George Campbells Philosophie der Rhetorik: Zur Grundlegung rhetorischer Wirkungskraft in der >evidentia< [Reprint 2014 ed.] 9783110958362, 9783484680128

This study of Campbell's "Philosophy of Rhetoric" (published 1776) is a historical and text-immanent inte

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German Pages 169 [172] Year 1998

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Table of contents :
Vorwort
1. Die Studie und ihr Forschungsgegenstand
1.1. Ziel und Aufbau der Studie
1.2. Zum Forschungsstand
2. Geistes- und textgeschichtlicher Hintergrund
2.1. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Philosophy of Rhetoric
2.2. Zur Entstehung und zum systematischen Aufbau der Philosophy of Rhetoric
3. Campbells Rhetorikverständnis
3.1. Die Definition der Rhetorik
3.2. Die genera causarum
3.2.1. Ein inhaltlicher Vergleich zwischen den genera Campbells und der rhetorischen Tradition
3.2.2. Ein systematischer Vergleich zwischen den genera Campbells und der rhetorischen Tradition
3.2.3. Bacons Bestimmung von Rhetorik und Tradition
3.3. Rhetorik als politische Wissenschaft
3.4. Der epistemologische Status der Rhetorik und einer ‘Philosophie’ der Rhetorik
3.4.1. Campbell und Aristoteles über eine vierstufige Theorie des Wissens
3.5. Zur Methodik und zum methodischen Anspruch der Philosophy of Rhetoric
4. Das Primat der Sinnlichkeit für den Logos
4.1. Rhetorik und Logik
4.2. Aristoteles’ Theorie des rhetorisch-logischen Beweises
4.3. Campbells Theorie des logischen Beweises
4.3.1. Evidenz
4.3.2. Vorskizze der Theorie des Verstandes: Mentale Gehalte, Assoziationen, Vivacity
4.3.3. Campbells natürliche Logik
4.4. Campbells rhetorische Logik - ein Vergleich mit Aristoteles
4.5. Konklusion
5. Das Primat der Sinnlichkeit für Pathos und Ethos
5.1. Die pathetische Beeinflussung des Zuhörers
5.1.1. Die Beeinflussung des Verstandes
5.1.2. Die Beeinflussung der Erinnerung
5.1.3. Die Beeinflussung der Einbildungskraft
5.1.4. Die Beeinflussung der Affekte
5.1.5. Konklusion
5.2. Die ethische Beeinflussung
5.3. Der praktische Syllogismus
5.4. Leidenschaft und Moral - die gute Rhetorik
5.5. Konklusion
6. Das Primat der Sinnlichkeit im Redeschmuck
6.1. Puritas und Perspicuitas
6.2. Der strukturelle Aufbau der Elocutio: Campbell, Quintilian und Aristoteles
6.3. Lebendigkeit im Redeschmuck
6.3.1. Lebendigkeit in der Wahl der Worte
6.3.2. Lebendigkeit und die Anzahl der Worte
6.3.3. Lebendigkeit und die Anordnung der Worte
Zusammenfassendes Schlußwort
Literatur
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George Campbells Philosophie der Rhetorik: Zur Grundlegung rhetorischer Wirkungskraft in der >evidentia< [Reprint 2014 ed.]
 9783110958362, 9783484680128

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RHETORIK-FORSCHUNGEN Herausgegeben von Joachim Dyck, Walter Jens und Gert Ueding Band 12

Uwe Stieglitz

George Campbells Philosophie der Rhetorik Zur Grundlegung rhetorischer Wirkungskraft in der evidentia

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998

Für Katerina und Laura-Marie, die immer wieder auf meine Gegenwart verzichtet und mir in schwierigen Phasen, jede auf ihre Art, Mut gegeben haben.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stieglitz, Uwe: George Campbells Philosophie der Rhetorik : zur Grundlegung rhetorischer Wirkungskraft in der evidentia / Uwe Stieglitz. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Rhetorik-Forschungen; Bd. 12) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-484-68012-1

ISSN 0939-6462

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1. Die Studie und ihr Forschungsgegenstand 1.1. Ziel und Aufbau der Studie 1.2. Zum Forschungsstand

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2. Geistes- und textgeschichtlicher Hintergrund 2.1. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Philosophy of Rhetoric 2.2. Zur Entstehung und zum systematischen Aufbau der Philosophy of Rhetoric

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3. Campbells Rhetorikverständnis 3.1. Die Definition der Rhetorik 3.2. Die genera causarum 3.2.1. Ein inhaltlicher Vergleich zwischen den genera Campbells und der rhetorischen Tradition 3.2.2. Ein systematischer Vergleich zwischen den genera Campbells und der rhetorischen Tradition 3.2.3. Bacons Bestimmung von Rhetorik und Tradition 3.3. Rhetorik als politische Wissenschaft 3.4. Der epistemologische Status der Rhetorik und einer 'Philosophie' der Rhetorik 3.4.1. Campbell und Aristoteles über eine vierstufige Theorie des Wissens 3.5. Zur Methodik und zum methodischen Anspruch der Philosophy of Rhetoric

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4. Das Primat der Sinnlichkeit für den Logos 4.1. Rhetorik und Logik 4.2. Aristoteles' Theorie des rhetorisch-logischen Beweises 4.3. Campbells Theorie des logischen Beweises 4.3.1. Evidenz 4.3.2. Vorskizze der Theorie des Verstandes: Mentale Gehalte, Assoziationen, Vivacity 4.3.3. Campbells natürliche Logik 4.4. Campbeils rhetorische Logik - ein Vergleich mit Aristoteles 4.5. Konklusion

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5. Das Primat der Sinnlichkeit für Pathos und Ethos 5.1. Die pathetische Beeinflussung des Zuhörers 5.1.1. Die Beeinflussung des Verstandes 5.1.2. Die Beeinflussung der Erinnerung 5.1.3. Die Beeinflussung der Einbildungskraft 5.1.4. Die Beeinflussung der Affekte 5.1.5. Konklusion 5.2. Die ethische Beeinflussung 5.3. Der praktische Syllogismus 5.4. Leidenschaft und Moral - die gute Rhetorik 5.5. Konklusion

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6. Das Primat der Sinnlichkeit im Redeschmuck 6.1. Puritas und Perspicuitas 6.2. Der strukturelle Aufbau der Elocutio: Campbell, Quintilian und Aristoteles 6.3. Lebendigkeit im Redeschmuck 6.3.1. Lebendigkeit in der Wahl der Worte 6.3.2. Lebendigkeit und die Anzahl der Worte 6.3.3. Lebendigkeit und die Anordnung der Worte

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Zusammenfassendes Schlußwort

