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German Pages 504 [590] Year 2023
Jonas Birke Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Sozial- und Kulturgeographie Band 60
Jonas Birke (Dr. phil.), geb. 1994, lehrt und forscht an der Universität Koblenz. Er promovierte in Geographie an der Bergischen Universität Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit, Transformationsforschung, Theoretische Geographie, Stadt- und Kulturgeographie sowie Inseltourismus. 2020 erhielt er den Lehrpreis für innovative Lehre an der Bergischen Universität Wuppertal.
Jonas Birke
Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Geographisches Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation
Diese Veröffentlichung wurde im Jahr 2023 von der Bergischen Universität Wuppertal als Dissertation zur Erlangung eines Doktorgrades (Dr. phil.) an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften im Fach Geographie angenommen. Der Originaltitel lautet: »Geographie im Zeichen der sozial-ökologischen Transformation – Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele«.
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© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Jan Gerbach, Bielefeld Umschlagabbildung: Arek Socha / Pixabay Lektorat: Jonas Birke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839469637 Print-ISBN: 978-3-8376-6963-3 PDF-ISBN: 978-3-8394-6963-7 Buchreihen-ISSN: 2703-1640 Buchreihen-eISSN: 2703-1659 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
»Diejenigen, die das Privileg haben, zu wissen, haben die Pflicht zu handeln.« Albert Einstein
Inhalt
Danksagung ................................................................................... 11 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... 13 Tabellenverzeichnis........................................................................... 15 Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 17 1
Einleitung ............................................................................... 21
2
Das Themenfeld Nachhaltigkeit Definitionen, Entwicklungen & Trends der Gegenwart ..................................... 31 Globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Nachhaltigkeit als Notwendigkeit? ...... 31 Nachhaltigkeit – Ein Definitionskonglomerat.............................................. 38 Modellversuche des Nachhaltigkeitsbegriffs .............................................. 42 Weiterführende Konzeptionen des Nachhaltigkeitsbegriffs ................................ 46 Nachhaltige Entwicklung – Ein historischer Abriss ........................................ 49 Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff .......................................................... 51 Der Begriff der sozial-ökologischen Transformation als Lösung? .......................... 53 Globale Nachhaltigkeitsziele & ihre Umsetzung – Die Agenda 2030 ........................ 58 2.8.1 Agenda 21 und die MDGs .......................................................... 58 2.8.2 Die Agenda 2030 .................................................................. 61 2.8.3 Status quo der Umsetzung ........................................................ 65 Akteursebenen der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen..................................70 Zivilgesellschaft als Akteur & ihre Handlungsfelder ....................................... 73 2.9.1 Die Bedeutung der Zivilgesellschaft im Kontext Nachhaltigkeit ......................74 2.9.2 Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder im Nachhaltigkeitskontext ...................77 Zusammenfassung ...................................................................... 84
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
2.9 2.10.
2.11
Wissen ................................................................................. 87 Wissen – (un)möglicher Versuch einer Definition?......................................... 87 3.1.1 Merkmale von Wissen ................................................................ 91 3.1.2 Die Analyse des Wissensbegriffs .................................................... 93 3.2 Wissensarten und ihre Anwendungsbereiche ............................................... 95 3.2.1 Semantische Wissensarten ....................................................... 96 3.2.2 Dimensionale Wissensarten ....................................................... 99 3.2.3 Dichotomische Wissensarten ....................................................... 101 3.2.3 Kontextbasierte Wissensarten .................................................... 101 3.3 Quellen des Wissens .....................................................................103 3.4 Kommunikation & Transfer von Wissen...................................................108 3.5 Wissen und Gesellschaft – Leben in einer Wissensgesellschaft? ........................... 115 3.5.1 Leben in einer Wissensgesellschaft?! ............................................. 115 3.5.2 Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen....................................... 118 3.6 Zusammenfassung ......................................................................120 3 3.1
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
4.6 4.7 5 5.1 5.2 5.3
5.4 5.5 5.6 5.7
Wissen und Nachhaltigkeit Widerspruch oder Notwendigkeit? .......................................................123 Die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext ....................................123 Strukturen & Formen eines Wissens für Nachhaltigkeit ................................... 127 Nachhaltigkeitskommunikation – Nachhaltigkeitswissen kommunizieren .................. 131 Wissensstand der Gesellschaft im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit ..................... 137 Wissen vs. Handeln – Barrieren des Nachhaltigkeitsverhaltens ............................ 141 4.5.1 Gesamtgesellschaftliche Handlungsbarrieren ...................................... 141 4.5.2 Individuelle Handlungsbarrieren – Eine umweltpsychologische Sichtweise ..........143 Handeln ohne Wissen? – Eine Diskussion .................................................152 Zusammenfassung ......................................................................156 Wissen und Geographie Wissenskonzeption einer Forschungsdisziplin ............................................159 Die Geographie – Ein Definitionsversuch..................................................159 Die Historie der Geographie – Ein Abriss..................................................166 Die Geographie der Gegenwart ........................................................... 176 5.3.1 Entwicklungen und Weltbild in der Geographie der Postmoderne ................... 176 5.3.2 Strukturelle Aufteilung der Geographie der Gegenwart .............................182 5.3.3 Schlüsselkonzepte der Geographie von heute...................................... 194 5.3.4 Nachhaltigkeit als geographisches Kernkonzept der Gegenwart?! ................. 202 Geographie in der Gesellschaft – Wahrnehmung einer Forschungsdisziplin ............... 207 Geographisches Wissen – Ein Konzeptionsversuch........................................ 211 Geographisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext am Beispiel der Agenda 2030 .......... 219 Zielgruppen geographischen Wissens – Potenziale & Herausforderungen in der Kommunikation ........................................................................ 228 5.7.1 Geographisches Wissen für die Zielgruppe der Zivilgesellschaft ................... 229 5.7.2 Potenziale & Herausforderungen geographischer Wissenskommunikation ......... 234
5.8 Diskussion: Alle Wege führen zur Geographie?! Die zukünftige Rolle für eine sozial-ökologische Transformation ......................... 236 6 Zwischenfazit und Ableitung der Fragestellungen .................................... 243 6.1 Nachhaltigkeit, Wissen & Geographie – Ein theoretisches Zwischenfazit .................. 243 6.2 Ableitung und Konkretisierung der Fragestellungen...................................... 248 7 7.1 7.2
7.3
Methodik ...............................................................................251 Begründung der Methodenwahl – Mixed Methods .......................................... 251 Methodik I – qualitative Experteninterviews ............................................. 254 7.2.1 Begründung der Methodenwahl .................................................. 254 7.2.2 Forschungsdesgin ............................................................... 258 7.2.3 Sampling und Durchführung ..................................................... 262 7.2.4 Auswertung ..................................................................... 268 7.2.5 Datengrundlage ................................................................. 275 Methodik II – quantitative Panel-Befragung .............................................. 279 7.3.1 Begründung der Methodenwahl .................................................. 279 7.3.2 Forschungsdesign ................................................................ 281 7.3.3 Sampling und Durchführung ..................................................... 287 7.3.4 Auswertung ..................................................................... 290 7.3.5 Datengrundlage ................................................................. 292
Ergebnisse Methodik I ................................................................. 305 Allgemeine Ergebnisse.................................................................. 305 8.1.1 Definition von Wissen & Wissensarten............................................ 305 8.1.2 Wissen & sozial-ökologische Transformation ..................................... 309 8.1.3 Geographie – Definition, Besonderheiten & der geographische Wissensbegriff ......313 8.1.4 Geographie im Zeichen der sozial-ökologischen Transformation ................... 319 8.1.5 Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit ....................................... 325 8.1.6 Herausforderungen & Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext........ 332 8.1.7 Geographie in der Gesellschaft ................................................... 339 8.1.8 Geographie und die Sustainable Development Goals (SDGs)........................ 342 8.1.9 Wissenstransfer – Kanäle, Formate & Herausforderungen ......................... 347 8.1.10 Social Media als Kommunikationskanal der Zukunft?.............................. 353 8.2 Vergleichende Ergebnisse .............................................................. 355
8 8.1
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Ergebnisse Methodik II ................................................................ 359 Wissen Allgemein....................................................................... 359 Wissensstand im Nachhaltigkeitskontext ................................................ 365 Geographisches Wissen................................................................. 373 Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext ......................................... 377 Wissensbedarfe, Kommunikationskanäle und Wissensformate ........................... 388
10 Zusammenführung und Diskussion.................................................... 395 10.1 Methodendiskussion .................................................................... 395
10.1.1 Methodik I: qualitative Experteninterviews ....................................... 396 10.1.2 Methodik II: quantitative Panel-Befragung ........................................ 398 10.2 Diskussion der Ergebnisse .............................................................. 399 10.2.1 Der geographische Wissensbegriff ............................................... 399 10.2.2 Die Relevanz geographischer Wissens- und Denkweisen für eine sozial-ökologische Transformation.................................................................. 404 10.2.3 Relevante geographische Inhalte im Nachhaltigkeitskontext sowie der Agenda 2030 ............................................................................ 408 10.2.4 Die Bedeutung von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive ..................... 411 10.2.5 Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive ................................................ 413 10.2.6 Wissensstand der Gesellschaft im Nachhaltigkeitskontext ......................... 416 10.2.7 Potenzielle Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen auf gesellschaftliches Nachhaltigkeitsverhalten ................................... 421 10.2.8 Möglichkeiten des geographischen Wissenstransfers in die Gesellschaft .......... 429 11 11.1 11.2 10.3
Abschließendes Fazit & Zukunftsperspektiven ....................................... 435 Allgemeine Schlussfolgerungen ......................................................... 435 Handlungsempfehlungen ............................................................... 439 Zukunftsperspektiven .................................................................. 440
12
Literaturverzeichnis .................................................................. 445
13. 13.1 13.2 13.3
Anhang ................................................................................ 479 Interviewleitfaden Experteninterviews .................................................. 479 Kategorienhandbuch Auswertung Experteninterviews.................................... 480 Fragebogen der Online-Panel-Befragung ................................................ 496
Danksagung
Ich möchte allen danken, die mich bei dieser Arbeit begleitet, unterstützt und ermutigt und diese somit überhaupt erst möglich gemacht haben. Zuallererst gilt mein Dank meinem Erstgutachter Andreas Keil für die Chance, diese Arbeit verfassen zu können, ebenso wie für seine Betreuung und ungebrochene Unterstützung über den gesamten Arbeitsprozess hinweg. Des Weiteren danke ich Britta Stumpe, die mich als Zweitgutachterin ebenfalls immer betreut und begleitet hat. Beide haben mich nicht nur bei dieser Arbeit begleitet, sondern auch bereits im Studium sowie in der Zusammenarbeit am Institut stets ein offenes Ohr für mich gehabt und mich in allen Belangen unterstützt, gefördert und ermutigt. Ebenfalls bedanke ich mich bei all meinen Kolleg*innen am Institut für Geographie und Sachunterricht der Bergischen Universität Wuppertal für zahlreiche Gespräche, Rückmeldungen und die durchgehende Unterstützung. Besonders hervorheben möchte ich hier Chris und Nico, die mich über den gesamten Schaffungsprozess dieser Arbeit hinweg begleitet haben. Die gegenseitige Unterstützung, das konstruktive Feedback sowie auch die Möglichkeit, mich in schwierigen Phasen jederzeit melden zu können, waren mir eine große Hilfe. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meinem Bruder und meiner gesamten Familie, die immer an mich geglaubt haben, mir jederzeit geholfen haben und ohne deren Motivation und Unterstützung ich jetzt nicht an diesem Punkt stehen würde. Auch möchte ich mich bei all meinen Freund*innen bedanken, die ebenso immer für mich da waren und mir geholfen haben, die alle meine Launen ertragen haben und die mir die Zeit zwischen Arbeit und Schlaf so schön wie möglich gemacht haben.
Abkürzungsverzeichnis
ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten BMU/BMUV Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz CO2 Kohlenstoffdioxid CSO Civil Society Organizations DGFG Deutsche Gesellschaft für Geographie DGOF Deutsche Gesellschaft für Online-Forschung DVAG Deutscher Verband für angewandte Geographie ESOMAR European Society for Opinion and Market Research EU Europäische Union GA Geographical Association GeoGes Geographische Gesellschaften GESIS Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften HDI Human Development Index HGD Hochschulverband für Geographiedidaktik HLPF High-Level Political Forum IFD Institut für Demoskopie Allensbach IGU International Charter in Geographical Education IGU International Geographical Union IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change IPH Interviewpartner*innen Humangeographie IPM Interviewpartner*innen Mensch-Umwelt-Forschung IPP Interviewpartner*innen Physische Geographie Jhr. Jahrhundert MDGs Millennium-Development-Goals NAM Norm-Activation-Model NE Nachhaltige Entwicklung NGOs Non-governmental Organization OECD Organization for Economic Cooperation and Development ÖPNV öffentlicher Personennahverkehr PKW Personenkraftwagen
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
PLZ QDA SDGs SDSN SOEP SÖT STEEP TIB TPB UN UNEP UNECD VBN VDSG WBGU WCED WEF WHO WWF ZDF
Postleitzahl Qualitative Data Analysis-Software Sustainable Development Goals Sustainable Development Solutions Network sozio-ökonomisches Panel sozial-ökologische Transformation Social, Technological, Environment, Economy, Politics Theory of Interpersonal Behavior Theory of Planned Behavior United Nations United Nations Environment Program UN-Conference in Environment and Development Value-Belief-Norm Verband für Deutsche Schulgeogeographen Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen World Commission on Environment and Development World Economic Forum World Health Organization World Wide Fund for Nature Zweites Deutsches Fernsehen
Tabellenverzeichnis
Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ......................................... 42 Leitprinzipien für die Umsetzung der Agenda 2030................................ 62 Umsetzungsstand der einzelnen SDGs auf globaler Ebene ......................... 67 Gesellschaftliche Handlungsfelder und Möglichkeiten im Kontext der 17SDGs ...... 82 Dichotome Wissenspaare ........................................................ 101 Gegenwärtige Kommunikationskanäle und -formate .............................. 112 Relevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext ...............................128 Der 5-Stufen-Plan der Problemlösung ............................................ 144 Die 10 Leitprinzipien der Geographie .............................................162 Inhaltliche Beiträge geographischer Teildisziplinen zu den SDGs...................225 Geographische Konzepte und ihr Einfluss auf gesellschaftliche Handlungsfelder ...232 Übersicht über die thematischen Hauptkategorien ................................ 271 Subkategorien der Hauptkategorie »Arten des Wissens« ..........................273 Kreuztabelle für Geschlecht und höchstem Bildungsabschluss.....................296 Kreuztabelle für Geschlecht und Altersgruppen ...................................296 Kreuztabelle Geschlecht und Wohnort ............................................297 Kreuztabelle Alter und Geschlecht ................................................297 Kreuztabelle Alter und Bildungsabschluss ........................................298 Kreuztabelle Alter und Wohnort ..................................................298 Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Geschlecht ........................299 Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Alter ...............................299 Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Wohnort ...........................299 Kreuztabelle Wohnort und Geschlecht ............................................301 Kreuztabelle Wohnort und Alter ..................................................301 Kreuztabelle Wohnort und höchster Bildungsabschluss ...........................302 Disziplinspezifisches Geographisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen .......................................................328 Tabelle 27: Wissensbeiträge der Geographie zu den SDGs aus Sicht der Expert*innen .........343 Tabelle 28: Vergleichende Ergebnisse der Experteninterviews ................................357 Tabelle 29: Altersspezifische Bedeutung von Wissen in ausgewählten Lebensbereichen .......363
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26:
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Tabelle 30: Altersspezifische Bedeutungszuschreibungen von Nachhaltigkeit zu spezifischen Themenbereichen ...............................................................367 Tabelle 31: Wohnortspezifische Unterschiede in der starken Zuschreibung von Nachhaltigkeit zu ausgewählten Themenbereichen ..............................................369 Tabelle 32: Zusammenhangsunterschiede zwischen Kenntnis geographischer Schlüsselkonzepte und Bedeutungszuschreibung von Nachhaltigkeit zu spezifischen Themenbereichen ..................................................376 Tabelle 33: Der Einfluss des Bildungsabschlusses auf die Kenntnis nachhaltiger Handlungsmöglichkeiten in spezifischen Lebensbereichen .......................381 Tabelle 34: Altersbezogene Unterschiede hinsichtlich der Quellen des vorhandenen Nachhaltigkeitswissens .........................................................382 Tabelle 35: Altersbedingte Unterschiede hinsichtlich gewünschter Informationskanäle für Nachhaltigkeitswissen ....................................................... 391 Tabelle 36: Geographisches Wissen im Kontext gesellschaftlicher Lebensbereiche ............426 Tabelle 36: Hauptkategorien der Interviewauswertung........................................480 Tabelle 37: Subkategorien der Hauptkategorie 1: »Definition von Wissen« ..................... 481 Tabelle 38: Subkategorien der Hauptkategorie 2: »Arten von Wissen«.........................482 Tabelle 39: Subkategorien der Hauptkategorie 3: »Bedeutung von Wissen für Nachhaltigkeit«..................................................................483 Tabelle 40: Subkategorien der Hauptkategorie 4: »Definition von Geographie« ................484 Tabelle 41: Subkategorien der Hauptkategorie 5: »Besonderheiten der Geographie« ..........484 Tabelle 42: Subkategorien der Hauptkategorie 6: »Existenz geographisches Wissen« .........485 Tabelle 43: Subkategorien der Hauptkategorie 7: »Definition geographisches Wissen» ........486 Tabelle 44: Subkategorien der Hauptkategorie 8: »Bedeutung Geographie für Nachhaltigkeit«..................................................................487 Tabelle 45: Subkategorien der Hauptkategorie 9: »Probleme/Herausforderungen der Geographie« .....................................................................488 Tabelle 46: Subkategorien der Hauptkategorie 10: »geographisches Wissen für Nachhaltigkeit«..................................................................488 Tabelle 47: Subkategorien der Hauptkategorie 10.1: »Allgemeines Wissen« ....................489 Tabelle 48: Subkategorien der Hauptkategorie 11: »Aufgaben der Geographie für Nachhaltigkeit«..................................................................490 Tabelle 49: Subkategorien der Hauptkategorie 12: »Geographie in der Gesellschaft« ........... 491 Tabelle 50: Subkategorien der Hauptkategorie 13: »Beitrag Geographie für SDGs« ............. 491 Tabelle 51: Subkategorien der Hauptkategorie 15: »Möglichkeiten des Wissenstransfers«......492 Tabelle 52: Subkategorien der Hauptkategorie 16: »Notwendige Veränderungen im Wissenstransfers« ...............................................................493 Tabelle 53: Subkategorien der Hauptkategorie 17: »Formate der Wissensvermittlung« .........494 Tabelle 54: Subkategorien der Hauptkategorie 18: »Social Media als Wissenskanal« ...........495
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30:
Schematischer Aufbau der Arbeit ............................................ 29 Das aktualisierte Modell der planetaren Grenzen .............................. 32 Sozio-ökonomische Trends des 21. Jahrhunderts .............................. 33 Erdsystemtrends des 21. Jahrhunderts........................................ 34 Globale Megatrends des 21. Jahrhunderts .................................... 37 3-Säulen-Modell und Dreieck der Nachhaltigkeit .............................. 43 Das integrierende Nachhaltigkeitsdreieck..................................... 44 Meilensteine der nachhaltigen Entwicklung im historischen Verlauf ........... 50 Zentrale Handlungsfelder der sozial-ökologischen Transformation ............ 57 Die fünf »Ps« der Agenda 2030 .............................................. 62 Die 17 SDGs der Agenda 2030 ................................................ 63 Status Quo der Umsetzung der SDGs nach Region und Einkommen............. 66 Status quo der Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland im Jahr 2021 ...... 68 Akteursebenen der Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation ..... 73 Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder für eine sozial-ökologische Transformation .............................................................. 81 Zentrale Wissensarten sowie deren Dimensionen, Eigenschaften & Quellen .... 107 Meistgenutzte Informationsquellen der deutschen Bevölkerung im Jahr 2021... 113 Stufen der Nachhaltigkeitskommunikation ...................................134 Interpersonale Einflussfaktoren für umweltbewusstes Handeln ...............148 Handlungsbarrieren für ein nachhaltiges Verhalten ........................... 151 Historie der Geographie ..................................................... 167 Das System der modernen Geographie ........................................182 Raum-Zeit-Prozesse in der Geographie ....................................... 199 Das 3-Säulen-Modell der Geographie .........................................201 Die Schlüsselkonzepte der Geographie der Gegenwart ........................206 Die 17 SDGs der Agenda 2030 und ihre geographischen Äquivalente ...........224 Theoretischer Begründungszusammenhang ..................................248 Übersicht des Mixed-Methods-Designs der Arbeit .............................253 Räumliche Verteilung der Stichprobe .........................................276 Altersstruktur der Stichprobe ................................................293
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Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54: Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57: Abbildung 58: Abbildung 59:
Verteilung der Stichprobe nach Bildungsabschluss ...........................294 Aktuelles Berufsfeld der Befragten ...........................................294 Räumliche Verteilung der Stichprobe nach PLZ-Gebieten ......................295 Kategorisierte Wissensdefinitionen der Expert*innen .........................306 Kategorisierte Arten von Wissen aus Sicht der Expert*innen ..................308 Wissensbedeutung im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen ..... 310 Elemente des geographischen Wissensbegriffs aus Sicht der Expert*innen .... 317 Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen ...................................................... 319 Zukünftige Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen ................................................................335 Die Bedeutung der Geographie im Kontext der SDGs aus Sicht der Expert*innen ................................................................342 Potenzielle Kanäle des geographischen Wissenstransfers aus Sicht der Expert*innen ................................................................347 Potenzielle Formate eines geographischen Wissenstransfers aus Sicht der Expert*innen ................................................................350 Wissensverständnisse aus gesellschaftlicher Perspektive .....................360 Allgemeine Relevanz von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive ..........360 Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen für spezifische Lebensbereiche ..362 Gesellschaftliche Begriffsverständnisse von Nachhaltigkeit ...................365 Die Relevanz von Nachhaltigkeit im Kontext ausgewählter Themen aus gesellschaftlicher Perspektive ...............................................366 Individuelle Bewertung des eigenen Wissensstandes zu Themenbereichen aus dem Nachhaltigkeitskontext .................................................370 Vorhandene Wissensarten zu den Themen der Nachhaltigkeit .................372 Gesellschaftliches Wissen über Schlüsselkonzepte der Geographie ............373 Unterschiede in der Kenntnis geographischer Schlüsselkonzepte nach höchstem Bildungsabschluss ................................................374 Die Bedeutung geographischer Schlüsselkonzepte im Nachhaltigkeitskontext aus geographischer Perspektive .............................................375 Die Bedeutung von Nachhaltigkeit für spezifische Lebensbereiche aus gesellschaftlicher Perspektive ...............................................378 Kenntnis von nachhaltigen Handlungsmöglichkeiten für spezifische Lebensbereiche .............................................................379 Quellen des vorhandenen gesellschaftlichen Wissens zu Themen der Nachhaltigkeit ...............................................................382 Die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive .................................................................383 Erforderliche Merkmale eines Nachhaltigkeitswissens aus gesellschaftlicher Perspektive .................................................................384 Gesellschaftlich relevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext ...........385 Handlungsrelevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive................................................386
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 60: Abbildung 61: Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64: Abbildung 65:
Individuelle Einschätzung des gegenwärtigen allgemeinen Wissensstandes im Nachhaltigkeitskontext ......................................................387 Gesellschaftliche Bedarfe nach Wissen für spezifische Themenbereiche ......389 Gesellschaftliche Wissensbedarfe im Nachhaltigkeitskontext für spezifische Lebensbereiche .............................................................390 Gesellschaftlich gewünschte Informationskanäle für die zukünftige Vermittlung von Nachhaltigkeitswissen ....................................... 391 Gesellschaftlich geforderte Formate für ein Nachhaltigkeitswissen ............392 Allgemeine Schlussfolgerungen ..............................................438
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1
Einleitung »Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könnten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.« (Ban-Ki Moon, UN-Generalsekretär von 2007 bis 2016)
Dieses Zitat verdeutlicht auf anschauliche Weise, welche Bedeutung der gegenwärtigen Zeit im Hinblick auf die Zukunft unserer Gesellschaft zukommt. Das 21. Jahrhundert war und ist geprägt von multiplen Krisen und Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, wenn zukünftige Generationen ein Leben in Wohlstand und Glück auf diesem Planeten führen wollen. Ob es sich dabei um ökologische Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Versauerung der Ozeane handelt, oder aber um sozial-ökonomische Herausforderungen wie Armut, soziale Ungleichheit, Trinkwasserversorgung und Urbanisierung, die »Megatrends des Erdsystems« (WBGU 2011: 1) treten immer zahlreicher und deutlicher in Erscheinung. Der IPCC geht nach aktuellen Berechnungen davon aus, dass sich das globale Klima bereits bis zum Jahr 2030 im Durchschnitt um 1,5 Grad Celsius erhöhen könnte (IPCC 2018: 4). Die Folgen wären gravierend: Ein schnellerer Meeresspiegelanstieg, häufigere extreme Dürren, ein steigender Nahrungsund Wassermangel, ein erhöhtes Gesundheitsrisiko und vieles mehr (ebd.: 7ff.). Das im Pariser Klimaabkommen ausgerufene 1,5 Grad-Ziel ist selbst bei drastischen Änderungen des anthropogenen Verhaltens somit kaum noch haltbar. Diese hier nur beispielhaft skizzierten Prozesse stehen in einer Wechselwirkung untereinander und können daher nur schwer auf einzelne Bereiche allein bezogen werden. Die Globalisierung der Welt hat dazu geführt, dass solche Prozesse nun nicht mehr nur lokalräumlich, sondern eben auch mehrdimensional, also regional-, national- und globalräumlich, betrachtet werden müssen. So hängen alle Prozesse miteinander in Verbindung und stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Dies gilt sowohl innerhalb der sozio-ökonomischen oder ökologischen Ebene als auch im hohen Maße zwischen den beiden Ebenen. Die multiperspektivische Verflechtung aller auf der Erde ablaufenden Prozesse und ihrer Folgen ist wohl die wichtigste Erkenntnis, wenn es um die Auseinandersetzung mit der Thematik der Zukunft des Menschen auf der Erde geht.
