wie sie sich durch die historische Jesusfrage stellt. Bei der Abgrenzung des zeitlichen Rahmens und der Auswahl des herangezogenen Materials schien es unvermeidlich, bis etwa zu Strauß und Schleiermacher zurückzugehen. Dies erwies sich vor allem deshalb als notwendig, weil die „neue Frage nach dem historischen Jesus" an vielen Punkten auf die „alte" des vorigen Jahrhunderts zurückweist und manche Vorstellungen von der „alten" Frage nach dem historischen Jesus, wie sie besonders durch Albert Schweitzers Darstellung nahegelegt werden, sich einer Erweiterung oder auch Korrektur bedürftig erwiesen. Ebenso fehlt es in der Literatur bis jetzt noch an einer sachgemäßen Untersuchung zur Christologie des vorigen Jahrhunderts. Die beiden vorhandenen Gesamtdarstellungen von E. Günther12 und S. Fant13, beide der Schule Albrecht Ritschis verbunden, reichen trotz ihrer Verdienste nicht zur Behandlung des Problems aus. Selbstverständlich können in einer systematisch orientierten Untersuchung die bestehenden Lücken in der Theologiegeschichte 12

S. Anm. 11. S. Faut, Die Christologie seit Schleiermadier, ihre Geschichte und ihre Begründung. Tübingen 1907. 18

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nicht geschlossen werden. Man wird sich darauf beschränken müssen, aus der großen Fülle des Materials nicht mit dem Ziel der Vollständigkeit, sondern von dem Problem her auszuwählen. Dies wird im Einzelfall näher zu begründen sein. In zwei Teilen geht es zunächst darum, das Problem zu erheben, und zwar soll im ersten Teil die historische Jesusfrage im engeren Sinn der historischen Jesusforscbung theologiegeschichtlich und systematisch analysiert werden und im zweiten Teil die im Zusammenhang mit der historischen Jesusfrage stehende dogmatische Christologie. Die Unterscheidung dieser beiden Teile ist zwar durch eine methodische oder auch thematische Differenzierung nahegelegt; sie soll aber letztlich dem Aufweis der sachlichen Einheit dienen. Abschließend sollen die Ergebnisse der Untersuchung im Blick auf die gegenwärtige Situation dogmatisch ausgewertet werden. C. Einige

Voraussetzungen

Die Formulierung des Themas, die Bestimmung des Ausgangspunkts und die Umgrenzung der Aufgabe geht von einigen Voraussetzungen aus, die für die weitere Untersuchung entscheidend sind und darum im folgenden in vorläufiger thetischer Form zusammengestellt werden sollen. Ihre Begründung im einzelnen bleibt der Untersuchung selbst überlassen. Der Schlüssel für alle weiteren Voraussetzungen liegt in dem Begriff der „historischen Jesusfrage". Theologiegeschiditlich soll darunter sowohl die „Leben-Jesu-Forschung", also die Frage nach dem historischen Jesus im vorigen Jahrhundert, wie auch die sogenannte „neue Frage nach dem historischen Jesus", unbeschadet der bestehenden Unterschiede, zusammengefaßt werden. Denn die sonst üblichen Bezeichnungen „Leben-Jesu" oder „historischer Jesus" enthalten eine Verengung, die dem tatsächlichen Sachverhalt nicht gerecht wird. Der Begriff der „Leben-Jesu-Forschung" deckt nur zu einem geringen Teil die in diesem Zusammenhang verhandelten Probleme und verleitet oft zu dem Kurzschluß, daß man hier wirklich nur nach dem „Leben" Jesu in der Zeit zwischen Geburt und Tod gefragt habe mit dem Ziel einer biographischen Rekonstruktion. Es kommt aber in diesem Begriff nicht die immer wieder gestellte Frage zur Geltung, ob und inwieweit man ein „Leben" Jesu historisch nach dem Quellenbefund und theologisch nach den damit verbundenen Problemen schreiben könne. Die sog. Leben-Jesu-Forschung ist viel weniger ein festes Programm als ein Problem. Ähnliches gilt von dem Begriff „historischer Jesus", der ja nicht nur von der Anwendung einer bestimmten Methode geformt wird, sondern, ähnlich wie auch der Begriff eines „Lebens Jesu", von einem vielfältigen Antagonismus. Um nur einige später auszuführende Beispiele zu nennen: 22

Der historische Jesus wird unterschieden von dem Christus des Glaubens, von dem dogmatischen, symbolischen, mythologischen, kirchlidien, kerygmatischen oder geschichtlich-biblischen Christus u. ä. Die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs,historischer Jesus' ist dann zu einem wesentlichen Teil davon geprägt, wie dieser zunächst nur begriffliche Gegensatz aufgelöst bzw. bestimmt wird, d. h. wie die beiden ,Größen' jeweils einander zugeordnet werden. Die theologische Aufgabe wird dann vorwiegend auf die Auseinandersetzung mit dieser allein schon vom Begriff her nahegelegten Spannung konzentriert. Damit jedoch läuft die Problematik notwendig auf einen Konflikt zwischen Historischem und Dogmatisdiem, zwischen geschichtlicher Forschung und Glauben bzw. Verkündigung hinaus, den es dann wieder zu überwinden gilt. Mit dem Begriff „historische Jesusfrage" soll versucht werden, einmal die theologiegeschichtlichen Vorstellungen zu durchbrechen, die mit der Gegenüberstellung von „Leben-Jesu-Forschung" und „neuer Frage nach dem historischen Jesus" verbunden sind, um das Gemeinsame und Grundsätzliche dieser Problematik herauszuarbeiten. Außerdem soll die bereits durch die Begriffe „Leben Jesu" und „historischer Jesus" nahegelegte Fixierung der Problemstellung vermieden werden. „Historisches Fragen" ist etwas anderes als „historischer Jesus", wo von vornherein der Eindruck erweckt wird, es handele sich um einen ganz anderen Gegenstand und nicht nur um eine besondere Weise des Fragens. Ob und inwieweit der Gegenstand durch die besondere Weise des Fragens in der Antwort, d. h. in den Ergebnissen bestimmt wird, steht auf einem anderen Blatt. Eine Durchbrechung der herkömmlichen und selbstverständlich gewordenen Terminologie legt sich aber auch deshalb nahe, weil Ursprung und Ziel auch dieses historischen Fragens theologisch bestimmt sind, und zwar auch und gerade unter Wahrung aller notwendigen wissenschaftlichen Akribie. Historisch wird nach Jesus gefragt nicht allein weil er gelebt hat, sondern weil an ihn geglaubt wird und weil auch der Glaube nach Jesus fragt. Freilich enthält ein Begriff noch keine Lösung, aber er kann in diesem Fall vielleicht dazu beitragen, den Weg zu einer Lösung zu eröffnen. Das Fragen nach dem ,historischen Jesus' ist ein uneigentliches, indirektes Fragen. Das heißt, es geht dabei nicht nur um ein Fortschreiten im Erkennen und Erforschen eines bestimmten Gegenstandes unter Anwendung der am meisten angemessenen Methode des Erkennens und Verstehens, sondern eben auch um Glauben und Unglauben, um Heil und Unheil, um Gnade und Sünde. Man neigt leicht dazu, dieses Ineinander von forschendem Erkennen und der Dialektik von Glauben und Unglauben in verschiedener Weise aufzulösen: sei es, däß man das Erkennen dem Glauben vorordnet, sei es, daß man beides voneinander trennt, gegeneinander ausspielt und je 23

für sich verabsolutiert, oder sei es, daß man den Glauben dem Erkennen vorordnet. In der historischen Jesusfrage spielt diese Frage der Zuordnung von Glauben und Erkennen eine wichtige Rolle, wenn auch nur von Fall zu Fall die leitenden Gesichtspunkte geklärt werden können, da sie stets von den meist nicht ausgesprochenen theologischen Intentionen und Motiven bestimmt ist. Es wird zu zeigen sein, daß die verschiedenen Möglichkeiten einer Zuordnung je für sich ihre Berechtigung haben können, und daß eine Debatte ohne Klärung dieser Gründe notwendig ergebnislos bleiben muß und wird. Das gemeinsame Anliegen der verschiedenen Voraussetzungen kann nur dann in den Blick kommen, wenn Klarheit über den Grund der verschiedenen Weisen des Fragens besteht. Dies jedoch ist auch bei dem von historischen Prinzipien bestimmten Fragen nicht ein ,historischer Jesus', sondern es ist einfach die Frage nach Jesus, die vom Glauben ebenso wie vom Unglauben und Zweifel gestellt werden kann und muß — sei es in der ,Apologie' des Glaubens14, sei es in der kritischen Selbstprüfung des Glaubens15, oder sei es in der belehrenden und interpretierenden Erbauung und Stärkung des Glaubens18, um nur einige Beispiele der theologischen Zuordnung von Glauben und Erkennen zu geben. Als methodische oder sogar als sachliche Alternative von Historischem und Dogmatischem kann man der historischen Jesusfrage weder theologiegeschichtlich noch theologisch gerecht werden. Das methodisch bestimmte historische Fragen kann seinen Grund und sein Ziel nur in der sachbezogenen Frage nach dem im Neuen Testament bezeugten und von der Gemeinde geglaubten Jesus, dem Christus, haben. Darum ist die historische Jesusfrage immer Teil der Christusfrage, die eben nicht nur von uns gestellt wird, sondern die uns gestellt ist. Um diesen Grundbezug geht es bei der christologischen Problematik der historischen Jesusfrage.

14 15 18

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Z.B. l.Petr. 3,15. Z.B.Act. 17,11. Z. B. Lc. 24,27 ff.

TEIL I SYSTEMATISCHE ANALYSE DER HISTORISCHEN JESUSFORSCHUNG

K A P I T E L

II

Zur theologiegeschichtlichen Darstellung der „Leben-Jesu-Forschung" Was unter der historischen Jesusfrage zu verstehen ist, was ihre Ursache und ihr Ziel ist, wird bereits in der theologiegeschichtlichen Einordnung entschieden. Die zusammenfassenden Darstellungen und Forschungsberichte zur Geschichte der historischen Jesusfrage, allen voran das Werk Albert Schweitzers1 haben ein im wesentlichen einheitliches Bild von Ursprung und Verlauf der theologischen Auseinandersetzung mit dieser Frage entstehen lassen. Zugleich haben sie wegweisend für die weitere Arbeit an diesem Thema gewirkt. Zu einer kritischen Uberprüfung ihrer Vorstellungen ist es bisher noch kaum gekommen, obwohl man sich über die Einseitigkeit der höchst verdienstvollen und schwerlich zu überbietenden Darstellung Albert Schweitzers weithin im klaren ist. Die Menge des recht spröden Materials reizt auch kaum zu einer neuen Bestandsaufnahme. Gerade dieser Sachverhalt jedoch nötigt zu einem kritischen Rückgriff auf die Geschichte der historischen Jesusfrage, selbst wenn es in einer systematischen Analyse unmöglich und auch unnötig ist, unter anderen 1 A. Schweitzer, Gesdiidite der Leben-Jesu-Forschung. Tübingen 1951 6 . Als Ergänzung zu der von einer bestimmten Konzeption ausgehenden Darstellung Schweitzers vgl. auch die Forschungsberichte in den verschiedenen ,Leben-Jesu'-Beiträgen sowie u. a. H. Weinel, Jesus im neunzehnten Jahrhundert. Tübingen-Leipzig 1903; ders., Das Jesusbild in den geistigen Strömungen der letzten 150 Jahre. Leipzig-Berlin o. J. (1927?) ( = Religionskundliche Quellenhefte. Nr. 46); O. Schmiedel, Die Hauptprobleme der Leben-Jesu-Forschung. Tübingen 1902 (2., erw. Aufl. 1906) ( = SGV 27). H. Windisch, De Tegenwoordige Stand von het Christusprobleem. 2., erw. Aufl. Assen 1925; O. A. Piper, Das Problem des Lebens Jesu seit Schweitzer. In: Verbum Dei manet in aeternum. Festschrift für O. Schmitz. 1953. S. 73—93. Die Beiträge von Weinel (1927), Windisch und Piper sind besonders deshalb interessant, weil sie die sachliche Kontinuität der sog. .Leben-Jesu-Forschung' mit der sog. ,neuen Frage nach dem historischen Jesus' zeigen.

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Gesichtspunkten diese Geschidite neu zu schreiben. An die Stelle der Vollständigkeit kann daher nur eine Auswahl des Typischen und Weiterführenden treten. Es kommt darauf an, die für die Ermittlung des Sinns der historischen Jesusfrage wichtigen Momente herauszuarbeiten, die in den Gesamtdarstellungen nicht oder nicht ausreichend zur Geltung kommen. An einigen Punkten müssen die gängigen Vorstellungen erweitert bzw. korrigiert werden. A. Albert Schweitzers „Geschidite der Leben-Jesu-Forschung" Es liegt im Wesen einer jeden theologiegeschichtlichen Darstellung, daß die Auswahl und Auswertung des herangezogenen Materials von dem persönlichen und geschichtlichen Standpunkt des Verfassers geprägt wird. Der Verlauf einer geschichtlichen oder geistigen Entwicklung ist immer von der Perspektive des Betrachters her konstruiert und auf sie hin orientiert. Es ist leicht, dies von einem anderen Standpunkt her zu kritisieren, den man selbst nur auf dem Weg über Vorgänger erreichen konnte; ein Werturteil sollte mit dieser Kritik nicht verbunden sein, sondern die dankbare Benützung und Anerkennung des früher Geleisteten. Aber gerade der andere Standpunkt fordert in der Anerkennung des Früheren eine neue Besinnung und kritische Auseinandersetzung. In diesem Sinne sollen die Einwände gegen die „Geschidite der Leben-Jesu-Forschung" Albert Schweitzers verstanden werden, die den Zugang zu der theologischen Bedeutung der historischen Jesusfrage öffnen sollen. Dasselbe gilt von aller weiteren Kritik in dieser Untersuchung, die zuerst Anerkennung und ein Ernstnehmen des bereits Geleisteten ist. Die Gesdiichte der Leben-Jesu-Forschung Albert Schweitzers hat ganz entscheidend dazu beigetragen, daß die historische Jesusfrage in der Epoche von der Aufklärung bis an den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als eine geschlossene Einheit und als eine selbständige historische Problematik gesehen wird. Das ist vorher nicht der Fall gewesen. Die Forschungsberichte, die sich in einigen früheren Arbeiten aus diesem Problemkreis finden, setzen an unterschiedlichen Punkten ein: Karl Hase* 1 K. Hase, Geschidite Jesu. 1876. S. 110—174. Ders., Das Leben Jesu. 1829. S. 19—42. Hase unterscheidet harmonisierende, historische und poetische Darstellungen, denen aber ein gemeinsames Motiv zugrunde liegt: „Die Menge dieser Schriften bezeugt das fortwährende Bedürfnis, den verschiedenen Standpunkten der Volksbildung, zuletzt auch der Wissenschaft, das Leben Jesu näherzubringen, als durch die Evangelien selbst geschah; wenn schon zu diesen der christliche Sinn immer wieder zurückkehrte, so daß alle abgeleiteten Darstellungen nur deshalb und insofern Wert haben, als sie einführen in das wahre und tiefe Verständnis der evangelischen Quellen." Gesch. Jesu. S. 110 f.

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beginnt mit den frühesten Harmonisierungsversuchen, die mit dem Diatessaron Tatians einsetzen und stellt so die Frage nach der „Geschichte Jesu" als ein die ganze Kirdiengeschichte durchziehendes Problem dar, dessen Entwicklung in verschiedene Epochen unterteilt wird. D. F. Strauß beginnt seinen das „Leben Jesu" einleitenden Forschungsbericht, in dem er sein Verständnis des Mythusbegriffs entwickelt, mit einem Rückgriff auf die griechische und hebräische Allegorese3; d. h. die „Leben-Jesu-Forschung" wird zuerst als Problem der Auslegungsgeschichte aufgefaßt. M. Kahler schließlich ordnet die historische Jesusfrage in die Auseinandersetzung um die Christologie ein4: Die Kritik des dogmatischen Christusbildes durch den Rückgang zu dem biblischen Christus in der Aufklärung, danach, unter dem Einfluß der spekulativen Philosophie Hegels, die Aufhebung des Geschichtlichen durch das Ideale, und schließlich die kritische Rückfrage hinter das auch als Dogmatik und Gemeindebildung erkannte neutestamentliche Zeugnis. F. Nippold, der wohl als erster in seinem „Handbudi der neuesten Kirchengeschichte5" von einer „Leben-Jesu-Bewegung" und einer selbständigen Problematik der „Leben-Jesu-Forschung" gesprochen hat, setzt bei D. F. Strauß ein. Es ist nicht nur eine Ironie in dem Begriff der „Leben-Jesu-Forschung", sondern auch für die Auffassung ihrer Problemstellung bezeichnend, daß Strauß selbst den Begriff des „Lebens Jesu", der ihm von seinen Kritikern A. Tholuck und C. UIlmann als irreführende Benennung seines Werkes vorgeworfen war, zunächst nur mit Vorbehalt verwendete6. Später versuchte er sich — ohne Erfolg — ganz von dem „verhängnisvollen Begriff" zu lösen7. Denn der Hauptvertreter der „Leben-Jesu-Forschung" hat trotz der Titel seiner beiden wichtigsten Beiträge zu diesem Thema kein „Leben-Jesu" geschrieben. Wenn dies aber theologiegeschichtlich nicht berücksichtigt und die „Leben-Jesu-Forschung" als eine einheitliche, mit der Aufklärung beginnende Problemgeschichte angesehen wird, dann liegt die Gefahr einer Verengung ihrer ursprünglichen Intentionen nahe. Die heutige Vorstellung von der sogenannten Leben-Jesu-Forschung, deren Abschluß bezeichnenderweise bei Albert Schweitzer angesetzt wird, kann auf drei Thesen des Sdiweitzerschen Buches zurückgeführt werden. Die erste These ist entwicklungsgeschichtlich bestimmt. Sie kann in der Formel,Ablösung des christologischen Dogmas durch Ergebnisse der historischen Forschung' zusammengefaßt werden. Schweitzer geht von der * D. F. Strauß, Das Leben Jesu kritisch bearbeitet. Bd. I 1 .1835. S. 1 ff. M. Kahler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus. Neudruck München 1956*. S. 16 f. 5 F. Nippold, Handbudi der neuesten Kirdiengeschichte. Bd. III. 1. Budi, 3. Aufl. 1890, §§ 16 und 27; 2. Budi, 3. Aufl., S. 119 ff, 214 ff. • D. F. Strauß, Streitschriften. Sammelband 1841. III, S. 60. 7 D. F. Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet. 1864. S. 5. 4

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Voraussetzung aus, das theologische Interesse der Leben-Jesu-Forschung sei auf den „Befreiungskampf vom Dogma 8 " gerichtet. An die Stelle des alten Dogmas der griechischen Theologie soll ein „neues", „modernes" Dogma (!) treten, und es gilt, den historischen Jesus hinter der Übermalung des christologischen Dogmas freizulegen. Es sind dies die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geläufigen Anschauungen von der Entstellung des Evangeliums durch die akute Hellenisierung, von der mangelnden Konsequenz der Reformatoren, ihren Grundansatz bis zu einer Destruktion des christologischen Dogmas fortzuführen. Nicht zuletzt ist es auch die praktische Erfahrung, daß das Dogma dem modernen Menschen verschlossen bleibt. In dem Aufweis der damit verbundenen Aporien steht Schweitzer bekanntlich keineswegs allein; denn hier liegt zweifellos ein Grundproblem der Theologie im vorigen Jahrhundert, das man auf verschiedene Weisen zu bewältigen suchte. Für Schweitzer liegt die Lösung auf dem Weg der Leben-Jesu-Forschung als Rückfrage hinter das Dogma nach der historischen Wirklichkeit, als Destruktion des Dogmas in seiner logischen Unmöglichkeit und schließlich als Begründung eines neuen oder modernen Dogmas. Nicht nur die thematische Beschränkung, sondern diese These von der Substitution des christologischen Dogmas durch die historische Jesusfrage erübrigt für Schweitzer ein Eingehen auf die durchaus vorhandenen Berührungspunkte zwischen dogmatischer Christologie und historischer Jesusfrage. Im engeren Bereich der ,Leben-Jesu-Forschung' wird dies in Schweitzers Sinwß-Darstellung erkennbar, die ganz auf die historischkritische Seite konzentriert ist. Im weiteren Bereich der Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage zeigt es sich darin, daß die zur Zeit der Abfassung des Werkes noch anhaltende Debatte um Wilhelm Herrmann und Martin Kahler überhaupt nicht erwähnt wird 9 und daß Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule wie Ernst Troeltsch, Georg Wobbermin und Wilhelm Bousset nur am Rande erscheinen10. Denn alle diese dogmatisch oder religionsgeschichtlich orientierten Versuche enden zwangsläufig in einer Auflösung des historischen Jesus durch den symbolischen11. Es ist auch hier eine merkwürdige Ironie, daß diese Auflösung des Historischen in die Idee schon von Strauß vorgenommen worden war, was von Schweitzer jedoch für den frühen Strauß des „Leben Jesu" bestritten wird. 8

Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. S. 4. • M. Kahler wird überhaupt nicht erwähnt, obwohl dessen Hauptsdirifl zum Thema der historischen Jesusfrage (1. Aufl. 1892; 2. Aufl. 1896) längst vorlag. W. Herrmann wird nur in Fußnoten (S. 322, 520) mit Hinweis auf „Die sittlichen Weisungen Jesu" (1. Aufl. 1904) genannt. 10 S. 521 ff. 11 S. 520.

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Die zweite These ist durch die Formel der „konsequenten Eschatologie" gegeben. Sie enthält die theologische Lösung der historischen Jesusfrage, und Schweitzer zeigt von Reimarus12 bis hin zu Wilhelm Baldensperger, Johannes Weiß und William Wrede, wie die Leben-Jesu-Forschung in einer fortschreitenden Entdeckung des Eschatologisch-Apokalyptischen auf eine Überwindung nicht nur der historischen, sondern auch der theologischen Aporien hinausläuft. Mit der These der ,konsequenten Eschatologie' gehört Schweitzer selbst zu der Epoche, in der die historische Jesusfrage auf die Klärung des messianischen Selbstbewußtseins Jesu konzentriert bzw. reduziert wird und auf die später zurückzukommen ist. Schweitzer vertritt aber dazu eine für seine Auffassung der Leben-Jesu-Forschung spezifische Ansicht, durch die er sich von Johannes Weiß, besonders aber von William Wredes „Messiasgeheimnis" unterscheidet13. „Konsequente Eschatologie" heißt für Schweitzer: Nicht nur die Verkündigung, sondern das ganze Verhalten und Geschick Jesu ist von der Eschatologie her zu deuten. Diese Deutung ist aber im Entscheidenden, obwohl Schweitzer darauf nicht verzichten will14, keine literarkritische — wie bei Wrede — sondern eine historische. Die terminologische Unterscheidung15 einer literarkritischen von einer historischen Lösung ist bezeichnend. Denn unter ,historisch' versteht Schweitzer eine biographische Lösung, die auf „Konstruktion", „Experiment" und „psychologisches Nachempfinden" angewiesen ist18. Die Ansicht Wredes, das Messiasgeheimnis sei ein Theologumenon der frühchristlichen Gemeinde, wird zurückgewiesen, da die historische Authentizität der Person Jesu dadurch mindestens in Frage gestellt wird. Es kommt Schweitzer alles darauf an, das messianische Selbstbewußtsein als biographisch aufweisbar festzuhalten 17 , da andernfalls das ganze Christentum auf einem „Werturteil" im Sinne einer Fiktion beruhen würde 18 . Aus der das Verhalten des historischen Jesus bestimmenden konsequenten Eschatologie als historischer, d. h. biographischer Lösung folgt dann auch die theologische Lösung, die mit dem „Leidensgeheimnis" und dem Ausbleiben des erwarteten apokalyptischen Einbruchs des Gottesreiches verbunden ist. Denn in der Enttäuschung über das Ausbleiben des erhofften eschatologisch-apokalyptischen Endes und angesichts des herannahenden Todes offenbart sich — biographisch — die wahre Größe Jesu. 12

S. 23. S. 230 ff und 376 ff. 14 A. Schweitzer, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu. 1956 3 (1. Aufl. 1901). S. VII und 52 ff. 15 Geschichte . . . S. 10 f; M e s s i a n i t ä t . . . S. 1 ff. 16 Ebda. 17 Geschichte . . . S. 388 f; 390—443; M e s s i a n i t ä t . . . S. VI f. 18 M e s s i a n i t ä t . . . S. VII. 13

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„Eschatologisch" ist für Schweitzer nicht der Gegenstand der Hoffnung, sondern das Verhalten in der Hoffnung 19 . Es zeigt im Scheitern das „Enthusiastische und Heroische in Jesus, seinem Verhalten und seiner Weltanschauung" 20 . Die theologische Lösung der konsequenten Eschatologie ist schließlich, in deutlichem Unterschied zu J. Weiß, eine „ethischeschatologische"21. Denn in dem Heroismus des historischen Jesus liegt ein sittliches Ideal, durch das die zeitliche und weltanschauliche Differenz zwischen Einst und Jetzt „mystisch" durch den Willen zu einer Synthese gebracht wird 22 . Die These der .konsequenten Eschatologie' macht deutlich, weshalb Schweitzer alles darin liegt, an der Möglichkeit eines ,Lebens Jesu' festzuhalten, wenn auch in einer auf das Verhalten Jesu angesichts des herannahenden Leidens und Sterbens reduzierten Form. Hier liegt auch die Ursache für die Ablehnung aller, nach Schweitzer auf eine Auflösung des Historischen hinauslaufenden Versuche einer dogmatischen Lösung. Es bleibt zu fragen, ob und inwieweit man bei Schweitzer von einem Ende der Leben-Jesu-Forschung sprechen kann. Dies führt zu der dritten These des Buches, nämlich dem „negativen Ergebnis" der Leben-Jesu-Forschung23. Weithin wird dies in dem Sinn aufgefaßt, daß mit dem Werk Schweitzers sich die historisch-kritische Frage nach der Person Jesu als ein Irrweg und als unmöglich erwiesen habe und daß die „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" gleichzeitig den Abschluß dieser Arbeitsrichtung herbeigeführt habe. Dieses Urteil ist nicht ohne Einfluß auf die theologiegeschichtliche und sachliche Abgrenzung der sogenannten „neuen Frage nach dem historischen Jesus" geblieben, die dann in einer seltsam unvermittelten Weise auf die frühere „liberale" Leben-Jesu-Forschung folgt. Wenn man überhaupt in der Zeit Albert Schweitzers das Scheitern der historischen Jesusfrage ansetzen will, dann bezeichnet die Arbeit W. Wredes mit ihren literarkritischen Erwägungen diesen Punkt. Von einem „negativen Ergebnis" der auf eine biographische 19 Was er unter Eschatologie versteht, formuliert Schweitzer in einer Anmerkung (Geschichte . . . S. 23, A. 2): „Mit ,Eschatologie' bezeichnet man in der Dogmatik die Lehre von den .letzten Dingen*. In der Geschichtswissenschaft dienen das Wort und seine Ableitungen dazu, die besondere Färbung zum Ausdruck zu bringen, die die Weltanschauung Jesu und seiner Anhänger durch die Erwartung des baldigen Weltendes empfängt." 20 M e s s i a n i t ä t . . . S. 109; Geschichte . . . S. 638. 21 Geschichte S. 637. 22 Geschichte S. 635 f. Schweitzer spricht hier von einem „Verstehen von Wille zu Wille" (S. 639) und von „Jesusmystik" (S. 641). 23 Geschichte . . . S. 631 ff. 24 Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 1864. S. 5.

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Rekonstruktion abzielenden historischen Jesusfrage hat schon D. F. Strauß gesprochen24. Schweitzer selbst hat die Ansicht vertreten, daß die neutestamentlichen Quellen zwar nicht die Rekonstruktion einer umfassenden Lebens- und Entwicklungsgeschichte Jesu erlauben, aber doch immerhin für die historische Erfassung der letzten Monate seines Daseins, auf die seine öffentliche Wirksamkeit beschränkt ist, ausreichen25. Während man für die frühere Entwicklungszeit auf Vermutungen angewiesen ist, will Schweitzer für diesen letzten Abschnitt an der Authentizität der Quellen unbedingt festhalten. Exegetisch bedeutet dies, daß die Literarkritik nicht bis zur letzten Konsequenz, wie etwa bei Wrede, durchgeführt wird: „Die künstliche Redaktion, mit der man bisher zu operieren gezwungen war, wird sehr reduziert. Die Bergpredigt, die Aussendungsrede und die Würdigungsrede über den Täufer sind keine ,Redekompositionen', sondern sie sind in der Hauptsache so gehalten, wie sie uns überliefert sind. Audi die Form der Leidens- und Auferstehungsweissagungen kommt nicht auf das urchristlidie Konto, sondern Jesus hat in diesen Worten zu seinen Jüngern von seiner Zukunft geredet. Gerade diese Vereinfachung der literarischen Frage und die damit verbundene Steigerung der historischen Glaubwürdigkeit der evangelisdien Geschichtserzählung ist von großem Gewicht für die neue Auffassung des Lebens Jesu 26 ." Mit gewissen Einschränkungen lehnt also Schweitzer die Anfänge der form- und traditionsgesdiichtlichen Arbeit ab. Das Argument dafür ist, daß die an einem Leben Jesu uninteressierte Urgemeinde, die von der Auferstehung und nicht von dem Leben Jesu ausging, auch keinen Anlaß gehabt haben könne, „Tatsachen im Leben Jesu zu produzieren" 27 . Die gegenüber dem historischen Jesus als unsachgemäß anzusehende theologische Auseinandersetzung der Urgemeinde mit dem Tod Jesu beginnt für Schweitzer erst mit der Apostelgeschichte, bei Paulus sowie in einigen Stücken der Evangelien (Mk. 13 u. a.). Die Gemeinde war genötigt, sich nicht nur mit der Parusieverzögerung, sondern auch mit dem ihr nicht von Jesus enthüllten Leidensgeheimnis, d. h. mit seinem Tod auseinanderzusetzen28. Dabei geht die Entwicklung der weiteren Theologie von Voraussetzungen aus, die der historischen Person und Persönlichkeit Jesu völlig ungemäß sind28. Die Dogmen- und Theologiegeschichte ist eine Fehlentwicklung. Theologiegeschichtlich ist das Ergebnis von Schweitzers Arbeit kompliziert; denn es weist in zwei Richtungen: Auf der einen Seite erkennt 85

Messianität... Messianität... 27 Messianität... 88 Messianität... » Ebda. S. 93. M

S. 98; Geschichte . . . S. 392. S. VII f. S. VIII; vgl. Geschichte . . . S. 2 f. S. 92 ff.

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Schweitzer sehr klar das Scheitern des Versuchs, auf dem Wege der historischen Forschung dem Glauben ein festes Fundament in dem Eindruck von der Entwicklung und Erhabenheit der Persönlichkeit Jesu und ihrer Anschauungen zu liefern 30 . Hierzu reichen die Quellen nicht aus. Auf der anderen Seite jedoch sieht Schweitzer aber zugleich als Konsequenz einer radikalen Literarkritik die Gefahr einer idealistischen oder symbolischen Auflösung aller historischen Anhaltspunkte für den Glauben. Die Anfänge der Auseinandersetzung um die „Christusmythe" von Arthur Drews stehen schon im Hintergrund des Buchs31. Es mag dahingestellt bleiben, ob es die theologische Notwendigkeit oder die historische Möglichkeit ist, die Schweitzer veranlaßt hat, eine unbedingt positive Antwort auf die historische Jesusfrage zu geben. Das Gemeinsame in den drei Hauptthesen des Schweitzerschen Werks ist die Ansicht, die ,Leben-Jesu-Forschung' sei der Versuch, das dogmatische Problem der Christologie auf dem Weg historischer Forschung zu lösen. Der eigene Standpunkt Schweitzers ist die Überzeugung, daß dieser Weg trotz der von der Literarkritik und der frühen religionsgeschichtlichen Schule erhobenen Einwände historisch möglich und theologisch notwendig sei. Die Entwicklung der „Leben-Jesu-Forschung" erscheint als die konsequente Herausarbeitung dieser Auffassung im Ringen um die Wahrheit. Es ist nicht zu übersehen, daß die historische Fragestellung in der Geschichte der „Leben-Jesu-Forschung" wie auch in der darin zum Ausdruck kommenden eigenen Position Schweitzers auf ein dogmatisches Ergebnis hinausläuft, das sich keineswegs auf eine kritische Destruktion des christologischen Dogmas beschränkt. Die Problematik von Schweitzers eigener theologischer Lösung sei noch zurückgestellt. Zunächst ist zu fragen, inwieweit diese Vorstellung, auf deren Grenzen in den Thesen hingewiesen wurde, dem theologiegeschichtlichen Sachverhalt gerecht wird. Ist es wirklich so, daß in der unter dem Stichwort der „Leben-Jesu-Forschung" erscheinenden historischen Jesusfrage an die Stelle einer dogmatischen eine historisch begründete Christologie tritt? Welche Funktion hat — vorerst nur theologiegeschichtlich betrachtet — die historische Methode? Ausgehend von dem Werk Albert Schweitzers müssen diese Fragen in dieser gewiß zugespitzten Weise gestellt werden; denn das „Historische" und das „Dogmatische", worunter, wie wir sahen, Schweitzer das Biographische und Symbolische versteht, erscheint als eine Alternative, die in der Richtung des Historischen aufgelöst wird. Um eine theologiegeschichtliche Grundlage für die Ermittlung der christologischen Problematik der historischen Jesusfrage zu gewinnen, soll 30 31

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Geschichte . . . S. 631 f. Ebda. S. 483 ff.

in den beiden folgenden Abschnitten dieses Kapitels an zwei für das Wesen der historischen Jesusforschung bezeichnenden Punkten der problemgeschichtliche Horizont erweitert werden. Es geht dabei um die Anfänge der historischen Jesusfrage im Rationalismus und Idealismus sowie um die historische Jesusfrage bei D. F. Strauß. Das Interesse ist besonders auf verschiedene erkenntnistheoretische Voraussetzungen gerichtet, die bisher wenig beachtet worden sind.

B. Die Anfänge der historischen Jesusfrage Die Vorstellung von der historischen Jesusfrage, wie sie sich bei Albert Schweitzer zeigt, ist von zwei Faktoren bestimmt: erstens von der historisch-kritischen Methode, zweitens von der Destruktion des diristologischen Dogmas. Ihren Ausdruck findet sie in dem Konflikt zwischen dem ,historischen Jesus' und dem »dogmatischen Christus' oder ähnlichen Formulierungen, in denen eine kritische Funktion der historischen Jesusfrage gegenüber Dogma, Glauben und Kirche zu erkennen ist. Anders ausgedrückt: An die Stelle der Person des Gottmenschen im christologischen Dogma tritt die Individualität einer in ihrem geschichtlichen Sein zu bestimmenden und bestimmbaren Person. Die Begriffe „Leben Jesu" und „historischer Jesus" sind an sich schon charakteristisch für die historischkritische Rückfrage hinter das Dogma und die neutestamentliche und kirchliche Überlieferung, wenn natürlich gewisse Unterschiede im Umfang des historisch Verifizierbaren bestehen. In ähnlicher Weise wird auch der Begriff des „Lebens Jesu" von D. F. Strauß in der Einleitung zu seinem „Leben Jesu fürs deutsche Volk 3 2 " formuliert, nämlich als Konflikt zwischen der modernen biographischen Darstellung eines „vollen und ganzen Menschen" mit der kirchlichen Lehre von dem Gottmenschen, die mit dem „geschichtlich-biographischen Pragmatismus" der Moderne schlechterdings unvereinbar ist. Die Lösung ist bei Strauß jedoch nicht eine Substitution des,Dogmatischen' durch das ,Biographische', der gottmenschlichen Person durch die historische Persönlichkeit, sondern die Auflösung der Person in die Idee und die Entwicklung des Christentums zur Humanitätsreligion83. An dem ,historischen Jesus' ist Strauß ebensowenig interessiert wie die Aufklärung, die das Christentum zur Vernunftreligion machte. Es ist merkwürdig, wie dieser Sachverhalt nicht nur bei Schweitzer, sondern nahezu durchweg in den theologiegeschichtlichen Darstellungen übergangen wird. Möglich und bis zu einem gewissen Grad erklärbar ist 32 83

3

S. 3 ff. Ebda. S. 624 ff.

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Slenczka, Geschichtlichkeit

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dies nur, wenn man die Konstante der historischen Jesusfrage allein in dem Methoden- und nicht in dem Sachproblem sieht. Die historisch-kritisch gestellte Jesusfrage führt keineswegs unbedingt zu dem historischen Jesus; die Auflösung der dogmatischen Christologie und ihres Personverständnisses kann vielmehr audi zu einer Auflösung der historischen Persönlichkeit Jesu führen.

1. Die rationale Kritik Wenn man die Geschichte der historischen Jesusfrage mit der Aufklärung beginnen läßt, so liegt das Kriterium dafür in den Anfängen der historischen Methode, die in dieser Epoche allmählich in die Theologie eingeführt wurde. Ein weiterer Grund ist durdi die Kritik an der mit dem Schlagwort „supranaturalistisch" bezeichneten orthodoxen Dogmatik gegeben. Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen die Metaphysik des diristologischen Dogmas, sondern gegen die Lehre von der Inspiration der Schrift und gegen den Wunderbegriff. Im Vordergrund steht hier zweifellos die Auflösung des orthodoxen Schriftprinzips, während die christologische Problematik und die Wunderfrage eher als Konsequenzen anzusehen sind. Die Entwicklung der Akkommodationstheorie, vor allem durch J. S. Semler, und die Verwendung des MythusbegriffsZi bilden die Anfänge einer kritischen Schriftauslegung. Von ihr sind auch die Anfänge der historischen Jesusfrage in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bestimmt, und es ist durchaus sachgemäß, wenn schließlich D. F. Strauß sein erstes „Leben Jesu" mit einer ausführlichen Bestandsaufnahme der kritischen Bibelwissenschaft eröffnet. Von einer historischen Kritik kann man in dieser Zeit nur mit Vorbehalt sprechen. Strauß schon weist in diesen Anfängen der kritischen Bibelwissensdiaft die Inkonsequenzen in der Anwendung der methodischen Prinzipien nach, und A. Schweitzer nennt die frühe rationalistische „Leben-Jesu-Forschung" zu Recht „total unhistorisch"35. Die Ergebnisse, von denen Schweitzer eine Blütenlese bringt, wirken heute amüsant oder auch lächerlich, obwohl die Schriften von J. J. Hess, F. V. Reinhard u. a., ganz zu schweigen von der romanhaft populären Darstellung K. F. Bahrdts, eine nachhaltige Wirkung bis weit in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts hinein gehabt haben. Charakteristisch für diese Werke wie 34 G. Hornig, Die Anfänge der historisdi-kritischen Theologie. J. S. Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther. 1961. Bes. dort Kap. VIII. — Chr. HartlichW. Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissensdiaft. 1952. — K. Aner, Die Theologie der Lessingzeit. 1929 (Neudruck 1964). 55 Geschichte der Leben-Jesu-Forsdiung. S. 28.

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auch noch für die Leben-Jesu-Darstellung des späteren Rationalismus 88 ist die teilweise skurrile Vermengung von kritischer Analyse und naturalistischen oder rationalistischen Deutungsversuchen. Klassisches Beispiel hierfür sind die verschiedenen Erklärungen der Auferstehungsberichte als „Jüngerbetrug 37 ", durch die Scheintodtheorie bei Hase, Schleiermacber, Bunsen, Paulus u. a., wobei dann noch verschiedentlich weißgewandete Essener oder andere obskure Gestalten am Grabe erste Hilfe leisten38, oder als objektive bzw. subjektive Vision der Jünger 39 . Aber es kommt hier nicht auf die Einzelheiten dieser Deutungsversuche, sondern auf das Grundsätzliche an. Unhistorisch sind diese Versuche insofern, als die kritische Analyse ganz von der Deutung für die Gegenwart bestimmt ist und mehr oder minder in ihr aufgeht. Der ältere „Rationalismus" sucht nicht die Vergangenheit, sondern sich selbst in der Vergangenheit. Das Problem des Lebens Jesu ist für ihn gelöst in dem Augenblick, wo es ihm gelungen ist, Jesus seiner Zeit nahezubringen, ihn als den großen Lehrer der Tugend darzustellen und zu zeigen, daß seine Lehre identisch ist mit der vom Rationalismus vergötterten Vernunftwahrheit40. Weithin gilt dies auch von dem späteren Rationalismus, auf dessen subjektive Elemente Strauß hingewiesen hat 41 . Im Prinzip gilt dies auch für H . S. Reimarus42, der in Einzelheiten seiner Fragmente einer historisch-kritischen Analyse noch am nächsten kommt, wenn er mindestens im Ansatz die „res facti" zu klären und die Lehre Jesu von der der Apostel und der Darstellung durch die evangelischen „Geschichtsschreiber" zu scheiden sucht43. Reimarus hat auch schon mit beachtlichem Scharfblick den Prozeß der Mythisierung oder Dogmatisierung des Geschichtlichen beschrieben, der in der weiteren Entwicklung zu einem Zentralproblem der historischen Jesusfrage wird. Die fehlgeschlagenen und 86 So etwa bei H. E. G. Paulus, dessen Werk, „Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentums", 1828 erschien; oder auch noch bei K. Hase, dessen Lehrbuch über das Leben Jesu zwischen 1829 und 1865 verschiedene Auflagen erlebte — seine „Vorlesungen über die Geschichte Jesu" erschienen sogar erst 1876. Es ist aber überhaupt bemerkenswert, wie lange sich diese Schriften gehalten und welchen Erfolg sie gehabt haben, wenn nicht als wissenschaftliche Leistungen, so doch als Erbauungsschriften. 37 H . S. Reimarus, 5. Fragment „über die Auferstehungsgeschichte". In „Lessings Werke", hrsg. von J. Petersen und W. von Olshausen, Bd. 22. S. 152. 38 Vgl. z . B . F. D . Schleiermacher, Das Leben Jesu (Sämmtliche Werke I, 6. 1864) S. 441 ff; 460 ff; K. Hase, Geschichte Jesu. 1876. S. 602 ff. 39 D . F. Strauß, Leben Jesu. Bd. II 1 . S. 645 ff. Vgl. auch W. Künneth, Theologie der Auferstehung, 1951 4 , zu den verschiedenen Theorien. 40 A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. S. 28. 41 Leben Jesu. I 1 . § 6. 42 Am leichtesten zugänglich sind die „Fragmente" in Band 22 der Anm. 37 erwähnten Ausgabe von „Lessings Werken". ( = Theol. Schriften III). 43 A. a. O. S. 212 f.

3*

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enttäuschten Hoffnungen auf eine politische Befreiung Israels durch den historischen Messias Jesus führen nach dem Tod zu einem „neuen Systema", in dem nicht mehr historische Fakten, sondern „Hypothesen" oder Zweckgedanken ersonnen werden und Jesus zum „leidenden geistlichen Erlöser der Menschen" gemacht wird 44 . Reimarus beurteilt diesen Vorgang als eine Geschichtsfälschung. Die theologischen Konsequenzen bleiben aber auch bei Reimarus ganz auf der Linie des Rationalismus. Jesus war ein großer Lehrer und Reformator der jüdischen Religion, „der keine neue Geheimnisse oder Glaubensartikul (wie z. B. die Trinitätslehre) gelehret oder zu lehren sich vorgesetzet h a t . . s o n d e r n der „sein ganzes Lehramt darin gesetzet, die Bekehrung und ein rechtschaffenes tätiges Wesen zu predigen". Jesus forderte Vertrauen zu sich, „und dies Vertrauen ist offenbarlich der Glaube, den Jesus fordert; sonst findet man in seinen Reden keinen Lehrglauben oder Glaubenspunkte"4®. Doch über den Tod hinaus gibt es für Reimarus keine Kontinuität der Person, sondern nur der Lehre und des Verhaltens. Es ist letztlich die Liebes- und Gütergemeinschaft der Urgemeinde, ihre ideelle moralische Verfassung und mithin etwas ganz Natürliches, was zur Ausbreitung des Christentums führt und seine Gegenwartsbedeutung begründet 48 . Dies aber ist Wirkung der geschichtlichen Persönlichkeit des Lehrers, nicht aber Werk der Person. Nicht in der vergangenen Person, sondern in der vernunftgemäßen Lehre, die im Grunde von der Person ablösbar ist, liegt die geschichtliche Kontinuität des christlichen Glaubens. Von einem historischen Interesse kann dabei ebensowenig die Rede sein wie von historischer Kritik. Die Anfänge der historischen Jesusfrage sind vielmehr von der rationalen Kritik gekennzeichnet, die von apologetischen und hermeneutischen Motiven bestimmt ist. Die kritische Scheidung zwischen Natürlichem und Unnatürlichem, zwischen Möglichem und Unmöglichem, zwischen Echtem und Falschem, Vergänglichem und Bleibendem zielt stets auf die Vernunftgemäßheit. Vernunftgemäßheit aber heißt hier Gegenwartsbedeutung unter Verzicht auf die Geschichtsbedingtheit einer konkreten Person. Es ist sehr die Frage, ob man tatsächlich in jener Zeit versucht hat, ein Leben Jesu im Zusammenhang einer Biographie zu rekonstruieren. J . J . Hess beschränkt sein dreibändiges Werk auf die drei letzten Lebensjahre, die Reimarus-Fragmente behandeln nicht das Leben Jesu, sondern die A. a. O. S. 262 f. A. a. O. S. 218; 219. Den zweiten Satz könnte etwa auch W. Herrmann schrieben haben. « A. a. O. S. 326. 44

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so ge-

Entstehung des Christentums. Daß man die Evangelien nicht als Geschichtsdokumente auffassen dürfe, haben schon Herder und Schleiermacher klar erkannt 47 . Daß in dieser Zeit bereits Ansätze zu einer „Leben-Jesu-Forschung" vorliegen, soll nicht bestritten werden. Aber es spricht vieles dafür, daß eine bewußte biographische Rekonstruktion eines Lebens Jesu erst nach Strauß einsetzt48. In der rationalen Kritik geht es in der Jesusfrage ebenso wie in der von der Akkommodationstheorie und dem Mythusbegriff bestimmten Exegese primär um die Vermittlung der logischen Differenz. Ihr Ergebnis kann erkenntnistheoretisch als Aufweis einer Identität von Denken und Sein zusammengefaßt werden, und dies schließt eine Aufhebung der zeitlichen Differenz ein. Das Vergangene ist gegenwärtig in der absoluten, d. h. von der geschichtlichen Bedingtheit losgelösten Allgemeingültigkeit der Vernunft. Gewiß ist in diesen Anfängen vieles ungeklärt, ganz gleich, ob man die rationale Kritik oder die Ansätze einer historischen Kritik in den Vordergrund stellt. Die denkerische Durchbildung und auch Weiterführung der rationalen Kritik zu einer völligen Negation des Historischen soll im folgenden Abschnitt gezeigt werden. 2. Die Indifferenz gegenüber dem Historischen in der rationalen Kritik Wir haben gesehen, wie in der rationalen Kritik der Aufklärung die historische Fragestellung mit dem hermeneutischen Anliegen unmittelbar zusammenfällt. Die Überwindung der zeitlichen und logisdien Differenz wird durch die Einheit und Identität der Vernunftreligion vermittelt. Das Historische ist wirklich und gültig, insofern es vernünftig ist und seine Entsprechung in den allgemeinen geistigen und sittlichen Vorstellungen nachweisbar ist. Darin liegt die Kontinuität im Wandel der Geschichte und schließlich audi die Gegenwartsbedeutung der Lehre des göttlichen Lehrers. Es ist nun gewiß richtig, daß diese rationale Kritik und Hermeneutik die Anfänge der späteren historischen Kritik enthält. Wichtige Voraussetzungen dafür wurden in der Exegese jener Zeit schon erarbeitet. Theologiegeschichtlich und formal ist indessen eine konsequente, rein objektbezogene historische Kritik nicht die einzige Möglichkeit, den Ansatz der 47

Vgl. hierzu die von G. Ebeling, Theologie und Verkündigung (1962; 2. Aufl. 1963) S. 28 Anm. 1 erwähnten Stellen. Es dürfte schwerfallen, überhaupt bis hin zu Strauß einen Theologen zu finden, der die Evangelien als rein historische Dokumente eines Lebens Jesu ansieht. Allein die verschiedenen Evangelienhypothesen zeigen schon einen völlig anderen Sachverhalt (s. u. Kap. III, A). Dabei wird sich im folgenden auch zeigen, daß die historisdie Jesusfrage in der sog. ,Leben-Jesu-Forsdiung' nidit primär von einer bestimmten Bewertung der Quellen ausgeht, sondern von theologischen Motiven. 48 Siehe unten Kap. III.

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rationalen Kritik fortzuführen. Erkenntnistheoretisch geht die rationale Kritik mit ihrer Vermischung von historischer und hermeneutischer Problematik von einer Identität von Denken und Sein aus. Die konsequente historische Kritik löst diese Identität in einen Primat des Seins auf. Es bleibt die umgekehrte Möglichkeit einer Auflösung in einen Primat des Denkens, der in der Geschichte der historischen Jesusfrage noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wurde, obwohl sie hier eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Greifbar ist diese Möglichkeit zum erstenmal bei G. E. Lessing und I. Kant, alsdann, mit gewissen Verschiebungen, in der idealistischen Philosophie, zumal bei G. W. F. Hegel, und dann besonders auch in der speziellen „Leben-Jesu-Forschung" bei F. D. Schleiermacher und D. F. Strauß. An den Ausführungen von Lessing und Kant zur historischen Jesusfrage soll die besondere Problemstellung entfaltet werden. Beide haben zwar keine Monographie zur historischen Jesusfrage geschrieben, aber ihre Stellungnahmen haben doch nicht nur auf die dogmatische Christologie, sondern auch auf die historische Jesusforschung ganz erheblich gewirkt. Trotz aller Unterschiede zeigt sich bei Lessing und Kant in dieser Problematik eine weitreichende Ubereinstimmung. Beide kommen philosophisch und theologisch vom Rationalismus her, und bei beiden wird die Korrelation von Denken und Sein in der Richtung auf das Denken aufgelöst. Auf eine Formel gebracht: Das Denken, bei Kant die Idee, hat seine Realität in sich selbst und ist nicht auf eine äußere Erfahrung angewiesen. Dies bedeutet jedoch keineswegs eine Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu an sich, sondern einfach die Negation einer konstitutiven Bedeutung des Historischen für die Vernunft. Es sind vor allem zwei Gesichtspunkte, unter denen Lessing und Kant die Verbindung von Denken und Sein in der rationalen Kritik aufheben: einmal im Hinweis auf das Zufällige der Geschichtswahrheiten gegenüber den Vernunftwahrheiten und dann durch die Vorstellung der Entwicklung von der Offenbarung zum reinen Denken. Lessings** Äußerungen sind fragmentarisch. Im Vordergrund steht die sogenannte ,Lessingfrage', die ja im Grunde keine Frage, sondern eine 49 K. Aner, Die Theologie der Lessingszeit. 1929 (Neudruck 1964); H. Thielidte, Offenbarung, Vernunft und Existenz. Studien zur Religionsphilosophie Lessings. 19574. Bes. S. 141 ff; 150 ff; K. Barth, Kirchliche Dogmatik IV,1 (1953) S. 311—323 (Separat erschienen unter dem Titel: „Das Problem Lessings und das Problem des Petrus. Auftakt zu einer Übergangsüberlegung. In: Ecclesia Semper reformanda. Festschrift für E. Wolf. Beih. zu EvTh 1952, S. 4—17); ders., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, i960 3 . S. 208 ff; R. Hermann, Zu Lessings religions-philosophisdier und theologischer Problematik. In: ZsystTh 22 (1953) S. 127—148, darin bes. S. 130 bis 137; W. Eiert, Der christliche Glaube, i960 5 . S. 156 ff; 159 ff. Gegenüber K. Aner ist

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These ist: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden 60 ." Zusammen mit dem Wort von dem „garstigen breiten Graben 51 " wird die ,Lessingfrage' gern auf einer Linie mit Kierkegaards Problem der „Gleichzeitigkeit" gesehen oder im Sinne der Gewißheitsfrage verstanden. Sofern es Kierkegaard um eine Kritik der auch von Lessing vertretenen Position geht, ist eine Verbindung nicht zu bezweifeln 52 . Bei Lessing selbst jedoch handelt es sich keineswegs um eine echte, wohl auch nicht um eine methodische58, sondern um eine rhetorische Frage, in der die Voraussetzungen der rationalen Kritik ad absurdum geführt werden. Auf eine historische Kritik kann Lessing verzichten54, und er räumt ein, daß die Wunder und Weissagungen, so wie sie in den Evangelien berichtet werden, einschließlich der Auferstehung und Gottessohnschaft Jesu Christi wahr sein mögen und in ihrer Zeit auch eine glaubenbegründende Evidenz hatten. Daraus folgt aber nicht, daß sie heute als berichtete, d. h. historische Sätze diese Evidenz deshalb nicht mehr hätten, weil die historische Wahrheit immer nur approximativ ist und nicht als Erfahrung nachgewiesen werden kann. Dies alles wird zwar von Lessing gesagt. Ziel der Gedanken ist jedoch, daß das, was Christus damals auf eine seiner Zeit angemessene Weise gelehrt und dargestellt hat, seinen Zweck, dem „gesunden Menschenverstand auf die Spur (zu) helfen", erfüllt hat. „Auf die kam er, auf der ist er, und was er auf dieser Spur rechts und links aufgejaget, das, das sind die Früchte jener Wunder und erfüllten Weissagungen55." Der Negation einer Gegenwartsbedeutung des Historischen entspricht die Bejahung der geschichtlichen Entwicklung, der Geschichte als Offendie neuere Lessingforschung vor allem seit der Arbeit von H. Thielidee zu einer anderen Beurteilung Lessings gekommen. Aner beschrieb Lessing als reinen Rationalisten; neuerdings wird er sogar als Vertreter einer Offenbarungstheologie angesehen. M. E. schließt das eine das andere nicht aus. Geistesgeschichtlich resultiert diese Ambivalenz in der Beurteilung wohl daraus, daß sich bei Lessing schon eine deutliche Nähe zum Idealismus zeigt und audi, wie wir hier rein thetisch zeigen werden, zu entsprechenden Problemen bei I. Kant. 50 Wir zitieren im folgenden nach der Ausgabe: „Lessings Werke", hrsg. J. Petersen und W. von Olshausen — daraus die von L. Zscharnack besorgte Ausgabe der „Theologischen Schriften« Bd. 20—23 (o. J.) = I—IV. Das Zitat: IV, S. 47. 61 IV, S. 49. 52 Zum Grundsätzlichen der hier berührten dogmatischen Problematik vgl. K. Barth, Kirchliche Dogmatik IV, 1, S. 311—323; sowie H. Diem, Dogmatik S. 13 ff. " K. Barth, a. a. O. S. 319 f. 54 Dies gilt besonders von Lessings Urevangeliumshypothese, deren Tendenz in der Vergeistigung des Natürlichen und Historischen besteht. Vgl. hierzu die „Theses aus der Kirchengesdndite", Bd. II, S. 244 ff und die „Neue Hypothese über die Evangelisten als bloß menschliche Geschichtsschreiber betrachtet", Bd. IV, S. 120 ff. Weiteres s. u. Kap. III, A. 55 IV, S. 49 ff; vgl. „Die Erziehung des Menschengeschlechts" bes. §§ 68 ff.

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barung im Sinne der Erziehung. Offenbarung ist ein „Richtungsstoß59", also — man denke hier schon an Schleiermacher — ein Impuls, der in der Kindheit des Menschengeschlechts und des Individuums auf indirekte Weise zur Erkenntnis der Vernunftwahrheiten verhilft, auf die der Mensch, wenn auch auf Umwegen, von selbst hätte kommen können 57 ; denn das, was die als Erziehung verstandene Offenbarung gibt, ist im Menschen bereits angelegt: Erziehung „gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher 58 ." Von hier aus erübrigt sich eine historische Kritik, die, im Sinne des Rationalismus, die bereits im Menschen liegende Vernunftwahrheit außerhalb von ihm in dem „Elementarbuch" des Neuen Testaments nachweisen oder eintragen will. Denn im Grunde würde damit die mäeutische Funktion des Historischen für die noch unentwickelte Vernunft aufgehoben. „Zufällig" sind die Geschichtswahrheiten deshalb, weil jede positive Religion diese mäeutische Funktion erfüllen kann 59 . Über diese Funktion im Entwicklungsprozeß der Menschheit und des Individuums hinaus hat das Historische jedoch keine selbständige Bedeutung. Es geht Lessing nicht um die Person Jesu, sondern um deren religiöses Verhalten 80 . Im Ansatz zeigt sich in Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 91 " eine auffallende Übereinstimmung mit den Gedanken Lessings. Ein Unterschied besteht lediglich darin, daß Kant den expansiven TraditionsbegrifF Lessings ablehnt 62 und aus praktischen Gründen an einem Schriftprinzip und dem Kirchenglauben als „Vehikel und M

Erziehung § 63. Ebda. § 4. 58 Ebda. § 4. M Erziehung, Vorberidit. Vgl. auch „Über die Entstehung der geoffenbarten Religion« Bd. I, S. 193 ff. «o „Die Religion Christi", Bd. IV, S. 352 f. 81 Wir zitieren nach der Ausgabe: Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, hrsg. von W. Weischedel, Darmstadt 1956—1964. Die Angaben der Seitenzahlen beziehen sich auf die zweite Originalausgabe von „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" (1894), die in den meisten Ausgaben vermerkt sind. Aus der umfangreidien Literatur ist für unsere Problematik von grundlegender Bedeutung das Werk von I. Bohatec, Die Religionsphilosophie Kants in der .Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft', Hamburg 1938. Hier werden vor allem die theologisdien und theologiegesdiiditlichen Hintergründe der Kantsdien Schrift aufgezeigt. Speziell zur christologischen Problematik bei Kant vgl. H. Vogel, Die Umdeutung der Christologie in der Religionsphilosophie Immanuel Kants. In: EvTheol. 14 (1954) S. 399—413. ®2 Religion, S. 152 f; Der Streit der Fakultäten (in Bd. VI der Anm. 61 erwähnten Ausgabe. Seitenzahl nach der Originalausgabe) S. 46; Bohatec, S. 427. 57

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Mittel der öffentlichen Vereinigung der Menschen" festhält. In demselben Sinne kann Kant auch von den „Fakten" des Christentums sprechen, das noch „statutarischer" oder „Kirchenglaube", aber noch nicht reiner Vernunftglaube ist63. Aus diesen praktischen Gründen bleibt es bei einem ständigen Nebeneinander von Kirchen- und Vernunftglauben bzw. von biblischer und philosophischer Theologie64, wiewohl Kant auch davon überzeugt ist, daß die „Geheimnisse von der göttlichen Natur" in „moralische Begriffe verwandelt werden müssen, wenn sie für jedermann verständlich werden sollen"65. Kants Schrift über die Religion folgt in ihrem Aufbau dem dogmatischen System und schließt sich eng, wie I. Bohatec gezeigt hat, an bestimmte Vorbilder aus der rationalistischen Theologie an. Es wird der Beweis geführt, daß der positive (statutarische) christliche Glaube mit der Vernunftreligion in voller Ubereinstimmung steht und den Prinzipien der im Menschen liegenden praktischen Vernunft entspricht. Ähnlich wie es später Hegel bei der Trinitätslehre getan hat, werden auch von Kant verschiedene Lehrstücke, bes. die Erbsündenlehre und die Versöhnungslehre, erheblich positiver beurteilt, als es bei Theologen seiner Zeit der Fall gewesen ist. Der Gedanke der stellvertretenden Genugtuung durch Leiden und Tod, an dem J. S. Semler ebenso ,wie Schleiermacher scheiterten, ist von Kant weit ausgebaut. In diesem Punkt distanziert er sich auch von Bahrdt und Reimarm, die in ihren Leben-Jesu-Darstellungen den Leidensgedanken kritisch ausscheiden69. Ähnlich ist es bei der Jungfrauengeburt, die Kant im Prinzip als vernünftig ansieht. Bedenken hat er lediglich wegen der naheliegenden Gefahr eines Doketismus, der das aus der Gleichheit mit den natürlichen Menschen begründete Beispiel und Vorbild des „göttlichen Menschen" durch eine zu große Distanz unmöglich machen würde 67 . Ebensowenig werden die Geschichten von der Auferstehung und Himmelfahrt prinzipiell abgelehnt; die Einwände beschränken sich auf die damit verbundenen materiellen und kosmologischen Vorstellungen, ohne damit jedoch die Sache selbst aufzuheben 88 . Wie Lessing kann auch Kant auf eine kritische Auflösung der biblischen Texte oder eine grundsätzliche Bestreitung der Wirklichkeit einzelner Tatsachen oder Aussagen verzichten. Der Grund dafür ist jedoch nicht eine Erweiterung möglicher Erfahrung, sondern ein prinzipielles Desinteresse an der geschichtlichen Faktizität. Die empirische Wirklichkeit ist nicht entscheidend für die Wirklichkeit der Idee. Auch für Kant ist der Zusammen68

Religion, S. 145; 238; 248. Religion, Vorrede zur 1. Aufl. S. XV. 65 Religion, Vorrede zur 2. Aufl. S. X X V I ; vgl. „Streit der Fakultäten" S. 49 f. " Religion, S. 111 Anm. • 7 A. a. O. S. 79 f; vgl. S. 109 f. 68 A. a. O. S. 191 f. Bohatec, S. 466 ff. 64

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hang von historischen und Vernunftwahrheiten „zufällig" oder „willkürlich"69. Exegetisch bedeutet dies, daß es letztlich unerheblich ist zu wissen, welches der buchstäbliche Sinn und die ursprüngliche Absicht der Verfasser Heiliger Schriften gewesen ist, solange nur „die Möglichkeit (besteht), die Verfasser derselben so zu verstehen", daß der Inhalt mit den allgemeinen moralischen Glaubenssätzen in Ubereinstimmung gebracht werden kann. Die Moral wird nicht nach der Bibel, sondern die Bibel nach der Moral ausgelegt70: „Denn selbst das Lesen dieser heiligen Schriften oder die Erkundigung nach ihrem Inhalt hat zur Endabsicht, bessere Menschen zu machen; das Historische aber, was dazu nichts beiträgt, ist etwas an sich ganz Gleichgültiges, mit dem man es halten kann, wie man will 71 ." Dies gilt nun schließlich auch für den historischen Jesus als der „personifizierten Idee des guten Prinzips" 72 . Kant kann alle Aussagen der Evangelien aufnehmen, und es besteht gar nicht die Notwendigkeit, nach ihrer historischen Realität zu fragen. Denn „diese Idee hat ihre Realität in praktischer Beziehung in sich selbst. Denn sie liegt in unserer moralisch gesetzgebenden Vernunft... Es bedarf also keines Beispiels der Erfahrung, um die Idee eines Gott moralisch wohlgefälligen Menschen für uns zum Vorbilde zu machen; sie liegt als ein soldies schon in unserer Vernunft 73 ." Der historische Jesus erscheint bei Kant deshalb auch nicht als der große Weisheitslehrer oder Offenbarer höherer Vernunftwahrheiten. Es erscheint auch nicht das Problem der zeitlichen oder logischen Differenz, und es fehlen auch die Prinzipien einer historischen oder rationalen Analogie, Kritik und Korrelation zwischen Objekt und Subjekt. Denn die Einheit und Übereinstimmung ist allein durdi das Denken in der apriorischen Idee der praktischen Vernunft gegeben. Der Geschichtsglaube, der sich an „Statuten" und auf historische Tatsachen stützt, ist nicht nur eine intellektuell niedrigere Stufe gegenüber dem Vernunft- oder Religionsglauben. Er ist auch „moralischer Unglauben, nämlich Mangel des Glaubens an die Tugend, den kein auf Beweise durdi Wunder gegründeter Glaube (der nur historisch ist) ersetzen kann" — eine Formulierung, die ähnlich bei Strauß wieder begegnet74. „Allein in der Erscheinung des Gottmenschen ist nicht das, was von ihm in die Sinne fällt oder durch Erfahrung erkannt werden kann, sondern das in unserer Vernunft liegende Urbild, welches wir dem letzteren unterlegen... eigentlich das Objekt des seligmachenden Glaubens, und ein solcher 89 70 71 72 7S 74

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A . a . O . S. 148 und 151. A . a . O . S. 158; 159,161. A. a. O. S. 161. A. a. O. S. 73. A. a. O. S. 76, 77. A. a. O. S. 78. Siehe unten S. 55 bei Anm. 133.

Glaube ist einerlei mit dem Prinzip eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels 75 ." Christus — Kant verwendet diese Bezeichnung nie — ist Urbild, Vorbild und Beispiel nicht in der Eigenart und Wirkung einer historischen Person, sondern als die in der menschlichen Vernunft real existierende Idee. Das Historische, dessen Realität an sich irrelevant ist, hat im Grunde nur die Funktion einer Anregung, eines Impulses, wie bei Lessing, indem es „auf den Weg bringt" zu der in der menschlichen Vernunft selbst liegenden Möglichkeit der sittlichen Forderung und des sittlichen Handelns. In der Geschichte der historischen Jesusfrage kann auf diesen Standpunkt nicht verzichtet werden, in dem Historisches nicht kritisch durchdrungen wird, sondern indifferent bleibt. Weder Schleiermacher noch D. F. Strauß, aber auch A. Ritsehl und W. Herrmann können ohne diese theologie- bzw. geistesgeschichtliche Voraussetzung richtig verstanden werden. Die Indifferenz gegenüber dem Historischen ist also nidit erst ein Scheitern der historisch-kritischen Rückfrage bei dem Versuch einer Rekonstruktion des Lebens Jesu. Sie ist vielmehr eine prinzipielle Möglichkeit rationaler Kritik, die jedoch übersehen wird, wenn man die historisch-kritische Fragestellung in einseitiger Weise isoliert. So begegnet bereits in den Anfängen der historischen Jesusforschung eine nicht zu unterschätzende Position, in der keineswegs die Geschichtlichkeit Jesu geleugnet wird, die jedoch auf eine bleibende Bedeutung des historischen Jesus für den Glauben verzichtet. Daß hier historische und dogmatische Fragestellung unlösbar miteinander verbunden sind, bedarf keines Hinweises. Als Beispiel für diese Position mögen die Gedanken Lessings und Kants genügen, die im Grundsätzlichen mit der idealistischen Philosophie J. G. Fichtes76 und F. W. J. Schellings1'' in diesem Punkt übereinstimmen. Ihrem Niederschlag in der Philosophie Hegels werden wir bei D. F. Strauß begegnen. 78

A. a. O. S. 175. J. G. Fichte, Die Anweisung zum seligen Leben. Hrsg. F. Medicus. Phil. Bibliothek Bd. 234. Hamburg 1954. S. 97 das bekannte Zitat: „Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische, macht selig; das letztere macht nur verständig." Auch hier zeigt sidi mit dem Verzidit auf das Historische der Verzicht auf die Person. An die Stelle dessen tritt der Begriff der „Vereinigung mit Gott", in dem das positiv Christliche faktisch aufgehoben ist. 77 Vgl. bes. Schellings Spätwerk, die „Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie und der Offenbarung". Schelling versucht, sich hier gegen den Idealismus Hegels abzugrenzen; aber gerade in den Ausführungen zur Christologie wird auch die Person Christi in einem Entwicklungsprozeß aufgehoben. Vgl. dazu W. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings. 1955. n

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3. Die Vermittlung zwischen Rationalismus und Idealismus An den Anfängen der historischen Jesusforschung stehen nicht exegetische Einzelfragen, sondern Grundsatzentscheidungen, die aber vielfach unbewußt und auch unbeachtet vollzogen werden. Sie sind, wie wir sahen, am besten in der Zuordnung von Denken und Sein zu erfassen. Den rationalistischen Leben-Jesu-Darstellungen liegt eine Identität von Denken und Sein zugrunde: Wirklich ist das, was gedadit werden kann; das Gedachte hat eine Entsprechung im Wirklichen. Die Aufdeckung dieser Identität ist die erkenntnistheoretische Grundlage der rationalen Kritik. Wie sehr dabei subjektive Momente im Spiel sind, zeigen die Lösungen, in denen das Historische schon in einen reinen Subjektivismus übergeht. Was demgegenüber bei Lessing und Kant und dann in der idealistischen Philosophie hervortritt, ist die Autonomie des Denkens und seine Unabhängigkeit von dem Sein. Dies führt zur völligen Indifferenz gegenüber dem Historischen. Man fühlt sich hier schon an E. Troeltsch erinnert, bei dem das Historische keine demonstrierende, sondern nur eine illustrierende Funktion hat. In der historischen Jesusfrage führen beide Ansätze trotz ihrer untersdiiedlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen zu derselben Konsequenz, nämlich der Auflösung des Historischen in allgemeine VernunftbegrifFe, durch die die zeitliche und logische Differenz überwunden bzw. ausgeschaltet wird. Der Glaube an Christus wird zur Moral. Man muß dies sehen, um zu verstehen, wie die weitere historische Jesusforschung und auch die dogmatische Christologie nicht nur von der Auseinandersetzung mit dem sogenannten Supranaturalismus oder der Metaphysik der orthodoxen Dogmatik bestimmt ist, sondern auch von dieser Auflösung des Historischen. Am deutlichsten ist dies bei Schleiermacher zu erkennen. Da auf ihn später ausführlich eingegangen werden soll, genügen hier ein paar Hinweise zur theologiegeschichtlichen Einordnung. Schon Strauß hat Schleiermacher als Eklektiker bezeichnet mit einer rationalistischen Exegese und einer supranaturalistischen Dogmatik, und dies trifft tatsächlich den Konflikt, der das theologische Denken Schleiermachers durchzieht. Es ist geprägt von dem Bemühen, das Positive, Historische des christlichen Glaubens mit den idealistischen Voraussetzungen seines Denkens zu verbinden. Die „Reden über die Religion" sind, wie die fünfte Rede zeigt, eine Apologie der positiven Religion gegenüber der natürlichen Religion. In der Christologie seiner Glaubenslehre ergänzt er den Kantschen Begriff des Urbilds durch die „vollkommene Geschichtlichkeit"78. Durch den Schluß von der gegenwärtigen Wirkung auf die Ursache versucht er, das ,extra 78

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F. D. Schleiermacher,

Der christliche Glaube (2. Aufl.), § 93.

nos' der geschichtlichen Existenz Jesu festzuhalten und zugleich die zeitliche Differenz zu überwinden 79 . Durch die Abgrenzung gegenüber Metaphysik und Moral 80 will er die Religion dem Schematismus von Denken und Sein entziehen und ihr einen eigenen Bereich in der menschlichen Existenz zuweisen. Deutlich tritt in diesen Anfängen der historischen Jesusfrage schon der Konflikt zwischen Glauben und Historie (im Sinne des Berichteten und kritisch zu Verifizierenden) hervor. Aber die Problemstellung erscheint in der Form eines Dreieckverhältnisses, nämlich von Historie, Glauben und Denken, wobei das Denken nicht nur die kritische, sondern auch die vermittelnde Funktion übernimmt, um den Glauben zu ermöglichen. K. Hase, der ähnlich wie Schleiermacher theologiegeschichtlich eine Zwischenstellung zwischen Rationalismus und Idealismus einnimmt, hat in diesem Sinne die Aufgabe einer „Geschichte Jesu" folgendermaßen formuliert: „Die Geschichte Jesu hat das Rätsel eines großen Menschenlebens zu lösen, indem sie darstellt, wie Jesus von Nazaret nach göttlicher Bestimmung durch die freie Tat seines Geistes in der Veranlassung des Zeitalters Weltheiland geworden ist81." In diesem Satz erscheint ähnlich wie bei Schleiermacher das Schema: .gegenwärtige Wirkung' — nämlich als Weltheiland — und ,Frage nach der Ursache' in der Geschichte Jesu. Mit diesem Schema, in dem der Glaube oder das christlich bestimmte fromme Bewußtsein in die Frage nach dem historischen Jesus als Ursache einbezogen wird, kommt es zu einer bemerkenswerten Erweiterung des Schemas von Denken und Sein. Ihre hier nur kurz zu erwähnende theologische Bedeutung liegt darin, daß man nicht allein nach der Möglichkeit des Seins, des Historischen fragt, sondern die Wirklichkeit des Glaubens, die nicht erst durch einen Akt des Denkens konstituiert werden muß, als Wirkung einer Ursache voraussetzt. In den Vorlesungen Schleiermachers über das Leben Jesu82 ist dieser Grundansatz seiner Theologie deutlich zu erkennen, wenn er nun das Bild des historischen Jesus nach den christologischen Prinzipien des Ebionitismus und des Doketismus „konstruiert" oder „kalkuliert". Strauß hat ihm deshalb den bezeichnenden Vorwurf gemacht, daß er sich vergeblich bemüht habe, den idealen wie den dogmatischen Christus auf der einen und den geschichtlichen Jesus auf der anderen Seite vermittelnd zusammenzuhalten 83 . Ein ähnliches Bemühen ist aber auch bei K. Hase zu erkennen, der wohl als erster an die Stelle der klassischen Christologie und Soteriologie in 7

80 » A. a. O. § 14,1. „Reden über die Religion", 2. Rede. 82 Geschichte Jesu, S. 2 f. Schleiermacher, Sämmtliche Werke I, 6.1864. 83 D . F. Strauß, Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Eine Kritik des Schleiermacherschen Lebens Jesu. Berlin 1865. S. 222 f. 81

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seiner Dogmatik die Geschichte Jesu einfügte. In der ,Lehre vom Werk Christi' verzichtet er ganz auf jede Art von Versöhnungstheorie, der er allenfalls eine illustrierende Bedeutung zuschreibt. Statt dessen ist hier von der „religiösen Einwirkung Christi durch sein zeitliches Leben" die Rede. Diese Einwirkung aber „ist bedingt durch seine eigene Religiosität. Das wissenschaftliche (also denkerische R. S.) Mittelglied zwischen beidem ist die Geschichte Jesu nach Epochen und Charakter 84 ." Ohne diesen Hintergrund bleibt die theologische Bedeutung der historischen Jesusfrage schlechterdings unverständlich. Dies wird erkennbar, wenn wir im folgenden Abschnitt auf die Behandlung der historischen Jesusfrage bei D. F. Strauß eingehen, die ganz von den hier aufgezeigten Problemen bestimmt ist. C. Die historische Jesusfrage bei D. F. Strauß Bis heute sind in der Literatur die Ansichten geteilt, ob Strauß als H i storiker oder als Dogmatiker bzw. Philosoph anzusehen sei. Genauer: ob bei ihm die konsequente Anwendung historischer Kritik zu dogmatischen Folgerungen führt oder umgekehrt die historische Kritik Teil und Mittel eines dogmatischen oder philosophischen Programms ist. Die Einstellung zu Strauß scheint gelegentlich so etwas wie ein Bekenntnis für oder gegen eine wissenschaftliche, will sagen ,undogmatische' Methode in der Theologie zu sein. Die Verfechter beider Seiten dieser mißlichen Alternative, die von vornherein auf einen Gegensatz zwischen Historischem und Dogmatischem fixiert ist, können jeweils begründete Argumente vorbringen, die für sie sprechen, ohne daß dadurch die Aporien der Strauß-Forschung bzw. seiner Behandlung der historischen Jesusfrage gelöst würden. In der großartigen Strauß-Darstellung Albert Schweitzers ruht der Schwerpunkt auf der historischen Kritik. Zwar sieht Schweitzer bei Strauß ähnlich wie bei Schleiermacher das Moment einer dialektischen Konstruktion85, doch er verzichtet, auf die systematischen Voraussetzungen des Straußschen MythusbegrifFs und die Relation von Idee und Individuum einzugehen. Die christologische Problematik der „Schlußabhandlung" aus dem „Leben Jesu" wird kaum gestreift. Demgegenüber stellt Schweitzer die „positiv-historischen Andeutungen" in den Vordergrund, die vorwiegend um das Messiasbewußtsein und die eschatologischen Vorstellungen kreisen. Die Möglichkeit, daß die historische Kritik bei Strauß zu einem negativen Befund führt, ist bei Schweitzer ausgeschlossen, auch wenn er die Grenze des Mythischen für zu weit vorgeschoben hält 86 . Schweitzer 84 85 89

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K. Hase, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik. Stuttgart 1826. S. 322. A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, S. 82. A. a. O. S. 85.

liegt an einer Aufwertung des positiven Elements in der historischen Kritik des Straußschen „Leben Jesu 87 ", in dem Schweitzer die Ansätze seiner eigenen Position zu erkennen glaubt. Darauf folgt jedoch der Vorwurf, daß Strauß seine bessere Erkenntnis von 1835 später in dem „Leben Jesu fürs deutsche Volk" (1864) verleugnete und „statt des historischen den liberalen Jesus darstellte" 88 . Wenig anders ist das Urteil von E. Hirsch™, der zwar den historisch kritischen Ansatz positiv, die Ergebnisse aber als zu negativ bewertet: Strauß ging die Fähigkeit ab, „den bleibenden Kern geschichtlicher Nachrichten mit religiöser Innerlichkeit zu durchdringen" 90 . Die Erwägungen der Schlußabhandlung werden als unhaltbar kritisiert 91 , und mit unverkennbarem Bedauern über das negative Ergebnis eines positiven Ansatzes stellt Hirsch fest: „So, wie Strauß den geschichtlichen Jesus sieht, kann dieser kein Gegenstand des Glaubens sein92." Im Vergleich zu Schweitzer sieht Hirsch durchaus den negativen Befund auch schon im „Leben Jesu" von 1835, aber er hält ihn für inkonsequent. Die als Beispiele angeführten Urteile sind charakteristisch für die Wirkungsgeschichte, nicht aber für das Werk von Strauß, die in einer eigenartigen Spannung zueinander stehen. Daher ist es auch durchaus richtig, wenn gelegentlich gesagt wurde, daß Strauß wohl Dogmatiker oder Philosoph war und sein wollte, jedoch als Historiker bleibend gewirkt habe93. Allerdings wird man diesem Urteil zufügen müssen, daß Strauß nur deshalb als Historiker gewirkt hat, weil man die philosophischen Voraussetzungen und die theologischen Konsequenzen seiner historischen Kritik ablehnte. Ebenso kann man ihn als Vertreter einer positiven Leben-JesuForschung nur dort sehen, wo man den eindeutig negativen Befund seiner beiden „Leben Jesu" eliminiert, indem man versucht, die Grenzen des historisch Verifizierbaren erheblich weiter vorzuschieben und Möglichkeiten einer religiösen Deutung des Geschichtlichen zu finden. So bemüht man sich, die von Strauß aufgerissene Kluft zwischen dem „Christus des Glaubens und dem Jesus der Geschichte", zwischen Idee und Individuum zu überwinden. Dies war dann auch das konservative Bemühen der allgemein als liberal angesehenen Leben-Jesu-Forschung nach D. F. Strauß, der es im Gegensatz zu Strauß um nichts anderes ging, als die Grenzen des historisch Erkennbaren auf ein Gesamtleben oder auf besonders wichtige Abschnitte im Leben Jesu auszuweiten und von hier aus die Bedeu87

88 A. a. O. S. 97. A. a. O. S. 97; vgl. S. 193 ff. E. Hirsch, Gesdiidite der neueren evangelischen Theologie, i960 2 . Bd. V, S. 495 ff. 90 91 A. a. O. S. 501. A. a. O. S. 503. 98 A. a. O. S. 501. 93 A. Hein, Die Christologie von D. Fr. Strauß. In: ZThK 16 (1906) S. 324; E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi. 1911. S. 127; G. Backhaus, Kerygma und Mythos bei David Friedrich Strauß und Rudolf Bultmann. 1956. S. 79. 89

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tung des historischen Jesus für den Glauben in der Front gegen eine ungeschichtliche Idealisierung des Christentums nachzuweisen. Die dogmatischen und philosophischen Aspekte des Straußschen Werks sind nur selten und auch erst verhältnismäßig spät berücksichtigt worden. I. A. Dorner sieht in einer längeren Fußnote bei Strauß den Zusammenbruch der Hegelsdien Christologie94. Erst am Anfang dieses Jahrhunderts wurde „die Christologie von David Friedrich Strauß" durch A. Hein9* und E. Günther9* unter besonderer Berücksichtigung der Schlußabhandlung aus dem ,Leben Jesu' neu herausgestellt. Daß Strauß nicht nur als Historiker ,e contrario', sondern auch als Systematiker gewirkt hat, zeigt aber vor allem die Christologie von Alexander Schweizer. Bereits 1837 hat sich Schweizer in seiner Abhandlung über „das Leben Jesu von Strauß im Verhältnis zur Schleiermacherschen Dignität des Religionsstifters 97 " mit dem negativen historischen und dogmatischen Ergebnis in Strauß' „Leben Jesu" befaßt. Die Christologie von Schweizers „Christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen 98 " ist dann der Versuch, gegen die Trennung von Idee und geschichtlichem Individuum bei Strauß die Zweinaturenlehre als die Vereinigung und Einheit des geschichtlichen Christus mit seiner Idee zu entwickeln. Die Christologie Schleiermachers wird dabei nicht nur durch eine Kritik, sondern auch durch die konstruktive Aufnahme Straußscher Gedanken weitergeführt. Am weitesten sind wohl K. Barth99 und besonders M. Huber100 in der Richtung auf die theologische Problematik des Straußschen Werks vorgedrungen. Dazu war es vor allem nötig, nicht entweder den Historiker oder den Dogmatiker und Philosophen zu sehen, sondern eben die Kernfrage, die sich nicht nur in verschiedenen Wandlungen und Epochen, sondern als Grundanliegen bei Strauß abzeichnet. Dieses Grundanliegen soll 94 I. A. Dorner, Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi. Bd. II (1853 2 ), S. 1118 f. 95 A. Hein, Die Christologie von D . Fr. Strauß. In: ZThK 16 (1906) S. 321—345. 99 E. Günther, Bemerkungen zur Christologie von David Friedrich Strauß. In: ZThK 18 (1908) S. 202—211. Ders.: Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi, S. 127 bis 143. 97 A. Schweizer, Das Leben Jesu von Strauß im Verhältnis zur Sdileiermadiersdien Dignität des Religionsstifters. In: Theologische Studien und Kritiken 10 (1837) S. 459 bis 510. 98 A. Schweizer, Die christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen. 2 Bde. Leipzig 1877 2 . Bd. 2, § 118. Die Christologie Schweizers ist eine fortlaufende Auseinandersetzung mit Strauß. 99 K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, i960 3 . S. 490 ff sowie: David Friedrich Strauß als Theologe 1839—1939. Theologische Studien H. 6. Zürich 1948 2 . 100 M. Huber, Jesus Christus als Erlöser in der liberalen Theologie. Winterthur 1956. S. 78 ff.

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im folgenden an einigen Punkten veranschaulicht werden, und zwar auch hier mit dem Ziel einer theologiegeschichtlichen Ortsbestimmung der historischen Jesusfrage. Dabei wird sich herausstellen, wie Strauß nicht erst in seiner „Christlichen Glaubenslehre" (1840/41) oder in dem „Leben Jesu fürs deutsche Volk" (1864) oder erst in dem Spätwerk „Der alte und der neue Glaube" (1872), sondern bereits mit dem „Leben Jesu" (1835/36) die Geschichtlichkeit Jesu prinzipiell aufhebt. Dies läßt sich nachweisen 1. an den Ergebnissen seiner historischen Kritik, 2. an den Voraussetzungen seines Mythusbegriffs und 3. an dem philosophisch-dogmatischen Gefüge seiner ,Christologiec.

1. Die Ergebnisse der historischen Kritik Die historische Kritik ist in dem „Leben Jesu" Teil und Mittel einer Gesamtkonzeption, deren ersten Entwurf Strauß in den „Streitschriften101 folgendermaßen beschreibt: Das Werk sollte drei Teile haben, „davon der erste, positive und traditionelle, eine objective Darstellung des Lebens Jesu nach den Evangelien, ferner eine Darlegung der Art, wie Jesus subjektiv in den Gläubigen lebt, endlich die Vermittlung beider Seiten im zweiten Artikel des apostolischen Symbolums enthalten sollte. Der zweite, negative oder kritische Teil sollte die Lebensgeschichte Jesu als Geschichte großenteils auflösen, der dritte Teil das Vernichtete dogmatisch wiederherstellen102." Auf die Ausführung des ersten Teils hat Strauß verzichtet. Was darin zu einer positiven Darstellung des Lebens Jesu hätte führen können, erscheint innerhalb des kritischen Teils, wo sich Strauß zu jeder Perikope mit der rationalistischen und der supranaturalistischen orthodoxen Deutung des Lebens Jesu auseinandersetzt. Die Erwägungen zum zweiten Artikel des Apostolikums wurden in die dogmatische Schlußabhandlung aufgenommen. Der kritische Teil bildet das Hauptstück des ganzen Werks, dessen Ziel also darin besteht: „die Lebensgeschichte Jesu als Geschichte großenteils aufzulösen". Die historische Kritik ist also von vornherein nicht auf die Ermittlung eines geschichtlichen Kerns in der mythischen Übermalung gerichtet, sondern auf die Destruktion des Geschichtlichen. Daß der Titel des Werks auch mit dem Hinweis auf die „kritische Bearbeitung" irreführend ist, wurde schon von den Kritikern der ersten Auflage beanstandet 103 . 101 D . F. Strauß, Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie. Ausgabe in einem Band. Tübingen 1841. III, S. 57 ff. 102 A. a. O. S. 59. 103 A. a. O. S. 60; vgl. Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 1864. S. 5 ff.

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8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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Literarkritische Untersuchungen spielen bei Strauß keine Rolle, auch wenn er sich in der johanneischen Frage gegen Schleiermacher entschied104. Seine kritische Methode besteht einerseits in der konsequenten Anwendung des Mythusbegriffs und andrerseits darin, die Inkonsequenz der rationalistischen und supranaturalistischen Deutungsversuche in der vorangehenden historischen Jesusforschung aufzudecken. Dies aber bedeutet, daß von Strauß nicht nur das Ungenügende in der kritischen Methode dieser Arbeiten abgelehnt wird, sondern auch das Bemühen um eine Synthese zwischen dem historischen Jesus und dem dogmatischen Christus in der supranaturalistischen Deutung einerseits und die Suche nach einem rationalen oder auch historischen Kern in der rationalistischen Deutung andrerseits. Beiden Richtungen gemeinsam ist das Bestreben, je auf ihre Weise eine überzeitliche Bedeutung der Person Jesu zu wahren. Wie aber steht es bei Strauß selbst um die Rückfrage nach dem historischen Kern der Evangelien und nach der Person Jesu? In der analytischen Kritik des „Leben Jesu" verzichtet er völlig auf eine synthetische Zusammenfassung seiner Ergebnisse. Demgegenüber enthält das „Leben Jesu fürs deutsche Volk" einen Teil: „Das Leben Jesu im geschichtlichen Umriß". Er steht neben einem zweiten Teil: „Die mythische Geschichte Jesu in ihrer Entstehung und Ausbildung" und enthält durchaus so etwas wie ein „Leben Jesu" als Ergebnis historisch-kritischer Forschungsarbeit 105 . Strauß hält es durchaus für möglich, einen historischen Kern aus den neutestamentlichen Quellen und aus der Umwelt des Neuen Testaments zu ermitteln, selbst wenn die Ergebnisse ausdrücklich mit dem Vorbehalt des „Mutmaßlichen" und Vorläufigen vorgelegt werden 108 . Den historischen Kern erblickt Strauß, ohne daß er später wesentlich erweitert würde, im „Leben Jesu 1 0 7 " darin, daß Jesus „in Nazaret aufgewachsen sei, von Johannes sich habe taufen lassen, Jünger gesammelt habe, im jüdischen Lande lehrend umhergezogen sei, überall dem Pharisäismus sich entgegengestellt und zum Messiasreiche eingeladen habe, daß er aber am Ende dem Haß und Neid der pharisäischen Partei erlegen, und am Kreuze gestorben sei". Hierzu gehört auch, daß bestimmte Elemente der synoptischen Reden- und Gleichnisstoffe als ursprünglich angesehen werden 108 . Die in dem kritischen Teil des „Leben Jesu" beabsichtigte weitgehende Auflösung der Lebensgeschichte Jesu als Geschichte bedeutet also keineswegs eine Leugnung aller historischen Faktizität. 104 Streitschriften III, S. 60; Das Leben Jesu für das deutsche Volk. S. 69 ff; A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. S. 86 ff. 1 0 5 Das Leben Jesu für das deutsche Volk. S. 159 ff. 1 0 6 A. a. O. S. 161, vgl. S. 6 und S. 621 f. 1 0 7 Leben Jesu. Bd. I 1 . S. 72. 108 A. a. O. I. S. 569 ff; vgl. Das Leben Jesu für das deutsche Volk. S. 252 ff.