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Literatur

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Vorwort

Die vorliegende Studie über George Campbells 1776 erschienene Philosophie der Rhetorik verfolgt ein textimmanentes und historisches Interesse. Ziel ist, den Text selber hermeneutisch zu erschließen und seinen tragenden Grundgedanken herauszuarbeiten. Dieser Grundgedanke wird in Auseinandersetzung mit klassischen rhetorischen Positionen und vor dem Hintergrund zeitgenössischer philosophischer Überlegungen geschärft und auf diese Weise zugleich das Verhältnis des Textes zu den genannten Bereichen angemessen zu bestimmen versucht. Dieses kurze Vorwort soll nun darüberhinaus Gelegenheit geben, zwei Betrachtungsperspektiven auf die Philosophy of Rhetoric vorzuschlagen, die über das unmittelbar textimmanente und historische Interesse der Studie hinausgehen, und versuchen, in diesem Text relevante Beiträge zu modernen Diskussionszusammenhängen zu sehen. So bietet sich zum einen die Fragestellung an, inwieweit eine Beziehung besteht zwischen der vorliegenden ersten und ausgeprägtesten Rhetorik empiristischer Prägung und den erst in diesem Jahrhundert im Rahmen der amerikanischen New Rhetoric aufgekommenen Bemühungen, rhetorische Wirksamkeit empirisch zu prüfen (Hovland, Rosenberg). Die Verbindung beider Forschungsrichtungen würde meines Erachtens über Richards laufen, der wie keiner vor ihm die Rhetorik der Möglichkeit empirischer Überprüfbarkeit geöffnet hat (Conley, 1990). Diese Möglichkeit liegt im wesentlichen in seinem Bedeutungsbegriff begründet, wie er ihn schon in The meaning ofmeaning (1923) erläutert. Demnach besteht die Bedeutung eines Wortes in den akkumulierten Assoziationen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens mit diesem Wort verbunden hat. Getragen wird dieser Bedeutungsbegriff von einem erkenntnispsychologischen Konzept, das dem Menschen die Welt in Bewußtseinsimmanenz gegeben und durch Sinneserfahrung vermittelt sieht. Es fällt nun ins Auge, daß Campbells Theorie nicht nur von der gleichen erkenntnispsychologischen Grundvorstellung getragen wird, sondern daß auch Richards Bedeutungsbegriff und Campbells Erfahrungsbegriff ähnlich konstruiert sind. Selbstverständlich wird hier nicht einer Theorieadaption das Wort geredet, dazu sind Campbells epistemologische Vorstellungen im Rahmen des Englischen Empirismus zu ubiquitär. Jedoch weiß man um Richards Affinität zu Campbell, weiß, daß, wenn er überhaupt einmal seinen Rhetorikbegriff erläutert, er auf Campbells totalisierende Rhetorikdefinition verweist und über denselben sagt, daß dieser schon alles über Rhetorik gelehrt habe, was man heute zu wissen bräuchte. Behält man diese Perspektive im Auge, dann kann man meines Erachtens sagen, daß Campbells empiristische Rhetorik ein Wegweiser auf der Straße war, die letztendlich zu den Versuchen empirischer Überprüfung der ars rhetoricae führte. Wenn man, und damit möchte ich zum zweiten Punkt übergehen, Campbell in die moderne Perspektive einer Annäherung von Rhetorik und Anthropologie rückt, indem man sagt, daß seine Rhetorikphilosophie eine Interpretation rhetorischer Kategorien vor dem Hintergrund

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der Humeschen Anthropologie sei (Oesterreich, 1990), dann hat man nicht unrecht, aber an einem noch treffenderen Punkt vorbeigesehen. Was Campbell vorwegnimmt, wenn auch nur programmatisch, ist das noch aktuellere Vorhaben einer existenzialen, und d.h. anthropologischen Dekonstruktion der traditionellen rhetorischen Kategorien, wie es Heidegger in Sein und Zeit vorgeführt hat. Damit beziehe ich mich auf Campbells Vorschlag, der Anthropologie, oder, wie man es damals nannte, der Wissenschaft des menschlichen Verstandes, dadurch voranzuhelfen, daß man auf die in der jahrtausende alten Theorie der Rhetorik 'geronnene' Erfahrung im Umgang mit dem Menschen zurückgreife. Dazu eigne sich vor allem die Kunst der Rhetorik, denn zum einen stehe sie aufgrund ihres totalen Kommunikationsanspruchs mit allen Vermögen des Menschen in substantieller Verbindung, und zum anderen habe sie diese instrumentelle Beziehung ausgehend von natürlicher Begabung über praktische Erfahrung, deren Reflektion und systematisch-instrumenteller Durchdringung entfaltet und bewußt gemacht. Heideggers Versuch einer existenzialen Interpretation der aristoteleschen Pathoslehre zur Aufdeckung des Existentials der Befindlichkeit stellt somit eine partielle Verwirklichung des campbellschen Programms einer umfassenden rhetorischen Fundierung der Anthropologie dar. Hier wäre es ohne Frage lohnend, Campbells Anspruch zu folgen und weitere Bereiche anthropologischer Theorie im Rückgriff auf rhetorisches Erbe erneut zu interpretieren.

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1. Die Studie und ihr Forschungsgegenstand

1.1. Ziel und Aufbau der Studie George Campbells The Philosophy of Rhetoric ist von den Kommentatoren und Forschern in der Geschichte der Rhetorik häufig als wichtiges und einflußreiches Buch gepriesen worden.1 So erklärt Howell in Eighteenth Century British Logic and Rhetoric: "Campbell's Rhetoric must be called the leading British, and indeed the leading European, work on its subject to appear in the eighteenth century".2 Und Ehninger greift noch weiter aus: "George Campbell's The Philosophy of Rhetoric stands without challenge as one of the great classics in the field of oratorical theory. Original in conception, comprehensive in plan, provocative in development, it furnishes much of the understructure upon which rest our present-day theories of discourse".3 Campbell werden Verdienste zugeschrieben, wie die Klassifikation von Reden anhand intendierter Ziele, die Unterscheidung von Überredung und Uberzeugung, die Ansicht, daß Rhetorik die instrumenteile Ausrichtung von sprachlichen Mitteln auf Zwecke studiert.4 Dennoch ist der Autor der Philosophy of Rhetoric im deutschen Sprachraum ein weitgehend Unbekannter; weder liegt eine deutsche Übersetzung seines rhetorischen Hauptwerks vor, noch gibt es deutsche Forschungsliteratur zu ihm. Einer der wichtigsten Gründe für diese mangelnde Rezeption liegt wohl darin, daß Campbell philosophisch im englischen Empirismus, der Common Sense- und der Moral Sense-Philosophie zuhause ist und daher ungünstige Voraussetzungen für eine Aufnahme in einer Tradition mit sich bringt, die durch Idealismus, Phänomenologie und Hermeneutik geprägt war und ist. Diese Rezeptionswiderstände wiederum haben bewirkt, daß sich sein Einfluß vor allem auf den angelsächsischen Sprachraum beschränkt. Und schließlich sind viele Kommentare und Studien über Campbells Buch amerikanische Dissertationen, die dem deutschen Publikum nicht ohne Mühe zugänglich sind. Ziel der vorliegenden Studie ist es, einen Beitrag zur Geschichtsschreibung der Rhetorik zu leisten, indem George Campbells Philosophy of Rhetoric auf das ihr zugrundeliegende Konzept rhetorischer Überzeugungskraft hin interpretiert wird. Zu diesem Zweck soll zunächst im ersten Kapitel dieser Studie das Interpretationsziel und der Aufbau derselben darlegt, sowie ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema gegeben werden. Kapitel Zwei bemüht sich, das zum Verständnis der Philosophy of Rhetoric hilfreiche Vorwissen zu skizzieren, und zwar sowohl allgemein 1