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Die hohe Komplexität, die mit diesen Herausforderungen sowie deren Interrelationen einhergeht, bedingt in einem hohen Maße ein Umdenken in der globalen Weltgesellschaft und erfordert verstärkt ein systemisches Denken dieser Zusammenhänge (Pufe 2017: 137). Die hier kurz skizzierten globalen Problemstellungen sind dabei keineswegs neu, sondern in großen Teilen bereits seit den 1970er Jahren bekannt und prognostiziert worden. Damit einhergehend hat der Nachhaltigkeitsbegriff, welcher seinen Ursprung in der Forstwirtschaft Anfang des 18. Jahrhunderts nahm, kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Er wird seit nunmehr über 50 Jahren als zentraler Lösungsansatz angesichts der vielfältigen ökologischen und sozialen Krisen betrachtet. Trotz zahlreicher parallel existierender und teilweise unterschiedlicher Verständnisse des Begriffs und seiner Implikationen, hat er sich im Laufe verschiedenster historischer Meilensteine von Konferenzen bis hin zu Strategieentwicklungen (Pufe 2017: 37ff.) bis heute durchgesetzt. Doch insbesondere im wissenschaftlichen Kontext werden vermehrt auch kritische Stimmen laut und es existieren inzwischen zahlreiche Alternativbegriffe und Konzeptionen: Allen voran der durch die WBGU geprägte Begriff der großen Transformation (WBGU 2011: 1) beziehungsweise sozial-ökologischen Transformation setzt sich zunehmend durch. Die Grundprinzipien sind dabei jedoch identisch. Die globalen Herausforderungen können nur dann gelöst werden, wenn die ökologische, ökonomische und soziale Dimension in Einklang miteinander gebracht werden (von Hauff et al. 2018: 22ff.). Das gegenwärtig größte Umsetzungsinstrument dieses Unterfangens ist die Nachhaltigkeitsstrategie Agenda 2030. Sie ist aufgrund ihrer globalen Gültigkeit und der bis dato einmaligen Adressierung von Industrienationen und Entwicklungsländern gleichermaßen als neuester Meilenstein der Nachhaltigkeit zu bezeichnen. Im Jahr 2015 in New York verabschiedet und von 193 Staaten unterzeichnet, stellt sie die bisher größte und weitreichendste Nachhaltigkeitsstrategie und somit einen Paradigmenwechsel in der Nachhaltigkeitsdebatte dar (Martens & Obenland 2017: 12f.). Mit ihren 17 Sustainable Development Goals (kurz SDGs) und insgesamt 169 Unterzielen thematisiert die Agenda alle gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch relevanten Themenfelder und versucht somit, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Wirtschaft, Ökologie und Soziales) gleichermaßen abzudecken. Zudem weisen die SDGs in ihren Unterzielen jeweils auch Teilziele auf, die sich ausschließlich damit beschäftigen, wie die Umsetzung der Ziele finanziert werden könnte und auf welchen Akteursebenen hier Handlungsbedarf besteht. Auch dies stellt ein Novum in der Historie der Nachhaltigkeitsstrategien dar. Die Bertelsmann-Stiftung sammelt in Kooperation mit dem SDSN alle verfügbaren Daten zum Umsetzungsstand der SDGs und veröffentlicht und erweitert diese in einem jährlich erscheinenden SDG-Index and Dashboards. Hier werden für jeden teilnehmenden Staat detaillierte Abbildungen zum Status Quo für die einzelnen SDGs präsentiert. Ein Blick auf den aktuellen SDG-Index von 2022 zeigt, dass nach der Hälfte der Zeit die Umsetzung sowohl in den Industrienationen als auch Entwicklungsländern bisher als unzureichend charakterisiert werden muss. So hat keiner der teilnehmenden Staaten bis dato auch nur ansatzweise die Umsetzung der SDGs erreicht. In Deutschland ist beispielsweise bisher nur SDG1 »Armut beenden« als umgesetzt gekennzeichnet. In allen anderen Bereichen besteht weiterhin Handlungsbedarf. Insbesondere die SDGs 2–4 sowie 12–15, welche sich mit Hungerreduzierung, Gesundheit, Bildung, nachhaltigem
1 Einleitung
Konsum, Klimawandel und Schutz von Ökosystemen beschäftigen, weisen signifikante bestehende Herausforderungen bezüglich der Umsetzung auf (Sachs et al. 2022: 212). Doch wo liegt die Ursache für diese als mangelhaft einzustufende Umsetzung der SDGs? Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von fehlenden Verpflichtungen der Einhaltung der Ziele über die Schwierigkeit der globalen Steuerung bis hin zu staatenspezifisch unterschiedlichen Ausgangsbedingungen (Martens 2016: 1f.). Hinzu kommt, dass die Umsetzung solcher Strategien auf den unterschiedlichsten Akteursebenen stattfinden muss. Neben Politik, Wissenschaft und Medien kommt hier insbesondere der Zivilgesellschaft eine hohe Bedeutung zu (Holzbaur 2020: 209ff.). Zivilgesellschaftliches Handeln ist allein aufgrund der Masse an Personen und einem damit einhergehenden hohen handlungsbedingten Wirkungsgrad unabdingbar, wenn das Leitbild der Nachhaltigkeit langfristig erreicht werden soll. Hierbei spielt insbesondere Wissen eine zentrale Rolle, denn Nachhaltigkeit und Wissen stehen in einer engen Verbindung zueinander (Lüdtke & Henkel 2018: 7). Im Hinblick auf die deutsche Bevölkerung, auf der der Fokus in der vorliegenden Arbeit liegt, zeigt die regelmäßig durchgeführte Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes ein in den letzten Jahren kontinuierlich steigendes Bewusstsein für nachhaltigkeitsrelevante Themenstellungen innerhalb der Bevölkerung (BMUV 2020). Doch wie kommt es, dass trotz eines wachsenden Umweltbewusstseins innerhalb der Gesellschaft nach wie vor alltägliche Handlungen vollzogen werden, die eher beschleunigend als hemmend auf die anfangs skizzierten Krisen der Gegenwart wirken? Dass Wissen nicht auch automatisch zu einem Handeln führt, ist unter dem Begriff der Knowledge-Action-Gap insbesondere in der umweltpsychologischen Forschung bereits hinlänglich nachgewiesen worden. So existieren hier zahlreiche Barrieren sowohl gesamtgesellschaftlicher (siehe z.B. Kropp 2019) als auch individueller Natur (siehe z.B. Krömker 2008), die trotz eines vorhandenen Wissens hemmend auf konkrete Handlungen wirken. Lösungsansätze wie diese Lücke zu füllen ist, liegen bisher nicht vor und bedürfen weiterer Forschung. Studien zeigen, dass es insbesondere die Kombination unterschiedlicher Wissensarten ist, die durchaus auch positive Effekte auf nachhaltiges Handeln haben kann, und dass daher unterschiedliche im Nachhaltigkeitskontext relevante Wissensarten wie systemisches Wissen, Wirksamkeitswissen oder Handlungswissen niemals unabhängig voneinander betrachtet werden können und sollten (siehe z.B. Roczen et al. 2014). Hinzu kommt, dass konkrete Erhebungen des tatsächlichen Wissensstandes der Bevölkerung hinsichtlich Nachhaltigkeit kaum vorliegen (Scheuthle et al. 2010: 654). In einer Studie (Birke & Keil 2020) bezüglich der Agenda 2030 konnte jedoch eruiert werden, dass die Hauptursache der mangelhaften Umsetzung in der schlechten Informationslage und dem fehlenden Wissensstand der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Agenda 2030 und die SDGs liegen könnte. So ist die Agenda 2030 in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor unbekannt. Trotz zahlreicher Kampagnen und einer wachsenden Internetpräsenz SDG-bezogener Informationsseiten, scheint ein breiter Teil der Bevölkerung die Agenda schlichtweg nicht wahrzunehmen und selbst wenn, dann wird der Wissensstand insbesondere über mögliche Umsetzungsmöglichkeiten als nicht ausreichend angegeben (Birke & Keil 2020: 54f.). Es konnte jedoch herausgefunden werden, dass die Zivilgesellschaft mehr Informationen über die Agenda 2030 sowie individuelle Handlungsmöglichkeiten zur
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Umsetzung der SDGs fordert und diesbezüglich somit ein konkreter Wissensbedarf vorliegt (ebd.: 55). Wissen scheint aus Sicht der Gesellschaft im Hinblick auf eine bessere Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen relevant zu sein. Doch welches Wissen wird dafür benötigt? Wie kann eine Verbesserung der Informationslage aussehen und auf welchen Ebenen sollte eine Wissenserweiterung stattfinden? Wenn die Agenda 2030 und die SDGs sowie auch das Anliegen der sozial-ökologischen Transformation im Allgemeinen erreicht werden sollen, ist ein stärkerer Einbezug der Zivilgesellschaft inklusive einer Optimierung der Informationslage und des Wissensstandes auf allen Ebenen zwingend erforderlich. Da nachhaltigkeitsbezogene Fragestellungen und Thematiken im schulischen und universitären Bildungskontext bereits seit einiger Zeit verstärkt Einzug erhalten (vor allem durch das Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)), liegt der Fokus dieser Arbeit insbesondere auf der breiten Masse der Bevölkerung, deren Bildungsweg bereits abgeschlossen ist und die im Kontext der vorliegenden Überlegungen in der Forschung oftmals außer Acht gelassen wird. Bei der Auseinandersetzung mit den spezifischen Inhalten des Themenkomplexes Nachhaltigkeit sowie den Nachhaltigkeitszielen der SDGs fällt auf, dass alle Ziele eine inhaltliche Überschneidung mit den Themenfeldern der Wissenschaftsdisziplin der Geographie aufweisen. So lässt sich beispielsweise jedes einzelne SDG einer spezifischen geographischen Teildisziplin zuordnen. SDG1 »Armut weltweit beenden« weist beispielsweise zahlreiche Parallelen zu Inhalten der Bevölkerungsgeographie auf, SDG8 steht in engem Zusammenhang mit der Wirtschaftsgeographie und SDG14 ist den Themen der Hydrogeographie zuzuordnen, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus zeigt ein Blick in die Unterziele der SDGs, dass auch dort inhaltliche Überschneidungen mit verschiedenen geographischen Teildisziplinen vorzufinden sind. Das Wissen über die Inhalte der Geographie scheint dabei mit dem notwendigen Wissen zum Verständnis der SDGs inhaltlich zu korrelieren. Hinzu kommt, dass das Konzept der nachhaltigen Entwicklung bereits seit langem einen Kernaspekt der geographischen Forschung darstellt (Dorling & Lee 2016: 100) und die Kombination aus physisch-geographischen, humangeographischen und Mensch-Umwelt-bezogenen Themenstellungen ebenfalls als eine Parallele zu den Inhalten der Agenda 2030 und den aufgezeigten Wandlungsprozessen gesehen werden kann. Der interdisziplinäre Charakter dieser Wissenschaft deckt sich gleichermaßen mit der Interdisziplinarität nachhaltiger Entwicklung, sodass eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung geographischen Wissens sowohl für eine Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung im Allgemeinen als auch für die Umsetzung der spezifischen SDGs hilfreich sein könnte. Ein weiteres Argument für den bedeutsamen Status geographischen Wissens im Zusammenhang mit dieser Thematik wird bei einem Blick auf die bereits skizzierten globalen Herausforderungen deutlich. So wird die Lösung von Problemlagen wie dem Klimawandel, Umweltverschmutzung, Ozeanversauerung oder Biodiversitätsverlust in der Forschung als zentrale Idee der SDGs betrachtet (Leal Filho et al. 2019: 180). Gleichzeitig sind alle diese Thematiken auch Gegenstand geographischer Forschung und ein Wissen darüber kann somit über die Geographie erworben werden. Konkrete empirische Studien diesbezüglich liegen jedoch bisher nicht vor. Hieraus begründet sich die Relevanz der Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation sowie im Zusammen-
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hang mit der Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien wie der Agenda 2030. Das vorliegende Dissertationsvorhaben thematisiert dementsprechend die Rolle der Geographie in diesem Kontext und fokussiert sich dabei auf das geographische Wissen und dessen Einfluss auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsanliegen, wie sie exemplarisch in den SDGs benannt werden, aber auch im Hinblick auf nachhaltiges Handeln in der Gesellschaft im Allgemeinen. Hieraus ergeben sich einige Forschungsdesiderate, die es zu bearbeiten gilt. So muss im Zuge des Vorhabens zunächst definiert werden, was überhaupt unter geographischen Wissens- und Denkweisen zu verstehen ist und welche geographischen Inhalte im Kontext von Nachhaltigkeit sowie der Agenda 2030 in der Forschung als relevant betrachtet werden. Darüber hinaus gilt es, den Wissensstand der Zivilgesellschaft hinsichtlich konkreter Nachhaltigkeitsthemen zu erfassen, um Wissenslücken sowie -bedarfe zu eruieren sowie bereits genutztes geographisches Wissen seitens der Gesellschaft zu detektieren. Dadurch kann erforscht werden, inwiefern geographisches Wissen vorhandene Lücken füllen und somit einen tatsächlichen Einfluss auf gesellschaftliches Handeln nehmen kann. Ein weiterer damit einhergehender zentraler Aspekt ist die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Informationsvermittlung und den potenziellen Informationskanälen für das benötigte Wissen. Insgesamt ergibt sich daraus die Herausstellung der Rolle der Geographie in den hier genannten Kontexten sowie zukünftige Erwartungen und Aufgaben an die geographische Forschung im Zusammenhang mit der weiteren Implementierung der Agenda 2030 und den SDGs sowie der Förderung einer sozial-ökologischen Transformation insgesamt. Konkrete Definitionen eines geographischen Wissensbegriffs lassen sich in der Literatur weder im deutschsprachigen noch im internationalen Raum finden. Vielmehr scheint hier eine Pluralität verschiedener Wissensverständnisse vorzuliegen. Dabei tauchen Beschreibungen eines geographischen Wissens von einem theoretischen Wissen über ein räumliches und regionales Wissen bis hin zu einem Alltagswissen auf (Laub 2021: 202). Es gilt somit zunächst im Zuge dieser Arbeit, ein klares Verständnis des geographischen Wissensbegriffs herauszuarbeiten und dessen Wert im Nachhaltigkeitskontext zu beleuchten. Das Thema Geographie und ihre Verbindung zu den SDGs lässt sich bisher als explizites Thema ebenfalls kaum in Publikationen weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene finden. Dies gilt auch für Überlegungen hinsichtlich relevanter geographischer Inhalte in diesem Zusammenhang. Hier scheint somit eine Forschungslücke vorzuliegen. Untersuchungen, die sich mit der Rolle der Geographie beschäftigen, tun dies immer nur im Kontext des Themas Nachhaltigkeit und Umweltforschung. Eine explizite Verbindung mit der sozial-ökologischen Transformation oder zur Agenda 2030 und den SDGs liegt bisher nicht vor. So beschäftigte sich Bätzing beispielsweise mit der Fragestellung, inwiefern Geographie als Umweltwissenschaft gesehen werden kann und welche Rolle das Fach in diesem Zusammenhang einnimmt (Bätzing 1991: 105ff.). Ehlers untersuchte die Chancen der Geographie als Umweltwissenschaft und die Bedeutung des interdisziplinären Charakters des Faches im Kontext Umweltforschung (Ehlers 1998: 345ff.). Coy thematisiert die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für das Fach Geographie und welche Rolle Geographie für eine nachhaltige Entwicklung spielt (Coy 2007: 1ff.), Messerli & Wiessmann fokussieren sich auf die Beiträge der Geographie zum Thema Nachhaltigkeit und den Chancen der geo-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
graphischen Forschung im Hinblick auf die Umsetzung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung (Messerli & Wiesmann 2007: 123ff.). Chang et al. setzen sich zwar mit der Bedeutung von geographischem Wissen im Zusammenhang mit dem Verständnis von globalen Zusammenhängen auseinander, sie beziehen dies jedoch nur grob auf allgemeines geographisches Wissen und fokussieren sich eher auf geographisches Wissen im Kontext des Klimawandels (Chang et al. 2018: 29ff.). Am Stand der Forschung lässt sich erkennen, dass eine thematische Verbindung wie sie im vorliegenden Dissertationsvorhaben angestrebt wird, so bisher in der Forschung nicht zu finden ist. Insbesondere die Verbindung von geographischem Wissen und der Agenda 2030 sowie im Hinblick auf dessen Einfluss für ein nachhaltigkeitsorientiertes zivilgesellschaftliches Handeln, scheint bisher wenig erforscht zu sein, was erneut die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik unterstreicht. In diesem Kontext ergeben sich drei übergeordnete Forschungsfragen, die in der vorliegenden Arbeit behandelt werden: • •
•
Welche Rolle spielt die Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozialökologischen Transformation? Welche Bedeutung spielen geographische Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung von spezifischen Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation? Welchen Einfluss haben geographische Wissens- und Denkweisen auf zivilgesellschaftliches Handeln im Zusammenhang mit der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele?