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Albert Schweitzer hat in seiner Darstellung besonders hervorgehoben, daß Strauß auch an der historischen Faktizität des messianischen Bewußtseins Jesu und verschiedener eschatologischer Stellen in den Redestoffen festhalte 109 . Gegen die Ausführungen über das Messiasbewußtsein in dem „Leben Jesu fürs deutsche Volk 110 " erhebt er jedoch Einwände, weil dort die Ansicht vertreten wird, daß sich das messianische Bewußtsein bei Jesus nicht von innen heraus entwickelt habe, sondern von außen an ihn herangetreten sei und von ihm aufgenommen wurde. Diese für die spätere Spezialforschung über das messianische Selbstbewußtsein Jesu bezeichnende Kritik wird auch von W. Baldensperger111 gegen Strauß u. a. erhoben, allerdings hier bereits gegen die 1. Auflage des „Leben Jesu". Der komplizierte Sachverhalt dieser Frage ist bei Strauß nicht leicht zu entwirren 112 . Aber hinter den bei Baldensperger und Schweitzer nur angedeuteten Unterschieden stehen doch tiefgehende sachliche Differenzen. Jedenfalls hat bei Strauß das messianische Selbstbewußtsein Jesu keineswegs das theologische Gewicht, das es später gewinnt, obwohl die historische Problemstellung bei ihm schon grundlegend formuliert wird. Zunächst ist in der Terminologie festzustellen, daß Strauß nirgends von einem messianischen Selbstbewußtsein Jesu spricht, sondern stets zwischen Jesu Selbstbewußtsein und der Messias-Idee scheidet. Für ihn stellt sich die Frage, „wie bald sich Jesus als Messias gefaßt und bei anderen als solcher Anerkennung gefunden habe 113 ", bzw. wann er zu der „Überzeugung kam, der seinem Volke verheißene Messias zu sein"114. Diese Differenzierung zwischen dem Selbstbewußtsein und der messianischen Idee ist nicht beiläufig oder zufällig. Sie schließt vielmehr einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Person Jesu und der in den Vorstellungen des Alten Testaments und des jüdischen Volkes lebendigen Messias-Idee ein. Die Idee entwickelt sich nicht aus der Person heraus, die damit in besonderer Weise qualifiziert würde, sondern sie tritt von außen an sie heran und wird aufgenommen bzw. zugesprochen. Die Idee existiert also auch unabhängig von einem bestimmten Individuum. So kann Strauß auch davon sprechen, daß Jesus die „Rolle" des Messias übernommen habe, daß er sich „für den Messias ausgibt"115. 109

A. Schweitzer, Geschichte . . . S. 93 f; 96. A. a. O. S. 197. Vgl. D. F. Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk. S. 222. 111 W. Baldensperger, Das Selbstbewußtsein Jesu im Lichte der messianischen H o f f nungen seiner Zeit. Straßburg 1892 2 . S. 248, vgl. 280 f. 112 Vgl. hierzu Strauß, Das Leben Jesu I 1 , S. 463—519 und II 1 , S. 311—324 sowie Das Leben Jesu für das deutsche Volk. S. 150 ff und S. 222—243. 113 Das Leben Jesu (im folgenden: L. J., sofern nicht anders angegeben nach der ersten Auflage). I, S. 469. 114 Das Leben Jesu für das deutsche Volk (im folgenden L. J. dt. in der ersten A u f lage). S. 222. 115 L. J. I. S. 469. 474. 1,0

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Wichtig ist ferner, daß Jesus die mit politischen Erwartungen verbundene Messiasidee zu einer rein geistigen und ethischen läutert 116 . Die Vorstellung von dem leidenden Messias wird im „Leben Jesu117", da sie sich in den messian'jchen Erwartungen jener Zeit nicht nachweisen läßt, als vermutliche Gemeindebildung zur Deutung des Todes Jesu angesehen. Allerdings betont Strauß auch118, daß der Gestorbene nur deshalb als Messias angesehen und verkündet wurde, weil der Lebende diese Uberzeugung schon in seine Jünger eingepflanzt habe. Im „Leben Jesu fürs deutsche Volk" hält es Strauß auch für möglich, daß Jesus die Vorstellung vom ,leidenden Gottesknecht' bereits selbst mit der messianischen Idee verbunden und auf sich angewandt habe119. In diesen Erwägungen über das Verhältnis des historischen Jesus zur Messias-Idee finden sich zweifellos schon Ansätze für die späteren Theorien vom messianischen Selbstbewußtsein Jesu. Doch Strauß bewegt sich hier noch ganz in den Schleiermacherschen Vorstellungen vom religiösen Selbstbewußtsein, das bei Jesus zur „hödisten Höhe" entwickelt ist120. Theologisch hat die Übernahme der Messias-Idee für Strauß keinerlei Bedeutung. Die mehr zufälligen Hinweise auf eine in der Übernahme der Messias-Idee durch den historischen Jesus begründete Kontinuität mit dem Messiasbekenntnis der Gemeinde nach seinem Tod wird von Strauß nicht ausgewertet, sein Interesse weist in genau entgegengesetzte Richtung. Die positiven Ergebnisse der historischen Kritik, zu denen auch die Frage der Messianität zu rechnen ist, sind ebenso wie der Versuch zu einer Zusammenfassung in einem geschichtlichen Umriß des Lebens Jesu in dem Werk von 1864 ein Nebenprodukt. Es ist jedoch nicht der hypothetische und approximative Charakter historischen Erkennens, der bei Strauß eine Schranke für die theologische Auswertung des historisch Verifizierbaren bildet, sondern es ist die prinzipielle Bewertung des Historischen überhaupt in seinem Verhältnis zum Glauben. 2. Der Mythusbegriff Das Mittel der historischen Kritik ist für Strauß die Kategorie des Mythischen. Die Behauptung von Hartlich und Sachs, die Verwendung des Mythusbegriffs bei Strauß sei „frei von Hegeischen Voraussetzungen" und bringe „unabhängig von Prämissen der Hegeischen Spekulation" „Kriterien von rein kritischer Rationalität zur Anwendung 121 " ist jedoch allein schon im Blick auf die Bewertung des Historischen schwerlich in 119

117 L. J. I. 491. L. J. dt. S. 228 ff. L. J. II. S. 324. 118 L. J. I. S. 469. L. J. dt. S. 233 f. 120 Streitschriften. III. S. 152. 121 Chr. Hartlich und W. Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibel Wissenschaft. Tübingen 1952. S. 5 und 121 f. 118

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dieser zugespitzten Form haltbar. Sie wird auch durch die Untersuchung von G. Backhaus122 zu Recht eingeschränkt. Das Problem, dem es hier nachzugehen gilt, ist das Verhältnis zwischen dem Historischen und der Idee. In diesem Zusammenhang hat bei Strauß der Begriff des Mythischen seine Funktion. Es geht dabei nicht, wie in der neueren Theologie um eine hermeneutische Aufgabe, die iuf das sich wandelnde Existenzverständnis und das Kerygma gerichtet ist, sondern um die Realisierung und Konkretisierung der Idee in der Geschichte123. Von den Voraussetzungen der Hegelscken Philosophie kann schon deshalb bei dem Straußschen Mythusbegriff nicht abgesehen werden, weil bei aller Kritik an einzelnen Punkten die Vorstellung von der Entwicklung und Verwirklichung der Idee festgehalten wird. Die historische Kritik und somit die Anwendung des Mythusbegriffs ist auf die Verbindung der Idee des Gottmenschen mit der historischen Person Jesu in der Hegelschen Religionsphilosophie gerichtet124. Strauß will den in der klassischen Philologie und biblischen Exegese vorgegebenen Begriff des Mythus konsequent auf die Evangelien anwenden, um damit die philosophischen Voraussetzungen Hegels, konsequenter als dies Hegel selbst in seiner Religionsphilosophie getan hat, durchzuführen. Aus diesem Zusammenhang darf die historische Kritik von Strauß nicht herausgelöst werden, auch wenn sie damit in den Bereich des Spekulativen hineingezogen wird. Schon in dem ersten Paragraphen der Einleitung zum „Leben Jesu", in der Strauß seine Auffassung des Mythischen in einem breit angelegten und seit der zweiten Auflage noch durch zwei weitere Paragraphen (§§ 13 und 14) ergänzten Forschungsbericht entwickelt, findet sich ein entscheidender Hinweis. Die Auslegung heiliger Schriften wird als ein „Vermittlungsprozeß" verstanden, in dem es gilt, die logische oder intellektuelle Differenz zwischen der alten Urkunde und der neuen Bildung in der Vorstellung des Göttlichen zu überwinden. Dieser Vermittlungsprozeß ist nötig, „solange diese Differenzen entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht so allgemein zum Bewußtsein kommen, um eine völlige Lossagung 122

G. Backhaus, Kerygma und Mythos bei D a v i d Friedrich Strauß und Rudolf Bultmann. Hamburg 1956. S. 22 ff und 35. 123 G. Backhaus, a. a. O. S. 79 f. 124 Streitschriften III. S. 76—94. L. J. II. S. 729. Wenn wir hier von Mythus sprechen, so schließen wir uns damit lediglich der bei Strauß und Hegel üblichen Orthographie an. Ob zwischen dem Hegeischen und dem Straußschen Mythus^egnj? tatsächlich ein Unterschied besteht, wage ich zu bezweifeln. Bei einer genaueren Gegenüberstellung müßte jedoch auch die außerordentlich verwickelte Oberlieferungsgeschichte der Vorlesungen Hegels über die Philosophie der Religion berücksichtigt werden. Gerade an den hierfür wichtigen Stellen zeigen sich erhebliche Abweidlungen in den verschiedenen Ausgaben, und dies ist offenbar weder von Hartlich-Sachs noch von Backhaus beachtet worden. M. E. liegt der Unterschied nicht in der Bestimmung, sondern in der Anwendung des Mythusbegriffs.

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von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizuführen" 125 . Die Vermittlung dient jedoch nicht dem Verstehen des Textes als solchem, sondern der Verwirklichung der Idee. Mithin wäre es falsch, nur den ursprünglichen Sinn der Religionsschriften zu ermitteln. Die neue Bildung muß vielmehr klar erkennen und offen eingestehen, „daß sie das, was jene alten Schriftsteller erzählen, anders ansieht, als diese selbst es angesehen haben" 126 . Die Idee existiert also nicht in dem Text und durch ihn, sondern außerhalb von ihm, sie ist objektiv und entwickelt sich im Blick auf das Individuum der Menschheit unbewußt 127 . An zwei Stellen wird dann das vorgegebene Verständnis des Mythischen präzisiert: Strauß verzichtet auf eine Unterscheidung zwischen historischen, eine Begebenheit betreffenden, und philosophischen, einen Gedanken betreffenden Mythen, die er gelegentlich auch als dogmatische bezeichnet128. Außerdem wird die Anwendung des Begriffs auf die Berichte von dem gesamten Leben Jesu ausgedehnt, wo man vorher die Zeit der öffentlichen Wirksamkeit zwischen Taufe und Tod Jesu ausgeklammert hatte 129 . Gegen die Unterscheidung von historischen und philosophischen Mythen erhebt Strauß folgende Einwände: Geht man von der Annahme historischer Mythen aus, so besteht die kritische Aufgabe darin, das ursprüngliche Faktum von dem — sekundären — Urteil abzulösen. Hierfür gibt es indes kein sicheres Kriterium 130 . Es liegt vielmehr die Gefahr einer natürlichen Exegese nahe, die dann jeden höheren Gedankeninhalt ausscheidet, wenn anders man nicht in willkürlicher Weise auch supranaturalistische Deutungen zulassen will. Strauß verweist hierzu auch auf die Konsequenzen, die sich aus diesem Vorgehen in den rationalistischen Leben-Jesu-Darstellungen ergeben haben, wo Jesus als ein weiser, tugendhafter Mensch dargestellt wird 131 . Die eigentliche Absicht bei der Ab125

126 L . J . I . S. 1. Ebda. Von Hegel wird die „Vermittlung" folgendermaßen formuliert: „ . . . die Vermittlung ist nichts anderes als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst, das Moment des fürsichseienden Ich, die reine Negativität oder, auf ihre reine Abstraktion herabgesetzt, das einfache Werden. Das Ich oder das Werden überhaupt, dieses Vermitteln ist um seiner Einfachheit willen eben die werdende Unmittelbarkeit und das Unmittelbare selbst. — Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt w i r d . . . " Phänomenologie des Geistes. Hrsg. von J. Hoffmeister. Phil. Bibl. Bd. 114. Hamburg 1952 6 . S. 21. Es ist ebenfalls eine Verkürzung der Problemstellung, wenn in den Untersuchungen zum Straußschen Mythusbegriff der von Hegel übernommene Gedanke der Vermittlung nicht beachtet wird. 127

128

129 L. J. I. S. 29 f; 46; 51. L. J. I. § 11. L. J. I. § 6 und S. 41 ff, 69 ff. Von Backhaus, S. 22 ff ist diese Aufhebung der Unterscheidung von historischen und philosophischen Mythen nicht berücksichtigt worden. 131 L. J. I. S. 21 f und S. 21 Anm. 8. 130

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lehnung des historischen Mythus liegt aber nicht in der damit verbundenen Aufhebung der „kirchlichen Ansicht" von Jesus als dem Sohn Gottes132, sondern wieder im Begriff der Idee: „Es zeigte sich somit die Unfähigkeit, den Begriff des Mythus in bezug auf die biblische Geschichte rein zu fassen einesteils in der überwiegenden Neigung zur Annahme historischer Mythen, welche nichts andres ist, als Mangel an Zutrauen zum Geist und zur Idee, als ob diese nicht im Stande wären, rein aus sich heraus Erzählungen zu erzeugen, sondern es hierzu durchaus einer äußeren, wenn auch noch so zufälligen Begebenheit als Veranlassung bedürfte; andrerseits in einer Vermengung des historisch-mythischen Standpunkts mit der natürlichen Erklärung, indem ohne Rücksicht auf den zugestandenen sagenhaften Charakter des Berichts seine einzelnen Züge in der Erklärung so urgiert wurden, als ob er aus dem Munde von Augenzeugen aufgenommen wäre 133 ." Die Ablehnung eines historischen Mythus bedeutet also nicht die Leugnung eines historischen Kerns, der, wie Strauß in der zweiten Auflage und im „Leben Jesu fürs deutsche Volk" gezeigt hat 134 , mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit zu ermitteln ist. Sie bedeutet vielmehr, daß der Geist und die Idee auf diesen historischen Kern nicht angewiesen oder unlösbar mit ihm verbunden sind. Unter derselben Voraussetzung wird der Begriff des Mythischen auf die gesamte öffentliche Wirksamkeit Jesu zwischen Taufe und Tod ausgedehnt135. Denn auch die Berichte über diesen Zeitabschnitt enthalten Mythisches, wie z. B. die Erzählung über die Taufe Jesu durch Johannes, die Versuchungsgeschichte, das Wandeln auf dem Meer u. a.136. Eine Trennung zwischen einer mythischen Vor- und Nachgeschichte, in die ein rein historischer Bericht eingebettet ist, wäre logisch inkonsequent und sachlich nur nach subjektiven Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Es ist des öfteren kritisiert worden 137 , daß Strauß schon in der Formulierung seines Mythusbegriffs kein Interesse an dem historischen Kern des Mythus zeigt. Daß ein solcher Kern dem Mythus zugrunde liegt, wird von Strauß nicht bestritten, und er hat auch in späteren Auflagen des „Leben Jesu" wie auch in dem „Leben Jesu fürs deutsche Volk 138 " die 132

Ebda. L. J. I. S. 46. Vgl. oben S. 42 zu Anm. 74 die entsprechende Formulierung bei I. Kant. 134 Leben Jesu I 2 . §§ 13 und 13. L. J. I. S. 71 ff. L. J. dt. S. 621 ff. D a ß Strauß zeitweise, z . B . in den „Streitschriften" III, S. 152 f und in der zweiten und dritten Auflage des „Leben Jesu" den Umfang des historisch Verifizierbaren positiver beurteilt hat, bedeutet keine Änderung seiner Prinzipien, sondern ist biographisch bedingt. 135 136 L. J. I. § 11. L. J. I. S. 50 und 70 f. 137 A. Schweitzer, Geschichte... S. 85. E. Hirsch, Geschichte der neueren evangelischen Theologie. Bd. V. S. 493 ff. G. Backhaus, S. 22 f. 138 L. J. dt. S. 160 f. 133

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Möglichkeiten, diesen historischen Kern zu ermitteln, positiver beurteilt. Indessen bedeutet auch dies keineswegs einen Verzicht auf das in der Formulierung des Mythusbegriffs zum Ausdruck kommende Prinzip. Denn auf die Aufdeckung dieses historischen Kerns kommt es Strauß nicht an. Das Interesse gilt eben nicht diesem historischen Kern eines Lebens Jesu im positiven Sinne, sondern dem Mythischen selbst als Darstellungsform der Idee. Charakteristisch dafür ist, daß der Prozeß der Mythenbildung ausdrücklich nicht als ein bewußter und individueller betrachtet wird. Er ist „nie das Werk eines einzelnen, sondern des allgemeinen Individuums... ebendaher auch nicht bewußt und absichtlich entstanden 139 ." „Der Mythus in seiner ursprünglichen Gestalt (ist) nicht bewußte und absichtliche Dichtung eines einzelnen, sondern Erzeugnis eines Gemeinbewußtseins eines Volkes oder eines religiösen Kreises..., das wohl ein einzelner zuerst ausspricht, aber eben deswegen Glauben findet, weil er darin nur das Organ der allgemeinen Überzeugung ist; nicht eine Hülle, in welche ein kluger Mann eine Idee, die ihm aufgegangen, zu Nutz und Frommen der unwissenden Menge einhüllte, sondern nur mit der Geschichte, ja in der Gestalt der Geschichte, die er erzählte, wurde er sich der Idee bewußt, die er rein als solche selbst noch nicht zu fassen im Stande war 140 ." Das Subjekt in diesem Prozeß der Mythenbildung ist bei Strauß weder die individuelle Person eines seine Zeit überragenden Lehrers noch der sich entwickelnde menschliche Intellekt, sondern — im He gelschen Sinne — die sich in der Geschichte manifestierende und konkretisierende Idee. In dieser philosophischen Voraussetzung ist der Straußsche Mythusbegriff begründet und damit auch das Desinteresse an dem historischen Kern. Es geht nicht um die immanente Geschichte, sondern um die Geschichte des „objektiven Geistes". Dies aber ist dann auch das Prinzip der sogenannten historischen Kritik, die keineswegs von „rein kritischer Rationalität" bestimmt ist. Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu ist für Strauß kein historisches Problem, sondern ein Problem des Historischen. 3. Die Person Jesu

Der Mythusbegriff von Strauß erwies sich problemgeschichtlich als eine Radikalisierung der bereits vorhandenen Ansätze. Das gesamte Leben Jesu wird ausnahmslos den Prinzipien der historischen Kritik unterworfen, ebenso wie das Christentum in seiner Gesamtheit an den allgemeinen Kriterien menschlichen Erkennens gemessen wird. Dies wird dort gesehen, wo die Straußsche Leben-Jesu-Forschung unter exegetischhistorischen Gesichtspunkten betrachtet wird. Dabei muß dann als Inkonsequenz in Kauf genommen werden, daß Strauß an dem,historischen Kern* 139

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L. J. I. S. 74.

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L. J. dt. S. 153 f.

des Mythus ganz offensichtlich, keinerlei Interesse zeigt und es ihm im Grunde überhaupt nicht um den,historischen Jesus' geht. Die Relevanz der historischen Jesusfrage bei Strauß wird erst von der „Schlußabhandlung" im „Leben Jesu" und der Auseinandersetzung mit Hegel deutlich. Hier findet das Desinteresse an dem historischen Jesus seine letzte Begründung in der ausdrücklich gegen Hegel formulierten These von der Unvereinbarkeit der Idee mit einem geschichtlichen Individuum, zu der die kritische Destruktion des Lebens Jesu mit der konsequenten Anwendung des philosophisch-dogmatischen Mythusbegriffs lediglich die Voraussetzungen lieferte. Vom Formalen her ist es auffallend, wie der am Entwicklungsgedanken orientierte Aufbau der „Einleitung" dem der Schlußabhandlung entspricht. Wie dort die Auslegungsgeschichte mit der Ausformung des Mythusbegriffs als ein notwendiger „Vermittlungsprozeß" zur Verwirklichung der Idee verstanden wird 141 , so wird auch in der Schlußabhandlung über „die dogmatische Bedeutung des Lebens Jesu" von dem dialektischen Prozeß einer Vermittlung gesprochen, in dem der Glaube wahrhaft vermittelt oder zum Wissen wird 142 . Dieser Prozeß ist der Ubergang von der ,sinnlichen Geschichte' zur ,absoluten Geschichte' der Idee143. So wird auch hier deutlich, daß die historische Kritik nicht der Erhellung des Vergangenen und Ursprünglichen dient, sondern im Hegelschen Sinne Geschichtsphilosophie ist. Die historische und daran anschließend die dogmatische Kritik ist die Dialektik auf dem Wege zum absoluten Wissen. Damit ist jedoch nun eine Kritik der Hegeischen Religionsphilosophie144 und der von ihr beeinflußten Dogmatik (besonders Marheineke) verbunden. Die Ausgangsfrage ist für Strauß, „in welchem Verhältnis zum Begriff (stehen) die geschichtlichen Bestandteile der Bibel, namentlich der Evangelien...: ob der historische Charakter zum Inhalt mitgehöre, welcher, für Vorstellung und Begriff derselbe, auch von dem letzten Anerkennung fordere; oder ob er zur bloßen Form zu schlagen, mithin das begreifende Denken an ihn nicht gebunden sei"145. Anders ausgedrückt: Ist die Geschichte in ihrem Verhältnis zur Idee nur Vorstellung, Form der Idee, oder ist sie konstitutiv und unlösbar mit der Idee in ihrer geschichtlichen Verwirklichung verbunden? Nicht zu Unrecht erblickt Strauß in dieser Frage bei Hegel besonders in der „Phänomenologie des Geistes146" wie auch in der „Religionsphilosophie147" eine Unscharfe, die sich in 141

142 L. J. I. S. 2, vgl. S. 75. L. J. II. S. 688. 144 Ebda. S. 737. Streitschriften III, S. 57 ff und 76 ff. 145 Streitschriften III, S. 57. 14 ® In der oben Anm. 127 zitierten Ausgabe S. 520 ff. 147 G. W. F. Hegel, Sämtliche Werke. Hrsg. von G. Lasson. Bd. XII. Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 1. Teil ( = Phil. Bibl. Bd. 59 Hamburg 1966) S. 110 ff. 143

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der von Hegel beeinflußten Dogmatik ebenfalls bemerkbar macht. Es wird nicht klar, inwieweit die empirische Geschichte der Person Jesu mit der Objektivierung der Idee der Gottmenschheit verbunden bleibt. Daraus wird theologisch ein Rückfall in die supranaturalistische orthodoxe Dogmatik nahegelegt, in der die Wirklichkeit des historischen Geschehens konstitutiv für die Wahrheit des christlichen Glaubens ist148. Diese Koinzidenz von Wirklichkeit und Wahrheit wird von Strauß bestritten, und zwar mit dem ständig in seinen Schriften wiederkehrenden Argument, daß es nicht die Art der Idee — nämlich im Sinne der Hegelsdien Philosophie — sei, sich zu realisieren, indem sie ihre Fülle in einem einzigen Exemplar oder Individuum ausschüttet149. Mit dieser These geht es Strauß darum, die im Geschichtsverständnis der Hegeischen Phänomenologie und Religionsphilosophie im Zusammenhang mit der Idee der Gottmenschheit hervortretende Inkonsequenz zu überwinden. Daraus erwächst sein Desinteresse an der historischen Faktizität des Lebens und der Person Jesu. Hier liegt der Grund für die prinzipielle Differenz zwischen dem Christus des Glaubens und dem Jesus der Geschichte in der Aufhebung der sinnlichen Geschichte durch die absolute der Idee150 und schließlich die Verneinung der Frage „sind wir noch Christen?" in dem Straußschen Spätwerk, die Auflösung des Christentums in eine Religion der Humanität. Indessen ist die Ablösung der Idee vom Individuum und des historischen Jesus vom Christus des Glaubens nicht auf die Kritik an der Philosophie Hegels beschränkt. Vor allem sind die dogmatischen Fragen, die sich bei Strauß ergeben, damit noch nicht erfaßt. Es sind Fragen, die in der Geschichte der sogenannten Leben-Jesu-Forschung kaum oder überhaupt nicht berührt wurden, die aber von dem heutigen Standpunkt der neuen Frage nach dem historischen Jesus bedeutungsvoll sind und vielleicht von hier aus überhaupt erst in ihrer Bedeutung erkannt werden können. Was wir bisher als eine konsequente Anwendung und Durchführung des Mythusbegriffs in der historischen Kritik und der Hegelsckien Idee in der philosophischen Kritik dargestellt haben, ist zweifellos auch mit einer theologischen Motivation verbunden, selbst wenn diese nicht unmittelbar zutage tritt. Die „Schlußabhandlung" des „Leben Jesu" geht aus von dem Problem des Glaubens, „der noch nicht Wissen ist" 151 , von dem Glauben, der immer mit dem Zweifel verbunden ist und so notwendig auf die Vermittlung im Wissen aus ist. Sie schließt mit der Frage nach dem VerhältStreitschriften III. S. 68 und 79 f. L. J. II. S. 7 3 4 ; Streitschriften III. S. 68 ff. Die christliche Glaubenslehre Bd. II (1841) S. 185 f; Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Berlin 1865. S. 214 f. 150 L. J. II. S. 737. 151 L. J . II. S. 687. 148

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nis der spekulativ-kritischen Dogmatik zur praktischen Verkündigung in der Predigt 152 . Strauß sieht hier den Konflikt zwischen dem noch unvermittelten „Geschichtsglauben" und dem fortgeschrittenen Wissen als Gefahr einer doppelten Wahrheit, die der Vertreter der spekulativ-kritischen Theologie als Prediger zu überwinden hat. Eine bessere Lösung als der Hinweis auf die Bildungsaufgabe des Predigers ist freilich von Strauß nicht zu erwarten; denn die eschatologische Situation des Glaubens gegenüber dem Schauen ist mit der immanenten Ablösung des Geschichtsglaubens durch die Realisierung der Idee zum Wissen aufgehoben. Es ist auch nicht zu übersehen, daß der Verzicht auf die geschichtliche Person Jesu und die idealistische Auflösung des Geschichtlichen bei Strauß ebenso wie bei Hegel158 und vielen Theologen seiner Zeit den Verzicht auf eine theologische Bedeutung des Kreuzestodes einschließt. Doch diese und ähnliche Probleme werden uns noch in anderem Zusammenhang beschäftigen. Betrachtet man nun aber die kritische Leistung von Strauß, so werden aus seinen philosophischen und nichttheologischen Voraussetzungen her ganz bestimmte Grenzen der historischen Jesusfrage sichtbar. Die Formulierung des Mythusbegriffs wie auch die Kritik an dem Rationalismus und Supranaturalismus in der historischen Jesusfrage sind durchweg auf die Ausscheidung subjektiver Momente gerichtet: beim Mythusbegriff in der nur willkürlich zu begründenden Trennung zwischen historischen und philosophischen Mythen; beim Rationalismus in der subjektiven Scheidung zwischen Fakten und Urteilen 154 , die dann in der Dogmatik zu einer völligen Ausscheidung der Christologie führt 155 ; beim Supranaturalismus der Orthodoxie in einer unbeweisbaren Erweiterung des Bereichs menschlicher Erfahrung, die dann bei der Zweinaturenlehre in der ,communicatio idiomatum' zu unlösbaren logischen Schwierigkeiten führt, wenn man sie auf die Vereinigung und Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in einer — geschichtlich aufgefaßten — Person bezieht158. Schließlich wird auch der /Manischen Idee der praktischen Vernunft der Vorwurf des Subjektivismus gemacht, insofern der Sinn des Geschichtlichen ganz von den Vorstellungen und Gedanken der eigenen Zeit und Bildung her gefüllt wird. Die Realität der Idee liegt für Strauß nicht in der menschlichen Vernunft oder ist apriorisch mit dieser gegeben, sondern sie wird. in ihr, existiert aber außerhalb von ihr157. Unter das Verdikt einer willkürlichen Konstruktion fällt auch Schleiermacher mit seiner These, daß Christus als „geschichtliches Einzelwesen zugleich urbildlich sein" 152

L. J. II. S. 738 ff. H. Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers. Düsseldorf 1960. S. 57. 155 158 L. J. I. S. 15 ff. L. J. II. S. 709. L. J. II. S. 736 ff. 153

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müsse158, obwohl Strauß, wenn auch nicht dem Ansatz, so doch den Konsequenzen der Schleiermacherschen Christologie relativ nahesteht169. Dieser ständig wiederkehrende Vorwurf des Subjektivismus mag im einzelnen durchaus zutreffend und berechtigt sein; er ist jedoch offenbar nicht theologisch, sondern philosophisch motiviert. Er deckt sich in auffallender Weise mit der Kritik Hegels an der religiösen Vorstellung des subjektiven Bewußtseins, in der — was Hegel besonders Kant und wohl auch Schleiermacher zum Vorwurf macht — die Ansicht vorherrscht, „daß ich das Affirmative bin, das über allen jenen Bestimmungen steht"160, daß sich schließlich alles innerhalb des individuellen Bewußtseins abspielt. In der von Strauß zum erstenmal systematisch gegen Schleiermacher formulierten Diastase zwischen dem „Christus des Glaubens und dem Jesus der Geschichte" ist das Interesse keineswegs auf den „Jesus der Geschichte" gerichtet161, und dies ebensowenig, wie in den früheren Werken über das Leben Jesu das Interesse auf einer historisch-biographischen Erforschung der geschichtlichen Person Jesu ruht. Wenn Strauß immer wieder auf das Approximative, Mutmaßliche und Vorläufige der historischen Jesusforschung verweist, auch wo er die Möglichkeit vertiefter Ergebnisse konzediert, so steht im Hintergrund stets die These von der Unvereinbarkeit der Idee mit einem geschichtlichen Individuum, die bei Strauß eine prinzipielle Grenze der historischen Jesusfrage und der Christologie bildet162. Aber es steht auch dahinter die schon bei Lessing und Kant begegnende und bei Hegel wiederkehrende These, daß die historischen Wahrheiten zufällig und willkürlich sind168, die Hegel in seiner Religionsphilosophie nicht eindeutig durchgeführt hat. Greifen wir an dieser Stelle wieder auf die für die Formulierung der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen hilfreiche Zuordnung von Denken und Sein zurück, so zeigt sich gegenüber der Identität von beidem in der rationalen Kritik und dem Primat des Denkens in der apriorischen Idee der praktischen Vernunft Kants bei Strauß eine neue Konstellation. Entsprechend der Hegeischen Geschichtsphilosophie kommt es bei Strauß zu einer geschichtlichen Konvergenz von Denken und Sein im absoluten Wissen als der vollkommenen Vermittlung zwischen Bewußtsein und Gegenstand und der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung 164 . Dieser 157

L. J. I. S. 27; II. S. 720 ff. Der Christus des Glaubens . . . S. 219 f. F. D. Schleiermacher, Der christliche Glaube. 2. Aufl. § 93. 158 L. J. II. S. 710 ff; vgl. Der Christus des G l a u b e n s . . . S. 217 ff; L. J. dt. S. 18 ff. 160 In der Anm. 147 angegebenen Ausgabe X I I , 1. S. 126, vgl. S. 284 ff. 161 Der Christus des G l a u b e n s . . . S. 222 f; Der alte und der neue Glaube. Ein Be162 kenntnis. Leipzig 1872. S. 78 f. L. J. dt. S. 39. 188 ( j p, Hegel, Phänomenologie des Geistes. In der Anm. 127 angegebenen Ausgabe S. 35. Ähnliche Aussagen finden sich auch in der „Philosophie der Geschichte". 164 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. S. 549 ff. 158

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Vermittlungsprozeß ist auch bei Strauß transsubjektiv, universalgeschichtlich. Das heißt, er ist nicht personal oder individuell bestimmt und kann mithin auch nicht auf ein geschichtliches Individuum konzentriert oder von ihm bzw. durch es verursacht sein. Strauß lehnt deshalb auch ausdrücklich den bereits von Schleiermacher verwendeten Schluß von der Wirkung in der christlichen Kirche auf die Ursache in der Person Jesu ab195. Zwischen der Person Jesu und der Geschichte der Idee besteht kein Zusammenhang mehr, und zwar nicht einmal ein kausaler. Dies ist nicht erst ein Stadium des späteren Strauß, sondern bereits in dem „Leben Jesu" deutlich formuliert. Die historische Kritik führt hier zur Destruktion der Biographie Jesu. Die dogmatische Kritik führt zur Destruktion einer auf ein Individuum bezogenen Christologie. Die „Idee der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur" wird auf die ganze Menschheit ausgedehnt als „Menschwerdung Gottes von Ewigkeit" 166 . Der Unterschied zu Schleiermacher besteht einzig darin, daß dieser sich noch bemüht, das Urbild in einer geschichtlichen Person verwirklicht zu denken, was ihm jedoch von Strauß bestritten wird 167 . Für Strauß selbst hat der historische Jesus nur mehr die Funktion eines „subjektiven Grundes", einer Anschauungs- oder Vorstellungsform 168 : „Wie der Gott des Plato auf die Ideen hinschauend die Welt bildete: so hat der Gemeinde, indem sie, veranlaßt durch die Person und Schicksale Jesu, das Bild ihres Christus entwarf, unbewußt die Idee der Menschheit in ihrem Verhältnis zur Gottheit vorgeschwebt169." Nicht die geschichtliche Person, sondern die Idee der Gottmenschheit ist das Subjekt in dem Vermittlungs- und Entwicklungsprozeß des absoluten Geistes, der sich in der Geschichte und durch sie offenbart und in der Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem verwirklicht. Bei Strauß stehen wir nun bereits im Mittelpunkt der Christologie des vorigen Jahrhunderts, in der die Geschichtlichkeit Jesu nicht nur eine Frage der historisch-kritischen Forschung ist, sondern ein Problem von grundsätzlicher Bedeutung. Die Front verläuft dabei keineswegs zwischen dem Historischen und dem Dogmatischen. Die Methode der historischen Kritik ist bei Strauß nicht von der Sachfrage der Christologie zu trennen.

165 167 188

168 L. J. dt. S. 623. L. J. II. S. 734 ff. Vgl. dazu die Abhandlung von A. Schweizer, s. o. Anm. 97. 189 L. J. II. S. 735 f. L. J. II. S. 736.

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K A P I T E L

III

Die theologische Funktion der historischen Jesusfrage Bei A. Schweitzer und D . F. Strauß zeigten sich im vorigen Kapitel zwei Positionen in der historischen Jesusfrage, zwischen denen im methodischen Ansatz eine unbestreitbare Kontinuität besteht, die jedoch zu entgegengesetzten theologischen Konsequenzen kommen. Bei Strauß hat die historische Jesusfrage eine negative Funktion; das Leben Jesu wird kritisch aufgelöst und das Historische als zufällig ausgeschieden. Philosophisch ist hier das (absolute) Denken dem Sein, das Allgemeine dem Besonderen, die Idee dem Individuellen und Empirischen vorgeordnet. Bei Schweitzer hingegen hat die historische Jesusfrage eine positive Funktion. Die rechte Erkenntnis des Historischen ist konstitutiv für den Glauben. Das Historische ist nicht nur illustrativ, sondern demonstrativ, also genau umgekehrt wie bei E. Troeltsch, der dem Historischen die Beweiskraft abspricht 1 . Beide Positionen sind von zwei Fragen bestimmt, die auf verschiedene Weise beantwortet werden. Die erste betrifft die Möglichkeit, auf dem Weg historisch-kritischer Forschung über die Person Jesu etwas zu ermitteln; die zweite die Notwendigkeit, theologisch den Inhalt des Glaubens auf ein geschichtliches Faktum zu gründen. In der Möglichkeit einer historischen Rückfrage besteht zwischen Strauß und Schweitzer lediglich ein gradueller Unterschied, der dann aber doch von grundsätzlicher Bedeutung ist. Trotz aller Fortschritte in der historischen Erforschung des Lebens Jesu, die Strauß keineswegs bestreitet, bleibt er bei der Ansicht, daß die Ergebnisse ungesichert sind, „daß wir über wenige große Männer der Geschichte so ungenügend wie über Jesus unterrichtet sind" 2 . Umgekehrt liegt für Schweitzer trotz der unübersehbaren Schwierigkeiten, etwas Genaueres über den Gesamtverlauf des Lebens Jesu auszumachen, alles daran, an der historischen Aufweisbarkeit des messianischen Bewußtseins im letzten Lebensabschnitt Jesu festzuhalten. Daher werden die 1 E. Troeltsch, Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben. Tübingen 1911. 2 D. F. Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 1864. S. 621. Der alte und der neue Glaube. S. 78 f.

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literarkritischen und traditionsgeschichtlichen Erwägungen W. Wredes nachdrücklich abgelehnt 3 , weil die messianischen Vorstellungen im Leben Jesu hier als sekundäre Gemeindebildung erklärt werden. Die Beurteilung des historischen Befunds entspricht die Stellung in der Frage nach der theologischen Notwendigkeit, die von Strauß negativ, von Schweitzer positiv beantwortet wird. Obwohl beide mit der „Humanitätsreligion" und der „konsequenten Eschatologie" zu einer ethizistischen Auffassung des Christentums kommen, vertreten sie in der Christologie grundversdiiedene Ansichten. Bei Strauß liegt die Kontinuität in der sich entwickelnden und geschichtlich verwirklichenden Idee, bei Schweitzer liegt sie in der überzeitlichen und exemplarischen Bedeutung des persönlichen Verhaltens Jesu. Mit den notwendigen Vorbehalten ist die Christologie von Strauß doketisdi, die von Schweitzer ebionitisch orientiert. Mit den Beispielen aus der rationalen und idealistischen Kritik wurde im vorigen Kapitel gezeigt, daß die sogenannte „Leben-Jesu-Forschung" keineswegs in dem Bemühen um eine biographische Rekonstruktion eines Lebens Jesu aufgeht, und zwar weder historisch noch theologisch. Diese Vorstellung ist, wie wir sahen, nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich, indem die historische Fragestellung verabsolutiert und die dogmatische eliminiert wird, wie es z. B. bei A. Schweitzer der Fall ist. In diesem Kapitel werden nun schon Teilaspekte der „neuen Frage nach dem historischen Jesus" aufgegriffen, und zwar besonders in ihrem Verhältnis zu der „Leben-Jesu-Forschung". Es wird aber schon hier deutlich werden, daß die „neue Frage nach dem historischen Jesus" sich im grundsätzlichen der systematischen Probleme nicht von der „alten Frage" unterscheidet, wenn man die theologiegeschichtlich und dogmatisch einseitigen Vorstellungen von der „Leben-Jesu-Forschung" revidiert. Ohne Zweifel hat die formgeschiditlidie Forschung mit der Kategorie desKerygmas und der existentialen Interpretation neue Gesichtspunkte zur Geltung gebracht. Aber daß man von hier aus wieder zur historischen Jesusfrage gedrängt wurde, hat seinen Ursprung nicht allein in historischen, sondern in theologischen Erwägungen. Nicht die historische Möglichkeit einer Rückfrage hinter das Kerygma, sondern die theologische bzw. christologische Notwendigkeit ist der Anlaß für die „neue Frage nach dem historischen Jesus". Wir werden versuchen, in der Entwicklung der historischen Jesusfrage nach D . F. Strauß die Punkte herauszuarbeiten, die für die Ermittlung der christologischen Problematik von Bedeutung sind und in denen sich die Verschränkung der historischen und der dogmatischen Aspekte zeigt. Es geht uns dabei nicht um einen kurzschlüssigen apologetischen Nach3

A. Schweitzer,

Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. S. 376 ff.

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weis, daß die historische Methodik immer schon von einem dogmatischen oder philosophischen Vorverständnis ausgeht, auch wenn sie von der Idee objektiver Wissenschaftlichkeit bestimmt ist. Abgesehen davon, daß eine theoretische Erörterung dieser Frage unergiebig ist, geht es uns vielmehr um einen theologiegeschichtlichen Sachverhalt, der allgemein als eine funktionale Zuordnung von historischer und dogmatischer Fragestellung bezeichnet werden kann. In diesem Sinne fragen wir auch nach der theologischen Funktion der historischen Jesusfrage. Das Problem, unter dem die historische Jesusfrage steht, ist, wie ebenfalls im vorigen Kapitel deutlich wurde, nicht die biographische Rekonstruktion des Lebens Jesu als Korrektur oder Ersatz des christologischen Dogmas, sondern die zum erstenmal von Strauß in dieser Schärfe formulierte These, daß der „Jesus der Geschichte", der „historische Christus" unvereinbar ist mit dem „Christus des Glaubens" und dem „idealen Christus" als dem „in der menschlichen Vernunft liegenden Urbild des Menschen wie er sein soll" 4 . Es ist die Unvereinbarkeit der Idee mit einer individuellen geschichtlichen Person. Die historische Jesusforschung nach Strauß ist durchgehend von der Auseinandersetzung mit dieser These bestimmt. Ihr Interesse an einem positiven Leben Jesu, an der geschichtlichen Person und an dem Selbstbewußtsein Jesu gilt dem Nachweis, daß der Grund des Glaubens nicht in einer Idee, sondern in einem geschichtlichen Faktum begründet und aufweisbar ist. Die neuere Problematik mit der Gegenüberstellung von historischem Jesus und kerygmatischem Christus kann auch darin als die Fortführung dieser schon von Strauß aufgeworfenen Frage angesehen werden. Auf eine geschlossene theologiegeschichtliche Darstellung kann hier verzichtet werden. Systematisch greifbar wird die Problematik am besten unter drei Gesichtspunkten, nämlich erstens im Blick auf die Quellenfrage, zweitens im Blick auf die historische und theologische Beurteilung der Person Jesu und drittens im Blick auf die Kritik am christologischen Dogma.

A. Die

Quellenkritik

Die Geschichte der neutestamentlichen Quellenkritik ist unlösbar mit der historischen Jesusfrage verbunden, die weithin das Motiv für die Entwicklung der verschiedenen Hypothesen ist. Die systematischen Zusammenhänge zwischen beiden sind jedoch bisher noch nicht untersucht worden. Es läßt sich nun an einigen Beispielen zeigen, wie zwischen der historischen Jesusfrage und der Bewertung der neutestamentlichen Quellen eine 4 D. F. Strauß, Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Berlin 1865. S. 212 ff. Das Leben Jesu für das deutsche Volk. Leipzig 1864. S. 625.

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Korrelation besteht, und wie mit einem bestimmten Standpunkt in der Quellenkritik auch eine dogmatische Aussage impliziert ist. Bei aller kritischen Detailarbeit an einer Evangelienhypothese lassen sich ganz bestimmte Vorstellungen von der Person und dem Handeln Jesu aufzeigen, wie dann auch umgekehrt jede Evangelienhypothese einen Rahmen für die Auffassung der Person und des Handelns Jesu bildet. Theologiegeschichtlich tritt die Quellenkritik an die Stelle des orthodoxen Schriftprinzips in der Zeit der Aufklärung. Wo die Inspirationslehre die dogmatische Funktion hatte, die Authentie und auch die überzeitliche Gültigkeit der Schrift zu begründen, übernimmt nun die Kritik diese Funktion, indem sie zwischen Echtem und Unechtem, Möglichem und Unmöglichem usw. scheidet. Dieses Verfahren ist keineswegs nur destruktiv oder nur von einem rein rationalen Interesse bestimmt. Denn die theologische Intention ist hier stets die Suche nach einem sicheren Zugang zu dem wahren Gehalt der biblischen Aussagen. Die dabei angewandten Kriterien sind nicht nur formaler oder rationaler Art. Man kann vielmehr zeigen, wie die historische Jesusfrage in der Quellenkritik zu einem christozentrischen Prinzip wird, an dem, wie z.B. E. Hirsch an dem Beispiel von F. V. Reinhard (1753—1812) gezeigt hat, „die Entscheidung über Sinn und Wahrheit des christlichen Glaubens fällt" 5 . Es besteht also von vornherein eine Korrelation zwischen der historisch-kritischen Methodenfrage und der christologischen Sachfrage. Ohne auf die erheblich umfangreichere Geschichte der neutestamentlichen Quellenkritik einzugehen6, versuchen wir diesen Sachverhalt an drei besonders charakteristischen Beispielen zu illustrieren: an der Traditionshypothese, an der Urevangeliumshypothese und an der literarkritischen Weiterführung der Zweiquellenhypothese in der Formgeschichte. Zwar macht es bekanntlich einige Schwierigkeiten, die verschiedenen H y pothesen theologiegeschichtlich und auch sachlich klar voneinander abzuheben, aber es mag gerade deshalb interessant sein, den Übergang an einigen Beispielen von der historischen Jesusfrage her zu betrachten. 1. Die

Traditionshypothese

Als Begründer der Traditionshypothese werden meist J. G. Herder und J. C. L. Gieseler genannt. Sie gehen davon aus, daß ein ursprünglich mündlich überliefertes Urevangelium den verschiedenen Bedürfnissen der apostolischen Verkündigung und Heidenmission angepaßt und so unter 5

E. Hirsch, Geschichte der neueren evangelischen Theologie. Bd. IV. S. 163. Außer den einschlägigen Einleitungen in das Neue Testament vgl. für die Gesamtübersicht: P. Wernie, Die synoptische Frage. Freiburg-Leipzig-Tübingen 1899. J. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien. Berlin 1911 2 . W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme. München 1958. 8

5

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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verschiedenen Gesichtspunkten schriftlich fixiert wurde. G. E. Lessing und nach ihm J . G. Eichhorn werden allgemein als Begründer der sogenannten Urevangeliumshypothese genannt, die von einem schriftlichen Augenzeugenbericht über das Leben Jesu als Grundlage der Evangelien ausgeht. Gleichzeitg denkt aber auch Lessing an einen Traditionsprozeß. Es ist bezeichnend, daß weder Herder noch Lessing einen Versuch zur Rekonstruktion einer Lebensgeschichte Jesu unternahmen, sondern ihn als unmöglich (Herder) bzw. unnötig (Lessing) ablehnen7. Die Annahme eines Urevangeliums bildet hier nicht den Anlaß zu einer an sich doch durchaus möglichen und naheliegenden Rückfrage. Das Interesse ist bei beiden vielmehr auf den Traditionsprozeß selbst gerichtet und auf die Funktion der verschiedenen Darstellungen Jesu in den Evangelien. Nach Lessings Hypothese schildert das von den Synoptikern übersetzte und bearbeitete Urevangelium Jesus als reinen Menschen8. Dies ist das „Evangelium des Fleisches", der historischen Faktizität, neben das Johannes das „Evangelium des Geistes" stellt9. Dieses Evangelium des Geistes ist dann im Christentum der Schritt von einer judenchristlichen Sekte zur selbständigen Religion, indem das zufällige Geschichtliche eine universale Bedeutung erhält10. Ähnlich ist auch bei Herder die Traditionshypothese auf die Verkündigungsgeschichte unter dem Gesichtspunkt einer Akkomodation und theologischen Interpretation gerichtet11. Wie bei Lessing, so ist auch für Herder das Johannesevangelium der Schritt vom Judenchristentum zur Weltreligion, vom Jüdischen Messias zum Weltheiland12. Es ist daher nicht unberechtigt, wenn A. Schweitzer in Herder einen Vorläufer von Strauß sehen will13. Diesem Aspekt der Traditionshypothese liegt nicht nur die Erkenntnis zugrunde, daß es sich bei den Evangelien nicht um reine Geschichtsdarstellungen handelt, sondern um eine von bestimmten geistigen und 7 Zu Lessing s. o. S. 38 ff. Zu J. G. Herder: Herders sämmtliche Werke. Hrsg. von B. Suphan. 19. Band Berlin 1880. Darin: „Von der Auferstehung als Glauben, Geschichte und Lehre." (S. 60 ff); „Vom Erlöser der Menschen. Nach unseren drei ersten Evangelien." (S. 135 ff); „Von Gottes Sohn, der Welt Heiland. Nach Johannes Evangelium." (S. 253 ff.) Seine eng an Lessing anschließende Traditionshypothese entwickelt Herder im Anhang an diese letzte Schrift in der „Regel der Zusammenstimmung unserer Evangelien aus ihrer Entstehung und Ordnung." (S. 380—424). 8 Lessing hat seine Evangelienhypothese in zwei kleineren Schriften dargelegt, von denen meist nur die zweite erwähnt wird: „Neue Hypothese über die Evangelisten als bloß menschliche Geschichtsschreiber betrachtet." (Theologische Schriften, IV, S. 120 bis 139). Die erste sind die „Theses aus der Kirchengeschichte" (Theol. Schriften II, S. 244 bis 250). Vgl. hierzu „Neue Hypothese" § 55. 9 „Theses aus der Kirchengeschichte" § 49; „Neue Hypothese" § 64. 10 „Neue Hypothese" § 62 f. 11 In der Anm. 7 angegebenen Ausgabe vgl. z. B. S. 399. " A. a. O. S. 422 u. a. 13 A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. S. 37.

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theologischen Motiven bestimmte Entwicklung, die bei dem historischen Jesus bzw. bei den Augenzeugenberichten über sein Leben einsetzt. Das primitive mündliche oder schriftliche Urevangelium wird über seine sprachliche und geistesgeschichtliche Begrenztheit durch die apostolische Verkündigung hinausgeführt zur Universalreligion. Die Kontinuität liegt dabei nicht in dem Eindruck der geschichtlichen Persönlichkeit Jesu, sondern in einem Entwicklungsprozeß. Als Charakteristikum der Traditionshypothese ist nicht allein der formale Prozeß einer Uberlieferung anzusehen, sondern auch die theologische Bewertung dieser Uberlieferung. Denn anders ist die Traditionshypothese schon bei Lessing und Herder nicht von der Urevangeliumshypothese zu unterscheiden. Weder bei Lessing noch bei Herder besteht ein Interesse, über eine Rekonstruktion des Urevangeliums dem historischen Kern der neutestamentlichen Evangelien nahezukommen. Man begreift vielmehr den Uberlieferungsprozeß als eine notwendige Entwicklung, die eine ganz bestimmte Funktion in der Ausbreitung des Christentums hat. In diesem Sinne ist dann auch D. F. Strauß als ein typischer Vertreter der Traditionshypothese anzusehen, obwohl er bei den unklaren, weil nur unter formalen Gesichtspunkten vorgenommenen Abgrenzungen der verschiedenen Evangelienhypothesen üblicherweise hier nicht aufgeführt wird 14 . Schon in der ersten Auflage des „Leben Jesu15" formuliert er bei der Bestimmung seines Mythusbegriffs die Traditionshypothese in unmittelbarer Anlehnung an Lessing. Hier wird auch schon sichtbar, wie der Uberlieferungsprozeß als ein anonymer Prozeß verstanden wird, in dem sich die Idee konkretisiert. Ausführlicher hat sich Strauß für die Traditionshypothese in dem „Leben Jesu für das deutsche Volk" ausgesprochen16. Praktisch durchgeführt ist die Traditionshypothese in der Einzelanalyse der Evangelien, wo Strauß dann jeweils17 aus dem Mythischen die Bewegung des Begriffs in der mythischen Geschichte Jesu herausarbeitet. Sehr treffend hat Chr. H . Weiße in seiner Auseinandersetzung mit Strauß die Eigenart der Traditionshypothese formuliert: Sie geht von dem Gedanken aus, „daß zwischen der evangelischen Geschichte und deren Aufzeichnung in den schriftlichen Evangelien ein gestaltendes Prinzip liegen müsse, durch welches die Geschichte erst in die Form gegossen war, in welcher sie unsere Evangelien aufgenommen haben: dieser Gedanke hat dadurch erst in Strauß seine rechte Konsistenz und Haltung gewonnen, 14

Erwähnt wird Strauß in diesem Zusammenhang von H.-W. Bartsch, Die theologischen Konsequenzen der formgeschichtlichen Betrachtung der Evangelien. In: ThBl. 19 (1940) Sp. 301—306 ( = Entmythologisierende Verkündigung, Hamburg 1962. S. 11 bis 15). " I, S. 71 ff. 18 1864. S. 41—144, bes. S. 89,137 ff und 145 f. 17 Vgl. z. B. Leben Jesu II 1 . S. 273 f; 554 ff. 5*

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daß er, zum Begriff einer evangelischen Sage oder Mythologie ausgebildet, das ganze Gebiet der evangelischen Erzählungen in ausschließlichen Besitz genommen hat" 18 . Wie bei Lessing und Herder wird auch bei Strauß ein geschichtlicher Kern immer noch in dem Traditionsprozeß angenommen, wenn er auch nicht Gegenstand einer historisch-kritischen Analyse wird. Die Tendenz besteht vielmehr darin, den Entwicklungsprozeß über die Grenzen des Kanons hinaus fortzusetzen, was bei Strauß in der Vermittlung des Mythischen zum Begriff im Sinne der Hegelsdien Phänomenologie des Geistes durchgeführt wird. Die konsequente Fortsetzung der Traditionshypothese zeigt sich nach Strauß bei Bruno Bauer. Bei ihm wird der Überlieferungsprozeß nun ganz von der Annahme eines historischen Kerns abgetrennt und als „Werk des Selbstbewußtseins" aufgefaßt. Nicht nur die Form der Überlieferung, sondern auch der Inhalt wird auf rein „schriftstellerischen Ursprung und freie Schöpfung des Selbstbewußtseins" zurückgeführt 19 . Der in der nachösterlichen Gemeinde entstandene „Reflexionsbegriff" des Messias ist der Kern dieser Traditionsbildung 20 . Zwar bedeutet dies auch bei Bauer keineswegs die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu selbst, sondern wie bei Strauß nur die Diastase zwischen dem historischen Jesus und dem dogmatischen Christus. Die Evangelien sind Darstellung des Dogmas in der Form wirklicher, empirischer Geschichte; doch beides, die Darstellung in den Evangelien wie auch das christologische Dogma sind „nur ein ideales Produkt des christlichen Selbstbewußtseins" und „Gemeindebildung" 21 . So lautet das Ergebnis dieser auf die Entwicklung des Selbstbewußtseins reflektierenden Traditionshypothese in der extremen Formulierung der Hegeischen Linken bei Bauer: „Die Frage, mit der sich unsere Zeit soviel beschäftigt hat, ob nämlich Dieser, ob Jesus der historische Christus sei, haben wir damit beantwortet, daß wir zeigten, daß alles, was der historische Christus ist, was von ihm gesagt wird, was wir von ihm wissen, der Welt der Vorstellung, und zwar der christlichen Vorstellung angehört, also auch mit einem Menschen, der der wirklichen Welt angehört, nichts zu tun hat. Die Frage ist damit beantwortet, daß sie für alle Zukunft gestrichen ist22." Was mit diesen Beispielen gezeigt werden soll, ist die Korrelation der Traditionshypothese mit einer entwicklungsgeschichtlichen Vorstellung, in der die geschichtliche Einmaligkeit in einen geistesgeschichtlichen Prozeß 18 Chr. H. Weiße, Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch bearbeitet. 2 Bde. Leipzig 1838. Bd. 1 S. 7. 19 B. Bauer, Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker. 3 Bde. Leipzig 1846 2 . Bd. I. S . X Y . 20 21 A. a. O. I, S. X V I I ; III, S. 307. A. a. O. III, S. 307. 22 A. a. O. III, S. 308.

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aufgelöst wird. Die Wirkung der Person wird, wie Chr. H . Weiße durchaus zutreffend erkannt hat, in ein idealistisches Traditionsprinzip umgeformt, und damit wird dann die ganze Problematik der zeitlichen und logischen Differenz zwischen dem Neuen Testament und der Gegenwart überwunden. Die Tradition erscheint also nicht als Entstellung des Ursprünglichen im Sinne einer Dekadenztheorie, sondern sie erscheint als ein optimistischer Evolutionismus, der in gleicher Weise für die rationalistische wie auch für die idealistische Kritik bezeichnend ist. Sieht man diesen Ansatz der Traditionshypothese auf dem Hintergrund des orthodoxen Schriftprinzips, so wird die normative Funktion der apostolischen Verkündigung durch das Traditionsprinzip verdrängt. Was bei Lessing und Herder zunächst nur als ein Desinteresse am Historischen erscheint, wird unter dem Einfluß der Hegeischen Philosophie bei Strauß, noch deutlicher bei Bruno Bauer und schließlich in der Christusmythe von Arthur Drews zu einer totalen Auflösung des Historischen. 2. Die

Urevangeliumshypothese

Das die „Urevangeliumshypothese" von der „Traditionshypothese" unterscheidende Merkmal liegt, wie bereits erwähnt, nicht in der Annahme eines mündlichen oder schriftlichen Augenzeugenberichts über das Leben Jesu, sondern in der Ausrichtung der Fragestellung. Die Urevangeliumshypothese ist in ihren verschiedensten Formen bis hin zu der uns hier besonders beschäftigenden Urmarkushypothese dadurch gekennzeichnet, daß hinter den Uberlieferungsprozeß zurückgefragt wird nach dem ihm zugrunde liegenden Ursprünglichen, nach dem historischen Kern. Innerhalb dieses Rahmens kann der Umfang des historisch Verifizierbaren unterschiedlich im einzelnen weiter oder enger gefaßt werden. Entscheidend ist aber, daß bei den Vertretern dieser Hypothese den Evangelien stets ein bestimmtes Maß an „historischer Glaubwürdigkeit", wie man es gern bezeichnet, beigelegt wird, auch ohne daß sie damit gleich zum Range von unmittelbaren Geschichtsquellen erhoben werden. In diesem Sinne ist die Urevangeliumshypothese positiv in der Einschätzung der historischen Möglichkeit und theologischen Notwendigkeit einer Rückfrage nach dem geschichtlichen Faktum und nach der Person Jesu. Ansätze zu einer positiven Beurteilung des Quellenwerts der Evangelien zeigen sich bei Schleiermacher in dessen vor allem auf das Lukasevangelium und die Papiasfragmente gestützten Fragmenten- oder Diegesenhypothese28. 29 F. D. Schleiermacher, Sämmtlidie Werke I, 2. Berlin 1836: Über die Schriften des Lukas, ein kritischer Versuch (1817), S. 1—13; Über die Zeugnisse des Papias von unseren beiden ersten Evangelien (1832), S. 361—392.

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Ihre besondere Zuspitzung erfährt die Urevangeliumshypothese in der Auseinandersetzung mit Strauß. Den negativen Ergebnissen der historischen Kritik in dem Straußschen „Leben Jesu" wird der Versuch einer positiven Beurteilung der Evangelien als Quellen für das Leben Jesu entgegengesetzt, wobei allerdings die wenigsten Autoren in der Quellenfrage über bloße Behauptungen hinauskommen. Aber gerade die Oberflächlichkeit, mit der bei Theologen wie A. Tholuck, A. Neander, H . Ewald, Th. Keim, W. Beyschlag24 die Fragen der Quellenkritik behandelt werden, zeigt, wie hier weniger historisch-kritische, sondern dogmatische Motive im Spiel sind, auf die wir später zu sprechen kommen. So bemüht sich auch Bernhard Weiß, die historische Zuverlässigkeit des Johannesevangeliums trotz der beim ersten Erscheinen seines „Leben Jesu" (1882) schon weithin abgeschlossenen Diskussion um die johanneische Frage festzuhalten 25 . Von quellenkritischen Erwägungen haben es Chr. G. Wilke28 und besonders der Philosoph Chr. H . Weiße27 unternommen, den negativen Ergebnissen von Strauß zu begegnen. Beide gelten als Begründer der Urmarkushypothese, in der sie u. a. an die Arbeit des Philologen C. Lachmann28 anknüpfen. Weiße hat in seinen Untersuchungen völlig zutreffend erkannt, daß wesentliche Voraussetzungen in dem negativen Befund bei Strauß mit der Traditionshypothese verbunden sind, die auf die Rückfrage nach dem historischen Kern der Evangelien verzichtet. Es ist außerdem nicht zu übersehen, daß die Urevangeliumshypothese bei Weiße ganz an der historischen Jesusfrage orientiert ist, indem nicht, wie bei Strauß, auf die Tradition, sondern auf den Ursprung reflektiert wird. Darin beruht der entscheidende Unterschied zwischen der Traditions- und der Urevangeliumshypothese, die bei Lessing und Herder u. a. noch miteinander verbunden sind, in der Auseinandersetzung mit Strauß jedoch scharf voneinander abgehoben werden. Weiße ist weit davon entfernt, mit dieser Hypothese die Evangelien als reine Geschichtsquellen zu deklarieren, wie es verschiedentlich in der Auseinandersetzung mit Strauß geschehen ist. Aber er legt doch allen Wert darauf, daß nicht nur bei den Synoptikern, sondern auch im Johannesevangelium ein geschichtliches Zeugnis über die Person und 24

Vgl. die quellenkritischen Erwägungen am Anfang dieser Leben-Jesu-Darstellungen. Siehe Literaturverzeichnis. 25 B. Weiß, Das Leben Jesu. 2 Bde. Berlin 1884 2 (1. Aufl. 1882). Bd. I 2 , S. 83—137). 26 Chr. G. Wilke, Der Urevangelist oder exegetisch kritische Untersuchung über das Verwandtschaftsverhältnis der ersten drei Evangelien. Dresden-Leipzig 1838. 27 Neben dem Anm. 18 genannten Werk s. a. Chr. H. Weiße, Die Evangelienfrage in ihrem gegenwärtigen Stadium. Leipzig 1856. 28 C. Lachmann, De ordine narrationum in evangeliis synopticis. In: Theologische Studien und Kritiken 1835, 3.

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Lehre Jesu erhoben werden kann: „So haben wir also in den drei synoptischen Evangelien einen Kreis von Berichten über das Leben und die per sönliche Lehre Jesu, der in seiner Entstehung seinen wesentlichen Bestandteilen nach unverkennbar das Gepräge nicht des Dichterischen oder Mythischen29, sondern des Geschichtlichen30 trägt, wenngleich freilich nicht, weder in diesen Hauptbestandteilen selbst für gleichgeltend mit Urkunden solcher Art, aus denen der juristisch gültige Beweis eines Tatbestandes gezogen wird, noch auch in den Nebenteilen für frei von allerhand unhistorischen Beimischungen erkannt werden kann 31 ." Eine nach theologischen und praktischen Gesichtspunkten vorgehende Ausgestaltung und Anordnung des im Urmarkus und in den Logien überlieferten geschichtlichen Stoffes in den Evangelien wird von Weiße durchaus anerkannt. In manchen Einzelheiten steht er der späteren formgeschichtlichen Hypothese bereits sehr nahe. Theologiegeschichtlich bildet die Urmarkushypothese von Weiße die Alternative zu der von der Hegeischen Geschichtsphilosophie beeinflußten Tübinger Schule, der Strauß wie auch Bruno Bauer verbunden waren. Historisch-kritisch enthält sie eine dem Uberlieferungsprozeß entgegengesetzte Richtung des Fragens nach dem Geschichtlichen der Person und Verkündigung Jesu. Dogmatisch geht sie von einer Kontinuität des Idealen mit dem Historischen aus. Die von Strauß aufgerissene Kluft zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens wird damit überwunden. Darin zeigt sich der methodische Ansatz für die positive historische Jesusfrage. Es reicht sicher nicht aus, diesen Übergang von der Traditionshypothese zur Urmarkushypothese allein unter dem Aspekt einer dialektisch fortschreitenden historisch-kritischen Erforschung der neutestamentlichen Quellen zu sehen. Ebensowenig genügt der Wechsel in den philosophischen bzw. geschichtsphilosophischen Voraussetzungen von dem Hegeischen Idealismus zur positiven Philosophie Weißes als Erklärung. Hinter diesen methodischen Voraussetzungen zeichnet sich vielmehr eine Grundsatzentscheidung ab, die um die historische Jesusfrage und das Problem der Christologie kreist, wo sie ihre theologische Sinngebung erfahren. Die weitere Entwicklung der Quellenkritik in der form- und gattungsgeschichtlichen Forschung wird dieses Resultat bestätigen. 3. Die formgeschichtliche

Hypothese

Die gegenwärtige Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage, die „neue Frage nach dem historischen Jesus", ist von den methodischen Vor29

30 D. h. wie Strauß meint. Gesperrt R. S. Chr. H . Weiße, Die evangelische Geschichte. I, S. 94. Zum Johannesevangelium vgl. ebda. S. 96 ff. Die Evangelienfrage. S. 16 ff und 111 ff. 31

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aussetzungen der formgeschichtlichen Forschung zusammen mit der Zweiquellenhypothese bestimmt32. In der neutestamentlichen Exegese hat diese Methode eine sehr weite Anerkennung gefunden, obwohl es auch hier nicht an kritischen Einwänden und Ansätzen zu einer Weiterbildung fehlt. Der theologische Niederschlag der formgeschichtlichen Forschung ist in der sogenannten „Kerygmatheologie" und der „existentialen Interpretation" zu sehen. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, wie eng die Formgeschichte mit der historischen Jesusfrage zusammenhängt. Die Arbeiten von W. Wrede, M. Dibelius, K. L. Schmidt und R. Bultmann33 sind aus der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der „liberalen LebenJesu-Forschung", die man besser vielleicht als positive historische Jesusfrage bezeichnet, erwachsen. Im Rückblick auf die Traditions- und die Urevangeliumshypothese stellt sich ganz von selbst die Frage, wie sich die formgeschichtliche Hypothese zu den systematischen Voraussetzungen dieser beiden Hypothesen verhält. Forschungsgeschichtlich setzt zwar auch die Formgeschichte mit der Zweiquellenhypothese eine Urevangeliumshypothese voraus. Sachlich ist sie jedoch primär an dem Uberlieferungsprozeß interessiert und daher im Zusammenhang der Traditionshypothese zu sehen. Die Kritik an der positiven historischen Jesusfrage erscheint in der Beurteilung der Quellen als eine Kritik an der Uberbewertung der Urevangeliumshypothese. So kommt schon W. Wrede zu dem Ergebnis: „Es muß offen gesagt werden: Markus hat keine wirkliche Anschauung mehr vom geschichtlichen Leben Jesu 34 ." Ebenso stellt K. L. Schmidt fest, daß die richtige literarkritische Erkenntnis von der Priorität des Markusevangeliums nicht zu dem Schluß führen darf, daß dieses Evangelium gegenüber den anderen oder überhaupt einen besonderen "Wert als Geschichtsquelle habe35. Vgl. hierzu die Anm. 7 genannten Werke. M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums. Tübingen 1959' (1. Aufl. 1919). K . L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Neudruck Darmstadt 1964 (1. Aufl. Berlin 1919). R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition. Göttingen 1958 4 (1. Aufl. 1921). Vgl. außerdem bes. die folgenden Forschungsberichte: M. Dibelius, Zur Formgeschichte der Evangelien. T h R 1 ( N F ) (1929) S. 185—216; J . Schniewind, Zur Synoptikerexegese. T h R 2 ( N F ) (1930) S. 129—189; G. Iber, Zur Formgeschichte der Evangelien. T h R 24 ( N F ) (1957/58) S. 283—338. Wichtig sind auch die einschlägigen Artikel in R G G 2. Aufl. von K . L. Schmidt und 3. Aufl. von G. Bornkamm. Ferner: Bartsch, H.-W., Die theologischen Konsequenzen der formgeschichtlichen Betrachtung der Evangelien. Siehe oben Anm. 14. G. Iber, Neuere Literatur zur Formgeschichte. In: M. Dibelius, Formgeschichte. 3. Aufl. S. 302—312. Weiteres in den folgenden Anmerkungen. 32

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W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Göttingen 1963 3 . S. 129. Der Rahmen der Geschichte Jesu. S. 17. Vgl. R. Bultmann, Gesdiidite der syn. Tradition. S. 1 ff. 34

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Am Rande erwähnt sei nur, daß diese gegen eine zu weitreichende Auswertung der Markushypothese gerichteten Einwände eine große Nähe zu der Kritik M. Kühlers an der historischen Jesusfrage enthalten. Allerdings geht Kahler, wenn er die Evangelien nicht als Quellen für ein Leben Jesu, sondern als Christusverkündigung verstanden wissen will, nicht von quellenkritischen Untersuchungen, sondern von einem bestimmten Schriftverständnis auf. Darauf werden wir jedoch erst im zweiten Teil der Untersuchung zurückkommen. Wie jede andere Quellenhypothese muß auch die formgeschichtliche Methode in der Einzelanalyse an den Texten durchgeführt und bewährt werden, und auf diese Aufgabe hat sidi die neutestamentliche Forschung vorwiegend konzentriert. Die grundsätzlichen Aspekte der Methode sind jedoch bisher nur wenig oder gar nicht berücksichtigt worden, und gelegentliche kritische Einwände haben offenbar wenig Überzeugungskraft gehabt. Wie aber steht es mit den systematischen Voraussetzungen der formgeschichtlichen Hypothese? Sie lassen sich an ganz bestimmten Punkten fixieren: An erster Stelle steht der Befund, daß die Quellen weder die Rekonstruktion einer geschlossenen Chronologie und einer Entwicklung des Lebens Jesu noch eine Entscheidung über das messianische Selbstbewußtsein Jesu zulassen36. Dabei wird aber nicht die mit der Zweiquellenhypothese verbundene Ansicht aufgegeben, daß die Evangelien auch „echte" Jesusüberlieferung enthalten. Zweitens geht es darum, die „formbildenden Faktoren" der Uberlieferung und den „soziologischen Zusammenhang" der Gattungen und Formen zu ermitteln 37 . Von R. Bultmann wird dieser Ansatz im Unterschied zu M. Dibelius auch auf sachkritische Erwägungen über die Echtheit und Geschichtlichkeit einzelner Worte und Berichte ausgedehnt38, obwohl dies dann faktisch auch bei ihm nicht weiter ausgewertet worden ist39. Sowohl 34 Vgl. hierzu K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu wurde in dezidierter Form zuerst abgelehnt von R. Bultmann: Die Frage nach dem messianisdien Bewußtsein Jesu und das Petrusbekenntnis. In: ZNW 19 (1920), S. 165—174. Gegen diese skeptische Auffassung wandte sich W. Mundle: Die Geschichtlichkeit des messianischen Bewußtseins Jesu. In: ZNW 21 (1922) S. 299—311. In dieser Diskussion, auf die wir im nächsten Abschnitt eingehen werden, zeichnet sich bereits die gegenwärtige Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage ab. Außerdem vgl. G. Iber in M. Dibelius, Formgeschichte. 3. Aufl. S. 309. Auch J. Schniewind, ThR 2 (1930) S. 138 stellt fest: „ . . . das ganze Unternehmen, den Wortlaut unsrer Quellenschriften wiederzusuchen, (ist) grundsätz37 lich bedenklich." M. Dibelius, Formgesdiidite S. 8. 38 R. Bultmann, Geschidite der syn. Tradition. S. 6. Dies zeigt sidi dann besonders deutlich in R. Bultmann, Jesus. Tübingen 19512 (1. Aufl. 1926).

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bei Dibelius wie auch bei Bultmann sind Form und Gattung soziologisch bestimmte Größen, d. h. die Gemeinschaft bildet die Tradition, wobei offenbar an einen unbewußten, aber in einer bestimmten Gesetzmäßigkeit verlaufenden Prozeß gedacht ist, der etwa auch in anderen Religionsgemeinschaften seine Entsprechungen haben kann. Darin sind gewisse Anklänge an die Straußsche Traditionshypothese zu erkennen40. Drittens ist die formgeschichtliche Methode davon bestimmt, daß die Struktur der Evangelien nicht von der Geschichtsdarstellung, sondern vom „Kerygma" geprägt ist. Dieser Begriff ist vieldeutig, je nachdem man ihn mehr formal oder material auffaßt. Das materiale Moment wurde vor allem von J. Schniewind betont, der damit einen eigenen, über den vorwiegend formalen Ansatz von K. L. Schmidt, M. Dibelius und R. Bultmann hinausweisenden Gedanken und zugleich ein wesentliches Anliegen M. Kühlers zur Geltung brachte. Für J. Schniewind liegt das traditionsbildende Prinzip nicht in der Anonymität einer Gemeinschaft, sondern in dem „Kerygma": „Das urchristliche Kerygma in seiner Einmaligkeit hat sich auch seine eigene literarische Form geschaffen.. . 41 ." Der Begriff dient hier zur Abgrenzung gegen die religionsgeschichtlichen Analogien, die in der Formgeschichte von E. Norden und W. Bousset42 übernommen worden sind. Ähnlich wie schon der dritte Punkt enthält auch der vierte eine Modifikation der systematischen Voraussetzungen. Besonders von M. Dibelius war die Vorstellung von einer schöpferischen Individualität in den Evangelien ausdrücklich abgelehnt worden 43 , und über der Konzentration auf die einzelnen Traditionselemente wurde die Gesamtheit des Traditionszusammenhangs bewußt oder unbewußt vernachlässigt. Hier hat neuerdings die redaktionsgeschichtliche Fragestellung zu neuen Gesichtspunkten geführt, indem sie die für die Komposition der einzelnen Evangelien maß40

Siehe oben S. 55. Nachdrücklich hat jedoch auch M. Dibelius später in seinen Vorlesungen über „Evangelienkritik und Christologie" (in: Botschaft und Geschichte. I. Tübingen 1953 S. 293—358) auf die christologische Motivation der Tradition hingewiesen. Vgl. bes. S. 317 ff und 332 ff. 41 J. Schniewind, ThR 2 (1930) S. 140, 151 ff, 161 ff, 171 ff. Deutlicher ist Schniewinds Verständnis des Kerygmas zu erkennen in J. Schniewind, Nachgelassene Reden und Aufsätze. Hrsg. E. Kähler. Berlin 1952 in dem Aufsatz „Messiasgeheimnis und Eschatologie". Hier wird (S. 1) das Kerygma von der Inkarnation her verstanden. In ähnlicher Weise hat sich auch K. L. Schmidt in seinem Vortrag „Das Christuszeugnis der synoptischen Evangelien" (in: Jesus Christus im Zeugnis der Heiligen Schrift und der Kirche. Beiheft 2 zu EvTh. München 1936, S. 7—33) geäußert. Er erhebt dabei gleichzeitig Einwände gegen ein nur formales Verständnis der „Krisis". S. 29. 42 E. Norden, Agnostos Theos. 1913. W. Bousset, Kyrios Christos. Göttingen 1913 (Neudruck 1965). 43 M. Dibelius, Formgeschichte. S. 7.

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gebenden theologischen Konzeptionen zu ermitteln sucht44. Neben die unbewußt gestaltende Tradition tritt so die bewußt formende und komponierende Interpretation. Neben den anonymen Uberlieferungsprozeß tritt eine von theologischer Individualität bestimmte Auslegungsgeschichte. Die redaktionsgeschichtliche Forschung bedeutet eine Erweiterung der formgeschichtlichen Kategorien, wie von verschiedenen Seiten in den letzten Jahren vorgeschlagen worden ist45. Sie bedeutet aber nicht eine grundsätzliche Änderung der auf den Traditionsprozeß orientierten Betrachtungsweise. Infolgedessen legt sich von hier aus auch nicht unbedingt die historische Jesusfrage nahe, sondern es geht eben weiterhin um Verkündigungs- und Auslegungsgeschichte46. In allen ihren Grundzügen und Varianten ist die formgeschichtliche Methode eindeutig der Traditionshypothese zuzuordnen, wobei die Zweiquellenhypothese zwar den geschichtlichen Ursprung beim historischen Jesus festhält, ohne daß jedoch die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer kritischen Rückfrage nach diesem Ursprung als gegeben angesehen wird. Darin besteht eine auffallende Ubereinstimmung mit D. F. Strauß, die oft bis in Einzelheiten geht, auch ohne daß man seine geschichtsphilosophischen Voraussetzungen teilt. Die Verbindung des historischen Jesus mit dem kerygmatischen Christus wird so zum offenen Problem. Die Einwände gegen die formgeschichtliche Methode erheben sich bezeichnenderweise dort, wo man an der historischen Jesusfrage theologisch interessiert ist. Dies bedeutet, daß die Blickrichtung von dem Traditionsund Umformungsprozeß wieder auf die Frage nach dem Ursprung gerichtet werden muß, bzw. daß gegenüber der formgeschichtlichen Traditionshypothese Anliegen der Urevangeliumshypothese betont werden. Angesichts der Vorherrschaft der formgeschichtlichen Methode besonders innerhalb der deutschen neutestamentlichen Forschung sind diese Einwände bisher wenig beachtet und gelegentlich auch etwas vorschnell abgetan worden, obwohl in letzter Zeit immerhin eine gewisse Konvergenz zwischen den Vertretern und den Kritikern der Formgeschichte in der historischen Jesusfrage zu erkennen ist. 44 Vgl. hierzu: W. Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums. Göttingen 1956. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas. Tübingen 1954 (4. Aufl. 1961). G. Bornkamm, G. Barth, H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium. Neukirchen 1965 4 . G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchungen zur Theologie des Matthäus. Güttingen 1962. 45 Z. B. U. Wilckens in der Besprechung der 3. Aufl. von M. Dibelius, Formgeschichte. In: ThLZ 86 (1961) Sp. 272—276. G. Schille, Der Mangel eines kritischen Geschichtsbildes in der neutestamentlichen Formgeschichte. In: ThLZ 88 (1963) Sp. 491 bis 502. 46 Die Interpretation bedeutet hier immer sowohl Umdeutung wie auch Anpassung.

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Außerdem werden in der Kritik an der Formgesdiidite Fragen berührt, die auch, wie wir sahen, innerhalb dieser Forschungsrichtung kontrovers oder nicht eindeutig geklärt sind. Dies gilt ganz besonders von dem rein formal gefaßten Traditionsprinzip, dem, mit unterschiedlichen Akzenten, eine eigene Produktivität beigelegt wird. Dieses formale Traditionsprinzip kommt in Begriffen wie „Kerygma", „Osterglaube", „Entscheidung" oder auch in den „soziologischen Phänomenen" zum Ausdruck, wenn dabei auf eine inhaltliche Füllung verzichtet wird. Ebenso kann es in der Frage nach dem „Sitz im Leben der Gemeinde" aus der Situationsbedingtheit der frühchristlichen Verkündigung und Missionspredigt abgeleitet werden. Teilweise lassen diese und ähnliche Begriffe noch den Hintergrund der religionsgeschichtlichen Schule und ihres Analogieprinzips durchscheinen. Hiergegen wird die Frage erhoben, ob es überhaupt berechtigt und vorstellbar ist, den Prozeß der Traditionsbildung als eine anonyme und überindividuelle Entwicklung anzusehen, die nur auf bestimmte Gesetze, nicht aber auch auf bestimmte Personen zurückzuführen ist47. Wichtiger noch ist die zweite Frage, ob man in diesem Traditionsprozeß auf die Rückfrage nach dem geschichtlichen Ursprung verzichten kann und muß. Dies braucht nicht gleich zu heißen, daß man wieder zu einer „LebenJesu-Forschung" kommt. Zunächst geht es einfach um ein Materialprinzip in der neutestamentlichen Uberlieferung. Dies meinte etwa E. Fascher, wenn er als das formbildende Element in den Evangelien nicht die soziologische Kategorie eines Sitzes im Leben der Gemeinde, sondern den „Sitz im Leben Jesu" ansieht48. In ähnlicher Weise hat L. Köhler zu bedenken gegeben, daß die Evangelien nicht nur von der Ausrichtung auf die christliche Verkündigung und Missionspredigt bestimmt sind, sondern daß sie auch von einem Komplex biographischer Erinnerungsstücke aus dem Leben Jesu ausgehen49. Am schärfsten ist die Alternative nicht zur Formgeschidite selbst, sondern zu ihrer einseitigen Konzentration auf eine formal gefaßte Tradi47 Dieser Einwand ist jetzt besonders klar von L. Goppelt in Die Kirche in ihrer Geschichte (Hrsg. von K. D. Schmidt und E. Wolf), Bd. I A : Die apostolische und nachapostolische Zeit, Göttingen 1962, S. 4 ff, herausgearbeitet worden. Dort weitere Litt. Von besonderer Wichtigkeit wird damit die Funkton der Augenzeugen und des Apostelamtes. Vgl. dazu auch K. H . Rengstorf, Die Auferstehung Jesu. Form, Art und Sinn der urchristlichen Osterbotschaft. Witten 1952 (4. Aufl. 1960). Zweifellos sind diese Fragen in der Formgeschichte bisher kaum berücksichtigt worden. 48 E. Faseber, Die formgeschichtliche Methode. Eine Darstellung und Kritik. Zugleich ein Beitrag zur Gesdiichte der synoptischen Tradition. Gießen 1924. S. 221. 49 L. Köhler, Das formgeschichtliche Problem des Neuen Testaments. Tübingen 1927.

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tionsgeschichte von H . Riesenfeld gestellt worden 50 . Wie vor ihm schon E. Faseber und J. Scbniewind, will er die Evangelientradition als eine Kategorie „sui generis" verstehen, die „ihren eigenen ,Sitz im Leben'" hat 51 . Sie geht nicht in der Missionspredigt der Urgemeinde auf oder wird durch sie produziert, sondern bildet eine eigene selbständige Tradition neben dieser52. Riesenfeld vergleicht diese spezielle Uberlieferung der Worte und Taten Jesu mit den aus der rabbinischen Schule bekannten „Worten der Väter" (sayings of the Fathers), und daraus wird dann die These abgeleitet, daß die „Heilige Tradition" der Worte und Taten Jesu rezitierend im Unterschied zu der interpretierenden Missionspredigt weitergegeben wurde 58 . Die Apostel als Zeugen der Auferstehung erhalten nun als Träger dieser „Heiligen Tradition" eine besondere Funktion: „ . . . es genügte nicht, daß sie dem auferstandenen Christus begegnet waren. Sie mußten vielmehr einen so lebendigen Eindruck vom Leben und Wirken Jesu haben, um befähigt zu sein, die Heilige Tradition der Worte und Taten Jesu weiterzugeben54." Das wichtigste Moment liegt darin, daß die historische Jesusfrage nicht nur durch einen Wechsel in der Blickrichtung gestellt wird, sondern daß in diesem Traditionsbegriff eine unmittelbare Kontinuität mit der Geschichte des irdischen Jesus impliziert ist. „Jesus selbst ist der Begründer der Evangelientradition 55 ." Damit steht man von neuem vor der Frage nach dem messianischen Selbstbewußtsein Jesu als einem Zentralproblem 50 H. Riesenfeld, The Gospel Tradition and its Beginnings. A Study in the Limits of ,Formgeschichte'. London 1957. Ders.: Tradition und Redaktion im Markusevangelium. In: Neutestamentlidie Studien für R. Bultmann. 1954. S. 157—164. In ähnliche Richtung weisende Gedanken werden von N . A. Dahl, Der historische Jesus als geschichtswissenschaftliches und theologisches Problem (KuD 1 [1955] S. 104 bis 132) vorgetragen, ebenso von B. Gerhardson, Memory and Manuscript. Oral Tradition und Written Transmission in Rabbinic Judaism and Early Christianity. Uppsala 1961. Ders.: Tradition and Transmission in Early Christianity. Copenhagen 1964. Ich glaube nicht, daß, wie G. Iber, ThR 24 (1957/58) S. 323 meint, „die Kritik an dem ,skeptischen' Ansatz der Formgeschichte die Ablehnung ihrer Fragestellung" bedeutet. M. E. zeigen gerade die verschiedenen Neuansätze und Erweiterungen innerhalb der formgeschichtlichen Schule ganz ähnliche Tendenzen wie die Kritik, die sich vor allem gegen eine kerygmatische Idealisierung der Christusverkündigung wendet. Hierzu gehört auch die „neue Frage nach dem historischen Jesus". 51 H . Riesenfeld, The Gospel Tradition, S. 16. 52 A . a . O . S . 17. 53 A. a. O. S. 21. Vgl. oben Anm. 47. Ähnlich wie früher von T. W. Mansoti, The Teaching of Jesus. Studies of its Form and Content. Cambridge 1931. Vgl. dazu auch T. W. Manson, The Sayings of Jesus as recorded in the Gospels according to St. Matthew und St. Luke, arranged with an Introduction and Commentary. London 1957 5 . 51 H. Riesenfeld, a. a. O. S. 21. 55 Ebda. S. 29 f.

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der neutestamentlichen Forschung58, an der sich die Einheit von historischem Jesus und kerygmatischem Christus entscheidet. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, über die exegetische Berechtigung der Formgeschichte und der gegen sie erhobenen Einwände zu entscheiden. Immerhin ist festzustellen, wie sich in der Diskussion um die Formgeschichte die durch Strauß provozierte Alternative zwischen der Traditions- und derUrevangeliumshypothese in der Quellenkritik wiederholt, und man kann fragen, ob überhaupt eine Uberwindung dieser Alternative auf Grund des außerordentlich komplizierten historischen Sachverhalts möglich ist, oder ob nicht vielmehr nur von der theologischen Sachfrage her zu entscheiden ist. Dieser Weg wird offenbar dort eingeschlagen, wo innerhalb der formgeschichtlichen Schule die historische Jesusfrage von neuem gestellt wird. Den Ausgangspunkt bilden dabei nicht neue quellenkritische Erwägungen, sondern systematische: es geht um die theologische Bedeutung oder Funktion des Historischen für den Glauben. Die Tendenz dieser „neuen Frage nach dem historischen Jesus" ist indessen auch eine Korrektur an den Konsequenzen, die sich aus der formgeschichtlichen Methode für die historische Jesusfrage und die Christologie ergeben. Im folgenden Abschnitt werden wir uns der mit der Quellenkritik verbundenen Sachfrage nach der Person Jesu zuwenden. B. Die historische und theologische Beurteilung der Person Jesu Folgt man den gängigen Vorstellungen von der „Leben-Jesu-Forschung", so ist die historische Jesusfrage in der Theologie des vorigen Jahrhunderts bestimmt von einem falschen Verständnis der Evangelien als Geschichtsquellen, von einer Uberschätzung ihres möglichen historischen Quellenwerts für das Leben Jesu und schließlich von dem schon im Ansatz irrigen Bemühen um die Rekonstruktion einer biographischen Entwicklung Jesu. Pauschalurteile dieser Art, in denen die „neue Frage nach dem historischen Jesus" gegenüber der „Leben-Jesu-Forschung" abgegrenzt wird, sind zu einfach, um wahr zu sein und den theologiegeschichtlichen Sachverhalt sowie die theologische Problematik der früheren historischen Jesusfrage auch nur annähernd wiederzugeben. Es wäre hier erst einmal ganz nüchtern zu fragen, welches überhaupt die theologischen Werke sind, in denen der5 6 Ebda. S. 28 f. Vgl. J. Schneider, Der Beitrag der Urgemeinde zur Jesusüberlieferung im Lichte der neuesten Forschung. In: ThLZ 87 (1962) Sp. 401—412. Dort Sp. 410. Man wird natürlich bei allen diesen Einwänden berücksichtigen müssen, daß die Standpunkte im einzelnen noch keineswegs ausreichend begründet sind. Der Beitrag von H. Riesenfeld ist als Vortrag lediglich ein Entwurf. Aber man sollte auch nicht nur einfach die Kritik an der Formgeschichte, sondern die damit verbundene theologische Problematik in den Vordergrund stellen.