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George Campbell, The Philosophy of Rhetoric, London 1776, 2 Bde. Im folgenden liegt die Ausgabe von 1963, Southern Illinois University Press, hg. und eingeleitet von Lloyd F. Bitzer zugrunde. Diese Ausgabe ist ein Faksimiledruck der Ausgabe von 1850 (London, William Tegg & Co.). Howell (1981), S. 602. Ehninger (1950), S. 270; vgl. weiterhin: Bevilacqua (1965), S. 1. Vgl. u.a. Ehninger (1950), S. 270. 1

geistesgeschichtlicher Art, als auch hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Textes. Hieran schließt sich zugleich auch eine Erläuterung zum systematischen Aufbau des Werkes und zum Problem seiner Vollständigkeit an. Im dritten Kapitel wird Campbells Rhetorikverständnis entfaltet. Mit der Definition der Rhetorik ist die Lehre über die genera rhetorices eng verbunden, welche inhaltlich und systematisch mit der rhetorischen Tradition verglichen werden. Das dritte Kapitel schließt mit kurzen Darlegungen zum politischen, epistemologischen und methodischen Vorhaben der Philosophy of Rhetoric. Die Kapitel Vier, Fünf und Sechs schließlich legen eine sorgfältige Analyse von Campbells Lehre über die Uberzeugungsmittel des Logos, Ethos und Pathos, sowie über den Redeschmuck vor. Der tragende Grundgedanke in Campbells rhetorischem Hauptwerk ist nicht leicht zu identifizieren. Das vom Autor selbst als 'Sammlung lose miteinander verbundener Essays' (PoR XLI) beschriebene Buch bespricht zwar in klassisch strukturierter Reihenfolge wesentliche Themen der rhetorischen Theorie, ohne allerdings dabei ein zugrundeliegendes Prinzip zentral zu formulieren. Aber es gibt ein solches Prinzip, und gerade in dessen Verwendung und impliziter Aufweisung scheint Campbells eigentliche Leistung und sein größter Beitrag zur Theorie der Rhetorik zu liegen. Da Campbell aber dieses Prinzip an keiner Stelle explizit formuliert, ist es nötig, dasselbe aus seinen Erörterungen 'herauszufiltern'. Um dabei dem Leser den größtmöglichen Uberblick zu ermöglichen, soll die Interpretationsthese zunächst vorgetragen und anschließend in sorgfältiger Interpretation der wichtigsten Überlegungen Campbells belegt werden. Die These der hier vorgetragenen Interpretation lautet, daß Campbell eine Begründung der Rhetorik aus dem Geist des Empirismus unternimmt. Daß der Autor der Philosophy of Rhetoric unter dem Einfluß der britischen Empiristen, d.h. Bacon, Hobbes, Locke, Hume etc. steht, ist offensichtlich und allgemeiner Konsens. Allerdings erweist es sich als nicht einfach, das diesen Philosophen gemeinsame Element zu formulieren. "Man kann den Empirismus durch die These charakterisieren, daß alle unsere Erkenntnis aus der Erfahrung abgeleitet ist". 5 Aber diese Charakterisierung ist sehr vage, da sie weder definiert, welche Konstituenten der Erkenntnis gemeint sind (Sätze oder Begriffe?), noch was unter Erfahrung zu verstehen ist (Sinnesdaten oder alltägliche Erlebnisgesamtheiten?), noch den Begriff der Ableitung spezifiziert (Genese oder Rekonstruktion?). Und doch scheint diese Charakterisierung insoweit sinnvoll, als sie in ihrer Vagheit der ganzen Bandbreite traditionell als 'empiristisch' verstandener Positionen Platz bietet. Schon über den Stellenwert der sinnlichen Wahrnehmung, deren Betonung man mit dem Begriff 'Empirismus' klassischerweise verbindet, herrscht in dieser philosophischen Tradition keine Einigkeit. Bei Bacon kann man von einer Gleichberechtigung zwischen sinnlicher Erfahrung und Verstandestätigkeit im Erkenntnisprozeß reden; bei Locke finden sich durchaus rationalistische Elemente und Hobbes These, daß nichts in unserem Geist sei, was nicht vorher in der sinnlichen Wahrnehmung gegeben war, ist eher programmatisch geblieben. Hume schließlich gesteht allein mathematischen Sätzen apriorischen Charakter zu, und zieht aus seinem Ansatz pragmatisch-skeptische Positionen. Was diese Denker nun 5

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Gawlick(1980), S. 10.

über ihre Differenzen hinweg miteinander vereint, kann man vielleicht am besten so charakterisieren, daß sie "den Wert der Erfahrung zu einer Zeit betonte[n], als die meisten sie verachteten". 6 Man kann also allgemein formulieren, daß die klassischen britischen Empiristen aus einer Ablehnung der scholastisch geprägten Wissenschaftstradition heraus und im Einklang mit den aufkommenden modernen Naturwissenschaften darauf insistierten, daß die empirische Realität die einzige oder die wichtigste oder zumindest eine in einem entscheidenden Maße aufwertungsjbedürftige Quelle des Wissens sei. Campbells eigentliche Leistung besteht nun darin, daß er diese epistemologisch orientierte Maxime des Empirismus zur Aufklärung rhetorischer Überzeugungskraft benutzt. Jene 'verborgenen Energien', in denen die Uberzeugungskraft der Rhetorik besteht, und die aufzuspüren er sich zum Ziel gesetzt hat (vgl. PoR L), findet er in einer sprachlichen Nachbildung der empirischen Realität, der konkreten Situation, der sinnlichen Wahrnehmung. So wie in der Epistemologie des Empirismus die Sinnlichkeit zur Quelle der Erkenntnis wird, so wird die sprachliche Mimesis sinnlicher Realität zur Quelle rhetorischer Wirksamkeit in Logos, Ethos, Pathos und Elocutio. Die sprachliche Nachbildung sinnlich erfahrbarer Realität ist in der rhetorischen Tradition stets als Redemittel begriffen worden. Die Veranschaulichungsfunktion des VorAugen-Führens, die descriptio, das Beispiel, die Verlebendigungs- und Versinnlichungsleistungen von Energeia (evepyeia) und Enargeia (evapyeia), die fictio personae all diese Funktionen lassen sich in einem weitgefaßten Begriff der evidentia fassen. So läßt sich das Ziel der vorliegenden Studie auch so formulieren, daß Campbells Philosophy of Rhetoric als der empiristisch inspirierte Versuch einer Gründung rhetorischer Wirkungskraft in der evidentia interpretiert werden soll.

1.2. Z u m F o r s c h u n g s s t a n d Pletts Befund, daß die Geschichte der englischen Rhetorik im 18. Jahrhundert kaum gründlich erforscht sei 7 , hat auch heute noch nicht an Gültigkeit verloren. Dies gilt insbesondere für Campbell, dessen Rezeption gegen Ende des 19. Jahrhunderts abbrach und erst Ende der vierziger Jahren wieder aufgenommen wurde. 8 Studien, die sich primär mit Campbell befassen, beschränken sich auf eine Reihe von amerikanischen Dissertationen, sowie verstreut erschienene Aufsätze. 9 Wichtig ist ein Campbell gewidmetes Symposium der Zeitschrift Western Speech aus dem Jahre 1968. Von den allgemeineren Kommentaren sei besonders Howells Eighteenth Century British Logic and Rhetoric hervorgehoben, das einen umfassenden Uberblick und sorgfältige Einzelanalysen bietet. Informativ sind auch Conleys

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S o Gawlick über Francis Bacon, in: Gawlick (1980), S. 26. Plett (1975), S. 10. Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Alta Hall (1934). V g l . zu den im folgenden erwähnten Werken die Literaturliste.