Um diesen Fragestellungen nachzugehen, werden zunächst die theoretischen Grundlagen geschaffen. Diese werden in vier großen Teilen gegliedert betrachtet. Der erste Teil thematisiert die globalen Krisen und Konflikte des 21. Jahrhunderts und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten im Hinblick auf nachhaltiges Handeln. Daran anknüpfend erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsbegriff als solchem. Hier geht es um gängige Definitionsversuche und den darin enthaltenen Implikationen, Theorien und Modellversuche zur Veranschaulichung der gesamten Nachhaltigkeitsthematik sowie einem kurzen historischen Abriss und den darin enthaltenen Meilensteinen nachhaltiger Entwicklung. Dies legt die Grundlage des für diese Arbeit relevanten Verständnisses von Nachhaltigkeit und seiner Dimensionen. Im Anschluss daran erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsbegriff und seiner inflationären Verwendung sowie ein Blick auf alternative Konzepte wie insbesondere dem der sozial-ökologische Transformation. Das darauffolgende Unterkapitel widmet sich Nachhaltigkeitsstrategien als gängigstes Umsetzungsinstrument und legt hier den Fokus auf die Agenda 2030 und ihre SDGs als aktuell gültige und global weitreichendste Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei wird ein Blick auf die Entstehung und Inhalte der Strategie geworfen ebenso wie auf den gegenwärtigen Umsetzungsstand sowohl auf globaler Ebene als auch spezifisch für Deutschland. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Strategie und ihren Zielsetzungen ist Teil dieses Kapitels. Den Abschluss bildet die Auseinandersetzung mit den Akteursebenen der Umsetzung im Nachhaltigkeitskontext sowie den SDGs. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Zivilgesellschaft als Akteur
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und ihren Handlungsbereichen in diesem Zusammenhang, da dies auch die Zielgruppe für die Forschung der vorliegenden Arbeit darstellt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Begriff des Wissens. Hier wird zunächst aufgezeigt, wie sich Wissen definieren lässt und wie sich diese Definitionen im historischen Verlauf verändert haben, welche Merkmale Wissen zugeschrieben werden können und welche Wissensarten sich klassifizieren lassen. Anschließend erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Analyse des Wissensbegriffs und den daraus resultierenden Konsequenzen. Darauf aufbauend geht es um die Quellen von Wissen in der Gegenwart und wie Wissen breitenwirksam kommuniziert werden kann. Im Kontext der Wissenskommunikation liegt dabei ein Fokus auf den Kanälen und Formaten, mit welchen die Gesellschaft heutzutage Wissen konsumiert, ebenso wie um die Besonderheiten einer wissenschaftsbasierten Wissenskommunikation. Dies ist zentral, wenn es um den Transfer von Wissen im Nachhaltigkeitskontext geht. Mit Hilfe dieser Grundlagen wird dann ein Blick auf die gegenwärtige Bedeutung von Wissen in der Gesellschaft geworfen. Wie hat sich die Bedeutung von Wissen im Lauf der Zeit gewandelt und welche Bedeutung kommt Wissen heute aus gesellschaftlicher Perspektive zu? Darauf aufbauend wird diskutiert, inwiefern die gegenwärtige Gesellschaft als Wissensgesellschaft charakterisiert werden kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben auch mit Blick auf die sozial-ökologische Transformation. Der dritte Teil befasst sich mit der Zusammenführung von Wissen und Nachhaltigkeit. Zu diesem Zweck wird zunächst die allgemeine Bedeutung von Wissen im Hinblick auf Nachhaltigkeit thematisiert. Auf einer spezifischeren Ebene geht es dann um Strukturen und Formen eines nachhaltigkeitsrelevanten Wissens. Dazu zählen sowohl relevante Wissensinhalte als auch die unterschiedlichen Arten des Wissens, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Ferner wird auch ein Blick auf spezifische Besonderheiten der Wissenskommunikation im Nachhaltigkeitskontext geworfen, die es hierbei zu beachten gilt. Um den Bogen zur Zivilgesellschaft als Umsetzungsakteur zu schaffen, geht es anschließend darum, den gegenwärtigen Wissensstand in der deutschen Bevölkerung in diesem Kontext als Raumfokus der vorliegenden Arbeit näher zu beleuchten. Hier werden insbesondere Studienergebnisse hinsichtlich des Umweltbewusstseins der Bevölkerung vorgestellt, da Wissen ein essenzieller Bestandteil dieses Bewusstseins ist. Den Abschluss des Kapitels bildet eine vertiefte Auseinandersetzung mit der allseits bekannten Knowledge-Action-Gap. Worin liegen die Gründe für die Kluft zwischen Wissen und Handeln? Welche Handlungsbarrieren lassen sich beobachten und lässt sich ein tatsächlicher Einfluss von Wissen auf Handeln im Nachhaltigkeitskontext messen? Hierzu werden insbesondere umweltpsychologische Sichtweisen vorgestellt, da in diesem Bereich am meisten zu dieser Thematik geforscht wird. Final erfolgt dann eine kritische Diskussion, inwiefern Handeln ohne Wissen möglich ist und welche Bedeutung Wissen letzten Endes im Hinblick auf nachhaltiges Handeln zukommt. Der vierte und letzte Teil der theoretischen Grundlagen stellt den Hauptfokus sowie den spezifischen Begründungszusammenhang für die vorliegenden Forschung dar. Er beschäftigt sich auf alle anderen Teile aufbauend mit der Rolle der Geographie im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation und nachhaltigem Handeln in der Gesellschaft. Nach einer ausführlichen Synthese einer allgemeingültigen Definition der Geographie als Grundlage wird aufgezeigt, welche Basiskonzepte und Inhalte das Fach
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
gegenwärtig aufweist, wie sich diese im historischen Verlauf bis heute gewandelt haben und wie die gegenwärtige Struktur der Geographie aussieht. Hierbei wird sowohl ein vertiefter Blick auf die gängigen Teildisziplinen der Geographie sowie auf ihre Schlüsselkonzepte geworfen. Darauf aufbauend wird ausführlich thematisiert, in welchem Zusammenhang der Themenkomplex der Nachhaltigkeit und die Geographie und deren Inhalte stehen. Weiterführend wird die aktuelle gesellschaftliche Wahrnehmung der Geographie thematisiert, da diese die Grundlage insbesondere für eine zukünftige Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen in die Gesellschaft bildet. Daran anschließend erfolgt eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens. Was ist geographisches Wissen und (wie) lässt es sich definieren? Welches geographische Wissen ist im Kontext von Nachhaltigkeit allgemein und am Beispiel der SDGs der Agenda 2030 im spezifischen relevant und welche Rolle ergibt sich daraus zukünftig für die Geographie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation? Erweiternd dazu folgt eine Auseinandersetzung mit den Zielgruppen geographischen Wissens mit einem erneuten Fokus auf der Zivilgesellschaft sowie Besonderheiten und Herausforderungen im Kontext einer geographischen Wissenskommunikation. Den Abschluss bildet eine Diskussion über die sich aus den hier aufgeführten theoretischen Grundlagen ergebende zukünftige Rolle der Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation. Der empirische Teil wird eingeleitet durch ein theoretisches Zwischenfazit sowie einer sich daraus ergebenden Ableitung der Forschungsfragen. Da auf der methodischen Ebene ein Mixed-Methods-Ansatz verfolgt wurde, folgt nach einem allgemeinen Begründungszusammenhang dieses Ansatzes eine zweiteilige Gliederung der Empirie. Der erste Teil beschäftigt sich aufbauend auf den theoretischen Vorüberlegungen mit der Charakterisierung eines geographischen Wissens sowie der Relevanz der Geographie sowie geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf eine verbesserte zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Zu diesem Zweck wurden Interviews mit Expert*innen der Geographie im deutschsprachigen Raum geführt. Ziel der Befragung war es, zu eruieren, was als geographisches Wissen betrachtet werden kann und welches geographische Wissen im Kontext Nachhaltigkeit von Expert*innen als relevant und bedeutsam erachtet wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Implementierung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs. Die konkrete Zielgruppe stellen hierbei Experten*innen aus der geographischen Forschung (Universitäten/Forschungsinstitute) dar, die als ausgewiesene Expert*innen für die jeweiligen geographischen Teildisziplinen gelten. Die zweite Phase der Empirie beschäftigt sich darauf aufbauend mit möglichen Einflüssen eines solchen relevanten geographischen Wissens für die breite Masse der Gesellschaft im Hinblick auf nachhaltiges Handeln. Hierzu wurde eine quantitative OnlinePanel-Befragung innerhalb der deutschen Bevölkerung durchgeführt. Dabei wurde zunächst erhoben, welche Bedeutung Wissen sowohl allgemein als auch für den Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Bevölkerung hat. Daran anknüpfend ging es darum, den gegenwärtigen Wissensstand sowie Wissensbedarfe der Zivilgesellschaft im Hinblick auf nachhaltigkeitsrelevante Themen wie sie auch in den SDGs auftauchen zu eruieren. In diesem Zusammenhang wurde auch das bestehende Wissen hinsichtlich geographischer
1 Einleitung
Schlüsselkonzepte sowie dessen Einfluss auf nachhaltigkeitsbezogenes Wissen erhoben. Es ging darum, herauszufinden, welches geographische Wissen bereits genutzt wird, wo noch Wissenslücken im Nachhaltigkeitskontext bestehen, wie diese zu füllen sind und inwiefern geographisches Wissen hier einen Beitrag leisten kann, ein stärkeres Handeln in Richtung Nachhaltigkeit zu generieren. Zu diesem Zweck wurden auch Wissensbedarfe hinsichtlich konkreter zivilgesellschaftlicher Lebensbereiche erfragt, ebenso wie genutzte und erwünschte Informationskanäle, Formate und Arten von Wissen, die aus Sicht der Bevölkerung zukünftig verstärkt für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation genutzt werden sollten. Die methodischen Begründungszusammenhänge der beiden Erhebungen sowie ihre Ergebnisse werden zunächst getrennt voneinander ausführlich dargelegt. Im Anschluss erfolgt dann eine kritische Methodenreflexion. Der anschließende Diskussionsteil der Arbeit gliedert sich nach den zugrundeliegenden Forschungsfragen und diskutiert dabei die Ergebnisse beider Erhebungen sowohl für sich betrachtet als auch in Kombination miteinander entlang der Fragestellungen und unter Einbezug vergleichbarer Studien sowie den theoretischen Hintergründen, die dieser Forschung zugrunde liegen. Das abschließende Fazit gliedert sich in drei Teile. Zunächst erfolgt eine Gesamtzusammenfassung der allgemeinen Schlussfolgerungen der vorliegenden Arbeit. Anknüpfend daran werden aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen für die zukünftige Rolle der Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation abgeleitet. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf mögliche und notwendige Forschungsvorhaben zur vorliegenden Thematik. Abbildung 1 zeigt für einen besseren Überblick den hier dargestellten schematischen Aufbau der vorliegenden Dissertationsschrift.
Abbildung 1: Schematischer Aufbau der Arbeit
Eigene Darstellung
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2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit Definitionen, Entwicklungen & Trends der Gegenwart
Bei der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen und Geographie im Nachhaltigkeitskontext gilt es zunächst, herauszustellen, worin die Notwendigkeit des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung überhaupt besteht. Daran anknüpfend ist es unabdingbar, wichtige Begriffsdefinitionen und Unterscheidungen anzuführen, um sich dem komplexen Themenfeld einer sozial-ökologischen Transformation und dem damit verbundenen Wissen besser nähern zu können. Aus diesem Grund sollen im Folgenden zunächst die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts als Ausgangspunkt der Arbeit kurz dargelegt werden. Darüber hinaus werden gängige Begriffe des Themenkomplexes Nachhaltigkeit definiert und voneinander abgegrenzt. Zudem geht es darum, die zentralen Inhalte und Trends dieser Thematik näher zu beleuchten, um einen Blick auf das notwendige Wissen in diesem Zusammenhang werfen zu können. Dies impliziert auch eine Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsstrategien wie insbesondere der Agenda 2030 als zentrales Umsetzungsinstrument sowie die Beleuchtung der relevanten Akteursebenen nachhaltiger Entwicklung mit einem besonderen Fokus auf die Zivilgesellschaft und deren Handlungsfelder.
2.1
Globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Nachhaltigkeit als Notwendigkeit?
Wenn es um die zentralen Themen einer nachhaltigen Entwicklung respektive sozialökologischen Transformation geht, so sind diese ebenso vielfältig und komplex wie die Begrifflichkeiten selbst. Sie ergeben sich dabei aus der Betrachtung der zentralen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betitelte bereits im Jahr 2008 die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts als Megatrends der Nachhaltigkeit. Zu diesen zählen allen voran der Klimawandel, die Ressourcenverknappung, der demographische Wandel innerhalb der Bevölkerung sowie der steigende Süßwassermangel auf der Erde (BMU 2008: 7ff.). Diese vier Trends wurden vom BMU jedoch nur exemplarisch ausgewählt, denn die tatsäch-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit Definitionen, Entwicklungen & Trends der Gegenwart
Bei der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen und Geographie im Nachhaltigkeitskontext gilt es zunächst, herauszustellen, worin die Notwendigkeit des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung überhaupt besteht. Daran anknüpfend ist es unabdingbar, wichtige Begriffsdefinitionen und Unterscheidungen anzuführen, um sich dem komplexen Themenfeld einer sozial-ökologischen Transformation und dem damit verbundenen Wissen besser nähern zu können. Aus diesem Grund sollen im Folgenden zunächst die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts als Ausgangspunkt der Arbeit kurz dargelegt werden. Darüber hinaus werden gängige Begriffe des Themenkomplexes Nachhaltigkeit definiert und voneinander abgegrenzt. Zudem geht es darum, die zentralen Inhalte und Trends dieser Thematik näher zu beleuchten, um einen Blick auf das notwendige Wissen in diesem Zusammenhang werfen zu können. Dies impliziert auch eine Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsstrategien wie insbesondere der Agenda 2030 als zentrales Umsetzungsinstrument sowie die Beleuchtung der relevanten Akteursebenen nachhaltiger Entwicklung mit einem besonderen Fokus auf die Zivilgesellschaft und deren Handlungsfelder.
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Globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Nachhaltigkeit als Notwendigkeit?
Wenn es um die zentralen Themen einer nachhaltigen Entwicklung respektive sozialökologischen Transformation geht, so sind diese ebenso vielfältig und komplex wie die Begrifflichkeiten selbst. Sie ergeben sich dabei aus der Betrachtung der zentralen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betitelte bereits im Jahr 2008 die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts als Megatrends der Nachhaltigkeit. Zu diesen zählen allen voran der Klimawandel, die Ressourcenverknappung, der demographische Wandel innerhalb der Bevölkerung sowie der steigende Süßwassermangel auf der Erde (BMU 2008: 7ff.). Diese vier Trends wurden vom BMU jedoch nur exemplarisch ausgewählt, denn die tatsäch-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
liche Anzahl der Trends ist erheblich weitreichender. Besonders deutlich wurde dies als Rockström im Jahre 2009 mit seinem Team das Modell der planetaren Grenzen erschuf. In diesem Modell (Abb.2) wird die Erde in sechs verschiedene ökologische Bereiche aufgeteilt, bei denen ein Überschreiten der natürlichen Belastbarkeitsgrenzen enorme negative Folgen für das Leben der Menschen auf diesem Planeten hätte. Zu diesen Bereichen zählen Klimawandel, Intaktheit der Biosphäre, Landnutzungswandel, Süßwassernutzung, biogeochemische Flüsse, Versauerung der Meere, Aerosolgehalt der Atmosphäre, Ozonverlust in der Stratosphäre sowie neue Substanzen und modifizierte Lebensformen (Rockström et al. 2009: 22).
Abbildung 2: Das aktualisierte Modell der planetaren Grenzen
Stockholm Resilience Center, Online unter: https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/ update-planetare-grenzen-suesswassergrenze-ueberschritten, letzter Zugriff: 30.06.2023
Die Grenzen werden dabei abstufend unterteilt von hohem Risiko, über erhöhtes Risiko bis zu sicherem Handlungsspielraum. In einigen Bereichen sind die Belastbarkeitsgrenzen nicht klar definiert, da sie noch nicht quantitativ erfassbar sind. Das Modell
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
zeigt jedoch eindrücklich, dass in Bezug auf die Trends Klimawandel, biogeochemische Flüsse (impliziert den Stickstoffkreislauf) sowie die Intaktheit der Biosphäre (impliziert den Biodiversitätsverlust) die Grenzen bereits massiv überschritten sind. Auch in den anderen messbaren Bereichen wie Süßwassernutzung, Landnutzungswandel, Ozeanversauerung sowie Ozonverlust nähern wir uns bereits der Belastbarkeitsgrenze (ebd.: 23). Dieses Modell bildet jedoch nur die ökologische Ebene der globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wieder. Für eine allumfassende Beschreibung ist es demnach nicht ausreichend. Hier schafft ein Blick auf ein erweitertes Trendmodell Abhilfe. Die unter dem Begriff der »großen Beschleunigung« fallenden Graphen wurden erstmals im Jahr 2004 veröffentlicht. Steffen et al. aktualisierten diese Trendgraphen im Jahr 2015. Sie werden unterteilt in sozio-ökonomische Trends und Erdsystemtrends (Abb. 3–4).