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artige Ansichten vertreten werden, wenn man nicht gerade die romanhaften Darstellungen eines Bahrdt, Venturini oder Renan als typisch für die historische Jesusforsckung ansehen will. Mehr oder minder erbauliche, phantastische oder auch modernistische Jesus-Darstellungen hat es zu allen Zeiten gegeben als eine religiöse Literaturgattung besonderer Art 57 . Es soll auch nicht bestritten werden, daß selbst in der wissenschaftlich-theologischen Jesusforschung bestimmte Züge vorliegen, die phantastisch anmuten und weniger von historisch-kritischer Exegese als von psychologischen Analogien oder auch von bloßer Geschmacklosigkeit geprägt sind. Die Grenzen sind gewiß fließend, und W. Wrede hat sicher recht gehabt, wenn er schrieb: „Die Wissenschaft vom Leben Jesu krankt an der psychologischen Vermutung, und diese ist eine Art historischen Ratens 58 ." Doch die durch subjektive und zeitgebundene Voraussetzungen bedingte Einseitigkeit wird wohl immer erst von anderen erkannt und zum Vorwurf gemacht, während sie dem einzelnen oder auch einer Gruppe und Schulrichtung entweder wohlbegründet oder selbstverständlich zu sein scheinen. Das betrifft nicht nur die Theologie des vorigen Jahrhunderts, sondern die prinzipielle Diskrepanz zwischen objektiver und subjektiver Bestimmtheit im Erkenntnisvorgang. Es geht uns nicht darum, die vielgeschmähte und „gescheiterte" „LebenJesu-Forschung" zu rehabilitieren oder gar zu repristinieren. Aber es besteht bei diesen oft wenig oder gar nicht begründeten Pauschalurteilen die Gefahr, daß man die wirklichen Probleme jener Epoche nicht in den Blick bekommt und damit dann auch Lösungsmöglichkeiten übersieht, die bereits früher erwogen wurden oder versagt haben. Darin ist jene „LebenJesu-Forschung" zweifellos reicher, als es zunächst den Anschein haben mag. Jede Zeit hat ein ihr gemäßes und für sie typisches Jesusbild59, das in der Kunst, in der Dichtung und warum nicht auch in der Theologie seinen Niederschlag findet. Die Theologie wird demgegenüber auch immer vor der Aufgabe einer kritischen Konfrontation mit dem neutestamentlichen Zeugnis von Jesus Christus stehen und dabei zu zeigen haben, daß die Christusverkündigung nicht nur in die jeweilige Zeit eingeht, sondern ihre 57 Vgl. dazu: H. Weinel, Jesus im neunzehnten Jahrhundert. Tübingen-Leipzig 1903. H. Weinel, Das Jesusbild in den geistigen Strömungen der letzten 150 Jahre. (Religionskundliche Quellenhefte Nr. 46) Leipzig-Berlin 1927. J. Leipoldt, Vom Jesusbilde der Gegenwart. Sechs Aufsätze. Leipzig 1925 2 . 58 W. Wrede, Das Messiasgeheimnis, S. 3. 59 Vgl. hierzu die interessanten Hinweise bei W. Eiert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie, Berlin 1957, für die alte Kirche sowie H . Jursch, Das Christusbild in seinen Wandlungen. Ein Beitrag zur Frömmigkeitsgeschichte, in: Ristow-Matthiae, Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, Berlin 1961 2 , S. 647—710. Die Berücksichtigung der hier aufgezeigten Zusammenhänge ist auch für die theologische Bewertung der historischen Jesusfrage bedeutsam.

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Vorstellungen auch aufbricht. Doch in der historischen Jesusfrage geht es um mehr als um diese keineswegs außergewöhnliche Erscheinung des in den Vorstellungen einer bestimmten Zeit aufgehenden Jesusbildes. Die eigentlichen Probleme werden übersehen, wenn man die sogenannte „Leben-Jesu-Forschung" auf dieses Phänomen festlegen würde. Ihre Funktion steht in einem anderen Zusammenhang; sie wird greifbar, wenn gefragt wird, warum man damals an einem „Leben Jesu" interessiert war. Im vorigen Abschnitt dieses Kapitels wurde an dem Beispiel der Quellenkritik gezeigt, wie hinter diesen Erwägungen die Konturen einer Grundsatzentscheidung zwischen der „Traditionshypothese" und der „Urevangeliumshypothese" sichtbar werden, die bis in die Diskussion innerhalb der formgeschichtlichen Schule und um sie verfolgt werden kann. Funktional tritt die Quellenkritik an die Stelle des orthodoxen Schriftprinzips 80 , dessen dogmatische Axiome, die „affectiones scripturae sacrae", durch die Anwendung historisch-kritischer Methodik ersetzt werden. Denn schließlich sollen die quellenkritischen Erwägungen die Grundlage für das rechte und sachgemäße Verständnis der biblischen Texte liefern. Von hier aus gesehen bildet die historische Jesusfrage die mit dem Methodenproblem verbundene Sachfrage. In der Korrelation von Quellenkritik und historischer Jesusfrage zeigt sich so eine gewisse Entsprechung zu einem christozentrischen Schriftverständnis61. Daß es sich dabei um eine Korrelation und nicht um eine Sukzession handelt, sei ausdrücklich unterstrichen. Denn die am Beispiel der Quellenkritik herausgearbeiteten Entscheidungen und Probleme wiederholen sich in gewisser Weise, wenn man nun die Aufmerksamkeit der Sachfrage nach der historischen und theologischen Beurteilung der Person Jesu zuwendet, wie auch umgekehrt die Auffassung von der Person Jesu nicht ohne Einfluß auf die methodischen Entscheidungen bleibt. 1. Idee und

Individuum

Schon wenn die historische Jesusforschung auf dem Hintergrund der von D. F. Strauß und dann von Bruno Bauer sowie später von Arthur Drews vertretenen Thesen gesehen wird, erscheint sie in einem anderen Licht. Sofern hier, was im einzelnen noch nachzuprüfen ist, nun der Idee die geschichtliche Person gegenübergestellt wird, handelt es sich um eine 60

Siehe oben S. 65. T. W. Manson, The Teadiing of Jesus. Studies of its Form and Content, Cambridge 1931, S. 5: „What was implicit in the Reformation was brought out into the light of day: this namely, that if Christ be in truth the centre of Christianity, then the formulation of the faith must be made to conform to Christ and not Christ to the formulation." Vgl. audi den Hinweis von E. Hirsch, der oben S. 65 erwähnt wurde. Ebenso auch G. Bornkamm, The Problem of the Historical Jesus and the Kerygmatic Christ S. 35, Anm. 1 (in: Studia Evangelica, Vol. III, Berlin 1964, S. 33—44). 81

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direkte Auseinandersetzung mit den beiden von Strauß formulierten Sätzen, daß der Christus des Glaubens unvereinbar sei mit dem historischen Jesus und daß die Idee unvereinbar ist mit einem geschichtlichen Individuum. Die historische Jesusfrage nach Strauß ist durchweg von der Auseinandersetzung mit diesen Thesen bestimmt und versucht sie zu widerlegen62. Allein von diesem theologiegeschichtlichen Sachverhalt her ist es falsch, die Leben-Jesu-Darstellungen jener Zeit lediglich auf ein bestimmtes Verständnis von Persönlichkeit und religiöser Individualität zurückzuführen oder aber nur die Front gegen die „Metaphysik" des christologischen Dogmas in den Vordergrund zu stellen. Das Problem dieser Epoche ist vielmehr in mindestens gleicher Weise von der Auseinandersetzung mit einer im Hegeischen Sinne idealistischen wie auch mit einer im Sinne des altkirchlichen Dogmas spekulativen Christologie bestimmt. Historisch oder, hier noch gleichbedeutend, geschichtlich heißt dann nicht nur „antidogmatisch" im engeren Sinne, sondern auch „antiidealistisch". Dabei geht es dann nicht nur um die Möglichkeit des historisch Verifizierbaren, sondern auch um die theologische Notwendigkeit des Geschichtlichen. Der historische Ansatz ist theologisch motiviert; das eine ist von dem anderen nicht zu trennen. Die historische Jesusfrage wird damit zur theologischen Notwendigkeit. Am Rande sei erwähnt, daß dieser gegen Strauß gerichtete Ansatz in der historischen Jesusfrage eine interessante Parallele in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat, die sich etwa gleichzeitig mit den Konsequenzen der Hegelsdien Geschichtsphilosophie auseinandersetzt. Audi hier ist die Tendenz zu erkennen, an die Stelle der Ideengeschichte die Geschichtswirkung der großen Persönlichkeit zu setzen: Nicht Ideen, sondern Männer machen Geschichte. Führend beteiligt an dieser Grund62 In der theologiegeschichtlichen Darstellung von A. Schweitzers Geschichte der Leben-Jesu-Forsdiung ist dies wohl die schwerwiegendste Verkürzung, daß diese Frontstellung gegen Strauß, in der sich auch Schweitzer selbst befindet, nicht berücksichtigt wird. Nahezu alle Leben-Jesu-Darstellungen des Positivismus gehen unmittelbar von der Kritik an Strauß in diesem Punkt aus. Vgl. z. B. von den Vertretern der konservativen Richtung: A. Neander, Das Leben Jesu Christi in seinem geschichtlichen Zusammenhang. Hamburg 1837, S. 6; C. Ulimann, J. Müller, Das Leben Jesu von Dav. Fr. Strauß, 1836, S. 47 ff; A. Tholuck, Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, zugleich eine Kritik des Lebens Jesu von Strauß für theologische und nicht theologische Leser dargestellt, Hamburg 1837, Einleitung. Aus dem Kreis der nur mit Vorbehalt als liberal zu bezeichnenden Richtung vgl. z. B. H . Ewald, Geschichte des Volkes Israel bis Christus. Bd. 5: Geschichte Christus' und seiner Zeit, Göttingen 1855; B. Weiß, Das Leben Jesu, 2 Bde. Berlin 1884 s , Bd. 1 S. 183 f; W. Beyschlag, Das Leben Jesu, 2 Bde. Halle 1887*, Bd. 1 S. 2 f ; Th. Keim, Geschichte Jesu von Nazara in ihrer Verkettung mit dem Gesammtieben seines Volkes frei untersucht und ausführlich erzählt, 3 Bde. Zürich 1867—1872, Bd. 1, S. 6 f; ders.: Der geschichtliche Christus. Zürich 1866», bes. S. 100 ff. In vielen Fällen steht die Kritik an Strauß noch vor der Kritik am christologisdien Dogma.

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Slenczka, Geschichtlichkeit

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satzdebatte sind Historiker wie Ranke, Droysen, Treitschke6S. An die Stelle des Idealismus tritt geistesgeschichtlich ein Individualismus und Positivismus. Doch dieses geistesgeschichtliche Phänomen kann zwar den äußeren Anlaß veranschaulichen, daß man sich der Individualität Jesu als einer geschichtlichen Persönlichkeit zuwendet, aber er erklärt noch nicht die theologische Notwendigkeit oder Funktion der positiven historischen Jesusfrage. Die theologische Problemstellung in der historischen Jesusfrage ist nach Strauß von einer außerordentlichen Kompliziertheit, die nicht leicht zu entwirren ist, weil die verschiedensten Intentionen und Fronten ineinander übergehen. Schon die Verbindung der Kritik am christologischen Dogma mit der Kritik an dem Hegeischen Idealismus von Strauß fühlt zu einer Verschränkung unterschiedlicher Anliegen. Gegen Strauß argumentiert man, daß er den Wert der Persönlichkeit verkenne64. In Übereinstimmung mit Strauß ist man aber auch der Ansicht, daß die Aussagen der Zweinaturenlehre nicht in einer Person zu vereinigen sind, ohne daß die wahre Menschheit aufgehoben wird65. Das heißt, die Dogmenkritik führt hier nicht zu idealistischen Konsequenzen wie bei Strauß mit einer Auflösung der Persönlichkeit. Sie führt vielmehr zu einer Bestimmung der geschichtlichen Person, der nicht die Natur, sondern die Attribute des Göttlichen beigelegt werden. An die Stelle der Idee tritt somit die geschichtliche Tatsache in ihrer empirischen Aufweisbarkeit68. Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt, der die theologische Notwendigkeit der historischen Jesusfrage begründet. Nach dem idealistischen Ansatz wird bei Strauß die Offenbarung auf die Geschichte der — unpersönlichen — Idee ausgedehnt. Die Geschichte ist, ebenso wie bei Hegel, Offenbarung. Demgegenüber sind die Leben-Jesu-Darstellungen bestrebt, die Einmaligkeit der Offenbarung Gottes in der Person Jesu von Nazareth festzuhalten67. Dies geschieht dadurch, daß nun die Offenbarung als Wirkung, genauer als geschichtliche Nachwirkung der beson" Vgl. J . Wach, Das Verstehen. Grundzüge einer Geschichte der hermeneutischen Theorie im 19. Jahrhundert. 3 Bde. Tübingen 1926—33. Bd. 3: Das Verstehen in der Historik von Kant bis zum Positivismus, S. 114 ff, 154 ff. Siehe auch G. P. Gooch, History and Historians in the nineteenth Century. London-New York-Toronto 1959 (Neudruck der 2. Aufl. von 1952/dt. Übers.: Geschichte und Geschichtsschreibung im 19. Jh. Frankfurt 1964). M C. UIlmann, Noch ein Wort über die Persönlichkeit Christi und Herrn Dr. Strauß, 1838; vgl. auch den o. S. 48 Anm. 97 erwähnten Aufsatz von A. Schweizer. 65 Vgl. dazu unten den Abschnitt C von Kap. III. " Th. Keim, Der geschichtliche Christus, Zürich 1866 3 , S. 149 ff über „die religiöse Bedeutung der Grundtatsadien des Lebens Jesu". 47 W. Beyscblag, Leben Jesu, Bd. 1, S. 19 ff, A. Neander, Leben Jesu Christi, S. 3.

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ders qualifizierten Persönlichkeit Jesu aufgefaßt wird68. Nicht die Verkündigung, das Kerygma oder audi das Wort, sondern eben die Eigenart der in den Evangelien dargestellten oder wenigstens aus ihnen erkennbaren Persönlichkeit Jesu bildet die geschichtliche Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wie die Evangelien die Möglichkeit bieten, die geschichtliche Persönlichkeit Jesu in ihrer Eigenart zu sehen, so besteht die Aufgabe des theologischen Historikers darin, dieses Bild Jesu in seiner ganzen Reinheit und Anschaulichkeit herauszuarbeiten und zu vergegenwärtigen. Denn, um die Straußsche These umzukehren, der historische Jesus ist der Jesus des Glaubens — aber eben nicht der Christus der Zweinaturenlehre. Er steht nicht unter dem Schein einer Idee, sondern in der Realität geschichtlicher Faktizität. Die geschichtliche Person Jesu ist nicht nur, wie bei Strauß, Kristallisationspunkt einer unbewußt sich verwirklichenden und konkretisierenden religiösen Vorstellung, sondern sie ist selbst Urheber in einer allgemeinen Gültigkeit und Wirksamkeit als geschichtliches Individuum. Es ist nicht nur ein Ergebnis der historischen Methode, sondern auch der theologischen Intention in der Auseinandersetzung mit Strauß, wenn dieser Rahmen für die Bewertung der Person Jesu ganz auf die Zeit der irdischen Existenz zwischen Geburt und Tod eingeschränkt wird. Es fehlt zwar nicht an Versuchen, neutestamentliche Aussagen über die Präexistenz und die Erhöhung oder Auferstehung zu berücksichtigen69. Die Auferstehungsberichtewerden meist mit einer undurchsichtigen Zurückhaltung behandelt70. Dahinter steht aber jeweils das unausgesprochene Postulat, daß Jesus das, was er ist, nicht erst außerhalb seiner irdischen Geschichte oder gar durch spätere Reflexion der frühchristlichen Gemeinde wird, sondern daß er es in seiner Geschichtlichkeit ist. Nicht ohne weiteres kann diese „Bewegung" als liberal betrachtet werden, zumal gerade im Einzelfall ein eindeutiges Urteil nur schwer zu fällen ist71. Denn gerade in der Einzelanalyse zeigt sich oft eine merk• 8 Dazu s. den folgenden Abschnitt. " Näheres unter Abschnitt C. 70 B. Weiß, Das Leben Jesu, Bd. 2, S. 594; D . Schenkel, Das Charakterbild Jesu, Wiesbaden 1873«, S. 323 fi; 332; W. Beyschlag, Das Leben Jesu, Bd. 2, S. 474 ff. Gegenüber der idealistischen Auflösung der geschichtlichen Faktizität bemüht man sidi durchgehend um eine positive Darstellung, obwohl der theologische Ansatz dann nicht von der Auferstehung, sondern von der geschichtlichen Person her bestimmt ist. 71 A. Schweitzer faßt in der „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" die zweite Leben-Jesu-Darstellung von Strauß mit den Arbeiten von Schenkel, H. J. Holtzmann, K. H. Weizsäcker, Th. Keim, K. Hase, W. Beyschlag und B. Weiß unter die Kategorie der „liberalen Leben-Jesu" zusammen (Kap. 14, S. 193—221), obwohl hier doch fundamentale Unterschiede bestehen (s. o. Anm. 62), auch unabhängig von dem Gegensatz zwischen Idealismus und Positivismus. Ebensowenig ist es sachgemäß, wenn heute oft die „Leben-Jesu-Forschung" im ganzen als „liberal" angesehen wird. Es besteht bei der summarischen Verwendung derartiger Bezeichnungen immer die Gefahr, daß die Sachfragen in einem Schlagwort untergehen oder direkt disqualifiziert werden.

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würdige Verquickung von rationalistischen und supranaturalistischen Elementen. Verständlich werden diese Ungereimtheiten wohl nur von dem gegen Strauß gerichteten Axiom, daß der historische Jesus auch der Jesus des Glaubens ist, daß der Auferstandene derselbe wie der Geschichtliche ist, daß die gegenwärtige Wirkung der Person mit ihrer geschichtlichen Existenz identisch und von ihr her erklärbar ist. Nach dieser theologischen Intention bedeutet Geschichte letztlich die Realität des Glaubens gegenüber seiner idealistischen Entleerung und Auflösung. Von zwei Problemkreisen her kann dieses Anliegen der historischen Jesusfrage nach Strauß systematisch noch genauer dargestellt werden, nämlich einmal an dem nahezu durchgehend verwendeten Begriff des „Bildes" oder „Charakterbildes" Jesu, auf den sich die biographische Darstellung konzentriert, und dann an der Frage nach dem Selbstbewußtsein oder dem messianischen Bewußtsein Jesu, die schließlich zu einem ,punctum mathematicum' der historischen Jesusfrage überhaupt wird. 2. Das „Charakter-Bild"

Jesu

Der Begriff des ,Bildes' oder auch ,Charakterbildes' hat im Zusammenhang der historischen Jesusfrage eine bisher viel zu wenig beachtete Bedeutung. Er wird zusammen mit verschiedenen Abwandlungen in bemerkenswerter Regelmäßigkeit und auch Selbstverständlichkeit verwendet, und zwar nicht nur in den „Leben-Jesu-Darstellungen", sondern auch in der speziellen dogmatischen Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage. H. Ott hat wohl als erster auf die Bedeutung dieses Begriffes bei M. Kahler hingewiesen72. Außer bei Kähler werden wir diesem Begriff im zweiten Teil unserer Untersuchung noch bei W. Herrmann sowie früher bei Schleiermacher und in gewissen Varianten bei A. Ritsehl u. a. begegnen. Es handelt sich um einen sicher zu Unrecht vernachlässigten Schlüsselbegriff, der für die Ermittlung der theologischen Problematik viel aufschlußreicher ist als der doch recht vage und auch irreführende Begriff des ,Lebens' Jesu, der meist nur zu der Ansicht verleitet, daß es bei ihm um den Versuch einer bloßen biographischen Rekonstruktion des Lebensund Entwicklungswegs Jesu gehe. Gerade bei der scheinbar unreflektierten Verwendung dieses Begriffs ist es gut, an seine nicht uninteressante Geschichte in der Theologie zu erinnern, nämlich an die Eikon-Christologie73, an die Lehre von der 7 2 H . Ott, Die Frage nach dem historischen Jesus und die Ontologie der Geschichte (Theol. Studien, H . 62), Zürich i 9 6 0 , S. 24 ff. 73 F. W . Eltester, Eikon im Neuen Testament (Beiheft zu Z N W N r . 23), Berlin 1 9 5 8 ; E . Larsson, Christus als Vorbild. Eine Untersuchung zu den paulinischen Taufund Eikon texten, Uppsala 1962.

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,imago Dei' 74 sowie an seine philosophisch-erkenntnistheoretische Verwendung. Im Zusammenhang der historischen Jesusfrage wird der Begriff zuerst von D. Schenkel programmatisch in seinem Buch „Das Charakterbild Jesu" aufgenommen, obwohl er hier keineswegs systematisch geklärt wird 75 . Das Werk unterscheidet sich nicht von den übrigen Arbeiten, die als positive Darstellungen des Lebens Jesu veröffentlicht worden sind. Zudem wurde der Begriff bereits früher und genauer formuliert. Seine besondere Akzentuierung gewinnt der Begriff gerade in der Auseinandersetzung mit dem Straußschen Begriff der Idee und den daraus folgenden Konsequenzen. Er wird besonders von den Vertretern der Urevangeliumshypothese in ihrer Kritik an der Traditionshypothese verwendet. Dabei ist zu berücksichtigen, was schon in Abschnitt A dieses Kapitels gezeigt wurde, daß nämlich die Urevangeliumshypothese nicht so verstanden werden darf, als würden hier die Evangelien als direkte Quellen für das Leben Jesu angesehen. Im allgemeinen ist man sich auch unter den positiven Vertretern der historischen Jesusfrage einig, daß die neutestamentlichen Quellen nicht für eine Biographie ausreichen76. Entscheidend ist vielmehr die Behauptung, daß die geschichtliche Person Jesu in den Evangelien — in welchem Grad auch immer — prinzipiell noch erkennbar und faßbar sei und daß mithin auch die Identität zwischen dem historischen Jesus und dem idealen Christus nachweisbar und erfahrbar ist. Unter dieser Voraussetzung vertritt schon A. Neander gegen D. F. Strauß die Auffassung, daß in den Evangelien das Bild aus der Selbstoffenbarung Christi fortwirkt und auch auf die individuelle geschichtliche Person zurückweist. Es gibt keinen Gegensatz zwischen der Idee und der Erscheinung; vielmehr ist das göttliche Bild Christi durchaus erkennbar 77 . Es besteht also eine unmittelbare Kontinuität zwischen der geschichtlichen Person Jesu und dem Christusglauben der Gemeinde. 74 F. K. Schumann, Imago Dei (in: Imago Dei, Beiträge zur theologischen Anthropologie — Krüger-Festschrift, Gießen 1932, S. 167—180); S. Otto, Die Funktion des Bildbegriffs in der Theologie des 12. Jahrhunderts (Beitr. z. Gesch. u. Phil, des Mittelalters, Band XL, Heft 1) Münster 1963. 75 D. Schenkel, Das Charakterbild Jesu nach den biblischen Urkunden wissenschaftlich untersucht und dargestellt. Wiesbaden 1873 4 . M. Kahler schließt sich in seiner Terminologie an D. Schenkel an: Der sog. historische Jesus (München 1956) S. 60, Anm. 2. 76 Dies wird oft übersehen, und man verwechselt hier leicht den Begriff des „Lebens" Jesu mit der „Biographie" Jesu, was keineswegs dasselbe ist. Bei Strauß ist das „Leben" Jesu eine Anschauungsform der Idee. Für die Kritiker von Strauß wird in dem Begriff des „Lebens" Jesu der Gegensatz zur Idee betont. Der Begriff des „Lebens" Jesu entspringt einem dogmatischen Postulat; demgegenüber könnte man den Begriff der „Biographie" als eine rein historische Aufgabe betrachten, bei deren Lösung die Evangelien nur als Geschichtsquellen angesehen werden. Dies ist jedoch in der positiven „LebenJesu-Forschung" nicht der Fall. Vgl. dazu z. B. D. Schenkel, Das Charakterbild Jesu, S. V und 11; B. Weiß, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 182 f; W. Beyschlag, Das Leben Jesu, 77 Bd. 1, S. 1 ff. A. Neander, Das Leben Jesu Christi, S. 3 und 6.

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In derselben Front, gegen Strauß und B. Bauer vor allem, geht es denn auch W. Beyschlag und B. Weiß in ihren Leben-Jesu-Darstellungen um den Nachweis, daß das Christuszeugnis der Evangelien auf den „persönlichen Eindruck Jesu" auf seine Um- und Nachwelt zurückgeht und Idee und Individuum in der Person Jesu eine volle Einheit bilden78. Die Kausalität des Christusglaubens entstammt nicht einer überindividuellen Idee, sondern eben der geschichtlichen Person Jesu als Offenbarungsträger. Dies ist der Grund, weshalb man überhaupt den Versuch einer möglichst weitgehenden Rekonstruktion eines Lebens Jesu unternimmt. Es geht letztlich immer wieder um die Verteidigung der geschichtlichen Einmaligkeit der Offenbarung Gottes in der Person Jesu von Nazareth als einer „übernatürlichen Kausalität" 74 . Auch darin erweisen sich diese Leben-Jesu-Darstellungen weniger als liberal, sondern als positiv, ohne daß sich diese Bezeichnungen gegenseitig auszuschließen brauchten. Dasselbe Motiv steht auch noch hinter den Arbeiten von A. Schweitzer und seiner konsequenten Ablehnung aller „symbolischen" und „idealen" Christusvorstellungen80. Am klarsten ist dieses theologische Anliegen der positiven historischen Jesusfrage von Chr. H . Weiße81 sowie von Th. Keim82 ausgeführt worden. Besonders Weiße hat hier ähnlich wie durch die Entwicklung der Urevangeliumshypothese in dieser Auseinandersetzung mit Strauß nachweislich einen weitreichenden Einfluß ausgeübt. Auf Lotze, R. A. Lipsius und — mindestens über Lotze — A. Ritsehl hat er ebenfalls eingewirkt 88 . Im wesentlichen hat er die systematischen Grundlagen in methodischer, erkenntnistheoretischer und auch dogmatischer Hinsicht dafür entwickelt84. Zusammenfassend hat Weiße seine Auffassung der historischen Jesusfrage und sein Interesse an ihr in einer seiner späteren Schriften folgendermaßen formuliert: „Der Grundgedanke aller meiner Arbeiten über die evangelische Geschichte und ihre Quellen . . . ist dieser, daß alle sichere 78 W. Beyschlag, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 1 ff, 19 ff, 48 ff, 172 ff; B. Weiß, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 178 ff. 79 B. Weiß, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 184; W. Beyschlag, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 19 ff. 80 Siehe oben S. 15 ff. 81 Chr. H . Weiße, Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet. 2 Bde. Leipzig 1838. 82 Am deutlichsten in Th. Keims Vorträgen: „Der geschichtliche Christus". Zürich 1866'. U m jedodi das Typisdie dieses Ansatzes herauszuarbeiten, halten wir uns vor allem an die Arbeit von Weiße, der am nachhaltigsten auf die waitere Entwicklung der Problematik gewirkt hat. 8S A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forsdiung, S. 124. 84 Von den Differenzen innerhalb dieser Richtung kann hier abgesehen werden, da sie keine grundsätzliche Bedeutung haben.

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historische Erkenntnis auf diesem Gebiet nur von einem Punkt ausgehen kann, nämlich von einer lebendigen Auffassung und Anschauung des persönlichen Charakterbildes Jesus' Christus', so wie dasselbe sich in Stil, Haltung und Inhalt der von ihm überlieferten Reden und Lehraussprüche offenbart 85 ." Das Ziel des historischen Fragens ist auf die Aufdeckung dieses Charakterbildes in seiner Eigenart gerichtet. Aber zugleich hat das Charakterbild die Funktion eines hermeneutischen Prinzips in einer in ihrer Weise christozentrischen Schriftauslegung. Das heißt, es ist nicht nur Ergebnis wissenschaftlicher Forschung, sondern auch Motiv und Kriterium der Evangelienanalyse. Weiße spricht so von dem „testimonium Spiritus Sancti" 88 , das den Grund der „fides divina" bildet. Inhaltlich ist dieses Charakterbild keineswegs mit einem geschlossenen Lebensablauf im Sinne einer Biographie identisch. Das „Leben Jesu" ist im Grunde ein — dogmatisches — Postulat, das nicht primär aus quellenkritischen Erwägungen, sondern aus dem hier vorliegenden „vere homo" abgeleitet wird. Daher wird auch nicht — wie etwa bei Lessing — ein primitiver Ebionitismus angenommen, sondern man will nachweisen, wie die Christusidee in der geschichtlichen Individualität ursprünglich erkennbar und anschaulich ist. Dieses Postulat bzw. diese diristologische Notwendigkeit fordert den historischen Nachweis, auch wenn alle Ergebnisse stets approximativ bleiben87. Der Schwerpunkt liegt daher auf dem, wodurch Jesus sich in seinem Gottesbewußtsein, in seiner Verkündigung und seinem Verhalten von den ihn umgebenden jüdischen und auch den das Neue Testament umgebenden hellenistischen Traditionen unterscheidet. Weiße verweist dafür auf drei Momente: daß Jesus von Gott als dem „himmlischen Vater" spricht, daß er in eigenartiger Weise den Begriff des „Menschensohns" auf sich anwendet und schließlidi seine Auffassung vom „Himmelreich" 88 . Das Anliegen wird schon hier deutlich: Jesus ist in seiner Person und mit seiner Verkündigung nicht das Produkt einer immanenten geistes- oder religionsgeschichtlichen Entwicklung, sondern er zeigt sich in einer einzigartigen Selbständigkeit und geschichtlichen Individualität und Originalität, in einem „gottmenschlichen Charakterbild". Dieses „persönliche Wesen und der Charakter Jesus'" sind in den Evangelien an Hand der angegebenen Kriterien historisch verifizierbar 89 . 86 Chr. H. Weiße, Die Evangelienfrage in ihrem gegenwärtigen Stadium. Leipzig 1856, S. 196 f. 86 Ebda. S. 197. 87 Siehe oben Anm. 76. 88 Weiße, Evangelienfrage, S. 199 ff. Ähnliche Kriterien zur Erkenntnis der Eigenart Jesu werden in der historischen Jesusforschung immer wieder zusammengestellt. Vgl. z. B. J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reidie Gottes, S. 39 oder audi E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen i960 2 , S. 206 f. 8 » Ebda. S. 198 und 199.

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Es wäre falsch, hinter diesen Ausführungen die Repristination der traditionellen Christologie im Gewände der historischen Jesusfrage zu sehen. Denn in der Kritik an der Zweinaturenlehre stimmen Weiße und die übrigen Vertreter dieser Richtung mit Strauß und dessen Gegnern völlig überein. Richtig ist aber, daß Weiße ähnlich wie später die anderen Autoren positiver Leben-Jesu-Darstellungen auf dem Hintergrund der Urevangeliumshypothese eine von der geschichtlichen Person und Eigenart Jesu Christi bestimmte „efficacia verbi divini" vertritt, ja, daß er von hier aus auch den orthodoxen Gedanken von der Theopneustie in neuer Weise zur Geltung zu bringen sucht unter dem Gesichtspunkt einer personalen Offenbarung 90 . Dies ist das Anliegen von Weißes gegen Strauß' „Schlußabhandlung" gerichteten „Philosophischen Schlußbetrachtung über die religiöse Bedeutung der Persönlichkeit Christi und der evangelischen Uberlieferung" 91 . Sie enthält die Ablehnung generell der spekulativen Christologie und speziell des unpersönlichen, idealistischen Offenbarungsbegriffs bei Strauß. Dem idealistischen Apriorismus setzt Weiße die Notwendigkeit der Erfahrung, dem reinen Denken die Notwendigkeit der Anschauung entgegen. Gegenüber der idealistischen (besonders der Hegeischen) These von dem Primat des absoluten Denkens und Begriffs im Verhältnis zum Sein wird von Weiße die notwendige Korrelation von Denken und Sein vertreten 92 . Die Idee existiert nicht an sich, sondern in individueller geschichtlicher Gestalt. Sie wird nicht in einem transsubjektiven Prozeß übertragen, sondern durch das „Bild", das Gegenstand, Ziel und Ursache möglicher Anschauung in bleibender Bedeutung ist. Die Schrift ist Träger dieses Bildes93. So tritt an die Stelle eines allgemeinen Christusbegriffs das „Bild" in seiner Anschaulichkeit und die geschichtliche Person in ihrer Ursächlichkeit. Dieser Unterschied in den erkenntnistheoretischen Voraussetzungen ist kennzeichnend für die Beurteilung der geschichtlichen Person Jesu bei Strauß auf der einen und in den positiven Leben-Jesu-Darstellungen auf der anderen Seite. Chr. H . Weiße, Die evang. Geschichte, Bd. 2, S. 454 ff. 82 Bd. 2, S. 441—543. Bd. 2, S. 496. 93 Bd. 2, S. 500 f. Ähnlich auch B. Weiß, Das Leben Jesu, Bd. 1, S. 182: „Das Bild bildet sich uns, es ist Ergebnis der wissenschaftlichen Bemühungen, insofern bleibt es immer bei einer Annäherung, die dann wiederum eine Offenheit gegenüber dem Bild fordert." D. Schenkel, Das Charakterbild Jesu, betont hingegen fast ausschließlich die aus dem dogmatischen Postulat der wahren Menschheit sich ergebende Aufgabe, „ein wahrhaft menschliches, geschichtlich begreifliches Bild von der Persönlichkeit Jesu, auf Grund der ältesten Quellenberichte, bei voller Anerkennung der einzigartigen heilsmittlerischen Bedeutung derselben" zu gewinnen. (S. IV) Anders spridit sich Schenkel S. 341 aus, w o das „Bild" mit dem „Selbstzeugnis Jesu" gleichgesetzt wird. Doch auch hier wird eine Begriffsklärung, wie man sie nach dem Buchtitel erwarten könnte, nicht durchgeführt. 90

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Hierzu kommt bei Weiße noch ein weiterer überaus wichtiger Aspekt, der auf die Werfphilosophie bei Lotze und A. Ritsehl hinweist. Der Zusammenhang von Idee und Offenbarungsta£5bleme dieser Arbeitsrichtung aufgezeigt werden. In dem zweiten Teil der Untersuchung geht es nun darum, die der historischen Jesusforschung entsprechende und mit ihr in Zusammenhang stehende christologisdie Problematik in verschiedenen dogmatischen Beiträgen zu beleuchten. Das Interesse ist damit weiterhin auf das Verhältnis zwischen der historischen Jesusforschung und der dogmatischen Christologie gerichtet, das nunmehr von der Seite der dogmatischen Arbeitsrichtung her zu erfassen versucht wird. Eine Klärung soll in diesem Teil ebenfalls auf dem Wege einer problemgeschichtlichen Analyse angebahnt werden, in der an ausgewählten Beispielen die theologiegeschichtlichen und sachlichen Zusammenhänge untersucht werden. An den Anfang seien einige Erwägungen gestellt, in denen auf dem Hintergrund der Ergebnisse aus dem ersten Teil die theologiegeschichtlichen und systematischen Richtlinien für den weiteren Gang der Untersuchung dargelegt werden sollen. A.

Historische Kritik und dogmatisches

System

Aufs Ganze gesehen wird die historische Jesusforschung von zwei geradezu konträren Momenten bestimmt. Auf der einen Seite steht das Pathos, den Glauben und die Person Jesu von den Fesseln und Vorurteilen des christologischen Dogmas zu befreien. Auf der anderen Seite steht 1

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Siehe oben bes. S. 22 ff.

die Tatsache, daß die ganze Forschungsgeschichte zu einem wesentlichen Teil von der christologischen Problematik geprägt ist. Die Anwendung der historischen Kritik ist offensichtlich nicht gleichzusetzen mit einer Korrektur oder Substitution des christologischen Dogmas durch die Ergebnisse der historischen Jesusforschung. Es zeigte sich, daß die historische Jesusfrage eine positive und eine negative Funktion haben kann, daß sie von verschiedenen Motiven ausgehen kann und daß der Begriff des historischen Jesus* keineswegs so eindeutig ist, wie es oft scheinen mag. Vor allem wird dies deutlich an den Antagonismen der historischen Jesusfrage, die in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit schwerlich erlauben, das Verhältnis der dogmatischen Christologie zur historischen Jesusforschung generell in einem konsekutiven Sinn zu deuten, wie es etwa bei A. Schweitzer der Fall ist. Allerdings erhebt sich nun die Frage, ob in der historischen Jesusforschung die Aporien in der Methode oder in der Sache begründet sind. Das heißt: Besteht ihre Dynamik in einer zunehmenden Verfeinerung der historischen Methode, die dann in unendlicher Approximation zu immer besseren Ergebnissen führt, oder sind es theologische Erwägungen, die jeweils zu einem neuen Ansatz oder gar zu einem radikalen Umbruch in der Forschungsgeschichte führen? Selbstverständlich schließt das eine das andere nicht aus. Es ist nicht zu übersehen, daß in der historisch-kritischen Methode erhebliche Fortschritte zu verzeichnen sind und daß die Übergänge etwa vom Rationalismus zum Idealismus, zum Positivismus sowie schließlich zur modernen Geschichtsauffassung von einem Umbruch im historischen Verstehen und im Tatsachenbegriff begleitet sind. Eine Entwicklung in den methodischen Voraussetzungen ist schlechterdings nicht zu bestreiten. Allerdings liegt es im Wesen dieser Entwicklung, daß sie nicht allein an der immanenten Dialektik der Forschungsarbeit selbst, sondern auch an der Dialektik mit dem Forschungsgegenstand ausgerichtet ist, in der schließlich auch der Gegenstand die Betrachtungsweise notwendig bestimmen muß. Diese Dialektik gewinnt nun den Schein einer unendlichen Vergeblichkeit, die man auf zwei Weisen zu bewältigen versucht: Entweder wird von einer ,unendlichen Approximation' gesprochen, in der sich die historisch-kritische Arbeit ihrem Gegenstand nähert, ohne ihn jemals zu erreichen. Oder die historische Skepsis wird theologisch als eine Inkommensurabilität der Erkenntnismittel gegenüber dem Erkenntnisgegenstand aufgefaßt. Beides läuft letztlich auf dasselbe hinaus mit der resignierend heroischen Feststellung, daß man um der Wissenschaftlichkeit willen den einmal angefangenen Weg weitergehen muß2 und daß die letzten Fragen 2 Vgl. z. B. W. Heitmüller, Jesus, Tübingen 1913, S. 31 ff. Es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele dieser Art anführen, die typisdi für einen Wissenschaftpositivismus sind, der seine methodischen Voraussetzungen nicht mehr kritisch reflektiert.

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Slenczka, Geschichtlichkeit

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und Rätsel nur durch einen Sprung aus der historischen Skepsis zu einer Jesusmystik3 oder von dem historisch nicht mehr Faßbaren zur Glaubensentscheidung gelöst werden können 4 . Ob man dann konsequenterweise ganz auf die historische Jesusfrage verzichtet und ihr lediglich eine negative Funktion zuschreibt5, oder ob man sie weiterhin für notwendig und möglich hält 6 , scheint dann eine reine Ermessensfrage zu sein. Das „Scheitern der Leben-Jesu-Forschung" wird so zu einer permanenten Krise der historischen Jesusfrage. Es ist sicher berechtigt, wenn an dieser Stelle von verschiedenen Seiten gewarnt wird, aus der historischen Skepsis ein immerhin zweifelhaftes „christologisches Kapital zu schlagen". Aber man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß diese vorerst rein methodisch betrachteten Aporien in der Geschichte der historischen Jesusforschung von einem objektivierenden Wissenschaftsverständnis und Tatsachenbegriff bedingt sind, eine Nachwirkung der Kantschen Erkenntniskritik, die erst allmählich überwunden wird 7 . Die hier nur angedeutete und in neuerer Zeit seit der Krise des Historismus viel diskutierte Bewegung im historischen Verstehen bedarf gewiß einer gründlichen Erwägung. Geht man jedoch auf diesem Wege weiter, so muß zugleich bedacht werden, daß dabei die methodischen Voraussetzungen weiterhin nicht nur das Mittel, sondern auch das Kriterium zum Verständnis der Sache bilden8. Das Werkzeug wird verfeinert, um den Gegenstand besser zu erkennen. Oder anders ausgedrückt: Das Vergangene wird dem Verstehen der Gegenwart angepaßt. Die historische und die hermeneutisch-apologetische Motivation befinden sich hier in einer Korrelation, die letztlich an den anthropologischen Voraussetzungen orientiert ist. Man könnte diese Konsequenz der historischen Jesusforschung, die von H . Braun unter Zustimmung von R. Bultmann als eine ausdrückliche These vertreten wird, mit systematischen, d. h. mit erkenntnistheoreti3 Dies zeigt sehr deutlich die „Schlußbetraditung" von A. Schweitzers „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung", ähnlich auch die Ansprache, mit der W. Heitmüller sein Jesusbuch (S. 149 ff) abschließt. 4 So z.B. E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen I, S. 214, oder auch G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, S. 164 ff. 5 Wie D. F. Strauß und R. Bultmann. 6 Wie im Positivismus und in der ,neuen Frage nach dem historischen Jesus'. 7 Siehe oben S. 150 ff. 8 So ist z. B. J. M. Robinson, Kerygma und historischer Jesus, S. 104 ff, davon überzeugt, daß zwischen der modernen Geschichtsschreibung und dem neutestamentlichen Kerygma eine einzigartige Affinität besteht, die eine Situation schafft, „die es in der Kirche nicht mehr gegeben hat — seit der Zeit jener ersten Jünger, die sowohl ihren Osterglauben als auch ihre Erinnerungen an Einzelheiten aus dem Leben Jesu hatten" (105).

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sehen und dogmatischen Argumenten bestreiten®. Ebensogut kann aber auch darauf hingewiesen werden, daß die Geschichte der historischen Jesusforschung keineswegs allein von dem Fortschreiten im historischen Verstehen und der unendlichen Approximation an den ,historischen Jesus' bestimmt ist. In der Analyse des ersten Teils ging es vielmehr gerade um den Nachweis, wie die historische Jesusforschung von einer christologischen Motivation bestimmt ist und in ihren verschiedenen und wechselvollen Epochen um das Personproblem kreist10. Die — bei näherem Zusehen nicht gerade imponierende — Kritik an der Zweinaturenlehre, das keineswegs kontinuierliche, sondern antithetische Fortschreiten der Frage nach dem ,historischen Jesus' in ihrer negativen und positiven Funktion treffen sich unmittelbar in dieser christologischen Problematik. Immer wieder geht es um die Bedeutung der Person Jesu für den Glauben, was jedoch offensichtlich nicht mit der Bedeutung des ,historischen Jesus' für den Glauben gleichgesetzt werden kann, denn dieser bildet nicht einmal die Konstante in dieser Forschungsarbeit11. Die Geschichte der historischen Jesusforschung besteht nicht in dem Erfolg oder Mißerfolg der historischen Methode, sondern sie zeigt in ihrer Gesamtheit die christologische Notwendigkeit der historischen Jesusfrage. Das Problem der historischen Jesusforschung besteht darin, daß diese christologische Notwendigkeit immer wieder durch die wechselnden und meist ungeklärten Vorstellungen von dem Historischen bzw. von dem ,historischen Jesus' verdeckt bleibt. Aus diesem theologiegeschichtlichen Befund kann die These aufgestellt werden, daß die historische Jesusforschung nicht erst durch eine Konfrontation der historischen mit der dogmatischen Methode zur christologischen Frage führt, sondern daß sie selbst bereits von der christologischen Problematik bewegt wird und sich auf sie konzentriert. Allerdings muß diese These auf dem Hintergrund der Einzelergebnisse des ersten Teils richtig verstanden werden. Sie darf vor allem nicht zu der irrigen Schlußfolgerung führen, daß die Funktion der historisch-kritischen Forschung nun ganz in der dogmatischen Christologie aufgehe. Dies ist sicher nicht der Fall. Aber man wird nach diesem Befund auch nicht sagen können, daß die dogmatische Christologie lediglich ein Appendix der historischen Kritik sei. Die These zielt vielmehr darauf ab, in der methodischen und funktionalen Verschiedenheit von historischer Kritik und dogmatischer Christologie das gemeinsame Anliegen nicht in einer theoretischen Erörterung 9 Siehe oben S. 155, Anm. 102; S. 173, Anm. 147. Dagegen: U. Wilckens in ThLZ 89 (1964) Sp. 668; E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen II, S. 44 ff. 10 Siehe oben bes. S. 134 ff und S. 161. 11 Siehe oben S. 138 ff.

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der Prinzipienfragen zu ermitteln, sondern in der auf die Person Jesu Christi gerichteten Sachfrage. Gemeinsam ist dann auch das Anliegen, in der rechten Weise zu verstehen und zu sagen, was die Person Jesu Christi für den Glauben der Vergangenheit und der Gegenwart bedeutet, der von ihr herkommt und immer wieder auf sie zurückgewiesen wird. Freilich wird mit dieser These dann auch die Voraussetzung gemacht, daß die historische Jesusforschung nicht allein in ihren Konsequenzen, sondern auch in ihrer Intention und in ihren Motivationen als eine theologische Aufgabe und Notwendigkeit zu beurteilen ist. Dies schließt einen verabsolutierten Wissenschaftspositivismus aus, der unvermeidlich mit seinen Ergebnissen zu jener Objektivierung führt, gegen die sich besonders die Kritik an der positiven und liberalen ,Leben-Jesu-Forschung' mit Recht gewandt hat. Die Berechtigung dieser aus den Ergebnissen der systematischen Analyse der historischen Jesusforschung im ersten Teil abgeleiteten These soll nun in diesem zweiten Teil der Untersuchung überprüft werden. Dies muß vor allem im Blick auf die verschiedenen Versuche einer Zuordnung von historischer Jesusforschung und dogmatischer Christologie geschehen, die sich besonders in der gegenwärtigen Diskussion zeigen. Auf der einen Seite wird dabei die Auffassung vertreten, daß die Ergebnisse der historischen Kritik das Kriterium und die Grundlage für eine dogmatische Christologie bilden, wobei das Verhältnis zwischen historischer Jesusforschung und dogmatischer Christologie konsekutiv aufgefaßt wird. In diese Richtung führt die Formulierung von G. Ebeling: „Es darf auch in christologischer Hinsicht nichts über Jesus ausgesagt werden, was nicht im historischen Jesus selbst begründet ist und sich nicht darauf beschränkt, auszusagen, wer der historische Jesus ist12." Ähnlich äußert sich W. Pannenberg: „Der Glaube hat es primär zu tun mit dem, was Jesus war13." In scharfem Gegensatz hierzu steht der Satz von W. Künneth, „daß der Glaube an Jesus grundsätzlich unabhängig ist von den Ergebnissen der historischen Forschung und den jeweiligen Thesen der Theologie14", oder, mit anderen Akzenten, von W. Kreck, daß Christologie etwas anderes ist und will als die Frage nach dem historischen Jesus15. Die Front verläuft indes hier keineswegs zwischen den beiden Fachrichtungen und ihren Methoden, sondern es ist ein Problem, das durch die historische Jesusfrage theologisch gestellt wird und selbst zwischen Exegeten zu unterschiedlichen Ansichten führen kann. So hat z. B. E. Fuchs die Äußerung von G. Bornkamm, daß echter Glaube nicht vom Fortgang 12

G. Ebeling, Wort und Glaube, S. 311. W. Dannenberg, Grundzüge der Christologie, S. 22. 14 W. Künneth, Glauben an Jesus?, S. 14. 15 W. Kreck, Die Frage nadi dem historischen Jesus als dogmatisches Problem. EvTh 22 (1962) S. 478. 18

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der historischen Kritik abhängig sei16, energisch bestritten, weil doch der christliche Glaube „keine zeitlose Idee und noch weniger eine allgemeine Wahrheit wie etwa ein Satz Euklids" sei17. Hierher gehören schließlich auch die apodiktischen Urteile, mit denen A. Ritsehl18 und K. Barth19 sich von der historischen Jesusfrage distanziert haben, obwohl auch ihre Christologie von den hier aufgeworfenen Problemen geprägt ist. Inwiefern ist diese alternative Verhältnisbestimmung von historischer Jesusforschung und dogmatischer Christologie berechtigt? Gehen alle diese hier zusammengestellten Äußerungen mit ihren verschiedenen Lösungsversuchen nicht letztlich davon aus, daß die historische Kritik und die dogmatische Arbeit, die historische Jesusfrage und die dogmatische Christologie zwei grundverschiedene und in sich geschlossene Größen bilden, die sich entweder gegenseitig ausschließen oder die miteinander ständig konkurrieren? Nach dem theologiegeschichtlichen Befund gibt es keinen Anlaß, generell von einer Alternative oder von einem konsekutiven Verhältnis in der einen oder der anderen Richtung zu sprechen, sondern es handelt es sich um Antagonismen 20 , die in ganz verschiedener Weise aufgelöst werden können. Ob der Glaube es primär mit dem historischen Jesus' oder mit dem Osterkerygma der Gemeinde oder aber mit der Person des Irdischen und Auferstandenen zu tun hat und unter welchen Voraussetzungen das eine oder das andere der Fall ist, beschränkt sich nicht nur auf die Diskussion in der Schule R. Bultmanns, sondern es bildet den durchgehenden Kontroverspunkt in der Geschichte der historischen Jesusforschung. Die Ermittlung dessen, was von der Person Jesu auf dem Wege historisch-kritischer Forschung erkennbar ist, bildet eine Randfrage gegenüber dem christologischen Grundproblem der historischen Jesusforschung. Die historische Jesusfrage bildet ein Zentralproblem der historisch-kritischen Methode. Aber umgekehrt enthüllt sie auch deren zentrale christologische Relevanz. Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen historischer Jesusforschung und dogmatischer Christologie impliziert bereits eine christologische Entscheidung. An diesem Punkt also sollen die weiteren Erwägungen fortfahren, die nun auf die Erörterung der historischen Jesusfrage im dogmatischen System gerichtet sind. 19

G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, S. 13. E. Fuchs, Zur Frage nadi dem historischen Jesus, S. 168. Die Kritik von Fuchs ist gewiß überspitzt, wenn man den Zusammenhang der Formulierung von G. Bornkamm berücksichtigt. Aber es wird damit auf ein prinzipielles theologisches Problem hingewiesen, dem noch weiter nachzugehen ist. 18 Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3, 1895 4 , S. 3. Ritsehl wendet sich damit sowohl gegen D. F. Strauß wie auch gegen die positivistische historische Jesusforsdiung. 19 H o w my mind has changed. EvTh 20 (1960) S. 104. 20 Siehe oben S. 150 ff. 17

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B. Zur Geschichte der neueren Christologie Ebensowenig wie die historische Jesusforschung unter dem Begriff des ,historischen Jesus' auf eine Grundformel gebracht werden kann, kann man die zeitlich neben ihr verlaufende dogmatische Christologie unter dem Allgemeinbegriff des Systems subsumieren. Denn das dogmatische System wird von den verschiedensten Seiten her aufgebrochen, umgewandelt oder auch prinzipiell abgelehnt. Die Geschichte der historischen Jesusforschung ist eng mit der neueren Geschichte der Christologie verzahnt, und es zeigt sidi dabei mit aller Deutlichkeit, daß eine klare Scheidung zwischen beiden überhaupt nicht durchführbar ist, ohne daß auf der einen oder anderen Seite erhebliche Verkürzungen die Folge sind. Die kritische Auseinandersetzung mit dem klassischen christologischen Dogma, die Konfrontation mit dem modernen Weltbild und Wissenschaftsprinzip bilden die regelmäßig erscheinenden Motive auch der dogmatischen Christologie seit dem vorigen Jahrhundert. Die Theologie des vorigen Jahrhunderts ist auf dem Gebiet der Christologie besonders produktiv gewesen, und zwar sowohl in der dogmengeschichtlichen Forschung wie auch in der systematischen Durchdringung der Lehrstücke von Person und Werk Christi. Für die Zwecke unserer Untersuchung kommt es nun darauf an, aus dieser großen Fülle eines noch kaum annähernd ausgewerteten Materials die charakteristischen und entscheidenden Gesichtspunkte auszuwählen und abzugrenzen. Dies soll hier in einem skizzenhaften Gesamtüberblick versucht und begründet werden.

1. Der christologische Konsensus In der am Streit der Gelehrten und Schulrichtungen reichen Theologiegeschichte des vorigen Jahrhunderts und angesichts der Vielfalt christologischer Entwürfe ist es auffallend, wenn von verschiedenen Seiten her ein weitgehender christologischer Konsensus festgestellt wird 21 . Dieser christologische Konsensus umschließt tatsächlich die sogenannte Vermittlungstheologie um F. D. Schleiermacher und A. Ritsehl ebenso wie die von der idealistischen Philosophie herkommende spekulative Christologie von Ph. Marheineke zur ,rechten' und D. F. Strauß zur ,linken' Seite von Hegel über I. A. Dorner bis hin zu A. E. Biedermann und O. Pfleiderer und die konfessionelle Theologie mit ihren verschiedenen Ansätzen zu einer Repristination des christologischen Dogmas in der Kenosislehre und weiterhin in der Erlanger Schule, um nur die wichtigsten Gruppierungen zu I. A. Dorner, Die Lehre von der Person Christi, Bd. II 2 , 1853, Nachwort S. V; H. Schultz, Die Lehre von der Gottheit Christi, 1881, Vorrede, S. 16 u. ö. 21

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nennen22. Eine klare Abgrenzung ist nur schwer durchzuführen, obwohl es umgekehrt auch seine Schwierigkeiten hat, diesen christologischen Konsensus wirklich zu artikulieren. Zwar gehen alle diese Richtungen in ihrer Weise auf die von der Theologie Schleiermachers ausgehenden Anregungen zurück. Aber es ist nicht zu übersehen, daß z. B. die Kenosislehre von Anfang an auf heftigen Widerspruch stieß und daß zwischen der spekulativen Theorie des „Zentralindividuums" und des „Christusprinzips" auf der einen und der Antimetaphysik der Ritschlsdien Schule auf der anderen Seite ganz erhebliche Gegensätze klaffen, die in der Christologie am deutlichsten hervortreten. Die Differenzen, die dann gegen Ende des vorigen Jahrhunderts vor allem durch die Christologie A. Ritschis ausgelöst wurden, lassen sich ebenfalls schwerlich in einem allgemeinen Konsensus zusammenfassen. An einen formellen christologischen Konsensus ist also kaum zu denken, aber trotzdem ist es nicht unberechtigt, eine weitgehende Übereinstimmung festzustellen. Sie bezieht sich jedoch nicht auf die definitiven christologischen Aussagen, sondern eher auf die christologischen Aporien, die im wesentlichen durch die Front gegen die klassische Christologie, gegen das christologische Dogma bestimmt sind. In der Notwendigkeit einer kritischen Neubesinnung besteht auch schon ein Konsensus mit den Anliegen der historischen Jesusforschung. Ein wesentliches Element in diesem christologischen Konsensus bildet einfach die Tatsache, daß zusammen mit der traditionellen Christologie auch die alten Fronten und Gegensätze in Bewegung geraten sind. Bezeichnend dafür ist die Abendmahlsfrage, an der sich in der evangelischen Theologie seit der Reformationszeit die christologischen Differenzen immer wieder entzündeten. Der Streit um die Realpräsenz wurde zu einem großen Teil mit den Kategorien der altkirchlichen Christologie und ihren ontologischen Vorstellungen ausgetragen, und es ist, ganz abgesehen von anderen Gesichtspunkten, sicher nicht nur, wie die meisten Theologen des vorigen Jahrhunderts meinten, eine Inkonsequenz gewesen, wenn 22 Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Christologie: I. A. Dorner, Die Lehre von der Person Christi, 2 Bde., 2. Aufl., Stuttgart 1845 und Berlin 1853; S. Faut, Die Christologie seit Schleiermacher, ihre Entwicklung und ihre Begründung, Tübingen 1907; E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi im X I X . Jahrhundert, Tübingen 1911; M. Huber, Jesus Christus als Erlöser in der liberalen Theologie. Vermittlung, Spekulation, Existenzverständnis, Winterthur 1956; H.-J. Iwand, Vom Primat der Christologie, in: Antwort. Barth-Festschrift, Zürich 1956, S. 172—189; A. Peters, Betrachtungen zum sittlich-personal geprägten Gottes- und Christusbild des 19. Jahrhunderts, in: KuD 9 (1963) S. 122—166; H . Graß, Die Christologie der neueren Systematischen Theologie (19. Jahrhundert und Gegenwart), in: Jesus Christus. Das Christusverständnis im Wandel der Zeiten. (Marburger Theologische Studien I) Marburg 1963, S. 109—121. Weiteres in den Theologiegeschichten und Dogmatiken.

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die Reformatoren meinten, nicht auf das christologische Dogma verzichten zu können. In der Theologie des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts tritt die christologische Argumentation in der Abendmahlsfrage sehr stark in den Hintergrund. Die Realpräsenz wird eher zu einem rein konfessionalistischen und historischen Problem, bei dessen Ausarbeitung selbst bekenntnisgebundene Dogmatiker eine überraschende Unsicherheit zeigen28. Eine Ubereinstimmung ist aber auch in den konstruktiven Ansätzen der christologischen Neubesinnung zu erkennen, und zwar sowohl im Methodischen wie auch im Sachlichen: in dem Entwicklungsgedanken sowie in dem Christozentrismus. 2. Der

Entwicklungsgedanke

Im Bereich des Methodischen spielt eine entscheidende Rolle der dogmengeschichtliche Entwicklungsgedanke, vor allem unter der Einwirkung der Hegelsdien Geschichtsphilosophie24. Besonders durch die Tübinger Schule von F. C. Baur hat er epochemachend für die ganze weitere Darstellung der Dogmengeschichte und entsprechend auch für die Ortsbestimmung der dogmatischen Probleme gewirkt 25 . Er begegnet uns bereits bei D. F. Strauß in den Begriffen der „Vermittlung", der „objektiven Kritik" und der „objektiven Geschichte der Idee" 26 . Die Dogmatik im allgemeinen und die Christologie im besonderen werden durch diesen meist zu wenig beachteten Entwicklungsgedanken in ihrer Problemstellung in einer ganz bestimmten Weise präformiert. In seinem ersten großen dogmengeschichtlichen Werk, „Die christliche Lehre von der Versöhnung" (1838), verwendet F. C. Baur ein dreigliedriges Schema zur Periodisierung des dogmatischen Entwicklungsprozesses. Von dem „Standpunkt der unmittelbaren Objektivität" der Geschichte geht es über den mit der Reformation einsetzenden „Standpunkt der Subjektivität" zu dem modernen „Standpunkt der durch die Subjektivität vermittelten Objektivität", in dem die geschichtliche Dialektik ihren Ausgleich und ihr Ziel findet. Dieser dialektische Prozeß ist, entsprechend den Schematismen der Hegeischen Geschichtsphilosophie, von der Geschichte des Begriffs, der Idee bestimmt. Die Konkretisierung der Idee aus der Negativität jeder zeitlichen Form zeigt die „göttliche Bestimmung" der 28

Vgl. z . B . G. Thomasius, Christi Person und Werk, Bd. 4 2 , 1861, bes. S. 66 ff; I. A. Dorner, System der christlichen Glaubenslehre, II, 2,1881, S. 848 ff. 24 Allerdings ist der Entwicklungsgedanke nicht ein Produkt der Philosophie Hegels, aber sicher hat er durch sie seinen nachhaltigen Einfluß gewonnen. 25 W. Geiger, Spekulation und Kritik. Die Gesdiichtstheologie Ferdinand Christian Baurs. München 1964. 26 Siehe oben S. 53 ff.

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Geschichte, die der „Selbstverständigung der Gegenwart aus der Vergangenheit" dient 27 . Nach dieser Vorstellung läßt sich also die dogmatische Aufgabe der Gegenwart aus der Kontinuität der geschichtlichen Entwicklung ablesen, die zeigt, was nun zu kommen hat. D. F. Strauß hat in seinem „Leben Jesu" noch vor Baur dieses Schema konsequent auf den Vermittlungsprozeß vom Mythischen zum reinen Denken angewandt. Die von der Tübinger Schule angeregten Dogmenhistoriker und Dogmatiker, zu denen auch I. A. Dorner und vor allem A. Ritsehl gehören, haben zwar den Schematismus historisch zu korrigieren und systematisch zu durchbrechen versucht28. Aber zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsgedanken sind auch sie nicht vorgedrungen. Er beherrscht die Theologie des vorigen Jahrhunderts, und man kann fragen, inwieweit es der Theologie im zwanzigsten Jahrhundert gelungen ist, ihn wirklich in seiner ganzen verhängnisvollen Problematik auszuscheiden. Die besonders für die Christologie bedenklichen Konsequenzen zeigen sich vor allem an zwei Punkten. Erstens wird mit diesem Entwicklungsgedanken die Individualität eines geschichtlichen Ereignisses in seiner Einmaligkeit und Unvertauschbarkeit nicht nur relativiert, sondern völlig aufgehoben. Demgegenüber wird dann zweitens der Standpunkt des Betrachters faktisch verabsolutiert. Denn auch wenn die Idee als ein transsubjektiver Begriff aufgefaßt und der dogmengeschichtliche Prozeß im Sinne einer „objektiven" Kritik verstanden wird, besteht hier ein absoluter Primat auch des subjektiven Denkens gegenüber dem Sein. Es sind keineswegs allein theologische, sondern auch geschichtsphilosophische Einwände, die sich hiergegen erheben und die vor allem im Positivismus zu einer Ablehnung der Hegeischen Geschichtsspekulation geführt haben29. Trotzdem ist es gerade eine latente oder auch unreflektierte Form der Entwicklungsvorstellung, in der sich die dogmatische mit der historischen Disziplin nur zu oft zusammenfindet. Es ist ein Kennzeichen der meisten Dogmatiken etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß sie in an sich durchaus lobenswerter Weise eine Fülle von exegetischem und dogmengeschichtlichem Material zu jedem Lehrstück ausbreiten30. Aber dies dient dann weniger dem Hören auf die Schrift oder dem ,Gespräch mit den Vätern und Brüdern' — was freilich nicht ausgeschlossen ist —, son27

F. C. Baur, Die diristliche Lehre von der Versöhnung, S. VII. Vgl. z . B . I. A. Dorner, System der christlichen Glaubenslehre Bd. I, 1879, S. 110. Ähnliche Korrekturen finden sich audi in der Erlanger Schule. Vgl. F. W. Kantzenbach, Die Erlanger Theologie. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen der Theologischen Fakultät 1743—1877. München 1960. S. 169 f. 29 Siehe oben S. 84 ff. 80 Das Vorbild der dogmengeschichtlichen Längsschnitte von F. C. Baur zeigt sich ebenso bei D. F. Strauß wie auch bei A. Ritsehl, I. A. Dorner, A. E. Biedermann oder G. Thomasius. Es wäre reizvoll, den damit verbundenen impliziten traditionsgeschichtlichen Vorstellungen nachzugehen. 28

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dern im wesentlichen zur Lokalisierung des eigenen Standpunkts in einem Entwicklungsprozeß und zur endlichen und glücklichen wissenschaftlichen Ausgestaltung dessen, was frühere Zeiten nur in mythischen und metaphysischen Schemen erkannt und dargestellt haben. Die Nachzeichnung der Geschichte der Idee und der dogmatischen Entwicklung steht immer in der Gefahr, die Offenbarung in der Person Jesu Christi und ihre Bezeugung zu vermischen. Als Folge davon wird der Überlieferungsprozeß zu einem fortlaufenden Offenbarungsprozeß und das Erkennen wird mit Offenbarung gleichgesetzt. Der Dogmengeschichte als — im Sinne von Hegel und Strauß — objektiver Kritik des Dogmas korrespondiert eine als Offenbarung in der fortschreitenden Erkenntnis verstandene Geschichte. Der sogenannte Kultur- oder Neuprotestantismus mit seiner anthropozentrischen Theologie ist von diesen Vorstellungen sehr stark beeinflußt. Aber man wird auch sehen müssen, wie die Theologie des vorigen Jahrhunderts in immer neuen Anläufen darum ringt, von dem Sog des Entwicklungsgedankens freizukommen, und zwar sowohl in der historischen Kritik wie auch in der Dogmatik. Es gibt zahlreiche Beispiele, die dies illustrieren. In der Geschichte der historischen Jesusforschung zeigt es sich in der Frage nach dem Leben und der vollen Menschheit, Persönlichkeit und geschichtlichen Einmaligkeit und Einzigartigkeit Jesu; es zeigt sich in der Spannung zwischen der Traditions- und der Urevangeliumshypothese; es zeigt sich in der Kritik an A. Ritschis Reich-Gottes-Vorstellung und der Erforschung der spätjüdischen Apokalyptik und frühchristlichen Esdiatologie. Der durch die historische Betrachtungsweise angeregte Entwicklungsgedanke wird so durch die Vertiefung der historischen Forschungsarbeit korrigiert; seine starren Schematismen werden an verschiedenen Stellen aufgebrochen. Doch damit ist er noch keineswegs theologisch überwunden, wie allein schon das Beispiel der Ritschlsdien Theologie zeigt. Besonders mit seiner zweiten Auflage seiner Untersuchung über „Die Entstehung der altkatholischen Kirche" (1857) hatte sich Ritsehl von der Baursdien Schule zu lösen versucht. Gegenüber dem Evolutionismus von Baurs „Die christliche Lehre von der Versöhnung" vertritt Ritsehl in seinem Werk „Rechtfertigung und Versöhnung" gleich in der Einleitung die These: „Die systematische Theologie nun hat die der christlichen Religion zustehende Anschauung der Welt und des menschlichen Lebens unter dem Gesichtspunkte der vollendeten und erschöpfenden Offenbarung Gottes in Christus zu deuten.. . 31 ." Dieser Einmaligkeit der Offenbarung Gottes in Christus entspricht dann nicht ein Entwicklungs- und Erkenntnisprozeß, sondern das Schema von Sünde und Gnade. 31

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Bd. I 4 ,1903, S. 1.

Doch dieser in seiner Zeit bedeutende Ansatz schließt nicht aus, daß der Entwicklungsgedanke nun zwar nicht mehr in einem geschichtlichen Offenbarungsprozeß, aber dafür unter dem Begriff des Reiches Gottes in der Verwirklichung des „sittlichen Ideals" auftritt 32 . Es zeigt sich schon hier, daß ein grundsätzlicher Verzicht auf den Entwicklungsgedanken zu theologischen Schwierigkeiten führt. Denn seine Funktion erschöpft sich nicht in der Geschichtsdeutung, sondern er vermittelt auch den Zusammenhang zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen. Er macht in seiner hermeneutisch-apologetischen Funktion das Vergangene für die Gegenwart verständlich und zugleich bedeutsam, er hilft, die logische und zeitliche Differenz zwischen dem Einst und dem Jetzt zu vermitteln. Er ist also niclit allein das Ergebnis einer geschichtsphilosophischen Spekulation, sondern audi eine für die Christologie bedeutsame Hilfskonstruktion. Das hier auftauchende und für die gesamte dogmatische Christologie aller Richtungen sich stellende Problem kann in folgender Frage zusammengefaßt werden: Wie ist es möglich, angesichts der prinzipiellen geschichtlichen Überholbarkeit christologischer Aussagen in dem Entwicklungsprozeß des menschlichen Denkens an der absoluten und für das Wesen des Christentums konstitutiven Bedeutung der Person Jesu Christi als der einmaligen und für alle Zeiten gültigen Offenbarung Gottes festzuhalten? In der Beantwortung dieser Frage gehen die verschiedenen Beiträge zur dogmatischen Christologie erheblich auseinander. Aber es ist nicht zu übersehen, daß in der Formulierung nicht nur der Dogmenkritik, sondern auch der christologischen Aporie in ihrem konstruktiven Ansatz auch hier durchaus ein umfassender Konsensus in der Theologie des vorigen Jahrhunderts festzustellen ist. 3. Der

Christozentrismus

Auf dem Hintergrund des Entwicklungsgedankens in seinen verschiedenen Schattierungen zeichnet sich bereits die eigenartige Ambivalenz ab, von der die Dogmatik und besonders die Christologie des vorigen Jahrhunderts gekennzeichnet ist. Wenn von einer anthropozentrischen Theologie gesprochen wird, weil, wie sich auch bei dem Entwicklungsgedanken zeigt, in dem Primat des Denkens die theologischen Aussagen weithin auf die anthropologischen Möglichkeiten reduziert und zugespitzt werden, so muß man auf der anderen Seite auch den Christozentrismus berücksichtigen, von dem diese Tendenz aufgefangen und korrigiert wird. Die zentrale Bedeutung der Christologie ist selten in der Theologiegeschichte so deutlich geworden — im Negativen wie im Positiven — wie im vorigen Jahrhundert. 32

A. Ritsehl, Unterricht in der christlichen Religion, Bonn 1903®, §§ 5 ff.

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Angesichts der permanenten Konflikte zwischen liberalen und restaurativen Strömungen, zwischen „Unionsdogmatik", der sich vor allem die Liberalen verschreiben, und Neukonfessionalismus wird leicht das Ringen mit den Auflösungserscheinungen übersehen, die zunächst aus dem Rationalismus und später aus der sogen. Hegeischen Linken erwachsen. Der Neukonfessionalismus wählte hier den Weg einer Diastase und zog sich auf eine vom „Zeitgeist" der idealistischen Philosophie und des rationalistischen Wissenschaftsprinzips scheinbar unangefochtene Position zurück. Die sogenannte liberale Theologie erscheint demgegenüber stets als „Vermittlungstheologie83", d. h., sie ist um eine Synthese bemüht. Am schärfsten kommt der christozentrische Ansatz gerade in der schwer umgrenzbaren Vermittlungstheologie zur Geltung, weil bei ihr die Christologie den Punkt bildet, an dem sich der reine Rationalismus, Idealismus und Ethizismus von einer christlichen Theologie scheiden. Bei allen Einwänden, die man gegen die verschiedenen Formen der Vermittlungstheologie erheben kann, wo sie ein Opfer ihres Bemühens um eine Synthese zwischen Wissenschaft und Glauben geworden ist und wo sie in ihrem apologetischen Bemühen zu weit gegangen ist, sollte dieser wichtige und in vieler Hinsicht höchst interessante Gesichtspunkt nicht unbeachtet bleiben. Die zentrale Funktion der Christologie setzt ein bei F. D. Schleiermacher. Die Wesensbestimmung des Christentums unter den „Lehrsätzen aus der Apologetik" in den Prolegomena seiner Glaubenslehre geht aus von der „durch Jesum von Nazareth vollbrachte(n) Erlösung" (§ 11). Sie schließt mit der These: „Es gibt keine andere Art, an der christlichen Gemeinschaft Anteil zu erhalten, als durch den Glauben an Jesum als den Erlöser." (§ 14) In eine ähnliche Richtung weist die zentrale Stellung der Christologie in der spekulativen Theologie bei Alexander Schweizer, I. A. Dorner und A. E. Biedermann sowie in der konfessionellen Dogmatik der Kenotiker34, die alle auf ihre Weise versuchen, den Schlußfolgerungen zu begegnen, mit denen D. F. Strauß zu einer völligen Auflösung einer personalen Christologie kommt und bei einer reinen Humanitätsreligion endet. Das Dilemma, vor dem die Christologie von Schleiermacher bis zur Ritschlsdien Schule mit ihren verschiedenen Verzweigungen steht, liegt darin, daß man auf der einen Seite von der Notwendigkeit einer Kritik oder auch Destruktion des christologischen Dogmas ausgeht, während man 3 8 Dieser Begriff ist in seiner theologiegeschiditlidien und sadilichen Verwendung höchst unklar. Wie bei den meisten derartigen Klassifizierungen ist er jedenfalls nie eine Selbstbezeichnung und hat daher immer einen negativen Beiklang. E r hat sich zwar weithin eingebürgert, kann aber schwerlich zur Abgrenzung einer besonderen Richtung dienen. 5 4 Dies wird auch von H . - J . Iwand, Vom Primat der Christologie, S. 183 und 187, anerkannt.

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auf der anderen Seite auf eine Lehre von der Person Jesu Christi nicht verzichten kann, ohne den zentralen Gehalt des christlichen Glaubens aufzugeben. „Ist der »Glaube an Christus' ein wesentlicher Bestandteil des Christentums, oder läßt er sich auf die sogenannte ,Religion Jesu' reduzieren35?" „Wie läßt sich eine systematische Christologie behaupten, wenn die Erkenntnis sich durch allerlei Widerstände hindurch befestigt, daß der Grundfehler der alten Christologie ihr Intellektualismus gewesen ist36?" Diese Fragestellung ist nicht nur charakteristisch für die christologische Situation um die Jahrhundertwende, sondern überhaupt für die christologische Problematik in der Theologie des vorigen Jahrhunderts. Die historische Jesusforschung hat diese Aporie nicht erst provoziert, sondern sie ist ebenfalls von ihr bestimmt.

C. Die christologische Problematik Noch weniger als bei der Untersuchung der historischen Jesusforschung kann in diesem zweiten Teil eine Gesamtdarstellung der neueren Christologie angestrebt werden, obwohl dies eine durchaus wünschenswerte und auch reizvolle Aufgabe wäre. Denn vieles erscheint heute anders, als es S. Faut und E. Günther in ihren Monographien aus dem Blickwinkel der Ritschlschen Theologie sahen. Aber auch das besonders von der frühen dialektischen Theologie entworfene Bild erweist sich in mancher Hinsicht als korrekturbedürftig, nachdem die unmittelbare polemische Front gegen den „Neuprotestantismus" des neunzehnten Jahrhunderts nidit mehr besteht und nachdem sich an verschiedenen Stellen der neueren Theologie sogar eine überraschende und vielleicht nicht immer bewußte Kontinuität mit den Problemen und eine Wiederaufnahme der Lösungsversuche des vorigen Jahrhunderts bemerkbar macht. Aus der Fülle des Materials und der Probleme ist eine für unser Thema charakteristische Auswahl zu treffen. Hierfür sind zwei Gesichtspunkte maßgebend: Erstens kommt es darauf an, die problemgeschichtlich aufschlußreichen und wirkungsvollen dogmatischen Beiträge zur historischen Jesusfrage herauszugreifen. Zweitens sollen die Konsequenzen der historischen Jesusfrage in dem Zusammenhang eines geschlossenen dogmatischen Systems untersucht werden. 1. Die Auswahl der Probleme Angesichts der weithin gemeinsamen Voraussetzungen, die sich in dem christologischen Konsensus, in der Aufnahme des Entwicklungsgedankens 55 56

S. Faut, Die Christologie seit Schleiermacher, 1907, S. V. E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi, 1911, S. 5.

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und in dem Christozentrismus abzeichnen, macht es einige Schwierigkeiten, die verschiedenen Richtungen in der Christologie des vorigen Jahrhunderts klar voneinander abzugrenzen. Die idealistische Philosophie und die Schleiermachersche Theologie bilden eine ebenfalls weithin gemeinsame Basis für die christologische Neubesinnung in der spekulativen wie in der Vermittlungstheologie und selbst in der mehr konservativ orientierten neukonfessionellen Theologie etwa der Erlanger Schule. Jede Einteilung hat dabei etwas Willkürliches, da das Grundsätzliche meist nicht unmittelbar greifbar ist. Die Stellung zum christologischen Dogma kann keineswegs als Richtungspunkt dienen, weil selbst in der „puren Repristination" — etwa eines E. W. Hengstenberg oder eines F. A. Philippi — mehr apologetische als wirklich dogmatisch-konstruktive Elemente wirksam sind. Eine gewisse Differenzierung ist zu erreichen, wenn von dem christologischen Grundproblem ausgegangen wird. Es liegt nicht, wie es nach der herkömmlichen Vorstellung von der „Leben-Jesu-Forschung" oder nach der Ritschlschen Theologie und auch der Kenosislehre scheinen mag, allein in der Betonung der vollen Menschheit Jesu Christi. Entscheidend ist vielmehr der vor allem von Schleiermacher und Strauß formulierte und bereits hier in verschiedenen Weisen aufgelöste Antagonismus von geschichtlicher Individualität und Urbildlichkeit bzw. Idee. Selbstverständlich steht hinter diesem die gesamte „liberale" und „konservative", „spekulative" und „vermittelnde" Christologie durchziehenden Antagonismus die Aporie der klassischen Zweinaturenlehre. Aber man wird auch sehen müssen, daß bereits in der Terminologie dieses Antagonismus ein oft nicht berücksichtigter Unterschied gegenüber der orthodoxen Lehre von der hypostatischen Union impliziert ist. Die Begriffe „Individualität", „Geschiehtlichkeit" und „Persönlichkeit" entsprechen in keiner Weise den Begriffen „Natur" (physis) oder „Menschheit" aus der altkirchlichen Christologie. Die seit den monophysitischen Streitigkeiten umstrittene Frage, wie sich „hypostasis" und „physis" zueinander verhalten, kann in dieser modernen Terminologie ebensowenig gestellt werden, wie sich die Lösung des Problems durch die im sechsten Jahrhundert von Leontius von Byzanz entwickelte Theorie von der Enhypostasie durchführen läßt. Denn im Sinne der klassischen Terminologie kann es in den Begriffen „Individualität", „Geschichtlichkeit" und „Persönlichkeit" keine Unterscheidung oder gar Trennung von „hypostasis" und „physis" geben. Das Menschsein besteht nicht in einer Substantialität oder in einem Akzidenz, sondern in einem Ich-Bewußtsein, einem Erlebniszusammenhang und, was besonders für das neunzehnte Jahrhundert wichtig ist, in einem bestimmten Verhalten sowie in der geschichtsbedingten Vergäng190

lichkeit37. Es ist zwar durchaus möglich, auf der einen Seite bestimmte Entsprechungen zu den Problemen der nachchalzedonensischen Christologie und Anthropologie zu sehen und auf der anderen Seite etwa auch die Ontologie der altkirchlichen Theologie der neuen Terminologie zu akkommodieren 38 . Doch damit kann schwerlich die Voraussetzung für eine neue Differenzierung zwischen „hypostasis" und „physis" oder für eine Neufassung der Theorie von der An- bzw. Enhypostasie geschaffen werden. Entsprechendes gilt für die Unvereinbarkeit der Begriffe „Gottheit" und „Idee", die sich lediglich in der Vorstellung der Oberzeitlichkeit und allgemeinen Gültigkeit berühren. Jede weitergehende Angleichung würde zu Konsequenzen führen, die nicht weiter dargelegt zu werden brauchen. Tatsächlich wird der Begriff „Idee" in dem christologischen Zusammenhang auch nicht mit der göttlichen Hypostase oder „ousia" gleichgesetzt39. Der Begriff der Idee hat vielmehr eine eindeutig auf die Christologie beschränkte Funktion. Das heißt, er enthält keine theologische, sondern eine christologische Aussage, die, wie später zu zeigen ist, an dem spezifischen Geschichts- und Personverständnis orientiert ist. Den terminologischen Ansatz in dem Antagonismus von geschichtlicher Individualität und Idee kann man im Blick auf die christologische Problematik so zusammenfassen: Die geschichtliche Individualität bezeichnet die konkrete, reale Existenz in der Zeit; die Idee bezeichnet die allgemeine, für alle Zeiten gültige und zugleich faßbare Bedeutung. Sie ist, mit einem von M. Kahler verwendeten Begriff, „übergeschichtlich". In der Zuordnung von beidem verläuft die christologische Problematik. Mit dieser vorläufigen Formulierung soll schon deutlich gemacht werden, wie das christologische Personproblem nicht allein auf die Vereinigung von Endlichem und Unendlichem, von Immanenz und Transzendenz gerichtet ist, obwohl diese Grundthematik der klassischen Zweinaturenlehre nicht ausgeschlossen wird. Neben die Frage nach dem von der Inkarnationsvorstellung bestimmten Wie der Menschwerdung und der 37 Vgl. hierzu die Dogmengeschichten sowie bes.: S. Schloßmann, Persona und Prosopon im Recht und im christlichen Dogma, Kiel-Leipzig 1906; F. Erdin, Das Wort Hypostasis, Freiburg 1939; H . Dörrie, Hypostasis, Wort und Bedeutungsgeschichte (Nachr. d. Akad. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.-Hist. Kl. J g . 1955, N r . 3) Göttingen 1955; C. Andresen, Zur Entstehung und Geschichte des trinitarischen Personbegriffs. 2 N W 52 (1961) S. 1—39. 38 Dieser Versuch zeigt sich z. B. in verschiedenen Beiträgen zu Bd. III von „Das Konzil von Chalkedon", hrsg. A. Grillmeier und H . Bacht, Würzburg 1954. 39 Dies zeigt sich in den Schwierigkeiten, die die Dogmatik des vorigen Jahrhunderts bei der Auseinandersetzung mit der Trinitätslehre gehabt hat. Selbst wo man sich noch darum bemüht, sie beizubehalten, ergeben sich schon im Bereich der Terminologie erhebliche Komplikationen. Denn der Begriff der ,Idee' oder auch des transzendenten Grundes' ist ein Grenzbegriff, der zunächst nur die Möglichkeit einer negativen Relation einschließt, nicht aber die einer personalen Aktivität.

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Vereinigung von Gottheit und Menschheit in der Person des Gottmenschen tritt in zunehmendem Maße die Frage nach der innergeschichtlichen Extension des Christusereignisses, nach der Weiterereignung der Geschichte Jesu Christi. Diese Fragestellung schließt zwar die volle Menschheit einer geschichtlichen Person in ihrem Werden, ihrem Selbstbewußtsein und in ihrer Vollendung ein, aber sie erschöpft sich nicht in dieser christologischen Korrektur. Ob und inwiefern der hier skizzierte Ansatz der christologischen Problematik eine Substitution des christologischen Dogmas als Ganzem oder aber eine notwendige Kritik und Weiterführung bedeutet, die von den unverkennbaren Aporien der klassischen Christologie ausgeht, kann theoretisch nicht entschieden werden. Es genügt auch nicht, einfach den Umbruch in der Terminologie zu konstatieren. Die Entscheidungen fallen nicht allein im Bereich einer Lehre von der Person Christi, in der, wie es nach der Darstellung mancher Dogmengeschichten scheint, ein logisches Problem auf möglichst elegante und glatte Art zu lösen ist. Bei allen ihren Mängeln wird man auch der Christologie des vorigen Jahrhunderts konzedieren müssen, daß es ihr darum ging, das rettende Handeln Gottes in der Person Jesu Christi an der Menschheit aller Zeiten und für sie im Hören auf das Zeugnis der Schrift und in der Auseinandersetzung mit der Lehrtradition zur Geltung zu bringen. Das christologische Personproblem bildet den systematischen Mittelpunkt, dessen jeweilige Konsequenzen dann vor allem in der Soteriologie festzustellen sind. Nicht zufällig wird die Lehre von der Erlösung und Versöhnung in der Dogmatik des vorigen Jahrhunderts zu einem Hauptthema, das einmal eng mit der Lehre von der Person Jesu Christi zusammengefaßt wird und in dem der Stellvertretungsgedanke in zunehmendem Maße hinter einem effektiven Versöhnungsverständnis zurücktritt. In der Christologie schlägt sich dies in der Debatte um die oboedientia activa oder passiva nieder. Die immer wieder von den verschiedensten Seiten betonte Verbindung von Person und Werk Christi muß besonders berücksichtigt werden; denn in verschiedenen Systemen — z. B. bei Schleiermacher und noch deutlicher bei D. F. Strauß — zeigt sich die Tendenz, die Person ganz in dem Werk und die Christologie in der Soteriologie aufgehen zu lassen. 2. Die Lösungsversuche im Grundriß Geht man zur weiteren Orientierung von der skizzierten Problemstellung aus, so können die verschiedenen christologischen Entwürfe des vorigen Jahrhunderts in drei Gruppen zusammengefaßt werden, die durchweg von dem Personproblem ausgehen. Die erste Gruppe bildet die vor allem in der Erlanger Schule zu erheblichem Ansehen gelangte Kenosis-Lehre, auf die wir hier nur kurz ein192

gehen40, obwohl ihr Einfluß und auch ihre Nachwirkungen vielfach unterschätzt werden, weil sie vorwiegend unter dem Gesichtspunkt einer orthodoxen Repristination beurteilt wird. Dabei sind sich die Vertreter dieser Theorie durchaus im klaren gewesen, daß sie gegenüber der dogmatischen Tradition eine Korrektur oder auch einen Neuansatz vorlegten 41 . Den Kern dieser Theorie bildet bekanntlich die Auffassung, daß der „logos asarkos" das Subjekt der Kenose im Akt der Menschwerdung bildet und nicht erst der Gottmensch in seiner irdischen Existenz. Auf die bedenklichen Konsequenzen, die sich daraus für die Trinitätslehre ergeben, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Offensichtlich waren die Kenotiker an der Trinitätslehre ebensowenig speziell interessiert wie an der Präexistenz, obwohl sie beides formal festgehalten haben. Für unsere Problematik von Bedeutung ist vielmehr, daß mit dieser Auffassung die Christologie nicht von der hypostatischen Union, sondern von der Zweiständelehre her entwickelt wird, die Schleiermacher ebenso abgelehnt hatte wie die Trinitätslehre 42 . Das Ziel dieser nicht unbedeutenden Korrektur ist jedoch nicht darauf beschränkt, eine „Christologie von oben" und den Inkarnationsgedanken festzuhalten 43 . In der Zweiständelehre wird vielmehr die Möglichkeit gesehen, die statischen Seinsaussagen der „unio personalis" und der „communio naturarum" im Sinne des Werdens und mithin als Entwicklung in der Geschichte einer individuellen Person und Persönlichkeit wie bei allen übrigen Menschen zu verstehen44. Das die gesamte irdische Existenz umgreifende „genus tapeinotikon" kann schließlich mit dem „historischen Christus" als einem „menschlichen Ich" gleichgesetzt werden, von dem aber immer noch behauptet werden kann, daß ein gottmenschliches Ich das „eigentliche Subjekt der ganzen Person" bilde45. In ihrem Ergebnis ist die Kenosis-Lehre nicht so sehr das Bemühen, die altkirchliche und orthodoxe Christologie zu bewahren. Sie ist auch eine ausdrückliche Stellungnahme zu dem Antagonismus zwischen dem historischen und dem idealen Christus. Thomasius meint mit seiner Deutung die Verbindung zwischen beiden in einer Person durchaus festgehalten zu 40 Literatur: F. Loofs, Art. Kenosis in RE», X, S. 246 ff; O. Bensow, Die Lehre von der Kenose, Leipzig 1903; G. L. Bauer, Die neuere protestantische Kenosislehre, 1917. Zu G. Thomasius s. a.: H. R. Bek, Menschwerdung und Versöhnung. Eine kritische Untersuchung zur diristozentrisdien Theologie des G. Thomasius. Ungedr. Heidelberger Diss. 1962. Vgl. auch die Anm. 22 genannte Litt. 41 G. Thomasius, Christi Person und Werk, II2, 1857, S. 229; F. H. R. Frank, System der christlichen Wahrheit, II,22, 1880, S. 134. 4! F. D. Schleiermacher, Der christliche Glaube1, § 105 Zus.; G. Thomasius, a. a. O. 49 II, S. 125. So F. Loofs, RE3, X, S. 263,5 f. 44 G. Thomasius, a. a. O. II, S. 14; 233; 200; F. H. R. Frank, a. a. O. II, 2, S. 147 ff. Bei beiden kommt es in diesem Zusammenhang zu einem zweifachen „Ich". 45 G. Thomasius, a. a. O. II, S. 230, 200.