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Überblick über die europäische Rhetorikgeschichte, sowie die Einleitung von Corbett und Golden zu ihrer Herausgabe von Auszügen der Philosophy ofRhetoric. Inhaltlich hat sich die Forschungsliteratur, wie Dorothy Broaddus richtig beschreibt, vor allem mit zwei Problemen beschäftigt hat: 10 1. Wie steht Campbells Hauptwerk zur klassischen Tradition? Markiert sie einen Neubeginn oder fügt sie sich ein? 2. Welches sind die prägendsten Einflüsse aus der zeitgenössischen Philosophie auf sein Denken? Beide Fragen sind umstritten. Campbell selbst erklärt in der Einleitung zur Philosophy of Rhetoric, daß kein moderner Autor den Werken der Klassiker Aristoteles, Cicero und Quintilian wirklich etwas hinzugefügt hätte (PoR LI). Dies soll auch für ihn selber gelten, der in Anspruch nimmt, nicht zum immanenten Gehalt der rhetorischen Theorie, sondern nur zu ihrer externen Begründung einen Beitrag zu leisten. Bezüglich der Geschichte der Rhetorik vor dem 18. Jahrhundert kann man dem Autor wohl zustimmen. Bevilacqua erläutert zur Rhetorik in England: "(T)he rhetorical works of Aristotle, Cicero, Quintilian, and Longinus had been so dominant that classical theory was repeated and at most reworked without innovation, critical insight, or crossfertilization from other scholary fields". 11 Aber gegen Campbells Selbsteinschätzung, daß auch er nichts zur immanenten Entwicklung der eloquentia beigetragen habe, erheben Forscher starken Einspruch, die in ihm einen eindeutig modernen Theoretiker der Rhetorik sehen. Hier sollen nur kurz zwei wichtige Beiträge angesprochen werden. Der erste ist Wilbour S. Howells Eighteenth Century British Logic and Rhetoric entnommen. Howell legt sechs Merkmale vor, anhand deren sich die moderne Rhetorik von der alten unterscheiden soll 12 , und zieht nach seiner Diskussion Campbells das Fazit, daß diese Merkmale - und zwar historisch zum ersten Mal alle zusammen - auf Campbell zutreffen. 1 3 Campbells eindeutig moderne Charakteristika seien: 1. Er schränke Rhetorik nicht auf die drei klassischen genera ein, sondern betrachte sie als eine allgemeine Theorie der Kommunikation. 2. Er lehne die technischen Beweise und die topische Invention des Aristoteles ab und verfolge eine mehr oder weniger induktive Logik. 3. Er lehne auf schärfste den scholastischen Syllogismus ab. 4. Er schlage eine Methode zur Kalkulation von Wahrscheinlichkeiten für Fälle mit einem unbestimmenten Ausgang vor. 5. Anstelle der klassischen Sechsteilung der rhetorischen Rede beschränke er sich bzgl. der Organisation der Rede auf Kommentare zur Analysis und Synthesis in dialektischen Prozeduren und nenne zusätzlich mögliche alternative Vorgehensweisen, die sich nach den Prinzipien der Assoziation der Ideen oder Leidenschaften richten. 14 6. Er behandle Stil nicht, als ob Tropen, Figuren und der erhabene Stil die Hauptsache seien, sondern betone proprietas, perspicuitas und im allgemeinen einen schlichten Stil. 15 10 11 12 13 14 15

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Broaddus (1989), S. lf. Bevilacqua (1965), S. 3. Howell (1981), S. 4 4 1 - 4 4 7 . Howell (1981), S. 603. Vgl. zu den Prinzipien der Assoziation Abschn. 4.3.2. der vorliegenden Arbeit. Gegen die solcherart geführte Einordnung Campbells auf die Seite der rhetorischen Moderne führt Miller ( 1 9 8 4 ) drei kritische Einwände ins Feld, die sich auf H o w e l l s allgemeinen Interpretationsansatz zur Geschichte der Rhetorik im England des 18. Jahrhunderts beziehen. Erstens kritisiert Miller, daß H o w e l l s Analysen durch dessen Begriff der 'neuen' Logik und

D i e zweite ausführliche Begründung für eine Einschätzung Campbeils als eines ausdrücklich modernen Rhetorikers liefern Golden und Corbett. 16 Ihrer Darstellung nach akzeptiere Campbell zwar einige klassische Elemente der Rhetorik, beschränke sich jedoch nicht auf diese, sondern erweitere sie um wichtige, moderne Züge. D i e fünf klassischen Anteile C a m p b e l l s seien: 1. das Kommunikationsmodell Sprecher - S a c h e - Hörer. 2. Ethos, L o g o s , Pathos als Uberzeugungsmittel. 3. g e w i s s e klassische Organisationsprinzipien der Rede (Interesse, Kohärenz und Entwicklung als Eigenschaften einer wohlgelungenen Rede.). 4. Durchsichtigkeit und Lebendigkeit als Stilqualitäten. 5. das Trivium von natura, Studium und ars. Allerdings konstatieren sie völlig korrekt auch wichtige Abweichungen. Campbell sei allein an einer philosophischen Grundlegung interessiert und behandele den klassischen Fünferkanon der Dispositio stiefmütterlich. Einen zweiten Unterschied sehen sie in den R e d e z i e l e n . G e b e n die Klassiker allein die Überredung an, s o nenne Campbell auch die Belehrung, akzeptiere ausdrücklich eine ausschließlich an den Verstand gerichtete Rede als Rhetorik zu stark präformiert seien. Zweitens vernachlässige er das für das 18. Jahrhundert wichtige Verhältnis zwischen Rhetorik und Poetik und konzentriere sich ganz auf das Verhältnis von Rhetorik und Logik. Und drittens schließlich betrachte Howells Arbeit nicht ausreichend den sozio-kulturellen Hintergrund der rhetorischen Hauptwerke dieses Jahrhunderts. Der erste Kritikpunkt scheint an der Frage zu hängen, ob man die sechs Merkmalsbestimmungen der neuen Rhetorik, die Howell seinen Analysen voranschickt, f ü r angemessen hält oder nicht. Denn man sollte Howell den Kredit geben, daß er zuerst die einschlägigen Schriften recherchiert, dann den Begriff der 'neuen Rhetorik' bestimmt und diesen Begriff schließlich als Analysewerkzeug seiner Darstellung verwendet hat. Gegen diese Vorgehensweise scheint so lange nichts einzuwenden zu sein, als man den zur Analyse verwendeten Begriff für fruchtbar befindet und im interpretatorischen Zugriff keine unzumutbare Verzerrung der Texte sieht. Und tatsächlich scheint Miller gegen diesen das spezifische Forschungsinteresse Howells widerspiegelnden Begriff keine Einwände zu haben. Was Miller an Howells Vorgehen eigentlich fragwürdig findet, scheint im zweiten und dritten Kritikpunkt klarer zu werden. Denn diesen liegt der Vorwurf an Howell zugrunde, die Geschichte der Rhetorik nur unter einer bestimmten Perspektive, nämlich dem Verhältnis von Logik und Rhetorik, analysiert zu haben. Da aber ein Forscher nicht in der Lage ist, alle möglichen Perspektiven einer Interpretation auf einmal einzunehmen, scheint eine 'Arbeitsteilung' notwendig und sinnvoll. So ist eine Arbeit wie die Millers, welche den soziokulturellen Kontext fokussiert, eine weitere wichtige Stellungnahme mit einem anderen Forschungsschwerpunkt. Eine Arbeit, die dem zweiten Kritikpunkt Millers an Howell, der mangelnden A n a l y s e des Verhältnisses von Rhetorik und Poetik, e n t g e g e n k o m m t , scheint nun tatsächlich noch auszustehen. Für die hier vorliegende Studie wiegt dieser Verlust jedoch nicht schwer, da die f ü r Campbells Philosophy of Rhetoric wichtigen und prägenden Einsichten und Prämissen sicherlich aus der Verbindung von Logik und Rhetorik stammen. Präziser läßt sich sagen, daß es sich um die Verbindung zwischen Rhetorik und jenem philosophischen Thema handelt, das im England des 17. und 18. Jahrhundert als ein Hauptanliegen e m p f u n d e n wurde: die Wissenschaft bzw. Analyse des menschlichen Verstandes - eine Wissenschaft, die noch nicht klar zwischen Psychologie, Erkenntnistheorie und Logik unterschied. Das Verhältnis von Rhetorik und Poetik nimmt in der Philosophy of Rhetoric daher keine prominente Stellung ein. Campbell erklärt zwar die Poesie f ü r "no other than a particular mode or form of certain branches of oratory" (PoR XIIX), weil sie mit dieser das Medium, die Kompositionsregeln und die Figuralität teile (ebda.). Mit dieser schon in der Einleitung gegebenen Stellungnahme ist das Thema für Campbell aber mehr oder weniger erledigt. 16