Abbildung 3: Sozio-ökonomische Trends des 21. Jahrhunderts
Steffen et al. 2015: 4
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 4: Erdsystemtrends des 21. Jahrhunderts
Steffen et al. 2015: 7
Diese Graphen zeigen auf, wie sich bestimmte globale Phänomene seit dem Jahr 1750 bis zum Jahr 2010 entwickelt haben und welche Trends dabei zu beobachten sind (Steffen et al. 2015: 4ff.). Wie sich erkennen lässt, sind viele der als Erdsystemtrends bezeichneten Teilbereiche deckungsgleich mit den Bereichen der planetaren Belastungsgrenzen. Allerdings sind die Teilbereiche hier noch deutlich differenzierter aufgelistet, sodass auch Themen wie Oberflächentemperatur, Fischfang oder Waldverlust auftauchen. Im Gegensatz zum Modell der planetaren Grenzen wird hier mit den sozio-ökonomischen Trends auch die soziale und ökonomische Ebene globaler Konflikte einbezogen. Wie sich erkennen lässt, zeichnet sich bei allen Erdsystemtrends sowie den sozio-ökonomischen Phänomenen der Trend einer exponentiellen Steigung seit dem Jahr 1950 ab. Ob es dabei um Stadtbevölkerung, Energieverbrauch, den Einsatz von Düngemitteln oder aber Tourismusströme geht, alle erfassten Trends weisen ein anhaltendes und starkes Wachstum auf, insbesondere
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
in den letzten 50 Jahren. Allerdings muss hierbei angemerkt werden, dass diese Trenderscheinungen räumlich unterschiedlich zu betrachten sind. Beispielsweise ist das Bevölkerungswachstum hauptsächlich in Nicht-OECD-Staaten zu verzeichnen, wohingegen die Weltwirtschaft beinahe ausschließlich von OECD-Staaten dominiert wird. Tatsächlich ist der größte Impact auf alle hier dargestellten Trends auf die Handlungen und Lebensweisen der OECD-Staaten zurückzuführen (Steffen et al. 2015: 11). An dieser Stelle sei angemerkt, dass anders als die Teilbereiche im Modell der planetaren Grenzen, die hier dargestellten Graphen nicht aufzeigen, inwiefern das zu beobachtende Wachstum in allen Bereichen auch gleichbedeutend mit einer Überschreitung von Belastungsgrenzen einhergeht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass für die meisten der hier dargestellten Entwicklungen nach wie vor keine Berechnungen bezüglich potenzieller Grenzen vorliegen und vielleicht sogar gar nicht möglich sind. Doch trotz der räumlichen Diversifikation dieser Trends und der Schwierigkeit der Messbarkeit, können sie als Zeiger der globalen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts fungieren, welche es im Sinne einer Transformation unserer Gesellschaft in zur Nachhaltigkeit zu beachten gilt. Im Hinblick auf die hohe Komplexität sowohl der einzelnen hier aufgeführten Phänomene als auch Ihrer Zusammenhänge, finden sich in der Literatur zahlreiche Versuche, die Vielzahl an verschiedenen Problemen auf übergeordnete Themen zu komprimieren. So werden beispielsweise der Klimawandel, die Ressourcenverknappung sowie das Bevölkerungswachstum als die drei zentralen Megatrends der gegenwärtigen Situation auf der Erde betrachtet. Die natürlichen Grundlagen der Erde dienen dem Menschen als Basis seines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns. Dabei stehen alle drei Phänomene in Verbindung zueinander und beeinflussen letzten Endes das menschliche Leben. Die Ressourcenverknappung als Resultat der anthropogenen Ressourcenübernutzung zur Wahrung eines bestimmten Lebensstandards, der Klimawandel als Reaktion der Erdsysteme auf diese Übernutzung und das Bevölkerungswachstum als Treiber und Verschärfer dieser beiden Megatrends (Haase 2020: 8). Diese Dreiteilung erscheint angesichts der enormen Vielfalt globaler Konflikte jedoch als zu grob. Holzbaur wiederum sieht neben diesen drei Trends erweiternd auch Digitalisierung, demografischer Wandel, Urbanisierung, Gentechnik und Georisiken als Megatrends des 21. Jahrhunderts an (Holzbaur 2020: 66ff.). Die Themen der Digitalisierung, Gentechnik und Georisiken als eigenständige Megatrends zu betrachten, stellt hierbei eine Neuerung dar. Angesichts der steigenden Bedeutung insbesondere auch im Zuge der Covid-19-Pandemie erscheint die Aufnahme der Digitalisierung als Megatrend in diese Liste durchaus logisch. Die Gentechnik lässt sich verschiedenen Bereichen zuordnen wie zum Beispiel Medizin, aber auch Landwirtschaft und Ernährung. Dementsprechend stellt sie wohl eher einen Teilaspekt, nicht aber einen eigenständigen Megatrend dar. Georisiken oder geophysikalische Veränderungen wie die Polumkehr, Erdbeben oder Vulkanismus als Megatrend der Zukunft zu bezeichnen, gestaltet sich insofern schwierig, als dass diese Phänomene auch in der Vergangenheit aufgetreten sind und somit keine Neuerscheinung darstellen. Auch erweitere Georisiken (auch als Geo-Hazards bezeichnet) sind wohl eher als eine Folgeerscheinung des Klimawandels oder direkter anthropogener Eingriffe zu betrachten und weniger als eigenständiger Megatrend. Die Unterteilung der Megatrends des WBGU in Trends des Erdsystems und Trends der globalen Wirtschaft und Gesellschaft ähnelt in weiten Teilen der Einteilung nach
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Steffen et al. Bei den ökologisch konnotierten Erdsystemtrends werden hier erweiternd noch Bodendegradation & Desertifikation, Wasserverschmutzung sowie Ressourcenknappheit als Trends aufgeführt (WBGU 2011: 35ff.). Auf der sozio-ökonomischen Ebene werden keine zusätzlichen Trends benannt. Das World Economic Forum (WEF) publiziert jährlich den Global Risks Report. In diesem werden jeweils die fünf Risiken mit dem potenziell größten Impact thematisiert. Die aktuelle Zeit steht hier im Einfluss der Covid-19Pandemie. Ausgehend von den Kurz- und Langzeitfolgen resultieren nach Ansicht des WEF daraus Risiken in Bezug auf den Trend der Digitalisierung, die zukünftige Entwicklung der Jugend in der Gesellschaft (Pandemials genannt), die Verstärkung globaler Ungleichheiten sowie einen wirtschaftlichen Kollaps durch unsichere Märkte (WEF 2021). Darüber hinaus beinhaltet der Report die Umfrageergebnisse des Bewusstseins der Gesellschaft gegenüber den globalen Risiken des 21. Jahrhunderts. Es zeigt sich, dass hier Extremwetterereignisse, Klimaschutzversagen, anthropogen verursachte Umweltzerstörung, Pandemien, Biodiversitätsverlust sowie Ungleichheiten im Zuge einer steigenden Digitalisierung als am wahrscheinlichsten auftretende globale Risiken des 21. Jahrhunderts betrachtet werden. Als globale Risiken mit dem größten Einfluss werden hier Pandemien, Klimaschutzversagen, Massenvernichtungswaffen, Biodiversitätsverlust, Rohstoffkrisen, anthropogen verursachte Umweltzerstörung sowie Existenzkrisen genannt. (WEF 2021: 14). Die Thematisierung von Waffen als Krise ist hierbei neu und taucht interessanterweise in keinem der anderen Trendszenarien auf. Überhaupt fällt in diesem Zusammenhang auf, dass Themen wie kriegerische Auseinandersetzungen und Terrorismus zu keinem Zeitpunkt genannt werden. Eine objektive Erklärung dafür lässt sich nicht ohne weiteres finden. Das Thema Konflikte taucht im Kontext der Benennung von Megatrends des 21. Jahrhunderts grundsätzlich nur selten auf. Scheffran betrachtet für das 21. Jahrhundert die Kipppunkte der Mensch-Umwelt-Interaktion und führt dabei zentrale potenzielle Krisenherde auf, die sich aus den Umweltrisiken der Gegenwart ergeben können. Dazu zählen Konflikte um Ressourcenknappheit und Überfluss, Verfügbarkeits-, Verteilungs- und Gerechtigkeitskonflikte sowie widersprüchliche politische Zielsetzungen (Scheffran 2004: 266ff.). Diese Konfliktfelder stehen oftmals in Verbindung zueinander und können durch verstärkte Umweltkrisen ebenfalls weiter verstärkt werden. Je komplexer die Folgenketten dieser Konflikte in Relation zueinanderstehen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Krisen vermehrt auftreten (ebd.: 268). Es erscheint demnach sinnvoll, Konflikte ebenfalls als übergeordneten und potenziellen Trend der Zukunft in Betracht zu ziehen. Ein Blick auf die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der globalen Nachhaltigkeitsstrategie der Agenda 2030 der UN lässt die Synthese weiterer globaler Trends des 21.Jahrhunderts zu. Zwar sind die SDGs als übergeordnete Zielsetzungen formuliert, es lassen sich dennoch Trends daraus ableiten, aus denen die Notwendigkeit dieser Zielsetzungen resultiert. Erweiternd zu den bisher genannten Trends sind hieraus zu nennen: weltweite Armut, eine mangelhafte Ernährungssituation, ungleiche Gesundheitsversorgung, fehlender flächendeckender Bildungszugang, fehlende globale Geschlechtergleichstellung sowie mangelhafte industrielle & städtische Infrastrukturen. Pufé hingegen unterteilt die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts in 6 Oberkategorien, die jeweils weitere Unterkategorien enthalten. So werden die Trends nach Umweltproblemen, Ernährung, Rohstoff & Energie, Wohlstand & Gesundheit, Weltbevölkerung sowie Menschenrechte gegliedert. Neu ge-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
nannt werden hierbei auch Problemstellungen wie Verteilungskämpfe, die Nord-SüdKluft, Smogbildung, Migration aber auch Ausbeutung und Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt sowie Korruption (Pufé 2017: 26f.). Insbesondere die letzten Punkte stellen eine Neuerung dar, die sich konkret auf die Ökonomie beziehen, in den anderen Trendszenarien allerdings nicht zu finden sind. Aus der Masse an den hier vorgestellten unterschiedlich ausdifferenzierten Trendszenarien und Konfliktdarstellungen ergibt sich ein Konglomerat aus den gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden zentralen Konflikten des 21. Jahrhunderts, welches in Abbildung 5 zusammengefasst abgebildet ist. Die Unterteilung erfolgt dabei in die beiden Ebenen der Ökologie und der Sozio-Ökonomie. Auf eine Dreiteilung (Ökonomie, Ökologie, Soziales) wie sie im Nachhaltigkeitskontext gängige Praxis ist, wird in diesem Fall verzichtet, da die aufgeführten Trends sowohl sozial als auch ökonomisch konnotierte Aspekte enthalten und somit nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Darüber hinaus stehen alle aufgeführten Trends in einer wechselseitigen Beziehung zueinander, sodass, die beiden Ebenen zwar einzeln betrachtet werden können, aber dennoch eine starke Interdependenz zueinander aufweisen. Diese hier abgebildeten Problemstellungen des gegenwärtigen Jahrhunderts bedingen in hohem Maße eine notwendige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit, wie sie im Folgenden näher ausgeführt wird.
Abbildung 5: Globale Megatrends des 21. Jahrhunderts
Eigene Darstellung in Anlehnung an Rockström et al. 2009; Steffen et al. 2015
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
2.2
Nachhaltigkeit – Ein Definitionskonglomerat
Die Vielschichtigkeit des Begriffes der Nachhaltigkeit sowie die damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen haben zur Folge, dass ebenso viele Definitionsversuche existieren, die den Begriff von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachten. So wird in den meisten Fällen auch eher von einer nachhaltigen Entwicklung gesprochen und weniger von Nachhaltigkeit als solche, auch wenn es sich bei ersterem um einen Prozess handelt und nicht um etwas Statisches wie der Nachhaltigkeit (Matheis & Schwender 2021: 28f.). Vom reinen Wort ausgehend wird der Begriff Nachhaltigkeit definiert als »eine längere Zeit anhaltende Wirkung« (Dudenredaktion o.J.). Nachhaltigkeit wird in diesem Kontext dafür verwendet, um Prozesse und Systeme zu beschreiben, die in der Lage sind, über einen langen Zeitraum hinweg aus eigener Kraft heraus zu funktionieren (Robertson 2014: 3). Weiterführend lassen sich im Duden zu diesem Begriff die beiden Gebrauchsweisen »forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als je nachwachsen kann« sowie »Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren und künftig bereitgestellt werden kann« (Dudenredaktion, o.J.) finden. Hier zeigen sich sowohl die historischen Ursprünge des Begriffs aus der Forstwirtschaft sowie eine ökologische Betrachtungsweise, die den gängigen Definitionen nahekommt. Allerdings sind diese Definitionen äußerst allgemein gehalten, sodass einige zentrale Aspekte des komplexen Begriffs nicht beachtet werden. Die wohl gängigste Bedeutung, welche aus dem weithin bekannten Brundtland-Bericht hervorgegangen ist, definiert Nachhaltigkeit als »eine Entwicklung, die den gegenwärtigen Bedarf zu decken vermag, ohne gleichzeitig späteren Generationen die Möglichkeit zur Deckung des ihren zu verbauen« (Hauff 1987: 10). Diese Definition ist ebenso eher allgemein gehalten und bietet aufgrund ihrer Vagheit einen hohen Auslegungsspielraum sowie eine fehlende Operationalisierbarkeit (Dresner 2008: 70). Zudem stehen hier vornehmlich die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund und die Ressourcen der Erde werden dabei nur implizit einbezogen. Die Definition zeigt jedoch, dass Nachhaltigkeit kein rein wissenschaftlicher Begriff ist, sondern vielmehr eine Art gesellschaftliches Leitbild (Grunwald & Kopfmüller 2012: 12f.). Zudem lässt sich hieran erkennen, dass eine nachhaltige Entwicklung auf zwei Prozesse zu beziehen ist. Zum einen die Wahrung der natürlichen und kulturellen Ressourcen der Erde und zum anderen eine Entwicklung der heutigen Gesellschaft hin zu einem nachhaltigen Denken und Handeln, um die aktuelle gesellschaftliche Situation zu optimieren (ebd.: 13). Andere Definitionen wiederum betrachten Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung unter einer Perspektive, welche die Erde als komplexes System versteht. Nachhaltigkeit in diesem Sinne hat dabei das Ziel, das verwundbare Gleichgewicht der Natur so wenig wie möglich zu stören, sodass der Lebens- und Arbeitsraum der Menschen und die natürlichen Gegebenheiten der Erde in einem Mensch-Umwelt-System in Einklang miteinander existieren können (Pufé 2017: 22). In dieser Definition steht eher der Erhalt der ökologischen Aspekte im Vordergrund und der Mensch wird als Verursacher der Probleme angesehen. Auch werden hierbei die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit deutlich. Der Lebensraum der Menschen als soziale Ebene, der Arbeitsraum der Menschen als ökonomische Ebene sowie das Gleichgewicht der Natur als ökologische Ebene. Die-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
se drei Dimensionen sind in einem Mensch-Umwelt-System miteinander verknüpft. Es wird jedoch auch ersichtlich, dass bei dem Zusammenspiel von Ökonomie, Ökologie und sozialem Handeln konträre Interessen zu Konflikten führen können, da hier Profitorientierung, Umweltschutz und soziales Miteinander unterschiedliche Leitbilder darstellen, die es zu vereinen gilt (ebd.: 22f.). Rogall definiert den Begriff der nachhaltigen Entwicklung wie folgt: »Eine nachhaltige Entwicklung strebt neben der internationalen Gerechtigkeit für heutige und künftige Generationen hohe ökologische, ökonomische und sozial-kulturelle Standards in den Grenzen des Umweltraumes an. Dabei kommt der ökologischen Dimension – und damit auch der Umweltpolitik – eine Schlüsselrolle zu, denn die natürlichen Lebensgrundlagen begrenzen die Umsetzungsmöglichkeiten anderer Ziele. Die natürlichen Voraussetzungen des Lebens sind nicht verhandelbar.« (Rogall 2004: 27) Diese Definition hat einen eindeutigen Schwerpunkt auf der ökologischen Dimension. Sie wird hier als essenzielle Grundvoraussetzung für alle anderen nachhaltigen Handlungsweisen und Notwendigkeiten betrachtet. Demnach kann eine dimensionale gleichgewichtige Bewertung zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem nur innerhalb ökologischer Leitplanken funktionieren (Rogall 2004: 27). Funktionierende Ökosysteme, ein stabiles Klima sowie andere natürliche Grundlagen sind eine notwendige Bedingung für das menschliche Leben auf der Erde und eine generationengerechte Verteilung von Ressourcen oder Gütern kann nur dann gewährleistet sein, wenn diese natürlichen Grundlagen intakt sind (ebd.) In diesem Ansatz zeigt sich eine stark ökozentrierte Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit. Ein aus der Theorie der nachhaltigen Ökonomie stammender Ansatz hingegen betrachtet Nachhaltigkeit als ein intergeneratives und intrageneratives Gerechtigkeitsprinzip. Intergenerativ meint in diesem Zusammenhang die Reduzierung der Umweltverschmutzung im Sinne der Sicherung der Lebensmöglichkeit auf der Erde für nachfolgende Generationen. Intragenerative Gerechtigkeit bezeichnet die Ausgeglichenheit der Ressourcenverteilung von gleichen Generationen verschiedener Länder, um die Kluft zwischen arm und reich zu verringern (Stolze & Petrlic 2016: 35ff.). Hier kommt zum ersten Mal der Aspekt der ungleichen Ressourcenverteilung der Erde und dem daraus resultierenden Ungleichgewicht von Entwicklungschancen zum Tragen, welcher stärker als bei den anderen Definitionsansätzen die soziale Dimension der Nachhaltigkeit berücksichtigt. Allerdings taucht in diesem Definitionsversuch der Begriff der Gerechtigkeit auf, welcher ebenso viele Facetten aufweist, die es zu definieren gilt, wie der Begriff der Nachhaltigkeit selbst (ebd.: 35). Müller-Christ hingegen charakterisiert Nachhaltigkeit im Hinblick auf seine ökonomische Dimension über den Begriff der Ressource. In diesem Kontext setzt sich Nachhaltigkeit zusammen aus einem ausgeglichenen Verhältnis von Ressourcennachschub und Ressourcenverbrauch (Müller-Christ 2001: 57ff.). Ressource bezieht sich hierbei nicht nur auf die natürlichen Ressourcen der Erde wie beispielsweise Erdöl oder Kohle, sondern vor allem auch auf die Ressourcen des Menschen, wie seine kognitiven Fähigkeiten. Ressource meint als allgemeiner Begriff vom Menschen getätigte Dienstleistungen in Verbindung mit Rohstoffen der Erde aus denen Produkte hergestellt werden, die einen Gewinn erwirt-
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schaften (Müller-Christ 2001: 152). Bei diesem Vorgang liegt ein Ressourcenverbrauch vor. Ressourcennachschub erfolgt entweder durch eine Wiederbeschaffung der gleichen Ressource oder der Substitution durch eine alternative Ressource mit gleichen Merkmalen. Um den Ausgleich zwischen Nachschub und Verbrauch gewährleisten zu können, bieten beispielsweise erneuerbare Ressourcen die beste Möglichkeit (MüllerChrist 2001: 64). Dieser Definitionsversuch fokussiert im Gegensatz zu den vorherigen vornehmlich die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit. Ein weiterer Versuch definiert Nachhaltigkeit respektive nachhaltige Entwicklung nach fünf Charakteristika. Demnach bedeutet nachhaltige Entwicklung, • • • • •
… dass der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Zentrum der Überlegung steht … dass Kultur und Wertschöpfung (Werte zur Umsetzung der Bedürfnisse) dabei eine zentrale Rolle spielen … dass die Schaffung sowie der Erhalt natürlicher Ressourcen die Basis für die zukünftige Bedürfnisbefriedigung der Menschheit bilden … dass intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit ein tragender Eckpfeiler in diesem Leitbild ist … dass sich Nachhaltigkeit aus den drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammensetzt und diese dabei nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang gedacht werden müssen (Holzbaur 2020: 31)
Dieser Definitionsversuch bildet ein gelungenes Konglomerat aus verschiedenen Sichtweisen auf den Begriff der Nachhaltigkeit und beleuchtet dabei viele der zentralen Perspektiven, die in den vorangegangenen Definitionen jeweils nur einzeln betrachtet worden sind. Allerdings lässt sich in diesem Fall eine anthropozentrische Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit erkennen. Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen hier im Vordergrund. Zwar werden die natürlichen Grundlagen als Basis betrachtet, doch letzten Endes auch nur als Mittel für eine langfristige Bedürfnisbefriedigung des Menschen. Insgesamt kommen hier allerdings sowohl die ökologische Perspektive als auch die ökonomische Sichtweise zu kurz. Eine weitere Definition, die einen stärkeren Fokus auf die soziale Dimension setzt, findet sich bei Eckardt: »Sustainability is therefore about extending the idea of justice, i.e. normative question of the right society, in spatio-temporal terms, i.e. towards intertemporal and global cross-border justice« (Ekardt 2020: 26). Hier steht der Gerechtigkeitsaspekt des Nachhaltigkeitskonzepts im Fokus. Andere Dimensionen werden nicht angesprochen. Munier hingegen eröffnet mit seiner Nachhaltigkeitsdefinition noch eine weitere Perspektive: »Sustainability is a process involving people, institutions, natural resources, and the environment. It is implemented collectively and really points to the future. It is a process that involves changes most of the time, considerable ones in behaviour, attitudes, consumption patterns, spending and purchasing habits, and how society perceives and values the environment« (Munier 2005: 13) Diese Sichtweise auf Nachhaltigkeit fokussiert eher das prozesshafte sowie die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Im Zentrum steht dabei die kollektive Umsetzung
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
nachhaltiger Ziele sowohl auf individueller als auch auf institutioneller Ebene. Ein solcher Nachhaltigkeitsprozess muss demnach einhergehen mit Verhaltensänderungen in Bezug auf das gesellschaftliche Konsumverhalten einerseits und die Umweltwahrnehmung und -wertschätzung andererseits. Der Aspekt der Zukunftsweisung zeigt auf, dass für das Nachhaltigkeitsleitbild vor allem auch der Zeitfaktor eine zentrale Rolle spielt. Denn vergangene Prozesse haben dazu geführt, dass in der Gegenwart Handlungen notwendig sind, um eine bessere Zukunft zu schaffen. Nachhaltigkeit ist somit immer auch zeitbezogen zu verstehen (Munier 2005: 13). Zu guter Letzt sei die Definition von Caradonna angeführt, die Nachhaltigkeit nach vier Hauptideen definiert, die es im Nachhaltigkeitskontext zu beforschen gilt (Caradonna 2018: 12f.): 1. »The idea that human society, the economy, and the natural environment are necessarily interconnected. 2. The contention that human societies must operate within ecological limits if they expect to persist over a long period of time. 3. The notion that human society must engage in wise and sensible future-oriented planning 4. The idea that industrial society, above all, needs to adopt the logic of the small and the local and move away from the logic of the big and the centralized if it hopes to survive and thrive in the long term«
Anders als die vorangegangenen Definitionen, liegt der Fokus dieser Ideen vornehmlich auf dem Dringlichkeitscharakter und einem direkten Handlungsapell im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, der sich insbesondere and die industrialisierten Gesellschaften als Hauptverursacher der globalen Krisen richtet. Die Vielzahl an verschiedenen Definitionsansätzen untermauern, dass eine allgemeingültige und anerkannte Definition der Nachhaltigkeit bisher nicht existiert (Sze et al. 2018: 6) und vielleicht auch gar nicht im Bereich des Möglichen liegt. Dies liegt zum einen an der Multiperspektivität des Begriffes an sich und zum anderen an seinem interdisziplinären Charakter. Darüber hinaus handelt es sich dabei um einen Begriff, der aufgrund seiner gegenwärtigen Popularität in zahlreichen Lebensbereichen und interdisziplinär durch alle Forschungsfelder eine enorme Reichweite erlangt hat (Schlechtriemen 2019: 28). Dies führt zur Koexistenz zahlreicher unterschiedlicher Verständnisse des Nachhaltigkeitsbegriffs, wie sie hier bereits teilweise skizziert worden sind. Die Vagheit des Begriffes lässt sich dabei durchaus kritisieren, bietet jedoch auch Chancen einer offenen und interdisziplinären Kommunikation, was in den meisten Fällen dazu führt, dass der Nachhaltigkeitsbegriff in all seinen Verständnissen immer eine positive Konnotation zugesprochen bekommt (ebd.). Alle Ansätze fusionierend, lässt sich der Begriff der Nachhaltigkeit dennoch auf seine bereits angesprochenen drei Dimensionen komprimieren. Die Aufrechterhaltung der Stabilität der Ökosysteme im Zusammenhang mit der Anpassung anthropogenen Verhaltens im Ökosystem Erde (ökologische Nachhaltigkeit), die Wahrung eines erwünschten Lebensstandards und Wohlstandes für alle Menschen (ökonomische Nachhaltigkeit) sowie den Erhalt einer zukunftsfähigen Gesellschaft im Sinne eines gerechten und sozial verträglichen Handelns auch für
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
nachfolgende Generationen (soziale Nachhaltigkeit) (von Hauff et al. 2018: 22ff.). Den drei Dimensionen liegen dabei folgende zentrale Prämissen zugrunde:
Tabelle 1: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökologische Dimension
Ökonomische Dimension
Soziale Dimension
Das ökologische System der Erde ist Dienstleistungssystem für den Menschen (Senke anthropogener Emissionen & Quelle von Ressourcen)
Technischer Fortschritt, Innovationen & Forschung ermöglichen Wirtschaftswachstum
Soziale Nicht-Nachhaltigkeit äußert sich in Terrorismus, Zwangsmigration, Disparitäten oder Diskriminierung
Ein bestimmter Zustand der Ökosysteme ist überlebensnotwendig für den Menschen
Wirtschaftliches Wachstum bei gleichbleibender Produktivität des natürlichen Kapitals führt zur Überlastung
Soziale Ressourcen sind u.a. Gemeinwohlorientierung, Toleranz, Solidarität & Integrationsfähigkeit
Menschliche Aktivitäten sind Ursache ökologischer Degradation
Konsumstile & Produktionsweisen der Gegenwart müssen nachhaltig transformiert werden
Soziale Nachhaltigkeit (SN) ist nur erreichbar durch Aufhebung sozialer Ungleichheiten auf allen Ebenen
Bei bestimmten Phänomenen ist bereits eine Übernutzung Realität
Das Einkommen müsste der Summe entsprechen, die den zukünftigen realen Konsum nicht vermindert
Oberste Ziele sind Zusammenhalt, Humanität, Freiheit, Gerechtigkeit & Frieden
Die Geschwindigkeit des anthropogenen Einflusses auf die Ökosysteme ist unübertroffen in der Erdgeschichte
Entkopplung von Wachstum & Ressourcennutzung durch Suffizienz, Effizienz, Konsistenz als Lösungsansatz
SN impliziert die Schaffung eines transparenten & gerechten Politik- und Rechtssystems
Eigene Darstellung nach Pufe 2017: 101f. & von Hauff 2014: 33ff.