13

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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haben46. Doch der nur beiläufig verwendete Begriff des „idealen Christus" hat hier nicht die christologisch-soteriologische Funktion, da Thomasius wie auch Frank und andere Vertreter dieser Richtung an dem Stellvertretungsgedanken und der „oboedientia activa" in ihrer Versöhnungslehre festhalten 47 . Die Universalität der Geschichte und des Werkes Jesu Christi bildet für die Kenotiker keine besonderen Schwierigkeiten. Die innerzeitliche Geschichte setzt sich in der überzeitlichen über die als Lohn und Bestätigung verstandene Auferstehung und Erhöhung des Erniedrigten fort. Im Grunde erweist sich die Kenosis-Lehre als eine vermittelnde Kompromißlösung. Gegenüber der klassischen Trinitäts- und Zweinaturenlehre entstehen mehr Probleme als gelöst werden, und auf der anderen Seite werden die mit der historischen Jesusfrage zusammenhängenden Aporien nicht in ihrer ganzen Schwere empfunden. Während die kenotische Christologie wenigstens in ihren Grundzügen eine einheitliche Richtung bildet, lassen sich die beiden anderen Gruppen von christologischen Entwürfen nur schwer voneinander trennen, zumal sie sich an verschiedenen Stellen unmittelbar berühren. Den gemeinsamen theologiegeschichtlichen Ausgangspunkt bildet die Christologie F. D. Schleiermachers, die sich in dem Bemühen um einen dialektischen Ausgleich als ausgesprochen ambivalent erweist. Die Beziehung „auf die durch Jesum von Nazareth vollbrechte Erlösung" (§11) kann sowohl auf die Person wie auch auf die Wirkung auf die Glaubenden und deren frommes Bewußtsein gerichtet sein. Damit entsteht die Frage, ob die Eigenart der Person ein Postulat der Wirkung oder umgekehrt die Wirkung ein Postulat der Person darstellt. An diesen beiden Möglichkeiten scheiden sich die Geister nicht nur in der Schleiermacher-Interpretation, sondern vor allem auch in der weiteren Auseinandersetzung um die christologische Frage. D. F. Strauß hat schon in seiner Schlußabhandlung zum „Leben Jesu" und dann vor allem in seiner Kritik an Schleiermachers Vorlesungen über das Leben Jesu48 auf diese Spannung in der Christologie hingewiesen. Er versuchte sie im Anschluß an Hegel mit einem radikalen Verzicht auf die geschichtliche Person zu lösen. Auf der anderen Seite konnte der Schüler Schleiermachers, A. Schweizer, mit Recht auf die „Dignität des Religionsstifters" bei Schleiermacher hinweisen4'. Er hat dann in seiner von der Auseinandersetzung mit Strauß bestimmten Christologie versucht, mit der Christusidee auch die Christus49

47 Ebda. S. 144. G. Thomasius, a. a. O. III, S. 83 ff; Frank, a. a. O. II, 2, S. 152 ff. D. F. Strauß, Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Berlin 1865. 48 A. Schweizer, Über die Dignität des Religionsstifters. Ein Beitrag zur Ausmittelung des Wesens der Frömmigkeit. ThStKr 7 (1837) S. 521—571 und 813—849. 48

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person zu verbinden unter dem Leitmotiv des „Einswerdens Christi mit seiner (Berufs-)Idee". Auf diesem Wege wird von Schweizer die objektive Geschichte der Idee mit der irdischen Entwicklungsgeschichte der Person Jesu verbunden, und zugleich bleibt die Person Jesu das Prinzip des christlichen Glaubens. „Im geschichtlichen Christus offenbart sich als Kern seiner Persönlichkeit die erlösende Liebe, welche als die höchste Bestimmtheit im Leben des himmlischen Vater in Christus menschlich erscheint und sein ganzes Wesen trägt nach Gesinnung und Wirksamkeit 60 " — „Das Einswerden Christi mit seiner Idee zeigt sich im irdischen Dasein als so treue Hingabe an die steigende Schwere des Berufes, daß die Idee ungehemmt durch ihn hindurch wirkt, zum Lohn dieser Treue als schlechthin Einsgewordensein mit der absoluten Idee im Stande der Erhöhung 51 ." Bei der Nähe dieser Auffassung zur kenotischen Christologie sind die Unterschiede und das Ziel gut zu erkennen. Wo bei den Kenotikern das „genus tapeinotikon" der geschichtlichen Existenzform auf die Wahrung der vollen Menschheit und Möglichkeit konkreter Persönlichkeit gerichtet ist, hat bei Schweizer der „geschichtliche Christus" nicht allein die Funktion des stellvertretenden aktiven Gehorsams, sondern zugleich eine apophantische Bedeutung. Bezeichnend dafür ist auch die an D. Schenkel anschließende Verwendung des Begriffs „Charakterbild" und das „biblisch bezeugte Gesamtbild" Jesu62. Nicht der Weg des präexistenten „logos asarkos" durch die Erniedrigung zur Erhöhung — eine immanente Trinitätslehre wird von Schweizer abgelehnt63 — bildet die Grundlage der Lehre von Person und Werk Christi. Schweizer vertritt vielmehr in seiner Christologie die Position der positiven „Leben-Jesu-Forschung" und versucht ausdrücklich, deren Erkenntnisse und Ergebnisse dogmatisch auszuwerten 54 , und zwar ebenfalls um einerseits den Aporien der Zweinaturenlehre und andrerseits der idealistischen Auflösung der Person, wie sie bei Strauß vorliegt, auszuweichen. Die Lösung besteht damit in einem historischen Ethizismus und in dem, was man bereits im vorigen Jahrhundert als eine „anthropozentrische" Christologie bezeichnet hat. Mit Strauß und A. Schweizer sind die beiden Grundtypen skizziert, zwischen denen sich auf der Basis der Schleiermacherschen Christologie und der Hegeischen Philosophie die christologische Debatte um die historische Jesusfrage im dogmatischen System abspielt. 3.

Abgrenzung

Wenn nun im folgenden bei der Fülle von christologischen Entwürfen nur eine begrenzte Auswahl herangezogen wird, so hat dies nicht nur 50

A. Schweizer, Die christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen. Bd. II 2 ,1877, S. 54. 51 52 Ebda. S. 97. Ebda. S. 42, 104. Siehe oben S. 84 ff. 53 2 Bd. I , 1877, S. 403 f. " Bd. II, S. 3 f. 13*

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technische Gründe, sondern es empfiehlt sich auch im Interesse der Sache selbst. Ob im Einzelfall eine Christusidee bzw. ein Christusprinzip oder die geschichtliche Person den Ausgangspunkt für die Christologie bildet, deutet zwar einen erheblichen Unterschied an, ohne daß jedoch damit das Problem selbst erfaßt wird. Gerade neben den verschiedenen Positionen der historischen Jesusforschung, die in entsprechender Mannigfaltigkeit auch in der dogmatischen Christologie auftauchen, kommt es nun darauf an, die Konsequenzen dieser Ansätze nicht nur in der Lehre von der Person Jesu Christi, sondern auch in der Versöhnungs- und Erlösungslehre zu verfolgen. Unter diesem Gesichtspunkt wurde die Auswahl der in den folgenden drei Kapiteln herangezogenen Beispiele getroffen. Zuerst wird (Kap. V I ) die historische Jesusfrage in der Theologie D. F. Schleiermacbers untersucht. Das folgende Kapitel (Kap. VII) ist vor allem auf die Theologie A . Ritschis gerichtet. Neben der eigenen Stellungnahme Ritschis kann zugleich sehr gut die Position der spekulativen Christologie 55 gezeigt werden in der Diskussion um „die christologische Frage der Gegenwart", die von H . Schultz und I. A . Dorner in den „Jahrbüchern für deutsche Theologie" geführt worden ist. In dem letzten Kapitel dieses zweiten Teils (Kap. V I I I ) soll an der vor allem von W. Herrmann und M. Kühler bestrittenen Debatte um die dogmatische Relevanz der historischen Jesusfrage die Problemstellung aufgezeigt werden, bei der auf der einen Seite die Diskussion des vorigen Jahrhunderts endete und andrerseits die „neue Frage nach dem historischen Jesus" wieder ansetzte. Ebenso wie im ersten Teil geht es in keinem dieser Fälle um eine theologiegeschichtlich ausgerichtete Gesamtdarstellung, sondern stets um eine systematische Analyse, deren Ziel auf die Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage im dogmatischen System gerichtet ist.

55

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Vor allem bei I. A . Dorner und A . E. Biedermann.

K A P I T E L

VI

Geschichtlichkeit und Urbildlichkeit — die historische Jesusfrage in der Christologie Schleiermachers Die umfangreiche Literatur über Schleiermacher und die verschiedenen Weisen, in denen er auf die neuere Theologie bestimmend eingewirkt hat, zeigen schon, wie schwer es ist, zu einem eindeutigen Urteil über ihn zu' gelangen1. Bei der faszinierenden Geschlossenheit seines Systems, der Weite seines Blicks und der Intensität seiner theologischen Reflexion kann es, wie sein großer Antipode K. Barth bemerkte, niemals zu einer „Abrechnung" mit ihm kommen, sondern nur zu einem „Bewegungskrieg2", in dem man versucht, den eigenen Standpunkt zu klären. Es ist selbstverständlich, daß sich die Hauptprobleme einer Auseinandersetzung auf die Christologie konzentrieren, und dies aus zwei Gründen. Einerseits hat Schleiermacher einen diristologischen Gesamtentwurf vorgelegt, der zwar nicht auf die Kontinuität mit dem Früheren verzichtet, aber doch in seiner Terminologie und seiner systematischen Funktion völlig neue Aspekte aufdeckt. Die weitere Geschichte der Christologie erscheint demgegenüber vielfach als eine Explikation der von Schleiermacher formulierten Ansätze. Zum andern bildet aber gerade die Christologie in ihrer eigenartigen Ambivalenz den kritischen Punkt in Schleiermachers gesamter Theologie. Ist sie „die große Störung 3 ", oder ist Schleiermacher der 1 Außer der S. 183, Anm. 22 genannten Literatur vgl. speziell zu Sdileiermachers Christologie: W. Bender, Sdileiermachers Theologie mit ihren philosophischen Grundlagen. 2 Bde. Nördlingen 1876 und 1878; zur Christologie hier besonders Bd. 2, S. 456 bis 497; H . Bleek, Die Grundlagen der Christologie Sdileiermachers. Die Entwicklung der Anschauungsweise Sdileiermachers bis zur Glaubenslehre mit besonderer Rücksicht auf seine Christologie. Freiburg-Leipzig-Tübingen 1898; H . Stephan, Die Lehre Schleiermachers von der Erlösung. Tübingen-Leipzig 1901; G. Greiffenhagen, Die Christologie Sdileiermachers in seiner Reifezeit. Diss. Göttingen 1930; H . Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers. Düsseldorf 1960; P. Seifert, Die Theologie des jungen Schleiermacher. Gütersloh 1960. Auf eine kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Richtungen in der Schleiermadier-Forsdiung muß hier verzichtet werden. 2 K. Barth, Die Theologie und die Kirche. Ges. Vorträge Bd. II. München 1928. S. 189. 3 K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Zürich i960', S. 385.

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christozentrisdie Theologe, für den Joh. 1, 14 den Grundtext aller Dogmatik bildet 4 , der „Dithyramb auf Christum 5 ", der er sein wollte? Ist seine Theologie anthropozentrisch an der empirischen Vorfindlichkeit menschlicher Bewußtseinsstrukturen orientiert, oder ist sie christozentrisch von der die Geschichte durchziehenden und die Gegenwart bestimmenden Wirkung des Seins Gottes in der Person Jesu Christi bestimmt? Es liegt nahe, die Schleiermachersche Christologie nicht nur in der Isolierung eines dogmatischen Lehrstücks, sondern auch in dem weiteren Kontext der Prinzipienfragen heranzuziehen. Im Blick auf die Ambivalenz von Schleiermachers Theologie und der Schleiermacher-Forschung meinen wir, daß nicht nur die thematische Beschränkung dieser Untersuchung, sondern auch der Gegenstand selbst es rechtfertigen, den Anspruch einer diristozentrisdien Theologie ernst zu nehmen6. Denn zweifellos hat Schleiermacher selbst seine Aufgabe darin gesehen, die Christologie in den denkerischen Voraussetzungen seiner Zeit darzustellen, und dies keineswegs ausschließlich auf dem Weg einer verflachenden Synthese, sondern auch in einer vielleicht zuwenig beachteten kritischen Konfrontation. Dies wird nicht zuletzt in der scharfen Antithese von Strauß deutlich, der ganz offensichtlich die Verbindung des Urbildlich-Idealen mit einer geschichtlichen Individualität nicht sosehr als eine Störung in Schleiermachers System, sondern in den denkerischen Voraussetzungen seiner Zeit und ihrem Geschichtsbewußtsein empfunden hat. Daß ein christozentrischer Ansatz nicht von vornherein die Sachgemäßheit eines dogmatischen Systems einschließt, braucht nicht besonders betont zu werden. A. Die Funktion der historischen Jesusfrage im System Unter der Voraussetzung, daß die historische Jesusforschung nach dem Jesus fragt, „wie er wirklich war", ist Schleiermacher zweifellos jedes historische Interesse abzusprechen. Seine erst posthum im Jahre 1864 aus Kollegnachschriften in etwas zweifelhafter Weise rekonstruierten Vorlesungen über das Leben Jesu7, mit denen er als erster diese ,Disziplin' im Jahre 1819 in den Lehrplan aufgenommen hatte, können unter diesem Gesichtspunkt gewiß nidit als eine historisch-kritische Leistung angesehen 4 Schleiermachers Sendschreiben über seine Glaubenslehre an Lücke. Hrsg. H . Mulert, Gießen 1908. S. 34. 5 P. Seifert, Die Theologie des jungen Sdileiermadier. 1960. S. 162. 6 Vgl. auch hierzu die vorsiditige und gerade darin sachgemäße Beurteilung von K. Barth, Die prot. Theologie, S. 385 ff, und besonders von H . Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 71. 7 Das Leben Jesu. Vorlesungen an der Universität zu Berlin im Jahr 1832 gehalten von Dr. Friedrich Schleiermacher. Hrsg. K. A. Rütenik. (Sdileiermadiers „Sämmtliche Werke" 1,6) Berlin 1864. D i e kritischen Einwände zu dieser Ausgabe finden sich bei D . F. Strauß, Der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte. Berlin 1865.

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werden8. Dies liegt nicht allein an der Vorliebe, die er mit der idealistischen Philosophie seiner Zeit und ohne Berücksichtigung der — allerdings erst 1820 veröffentlichten — „Probabilia de evangelii et epistolarum Joannis apostoli indole et origine" von K. G. Bretscbneider für das vierte Evangelium teilt9. Hält man sich die auffallende Indifferenz der rationalen Kritik und damit auch der rationalistischen „Leben-Jesu-Forschung" gegenüber dem Historischen vor Augen10 und berücksichtigt man die doch recht weitgehenden philosophisch-dogmatischen Prämissen des Straußchen „Leben Jesu", so wird man vermutlich auch über Schleiermachers Beitrag zur historischen Jesusforschung zurückhaltender urteilen müssen. Verwundert kann man eigentlich nur darüber sein, daß Schleiermacher nicht ebenso wie seine Zeitgenossen zu einer völligen Rationalisierung oder Idealisierung des Historischen gekommen ist, nach der der ,historische Jesus' dann entweder ein Lehrer oder Offenbarer zeitloser Vernunftwahrheiten oder aber der zufällige Kristallisationspunkt einer überzeitlichen Idee ist. Unter dem Aspekt einer ,objektiven historischen Kritik' ist Schleiermachers Beitrag zur historischen Jesusforschung gewiß ebenso wie mancher andere eine Fehlleistung, aber sie hat immerhin den Vorzug, daß die theologische Funktion und Motivation in aller Eindeutigkeit dargelegt wird. 1. Die Charakteristik

der historischen Jesus frage

Die Erforschung des Lebens Jesu bildet für Schleiermacher nicht ein historisches, sondern ein theologisches, ja sogar ein christologisches Problem. In dem einleitenden Teil seiner Vorlesungen werden dafür Entscheidungen getroffen, die nähere Beachtung verdienen. Mit D. F. Strauß und A. Schweitzer könnte eingewandt werden, daß die für eine historischkritische Untersuchung geforderte Voraussetzungslosigkeit durch einen dialektisch-dogmatischen Schematismus ersetzt und von einem vorgefaßten Urteil ausgegangen wird11. Doch neben den unkritischen, unzu8 Eine ,Blütenlese' hat A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, S. 63 ff zusammengestellt. Vgl. auch H. Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 18 ff, der jedoch wesentlich zurückhaltender in seiner Kritik ist. 9 Schleiermacher hat aber die historische Kritik am Johannesevangelium durchaus gekannt und auch berücksichtigt: vgl. die Anm. 14 zur 5. „Rede über die Religion" in der 3. Aufl. von 1821(!) sowie „Sendschreiben an Lücke", hrsg. H. Mulert, S. 43. Im übrigen hat Bernhard Weiß noch 1882 die Authentizität von Joh. festzuhalten versucht: s. o. S. 70. Die Hinweise auf Schleiermachers unkritische Einstellung bei A. Schweitzer, Geschichte, S. 86 f und H. Gerdes, a. a. O. S. 24 übersehen aber auch das Bemühen Schleiermachers, die Theologie von der historischen Kritik nach Möglichkeit unabhängig zu machen. Vgl. dazu „Sendschreiben an Lücke", S. 41. 10 Siehe oben S. 37 ff. 11 D. F. Strauß, Der Christus des Glaubens, S. 167; A. Schweitzer, Geschichte, S. 64; H. Gerdes, a. a. O. S. 24.

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reichenden und überholten Einzelergebnissen werden die grundsätzlichen Entscheidungen leicht übersehen12, die zweifellos auch heute noch ihre Bedeutung haben. An den Anfang seiner Vorlesungen stellt Schleiermacher einige Erwägungen, die in vier Punkten zusammengefaßt werden können 13 : 1. Es wird unterschieden zwischen „Chronik" und „Geschichte". Eine Chronik ist die unerschöpfliche, aber auch unentbehrliche Aufgabe, einzelne Tatsachen zu ermitteln und zu sammeln. Eine Lebensbeschreibung jedoch, die Geschichte sein will, wird bei der Unendlichkeit der Einzeltatsachen auf eine qualitative Differenzierung des Quantitativen nicht verzichten können. Damit erhebt sich die Frage, welches die Kriterien für die Auswahl und Anordnung des historischen Materials zu einer geschichtlich-biographischen Darstellung sind. Ähnlich wie in seiner Hermeneutik geht Schleiermacher auch hier von allgemeinen Prinzipien aus: Es gilt, die Einheit in der Vielheit und zum anderen das Innere zu dem Äußeren zu ermitteln, um damit die Person in dem Kern ihres Wesens zu „kalkulieren 14 ". Dieser Wesenskern oder „Faktor", der immer nur in einer „gewissen Approximation" erreicht werden kann, bildet das Ziel der biographischen Aufgabe. Dieser Ansatz ist bereits eindeutig christologisch orientiert. Denn der für die historische Jesusforschung typische Antagonismus zwischen einer geschichtsbedingten Individualität und einer überzeitlichen Idee wird hier von vornherein in die Person verlagert. Die Vielheit und das Äußere sind das Geschichtlich-Zufällige einer zeitlichen Existenz in ihrer Bedingtheit durch ihre jeweilige Umwelt und in ihrer natürlichen menschlichen Entwicklung. Die Frage nach dem „Calculus" hingegen zielt auf die Möglichkeit, die geschichtliche Individualität in eine andere Zeit zu übertragen und damit „das Vorbildliche zur sinnlichen Anschauung zu erheben 15 ". Es begegnet also schon hier das Grundproblem von Schleiermachers Christologie, die Verbindung des Geschichtlichen mit dem Urbildlichen in der Person Jesu oder, wie Schleiermacher stets sagt, in der Person Christi. 2. Die zweite Prämisse betrifft das Verhältnis zwischen der historischen Kritik und dem christlichen Glauben, zwischen dem ,historischen Jesus' und dem .Christus des Glaubens'16. Der Glaube an Christus wird unter verschiedenen Aspekten in den methodischen Voraussetzungen der historischen Jesusfrage berücksichtigt. Zunächst erscheint er als ein geschichtliches Phänomen, aus dem auch das Interesse an der historischen Jesusfrage erwächst. Eine Ubereinstimmung im Glauben an Christus und die Tatsache, daß Christus Gegenstand des Glaubens ist, kann voraus12 13 14 18

200

Darauf hat besonders nachdrücklich H. Gerdes, a. a. O. S. 25 hingewiesen. Seitenangaben im folgenden nach der Ausgabe Anm. 7. 15 S. 15 f. S. 4 ff. S. 15 ff und S. 22 ff.

gesetzt werden 17 . Zum andern wird davon ausgegangen, daß die biblischen Berichte über das Leben Jesu nicht als historisches Dokument anzusehen sind, sondern daß sie aus dem Glauben der Jünger und ihren jeweiligen zeitlich und subjektiv bedingten Eindrücken und Vorstellungen von der Person Jesu erwachsen sind 18 . Die Einheit im Glauben an Christus kann sich daher nicht auf eine einheitliche Auffassung von der Person Jesu in der Schrift stützen, sondern nur auf eine Vielfalt von Vorstellungen, die von unterschiedlicher Klarheit sind und von verschiedenen Anschauungsformen ausgehen. Zwar handelt es sich nur um „Nachrichten" von Jüngern Christi, während es an entgegengesetzten gegnerischen Darstellungen der Person Jesu fehlt. Aber es kann nicht — im Sinne eines fundamentalistischen Schriftprinzips — eine eindeutige und unfehlbare Auffassung von der Person Jesu vorausgesetzt werden 19 . Unter dem Aspekt der Quellenkritik ist dies eine Kombination zwischen der Urevangeliumshypothese und der Traditionshypothese, die ja in der von Schleiermacher 1817 vertretenen Fragmenten- oder Diegesenhypothese20 bereits gewisse Entsprechungen zur formgeschichtlichen Hypothese zeigt. Das heißt, die „Nachrichten" sind Einzelüberlieferungen, die in einer ganz bestimmten Weise durch den Uberlieferungs- und Verkündigungsprozeß in der christlichen Gemeinde gestaltet wurden 21 . Es gibt für Schleiermacher kein äußeres Kriterium, zwischen Echtem und Unechtem, Wahrem und Falschem zu scheiden. Die Person Jesu ist weder dem Gleichzeitigen noch dem historischen Zugriff des Späteren unmittelbar evident. Sie ist, so würde man heute sagen, in ihrem Wesen nicht objektivierbar. Darum kann auch die Schrift als ein Dokument des frühen christlichen Glaubens nicht den Glauben an Christus begründen. Wo Christus erkannt wird, da ist dies vielmehr „sein Werk" und „die Wirkung seines dominierenden Einflusses", und darin besteht kein Unterschied zwischen den Gleichzeitigen und den Späteren 22 . Daß er in der Schrift dargestellt, daß er geglaubt und bezeugt wird, ist sein Werk. Unter Vorwegnahme der in der Ritschlschen Schule aufbrechenden Problematik könnte man sagen: Christus, aber nicht der in der Schrift erkennbare geschichtliche Jesus, begründet den Glauben. Christus ist nicht Gegenstand, sondern Ursache des Glaubens, d. h., er ist Subjekt. In dieser 1 8 S. 18 ff. Siehe oben S. 37 zu A n m . 47. S. 9 , 1 9 ff, 23 f u. ö. 2 ° Siehe oben S. 69, A n m . 23. S. 19, 39. 2 1 Bezeichnend h i e r f ü r ist auch die A n m e r k u n g z u § 98,2 der „ G l a u b e n s l e h r e " : „Es ist eine gewiß höchst bedeutende aber nicht genug erkannte göttliche Leitung, d a ß uns von dem Äußeren der Person Christi weder eine sichere Oberlieferung noch ein authentisches B i l d zugekommen ist. J a auch, d a ß uns eine genaue D a r s t e l l u n g seiner Lebensweise und eine zusammenhängende E r z ä h l u n g seiner Begebenheiten fehlt, gehört eben dahin." 17

19

22

S. 17 ff; vgl. „ G l a u b e n s l e h r e " § 128, bes. 2.

201

Vorform des ,hermeneutischen Zirkels' liegt zugleich ein wichtiger Schlüssel f ü r das die „Glaubenslehre" durchziehende Schema von Ursache und Wirkung, nach dem der Glaube an Christus der von Christus bewirkte Glaube ist. 3. Mindestens theoretisch rechnet Schleiermacher mit der Möglichkeit, daß historische Kritik den Anspruch des christlichen Glaubens auf seinen Grund in der Person Christi bestreiten kann. „Wollen wir aber aus einer dunklen Besorgnis, es könnte sich so finden, die Untersuchung von der H a n d weisen, so täuschen wir uns selbst: Denn daß wir sie abweisen, wäre schon ein Produkt des Unglaubens, und wir würden sie keineswegs los (seil, die Besorgnis), sondern gäben ihm (seil, dem Unglauben) ein Recht, und wir wären im Widerspruch mit uns selbst 23 ." Auf der anderen Seite steht die These, daß der christliche Glaube sich in der Person Christi auf eine Tatsache stützt, mit der er dann steht und fällt, von der er nicht abgelöst werden kann: „Da aber unser Glaube der Glaube an eine Tatsache ist, so ist er auch abhängig von dieser Tatsache". Aber daraus folgt dann auch, daß „wir es in dem Interesse unsers Glaubens f ü r unsre bedeutendste Aufgabe halten, auch andern diese Tatsache zu solcher Anschauung zu bringen, wie sie uns die Quelle des Glaubens ist" 24 . Hier zeigt sich die enge Verbindung von christologischer und hermeneutisch-apologetischer Motivation in der historischen Jesusfrage. Der Glaube ist an der historischen Jesusfrage interessiert, weil er sich auf die geschichtliche Tatsache der Person Jesu stützt und sich mithin hier in seiner Legitimität vor sich selbst und anderen ausweisen muß. 4. Diese Voraussetzungen unterscheiden sich erheblich von den üblichen Ansatzpunkten der „Leben-Jesu-Forschung", wenn auch freilich in der späteren Durchführung die Verbundenheit mit der rationalistischen Jesusforschung nicht übersehen werden kann. Aber ebensowenig kann übersehen werden, wie Schleiermacher sich in diesen Prämissen ausdrücklich von der rationalistischen Jesusforschung distanziert. Zurückgewiesen wird die Auffassung des modernen Ebionitismus, der „neoterischen Ansicht von der Person Christi", die in Christus nur einen gewöhnlichen Menschen erblickt 25 . Ebenso wird die z.B. bei H . E. G. Paulus vorgebildete und später von D. F. Strauß weitergeführte Auffassung der Akkommodationstheorie abgelehnt, nach der die Christusprädikationen aus den alttestamentlichen Messiasvorstellungen abgeleitet und auf die Person Jesu übertragen wurden, ohne in dieser einen Anhalt zu haben 26 . Denn in beiden Fällen wird Christus in einer Weise vorgestellt, die ausschließt, daß er Ursache des christlichen Glaubens und Gegenstand der Verehrung 23 25

202

S. 24. S. 30 ff.

24 26

S. 20. S. 28.

sein kann 27 . Für die historische Jesusfrage wie für die dogmatische Christologie gilt das Postulat: „Alles in Christo Erscheinende in seiner Einzelheit als Lebensmoment, als Tat und Handlung und so in seinem geschichtlichen Zusammenhang betrachtet, muß rein menschlich aufgefaßt werden können, aber doch so, daß wir es als die Äußerung oder Wirkung des Göttlichen, welches sein Innerliches war, auffassen 28 ." Zweifellos liegt in allen vier der hier angeführten Prämissen ein unverkennbares dogmatisch-christologisches Prinzip, das dann in der Einzelanalyse angewandt wird. Der Vorwurf, daß damit die historischen Forschungsergebnisse nach dogmatischen Gesichtspunkten konstruiert werden, ist schwerlich zu entkräften. Daneben muß aber trotz allem festgehalten werden, daß in diesen dogmatischen Prämissen auch ein legitimer historischer Ansatz liegt, der darin zum Ausdruck kommt, daß die Uberlieferungsstoffe interpretierend weitergegeben werden und damit immer eine ganz bestimmte Stellungnahme einschließen. Schleiermacher geht also nicht von einer Tatsachenüberlieferung aus, sondern von einer theologischen oder auch dogmatischen Überlieferung 29 . Es ist also eine Reflexion, die ihren Ursprung, genauer: ihre Ursache in der Persönlichkeit des geschichtlichen Christus (d. h. des historischen Jesus) hat und als dessen Wirkung zu verstehen ist30. Im Grunde ist daher auch für ihn die „LebenJesu-Forschung" nicht im Sinne einer historischen Rekonstruktion zu verstehen, sondern als eine Weiterführung dieser reflektierenden Interpretation, die bei der Realität des gesdiiditlichen Menschseins einsetzt. Ein Unterschied zwischen einer rein historischen und einer rein dogmatischen Betrachtungsweise besteht für Schleiermacher nicht. 2. Die positive

Religion

Die „Vorlesungen über das Leben Jesu" werden in der SchleiermacherForschung nur selten berücksichtigt, und angesichts der etwas problematischen Redaktion von Vorlesungsnachschriften ist eine Zurückhaltung auch durchaus berechtigt. Aber selbst wenn, abgesehen von wenigen flüchtigen Notizen, eigene Aufzeichnungen fehlen, ist doch Schleiermachers charakteristische Art der Gedankenführung noch durchaus klar zu erkennen. Dies findet seine Bestätigung, wenn aus einem anderen Blickwinkel heraus dieselbe Problemstellung erscheint, nämlich in der ebenfalls umstrittenen Frage nach dem Verständnis und der Bedeutung der „positiven Religion". Wie man bei den „Vorlesungen über das Leben Jesu" vor der Schwierigkeit steht, ob die „geschichtliche Person Christi" nun entweder ein dogmatisches Postulat oder aber eine echte und selbständige geschichtliche Individualität ist, so erhebt sich auch bei dem Begriff der „positiven Religion" die Frage, ob die Person Jesu Christi darin lediglich ein möglicherweise 27 29

28 S. 25 ff, 30 f. S. 35. Vgl. z. B. S. 137 ff zur Frage der messianisdien Traditionen.

30

S. 17 f.

203

noch austauschbares Individuationsprinzip bildet, ohne daß das Positive und Geschichtliche wirklich ernst genommen wird 31 , oder ob nicht doch ein echtes geschichtliches und die Geschichte bestimmendes Ereignis darunter zu verstehen sei82. Hier liegt eine ungelöste Aporie der Schleiermacher-Forschung, die jedoch nicht voreilig auf die Alternative: entweder eine Religion des Bewußtseins oder eine Religion der Tatsachen reduziert werden sollte. Denn ebenso wie in der historischen Jesusfrage geht es Schleiermacher auch bei dem Begriff der „positiven Religion" um die Verbindung von Tatsache und Bewußtsein, nicht aber um einen positivistischen Tatsachenbegriff. Die Ambivalenz der Begriffe und Gedanken erwächst bei Schleiermacher stets aus der apologetischen Intention, in der nicht ohne weiteres zu erkennen ist, wo die Abgrenzung aufhört und die thetischen Aussagen beginnen. Schon in den „Reden" sind die Begriffe „Universum", „Religion" und „Mittler" von einer bedenklichen Vielschichtigkeit. Auf der einen Seite wird in ihnen der Sprachgebrauch der aufgeklärten Bildungswelt übernommen, während auf der anderen Seite gerade hier auf eine inhaltliche Präzisierung und Füllung verzichtet wird 83 . Offensichtlich hat Schleiermacher dies selbst empfunden. Denn es ist bei einem Vergleich zwischen der ersten und der dritten Auflage der „Reden" (1799 und 1821) auffallend, wie an verschiedenen Stellen „Universum" durch „Gott" ersetzt wird. In der ersten Auflage wird die Bezeichnung „Christus" nur viermal beiläufig verwendet 34 . Der „Stifter des Christentums" und „Mittler" wird niemals direkt identifiziert, sondern nur indirekt in diesen Allgemeinbegriffen umschrieben. In der dritten Auflage ist auch hier eine Präzisierung festzustellen, indem im zweiten Teil der fünften Rede ausdrücklich und wiederholt Christus als Subjekt erscheint. „Christus..., der aller Vermittlung Mittelpunkt geschichtlich geworden ist: der wahrhaft Erlösung und Versöhnung gestiftet hat 3 5 ." Eine Ursache für die eigenartige Ambivalenz in der Theologie Schleiermachers bildet in den „Reden" die Anwendung der sokratischen Mäeutik, die man von einem deduktiven Verfahren unterscheiden muß. Meines 31 K. Barth, Die prot. Theologie, S. 414 ff, zeigt sehr gut die Schwierigkeiten, vor denen man hier bei der Interpretation steht. Anders hingegen F. Flächiger, Philosophie und Theologie bei Sdileiermadier, Züridi 1947, S. 48, der ein echtes Interesse Sdileiermadiers am Geschichtlichen bestreitet. 32 So P. Seifert, Die Theologie des jungen Schleiermacher, S. 151 ff. 33 Dies wird sehr gut von P. Seifert herausgearbeitet. 34 Reden über die Religion, S. 288, 304, 306 (Seitenangaben nadi der in den meisten Ausgaben vermerkten Zählung der 1. Auflage). Sdileiermadier folgt darin wie auch in der indirekten Verwendung von Schriftzitaten Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". 35 „Reden über die Religion" 3. Aufl. (Neudruck Halle o. J.) S. 247. Vgl. auch die Anmerkungen 14 und 16 zur 5. Rede in dieser Auflage.

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Erachtens ist es nicht so, daß Schleiermacher hier die positive Religion aus dem Religiösen ableitet und damit als möglich und wirklich ,beweist'. Das Wesen der sokratischen Mäeutik besteht vielmehr umgekehrt darin, das bereits Vorhandene in seiner Wirklichkeit aufzudecken, wobei das Ontische dem Noetischen vorgeordnet ist. Dasselbe Verfahren wird von Schleiermacher in den Prolegomena zur „Glaubenslehre" angewandt, wenn er das Eigentümliche unter Allgemeinbegriffe subsumiert. Audi hier wird man nicht von einer Deduktion, d. h. von einer Ableitung aus Allgemeinbegriffen sprechen dürfen, wie es oft geschieht, sondern es handelt sich um eine Induktion. Das „Empirische", „Eigentümliche" und „Positive" — die Begriffe sind gleichbedeutend — wird durch die Subsumtion unter die Gesetzmäßigkeit der „Lehnsätze" nicht hervorgebracht, sondern es wird artikuliert und damit einer kritischen Behandlung zugänglich gemacht36. Durch die Subsumtion unter Lehnsätze aus drei wissenschaftlichen Disziplinen — Ethik, Religionsphilosophie und Apologetik — wird die christliche Kirche in ihrer empirischen Vorfindlichkeit als denkbar und notwendig erwiesen37. Es wird gezeigt, daß sie dem allgemeinen Begriff der „frommen Gemeinschaften" entspricht, daß sie die höchste Stufe unter den religiösen Gemeinschaften einnimmt und daß sie durch den eigentümlichen Bezug „auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung" bestimmt ist. Was aber ist im einzelnen unter dem „Positiven" zu verstehen? Man kann dabei drei Aspekte unterscheiden. Die „positive Religion" wird zunächst sowohl gegenüber einer rationalen wie auch einer idealistischen Auffassung abgegrenzt 38 . Damit wird ihre Selbständigkeit gegenüber einer Ableitung aus der Metaphysik oder Moral behauptet 8 ' und ihre Auflösung in den abstrakten Begriff einer natürlichen oder Vernunftreligion abgelehnt 40 . Alsdann wird sie als eine „bestimmte Glaubensweise, d. h. eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins" verstanden 41 . Dabei wird von einer religionsphänomenologischen Betrachtungsweise ausgegangen. 3 6 Der christliche Glaube § 2. Es ist nidit gleichgültig, ob man hier, wie es meist in der Literatur geschieht, von einer „Deduktion" oder von einer „Induktion" spricht. Schleiermacher hat selbst abgelehnt, daß er deduktiv vorgehe (Sendschreiben an Lücke, Ausg. Mulert, S. 31 f, 46 f). Er wollte sich vielmehr dem Verfahren des Heidelberger Katechismus anschließen (Fr. 15 f f ; vgl. Sendschreiben S. 45 f). Es ist außerdem anzunehmen, daß das Anselm-Zitat als Motto der „Glaubenslehre" nidit rein zufällig gewählt ist. Zur wissenschaftlichen Methodik jener Zeit vgl. auch H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1965 2 , S. 1 f. 37 Der christl. Glaube § 2,2; Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 2. Aufl. §§ 21—22; Reden, S. 256; Sendschreiben, S. 55. 3 8 Der christl. Glaube § 10 Zus.; Kurze Darstellung § 1 Erl.; 2. Rede und Reden S. 242 ff. 3 8 Vor allem im Gegensatz zu Kant. 40 Hier ist z. B. an Lessing zu denken. 4 1 Kurze Darstellung § 1; Der christl. Glaube §§ 3—6.

205

Für die christologische Problemstellung wichtig ist schließlich ein dritter Aspekt, der sich bezieht auf den „individuellen Inhalt der gesamten frommen Lebensmomente innerhalb einer religiösen Gemeinschaft, sofern derselbe abhängig ist von der Urtatsache, aus welcher die Gemeinschaft selbst als eine zusammenhängende geschichtliche Erscheinung hervorgegangen ist". In diesem Fall besteht das Positive nicht in dem geschichtlichen Vorhandensein von Religion, sondern in dem zeitlichen Ursprung. Das Positive ist also das, was die „Basis einer religiösen Gemeinschaft bildet" 42 . Der Begriff der „Tatsache", des „Faktums" oder „Grundfaktums" ist nun außerordentlich komplex43; in ihm liegen die Weichenstellungen für die Entfaltung der Christologie und vor allem für das Verständnis der Urbildlichkeit. Was für Schleiermacher der Begriff „positive Religion" bedeutet, kann nur aus einer genauen Analyse dieser Zusammenhänge ermittelt werden. Zur Klärung dieser schwierigen und vielumstrittenen Frage ist es nicht sinnvoll, bei der in den „Reden" vorliegenden Parallelität von persönlichpositiver und historisch-positiver Religion einzusetzen44. Es ist zu berücksichtigen, daß in den „Reden" wie auch in der „Glaubenslehre" der Hinweis auf die Notwendigkeit der positiven Religion im Zusammenhang von christologischen Vorerwägungen steht. In den „Reden" wird die Hinführung zu dem „Mittler" vorbereitet45, in der „Glaubenslehre" die Beziehung „auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung"4®. Gewiß geht es dabei dann auch um das Individuationsprinzip, durch das die christliche Religion konstituiert und von allen anderen Religionen unterschieden wird. In den „Reden" wird nun diese Individuation durch zwei Begriffe bezeichnet: durch den des „unbegreiflichen Faktum 47 " und durch den der „Grund-", „Zentral-" oder „Fundamentalanschauung48". Beide Begriffe haben eine objektive und eine subjektive Seite — objektiv, sofern die Individualität einer Religion gemeint ist, subjektiv, sofern die Religion eines Individuum gemeint ist49. Diese Parallelität dient nicht nur zur Stützung der These, daß subjektive Religion nur im Rahmen einer objektiv-positiven Religion möglich ist. Ebenso wie die Nebeneinanderstellung Der diristl. Glaube § 10 Zus. Vgl. hierzu folgende Stellen: „Reden", S. 237 f ; 242 ff; 264 ff; Der diristl. Glaube, § 10 Zus. 44 Wie es P. Seifert, a. a. O. S. 158 ff tut. 4 5 In der ersten Auflage der „Reden" wird in der Einleitung zur fünften Rede der Religionsbegriff mit der Inkarnationsvorstellung verbunden: „Ich will Euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist, hinführen; idi will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert h a t . . ( S . 237). Der Satz, dessen erster Teil in der dritten Auflage gestrichen ist, enthält zweifellos eine indirekte christologische Aussage. 48 § 1 1 . 4 7 S. 267, 268, 283. 48 S. 265, 260, 281. 4 8 S. 265. 42

43

206

von „Faktum" und „Grundanschauung" zielt sie darauf ab, die Objektivierung durch einen positivistischen Tatsachenbegriff zu überwinden. Der „Augenblick", der „Moment", in dem eine Religion in der Geschichte sich individualisiert, entspricht dem Augenblick, in dem im Leben eines Individuums ein „religiöses Leben", ein „neuer Mensch" entsteht50. In Schleiermachers theologischer Terminologie handelt es sich um die Entsprechung von Inkarnation bzw. Offenbarung und Wiedergeburt, um die typische Korrelation von Christologie und Soteriologie. Die indirekte Ausdrucksweise in der ersten Auflage der „Reden" wird präzisiert und in eine direkte umgesetzt in den späteren Auflagen und vor allem in der „Glaubenslehre". Während in den „Reden" die Begegnung mit dem transzendenten Grund als „Anschauung des Universums" bezeichnet wurde, spricht er in der „Glaubenslehre" von der „Bestimmung des frommen Selbstbewußtseins" und dem „Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit" 51 . Beides steht für eine nicht durch Denken oder Tun, Metaphysik oder Moral vermittelte Indifferenz gegenüber dem transzendenten Grund. Der Begriff der „Grundanschauung" fehlt daher auch in der „Glaubenslehre", und an seine Stelle tritt die „Wirkung auf das Selbstbewußtsein52. Der Begriff der „Tatsache", des „Grundfaktums" hingegen wird beibehalten. In der „Glaubenslehre" wird dieser Komplex zuerst in einem Exkurs über das „Positive" und die „Offenbarung" behandelt 53 . Danach wird unter der „Tatsache" ebenfalls der Anfang einer Religion verstanden, auf den sie sich immer wieder zurückbezieht. Unter dem Begriff der Offenbarung wird dann verstanden „die Ursprünglichkeit der einer religiösen Gemeinschaft zum Grunde liegenden Tatsache, insofern sie als den individuellen Gehalt der in der Gemeinschaft vorkommenden frommen Erregungen bedingend selbst nicht wieder aus dem früheren geschichtlichen Zusammenhang zu begreifen ist". Sie schließt eine „göttliche Kausalität ein", ist „eine auf das Heil der Menschen abzweckende und es fördernde Wirksamkeit", aber sie ist nicht eine auf den Menschen als erkennendes Wesen gerichtete Wirkung. Das heißt, sie ist „nicht Lehre", sondern „Wirkung auf das Selbstbewußtsein". Sie ist ein „in der Seele aufgehendes Urbild". Auch hier geht es eindeutig um die Uberwindung der zeitlichen wie auch logischen Differenz zwischen dem ursprünglichen Faktum und der Gegenwart. Anders ausgedrückt: Es geht um den Aufweis eines „unmittelbaren Existentialverhältnisses 54 " zwischen dem geschichtlichen Ursprung der Religion und dem gegenwärtigen Glauben. Es ist eine Vermittlung, die nicht in einer objektivierten und dann auf das Denken oder Tun ge5

61 » S. 265 f, 282 ff. §§ 3 ff. Sendschreiben an Lücke (Mulert), S. 15.

52

§ 10, Zus.

63

§ 10, Zus.

54

207

richteten Lehre besteht, aber sie schließt zugleich aus, daß sie nach außen hin aufweisbar ist. Sie ist, so könnte man sagen, Gegenstand des Glaubens und nur dem Glauben, den sie bewirkt, verständlich55. Entschlüsselt wird dieser zunächst allgemein aufgestellte Schematismus in der „Glaubenslehre" durch die §§ 11—14, und zwar vor allem mit der bekannten These des § 11, wo das eigentümliche Wesen des Christentums durch die Beziehung „auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung" definiert wird. Bei dieser Formel kann die für die Christologie entscheidende Frage gestellt werden, ob in ihr nicht die Lehre von der Person ganz durch die Lehre von dem Werk Christi absorbiert und die Christologie in eine in der Bestimmung des frommen Bewußtseins sich erschöpfende und damit rein subjektive Soteriologie aufgelöst wird. Geht es nur um ein subjektives Erlösungsbewußtsein, oder wird hier auch eine eigene Bedeutung der Person Christi angenommen? In der theologiegeschichtlichen Front Schleiermachers, in der er sich gegen eine Auflösung des Historischen in allgemeine Vernunftwahrheiten oder in eine Idee der praktischen Vernunft wehrt, kann es keine Frage sein, daß die dogmatische Funktion dieses Gedankengangs gerade nicht auf eine subjektivistische Auflösung, sondern auf die Bewahrung des Historischen gerichtet ist. Das in der Person Jesu gegebene Grundfaktum des Christentums wird als die bleibende und unaufgebbare Bestimmtheit des christlichen Glaubens erwiesen, und darin unterscheidet sich das positive Verständnis des Christentums von allen rationalistischen und idealistischen Religionsvorstellungen. Dies findet seine Bestätigung darin, daß 56 das Erlösungsbewußtsein prinzipiell, sofern es christlich sein soll, nicht von der Person Jesu als dem Anfänger und Stifter der christlichen Gemeinschaft getrennt werden darf. Aber Stifter ist er nicht allein in dem zeitlichen Sinn des historischen Anfangs oder durch die bloße Mitteilung einer Lehre oder Lebensordnung57 wie andere Religionsstifter, sondern als Erlöser. In der Erlösung wird das historisdie Grundfaktum der Person Jesu zur geschichtlich gegenwärtigen Wirklichkeit. Das Verhältnis zwischen beiden beschreibt Schleiermacher als ein kausales von Ursache und Wirkung 58 . Bei aller Problematik dieser kausalen Verbindung ist jedoch ein Primat der Ursache, des Grundfaktums und damit der Person Jesu vorausgesetzt. Gegenüber den „Reden" zeigt sich an diesem Punkt in der „Glaubenslehre" zweifellos eine noch stärkere Betonung der Person Jesu. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß Grundfaktum und Grundanschauung nun nicht mehr in einem mehr zufälligen Verhältnis nebeneinanderstehen. Die Person Jesu und die Erlösung bilden vielmehr eine Einheit. Außerdem wird die Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht 55

208

§ 10, Zus., vgl. § 11,5.

M

§ 11,3.

57

§ 11,4.

58

§ 14,1.

mehr durch die Entsprechung oder Parallelität von objektiv-positiver und persönlich-positiver Religion hergestellt, sondern in einer unmittelbaren Kontinuität zwischen einst und jetzt. Gegenüber der Vieldeutigkeit des Mittlerbegriffs in den „Reden" wird nun die Einzigkeit und fortdauernde Gültigkeit und Wirksamkeit der durdi Jesus von Nazareth vollbrachten Erlösung betont. Positiv ist also nicht allein das geschichtliche Phänomen einer christlichen Glaubensweise, sondern die bleibende Wirkung eines historischen Faktums, der Person Jesu. Damit ist das Christentum als positive Religion eindeutig christologisch bestimmt. 3. Der

Christozentrismus

Worin besteht nun die Funktion der historischen Jesusfrage in dem System des theologischen Denkens bei Schleiermacher? Die in den beiden vorangehenden Abschnitten angestellten Erwägungen erlauben bereits ein Urteil, das jedoch noch nicht die eigentliche Christologie einschließt, sondern nur deren Prolegomena. Inwiefern besteht ein Interesse an der historisdien Jesusfrage; inwiefern kann man bei Schleiermacher von einem Christozentrismus sprechen? Beide Fragen können gemeinsam beantwortet werden; denn es ist ja deutlich, daß die historische Jesusfrage von Schleiermacher nicht im Sinne eines historischen Positivismus aufgefaßt wird. Im Unterschied zu manchen Vertretern der historischen Jesusforschung wird das theologische Anliegen nicht nur indirekt vertreten, sondern ausdrücklich betont. Im Gegensatz zu dem Wissenschaftsbegriff seiner Zeit gibt es für Schleiermacher keinen prinzipiellen Konflikt zwischen einer historisdien und einer dogmatischen Betrachtungsweise, zwischen dem Zufälligen und dem Idealen, wie es z. B. bei Lessing, Kant und Strauß der Fall ist. Schleiermacher hat mindestens dies erkannt, daß in dem dogmatischen Axiom einer „Lehre und Ordnung 59 " ebenso die Gefahr einer Objektivation liegt wie in der Annahme eines Faktum an sich. Das Postulat einer allgemeingültigen und allgemeinverständlichen Vernunftwahrheit vermag also auch nidit, die zeitliche und logische Differenz zwischen dem Gegenwärtigen und dem Vergangenen zu überwinden. Die bloße Abstraktion von der Zeitgebundenheit der Person Jesu führt nicht automatisch zu einer Vergegenwärtigung durch den Aufweis zeitloser Wahrheiten und Inhalte, sondern allenfalls zu einer Auflösung des Christentums, wofür Strauß den nachträglichen Beweis geliefert hat. Diese unübersehbare Antithese macht es schon problematisch, Schleiermacher einfach unter die Kategorie einer anthropozentrischen Bewußtseinstheologie einzuordnen. Die historische Jesusfrage dient bei ihm nicht der Scheidung zwischen Vergänglichem und Blei» §2,1; §10, Zus.; §11,4. 14

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

209

bendem, sondern sie zielt gerade auf die Verbindung des Vergangenen mit dem Gegenwärtigen in der bleibenden Bedeutung und Wirksamkeit der Person Jesu Christi. Die Person Jesu ist für Schleiermacher zweifellos auch kein Bewußtseinsinhalt oder eine „freie Schöpfung des Selbstbewußtseins" wie bei B. Bauer™. Sie ist aber auch nicht die einer frommen oder ästhetischen Betrachtung sich enthüllende exemplarisch religiöse Persönlichkeit, die sich glaubensbegründend auch dem Unglauben offenbaren kann, wie später die positive Jesusforschung meinte81. Die „geschichtliche Darstellung seines Lebens und Wesens82" ist nur eine äußere Hilfe, aber nicht die eigentliche Wirkung. Die angeführten Extreme gehen beide auf bestimmte Elemente in Schleiermachers Theologie zurück. Während im ersten Fall das personale Gegenüber völlig im Selbstbewußtsein aufgelöst wird, bleibt es im zweiten Fall ein Gegenstand des Erkennens. Die Erlösung wird in beiden Fällen zwangsläufig zu einem Akzidens im Erkenntnis- und Denkprozeß. Bevor sich die Untersuchung auf das richtet, was Schleiermacher nun im einzelnen dogmatisch unter der Person Jesu und ihrer Erlöserwirkung versteht, wird man diesen Ansatz sehen müssen und ebenso die theologiegeschichtlichen Fronten, in denen er entwickelt wird. Dann kann eigentlich kein Zweifel bestehen, daß die Person Jesu Christi als historisches Faktum und als geschichtlich fortwirkender Grund der Erlösung im Zentrum dieser Theologie steht und daß diese Theologie in ihrem Ansatz und in ihrer Intention eine christozentrische Theologie sein will. B. Die Person Jesu Christi Die auch die Christologie bestimmende Eigenart von Schleiermachers Theologie besteht vor allem darin, daß die zeitliche und logische Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Objektivität und Subjektivität nicht durch Denken oder Handeln, sondern durch eine Bestimmung des frommen Selbstbewußtseins überwunden wird. Ausgeschieden werden damit die rationalistischen und idealistischen Tendenzen jener Zeit. Schleiermacher will demgegenüber, wie wir sahen, an der geschichtlichen Person Jesu festhalten und die beiden Extreme eines historischen Positivismus und eines ungeschichtlichen Idealismus vermeiden. An die Stelle einer am Denken oder Handeln orientierten Vermittlung tritt bei ihm ein Kausalzusammenhang von Ursache und Wirkung, der in zwei Richtungen systematisch zur Geltung gebracht wird. Der ontische Primat liegt in der Ursache, d. h. in dem Bewußtsein der Gnade. Dies bedeutet, daß Christus nur dort recht erkannt werden kann, wo er auf das Selbstbewußtsein wirkt 83 . Nach der christozentrischen Intention Schleiermachers 60

210

Siehe oben S. 68.

« Siehe oben S. 84 ff.

82

§ 14,1.

63

§ 10, Zus.; § 11,3—5.

ist Christus selbst als Subjekt die Ursache dieser Wirkung, und die zeitlich-logische Differenz wird mithin nicht erst durch die Aktivität des Erkennens und Wollens vermittelt. In der Konsequenz liegt aber die Gefahr einer Identität nahe, in der das Sein ganz im Bewußtsein aufgeht und der christozentrische Ansatz in einen anthropozentrischen umschlägt. Die Frage, um die es bei der Untersuchung von Schleiermachers Aussagen über die Person Jesu Christi gehen muß, kann daher nicht sein, ob er dabei von .historischen' oder ,dogmatischen' Voraussetzungen ausgeht. Abgesehen davon, daß sich diese Alternative schon im ersten Teil unserer Arbeit bei der historischen Jesusforschung theologiegeschichtlich und theologisch als unhaltbar erwiesen hat, wird gerade bei Schleiermacher das die Theologie im Grunde bis heute beschäftigende Problem deutlich: Wie kann von einer geschichtlichen Individualität eine die Gegenwart personal, d. h. als Subjekt bestimmende Wirklichkeit ausgesagt werden? Der Lösungsversuch Schleiermachers läßt sich am besten unter drei Themenkreisen erfassen: in seinem konstruktiven christologischen Entwurf, in dem Verhältnis von Christologie und Soteriologie und in seiner Kritik des christologischen Dogmas. 1. Individuum und Urbild Der konstruktive christologisdie Entwurf Schleiermachers ist durch zwei Formeln gekennzeichnet: durch die Begriffe „geschichtliches Einzelwesen" und „Urbildlichkeit" sowie durch die Formel vom „Sein Gottes i n . . ." M . Damit sind die beiden die Lehre von der Person Christi bestimmenden Motive gekennzeichnet. Bei dem ersten steht das Zeitproblem, bei dem zweiten das ontologische Problem der Christologie im Vordergrund. Sie sind durch das Axiom verbunden, daß Wirksamkeit und Würde des Erlösers nicht voneinander getrennt werden dürfen 45 . Wirksamkeit und Würde, Person und Werk, Christologie und Soteriologie sind durchgehend gleichgesetzt nach dem alles beherrschenden Schema von Ursache und Wirkung. Nach diesem Prinzip scheiden von vornherein alle Aussagen über Person und Werk Christi aus, die nur als rein historische Tatsache beurteilt werden können. Hierzu gehören die Jungfrauengeburt, die Auferstehung, die Himmelfahrt, die Wiederkunft zum Gericht, der Gedanke des Strafleidens und die Zweiständelehre 88 . Nach dem von Schleiermacher in den §§ 29 und 30 aufgestellten Kanon über die Formen dogmatischer Sätze können sie nicht als „Beschreibung menschlicher Lebenszustände" und mithin nicht als Gegenstand innerer Erfahrung angesehen werden. Sie sind nicht „Aussagen über ein unmittelbares Existential Verhältnis", da sie nur dem „objektiven Bewußtsein®7" angehören. 94

14*

§§ 93 u. 94.

6 0 6 ff 40 A. a. O. S. 556 und 575 ff. Dorner beruft sich auf G. Droysen (Grundriß der Historik. 1868), indem er gegen Schultz zwischen der mechanischen Gesetzmäßigkeit der Naturwissenschaften und der auf den Geist gerichteten .Historik' unterscheidet (a. a. O. S. 572). Allerdings hat sich diese Unterscheidung in der Theologie erst später bei E. Troeltsch und G. Wobbermin durchgesetzt.

233

sieht Dorner vor allem die Gefahr, daß der Glaubensinhalt in allgemeine, absolute Wahrheiten aufgelöst wird, wobei das Historische keine konstitutive, sondern lediglich eine vermittelnde Bedeutung hat 41 . Formal läßt sich die hier aufbrechende Differenz wohl am besten auf dem Hintergrund des Apriori-Problems zeigen, wie es in Schleiermachers Schema von Ursache und Wirkung angelegt, aber m. E. nicht aufgelöst ist. Demnach setzt Schultz bei dem Primat des Noetischen in der gegenwärtigen Wirkung ein, während Dorner den Primat des Ontischen auch in der Glaubenserkenntnis nicht nur als eine zu erschließende Ursache, sondern in einer geschichtlichen Personalität zur Geltung zu bringen versucht42. 3. Wenn man die beiden in dieser Diskussion vertretenen Positionen auf einen Punkt zuspitzt, der freilich noch keineswegs in dieser Schärfe erreicht ist, so verlaufen die Fronten folgendermaßen: Bei H . Schultz führt die Skepsis gegenüber der historisch-kritischen Forschung und dem hypothetischen Charakter ihrer Ergebnisse zu einer Trennung zwischen dem historischen und dem religiösen Urteil. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus vermag nur der geistgewirkte Glaube zu sprechen, nicht aber der historische Befund zu beweisen. Für die Christologie entsteht jedoch aus diesem an sich keineswegs unberechtigten Ansatz die Gefahr, daß mit der Unterscheidung zwischen einer „Lehre von dem Christus" und einer „Lehre von Jesus als dem Christus" Idee und Individuum nur auf dem Wege des religiös-sittlichen Urteils, nicht aber wesenhaft und geschichtlich-personal miteinander verbunden sind, obwohl Schultz, was ihm Dorner auch zugesteht, dies keineswegs direkt beabsichtigt48. Auf der anderen Seite steht bei I. A. Dorner angesichts dieser naheliegenden Konsequenzen das Bemühen, aller historischen Skepsis zum Trotz die geschichtlich-personale Einzigkeit der Erscheinung Jesu festzuhalten. Das Motiv erschöpft sich dabei keineswegs in der positiven Beurteilung des historischen Erkennens und des Quellenbefunds. Es ist vielmehr ein christologisches Anliegen. Bei Schultz sieht er die Gefahr, daß die geschichtliche Person Jesu nicht mehr als eine zufällige Bedeutung mit einem subordinatianischen Einschlag habe. „Mag immerhin die Geschichte auch Äußerliches, Vergangenes, für den Glauben Unwesentliches oder Entbehrliches enthalten..., ebenso gewiß ist, . . . daß sie auch ,Unvergangenes' enthält, und so lange dieses Geschichtliche nicht erkannt ist, ist eben die Geschichte noch nicht verstanden' 44 ." — „Es gibt geewigtes Geschichtliches; der Glaube, dessen Blick aus den stummen Zügen der Berichte das lebenswarme Bild des Erlösers wieder hervorzulocken 41 43 44

234

48 A. a. O. S. 43 und 583. A. a. O. S. 586 ff. Vgl. das Zitat oben in Anm. 36 und Dorner, a. a. O. S. 585. A. a. O. S. 592 f.

weiß, weiß zugleich in der lebendigen Person des erhöheten Herrn den wesentlichen Gehalt seiner Geschichte aufbewahrt und geewigt, weil, was er tat und litt, hervorging aus seinem ,ewigen Geist'. . . . Das scheinbar Zufällige wird damit zugleich als notwendig begriffen. . . . Der Glaube ferner erkennt die geschichtlich nach Raum und Zeit begrenzte Einzelpersönlichkeit Jesu Christi in ihrer centralen und universalen Bedeutung für die Menschheit, weil als zureichend für das Heil aller mit der Fülle der Heilskräfte ausgestattet; und gerade in dem scheinbar Entwürdigenden, Erniedrigenden seiner Schicksale schaut er die Herrlichkeit seiner L i e b e . . . So schließt sich Zeit und Ewigkeit, Geschichtliches und Ideales unauflöslich zusammen45." 3. Das

Ergebnis

Ein abschließendes Urteil ist angesichts der Vorläufigkeit und der Unklarheiten dieser Diskussion schwerlich zu fällen. Es geht auf beiden Seiten weniger um feste Positionen, als um mögliche Konsequenzen, die sich aus einer unterschiedlichen Einstellung zu den Grenzen und Möglichkeiten der historischen Jesusforschung für die dogmatische Christologie ergeben. In ihren späteren christologischen Gesamtdarstellungen haben sich die Gesprächspartner auch zweifellos einander genähert: bei Dorner durch die Unterscheidung zwischen einer natürlichen und einer ethischerworbenen Gottmenschheit Jesu Christi, bei Schultz in der Betonung der Gottheit Christi im Anschluß an die Lehre von der ,communicatio idiomatum' 46 . Bei beiden führt das Interesse an der vollen Geschichtlichkeit Jesu Christi auch zur Ablehnung der Anhypostasie der menschlichen Natur in der Person des Gottmenschen47. Hier aber teilen sich die Wege: Schultz ist dogmatisch in seiner Christologie an der Relation zwischen Wirkung und Ursache interessiert. Die Wirkung bildet den Erkenntnisgrund für die Person Jesu Christi in ihrer Eigenart und Einzigkeit. In der Lehre von der Person Jesu Christi geht er nicht von dem Sein der Person aus, sondern unter den Postulaten der Anthropologie wird von der erfahrenen und bezeugten Wirkung her nach dem Werden des Menschen Jesus zum Christus gefragt 48 . Bei Dorner hingegen steht nicht der Prozeß des Werdens und Erkennens im Vordergrund, sondern das Sein der gottmenschlichen Person, das erst in einem zweiten Schritt mit einem geschichtlich-menschlichen Werden verbunden wird. Greifbar wird dieser Unterschied darin, daß Dorner nicht auf die Trinitätslehre und damit auch nicht auf Aussagen 45

46 A. a. O. S. 593. Siehe oben S. 227 ff. JDTh 20 (1875) S. 229 ff, bes. S. 231.242.244. JDTh 19 (1874) 602 f. 48 JDTh 19 (1874) S. 57 f. Daher lehnt Schultz auch eine Lehre von der .Erniedrigung' zugunsten einer ,Niedrigkeit' ab, die sich dann zur Verklärung entwickelt (S. 59 und JDTh 20 [1875] S. 231.246). 47

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über die Präexistenz verzichtet. Bei Schultz beschränken sich die Präexistenzaussagen, wie wir sahen, auf die überzeitliche „Lehre von dem Christus". Bei Dorner hingegen ist diese „Christusidee" über die Präexistenzvorstellung von vornherein personal mit der Person Jesu Christi verbunden und auf die Inkarnation gerichtet. Die Einzigkeit Jesu wird also nicht auf seine Wirkung beschränkt, sondern auch als „metaphysische Aussage" festgehalten49. Darin scheint sich der spekulative' Ansatz Dorners von der Existenzbezogenheit in dem religiös-sittlichen Urteil bei H . Schultz zu scheiden und zugleich die christologische von der hermeneutischen Intention. Beiden Theologen geht es um die Einheit von Idealem und Geschichtlichem in der Person Jesu Christi. Beiden geht es um die volle Menschheit Jesu Christi. Aber während Schultz von der Wirkung auf das Sein der Ursache schließt, versucht Dorner in dem Sein auch den Erkenntnisgrund als einen personalen und nicht nur kausalen festzuhalten, d. h. an der Realität des Seins unabhängig von dem subjektiven Erkennen, „denn damit hätten wir möglicherweise zum Objekt des Erkennens nur das Subjekt selbst, ohne ein objektives Erkennen Gottes und göttlicher Taten; da bliebe der Verstand nur außerhalb der Sache, höchstens suchte er durch Rückschlüsse auf eine Objektivität als den zureichenden Grund für die christlichen Gemütszustände zu kommen, während dieser objektive, lebendige Grund nur außerhalb des Verstandes und nicht in lebendigem Kontakt mit ihm selbst wäre" 50 . Bei Schultz, so könnte man diesen Gegensatz formulieren, besteht die Glaubenserkenntnis in der Rekonstruktion der Ursache auf Grund einer empfangenen Wirkung; bei Dorner hingegen besteht sie in der Erfassung einer personalen Objektivität, eines personalen Gegenübers. In der Auseinandersetzung mit Schleiermachers Christologie und mit der historischen Jesusforschung wird also hier die Personalität der Offenbarung Gottes in Christus zu dem dogmatischen Problem der historischen Jesusfrage. B. Die Person Jesu Christi als dogmatischer Erkenntnisgrund. A. Ritsehl



In der Aufnahme der historischen Jesusfrage in die dogmatische Christologie nimmt A. Ritsehl51 eine besondere Stellung ein, wie überhaupt seine Schule trotz aller Kritik, der sie ausgesetzt ist, nachhaltig auch auf 50 I. A. Dorner, Glaubenslehre I, S. 150. * ' Siehe oben S. 227 f. S 1 Außer der in Anm. 22 zu Kap. V. erwähnten Literatur: O. Ritsehl, Albrecht Ritsdils Leben. 2 Bde. Freiburg-Leipzig 1892 und 1896; Gösta Hök, Die elliptische Theologie Albredit Ritschis nach Ursprung und innerem Zusammenhang. Uppsala-Leipzig 1942; Paul Wrzecionko, Die philosophischen Wurzeln der Theologie Albredit Ritsdils. Ein Beitrag zum Problem des Verhältnisses von Theologie und Philosophie im 19. Jahrhundert. Berlin 1964.

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die ,neue Frage nach dem historischen Jesus' eingewirkt hat. Diese Zusammenhänge sind bisher noch kaum untersucht worden 52 . Denn im Vordergrund des Interesses an Ritsehl stehen vorwiegend seine Lehre vom Reich Gottes und der damit verbundene Ethizismus, nach denen seine Theologie sehr leicht unter das Verdikt eines reinen Immanentismus oder gar des Kulturprotestantismus gerät. E. Fuchs hat sicher nicht ganz unrecht, wenn er meint, daß die Kritik von J. Weiß an Ritschis Kantianismus in der Lehre vom Reich Gottes überbewertet worden ist58. Aber in der positiven Bewertung von Ritschis Reich-Gottes-Vorstellung bei E. Fuchs zeigt sich zwar nicht ein direkter Einfluß, aber doch eine gewisse Affinität zwischen der neueren Existenztheologie und dem theologischen Anliegen Ritschis. J. Weiß hatte in seinem Werk „Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes" gerade den historisch unvereinbaren Gegensatz zwischen der apokalyptischen Eschatologie Jesu und ihrer schon in der frühchristlichen Gemeinde erfolgten Umbiegung herausgestellt54. Doch mit dem Aufweis dieses Gegensatzes hat er gleichzeitig an der These der Ritschlschen Schule festgehalten, daß die Theologie nicht bei dem ,historischen Jesus' und seiner zeit- und persongebundenen Verkündigung anknüpfen und diese unmittelbar übernehmen könne, sondern daß sie auf eine Interpretation angewiesen ist, die von einem „nachträglichen Werturteil" und einer besonderen „religiösen Schätzung des Lebenswerkes Christi" ausgeht und dieses „religiöse Glaubensurteil" zur Grundlage ihres Systems macht55. Damit wird die geschichtliche Erforschung des Lebens Jesu scharf von dem religiösen Glaubensurteil der Gemeinde unterschieden56. ,Historie' und ,Geschichte', wenn man diese von Weiß noch nicht verwendete Terminologie hier einführen darf, sind unvereinbar. Denn nach aller Erfahrung steht die christliche Gemeinde nicht mehr wie Jesus in der Erwartung des Kommenden, sondern auf dem Grund des Gekommenen. Der Immanentismus und Ethizismus läßt sich zwar nicht historisch rechtfertigen, aber er bildet eine zwangsläufige geschichtliche Entwicklung. 52 Ein Ansatz dazu findet sich bei Bruno Berndt, D i e Bedeutung der Person und Verkündigung Jesu für die Vorstellung vom Reiche Gottes bei Albrecht Ritschi. Ungedr. Diss. Tübingen 1959. Vgl. ThLZ 85 (1960) Sp. 464. 53 E. Fuchs, Zur Frage nach dem historischen Jesus. Tübingen 1960. S. 194. 54 J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes. Neudruck Göttingen 1964. S. 176 f. 55 Vgl. o. S. 96 f. A. a. O. S. 177 f. 5 ' Ob dies dann auch noch den Intentionen von E. Fuchs entspricht, mag dahingestellt bleiben. D a ß gegen Ritsdil nicht ohne weiteres der Vorwurf einer „Säkularisierung" im allgemeinen erhoben werden darf, ist von E. Fuchs sehr richtig gesehen worden. Daneben läßt sich jedoch nicht bestreiten, daß die Eschatologie in Ritschis System keinen Platz hat. Die Kritik von J. Weiß an A. Ritsehl richtet sich auf die exegetisch-historische, nicht aber auf die dogmatische Problematik. D i e von J. Weiß nur angedeuteten dogmatischen Konsequenzen seiner Arbeit (s. o. Anm. 54 und 55) liegen wieder ganz auf der Linie von Ritschis Theologie.

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Von Ritsehl selbst wird diese Diskrepanz zwischen dem Gewesenen und Gewordenen nicht ausdrücklich reflektiert. Aber es ist kaum anzunehmen, daß er sich ihrer nicht bewußt gewesen sei. Seine Abwendung von der Schule F. C. Baurs bedeutet keineswegs, daß er damit auch die Vorstellung von der spannungsreichen frühchristlichen Traditionsbildung in verschiedenen Parteien, Schulrichtungen und Kulturkreisen aufgegeben hätte 57 . Die wichtige und für die Stellung zur historischen Jesusfrage bedeutsame Korrektur besteht jedoch darin, daß Ritsehl den rein ideengeschichtlichen Traditionsprozeß der Baurschen Schule mit einem an das reformatorische anschließenden christozentrischen Schriftprinzip zu korrigieren sucht. Nicht der objektive Geist in seiner geschichtlichen Konkretisierung, sondern die Person Jesu Christi auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Offenbarungsgeschichte bildet das normative Kriterium der christlichen Traditions- und Lehrbildung 58 . 1. Der christozentrische Ansatz Wie zahlreiche andere Theologen im Gefolge Schleiermachers und in der Front gegen D. F. Strauß geht auch Ritsehl von einem christozentrischen Ansatz aus, insofern seine Theologie davon bestimmt ist, die Einzigkeit der Person Jesu Christi in ihrer bleibenden geschichtlichen Bedeutung und Wirksamkeit zur Geltung zu bringen. Trotz aller Einwände, denen dieser Ansatz nicht nur bei seinen Gegnern, sondern auch bei seinen Schülern begegnet59, ist gegenüber den früheren Versuchen festzustellen, daß die christozentrische Orientierung durch eine besondere Betonung der geschichtlichen Person Jesu Christi präzisiert wird. Von dem idealistisch geprägten ,Christusprinzip' ist bei Ritsehl nicht mehr die Rede, und diese Abkehr wird auch terminologisch darin sichtbar, daß explizit der Begriff der „Gottheit Christi" aufgenommen wird und den Ausgangspunkt der Lehre von der Person Christi bildet 60 . Ritsdil ist ferner in seiner Theologie bestrebt, die reformatorische Grunderkenntnis von der Rechtfertigung durch Christus im Glauben konsequent durchzuführen, dies freilich nicht ohne erhebliche Veränderungen. Was ihn theologiegeschichtlich an Luther interessiert und was sich dann auch in der Vorliebe für bestimmte Stellen aus Luthers Kate57 Vgl. dazu die beiden Auflagen von A. Ritsehl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche. Bonn 1850 und 1857. O. Ritsehl, A. Rs. Leben, I, S. 263 ff und II, S. 90 ff. Vgl. auch Ritsdils Erwägungen zum Schriftprinzip in „Rechtfertigung und Versöhnung" II 4 , S. 10 ff und 23 ff. 58 RuV II, S. 16. Damit wird von Ritsehl erstmals wieder die Geltung des A T für die Dogmatik betont. 5 * E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi, S. 297 ff. 60 Rechtfertigung und Versöhnung, 4. Aufl. (im folgenden RuV) III, S. 364 ff und 377 ff.

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chismen, aus der C. A. und aus der Theologie Melanchthons zeigt®1, ist die in dem „pro me" zum Ausdruck kommende Existenzbezogenheit der dogmatischen Aussagen. Demgegenüber wird das Festhalten der Reformatoren am altkirchlichen, trinitarischen und christologischen Dogma als eine zeitbedingte Inkonsequenz beurteilt. Im Anschluß an seine Auffassung von der reformatorischen Christologie sieht Ritsehl aber nun auch seine dogmatische Aufgabe darin, nicht allein an der Gottheit Christi festzuhalten, sondern sie so zu bestimmen, daß der Verzicht auf eine Bestimmung durch eine immanente Trinitätslehre und die Zweinaturenlehre nicht zu dem Attribut eines bloßen Menschseins führt 62 . Damit versucht er sowohl eine rein spekulative' wie auch eine rein ,historische' Begründung der Christologie zu vermeiden. Die Christologie soll weder Metaphysik noch Leben-Jesu-Forschung sein. Der diristozentrische Ansatz Ritschis erhält sein besonderes Gepräge dadurch, daß er, abgesehen von dem „Unterricht in der christlichen Religion", nicht im Rahmen eines traditionellen dogmatischen Lehrsystems entfaltet wird. Der dritte Band von „Rechtfertigung und Versöhnung" bringt lediglich das Kernstück einer Dogmatik, aber es fehlen die Lehre von der Schöpfung und Erhaltung, von der Kirche und den Gnadenmitteln und von der Eschatologie. Dieser Verzicht ist nicht allein durch die thematische Begrenzung bedingt, sondern, wie ein Vergleich mit dem „Unterricht" sehr schnell zeigt, durdi eine sachliche Reduktion 83 . Die Dogmatik beschränkt sich auf das, was durch die gnädige Hinwendung Gottes in Jesus Christus zum Menschen erfahrbare Wirklichkeit ist und die geschichtliche Situation des Mensdien bestimmt. In den Einzelheiten kommt dies darin zum Ausdruck, daß entgegen der herkömmlichen Anordnung die Rechtfertigung vor die Versöhnung gestellt wird, daß stellvertretendes Strafleiden, Aussagen über den Zorn Gottes sowie alle Aussagen, die nur auf das Verhältnis zwischen Gott und Christus Bezug nehmen, ausgeschieden werden, da sie unter der Erfahrung von Liebe, Gnade und Treue Gottes nicht unmittelbar, sondern nur als spekulative Konklusion einsichtig sind. Hierzu gehört schließlich auch, daß alle christologischen Aussagen auf die geschichtliche Existenz Jesu konzentriert werden. Diese bekannten Reduktionen stehen ganz auf der Linie von Schleiermachers Theologie. Doch bei Ritsehl liegt die Gefahr, daß die Christologie ganz in der Soteriologie aufgeht, noch näher als bei Schleiermacher. 4 1 Vgl. R u V I, 141; III, S. 201 ff, 215, 272 f, 274 f, speziell zur Christologie III, S. 370 ff; Theologie und Metaphysik, Bonn 1881 1 , S. 51. D a s Zitat aus der .Introductio' zu Melanchthons Loci von 1521, „hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognosc e r e . . k e n n z e i c h n e t gewissermaßen das diristologisdie Programm der Ritschlschen 6 2 R u V III, S. 375. Schule. 6 3 Im vierten Teil des „Unterrichts in der diristlidien Religion" (Bonn 1903 6 ) werden die Lehrstücke des dritten Artikels weiter ausgeführt.

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Denn wo bei Schleiermacher die Personwirkung in der Geschichte christologisdi gedeutet wird, geht Ritsehl von einem Primat der Ekklesiologie aus64, der noch durch die Nebeneinanderstellung der von der Person Christi ausgehenden Erlösungswirkung und der ethischen Auffassung des Christentums als Reich Gottes als den beiden Brennpunkten einer Ellipse verstärkt wird 65 . Man könnte direkt von einem ethisch ausgerichteten christologischen Pragmatismus sprechen. Allerdings liegt an dieser Stelle nun auch ein wesentlicher Unterschied zu Schleiermachers Christologie, und zwar besonders in zwei Punkten: in dem Personverständnis und in der Umbildung des rein mechanischen Kausalverhältnisses durch das Schema der „Wechselbeziehung" oder „Korrelation". In diesen beiden Vorstellungskreisen wird die organische Verbindung von Ursache und Wirkung bei Schleiermacher von Ritsehl zu einer personalen Gegenüberstellung umgebildet. 2. Die christologischen Prinzipien Der angedeutete Unterschied zu Schleiermacher ist für Ritschis Stellung zur historischen Jesusfrage von entscheidendem Gewicht. Wir haben es bei Ritsehl nicht einfach mit einem erkenntnistheoretischen Schluß von der Wirkung auf die Ursache zu tun. Die These, daß „die Glieder der christlichen Gemeinde ihr Bewußtsein von Sündenvergebung auf die Person und das Wirken und Leiden Jesu zurückführen", wird bereits ergänzt durch den Hinweis: „hierin gibt sich kund, daß die Absicht Jesu auf Sündenvergebung einen Erfolg gehabt hat" 86 . Die dogmatische Korrektur liegt darin, daß die Personwirkung nicht wie bei Schleiermacher aus dem Sein, sondern aus der Tat der Person abgeleitet wird. Sie liegt ferner darin, daß die Person Jesu Christi nicht allein als Ursache, sondern als bleibendes und allgemeingültiges Kriterium aller dogmatischen Aussagen gilt67. Der negative Aspekt dieser dogmatischen Intention kann an Ritschis Ablehnung der Metaphysik 68 und der Leben-Jesu-Forschung gezeigt 64

RuV III, S. 517. Vgl. O. RitsM, A. Rs. Leben. II, S. 50 ff und 223. 66 RuV III, S. 11. RuV III, S. 1. 7 * Hierzu gehört auch Ritschis christozentrisches Schriftprinzip. RuV II, S. 8 ff. 88 Die Begriffe „Metaphysik" und „Spekulation" werden in der Risdilsdien Schule recht undifferenziert verwendet. Dies hat sich nicht zuletzt verhängnisvoll für die Darstellungen der Dogmengeschidite ausgewirkt (z. B. bei A. v. Harnack). Sofern damit das gemeint ist, was sidi nicht auf das empirisch Wahrnehmbare bezieht, wäre evtl. eine Abgrenzung denkbar. Aber man meint auch damit Aussagen, die sich nicht auf das sittliche Verhalten beziehen, und hier wird die Abgrenzung sdion recht problematisch. Tatsächlich denkt Ritsehl selbst, wie aber erst im Verlauf der Auseinandersetzungen siditbar wird, an eine aristotelische Metaphysik, die im Widerspruch zu dem Offenbarungsgeschehen steht (Theol. u. Metaphysik, 1. Aufl., S. 13 ff), d. h. an das Absolute ohne Beziehung auf anderes (ebda. S. 21) und an Mystik (ebda. S. 26). Aus dieser 65

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werden. Das der Metaphysik und der Leben-Jesu-Forschung Gemeinsame erblickt Ritsehl nicht in dem hypothetischen und approximativen Charakter ihrer Erkenntnisse und Aussagen, sondern darin, daß hier theologische Aussagen unabhängig von einer dem Menschen begegnenden Offenbarung gemacht werden. So lehnt Ritsehl in der Auseinandersetzung mit Frank ausdrücklich ab, von der Aseität Gottes, d. h. von dem Wesen Gottes unabhängig von den Wesensäußerungen in der Begegnung des Glaubens zu sprechen. Dies heißt jedoch nicht, daß damit alle Aussagen über das Wesen Gottes bzw. ,sub specie aeternitatis' grundsätzlich aus der Theologie zu verbannen seien69. Vielmehr sollen die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen Vorstellungen von dem unveränderlichen Wesen Gottes unterschieden und andrerseits in der Gotteslehre Aussagen formuliert werden, die sich nicht allein auf die kontingente geschichtliche Offenbarung beschränken oder aber Gott dem (idealistischen) Schema des Werdens unterwerfen. Indem Ritsehl dann in der Gotteslehre das Wesen Gottes als Liebe zusammenfaßt, geht es ihm um die Verbindung von Wesen und Wesensäußerung, von Sein und Offenbarungsakt 70 . Ähnlich steht es mit der Ablehnung von metaphysischen Aussagen in der Sündenlehre71 und schließlich auch in der Christologie. Den Mangel der traditionellen Lehre von der Sünde sieht Ritsehl darin, daß sie von einem synthetischen Urteil a priori und mithin von einem Ergebnis theoretischen Erkennens ausgeht. Den Mangel der traditionellen Christologie erblickt er darin, daß sie von der unerkennbaren „ewigen Gottheit", nicht aber von der „offenbaren Gottheit Christi" ausgeht. „Erst müssen wir Christi offenbare Gottheit nachweisen können, ehe wir auf seine ewige Gottheit reflektieren72. In der Metaphysik wird die Offenbarung aufgehoben; sie spricht von Eigenschaften, nicht aber von Relationen; sie spricht von einem Absoluten ohne „Beziehung auf anderes". Metaphysik ist Mystik, aber nicht Offenbarung; sie ist natürliche Theologie, aber nicht Offenbarungstheologie73. In den verschiedenen kritischen Äußerungen zur Leben-Jesu-Forschung kommt Ritschis Anliegen, das als „Antimetaphysik" nur in einseitiger Weise beschrieben wird, noch deutlicher zum Ausdruck74. Ähnlich Kritik an bestimmten Formen der ,Metaphysik' folgt nicht, daß bei Ritsehl die Dogmatik ins Praktisch-Ethische aufgelöst wird. 89 RuV III, S. 225 f; 306 ff. Theol. u. Metaphysik, S. 13 ff. 70 RuV III, S. 308. 71 RuV III, S. 312 ff; vgl. O. Ritsehl, A. Rs. Leben. I, S. 236. 72 RuV III, S. 377. 73 Theologie und Metaphysik. S. 13 ff; 18 f; 21; 26; 62. 74 Vgl. hierzu folgende Stellen: RuV II, S. 13 f, 22, 42 f; III, S. 2 f, 410 ff; Unterricht § 41 c; O. Ritsehl, A. Rs. Leben II, S. 320 ff; Geschichte des Pietismus, I, S. 266. 16

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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wie es vor ihm Schleiermacher getan hat 75 geht Ritsehl in der Beurteilung des Quellenbefunds von einer Kombination der Traditionshypothese mit der Urevangeliumshypothese aus: Die neutestamentlichen Schriften umschließen das persönliche Wirken Christi wie auch das Christuszeugnis der ersten Gemeinde als Urkunde der „wirksamen Offenbarung" der Person Jesu Christi 78 , wobei das apostolische Zeugnis in der Autorität Christi einerseits der späteren Zeit gegenübersteht, aber auch andrerseits der Autorität Christi und seinem Wirken untergeordnet ist, so daß das eine in dem anderen nicht aufgehen kann. Im Vergleich zu Schleiermacher handelt es sich also nicht nur um eine kausal bestimmte Kontinuität in dem Personwirken des geschichtlichen Christus, sondern zugleich um eine Diskontinuität, in der das personale Gegenüber zur Geltung gebracht wird. Dies bedeutet für das Verständnis der neutestamentlichen Schriften, daß in ihnen nicht nur das Selbstzeugnis Christi erhalten ist, sondern auch die in der „Grundform religiöser Rede" gefaßten Vorstellungen der ersten Gemeinde von dem „Wert seines irdischen Lebens", „Folgerungen aus der Gewißheit des Glaubens an den, der als der Herr und Gott gegenwärtig ist" 77 . Mit diesen Feststellungen wird zunächst die Auffassung abgelehnt, es handele sich bei den neutestamentlidien Schriften um Theologie im Sinne eines dogmatischen Systems mit einer geschlossenen Christologie, die von der Präexistenz bis zur Postexistenz Christi führt. Es sind dies bereits Anklänge an die mit W. Wrede beginnende Entwicklung der formgeschichtlichen Hypothese, wenn dann von einer konkreten Intention und Funktion der christologischen Aussagen in der „Grundform religiöser Rede" und von verschiedenen Reihen „religiöser Gedankenkreise" gesprochen wird 78 . Selbstverständlich hat diese Differenzierung zwischen den Selbstaussagen und dem Verhalten der geschichtlichen Person Jesu einerseits und dem apostolischen Christuszeugnis andrerseits auch eine theologische Bedeutung. Die formale Unterscheidung des Faktischen von seiner Darstellung und Deutung entspricht der Unterscheidung von Ursache und Wirkung und schließlich von empirischer geschichtlich-personaler Existenz und dem von ihr ausgelösten religiösen Urteil. Es ist die Ablehnung rein theoretischer Aussagen unabhängig von einer personalen Begegnung. Auf diesen Punkt ist dann auch die Kritik an der biographischen Rekonstruktion des Lebens Jesu gerichtet79. Die Unsachgemäßheit sowohl der idealistischen Auflösung der geschichtlichen Individualität Jesu80 wie auch das positive Bemühen um eine Rekonstruktion des Lebens Jesu liegt 75 n 78 80

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Siehe oben S. 200 f. 77 RuV II, S. 13 f. RuV II, S. 22 f; III, S. 378. 79 Ebda. III, S. 2 f. Hier ist besonders an D. F. Strauß und B. Bauer zu denken. Vgl. RuV III, 385.

gleichermaßen in der Aufhebung der vorgegebenen Einheit von geschichtlicher Person und geschichtlicher Wirkung, in der Trennung zwischen Person und Werk Christi. Ritsehl denkt dabei an eine Parallele zwischen Pietismus und Leben-Jesu-Forschung; denn in beiden Fällen wird Jesus „isoliert von der an ihn glaubenden Gemeinde und entkleidet der Herrschaft über die Welt, die ihm zukommt" 81 . Was Jesus war und wollte, kann nicht in der historischen Abstraktion, sondern immer nur im Zusammenhang mit seiner in der Gemeinde zum Ziel gekommenen und kommenden Absicht erkannt werden. Der religiöse Glaube „ist nicht eine widergeschichtliche Ansicht von Jesus, und die geschichtliche Würdigung Jesu beginnt nicht erst, wenn man sich dieses Glaubens, dieser religiösen Schätzung seiner Person entledigt hat. Die umgekehrte Ansicht bezeichnet die große Unwahrheit, welche unter dem Titel der geschichtlichen Voraussetzungslosigkeit ihre täuschende und verwirrende Kraft ausübt 82 ." Die Reduktion auf die „Religion Jesu" wie auch die Rekonstruktion eines „Lebens Jesu" versucht aus eigener Kraft das „herzustellen", was bereits Wirklichkeit in der Gemeinde ist. Christus wird als Objekt der Erkenntnis und der Nachbildung gesehen, nicht aber als Urheber der Sündenvergebung und als Person, der sich seine Gemeinde unterordnet 88 . Die Kritik an der Leben-Jesu-Forschung ist ebenso wie seine Kritik an einer spekulativen Metaphysik gegen die Aufhebung der geschichtlichpersonalen Relation gerichtet. Aus dem bisher Gesagten folgen zwei für Ritschis Stellung zur historischen Jesusfrage wesentliche Thesen: 1. In dem christozentrischen Ansatz werden alle christologischen Aussagen auf die geschichtliche Existenz Jesu konzentriert. 2. In der Ablehnung einer spekulativen Metaphysik und einer objektivierenden Leben-Jesu-Forschung soll die zeitliche und logische Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwisdien Christus und dem Glauben weder auf dem Wege einer Rekonstruktion noch auf dem einer letztlich anonymen Kausalität überwunden werden, sondern auf dem Wege einer geschichtlich-personalen Konfrontation. Systematisch wird dies mit dem noetischen Prinzip des „religiösen Werturteils" und dem ontologischen der „Wechselbeziehung" (Korrelation) durchgeführt. Ritsehl unterscheidet zwischen einem theoretischen, d. h. unbeteiligt betrachtenden Urteil und der „religiösen Schätzung" oder dem „Wert-

81 82

16*

Geschichte des Pietismus, I, S. 266, bei O. Ritsehl, II, S. 321. 8 RuV III, S. 2 f. » Ebda.

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urteil"9*. Hinter dieser Unterscheidung stehen verschiedene Motive, die in folgenden Punkten zusammengefaßt werden können: 1. Im Anschluß an die positivistische Philosophie von Hermann Lotze geht Ritsehl von der erkenntnistheoretischen Voraussetzung aus, daß das Ding an sich in den wechselnden Erscheinungen als Ursache, Zweck und Gesetz der empfangenen Wirkung erkannt wird. Gegenüber der platonisch beeinflußten Vorstellung von dem in sich ruhenden Ding an sich sowie gegenüber der Kantschen Vorstellung von der Unerkennbarkeit des Dinges an sich kommt es Ritsehl darauf an, daß das Ding an sich nicht nur in seinen Erscheinungen erkennbar ist, sondern daß es sich zu erkennen gibt85. Es geht hier also nicht nur um ein ,finitum capax infiniti', sondern um die Möglichkeit einer tätigen Offenbarung des Ewigen im Zeitlichen, des Unveränderlichen in der Geschichte. — 2. Mit der Aufstellung einer selbständigen Erkenntnistheorie will Ritsehl das religiöse vom wissenschaftlichen Erkennen lösen und eine Vermischung oder Kollision von Theologie und Philosophie vermeiden. Allerdings wird nicht wie bei Schleiermacher das religiöse Erkennen in einer bestimmten anthropologischen Möglichkeit, dem Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit, lokalisiert, die den Indifferenzpunkt zwischen Transzendenz und Immanenz darstellt. Der Mensch wird also nicht in einem bestimmten Punkt seiner Existenz, sondern in der Totalität seiner geistig-sittlichen Persönlichkeit getroffen und gegenwärtig angesprochen. In diesem Sinne ist das religiöse Werturteil bei Ritsehl nicht nur die Reaktion auf eine empfangene Wirkung, sondern Entscheidung und Antwort 86 in einer Begegnung. Das Werturteil hat damit durchaus den Charakter eines Bekenntnisses, einer Doxologie87. — 3. Dieser Bekenntnischarakter des religiösen Werturteils erscheint schließlich auch in Ritschis Hinweis auf die Auslegung des ersten Gebots in Luthers Großem Katechismus88, an dem das Wesen des Erkennens in Werturteilen illustriert wird: Gott erkennen, heißt ihm vertrauen. Es mag hier dahingestellt bleiben, daß dieses religiöse Erkennen in Werturteilen in seiner Begrifflichkeit und vor allem in der Nebeneinanderstellung mit einem theoretischen Erkennen zu Mißdeutungen in der Richtung eines Subjektivismus Anlaß geben kann 89 . Aber es ist nicht 84 Dazu: RuV III, S. 19 f, 34, 193 ff; zur Christologie: III, S. 379 ff, 412; Unterricht, §§ 1, 11, 22, 24. Aus der Literatur: O. Ritsehl, Über Werthurtheile. FreiburgLeipzig 1895; Max Reiscble, Werturteile und Glaubensurteile. Halle 1910; G. Hök, Die elliptische Theologie A. Ritschis. 1942. S. 350 f; P. Wrzecionko, Die philosophischen Wurzeln der Theologie A. Ritschis. 1964. ptim; allerdings wird merkwürdigerweise von W. Ritschis Theorie des Werturteils nicht speziell untersucht. 85 86 RuV III, S. 19 f. RuV III, S. 193 ff. 87 88 Vgl. bes. „Unterricht" § 24; RuV III, 370 f. RuV III, S. 201 f. 89 Einige der Schüler Ritschis, wie z. B. W. Herrmann, haben später auf die Theorie des Werturteils verzichtet (s. u. S. 260).