Golden/Corbett (1968), Einleitung. 5

rhetorisch. 17 Drittens werte er die inventio ab, da er davon ausginge, daß dem Redner von Anfang alle Informationen zur Verfügung stünden. Viertens verwische er die bei den Klassikern scharf gezogenen Grenzen zwischen den drei Überzeugungsklassen Ethos, Pathos und Logos. Auf der Seite derer, die in der Philosophy ofRhetoric die klassische Prägung dominieren sehen, seien McDermott und Kennedy genannt. McDermott antwortet in seinem Artikel 18 auf eine These von Douglas Ehninger, der für Campbell eine revolutionäre Stellung in der Rhetorikgeschichte behauptet. 19 Zwei Argumente scheinen besonders wichtig. Zum einen teilt McDermott die rhetorische Tradition in eine pädogogische, technische (z.B. Ad Herennium, De Inventione.) und in eine philosophische Richtung (z.B. Plato, Aristoteles, Cicero und Quintilian). Die letztere habe Rhetorik stets im sozial-kommunikativen Zusammenhang gesehen und konsequenterweise das Studium des menschlichen Verstandes oder seiner Psyche in den Mittelpunkt gestellt. Somit sei auch Campbells Versuch einer Verbindung der Rhetorik mit den psycho-logischen Theorien des englischen Empirismus fest in dieser Tradition verankert. Andere Neuerungen, wie die Klassifikation der Redegattungen nach den Zielen der Rede, seien gegenüber der Tradition bloß semantische Verschiebungen. Kennedy dagegen stützt seine konversative Zuordnung Campbells in wenig zufriedenstellender Weise vor allem auf dessen Selbsteinschätzung als klassisch, sowie auf die häufigen Zitate und Beispiele aus der klassischen Literatur. 20 Während unter den Kommentatoren Einigkeit herrscht, daß Campbell, als ein belesener Mann, eine Vielzahl von Bezügen, ausgewiesenen und nicht ausgewiesenen Zitaten, zu philosophischen und rhetorischen Autoren der Zeitgenossenschaft und der Tradition aufweist, ist die Frage nach dem philosophischen Hauptbezugspunkt umstritten. In einem wichtigen Beitrag argumentiert Bitzer dafür, David Hume als primäre philosophische Quelle für Campbells Philosophy ofRhetoric anzusehen. 21 Conley dagegen sieht die wesentlichen Thesen Campbells auf die Common Sense Philosophie zurückgehen 22 , und zwar sowohl auf Campbells Kollegen in der "Philosophical Society", Thomas Reid, als auch auf den weniger beachteten Vorläufer Reids in Sachen 'Common Sense', den französischen

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6

Wie in Abschnitt 3.1.2. der vorliegenden Arbeit zu sehen ist, mißachtet dieses Lob Campbells sowohl die Weite des platonischen als auch des in der Rhetorik an Alexander bezeugten Rhetorikverständnisses. McDermott (1963), S. 403-409. Ehningers Charakterisierung läuft zum Teil parallel mit zu der von Golden und Corbett. Ehninger legt zusätzlich großen Wert darauf, daß für Campbell die den Verstandesfakultäten zugeordneten Ziele der rhetorischen Rede als Klassifikationsprinzip für die Redegattungen dienten. Außerdem gälten bei Aristoteles Pathos und Logos als voneinander unabhängige Beweise, während für Campbell der Redner alle Verstandesfakultäten zuammen ansprechen müsse. Diesem letzten Punkt kann man zwar nicht zustimmen, da Aristoteles selber die Gemeinsamkeit in der argumentativen Vorgehensweise betont (Arist. Rhet. II. 1; 1377b.), jedoch wird dadurch Ehningers Fazit, daß Campbell ein Rhetoriker der Moderne, nicht gefährdet. (Vgl. Ehninger, 1955, S. 263-269.) Kennedy (1980), S. 232ff. Bitzer (1962). Conley (1990), S. 216f.

Philosophen Buffier. 2 3 Howell sieht in Francis Bacon den wichtigsten Einfluß auf Campbell. 2 4 Benson versteht Campbeils Philosophy of Rhetoric als eine Verbindung Humes logischer Überlegungen mit einer Rhetoriktheorie aristotelischen Zuschnitts. 25 Und Broaddus schließlich macht den Einfluß der Moral-Sense Philosophie geltend. 26 Eine Uberblick gewährende Dokumentation der philosophischen Einflüsse auf Campbell hat Vincent Bevilacqua vorgelegt 27 und kommt zu dem Schluß, daß Campbell in einer kritischen Nutzung der philosophischen Quellen der Aufklärung den klassischen Kanon der Rhetorik modifizierte und reinterpretierte. Ulman bemüht sich um eine Klärung des Verhältnisses von Campbells Philosophy of Rhetoric zur zeitgenössischen und seinen Beitrag zur modernen Linguistik. 28 Jedoch besteht trotz - oder gerade aufgrund - der regen Diskussion um Campbells Hauptwerk eine weitgehende Einigkeit, daß dieses Buch immer noch eine Herausforderung für die Interpretation darstellt. 29 Die hier vorliegende Studie hat nun weniger das Ziel, einen weiteren, unmittelbaren Beitrag zur philosophischen, rhetorischen, linguistischen oder soziokulturellen Kontextbestimmung oder Einflußidentifikation zu leisten. Vielmehr soll die Untersuchung zu diesem Ziel nur mittelbar, aber grundlegend beigetragen, indem Campbells Rhetorik selbst in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gestellt wird. Es ist das primäre Ziel dieser Studie, den Kerngedanken dieser philosophisch überdachten Rhetorik auszuarbeiten. Den in der Forschungsliteratur umstrittenen Fragen nach dem Verhältnis Campbells zur rhetorischen Tradition und zur zeitgenössischen Philosophie soll dadurch Vorschub geleistet werden, daß jene Einsicht oder jener Gedanke herausgestellt wird, der Campbells Verständnis rhetorischer Wirksamkeit grundlegend prägt. Diese Perspektive der Interpretation verläuft somit parallel zu Campbells eigenem Anliegen, der das Ziel seines Buches als "a more thorough investigation, [...] whereby the instruments employed by eloquence produce their effect upon the hearers" (PoR Introduction L) beschreibt. Zu der in dieser Studie vorgetragenen Interpretationsthese, daß Campbell, auf empiristische Grundsätze gestützt, die Rhetorik in der Stilkategorie der evidentia gründet, haben drei Werke der Forschungsliteratur richtungweisende Anstöße beigetragen. Zuerst sei Bitzers Studie über die "Lively Idea" zu nennen, in welcher dieser die Begriffe vivacity oder the lively idea als "key-concept" von Campbells Rhetorik herausstellt. Aber Bitzer verfolgt dieses Konzept immer im Hinblick darauf, die analoge Behandlung durch David Hume aufzuzeigen, um so Hume als Campbells Haupteinflußquelle geltend machen zu können. Aufgrund dieser Perspektive verliert Bitzer zum einen aus den Augen, was für ein Phänomen sich hinter vivacity bzw. der lively idea denn zuletzt als wichtigster argu23 24 25 26 27 28 29