In diesen drei Dimensionen spiegelt sich das grundlegende Wesen einer nachhaltigen Entwicklung wider, auch wenn viele Begrifflichkeiten für ein tieferes Verständnis detaillierter betrachtet werden müssen und ein einheitlicher Konsens über die Definition von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung aufgrund der Komplexität und des Facettenreichtums der Thematik nach wie vor nicht vollständig gegeben ist.
2.3
Modellversuche des Nachhaltigkeitsbegriffs
Für ein besseres Verständnis wurden diese Dimensionen im Laufe der letzten Jahre in zahlreichen Modellen versucht übersichtlich darzustellen, um die Komplexität dieser Thematik sichtbar werden zu lassen. Den Anfang bildete das 3-Säulen-Modell, welches die Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökologie, Ökonomie und Soziales als gleichlange nebeneinander liegende Säulen mit dem Nachhaltigkeitsbegriff als Dach darstellt. Fortgeführt wurde es durch das Schnittmengen-Modell, in dem die drei Dimensionen als
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
nachfolgende Generationen (soziale Nachhaltigkeit) (von Hauff et al. 2018: 22ff.). Den drei Dimensionen liegen dabei folgende zentrale Prämissen zugrunde:
Tabelle 1: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökologische Dimension
Ökonomische Dimension
Soziale Dimension
Das ökologische System der Erde ist Dienstleistungssystem für den Menschen (Senke anthropogener Emissionen & Quelle von Ressourcen)
Technischer Fortschritt, Innovationen & Forschung ermöglichen Wirtschaftswachstum
Soziale Nicht-Nachhaltigkeit äußert sich in Terrorismus, Zwangsmigration, Disparitäten oder Diskriminierung
Ein bestimmter Zustand der Ökosysteme ist überlebensnotwendig für den Menschen
Wirtschaftliches Wachstum bei gleichbleibender Produktivität des natürlichen Kapitals führt zur Überlastung
Soziale Ressourcen sind u.a. Gemeinwohlorientierung, Toleranz, Solidarität & Integrationsfähigkeit
Menschliche Aktivitäten sind Ursache ökologischer Degradation
Konsumstile & Produktionsweisen der Gegenwart müssen nachhaltig transformiert werden
Soziale Nachhaltigkeit (SN) ist nur erreichbar durch Aufhebung sozialer Ungleichheiten auf allen Ebenen
Bei bestimmten Phänomenen ist bereits eine Übernutzung Realität
Das Einkommen müsste der Summe entsprechen, die den zukünftigen realen Konsum nicht vermindert
Oberste Ziele sind Zusammenhalt, Humanität, Freiheit, Gerechtigkeit & Frieden
Die Geschwindigkeit des anthropogenen Einflusses auf die Ökosysteme ist unübertroffen in der Erdgeschichte
Entkopplung von Wachstum & Ressourcennutzung durch Suffizienz, Effizienz, Konsistenz als Lösungsansatz
SN impliziert die Schaffung eines transparenten & gerechten Politik- und Rechtssystems
Eigene Darstellung nach Pufe 2017: 101f. & von Hauff 2014: 33ff.
In diesen drei Dimensionen spiegelt sich das grundlegende Wesen einer nachhaltigen Entwicklung wider, auch wenn viele Begrifflichkeiten für ein tieferes Verständnis detaillierter betrachtet werden müssen und ein einheitlicher Konsens über die Definition von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung aufgrund der Komplexität und des Facettenreichtums der Thematik nach wie vor nicht vollständig gegeben ist.
2.3
Modellversuche des Nachhaltigkeitsbegriffs
Für ein besseres Verständnis wurden diese Dimensionen im Laufe der letzten Jahre in zahlreichen Modellen versucht übersichtlich darzustellen, um die Komplexität dieser Thematik sichtbar werden zu lassen. Den Anfang bildete das 3-Säulen-Modell, welches die Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökologie, Ökonomie und Soziales als gleichlange nebeneinander liegende Säulen mit dem Nachhaltigkeitsbegriff als Dach darstellt. Fortgeführt wurde es durch das Schnittmengen-Modell, in dem die drei Dimensionen als
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
sich überlappende Kreise dargestellt werden, um die Verbindung und Untrennbarkeit der drei Bereiche besser herauszustellen. Die nächste Transformation nahm das Modell dargestellt als Nachhaltigkeitsdreieck (auch magisches Dreieck genannt), in dem die drei Dimensionen als gleichseitiges Dreieck konzipiert sind, was die gleichwertige Bedeutung der drei Dimension Ökologie, Ökonomie und Soziales herausstellen soll (Abbildung 6). So wurde das Leitbild der Nachhaltigkeit graphisch immer wieder erweitert und angepasst (von Hauff 2014: 163ff.).
Abbildung 6: 3-Säulen-Modell und Dreieck der Nachhaltigkeit
Eigene Darstellung nach Stolze & Petrlic 2016: 49 und von Hauff 2014: 165
Kritisch betrachtet wird das 3-Säulen-Modell dahingehend, dass bei Wegfall einer Stütze das »Dach« der Nachhaltigkeit nach wie vor bestehen bleibt. Es spiegelt somit nicht die geforderte Gleichgewichtung der drei Dimensionen wider (Pufé 2017: 111). Das Schnittmengen-Modell ermöglicht zwar die Mehrfachzuordnung zwischen verschiedenen Dimensionen, begrenzt diese jedoch gleichzeitig stark auf die Schnittmengen, sodass die eigentlichen Grundbereiche der Dimensionen vernachlässigt werden (von Hauff 2014: 165). Das Dreieck hingegen wird als Nachfolgemodell angesehen, da es durch die Symmetrie der gewählten Form des gleichschenkligen Dreiecks sinnbildlich die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit gleichbedeutend miteinander vereint und diese somit eine Einheit bilden (Pufe 2017: 113). Dadurch werden gleichzeitig auch die Beziehungen zwischen den Dimensionen deutlich (von Hauff 2014: 166). Doch die Darstellung der gesamten Nachhaltigkeitsthematik in einem solch vereinfachten Modellversuch könnte auch als zu simplifiziert angesehen werden, da es diese hochkomplexe Thematik auf lediglich vier Begriffe reduziert. Dies könnte der Grund dafür sein, dass es im Verlauf der letzten Jahre eine Vielzahl an Dreiecksmodellen gegeben hat, mit dem Ziel mehr Klarheit in das Modell zu bringen. So wurden in vielen Modellversuchen die Seiten des Dreiecks durch Inhalte ergänzt, welche die Beziehungen zwischen den Dimensionen besser verdeutlichen sollten. Resultat des Ganzen ist das sogenannte integrierende Nachhaltigkeitsdreieck von Michael von Hauff. Es geht zurück auf den Versuch von McDonough & Braungart, die mit ihrem Fraktal-Diagramm versucht haben, das Innere
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
des Dreiecks mit Inhalt zu füllen. Sie zerlegten das Dreieck in weitere kleinere Dreiecke, denen jeweils Nachhaltigkeitsdimensionen zugeordnet werden. So wurden die Dreiecke beispielsweise mit Ökonomie-Ökologie oder Soziales-Ökologie beschriftet, um die Verbindung zwischen den einzelnen Dimensionen herauszustellen und gleichzeitig zu verdeutlichen, welche Gewichtung ein bestimmter Ansatz in Bezug auf die Dimensionen hat, wenn er in ein solches Dreieck eingeordnet wird (Braungart & McDonough 2015: 186ff.). Anders als die Versuche, die Seiten zu beschriften, was zwar eine Verortung zwischen zwei Dimensionen ermöglicht, die Verbindung aller drei Dimensionen jedoch unmöglich macht, bezieht dieses Diagramm zwar alle drei Dimensionen ein, schließt jedoch in seiner Kategorisierung der Dreiecke mit inhaltsleeren Dreiecken im Modell bestimmte Kategorien wie die Verknüpfung von ökologisch-ökonomisch-sozial aus (von Hauff 2014: 169). Das Modell des integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks fusioniert alle vorangegangenen Versuche und transformiert diese weiter.
Abbildung 7: Das integrierende Nachhaltigkeitsdreieck
Quelle: von Hauff & Kleine, 2014: 170
Wie Abbildung 7 zeigt, wird das Dreieck dabei vollständig in gleich große an den Ecken der Dimensionen stehende kleinere Dreiecke untergliedert. In der Mitte befindet sich ein Sechseck, welches die drei Dimensionen vereint. Die dazwischen liegenden Felder werden durch die Kombination jeweils zweier Dimensionen ausgefüllt. Dies hat zur Folge, dass bestimmte Kombinationen der Gewichtung aus allen drei Dimensionen möglich werden und somit unterschiedliche starke Zuordnungen vorgenommen werden
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
können, je nachdem welche Aspekte der Nachhaltigkeit eine größere Rolle spielen (ebd.). Dabei muss hervorgehoben werden, dass bei den Überschneidungen der Ecken keine Kontinuität, sondern viel mehr eine Abstufung vorliegt, wodurch einerseits die Zusammenführung aller Dimensionen und andererseits die analytische Differenzierung einzelner Dimensionen möglich wird (ebd.: 171). Je weiter der betrachtete Punkt im Dreieck von den Ursprungsdimensionen (den Dreiecken) entfernt ist, desto weniger lässt er sich der jeweiligen Dimension zuordnen. Die Zuordnung wird dabei für jede Seite gegliedert in stark, teilweise und schwach. Wenn nun ein untersuchter Sachverhalt in das Dreieck eingeordnet werden soll, ist es sinnvoll, dabei zweischrittig vorzugehen. Zunächst erfolgt die primäre Zuordnung, also die Einordnung in eine der drei Ecken respektive Dimensionen. Anschließend folgt die sekundäre Zuordnung, welche auf indirekte und mittelbare Effekte abzielt, die sich auch für andere Dimensionen ergeben. Durch diesen Vorgang ist es möglich, eine stärkere Objektivität in Bezug auf die Einordnung spezifischer Sachverhalte innerhalb ihrer Verbindungen zu den einzelnen Dimensionen zu ermöglichen. Die Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik wird somit in eine Überschaubarkeit übertragen (ebd.: 172f.). Neben den Dreiecksmodellen existieren inzwischen auch Erweiterungen, die eine vierte beziehungsweise sogar eine fünfte Dimension der Nachhaltigkeit hinzugefügt haben, da sie die Dreidimensionalität als nicht ausreichend erachtet haben. Insbesondere die soziale Dimension wurde oftmals als nichtssagend kritisiert, da sie nicht näher spezifiziert wird (Mulligan 2015: 83). Aus diesem Grund finden sich Modelle, in denen die soziale Dimension nicht mehr auftaucht und stattdessen Kultur und Politik die dritte und vierte Dimension bilden (Mulligan, 2015: 85). Als weitere Alternative ist hier das Nachhaltigkeitsviereck zu nennen mit der Politik als vierter Dimension. Im Zentrum des Vierecks steht hier ergänzend die Kultur als Begriff, die aber keine eigenständige Dimension bildet, sondern als Bindeglied fungiert. Die Politik wird aufgrund ihrer GouvernanceFunktion sowie ihrem Einfluss im Kontext von Reglementierungen und Gesetzgebungen als eigenständige Dimension aufgefasst (Hoffmann & Bickel 2021: 2). Allerdings lässt sich eine kulturelle Komponente auch ohne Probleme unter den Deckmantel der sozialen Dimension fassen, da der Begriff des Sozialen so allgemein gefasst ist, dass der kulturelle Aspekt lediglich einen Teilbereich der gesamten Dimension darstellt (von Hauff 2020: 32) und nicht wie im Modell als Bindeglied in der Mitte der Dimensionen fungiert. Andere Modellierungen bezeichnen die soziale Dimension dementsprechend auch als sozio-kulturelle Dimension (Kaufmann-Hayoz & Gutscher 2001: 20), um den kulturellen Aspekt zwar eigenständig, aber eben auch teilintegriert zu betrachten. Dem Kritikpunkt der fehlenden Aussagekraft der sozialen Dimension wäre damit genüge getan. Zudem ist der Kulturbegriff als solcher ebenso komplex und diffus wie der Nachhaltigkeitsbegriff selbst (Kopfmüller 2010: 43), sodass die Einführung einer solchen Dimension mehr definitorische Schwierigkeiten mit sich bringt als den Nutzen, welcher daraus resultiert (Stahmer 2010: 60). So wird in der Forschungsdebatte statt einer kulturellen Dimension eher für eine übergeordnete »Kultur der Nachhaltigkeit« plädiert, sodass Nachhaltigkeit zu einem integralen Teil gesellschaftlicher Denkweisen wird (Kopfmüller 2010: 54; Stahmer 2010: 74). Im Falle der politischen Komponente handelt es sich wohl auch eher um eine Akteursebene, denn um eine inhaltliche Dimension des Nachhaltigkeitsbegriffs, sodass hier nach Ansicht des Autors keine eigenständige Dimension vorliegt,
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
die es in einem solch schematischen Modell zu integrieren gilt. Politik wird eher als ausführendes Instrument zur Umsetzung der Ziele von Nachhaltigkeit betrachtet und ist demnach zwar eine notwendige Bedingung für eine gelungene Umsetzung, aber eben nicht eine eigenständige inhaltliche Komponente (Stahmer 2010: 59). Aus diesem Grund dient das soeben skizzierte Modell des integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks, welches sowohl in der Fachliteratur als auch auf politischer Ebene eine breite Anwendung findet, als Ausgangsmodell für eine gelungene Betrachtung der Dimensionen der Nachhaltigkeitsthematik und ihrer Korrelationen und wird daher auch in der vorliegenden Arbeit als zentrales Darstellungskonzept der Nachhaltigkeit angesehen.
2.4
Weiterführende Konzeptionen des Nachhaltigkeitsbegriffs
Neben solchen Modellierungsversuchen existieren auch zahlreiche theoretische Konzepte, welche die hinter dem Nachhaltigkeitsbegriff stehenden Inhalte näher zu spezifizieren versuchen und daher bei einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik ihre Berücksichtigung finden müssen. Die dimensional angelegte Nachhaltigkeitskonzeption, die den im vorherigen Kapitel aufgezeigten Modellversuchen als Grundlage dient, wurde aufgrund ihrer Beschränktheit auch oftmals kritisch betrachtet, basierend auf der Erkenntnis, dass die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales nicht für sich stehen, sondern dimensionsübergreifend betrachtet werden müssen (Grunwald & Kopfmüller 2012: 59). Die Komplexität der unterschiedlichen Aspekte wie beispielsweise der Ressourcen- und Güternutzung macht es unabdingbar, globale Probleme und nachhaltige Handlungsstrategien integrativ zu betrachten. Unter dieser Prämisse wurde ein integratives Nachhaltigkeitskonzept entwickelt, welches die übergeordneten Prinzipien Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung an den Anfang stellt. Aus diesen Prinzipien entstanden drei substanzielle Segmente des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung (ebd.: 60f.). Das erste Segment der Intra- und intergenerativen Gerechtigkeit verknüpft die Pflicht sowohl gegenwärtig gerecht zu handeln als auch in Bezug auf zukünftige Generationen. Die Grundannahme hierbei ist, dass jede Generation der Erde berechtigt ist, das Erbe der vorherigen Generation zu nutzen, es aber gleichzeitig auch im Sinne nachfolgender Generationen handhaben muss. Das zweite Segment der globalen Orientierung beruht auf der Sichtweise, dass die meisten Problemstellungen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Wasserknappheit einen globalen Charakter aufweisen und daher auch nur durch globale Zusammenarbeit gelöst werden können. Dies geht beginnend von der Problemidentifizierung bis hin zur Implementierung von Lösungsansätzen (ebd.: 61). Das dritte und letzte Segment des anthropozentrischen Ansatzes fußt auf der Verpflichtung des Menschen zu einem ökologisch bewussten Handeln, um die langfristige Sicherung der menschlichen Bedürfnisse gewährleisten zu können. Das Ziel dabei ist der Erhalt der Funktionen der Natur auf langfristige Sicht, die für den Menschen essenziell zum Überleben sind (ebd.). Das integrative Nachhaltigkeitskonzept wird dabei durch die drei substanziellen Regeln der Sicherung der menschlichen Existenz, der Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials sowie der Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten, welche auf den
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
die es in einem solch schematischen Modell zu integrieren gilt. Politik wird eher als ausführendes Instrument zur Umsetzung der Ziele von Nachhaltigkeit betrachtet und ist demnach zwar eine notwendige Bedingung für eine gelungene Umsetzung, aber eben nicht eine eigenständige inhaltliche Komponente (Stahmer 2010: 59). Aus diesem Grund dient das soeben skizzierte Modell des integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks, welches sowohl in der Fachliteratur als auch auf politischer Ebene eine breite Anwendung findet, als Ausgangsmodell für eine gelungene Betrachtung der Dimensionen der Nachhaltigkeitsthematik und ihrer Korrelationen und wird daher auch in der vorliegenden Arbeit als zentrales Darstellungskonzept der Nachhaltigkeit angesehen.