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zu übersehen, wie Ritsehl auch hier um eine geschichtlich-personale Relation bemüht ist, bei der nicht — wie bei Schleiermacher — die Gefahr besteht, daß der Erkenntnisgegenstand erst im Vollzug des Erkennens konkretisiert wird. Bei Ritsehl tritt zu dem Primat des Seins eine tatund personhafte Begegnung, die bei Schleiermacher fehlt. Sein zentrales Anliegen, die „theologische Meisterfrage", ist das rechte Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit, von Indikativ und Imperativ, von Zuspruch und Antwort 90 . Dieselbe Problematik steht hinter dem Begriff der „Korrelation", der „Wechselbeziehung" oder „Wechselwirkung91", mit dem das bezeichnet wird, was das religiöse Werturteil ontologisch ermöglicht. Wo bei Schleiermacher mit der mechanischen Vorstellung eines von der Ursache her fortwirkenden und auch auf sie zurückweisenden „Impulses" die geschichtliche Extension des Erlösungshandelns Gottes in Christus beschrieben wird, spricht Ritsehl von einer fortgesetzten und ebenfalls personal bestimmten „Wechselbeziehung". Es ist bezeichnend für die systematische Funktion dieses Begriffs, daß mit ihm stets das personale Offenbarungshandeln Gottes in Christus und durch ihn in der Gemeinde beschrieben wird, das nicht in einer bloßen Übertragung der Gottheit, sondern auch in der Wahrung des Abstandes und des Gegenübers besteht92. Christologisch wird als „Wechselbeziehung" das Verhältnis zwischen Gott und Christus sowie zwischen Christus und der Gemeinde beschrieben93, und zwar gerade dort, wo es um die personale Offenbarung und Erkenntnis der Gottheit geht. 3. Persönlichkeit und Gottheit Jesu Christi An dieser Stelle liegt das Zentrum von Ritschis Christologie und seiner christozentrischen Theologie. In der Christologie des neunzehnten Jahr80

RuV III, S. 276. In der neueren Theologie hat dieses Prinzip Paul Tillich in seiner „Systematischen Theologie" verwendet und ausgebaut. Walter Klaas verweist auf seine Anwendung in Ritsdils „Unterridit": Ritschis ,Unterricht in der christlichen Religion' und Karl Barths Abrisse der Dogmatik. Ein Vergleich. (In: Antwort. Barth-Festschrift. Zürich 1956. S. 388—398). Klaas verweist auch auf den Ursprung dieses Prinzips in der Philosophie H. Lotzes (S. 390 f), ohne jedoch seiner systematischen Funktion weiter nachzugehen. Reichlich kurz sind die Hinweise bei P. Wrzecionko, Die philosophischen Wurzeln der Theologie Albrecht Ritschis, S. 66 ff und S. 116 f. Die entscheidenden Stellen und Zusammenhänge, wo Ritsehl dieses Prinzip verwendet, sind hier nicht einmal erwähnt. 91

u

Vgl. hierzu R u V III, S. 222, 254, 264 ff, 270, 275 f, 281, 285, 288, 441. — An diesen Stellen geht es um das „Reich Gottes als Correlat der Liebe Gottes". Es ist das, was in der Antwort auf den Liebeswillen Gottes nicht als Fortwirkung, sondern als personal-sittliche Tat vom Menschen verwirklicht wird: der Dienst als Wirklichkeit der Liebe Gottes unter den Menschen, Gut und Aufgabe. Vgl. auch „Unterridit" § 6 bes. — weitere Stellen bei W. Klaas a. a. O. 98 RuV III, S. 225 und 367 f sowie „Unterridit" § 22.

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hunderts ist es höchst bemerkenswert, daß Ritsehl auf die Begriffe der „Idee", des „Idealen" und des „Christusprinzips" verzichtet und seine Lehre von Person und Werk Christi unter den Begriff der Gottheit Christi stellt. Damit ist von vornherein gegenüber den verschiedenen Richtungen der idealistisch beeinflußten Christologie das geschichtlich-personale Element nachdrücklich betont. Die Gegenüberstellung von geschichtlichem Individuum und überzeitlicher Idee, mit der sich die dogmatische Christologie ebenso wie die historische Jesusforschung seit der Aufklärung förmlich abgequält hat, versucht Ritsehl in der Verbindung von Gottheit und Persönlichkeit zu überwinden, die er beide auf die geschichtliche Existenz Jesu Christi anwendet. Diese Verbindung zeigt bereits, daß darin weder von einer naturhaften Auffassung von der Gottheit Jesu Christi noch von einem in einer anthropologischen Analogie gebildeten Verständnis der Persönlichkeit die Rede sein kann. Der Begriff der Persönlichkeit wird zunächst in der Gotteslehre entfaltet, ist aber bereits hier eindeutig auf die Christologie ausgerichtet: „Die Persönlichkeit Gottes ist die Form, in welcher die Vorstellung von Gott durch die Offenbarung gegeben ist. Indem die Theologie es mit dem in Christus offenbaren Gott zu tun hat, ist das wissenschaftliche Recht der unumgänglichen Form des Gottesbegriffs festgestellt worden. Der Inhalt seines Willens wird aus der offenbaren Wechselbeziehung zwischen Christus und Gott erkannt werden, und aus keinem andern Erkenntnisgrund 94 ." Mit der Vorstellung Gottes unter dem Begriff der Persönlichkeit unterscheidet sich die christliche von allen philosophischen Gottesvorstellungen 65 . Ritsehl wendet sich mit dieser These besonders gegen D. F. Strauß, indirekt aber auch gegen Schleiermacher,98, bei denen die Prädikate des Absoluten und des Persönlichen sich gegenseitig ausschließen. Bei Strauß heißt es: „Persönlichkeit ist sich zusammenfassende Selbstheit gegen anderes, welches sie damit von sich abtrennt; Absolutheit dagegen ist das Umfassende, Unbeschränkte, das nichts als eben nur jene im Begriff der Persönlichkeit liegende Ausschließlichkeit von sich ausschließt97." Für Strauß besteht die Persönlichkeit im Ich-Bewußtsein, das für das Menschsein konstitutiv ist. Ritsehl hingegen versteht die Persönlidikeit nicht schlechthin als Prädikat des Menschseins im allgemeinen, also auch nicht als etwas schlechthin Kreatürliches, sondern im Sinne einer geistig-sittlichen Qualität sowie als Relation. Dadurch wird der Begriff erweitert und umschließt nunmehr sowohl die „gegebenen individuellen Anlagen" wie auch die „erworbene Verschiedenheit von allen anderen Personen". „Eben deshalb fällt sie (seil, die Persönlich94 95 97

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RuV III, S. 225. 96 RuV III, S. 185,190, 202. RuV III, S. 217 ff. D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, Bd. I, 1840, S. 504. RuV III, S. 220.

keit) nicht zusammen mit jener formalen und ursprünglichen Selbstunterscheidung des Individuums von allem andern, worauf Strauß seine Vorstellung von Persönlichkeit beschränkt 98 ." Der Mensch ist also nicht nur als Persönlichkeit geschaffen, sondern er ist „zur Persönlichkeit geschaffen"99. Das die Persönlichkeit charakterisierende Ich-Bewußtsein wird erweitert durch den „Wechselverkehr" oder die „Wechselbeziehung", in der das Ich mit seinen angeborenen Anlagen durch ein anderes bestimmt und gebildet wird. Der Mensch ist Persönlichkeit im Werden und erkennt in diesem Werden die ihm gesetzen Grenzen. Persönlichkeit ist das, was der Mensch noch nicht in vollem Maße ist, sondern erst in der Verwirklichung wird. Den Maßstab dafür bildet die göttliche Persönlichkeit. „Denn daß wir selbständige Persönlichkeit sind, beurteilen wir nach dem Begriff der Persönlichkeit, welche die Norm ist, sofern sie allen Grund ihrer Betätigung in sich hat 100 ." Für den Menschen ist die Persönlichkeit ein Prädikat nur in abgeleiteter Weise101. Die aus Gottes Persönlichkeit abgeleitete menschliche Persönlichkeit wird expliziert in der Bestimmung Gottes als Liebe. Es geht also nicht, wie bei Schleiermacher, um ein „Sein Gottes i n . . . " . Denn Liebe schließt immer schon eine personale Relation in einem zielgerichteten Handeln ein. Die Liebe ist bei Ritsehl die Bestimmung für das offenbare Wesen Gottes, für die Persönlichkeit und für die mit der Persönlichkeit verbundene Wechselbeziehung: sie setzt eine Gleichartigkeit voraus zwischen Subjekt und Objekt in der geistigen Person; sie hat eine bestimmte Richtung; sie ist auf den Selbstzweck des andern gerichtet, und damit wird der Selbstzweck des anderen in den eigenen persönlichen Selbstzweck aufgenommen102. Es ist besonders gegenüber der seit F. H . R. Frank oft wiederholten Kritik wichtig zu beachten, daß Persönlichkeit und Liebe bei Ritsehl nicht als Wesensbestimmungen oder Eigenschaften Gottes, sondern als Relationen, als „für uns wirksame Eigenschaften" aufgefaßt werden 103 . Gewiß sind hier dogmatische Einwände zu erheben, die aber nicht nur diesen einen Punkt betreffen, sondern generell die Reduktion des dogmatischen Systems von „Rechtfertigung und Versöhnung" auf das Heilshandeln in Christus. Die Ausführungen über Gottes Persönlichkeit und Liebe als Relationen sind von vornherein auf die „offenbare Gottheit", nicht aber auf die „ewige Gottheit" bezogen104. Es geht um die in der geschichtlichen Person Jesu Christi als Persönlichkeit und Liebeshandeln offenbare Gottheit.

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RuV III, S. 221. » RuV III, S. 225. 102 RuV III, S. 263 f und S. 426.

10

" RuV III, S. 222. RuV III, S. 226,

101

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Bei Ritsehl ist der christozentrische Ansatz nicht auf das Sein Gottes in Christus oder auf die durch Jesus von Nazareth vollbrachte Erlösung gerichtet; er zielt aber auch nicht auf die in der Person Jesu verwirklichte und erkennbare Idee der Gottmenschheit, obwohl diese früheren Formen des Christozentrismus, wie sie bei Schleiermacher, bei A. Schweizer oder auch bei I. A. Dorner und anderen begegnen, bei ihm noch im Spiel sind. Das Neue liegt auch nicht in der Betonung des Ethischen in dem Lebenswerk Jesu Christi, auf das vor Ritsehl bereits A. Schweizer mit dem Einswerden Jesu mit seiner Idee und auch I. A. Dorner mit seiner Unterscheidung zwischen natürlicher und ethischer Gottmenschheit hingewiesen haben. Der Unterschied zu diesen christologischen Entwürfen liegt darin, daß bei Ritsehl die dogmatische Intention nicht darauf gerichtet ist, die geschichtlich-menschliche Entwicklung der Person Jesu Christi herauszustellen, sondern umgekehrt die Offenbarung der „Liebe, Gnade und Treue Gottes", die offenbare Gottheit in dem geschichtlichen Individuum. Es geht also nicht um die nach Ritschis Verständnis spekulative Frage, wie das Absolute mit dem Zufälligen vereint gedacht werden kann, sondern es geht um die praktische Frage, wie und worin in dem geschichtlichen Leben Jesu Christi die offenbare Gottheit erkannt wird. Dieses christologische Anliegen geht von zwei Voraussetzungen aus: 1. „ . . . die vollkommene geschichtsgemäße Schätzung Jesu Christi (ist) nur seiner religiösen Gemeinde möglich105", d. h. nur dort, wo die „Wechselbeziehung" und „Wechselwirkung" zwischen der Gottheit Jesu Christi und seiner Gemeinde besteht, indem Menschen die Wirkung der Sündenvergebung empfangen und sich der Person Jesu Christi unterordnen106. Das Ontische ist somit die Voraussetzung des Noetischen. 2. Auf diesen Primat des Ontischen stützt sich dann die zweite These, daß die „Person (Jesu Christi) in der Dogmatik als der Erkenntnisgrund für die Abgrenzung jeder Lehre in Betracht gezogen werden" muß. Es gilt, „die Anschauung von Christi Person als allseitiges Erkenntnisprinzip der Dogmatik geltend (zu) machen"107. Den Anhaltspunkt dafür 103

Theologie und Metaphysik, S. 13. Vgl. F. H . R. Frank, Geschichte und Kritik der neueren Theologie. Erlangen-Leipzig 1898. S. 308 ff. Die Verkürzung liegt bei Ritsehl vor allem darin, daß er keine Lehre vom Fall, von der Schöpfung oder auch eine spezielle Gotteslehre entwickelt hat. 104 RuV III, S. 377 vgl. 267. 105 Unterriehl, § 25 u. a. 106 RuV III, S. 367 und 1 ff. 107 RuV III, S. 313.314. O. Ritsehl formuliert hierzu die These: „Insofern sind auf Christus keine Züge zu übertragen, die nicht in seinem irdischen Leben nachweisbar wären." (RE 3 , 17, S. 32, 40) Dieser Satz enthält eine Umprägung im Sinne des historischen Positivismus, den O. Ritsehl selbst vertreten hat (s. u. S. 263). A. Ritsehl formuliert es so: „Soll die Gottheit Christi oder seine Herrschaft über die Welt in der Form

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bilden das „Selbstbewußtsein" und die „Selbstdarstellung" und „Selbstbeurteilung" Jesu108. Beide Thesen können in der Ritschis Christologie zusammenfassenden Formel verbunden werden: Den Realgrund oder unmittelbaren Gegenstand des theologischen Erkennens bildet die geschichtliche Wirklichkeit der Gemeinde; den materialen Grund und Inhalt des theologischen Erkennens bildet die geschichtliche Person Jesu Christi. Die Vermittlung zwischen der geschichtlichen Person und dem Glauben der Gemeinde ist ontisch vorgegeben und wird im Akt des religiösen Werturteils nachvollzogen. Gegenüber Schleiermacher wird von Ritsehl der Schluß von der Wirkung auf die Ursache in der Weise präzisiert, daß die geschichtliche Person Jesu Christi, wie oben bereits gezeigt wurde, nicht allein in einer gewissermaßen mechanischen Kausalität gesehen wird, sondern in einem geschichtlich-personalen Handeln109. Dies zeigt die besondere Betonung des Ethischen unter dem Begriff des „Berufsgehorsams"110. Die geschichtliche Person Jesu Christi hat in ihrem „geschichtlich abgeschlossenen Lebensbild" eine „normgebende Abzweckung" und „den Wert einer bleibenden Regel" 111 . Sie ist nicht nur das verursachende Urbild, das bei Schleiermacher in die Richtung eines Christusprinzips weist, sondern sie ist als solches auch in ihrer Persönlichkeit das bleibende Kriterium christlicher Existenz. Dieses personale Gegenüber findet seinen Ausdruck darin, daß es nicht nur anregt, sondern daß hier auch von einer „Aufgabe", „Bestimmung", von einem „Nachbilden" und „Nacherleben" in einem Akt der Unterordnung und des Gehorsams gesprochen wird112. Was in der Christologie des vorigen Jahrhunderts oft als Idee phänomedes Erhöhten als notwendige Erkenntnis, als Glied in der christlich-religiösen Weltanschauung bewiesen werden, so muß es in dem Wirken Christi auf uns aufgezeigt werden. Jede Wirkung Christi aber muß ihren Maßstab in der geschichtlichen Gestalt seines Lebens finden." — d. h. „als Attribut seiner zeitlichen Existenz" (RuV III, S. 383). Hier geht es also nicht um einen historischen Nachweis, den A. Ritsehl als unmöglich ablehnt (s. o. S. 242), sondern um eine Person-,,Wirkung". Dieser Unterschied ist keineswegs so geringfügig, daß er vernachlässigt werden dürfte. Er bricht später wieder auf, wenn O. Ritsehl W. Herrmann einen historischen Skeptizismus zum Vorwurf macht, obwohl Herrmann sich gerade in der Beurteilung der historischen Jesusfrage eng an A. Ritsehl anschließt. Bei O. Ritsehl zeichnet sich bereits die von seinem Vater eben noch nicht durchgeführte Unterscheidung zwischen dem ,historischen Jesus' und dem .Christus des Glaubens' ab. RuV III, S. 406, 419 u. ö. " 9 RuV III, vgl. S. 223, 414 und 315. Ritsehl betont hier immer das volle „Ich" gegenüber der Auflösung in einen bloßen Mechanismus, wie es bei Schleiermacher der Fall ist. 110 RuV III, S. 420 f. 111 RuV III, S. 366. 112 RuV III, ebda, und S. 3. 108

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nologisch aufgefaßt wird, versteht Ritsehl damit eindeutig geschichtlichpersonal118. Die Christologie Ritschis bewegt sich zwischen den Begriffen Gottheit und Persönlichkeit sowie zwischen den beiden Extremen einer spekulativen „Metaphysik" und der historischen Jesusforschung. Theologiegeschichtlich steht sie durchaus in der Nähe der positiven Leben-JesuForschung, allerdings mit dem in seinen Konsequenzen erheblichen Unterschied, daß die geschichtliche Person Jesu Christi nicht nur ästhetisch im Bereich der Wahrnehmung, sondern auch ontisch effektiv in der die Gemeinde begründenden und darin geschichtlich sich verwirklichenden Sündenvergebung wirkt 114 . Im Vordergrund der Christologie steht die Tat und nicht das Sein der Person Jesu Christi. Entsprechend ist die Gottheit in der geschichtlichen Person Jesu Christi „offenbar und wirksam" 115 . Durdi diese Bestimmung der geschichtlichen Person werden alle Probleme ausgeschaltet, die sich entweder auf den Ursprung der offenbaren Gottheit oder auf ihre Wirkungsweise in der Zeit beziehen. Persönlichkeit und Gottheit ist Jesus Christus als in der Geschichte offenbarer und wirkender, und alle über die konkrete geschichtliche Begegnung hinausgehenden Fragen haben insofern keine konstitutive, sondern allenfalls eine regulative, funktionale Bedeutung. Dogmatisch sind sie irrelevant, weil sie den Bereich geschichtlich-personaler Begegnung überschreiten; deshalb werden sie von Ritsehl nicht behandelt oder sogar ausgeschlossen118. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß die Zweinaturenlehre nicht nur abgelehnt, sondern auch überflüssig wird 117 . Was Ritsehl hingegen aus der traditionellen Christologie übernimmt und umprägt, ist die Lehre vom ,triplex munus Christi' sowie die Zweiständelehre 118 , die deshalb seiner dogmatischen Intention entsprechen, weil sie nicht von 113 Dies wird auch daran deutlidi, daß der Begriff des „Urbilds" nur gelegentlich (RuV III, S. 267, 366, 367; Unterricht § 22) verwendet wird. An der wichtigsten Stelle (RuV III, S. 367) ist von einem „offenbaren Urbild" die Rede. Ritsehl versteht den Begriff offenbar mehr in der Richtung des Vorbilds und jedenfalls nicht als Idee (vgl. S. 366, 441 und 442). 114 115 Vgl. o. S. 85 ff. RuV III, S. 315. 116 Zwar wird die „ewige" Gottheit nicht durch die „offenbare" aufgehoben, aber es wird auch nidit weiter auf sie reflektiert. Ähnlich verhält es sidi mit den Wesensaussagen in der Gotteslehre, mit der Erhöhung usw. Vgl. RuV III, S. 384, 377, 406, 414, 444. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß für Ritsehl das Nichterkennbare auch gleich nicht-existent sei. Er betont vielmehr: „Gottes Standpunkt kommt uns nicht zu" (S. 444). 117 Vgl. hierzu die Äußerungen zur .communicatio idiomatum', zur Kenotik, zum Chalcedonense usw. RuV III, S. 367 ff, 375 ff, 384 ff, 411 ff. Vgl. auch zum Apostolikum O. Ritsehl, A. Ritschis Leben, II, S. 250. 118 RuV III, S. 394 ff.

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dem Sein, sondern von einem tathaften Ereignis ausgehen oder in dieser Richtung interpretiert werden können. Dabei werden dogmatische Entscheidungen gefällt, die für die neuere Christologie und besonders für die ,neue Frage nach dem historischen Jesus' interessante Hinweise geben. Der Zusammenhang, in dem diese Stücke der traditionellen Christologie eingeordnet werden, ist nicht die Beziehung zwischen Gottheit und Menschheit in der Geschichte des Gottmenschen durdi die beiden Stände, sondern die Beziehung der geschichtlichen Person Jesu Christi in ihrer zeitlichen Erstreckung zu der Existenz der Gemeinde. Es geht darum, die Bedeutung und Wirkung des irdischen Lebens Jesu Christi für die Gemeinde zur Geltung zu bringen und mithin die christologischen Aussagen in der geschichtlichen Person Jesu Christi und in ihrem Leben zu verankern, daß, um es zugespitzt zu formulieren, der historische Jesus der „fortwirkende Grund" für die Existenz der Gemeinde und des Glaubens ist119. Der für die Umprägung der Lehre von den beiden Ständen und dem dreifachen Amt Christi leitende Gesichtspunkt ist ein zweifacher: Die ontische Voraussetzung ist die zwischen Christus und seiner Gemeinde bestehende Korrelation (Wechselbeziehung, Wechselwirkung). Darauf gründet sich dann das theologische Erkenntnisprinzip, nadi dem die gegenwärtige Wirkung als ursächlich im Leben, im Selbstbewußtsein und in der Selbstdarstellung der geschichtlichen Person Jesu Christi expliziert wird, d. h. „durch die Analyse der erkennbaren Lebensabsicht Christi im Ganzen" 120 . Ritsehl hat zwar nicht, wie zur gleichen Zeit H . Schultz121, die „Erniedrigung" als „Niedrigkeit" bezeichnet. Seine Auffassung von der Zweiständelehre, für die er aber nur die lateinischen Begriffe verwendet, weist jedoch in dieselbe Richtung. Die drei Ämter Christi werden auf beide Stände bezogen, und der „status exaltationis" ist nichts anderes als die Fortwirkung des „status exinanitionis" 122 . Die Aussagen über die Auferstehung, die Erhöhung und die sessio ad dexteram entfallen. Der „status exinanitionis" bezeichnet den dienenden Berufsgehorsam im Leben und Leiden Christi; der „status exaltationis" bezeichnet die darin als Liebe, Treue, Gnade offenbare Gottheit und die in der Sündenvergebung und der Nachahmung des Berufsgehorsams in einer ethischreligiösen Existenz fortwirkende Kraft. Es handelt sich also weder um zwei Existenzformen, wie sie Ritsehl in Phil. 2, 9 angedeutet findet, noch um ein zeitliches Moment, sondern um jeweils in dem geschichtlichen Leben Jesu Christi aufweisbare Züge. „Denn was Christus nach seiner 119 121

RuV III, S. 407. Siehe oben S. 232 f.

120 122

RuV III, S. 409. RuV III, S. 407 f.

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ewigen Bestimmung ist und gemäß seiner Erhöhung zu Gott auf uns wirkt, wäre für uns gar nicht erkennbar, wenn es nicht auch in seinem zeitlich-geschichtlichen Dasein wirksam wäre 123 ." Für die abschließende Bewertung von Ritschis Christologie und seiner Stellung zur historischen Jesusfrage ist es wichtig festzuhalten, daß zwar auf alle Aussagen über die Präexistenz und Postexistenz Christi und damit auch auf die Auferstehung verzichtet wird. Faktisch bleibt aber Ritsehl doch bei einer starken Betonung der Inkarnation, und zwar nicht in ihrem Vollzug, sondern in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit. So wie auf die Zweinaturenlehre als Ausdruck einer spekulativen Metaphysik auf der einen Seite verzichtet wird, so wird auf der anderen Seite auf die Reduktion der christologischen Aussagen auf einen reinen historischen Empirismus verzichtet. Die Einzigkeit der Person in ihrer geschichtlichen Erscheinung bleibt durchaus gewahrt und zugleich die Vermittlung des Werkes Christi als Wirkung und geschichtlich-personale Begegnung. Im Blick auf die historische Jesusfrage kann dies so zusammengefaßt werden: Der ,historische Jesus' ist der .Christus des Glaubens' als Grund, Ursache, Inhalt und bleibendes Kriterium des Glaubens.

C. Das christologische Problem im 19. Jahrhundert In den beiden vorangehenden Abschnitten dieses Kapitels wurden die verschiedenen Positionen in der Auseinandersetzung um die dogmatische Christologie im wesentlichen auf dem Hintergrund der Christologie Schleiermachers betrachtet. Dabei zeigte sich, wie schwierig es ist, die einzelnen Richtungen klar voneinander abzugrenzen. Denn den Gegensatz zur sogenannten spekulativen' Christologie bildet keineswegs eine empirische Christologie, die dann etwa von dem historischen Befund des ,Lebens Jesu' ausgeht. Sowohl von H . Schultz wie auch von A. Ritsehl wird eine rein historisch-kritische ,Leben-Jesu-Forschung' eindeutig abgelehnt, und zwischen den Vertretern des ,Christusprinzips' oder einer spekulativen Christologie und den Theologen, die die geschichtliche Person Jesu Christi in den Vordergrund rücken, besteht die Übereinstimmung, daß an dem geschichtlich-personalen Aspekt in der Christologie festzuhalten sei, um die volle Menschheit Christi und damit die Realität der Inkarnation zum Ausdruck zu bringen. Auch die bereits von H . Schultz sowie später von J. Kaftan, Th. Haering und anderen Schülern Ritschis vorgebrachte Kritik an dem Verzicht Ritschis auf die ,Verklä128

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RuV III, S. 383. Vgl. auch bes. S. 378 ff.

rung' Christi bildet nicht einen entscheidenden Differenzpunkt 124 , obwohl darin zweifellos ein erheblicher Mangel der Ritschlschen Christologie liegt. Gemeinsam ist den in diesem Kapitel erwähnten Theologen auch, daß sie durchweg das Leben Jesu unter dem Aspekt der ethischen Vollendung sehen, was dann mit Vorliebe durch die Lehre vom dreifachen Amt Jesu Christi zum Ausdruck gebracht wird. Ebenso ist ihnen gemeinsam, daß sie versuchen, der bei Schleiermacher naheliegenden Gefahr auszuweichen, daß die christologischen Aussagen als eine Projektion menschlicher Bewußtseinszustände erscheinen, bei denen das historische Faktum allenfalls einen Anfangspunkt oder einmaligen Anstoß, nicht aber ein bleibendes personales Gegenüber bildet. Gemeinsam ist schließlich auch, daß mit der Betonung des geschichtlich-ethischen Werdens in der Person Jesu Christi (hristologisch das Menschsein hervorgehoben werden soll. Zur Ermittlung der die christologische Problematik charakterisierenden DifFerenzpunkte scheint es nicht sinnvoll, bei den einzelnen Verkürzungen in den verschiedenen christologischen Entwürfen stehenzubleiben. Denn sie sind jeweils von der dogmatischen Grundkonzeption bedingt, und diese gilt es zuerst zu erfassen. 1. Das LJrdatum der Christologie Ähnlich wie bei der historischen Jesusforschung wird auch bei der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage in der dogmatischen Christologie das Urdatum der christologischen Aussagen in verschiedener Weise bestimmt. Bei Schleiermacher liegt es in der auf eine geschichtliche Ursache (Faktum) zurückweisenden Wirkung im frommen Selbstbewußtsein. Die Wirkung führt zur Erkenntnis der Ursache, nicht aber die Erkenntnis der Ursache zu einer Wirkung. Im Prinzipiellen unterscheidet sich dieser Ansatz nicht von den bei H . Schultz und A. Ritsehl vorgetragenen Ansichten mit ihrer Ablehnung sowohl der spekulativen Christologie wie auch der historischen Jesusforschung. Gemeinsam ist auch hier das Anliegen, in der Christologie keine Aussagen zu machen, die ohne einen unmittelbaren existentiellen Bezug sind, d. h. außerhalb der Relation von Ursache und Wirkung. Wenn damit das Urdatum der christologischen Aussagen in die Wirkung gelegt wird, so handelt es sich um ein noetisches Apriori, das jedoch von einem ontischen bedingt ist. Es ist bereits bei Ritsehl eine berechtigte Korrektur, wenn er gegenüber Schleiermachers unpersönlich-mechanischem Vermittlungsprinzip unter dem Begriff des „Seins Gottes in Christus" nun bemüht ist, das Personund Tathafte zu betonen und besonders mit der ,Wechselbeziehung' und 124 H. Schultz, JDTh 20 (1875) S. 208. Siehe audi die Dogmatiken z. B. von J. Kaftan und Th. Haering sowie E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi, S. 327 ff.

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.Wechselwirkung' das personale Gegenüber in der Vermittlung zum Ausdruck bringen. Nach seinem Anliegen soll die Person Jesu Christi nicht in der Wirkung aufgehen, sondern ihre personale Eigenständigkeit und Überlegenheit bewahren. Daher ist die geschichtliche Person Jesu Christi bei Ritsehl nicht allein der Realgrund des Glaubens, sondern auch der bleibende Erkenntnisgrund als dogmatisches Kriterium. Mit dieser Auffassung steht Ritsehl zwischen der Christologie Schleiermachers und der spekulativen Christologie, wie es etwa auch bei 1. A. Dorner der Fall ist. Daß Christologie wie überhaupt jedes dogmatische Lehrstück Glaubensaussage ist und von der Wirklichkeit und dem Gewirktsein des Glaubens ausgeht, ist auch für Dorner selbstverständliche Voraussetzung seiner Methode und seines Systems 125 . Dorner wird als spekulativer' Theologe bezeichnet, weil bei ihm die Christologie sich nicht wie bei Schleiermacher, Schultz und Ritsehl u.a. auf die geschichtliche Existenz Jesu Christi beschränkt, sondern, trotz erheblicher Modifikationen, die Prä- und Postexistenz einschließt. Das Urdatum in der Christologie Dorners bildet mithin weder das „Sein Gottes in Christus" noch die in der geschichtlichen Person Jesu Christi offenbare Gottheit und Persönlichkeit, sondern das Handeln Gottes an, durch und in Christus. 2. Wirkung und Glaube Es ist auffallend, wie wenig sich die herangezogenen Theologen des neunzehnten Jahrhunderts mit der Frage nach dem Wesen des Glaubens beschäftigt haben. Daß Dorner sein „System der christlichen Glaubenslehre" mit einer ausführlichen „Pisteologie" eröffnet 126 , unterscheidet ihn in bemerkenswerter Weise mindestens thematisch von der Mehrzahl seiner Zeitgenossen und selbst von der konfessionellen Theologie. Das der dogmatischen Christologie und ebenso der historischen Jesusforschung zugrunde liegende Glaubensverständnis ist einseitig von apologetischen und erkenntnistheoretischen Motiven bestimmt. Dieser Apologetik geht es um die Ermöglichung und Rechtfertigung des Glaubens, bei dem das Gewirktsein und Erkennen im Vordergrund stehen. Das zeigt sich in dem bei Schleiermacher, Schultz und Ritsehl dominierenden Schema von Ursache und Wirkung. Speziell in der Christologie zeigt es sich aber auch in dem Interesse an der geschichtlichen Existenz der Person Jesu Christi, die ganz allgemein auf ein einzigartiges und exemplarisches Verhalten reduziert wird. Bei Schleiermacher ist die Reflexion auf das unmittelbare Selbstbewußtsein als Prinzip der Theologie127 ebenso wie bei Ritsehl und Schultz das religiöse Werturteil und die Schätzung der 125 126

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A. Börner, System der christlichen Glaubenslehre, 1879,1, S. 76 ff. Ebda. S. 1—172.

Person Jesu Christi primär ein Akt des Erkennens, nicht aber ein Akt des Vertrauens oder des Gehorsams. Was der Glaube aus der empfangenen Wirkung in der geschichtlichen Person Jesu Christi dann erkennt, zumal in der ethischen Vollkommenheit, in der einzigartigen Erfüllung des Berufsgehorsams oder in der Unvergleichlichkeit dieser Person, ist mindestens in seinem Kern allgemeinverständlich. Es besteht somit nicht nur eine ontisch-kausale Relation zwischen dem Objekt und dem Subjekt des Erkennens, sondern auch eine direkte Korrespondenz zwischen Erkenntnisgegenstand und Erkenntnismöglichkeit, die in der Reduktion auf die geschichtliche Existenz der Person Jesu Christi zum Ausdruck kommt. Wir konnten in der bisherigen Untersuchung der dogmatischen Christologie wie auch schon bei der Untersuchung der historischen Jesusforschung immer wieder darauf hinweisen, wie das Interesse an der geschichtlichen Person Jesu Christi sehr stark auf die Realität des geschichtlichen Menschseins gerichtet ist. Man könnte auch sagen, daß damit die chalzedonensische Formel des ,homoousios hemin' betont werden soll. Die ganze Diskussion um das Verhältnis von Idee und Individuum, von Christusperson und Christusprinzip kreist um diesen Punkt der christologischen Frage. Doch dies bedeutet keineswegs, wie es zunächst nach der etwas vordergründigen Kritik am christologischen Dogma scheinen mag, daß man die volle Menschheit in einer Korrektur der Zweinaturenlehre betonen will. Das Interesse an der Inkarnation ist nicht ein soteriologisches, sondern primär ein noetisches. Menschsein und Geschichtlichkeit Jesu Christi bedeuten daher auch nicht zuerst, daß Gott in Christus an die Stelle des Sünders tritt 128 , sondern daß er sich innerhalb der möglichen Erfahrung zu erkennen gibt. Es soll nicht bestritten werden, daß darin ein legitimes christologisches Anliegen zur Geltung gebracht werden kann, nämlich die Hinwendung Gottes in Christus zum Menschen. Das Bedenkliche liegt nicht in der Sache selbst, sondern in der Einseitigkeit, mit der das noetische oder auch transzendental-philosophische Problem vorangestellt wird. Die Konsequenzen dieser Einseitigkeit zeigen sich in der Soteriologie und auch in der Ekklesiologie. Man hat schon gegen Schleiermacher eingewandt, daß bei ihm die Rechtfertigung im Grunde eine ,justifica.tio pii', nicht aber eine ,justificatio impii' sei129. Ähnliches ließe sich auch von Ritsehl behaupten, der die Rechtfertigung als Wirkung der Versöhnung als Ursache voranstellt 130 . Schleiermacher bleibt zwar in seiner „Glaubens187

Dialektik, hrsg. R. Odebrecht, Leipzig 1942, S. 296, 312. Daher auch der im vorigen Jahrhundert weitverbreitete Verzicht auf den Gedanken der Stellvertretung und des stellvertretenden Strafleidens. 12 ' H. Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 101. 1S0 RuV I, S. 2 f. 188

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lehre" bei der herkömmlichen Reihenfolge von ,officium Christi' und ,applicatio salutis'. Faktisch jedoch sind bei ihm beide identisch, weil sie unter dem Begriff der Wirkung zusammengefaßt werden 131 . Das Heil wird erst wirklich, indem es erkannt wird, wenngleich man freilich nicht sagen kann, daß es durch die Erkenntnis erst konstituiert wird. Auch wenn Ritsehl in seiner Christologie die personhafte Begegnung betont und die Wirkung durch Gehorsam und Unterordnung entsprechend ergänzt, bedeutet dies keinen prinzipiellen Unterschied. Denn die Frucht des Werkes Christi ist die „Befähigung zum Guten", die Ermöglichung eines „Willensentschlusses" zur Bekämpfung und Überwindung des Bösen132. Damit liegt auch hier die Verwirklichung der Versöhnung in der Wirkung, nicht aber in der Person oder in dem Werk Christi. Es ist weiterhin bezeichnend, daß die Ekklesiologie bei Schleiermacher wie auch bei Ritsehl vor allem als Fortsetzung des erlösenden Wirkens Christi verstanden wird, wobei ein gewisser donatistischer Einschlag nicht zu verkennen ist. Bei Schleiermacher ist die Kirche als Organismus Leib Christi; nach ihrer Erscheinung ist sie der Ort der Gemeinschaft von Wiedergeborenen138. Für Ritsehl ist sie im wesentlichen religiöse, gottesdienstliche und sittliche Gemeinschaft derer, die sich um die ethische Verwirklichung des Reiches Gottes bemühen134. Bei beiden ist die Kirche Gemeinschaft der Erwählten, nicht aber der Berufenen135. An diesen Beispielen aus der Soteriologie und der Ekklesiologie werden die Konsequenzen des christologischen Ansatzes in seiner Einseitigkeit deutlich: das ,extra nos' des Heilswerks Christi wird durch die Beschränkung auf die Relation des Erkennens offensichtlich verkürzt. Die Sünde wird individuell vergeben, aber nicht in ihrer Macht überwunden. Das Heil wird erkannt und organisch oder sittlich verwirklicht, aber es wird nicht im Wort zugesprochen. Es ist damit noch nicht gesagt, daß die spekulative' Christologie etwa bei I. A. Dorner alle diese Verkürzungen wirklich vermeidet. Seine Unterscheidung einer natürlichen von einer ethisch erworbenen Gottmenschheit weist zweifellos in die Richtung der Schleiermacher-Ritschlschen Christologie, von der sich A. Schweizer und A. E. Biedermann im Prinzipiellen kaum unterscheiden. Bei Dorner wird immerhin der Versuch 131 Bezeichnend dafür ist die Stelle aus § 100,2 der „Glaubenslehre": „Jene (erlösende) Tätigkeit des Erlösers aber ist dadurch bedingt, daß die Einzelnen in seinen gesdiichtlidien Wirkungskreis treten, w o sie ihn in seiner Selbstoffenbarung wahrnehmen. Läßt nun die Zustimmung freilich sidi audi nicht anders denken, als durch das Bewußtsein der Sünde bedingt, so ist doch nicht notwendig, daß dieses dem Eintreten in den Kreis des Erlösers vorangehe. Vielmehr kann es eben so gut erst in diesem als Wirkung der Selbstoffenbarung des Erlösers entstehen, als es jedenfalls erst durch die Anschauung seiner unsündlichen Vollkommenheit zur vollen Klarheit gelangt." 132 133 Unterricht, §§ 27 und 35. Glaubenslehre, § 113. 134 135 Unterricht, §§ 84 ff. Glaubenslehre, §§ 116 f — Unterricht, § 80.

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unternommen, diese Gefahr einer Auflösung des ,extra nos' dadurch zu umgehen, daß an einer personalen und nicht nur idealen Prä- und Postexistenz Christi sowie an einer immanenten Trinitätslehre festgehalten wird. Die Christologie ist also nicht von vornherein auf die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Erkennens reduziert, und die Lehre von der Versöhnung behält ihre .objektive Seite186' in der stellvertretenden Genugtuung Jesu Christi. 3. Die geschichtliche Person Jesu Christi Besondere Aufmerksamkeit verdient schließlich noch die Frage, was man in den behandelten diristologischen Entwürfen unter der geschichtlichen Person Jesu Christi versteht. An der Auseinandersetzung zwischen H . Schultz und I. A. Dorner wurde deutlich, wie sidi hier die Wege scheiden. Weder bei Schleiermacher noch bei H . Schultz und auch nicht beiA. Ritsehl ist die geschichtliche Person Jesu Christi mit dem historischen Jesus' gleichzusetzen, obwohl er durchweg unter den Postulaten der Anthropologie gesehen und dargestellt wird. Die Frage, ob die historischkritische Forschung den Eindruck und das Urteil des Glaubens bestätigen wird, hat nur Dorner im Sinne der positiven historischen Jesusforschung seiner Zeit beantwortet, obwohl das auch bei ihm nicht heißt, daß die Christologie von den historischen Forschungsergebnissen ausgeht. Es ist vielmehr die Überzeugung, daß die Wirklichkeit des Christusglaubens dem historischen Sachverhalt entsprechen wird. Bei Schleiermacher, Schultz und Ritsehl hingegen zeigt sich das Bestreben, die Christologie und auch die Aussagen über die geschichtliche Person Jesu Christi von den hypothetischen Ergebnissen der historischen Kritik unabhängig zu machen. Positiv sind diese dogmatischen Systeme, insofern sie von der Wirklichkeit des christlichen Glaubens in der Gemeinde ausgehen, nicht aber von dem .historischen Jesus'. Was unter der geschichtlichen Person Jesu Christi verstanden wird, ist am besten in den damit verbundenen Postulaten zu erkennen: Die geschichtliche Person bildet das Faktum, auf das sich der Glaube stützt, von dem die Wirkung ausgeht. Sie ist die Akkommodation des Transzendenten an das menschlich-geschichtliche Erkenntnisvermögen und darin die Entsprechung zu allem menschlichen Sein. Hinter diesen Postulaten steht die Ablehnung des besonders von D. F. Strauß vertretenen Idealismus wie auch des ebenso von der geschichtlichen Person abstrahierenden Rationalismus. Auf diese Weise ist die christologische Motivation eng mit der erkenntnistheoretischen verbunden. Die volle Menschheit und Geschichtlichkeit schließt die Möglichkeit des Erkennens ein. Bei dem Schluß von der Wirkung auf die Ursache oder dem nur dem Glauben 186

17

I. A. Dorner, System der christlichen Glaubenslehre, II, 2, S. 650 ff. 8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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möglichen religiösen Werturteil heißt dies aber auch, daß nur die Gemeinde, d. h. nur im Glauben der historische Jesus als Christus erkannt werden kann. Eine andere Frage ist, inwieweit die geschichtliche Person Jesu zum Kriterium der Christologie wird. Bei Schleiermacher sind die Einzelaussagen über die geschichtliche Existenz Jesu auffallend blaß und werden immer wieder unter dem Begriff des „Totaleindrucks" zusammengefaßt, von dem die Personwirkung ausgeht. Es genügt, so kann man sagen, das „Daß" der vollen Geschichtlichkeit und Natürlichkeit, und die Christlichkeit des frommen Bewußtseins erweist sich in dem Bezug auf diese geschichtliche Faktizität. Die Geschichtlichkeit Jesu, nicht aber die Geschichte Jesu bildet das dogmatische Kriterium für die Christologie. Der Glaube erkennt aus der empfangenen Wirkung heraus, ist aber letztlich nicht auf ein historisches Erkennen oder eine historische Bestätigung angewiesen. Dasselbe meint auch Schultz, wenn er die These aufstellt, daß von der Wirkung her mit den Postulaten der Anthropologie nach dem Werden des Menschen Jesus zum Christus gefragt werden muß137. Es ist bei Schleiermacher und auch bei Schultz nicht ausgeschlossen, daß die geschichtliche Person Jesu erst in der freilich durch jene Wirkung ausgelösten Synthese der Glaubenserkenntnis zum Christus wird. Dorner hat diese Gefahr zweifellos richtig erkannt, wenn er nun das Sein der gottmenschlichen Person in der Prä- und Postexistenz und damit auch außerhalb des Glaubensvollzugs im Anschluß an die altkirchliche Christologie betont. Es ist dann auch bezeichnend in seiner „Pisteologie", daß der Glaube in verschiedenen Stufen zur rechten Erkenntnis der Gottmenschheit Jesu Christi fortschreitet, indem er dabei ein Gegenüber erkennt. Trotz der Ablehnung aller ,Metaphysik 1 und Spekulation' weist die Christologie A. Ritschis in ähnliche Richtung. Denn es ist nicht zu übersehen, daß der Umfang von Einzeltatsachen aus dem Leben Jesu bei Ritsehl größer ist als bei Schleiermacher. Es geht bei ihm nicht allein um Geschichtlichkeit oder um Postulate der Anthropologie, sondern um Geschichte als Handeln einer Person von exemplarisch-sittlicher Bedeutung. Letztlich kommt es bei Ritsehl zu einem Zirkel, indem die von der Personwirkung Jesu verursachte religiöse Schätzung der Gemeinde auf die geschichtliche Person Jesu Christi nicht nur als Ursache, sondern auch als „Erkenntnisgrund für die Abgrenzung jeder Lehre", d. h. also als dogmatisches Kriterium, zurückgewiesen wird. Durch diesen Schritt wird bei Ritsehl der Erkenntnisgrund mit dem Realgrund in der geschichtlichen Person Jesu Christi verbunden, und dies in einem unumkehrbaren Verhältnis. 187

258

Siehe oben S. 213, 231.

KAPITEL

VIII

Der geschichtliche Jesus und der verkündigte Christus. Wilhelm Hermann — Martin Kahler Einer der interessantesten Vorgänge nicht nur in der Geschichte der historischen Jesusfrage, sondern überhaupt in der neueren Theologiegeschichte, ist die Auseinandersetzung zwischen Wilhelm Herrmann und Martin Kahler. Es ist kaum zu verstehen, daß sie in den beiden Gesamtdarstellungen zur historischen Jesusforschung von A . Schweitzer und J . M . Robinson nicht behandelt worden ist, auch wenn im ersten Fall die thematische, im zweiten die zeitliche Abgrenzung dafür ausschlaggebend waren 1 . M a n kann tatsächlich im Zweifel sein, ob das Grundproblem dieser Auseinandersetzung zur historischen Jesusforschung, zur dogmatischen Christologie oder zu den Prinzipienfragen theologischen Erkennens zu rechnen ist. In dieser Vielschichtigkeit zeigen sich dann audi bereits die Schwierigkeiten, das Grundproblem der Diskussion überhaupt zu fixieren. 1 Obwohl die Auseinandersetzung zwischen W. Herrmann und M. Kahler immer wieder und unter den verschiedensten Gesichtspunkten behandelt worden ist, fehlt es bisher an einer befriedigenden Untersuchung ihrer theologiegeschichtlichen Voraussetzungen und ihrer dogmatischen Problematik. Diese Aufgabe kann wohl auch nur in einer ausführlichen Monographie gelöst werden. Aus der weit verstreuten Literatur sei hier besonders hingewiesen auf: M. Reischle, Der Glaube an Jesum Christum und die geschiditlidie Erforschung seines Lebens, Leipzig 1893; M. Schulze, Die Religion Jesu und der Glaube an Christus, Halle 1897; E. Günther, Die Entwicklung der Lehre von der Person Christi, Tübingen 1911, S. 343—357; F. W. Schmidt, Das Verhältnis der Christologie zur historisdien Leben-Jesu-Forschung (in: ZThK 1 (1920) S. 249—276 und 323—353 = Kurzfassung der ungedr. Tübinger Dissertation: Das Verhältnis der Christologie zur historisdien Leben-Jesu-Forschung bei W. Herrmann und M. Kahler, Tübingen 1917); R. Paulus, Das Christusproblem der Gegenwart. Untersuchung über das Verhältnis von Idee und Geschichte, Tübingen 1922, S. 80—86; F. Traub, Glaube und Geschichte. Eine Untersuchung über das Verhältnis von christlichem Glauben und historischer Leben-Jesu-Forschung, Gotha 1926, 17 ff; E. Fuchs, Hermeneutik, Bad Cannstatt, 1. Aufl. 1954, S. 12—47; F. Gogarten, Theologie und Geschichte (in: ZThK 50 (1953) S. 339—394, ptim. bes. S. 370 ff); H. Graß, Ostergeschehen und Osterberichte, Göttingen 19643, S. 268—280; H. Gerdes, Die durch M. Kählers Kampf gegen den historischen' Jesus ausgelöste Krise in der evangelischen Theologie und ihre Überwindung (in: NZsystTh 3 (1961) S. 175—202); H. Anderson, Jesus and Christian Origins. A Commentary on Modern Viewpoints, New York 1964, S. 26—29.

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Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man versucht, die theologiegeschichtlichen und sachlichen Fronten der Debatte zu ermitteln. Audi wenn hinter W. Herrmann eine ganze Gruppe von Mitstreitern aus der Ritschlsdien Schule steht, während auf der anderen Seite neben Kahler Vertreter verschiedener anderer theologischer Richtungen auftreten, wird man schwerlich mit Herrmann von einer Auseinandersetzung der Ritschlschen Schule mit den anderen theologischen Gruppen sprechen können 8 . Denn gegenüber A. Ritsehl vertritt Herrmann eine in vieler Hinsicht selbständige und auch kritische Position, während ihn andrerseits mit Kähler manche Gemeinsamkeiten in der theologischen Herkunft und Anschauung verbinden. Beide sind stark von A. Tholuck in Halle beeinflußt worden. Die Begeisterung, mit der Herrmann sich in seiner Habilitationsschrift über „Die Metaphysik in der Theologie" (Halle 1876) Ritschis Kampf gegen die Metaphysik angeschlossen hatte, tritt bereits in der erweiterten Neufassung, „Die Religion im Verhältnis zum Welterkennen und zur Sittlichkeit" (Halle 1879)8 zurück. Vor allem verzichtet Herrmann in seiner weiteren Entwicklung auf die Theorie des an der sittlichen Forderung orientierten religiösen Werturteils. Mehr indirekt wird dies in seiner Rektoratsrede, „Der evangelische Glaube und die Theologie A. Ritschis", aus dem Jahr 1890 begründet: Die sittliche Forderung ist nur ein vorläufiger Maßstab zur Beurteilung der Person Jesu. Vielmehr wird Jesus, „je näher wir ihm kommen, desto mehr zum Ausleger unseres Gewissens", d.h. zum Maßstab unserer Selbstbeurteilung4. Es ist sicher auch nicht zufällig, daß Herrmann im Unterschied etwa zu M. Reiscble die abstrakte Vorstellung einer „Wechselbeziehung", „Wechselwirkung" oder „Korrelation" nicht verwendet, sondern von einem „Verkehr" spricht, wobei die für Ritsehl charakteristische Verbindung des Ontischen mit dem Noetischen rein personalistisch gefaßt wird 5 . Daß auf der anderen Seite M. Kähler den Begriff des „Verkehrs" im Sinne einer personalen Relation von Herrmann übernimmt 8 , auch wenn er dann wesentlich stärker das diristologische Moment betont 7 , weist 2

W. Herrmann, Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1923, S. 296. Eine regulative Bedeutung der Metaphysik wird in diesem Werk (S. 356 ff) von Herrmann anerkannt. Vgl. audi P. Fiscber-Appelt, Metaphysik im Horizont der Theologie Wilhelm Herrmanns. München 1965. 4 Ges. Aufsätze, S. 15 f. 5 W. Herrmann, Der Verkehr des Christen mit Gott, Tübingen 1921 7 , S. 163 ff; Ges. Aufsätze, S. 255 f. ® M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus, Neudruck der 2. Aufl. Leipzig 1928 (in folgenden wird nach dieser Ausgabe zitiert), S. 60, 95, kritisch S. 78; Dogmatische Zeitfragen Bd. II, Leipzig 1908 s , S. 156 ff u. a. 7 Vgl. jedoch audi bei W. Herrmann, Verkehr, S. 37. 8

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ebenfalls auf eine Gemeinsamkeit hin, die nicht nur auf Randfragen beschränkt ist. Weder Herrmann noch Kühler kann als Vertreter der historisdien Jesusforschung angesehen werden. Daß Kahler sieht gleichzeitig mit Herrmann und mit den Vertretern der ,Leben-Jesu-Forschung', besonders mit W. Beyschlag, B. Weiß u. a., auseinandersetzt, darf nicht zu dem Mißverständnis einer Gleichsetzung führen 8 . A. Die Problemstellung Wie in der Diskussion zwisdien H . Schultz und I. A. Dorner um die ,christologische Frage der Gegenwart' ist es auch in der erheblich umfangreicheren und vielschichtigeren Auseinandersetzung zwischen W. Herrmann und M. Kahler nicht ganz einfach, die verschiedenen Standpunkte klar voneinander abzugrenzen und die einzelnen Probleme zu fixieren. Daß Herrmann an dem ,inneren Leben Jesu' interessiert ist, während Kahler von dem ,aus und in Glauben gepredigten Bild Christi' ausgeht, besagt noch nicht viel. Denn beiden geht es um das in den Evangelien überlieferte ,Bild Christi', das bei keinem das Ergebnis historisch-kritischer Forschung oder biographischer Rekonstruktion ist9. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Äußerungen und Begriffe Herrmanns in mancher Hinsicht fließend sind. Er wiederholt sich zwar ständig, nimmt aber gleichzeitig manche Veränderungen vor, die oft nur schwer von einer Unscharfe in der Terminologie zu unterscheiden sind. Hierzu gehört vor allem die für seine eigene theologische Entwicklung tragische und seine ursprüngliche Frontstellung gegen Kahler erheblich verändernde Erkenntnis, daß seine Auffassung von dem geschichtlichen Christus' sich in der historisch-kritischen Exegese von W. Wrede, O. Schmiedel sowie in der von der religionsgeschichtlichen Schule und von A. Drews ausgelösten Debatte als ungeschichtlich erwies10. Herrmann hat sich zwar nie Illusionen über die historische Jesusforschung hingegeben, aber er war doch davon überzeugt, daß selbst in einer fragmentarischen Überlieferung das Bild Christi und seines inneren Lebens erkennbar sei und im historischen Zugriff sich wirksam erweise11. Dieser geschichtliche Erweis oder Selbsterweis, bei dem es vor allem um das Selbstbewußtsein Jesu geht, wird jedoch hinfällig. Herrmann spricht daher später weniger 8 Vgl. dazu W. Herrmann, Verkehr, Vorrede zur 4. Aufl.; M. Kühler, Hist. Jesus, S. 155. 9 W. Herrmann, Ges. Aufsätze, S. 91 ff; M. Kahler, Hist. Jesus, S. 47 ff. 10 J. M. Robinson, Das Problem des Heiligen Geistes bei Wilhelm Herrmann, Marburg 1952, S. 68 ff. 11 Ges. Aufsätze, S. 93 f.

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von dem „geschichtlichen Christus" als von dem „Christus des Neuen Testaments", dessen inneres Leben zwar keine historisch sicher zu erweisende Tatsache sei, der aber für uns zu einer lebendigen Tatsache des Glaubens werden kann 12 . 1. Die

Ansatzpunkte

Es liegt durchaus im Wesen der Theologie Herrmanns und Kählers sowie der von ihnen geführten Auseinandersetzung, daß die sie bewegenden Grundprobleme vor allem im Bereich der theologischen Prinzipienlehre gesehen werden, und zwar besonders unter der Thematik von Geschichte und Offenbarung. Fraglos liegt darin auch eine Problematik, die im Laufe der Diskussion immer wieder berührt wird und die auch eine ganze Reihe weiterer dogmatischer Sachfragen einschließt, wie dann auch umgekehrt der Einsatz bei dogmatischen Einzelproblemen die Prinzipienfragen nicht auszuschließen braucht. Zu diesen Einzelfragen gehört einmal das Schriftproblem, das im Rahmen der Prinzipienfragen besonders von E. Fuchs13 im Vordergrund der Hermann-Kählerschen Diskussion gesehen wird. Dabei trifft Fuchs einen wesentlichen Punkt, wenn er bei der Gegenüberstellung von Herrmann und Kahler vor allem auf die unterschiedliche Zuordnung von Person Jesu Christi und Schrift, von Christusperson und Christustradition hinweist. Es ist zu erwägen, ob nicht überhaupt und nicht nur im Rahmen des Themas dieser Untersuchung in der christologischen Problematik das Grundproblem der Auseinandersetzung zwischen Herrmann und Kahler zu sehen ist, von dem aus dann auch die Prinzipienfragen betrachtet werden müßten. Denn zweifellos ist ja die ganze Diskussion von der Frage nach der Person Jesu Christi bestimmt. W. Herrmann hat die zwischen ihm und Kähler bestehende Differenz im Anschluß an die Frage Luthers, „wie werde ich dessen gewiß, daß ich einen gnädigen Gott habe", zusammengefaßt 14 . Diese Frage wird alsdann in zwei Richtungen präzisiert, nämlich einmal: „Wie wir gegenwärtig Jesus Christus als den Grund des Glaubens erfassen, daß es einen Gott gibt, der uns aus aller Not und Sünde herausführen will" — und zum anderen mit der Frage nach dem rechten Gebrauch der Hl. Schrift. Herrmanns gegen Kähler gerichtete These ist nun, daß diese Gewißheit des Glaubens ihren Grund nur in dem haben kann, was „als etwas Wirk12 J. M. Robinson, a. a. O. S. 69; W. Herrmann, Die mit der Theologie verknüpfte Not der evangelischen Kirche, Tübingen 1913, S. 31 f und 26. 13 E. Fuchs, Hermeneutik, 1. Aufl., S. 12—47. 14 Z. B. Ges. Aufsätze, S. 296.

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liches sichtbar bleibt", d.h. in der irdisch-geschichtlichen Existenz Jesu, nicht aber in der Herrlichkeit des Auferstandenen und Erhöhten 15 . M. Kähler hat in der zweiten Auflage seiner Schrift über den historischen Jesus16 diesen Punkt aufgegriffen und in seiner Problematik entfaltet, indem er dem in seiner irdischen Existenz sichtbaren geschichtlichen Christus' Herrmanns den ,biblischen Christus' der gesamten apostolischen Verkündigung gegenüberstellt. Dabei kommt es Kähler vor allem auf die Frage nach dem Kriterium für die Aussonderung des .geschichtlichen Christus' aus der neutestamentlichen Uberlieferung an. Nach der Diktion Herrmanns geht es also um das Kriterium für die Unterscheidung zwischen ,Grund' und ,Inhalt' des Glaubens. Kähler hat dabei ganz richtig gesehen, daß der geschichtliche Christus' Herrmanns nicht das Ergebnis historischer Kritik und damit auch nicht mit dem historischen Jesus' identisch ist. Im Unterschied zu Otto Ritsehl17 handelt es sich bei Herrmann nicht um den Versuch, die Christologie als Ganze auf die geschichtliche Existenz und die historisch verifizierbaren Tatsachen, vor allem auf das Kreuzesleiden, zu reduzieren. Aus diesem Grund wird man aber auch nicht den Standpunkt Herrmanns gegenüber Kähler ohne weiteres mit der .neuen Frage nach dem historischen Jesus' gleichsetzen dürfen, obwohl es an theologiegeschichtlichen und sachlichen Zusammenhängen nicht fehlt. Da jedoch die Herrmann-Kählersche Diskussion stärker noch als die ausgehende ,Leben-Jesu-Forschung' die Verbindungen zwischen der Christologie des neunzehnten Jahrhunderts und der ,neuen Frage nach dem historischen Jesus' bildet, wenden wir uns zunächst den Voraussetzungen der Christologie bei Herrmann und Kähler zu. 2. Die Aporien der Ritschlschen Christologie Die Christologie A. Ritschis wurde von seinen Schülern an zwei Punkten kritisiert. Der erste Punkt betrifft das bereits von H . Schultz18 bemängelte Fehlen einer Lehre von der ,Verklärung' bzw. von dem erhöhten Christus. Ritsehl hatte zwar die These formuliert, daß man nur von der „offenbaren" auf die „ewige Gottheit" reflektieren dürfe, aber er hatte, aus welchen Gründen auch immer, darauf verzichtet, dies dogmatisch durchzuführen. Die entsprechenden Korrekturen werden vor 15

Ges. Aufsätze, S. 313; s.a. M. Reischle, Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den .geschichtlichen' Jesus Christus (in: ZThK 7 (1897) S. 171—264) S. 204. " S. 157 f, vgl. S. 76 f. 17 O. Ritsehl, Der geschichtliche Christus, der christliche Glaube und die theologische Wissenschaft. In: ZThK 3 (1893) S. 371—426. 18 Siehe oben S. 252 f.

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allem von Theodor Haering und Julius Kaftan18 vorgenommen. Denn beide gehen davon aus, daß zwar im neutestamentlichen Zeugnis von einer rein menschlich-geschichtlichen Existenz Jesu die Rede ist, und zwar verbunden mit einem historisch unbestreitbaren messianischen Selbstbewußtsein, das jedoch noch nicht mit Gottesprädikationen gleichzusetzen ist24. Die Gottesprädikationen hingegen gelten nicht der Persönlichkeit des Irdischen, sondern haben ihren Ursprung im Glauben an die Erscheinungen des Auferstandenen. Infolgedessen bezieht Kaftan den ,kyrios'Titel auch nicht wie Ritsehl21 auf die geschichtliche Person, sondern auf den „Auferstandenen, Erhöhten, Verklärten". Dieser aber schließt die Gottheit des Irdischen ein22. Mit dieser immerhin tiefgreifenden Kritik an der Christologie Ritschis wird durchaus im Sinne Kählers an der unauflöslichen Einheit des neutestamentlichen Christuszeugnisses festgehalten sowie an der geschichtlichen Faktizität nicht der Auferstehung, sondern des Auferstehungsglaubens. Daher fordert Th. Haering auch gegenüber W. Herrmann und M. Reisdile, daß die Auferstehung als besonderes Element in der neutestamentlichen Christologie in den Glaubensgrund einbezogen werden müsse23. Vor allem aber wird damit der Eindruck vermieden, es handele sich bei dem Übergang vom Irdischen zum Erhöhten und mithin bei der Auferstehung lediglich um einen Erkenntnisakt des Glaubens, der zwar nicht im Bewußtsein, sondern in der Personwirkung des geschichtlichen Christus seine Ursache habe. Zum andern wird aber auch der quellenkritisch problematischen Trennung zwischen den Nachrichten über das ,Leben' Jesu und der Christusverkündigung der Gemeinde ausgewichen. Außerdem wird schließlich in der Soteriologie zwischen dem Heilsereignis und der Heilserkenntnis klar geschieden. Bezeichnet man diese Richtung als die ,Ritschlsche Redite', so gehört W. Herrmann zur ,Ritschlschen Linken'. Er und neben ihm besonders Max Reischle24 halten an dem Prinzip Ritschis fest, daß die ewige Gottheit Christi nur aus seiner offenbaren Gottheit erkannt werden könne26. 18 Th. Haering, Gehört die Auferstehung Jesu zum Glaubensgrund? Amica exegesis zu Prof. D. M. Reischles ,Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den geschichtlichen Jesus Christus'. In: ZThK 7 (1897) S. 332—351; Ders., Der christliche Glaube. Dogmatik. Stuttgart 1922«, S. 527 ff; J. Kaftan, Dogmatik, Tübingen 1920 7+8 , bes. S. 437 ff. » Vgl. J. Kaftan, a. a. O. S. 398 ff, bes. 400 ff; Th. Haering, Der christliche Glaube, S. 529. Beide vertreten eine ökonomische Trinitätslehre. 21 Siehe oben S. 252 f zu Anm. 123. 22 23 J. Kaftan, Dogmatik, S. 405 und 44 5 . Th. Haering, ZThK 7 (1897) S. 331 ff. 24 M. Reisdile, Der Glaube an Jesus Christus und die geschichtliche Erforschung seines Lebens, Leipzig 1893; Ders.: s. o. Anm. 15. 25 M. Reisdile, ZThK 7 (1897) S. 204; W. Herrmann, Die Metaphysik in der Theologie, Halle 1876, S. 56 f, 75 f, 81 f.

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Beide gehen aber über Ritsehl hinaus, indem sie die Aussagen über die geschichtliche Person Jesu Christi erweitern und auch die Reflexion auf die ,ewige Gottheit', d.h. auf die Postexistenz Christi in der Auferstehung und Erhöhung zu vollziehen suchen26. Systematisch geschieht dies dadurch, daß Herrmann nicht mehr von einer ,religiösen Schätzung' oder einem ,religiösen Werturteil' ausgeht, das auf die geschichtliche Person Jesu in der sittlichen Vollkommenheit ihres Berufsgehorsams gerichtet ist, sondern daß er unterscheidet zwischen Glaubensgrund und Glaubensinhalt bzw. Glaubensgedanken27. Die damit verbundene systematische Intention wird in Herrmanns Kritik an dem altprotestantischen „orthodoxen Schriftprinzip " greifbar. Die gesamte theologiegeschichtliche Entwicklung von Luther bis hin zu I. Kant, Schleiermacher und schließlich noch zu A. Ritsehl, dem „letzten großen Vertreter der orthodoxen Dogmatik", steht unter der Inkonsequenz, daß der Glaube zwar als Erlebnis und Erfahrung verstanden wird, während zugleich die Schrift ihre Funktion als „Lehrgesetz" behält 88 . Diese Kritik an einem ,lehrgesetzlichen Verständnis der Hl. Schrift' entspricht der Ablehnung einer spekulativen Metaphysik in der Dogmatik. Zu ihr gehört auch der besonders von M. Kahler kritisierte Verzicht auf das Alte Testament, an dem Ritsehl noch ausdrücklich festgehalten hatte29. Der Grund für diese scharfe Ablehnung des ,altprotestantischen Schriftprinzips' ist ein dogmatischer und ein historischer. Dogmatisch ist für Herrmann ein derartiges Schriftprinzip unvereinbar mit dem Wesen des evangelischen Glaubens; historisch scheitert es an den Erkenntnissen der modernen Kritik 30 . Dogmatik kann und darf sich also nach Herrmanns Meinung nicht auf eine Schriftauslegung beschränken, will sie nicht in eine unevangelische Lehrgesetzlichkeit und einen Autoritätsglauben geraten. Die bei Ritsehl immer noch gewahrte relative Norm von Schrift, Dogma und Be26 Anders jedoch O. Ritsehl, der ganz beim historischen Positivismus bleibt. Siehe oben Anm. 17. 27 M. Reischle hat demgegenüber noch ganz an der Theorie des „Werturteils" festgehalten. 28 Das Zitat: Ges. Aufsätze, S. 118; vgl. außerdem aus einer Fülle entsprechender Äußerungen bes.: Die Metaphysik in der Theologie, S. 65 ff, Verkehr, S. 38 ff, 191 f ; Ges. Aufsätze, S. 108 f, 26 ff, 112 ff, 18 f, 175 f. 29 Siehe oben S. 202; M. Kähler, Historischer Jesus, S. 156. 30 Vgl. hierzu Herrmanns Urteil über die Theologie A. Ritschis: „Aber indem er (seil. A. Ritsehl) die alte Aufgabe der Dogmatik festhält, daß sie zu zeigen habe, was geglaubt werden müsse, macht er die hl. Schrift in der Weise des alten Protestantismus zum Lehrgesetz, wozu sie schlechterdings nicht mehr zu brauchen ist, wenn sie durch die Werkstätte der historisch kritischen Auslegung gezogen ist, und wenn der Leser an sie das Verständnis der Religion im protestantischen Sinne, den Gedanken des Glaubens, der selig macht, heranbringt." Ges. Aufs. S. 118.

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kenntnis 31 wird von Herrmann aufgehoben. Dahinter steht jedodi gewiß nicht allein das Bemühen, ,im Anschluß an Luther' das reformatorische ,sola fide' zur Geltung zu bringen. Das Leitmotiv seiner Theologie bildet die Frage, wie der Glaube entstehen und bestehen kann, wobei sachgemäß zu ergänzen wäre: nachdem das traditionelle Schriftprinzip sich angesichts der historischen Kritik als unhaltbar erwiesen hat 32 . Primär handelt es sich also um eine praktische Frage, die aus der Anfechtung des Glaubens durch die historisch-kritische Forschung erwächst. Formal lehnt sich Herrmann in seinem Lösungsversuch an das christozentrische Schriftverständnis der Reformation an; faktisch geht es ihm jedoch darum, den Grund des Glaubens in einer Weise zu bestimmen, die ihn von den wechselnden Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese unabhängig macht. Infolgedessen liegt auch das wichtigste Kriterium des Glaubensgrundes in dessen Selbstevidenz, und dies wird schließlich zum leitenden Prinzip für die christologischen Aussagen. Die Unterscheidung von Glaubensgrund und Glaubensinhalt bzw. Glaubensgedanken ist für Herrmanns Verständnis der Person Jesu Christi von größter Bedeutung, die ebenfalls zunächst im Rückblick auf die Theologie Ritschis deutlich gemacht werden kann. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß diese Unterscheidung offenbar an die Stelle von Ritschis religiösem Werturteil tritt. Gleichzeitig wird aber mit ihr auch der Schluß von der offenbaren auf die ewige Gottheit Christi durchgeführt. Geht man davon aus, daß bei Ritsehl das Werturteil in Verbindung mit dem Prinzip der Korrelation zur noetischen Aufdeckung eines ontischen Grundes führt, so zeigt sich demgegenüber bei Herrmann eine nicht unwichtige Verschiebung zu einer rein noetischen Fragestellung. Das Werturteil ist bei Ritsehl im Grunde ein ekklesiologisch orientiertes Prinzip, das von der Wirklichkeit des Christusglaubens in der Gemeinde bestimmt ist. Bei Herrmann hingegen wird mit der Unterscheidung von Glaubensgrund und Glaubensinhalt das Entstehen des Glaubens im Individuum und in der Form einer persönlichen Begegnung als Erlebnis beschrieben33. Wie die meisten Teile seiner Theologie wird auch die Unterscheidung von Glaubensgrund und Glaubensgedanken von Herrmann erst in der Auseinandersetzung mit seinen Kritikern präzisiert, und es zeigt sich bei den beiden entscheidenden Definitionen, wie es einmal um das Entstehen und zum andern um das Bestehen des Glaubens geht. 31

A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung, II, S. 9 ff; 20 ff. Ges. Aufsätze, S. 55, 106, 112, 306; M. Kahler, Historischer Jesus, S. 156. Zum Schriftproblem bei W. Herrmann vgl. auch Ges. Aufs. S. 297 ff, 324 f u. ö. 33 Hierzu und zum folgenden vgl. bes. Ges. Aufs. S. 275—294 und 295—335, außerdem: Verkehr, S. 37, 63 und 229 ff. Th. Mahlmann, Das Axiom des Erlebnisses bei Wilhelm Herrmann (in: NZsystTh 4 (1962) S. 11—88). 32

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Die erste Definition geht aus von dem Übergang vom Unglauben zum Glauben. Sie beschreibt den Glaubensgrund mit drei Punkten: 1. „Der Grund des Glaubens ist auch dem noch nicht Gläubigen, aber sittlich regen Menschen verständlich." 2. „Der Grund des Glaubens wirkt die Entstehung des Glaubens; es ist dies der geheimnisvolle Vorgang, daß der Mensch Jesus in seiner Niedrigkeit durch den Eindruck seines persönlichen Lebens in uns die Zuversicht zu der Wirklichkeit und Gnade Gottes schafft." 3. „Der Grund des Glaubens kommt von außen her an uns heran; wer ihn, nachdem das sittliche Bedürfnis des Menschen in ihm rege geworden ist, dennoch in sich selbst zu finden meint, der ist verloren 34 ." In der zweiten Definition geht es um das Bestehen des Glaubens in den Anfechtungen: „Das, worin der Glaube seinen Grund soll finden können, muß so beschaffen sein, daß es dem Menschen gegenwärtig bleiben kann, auch wenn ihm sein Glaube im Zweifel schwindet. Grund des Glaubens können wir also nur das nennen, was dem Gott suchenden, aber noch nicht glaubenden Menschen als etwas Wirkliches entgegentreten kann und in seinem tatsächlichen Inhalt die wunderbare Macht hat, einen solchen Menschen davon zu überzeugen, daß Gott wirklich ist und auf ihn wirkt 35 ." Demgegenüber erscheint der Inhalt des Glaubens formal als eine Antithese zu dem Glaubensgrund, insofern bei ihm nicht die Allgemeinverständlichkeit und Wirksamkeit vorausgesetzt werden kann: 1. Er kann „nur auf den zum Glauben erweckten Menschen den Eindruck des Wirklichen machen." 2. Er kann im Menschen keine Zuversicht wecken. „Wenn man ihm dies dennoch zutraut, so macht man notwendig den Glauben zu einem menschlichen Werke, durch das man nicht befreit, sondern belastet wird." 3. „ . . . der Inhalt des Glaubens kann uns schlechterdings nicht von außen gegeben werden. E r muß in dem Glauben, der in seiner Wurzel Vertrauen auf Jesus ist, entstehen 36 ." In der zweiten Definition wird besonders hervorgehoben, daß der Glaubensinhalt die durch den Glauben, das neue Leben, begründete und erkennbare Wirklichkeit bildet, die also auch nur dem Glauben zugänglich ist. Der Glaube ist der „Keim" zu den Glaubensgedanken, die aus der „Wurzel" des Glaubens erwachsenden „Früchte" 37 . Die Unterscheidung von Glaubensgrund und -inhalt deckt sich nicht mit der traditionellen Unterscheidung von Glaubensakt und -inhalt 38 , Ges. Aufsätze, S. 292. Vgl. W. Herrmann, Ethik. Tübingen 1921, S. 57 f. Ges. Aufsätze, S. 325 f; vgl. S. 286 und 288. 3 6 Ges. Aufsätze, S. 292. 37 Ges. Aufsätze, S. 325, 251, vgl. 333, 373. Siehe auch H. Graß, Glaubensgrund und Glaubensgedanken, (in: ThLZ 79 (1954) S. 439—446). 3 8 fides qua bzw. quae creditur. 34 35

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von articuli fundamentales und non fundamentales oder veritates explicitae und implicitae. Vielmehr wird primär von einem erkenntnistheoretischen Kriterium ausgegangen, das an dem Prinzip einer unmittelbaren Evidenz orientiert ist und zugleich gewissermaßen den Indifferenzpunkt zwischen natürlichem Erkennen und Glaubenserkenntnis bildet. Diese Funktion hat die geschichtliche Person Jesu mit der überwältigenden Kraft ihrer inneren Persönlichkeit. Sofern man bei Herrmann überhaupt von einer geschlossenen Christologie sprechen kann, ist sie unter die Frage gestellt, wie der moderne Mensch zum Glauben an Christus kommen kann, bzw. wie durch die Begegnung mit der Person Jesu Christi der Glaube in ihm entsteht. Die nähere Bestimmung muß dann aus dem Verständnis der Person Jesu Christi erhoben werden. 3. Die Grundlagen der Christologie M. Kahlers Bei der Theologie M. Kählers steht man vor der doppelten Schwierigkeit, daß sie nur schwer in die Sdiulrichtungen ihrer Zeit eingeordnet werden kann und zudem in unterschiedlicher Weise von der neueren Theologie in Anspruch genommen wird. Die Mehrzahl der neueren Monographien über Kähler 39 behandelt vor allem sein Verständnis von Geschichte und Offenbarung, d. h. die Prinzipien seines theologischen Denkens und Erkennens. Die Christologie erscheint dabei meist nur am Rande oder als Konsequenz der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, aber jedenfalls nicht als das eigentliche Motiv der Kählerschen Theologie. Man wird sich, ähnlich wie auch bei der Beschäftigung mit anderen theologischen Systemen, fragen müssen, ob die von Kähler ausdrücklich vermiedene Trennung zwischen den denkerischen Prinzipien und den sachlichen Inhalten durchgeführt werden kann, ohne daß damit ein wesentliches Anliegen seiner Theologie verlorengeht. Die Bedeutung und Nachwirkung Kählers ist aufs engste mit seiner Schrift über den „sogenannten historischen Jesus" verbunden 40 . Neben dieser Schrift lassen vor allem noch die posthum veröffentlichten Vor3

® H . Petran, Die Menschheitsbedeutung Jesu bei Martin Kähler. Eine Untersuchung unter dem Gesichtspunkt: Offenbarung und Geschichte. BFdiTh 35, 2. Gütersloh 1931; H. Leipold, Offenbarung und Geschichte als Problem des Verstehens. Eine Untersuchung zur Theologie Martin Kählers. Gütersloh 1962; J. Wirsching, Gott in der Geschichte. Studien zur theologiegeschichtlichen Stellung und systematischen Grundlegung der Theologie Martin Kählers. München 1963. Chr. Seiler, Die theologische Entwicklung Martin Kählers bis 1869. Gütersloh 1966. 40 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus. 1. Aufl. 1892; 2. Aufl. 1896. Im folgenden wird nach dem Neudruck der 2. Aufl. Leipzig 1928 zitiert. Vgl. dazu auch bes. die Artikel von M. Kähler in RE': „Biblische Theologie", Bd. 3, S. 192—200; „Christologie, Sdiriftlehre", Bd. 4, S. 4—16. Ders.: Dogmatische Zeitfragen Bd. 2 8 , Leipzig 1908.

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lesungsnachschriften über die „Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert" (München 1962) erkennen, wie sehr das theologische Anliegen Kählers von der christologischen Problematik bestimmt wird. Dies beschränkt sich nicht nur auf die unmittelbare Auseinandersetzung mit W. Herrmann, sondern auch mit A. Ritscbln. Der Biblizismus Kählers und die Kritik am „Historicismus" der ,Leben-Jesu-Forschung' haben ihre gemeinsame Wurzel in der Christologie. Dies gilt aber wohl auch für Kählers Verständnis von Geschichte und Offenbarung, insofern die hierfür bestimmende Unterscheidung von „Geschichtlichem" und „Ubergeschichtlichem" in ähnlicher Weise christologisdi ausgerichtet ist wie bei Schleiermacher die Unterscheidung zwischen „Geschichtlichkeit" und „Urbildlichkeit" 48 . Bereits in den Grundlagen der Christologie sind einige wesentliche Unterschiede zwischen Kähler und Herrmann zu erkennen. Kähler geht es nicht in dem ausschließlichen Sinne wie Herrmann um die Glaubensbegründung und den angefochtenen Glauben. Die Wirklichkeit des Glaubens ist vielmehr immer schon vorausgesetzt48 und bildet die Grundlage der dogmatischen Aussagen. Kähler beschreibt nicht den Übergang vom Unglauben oder Zweifel zum Glauben, sondern er geht von der Wirklichkeit der Rechtfertigung als eines „neuen Standes" aus44, und daher zielt die „Apologetik" auch nicht auf eine Rechtfertigung des Glaubens, sondern auf seine „Selbstvergewisserung"48. Ähnlich wie Schleiermacher behauptet auch Kähler ein religiöses Apriori, eine „Anlage" im Menschen, in der der Glaube seinen Ort und die vorgegebene Wirklichkeit seines Wirkens findet48. Bei Herrmann gibt es in diesem Sinne kein religiöses Apriori als besondere Anlage, sondern nur die Erfahrung von Schuld in der sittlichen Insuffizienz des eigenen Bemühens47. Um das hier naheliegende Mißverständnis einer natürlichen Theologie zu vermeiden, ist zu berücksichtigen, daß bei Kähler dieses religiöse Apriori nicht im Rahmen einer empirischen Anthropologie formuliert wird. Es ergibt sich erst als ein situationsbedingtes Postulat des christlichen Glaubens im Rückblick auf die vorchristliche Existenz, nämlich 41 Vgl. dazu bes. M. Kähler, Geschichte der prot. Dogmatik, S. 14 f, 240 ff und 271. Hier ergeben sidi auch eine Reihe interessanter Perspektiven zu dem Verhältnis Kählers zu Ritsehl wie auch zu Sdhleiermacher. 48 M. Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt, Leipzig 1905 8 (Neudrude Neukirchen 1966), S. 12 ff. 43 Vgl. dazu H . Leipold, a. a. O. S. 10 ff; J. Wirscbing, a. a. O. S. 57 ff. 44 45 Wissenschaft, S. 217, 469. A. a. O. S. 76 f. 44 A . a . O . S. 110 ff und 118. Vgl. dazu bei W. Herrmann die Kritik an Schleiermacher und E. Troeltsch, Ges. Aufsätze, S. 130 f und 113 f. 47 W. Herrmann, Die Metaphysik in der Theologie, S. 18 ff, 24 ff; Verkehr, S. 113 ff; Die sittlichen Weisungen Jesu, Göttingen 1904 1 , S. 6 ff; Ges. Aufsätze, S. 15 ff, 55, 70, 241 f u . ö .

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aus einem apologetischen und missionarischen Interesse48. Genaugenommen ist Kählers religiöses Apriori von vornherein durch die geschichtliche Wirklichkeit des Christentums und der christlichen Existenz bestimmt. Die dogmatischen Aussagen setzen daher auch ein bei dem „Christenstande jedes Christen", der als „Gewißheit, in der Rechtfertigung zu stehen" oder kurz als „Rechtfertigungsglaube" — im Unterschied zum „rechtfertigenden Glauben" — bezeichnet wird 49 . Hierzu wird aber gleich als notwendige Abgrenzung formuliert: „Allein das christliche Einzelbewußtsein in dem nun näher bestimmten Sinn ist eben nur der Standort und das Mittel des Erkennens, nicht der Fundort für die Gegenstände der Betrachtung, und darum auch nicht ihre Begrenzung50." Damit wird eine doppelte Form von Subjektivismus ausgeschlossen, nämlich einmal die bei Schleiermacher naheliegende Gefahr, daß die dogmatischen Aussagen nur Bewußtseinszustände beschreiben51 und zum andern die bei Herrmann naheliegende Gefahr einer Reduktion des Glaubensinhalts auf die Möglichkeiten der natürlichen Erkenntnisvoraussetzungen. Der Rechtfertigungsglaube beschreibt die Situation, in der ein Christ sich vorfindet und aus der heraus alsdann die Dogmatik zu entwickeln ist. Das Christentum als geschichtliche Größe und der christliche Glaube als wirkliche Erfahrung der Rechtfertigung in einem neuen Stand bilden die Grundlage aller christlichen Lehre. Entscheidend ist aber nun, daß dieses durch den Rechtfertigungsglauben bezeichnete Apriori von Kähler nicht allein als Erkenntnisgrund und -prinzip aufgefaßt wird, sondern daß es sich dabei um eine ontische Beziehung handelt, die stets durch ihren Inhalt bestimmt ist. Darin liegt dann auch die tiefste Differenz gegenüber dem theologischen Anliegen Herrmanns. Was bei Herrmann als Weg des Erkennens von dem Glaubensgrund in der geschichtlichen Person Jesu zu der Explikation dieser Erfahrung in der konkreten Begegnung durch die Glaubensgedanken beschrieben wird, erscheint bei Kähler als die Explikation einer vorgegebenen Wirklichkeit des Glaubens mit dem Ziel seiner Vergewisserung. Kähler spricht von dem gerechtfertigten Sünder, Herrmann hingegen von dem aus seiner sittlichen Krise zu befreienden Menschen. Herrmann beschreibt den Vorgang der Heilsaneignung und Glaubensbegründung, während Kähler von dem Sein und dem Stand der Rechtfertigung als einer geschichtlichen Wirklichkeit ausgeht. Dieser Unterschied zeichnet sich noch in anderem Zusammenhang ab. Für Kähler ist der die Ritschlsche Schule bestimmende Kampf gegen die ,Metaphysik' uninteressant, weil die geschichtliche Wirklichkeit der Offenbarung im Christentum und im Rechtfertigungsglauben nicht auf 48 50

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M. Kähler, Wissenschaft, S. 84 . A. a. O. S. 75.

49 51

A. a. O. S. 70 ff, 75, 88 ff. A. a. O. S. 56 f.

eine Wirkung beschränkt ist, sondern ein Sein erschließt. Von hier aus hat Kähler nun die Möglichkeit, den Ansatz der Heilsgewißheit nicht in der subjektiven, persönlichen Erfahrung zu suchen, sondern in dem Heilsrat Gottes, der in der Person Jesu Christi dem Glauben offenbar wird 52 . Kähler vertritt dabei eine christologisch oder besser soteriologisch ausgerichtete Prädestinationslehre, in der deutlich ein christozentrischer Ansatz seiner ganzen weiteren Dogmatik zum Ausdruck kommt, der bisher noch nicht gewürdigt worden ist. Man wird so von einem eindeutigen supralapsarischen Ansatz sprechen müssen, der auf der einen Seite das Wesen und Handeln Gottes als Liebe beschreibt und auf der anderen Seite den außerhalb des menschlichen Bewußtseins und seiner geschichtlichen Situation liegenden Grund der Heilsgewißheit angibt. Für die Ritschlsche Theologie, der Hermann in diesem Punkt folgt, ist ein derartiger Ansatz nicht nachvollziehbar, da alles auf die mögliche Erfahrung konzentriert und beschränkt wird. Herrmann hat so auch schon in seiner Frühschrift den Supralapsarismus der Reformatoren ausdrücklich abgelehnt mit der Begründung, daß hier eine faktische Erscheinung zum theoretischen Erklärungsprinzip ausgebaut und die selbständige sittliche Entscheidung des Menschen in Freiheit aufgehoben werde53. Ihm kommt alles darauf an, die Erlösung als die Befreiung zum sittlichen Handeln zu verstehen, die in einem konkreten Erlebnis für den einzelnen wirklich wird. Kähler jedoch unterscheidet zwischen dem „göttlichen Heilsrat" und dem „Heilsstand" des Christen. Die Vermittlung zwischen beiden bildet die „Heilsveranstaltung". „Sie faßt sich in dem geschichtlichen Christus zusammen, welches der mittlerische Gegenstand jenes Rates und der begründende Gegenstand des Rechtfertigungs-Glaubens ist54." An dieser Stelle liegt bei Kähler nicht nur der Einsatzpunkt seiner Christologie, sondern auch seiner Stellung zur historischen Jesusfrage in der Auseinandersetzung mit Wilhelm Herrmann. B. Die Person Jesu Christi Im Vorfeld der Auseinandersetzung zwischen W. Herrmann und M. Kähler ließen sich noch einige weitere Divergenzpunkte aufzeigen, die aber letztlich alle auf den gleichen Unterschied hinauslaufen. Bei Herrmann geht es um die Frage, „wie wir gegenwärtig Jesus Christus als den Grund des Glaubens erfassen, daß es einen Gott gibt, der uns aus aller Not und Sünde herausführen will" 55 . Diese Gegenwart ist näher bestimmt durch den Glauben, der sich durch die historische Erforschung der Hl. Schrift in seinen Grundfesten bedroht sieht. Kähler 58

A. a. O. S. 227

54

M. Kähler, Wissenschaft, S. 248.

ff.