Buffier (1971; 1715; 1732) Buffier wird von Campbell einmal auch ausdrücklich zitiert, und zwar im Zusammenhang mit der Wiederlegung des Humeschen Skeptizismus. Howell (1981), S. 595ff. Benson (1962). Broaddus (1989). Belivacqua (1965). Ulman (1985). Vgl. z.B. Bevilacqua (1985), S. 23-30 sowie Ulmans (1985), S. 1, zustimmender Verweis. 7

mentativer und stilistischer Charakter rhetorischer Rede geltend macht, und zum anderen scheint er durch diese Fokussierung einige Inkonsistenzen seiner Campbellauslegung zu übersehen, die durch eine mehr immanente Interpretation fruchtbar gemacht werden könnten. Einen weiteren wichtigen Hinweis geben René Welleks Bemerkungen über The Minor English and Scottish Critics in seiner History of Modern Criticismi0 Wellek weist auf die einflußreiche Rolle hin, die die descriptio für einige Vertreter der englischen Literaturtheorie im 18. Jahrhundert erhielt, und führt diese Entwicklung auf den Einfluß der empiristischen Philosophie zurück. Wellek konzentriert sich vor allem auf Lord Kames 31 , erwähnt beiläufig aber auch Campbell. Wellek widmet dieser Entwicklung aber nur drei Seiten, und für Campbell hat er nur einen Satz übrig. Zudem versteht er die Rolle der descriptio rein stilistisch, beschränkt sie auf ein poetisch-rhetorisches Schmuckmittel. Die letzte im engeren Sinn thematisch relevante Arbeit stammt von dem Bitzer-Schüler Hauser 3 2 , welcher die von Wellek gegebenen Hinweise zu konkretisieren sucht. Hauser stellt sich die Aufgabe, die Rolle der descriptio bei Alison, Beattie, Blair, Campbell, Kames und Priestley zu untersuchen. Besonders verdienstvoll ist die im Vergleich zu Wellek vorgenommene Ausweitung des descriptio-Begriffs, dessen Funktionalisierung auch für Logik, Affekterregung und Tropik beschrieben wird. Allerdings haben die genannten Autoren bis auf Kames alle erst nach Campbell veröffentlicht, und auf Kames Bedeutung wird noch einzugehen sein (vgl. Kap. 2 der vorliegenden Studie). Zudem nimmt Hauser mit der Vielzahl der Autoren, die zu analysieren er sich bemüht, zwangsläufig eine gewisse Oberflächlichkeit in den Einzelanalysen zugunsten einer Charakterisierung der allgemeinen Entwicklung in Kauf. Daher wird in Hausers Arbeit mit Campbell gerade der erste Rhetoriktheoretiker nicht angemessen gewürdigt. Dies äußert sich sachlich unter anderem darin, daß Hauser das Phänomen, das er unter dem Begriff der descriptio zu fassen sucht, für Campbell immer noch nicht umfassend genug bestimmt. Im Zusammenhang mit Campbell vernachlässigt er etwa Aspekte der actio, der auditiven Versinnlichung und unternimmt keine detaillierte Untersuchung der ornatus-Theorie. Hauser konzentriert sich bei Campbell vor allem auf die Rolle der descriptio für die logische Argumentation, wobei er aber

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Wellek (1955), S. 105-132.. Lord Kames (Henry Home) veröffentlichte 1762 die Elements of Criticism, eine ebenfalls unter dem Einfluß der empiristischen Philosophie, insbesondere David Humes, stehende ästhetische Theorie (vgl. für den Humeschen Einfluß auf Kames: McGuiness (1964). In den Elements stellt Kames die Grundthese auf, daß die primäre Qualität eines Kunstwerks darin liege, dem Gesichts- bzw. Gehörsinn angenehm zu sein. Diese Annehmlichkeit soll sich darauf zurückführen lassen, daß der Zusammenhang der in dem Kunstwerk mitgeteilten Ideen den natürlichen Assoziationsprinzipien des menschlichen Verstandes entspreche, welche zugleich die Prinzipien der Verbindung der Dinge selbst darstellen (vgl. 4.3.b. der vorliegenden Studie). Aus dieser Grundthese folgt die ästhetische Norm, daß Kunstwerke zur Natur in ein einem beschreibenden, imitierenden Verhältnis stehen müssen. Was Kames und Campbell miteinander teilen, entspringt im wesentlichen ihrer tiefen Beeinflussung durch Locke und Hume (vgl. Hauser, 1970, S. 99). Obwohl Kames nicht zur Tradition der Rhetorik gezählt werden kann (vgl. Howell, 1956, S. 614 Fußnote), soll im Laufe dieser Arbeit bei interessanten Parellelansätzen oder Abweichungen auf seine Theorie hingewiesen werden. Gerard A. Hauser (1970). Vgl. auch ders. (1972), S. 24-44.

wiederum das Zeugnis vernachlässigt und das Verhältnis von descriptio und Erfahrungsevidenz mißinterpretiert.33 Es ist offensichtlich, daß die Ausarbeitung des Kerngedankens, des tragenden Charakteristikums eines Werkes, einen wichtigen Beitrag zu dessen angemessener Situierung im geistesgeschichtlichen Horizont darstellt. Und es ist ebenso offensichtlich, daß sich eine Interpretation dem Werk nicht in vermeintlicher Neutralität nähern kann, sondern dessen geistesgeschichtlichen und soziokulturellen Kontext zu ihrer Voraussetzung hat. Dieser dialektische Charakter der Interpetation ist auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt. Campbells Eigentliches soll aus seiner Distanz zu den Klassikern und somit im Blick auf die Klassiker bestimmt werden. Das Gewicht soll jedoch eindeutig auf einer Interpretation der Philosophy of Rhetoric selbst liegen, um jenem Mißstand, in dem sich ein Teil der Forschungsliteratur befindet, vorzubeugen, daß das Ziel einer Kontextsituierung Campbells den Blick mehr auf den Kontext als auf den Autor richtet.