2.4
Weiterführende Konzeptionen des Nachhaltigkeitsbegriffs
Neben solchen Modellierungsversuchen existieren auch zahlreiche theoretische Konzepte, welche die hinter dem Nachhaltigkeitsbegriff stehenden Inhalte näher zu spezifizieren versuchen und daher bei einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik ihre Berücksichtigung finden müssen. Die dimensional angelegte Nachhaltigkeitskonzeption, die den im vorherigen Kapitel aufgezeigten Modellversuchen als Grundlage dient, wurde aufgrund ihrer Beschränktheit auch oftmals kritisch betrachtet, basierend auf der Erkenntnis, dass die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales nicht für sich stehen, sondern dimensionsübergreifend betrachtet werden müssen (Grunwald & Kopfmüller 2012: 59). Die Komplexität der unterschiedlichen Aspekte wie beispielsweise der Ressourcen- und Güternutzung macht es unabdingbar, globale Probleme und nachhaltige Handlungsstrategien integrativ zu betrachten. Unter dieser Prämisse wurde ein integratives Nachhaltigkeitskonzept entwickelt, welches die übergeordneten Prinzipien Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung an den Anfang stellt. Aus diesen Prinzipien entstanden drei substanzielle Segmente des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung (ebd.: 60f.). Das erste Segment der Intra- und intergenerativen Gerechtigkeit verknüpft die Pflicht sowohl gegenwärtig gerecht zu handeln als auch in Bezug auf zukünftige Generationen. Die Grundannahme hierbei ist, dass jede Generation der Erde berechtigt ist, das Erbe der vorherigen Generation zu nutzen, es aber gleichzeitig auch im Sinne nachfolgender Generationen handhaben muss. Das zweite Segment der globalen Orientierung beruht auf der Sichtweise, dass die meisten Problemstellungen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder Wasserknappheit einen globalen Charakter aufweisen und daher auch nur durch globale Zusammenarbeit gelöst werden können. Dies geht beginnend von der Problemidentifizierung bis hin zur Implementierung von Lösungsansätzen (ebd.: 61). Das dritte und letzte Segment des anthropozentrischen Ansatzes fußt auf der Verpflichtung des Menschen zu einem ökologisch bewussten Handeln, um die langfristige Sicherung der menschlichen Bedürfnisse gewährleisten zu können. Das Ziel dabei ist der Erhalt der Funktionen der Natur auf langfristige Sicht, die für den Menschen essenziell zum Überleben sind (ebd.). Das integrative Nachhaltigkeitskonzept wird dabei durch die drei substanziellen Regeln der Sicherung der menschlichen Existenz, der Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials sowie der Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten, welche auf den
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
hier vorgestellten Segmenten basieren, operationalisiert. Unter die erste Regel fällt die Vermeidung von anthropogen verursachten Umweltbelastungen, die ein Überlebensrisiko darstellen, ebenso wie die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Grundversorgung für jeden Menschen inklusive einer Absicherung gegenüber gesundheitlichen Lebensrisiken (ebd.: 63). Das gesellschaftliche Produktivpotenzial soll als zweite Regel erhalten werden durch die Instandhaltung der natürlichen Ökosysteme, indem Ressourcen nur in dem Maß verbraucht werden, wie sie regenerieren können und gleichzeitig die Freisetzung von Stoffen die Aufnahmefähigkeit dieser Ökosysteme nicht überschreitet. Die dritte Regel soll erreicht werden durch gesellschaftliche Chancengleichheit in Punkto Bildung, Beruf sowie soziale und politischer Teilhabe ebenso wie durch die Erhaltung kulturellen Erbguts und kultureller Vielfalt (ebd.). Es lässt sich erkennen, dass dieses integrative Konzept im Vergleich zu den dimensionalen Konzepten in einigen Aspekten weitgreifender ist, da es mehr Variablen berücksichtigt und die Komplexität des Leitbildes der Nachhaltigkeit differenzierter erfasst. Es kann somit als eine konzeptuelle Weiterentwicklung betrachtet werden, gleichwohl es das dimensionale Modell nicht abgelöst hat und auch nicht als Substitut betrachtet werden sollte, sondern viel eher als eine alternative Sichtweise auf das Konzept der Nachhaltigkeit. Ein weiterer Ansatz unterteilt Nachhaltigkeit in verschiedene Stärken der Ausprägung von schwacher bis hin zu starker Nachhaltigkeit. Diesem Ansatz liegt die Einteilung der Ressourcen der Erde nach verschiedenen Kapitalarten zugrunde. Zu nennen sind hier Sachkapital, Naturkapital, Sozialkapital, Humankapital und Wissenskapital (Ott 2001: 39f.). Wichtig zu erwähnen ist, dass der Kapitalbegriff als solcher äußerst komplex ist und die darin enthaltenen Komponenten eng miteinander verbunden sind, sodass ein präzisierter Kapitalbegriff nur schwer zu definieren ist (Michelsen & Adomßent 2014: 32). Das Konzept der schwachen Nachhaltigkeit geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass alle verfügbaren Ressourcen, natürlich wie künstlich, substituierbar sind. In diesem Sinne könnten durch Übernutzung fehlende natürliche Ressourcen wie beispielsweise fossile Energieträger durch eine Verstärkung des Sachkapitals wie modernisierte Technologien ausgeglichen werden (Grunwald 2016: 122). Der Verbrauch von Naturkapital ist in diesem Sinne rechtens, solange das Gesamtniveau an sinnstiftendem Kapital zumindest erhalten bleibt. Das Naturkapital bildet in diesem Kontext nur eine mögliche Ressourcenart, die zu einem gesellschaftlichen Wohlstand dazugehört, jedoch nicht essenziell ist. Nachhaltigkeit ist demnach dann erreicht, wenn der Gesamtbestand aller Kapitalarten einer Gesellschaft so weit erhalten bleibt, dass er ohne Abstriche auch von zukünftigen Generationen genutzt werden kann (Ott 2001: 40f.). Damit geht die Annahme einher, dass zukünftige Präferenzen nachfolgender Generationen sich immer an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen werden und somit Naturkapital zukünftig weitestgehend durch Sach- und Humankapital ersetzt sein wird (Ott & Döring 2004: 103). Dieser Fokus auf technischen Fortschritt und Innovationen als Bestandteile des Sachkapitals zur Lösung globaler Problemstellungen wird auch als Technikoptimismus bezeichnet. Ob und inwiefern solche technischen Lösungen dann auch immer zum richtigen Zeitpunkt eintreffen werden, findet dabei keine Berücksichtigung (von Hauff 2014: 51). Dem steht das Konzept der starken Nachhaltigkeit gegenüber, welches die verschiedenen Kapitalarten und ihre Erhaltung einzeln betrachtet und davon ausgeht, dass das
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Naturkapital die Voraussetzung für den Erhalt der anderen Kapitalarten ist und das eine gefährdende Übernutzung des natürlichen Kapitals nicht zu rechtfertigen ist, ungeachtet des geringeren ökonomischen Profits, der dadurch entstehen würde (Grunwald 2016: 123). Naturkapital ist in dieser Sichtweise nicht durch andere Kapitalarten substituierbar, sodass die Aufrechterhaltung dieses Kapitals wichtiger ist als die der anderen. Dies impliziert die Ansicht, dass ökonomische Systeme im Sinne der Nachhaltigkeit nur innerhalb der Beschränkungen ökologischer Systeme agieren dürfen. Ökonomisches Handeln ist somit abhängig von der Intaktheit ökologischer Systeme und darf nur in einem Ausmaß vollzogen werden, der den Fortbestand dieser Intaktheit nicht gefährdet. Es liegt in diesem Fall eine Komplementaritätsbeziehung zwischen Sach- und Naturkapital vor (Ott 2001: 43f.). Zudem geht das Konzept starker Nachhaltigkeit davon aus, dass eine Verknappung des Naturkapitals und somit eine anthropogen verursachte Übernutzung der diesem Kapital zuzuordnenden Biosphäre bereits vorliegt. Dies hat zur Folge, dass die Zustände des Naturkapitals als limitierender Faktor ökonomischer Produktion betrachtet werden können (Ott & Döring 2004: 138). Beide dieser komplementären Konzepte wurden in der Forschung kritisch betrachtet, da sie Extrema in ihre jeweilige Richtung darstellen und oftmals zentrale Aspekte unberücksichtigt lassen. So ist zum Beispiel die Frage, ob Wirtschaftswachstum in einer ressourcenbegrenzten Welt durch technische und umweltschonende Innovationen wirklich realisierbar ist, bis heute nicht geklärt. Ebenso wenig herrscht Einigkeit darüber, wie ein langfristiges Wirtschaftswachstum entkoppelt vom Ressourcenverbrauch konkret realisiert werden kann (von Hauff 2014: 60f.). Aus diesem Grund haben sich in diesem Zusammenhang Konzepte einer ausgewogenen Nachhaltigkeit etabliert, die die Mitte zwischen diesen beiden Extremansichten darstellt (siehe z.B. Ott & Döring 2004). Die hier kurz skizzierten theoretischen und konzeptuellen Überlegungen zum Leitbild der Nachhaltigkeit konnten sich allesamt nicht mit einem einheitlichen Konsens durchsetzen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass viele der Erklärungsansätze oftmals nur einzelne Bestandteile oder Fragestellungen des Nachhaltigkeitskomplexes betrachten. Eine holistische Betrachtung von Nachhaltigkeit im Sinne einer inter- multi- und transdisziplinären Forschung wird in den meisten Theorieansätzen nicht vollzogen (Pufé 2017: 134). Hier bietet sich eine systemtheoretische Betrachtungsweise von Nachhaltigkeit an. Systemtheorie oder systemisches Denken charakterisiert sich durch die Betrachtung von Relationen, Prozessen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen. Ein System definiert sich somit nicht über seine einzelnen Bestandteile, sondern über die ihm inhärente Struktur. Eine Analyse dieser Strukturen ermöglicht es, Vorhersagen über das Verhalten eines Systems zu treffen (ebd.: 135). Wenn es also beispielsweise um spezifische Ereignisse oder Symptome geht (z.B. eine Naturkatastrophe), handelt es sich dabei lediglich immer nur um die Spitze des Eisbergs eines Systems. Tatsächliche Ursachen und somit auch Lösungsansätze bleiben jedoch verborgen und treten erst bei einer systemischen Betrachtung der zugrundeliegenden Strukturen, Muster und Denkmodelle zum Vorschein (ebd.: 137). Ein systemisches Denken wie es in der Systemtheorie postuliert wird, kann also helfen, den ganzheitlichen Charakter des Nachhaltigkeitsleitbildes zu erfassen, sodass keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen werden. Die Bedeutung von systemischem Denken spielt insbesondere auch
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
in Bezug auf Wissen eine wichtige Rolle und wird im späteren Verlauf der Arbeit daher noch einmal detaillierter aufgegriffen. Wie sich gezeigt hat, sind die konzeptionellen Überlegungen zum Thema Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung ebenso vielfältig und divers wie die Definitionen des Begriffs selbst. Ein Blick auf die historische Etablierung dieses Leitbildes und seiner Theorien kann helfen zu verstehen, wie sich der Begriff dennoch politisch und gesellschaftlich so stark etablieren konnte.
2.5
Nachhaltige Entwicklung – Ein historischer Abriss
Ebenso vielseitig wie der Begriff selbst ist die historische Entwicklung der Nachhaltigkeit. Ihr Verlauf zog sich von den Anfängen zu Beginn des 18. Jahrhunderts bis heute über 300 Jahre hinweg und ist in dieser Zeitspanne durch verschiedene Meilensteine maßgeblich geprägt worden. Abbildung 8 zeigt den historischen Verlauf im Überblick. Aufgrund der hohen Anzahl verschiedener historischer Stationen soll hier nur ein kurzer und prägnanter Überblick zu den verschiedenen Meilensteinen gegeben werden, da eine ausführliche Behandlung den Rahmen überschreiten würde und dies auch im Sinne des Forschungsanliegens nicht angemessen erscheint. In der Forschungsliteratur wird der Beginn der Historie für das Jahr 1713 angesetzt. In dieser Zeit verfasste der Oberberghauptmann Carl von Carlowitz seine forstwirtschaftliche Schrift Sylvicultura Oeconomica, in der er eine nachhaltige Nutzung der Waldgebiete forderte (Pufé 2017: 37f.). Dabei stellt er ein Konzept vor, bei dem abgeholzte Gebiete wieder aufgeforstet werden sollen, um jederzeit Ressourcen zur Verfügung zu haben und somit eine langfristige Ressourcennutzung gewährleisten zu können. Diese simple, aber effektive, Methode stellt den Beginn einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen dar und legte den Grundstein für das heutige Verständnis von Nachhaltigkeit (ebd.). Aufgrund der Kollision von Ökonomie und Ökologie Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Interessen als inkongruent betrachtet wurden, kam die Idee einer nachhaltigen Ressourcennutzung zum Erliegen und das Prinzip der kurzfristigen Gewinnmaximierung rückte in den Vordergrund (Pufé 2017: 39). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Debatte über Nachhaltigkeit wieder aufgegriffen. Aus der Erkenntnis heraus, dass der Umgang mit den Ressourcen der Erde und die anthropogene Art des Wirtschaftens zu einer Bedrohung für eine langfristige Existenz des Menschen auf der Erde wurde, entstanden zahlreiche internationale Debatten über Umweltentwicklung (Grunwald & Kopfmüller 2012: 20). Ein Meilenstein war hier Meadows Bericht des Club of Rome mit dem Titel »Grenzen des Wachstums« aus dem Jahre 1973. Das Resultat des Berichts postulierte, dass eine Fortführung der damaligen Trends von starkem Bevölkerungswachstum, steigender Ressourcenübernutzung und gleichzeitiger Umweltverschmutzung unweigerlich zu einem ökologischen Zusammenbruch der Erde führen würde (Caradonna 2018: 11; Grunwald & Kopfmüller 2012: 21f.). Die gesellschaftliche Wirkung des Berichts wurde vor allem durch die zeitgleich stattfindende Ölkrise drastisch verstärkt. Resultat war die Gründung eines Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) auf der Umweltkonferenz in Stockholm und die Schaffung zahlreicher Umweltministerien in verschiedenen Staaten der Erde (ebd.).
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2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
in Bezug auf Wissen eine wichtige Rolle und wird im späteren Verlauf der Arbeit daher noch einmal detaillierter aufgegriffen. Wie sich gezeigt hat, sind die konzeptionellen Überlegungen zum Thema Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung ebenso vielfältig und divers wie die Definitionen des Begriffs selbst. Ein Blick auf die historische Etablierung dieses Leitbildes und seiner Theorien kann helfen zu verstehen, wie sich der Begriff dennoch politisch und gesellschaftlich so stark etablieren konnte.
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Nachhaltige Entwicklung – Ein historischer Abriss
Ebenso vielseitig wie der Begriff selbst ist die historische Entwicklung der Nachhaltigkeit. Ihr Verlauf zog sich von den Anfängen zu Beginn des 18. Jahrhunderts bis heute über 300 Jahre hinweg und ist in dieser Zeitspanne durch verschiedene Meilensteine maßgeblich geprägt worden. Abbildung 8 zeigt den historischen Verlauf im Überblick. Aufgrund der hohen Anzahl verschiedener historischer Stationen soll hier nur ein kurzer und prägnanter Überblick zu den verschiedenen Meilensteinen gegeben werden, da eine ausführliche Behandlung den Rahmen überschreiten würde und dies auch im Sinne des Forschungsanliegens nicht angemessen erscheint. In der Forschungsliteratur wird der Beginn der Historie für das Jahr 1713 angesetzt. In dieser Zeit verfasste der Oberberghauptmann Carl von Carlowitz seine forstwirtschaftliche Schrift Sylvicultura Oeconomica, in der er eine nachhaltige Nutzung der Waldgebiete forderte (Pufé 2017: 37f.). Dabei stellt er ein Konzept vor, bei dem abgeholzte Gebiete wieder aufgeforstet werden sollen, um jederzeit Ressourcen zur Verfügung zu haben und somit eine langfristige Ressourcennutzung gewährleisten zu können. Diese simple, aber effektive, Methode stellt den Beginn einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen dar und legte den Grundstein für das heutige Verständnis von Nachhaltigkeit (ebd.). Aufgrund der Kollision von Ökonomie und Ökologie Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Interessen als inkongruent betrachtet wurden, kam die Idee einer nachhaltigen Ressourcennutzung zum Erliegen und das Prinzip der kurzfristigen Gewinnmaximierung rückte in den Vordergrund (Pufé 2017: 39). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Debatte über Nachhaltigkeit wieder aufgegriffen. Aus der Erkenntnis heraus, dass der Umgang mit den Ressourcen der Erde und die anthropogene Art des Wirtschaftens zu einer Bedrohung für eine langfristige Existenz des Menschen auf der Erde wurde, entstanden zahlreiche internationale Debatten über Umweltentwicklung (Grunwald & Kopfmüller 2012: 20). Ein Meilenstein war hier Meadows Bericht des Club of Rome mit dem Titel »Grenzen des Wachstums« aus dem Jahre 1973. Das Resultat des Berichts postulierte, dass eine Fortführung der damaligen Trends von starkem Bevölkerungswachstum, steigender Ressourcenübernutzung und gleichzeitiger Umweltverschmutzung unweigerlich zu einem ökologischen Zusammenbruch der Erde führen würde (Caradonna 2018: 11; Grunwald & Kopfmüller 2012: 21f.). Die gesellschaftliche Wirkung des Berichts wurde vor allem durch die zeitgleich stattfindende Ölkrise drastisch verstärkt. Resultat war die Gründung eines Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) auf der Umweltkonferenz in Stockholm und die Schaffung zahlreicher Umweltministerien in verschiedenen Staaten der Erde (ebd.).