53

W. Herrmann,

Die Metaphysik in der Theologie, S. 25 f. 55

W. Herrmann, Ges. Aufsätze, S. 296. 271

seinerseits geht aus von der Wirklichkeit des Glaubens, wie sie sich in allen Epochen der christlichen Geschichte manifestiert und durchsetzt, wie sie sich immer wieder an dem geschriebenen Wort der Bibel entzündet. Daher seine These: „Diese Gesamtheit, die Kirche Christi, kann aber sich nicht auf den Standpunkt der werdenden Christen stellen und ihren Unterricht im allgemeinen nicht auf die Stellung solcher zuschneiden, die erst danach suchen, Christen zu werden oder Glauben zu erlangen, und denen die Bibel erst individuell das fragliche Ansehen erlangen kann und soll56." H . Gerdes hat diesen Unterschied sehr pointiert so zusammengefaßt, daß er bei Herrmann ein sympathetisches, bei Kähler ein antipathetisches Verhältnis zum Unglauben sieht oder letzten Endes auch eine Verständnislosigkeit gegenüber dem Unglauben 57 . So naheliegend dieses Urteil zunächst scheinen mag, wird es doch mindestens der Absicht Kählers nicht gerecht. Der Zusammenhang der angeführten Stellen, von denen die zweite auch bei Gerdes zitiert wird, weist noch auf einen tieferen Unterschied hin. Bei Herrmann besteht ganz offensichtlich die Gefahr eines Synergismus, wenn er die Wirkung des Schriftzeugnisses von dem rechten Brauch der Schrift abhängig macht58, obwohl er kurz darauf audi sagen kann: „Die Bibel bleibt uns das Wort Gottes, weil sie uns den Grund des Glaubens darreicht und uns den Glauben selbst in seiner Vollendung zeigt59." Bei Kähler ist die Reihenfolge genau umgekehrt, indem die Glauben wirkende Autorität der Sdirift (auctoritas efficiens fidem) und ihr richterliches Ansehen (auctoritas iudicativa) auch zu allen Zeiten zu einem rechten Schriftgebrauch führen 60 . Hier handelt es sich nicht allein um eine unterschiedliche Stellung zum Unglauben oder aber zu den Grenzen und Möglichkeiten historischer Kritik, deren Probleme Kähler ebenso sieht wie Herrmann. Letztlich geht es hier um eine prinzipielle Differenz im theologischen Ansatz und in der Beurteilung des christlichen Glaubens in der Geschichtsmächtigkeit der Offenbarung. 1. Das innere Leben Jesu als Grund des Glaubens Bei der Beschäftigung mit Herrmanns Auffassung von der Person Jesu Christi ist noch einmal zu betonen, daß Herrmann genausowenig wie Kähler ein Vertreter der historischen Jesusforschung ist, sondern daß sich beide mit den Konsequenzen der historischen Jesusforschung für den Glauben auseinandersetzen. Wie Jesus wirklich war, wie er in seiner geschichtlichen Existenz seine Persönlichkeit und sein messianisches SelbstM 58 59

272

57 M. Kühler, Historischer Jesus, S. 30. NZsystTh 3 (1961) S. 185 f. Die Schrift „hilft uns nur, wenn wir sie richtig gebrauchen" — Ges. Aufs., S. 296. 60 Ges. Aufs. S. 298. Hist. Jesus, S. 31, vgl. auch S. 8 f und Anm. 1 zu S. 8.

bewußtsein entfaltete und ähnliche Fragen werden von Herrmann nicht gestellt und auch nicht beantwortet. Die Person Jesu ist für Herrmann ausdrücklich kein historisches Problem im Sinne der ,Leben-Jesu-Forschung', sondern es geht dabei allein um die Begründung des Glaubens61. Freilich wird damit, abgesehen von der Spätform seiner Theologie, nicht ausgeschlossen, daß Jesus ein Mensch von besonderen ethischen und religiösen Qualitäten gewesen sei und als solcher auch noch in den neutestamentlichen Schriften zu erkennen ist. Entscheidend für Herrmanns Verständnis der Person Jesu Christi ist vielmehr, daß Jesus nicht nur eine hervorragende Persönlichkeit der Geschichte gewesen ist, sondern sich auch in der gegenwärtigen Begegnung als solche erweist. In diesem Zusammenhang hat die historische Jesusfrage eine regulative Funktion für den Glauben, die im wesentlichen negativ ist. Die historische Forschung fixiert zwar eine geschichtliche Tatsache, konstituiert jedoch nicht ihre Wirksamkeit für den Glauben 62 . Sie hat ein negatives, die falsche Sicherheit des Glaubens erschütterndes Ergebnis. Umgekehrt ermöglicht nicht nur, sondern fordert auch die geschichtliche Realität der Person eine historische Forschung, nicht zuletzt, um der Gefahr einer idealistischen Auflösung auszuweichen63. Im Vordergrund des theologischen Interesses stehen jedoch nicht die Ergebnisse und Erkenntnisse der historischen Forschung, sondern ihre Konsequenzen für das Glaubensleben des modernen Menschen. Indem die historische Forschung zum historischen Zweifel an der Objektivität und Authentizität des Schriftzeugnisses führt, wird sie für den gegenwärtigen Menschen zur Anfechtung seines Glaubens, und darauf will Herrmann eine theologische Antwort geben. Diese Antwort wird von zwei Faktoren oder Postulaten bestimmt. Einerseits ist sie an dem Analogieprinzip der historischen Forschung orientiert, andrerseits an dem Erlösungsbedürfnis des Menschen. Auf die Begründung des Glaubens bezogen heißt dies, daß Jesus als Mensch dem suchenden Menschen im Medium und in den Kategorien der geschichtlichen Existenz gegenwärtig begegnet und zum Erlebnis wird. Diesen Vorgang sucht Herrmann mit immer neuen Wendungen zu beschreiben, wenn er von der Begründung des Glaubens durch die geschichtliche Person und das innere Leben Jesu spricht. Dieser Sachverhalt wird sehr anschaulich an dem Begriff des „Faktum" oder der „Tatsache", wie er in allen Schriften Herrmanns zu finden ist. Herrmann wendet sich dabei gegen die „Dogmen der Aufklärung", die Trennung zwischen Geschichte und Glauben in der Aufklärung und im Idealismus64, wo der Tatsachenbegriff auf Vergangenes beschränkt ist « Ges. Aufsätze, S. 315, 339 f, vgl. S. 23 f, 93 f. 62 W. Hermann, Die Metaphysik in der Theologie, S. 65 f; Ges. Aufs., S. 91. 63 64 Ges. Aufs., S. 427 f, 116,163 ff. Ges. Aufs., S. 222 ff, 229. 18

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

273

und keine direkte Beziehung zu der gegenwärtigen Wirklichkeit enthält, sondern als „Gesdiichtsglauben" entweder eine Unmöglichkeit (Lessing) oder eine niedrige Vorstufe des wahren religiösen Glaubens (Kant) darstellt. Das Bedenkliche daran sieht Herrmann in den Konsequenzen für die Christologie, wenn der Glaube an die Person Jesu nach diesen Voraussetzungen einen Widerspruch zum Wesen des Glaubens bildet' 5 . Darin zeigt sich, daß es Herrmann nicht allein um ein hermeneutisches Problem geht, wenn er bei dem durch die historische Kritik angefochtenen Glauben einsetzt. Es handelt sich auch um ein christologisches Problem, indem es gilt, gegen Aufklärung und Idealismus an der vollen Geschichtlichkeit der Offenbarung in der Person Jesu Christi und ihrer bleibenden Bedeutung für den Glauben festzuhalten 88 . Indes geht Herrmann auch nicht den Weg Schleiermachers weiter, bei dem das Faktum der geschichtlichen Person Jesu mit dem Faktum der Wiedergeburt in der gegenwärtigen Existenz des Christen durch ein Kausalprinzip vermittelt und auf diese Weise festgehalten wird. Hier sieht Herrmann die Gefahr, daß dem Glauben eine eigene Produktivität beigelegt wird, während das ,extra nosc der Glaubensbegründung in der Person Jesu Christi nicht zur Geltung kommt 87 . Infolgedessen ist für Herrmann das „Faktum" der Person Jesu Christi weder im Sinne von Aufklärung und Idealismus ein Ereignis der Vergangenheit noch im Sinne Schleiermachers ein individuelles Erleben, das auf ein Faktum in der Vergangenheit als Ursache der empfundenen Wirkung zurückweist. Ebenfalls scheidet für Herrmann, wie wir bereits zeigten, die Ritschlsche Theorie eines Werturteils oder einer Korrelation aus. Im positiven Sinne versteht Herrmann unter dem Begriff des „Faktum" und der „Tatsache" das Ereignis, in dem die Person Jesu Christi gegenwärtig zur glaubenbegründenden Wirklichkeit im Leben eines Menschen wird, in dem ein Mensch von der Person Jesu ergriffen wird und dadurch die wirksame Befreiung zu sittlichem Handeln und die Gewißheit der Sündenvergebung an sich erfährt 88 . Als Aussage über die Person Jesu Christi heißt dies, daß sie so beschaffen ist, daß diese Erfahrung immer wieder an ihr gemacht werden kann. Zugleich steht dahinter aber auch ein geschichtstheologisches Argument, daß nämlidi diese Erfahrung immer wieder durch die Geschichte hindurch bezeugt wird. Das Faktum ist also die gegenwärtige Erfahrung einer wirksamen personalen Begegnung, wie sie von Hermann auch gern als „Verkehr" bezeichnet wird. Doch neben der Betonung eines personalen ,extra nos' in 65

Ges. Aufs., S. 227. Charakteristisch hierfür ist auch Herrmanns Abwehr einer „Mystik"; vgl. bes. 97 Verkehr, S. 17 ff. Ges. Aufs., S. 113 ff. 68 Vgl. dazu: Die Metaphysik in der Theologie, S. 63; Verkehr, S. 65; Die sittl. Weisungen, S. 69; Ges. Aufs. S. 16 f, 56, 147, 185, 236 f, 333, 351 u. ö. 66

274

der Heilszueignung und Glaubensbegründung tritt ein weiteres Moment, auf das sich dann vor allem der Unterschied zu Kahler konzentriert. Wenn Herrmann das Faktum als eine gegenwärtige personale Begegnung beschreibt, dann versteht er darunter eine Begegnung unter den Bedingungen menschlich-geschichtlicher Existenz, bei der die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschaulichkeit und Erkennbarkeit gegeben ist. An dieser Stelle geht das gegen Aufklärung und Idealismus gerichtete christologische Interesse an der geschichtlichen Realität der Person Jesu Christi in ein hermeneutisches Interesse über, indem die Geschichtlichkeit und volle Menschheit die Voraussetzung für die allgemeine und bleibende Erkennbarkeit der Oifenbarung bilden. Hier ist wieder die christologische Bedeutung der Unterscheidung von Grund und Inhalt des Glaubens zu berücksichtigen, in der dieser Sachverhalt seinen Ausdruck findet. Im Blick auf die Person Jesu Christi ist diese Unterscheidung so gestaltet, daß zum Grund des Glaubens alles das gerechnet wird, was von der Person Jesu Christi dem natürlichen Erkennen unmittelbar evident ist und darum auch in der Anfechtung des Glaubens sichtbar bleibt 69 . Dieses Verständnis der Person kann nicht unmittelbar mit dem »historischen Jesus' gleichgesetzt werden, auch wenn darin eingeschlossen ist, daß diese geschichtliche Erscheinung auch der historischen Forschung durchaus zugänglich ist. Die entsprechenden Formulierungen bei Herrmann gehen vielmehr immer von einem christologischen Ansatz aus, indem zu dem Grund des Glaubens im geschichtlichen Jesus alles das gerechnet wird, was nicht Aussage über den Erhöhten in seiner nur dem Glauben erkennbaren Herrlichkeit ist 70 . Der Antagonismus besteht also nicht zwischen dem ,historischen Jesus' und dem ,Christus des Glaubens', sondern zwischen dem Irdischen und dem Erhöhten, zwischen Niedrigkeit und Hoheit 71 . Im Hintergrund steht also nicht die Zweinaturenlehre 72 , sondern der Vorstellungskreis der Zweiständelehre, der allerdings im Anschluß an die bei Ritsehl bereits vorliegenden Ansätze noch modifiziert wird. Ritsehl hatte die Lehre vom dreifachen Amt und den beiden Ständen deshalb der Zweinaturenlehre vorgezogen, um dadurch das Sein der Person Jesu Christi in den beiden Naturen als Tat und Handeln der Person und die Erkennbarkeit der Gottheit in der geschichtlichen Menschheit zum Ausdruck zu bringen 73 . Ebenso geht es auch Herrmann darum, die bleibende Bedeutung der geschichtlichen Person Jesu festzuhalten. 70 Ges. Aufs., S. 269, 288. Siehe oben S. 266 f. So spricht Herrmann auch in „Die Metaphysik in der Theologie", S. 56 f, stets von dem „irdischen Christus", dem „irdischen Menschen Jesus", dem „irdischen Leben Jesu". Zur „Niedrigkeit" vgl. etwa Ges. Aufs. S. 250. 7 2 Vgl. dazu die kritische Auseinandersetzung in „Die M e t a p h y s i k . . . " , S. 51 f f ; 73 Siehe oben S. 250 ff. Verkehr, S. 25 ff, 1 1 8 ff. 69

71

18*

275

Doch greift er dabei nicht auf die nur in der christlichen Gemeinde mögliche und also ekklesiologisch begründete Wertschätzung der Person Jesu zurück. Wo bei Ritsehl von einer Korrelation zwischen dem ontologisdien Grund der Gemeinde und ihrem Erkennen im Werturteil gesprochen wird, spricht Herrmann von dem Erlebnis einer personalen Begegnung mit dem irdisch-geschichtlichen Jesus, von dem Eindruck der Person Jesu. Das Ziel ist, „in dem Menschen Jesus Gott zu erkennen" 74 . Was Herrmann als Erlebnis und Ereignis unter dem Eindruck der irdisch-geschichtlichen Person Jesu beschreibt, beschränkt sich nicht auf den Vorgang, daß in der geschichtlichen Person Jesu die Gottheit erkannt wird. Vielmehr kommt in diesem noetischen Moment auch Herrmanns Vorstellung von der Soteriologie zum Ausdruck, in der das Heilsereignis in der Heilszueignung aufgeht. Das Heil wird nicht, wie es noch durchaus bei Ritsehl, der von einer Gehorsamstat und dem Lebenswerk Christi spricht, der Fall ist, als Werk Christi ausgedrüdkt, sondern als Wirkung in der Begegnung mit der geschichtlichen Person Jesu. Das ,extra nos' bezieht sich bei Herrmann auf die Person, nicht aber auf das Werk Christi. Dies wird schon daran deutlich, daß Herrmann sowohl auf Seinsaussagen wie auch auf Aussagen über die Taten Jesu, Gehorsam, Leiden, Tod usw. völlig verzichtet75. Denn dies alles kann immer nur als Bericht, nicht aber als unmittelbare Erfahrung aufgenommen werden: „Soll Christus uns erlösen, so müssen wir seine Person in der Wirklichkeit antreffen können, die uns einfach dadurch klar wird, daß wir uns aus der Zerstreuung sammeln und uns auf uns selbst besinnen. Unser Heil liegt ganz und gar in dem ernsthaft durchlebten Verhältnis zu Personen. Daß Christus uns gegenwärtig in unserer besonderen Existenz erlöst, können wir daher nur sagen, wenn seine Person als eine Tatsache, und zwar als eine von unvergleichlicher Kraft, auf uns wirkt." Dies jedoch geschieht nicht durch die Uberlieferung anderer, „das leistet uns nicht einmal die neutestamentliche Uberlieferung"7®. Fragt man nun, wie von Herrmann die Person Jesu dargestellt wird, so ist es auffallend, wie alle Aussagen darüber nicht aus dem Befund der neutestamentlichen Berichte abgeleitet werden, sondern aus Postulaten, die auf das Ereignis der personalen Begegnung bezogen sind: „In dem, was auch der unerlöste Mensch an Jesus als etwas Wirkliches sehen kann, muß Jesus so gewaltig sein, daß er uns den Himmel öffnet." „Wenn wir unter dem Eindruck der Person Jesu die feste Zuversicht zu Gottes Wirklichkeit und Gnade fassen, so haben w i r . . . damit den Glauben selbst, 74

Die Metaphysik . . . , S. 57. Vgl. bes. Ges. Aufsätze, S. 281: „Aber audi mit einer Lehre von der sühnenden Bedeutung seines Todes hat Jesus uns nicht geholfen." 79 Ges. Aufs., S. 337. 75

276

in welchem wir erlöst sind." „Wenn er (seil, der Mensch, in dem das Erlösungsbedürfnis erwacht ist) Jesum recht zu sehen bekommt, so wird er es erleben, daß in ihm der Gedanke entsteht, diesen Mann und sein Werk habe die Welt gewiß nicht überwunden. Das ist der Anfang unserer Erlösung." Das Verhältnis zu Gott „kann ohne Zweifel nur eine Tatsache bewirken, die der einzelne selbst als ein entscheidendes Ereignis erlebt hat" 77 . In diesen Postulaten kehren regelmäßig folgende Elemente wieder: Einmal werden damit die Anschauungen abgelehnt, in denen Herrmann keine Möglichkeit für den modernen Menschen sieht, zum Glauben zu kommen. Zum andern werden die Bedingungen beschrieben, unter denen das Ereignis der personalen Begegnung zustande kommt. Entscheidend dafür ist die erkenntnismäßige Zugänglichkeit sowie die Forderung, daß der in der Begegnung entstehende Glaube nicht zum Werk in der Form eines Autoritäts- oder Tatsachenglaubens wird. Außerhalb der mit diesen Postulaten beschriebenen möglichen personalen Relation gibt es keine andere Wirklichkeit des Heils als das „Dasein Jesu in unserer Welt" 78 . Das Heil ist die das Einst und Jetzt verbindende Geschichtlichkeit der Person Jesu in ihrer Wirkung auf die Menschen. Sehr zugespitzt wird dies von Herrmann so formuliert: „Wir können uns sein (Jesu) Fortleben nur vorstellen als ein Fortwirken in seinem messianischen Werke, als das ewige Kommen Gottes zu den Menschen79." Auf diesem Hintergrund sind schließlich auch die inhaltlich nicht sehr umfangreichen Feststellungen Herrmanns über die geschichtliche Person Jesu zu sehen. Es handelt sich durchweg nicht um Beschreibungen der Person selbst, sondern der ereignishaften personalen Begegnung, in der ein Mensch von dem Eindruck der Person Jesu ergriffen wird und zum Glauben kommt: „Der Empfängliche kann aus dieser Uberlieferung (seil, die sich das persönliche Leben Jesu in der Geschichte geschaffen hat) die Regungen der Seele Jesu, wie er gedacht und empfunden, was er gewollt und gewirkt hat, mit wunderbarer Frische verspüren und die emporreißende Kraft davon erfahren 80 ." Ähnlich steht es mit der Vorstellung von dem „inneren Leben Jesu", mit dem das beschrieben wird, was wir nicht nur „mit Anstrengung und mit geheimen Zweifeln festhalten", sondern das, „was uns unwidersprechlich wirklich ist. Das ist aber an Jesus das, dessen Macht uns doch schließlich durch alles, was das 77

Ges. Aufsätze, S. 307, 269, 280. Vgl. auch S. 55, 286, 298, 299 — die Zahl der Beispiele läßt sich erheblich vermehren. 78 79 Ges. Aufs., S. 280. Ges. Aufs., S. 287. 80 Ges. Aufs., S. 54 — ebenfalls zur „Seele Jesu" vgl. S. 16 ff, 28, 69; Verkehr, S. 63 ff, 225 ff.

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Neue Testament von ihm berichtet, fühlbar gemacht werden soll, sein inneres Leben. Das Bild des inneren Lebens Jesu, das uns das Neue Testament darreicht, ist so beschaffen, daß es den nach Gott verlangenden Menschen festhält und ihn davon überzeugt, daß in ihm etwas geschichtlich Wirkliches wiedergegeben sei, obgleich es aller sonstigen Erfahrung widerspricht, also im strengsten Sinne wunderbar ist"81. Diese und ähnliche Formulierungen, die sich häufig bei Herrmann finden, beschreiben nicht, wie Jesus wirklich war oder wie er in den neutestamentlichen Schriften dargestellt wird. Sie enthalten auch weder eine Aussage über das Seelenleben Jesu noch über die Art seines Selbstbewußtseins, wie man es in der positivistischen Jesusforschung zu rekonstruieren trachtete. Es werden damit keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die zu einer analytischen Erkenntnis des Göttlichen in der irdischen Person Jesu an sich führen oder ein Werturteil über sie verursachen könnten. Das heißt, im Grunde sind alle diese Aussagen nicht material, sondern formal oder relational zu verstehen. Herrmann bezeichnet mit ihnen nicht das, was die Person Jesu ist oder war, sondern das, was sich im Menschen ereignet. Inhaltlich bestimmt ist einzig die Angabe des Ortes — in den Schriften des Neuen Testaments, was jedoch nicht mit dem Christuszeugnis des Neuen Testaments identisch ist — und das Dasein Jesu als Mensch. So kann Herrmann gelegentlich definieren: „Also unter dem geschichtlichen Christus verstehen wir den Christus, den uns die neutestamentliche Uberlieferung als eine in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit uns überzeugende Person erkennen läßt 82 ." Diese Konzentration der geschichtlichen Person Jesu auf das Ereignis der personalen Begegnung bedeutet zugleich eine Reduktion aller christologischer und soteriologischer Aussagen, die von den Kriterien der dem (modernen) Menschen möglichen Erfahrung und Erkenntnis begrenzt werden. Es handelt sich mithin um ein an den Möglichkeiten menschlichen Verstehens orientiertes Analogieprinzip. Es besteht hier eine Entsprechung zwischen der Person Jesu als Ursache des Eindrucks und dem Menschen als Empfänger der von der Person Jesu ausgehenden Wirkung. Dies erschöpft sich nicht darin, daß der Person Jesu diese Ursächlichkeit eigentümlich ist oder daß der Mensch in seinem sittlichen Bewußtsein ein Erlösungsbedürfnis verspürt. Die Ursache ist vielmehr auch so beschaffen, daß sie von dem natürlichen Menschen erkannt werden kann. Wie aber steht es nun mit dem Bereich, den Herrmann unter dem Begriff der Glaubensgedanken oder des Glaubensinhalts zusammenfaßt? Da 81 Ges. Aufs., S. 318 f; Ethik, Neudruck der 5. Aufl. Tübingen 1921, S. 121 ff; Die mit der Theologie verbundene N o t , S. 25 ff; A. Dell, Wilhelm Herrmanns theologische Arbeit (in: ThR 1 [1929] S. 81—109), S. 95 ff. 82 Ges. Aufs., S. 319 f, 338; Verkehr, S. 63 ff.

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Herrmann vor allem auf die Entstehung des Glaubens und sein Bestehen in der Anfechtung reflektiert, haben die Glaubensgedanken aufs Ganze gesehen nur eine untergeordnete Bedeutung. Sie bezeichnen das, was nicht zum Grund und Ursprung des Glaubens aus verschiedenen Gründen gerechnet werden kann 83 und erst aus dem Ereignis der personalen Begegnung verständlich wird. Die wesentlichen Motive für die Unterscheidung sind die folgenden: 1. Die Unterscheidung zwischen Grund und Inhalt des Glaubens ist bezogen auf die gegenwärtige theologische, erkenntnistheoretische und geistesgeschichtliche Situation. Im Zeitalter der Reformation „rechnete man zu dem Christus für uns auch das, was uns im Neuen Testament über den erhöhten Christus gesagt wird. Das war damals auch statthaft 84 ", da nach Herrmanns Meinung die Lehre der Bibel in der Objektivität zweifelloser Tatsachen gesehen wurde. Dies jedoch ist in der modernen geistesgeschichtlichen Situation unter dem Einfluß der historischen Kritik nicht mehr möglich. Den „Eindruck einer zweifellosen Tatsache" hat für den modernen Menschen nur nodi „der Mensch Jesus, unter Absehen von allem, was an der Überlieferung von ihm erst der durch ihn erweckte Glaube tragen kann. Der so aufgefaßte Mensch Jesus, das ist in unserer Zeit der ,Christus für uns', von dem man im 16. Jahrhundert geredet hat" 85 . 2. Die Unterscheidung von Grund und Inhalt des Glaubens wird nach erkenntnistheoretischen Kriterien vorgenommen. Was den Glauben begründet und in der Anfechtung des Zweifels erhält, ist identisch mit dem, was dem menschlichen Erkennen nicht nur in der möglichen Wirkung, sondern auch in seiner Erscheinung zugänglich und einsichtig bleibt, was „dem um seine Existenz kämpfenden Glauben... als etwas Wirkliches sichtbar bleibt... Diesen Dienst kann ihm Christus in dem Glänze der Herrlichkeit, die der durch ihn erlöste Mensch sehen lernt, nicht leisten"86. 3. Die Unterscheidung von Grund und Inhalt des Glaubens führt zu der Konsequenz, daß alle die Aussagen, wie z.B. die Bedeutung des Kreuzestodes und der Auferstehung, die nicht unmittelbar zugänglich sind und nicht zu dem Grund des Glaubens gerechnet werden, auch keine eigentliche Heilsbedeutung haben. Das Heilsgeschehen ist auf das Entstehen bzw. Bestehen des Glaubens in dem Ereignis personaler Begegnung unter dem Aspekt möglicher Erkenntnis konzentriert und reduziert. Es ist schwer zu sagen, was hier durch Einseitigkeit des Anliegens bedingte Verkürzung ist und was als tatsächliche dogmatische Aussage anzusehen 83 M

Vgl. dazu besonders: Ges. Aufs., S. 288 ff und 311 ff; Verkehr, S. 231 f. 85 88 Ges. Aufs., S. 288. Ges. Aufs., S. 289. Ges. Aufs., S. 313.

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ist. Sicher vertritt Herrmann nicht die Auffassung, daß die Glaubensgedanken erst durch den Glaubensvollzug produziert werden 87 . Es geht ihm wesentlich um das Erkennen, um den Vollzug der Heilsaneignung, nicht aber um eine Wiederholung des Heilsgeschehens, obwohl dieses mögliche Mißverständnis nicht ausdrücklich abgewehrt wird. Inhaltlich und positiv gewandt beziehen sich die Glaubensgedanken auf die neutestamentliche Bezeugung und das Bekenntnis des Auferstandenen und Erhöhten, und dies ist es, was dem in der personalen Begegnung mit dem geschichtlichen Jesus hervorgerufenen Glauben erschlossen wird. An dieser Stelle zeigen sich erhebliche Verkürzungen in der Theologie Herrmanns, weil eben — sei es prinzipiell, sei es durch die einseitige Betonung der Situationsbedingtheit — das Heilsgeschehen faktisch in dem Vollzug, in dem Entstehen und Bestehen des Glaubens aufgeht. Die Stellung der Person Jesu Christi in der Theologie Wilhelm Herrmanns kann schließlich unter folgenden Punkten zusammengefaßt werden: 1. In der Christologie geht es Herrmann darum, an der Geschichtlichkeit der Person Jesu Christi in ihrer bleibenden Bedeutung und Wirksamkeit festzuhalten. Damit will er die Realität der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus von Nazareth zum Ausdruck bringen und ferner den Glauben als eine personale Relation beschreiben und schließlich, gegen Aufklärung und Idealismus das personal gefaßte ,extra nos* des Heils verteidigen. 2. Was Herrmann unter dem „geschichtlichen Jesus" versteht, ist jedoch weder der verkündigte Christus noch der historische Jesus. Es ist vielmehr die unter den Bedingungen einer bestimmten Zeit und Situation für allein möglich gehaltene Form einer personalen Begegnung. 3. Insofern nach Herrmann die Dogmatik die Aufgabe hat, das Entstehen des Glaubens und sein Bestehen in der Anfechtung nachzuweisen88, werden alle christologischen Aussagen auf ein Ereignis zugespitzt, das die Form einer existentiellen Begegnung hat. Daher wird die mögliche Begegnung in einer bestimmten Situation zum Kriterium dogmatischer Aussagen. 4. Die damit verbundene Gleichsetzung von Heilsgeschehen und Heilsaneignung führt zu der Konsequenz, daß alle die Grenzen möglicher Erfahrung und Erkenntnis überschreitenden Aussagen eine von Herrmann nicht weiter reflektierte sekundäre Bedeutung erhalten. Sie werden zwar auf Grund des im Ereignis entstehenden und erhaltenen Glaubens verständlich, haben jedoch offenbar keine eigene Heilsbedeutung. 87 88

280

Vgl. dazu Herrmanns Kritik an Sdileiermadier; s. o. S. 269. Ges. Aufs., S. 116—118.

2. Der geschichtliche biblische Christus Kühlers unmittelbarer Beitrag zur historischen Jesusfrage ist nicht auf die Auseinandersetzung mit W. Herrmann beschränkt. Er richtet sich aber auch nicht allein gegen die Vertreter der positiven Leben-Jesu-Forschung wie z. B. W. Beyschlag oder gegen die verschiedenen Vertreter der Ritschlsdien Theologie, von denen neben W. Herrmann noch M. Reischle und O. Ritsehl zu nennen sind. In vollem Umfang kann seine Bedeutung nur dann recht erkannt werden, wenn man die prinzipielle Ablehnung der historischen Jesusfrage in ihren verschiedenen Richtungen und Schattierungen als das Leitmotiv ansieht. Das Thema, „der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus", enthält nicht den traditionellen für die historische Jesusfrage charakteristischen Antagonismus zwischen dem historischen Jesus' und dem ,kerygmatischen Christus', den es historisch oder dogmatisch zu vermitteln gilt, sondern eine Alternative, in der das eine das andere ausschließt. Obwohl Kahler direkt über seine Schüler J. Schniewind und K. L. Schmidt wie audi indirekt etwa in der Nähe bestimmter Elemente in der Theologe R. Bultmanns gerade mit seinen Schriften über den „sogenannten historischen Jesus" auf die neuere Exegese und die gegenwärtige Diskussion um die ,neue Frage nach dem historischen Jesus' sehr nachhaltig gewirkt hat, kann man sich doch fragen, ob die grundsätzlichen Entscheidungen seiner Stellungnahme tatsächlich in allen ihren Konsequenzen wahrgenommen wurden. Es mag sogar fraglich erscheinen, ob Kähler das, was er hier in seiner Kritik vorgebracht hat, in seinem eigenen dogmatischen System selbst durchgehalten hat. Als eine auffallende Diskrepanz erscheint es, daß es ihm offenbar nicht gelungen ist, in seinen Vorlesungen über die „Wissenschaft der christlichen Lehre" etwa das systematisch zu entfalten, was er in der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusforschung über die Verkündigung und das Wort zu sagen wußte 89 . Ähnliche Inkonsequenzen ließen sich an seiner Stellung zum religiösen Apriori zeigen, auf dessen Problematik er zwar gegenüber der ethischen Axiomatik der Ritschlschen Schule hingewiesen hat, das aber in seiner Dogmatik trotz mancher Korrekturen kaum ausreichend geklärt worden ist90. Vermutlich ist sich Kähler dieser Spannungen bewußt gewesen, wenn er sich selbst als einen „Ubergangsmenschen" bezeichnete91, und seine Bedeutung liegt wohl auch eher in den Fragen, die er stellt, als in den Antworten, die er gibt. 89 Vgl. dazu z.B.: Historischer Jesus, S. 177f; Wissenschaft, S. 51 ff, 95 f; RE», 3, S. 192 ff. In den Anm. 39 erwähnten Monographien wird Kählers Sdiriftverständnis nur gestreift. »» Vgl. Historischer Jesus, S. 188 ff. Siehe oben S. 268 f.

81

J. Wirsching, a. a. O. S. 272. 281

Als größter Unterschied fällt zuerst immer auf, daß Herrmanns gesamtes theologisches Denken um die Heils- und Glaubensfrage des modernen Menschen kreist, während in Kählers Suche nach einem „sturmfreien Gebiet" ein „antipathetisches" Verhältnis zum Unglauben und zu den aus der historischen Kritik erwachsenden Fragen und Nöten gesehen wird 92 . In dem Vorrang des Dogmatischen gegenüber dem Historischen scheint die eine ganze Epoche bedrängende Kluft der zeitlichen und logischen Differenz zwischen dem Einst und Jetzt irrelevant zu werden. Der Vorwurf, daß Kahler seine Thesen „aus dem trügerischen Sicherheitsgefühl (m)einer dogmatischen Burg" formuliere, begegnet damals wie auch heute wieder 93 , und es ist schließlich nicht zu übersehen, daß die „neue Frage nach dem historischen Jesus" eine Auseinandersetzung mit der bei Kähler beginnenden ,kerygmatischen Auflösung' der geschichtlichen Faktizität in eine existentielle Bedeutsamkeit darstellt. Die Einwände gegen die „Annahme einer geschichtlichen Wirklichkeit Jesu hinter den Quellen" sind in dieser massiven Form zum erstenmal von Kähler vorgebracht worden 94 , und es ist nicht unwichtig, daß sie sowohl historisch wie auch dogmatisch begründet werden. Wo nun mit unterschiedlichen Akzenten der Vorwurf eines unhistorischen Dogmatismus gegen Kähler erhoben wird, dort wird man diese Zweigleisigkeit von historischer und dogmatischer Argumentation sehen müssen, aber vor allem auch die Tatsache, daß Kähler selbst den gleichen Vorwurf gegen eine historische Jesusforschung erhebt, die in ihrem Wissenschaftspositivismus sich keine Rechenschaft über ihre impliziten dogmatischen' Voraussetzungen und den Sinn ihres Fragens ablegt 95 . Bei der Untersuchung von Kählers Verständnis der Person Jesu Christi empfiehlt es sich, zunächst die unmittelbare Auseinandersetzung mit W. Herrmann noch zurückzustellen und bei der generellen Kritik an der historischen Jesusforschung einzusetzen, von der aus Kähler dann auch die Ausführungen Herrmanns weitgehend beurteilt. Die historischen und dogmatischen Erwägungen Kählers richten sich auf drei Punkte: auf das Schriftverständnis, auf die Christologie sowie auf die Frage der Heilserkenntnis und -gewißheit. Diese drei Punkte bedingen sich gegenseitig. Die Frage nach der Würde der Bibel ist die Frage nadi der Glaubwürdigkeit ihres Christusbildes; die Frage nach der Heilsgewißheit ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Offenbarung 96 . Der Haupteinwand Kählers in allen diesen drei Punkten, der sich durch seine gesamte Auseinandersetzung mit der historischen JesusforHistorischer Jesus, S. 147,155, 200 ff; H . Gerdes, NZsystTh 3 (1961) S. 185. Historischer Jesus, S. 118, 138; J . Wirsching, a . a . O . S. 274 ff; H . Leipold, 94 Historischer Jesus, S. 47 ff, 57, 134. S. 135 ff. 8 5 Historischer Jesus, S. 138 ff, 56 f. 9 8 Historischer Jesus, S. 4 und 150. 92 93

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schung verfolgen läßt, ist gegen die Aussonderung eines Minimum gerichtet97, hinter der verschiedene Motive stehen können. Es kann einmal der Versuch sein, aus der Verschlingung von Bericht und Bekenntnis in den neutestamentlichen Schriften den ursprünglichen Kern herauszuschälen. Damit verbunden ist dann das apologetische Bemühen, in diesem Minimum einen allgemein verständlichen und wissenschaftlich gesicherten Bestand der neutestamentlichen Schriften aufzuweisen. Sachlich wird so eine vorläufige (bei Herrmann) oder auch grundsätzliche (bei O. Ritsehl) Scheidung vorgenommen, die bei den neutestamentlichen Quellen einsetzt und auf die Person Jesu abzielt. Kahler bestreitet die historische Möglichkeit und dogmatische Legitimität dieses Verfahrens. In dem „geschichtlichen biblischen Christus" betont er die Einheit des Irdischen mit dem Erhöhten, indem er die Ansätze der historischen Kritik bis zur letzten Konsequenz radikalisiert oder, vorsichtiger ausgedrückt, indem er versucht, selbst die radikalsten Ergebnisse einer historischen Kritik zu berücksichtigen: Die Quellen lassen sich nicht mit Sicherheit auf Augenzeugen zurückführen; die Darstellung Jesu könnte, ohne jeden historischen Kern, „für ein Phantasiebild der Gemeinde um das Jahr 100 gelten"; die „Tatsache" der Persönlichkeit Jesu ist „auf rein geschichtlichem Boden nicht unanfechtbar" 98 . Mit diesen und ähnlichen Bemerkungen stellt sich Kähler auf den Boden der Traditionshypothese, nach der ein Rückgriff hinter den Uberlieferungsprozeß historisch nicht mehr möglich oder theologisch nicht nötig ist99. Dies besagt allerdings noch nicht, daß er sich etwa mit den Ansichten von D. F. Strauß, B. Bauer und anderen Vertretern dieser Richtung identifiziert. Diese Skepsis hat zunächst einen mehr hypothetischen Charakter, insofern Kähler sie als eine — naheliegende — Möglichkeit in Betracht zieht, ohne sie selbst in vollem Umfang zu teilen100. Ein greifbarer historischer Kern in den Evangelien wird von Kähler also keineswegs grundsätzlich bestritten 101 , wohl aber die Möglichkeit, ihn mit der notwendigen absoluten Sicherheit zu verifizieren. Dies ist einmal ausgeschlossen wegen der begrenzten Leistungsfähigkeit geschichtlicher Forschung und zum anderen durch den Bestand und die Eigenart der vorliegenden Quellen. Kähler hat zunächst die Bemühungen um die Rekonstruktion eines Lebens Jesu in seiner Entwicklung vor Augen, wenn er auf die Problematik der dabei verwendeten psychologischen und historischen Analogie hinweist102. Doch es geht ihm nicht nur um die bio87

Historischer Jesus, S. 18 f, 38, 97, 1 2 2 , 1 5 5 , 1 6 4 , 1 9 6 f. 99 Ebda., S. 49,187. Siehe oben S. 65 ff. 100 Vgl. Historischer Jesus, S. 115: Kähler ist auch gegenüber der johanneischen Frage davon überzeugt, daß „ein Zusammenhang mancher Teile des Inhaltes der Evangelien mit Augenzeugen" nicht geleugnet werden könne. 101 102 2 . B. Hist. Jesus, S. 55. Ebda., S. 52 ff, 127 ff. 98

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graphische Jesusforschung, sondern allgemein um die historische Jesusforschung im Bereich der Theologie103. Hierher gehört nun Kählers Urteil über den Quellenbefund, mit dem er einmal auf den begrenzten Inhalt und die literarische und theologische Eigenart der Berichte über die Person Jesu in den Evangelien hinweist, und es ist interessant, hier an den Anfängen der formgeschichtlichen Hypothese die Verbindung von historischem Urteil und dogmatischer Intention zu verfolgen 104 . Als literarkritisdies und historisches Urteil erscheint die Feststellung, daß die Evangelien nach Form und Inhalt nicht einen geschlossenen Bericht über den Lebensverlauf Jesu und seine Entwicklung bieten, sondern den Akzent auf die Leidensgeschichte, auf die „Schilderung seines »Werkes'" legen — „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung". Es sind „Beispiele", wie Jesus zu handeln pflegte; es ist keine Biographie, sondern, wie Kahler mit dem von D. Schenkel geprägten Begriff sagt, „nur ein ,Charakterbild"' 105 . Man kann hierfür durchaus den modernen Ausdruck der „kerygmatisierten Historie" verwenden. Denn Kahler versteht die Evangelisten nicht im Sinne der historischen Jesusforschung als — wenn auch tendenziöse — Historiker oder, etwa im Sinne Wredes, als .Theologen', sondern als „Prediger": „Wenn der vierte Erzähler offen bekennt, ein Prediger zu sein (Joh. 20,31), so sind die andern es im Grunde nicht minder 108 ." In diesem Sinne ist die Bibel „Urkunde für den Vollzug der kirchengründenden Predigt" 107 . Kähler spricht, vermutlich als erster, in diesem Zusammenhang von dem „Kerygma", das er als „Ausrichtung des göttlichen Auftrags an seine Herolde und Abgesandten" versteht und in den Rahmen der Mission einordnet108. Freilich darf dieser — soweit sich sehe — nur einmal bei Kähler vorkommende Begriff nicht im Licht seiner späteren Verwendung überinterpretiert werden. Aber aus dem Zusammenhang der Stelle ist zu erkennen, welche Vorstellungen damit verbunden werden, nämlich der göttliche Befehl zur Verkündigung, die Bevollmächtigung zu ihrem Vollzug. Form und Inhalt sind aufs engste miteinander verbunden, indem Kähler die Heilige Schrift eben nicht als Erbauungsbuch verstanden wissen will, sondern sie direkt als „Gesetz für den kirchlichen Unterricht" bezeichnet „wie die Vollmacht, welche Pflicht, Recht und Inhalt für die selbständige

103

Ebda., S. 44 f zu den verschiedenen Richtungen der Leben-Jesu-Forschung. Siehe oben S. 72. 105 Hist. Jesus, S. 80 f. Der Begriff wird auch, worauf M. Reischle und Th. Haering hingewiesen haben, bei J. T. Bede, von dem Kähler ebenfalls beeinflußt worden ist, verwendet. 106 Hist. Jesus, S. 80 f. 107 Historischer Jesus, S. 22, vgl. S. 24, 33, 109 u. ö.; Dogmatische Zeitfragen, Bd. I 2 , S. 282 ff. 108 Hist. Jesus, S. 26; vgl. o. S. 76 ff. 104

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Ausrichtung zugleich darbietet" — „Gesetz wie der Keim im Samenkorn für Halm und Ähre; das heißt: er trägt im Werdetriebe auch die gestaltende Art in sich"109. Auftrag und Ereignis, Form und Inhalt, Ursprung und Fortwirkung sind so unlösbar miteinander verbunden. Eine formale oder inhaltliche Unterscheidung zwischen Kerygma, Geschichte oder Lehre wird von Kahler nicht durchgeführt; er verwendet den Begriff für die Gesamtheit der Heiligen Schrift und zur Bezeichnung ihrer Eigenart. Von einem rein historischen Standpunkt aus könnte eingewandt werden, daß Kahler offenbar keinen Unterschied zwischen der literarischen Darstellungsform und ihrem Inhalt vornimmt. Doch in dieser betonten Verbindung steckt ein für Kahler wichtiger Gedanke: die Heilige Schrift ist für ihn ausdrücklich nicht das literarische Produkt einer bestimmten Epoche und Gattung, sondern sie ist, wie es später sein Schüler J. Schniewind und andere von den Evangelien sagen, ,sui generis' durch ihren besonderen Inhalt und ihre geschichtliche Wirkung 110 . Sie ist Urkunde der kirchengründenden Predigt, Gesetz des kirchlichen Unterrichts, aber damit zugleich Ursprung eines die Geschichte durchziehenden immer neuen Geschehens. Damit versucht Kahler die seit der Aufklärung vorherrschende Antithese gegen das orthodoxe Inspirationsdogma durch erfahrungs- und geschichtstheologische Argumente zu überwinden. Der d o g matische Zug' in den neutestamentlichen Schriften gehört daher auch nicht zur Form, sondern zum Wesen der Schrift. Die Schrift ist mithin für Kühler der Ort, wo nicht nur von Christus berichtet oder auf ihn hingewiesen wird, sondern wo er wirksam begegnet und geschichtlich gegenwärtig ist. Dies bestimmt die Aussagen über die Person Jesu Christi, in denen zunächst ebenfalls eine Scheidung zwischen Historischem und Dogmatischem, zwischen dem Irdischen und dem Erhöhten nachdrücklich abgelehnt wird. Die Einwände gegen „die Annahme einer geschichtlichen Wirklichkeit Jesu hinter den Quellen", die also als Predigt, als Kerygma verstanden werden, ist von verschiedenen Faktoren bestimmt, die es zu beachten gilt.

Zunächst ist es eine literarkritische Feststellung, wenn Kahler zeigt, wie die neutestamentlichen Nachrichten über das Leben Jesu von der Auferstehung her gestaltet sind. Zu den „Erinnerungen" der Jünger von der Person Jesu gehören „ihre Erlebnisse an und nach dem ,dritten Tag'". „Die geschichtlichen Wirkungen Jesu (sind) auf die Offenbarung des Auferstandenen zurückzuführen; aber nicht weil diese das irdische Leben Jesu aus dem Bewußtsein der Jünger verdrängt, sondern weil sie es erst 109

Hist. Jesus, S. 27.

110

Hist. Jesus, S. 15 f, 40 f.

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in das rechte Licht gestellt und zu ihrem unveräußerlichen, verstandenen, angeeigneten Inhalt gemacht hat. Und eben deshalb ist für sie allerdings der Auferstandene der gewesen, den sie wieder erkannten und mit dem ganzen Inhalt ihrer Erinnerung an seine Erdentage ausgestattet glaubten und bekannten 111 .. Diese Feststellung hat zwei Konsequenzen. Der Umfang des „öffentlidien Lebens" Jesu und damit seiner „geschichtlichen Persönlichkeit" wird erweitert; er umfaßt nicht allein die Existenz in der Zeit, sondern die Wirkung in der Zeit, also auch die Begegnung mit dem Auferstandenen nach dem Kreuzestod, den nachösterlichen Glauben und das Bekenntnis der Jünger bis hin zu Paulus112. Kähler legt also den Ein ü schnitt nicht zwischen das Ende der irdischen Existenz am Kreuz und die Bezeugung des Auferstandenen im Osterglauben der Jünger. Beides wird unter dem Begriff der „persönlichen Wirkungen" Jesu zusammengefaßt. Davon wird jedoch unterschieden die „geschichtlich vermittelte Nachwirkung", die nicht auf die unmittelbare Begegnung mit dem Irdischen und Auferstandenen, sondern auf die Verkündigung, die Predigt von dem Irdischen und Auferstandenen zurückgeht113. Die Wirkung, die Jesus damit hinterlassen hat, ist „keine andere als der Glaube seiner Jünger, die Uberzeugung, daß man in ihm den Uberwinder von Schuld, Sühne, Versucher und Tod habe. Aus dieser Wirkung fließen alle andern; an dieser haben sie ihren Gradmesser, mit derselben steigen und fallen, stehen und fallen sie"114. Zum andern wird damit die Entstehung des Glaubens beschrieben. Das christologische ,Urdatum' bildet die Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen, wobei Kähler aber nicht von einer .Tatsache der Auferstehung', sondern von dem Erlebnis der Jünger spricht, auf das nach den neutestamentlichen Berichten der Glaube zurückgeführt wird. Die Entstehung des Glaubens der Jünger geht also nicht von dem Eindruck der geschichtlichen Persönlichkeit Jesu zum Auferstehungsglauben oder zur Uberzeugung von einem Fortleben oder einer Erhöhung. Das heißt nicht der Irdische ist der Erkenntnisgrund für den Auferstandenen, sondern umgekehrt wird der Glaube an Christus als den Herrn durch die Selbstbezeugung des Auferstandenen vor den Jüngern begründet. „Nicht ihr keim- und zeugniskräftiger und nur zu vollendender Glaube, sondern lediglich Er selbst hat sie über diese Kluft gehoben 1 1 5 ..." Diesem 111

112 Hist. Jesus, S. 104, 106. Hist. Jesus, S. 103 f, 108. Hist. Jesus, S. 103. Ebda. Anm. 2: „Nur bin ich allerdings der Ansicht, daß Glaube und Bekenntnis der ersten Jünger für die Frage nadi dem geschichtlichen Christus in der Tat noch eine andre Bedeutung haben als selbst der bewußte Glaube an Christum in unsern Tagen . . 114 115 Hist. Jesus, S. 63. Hist. Jesus, S. 65,105. 113

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Vorgang in der Entstehung des Glaubens entspricht die biblische Darstellung der Person Jesu Christi in ihrer literarischen Gestalt wie auch in ihrem geschichtlichen Gehalt. Er ist kein Erkenntnisprozeß, sondern ein geschichtliches Ereignis. Die Unterscheidung zwischen dem „historischen Jesus" und dem „geschichtlichen biblischen Christus" wird von Kahler eigentlich nur in dem Titel seiner Schrift und in der Kritik an der ,Leben-Jesu-Forschung' mit ihren biographischen Rekonstruktionsversuchen konsequent durchgeführt. Hier dient sie dazu, die Auffassung von einer Entstehung des Glaubens aus einem Erkenntnisprozeß oder einer Schlußfolgerung von dem Irdischen zu dem Erhöhten abzuweisen und gleichzeitig zu betonen, daß der Glaube nicht aus den Eigenschaften, Verhaltensweisen oder aus dem Eindruck der Persönlichkeit des historischen Jesus' erwächst, sondern aus der Wirkung und Tat der Person Jesu Christi. Es ist auffallend, wie Kähler in der Gestalt des biblischen Christus mit Vorliebe die ,Ungleichartigkeit', die ,Unterschiedenheit von uns', das ,Übermenschliche', ,Geschichtslose', ,Unvergleichliche', die ,Einzigartigkeit' und das ,Übergeschichtliche' betont 116 . Der darin mit verschiedenen Varianten begegnende Begriff des ,Übergeschichtlichen" hat in der Theologie Kählers eine zentrale, wenn auch nur mit einigen Schwierigkeiten klar zu umreißende Stellung im Zusammenhang der Christologie117. Wir beschränken uns hier auf einige Erwägungen zur Bedeutung des Begriffs für das Verständnis der Person Jesu Christi. Aufs Ganze gesehen scheint auch bei diesem Begriff seine abgrenzende Verwendung in der Diskussion um die historische Jesusfrage klarer zu sein als die entsprechenden positiven Ausführungen in Kählers dogmatischer Christologie. In den Schriften über den sogenannten historischen Jesus' wendet sich Kähler an den erwähnten Stellen gegen Darstellungen — wie etwa von W. Beyschlag, aber auch des geschichtlichen Jesus' von W. Herrmann — in denen die Gleichartigkeit des irdischen Jesus als Anknüpfungspunkt und Grund des Glaubens herausgestellt wird und die Geschichtlichkeit unter einem vorläufigen oder grundsätzlichen Absehen von der Auferstehung und dem Glauben der Jünger ganz dem Erkennen zugeordnet wird. In der Gleichheit wird die Andersartigkeit, in der Geschichtlichkeit die Ubergeschichtlichkeit betont. Beides bestimmt das Bild der Person Jesu Chrsti, wie es in den neutestamentlichen Schriften begegnet. Kähler kommt es also hier darauf an, die Einheit der Person zu 116

Hist. Jesus, S. 48, 53 ff, 58 f, 130,169, 205 u. ö. Vgl. dazu die ausführlichen Analysen bei H. Leipold, a . a . O . S. 93—156 und J. Wirsdting, a. a. O. S. 134—174. Kürzere Hinweise zu den diristologischen Zusammenhängen finden sich dort S. 107 ff bzw. etwas ausführlicher S. 159 ff. 117

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wahren und sie nicht in einen Vorgang des Erkennens aufzulösen oder die Person Jesu Christi auf den irdischen Christus zu reduzieren118. Im Blick auf die christologische Diskussion jener Zeit können mit dem Begriff des ,Übergeschichtlichen' vor allem zwei Auffassungen abgelehnt werden. Einmal der idealistische Ansatz, in dem das .Übergeschichtliche' im Sinne eines Idealen oder Christusprinzips von der Person Jesu Christi abgelöst und als bloße Kausalbeziehung verstanden wird. Zum andern die in der positiven Jesusforschung wie auch bei Herrmann naheliegende Gefahr, wo das ,Ubergeschichtliche' erst in einer wie auch immer ausgeführten Schlußfolgerung oder Axiomatik erkannt wird. Kahler führt so im Grunde das Anliegen der traditionellen Christologie ähnlich wie vor ihm Schleiermacber in einer neuen Terminologie fort. Wo die klassische Christologie von göttlicher und menschlicher Natur spricht, spricht Kahler vom ,Übergeschichtlichen' und ,Geschichtlichen'. An die Stelle des Naturbegriffs tritt der Begriff der Geschichte119, gemeinsam ist die Betonung der personalen Einheit. Dieses christologische Anliegen in der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage wird dort deutlich, wo Kähler etwa das in den Evangelien vorliegende „Charakterbild" Jesu mit dem zweiten Artikel des Apostolikum vergleicht: „Zu Unrecht hat man ihm vorgeworfen, er fordere Glauben an Tatsachen; er bekennt den Glauben an die Person, die wir aus den Tatsachen kennen 120 " — oder auch mit dem „Katechismussatz": wahrhaftiger Mensch und wahrhaftiger Gott", in dem Kähler das Kernproblem der Dogmatik sieht, aber zugleich auch das, was die Gemeinde auch ohne Dogmatik als das „Bild Christi" in den Evangelien und der apostolischen Predigt vor Augen hat 121 . Dasselbe Anliegen, die Einheit der Person gegenüber einer idealistischen oder historistischen Auflösung zu bewahren, zeigt sich in Kählers dogmatischer Christologie oder „Soterologie"122. Es ist charakteristisch in diesem christologischen Ansatz, daß nicht von Postulaten ausgegangen wird, die entweder aus einer erfahrenen Wirkung oder aus sittlichen Werten abgeleitet werden und in einer synthetischen Gottesprädikation enden. Der „geschichtlich gegebene Ausgangspunkt" ist vielmehr das in 118 Bes. Hist. Jesus, S. 48, Anm. 1: „Dieser Ausdruck ist gebildet, um das zu bezeichnen, was zwar ohne die Geschichte gar nicht vorhanden wäre, aber dessen Bedeutung nicht aufgeht in die eines Gliedes in der Kette geschichtlicher Wirkungen oder auch eines geschichtlichen Ansatzes, weil in ihm sich das Allgemeingiltige mit dem Geschichtlichen zu einem Wirksam-Gegenwärtigen zusammenschließt." Entsprechend: Wissenschaft, § 13, S. 13 ff. 120 "» Dazu H . Leipold, a. a. O. S. 99 f. Hist. Jesus, S. 81. 121 Ebda., S. 4 — Kähler denkt hier an die Auslegung des zweiten Artikels in Luthers Kleinem Katechismus, w o die entsprechende Formel des Chalcedonense aufgenommen wird. 122 Wissenschaft, S. 325 ff, bes. S. 332 ff.

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der Schrift überlieferte Bild Christi sowie das Bekenntnis der Gemeinde zur Gottheit Christi, der „geschichtliche Christus der evangelischen Predigt", der „aus Kreuzestod und Auf erweckung lebendige Messias" Demzufolge sieht Kähler die christologische Aufgabe auch nicht darin, wie Gottheit und Menschheit in einer Person vereint vorgestellt werden können, sondern gerade umgekehrt: „Die christliche Lehre (hat) nicht erst festgestellt, daß er Mensdi war, sondern untersucht, wie beschaffen seine Menschheit war, die sich in seinem überlieferten Bilde abprägt 124 ." Weder noetisch noch ontologisch führt der Schluß vom Werden zum Sein, sondern vom Sein zum Werden. Er setzt nicht an beim Menschen, der Gott wird oder bei Gott, der Mensdi wird, sondern bei dem, in dessen Menschheit die Gottheit erscheint, in der sie bezeugt und bekannt wird. Das ,Übergeschichtliche', die ,Übergeschöpflichkeit', die ,Einzigartigkeit' bezeichnen diese Gegenwart und Wirklichkeit des Göttlichen in der Person des geschichtlichen biblischen Christus, in dem irdischen, gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn 125 . Kähler ist deshalb auch einer der wenigen Vertreter der neueren Christologie, die die Enhypostasie der Menschheit Jesu Christi lehren128. Christologisch ist also die hypostatische Union in dem geschichtlichen biblischen Christus als geschichtliche Wirklichkeit vorgegeben. Von ihr werden im „Rückschluß" alle weiteren Lehrstücke von Person und Werk Christi abgehandelt, und so kann Kähler dann auch von einem „Werden des offenbarenden Stellvertreters" wie auch von den zwei Ständen handeln 127 , d.h. von dem Werk, das er ist und das er vollbringt. Denn Christologie ist „Soterologie" in der Erschließung der Person dessen, der in der Schrift als Heiland bezeugt, bekannt und von der Gemeinde in der Geschichte geglaubt wird 128 . Freilich können gegen diesen christologischen Entwurf manche Einwände erhoben werden, in denen etwa die große Nähe zu einer ImagoChristologie festgestellt wird, „für die die geschichtliche Gestalt der Offenbarung nicht recht deutlich wird", und wo das Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen oder überhaupt das Werk Christi ganz in dem Wesen der Person verflüchtigt wird 129 . Abgesehen von dem neutestamentlichen Ursprung der Imago-Christologie 180 wird man jedoch gerade bei dem theologiegeschichtlich dialogischen Charakter von Kählers Christologie berücksichtigen müssen, in welcher Richtung er seine Akzente setzt und worin zunächst einmal das Grundanliegen für die nachdrückliche 123

124 Ebda, S. 333 f. Ebda. 124 Ebda, S. 326, 327, 333, 335, 337, 361 u. ö. Ebda, S. 343. 127 128 Ebda, S. 348 ff. Ebda, S. 343 f. 128 So z.B. J. Wirscbing, a . a . O . S. 161, 163; anders jedoch zur zweiten Frage H. Leipold, S. 111 ff. 130 2. Kor. 4 , 1 ff; Kol. 1,15 etc. 125

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8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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Betonung der Einheit in der Person Jesu Christi besteht. Danach ist gewiß nicht zu bestreiten, daß in dieser dogmatischen Intention die Tendenz zu einer nicht nur „soterologischen Verflüchtigung", sondern auch zu einer kerygmatischen Verflüchtigung des Geschichtlichen liegt. Von mehr als von einer Tendenz wird man jedoch kaum sprechen können, wenn man allein sieht, in welchem Umfang Kahler versucht hat, die neutestamentlichen Aussagen über Person und Werk Christi in seinem christologischen Ansatz aufzunehmen. 3. Die christologische Differenz Bei manchen theologischen Diskussionen mag es dem Außenstehenden scheinen, als sei die Differenz zwischen den Gesprächspartnern rein situationsbedingt oder auch aus einem Mißverstehen erwachsen. Bei Herrmann und Kahler liegt diese Vermutung allein schon deshalb nahe, weil nicht nur sie selbst, sondern auch andere wie etwa M. Reischle, Th. Haering, O. Ritsehl nicht selten auf eine Übereinstimmung ihrer Ansichten hingewiesen haben181. Audi in späteren Stellungnahmen zu dieser Auseinandersetzung trifft man nirgends auf die Feststellung einer fundamentalen Differenz zwischen Herrmann und Kähler. Es sind verschiedene Akzente und Ansätze, aber es ist kein Gegensatz. Im grundsätzlichen stimmen beide überein, daß der Glaube sich nicht auf die immer nur hypothetischen Ergebnisse historischer Forschung gründen kann, daß die Geschichte der Ort ist, wo der Glaube seiner Wirklichkeit begegnet, daß die in der Schrift bezeugte geschichtliche Person Jesu Christi Grund und Ursache des Glaubens ist. Man ist einer Meinung, daß Jesus Christus als der Irdische und Auferstandene Gegenstand des Glaubens ist. — Kontrovers ist die Frage, ob er auch der Grund für das Entstehen des Glaubens und sein Bestehen in der Anfechtung ist bzw. sein kann. Strittig wäre mithin, wie es vom Unglauben zum Glauben kommt. Gewiß hat Herrmann an diesem Punkt die Differenz gesehen, und Kähler hat dies auch in seinen kritischen Einwänden gegen Herrmann in den Vordergrund gestellt132. Aber von einem echten Gegensatz wird man dabei schwerlich reden können. Eher handelt es sich um eine unterschiedliche Beurteilung der Situation, in der sich der Glaube angesichts der historischen Forschung befindet. Herrmann erblicht in dem Zerfall des traditionellen Schriftprinzips wie auch des christologischen Dogmas unter dem Eindringen der historisch-kritischen Forschung die apologetische Aufgabe, der sich die moderne Theologie zu stellen hat. Sie hat zu zeigen, wie auch in dem geschichtsbewußten und kritischen Denken der 131 Z . B . Hist. Jesus, S. 97, 107 Anm. 1, 155, 189, 204; M. Reischle, ZThK 7 (1897), S. 192 f; O. RitsM, ZThK 3 (1893) S. 373 f; Th. Haering, ZThK 7 (1897) S. 332 f. 182 Hist. Jesus, S. 155 ff.

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Gegenwart der Jesus der Evangelien für den hilfesuchenden Menschen eine Erlösung und Befreiung von seinen Nöten sein kann. Kahler betont hingegen das von der Geschichtsbedingtheit unabhängige göttliche Handeln in der Person Jesu Christi. An dieser Stelle zeichnet sich der erste Differenzpunkt zwischen Herrmann und Kahler ab, der oft in einer unterschiedlichen Stellung zum Unglauben oder zum angefochtenen Glauben gesehen wird. In der Tat lehnt Kahler eine Theologie ab, die sich aus apologetischen Motiven mit einem Minimum begnügen will, und der Rechtfertigungsglaube ist bei ihm nicht das Ziel, sondern der Grund der theologischen Argumentation. Der eigentliche Unterschied liegt aber tiefer. Zieht man die bei Herrmann und Kahler erkennbaren Linien weiter aus, dann wird der Gegensatz in folgendem sichtbar: Für Herrmann liegt das Kriterium der dogmatischen Aussagen in den anthropologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der geschichtlichen Situation, in der Geschichtlichkeit menschlicher Existenz. Für Kahler hingegen liegt das Kriterium der dogmatischen Aussagen in der Geschichtlichkeit und Geschichtsmächtigkeit der Offenbarung selbst. Herrmann kommt es darauf an, den Inhalt der Offenbarung theologisch den Verstehensbedingungen der jeweiligen Zeit zu akkommodieren, um einen objektivierenden „Autoritätsglauben" zu vermeiden. Kahler geht davon aus, daß die Geschichtlichkeit der Offenbarung in Christus die Möglichkeiten des Verstehens bereits in sich birgt und als handelndes Subjekt die Objektivierung durchbricht. Die von Kähler besonders kritisierte Unterscheidung zwischen Grund und Inhalt des Glaubens ist bei Herrmann eindeutig anthropologisch orientiert. Die für Herrmanns Theologie so charakteristischen Postulate für das Ereignis der personalen Begegnung fehlen bei Kähler. Indes wendet sich Kähler nicht gegen eine anthropozentrische Theologie 183 . Es geht ihm vielmehr um die geschichtliche Identität der Offenbarung, um die Unabhängigkeit ihrer Wirkung von den jeweiligen Bedingungen menschlichen Verstehens und Erkennens 134 . Er wendet sich gegen jenen „bedenklichen Methodismus" bei Herrmann, in dem die Verabsolutierung einer bestimmten Erfahrungsweise zu einer Einseitigkeit in den dogmatischen Aussagen führt 135 . Doch neben diesem Gegensatz ist nicht zu übersehen, daß von Herrmann wie auch von Kähler die Geschichtlichkeit der Person Jesu Christi nur unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen Erfahrung aufgefaßt wird. Dies zeigt sich auch darin, daß beide den auch für die positive 133 Dieser Gegensatz wurde in jener Zeit erst durch E. Schaeder formuliert, der Kähler als Vertreter einer gemäßigten anthropozentrischen Theologie beurteilt. 134 Hist. Jesus, S. 3 f, 130. 1 3 5 Hist. Jesus, S. 202 ff.

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Jesusforschung jener Zeit typischen Begriff des ,Bildes' verwenden, um die gegenwärtig geschichtliche Wirklichkeit zu beschreiben, in der die Subjekt-Objekt-Spaltung zwischen einer gegenständlichen Tatsache und der subjektiven Erfahrung vermittelt wird 138 . Trotz des aufgezeigten Gegensatzes im Offenbarungsverständnis besteht bei beiden die Gefahr, daß die Personhaftigkeit der Offenbarung in Jesus Christus aufgelöst wird: Bei Herrmann in der Zuspitzung auf das Ereignis personaler Begegnung, das mit dem Heilsgeschehen gleichgesetzt wird; bei Kahler in der Zuspitzung auf das geschichtliche Verkündigungsgeschehen. Wenn Kähler ausdrücklich eine Rückfrage nach der Person Jesu hinter die neutestamentlichen Quellen ablehnt, so gilt dasselbe auch von Herrmann, bei dem der „Mensch Jesus" als Grund des Glaubens nicht das Ergebnis einer historischen Analyse, sondern einer formal-erkenntnistheoretischen Differenzierung zwischen den neutestamentlichen Aussagen über die Person Jesu Christi ist137. Die historische Frage nach dem Jesus, wie er wirklich war 1 , wird nicht gestellt, und zwar auch nicht als eine kritisdie Uberprüfung der Verkündigungs- oder Uberlieferungsgeschichte. Entscheidend ist, wie Jesus gegenwärtig wirkt und in Erscheinung tritt, wobei freilich vorausgesetzt wird, daß er so war, wie er in der geschichtlichen Bezeugung des Christusglaubens und im Ereignis der personalen Begegnung wirkt. Diese Wirkung wird insofern als eine personale verstanden, als sie auf die geschichtliche Existenz Jesu zurückweist und als Ausdruck geschichtlicher Größe beurteilt werden muß. In der Faktizität der Begegnung erschließt sich die Faktizität seiner geschichtlichen Existenz 136 Auf die Funktion des Bildbegriffs bei Kähler hat zuerst H. Ott, Die Frage nach dem historischen Jesus und die Ontologie der Geschichte (Theol. Studien Heft 62), Zürich 1960, hingewiesen. Ott bemüht sich in diesem Zusammenhang, den positivistischen Tatsachenbegriff mit der These zu überwinden: „alle geschichtliche Wirklichkeit, die wir erfahren, hat bildhaften Charakter" (S. 24) und: „Es gibt keine Tatsachen" (S. 13) an sich, da „alle rechte Erkenntnis der Geschichte letztlich Erkenntnis in der Begegnung, im Betroffensein ist" (S. 12). Theologiegeschichtlich sind die Thesen von Ott in keiner Weise haltbar. Denn Kähler verwendet den Bildbegriff genauso wie die Leben-Jesu-Forsdiung seiner Zeit (vgl. dazu oben S. 84 ff). Im gleichen Sinne wird er auch von W. Herrmann verwendet (um nur einige Beispiele zu nennen: Verkehr, S. 52—68 ptim, 92, 183 u. ö.; s. a. S. 237 im Anschluß an Kol. 1, 15; Ges. Aufs. S.24, 114 f, 317 f, 322 u. ö.). Es ist außerdem eine unsachgemäße Abstraktion, wenn Ott das positivistische Tatsachenverständnis in der historischen Jesusforsdiung so versteht, daß in einem ersten Schritt ein Sachverhalt historisch ermittelt wird, der dann in einem zweiten Schritt eine Wertung durdi die Stellungsnahme des Glaubens erfährt. Dabei ist übersehen, daß sowohl in der Leben-Jesu-Forschung wie auch in der Ritsdilschen Schule durchgehend zwischen einer ontisdien und einer noetischen Beziehung unterschieden wird. Das Erkennen ist möglich dadurch, daß sich das zu Erkennende zu erkennen gibt (vgl. dazu auch Kap. VII). M. E. darf der Bildbegriff nicht, wie es bei Ott geschieht, formalisiert werden. Denn die tatsächlich vorhandenen Differenzen liegen in der jeweiligen inhaltlichen Füllung, die christologisch bestimmt ist. 137

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Ges. Aufsätze, S. 315.

in der Vergangenheit, und so ist auch der ,historische' Jesus mit dem geschichtlichen' und,biblisdien' identisch. Die Gegensätzlichkeit in dem Offenbarungsverständnis und die weitgehende Gemeinsamkeit in der Bestimmung des Geschichtlichen als personaler Wirkung erweckt den Eindruck, daß die Unterschiede fließend sind. Eine fundamentale Differenz kann jedoch erst dann konstatiert werden, wenn man die christologischen Aussagen auf beiden Seiten überprüft, sei es, daß sie in expliziter Form vorliegen, sei es, daß sie nur als Konsequenzen sichtbar werden. Zunächst besteht auch hier eine Gemeinsamkeit in der theologiegeschichtlichen Front gegen eine idealistische Aufhebung der Person Jesu Christi und gegen eine historistische Reduktion auf eine positivistische Tatsächlichkeit. Beide betonen trotz aller weiteren Unterschiede die bleibende Bedeutung der Person Jesu Christi, und zwar des Irdischen wie auch des Auferstandenen, für den Glauben. Der Gegensatz wird dort faßbar, wo Herrmann aus apologetischen Gründen mit seiner Unterscheidung zwischen Grund und Inhalt des Glaubens zwischen dem Irdischen, Menschlichen, Geschichtlichen und dem Auferstandenen, Erhöhten, Göttlichen eine Trennung vollzieht. Demgegenüber betont Kahler in dem geschichtlichen biblischen Christus' wie auch mit dem Begriff des ,Ubergeschichtlichen' die unauflösliche Einheit von Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi. Wie bei A. Ritsehl, so ist auch bei Herrmann ontisch die Einheit des irdischen Jesus mit dem erhöhten Christus vorgegeben, noetisch wird sie jedoch erst von dem Irdischen her erschlossen. Gewiß liegt die Intention Herrmanns dabei nicht im Bereich der Christologie, sondern in dem des Verstehens. Doch dies hat erhebliche Konsequenzen für die Christologie. Von einigen Anhängern Herrmanns ist darauf hingewiesen worden, daß der so beschriebene Weg von dem Irdischen zum Auferstandenen „in wesentlicher Einheit auch mit dem Glauben der ersten Jünger" stehe138, allerdings mit dem wohl nicht unbeträchtlichen Unterschied, daß für die Jünger die Bedeutung des Irdischen und des Kreuzes erst im Schauen des Auferstandenen erschlossen wurde. Hierzu bemerkt Reischle: „... diese Gabe war ihnen auch besonders nötig, da sie unter den furchtbaren Eindruck des Kreuzigungstodes Jesu Christi gestellt waren 1 8 9 ..." Eine ähnliche Problematik steckt in der entsprechenden These von F. W. Schmidt, nach der die Auferweckung „schon in dem durch Jesu Persönlichkeit geschaffenen Glauben analytisch enthalten ist"140. Kreuz und Auferstehung dürfen nicht als »Tatsachen* gelten, da dies dem Wesen des 138

M. Reischle, S. 275.

ZThK 7 (1897) S. 224; vgl. auch F. W. Schmidt, ZThK 1 (1920) "» Ebda. Ebda.

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Glaubens und den Möglichkeiten menschlichen Erkennens widerspricht. Sie können also nur eine — wenn auch ontisch determinierte — Konklusion oder Explikation im Vollzug der Erfahrung sein. Die indirekt vollzogene Vorentscheidung liegt in der Herrmannschen Theologie in dem Personbegriff, der ausschließlich der Menschheit und Geschichtlichkeit vorbehalten bleibt und rein phänomenologisch-empirisch gefaßt wird. Im Gegensatz zu A. Ritsehl141 wird bei Herrmann die Person zu einer hermeneutischen Kategorie oder besser zu einem Existential, das eine der Person Jesu und der Person des sittlich regen Menschen gemeinsame Grundbefindlichkeit enthält. Die Person schließt aber nicht ein Handeln oder Leiden ein142 und ebensowenig ein personal bestimmtes Gottesverhältnis, etwa in der Form des Gehorsams, der Liebe, der Stellvertretung oder ähnlichem. In letzter Konsequenz erscheint bei Herrmann die Christologie als Lehre von der Person wie auch vom Werk Christi aufgelöst in dem punktuellen Ereignis einer individuellen Heilserfahrung, dem „ewigen Kommen Gottes zu den Menschen"148. Außerhalb dieses Ereignisses kann als einziges nur von einer geschichtlichen Existenz des Menschen Jesus gesprochen werden, d. h. von dem „Dasein Jesu in unserer Welt" 144 . Kahler tritt in seiner Kritik an Herrmann nicht als Verfechter der traditionellen Christologie auf, auch wenn er sie positiver beurteilt als Herrmann. Der Ansatzpunkt der christologischen Differenz liegt bei Kähler in exegetischen und historischen Erwägungen, durch die ein Rückgriff hinter die neutestamentlichen Quellen und damit hinter die Bezeugung und Verkündigung des Auferstandenen ausgeschlossen wird. Allein von hier aus verbietet sich eine Scheidung zwischen dem geschichtlichen Menschen Jesus und dem auferstandenen Christus. Sie ist weder historisch exakt durchzuführen noch dogmatisch berechtigt. Es mag auf den ersten Blick bedenklich scheinen, daß Kähler die Position Herrmanns im Grunde auf eine Linie mit der positiven Leben-JesuForschung von W. Beyschlag und anderen stellt, von der sich Herrmann selbst mit guten Gründen distanziert hat. Indes ist beiden gemeinsam, daß der Zugang zu dem Erhöhten durch den irdisch-geschichtlichen Jesus vermittelt wird, dem die Funktion eines, wenn auch effektiven, „Zeichens" beigelegt wird 145 . Der ,Christus für uns' wird von Kähler nicht unter dem Aspekt der noetischen Zugänglichkeit gesehen, sondern unter dem der heilsgeschichtlichen Abfolge in der Zeit; nicht die menschliche Existenz, sondern die nachösterliche Situation bestimmt die den Glauben begründende und ihm 141

Siehe oben S. 246 ff. Entsprechende Aussagen über das Geschick Jesu spielen bei Herrmann keine 143 Rolle. W. Herrmann, Ges. Aufsätze, S. 287. 144 145 A. a. O. S. 280. M. Kähler, Hist. Jesus, S. 165, 179; vgl. auch S. 129 f. 142

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begegnende Wirklichkeit. Noch weitergehend könnte man auch sagen, daß diese Wirklichkeit nicht primär in dem Ereignis des Menschseins beruht, sondern in dem geschichtlich-kontinuierlichen Ereignis der Christusverkündigung. Infolgedessen begegnet auch dem Menschen nicht zunächst der geschichtliche Mensch Jesus, sondern der Christus der apostolischen Verkündigung. Für die Christologie folgt daraus die zeitlich und sachlich dem Glauben vorangehende Einheit des Irdischen und des Auferstandenen und die bereits in ihm und durch ihn vollbrachte Versöhnung. Der Glaube hat es nur mit dem zu tun, der als wahrer Mensch und wahrer Gott bezeugt und gepredigt wird. Die ,Person' ist bei Herrmann die dem Personsein des Menschen zugewandte und deshalb zugängliche geschichtliche Erscheinungsform Jesu Christi. Für Kahler ist sie Gleichheit und Untersdiiedenheit untrennbar in einem. In seinem Personsein, in der von seiner geschichtlichen Person ausgehenden Wirkung ist Jesus Christus der Gottmensch. Sein »gottmenschliches Bewußtsein" läßt sich nicht zergliedern, ohne daß es damit auf ein bloßes Ideal reduziert wird 146 . Man mag vielleicht gegen diese Bestimmung des Gegensatzes zwischen Herrmann und Kahler einwenden, daß die christologische Problematik erst in einer Weiterführung der vorliegenden Ansätze sichtbar wird, wo ursprünglich die Frage der Heilsaneignung im Vordergrund steht. Tatsächlich besteht eine gewisse Schwierigkeit darin, daß Herrmann selbst in seiner bewußten Einseitigkeit die systematischen Konsequenzen seiner Thesen kaum verfolgt hat. Die Postulate Herrmanns bilden im Grund durchweg noetisch bzw. anthropologisch ausgerichtete Konvenienzbeweise, die vielleicht den zeitbedingten Verstehensvoraussetzungen entgegenkommen, die aber schwerlich dem neutestamentlichen Befund noch der Aufgabe einer wohlverstandenen Christologie gerecht werden können. Was Kähler an Herrmann — wie wir meinen — im Hinblick auf die problematischen christologischen Konsequenzen kritisiert, betrifft auch die historische Jesusforschung in ihrer positiven Funktion. Trotz aller nicht zu unterschätzenden Unterschiede wird auch in ihr die Einheit der gottmenschlichen Person aufgelöst und die heilsgeschichtliche Situation nach Tod und Auferstehung suspendiert. Allerdings ist damit vorerst nur die Grenze der historischen Jesusfrage angedeutet, noch nicht aber ihr Recht. Doch diesen durch die Diskussion zwischen Herrmann und Kähler aufgeworfenen, wenn auch noch keineswegs eindeutig formulierten Fragen soll in dem letzten Teil der Untersuchung in einem weiteren Zusammenhang nachgegangen werden. 146

Hist. Jesus, S. 134 f.

295

C. Systematische

Zusammenfassung

Da die herangezogenen christologischen Entwürfe und Debatten nach sachlich begrenzten Gesichtspunkten ausgewählt und untersucht wurden, kann die Zusammenfassung selbstverständlich nicht zu einem kritischen Uberblick über die gesamte Christologie des vorigen Jahrhunderts in der Vielschichtigkeit ihrer Probleme führen. Es geht lediglich um die Funktion der historischen Jesusfrage im dogmatischen System, wie sie in den Einzelanalysen ermittelt wurde. Dabei sollen die Gesichtspunkte herausgestellt werden, die dann im folgenden Teil bei der Konfrontation mit der speziellen historischen Jesusforschung die Grundlage der dogmatischkritischen Erwägungen bilden werden. Wir fragen deshalb erstens nach den formalen Ansatzpunkten für die historische Jesusfrage im dogmatischen System, zweitens nadi der inhaltlichen Bestimmung der geschichtlichen Person Jesu und drittens nach den Konsequenzen für das christologische Problem. 1. Die Ansatzpunkte

der historischen Jesusfrage im dogmatischen System

In keinem der für das vorige Jahrhundert repräsentativen dogmatischen Entwürfe ist die Christologie einfach durch ein ,Leben Jesu' ersetzt worden 147 . Umgekehrt findet sich aber auch kein System, in dem nicht die Spuren der historischen Jesusforsdiung zu erkennen wären. Typisch für die ,Vermittlungstheologie' der verschiedenen Richtungen ist die Synthese von historischer Jesusfrage und dogmatischer Christologie. Diese Synthese besteht jedoch keineswegs nur in der Aufnahme von Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung in das traditionelle christologische System. Das Interesse an der geschichtlichen Existenz Jesu konzentriert sich nicht auf die Anwendung der historisch-kritischen Methode, vielmehr ist es von dogmatischen Motiven bestimmt, bei denen es um die geschichtliche Realität der Person Jesu Christi und um ihre dem menschlichen Erkennen zugängliche Wirklichkeit geht. So kann von einem christologischen und einem noetischen oder hermeneutisch-apologetischen Motiv gesprochen werden. Beide Motive werden in unterschiedlicher Weise zur Geltung gebracht. Das christologische Motiv in dem Interesse an der geschichtlichen Existenz Jesu Christi steht theologiegeschichtlich in einer gemeinsamen Front. Bei Schleiermacher, in den verschiedenen Formen der sogenannten 147

Das Beispiel von K. Hase, der anstelle des Lehrstücks von der Person Christi von der „Religiosität Christi" und der „Geschichte Jesu" handelte und die Lehre vom Werk Christi durch eine Besdireibung der „religiösen Einwirkungen Christi" ersetzte, hat in der Dogmatik keine Nachahmer gefunden (s. o. S. 45 f). Theologiegeschichtlich war Hase einer der letzten Vertreter eines, wenn auch gemäßigten, Rationalismus.

296

spekulativen Christologie von A. Schweizer, A. E. Biedermann und I. A. Dorner, bei den Kenotikern und selbst noch bei A. Ritsehl wird durchgehend das „vere homo" mit aller Entschiedenheit gegen die doketischen Tendenzen des Rationalismus und Idealismus verteidigt, wo die geschichtliche Person Jesu nur noch eine zufällige Bedeutung hat und die individuelle Menschheit in eine universale aufgelöst wird. Es kommt auf den Nachweis an, daß das „Urbildliche", das „Göttliche", das „Prinzip" oder die „Idee" in einem geschichtlichen Individuum als wahrnehmbare Wirklichkeit vorgestellt werden kann, daß die geschichtliche Person eine bleibend konstitutive Bedeutung für den christlichen Glauben hat. So gilt es zu zeigen, daß der christliche Glaube nicht in der Entwicklung von Vernunftwahrheiten oder in bestimmten Bewußtseinsinhalten, sondern von einer Realität außerhalb seiner selbst besteht. Das hermeneutisch-apologetische Motiv weist in eine andere Richtung. Denn hier wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Geschichtlichkeit und Menschheit der Person nicht nur die Realität der Offenbarung verbürgt, sondern ihre Erkennbarkeit in den Kategorien menschlichen Verstehens und geschichtlicher Existenz. Geschichtlichkeit und Menschheit sind Weisen der Begegnung und Möglichkeiten des Erkennens. Ausgearbeitet wird dieser Gedanke vor allem in der Christologie A. Ritschis und bei W. Herrmann. Für das Verständnis dieser beiden formalen Ansatzpunkte ist jedoch entscheidend, daß nicht von einer historischen Analyse der neutestamentlichen Quellen ausgegangen wird, sondern von der geschichtlichen Wirklichkeit des Christusglaubens. Es handelt sich stets um einen Schluß von der Wirkung oder der gegenwärtigen Wirklichkeit auf die Ursache, auch wenn dabei der kausale Schematismus Schleiermachers keineswegs durchgehend beibehalten wird. Anders ausgedrückt: Die Einheit der gottmenschlichen Person wird immer schon vorausgesetzt; sie wird also nicht im Erkennen konstituiert, sondern gewissermaßen nachvollzogen.

2. Die inhaltliche Bestimmung der geschichtlichen Person Jesu Christi Aus den beiden formalen Ansatzpunkten ergeben sich verschiedene Möglichkeiten für die inhaltliche Bestimmung und den Umfang der Aussagen über die geschichtliche Person Jesu Christi. Sofern von dem christologischen Motiv ausgegangen wird, treten die Postulate aus der Anthropologie in den Vordergrund. Das heißt die Person Jesu Christi ist so darzustellen, daß sie den wesentlichen Merkmalen menschlich-geschichtlicher Existenz entspricht. Als Postulate dieser Art sind zu nennen: ein menschliches Ich, ein Selbst- und Gottesbewußtsein, ein Werden im Verlauf einer Entwicklung, die religiös-ethische Persön297

lichkeit. Die Funktion der historischen Jesusfrage im dogmatischen System besteht demzufolge darin, die diesen Postulaten entsprechenden Grundzüge menschlich-geschichtlicher Existenz in der neutestamentlichen Uberlieferung aufzuweisen und in der Christologie zur Geltung zu bringen. Wo das hermeneutisch-apologetische Motiv im Vordergrund steht, geht es um einen analytischen Aufweis der dem menschlichen Verstehen unmittelbar zugänglichen Züge in der Uberlieferung von der Person Jesu Christi, bzw. es wird von dem ausgegangen, was den Menschen unmittelbar anspricht und berührt. Im wesentlichen handelt es sich dabei um dieselben Elemente wie bei den Postulaten aus der Anthropologie. Der Unterschied wird jedoch darin sichtbar, daß im ersten Fall die Einzelheiten der geschichtlichen Existenz in auffallender Weise zurücktreten oder auch vernachlässigt werden. Deshalb ist z.B. Schleiermacher nur an dem „Totaleindruck" der Person interessiert, und in ähnlicher Weise bleibt auch in der sogenannten spekulativen Christologie die Entwicklung der religiös-ethischen Gottmenschheit, die Vereinigung von Person und Prinzip vorwiegend auf die formale Vorstellung des Werdens beschränkt. Wie sich im zweiten Fall die Einzelaussagen über die Geschidite, das Geschick und das Verhalten Jesu häufen, ist sehr deutlich bei A. Ritschl und W. Herrmann zu erkennen. Hier kommt alles auf die unmittelbare Begegnung mit der Persönlichkeit und dem Menschsein Jesu an, in dem und durch das das Göttliche erst erkennbar wird. Das „geschichtlich abgeschlossene Lebensbild" hat „den Wert einer bleibenden Regel" (Ritsehl); „die Regungen der Seele Jesu, wie er gedacht und empfunden, was er gewollt und gewirkt hat" vermag der Empfängliche in dem neutestamentlichen Bild des inneren Lebens Jesu zu erkennen (Herrmann). In keinem Fall sind die Aussagen über die Geschichtlichkeit und Eigenart Jesu das Ergebnis historisch-kritischer Forschung im Sinne einer ,objektiven Faktizität'. Sie umschließen vielmehr stets zugleich die Weise der geschichtlichen Wirkung und gegenwärtigen Begegnung. Die Person Jesu Christi ist also nicht allein zu erkennendes Objekt, sondern Subjekt, das sich zu erkennen gibt. Dies entspricht im wesentlichen den Prämissen der positiven Jesusforschung jener Zeit, und so begegnen auch bei den Dogmatikern immer wieder die dafür typischen Begriffe des „Bildes", des „Eindrucks" der „Kraft", das Schema von Ursache und Wirkung oder das Prinzip der Korrelation, die „Selbstverkündigung" oder „Selbstdarstellung" sowie ähnliche Vorstellungen, mit denen der Grund des Erkennens in einem gegenwärtig Wirksamen und Seienden zum Ausdruck gebracht wird. Die Person Jesu Christi kann also niemals losgelöst von ihrer geschichtlichen Wirkung erfaßt werden, sondern nur in ihr. Sie be298

gegnet immer in einer von ihr selbst gewirkten Tradition des christlichen Glaubens, der Erfahrung und durchaus auch des Bekenntnisses. Die Geschichte des Christusglaubens gehört zur Geschichtlichkeit der Person Jesu Christi. Daher ist auch der Rückgriff auf die „ Selbstaussagen " Jesu immer doppeldeutig. Sie enthalten nicht nur das, was Jesus gesagt oder getan hat, sondern auch das, was er unter der Voraussetzung seiner vollen Menschheit gesagt und getan haben kann. 3. Das christologische Problem Es bleibt eine schwerwiegende Frage, ob und inwieweit in den verschiedenen christologischen Entwürfen das Interesse an der geschichtlichmenschlichen Person, an der Realität und Erkennbarkeit der Offenbarung zu einer anthropozentrischen Reduktion der Christologie führt. Die Aussagen über die göttliche Macht und Herrlichkeit Jesu Christi werden offenbar entweder ausgeschieden oder aber durch andere Vorstellungen ersetzt, deren theologische Sachgemäßheit bestritten werden kann. Mit unterschiedlichen Akzenten ist diese Problematik konzentriert auf die Trinitätslehre, auf die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Elementen des christologischen Dogmas und vor allem auf die Frage der Auferstehung. Diese Punkte sind schon in der Christologie des vorigen Jahrhunderts kontrovers und führen zu verschiedenen Lösungen. Allerdings dient es schwerlich zur Klärung der hier vorliegenden Fragen, wenn man lediglich konstatiert, daß etwa die Trinitätslehre, die Zweinaturenlehre, Aussagen über eine Prä- oder Postexistenz oder auch die Auferstehung direkt oder indirekt ,geleugnet' werden. Das Schlagwort von der „anthropozentrischen" Christologie als Kennzeichen für eine ganze Richtung in der Theologie des vorigen Jahrhunderts ist unklar, sofern es sehr unterschiedliche Ansätze in der Christologie umfaßt und allenfalls die Konsequenzen, nicht aber die dogmatischen und historischen Voraussetzungen zur Geltung bringt. Wir beschränken uns vorerst darauf, die entscheidenden Probleme in ihren Umrissen anzudeuten, die im Grunde alle in dem christologischen Personverständnis im weitesten Sinne zusammenlaufen. Als erstes ist in allen behandelten christologischen Entwürfen festzustellen, daß der systematische Akzent stets auf der Menschheit und Geschichtlichkeit der Person Jesu Christi liegt, christologisch also auf der irdischen Existenz. Dies geschieht jedoch in keinem Fall unter dem Axiom, daß Jesus Christus nur Mensch gewesen sei. Auch wenn die Einzelbegründungen problematisch oder zweideutig scheinen mögen, geht aus der theologiegeschichtlichen Front gegen den rationalistischen und idealistischen Verkürzungen der Christologie ein eindeutiges Interesse an dem ,vere homo' hervor. 299

Gemeinsam ist außerdem mit geringfügigen Unterschieden, daß das reale Offenbarsein Jesu Christi als Mensch in der Geschichte auf die religiös-ethische Qualifikation konzentriert wird, und zwar als Gottesbewußtsein, als Entwicklung zur Vollendung und als Berufsgehorsam. Diese religiös-ethische Qualifikation dient einerseits zur Aufnahme christologischer Aussagen und andrerseits zur Bestimmung der von der Person ausgehenden Wirkungen. Gemeinsam ist schließlich auch die direkte oder indirekte Ablehnung einer Anhypostasie der menschlichen Natur in der Person Jesu Christi 148 . Denn das Postulat der vollen Menschheit schließt ein eigenes Ichbewußtsein und Personzentrum ein, wohingegen die Einzigartigkeit Jesu Christi eben, wie es gemeinhin heißt, durch eine Steigerung der menschlichen Eigenschaften und Bewußtseinsinhalte ausgedrückt wird. Von hier aus liegt der Schluß nahe, daß der christologische Personbegriff im psychologischen und ethischen Sinne als Persönlichkeit aufgefaßt wird. Indes handelt es sich nicht allein um eine mehr oder minder unbewußte Begriffsverschiebung. Bezeichnenderweise zielt bei Scbleiermacher die Kritik am Personbegriff des christologischen Dogmas auf die unbestreitbaren Aporien, die sich durch die Verwendung des gleichen Begriffs in den verschiedenen Sachbezügen der Christologie und der Trinitätslehre ergeben. Die eigentlichen Schwierigkeiten entstehen jedoch in der Christologie des vorigen Jahrhunderts in allen theologischen Richtungen im N a turbegriff, der an das Empirische, Gewordene und — anthropologisch — an die Person gebunden ist. In mancher Hinsicht tauchen Fragen auf, wie sie in der Inhaltsbestimmung und Zuordnung der Begriffe „physis", „ousia", „hypostasis" und „prosopon" auch die christologischen Streitigkeiten der alten Kirche seit dem Ausgang des vierten Jahrhunderts bestimmt haben 149 . Die altkirchliche Christologie wird nun aber keineswegs, wie es nach allen Protesten Schleiermachers und besonders der Ritschlsdnen Schule gegen den Intellektualismus und die Metaphysik des hellenistischen Dogmas scheinen mag, generell verworfen. In der spekulativen Christologie nimmt der Begriff der Idee im Hegeischen Verständnis oder des Prinzips alle über den Bereich der zeitlich-geschichtlichen Existenz hinausgehenden christologischen Bestimmungen in weitestem Umfang auf 160 . 1 4 8 M. Kahler ist einer der wenigen, der die Lehre von der An- bzw. Enhypostasie beibehalten hat (s. o. S. 289). 1 4 9 Vgl. hierzu besonders W. Eiert, Der Ausgang der altkirdilidien Christologie. Berlin 1957. Bes. S. 133—184. 150 Vermutlich ließe sich in einer genaueren Untersuchung nachweisen, daß die gesamte konservative oder repristinatorische Christologie im Grunde von den philosophischen Voraussetzungen der Hegeischen Philosophie ausgeht. Bekannt ist der Einfluß Hegels wie auch Schellings auf die Erlanger Theologie.