33

Vgl. 6.4. der vorliegenden Studie. 9

2. Geistes- und textgeschichtlicher Hintergrund

2.1. Z u m geistesgeschichtlichen H i n t e r g r u n d d e r Philosophy

of

Rhetoric

Howell unterscheidet innerhalb der englischen Rhetorik des 18. Jahrunderts drei Bewegungen 1 : 1. eine traditionelle Gruppe von Autoren, die an Ciceros Rhetorikverständnis orientiert bleiben; er nennt vor allem John Ward und John Homes. 2. die British Elocutionary Movement, die die Rhetorik im wesentlichen auf die actio reduziert; diese Bewegung gruppiert sich um Sheridan. 3. die neue Rhetorik, die unter dem Einfluß eines gewandelten Wissenschaftsverständnisses steht; die herausragenden Autoren dieser Bewegung sind für Howell Adam Smith und George Campbell. Smiths Rhetorikvorlesungen sind allerdings unveröffentlicht geblieben und eine Hörermitschrift ist erst 1958 entdeckt worden 2 , so daß Campbells Buch fraglos das einflußreichere Zeugnis dieser Entwicklung darstellt. Ehninger schlägt eine ähnliche Klassifizierung der englischen Rhetorik des 18. Jhds. vor. 3 Auch er sieht sowohl eine klassisch orientierte Richtung, als auch die Elocutionary-Bewegung. Howells 'neue' Rhetorik führt er aber weniger auf ein gewandeltes Wissenschaftsverständnis zurück, als auf den Einfluß neuer psychologischepistemologischer Theorien. Allerdings sind beide Positionen nicht weit voneinander entfernt, da es doch vor allem die unter dem Einfluß des neuen Wissenschaftsverständnisses stehenden Philosophen (Bacon, Locke, Hume, Reid etc.) sind, die zu den psychologischepistemologischen Theorien des menschlichen Verstandes maßgeblich beitragen. Doch führt Ehninger noch die Belletristik-Bewegung als eigenständige Tendenz auf, die die Vereinigung von Rhetorik und den anderen schönen Künsten, wie Poesie, Drama, Geschichte, Biographie, Philologie etc., unter dem Dach von Rhetorik und Belies Lettres verfolgte. Dieser Bewegung ordnet er vor allem Hugh Blairs Rhetorik zu. 4 Daß Howell diese Entwicklung nicht als eigenständig auffaßt, liegt wohl an seinem spezifischen Interesse an dem Verhältnis von Rhetorik und Logik. Beide Klassifizierungsbemühungen sind sich aber einig, daß Campbell zur Klasse der neuen, psychologisch-epistemologisch orientierten Autoren zu zählen ist.5 Im folgenden soll kurz die geistesgeschichtliche Wende zur Neuzeit aus einer Perspektive erörtert werden, die es erlaubt, drei Motive herauszustellen, die zum Verständnis der Entwicklung dieser 'neuen' Rhetorik, und insbesondere Campbells, hilfreich sind. Eine der wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte von Logik und Rhetorik zu Beginn der Neuzeit war die Auflehnung der 'neuen' Logiker und Rhetoriker gegen die scho1 2 3 4 5

Vgl. Howell (1971), S. 6f., sowie die Gesamtgliederung. Smith (1963). Douglas Ehniner (1952), S. 3-12. Hugh Blair ( 8 1 8 1 9 ) . Analog zu Ehninger klassifizieren auch Corbett und Golden (dieselben, 1990, Einleitung). Sie betonen, daß Adam Smith als erste Engländer der Bewegung der Belies Lettres zuzuordnen sei. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Mitschriften von Smiths Rhetorikvorlesung zum Zeitpunkt von Ehningers Veröffentlichung noch nicht wiederentdeckt worden waren. 11

lastisch-aristotelischen Schulen. Aber trotz der Bedeutung, die dieser Veränderung beigemessen werden muß, darf man nicht übersehen, daß der Einfluß der Scholastiker bis in das 19. Jahrhundert hinein anhielt. In den scholastischen Schulen zählten Inventio und Dispositio sowohl zum Aufgabengebiet der Logik wie der Rhetorik. In der Inventio interpretiert die scholastische Logik die aristotelischen Katergorien als Hilfen, um zu gegebenen Fällen systematisch verbundene allgemeine Überzeugungen und anerkannte Wahrheiten zu finden. Mit Hilfe des Syllogismus ließ sich dann die Kongruenz oder Übereinstimmung des neuen Falles mit dem anerkannten Wissen beweisen. Die scholastische Logik bewies also eher die Richtigkeit eines relativ singulären Satzes, im Sinne von Widerspruchsfreiheit mit dem anerkannten, relativ allgemeineren Wissensfundus. Dieser allgemeine Wissensfundus speiste sich größtenteils aus den Lehren des Aristoteles. Die Dispositio befaßte sich mit der Darstellung des Beweises dem gelehrten Publikum gegenüber und orientierte sich ebenfalls am Syllogismus, d.h. die Darstellung schritt vom Allgemeinen zum Besonderen voran. Thus invention was construed, not as the process of discovering what had been hitherto unknown, but as the process of establishing contact with the known, so that the storehouse of ancient wisdom would yield its treasures upon demand, and would bring the old truth to bear upon the new situation. [...] The logic of the scholastics and Ramists had been formulated as an instrument for the transfer of knowledge from expert to expert. 6 Die Form, in der die wissenschaftliche Untersuchung ausgetragen wurde, war die Disputation, deren Voraussetzung die Überzeugung war, daß man im Streitgespräch Falschheit aufdecken und Wahrheit begründen könne. Dabei ist es wichtig zu sehen, daß im mittelalterlich-scholastischen System der Wissenschaften die Logik neben der Aufgabe der Wissenbegründung auch die Funktion der syllogistisch orientierten Wissensvermittlung unter Wissenden innehatte. Diese Aufgabenstruktur der Logik ändert sich aber unter den heftigen Angriffen der 'neuen Logiker' und Philosophen, welche im Gefolge und in der Vorhut eines neuen Wissenschaftsparadigmas die scholastische Gelehrsamkeit desavouierten. Den Anfang dieser Entwicklung bestimmt Descartes' Discours de la Méthode, gefolgt von Bacon, Hobbes, Locke, Hume und vielen anderen. Im hier vorgetragenen Diskussionszusammenhang ist vor allem die Hinwendung der neuen Logik zur Induktion entscheidend. Auf naturwissenschaftlicher und angelsächsischempiristischer Seite entdeckt man die Induktion als das einzige Instrument zur Aufdeckung neuer Wahrheiten. 7 Beim Rationalisten Descartes dagegen erscheint besonders klar das der Hinwendung zur Induktion korrespondierende Gegenstück, die Ablehnung der überlieferten und akzeptierten Wahrheiten, der "systematische Zweifel". Die systematische Verbindung der neuen Fälle mit den überlieferten und akzeptierten allgemeinen Wahrheiten durch die aristotelischen (oder späterhin ramistischen) Topoi und die syllogistisch-methodische 6 7

12

Howell (1956), S. 347. Vgl. bspw. Bacon, Works VI, 260ff; Locke, Essay Concerning Human Understanding, Kap. VI.