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 8: Meilensteine der nachhaltigen Entwicklung im historischen Verlauf
Eigene Darstellung nach Pufe 2017 und Grundwald & Kopfmüller 2012
Mit der Gründung der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) 1983 und der Veröffentlichung des Berichtes »Our Common Future«, auch bekannt als Brundtland-Bericht (nach dem Vorsitzenden der WCED Gro Brundtland), wurde ein weiterer Meilenstein geschaffen (Pufé 2017: 42). In diesem Bericht wurde das, bis heute gültige, Leitbild der nachhaltigen Entwicklung geschaffen mit der weltweit anerkannten Definition, die bereits in Kapitel 2.2 angeführt wurde. Gleichzeitig gibt der Bericht Handlungsempfehlungen für eine anhaltende und nachhaltige Entwicklung, die sowohl die ökologische Kapazität der Erde als auch die Wahrung der menschlichen Grundbedürfnisse unter Berücksichtigung von Umwelt, sozialen Belangen und Wirtschaft einbeziehen (ebd.: 43). Die Entstehung eines globalen Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung hatte zur Folge, dass in regelmäßigen Abständen Umwelt- und Klimakonferenzen abgehalten wurden, bei denen relevante Themen der Nachhaltigkeit diskutiert und Handlungsstrategien entwickelt wurden. Ausgangspunkt dieser Konferenzen war die UN-Konferenz 1992 in Rio de Janeiro, bei der die weltweit bekannte und global angelegte Agenda 21 verabschiedet wurde (Stolze & Petrlic 2016: 21). Diese war das erste vereinbarte umweltpolitische Aktionsprogramm mit globaler Reichweite. Aufgeteilt in nationale Strategien und Pläne adressierte dieses Handlungsprogramm Akteur*innen auf allen Ebenen. Doch aufgrund fehlender Verbindlichkeiten konnten 10 Jahre danach bei der Konferenz in Johannesburg im Jahre 2002 keine nennenswerten Erfolge verzeichnet werden. Aus diesem Grund wurde eine Lokale Agenda 21 ins Leben gerufen, also ein Programm, welches auf lokalen Gegebenheiten basierende konkretere Zielvorgaben formulierte. Sie agierte unter dem Motto Global denken – lokal handeln, was auch unter dem Prinzip Glokalität zusammengefasst wurde (Pufe 2017: 52f.). Das einzige rechtsverbindlich veröffentlichte Dokument, welches im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung steht, ist das 1997 verabschiedete Kyoto-Protokoll. In diesem wurden Treibhausgasreduzierungen verbindlich festgelegt und es galt als Durchbruch der globalen Klimapolitik (Stolze & Petrlic 2016: 21). Alle weiteren Konferenzen wie der bereits erwähnte Weltgipfel 2002 in Johannisburg oder 2012 in Rio de Janeiro brachten keine rechtlich verbindlichen Neuerungen, sondern beförderten lediglich unverbindliche Maßnahmenkataloge zu Tage, deren Nicht-Einhaltung keine
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Konsequenzen für die teilnehmenden Staaten zur Folge hatte (Grunwald & Kopfmüller 2012: 26). Einer davon waren die Millennium-Entwicklungsziele (kurz: MDGs), welche im Jahre 2000 von der UN sowie den OECD-Staaten und zahlreichen NGOs aufgestellt wurden. Sie beinhalten 8 übergeordnete Ziele, wobei das Hauptziel darin bestand, die Armut weltweit bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Der Erfolg der Ziele wird eher negativ bewertet. So wurde hervorgehoben, dass insbesondere die Schere zwischen Arm und Reich trotz dieser Ziele weiter verstärkt wurde (Pufe 2017: 55). Den neuesten Meilenstein in der Historie der nachhaltigen Entwicklung bildet die im September 2015 verabschiedete Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals und ihren 169 Unterzielen, die für alle Staaten der Erde Gültigkeit besitzt und erstmals sowohl Industrie- und Schwellenländer als auch Entwicklungsländer gleichermaßen einbezieht (Pufé 2017: 55). Sie wurde als Weiterentwicklung der MDGs betrachtet und stellt die bis heute größte Nachhaltigkeitsstrategie mit globaler Gültigkeit dar. Da sie in Kapitel 2.8 näher thematisiert wird, soll hier an dieser Stelle zunächst nicht weiter darauf eingegangen werden. Zeitgleich mit dem Erscheinen der Agenda 2030 fand auch die 21. UN-Klimakonferenz in Paris statt, bei der sich 196 Staaten auf ein rechtlich verbindliches Ziel einigten, die globale Erderwärmung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen und zusätzlich eine maximale Erwärmung von 1,5 Grad zu halten (ebd.: 61f.). Es sei allerdings kritisch angemerkt, dass auch diesem Dokument eine Rechtsverbindlichkeit fehlt, sodass bei Nicht-Einhalten der Ziele keine drastischen Sanktionen folgen. Es fehlt demnach bis dato eine politische Konsequenz, was zu Verunsicherung innerhalb der Gesellschaft einerseits und insgesamt zu einem Schritt-vor-Schritt-zurück Gefühl in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte führt. Insgesamt betrachtet hat die gesamte Thematik trotz ihrer Dringlichkeit und den zahlreichen unterschiedlichen Stationen, Konferenzen, Berichten sowie Strategien, die sie bereits durchlaufen hat, noch einen weiten Weg bis zu einer gelungenen globalen Etablierung vor sich (Pufe 2017: 63f.). Allerdings zeigt sich durch diesen kurzen historischen Abriss, dass das Thema Nachhaltigkeit auf politischer Ebene inzwischen auch global einen steigenden Stellenwert einnimmt und vermehrt Thema politischer Debatten zu sein scheint. Nachhaltige Entwicklung ist somit »zur universellen Norm des 21. Jahrhunderts geworden (…)« (Lepenies & Sondermann 2017: 7).
2.6
Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff
Wie sich gezeigt hat, sind das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung und die hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit stehenden Sichtweisen über die letzten Jahrzehnte hinweg immer weiterentwickelt und transformiert worden. Dennoch scheint es, insbesondere wenn es um die konkrete Umsetzung der Ziele der Nachhaltigkeit geht, zahlreiche Barrieren zu geben, die eine Beschleunigung der Entwicklung der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit verhindern. Ein Grund für die, trotz zahlreicher existierender Strategien und Zielsetzungen, bisher nicht ansatzweise gelungene Lösung der globalen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts mag zunächst einmal auch in der Kritik des Nachhaltigkeitsbegriffs als solchem liegen. Die grundsätzliche Akzeptanz und Verankerung des Begriffs scheinen dabei nicht das Problem zu sein, denn der Begriff der Nachhaltigkeit findet sich
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2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Konsequenzen für die teilnehmenden Staaten zur Folge hatte (Grunwald & Kopfmüller 2012: 26). Einer davon waren die Millennium-Entwicklungsziele (kurz: MDGs), welche im Jahre 2000 von der UN sowie den OECD-Staaten und zahlreichen NGOs aufgestellt wurden. Sie beinhalten 8 übergeordnete Ziele, wobei das Hauptziel darin bestand, die Armut weltweit bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Der Erfolg der Ziele wird eher negativ bewertet. So wurde hervorgehoben, dass insbesondere die Schere zwischen Arm und Reich trotz dieser Ziele weiter verstärkt wurde (Pufe 2017: 55). Den neuesten Meilenstein in der Historie der nachhaltigen Entwicklung bildet die im September 2015 verabschiedete Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals und ihren 169 Unterzielen, die für alle Staaten der Erde Gültigkeit besitzt und erstmals sowohl Industrie- und Schwellenländer als auch Entwicklungsländer gleichermaßen einbezieht (Pufé 2017: 55). Sie wurde als Weiterentwicklung der MDGs betrachtet und stellt die bis heute größte Nachhaltigkeitsstrategie mit globaler Gültigkeit dar. Da sie in Kapitel 2.8 näher thematisiert wird, soll hier an dieser Stelle zunächst nicht weiter darauf eingegangen werden. Zeitgleich mit dem Erscheinen der Agenda 2030 fand auch die 21. UN-Klimakonferenz in Paris statt, bei der sich 196 Staaten auf ein rechtlich verbindliches Ziel einigten, die globale Erderwärmung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen und zusätzlich eine maximale Erwärmung von 1,5 Grad zu halten (ebd.: 61f.). Es sei allerdings kritisch angemerkt, dass auch diesem Dokument eine Rechtsverbindlichkeit fehlt, sodass bei Nicht-Einhalten der Ziele keine drastischen Sanktionen folgen. Es fehlt demnach bis dato eine politische Konsequenz, was zu Verunsicherung innerhalb der Gesellschaft einerseits und insgesamt zu einem Schritt-vor-Schritt-zurück Gefühl in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte führt. Insgesamt betrachtet hat die gesamte Thematik trotz ihrer Dringlichkeit und den zahlreichen unterschiedlichen Stationen, Konferenzen, Berichten sowie Strategien, die sie bereits durchlaufen hat, noch einen weiten Weg bis zu einer gelungenen globalen Etablierung vor sich (Pufe 2017: 63f.). Allerdings zeigt sich durch diesen kurzen historischen Abriss, dass das Thema Nachhaltigkeit auf politischer Ebene inzwischen auch global einen steigenden Stellenwert einnimmt und vermehrt Thema politischer Debatten zu sein scheint. Nachhaltige Entwicklung ist somit »zur universellen Norm des 21. Jahrhunderts geworden (…)« (Lepenies & Sondermann 2017: 7).
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Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff
Wie sich gezeigt hat, sind das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung und die hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit stehenden Sichtweisen über die letzten Jahrzehnte hinweg immer weiterentwickelt und transformiert worden. Dennoch scheint es, insbesondere wenn es um die konkrete Umsetzung der Ziele der Nachhaltigkeit geht, zahlreiche Barrieren zu geben, die eine Beschleunigung der Entwicklung der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit verhindern. Ein Grund für die, trotz zahlreicher existierender Strategien und Zielsetzungen, bisher nicht ansatzweise gelungene Lösung der globalen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts mag zunächst einmal auch in der Kritik des Nachhaltigkeitsbegriffs als solchem liegen. Die grundsätzliche Akzeptanz und Verankerung des Begriffs scheinen dabei nicht das Problem zu sein, denn der Begriff der Nachhaltigkeit findet sich
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
inzwischen auf allen Ebenen von Politik, über Wissenschaft bis hinein in die Gesellschaft sowie auch in allen Themenbereichen wieder (Kropp 2019: 1). Sei es nun der Klimawandel oder aber Energie, Landwirtschaft oder Mobilität, »der Nachhaltigkeitsbegriff ist allgegenwärtig« (Grunwald 2004: 1). Hierzu bemerkt Caradonna treffend: »Sustainability has become a ubiquitous buzzword in our society. We now see the concept publicized in grocery stores, on university campuses, in corporate headquarters, in governmental departments of environmental management, in natural resource management, and in numerous other domains« (Caradonna 2018: 9) Aus dieser Allgegenwärtigkeit resultiert eine Art Übernutzung dieser Begrifflichkeit. Ein Blick auf die Entwicklung von internationalen Buchpublikationen in deren Titel das Wort »Sustainability« oder »Sustainable« vorkommt, zeigt allein im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts eine explosionshafte Verdopplung im Vergleich zum letztem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts (Caradonna 2014: 2). Gibt man bei Google in die Suche den Begriff Nachhaltigkeit ein, so erscheinen über 2,6 Milliarden Treffer. Nachhaltigkeit fungiert zunehmend als Auffangbecken aller möglichen Vorstellungen und Wünsche zum Thema Nachhaltigkeit, welche alle eine positive Konnotation aufweisen, sodass der Begriff zunehmend als inhaltsleer und beliebig kritisiert wird (Görgen & Wendt 2015: 4; Grunwald 2004: 1). Der Begriff verliert dadurch an Schärfe und seine zahlreichen Verwendungen reduzieren ihn oftmals auf die kurzgreifende Bedeutung einer Langfristigkeit oder Dauerhaftigkeit (Kropp 2019: 1). Hinzu kommt auch eine hohe Diskursivität bezüglich der Verwendung des Begriffs in verschiedensten inhaltlichen Bereichen einerseits (Gottschlich & Friedrich 2014: 23f.; Otto 2007: 38) und einer zeitlich versetzten Verwendung des Begriffs in den verschiedenen historischen Meilensteinen der Nachhaltigkeitsdebatte mit jeweiligen inhaltlichen Veränderungen oder Erweiterungen andererseits (Dusseldorp 2017: 13ff.). Der Nachhaltigkeitsbegriff wird dadurch regelrecht »überdehnt« (Hupke 2021: 35). Dies führt so weit, dass kritische Stimmen sagen, die inflationäre und teilweise missbräuchliche Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs, insbesondere im Kontext ökonomischer Interessen zum Zweck der Imageverbesserung, gehe immer öfter mit einer Verschleierung der tatsächlichen Probleme einher, die diesem Leitbild zugrunde liegen. Der Begriff wird somit zu einer Illusion, welche die fehlenden Lösungsansätze für die globalen Konflikte des 21. Jahrhunderts lediglich verschleiert (Grober 2013: 16ff.; Grunwald 2004: 1). Der scheinbar unlösbare Konflikt ökologischer und ökonomischer Interessen, der sich hinter dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung verbirgt, wird dabei oftmals als eine der Hauptursachen für die Vagheit und Bedeutungslosigkeit dieser Begrifflichkeiten gesehen (Dresner 2008: 69). Diese fehlenden Lösungsansätze sorgen dafür, dass zahlreiche Zielsetzungen, welche unter dem Namen der Nachhaltigkeit ausgerufen worden sind, oftmals nicht erreicht wurden. So ist insbesondere im Kontext von ökologischen Fragen wie beispielsweise der CO2 -Konzentration in der Atmosphäre die Bilanz bis heute sehr ernüchternd. Das führt dazu, dass immer häufiger Fragen zur Erschöpfung des Nachhaltigkeitskonzepts auftauchen (Berg 2020: 19f.). Hinzu kommt, dass die unter dem Begriff der Nachhaltigkeit fallende Vielfältigkeit an unterschiedlichen Verständnissen und Konzepten überaus hemmend für eine konkrete Umsetzung ist. Denn ohne eine klar definierte
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Begründung und Aufstellung von objektiven Kriterien eines Nachhaltigkeitskonzepts gestaltet sich eine praktische Umsetzung äußerst schwierig. Im Kontext konkreter Handlungen bedarf es einer Verlässlichkeit und Kontinuität der relevanten Handlungsorientierungen und nicht einer begrifflichen Beliebigkeit, wie sie scheinbar vorherrscht, aus der ansonsten eine Ziellosigkeit und ein entsprechendes Scheitern von Handlungsversuchen resultieren würde (Grunwald 2013: 31). Die Begriffsdebatten fusionierend lassen sich vier konkrete Kritikpunkte subsumieren (Grunwald & Kopfmüller 2012: 219f.): I. Nachhaltige Entwicklung als inhaltsleere Hülle (theoretische Mächtigkeit bei gleichzeitiger inhaltlicher Leere) II. Nachhaltige Entwicklung als ideologische Täuschung (Missbrauch des Begriffs zur Verschleierung realer Interessen und Machtverhältnisse) III. Nachhaltige Entwicklung als Illusion (Zweifel an der Umsetzbarkeit des Nachhaltigkeitsleitbildes aufgrund fehlender Erfolge bei gleichzeitiger falscher gesellschaftlicher Suggestion) IV. Nachhaltige Entwicklung als Bauchladen (Utopische Konnotationen und Überladungen des Nachhaltigkeitsbegriffs wecken das Gefühl der Unlösbarkeit angesichts der Komplexität der Thematik)
Trotz dieser zahlreichen Kritikpunkte scheint sich das Nachhaltigkeitsleitbild dennoch hartnäckig in den politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit zu halten. Insbesondere durch das Aufstellen konkreter Indikatoren und Zielsetzungen scheint es dennoch eine Art Konkretisierung des Nachhaltigkeitsleitbildes zu geben. Eine reine Kritik der Begrifflichkeit ist demnach nicht als zielführend zu erachten. Vielmehr könnte die Lösung in einer theoretischen Weiterentwicklung des Konzepts und seiner Begrifflichkeit liegen, die eine radikale Kritik, wie sie in manchen Fällen scheinbar vorliegt, ad absurdum führen würde (Grunwald & Kopfmüller 2012: 2020f.).
2.7
Der Begriff der sozial-ökologischen Transformation als Lösung?
Neben den Begriffen der Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung sowie ihren englischen Synonymen Sustainability und sustainable development existieren seit einigen Jahren alternative Begrifflichkeiten, die im Kern die gleichen Inhalte ansprechen. Die Rede ist von der sogenannten (großen) Transformation oder auch sozial-ökologischenTransformation. Der Begriff der Transformation ist zu einem zentralen Thema in der Nachhaltigkeitsforschung geworden, was auf eine Verschiebung des Forschungsschwerpunktes auf der einen Seite sowie ein vertieftes Verständnis im Hinblick auf die Herausforderungen unserer Zeit und deren reales Ausmaß für die Gesellschaft der Gegenwart auf der anderen Seite hindeutet (Görg et al. 2017: 1). Im deutschsprachigen Raum tauchte der Begriff in der wissenschaftlichen Debatte erstmals im Bericht des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen mit dem Titel »Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation« auf (WBGU 2011: 1). Seither hat er in vielen verschiedenen abgewandelten Formen (Nachhaltigkeits-
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2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Begründung und Aufstellung von objektiven Kriterien eines Nachhaltigkeitskonzepts gestaltet sich eine praktische Umsetzung äußerst schwierig. Im Kontext konkreter Handlungen bedarf es einer Verlässlichkeit und Kontinuität der relevanten Handlungsorientierungen und nicht einer begrifflichen Beliebigkeit, wie sie scheinbar vorherrscht, aus der ansonsten eine Ziellosigkeit und ein entsprechendes Scheitern von Handlungsversuchen resultieren würde (Grunwald 2013: 31). Die Begriffsdebatten fusionierend lassen sich vier konkrete Kritikpunkte subsumieren (Grunwald & Kopfmüller 2012: 219f.): I. Nachhaltige Entwicklung als inhaltsleere Hülle (theoretische Mächtigkeit bei gleichzeitiger inhaltlicher Leere) II. Nachhaltige Entwicklung als ideologische Täuschung (Missbrauch des Begriffs zur Verschleierung realer Interessen und Machtverhältnisse) III. Nachhaltige Entwicklung als Illusion (Zweifel an der Umsetzbarkeit des Nachhaltigkeitsleitbildes aufgrund fehlender Erfolge bei gleichzeitiger falscher gesellschaftlicher Suggestion) IV. Nachhaltige Entwicklung als Bauchladen (Utopische Konnotationen und Überladungen des Nachhaltigkeitsbegriffs wecken das Gefühl der Unlösbarkeit angesichts der Komplexität der Thematik)
Trotz dieser zahlreichen Kritikpunkte scheint sich das Nachhaltigkeitsleitbild dennoch hartnäckig in den politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit zu halten. Insbesondere durch das Aufstellen konkreter Indikatoren und Zielsetzungen scheint es dennoch eine Art Konkretisierung des Nachhaltigkeitsleitbildes zu geben. Eine reine Kritik der Begrifflichkeit ist demnach nicht als zielführend zu erachten. Vielmehr könnte die Lösung in einer theoretischen Weiterentwicklung des Konzepts und seiner Begrifflichkeit liegen, die eine radikale Kritik, wie sie in manchen Fällen scheinbar vorliegt, ad absurdum führen würde (Grunwald & Kopfmüller 2012: 2020f.).
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Der Begriff der sozial-ökologischen Transformation als Lösung?