300

Daneben ist noch ein weiterer Grundzug festzustellen. Schleiermacher hat in seiner Christologie noch versucht, den Schematismus der Zweinaturenlehre mit einer Korrektur der Terminologie fortzuführen; auf die Zweiständelehre hat er ausdrücklich verzichtet, da sie ihm von systematisch überflüssigen und auch irreführenden Erwägungen bestimmt und mit dem PersonbegrifF nicht vereinbar scheint181. Bei A. Ritsehl und seiner Schule gewinnt aber nun gerade das Schema der Zweiständelehre besonderes Gewicht162, und eine ähnliche Vorliebe zeigt sich — schon bei Schleiermacher — für die Lehre vom dreifachen Amt Christi. Die Elemente der traditionellen Christologie werden also so weit aufgenommen, wie sie aus der irdisch-geschichtlichen Existenz Jesu abgeleitet werden können. Dieses Bestreben begegnet jedoch einer doppelten Schwierigkeit. Einerseits in der Frage, wie die bleibende Gegenwartsbedeutung Jesu Christi in einer personalen Relation ausgedrückt werden kann; zum andern in der Frage, ob das in den neutestamentlichen Quellen begegnende „Bild" von der irdisch-geschichtlichen Existenz Jesu tatsächlich dem Selbstsein der Person entspricht. Schleiermacher hatte zwar seine Christologie durchaus von der irdischgeschichtlichen Existenz Jesu Christi her aufgebaut, jedoch die Heilszueignung nur kausal als „Impuls", nicht aber als personale Begegnung ausdrücken können. Dies zeigt die eigenartige Ambivalenz, mit der die Christologie in die Soteriologie und Ekklesiologie, die Individualität in die organische Universalität übergeht. Demgegenüber bietet für H . Schultz wie auch für A. Ritsehl das Schema der Zweiständelehre die Möglichkeit, nicht nur von einem Sein der Person, sondern auch von ihrem Tun und Handeln zu sprechen158. Die beiden Stände werden nicht als zeitliche Abfolge oder unterschiedliche Existenzweisen aufgefaßt, sondern sie sind Weisen der Begegnung und Betrachtung, unter denen das Handeln und das Geschick Jesu erscheinen. Wenn in diesem Zusammenhang von einer sittlichen Entwicklung im aktiven und passiven Gehorsam Jesu die Rede ist, so wird damit zugleich der Weg der Glaubenserkenntnis beschrieben: Die geschichtliche Person Jesu offenbart in ihrer ,Niedrigkeit' und Menschheit ihre Gottheit und Hoheit. Dieses Schema bildet auch den Ausgangspunkt für Herrmanns Unterscheidung von Glaubensgrund und Glaubensinhalt bzw. -gedanken. Die Hoheit erweist sich so letztlich in der geschichtlichen Nachwirkung der Person und des Eindrucks ihres Lebens. So wird die Christologie zunehmend an der individuell personalen 151

F. D. Schleiermacher, Glaubenslehre, § 105 Zus. Dies gilt auch weithin für die spekulative Christologie. ISS Siehe oben S. 232 und 250 f. Hier wird vor allem auch die Lehre von der ,communicatio idiomatum' neu aufgenommen. 152

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Relation der Glaubenserkenntnis orientiert, und es bleibt eine kritische Frage, inwieweit bei den einzelnen Theologen das An-sich-Sein der geschichtlichen Person in dem Ereignis und Erlebnis der Begegnung aufgeht. Symptomatisch für diese Tendenz ist die vorherrschende inklusive Deutung der Soteriologie. Die historische Jesusfrage bekommt in diesem Zusammenhang eine außerordentliche Bedeutung, auch wenn einmütig der Versuch einer biographischen Rekonstruktion in seiner theologischen und historischen Unmöglichkeit klar erkannt wird und gegenüber Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung eine große Skepsis festzustellen ist. Denn an ihr entscheidet sich weniger die Wahrheits- und Gewißheitsfrage als das christologische Problem, ob Jesus Christus in seiner irdisch-geschichtlichen Existenz eine bleibend konstitutive Bedeutung für den Glauben hat. Wo diese historische Voraussetzung nicht festgehalten werden kann, entsteht die Gefahr, daß die Person in dem Ereignis der Begegnung aufgelöst wird, daß der Glaube zum reinen Subjektivismus wird. M. Kahler hat diese Grenze zweifellos am schärfsten erkannt, als er gegen W. Herrmann auf die historische und dogmatische Unmöglichkeit, hinter die neutestamentliche Verkündigung von dem geschichtlichen und auferstandenen Jesus Christus zurückzutragen, hinwies. Damit hat er das, was bei den meisten der anderen christologischen Entwürfe als eine Konsequenz oder Nachwirkung der geschichtlichen Existenz und Persönlichkeit aufgefaßt wurde, inhaltlich gefüllt durch das Ereignis der Predigt von dem Gekreuzigten und Auferstandenen, dem Glauben der Jünger, durch das Wort 154 . Wie aber steht es mit dem zweifellos legitimen dogmatischen Interesse jener Theologen an der irdisch-geschichtlichen Existenz Jesu Christi bei ihrer kritischen Abwehr der rationalistischen und idealistischen Destruktion der Christologie? Steht nicht auch Kahler mit seinem Verzicht auf die historische Jesusfrage in der Gefahr einer doketisierenden Christologie, in der die geschichtliche Faktizität letztlich in dem Verkündigungsund Glaubensgeschehen aufgeht155?

154

M. Kühler, Hist. Jesus, S. 63 f. 155 Vgl_ hierzu auch die Einwände von O. Michel, Der ,historische Jesus* und das theologische Gewissensproblem (sie! — muß heißen: Gewißheitsproblem). (EvTh 15 [1955] S. 349—363.) Midiel kritisiert vor allem, daß bei Kahler nicht der positive Eigenwert des Historischen zur Geltung gebracht wird (S. 363).

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Schlußteil

K A P I T E L IX

Die christologische Problematik der historischen Jesusfrage Bei dem Thema dieser Untersuchungen ging es um die christologische Problematik der historischen Jesusfrage. Es wurde davon ausgegangen, daß die historische Jesusfrage als Teilproblem der Christusfrage anzusehen sei. Den gemeinsamen Gegenstand bildet die Person Jesu Christi. Diese Voraussetzung wird dort auf Widerspruch stoßen, wo die historische Jesusfrage von Dogmatikern wie auch von Historikern als ,reinc historisches Problem und mithin allein als kritisches Gegenüber zur dogmatischen Christologie —, als Dogmenkritik oder auch als Ersatz der dogmatischen Christologie aufgefaßt wird. Hier bestünde dann die Aufgabe, die Differenz zwischen ,dem Historischen' und ,dem Dogmatischen' zu reflektieren, eine Aufgabe, die sich im wesentlichen auf den Ausgleich zwischen zwei verschiedenen Fachrichtungen mit ihren jeweiligen Methoden und Ergebnissen konzentrieren würde. Die christologische Problematik wäre dann in den Konsequenzen der historischen Forschungsergebnisse zu suchen. Wird hingegen die historische Jesusfrage als Teilproblem der Christusfrage betrachtet, so heißt dies, daß die Methodenfrage der Sachfrage als dem gemeinsamen Gegenstand untergeordnet wird. Dieser gemeinsame Gegenstand ist der neutestamentliche Bericht von der Person Jesu Christi in seiner Gesamtheit. Dies kann nicht energisch genug betont werden gegenüber einem weitverbreiteten Methodenpositivismus, bei dem oft recht unreflektiert die gemeinsame Basis übergangen wird und wo letztlich das Historische mit dem Wirklichen und das Dogmatische mit dem Unhistorischen gleichgesetzt wird. Die jeweilige Wirklichkeit wird damit durch die methodische Betrachtungsweise bestimmt, und dies führt zwangsläufig zu einer Trennung in verschiedene Wirklichkeitsbereiche. 303

Diese Trennung scheint berechtigt zu sein, wenn man davon ausgeht, daß das Historische eine allgemeine Evidenz besitzt, während der Glaube nach seinem Wesen gerade nicht eine allgemeine Ausweisbarkeit im Sinne des Schauens beanspruchen kann (1. Kor. 13,12; Hebr. 11,1). Sie scheint ebenfalls berechtigt zu sein, wenn man davon ausgeht, daß in den neutestamentlichen Schriften ein historisches Ereignis nicht unmittelbar dokumentarisch dargestellt, sondern in einer interpretierenden Tradition weitergegeben wird, die nicht nur von dem Gegenstand, sondern von zahlreichen sekundären Einflüssen und zeitgebundenen Vorstellungsformen geprägt ist. Diese interpretierende Tradition ist keineswegs einheitlich und schließt in ihrer Vielfalt die Möglichkeit einer Fehlinterpretation nicht aus. Nicht nur im Interesse wissenschaftlicher Objektivität, sondern auch im Interesse des sachgemäßen Verstehens ist daher eine kritische Überprüfung des Verhältnisses von historischer Wirklichkeit und interpretierender Verkündigung geboten. Daran ist der Dogmatiker zweifellos ebenso interessiert wie der Historiker. Die Notwendigkeit und das Recht dieser Fragestellung sollen keinesfalls bestritten und eingeschränkt werden. Faktisch kann jedoch diese kritische Aufgabe nur in einer wie auch immer bestimmten Stellungnahme zu der im Neuen Testament bezeugten über den Tod hinausgehenden bleibenden Wirklichkeit der Person Jesu Christi wahrgenommen werden. In dieser personalen Kontinuität liegt das Grundproblem der historischen Jesusfrage sowie der Ansatzpunkt ihrer christologischen Problematik. Dies heißt freilich, daß Historisches und Dogmatisches nicht von vornherein nach — zudem keineswegs einheitlichen — methodischen Gesichtspunkten oder verschiedenen Wirklichkeitsbereichen miteinander konfrontiert werden dürfen. Der Streit um die Priorität der einen oder der anderen Methode wird also hinter die Sachfrage zurückgestellt. Das Postulat der Voraussetzungslosigkeit der historischen Methode wird jedoch damit keineswegs bestritten, wenn es als Offenheit für die Sache, nicht aber als Verabsolutierung einer bestimmten Methode verstanden wird. Umgekehrt verstehen wir aber auch die dogmatische Christologie nicht einfach als „Dogmenauslegung", wie sie offenbar nicht selten bewußt oder unbewußt in der historischen Kritik etwas kurzschlüssig aufgefaßt wird. Christologie ist vielmehr als theologische Aufgabe die Frage nach dem sachgemäßen Reden von der Person Jesu Christi. Und hierzu gehört die dogmatische Uberlieferung in Bekenntnis und Lehre der Kirche ebenso wie die historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Schrift. Im folgenden soll nun im Rückgriff auf die Ergebnisse der systematischen Analysen und im Gespräch mit den gegenwärtig vertretenen Standpunkten die zentrale Bedeutung des christologischen Personproblems in der historischen Jesusfrage kritisch dargelegt werden. 304

A. Die Ansatzpunkte des christologischen Problems Uberschaut man die Geschichte der historischen Jesusfrage bis zur Gegenwart, so gibt es eigentlich keine stichhaltige Erklärung dafür, daß dieses Problem sich regelmäßig mit neuer Dringlichkeit dort stellt, wo es als erledigt oder aussichtslos angesehen wurde. Bezeichnend sind die Bilder, mit denen die „neue Frage nach dem historischen Jesus" auf dem Hintergrund des von A. Schweitzer beschriebenen „Scheiterns der LebenJesu-Forschung" als „Pendelschlag", „Kreisbogen", „Vertauschung der Fronten" oder als „immanente Dialektik" dargestellt wird. Diese Bilder zielen im Grunde alle auf den Fortschritt in der geschichtswissenschaftlichen Arbeit sowie auf die Wandlung und Entwicklung im historischen Verstehen. In diesem Sinne konfrontiert z.B. auch J. M. Robinson die „neue Frage nach dem historischen Jesus" mit der „Leben-Jesu-Forschung" des neunzehnten Jahrhunderts: „Darum sind Kerygma und Historiographie im Stil des 19. Jahrhunderts zwei nicht miteinander vereinbare Größen, denn das Kerygma will mich nicht durch objektiv verifizierbare Fakten anreden. Aber das Kerygma und die Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts sind Größen, die zueinander passen, denn das Kerygma ist die Verkündigung der Bedeutsamkeit eines historischen Ereignisses und stimmt darin formal mit dem Ziel der gegenwärtigen Geschichtsschreibung überein1." Soweit in dieser Gegenüberstellung auf die Unsachgemäßheit der — freilich in sich keineswegs so homogenen — „Leben-Jesu-Forschung" hingewiesen wird, mag dieser Satz berechtigt sein. Aber er ist falsch, wenn der Grund für die „neue Frage" in den neuen methodischen Voraussetzungen gesehen wird 2 . Was die Methode der existentialen Interpretation ermöglicht, ist doch in Wirklichkeit von der Sache gefordert. Hier liegen verschiedene Probleme, die im folgenden zu beachten sind.

1. Rückblick Wir beginnen mit einem Rückblick auf den theologiegeschichtlichen Befund. Gegenüber der Vorstellung von einer in sich geschlossenen Geschichte der historischen Jesusforschung wurde festgestellt, daß hier keineswegs von einer kontinuierlichen Entwicklung gesprochen werden J. M. Robinson, Kerygma und historischer Jesus. Zürich 1960. S. 110. Vgl. hierzu auch die Kritik an Robinson bei Van A. Harvey und Schubert M. Ogden, Wie neu ist die ,neue Frage nach dem historischen Jesus'? (ZThK 59 [1962] 46—87), die zu Recht darauf hinweisen, daß hier weder zur ,Leben-Jesu-Forschung' noch zu R. Bultmann ein prinzipieller Gegensatz besteht. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß es auch bei Robinson nicht allein um die Methodenfragen geht. Er sieht vielmehr auch das Zentralproblem in der „Begegnung mit der ganzen Person" (a. a. O. S. 115 — s . u . B . 1). 1 2

20

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

305

kann, die ihren Abschluß in dem „Scheitern der Leben-Jesu-Forschung" findet und dann in der Schule R. Bultmanns mit anderen methodischen Voraussetzungen als „neue Frage nach dem historischen Jesus" wieder aufgenommen wird. Als selbständige „Disziplin" (J. Wellhausen), „Bewegung" (F. Nippold) oder „Geschichte" (A. Schweitzer) ist die historische Jesusforschung nicht darzustellen, ohne daß ganz erhebliche Verkürzungen des theologiegeschichtlichen Sachverhalts die Folge sind. Vor allem kann nicht die These A. Schweitzers verallgemeinert werden, daß die historische Jesusfrage seit dem Zeitalter der Aufklärung allmählich an die Stelle der dogmatischen Christologie oder des christologischen Dogmas tritt. Diese These ist erst auf dem Hintergrund der Theologie A. Ritschis und des historischen Positivismus möglich, wo Geschichte und Metaphysik, historischer Jesus und christologisches Dogma und später Jesus und Paulus scharf voneinander getrennt werden. Die Trennung zwischen „Historischem" und „Dogmatischem" ist ein Produkt der Ritschlschen Theologie3. Weder der Rationalismus noch der Idealismus sind ernsthaft am „historischen Jesus" interessiert, sondern an den von ihm verkündeten überzeitlichen Lehren bzw. an der geschichtlichen Konkretion der Idee. Das durchgehende Grundproblem liegt nicht in der Frage nach „dem Jesus, wie er wirklich war", sondern in der Auseinandersetzung um die historische Möglichkeit und die theologische Notwendigkeit der historischen Jesusfrage. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch die historische Jesusforschung mit der entsprechenden Problematik in der dogmatischen Christologie zusammengefaßt werden. Darin begegnen sich dann auch die „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" und die „neue Frage nach dem historischen Jesus". Es ist ferner charakteristisch für die Problemstellung, daß die historische Jesusfrage stets in Antagonismen formuliert wird (s. o. S. 137 ff). Die darin miteinander konfrontierten Größen sind nicht eindeutig und wechseln in ihrer inhaltlichen Bestimmung. Dies gilt sowohl für den „historischen Jesus" wie auch für den „Christus der Bibel", „des Glaubens", „des Dogmas", „des Kerygmas" usw. Die historische Jesusfrage wird in diesen Antagonismen unter den verschiedensten Gesichtspunkten und methodischen Voraussetzungen jeweils neu formuliert. Entschieden wird sie jedoch nicht in dem Begriff des „historischen Jesus", sondern in der Konjunktion des „und", mit der die beiden Größen einander zugeordnet werden. Es wird also niemals isoliert nach dem „historischen Jesus" gefragt. Vielmehr geht es stets um eine Relation, in der zu klären 3

In dieser Zeit setzt auch die zunehmende Differenzierung zwischen den theologisdien Fachrichtungen ein, die sich gerade auf die historische Jesusfrage sehr ausgewirkt hat.

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versucht wird, ob, warum, mit welchem Recht und wodurch die bleibende Bedeutung der geschichtlichen Person in ihrer Eigenart, ihrem Selbstverständnis und ihrem Handeln über ihren Tod hinaus behauptet werden kann. Bezeichnend dafür sind die in mannigfachen Variationen begegnenden Fragen nach dem Verhältnis von „zufälligen Geschichtswahrheiten" und „notwendigen Vernunftwarhei ten" (Lessing), von „Geschichtlichkeit" und „Urbildlichkeit" (Schleiermacher), von „Individuum" und „Idee" (Strauß), von „Person" und „Prinzip" (in der spekulativen' Christologie), von „natürlicher" und „ethischer Gottmenschheit" (Dorner), von „offenbarer" und „verborgener Gottheit" (A. Ritsehl), von „Grund" und „Inhalt des Glaubens" (W. Herrmann) oder in der neueren Diskussion von „Verkündiger" und „Verkündigtem". Es ist nicht nötig, die früher erwähnten Formeln vollzählig zu wiederholen. Jeder dieser Begriffe hat, wie wir zeigten, seine eigene Bedeutung und Funktion. Wesentlich für die Bestimmung der Relation zwischen den verschiedenen Begriffspaaren ist aber stets die Beurteilung der historischen Möglichkeit und theologischen Notwendigkeit der historischen Jesusfrage. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die rein historische Feststellung des Quellenbefunds mit sekundären ,dogmatischen Interessen' verbunden wäre, wie es oft scheinen mag. In der Beurteilung der theologischen Notwendigkeit liegt vielmehr durchaus eine Sachbezogenheit, indem das für die Weiterereignung der Christusverkündigung konstitutive Moment herausgestellt wird. Schon wenn der Ursprung der historischen Jesusfrage in dem ,modernen Geschichtsbewußtsein' gesehen wird, kann dies zweierlei bedeuten, nämlich einmal die Erforschung eines historischen Sachverhalts und zum andern die Interpretation der neutestamentlichen Texte unter den Verstehensvoraussetzungen der Gegenwart. Die historische Fragestellung ist hier also mit der hermeneutischen aufs engste verbunden. Wenn in der heutigen Geschichtswissenschaft das Moment der existentiellen Relation zwischen Subjekt und Objekt des Erkennens betont wird, so gilt dies im Grunde auch schon für die früheren Epochen der historischen Jesusfrage, die mit der rationalistischen, idealistischen und positivistischen Geschichtsauffassung verbunden sind (s. o. bes. S. 80 ff u. 105). Das historische Interesse richtet sich nie im ausschließlichen Sinne auf das ,Faktum an sich', sondern in dem Erkenntnisvollzug erschließt sich zugleich die Beziehung zur Gegenwart. Verfolgt man die verschiedenen Positionen in der Geschichte der historischen Jesusfrage, so zeigt sich neben dem Interesse an dem, ,was wirklich war', stets auch das Interesse an dem, was gegenwärtig begegnet und als solches die Erkenntnis des Vergangenen ermöglicht. Das besonders von A. Ritsehl formulierte Prinzip der ,Korrelation' (s. o. S. 245) hat bei allen Vertretern der historischen Jesusfrage eine Entsprechung. 20*

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Bei Schleiermacher wird es als Kausalverhältnis beschrieben (s. o. S. 212 ff), im Rationalismus ist es die Allgemeingültigkeit der Tugendund Weisheitslehren Jesu, bei Strauß ist es die absolute Geschichte der Idee (s. o. S. 56 ff). Nahezu durchgehend wird der Begriff des „Bildes" verwendet, um die Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt im Vollzug des historischen Erkennens auszudrücken (s. o. S. 84, 212, 292, Anm. 136). In diesen Zusammenhang gehört auch, daß in der modernen existentialen Interpretation durch die historische Rückfrage die existentielle Beziehung nicht ,hergestellt', sondern ,aufgedeckt' wird 4 . Mit dem Interesse an der Geschichte ist so stets die Betroffenheit durch die Geschichte verbunden. Um diesen Sachverhalt zur Geltung zu bringen, wurden in der Untersuchung drei Motive oder Aspekte in der historischen Jesusfrage unterschieden: ein historischer, ein hermeneutisch-apologetischer und außerdem ein christologischer (s. o. S. 128 ff und 296 ff). Gegenüber der Verbindung von historischer und hermeneutisch-apologetischer Problemstellung in der historischen Jesusfrage wird sich bei dem heutigen Geschichtsverständnis kein Widerspruch erheben. Schwieriger wird es jedoch, wenn die historische Forschungsarbeit nicht erst in ihren Konsequenzen, sondern bereits im Ansatz mit dem christologischen Motiv in Verbindung gebracht wird. Sofern die Christologie nur als Interpretation oder Reflexion und das Historische als Gegensatz zum Dogmatischen aufgefaßt wird, liegt es in der Tat nahe, in dem christologischen Motiv dogmatische Interessen zu sehen, die mit der rein historischen Forschungsarbeit unvereinbar sind5. Dies braucht jedoch, worauf auch G. Ebeling hingewiesen hat 8 , keineswegs der Fall zu sein, wenn in dem Begriff Christologie der entscheidende Bezug auf die Person Jesu Christi berücksichtigt wird. Als christologisches Motiv verstehen wir nicht eine gewisse strukturelle Gleichartigkeit zwischen den Antagonismen der historischen Jesusfrage und den Antinomien zwischen göttlicher und menschlicher Natur im christologischen Dogma, auf die später noch einzugehen ist. Zunächst soll damit die in der historischen Jesusfrage hervortretende Auseinandersetzung um die konstitutive und bleibende Bedeutung der Person Jesu Christi bezeichnet werden. * Vgl. dazu z. B. J. M. Robinson, a. a. O. S. 114. 5 Z. B. R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotsdiaft zum historischen Jesus. Heidelberg 1961 2 . S. 6. • G. Ebeling, Wort und Glaube. Tübingen 1960. S. 300, Anm. 2. Ebeling legt hier besonderen Wert darauf, daß der Begriff .Christologie' auch auf eine Person bezogen werden kann und muß, in der Verbindung von Allgemeinem (Lehre) und HistorischIndividuellem. In dieser beiläufigen Bemerkung liegt ein wichtiger Gesichtspunkt für die Uberwindung der prinzipiellen Trennung zwischen Historischem und Dogmatischem in bezug auf den gemeinsamen Gegenstand.

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In der Untersuchung war gezeigt worden, wie das wechselnde Interesse am ,historischen Jesus' nicht allein auf den Ubergang von dem „Scheitern der Leben-Jesu-Forschung" zur „neuen Frage nach dem historischen Jesus" beschränkt ist, sondern durch die gesamte Geschichte der historischen Jesusfrage hindurch verfolgt werden kann. Die historische Jesusfrage partizipiert zwar durchaus an dem Wandel des historischen Verstehens, aber die Veränderungen in den methodischen Voraussetzungen genügen schwerlich zur Erklärung dieser auffallenden Dialektik, in der die historische Jesusfrage einmal in einer positiven, ein anderes Mal in einer negativen Funktion erscheint (s. o. S. 157 f). Zur Erklärung genügt auch nicht der Hinweis auf die unterschiedliche Beurteilung der Quellen und ihrer historischen Authentizität für die Möglichkeit einer Rückfrage nach dem,historischen Jesus'. Die Kontroverse konzentriert sich vielmehr auf den christologischen Aspekt, indem zu der im neutestamentlichen Kerygma behaupteten personalen Kontinuität und Identität zwischen dem Irdischen und dem Erhöhten Stellung genommen wird. An diesem Punkt entscheidet sich die theologische Notwendigkeit der historischen Jesusfrage, und zwar ebenfalls in sachlichem Bezug auf das im Neuen Testament vorgegebene Problem. In der neueren theologischen Diskussion werden die an dieser Stelle aufbrechenden Fragen unter zwei Gesichtspunkten behandelt. Einmal erscheinen sie in der Unterscheidung zwischen einem christologischen Ansatz „von oben" und „von unten". Zum andern erscheinen sie in einer unterschiedlichen Bestimmung des „Urdatums" der Christologie. In beiden Fällen geht es auf dem Hintergrund der historischen Jesusfrage um das Zentrum, den Ursprung und den Grund der Christologie. 2. Der christologische Ansatz Die Unterscheidung zwischen einer Christologie „von oben" und „von unten" ist zwar terminologisch keine Neubildung, inhaltlich ist sie jedoch nicht eindeutig, und theologisch ist sie auch problematisch. Man kann die Bezeichnungen nur in Anführungszeichen verwenden, um das Mißverständnis einer räumlichen Auffassung auszuschließen7. Systema7 Gerade gegenüber verschiedenen Äußerungen von A. Ritsehl, die gelegentlich auch in der neueren Theologie wiederholt werden, ist es wichtig zu betonen, daß ein diristologischer Ansatz ,von unten' sidi nicht auf entsprechende Äußerungen bei Luther berufen kann. Luthers Interesse an der .humanitas Christi' geht stets auf die Niedrigkeit und die Stellvertretung. Es ist soteriologisdi, nicht aber noetisch bzw. historisch motiviert. Sein christologisdier Personbegriff ist der der Zweinaturenlehre, die als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die wichtigsten Stellen bei Luther sind: W. A. 10, I, 2, S. 297, 9 ; 17, I, S. 3 6 5 ; 21, S. 4 6 7 ; 33, S. 115, 2 7 ; 34, I, S. 147, 10; 40, I, S. 93, 5 ; ebda. S. 417, 2 9 ; 45, S. 589. Der Glaube an die Gottheit ist also bereits vorausgesetzt

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tisch geht es dabei um den Realgrund oder den Erkenntnisgrund der Christologie. Gewöhnlich wird das Problem so formuliert, ob die Christologie „von unten" bei der geschichtlichen Existenz Jesu, bei dem „historischen Jesus" einzusetzen habe, um von hier aus zur Erkenntnis seiner Gottheit zu gelangen, oder ob sie „von oben" mit dem christologischen Dogma bei der Präexistenz des Inkarnierten und der zweiten Person der göttlichen Trinität einzusetzen habe, um von hier aus zur Erkenntnis seiner Menschheit zu gelangen. Für den Ansatz „von unten" ist in neuerer Zeit ein bemerkenswerter Konsensus festzustellen 8 . Er steht in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Christologie der dialektischen Theologie und mit der Kerygmatheologie R. Bultmanns. Zugleich werden wesentliche Elemente aus der Theologie A. Ritschis und W. Herrmanns sowie deren Kritik an der Metaphysik des christologischen Dogmas aufgenommen 9 . Bei Ritsehl bildet die geschichtliche Person Jesu das allgemeine Erkenntnisprinzip; von der in der geschichtlichen Person offenbaren Gottheit ist auf die verborgene Gottheit zu schließen (s. o. S. 241 und 248). Ähnlich bei Herrmann: „Wir, die wir die Erlösung bei Jesus suchen, dürfen uns auch nicht etwa unterfangen, dieselben hohen Dinge von Jesus zu glauben, die sie (seil, die Jünger) als Erlöste von ihm geglaubt haben. Das hieße, von oben anfangen und das zum Grunde der Erlösung machen, was eine Frucht der Erlösung ist. Wir sollen nicht selbst emporklettern wollen. Sondern wir sollen uns, wie damals die Jünger, treffen und emporheben lassen durch das, was uns in unserer Lage als etwas zweifellos Wirkliches berührt 1 0 .. und die Gottheit wird nicht erst in der Begegnung mit der irdisch-geschichtlichen Existenz erschlossen oder aus ihr abgeleitet. Im heutigen Sinne wäre Luther daher auch gerade mit seiner Christologie ,ab imo' als Vertreter eines christologischen Ansatzes ,von oben' anzusehen. Aus der Literatur vgl. dazu: W. Eiert, Morphologie des Luthertums, 1952 (Neudr.) I, S . 9 8 ; E. Wolf, Peregrinatio, I. München 1962, S. 49 ff (Lit.!); P. Althaus, Die christliche Wahrheit. Gütersloh 1959 5 . S. 429 f; F. Gogarten, Theologie und Geschichte (ZThK 50 [1953] bes. S. 384 f). Jetzt auch F. Gogarten, Jesus Christus Wende der Welt. Grundfragen zur Christologie. Tübingen 1966. S. 1 f und 231 ff. Im Gegensatz zu Ritsehl ist die Menschheit Christi nicht die ,offenbare Gottheit', sondern Gott ,sub contrario', also gerade die Verborgenheit in der Niedrigkeit des Leidens, des Gerichts, der Verwerfung, der Gottverlassenheit und des Todes. D a ß Gott in der geschichtlichen Person des Menschen Jesus ist, vermag gerade nicht das Fleisch, sondern nur der Geist, der Glaube zu erkennen (vgl. z. B. W. A. 26, S. 310 und 312). 8 D. M. Baillie, God was in Christ. London (1948) i960 8 (s.o. Anm. 2 zu Kap. I); W. Eiert, Der christliche Glaube. Hamburg (1956) i960 5 , S. 291 ff, 156 ff; P. Althaus, Die christliche Wahrheit, S. 424 ff; G. Ebeling, Theologie und Verkündigung. Tübingen 1962. S. 22 ff; W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie. Gütersloh 1964. S. 26 ff, 47 ff. 9 Direkte Hinweise auf Ritsehl finden sich z . B . bei P. Althaus, Die christliche Wahrheit, S. 425; W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, S. 30. 10 W. Herrmann, Der Verkehr des Christen mit Gott, S. 64.

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Die Eigenart der Christologie „von unten" beschränkt sich nicht auf die Berücksichtigung der historisch-kritischen Forschungsergebnisse oder auf die geschichtliche Betrachtungsweise. Sie umschließt vielmehr ein ganzes theologisches Programm, das in folgenden Punkten, die in verschiedener Weise akzentuiert werden, zusammengefaßt werden kann: 1. Es wird vorausgesetzt, daß eine historische Rückfrage hinter das neu testamentliche Kerygma möglich und theologisch nötig ist. 2. Die Aufgabe der Christologie wird nicht allein in der Entfaltung des Christusbekenntnisses gesehen, sondern in dessen Begründung: „An dem Menschen Jesus wird der Glaube seiner Gottheit gewiß11." — Zunächst muß „Jesu geschichtliche Erscheinung darauf befragt werden, wie sie zur Erkenntnis seiner Gottheit führt" 12 . Die geschichtliche Person Jesu ist der Erkenntnisgrund für die Gottheit Jesu Christi. Sie ist aber auch die Norm christologischer Aussagen: „Es darf auch in christologischer Hinsicht nichts über Jesus ausgesagt werden, was nicht im historischen Jesus selbst begründet ist und sich nicht darauf beschränkt, auszusagen, wer der historische Jesus ist18." 3. Mit dem Ansatz „von unten" soll die geschichtliche Entwicklung und Bedingtheit des Christusbekenntnisses der Gemeinde berücksichtigt und auf ihre Sachgemäßheit wie auch auf ihre Situationsbezogenheit überprüft werden. 4. Die theologische Legitimität dieses Ansatzes wird gesehen: a) in der personhaften Realität des geschichtlichen Menschseins Jesu Christi, b) in der gegenwärtigen Situation, wo die Gottheit Christi nicht als bekannte Größe vorausgesetzt werden kann 14 , c) in der Front gegen eine Entgeschichtlichung und Entpersonalisierung der Christologie und ihre Auflösung in Bewußtseinsinhalte. Es ist nicht zu übersehen, daß bei dem Ansatz „von unten" ein noetisches Interesse im Vordergrund steht. Die geschichtliche Menschheit Jesu Christi wird als Akkommodation an die menschlichen Erkenntnisvoraussetzungen betrachtet; sie hat eine apophantische Bedeutung. Der Erkenntnisweg wird mit dem geschichtlichen Enwicklungsprozeß von der Geschichte Jesu zum Christusbekenntnis der Jünger und der Gemeinde in Beziehung gesetzt. Realgrund und Erkenntnisgrund fallen zusammen. Gleichzeitig wird unterschieden zwischen der geschichtlichen Person Jesu und der christologischen Lehre von der Person bzw. dem Bekenntnis zu der Person Jesu Christi. Der Rückgriff auf die geschichtliche Person Jesu kann aber auch als Grundlage einer personalen Relation angesehen werden. 11

12 P. Althaus, a. a. O. S. 424. W. Pannenberg, a. a. O. S. 28. G. Ebeling, Wort und Glaube. Tübingen 1960. S. 311. 14 G. Ebeling, Theologie und Verkündigung, S. 24. Entsprediende Begründungen finden sich z. B. audi bei W. Eiert und P. Althaus — s. o. Anm. 8. 13

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Wesentliche Unterschiede ergeben sich bei dem Ansatz „von unten" in dem Verständnis der Auferstehung und der Gottheit Jesu Christi. Umstritten ist vor allem, ob die Auferstehung zur Geschichte Jesu und damit in den Bereich der historisch zugänglichen Faktizität zu rechnen ist15, oder ob sie „Sache des religiösen Urteils 18 " und nur dem Glauben zugänglich ist. Der Ansatz „von unten" bedeutet nicht notwendigerweise einen Verzicht auf das christologische Dogma, aber er geht doch von der Behauptung aus, daß das christologische Dogma mindestens in der gegenwärtigen Zeit nicht mehr als Erkenntnisgrund des christlichen Glaubens verwendet werden kann, weil es dem modernen Geschichts- und Weltverständnis nicht mehr gemäß und zugänglich ist. Der entgegengesetzte Ansatz der Christologie „von oben" wird in der gegenwärtigen Theologie unter sehr verschiedenen Vorzeichen vertreten. Er ist keineswegs auf eine konservative, repristinatorische Christologie beschränkt, in der an dem traditionellen Dogma in vollem Umfang festgehalten wird. Vielmehr sind auch alle Standpunkte in der historischen Jesusfrage und in der dogmatischen Christologie dazu zu rechnen, bei denen die geschichtliche Person Jesu aus verschiedenen Gründen keine konstitutive, sondern allenfalls eine zufällige, regulative Bedeutung hat. Dies gilt besonders für die idealistische Christologie, zumal für D. F. Strauß oder auch für manche Vertreter der spekulativen Christologie, wenn hier nicht von der geschichtlichen Person, sondern von der Idee bzw. von dem Prinzip ausgegangen wird 17 . Vor allem ist dann M. Kahler zu nennen sowie die dialektische Theologie von E. Brunner19 und K. Barth19. Ebenso gehört hierher der Ansatz der Kerygma- und Existenztheologie R. Bultmanns wie auch der von F. Buri20. 15 So z. B. O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments. Tübingen 1958 1 . S. 338. Neuerdings hat W. Pannenberg unter diesem Gesichtspunkt den diristologischen Ansatz ,von unten' unter Einschluß der Auferstehung modifiziert — s. u. S. 318 f. 18 So z. B. P. Althaus, a. a. O. S. 426. 17 Schleiermacher ist schwerlich unter einen der beiden diristologischen Ansätze einzuordnen. 18 E. Brunner, Der Mittler. Zur Besinnung über den Christusglauben. Zürich (1927) 1947 4 , S. 128 ff und 175 ff. In seiner Dogmatik Bd. II, Zürich-Stuttgart (1950) i960 1 , S. 257 scheint Brunner jedoch dem Ansatz ,von unten' zu folgen. » K. Barth, Kirchliche Dogmatik, z. B. Bd. I, 2, S. 134 ff; IV, 1, S. 133 ff. Mit berechtigter Zurückhaltung und auch Kritik wird die Unterscheidung zwischen den beiden Ansätzen von H . Vogel, Gott in Christo, Berlin 1952 2 , S. 678 ff, 682 f und 674 ff behandelt mit der These, daß sich in der wirkenden Gottheit des Menschgewordenen die wesenhafte Gottheit erschließt. Was Vogel (S. 674) als Ansatz ,von unten* im Anschluß an Luther bezeichnet, entspricht nicht dem Ritschlschen Schema von offenbarer und verborgener Gottheit. Besondere Beachtung verdienen hier auch die Erwägungen von O. Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. II, Neukirchen 1962, S. 20 ff, der am

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Im einzelnen divergieren die Begründungen für den Ansatz „von oben" zwar wesentlich stärker als bei dem Ansatz „von unten", aber es sind auch hier bestimmte Grundzüge festzustellen: 1. Es wird von dem historisch-exegetischen Befund ausgegangen, daß die geschichtliche Person Jesu sich dem historischen Zugriff nicht unmittelbar in der neutestamentlichen Christusverkündigung erschließt. 2. Infolgedessen kann auch nicht die geschichtliche Person Jesu den Erkenntnisgrund für den Christusglauben bilden. Der Glaube ist vielmehr zuerst an die Bezeugung und Verkündigung des Auferstandenen in dem Wort, an das nachösterliche Kerygma der Schrift bzw. an die Christusverkündigung der Kirche gewiesen, dessen wesentlicher Inhalt die Menschwerdung Gottes und die Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen und Erhöhten ist. 3. Theologisch wird mit dem Ansatz „von oben" betont, daß die Gottheit Jesu Christi nicht Objekt in der Verfügbarkeit und in den Grenzen menschlichen Erkennens ist, sondern handelndes Subjekt, das in der Gleichartigkeit als Ungleichartigkeit, als Paradox begegnet, das nicht allein erkennbar ist, sondern Erkennen wirkt und Glauben und Gehorsam fordert. 4. Abgelehnt wird mit diesem Ansatz die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer historischen Legitimation des Glaubens oder auch einer natürlichen Theologie, die dem Geschichtlichen einen eigenen Offenbarungswert beilegt. Die entscheidende Differenz zu dem Ansatz „von unten" liegt darin, daß die geschichtliche Person Jesu nicht den Erkenntnisgrund für die Christologie bildet, wohl aber den Realgrund, insofern die Christusverkündigung von dem geschichtlichen Christusereignis ausgeht und auf es zurückweist. Der diristologisciie Erkenntnisgang folgt jedoch nidit der geschichtlichen Entwicklung von der Person zur Lehre von der Person, sondern dem geschichtlichen Ereignis und Geschehen, in dem die Person Christi als das Heilshandeln Gottes an den Menschen, als Offenbarung Gottes verkündigt wird. Im Mittelpunkt steht daher das „Wort", das „Kerygma". Die personale Relation erwächst nicht durch den Rückgriff auf die geschichtliche Existenz Jesu. Sie wird vielmehr durch das Ereignis der Verkündigung begründet, das die Subjekt-Objekt-Spaltung in der Begegnung überwindet. ausführlichsten auf die theologiegeschichtliche und dogmatische Problematik in der Unterscheidung zwischen den beiden christologischen Ansätzen eingegangen ist und die Unmöglichkeit dieser Alternative aufgezeigt hat. 2 0 F . Buri, Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens. Teil II, BernTübingen 1962, bes. S. 116 ff, bes. S. 137 f. Buri führt die spekulative .Prinzip'-Christologie des 19. Jahrhunderts im Anschluß an Bultmanns Kerygma-Theologie fort.

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Selbstverständlich gibt es zwischen diesen beiden christologischen Ansätzen Berührungspunkte und Zwischenformen, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen können, daß hier auf dem Hintergrund der historischen Jesusfrage ein tiefgreifender Gegensatz besteht. Er beschränkt sich keineswegs auf die unterschiedliche Beurteilung der exegetischen Voraussetzungen für einen historischen Rückgriff auf die Person des „historischen Jesus". Ebensowenig deckt er sich mit dem Gegensatz zwischen einer historisch und einer traditionell dogmatisch orientierten Christologie. Denn er kann durch die gesamte Geschichte der historischen Jesusfrage hindurch verfolgt werden, und immerhin muß auch die Christologie von D. F. Strauß, dem Hauptvertreter der „Leben-Jesu-Forschung" und der historischen Kritik, zu dem Ansatz „von oben" gerechnet werden. Unzutreffend wäre es auch, die beiden Ansätze mit den klassischen christologischen Abweichungen des Ebionitismus bzw. Adoptianismus und des Doketismus oder Modalismus gleichzusetzen. Denn die Unterschiede betreffen den Ansatz der Christologie, nicht aber die Christologie selbst, wo die Fronten unter Umständen völlig anders verlaufen können. Das ,vere deus — vere homo' bildet jedenfalls nicht den Differenzpunkt, und mit jedem der beiden Ansätze können ganz verschiedene christologische Vorstellungen verbunden werden. Bei jedem der beiden Ansätze wird stets die Zusammengehörigkeit von „oben" und „unten" betont; bei keinem wird die reale Geschichtlichkeit der Person Jesu bestritten oder in Zweifel gezogen. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Gegensatz um ein Problem, das nur auf dem Hintergrund der historischen Jesusfrage in ihrer positiven und negativen Funktion verständlich wird. Der Ansatz „von unten" ist stets mit den für die historische Jesusfrage typischen Argumenten verbunden, das moderne Geschichtsbewußtsein fordere die historische Begründung, und die Gottheit Jesu Christi sei für den heutigen Menschen nicht mehr wie in früheren Zeiten eine selbstverständliche Voraussetzung. Betont werden also der historische und der hermeneutisch-apologetische Aspekt. Der eigentliche Differenzpunkt zwischen beiden Ansätzen wird aber nur unter dem christologischen Aspekt greifbar, wenn man fragt, ob die geschichtliche Menschheit Jesu Christi den Erkenntnisgrund seiner Gottheit bilden kann. Umstritten ist hier die Grundthese der RitschlHerrmannsdien Christologie mit dem Schluß von der in der geschichtlichen Person Jesu offenbaren Gottheit zur verborgenen Gottheit. In der Spannung zwischen beiden Ansätzen erscheint die unausgetragene Differenz in der Auseinandersetzung zwischen W. Herrmann und M. Kahler. Bei der Untersuchung dieser Auseinandersetzung (s. o. bes. S. 290 ff) wurde gezeigt, wie sich die Differenz auf das christologische Personverständnis konzentriert, und dies gilt letztlich auch für den Gegensatz; zwischen einem christologischen Ansatz „von oben" und „von unten". 314

Die Konfrontation von Geschichte und Metaphysik, von einer geschichtlich-personalistischen und einer ontologischen Betrachtungsweise beschreibt lediglich das äußere Symptom. Die Entscheidung fällt vielmehr in der Frage, ob die Person Jesu Christi im Sinne menschlicher Geschichtlichkeit begegnet und aufzufassen ist, oder ob die Person in der untrennbaren Einheit des Irdischen und des Auferstandenen in dem biblischen Christus erkennbar und wirklidi ist. Es ist die Frage, ob das Personverständnis an den — wechselnden — anthropologischen Erkenntnisvoraussetzungen orientiert oder gar auf das geschichtliche Mensdisein beschränkt ist, oder ob es in der Eigenart und auch Andersartigkeit eines spezifischen Selbstseins besteht. 3. Das „Urdatum" der Christologie Die Gegenüberstellung der beiden christologischen Ansätze reicht schwerlich aus, das zugrunde liegende christologische Problem zu artikulieren. Weder der Begriff des „historischen Jesus" oder der „geschichtlichen Existenz" für den Ansatz „von unten" noch die Bestimmung durch die Gottheit für den Ansatz „von oben" sind eindeutig. Sie bezeichnen allenfalls in vagen Umrissen zwei Wirklichkeitsbereiche, den der Erfahrung im Rahmen der historischen Analogie und den einer empirisch nicht faßbaren Transzendenz. Eine weitere und die erste ergänzende Differenzierung ergibt sich, wenn man untersucht, wie jeweils das „Urdatum" oder „Zentraldatum" der Christologie in der Person Jesu Christi bestimmt wird (s. o. S. 166 ff und 253 ff). Auch hier werden im Zusammenhang der historischen Jesusfrage sehr verschiedene Ansichten vertreten. Gemeinsam ist dabei die Frage, worin das für die Christologie konstitutive Element in der Geschichte, dem Verhalten, dem Handeln und dem Geschick Jesu zu suchen ist. Dieses Element kann in folgenden Punkten lokalisiert werden: An erster Stelle sind die verschiedenen Lösungsversuche zu nennen, die wir aus sachlichen Gründen unter dem Begriff des Selbstbewußtseins zusammengefaßt haben (s. o. S. 91 ff, 216, 249, 277 f). Dieser Begriff braucht nicht unbedingt im engeren Sinn einer psychologisierenden Jesusforschung aufgefaßt zu werden 21 , und es ist auch zunächst von zweitrangiger Bedeutung, ob im einzelnen von einem Gottesbewußtsein, Messianitätsbewußtsein oder -ansprach, von einem Vollmachtsbewußtsein oder -ansprach, von einem Charakterbild, von einem Selbstverständnis oder ähnlichem die Rede ist. Ebenso kann unberücksichtigt bleiben, ob der Umfang des historisch Verifizierbaren auf den gesamten irdischen Lebensvollzug ausgedehnt werden kann oder auf ein »punctum mathe21

Wie bei J. Ternus, Das Seelen- und Bewußtseinsleben Jesu (in: Das Konzil von Chalkedon, III, Würzburg 1954) S. 186 ff u. a.

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maticum' beschränkt bleibt. Entscheidend ist die Tatsache, daß in der geschichtlichen Person Jesu ein wie auch immer im einzelnen näher bestimmter Anhalt gegeben und erkennbar ist, der den Ausgangspunkt, den Erkenntnisgrund und das bleibende Kriterium für das Kerygma und für die Christologie bildet. Dieses Selbstbewußtsein Jesu ist die Konstante in der Geschichts- und Situationsbedingtheit der diristologischen Prädikationen; es begründet die Kontinuität in der Diskontinuität, das Gemeinsame in dem Verschiedenen22. Damit hat die Christologie als Lehre von der Person Jesu Christi in ihrer geschichtlichen Variabilität ihren bleibenden Grund in der geschichtlichen Person Jesu. Mit dem Begriff des Selbstbewußtseins und seinen Äquivalenten wird nicht allein die Wesensstruktur der geschichtlichen Person bezeichnet. Es wird damit zum Ausdruck gebracht, daß diese Konstante und Kontinuität im Wesen der geschichtlichen Person Jesu begründet und auf diese zurückzuführen ist. Gewiß zeigt der in neuerer Zeit häufiger verwendete Begriff des Vollmachtbewußtseins oder -anspruchs eine größere Nähe zu dem neutestamentlichen Begriff der e|owla, zumal er nicht auf eine psychologisch-anthropologische Analogie beschränkt ist, sondern das Spezifische des geschichtlichen Personseins betont. Aber auch der Allgemeinbegriff des Selbstbewußtseins mit seinen Varianten ist in seiner inhaltlichen Bestimmung nicht auf das volle psychisch-physische Menschsein beschränkt. Er kann in aller seiner Problematik durchaus als christologische Kategorie bewertet werden. Einerseits wird dabei an die Stelle des substanzhaften Naturbegriffs der altkirchlichen Christologie ein personal-dynamischer Begriff gesetzt. Andrerseits schließt er rein attributive christologische Prädikationen aus. So ist er durchaus geeignet, eine Kontinuität zwischen der geschichtlichen Person Jesu und der Christusverkündigung zu vermitteln und damit die bleibende und konstitutive Bedeutung der geschichtlichen Person Jesu für den Christusglauben auszudrücken. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß das Personsein auf die irdische Existenz beschränkt bleibt23. Darin liegt die Problematik, wenn das Urdatum der Christologie in das Selbstbewußtsein des irdischen Jesus verlagert wird. Sie wird auch nicht dadurch überwunden, daß das Selbstbewußtsein oder der Vollmachtanspruch als „Prolepse" in einer eschatologischen oder apokalyp22

Vgl. dazu E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. I, Göttingen i960 2 , S. 213; G. Ebeling, Theologie und Verkündigung, S. 27 f und 32 f sowie die übrigen Vertreter eines christologischen Ansatzes ,von unten'. 23 Die spekulative Christologie und die Kenotiker nehmen hier eine Zwischenposition ein, indem sie zur Lösung des Dilemmas von einem doppelten Ich spredien oder zwischen einer natürlichen und einer ethischen Gottmenschheit unterscheiden (s. o. S. 192, 227 f).

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tischen Dimension gesehen oder in den Prozeß einer Explikation des in der geschichtlichen Person Implizierten eingeordnet wird 24 . Die Weiterereignung der Geschichte Jesu mag hier heilsgeschichtlich als Handeln Gottes oder geistesgeschichtlich als Interpretation gedeutet werden. Es kommt dabei in der Tat zu einer geschichtlichen Kontinuität zwischen dem irdischen Jesus und dem Auferstehungszeugnis, dem Osterglauben. Indes ist diese aus der geschichtlichen Person abgeleitete Kontinuität lelediglich eine formale, jedoch keine personale. An zweiter Stelle steht die Diskussion um die Auferstehung als Urdatum der Christologie. Hier ist vor allem die von W. Künneth mit Nachdruck vertretene These zu nennen: „Das urchristliche Gesamtzeugnis hat seinen Ermöglichungs- und Entstehungsgrund einzig in dem Auferstehungsereignis25." Daß „die Auferstehung" oder der „Osterglaube der Jünger" das auslösende Motiv für die Christusverkündigung bilden, wird im allgemeinen auch von Vertretern anderer theologischer Richtungen nicht bestritten, wie auch umgekehrt Künneth nicht die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Rückfrage nach dem Selbstbewußtsein des irdischen Jesus ablehnt 26 . Der Unterschied liegt darin, daß dort, wo das Urdatum der Christologie in dem irdischen Jesus gesehen wird, das Ostergeschehen nur in einer formalen Funktion erscheint27. Künneth will demgegenüber den auch inhaltlich die Wirklichkeit bestimmenden Aspekt der Auferstehung betonen: Die Auferstehung gehört konstitutiv zur Geschichte der Person Jesu Christi. Das Personsein ist nicht auf die geschichtliche Existenz beschränkt. Die Auseinandersetzung um die These von der Auferstehung als dem Urdatum der Christologie ist auf allen Seiten von heftiger und oft auch unsachlicher Polemik begleitet, hinter der das eigentliche Problem verdeckt wird. Es mag dahingestellt bleiben, ob Künneths Beschreibung der Auferstehung als „Urwunder", „Setzung einer neuen Wirklichkeit" oder 24

Siehe oben S. 97 und 111 ff. W. Künneth, Glauben an Jesus? Die Begegnung der Christologie mit der modernen Existenz. Hamburg 1962 (2. Aufl. 1963), S. 163, vgl. 214 ff; Ders., Theologie der Auferstehung. Mündien 19514, S. 62 ff. Zur weiteren Auseinandersetzung um die Auferstehungsfrage s. o. S. 166 ff und 263 f. Hier geht es lediglich um einige Grundlinien, die das Problem audi nicht annähernd erschöpfen. 26 Glauben an Jesus? S. 219 f. 27 Diese formale Auffassung der Auferstehung liegt z. B. bei W. Marxsen vor, wenn er sagt: „Ostern bietet die Voraussetzung dafür, daß man später weiterhin Jesus verkündigte . . . die Gestaltung aber (geht) auf den durch Jesus erweckten Glauben (zurück), der allerdings wegen Ostern am Kreuz nicht zerbrach." (Anfangsprobleme der Christologie, Gütersloh 1960, S. 51). Träger der Kontinuität über den Tod hinaus sind also die Jünger Jesu, die dem Irdischen begegneten; die Auferstehung ist eine Erneuerung und Stärkung des Glaubens dieser ersten Nachfolger Jesu. Ähnlich formal ist auch R. Bultmanns Verständnis der Auferstehung, wenn er sie als „Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes" bezeichnet (Kerygma und Mythos, Bd. I, Hamburg i960 4 , S. 44 ff). 25

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„pneumatisch-leibliche Wirklichkeit" u. a. sehr glücklich gewählt sind 2 8 . M a n w i r d sich a u f der anderen Seite auch nicht a u f die — zweifellos keineswegs unerhebliche — F r a g e nach dem Wirklichkeitsmodus d e r Auferstehung oder nach ihrer Glaubwürdigkeit für den modernen M e n schen 20 versteifen dürfen. E s geht nicht um das „ W i e " , sondern um das „ W a s " ; und das ist die personale Identität des Irdischen mit dem A u f erstandenen 3 0 . E s ist zweifellos das Verdienst v o n Künneth, d a ß er diesen P u n k t in aller Schärfe herausgestellt hat. I m folgenden Abschnitt dieses Kapitels müssen die systematischen Konsequenzen dieses Ansatzes noch weiter behandelt werden. H i e r soll vorerst noch a u f einige Gesichtspunkte aus der jüngst v o n W . Pannenberg vorgelegten These eingegangen werden, m i t der er versucht hat, in den A n s a t z der Christologie „ v o n u n t e n " beim Vollmachtbewußtsein des irdischen Jesus die Auferstehung einzubeziehen m i t der These: „Die Auferweckung Jesu als G r u n d seiner Einheit mit G o t t 3 1 . " I n W e i t e r führung der exegetischen E r w ä g u n g e n v o n U . Wilckens (s. o. S. 1 1 5 , S. 1 6 6 , A n m . 1 2 2 ) sieht Pannenberg das Verhältnis zwischen der irdischen E x i s t e n z Jesu und der Auferstehung in dem Verhältnis v o n A n spruch Jesu und seiner „Bestätigung" durch G o t t 3 2 . T r o t z aller U n t e r schiede gehört also auch bei Pannenberg wie bei K ü n n e t h die A u f 28 Zu bedenklichen Konsequenzen kann auch der häufig kritisierte Satz führen, in dem Künneth im Anschluß an Phil. 2 sagt: . . . „daß in der Auferstehung Jesus etwas von Gott empfängt, was er noch nicht besitzt, nämlich das ,Herrsein'" (K. bezieht sich dafür auf E. Lohmeyer, Kyrios Jesus — Neudr. Darmstadt 1961, S. 50 f). Die Gefahr entsteht dadurch, daß eine bestimmte christologische Tradition verallgemeinert wird (Theologie der Auferstehung, S. 114). 29 Dies geschieht aus apologetischen Gründen immer wieder in der neueren Theologie bis hin zu Künneth und seinen Kritikern wie z. B. G. Ebeling, Theologie und Verkündigung, S. 128 ff und E. Fuchs, Glaube und Erfahrung. Ges. Aufsätze III, Tübingen 1965, S. 452 ff. Dem Beitrag von E. Fuchs, auf den wir später noch einmal zurückkommen werden, kommt das besondere Verdienst zu, daß er tatsächlich zu einer Klärung der Fronten führt, ohne in die Polemik zu verfallen, die bei Künneth und als 30 Künneth, Glauben an Jesus? S. 216. Echo bei Ebeling vorliegt. 31 W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie. Gütersloh 1964. S. 47—112. 32 A. a. O. S. 61 u. ö. Das Auferweckungsgesdiehen als Bestätigung des vorösterlichen Anspruchs Jesu hat nach Pannenberg „rückwirkende Kraft" (S. 134). Die Begriffe „Bestätigung" und „Rückwirkung" erscheinen unvereinbar mit der These, daß die Auferstehung nidit nur ,für unsere Erkenntnis', ,sondern auch der Wirklichkeit nach' über die Gottheit Christi entscheidet (S. 135). Pannenberg will damit wohl auch nicht sagen, daß in der Auferweckung etwas Neues in der Person Jesu Christi gesetzt wird (vgl. S. 140); er vertritt vielmehr eine wesenhafte Gottheit Jesu Christi. Bestätigung' und .Rückwirkung' sind doch wohl juristische Begriffe, jedoch von entgegengesetzter Bedeutung: Die Bestätigung betrifft einen bereits bestehenden Zustand; die Rückwirkung (z. B. rückwirkende Gehaltserhöhung!) verändert einen bestehenden Zustand. Anders steht es, wenn P. S. 156 von einem „rückblickenden" Wissen spricht. Bei dem Begriff der „Rückwirkung" besteht offenbar eine Diskrepanz zwischen Gemeintem und Gesagtem.

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erstehung zur Geschichte der Person Jesu Christi. Allerdings müssen dabei die systematischen und traditionsgesdiichtlichen Voraussetzungen Pannenbergs berücksichtigt werden. Den Hintergrund bilden die spätjüdisch-apokalyptischen Vorstellungen und die alttestamentliche prophetische Tradition, die allerdings darin durchbrochen werden, daß ein Ereignis nicht nur vorhergesagt und erwartet, sondern erfüllt wird 33 . Daran schließen drei weitere Gedankenkreise an: 1. Der Hinweis auf die Funktion der Auferstehung für die Erkenntnis der Person Jesu Christi und die Ausrichtung der Christusverkündigung 34 . Das Auferstehungsereignis ist hier nicht nur Formalprinzip der Christusverkündigung, sondern zugleich Materialprinzip. Die Auferstehung ist nicht nur auslösendes Motiv der explizierenden Reflexion über die Person des historischen Jesus' bzw. für die Weitergabe der Christusverkündigung, sondern zugleich deren inhaltliche Bestimmung und Begründung. 2. versucht Pannenberg das negative Dogma zu überwinden, nach dem die Auferstehung mit dem modernen Naturund GeschichtsVerständnis unvereinbar sei, indem er zeigt, „daß die Erwartung einer Auferstehung der Toten von Voraussetzungen heutigen Denkens keineswegs als sinnlos erscheinen muß, sondern vielmehr als sachgemäßer Ausdruck der menschlichen Bestimmung zu begründen ist" 3 5 . Pannenberg denkt also nicht wie Künneth bei der Auferstehung an eine Durchbrechung menschlicher Vorstellungsformen, sondern an eine Entsprechung bzw. Korrelation. Denn „die Auferstehungserwartung muß schon vorausgesetzt sein, als traditionell gegebene oder als anthropologisch, philosophisch zu begründende Wahrheit, wenn man von der Auferweckung Jesu spricht. Daß diese Erwartung an Jesus schon Ereignis geworden ist, kann rückwirkend die Wahrheit der Erwartung erhärten, sie aber nicht erst begründen 88 ." 3. Als historisches Ereignis kann demnach die Auferweckung Jesu von den Toten zwar nicht im Sinne eines Empirismus, aber doch als Denk- und Vorstellungsmöglichkeit verstanden werden 37 . 34 Dies wird in einer Reihe von Thesen S. 61—69 entfaltet. A. a. O. S. 56 und 93. 3 6 A. a. O. S. 77. A. a. O. S. 84. 3 7 „In diesem Sinne also wäre die Auferweckung Jesu als ein historisches Ereignis zu bezeichnen: Wenn die Entstehung des Urchristentums, die abgesehen von anderen Uberlieferungen audi bei Paulus auf die Erscheinungen des auferstandenen Jesus zurückgeführt wird, trotz aller kritischen Prüfung des Überlieferungsbestandes nur verständlich wird, wenn man es im Lichte der eschatologisdien Hoffnung einer Auferstehung von den Toten betrachtet, dann ist das so Bezeichnete ein historisdies Ereignis, auch wenn wir nichts Näheres darüber wissen. Als historisch geschehen ist dann ein Ereignis zu behaupten, das nur in der Sprache der eschatologisdien Erwartung aussagbar ist." (a. a. O. S. 95) Mit dieser Definition versucht P. die Alternative von historischer Faktizität und Mythos zu durchbrechen. Die Vorstellungsform wird nicht nur als regulatives und u. U. austauschbares Element, sondern als ein konstitutives angesehen. 88 35

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Pannenbergs Erwägungen zur Auferstehung zielen auf die Erkenntnis der wesenhaften Gottheit Jesu Christi. Die Auferstehung ist nicht, wie nach dem Ansatz beim Vollmachtbewußtsein des irdischen Jesus, die Freisetzung einer Erkenntnismöglichkeit, sondern einer ontischen Wirklichkeit38. Die entscheidende Voraussetzung bildet jedoch hier — wie überhaupt für die Theologie Pannenbergs — das Korrelationsprinzip (s. o. S. 245): Damit die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu von den Toten erkannt werden kann, muß eine Auferstehungserwartung bereits vorausgesetzt sein. Die spätjüdisch-apokalyptischen Erwartungen haben dabei dieselbe Funktion wie entsprechende Vorstellungen in der modernen Philosophie und medizinischen Phänomenologie. Der AllgemeinbegrifF einer Auferstehungserwartung ist die Prämisse für die Erkenntnis der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Hier liegt bei aller Zustimmung zu den eindrucksvollen systematischen und traditionsgeschichtlichen Erwägungen Pannenbergs ein schwerwiegendes Problem, das wir vorerst in folgenden Fragen formulieren: 1. Wird hier nicht die personale Identität und Kontinuität, die sich in der Einmaligkeit der Erscheinungen des Auferstandenen manifestiert, in eine geistesgeschichtliche Kontinuität aufgelöst? 2. Kann die Verkündigung der Auferstehung Jesu Christi von den Toten durch andere Vorstellungen dann und dort ersetzt werden, wo der Allgemeinbegriff einer Auferstehung von den Toten nicht vorausgesetzt werden kann? Für unsere absichtlich auf das Personproblem beschränkten Erwägungen ist aus den Ansätzen bei Künneth und Pannenberg festzuhalten, daß der Personbegriff nicht in der geschichtlich-irdischen Existenz aufgeht. Der Irdische ist als Person mit dem Auferstandenen identisch. Die Weiterereignung der Geschichte Jesu ist die Geschichte der Person Jesu Christi. An dritter Stelle ist schließlich noch kurz die Ansicht zu nennen, nach der das Urdatum weder in der geschichtlichen Person noch in dem Auferstehungsereignis, sondern in dem Osterglauben der Jünger bzw. in dem Wortgeschehen des nachösterlichen Kerygmas gesehen wird. Es geht also vor allem um die Position von R. Bultmann (s. o. S. 105 ff). Entscheidend ist hier, daß jede Art von personaler Relation über den Tod hinaus als prinzipiell unmöglich angesehen wird. Denn Jesus „ist für uns als Du im Sinne eines Mitmenschen vergangen, wie jedes solche Du für uns vergeht, wenn der Mensch stirbt" 39 . Der Glaube hat es nicht mit der Person, sondern mit dem Wort zu tun. Existentielle Begegnung bedeutet so gerade nicht personale Begegnung in einer Ich-Du-Beziehung. Der 8 8 „Durch seine Auferweckung hingegen ist nicht nur für unsere Erkenntnis, sondern auch der Wirklichkeit nach entschieden, daß Jesus mit Gott eins ist, und zwar nun rückwirkend, daß er auch sdion zuvor mit Gott eins war." (a. a. O. S. 135) »• Glauben und Verstehen, I, S. 106.

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Christus des Kerygmas ist nicht Person, da das Personsein nur als konkrete geschichtliche Existenz vorstellbar ist. Person ist nur der von dem Entscheidungsruf des Wortes betroffene Mensch in seinem konkreten Lebensvollzug. An die Stelle der Person Jesu tritt nach dem Tod am Kreuz und in der Auferstehung das Wort bzw. die Kirche als Trägerin des Kerygmas: „Der Glaube an die Kirche als Trägerin des Kerygmas ist der Osterglaube, der eben in dem Glauben besteht, daß im Kerygma Jesus Christus präsent ist40." In seiner theologischen Situation hat Bultmann damit in der Front gegen die liberale Theologie zu Recht den Begegnungscharakter des Wortgeschehens herausgestellt. Zweifellos hat auch das Osterereignis insofern eine konstitutive Bedeutung für das Christuskerygma, als in ihm einerseits die Bedeutsamkeit des Vergangenen, zumal des Kreuzes, enthüllt und eine die Zukunft bestimmende Wirklichkeit, nämlich das Kerygma, freigesetzt wird. Das Vergangene wie auch das Zukünftige wird in dem eschatologischen Osterereignis qualifiziert. Was Bultmann hingegen ablehnt, ist nicht, wie wir zeigten, die Möglichkeit einer historischen Rückfrage nach der geschichtlichen Person Jesu41, sondern die damit verbundene Gefahr einer falschen historischen Legitimierung des Kerygmas in der Form einer natürlichen Theologie42. Bultmann leugnet weder die geschichtliche Existenz Jesu in ihrer Eigenart noch die Geschichtlichkeit des Ostergeschehens. Aber er bestreitet die unmittelbare Evidenz dieser „Fakten". In ihrem Wesen werden sie erst durch das verkündigende Wort erschlossen, im gehorsamen Hören. Wort und Person sind bei Bultmann nicht identisch, wenn sie audi in einem Zusammenhang stehen. Ontologisch mag dabei durchaus von einer wesenhaften Verbindung gesprochen werden, nach der der .historische Jeus' der auferstandene und erhöhte Herr des Kerygmas ist. Noetisch vollzieht sich diese Verbindung aber nur in dem Ereignis der Verkündigung und der auf sie antwortenden gehorsamen Entscheidung. Insofern 40 R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, S. 27; vgl. auch: Kerygma und Mythos, I, S. 47 f; ähnlich auch W. Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem, S. 33 f. Gegen den hier zugrunde liegenden Kirchenbegriff hat E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen, II, S. 61 ff, sehr berechtigte Einwände erhoben. 41 R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlidien Christusbotschaft..., S. 6 ff. 42 Vgl. a . a . O . S. 13 und „Kerygma und Mythos", I, S. 48: „Gerade ihre Nichtausweisbarkeit sichert die christliche Verkündigung vor dem Vorwurf, Mythologie zu sein." Mythologie und natürliche Theologie liegen bei Bultmann offenbar insofern auf einer Ebene, als hier die Möglichkeit einer Begegnung und Entscheidung ausgeschlossen wird.

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8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

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bildet das Kerygma das Urdatum der Christologie, indem es in der geschichtlichen Wirklichkeit die Paradoxie des eschatologischen Geschehens, des neuen Seins aufdeckt. Von einer personalen Kontinuität kann bei Bultmann nicht die Rede sein. B. Die Person Jesu Christi Der Einwand M. Kühlers gegen die ,Leben-Jesu-Christologie' des historischen Positivismus und der Ritschlsdxen Schule, daß sie mit der psychologischen und historischen Analogie nur die Gleichartigkeit, nicht aber die Andersartigkeit des biblischen Christus erfasse und infolgedessen zu einem Subjektivismus führe, kann heute schwerlich noch aufrechterhalten werden. Er stand mit seinen Bedenken schon 1892 nicht allein: Im selben Jahr betonte auch J. Weiß von ganz anderen Voraussetzungen her und vor allem in einer positiven Beurteilung der historischen Jesusfrage die Analogielosigkeit der Person Jesu (s. o. S. 96 ff). Ähnlich steht es auch mit den Ergebnissen der historisch-kritischen Arbeit W. Wredes, der mit Kahler mindestens in der skeptischen Beurteilung der Evangelien als Geschichtsquellen übereinstimmt (s. o. S. 99 ff). Man könnte weitere Beispiele dieser Art anführen, die zeigen, daß die Probleme der historischen Jesusfrage nicht allein von der Anwendung der historischen Methode, soweit diese überhaupt als einheitliche Größe darstellbar ist, abhängen. Die bloße Methodenkritik kann durchaus zu denselben Konsequenzen führen wie ein Methodenpositivismus, indem in beiden Fällen die Sachfrage verfehlt wird. Dasselbe trifft aber auch zu, wenn die historische Jesusfrage unter dem Gesichtspunkt der existentiellen Begegnung betrachtet wird. Auch hier sind, wie gerade die Auseinandersetzung innerhalb der Schule R. Bultmanns zeigt, gegensätzliche Auffassungen möglich, insofern einmal ein negatives, zum andern ein positives Interesse an der geschichtlichen Person Jesu festzustellen ist. Die existentiale Interpretation ist keineswegs mit einem positiven Interesse an der historischen Jesusfrage gleichzusetzen, und geschichtliches Verstehen braucht nicht notwendig beim ,historischen Jesus' einzusetzen. Der Wechsel zwischen einer positiven und einer negativen Funktion der historischen Jesusfrage ist also auch nach dem theologiegeschichtlichen Befund nicht durch die methodischen Voraussetzungen der historischen Kritik oder des hermeneutischen Bemühens bestimmt. Die Entscheidungen fallen vielmehr in der Beurteilung des christologischen Personproblems. 1. Das Personproblem Die im vorigen Abschnitt dieses Kapitels skizzierten Ansatzpunkte der christologischen Problematik sind charakteristisch für den gegenwärtigen 322

Stand der Diskussion wie auch für die historische Jesusfrage als Ganze. Der Gesichtspunkt, unter dem zwischen einem christologischen Ansatz „von oben" und „von unten" sowie zwischen den verschiedenen „Urdaten" der Christologie unterschieden wird, ist vor allem von zwei Fakten abhängig: Erstens von dem Umfang des historisch Feststellbaren und zweitens von den jeweiligen Verstehensvoraussetzungen. Hinter beidem steht zweifellos auch das Bemühen um ein sachgemäßes Verstehen der neutestamentlichen Texte. Es ist auch nicht zu übersehen, daß die verschiedenen Standpunkte in einem dialektischen Verhältnis stehen, in dem einerseits die kritische Auseinandersetzung und andrerseits auch eine notwendige Situationsbedingtheit zum Ausdruck kommen. Indes dürfen diese äußeren Symptome nicht verabsolutiert werden. Der christologische Ansatz „von unten" oder „von oben" kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß er jeweils den Verstehensvoraussetzungen einer bestimmten Situation entspricht. Ebensowenig kann beispielsweise von der Auferstehung abgesehen werden, nur weil sie dem modernen Natur- und Geschichtsbewußtsein nicht zugänglich zu sein scheint. Schließlich kann auch die historische Jesusfrage nicht damit begründet werden, daß sie von dem Bedürfnis geschichtlichen Verstehens der Neuzeit gefordert sei. Gewiß sind diese Sätze überspitzt. Aber es ist nicht zu übersehen, daß sie eine latente und gelegentlich audi offenkundige Tendenz in der historischen Jesusfrage und dem vorherrschenden noetischen Interesse darstellen. Dies kann, muß aber nicht dazu führen, daß die Dialektik von Gegenstand und Mittel des Erkennens aufgehoben wird. Das entscheidende Motiv in dem Wechsel zwischen den verschiedenen Positionen ist die Frage, ob und wie die Person Jesu Christi in ihrer bleibenden und konstitutiven Bedeutung für den christlichen Glauben zum Ausdruck gebracht werden kann. Das positive Interesse an der historischen Jesusfrage ist stets von dem Anliegen bestimmt, das Personsein Jesu Christi aus seiner Geschichtlichkeit heraus zu erschließen. In verschiedener Weise wird dann die Person so aufgefaßt, daß sie konstitutiv und bleibend als Grund des Glaubens die Zukunft bestimmt. Dies kann geschehen, indem auf ihre exemplarische Bedeutung in einem vollkommenen Gottesbewußtsein (Schleiermacher), auf die Vorbildlichkeit ihres tätigen und leidenden Gehorsams (Ritsehl), auf die Eindrücklidikeit ihres inneren Lebens (Herrmann) oder auf den Heroismus im Verhalten und in der Weltanschauung (Schweitzer) hingewiesen wird. Dasselbe gilt aber auch von den verschiedenen Entwürfen, in denen das zukunftbestimmende Selbst- und Vollmachtbewußtsein herausgestellt wird. Denn auch hier handelt es sich um ein Element, das über die Begrenztheit geschichtlicher Existenz zwischen Geburt und Tod hinauswirkt und mithin eine bleibende und konstitutive Bedeutung hat, sei es als Realgrund, sei es als Erkenntnisgrund. Das positive Interesse an der historischen Jesus21*

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frage ist also nicht nur auf die volle Menschheit Jesu Christi gerichtet, sondern auf ein zukunftbestimmendes, qualifiziertes Menschsein und Personsein, das nicht auf die bloße Faktizität geschichtlicher Existenz beschränkt bleibt. Demgegenüber ist es zunächst von untergeordneter Bedeutung, ob dieses Personsein dann, wie in der ,Leben-Jesu-Forschung' zu einer unmittelbaren persönlichen Begegnung führt, oder ob die Person in dem Prozeß einer Explikation, einer Prolepse oder einer Heils- bzw. Verkündigungsgeschichte ohne diese unmittelbare personale Begegnung bleibend fortwirkt. Auf der anderen Seite geht die negative Funktion der historischen Jesusfrage davon aus, daß jedes geschichtliche Personsein notwendig zeitliche Begrenztheit und geschichtliche Zufälligkeit einschließt. Das Personsein im Sinne geschichtlicher Einzelexistenz wird in strenger Analogie zu jeder anderen menschlichen Individualität aufgefaßt. Auf dem Hintergrund dieser Voraussetzung steht dann die These der Unvereinbarkeit von Idee und Individuum (Strauß) oder der Unmöglichkeit einer personalen Ich-Du-Beziehung nach dem Tode eines Menschen (Bultmann). Von derselben Voraussetzung wird aber auch dort ausgegangen, wo der Personbegriff nicht mit menschlich-geschichtlicher Individualität gleichgesetzt wird, sondern auf den Erhöhten bezogen (Kähler) oder in mehr oder minder engem Anschluß an das Personverständnis des christologischen Dogmas auf den Gottmenschen bezogen wird (s. o. S. 313). In diesen Fällen wird der Personbegriff jeweils theologisch neu gefüllt bzw. auch als anthropologischer Begriff aus der Christologie abgeleitet43. Daraus folgen drei Deutungsmöglichkeiten für das christologisdie Personverständnis: 1. Die Person wird als geschichtliche Individualität verstanden im Sinne des vollen Menschseins, das jedoch dann in besonderer Weise in seinem Selbstbewußtsein, Handeln oder Verhalten qualifiziert wird, so daß eine bleibende, konstitutive und zukunftbestimmende Bedeutung ausgesagt werden kann. 2. Die Person wird als geschichtliche Individualität im Sinne des vollen Menschseins verstanden, wobei jedoch die Entsprechung zum generellen Menschsein einschließt, daß nicht eine bleibende, sondern allenfalls eine zufällige Bedeutung damit verbunden werden kann. Eine personale Begegnung ist so von vornherein ausgeschlossen. 3. Der Personbegriff wird nicht aus der Entsprechung zum allgemeinen Menschsein abgeleitet. Er schließt zwar die irdisch-geschichtliche Existenz ein, ohne jedoch auf sie beschränkt zu sein. 45

Dies gilt besonders von der Christologie K. Barths; ähnliche Gedanken finden sidi dann audi bei W. Pannenberg. Man wird jedoch audi an die ersten tastenden Versuche von A. Ritsehl erinnern müssen (s. o. S. 246 f).

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Wird die historische Jesusfrage als rein historisches Problem aufgefaßt, dann gehören diese Erwägungen zum Personbegriff wie überhaupt zur christologischen Problematik freilich in den Bereich des ,Dogmatischen!. Allerdings wird man dann auch urteilen müssen, daß die historische Fragestellung nur dort konsequent durchgeführt wird, wo die Person in strenger Analogie zum generellen geschichtlichen Menschsein verstanden wird, wie es etwa bei D. F. Strauß und R. Bultmann der Fall ist. Hier steht man jedoch dann vor der Aufgabe, die geschichtliche Fortwirkung des Christusglaubens durch andere als personale Kategorien zu deuten — etwa so, daß an die Stelle der Person der Begriff der objektiven Idee tritt oder daß an die Stelle der Person der Begriff des Kerygmas, des Wortes oder auch der Kirche tritt. Soll hingegen die geschichtliche Koatinuität des Christusglaubens personal gefaßt werden, so kommt man nicht umhin, den Personbegriff entweder quantitativ oder qualitativ zu modifizieren, um die bloße historische Faktizität in irgendeiner Weise zu durchbrechen. Tatsächlich ist die gesamte historische Jesusfrage in ihrer positiven Funktion durchgehend von dem Bemühen bestimmt, den generellen Personbegriff und damit die bloße historische Faktizität zu durchbrechen, um die konstitutive und bleibende Bedeutung der Person Jesu zur Geltung zu bringen und die Subjekt-Objekt-Spaltung so zu überwinden, daß auch das ,Objekt' als handelndes Subjekt ausgesagt wird. In diesem Zusammenhang erscheinen die verschiedenen auf die geschichtliche Persoq zurückweisenden Begriffe der „Selbstdarstellung", des „Selbstbewußtseins", der „Selbstverkündigung", des „Bildes" (s. o. z. B. S. 84—91 i 212 f, 216, 248, 298, 307), schließlich auch im Anschluß an die spätere Philosophie M. Heideggers der Begriff des „Sprachereignisses"44. Sie alle haben gemeinsam, daß sie den Begegnungscharakter geschichtlicher Wirklichkeit im allgemeinen und der Person Jesu im besonderen zum Aus-, druck bringen wollen. Dasselbe Problem erscheint in der scheinbar rein historischen und deshalb neutralen Frage der Quellenkritik (s. o. S. 64—78). Denn hinter der literarkritischen Analyse zeichnet sich hier deutlich die Frage ab, ob und inwieweit eine personbestimmte Kontinuität in der neutestamentlichen Christusverkündigung vorliegt. 44 Dieser Begriff wurde von E. Fuchs, G. Ebeling, neuerdings auch von E. Jüngel aufgenommen. Auf eine ausführliche Auseinandersetzung muß ich hier verzichten und nur zwei Einwände andeuten: 1. scheint hier das Personsein auf eine reine Kausalität beschränkt zu werden; 2. scheint dieser Begriff nicht geeignet zu sein, die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Christusgesdiehens zum Ausdruck zu bringen, wenn z. B. auch Luther als „Sprachereignis" bezeichnet werden kann (G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 1964, S. 1).

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2. Zum neutestamentlichen Sachverhalt Die Probleme, von denen die historische Jesusfrage bewegt wird, sind durch die neutestamentlichen Texte aufgegeben. Die Eigenart der verschiedenen Standpunkte in der historischen Jesusfrage darf deshalb auch nicht ausschließlich auf dem Hintergrund geistesgeschichtlicher Tendenzen und theologischer Schul- und Fachrichtungen gesehen werden. In der Situationsbedingtheit geschichtlichen Verstehens werden vielmehr jeweils bestimmte Aspekte der neutestamentlichen Christusverkündigung und damit des neutestamentlichen Verständnisses von der Person Jesu Christi hervorgehoben. Hier liegt eine gemeinsame Basis und die Konstante in den verschiedensten Ansätzen, die jedoch leicht über der eigenen Dynamik der Problemgeschichte mit ihrer immanenten Dialektik vernachlässigt wird (s. o. S. 163 ff). Dies gilt auch für das christologische Personverständnis, wo man es in der historischen Jesusfrage keineswegs nur mit dem Vorgang zu tun hat, daß der Personbegriff der altkirchlichen Christologie durch ein modernes Personverständnis substituiert wird, nach dem Person nicht als Substanz, sondern als Ichbewußtsein, als Persönlichkeit und Relation aufzufassen ist45. In den verschiedenen Standpunkten und dem Wandel im christologischen Personverständnis muß vielmehr auch bedacht werden, unter weldien Aspekten im Neuen Testament die Person Jesu Christi und das Verhältnis zu ihr dargestellt werden. Es ist merkwürdig, daß in der Fülle von exegetischen und systematischen Untersuchungen das diristologische Personproblem im Neuen Testament bisher noch nicht behandelt worden ist, sondern daß immer ein bestimmter Personbegriff als unreflektierte Voraussetzung herangetragen wird. Die entsprechenden Untersuchungen beschränken sich durchweg auf die Fragen nach dem Ursprünglichen und dem Sekundären, nach dem Faktischen und der interpretierenden Tradition sowie nach den verschiedenen Traditionselementen in ihrer Herkunft und Funktion. Schon bei der in sich durchaus berechtigten Frage nadi dem Ubergang vom Verkündiger zum Verkündigten, nach dem Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität oder Gemeinsamem und Verschiedenem sind die Fronten insofern fixiert, als die Person von vornherein auf die geschichtliche Individualität festgelegt ist. Alles weitere erscheint dann als ein Traditions- und Interpretationsprozeß, bei dem allenfalls umstritten ist, ob und inwieweit diese geschichtliche Person ein irgendwie bestimmendes Element bildet und die Christologie und der Glaube einen Anhalt am ,historischen Jesus' haben. 45

Vgl. hierzu die Artikel „Persönlichkeit" und „Person" von W. Trillhaas und W. Pannenberg in RGG®, V, Sp. 227 ff und 230 ff.

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Das diesen Erwägungen in der neutestamentlichen Christusverkündigung vorgegebene Problem beruht darin, daß der Übergang vom Verkündiger zum Verkündigten durch die Auferstehung Jesu von den Toten als eine personale Kontinuität und Identität geschildert wird. Die fundamentale Bedeutung der Auferstehung als Grund und Inhalt der neutestamentlidien Christusverkündigung ist schwerlich zu bestreiten, so kompliziert auch die Uberlieferungsverhältnisse in den entsprechenden Perikopen sein mögen 48 . Zu den Auferstehungsberichten gehört von Anfang an der Zweifel an der Wirklichkeit der Auferstehung; das ist nicht erst ein Problem des modernen Natur- und Geschichtsverständnisses. Bei den auf das Personproblem begrenzten Erwägungen geht es jedoch nicht um den endlosen Streit um den Wirklichkeitsmodus der Auferstehung47. In der Beschränkung auf diese Problematik wird leicht die grundlegende Bedeutung der Auferstehung für die neutestamentliche Christologie in ihrer Gesamtheit übersehen. Sie ist ja nicht darauf beschränkt, daß sie die mehr oder minder erklärbare Ursache für die Verkündigung des Verkündigers nach seinem Tode bildet oder der Schlüssel zum Verständnis der Person des geschichtlichen Jesus wird. Allen Auferstehungsberichten gemeinsam ist die Aussage, daß das Personsein Jesu nicht mit dem Tod am Kreuz endet. Hierfür ist wohl auch bezeichnend, daß die Nachricht vom leeren Grab in den Evangelien nicht selbständig überliefert worden ist, wohl aber die personhaften Erscheinungen des Auferstandenen 48 . Der Sinn der Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen liegt aber auch nicht allein in der Begründung apostolischer Autorität, die man ebensogut aus der persönlichen Berufung durch den Irdischen oder aus verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm hätte ableiten können und vielleicht auch abgeleitet hat 49 . Er erschöpft sich auch nicht darin, daß nun die Bedeutung der geschichtlichen Person im Rückblick auf das Leben und den Kreuzestod aufgedeckt wird, indem den Anhängern des irdischen Jesus die Augen für das geöffnet werden, was sie zu Jesu Lebzeiten nicht begriffen. Neben die Erschließung des Geschicks und möglicherweise auch die Bestätigung eines Vollmachtanspruchs des irdischen Jesus tritt vielmehr das Moment einer 4 e Die gelegentlich begegnende Vermutung, daß im Neuen Testament ein ¿Histologischer Typus oder Entwicklungsstand zu erkennen sei, der nicht von den Auferstehungsberiditen ausgeht, sdieint mir wenig überzeugend zu sein (vgl. dazu S. 115 Anm. 202 — ähnlich wohl auch F. Hahn, Christol. Hoheitstitel, S. 348?). 4 7 Siehe oben S. 166 ff und 317 ff. Mir selbst scheinen angesichts der gerade bei dieser Problematik vorherrschenden Verwirrung von Begriffen und den verschiedensten erkenntnistheoretischen Voraussetzungen die Erwägungen von von Campenhausen sowohl in der Durchführung wie auch im Ergebnis am überzeugendsten. 48 2 . B. 1. Kor. 15; Act. 1, 3; 10, 40 f ; 13,30 f u . a. " Gal. 1,18 ff; Act. 15,13 ff.

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persönlichen Beauftragung und Bevollmächtigung 50 . Die Auferstehungsberichte umschließen so stets die Momente der Erfüllung, der Sendung und der Verheißung. Es geht also nicht nur darum, daß die Person des irdischen Jesus nunmehr auf dem Hintergrund alttestamentlicher und spätjüdisch-apokalyptischer Vorstellungen oder auch ihres eigenen Anspruchs expliziert wird, sondern daß sie zugleich als handelndes Subjekt in Erscheinung tritt. In dieser Zweiheit vollzieht sich nach Auskunft des Neuen Testaments der Ubergang vom Verkündiger zu Verkündigten, so daß auch der Verkündigte als personhaft Handelnder begegnet. Gerade dort, wo die historische Jesusfrage unabhängig von der Auferstehung gestellt wird, wo also das Zentrum und der Ursprung der Christusverkündigung entweder in der Person des ,historischen Jesus' oder aber in dem ,Osterglauben der Jünger' gesehen wird, erscheint regelmäßig die Aporie, wie die bleibende und konstitutive Bedeutung der Person Jesu Christi zum Ausdruck gebracht werden kann. Entweder bleibt die Person der Vergangenheit als objektivierte Historie verhaftet, die dann zu vergegenwärtigen und zu aktualisieren ist. Oder es wird auf die Person verzichtet und sie wird durch die innere Dynamik einer objektiven Idee oder eines entgeschichtlichten Kerygmas ersetzt. Die durchgehende Eigentümlichkeit der neutestamentlichen Christusverkündigung besteht aber nun gerade darin, daß diese beiden Extreme einer bloßen Historisierung oder einer Idealisierung vermieden worden sind. E. Käsemann hat diese Eigentümlichkeit der neutestamentlichen Christusverkündigung so formuliert, daß er einerseits im Anschluß an die historisch-kritische Arbeit von der Mythisierung des Historischen spricht. Dies ist der Vorgang, in dem die Tradition durch Interpretation weitergegeben und vergegenwärtigt wird. Auf der anderen Seite verweist Käsemann auf die Kehrseite dieser Mythisierung des Historischen, die in einer Historisierung des Mythischen besteht 61 . Käsemann zeigt, wie die Historie Jesu von der Eschatologie her gesehen und auch gestaltet wird. Die Auferstehung wird jedoch auch von Käsemann ausgeklammert. Vermittelt wird der Ubergang vom Verkündiger zum Verkündigten durch den Begriff der „Kontingenz 62 ", mit dem der Charakter der 50 Mt. 28,16 ff; Mk. 16,14 ff; Lk. 24,44 ff; Joh. 20,21 ff; 21,15 ff; Act. 1,4 f; 10,42 ff; 13,31 ff. Entscheidend scheint mir hier nicht allein die Frage nach der „Ursprünglichkeit" oder „Echtheit" dieser Texte zu sein. Man wird vielmehr audi die spezielle Form der Darstellung berücksichtigen müssen, bei der es doch offenbar auf die personale Relation in der Form einer Beauftragung und Bevollmächtigung ankommt. Es wäre m. E. falsch, diese Art der Darstellung auf eine bloße Ursächlichkeit zu reduzieren. Denn hier erscheinen Elemente, die dann auch für das Verständnis des Apostolats und des kirchlichen Amtes eine grundlegende Bedeutung haben. 51 Exegetische Versuche und Besinnungen, I, S. 190 ff und 195 ff. 52 A. a. O. S. 200 f und 214.