Darstellung geraten konsequenterweise ebenfalls in die Kritik. Der topischen Inventio setzt man das Experiment entgegen, und der Syllogismus verliert überhaupt seine Bedeutung. Es sei übrigens vorweggenommen, daß die schärfste und vernichtendste Kritik des Syllogismus, nämlich, daß er eine petitio principii sei, zuerst in Campbeils Philosophy of Rhetoric formuliert wird (PoR 61 ff.) - wenn auch vielerorts vorbereitet. Und schließlich verliert auch die Disputierkunst ihren Ort in der Logik. Wahrheit findet sich nicht in topischer Disputation, sondern wiederum im Experiment. Je mehr aber die neue Logik Induktion und Experiment focussiert, desto mehr verliert sie ihren kommunikativen Charakter. In den Logiken Lockes, Humes etc. spielt die alte Dispositio keine Rolle. Die neue Logik ist die Logik der Forschung und diese ist - in ihren Anfängen - monologisch. Die Rhetorik wird, zwar nicht generell und nicht durchgängig, jedoch bei einzelnen ihrer Theoretiker, von diesen Wandlungen affiziert. Drei Begriffe scheinen hilfreich, um die Beeinflussung rhetorischer Theorie aus der hier angedeuteten Perspektive zu charakterisieren. So sollen im folgenden kurz die Motive der Totalisierung, der Empirisierung und der Subjektwende angesprochen werden. Mit dem Totalisierungsmotiv ist die Ausweitung der Zuständigkeit der Rhetorik auf die didaktische, informative Rede unter Wissenden gemeint. Hatte die alte Logik die Vermittlung des schieren docere als ihre Domäne betrachtet und der Rhetorik die Ansprache der Öffentlichkeit, der Menge und der Unwissenden überlassen, so wird der erstere Zweig der Kommunikation durch die Tendenz der neuen Logik zur monologischen Experimentalforschung vernachlässigt. Und die Rhetorik - wer auch sonst - nimmt sich dieser Vermittlungsfunktion an. Diese Verschiebung in der Aufgabenstruktur der Rhetorik geschieht langsam. Sie wird durch die Arbeiten Bacons, Lockes u.a. vorbereitet, ausgeführt von Campbell und schließlich ausdrücklich formuliert bei Mill: "The sole object of Logic is the guidance of one's own thoughts: the communication of those thoughts to others fall under the consideration of Rhetoric...". 8 Rationalistischen und empiristischen Philosophen der Neuzeitwende gemeinsam ist zudem die Verbindung eines Gestus des Neuanfangs und der Traditionsschelte mit einer Besinnung auf den Verstand, dem Erkenntismittel des Menschen. Dies ist die epistemologische Seite der neuzeitlichen Wende zum Subjekt. Descartes, Locke, Hume und ihre Nachfolger proklamieren einen Primat der Erkenntnistheorie vor der Naturerkenntnis und der Ontologie - sie verlagern die Ontologie in die Epistemologie. Die Frage, wie die Welt ist, erscheint als unablösbar von der Frage, was von ihr erkennbar ist. Wenn nun der menschliche Verstand der kritische Faktor in der Naturauffassung ist, dann gilt das gleiche für jede Art von Rezeption, auch die des zwischenmenschlich Mitgeteilten, der Kommunikation. Die Erforschung der Mitarbeit des menschlichen Verstandes an der Konstitution von Welt kann an der sprachlich geknüpften Intersubjektivität nicht vorübergehen. Desgleichen bleibt die Hinwendung zu Beobachtung, Experiment und sinnlicher Erfahrung, die den Aufschwung der Wissenschaften mitbewirkt, für einige Rhetoriktheoretiker nicht ohne Folgen. Sinnliche Wahrnehmung als wichtige, wenn nicht gar als wichtigste, Quelle der Erkenntnis zu bezeichnen, bringt insbesondere die Begriffe der Tradition und der auctoritas für die argumentatio in Mißkredit und führt auch für andere Redefunktionen zu einer 8

M i l l ( 1 8 4 6 ) , I, 4 .

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verstärkten Besinnung auf die Redemittel der descriptio und evidentia. "Graphic verbal presentation had to be a vehicle of special consequence given the thinkers' empirical assumptions." 9

2 . 2 . Z u r E n t s t e h u n g u n d z u m systematischen A u f b a u der Philosophy of Rhetoric Im Vorwort zur Philosophy of Rhetoric erklärt George Campbell, die ersten beiden Kapitel dieses Buches um 1750 geschrieben zu haben. In diesen Kapiteln habe er eine Grundlage für den Rest des Buches ("groundwork to the whole") gelegt (PoR XLI). Erst 1757, nach seiner Rückkehr nach Aberdeen, habe er die Arbeit wieder aufgenommen. Er erklärt weiter, daß er die beiden ersten Kapitel und nach und nach auch alle weiteren des ersten Buches - bis auf drei - einer kleinen philosophischen Gesellschaft vorgetragen habe. Wie Bitzer anhand der erhaltenen Aufzeichnungen der Aberdeen Philosophical Society nachweist, hat Campbell insgesamt etwa 22 der 25 Kapitel der Philosophy of Rhetoric in der einen oder anderen Weise im Kreis der Philosophical Society erörtert. 10 Zu den Mitgliedern dieser durchaus prominenten Gesellschaft zählten etwa Thomas Reid, der Begründer der schottischen Schule der Common S e n s e - P h i l o s o p h i e 1 u n d James Beattie, von dem eine seinerzeit berühmte, aber nahezu beleidigende Hume-Kritik stammte. 12 Bitzer führt eine Fülle von überzeugenden Belegen an - Themen der Society, Briefwechsel, Widmungen - , die aufzeigen, daß David Hume ein wichtiger Bezugspunkt der Philosophical Society gewesen ist. Hume war quasi das abwesende Mitglied der Society 13 , "brought oftener than any other man to the bar, accused and defended with great zeal but without bittemess". 14 Der Leser kann dem Vorwort ebenfalls entnehmen, daß Campbell im gesamten Werk von dem in den ersten Kapiteln gelegten Fundament nicht abgewichen sei. Diese Aussage suggeriert eine Vollständigkeit, die den kundigen Leser überrascht, ist die Philosophy of Rhetoric doch keineswegs völlig zu Ende geführt. Das Werk besteht aus drei Büchem. Buch I trägt den Titel The Nature and Foundations of Eloquence und befaßt sich mit der Definition der Rhetorik, den genera causarum sowie den res, strukturiert nach Logos, Ethos und Pathos. Vor allem in diesem Buch wird Stück für Stück, z.T. regellos, z.T. nur in Andeutungen oder impliziten Voraussetzungen eine logisch-psychologische Theorie über die Funktionsweise des menschlichen Verstandes entfaltet. Die Bücher II und III befassen sich

9 10

11 12 13 14

14

Hauser (1972), S. 27. Vgl. Lloyd F. Bitzer, (1962), S. 25. Im Kapitel II dieser Arbeit gibt Bitzer einen Überblick über die Arbeitsweise und bevorzugten Themen der Philosphical Society, die sich vor allem auf überlieferte Aufzeichnungen derselben stützt ("Minutes of the Philosophical Societys of Aberdeen, 1758-1771"; Aberdeen University Library, MS 539). Thomas Reid, (1756; 1803). James Beattie (1770). Vgl.Bitzer (1962), S. 38. Nach einem Brief von Reid an Hume, zitiert nach J.Y.T. Greig (Ed.), The Letters of David Hume, 2 Bde. I, 376, n.4.

mit den verba. Der erste Teil von Buch II The Foundations and Essential Properties of Elocution diskutiert latinitas, der zweite Teil als erste 'rein rhetorische' Stilqualität die perspicuitas. Die Diskussion der rhetorischen Stilqualitäten wird in Buch III The Discriminating Properties of Elocution mit der Stilqualität der Vivacity fortgesetzt. Damit bricht das Werk jedoch ab; die in Buch II angekündigte Behandlung aller fünf von Campbell aufgeführten Stilqualitäten (PoR 216) - perspicuitas, vivacity, elegance, animation und music - wird also nicht durchgeführt. Dieser Widerspruch, daß Campbell sein Werk trotz der formalen, rhetorisch-systematischen Unvollständigkeit als abgeschlossen und vollständig einschätzt, soll hier als struktureller Hinweis darauf gedeutet werden, daß Campbell zum einen keine rhetorische Lehrabhandlung geplant hat, und daß er zum anderen die 'philosophische' Seite seiner Arbeit nach Behandlung der Stilqualität der vivacity in zufriedenstellender Weise abgeschlossen sah. 15

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Vgl. hierzu auch den Abschluß der Erörterung Rhetorik als politische Wissenschaft in Abschn. 3.1.3. der vorliegenden Arbeit. 15

3. Campbells Rhetorikverständnis

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