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Offenbarung als Ereignis und Begegnung ausgedrückt und zugleich ein objektivierender Kausalzusammenhang ausgeschlossen wird. Bei aller Zustimmung zu diesem eindrucksvollen Versuch, den beiden Extremen der Historisierung und der Idealisierung auszuweichen, bleibt doch die Frage, ob die Eigentümlichkeit der neutestamentliciien Christusverkündigung schon sachgemäß erfaßt ist, solange noch von formalen, nicht aber von personalen Kategorien ausgegangen wird. Historie und Mythos sind formale Allgemeinbegriffe, in denen die Möglichkeit eines personhaften Handelns und einer personalen Begegnung nicht mitgesetzt ist. Die Person Jesu Christi bleibt so Objekt; sie wird erst im Zuge einer hinzukommenden Explikation oder Interpretation zum handelnden Subjekt. Doch es ist bezeichnend, daß Käsemann versucht, den Begegnungscharakter der Offenbarung durchaus in personalen Kategorien als „ein Handeln, das mich beschlagnahmt", als „meinen endgültigen Herrn, seinen Zusprudi und Anspruch" zu beschreiben53. Die Schwierigkeit liegt für Käsemann offenbar darin, daß er in dem Personbegriff eine Rationalisierung und Objektivierung erblickt und Tatsachen nicht die Möglichkeit einer Entscheidung bieten54. Damit stehen wir bei Käsemann wieder vor dem Problem, das vor allem W. Herrmann für die gesamte neuere Theologie vorbildlich und stellvertretend formuliert hat, nämlich daß die Tatsachen oder der Inhalt des Glaubens erst dann verständlich werden, nachdem die Glaubensentscheidung gefallen ist. Diese Aporie zeigt deutlich, daß man sich in der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage zwar weitgehend einig ist in dem Bemühen, die Begegnung mit der Christusverkündigung in personalistischen und mithin nicht in historistischen oder idealistischen Kategorien zu beschreiben, ohne daß es jedoch gelingt, von einer Begegnung mit der Person Jesu Christi als handelndem Subjekt zu sprechen. Die Identität des Irdischen mit dem Erhöhten wird erst auf Grund der Konklusion einer Glaubensentscheidung oder eines existentiellen Betroffenseins einsichtig, in dem ein vorgegebener Sachverhalt aufgedeckt oder einsichtig gemacht wird. Gerade hier wird man aber nun fragen müssen, ob der neutestamentliche Sachverhalt nicht zu weitergehenden Aussagen führen kann, die nicht auf die formale Korrektur des ,Mythischen' durch die Historie und 53

A. a. O. S. 200 f, vgl. o. S. 149 bei Anm. 83. A. a. O. S. 191, 200 f. Sehr gut ist diese Problematik von Käsemann in Exegetische Versuche und Besinnungen, II, S. 64 f getroffen worden, wenn er darauf hinweist, daß auf die Kategorie der Personalität praktisch nicht verzichtet werden kann, auch wenn sie ihre Grenzen hat. Sie läßt sidi jedenfalls nicht durch einen anderen Begriff oder Vorstellungszusammenhang ersetzen. M

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die Erschließung der Historie durch eine interpretierende Tradition begrenzt sind. Dies ist aber nur möglich unter der Voraussetzung, daß die Auferstehung Jesu Christi nicht nur als die unerklärbare Ursache des ,Osterglaubens' verstanden wird, in dem die Bedeutung des irdischen Jesus aufgedeckt wird, sondern daß auch das Moment einer personalen Begegnung in den Erscheinungen des Auferstandenen als inhaltliche Bestimmung dieses Geschehens berücksichtigt wird. Im Neuen Testament erscheint die Auferstehung stets als Inhalt der Verkündigung von der Person Jesu Christi und zugleidi als Grund für den Auftrag der Verkündigung 95 . Die Auferstehung gehört regelmäßig ebenso zur Geschichte Jesu wie das Kreuz. Die Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen und Erhöhten erscheint traditionsgeschichtlich und literarkritisch in einem unauflöslichen Ineinander von ,ursprünglicher' Uberlieferung aus der irdischen Existenz Jesu und nachösterlicher Gemeindetradition. Prinzipiell wird zwischen beidem nicht getrennt 58 . Was von dem Irdischen gesagt wird, gilt auch von dem Auferstandenen und umgekehrt. Die beiden Aspekte der Person Jesu Christi können in einem heilsgesdiichtlich-eschatologischen Zusammenhang und literarisch in einem Geschichtsablauf, in ,Evangelien' in der nachösterlichen Sicht und Erfahrung zusammengefaßt werden. Sie werden, wie gerade die neuere Forschung gezeigt hat, unter bestimmten ,theologischen' Gesichtspunkten redigiert. Entsdieidend dabei ist aber nicht allein das literarische und geistesgeschichtliche Element dieser Traditionsbildung. Man wird auch beachten müssen, wie die Evangelien im Vollzug der Christusverkündigung die unmittelbare Begegnung von Menschen mit der Person Jesu Christi unter Uberspringung, jedoch ohne Aufhebung der zeitlichen Differenz wiederholen. Die Begegnung mit dem Irdischen, seinen Worten, seinen Taten und seinem Geschick, wie auch die Begegnung mit dem Auferstandenen wird auf diese Weise fortgesetzt. Das heißt fortgesetzt wird in den Evangelien die an sich zeitgebundene unmittelbare Ich-Du-Beziehung mit der Person Jesu Christi, indem die Geschichte Jesu, sein Handeln und Reden sowie mögliche Weisen des Verhaltens zu ihm dargestellt werden 57 . Es handelt sich dabei um ein für die Gattung der Evangelien konstitutives Element, das noch durch den Hinweis auf die Augenzeugenschaft unterstrichen wird 58 . Die These von der interpretierend weitergegebenen Tradition 1. Kor. 15,1 ff; 1. Thess. 4,14; Act. 2 ptim; Rom. 1,4 u. v. a. m. Stellen wie 1. Kor. 7,10.25 und 1. Thess. 4,15 sind kein Gegenargument. 57 Besonders deutlich ist dies in dem exemplarischen Charakter der Berufungsgeschichten sowie bei den Gleidmissen (dazu sehr gut E. Fuchs, Bemerkungen zur Gleichnisauslegung. In: Zur Frage nach dem historischen Jesus. S. 136—142). 58 Lk. 1,2; Joh. 1,14; 15,27; 19,35; 21,24 ff; 1. Joh. 1,1 ff; Act. 4,20. Vgl. dazu das Anm. 50 Gesagte. 55 M

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und erschlossenen Historie müßte also schon in dem Sinne präzisiert werden, daß dies in der Form einer Wiederholung der personalen Begegnung und als Bericht von eigenem Erleben geschieht. Die Auferstehungsberichte schildern ein Geschehen an der Person Jesu Christi, zugleich aber auch ein Handeln der Person Jesu Christi, in dem das Verständnis der Person erschlossen und der Auftrag zur Verkündigung erteilt wird. Obwohl nach der literarischen Gattung und theologischen Konzeption hier die Verhältnisse anders liegen als bei den in der Endredaktion jüngeren Evangelien, ist in den paulinischen Briefen eine ähnliche Tendenz festzustellen58. Daß auch hier die Geschichte Jesu Christi die Auferstehung einschließt, braucht nicht besonders betont zu werden. Im Unterschied zu den Evangelien wird jedoch die zeitliche Differenz zur Geschichte Jesu nicht übersprungen. Die unmittelbare Ich-Du-Beziehung und die Begegnung mit dem Irdischen und dem Auferstandenen ist kein Mittel anschaulicher Verkündigung; sie ist auf eine vergangene Situation bzw. auf einzelne Zeugen beschränkt60. Die Wiederholung der personalen Begegnung ist ausgeschlossen, und auch ein Bericht von eigenem Erleben ist auf wenige verstreute Traditionselemente begrenzt, die keine konstitutive Bedeutung für die paulinische Verkündigung haben. An die Stelle der unmittelbaren persönlichen Begegnung tritt der Apostel®1, an die Stelle des Geschichtlichen der Kyrios, das Wort vom Kreuz, das neue Sein als Sein in Christus, die Gerechtigkeit Gottes82. 59 M. W. ist das Problem der historischen Jesusfrage bei Paulus noch nicht besonders untersucht worden. Es erscheint allenfalls am Rande einzelner Studien oder innerhalb der Untersuchungen zur neutestamentlichen Christologie. 60 Bes. 1. Kor. 15,1 ff. Dies scheint audi bei der Abendmahlsparadosis von 1. Kor. 11,23 ff der Fall zu sein, w o das Einst der Jüngergemeinschaft mit Jesus fehlt. Sie wird vielmehr unmittelbar in das Jetzt der Gemeinde Christi einbezogen. In diesem Sinne ist vielleicht auch die schwierige Stelle 2. Kor. 5,16 zu verstehen, w o es wohl nicht darum geht, daß der .Christos kata sarka' oder das Kennen Christi nach dem Fleische' abgetan ist, sondern daß die Kluft zwischen dem Einst und Jetzt in der apostolischen Verkündigung aufgehoben wird. Aber auch bei Paulus erscheint der .Irdische' durchaus als Vorbild: Rom. 5,6; 2. Kor. 8,9; 10,1 — evtl. ist doch auch bei Gal. 3,1 eine ähnliche Verkündigungsweise wie in den Evangelien vorauszusetzen. Ein ähnlicher Sachverhalt zeigt sidi in Traditionselementen wie Phil. 2, 4 ff sowie in späteren Texten wie 1. Petr. 2,21; 1. Tim. 6,13; 2. Thess. 3,5. 61 2. Kor. 5,20. 62 Bes. R. Bultmann hat die Gesdiichte des Kerygmas von der paulinischen Theologie her aufgefaßt. Wenn aber nun in den neueren exegetischen Untersuchungen nicht nur ein literargeschichtlidier, sondern audi ein theologisdier Rahmen der Evangelientradition herausgestellt wurde, so müßten sich daraus eigentlich auch Sdllüsse nicht nur für eine systematische Reflexion, sondern auch für eine bestimmte Art der Verkündigung ableiten lassen.

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Doch ist es die einzige Konsequenz der paulinischen Theologie, daß an die Stelle der unmittelbaren Begegnung mit der Person Jesu Christi nunmehr das Wort von Christus, vom Kreuz, der Geist, der Apostel und die Kirche treten, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermitteln? Umgekehrt wird man wohl auch sagen müssen, daß in gewisser Weise eine größere Unmittelbarkeit erreicht wird, indem nicht eine vergangene personale Relation veranschaulicht wird. Man kann auch sagen, daß in der paulinischen Verkündigung eine direkte Konfrontation mit der Person Jesu Christi stattfindet, und zwar unabhängig von der exemplarischen Darstellung persönlicher Begegnung in der Vergangenheit 83 . Der Bezug auf Person und Werk Jesu Christi zielt nicht allein auf ein Vergangenes, das Ursache des Gegenwärtigen ist, sondern es bleibt gerade hier auch bei einer personalen Relation mit der Person des Auferstandenen und erhöhten Herrn, der mit dem Irdischen identisch ist. Dies kommt auf verschiedene Weisen zum Ausdruck: 1. Als Gehorsamsverhältnis und Bevollmächtigung64. 2. In der sakramentalen Einbeziehung in die Geschichte Christi in der Taufe 85 , in der das neue Sein zugeeignet und ein Abhängigkeits- und Gehorsamsverhältnis begründet wird als Sein in Christus und Sein Christi in uns. 3. Entsprechendes gilt von der eucharistischen Mahlgemeinschaft68 und damit von der paulinischen Ekklesiologie mit der Gliedschaft und Teilhabe am Leib Christi 87 . 4. Im Lobpreis und Dank des einzelnen und der Gemeinde68. 5. Vor M Obwohl diese, wie wir Anm. 60 andeuteten, damit keineswegs ausgeschlossen ist. Hierzu wäre auch zu berücksichtigen, daß Lc. und Act. vermutlich aus paulinischen Kreisen stammen. 6 4 Hierzu ist besonders auf den diristologisdien Bezug des Apostolats hinzuweisen, wie er vor allem in den Präskripten der neutestamentlidien Briefe zum Ausdruck kommt. Vgl. dazu audi die kurzen Hinweise bei F. Hahn, Christol. Hoheitstitel, S. 214, wo ebenfalls die Notwendigkeit einer Untersuchung dieser Zusammenhänge betont wird. «s Rom. 6; Gal. 3,26 ff. «6 1. Kor. 10,14 ff. 6 7 Rom. 12; 1. Kor. 12. Es ist m. E. eine Verkürzung, wenn die Ausführungen über die Sakramente und zur Ekklesiologie vorwiegend von den religionsgeschichtlichen Analogien, bes. der hellenistischen Mysterienkulte, her beurteilt werden. Obwohl diese Einflüsse nicht zu bestreiten sind, geht es dodi auch hier um eine personale Relation mit der Person und Geschidite Christi, wie sie besonders in den verschiedenen Verben mit der Präposition „syn-" und — vor allem im Zusammenhang mit der Taufe — in dem Begriff des „onoma" zum Ausdruck kommt (vgl. hierzu bes. die Untersuchung von G. Delling, Die Zueignung des Heils in der Taufe, Berlin 1961). Sakramente, Amt und Kirche haben ihren Ursprung in der Person Jesu Christi und weisen so auch stets auf sie zurück. Dieses Moment muß neben der verbalen interpretierenden Tradition unbedingt berücksichtigt werden, um auch dem exegetischen Sachverhalt Redinung zu tragen, daß es im Neuen Testament eben keine isolierte Lehre von der Person Jesu Christi gibt, die sich dann auf die Überlieferung einzelner Traditionsstücke oder auf die .christologischen' Prädikationen besdiränkt. 68 Z.B. 1. Kor. 8,6; 11,36 u.a.

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allem erscheint diese personale Relation audi in der Gegenüberstellung von Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes und Gerechtigkeit aus dem Glauben an Christus69, von Gesetz und Gnade, Gesetz und Freiheit. Entscheidend ist hier der Bezug auf das, was Christus getan hat und was durch ihn geschehen und Wirklichkeit geworden ist. Dieses ,extra nos' und ,ein-für-allemalc kann einfach nicht unabhängig von einer personalen Relation ausgedrückt werden — etwa als neues Sein oder als Eröffnung einer neuen Existenzmöglichkeit, d. h. als eine ontologische, von einer personal-geschichtlichen unterschiedene Realität. Der hier implizierte Gedanke einer stellvertretenden Genugtuung ist nur personal, d. h. im Rückgriff auf die Geschichte und das Handeln Jesu Christi aussagbar. Die angedeuteten Gesichtspunkte bedürfen einer weiteren Ausführung und Begründung als in diesem Zusammenhang möglich ist. Aber es geht uns um einige vorläufige Hinweise, in denen gezeigt werden sollte, wie die neutestamentliche Christusverkündigung in den verschiedenen Forman der Evangelien und der paulinischen Briefe vor allem die Bindung an die Person Jesu Christi auszudrücken sucht. Die wesentlichen Momente lassen sich in folgendem zusammenfassen: 1. Voraussetzung ist stets die personale Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen. 2. Diese personale Identität umschließt die Geschichte Jesu Christi, die in ihrem Verlauf exemplarisch dargestellt oder auf die als etwas Vollbrachtes zurückgeblickt werden kann. 3. Diese Geschichte Jesu Christi wiederum umschließt das Handeln und das Geschick der Person Jesu Christi und die Begegnung mit ihr. 4. Die bleibende Bindung an die Person Jesu Christi ist nicht auf eine allgemeine Bestimmung der Zukunft und menschlicher Existenz in einem eschatologischen Geschehen beschränkt. Sie erscheint vielmehr in der konkreten Form christlicher Existenz: in der geschichtsförmigen Darstellung einer unmittelbaren Ich-Du-Beziehung in den Evangelien, in der Begründung des Apostolats und der Nachfolge, in der sakramentalen Einbeziehung in die Geschichte Jesu Christi und die Gemeinschaft mit ihm, in dem Bekenntnis, Lobpreis und Dank. Die Voraussetzung in dem Zeugnis von der Person Jesu Christi ist durchgehend das personhafte Handeln Jesu Christi, des Irdischen und Auferstandenen. „Einst und Jetzt haben ihre Einheit allein in der Person Jesu selbst, dieses Menschen Jesus von Nazareth, den Gott durch Auferstehung und Erhöhung ,zum Herrn und Christus gemacht hat' (Apg. «• Z. B. R. 3,21ff;Gal. 3,23 ff. 333

2, 36). Der Auferstandene selbst öffnet darum erst das Geheimnis seiner Geschichte und seiner Person, vor allem den Sinn seines Leidens und Sterbens70." 3.

Konsequenzen

Die verschiedenen Standpunkte in der Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage reflektieren als Problem durchaus jenen merkwürdigen Sachverhalt, daß die Person Jesu Christi in den neutestamentlichen Schriften nicht nur als Objekt einer vergangenen Geschichte oder einer vergegenwärtigenden Verkündigung in Erscheinung tritt, sondern eben auch als handelndes und damit diese interpretierende Tradition bestimmendes Subjekt. Aber gerade wenn man den Wechsel zwischen einer positiven und einer negativen Funktion der historischen Jesusfrage als ein die gesamte Problemgeschichte begleitendes, also nicht nur auf den Ubergang von der ,Leben-Jesu-Forschung' zur ,neuen Frage nach dem historischen Jesus' beschränktes Symptom erkennt, wird auch die Grenze sichtbar, an der jeder Neuansatz unfehlbar scheitert. Wird das Interesse auf die Wirklichkeit geschichtlicher Individualität konzentriert, so gibt es weder nach dem Quellenbefund noch nach den anthropologischen Voraussetzungen eines empirischen Personverständnisses eine überzeugende Antwort dafür, daß dieses Individuum in seiner mehr oder minder deutlich erkennbaren Zeitbedingtheit von einer universalen, bleibenden Bedeutung sein soll. Wird umgekehrt das Interesse ganz auf das Verkündigungsgeschehen konzentriert, so gibt es kein überzeugendes Argument dafür, daß der Inhalt dieser Verkündigung etwas anderes sei als eine zeitlose, ungeschichtliche Idee im objektiven oder subjektiven Sinne. Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich die historische Jesusfrage in dem Bemühen, das ,extra nos' und das ,pro nobis' des Heils in Christo so auszudrücken, daß auf der einen Seite die Gefahr einer beziehungslosen Objektiviation und auf der anderen Seite die Gefahr eines bloßen Subjektivismus vermieden wird. Dabei ist nicht zu verkennen, daß im Grunde bei jedem der zahlreichen Lösungsversuche ganz bestimmte Elemente des neutestamentlidien Christuszeugnisses zur Geltung gebracht werden. Die fundamentale Aporie bleibt jedoch, ob und wie die Weiterereignung der Geschichte Jesu Christi als eine personale Kontinuität ausgedrückt werden kann. Dies gilt sowohl für den historischen Aspekt, wenn hier nach dem Ubergang von dem Verkündiger, der nicht sich selbst, sondern das Kommen des Reiches Gottes verkündigte, zu dem Verkündigten, der als das eschatologisdie Heilshandeln Gottes geglaubt und proklamiert wird, gefragt wird. Dies gilt 70

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G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, S. 169.

ebenso für den hermeneutisdi-apologetischen Aspekt mit der Frage, wie in der heutigen Situation der Mensch mit dem damaligen Geschehen konfrontiert und von ihm betroffen werden kann. Die dadurch ausgelöste Dialektik in der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage gerät in dem Augenblick auf einen „Holzweg" (M. Kahler) oder in eine „Sackgasse" (E. Käsemann), wo die Problemstellung zu einem historischen oder hermeneutischen Selbstzweck wird. Denn dabei schwindet gerade das aus dem Gesichtsfeld, was in der neutestamentlichen Christusverkündigung die personale Kontinuität, d.h. die Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen begründet. Die Unterscheidung zwischen einem christologischen Ansatz ,von unten' und ,von oben' enthält zwar in der dialektischen Zuordnung eine notwendige Korrektur, kann jedoch nicht im Sinne einer Alternative entschieden werden. Denn im Neuen Testament sind beide Möglichkeiten vorgegeben, und zwar nicht in individuellen theologischen oder christologischen Entwürfen oder in dem Gegensatz von synoptischer, johanneischer und paulinischer Theologie, sondern in der grundlegenden Einheit von irdischer Existenz, Tod und Auferstehung in der Person Jesu Christi. Ebensowenig kann alternativ entschieden werden, ob das ,christologische Urdatum' historisch bzw. hermeneutisch im Selbstbewußtsein Jesu, in der Auferstehung oder im nachösterlichen Kerygma anzusetzen sei. Denn audi hier führt die Verabsolutierung einer einzelnen Möglichkeit zu sachlichen Inkonsequenzen, in denen dann die fundamentale Einheit der Person aufgehoben wird. Selbstverständlich erhebt sich damit zunächst die Frage, was unter der Einheit der Person und unter personaler Kontinuität und Relation zu verstehen ist. Im Anschluß an die Erwägungen im vorigen Abschnitt kann darauf geantwortet werden, daß die Eigentümlichkeit der neutestamentlichen Christusverkündigung darin besteht, daß sie nicht als Christologie im Sinne einer ,Lehre von der Person' Jesu Christi auftritt, wie wir es aus der neueren dogmatischen Tradition gewöhnt sind. Diese Parallele führt immer wieder in der Auseinandersetzung mit der historischen Jesusfrage und in den Untersuchungen zur neutestamentlichen Christologie zu der Vorstellung, daß ein bestimmter Sachverhalt begrifflich-schulmäßig interpretiert und tradiert wird, wobei es dann einerseits darauf ankommt, den ,historischen Kern' und andrerseits die Einflüsse und Gesetzmäßigkeiten in diesem Traditionsprozeß zu ermitteln. Diese Betrachtungsweise hat sich mit derartiger Selbstverständlichkeit im Zusammenhang mit der form- und traditionsgeschichtlichen Methode durchgesetzt, daß sich die Vertreter der verschiedensten exegetischen Schulrichtungen 335

darin im Ansatz zusammenfinden 71 . Die vorhandenen Unterschiede sind im wesentlichen auf die Debatte um die historische Jesusfrage beschränkt. Die kritische Auseinandersetzung um die formgeschichtliche Methode hat sich jedoch hier offenbar noch nicht niedergeschlagen72. Die Berechtigung der form- und traditionsgeschichtlichen Betrachtungsweise und die Möglichkeit ihrer Anwendung auf die neutestamentliche Christologie soll hier nicht bestritten werden. Aber es ist doch ernsthaft zu fragen, ob hier nicht in verhängnisvoller Weise bereits im methodischen Ansatz das personale Element der neutestamentlichen Christusverkündigung eliminiert bzw. formalisiert wird. Die Person Jesu Christi wird dann als Objekt in einem Traditions- und Entwicklungsprozeß angesehen, der von anonymen soziologischen, religionsgeschichtlichen und literarischen Kategorien bestimmt und vorangetrieben wird. Faktisch wird bei einer isolierten Untersuchung christologischer Prädikationen allenfalls der geschichtliche Entwicklungsstand der Gemeinde,theologie* fixiert, nicht aber der Vollzug ihrer christlichen Existenz, der doch das eigentliche treibende Motiv bildet. Es wird allenfalls untersucht, wie die christliche Verkündigung durch die Übernahme neuer Vorstellungen und Begriffe von außen her umgeprägt wird. Hingegen wird nicht der mindestens ebenso wichtige Vorgang berücksichtigt, wie die Gemeinde im Vollzug ihres Glaubens, im Gehorsam gegenüber der Person Jesu Christi, im Vertrauen auf sein Werk, im Lobpreis, in der Anbetung und mithin in der bleibenden Bindung an seine Person das in immer neue Begriffe faßt, wovon sie lebt und bewegt wird. Diese Vernachlässigung des personalen Elements durch bestimmte methodische Prämissen ist weder auf die Untersuchungen zur neutestamentlidien Christologie noch auf die formgeschichtliche Methode beschränkt. Sie erscheint vielmehr überall dort in der Dogmen- und Theologiegeschichte, wo die Christologie als ein theoretisches Problem aufgefaßt wird und die noetische Fragestellung in einseitiger Weise verabsolutiert wird. C. Die christologische Problematik Die christologische Problematik der historischen Jesusfrage konzentriert sich auf das Personverständnis. Dieses allgemeine Ergebnis unserer Untersuchung schließt zunächst die Möglichkeit aus, die Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage in einseitiger Weise unter rein methodischen Gesichtspunkten zu betrachten und zu beurteilen. Absichtlich haben wir jedoch nicht den Weg einer Methodenkritik beschritten, auf 71

Man vergleiche hierzu die Arbeiten von Sevenster, Hahn u. a. 72 Siehe oben S. 71—78.

336

Cullmann,

Taylor,

F.

dem man entweder versucht, die methodischen Voraussetzungen zu korrigieren oder aber ihre sachlichen Inkonsequenzen aufzuweisen. Denn bei dieser Art von Kritik tritt die Sachfrage ebenso in den Hintergrund wie bei einem historischen oder hermeneutischen oder auch dogmatischen Methodenpositivismus. Mit dem Hinweis auf das christologische Personverständnis sollte vielmehr das Problem artikuliert werden, das einerseits in dem gemeinsamen Gegenstand des neutestamentlichen Christuszeugnisses allen methodischen Voraussetzungen vorgegeben ist und das andrerseits durchaus auch in den verschiedenen Standpunkten zur historischen Jesusfrage mehr oder minder deutlich in Erscheinung tritt, ohne daß es jedoch in eindeutiger Weise formuliert worden wäre. So kann es sich bei dieser Untersuchung auch nicht darum handeln, Recht und Grenze der historischen Jesusfrage in der Gegenüberstellung der historischen und hermeneutischen Bemühungen auf der einen Seite und der dogmatischen Christologie auf der anderen zu bestimmen. Der Gegensatz zwischen Historischem und Dogmatischem, zwischen historischer Jesusfrage und christologischem Dogma gehört zwar spätestens seit A. Ritsehl ebenso zu den Selbstverständlichkeiten der Problemgeschichte wie der Gegensatz zwischen der .Metaphysik* der traditionellen Christologie und dem notwendigen Bemühen um geschichtliches Verstehen in der Neuzeit. Bei dieser Trennung von verschiedenen Entwicklungsstadien, Erkenntnisweisen und Seinsbereichen, so berechtigt sie auch in mancher Hinsicht sein mögen, gerät man aber leicht in die Gefahr, die Christologie lediglich im doktrinären Sinne als Auslegung oder Auslegungsgeschichte zu einem bestimmten historischen Tatbestand zu betrachten. Damit wird jedoch von vornherein das Person- und Subjektsein Jesu Christi eliminiert, und man steht dann jeweils vor der Aufgabe, die allein schon methodisch bedingte Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden. In diesem abschließenden Abschnitt soll nun versucht werden, die christologische Problematik der historischen Jesusfrage im Sinne der Voraussetzung zu formulieren, daß die historische Jesusfrage einen Teilaspekt der Christusfrage bildet (s. o. S. 22 ff). 1. Einheit und Vielfalt der

Christologie

Mit überraschender Selbstverständlichkeit hat sich im Zusammenhang mit der historischen Jesusfrage und besonders der traditionsgeschichtlichen Betrachtungsweise die Auffassung durchgesetzt, daß die Christologie als Lehre von der Person Jesu Christi unter dem Aspekt der interpretierenden Tradition und Verkündigung einzuordnen sei. Die historische Erforschung der neutestamentlichen Schriften und ihrer Umwelt hat gezeigt, wie Bericht, Bekenntnis und Verkündigung, historische 22

8684

Slenczka, Geschichtlichkeit

337

Faktizität und Glaubenszeugnis so eng miteinander verbunden sind, daß eine kritische Scheidung zwischen beidem nur unter größten Schwierigkeiten und mit vielen Vorbehalten durchzuführen ist. Sie hat aber vor allem auch auf die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen dem ,historischen Jesus' und dem Glaubenszeugnis der Gemeinde hingewiesen. Das Problem der Kontinuität und Diskontinuität zwischen dem historischen Jesus' und dem ,kerygmatischen Christus' ist zwar erst in den letzten Jahren klar formuliert worden, aber es durchzieht im Grunde schon die gesamte Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage. Mit Hilfe der Unterscheidung zwischen drei Motiven oder Aspekten, einem historischen, einem hermeneutisch-apologetischen und einem christologischen (s. o. S. 128 ff, 296 ff) hatten wir versucht, die Vielschichtigkeit dieser Problematik systematisch in den Griff zu bekommen. D a diese drei Motive oder Aspekte von einer gemeinsamen Sache ausgehen, können sie nicht voneinander getrennt oder gegeneinander ausgespielt werden, wiewohl sie auch nicht ohne weiteres auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. a) Wird das Problem der Kontinuität und Diskontinuität unter dem historischen Gesichtspunkt aufgeworfen, so steht man vor der Frage, wie es dazu kam, daß ein geschichtliches Individuum Gegenstand einer universalen Heilsbotschaft wird — oder, um die klassische Formulierung R. Bultmanns aufzunehmen, wie der Verkündiger zum Verkündigten wird. Sofern die Wirklichkeit der geschichtlichen Existenz Jesu nicht grundsätzlich bestritten wird, wie es etwa bei B. Bauer, A. Drews u. a. der Fall ist, wird man immer mindestens von einer sachlichen' Kontinuität sprechen können 73 . Kontrovers bleibt indes, ob diese sachliche Kontinuität in irgendeiner Weise in der geschichtlichen Person Jesu, ihrem Selbstbewußtsein, ihrer Verkündigung, ihrem Vollmachtsanspruch, ihrem Verhalten oder ihrem Geschick einen die nachösterliche Christusverkündigung begründenden Anhalt hat, oder ob die sachliche Kontinuität als Paradox aufzufassen ist. Die positive Feststellung eines negativen historischen Tatbestands, daß es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen dem historischen Jesus' und dem Christus des Kerygmas gibt, führt dann zur Behauptung einer Diskontinuität. b) Wird das Problem der Kontinuität und Diskontinuität unter dem hermeneutisch-apologetischen Gesichtspunkt aufgeworfen, so steht man vor der Frage, wie komme ich, wie kommt der heutige Mensch zu der Erkenntnis und zu dem Bekenntnis, „Herr ist Jesus" 7 4 . Trotz mancher ungeschützter Formulierungen kann der Einwand ausgeschieden werden, 73 74

338

Z. B. R. Bultmann, 1. K o r . 12,3.

Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotsdiaft. S. 6.

daß diese Frage im Sinne einer historischen Legitimierung oder Begründung des Glaubens gestellt wird, was jedoch nicht die Frage nach der Legitimität des Glaubens ausschließt75. Das formale Merkmal, durch das sich der hermeneutisch-apologetische Aspekt der historischen Jesusfrage von dem historischen unterscheidet, liegt darin, daß hier stets die Subjekt-Objekt-Relation mitbedacht wird 76 . Bei einer positiven Stellung zur historischen Jesusfrage wird der Entwicklungsgang von der geschichtlichen Existenz Jesu zum Christuskerygma in Beziehung gesetzt zu dem individuellen Weg der Glaubenserkenntnis und der kritischen Besinnung des Glaubens auf seinen Grund. Entscheidend ist dabei der Gedanke, daß die geschichtliche Person Jesu, der .historische Jesus', das bleibende Kriterium in der Geschichts- und Situationsbedingtheit christologischer Aussagen, d.h. in dem notwendigen Prozeß einer interpretierenden und explizierenden Tradition bildet 77 . Bei einer negativen Stellung zur historischen Jesusfrage hingegen wird jede Möglichkeit eines Schlußverfahrens oder einer Rekonstruktion ausgeschlossen. Im Grunde hat hier das Kerygma selbst eine normative Funktion und Wirkung in der Weise, daß es zu jeder Zeit in die Entscheidung ruft und die Situation des Menschen aufdeckt. Indem es an die Stelle der Person Jesu tritt, überwindet es die zeitliche Differenz. c) Wird schließlich das Problem der Kontinuität und Diskontinuität unter dem christologischen Gesichtspunkt aufgeworfen, so konzentrieren sich alle Fragen der beiden vorangehenden Aspekte auf jene personale Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen in dem neutestamentlichen Christuszeugnis, wo die Person Jesu Christi als handelndes Subjekt und zugleich als Gegenstand der Verkündigung erscheint. Dies ist jedoch nur möglich unter der Voraussetzung, daß der Personbegriff nicht auf die empirische geschichtliche Existenz beschränkt wird und die Auferstehung in der Übereinstimmung mit den neutestamentlichen Aussagen zur Geschichte der Person Jesu Christi gehört. Wenn es überhaupt ein Ergebnis in der wechselvollen Auseinandersetzung um die historische Jesusfrage, genauer: um das Verstehen des Neuen Testaments gibt, so kann dies nur darin gesehen werden, daß unabhängig von der personalen Identität und Kontinuität zwischen dem Irdischen, dem Gekreuzigten und dem Auferstandenen keine sinnvolle Antwort möglich ist. Die Dialektik in der Geschichte der historischen Jesusfrage zwischen einer positiven und einer negativen Funktion kreist 75 Zwischen .Legitimierung' und .Legitimität' muß sehr genau unterschieden werden. Vgl. dazu bes. die Auseinandersetzung mit R. Bultmann bei G. Ebeling, Theologie und Verkündigung, S. 27 f, 32 ff, 55 f. 78 Dahinter steht nicht allein ein neuer Ansatz in der historischen Methode, sondern auch das Problem theologischer Sachgemäßheit. 77 Die Frage nach dem Ursprung ist dann auch die Frage nach der Norm.

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stets um die gleiche Aporie. Der Verzicht auf die historische Jesusfrage macht aus der Christusverkündigung eine ungeschichtliche Ideologie; die Verabsolutierung führt zu einer Mythologie. Die sachliche Unhaltbarkeit dieser beiden Extreme ist in der Geschichte des Problems immer wieder mit aller Deutlichkeit erkannt worden. An diesem Punkt fällt eine Grundsatzentscheidung, in der nicht zwischen einer historischen, einer hermeneutisch-apologetischen und einer dogmatisch-christologischen Betrachtungsweise oder Methode unterschieden werden kann. Denn hier geht es um die Wirklichkeit des christlichen Glaubens. Dabei kommt es jedoch nicht darauf an, apologetisch die Möglichkeit oder Realität der Auferstehung zu er- oder beweisen, sondern zunächst einmal auf die logische Konsequenz, daß jede wie auch immer geartete Beschränkung der Person Jesu Christi auf den Bereich geschichtlicher Existenz zwischen Geburt und Tod die Christusverkündigung von Anfang an zur Mythologie, Ideologie oder Phantasie macht. Bestenfalls kann noch von einer kausalen Wirkung oder Nachwirkung dieser Person die Rede sein, was letztlich immer Objektivation bleibt, aber niemals kann von einem Wirken der Person als handelndem Subjekt gesprochen werden. Die Einheit in der Person des Irdischen und des Auferstandenen kann nicht ohne verhängnisvolle Folgen durch irgendwelche Konjekturen oder Interpretamente ersetzt werden. Hierzu gehören alle historischen, hermeneutisch-apologetischen und auch dogmatischen Deutungsversuche, in denen die Christusverkündigung entweder als eine Entfaltung dessen erscheint, was in der gschichtlichen Existenz Jesu keimhaft angelegt ist oder aber als ein Geschehen, das mit dieser geschichtlichen Existenz lediglich in einem zufälligen Zusammenhang steht. Denn in beiden Fällen wird nicht das über den Tod hinausgreifende Personsein Jesu Christi als Handeln und Geschichte zum Ausdruck gebracht, wie es übereinstimmend in den neutestamentlichen Berichten von den Erscheinungen des Auferstandenen der Fall ist. Dies schließt aber keineswegs aus, daß in dem nachösterlichen Christuszeugnis der Gemeinde eine geschichtliche Entwicklung mit einer Vielfalt von christologischen Konzeptionen und Prädikationen verschiedenster Herkunft festzustellen ist. Indes gibt es in dieser Vielfalt m. E. keinen Anhaltspunkt für eine Christologie, die nicht von der personalen Identität und Kontinuität zwischen dem Irdischen und dem Auferstandenen ausginge 78 . Ebensowenig kann behauptet werden, daß die christolo78 Die apokalyptischen Erwartungen in der Verkündigung Jesu können schwerlich als diristologisdie Elemente gewertet werden, auch wenn sie im Licht der Auferstehung christologisch interpretiert werden. Vgl. dazu z. B. H.-E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, bes. S. 228 ff; F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 348.

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gischen Prädikationen entweder auf den Irdischen oder aber auf den Auferstandenen und Erhöhten bezogen werden 79 . Denn es gibt keine Alternative zwischen irdischer Existenz und Auferstehung, zwischen der vorösterlichen und der nachösterlichen Situation. Die Verbindung von beidem ist in der Einheit der Person vorgegeben und vollzogen. Die Vielfalt der Christologie setzt erst dort ein, wo die den Tod überschreitende Geschichte der Person Jesu Christi reflektiert und verkündigt wird. Dann kann in der Tat von einer Explikation gesprochen werden, in der die verschiedenen Dimensionen und Konsequenzen des Handelns Gottes in der Person Jesu Christi, an ihr und durch sie entfaltet werden. Aber man wird diesen Vorgang der Verkündigungsgeschichte nicht in den meist sehr eng gefaßten Kategorien einer systematischen Reflexion sehen dürfen, sondern nur im Zusammenhang der Fülle christologisch-personaler Bezüge, auf die im vorigen Abschnitt hingewiesen wurde (s. o. S. 326—334). Die existentielle Beziehung tritt nicht erst zu dem historischen oder dogmatischen Sachverhalt hinzu, sondern sie bildet darin ein konstitutives Element in der Nachfolge, im Lobpreis, im Dank, im gehorsamen Hören und Verkündigen80. Zweifellos hat diese Explikation ihre Grenzen. Es bleibt einer Einzelanalyse überlassen, nicht nur die Sachgemäßheit, sondern auch die Zeitgebundenheit einzelner christologischer Aussagen schon innerhalb des Neuen Testaments kritisch zu überprüfen81, wie es zugleich Aufgabe von Theologie und kirchlicher Verkündigung ist, in diese Verkündigungsgeschichte nachvollziehend und weiterführend einzutreten. In dieser Vielfalt christologischer Aussagen ist jedoch das bleibende Kriterium die personale Einheit, die Identität und Kontinuität zwischen dem Irdischen und dem Auferstandenen. Dies gilt nicht nur im Sinne einer systematischen Formulierung in einer ,Lehre von der Person', sondern vor allem auch in dem Sinne, daß die Person Jesu Christi als Realgrund der Verkündigung die Gemeinde konstituiert. Das Wort von Christus ist das Wort Christi, die Gemeinde ist Gemeinschaft mit und in Christus, Christus ist Haupt der Gemeinde. 7 9 Dieses Problem ist neuerdings wieder in der Auseinandersetzung mit der Arbeit von F. Hahn durch Ph. Vielhauer an verschiedenen Stellen aufgegriffen worden, zuletzt in ThLZ 90 (1965) Sp. 569—588: Zur Frage der diristologischen Hoheitstitel. 8 0 Für die Dogmatik hat dies E. Schlink in seiner Untersuchung „Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem" (Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen, Göttingen 1961, S. 24—79) gezeigt. Es ist demgegenüber auffallend, wie wenig dieser Sachverhalt gerade in der formgeschichtlichen Arbeit selbst berücksichtigt worden ist gegenüber den literarischen Formelementen. 8 1 Hierzu sind besonders in den letzten Jahren durch die Untersuchungen zur ,Redaktionsgeschichte' neue Gesichtspunkte aufgetaucht, indem nicht nur die historische Entwicklung an sich, sondern auch die jeweilige theologische Entscheidung zur Geltung gebracht wird.

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Gewiß sind dies alles aus bestimmten Vorstellungsformen gestaltete Theologumena einer bestimmten Zeit. Aber es wäre nicht nur theologisch, sondern auch historisch unsachgemäß, den Uberlieferungsprozeß der neutestamentlichen Christusverkündigung aus dem Allgemeinbegriff einer geistes- oder religionsgesdiichtlichen Entwicklung abzuleiten. Daß auf diese Weise der Primat der Person Jesu Christi durch rein formale Gesichtspunkte verdrängt wird, ist die große Gefahr der traditions- und formgeschichtlichen Betrachtungsweise (s. o. S. 71 ff), wenn nach der traditionellen Unterscheidung von Form und Inhalt nur die Form, nicht aber der Inhalt als gestaltendes Prinzip berücksichtigt wird82. Als Korrektur genügt dazu keineswegs der Hinweis auf die Überlieferung von Elementen aus der irdischen Geschichte Jesu oder auf einen „Sitz im Leben Jesu" oder auch auf ein Selbst- oder Vollmachtsbewußtsein des irdischen Jesus. Vielmehr wird auch hier die personale Einheit des Irdischen und des Auferstandenen als ,traditionsbildendes' Element zur Geltung gebracht werden müssen. Denn sonst wird das gestaltende und durchaus auch umgestaltende Traditionsprinzip zu einem produktiven erhoben. 2. Sein und Werden Im vorigen Abschnitt wurde von den Tendenzen in der historischen Jesusfrage ausgegangen, die vorgegebene personale Einheit des Irdischen und des Auferstandenen aufzuheben oder durch von sekundären Faktoren bestimmte Konjekturen und Interpretamente neu zu vermitteln. Damit wird versucht, die ontologische Betrachtungsweise durch eine genetische, die statisch-objektivierende durch eine dynamisch-existentielle zu ersetzen. Das Grundproblem liegt in der Schwierigkeit oder auch Unmöglichkeit, die Person Jesu Christi als gegenwärtig handelndes Subjekt aufzufassen. Auf der anderen Seite steht das Anliegen, die Geschichte als Wandel, Entwicklung und Ereignis in einer zeitlichen Abfolge sowie in dem Prozeß individuellen Erkennens zur Geltung zu bringen. Durch die oberflächliche und meist auch sehr kurzsichtige Dogmenkritik besonders der Ritschlschen Sdiule sowie in der „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" von A. Schweitzer wird die an sich schon problematische Gegenüberstellung von .Historischem' und ,Dogmatischem' als Gegensatz von ,Geschichte' und ,Metaphysik' näher bestimmt. Die hellenistische Metaphysik des christologischen Dogmas, als deren Wegbereiter schon Paulus angesehen wird, erscheint als eine — wenn auch vielleicht in jener Zeit unvermeidliche — Entstellung des ursprünglichen geschichtlichen Sachverhalts. Andrerseits erscheint sie aber auch unvereinbar mit 8 2 Interessante Erwägungen hierzu hat E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen 1962 (1963 2 ), in einem Exkurs „Eschatologie und Formgeschichte" (S. 290 fï) vorgelegt.

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dem modernen Geschichtsbewußtsein. Metaphysik wird dabei als Statisches, Seiendes, Substanzhaftes verstanden; Geschichte hingegen als Werden, Entwicklung, Ereignis, Funktion und personale oder existentielle Relation 83 . Metaphysik und Dogma gehen mit einem Autoritätsund Tatsachenglauben; Geschichtlichkeit hingegen wird als Schlüssel zu einem Ereigniszusammenhang angesehen, in dem die Möglichkeit zur Oberwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung zu liegen scheint. Daß diese Hoffnung immer wieder in der Geschichte der historischen Jesusfrage enttäuscht wurde, zeigt sich dort, wo entweder radikal auf die Frage nach der geschichtlichen Wirklichkeit verzichtet wird oder wo man versucht, etwa durch die Unterscheidung von Historie und Geschichte, durch eine existentiale Interpretation oder auch durch eine idealistisch oder apokalyptisch geprägte universalgeschichtliche Schau den verengten Tatsachenbegriff eines historischen Positivismus zu überwinden. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend für die speziell auf die Zweinaturenlehre gerichtete Kritik innerhalb der dogmatischen Christologie wie auch in der historisch-kritischen Exegese, daß die Lehre von den beiden Ständen in auffallender Weise bevorzugt wird 84 . Dies hat vor allem zwei Gründe. Erstens scheint die Zweiständelehre besser geeignet, die volle geschichtliche Wirklichkeit der irdischen Existenz Jesu zur Geltung zu bringen. Zweitens kommt sie auch dem hermeneutischen oder noetischen Interesse entgegen, das auf den Grund des Glaubens in der geschichtlichen Person Jesu gerichtet ist. Die substanzhaften, statischen christologischen Aussagen im Rahmen der Lehre von der hypostatischen Union, in denen man zudem die Gefahr eines Doketismus vermutet, können nach dem Grundschema der Zweiständelehre als Ereignis* oder auch Erkenntniszusammenhang in verschiedenster Weise dargestellt werden. Wenn die Zweinaturenlehre auf die Frage antwortet, wie Jesus Christus Gott und Mensch in einer Person ist, so antwortet die Zweiständelehre — nach diesem Verständnis — auf die Frage, wie der Mensch Jesus von Nazareth Gott wird. Dieses Werden kann als geschichtliche Entwicklung in einem biographischen Ablauf oder speziell im Sinne einer ethischen Vollendung angesehen werden. Mögliche adoptianische oder auch arianische Anklänge werden dabei durch den Hinweis ausgeschlossen, daß Jesus das wird, was er nach seinem Wesen 83 Der Übergang von einer personalen oder funktionalen Christologie zu einer natur- oder substanzhaften, von geschichtlichen zu Wesensaussagen begegnet immer wieder in neutestamentlichen Arbeiten. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb Personalität und Ontologie von vornherein als Gegensatz verstanden werden müssen. 84 Nur Schleiermacher (s. o. S. 211) macht hier eine Ausnahme, insofern er sich trotz aller Kritik der Zweinaturenlehre anschließt, wobei er jedoch die personale Kontinuität durch ein Kausalprinzip ersetzt.

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oder nach dem Willen Gottes bereits ist. Die Entwicklung hat somit den Charakter einer Bewährung oder auch Bestätigung. Das Werden kann aber auch auf den Vollzug der Glaubenserkenntnis bezogen werden. Die Begegnung mit dem Irdischen führt zur Erkenntnis des Erhöhten. Dies wird besonders bei A. Ritsehl in dem Schluß von der offenbaren zur ewigen Gottheit, in seiner Theorie vom „Werturteil" sowie in W. Herrmanns Unterscheidung von Grund und Inhalt des Glaubens deutlich. Dasselbe Schema liegt auch dort zugrunde, wo der Ansatz der Christologie in dem Selbst- oder Vollmachtsbewußtsein des irdischen Jesus gesehen wird oder wo dann auch von einer „Prolepse" oder einer Antizipation gsprochen wird 86 . In einem weiteren Sinne können in diesem Zusammenhang auch jene Vorstellungen geredinet werden, nach denen das Werden in einem heilsgeschichtlichen oder universalgeschichtlichen Entwicklungsprozeß dargestellt wird 86 . Daß bei diesen Vorstellungen gelegentlich auf die Auferstehung verzichtet wird oder auch adoptianische Tendenzen eindringen, ist keineswegs eine notwendige Konsequenz. Es braucht auch nicht besonders darauf hingewiesen zu werden, daß diese Vorstellungen — mindestens in ihrem Grundschema — in einer großen Sachnähe zur neutestamentlichen Christusverkündigung stehen und schließlich auch eine lange dogmatische Tradition hinter sich haben. Allerdings bildet hier die Zweiständelehre in ihren verschiedenen Formen nicht eine Alternative zur Zweinaturenlehre, sondern eine Ergänzung, deren Notwendigkeit nie bestritten wurde 87 . Die Eigentümlichkeit der traditionellen Zweiständelehre besteht jedoch darin, daß im Zusammenhang mit der Präexistenz und Postexistenz die Erniedrigung als Entäußerung von den göttlichen Eigenschaften angesehen wird. Die geschichtlich-irdische Existenz Christi wird also von der in der Auferstehung offenbarten Herrlichkeit Christi her beurteilt. Die Auferstehung ist das Ereignis, in dem sich die Person Jesu Christi in ihrem Wesen erschließt. Diese Betrachtungsweise ist in der neueren Christologie jedoch nur in wenigen Fällen beibehalten worden 88 . Im Zusammenhang mit der historischen Jesusfrage und besonders im Gefolge der Ritschlschen Theologie wird aber gerade der Ansatz bei der Erscheinung des Auferstandenen zurückgestellt. Der Grund dafür ist nicht 8 6 Z. B. bei W. Siehe oben S. 97 ff, 114 f. Pannenberg. Dies zeigt sich vor allem bei dem Apostolikum und seinen Vorformen wie auch noch bei den nieänischen Symbolen. Hier ist stets die Geschichte Jesu Christi mit den Aussagen über sein Wesen verbunden. Im Chalcedonense freilich tritt die Zweinaturenlehre als Wesensbestimmung stärker in den Vordergrund. 8 8 Es wäre eine wichtige und interessante A u f g a b e , diesen Ubergang von einem personhaften Verständnis der Auferstehung zu einem kausalen und damit unpersönlichen in der neueren Theologie genauer zu untersuchen. 85

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nur, daß heute nicht mehr die altkirchliche Trinitätslehre und das » allgemeine weltanschauliche Moment theistischer Überzeugung" vorausgesetzt werden kann 89 . Denn wenn die „offenbare Gottheit" in der geschichtlichen irdischen Person Jesu erkennbar sein soll, muß ja auch hier bereits eine Vorstellung von dem, was zu Gott gehört, vorhanden sein. Genau dies ist jedoch nicht allein nach der dogmatischen Tradition, sondern nach den neutestamentlichen Texten ausgeschlossen: Die Wunder und Zeichen, die Souveränität der Verkündigung des irdischen Jesus werden gerade nicht als eindeutig überzeugendes Merkmal der Gottheit dargestellt und man kann m. E. auch nicht von der Darstellung in der Art des „theios aner" sprechen. Es gibt ferner kein eindeutiges Kriterium dafür, daß die messianischen Prädikationen und christologischen Titulaturen als Selbstaussagen historisch beurteilt werden können, d. h. als eindeutige Wesensoffenbarungen. Die Zweideutigkeit der geschichtlich-irdischen Existenz Jesu hat das Neue Testament so eindeutig bewahrt, daß die irdische Geschichte Jesu mit dem Tod am Kreuz zugleich mit der Flucht und Verleugnung der Jünger endet90. Diesen Sachverhalt hat die neuere Exegese im Anschluß an J. Weiß, W. Wrede, R. Bultmann u. a. mit aller Deutlichkeit herausgearbeitet, und das hatte das sogenannte ,Scheitern der Leben-Jesu-Forschung' zur Folge. Damit ist auch jene Uminterpretation der Zweiständelehre hinfällig geworden, nach der die Niedrigkeit oder Erniedrigung nicht als Entäußerung, sondern gerade als Manifestation, als Selbstoffenbarung Gottes in einem Menschen aufgefaßt wurde. Als Kritik an der ,Leben-Jesu-Forschung' hat R. Bultmann daraus durchaus richtige Konsequenzen gezogen, wenn er von der irdischen Existenz Jesu fort auf die nachösterliche Christusverkündigung der Gemeinde hinwies. Aber ihm gegenüber ist dann wiederum der Einwand berechtigt, daß hier die Gefahr einer Auflösung des geschichtlichen Grunds und Inhalts des Glaubens besteht. Doch ist das Problem damit gelöst, wenn nun von neuem der „Grund des Glaubens 91 " in dem historisch/irdischen Jesus gesehen wird? Es ist zwar nicht zu übersehen, daß man sich bei der ,neuen Frage nach dem historische Jesus' nachdrücklich von der alten ,Leben-Jesu-Forschung' distanziert, sofern sie in der geschichtlichen Existenz Jesu eine Bestätigung oder einen empirischen Anhalt für den Glauben suchte. Dagegen hat 89

G. Ebeling, Theologie und Verkündigung, S. 24 f. Hier sind natürlich auch die Probleme zu bedenken, die durch die beiden Thesen der verborgenen Messianität und der Parusieverzögerung gekennzeichnet sind. 91 Dieser Rückgriff auf die Theologie W. Herrmanns zeigt sich besonders bei dem christologischen Ansatz ,von unten' (Belege s. o. Anm. 8 zu Kap. IX), außerdem G. Ebeling, Wort und Glaube, S. 317 f. 90

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man sich aber auch damals gewehrt; denn entscheidend war das Bemühen, die historische Jesusfrage als Begegnung mit einem wirkenden Gegenüber darzustellen (s. o. S. 84 ff, 245 ff, 274). Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, daß die historische Jesusfrage in ihrer positiven Funktion und als hermeneutisches Problem gerade deshalb aufgegriffen wird, weil sie von den Voraussetzungen eines geschichtlichen Verstehens her gefordert wird 92 . Trotz aller Vorbehalte, Abgrenzungen und Unterschiede hat die ,neue Frage nach dem historischen Jesus' das mit der ,Leben-Jesu-Forschung' und auch mit der Ritschlschen Schule gemeinsam, daß das Verstehensproblem in der Auferstehung, nicht aber in der geschichtlichen Existenz und Menschheit Jesu Christi liegt. Das heißt, ich kann wohl verstehen, was menschliche, geschichtliche, irdische Existenz ist, während das Personsein des Auferstandenen nach dem Tode verborgen bleibt. Als personale Kontinuität und Identität wird die Auferstehung gerade nicht verstanden, sondern im Grunde als ein kausales Moment, in dem es „um das Verkündbarwerden des durch Jesus erweckten und auf ihn sich gründenden Glaubens" geht98, in dem, wie „Jesus der Stellvertreter des Glaubens war, so auch der Glaube der Stellvertreter Jesu wurde 94 ", in dem die „Einheit von Tod und Leben in der Liebe" evident wird 95 . Das Personsein bleibt so beschränkt auf das Menschsein in der Geschichtlichkeit. Die Auferstehung ist das Ereignis, in dem diese geschichtliche Person erschlossen und die Verkündigung ermöglicht wird. Gewiß wird in diesen Interpretationsversuchen in eindrucksvoller und im besten Sinne auch erbaulicher Weise eine Anleitung zum Verständnis und zur Verkündigung der Christusbotschaft gegeben. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es auch nicht ausgeschlossen, Sätze wie die oben angeführten zu übernehmen. Die Grenze dieser historisch und hermeneutisch motivierten Aussagen liegt jedoch darin, daß die Auferstehung lediglich eine funktionale, unter Umständen sogar auf die damalige Situation beschränkte98, nicht aber eine konstitutive Bedeutung hat. So 92 Siehe oben S. 311 f. Eine so deutliche Abgrenzung, w i e sie v o n G. Ebeling, Wort und Glaube, S. 314, vorgenommen wird, ist, w o r a u f audi Ebeling selbst hinweist, keineswegs charakteristisdi (ebda. S. 317 f ) . Man kann sich auch fragen, w i e w e i t sie v o n Ebeling selbst faktisch durchgeführt wird. 93 G. Ebeling, W o r t u n d Glaube, S. 314. D a s M o m e n t der Personhaftigkeit des Auferstehungsereignisses w i r d hier offenbar mit d e m Begriff „Berufungscharakter" angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt. I m Grunde bleibt die Auferstehung eine persönliche Erfahrung, die in ihrer Bedeutung auf die Jünger beschränkt bleibt. Ähnlich auch E. Fuchs, Zur Frage nach dem historischen Jesus, S. 164. Vgl. hierzu auch die Äußerung v o n M. Reischle (s. o. S. 2 9 3 z u A n m . 139). 94 E. Fuchs, Zur Frage nadi dem historischen Jesus, S. 164. 95 E. Fuchs, Glaube und Erfahrung, S. 466 u. ö. 96 Siehe oben A n m . 93.

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wird das Personsein in der irdischen Existenz zwar »rückwirkend' qualifiziert und in seiner Eigentümlichkeit durch ein außerhalb des subjektiven Erkennens liegendes Moment aufgedeckt. Aber es kann dabei nicht im Sinne eines handelnden Subjekts über den Tod hinaus verstanden werden. Was über die Person ausgesagt wird, ist durchweg Vergangenes, das auf irgendeine Weise Gegenwart werden muß. Ist dann aber die Interpretation etwas anderes als eine Rekonstruktion unter Berücksichtigung der veränderten Verstehensvoraussetzungen? Die Berechtigung der .neuen Frage nach dem historischen Jesus' scheint sich damit auf das zu beschränken, was sie negiert, nämlich die Aufhebung der geschichtlichen Personhaftigkeit Jesu Christi in ihrer Bedeutung für den Glauben bei R. Bultmann. In dem, was sie bejaht, nähert sie sich jedoch in verhängnisvoller Weise wieder dem historischen Positivismus der Ritschlschen Schule, wo die geschichtliche Person den Erkenntnisgrund und die Norm aller christologischen Aussagen bildet. Die permanente Dialektik zwischen einer positiven und einer negativen Funktion der historischen Jesusfrage wird deshalb nicht überwunden, weil neben den historischen und den hermeneutischen Gesichtspunkten nicht auch das christologische Personproblem in die Erwägungen einbezogen wird. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man bei den primär auf die Geschichtlichkeit des Werdens und Erkennens gerichteten Erwägungen auf die Aussagen über ein Sein verzichten kann. 3. Dogma und Bekenntnis Die Frage nach dem Sein ist die Frage nach der Konstante und der Kontinuität in der Veränderlichkeit des Werdens und Erkennens. Faktisch wird sie in der Geschichte der historischen Jesusfrage regelmäßig gestellt und auf verschiedene Weisen beantwortet. Es wird hingewiesen auf die Faktizität der geschichtlichen Existenz, auf das Wortgeschehen, auf den Glauben, auf die objektive Idee, auf die Anthropologie — um nur einige Beispiele zu nennen. Die unterschiedliche Beantwortung der Frage nach dem Sein schlägt sich auch in den verschiedenen christologischen Ansätzen ,von unten' oder ,von oben' sowie in der unterschiedlichen Bestimmung des ,Urdatums' der Christologie nieder. Die Frage nach dem Sein ist die Frage nach dem Grund und der Norm christlicher Verkündigung, christlichen Glaubens, christlicher Existenz. In der eigenartigen Dialektik der historischen Jesusfrage sind zwei eindeutige, wenn auch negative Antworten auf diese Frage festzustellen: Dieses Sein kann nicht auf die Zufälligkeit einer geschichtlichen Individualität beschränkt bleiben; es kann aber auch nicht in die Ungeschichtlichkeit einer Idee, eines Selbstverständnisses oder eines transsubjektiven Geschehens aufgelöst werden. Es gleibt jedoch die Frage, ob dieses Sein 347

als Person, d . h . als Selbstsein und Sein für andere, aufgefaßt werden kann. Dies ist die permanente Aporie, die bereits in den neutestamentlichen Texten und der in ihnen erkennbaren Tradition vorgegeben ist. Die konstitutive und bleibende Bedeutung der Person Jesu Christi wird darin durch die Verkündigung der Identität des Irdischen mit dem Auferstandenen, durch das Bekenntnis der Gottessohnschaft und Gottheit, durch die Gehorsamsbindung in Nachfolge und Wortverkündigung, durch die Gemeinschaft mit dem Herrn und untereinander in Taufe und Abendmahl sowie in dem Harren auf die verheißene Gegenwart und die Wiederkunft zum Ausdruck gebracht. Der Verzicht auf das Personsein Jesu Christi wie auch die Reduktion des Personbegriffs auf die irdische Existenz führen unvermeidlich zu einer Ideologisierung und Mythisierung. In den neutestamentlichen Schriften und damit auch in der Abgrenzung des neutestamentlichen Kanons, die zeitlich noch mit den ersten grundlegenden Entscheidungen zur altkirchlichen Christologie und Trinitätslehre zusammenfällt, ist man sich offenbar dieser Problematik bewußt gewesen. Denn die Kriterien bei der Kanonbildung lagen nicht allein in den historisch z. T. problematischen Vermutungen über Alter und Verfasserschaft, sondern, wenn man die ausgeschiedenen und umstrittenen Quellen betrachtet, auch in sachlich-inhaltlichen Erwägungen. Befreit man sich von dem dogmengeschichtlichen Vorurteil der Ritschlschen Schule gegen die ,Metaphysik' des altkirchlichen Dogmas, so gewinnt man vielleicht auch wieder einen Blick für die erstaunliche Konsequenz, mit der die alte Kirche nicht nur mit den denkerischen Voraussetzungen ihrer Zeit, sondern doch auch gegen sie — man denke nur an den Gottesbegriff — die Paradoxie der Einheit von Gott und Mensdi in einer Person festgehalten hat 97 . Die historische, hermeneutische und dogmatische Arbeit an der historischen Jesusfrage hat das unbestreitbare Verdienst, daß sie in allen ihren Irrungen und Wirrungen die Notwendigkeit einer stets neuen Frage nach Grund und Inhalt des Glaubens betont und damit die christologische Problematik in der außerordentlichen Vielschichtigkeit ihrer Bezüge aufgedeckt und wachgehalten hat. Sie hat das Verständnis für die Mannig97 In neueren dogmengeschichtlichen Untersuchungen zeichnet sidi allmählich eine Überwindung der liberalen Dogmengeschichte und ihrer Grundthesen ab. So etwa bei A . Gilg, Weg und Bedeutung der altkirchlichen Christologie (1936) Neudruck München 1955, G. Kretschmar, Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübingen 1956; in der Dogmatik sind besonders die Anregungen von E. Schlink zu erwähnen, zur Christologie vgl. bes. den Aufsatz „Die Christologie von Chalcedon im ökumenischen Gespräch" (in: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen, S. 80—87). Aus dem englischen Sprachbereich sind v o r allem die beiden Bücher von J. N. D. Kelly, Early Christian Creeds, London (1950) 1961 4 , und Early Christian Doctrines, London (1958) i960 2 , zu erwähnen.

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faltigkeit der Christusverkündigung geöffnet wie auch für die Notwendigkeit einer ständigen Neubesinnung. Sie hat aber auch gezeigt, welche verhängnisvollen Konsequenzen sich dort ergeben, wo schon im Ansatz die Einheit der Person Jesu Christi, des Irdischen und Auferstandenen, des ,vere homo' und ,vere deus' verfehlt wird. Hier liegt der Punkt, auf den sich die christologische Problematik der historischen Jesusfrage nicht in dem einzelnen Standpunkt und der wechselnden Motivation, sondern in ihrer Gesamtheit konzentriert. Als historisch und theologisch unsachgemäß haben sich in der Geschichte des Problems immer wieder die Auffassungen erwiesen, nach denen entweder das Personsein auf die geschichtlich-irdische Existenz reduziert oder aber umgekehrt in einen Entwicklungsprozeß subjektiver oder objektiver Reflexionen, Begegnungen, Entscheidungen oder Konkretionen aufgelöst wird. Die christologische Problematik erscheint so keineswegs innerhalb der Gegensätzlichkeit von ,Historischem' und .Dogmatischem' oder in der dogmatischen Auswertung historischer Ergebnisse. Vielmehr muß die christologische Problematik bereits im Ansatz der historischen wie auch der hermeneutischen Bemühungen berücksichtigt werden, denen die Einheit der Person immer schon vorgegeben ist. Wird unter dem historischen Aspekt die Christologie als eine Übertragung von Hoheitstiteln auf die Person des irdischen Jesus aufgefaßt, so führt dies unvermeidlich zu einer Ideologisierung und Entgeschichtlichung. Es ist dabei unerheblich, ob dieser Prozeß einen unmittelbaren Anhalt in der geschichtlichen Person, ihrem Selbst- oder Vollmachtsbewußtsein hat, oder ob er als eine situationsbedingte Konjektur angesichts des Todes oder der Enttäuschung messianischer Naherwartung beurteilt wird. Denn in diesen Prädikationen werden Aussagen gemacht, die mit der natürlichen geschichtlichen Existenz eines Menschen unvereinbar sind. Es gibt dann keine sinnvolle Antwort auf die Frage, weshalb man überhaupt noch an der Geschichtlichkeit Jesu festgehalten hat und nicht der frommen Legendenbildung ebenso wie der nicht minder frommen Reflexion freien Lauf ließ. Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten muß auch historisdi als die einhellige Antwort der neutestamentlichen Schriften auf die Frage nach dem Grund der christlichen Verkündigung im Sinne einer personalen Begegnung ernst genommen werden. Wird sie lediglich als die unerklärbare Ursache zur Erkenntnis dessen, was Jesus wirklich war und zur weiteren Verkündigung des Verkünders beurteilt, so ist damit schon der entscheidende Sinn der Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen verfehlt. Die Antwort auf das als solches freilich unerklärbare und einmalige Ostergeschehen besteht eben nicht allein in dem Glauben an Jesus und in der Übertragung von Messias- und Gottesprädikationen auf den 349

Irdischen. Sie ist vielmehr durch eine personale Relation gekennzeichnet als Begegnung, Gehorsam, Nachfolge, Sendung, Lobpreis und Dank. Bei einer Beschränkung der Betrachtungsweise auf eine ,Lehre' oder auf die religionsgeschichtlichen Allgemeinbegriffe und Traditionsprinzipien kommt offenbar dieses spezifische Element nicht zur Geltung, sofern es nicht überhaupt in den psychologischen und intellektuellen Bereich verlagert wird.

Entsprechendes gilt auch für den hermeneutisch-apologetisdien Aspekt der historischen Jesusfrage. Hier ist immer wieder versucht worden, die christologischen Aussagen als mögliche Erfahrung nachzuweisen, indem man entweder die Bedeutung eines geschichtlichen Individuums übersteigerte oder in der Erkenntnis der Unmöglichkeit dieses Weges auf jede geschichtliche Individualität verzichtete. Das Scheitern dieser Versuche ist bereits bei D. F. Strauß wie auch bei A. Schweitzer in aller Deutlichkeit zu erkennen und ja auch erkannt worden. In der gegenwärtigen Situation der ,neuen Frage nach dem historischen Jesus' dürfte die Auseinandersetzung zwischen W. Herrmann und M. Kahler neue Bedeutung gewinnen. Der Schluß von der offenbaren zur ewigen Gottheit, von dem Glaubensgrund zu den Glaubensgedanken ist — selbst wenn die Auferstehung und Verkündigung Jesu Christi gewissermaßen als Vehikel vorausgesetzt werden — deshalb unmöglich, weil er dort eine Kontinuität konstruiert, wo es nach dem historischen Befund und aller Erfahrung keine gibt, nämlich in dem Übergang von der irdischen Existenz zu einem neuen Leben nach dem Tod. Die Gefahr einer Entgeschichtlichung des Kerygmas kann schwerlich dadurch ausgeschaltet werden, daß man unter Verzicht auf die fundamentale Erkenntnis R. Bultmanns in seiner Kritik an dem historischen Positivismus nun wieder zu den problematischen Thesen von W. Herrmann zurückkehrt: Der ,historische Jesus' ist weder der Real- noch der Erkenntnisgrund des Glaubens und noch weniger im Sinne A. Ritschis dogmatische Norm der Christologie. In diesem Sinn führt kein analytischer Weg von dem historischen Jesus* zu dem Christus des Glaubens. Die Auferstehung als Enthüllung der Person des irdischen Jesus in ihrem göttlichen Wesen ist in ihrer Einmaligkeit unwiederholbar und nicht konjizierbar. Der Glaube an Jesus ist weder der Glaube nach dem Vorbild eines geschichtlichen Individuums noch Glaube an eine geschichtliche Person. Es ist nur scheinbar richtig, wenn gegen diese Thesen eingewandt wird, daß die Auferstehung in diesem Zusammenhang als ,Faktum' aufgefaßt wird, das mit dem Wesen des Glaubens unvereinbar ist. Es ist sicher zutreffend, wenn z. B. R. Bultmann betont, daß die Gottheit Jesu Christi nur im Vollzug des Bekenntnisses und des konkreten Ereignisses aussag350

bar ist 98 . Doch dieses Ereignis besteht — auch nach Bultmann — nicht darin, daß die Synthese zwischen dem Irdischen und dem Auferstandenen neu vollzogen wird, sondern es gründet sich darauf, daß sie außerhalb von mir vollzogen ist. Von einem „ewigen Kommen Gottes zu den Menschen99" kann gerade nicht die Rede sein. Als Faktum läßt sich die Auferstehung Jesu Christi nicht auflösen. Sie läßt sich auch nicht rekonstruieren oder durch andere Elemente ersetzen. Der Versuch einer rein begrifflichen Interpretation mißrät, wie er auch apologetisch kaum überzeugt oder aber zum Verlust des Wesentlichen führt. Es ist eine vielleicht viel zu wenig beachtete Eigentümlichkeit der neutestamentlichen Christusverkündigung, daß die Reflexion stets und zugleich Existenzvollzug ist in Anrede und Antwort, in Empfangen und Geben, in Hören und Reden. Das Herrsein und die Gottheit Jesu Christi wird dort deutlich, wo er als Herr und Gott bekannt wird und sich darin als der Irdische und Auferstandene in seiner personhaften Wirklichkeit erweist und zu erkennen gibt. Die Gemeinde lebt von dem, was nicht von ihr, aber für sie ist. Das ,extra nos' liegt nicht in einem vergangenen Ereignis, das es zu vergegenwärtigen gilt, sondern in einer Person, die gegenwärtig ist und als Selbstsein wie auch als Sein für andere das ,pro me' einschließt100. In der Gesamtheit ihrer wechselnden Positionen und unterschiedlichen Motive hat die historische Jesusfrage diesen Sachverhalt — nicht selten aus dem Gegensatz heraus — mit bemerkenswerter Klarheit getroffen. Die für sie charakteristische Dialektik ist im Grunde eine ständige Selbstkorrektur, soweit sie nicht als Selbstzweck aufgefaßt wird. Wir haben in diesen Untersuchungen im wesentlichen versucht, ihre Ergebnisse aus ihren Aporien zu formulieren. Ihr Grundfehler liegt jedoch offensichtlich genau dort, wo sie durchaus zu Recht die dogmatische Christologie kritisierte, nämlich in dem Bemühen, das christologische Personproblem rein theoretisch zu lösen. Die Antagonismen der historischen Jesusfrage entsprechen zwar nicht der Paradoxie von Gott und Mensch, die in der Einheit der Person Jesu Christi vermittelt wird. Denn der kerygmatische Christus ist immer der Irdische und der Erhöhte. Aber sachlich, dies glaubten wir zeigen zu 98 R. Bultmann, Das christologische Bekenntnis des ökumenischen Rates (in: Glauben und Verstehen II, S. 246—261). Richtiger scheint mir dieses Problem der Gottheit Christi im Neuen Testament von V. Taylor, Does the N e w Testament Call Jesus God? (in: The Expository Times, 73 [1962] 116—118) dargestellt zu sein. Allerdings handelt es sidi bei beiden Beiträgen wohl nur um eine vorläufige Behandlung dieser Frage. 89 W. Herrmann, s. o. S. 277. 1 0 0 Vgl. hierzu den Aufsatz von W. Kreck, Christus extra nos und pro nobis (in: T h L Z 90 [1965] 641—650). Unter exegetischem Gesichtspunkt scheint mir der hier behandelte Problemkreis ganz ausgezeichnet von E. Käsemann (Exegetische Versuche und Besinnungen, II, S. 64) getroffen zu sein.

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können, geht es hier bereits im Ansatz um das christologische Personproblem und damit auch um die Christusfrage. Wenn dies gesehen wird, kann eigentlich kein Streit mehr darum sein, ob die Christologie nun ,von oben' oder ,von unten' anzusetzen habe oder um die Frage, wo nun das ,Urdatum' der Christologie zu suchen sei. Die verschiedenen Standpunkte haben ihr Recht nicht in den zeitbedingten Verstehensvoraussetzungen, sondern insofern sie jeweils der Verabsolutierung eines anderen Standpunktes wehren. Die einzig mögliche Antwort ist der Hinweis auf den „Ratschluß Gottes als den Ursprung der Christologie" 101 . Was christologisdi zu entfalten ist, hat seinen Grund in der personalen Einheit des Irdischen und des Erhöhten. Sie ist nicht ein .dogmatisches Axiom', sondern als geschichtliches Ereignis vorgegeben. Daß es in der historischen Jesusfrage gelungen sei, daß altkirchliche Dogma durch ein ,neues Dogma' zu ersetzen, kann schwerlich behauptet werden. Aber sicher ist es gelungen, die Frage nach der Sachgemäßheit, d. h. nach der Schriftgemäßheit der Christologie in aller notwendigen Radikalität neu aufzuwerfen.

101 E. Jüngel, Paulus und Jesus, S. 283. Allerdings ist von Jüngel in seinen übrigen Ergebnissen das Personsein Jesu Christi audi in das Verkündigungsgeschehen aufgelöst worden. In der Bestimmung des .Urdatums' hingegen sdieint doch eine Korrektur etwa gegenüber den Thesen von E. Fuchs vorzuliegen.

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Literaturverzeichnis Das Verzeichnis enthält die Titel der exegetischen und dogmatischen Beiträge zur historischen Jesusfrage, die für die Untersuchung herangezogen wurden. Nicht aufgeführt werden: 1. die üblichen Nachschlagewerke, 2. die einschlägigen dogmen- und theologiegeschichtlichen Gesamtdarstellungen, 3. die nicht zum engeren Thema gehörende Sekundärliteratur, z. B. Untersuchungen zur Theologie einzelner Theologen oder zu Randfragen. Für die letzte Gruppe wurden die benützten Arbeiten jeweils an den entsprechenden Stellen in Anmerkungen gesammelt. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken werden nicht einzeln aufgeführt. Abkürzungen nach RGG®.

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Namensregister Althaus, P. 17, 19, 102, 169, 310, 311, 312. Anderson, H. 102, 116, 259. Andresen, C. 191. Aner, K. 34,38.

310 ff, 317, 320 f, 324, 331, 338 f, 345, 350 f. Bunsen, Chr. K. J. v. 35. Buri, F. 312. Buttler, G. 102.

Badehaus, G. 47, 53. Bahrdt, K. F. 34, 41, 79, 216. Baillie, D. M. 16,310. Baldensperger, W. 29, 51, 95 ff, 112, 115, 153. Barth, G. 75. Barth, K. 38, 39, 48, 129, 181, 197 f, 204, 230, 312, 324. Bartsch, H.-W. 19, 72, 102, 167. Bauer, B. 68 f, 80, 86, 91, 99 f, 135, 210, 283, 338. Baur, F. Chr. 184 ff. Beck, J. T. 284. Beckmann, K.-M. 217. Bek, H. R. 193. Bender, W. 197. Bensow, O. 193. Berndt, B. 237. Beyschlag, W. 70, 81 ff, 85, 86, 90, 120, 124, 261, 281, 287, 294. Biedermann, A. E. 182, 185, 188, 227 ff, 233, 256, 297. Biehl, P. 132. Blank, J. 111. Bleek, H. 197. Bodenstein, W. 104. Bohatec, J. 40, 41. Bornkamm, G. 72, 75, 80, 111, 114, 116 f, 146, 155, 172, 178, 181, 334. Bousset, W. 28, 74, 105. Braun, H. 108, 113 ff, 146, 148, 155, 173, 178. Bretschneider, K. G. 199. Brunner, E. 16, 19, 312. Bultmann, R. 15 f, 70 ff, 92, 98, 102—117, 121, 123, 129, 135, 144 ff, 154 f, 168 ff, 173 ff, 178, 281, 306, 308,

Campenhausen, H. v. 166, 167, 327. Collingwood, R. G. 104. Conzelmann, H. 75, 102, 111, 113 f, 121, 146, 149, 150, 171. Cullmann, O. 111, 312, 336. Dahl, N. A. 77, 102, 111. Dalman, G. 97, 101. Dell, A. 278. Delling, G. 332. Dibelius, M. 72 ff, 111, 172. Diem, H. 17, 19, 39, 105, 121, 146 f, 155, 161. Dilthey, W. 104. Dörrie, H. 191. Donagan, A. 104. Dorner, I. A. 48, 182 ff, 188, 215, 225—236, 248, 254 f, 257, 297, 307. Drews, A. 32, 69, 80, 91, 135, 261, 338. Droysen, J. G. 82, 233. Dunkmann, K. 19, 91, 156. Ebeling, G. 37, 103 ff, 111, 113, 120, 122, 130 f, 140, 147, 149, 150, 156, 161, 180, 308, 310 f, 316, 318, 325, 339, 345 f. Ebeling, H. J. 110. Eichhorn, J. G. 66. Eiert, W. 17, 38, 79, 300, 310 f. Eltester, F. W. 84. Erdin, F. 191. Ewald, H. 70, 81. Fascher, E. 76 f. Faut, S. 21, 183, 189. Feine, P. 90. Fidite, J. G. 43. Fischer-Appelt, P. 260.

363

Flückiger, F. 204. Frank, F. H. R. 193 f, 224, 247. Froevig, D. A. 102. Fuchs, E. 19, 111 ff, 121, 149, 156, 171, 180 f, 237, 259, 262, 318, 325, 330, 346, 352. Fülling, E. 104. Füller, R. H. 110. Gadamer, H. G. 205. Geiger, W. 122, 184. Gerdes, H. 20, 59, 144, 197 ff, 255, 259, 272, 282. Gerhardson, B. 77. Gieseler, J. C. L. 65. Gilg, A. 348. Gogarten, F. 104, 129, 259, 310. Goguel, M. 168. Gollwitzer, H. 19. Goodi, G. 82. Goppelt, L. 76,116. Grass, H. 166, 168 ff, 183, 259, 267. Greiffenhagen, G. 197. Greshake, G. 144. Grützmacher, G. 91. Günther, E. 20, 21, 47 f, 183, 189, 228, 238, 253, 259. Haering, Th. 252 f, 264, 284, 290. Hahn, F. 111, 130, 327, 332, 336, 340 f. Harnack, A. v. 159, 240. Hartlich, Chr. 34, 52 f. Hartmann, E. v. 91. Harvey, V. A. 305. Hase, K. v. 20, 26 f, 35, 45 f, 83, 120, 167, 296. Haufe, G. 114. Hegel, G. W. F. 20, 27, 38, 41, 43, 53 f, 56 ff, 82, 182, 184 f, 300. Heidegger, M. 325. Hein, A. 47 f. Heitmüller, W. 94, 132, 177 f. Held, H. J. 75. Hengstenberg, E. W. 190. Herder, J. G. 37, 65 f, 69, 70. Hermann, R. 19, 38. Herrmann, W. 20, 28, 43, 84, 105 f, 223, 244, 259—302, 307, 310, 314, 323, 329, 344 f, 350 f. Hess, J. J. 34, 36. Hirsch, E. 47, 55, 65, 80, 168, 169. 364

Hök, G. 236, 244. Holtzmann, H. J. 93, 100, 127. Hornig, G. 34. Huber, M. 48, 183. Iber, G. 72, 73, 77. Iwand, H.-J. 128 f, 183, 188. Jaspers, K. 104, 139. Jensen, Chr. 91. Jeremias, J. 91, 102, 116, 126. Joest, W. 91. Jülicher, A. 91, 127. Jüngel, E. 325, 342, 352. Jursch, H. 79. Kähler, M. 16, 19 f, 27 f, 73 f, 84 f, 108, 131, 138 f, 141 f, 153 f, 162, 168 ff, 173, 224, 226, 259—302, 312, 314, 322, 324, 350. Käsemann, E. 87, 111, 117, 126, 133, 146, 148 f, 155, 165 f, 172, 174, 178 f, 316, 321, 328 f, 351. Kaftan, J. 173, 252 f, 264. Kalthoff, A. 91. Kant, I. 38, 40—43, 44, 55, 59 f, 96, 133, 151, 209, 212, 221. Kantzenbadi, F. W. 185. Keim, Th. 70, 81 f, 86, 94, 152. Kelly, J . N . D . 348. Kierkegaard, S. 39. Klaas, W. 117,245. Klausner, J. 136. Knigge, H.-D. 102. Koch, G. 166. Köhler, L. 76. Kramer, W. 111. Kraus, H. J. 108. Kreck, W. 19, 131 f, 180, 351. Kretschmar, G. 348. Kümmel, W. G. 65, 102, 115 f. Künneth, W. 19, 35, 166, 167, 169 f, 180, 317 ff. Lachmann, C. 70. Lange, J. P. 228. Larsson, E. 84. Leipold, H. 268 f, 282, 287 ff. Leipoldt, J. 79, 116. Lessing, G. E. 38—40, 43, 44, 60, 66 ff, 87, 133, 139 f, 151,209, 307. Liebner, K. Th. 228.

Lindeskog, G. 136. Lindström, V. 128. Lipsius, R. A. 86. Löwith, K. 104, 139. Lohmeyer, E. 318. Lohse, E. 102. Loofs, F. 193. Lotze, H . 86, 89, 244. Luther, M. 265,309. Mahlmann, Th. 266. Manson, T. W. 77,80,111. Marheineke, Ph. K. 182, 215, 228. Marxsen, W. 75, 114, 146, 148, 167 f, 171, 317, 321. Matthias, W. 147, 160. Midiel, O. 302. Müller, J. 81. Mundle, W. 73, 105. Neander, A. 70, 81, 85, 124. Ninck, J. 102. Nippold, F. 27, 306. Norden, E. 74. Nygren, A. 128, 160. Ogden, S. M. 305. Ott, H . 84, 104, 292. Otto, R. 102. Otto, S. 85. Pannenberg, W. 17, 163, 180, 310 ff, 318 ff, 324, 326, 344. Paulus, H . E. G. 35, 167, 202. Paulus, R. 259. Peters, A. 183. Petran, H . 268. Pfleiderer, O. 182. Philippi, F. A. 190. Piper, O. A. 25. Ranke, L. v. 82. Reimarus, H . S. 29, 35 f, 41, 122, 133, 151, 168. Reinhard, F. V. 34, 65, 216. Reischle, M. 18, 244, 259, 263 ff, 281, 284, 290, 293, 346. Reiß, A. 102. Renan, E. 79. Rengstorf, K. H . 76, 155, 166 f, 169 f. Ridcert, H . 19. Riesenfeld, H . 77 f, 116.

Ritsdil, A. 18, 21, 43, 84 ff, 94, 96, 181, 182 f, 185 ff, 215, 224 f, 229, 236—252, 252 ff, 257, 260, 263 ff, 269, 275 f, 293 ff, 306 f, 309 f, 314, 323 f, 337, 344, 350. Ritsehl, O. 224, 236, 238, 240 ff, 248 f, 263, 265, 281, 290. Robinson, J. M. 91, 102, 117, 178, 259, 261 f, 305, 308. Rothe, R. 228. Sachs, W. 34, 52 f. Sauter, G. 19. Schaeder, E. 291. Schelling, F. W. J. 43, 300. Schenkel, D. 20, 83, 85, 88, 123 f, 195, 284. Schille, G. 75. Schleiermacher, F. D. 17, 20, 35, 37, 38, 41, 43, 44 f, 46, 59 f, 69, 84, 94, 167, 182 f, 188, 190, 193 ff, 197—223, 224, 226 ff, 233, 246 f, 249, 252 ff, 257 f, 265, 269, 274, 296 ff, 307 f, 323, 343. Sdilink, E. 163, 341, 348. Sdiloßmann, S. 191. Schmidt, F. W. 19, 91, 259, 293. Schmidt, K. L. 72 ff, 108 f, 154 f, 281. Schmiedel, O. 25, 90, 261. Sdimithals, W. 144. Schneider, J. 78, 91. Schniewind, J. 72 ff, 77, 98, 108 f, 145, 154 f, 281, 285. Schultz, H . 139, 182, 225—236, 252 ff, 257 f, 263, 301. Schultz, W. 43. Schulze, M. 259. Schumann, F. K. 85. Schweitzer, A. 16, 18, 20, 21, 25, 33 ff, 46 f, 50 f, 55, 62 f, 66, 81 f, 86, 95 ff, 112, 119, 123, 125, 150, 152 f, 159, 161, 178, 199, 218, 221, 305 f, 324, 342, 350. Schweizer, A. 48, 188, 194 f, 227 ff, 232, 248, 256, 259, 297. Schweizer, E. 111, 114. Seifert, P. 197 f, 204, 206. Seiler, Chr. 268. Semler, J. S. 34,41. Sevenster, G. 111, 336. Sjöberg, E. 100, 110. Soden, H . v. 91. Stauffer, E. 91, 126, 156. Steiger, L. 121.

365

Stephan, G. 102. Stephan, H . 197. Strauß, D. F. 18, 20, 21, 27 ff, 46—61, 62 ff, 91, 95, 99, 120, 122 f, 125, 133, 135, 139 f, 151, 168 f, 182 ff, 188, 190, 194, 198, 202, 209, 212, 221, 226, 233, 246 f, 283, 307 f, 312, 314, 324, 350. Strecker, G. 75, 100,110. Taylor, V. 111,116,336,351. Ternus, J. 92, 315. Thielicke, H . 38, 39. Tholuck, A. 27, 70, 81, 260. Thomasius, G. 184 f, 193 f. Tillich, P. 245. Tödt, H . E. 111, 114 f, 147, 158, 172, 340. Traub, F. 259. Treitschke, H . v. 82. Trillhaas, W. 326. Troeltsch, E. 28, 44, 62, 104, 139, 142 f, 148, 153, 160, 233, 269. Ulimann, C.

27, 81, 82.

Venturini, K. H . G. 79. Vielhauer, Ph. 114, 391. Visdier, E. 91. Vogel, H . 40, 312.

366

Wach, J. 82. Weber, O. 17, 312. Weinel, H . 25, 79, 91. Weiß, B. 70, 81 f, 85 ff, 120, 124, 199, 261. Weiß, J. 29 f, 87, 91, 95 ff, 101, 105, 112, 114, 153, 170 f, 237, 322, 345. Weiß, K. 116. Weiße, Chr. H . 20, 67 f, 69, 70 f, 86 ff, 124. Weizsäcker, K. H . v. 83. Wellhausen, J. 65, 93, 96. Werner, M. 19. Wernle, P. 65. Wildeens, U. 75, 114 f, 166, 179, 318. Wilke, Chr. G. 70. Windelband, W. 19. Windisch, H . 25. Wingren, G. 128. Wirsching, J. 268 f, 281 f, 287, 289. Wittram, R. 104, 139. Wobbermin, G. 19, 28, 138 f, 143 f, 153, 233. Wolf, E. 122, 310. Wrede, W. 29 ff, 72, 79, 93 f, 99 ff, 105, 110, 242, 261, 322, 345. Wrzecionko, P. 236, 244 f. Zahrnt, H .

102, 130.

THORLEIF BOMAN

Die Jesusüberlieferung im Lichte der neueren Volkskunde 1967. Etwa 240 Seiten, Ln. etwa 24,— DM. Nach übereinstimmender Auffassung wurde die Überlieferung von Jesus jahrelang mündlich weitergegeben, ehe sie in unseren Evangelien aufgezeichnet wurde. Die Formgesdiichte hat diesen Überlieferungsprozeß analysiert. Merkwürdigerweise wurden die Erkenntnisse der Volkskunde auf diesem Gebiete aber nicht berücksichtigt. Mit Hilfe der Volkskunde unterscheidet Boman zwischen der Überlieferung der evangelischen Erzähler und der kerygmatischen Überlieferung der Verkünder und weist nach, daß die synoptischen Quellen (Markus, die Logienquelle und die Sonderquellen des Lukas und Matthäus) mündliche Überlieferungen waren, die in charakteristisch verschiedenen Milieus erzählt wurden und bereits nach Jesu Tod ihre fest geprägte Form fanden. Sie können durch eine folkloristische Analyse der Quellen und durch Andeutungen in der Apostelgeschichte und den Briefen bestimmt werden. Die Evangelien-Überlieferung erweist sich hiernach als viel zuverlässiger, als man auf Grund der bisherigen Forschungsmethode glauben durfte.

AUGUST STROBEL

Kerygma und Apokalyptik Ein religionsgeschichtlicher und theologischer Beitrag zur Christusfrage 1967. 206 Seiten, kart. 19,80 DM Diese Arbeit formuliert eine exegetische Erkenntnis und ein exegetisches Programm: Kerygma und Apokalyptik, Glaube und Geschehen. Die Arbeit beschäftigt sich mit einem vielfach verkannten Fragenkomplex der neutestamentlichen Forschung, nämlich der Apokalyptik, und ihrer unmittelbaren Bedeutung für Jesus und seine Verkündigung. Das Buch wendet sich ausdrücklich an Studierende, weil es unter anderem einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der gegenwärtigen Diskussion um dieses Thema bietet.

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