Neben den Begriffen der Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung sowie ihren englischen Synonymen Sustainability und sustainable development existieren seit einigen Jahren alternative Begrifflichkeiten, die im Kern die gleichen Inhalte ansprechen. Die Rede ist von der sogenannten (großen) Transformation oder auch sozial-ökologischenTransformation. Der Begriff der Transformation ist zu einem zentralen Thema in der Nachhaltigkeitsforschung geworden, was auf eine Verschiebung des Forschungsschwerpunktes auf der einen Seite sowie ein vertieftes Verständnis im Hinblick auf die Herausforderungen unserer Zeit und deren reales Ausmaß für die Gesellschaft der Gegenwart auf der anderen Seite hindeutet (Görg et al. 2017: 1). Im deutschsprachigen Raum tauchte der Begriff in der wissenschaftlichen Debatte erstmals im Bericht des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen mit dem Titel »Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation« auf (WBGU 2011: 1). Seither hat er in vielen verschiedenen abgewandelten Formen (Nachhaltigkeits-
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Transformation, sozial-ökologischer Wandel, grüne Transformation etc.) seinen Einzug in gesellschaftliche Debatten erhalten (Brand & Brad 2019: 279). Doch worin liegt der Unterschied dieser Begriffskonzeptionen? Von seiner reinen Wortbedeutung her beschreibt Transformation den Übergang der Form oder Funktion eines Objekts oder Prozesses in eine andere (Andrachuk & Armitage 2015: 26). Im Kontext der Aufstellung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung, wie es im Rio-Prozess 1992 aufgeführt worden ist, ging es vordergründig darum, eine langfristige Entwicklung einzuleiten, die die Gesellschaft hin zu nachhaltigem Handeln und denken führen sollte. Doch seitdem sind 20 Jahre vergangen und die Zeit für eine langfristige Entwicklung fehlt schlicht und einfach. Kurzfristige Reaktionen sind gefragt und der Begriff der Transformation greift genau diese auf. Assoziationen mit dem Begriff der Transformation beziehen sich im Wesentlichen auf eine notwendige Veränderung auf einen kurzen Zeitraum hin bezogen, da für einen langfristigen Wandel der potenzielle Handlungsspielraum inzwischen zu knapp ist (Hübner 2015: 42). Mit diesem Begriff einher gehen Forderungen nach einer konkreten und verbindlichen Nachhaltigkeit, einer Abkehr vom profitorientierten kurzfristigen Wachstumsdenken sowie einem damit verbundenen Kulturwandel innerhalb der Gesellschaft (ebd.: 45). Andererseits spiegelt der Begriff Transformation auch eine deutlich radikalere Herangehensweise wider als beispielsweise der Begriff des Wandels oder der Nachhaltigkeit. Eine sozial-ökologische Transformation hat dabei das Ziel, die kapitalismusgesteuerte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts basierend auf der Nutzung fossiler Energieträger und endlicher Rohstoffe hin zu einer postfossilen, nachhaltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Gesellschaft zu transformieren. Neben der Überwindung ökologischer Krisen wie beispielsweise des Umwelt- und Klimawandels geht es gleichzeitig auch darum, die vorangeschrittene gesellschaftliche Spaltung aufzubrechen und somit eben auch eine soziale Transformation herbeizuführen (Brand 2014: 8). Schon allein der Bedeutungskern bezieht sich auf Veränderungen auf allen Ebenen, sei es nun politisch, technologisch, ökonomisch, rechtlich oder sozio-kulturell, Transformation muss immer als allumfassende Veränderung einer Gesellschaft betrachtet werden (Brand & Brad 2019: 279). Dabei ist in der Debatte um den Transformationsbegriff grundsätzlich ein Konsens darüber zu erkennen, dass die gegenwärtige Gesellschaft grundlegend transformiert werden muss und der Begriff somit auch eine durchaus normative Komponente enthält, insbesondere wenn es um die Bewältigung komplexer sozial-ökologischer Krisen geht (ebd.). An dieser Stelle muss konstatiert werden, dass es sich bei der gesamten Debatte um diese Begrifflichkeit nach wie vor um eine reine Fachdiskussion handelt. Insbesondere auf gesellschaftlicher Ebene ist er dementsprechend noch nicht breitenwirksam durchgedrungen (ebd.: 280). Ausgangslage der Begriffsentstehung ist die Annahme, dass sich die Gesellschaft gegenwärtig in einer Situation befindet, die eine ganzheitliche Transformation auf allen Ebenen notwendig macht. Bisher gab es in der Menschheitsgeschichte nur zwei weitere Transformationen ähnlichen Ausmaßes, den Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur Agrargesellschaft sowie die industrielle Revolution (WBGU 2011: 87). Die übergeordneten Anforderungen an eine Transformation der Gesellschaft »ergeben sich aus den Grenzen des Erdsystems, die einen Umbau der nationalen Ökonomien und der Weltwirtschaft innerhalb dieser Grenzen erzwingen, um eine irreversible Schädi-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
gung der Weltökosysteme und deren Auswirkungen auf die Menschheit zu vermeiden« (ebd.). In dieser Definition lassen sich die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit wiederfinden. Die ökologische Dimension der Grenzen des Erdsystems, die ökonomische Dimension durch den Umbau der Weltwirtschaft und die soziale Dimension durch die Auswirkungen auf die Menschheit. Allerdings fällt auf, dass die zentralen Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit hierbei konkret keine Berücksichtigung finden. Dem Verständnis des WBGU nach, kann eine solche Transformation nur durch spezifische Basisinnovationen gelingen. Damit sind jedoch keinesfalls ausschließlich technische Innovationen gemeint wie beispielsweise in Kondratieffs Theorie der langen Wellen, welche die gewünschte Auflösung des Industrialismus herbeiführen können, sondern insbesondere auch gesellschaftliche Innovationen wie globale Kooperationen, die Entwicklung neuer Lebensstile sowie politische Veränderungen. Zudem weisen die Prozesse einer solchen Transformation eine deutlich höhere Langfristigkeit auf, als es in vorangegangenen Transformationsprozessen der Fall war (ebd.: 89). Es handelt sich dabei demnach um dynamische, mehrdimensionale und äußerst komplexe Prozesse, die nicht nur einem bestimmten Maßstab (z.B. lokal oder national) oder nur einer bestimmten Ebene (Ökonomisch oder gesellschaftlich) zuzuordnen sind, sondern vielmehr aus einer globalen und holistischen Sichtweise heraus betrachtet werden müssen, welche keine Ebene oder Skala favorisiert (Brand & Brunnengräber 2013: 481). Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages fasst für die Begriffsdefinition der sozial-ökologischen Transformation folgende Grundannahmen zusammen (Bundestag 2013: 484): • • •
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Es braucht Strategien für eine gesellschaftspolitische Gestaltung zur Bearbeitung der multiplen Krisen und nicht zuvorderst für den kapitalistischen Weltmarkt Es bedarf grundlegender Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft sowie ihrer Verhältnisse zu den geologischen, bio-physikalischen Lebensgrundlagen Ein solcher Gestaltungsansatz orientiert sich am demokratischen, gerechten und solidarischen Umbau hin zu einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise innerhalb der globalen Gesellschaft Dies impliziert den Abbau sozialer Ungleichheiten sowie eine Umverteilung gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Macht zu mehr Gerechtigkeit für alle Bevölkerungsgruppen Eine Einengung des kapitalistischen Marktes und der Dominanz des Profitprinzips über eine Ausweitung des Öffentlichen, des Staates sowie einer solidarischen Ökonomie, die insgesamt die ökologische Tragfähigkeit der Erde beachten, sind dabei zentrale Bestandteile
In diesem Definitionsversuch wird der radikalere und gleichzeitig auch fordernde Charakter des Transformationsbegriffs deutlich. Demnach hat eine sozial-ökologische Transformation das Ziel, die aktuell bestehenden politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen aufzubrechen und im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit der Tragfähigkeit der Ökosysteme der Erde zu transformieren. Neben notwendigen ökonomischen und politischen Veränderungen werden hierbei auch explizit soziale Missstände aufgezeigt, die es in diesem Zusammenhang ebenfalls zu beheben
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gilt. Bemerkenswerterweise wird der Begriff der Transformation im politikwissenschaftlichen Forschungskontext ursprünglich vor allem im Zusammenhang mit dem Übergang osteuropäischer Länder von sozialen Planwirtschaften zu kapitalistischen Marktwirtschaften verwendet und nicht wie hier in Bezug auf sozial-ökologische Wandlungsprozesse (Brand 2014: 244). Insgesamt lassen sich zwei zentrale Verständnisse von Transformation differenzieren. Ein normativ-strategischer Transformationsbegriff auf der einen sowie ein analytischer-deskriptiver auf der anderen Seite. Ersterer identifiziert globale Konflikte und versucht wirksame Lösungsansätze aufzuzeigen wie beispielsweise neue Wirtschaftsformen (Green economy), neue Wohlstandsverhältnisse (de-growth), eine größere Rolle des Staatsapparats oder die Etablierung lokaler Produktions- und Konsummuster. Ein analytischer Transformationsbegriff befasst sich mit vergangenen sowie gegenwärtigen Veränderungen im Allgemeinen (ökologisch, ökonomisch & gesellschaftlich) mit dem Ziel diese zu analysieren, zu bewerten und letzten Endes zu erklären (Brand & Brunnengräber 2013: 481). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass der Transformationsbegriff oftmals mit dem Begriff der Transition gleichgesetzt wird, woraus ein Verständnis des Begriffs als politisch-gesteuerter Eingriff in Entwicklungen und Machtverhältnisse resultiert. Transformation geht jedoch weit darüber hinaus und umfasst neben der politischen Komponente eben auch sozio-ökonomisch und sozio-kulturell geprägte Wandlungsprozesse (Brand 2014b: 249). Der Mehrwert eines kritisch-analytischen Transformationsbegriffs im Gegensatz zum Leitbild der Nachhaltigkeit liegt demnach vor allem auch in seinem herrschaftskritischen Ansatz sowie einem emanzipatorischen Charakter. Die Beseitigung ungleicher Verteilungsverhältnisse sowie die Verhinderung einer fortgeführten Übernutzung der Erdökosysteme sind dabei zwar von zentraler Bedeutung, aber eben ausgehend vom Ziel einer Transformierung der bestehenden kapitalistischen Strukturen als Auslöser dieser Probleme und nicht als parallel laufende Zielsetzung zu einem weiterhin bestehenden kapitalistischen System (ebd.: 274). Darüber hinaus umfasst eine sozial-ökologische Transformation nicht nur messbare physische Prozessveränderungen, sondern vor allem auch Veränderungen in Bezug auf mentale Vorstellungen und Wahrnehmungen des Verhältnisses von sozialen und ökologischen Systemen. Dabei sollte beachtet werden, dass solche mentalen Vorstellungen sehr subjektiv sein können und je nach Lebensgrundlage, Lebensraum und kulturellem Hintergrund unterschiedlich aufgefasst werden können (Andrachuk & Armitage 2015: 27), was die Verwirklichung einer solchen Transformation ebenso komplex macht, wie die Prozesse selber, die dabei eine Rolle spielen. Die Umsetzung einer solchen sozial-ökologischen oder großen Transformation ist dabei übergeordnet in den vier verschiedenen Handlungsfeldern Energiebasis, Veränderung des Zeitregimes, neue Basisinfrastrukturen sowie Gesellschaftlicher Wandel notwendig (Abbildung 9). Die hier aufgeführten Handlungsfelder sind dabei sehr unterschiedlich formuliert in Bezug auf ihren Konkretisierungsgrad, da sie lediglich als übergeordnete Ankerpunkte dienen. Der Aufbau erneuerbarer Energiesysteme oder der urbane Raum als Handlungsfeld sind dabei recht eindeutig. Wie genau aber beispielsweise ein neues Mensch-Umwelt-Verhältnis oder die Einnahme langfristiger Perspektiven aussehen sollen, ist äußerst komplex und nicht ohne weiteres zu beantworten.
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Abbildung 9: Zentrale Handlungsfelder der sozial-ökologischen Transformation
Eigene Darstellung nach WBGU, 2011: 96f.
Für eine gelungene Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation lassen sich zudem drei zentrale Akteursebenen benennen. Die erste Ebene bildet die Zivilgesellschaft. Hierzu zählen neben NGOs insbesondere die breite Masse der Gesellschaft. Dabei geht es um einen gesellschaftlichen Wertewandel, die Etablierung nachhaltiger Lebensstile sowie die Schaffung einer entschleunigten und entkommerzialisierten Kultur (Hübner 2015: 52). Die zweite Ebene bilden die Unternehmen. Sie haben mit der ihnen inhärenten Unternehmensphilosophie, ihren Produkten und Dienstleistungen sowie ihrer Vernetzung eine enorme Wirkung in die Gesellschaft hinein und können eine Vorbildfunktion einnehmen, wenn es um eine Umorientierung hin zu nachhaltigem Leben und Produzieren geht (ebd.: 53). Die dritte Ebene bildet die Wissenschaft. Hier spielt die Beratungsfunktion politischer und wirtschaftlicher Akteur*innen auf der einen Seite eine wichtige Rolle, auf der anderen Seite geht es insbesondere um die Erforschung und Messung potenzieller nachhaltiger Lebensmöglichkeiten, Innovationen, das Aufzeigen von Handlungsbarrieren sowie die Bereitstellung von Lösungsmöglichkeiten. Eine weitere zentrale Funktion, die auch in den Bereich der gesamten Bildungsinstitutionen fällt, ist die Vermittlung und Kommunikation des relevanten Wissens sowie der erforschten Lösungsansätze, ohne welche ein grundlegender gesellschaftlicher Kulturwandel nicht stattfinden kann (ebd.: 54). Grundlegend muss, wie auch schon beim Nachhaltigkeitsbegriff, konstatiert werden, dass es keine einheitliche Definition des Transformationsbegriffs gibt. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass es sich dabei um theoretische Konzepte handelt, zu denen unterschiedliche Verständnisse existieren. Solche Konzepte bilden eine Art epistemischen Container, in dem sich diejenigen Verständnisse zusammenfinden, aus denen sich ein einheitlicher inhaltlicher Kern herauskristallisieren lässt. Wie valide ein solches Konzept ist, hängt dann immer von seiner Plausibilität und Anwendbarkeit im Kontext eines besseren Verständnisses sozial-ökologischer Probleme ab (Brand 2016: 506). Es wäre demnach falsch, die Begrifflichkeiten der Nachhaltigkeit respektive nachhaltiger Entwicklung und sozial-ökologische Transformation gegeneinander abzuwägen. Der Begriff der sozial-ökologischen Transformation kann hier eher als theoretisches Obergerüst betrachtet werden. Nachhaltigkeit beschreibt dabei ein Leitbild und Wertevorstellungen, welche es im Rahmen einer gelungenen Transformation
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der Gesellschaft umzusetzen gilt. Ziel sollte demnach sein, eine Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit anzustreben. Gerade im Hinblick auf die gesellschaftliche Debatte mit dieser Thematik sollte der Nachhaltigkeitsbegriff nicht ad acta gelegt werden, da er wie bereits erwähnt, eine viel stärkere gesellschaftliche Präsenz aufweist als die eher wissenschaftlich konnotierte und gesellschaftlich kaum debattierte sozial-ökologische Transformation und er zudem durch seine häufige Verwendung in Politik und Ökonomie eine gewisse rhetorische Mächtigkeit besitzt (Dresner 2008: 1). Für eine theoretische Auseinandersetzung bietet sich der Transformationsbegriff jedoch besser an, da er durch seine deutlich radikalere Herangehensweise auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit den zentralen Inhalten dieser Thematik ermöglicht. Nachdem nun die hinter dem Nachhaltigkeitsbegriff stehenden Konzeptionen und Debatten näher beleuchtet worden sind, geht es nachfolgend um den Status quo sowie Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzepts am Beispiel konkreter Nachhaltigkeitsziele im Hinblick auf die angestrebte sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft.
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Globale Nachhaltigkeitsziele & ihre Umsetzung – Die Agenda 2030
Die Ausgangslage ist eindeutig. Die immense Anzahl globaler Konflikte & negativer Trends bedingt die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Handelns auf allen Ebenen von der Politik, über die Wissenschaft und Wirtschaft bis hin zur Zivilgesellschaft. Die Konzepte für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit liegen vor. Die relevanten Handlungsfelder in diesem Kontext sind ebenfalls zweifelsfrei dargelegt und offensichtlich. Doch wie weit ist die Umsetzung wirklich? Eine eindeutige Beschreibung des Status quo der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit sowie der sozial-ökologischen Transformation ist aufgrund der immensen Komplexität und Varietät dieser Thematik nicht ohne weiteres möglich. Zu divers sind die relevanten Themenfelder und zu vielfältig die Ebenen, auf denen es einer Umsetzung bedarf. Dies zeigt sich alleine schon in der seit 2000 stetig wachsenden Anzahl von Instrumenten und Indikatoren zur Messung von Nachhaltigkeit wie dem ökologischen Fußabdruck, dem CO2 -Fußabdruck, der Lebenszyklusanalyse oder aber der Erfindung des Human Development Index (HDI) und zahlreichen Nachhaltigkeitslabeln aus allen erdenklichen Bereichen, welche allesamt unterschiedliche Kriterien und Merkmale erfassen (Caradonna 2014: 180ff.). Aus diesem Grund wurden bereits Ende des 20. Jahrhunderts Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung formuliert, deren Umsetzung anhand von einheitlichen Indikatoren messbar gemacht werden sollte und die in der Formulierung von Nachhaltigkeitsstrategien mündeten.
2.8.1 Agenda 21 und die MDGs Ausgangspunkt der ersten global gültigen Nachhaltigkeitsstrategie war der Weltgipfel in Rio de Janeiro im Jahre 1992 auch UNECD genannt (UN Conference on environnment and development). Die Teilnahme von 172 Nationen sowie 2400 Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen führte dazu, dass dies die bis dato größte internationale
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der Gesellschaft umzusetzen gilt. Ziel sollte demnach sein, eine Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit anzustreben. Gerade im Hinblick auf die gesellschaftliche Debatte mit dieser Thematik sollte der Nachhaltigkeitsbegriff nicht ad acta gelegt werden, da er wie bereits erwähnt, eine viel stärkere gesellschaftliche Präsenz aufweist als die eher wissenschaftlich konnotierte und gesellschaftlich kaum debattierte sozial-ökologische Transformation und er zudem durch seine häufige Verwendung in Politik und Ökonomie eine gewisse rhetorische Mächtigkeit besitzt (Dresner 2008: 1). Für eine theoretische Auseinandersetzung bietet sich der Transformationsbegriff jedoch besser an, da er durch seine deutlich radikalere Herangehensweise auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit den zentralen Inhalten dieser Thematik ermöglicht. Nachdem nun die hinter dem Nachhaltigkeitsbegriff stehenden Konzeptionen und Debatten näher beleuchtet worden sind, geht es nachfolgend um den Status quo sowie Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzepts am Beispiel konkreter Nachhaltigkeitsziele im Hinblick auf die angestrebte sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft.
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Globale Nachhaltigkeitsziele & ihre Umsetzung – Die Agenda 2030
Die Ausgangslage ist eindeutig. Die immense Anzahl globaler Konflikte & negativer Trends bedingt die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Handelns auf allen Ebenen von der Politik, über die Wissenschaft und Wirtschaft bis hin zur Zivilgesellschaft. Die Konzepte für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit liegen vor. Die relevanten Handlungsfelder in diesem Kontext sind ebenfalls zweifelsfrei dargelegt und offensichtlich. Doch wie weit ist die Umsetzung wirklich? Eine eindeutige Beschreibung des Status quo der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit sowie der sozial-ökologischen Transformation ist aufgrund der immensen Komplexität und Varietät dieser Thematik nicht ohne weiteres möglich. Zu divers sind die relevanten Themenfelder und zu vielfältig die Ebenen, auf denen es einer Umsetzung bedarf. Dies zeigt sich alleine schon in der seit 2000 stetig wachsenden Anzahl von Instrumenten und Indikatoren zur Messung von Nachhaltigkeit wie dem ökologischen Fußabdruck, dem CO2 -Fußabdruck, der Lebenszyklusanalyse oder aber der Erfindung des Human Development Index (HDI) und zahlreichen Nachhaltigkeitslabeln aus allen erdenklichen Bereichen, welche allesamt unterschiedliche Kriterien und Merkmale erfassen (Caradonna 2014: 180ff.). Aus diesem Grund wurden bereits Ende des 20. Jahrhunderts Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung formuliert, deren Umsetzung anhand von einheitlichen Indikatoren messbar gemacht werden sollte und die in der Formulierung von Nachhaltigkeitsstrategien mündeten.
2.8.1 Agenda 21 und die MDGs Ausgangspunkt der ersten global gültigen Nachhaltigkeitsstrategie war der Weltgipfel in Rio de Janeiro im Jahre 1992 auch UNECD genannt (UN Conference on environnment and development). Die Teilnahme von 172 Nationen sowie 2400 Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen führte dazu, dass dies die bis dato größte internationale
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der Gesellschaft umzusetzen gilt. Ziel sollte demnach sein, eine Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit anzustreben. Gerade im Hinblick auf die gesellschaftliche Debatte mit dieser Thematik sollte der Nachhaltigkeitsbegriff nicht ad acta gelegt werden, da er wie bereits erwähnt, eine viel stärkere gesellschaftliche Präsenz aufweist als die eher wissenschaftlich konnotierte und gesellschaftlich kaum debattierte sozial-ökologische Transformation und er zudem durch seine häufige Verwendung in Politik und Ökonomie eine gewisse rhetorische Mächtigkeit besitzt (Dresner 2008: 1). Für eine theoretische Auseinandersetzung bietet sich der Transformationsbegriff jedoch besser an, da er durch seine deutlich radikalere Herangehensweise auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit den zentralen Inhalten dieser Thematik ermöglicht. Nachdem nun die hinter dem Nachhaltigkeitsbegriff stehenden Konzeptionen und Debatten näher beleuchtet worden sind, geht es nachfolgend um den Status quo sowie Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzepts am Beispiel konkreter Nachhaltigkeitsziele im Hinblick auf die angestrebte sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft.
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Globale Nachhaltigkeitsziele & ihre Umsetzung – Die Agenda 2030
Die Ausgangslage ist eindeutig. Die immense Anzahl globaler Konflikte & negativer Trends bedingt die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Handelns auf allen Ebenen von der Politik, über die Wissenschaft und Wirtschaft bis hin zur Zivilgesellschaft. Die Konzepte für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit liegen vor. Die relevanten Handlungsfelder in diesem Kontext sind ebenfalls zweifelsfrei dargelegt und offensichtlich. Doch wie weit ist die Umsetzung wirklich? Eine eindeutige Beschreibung des Status quo der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit sowie der sozial-ökologischen Transformation ist aufgrund der immensen Komplexität und Varietät dieser Thematik nicht ohne weiteres möglich. Zu divers sind die relevanten Themenfelder und zu vielfältig die Ebenen, auf denen es einer Umsetzung bedarf. Dies zeigt sich alleine schon in der seit 2000 stetig wachsenden Anzahl von Instrumenten und Indikatoren zur Messung von Nachhaltigkeit wie dem ökologischen Fußabdruck, dem CO2 -Fußabdruck, der Lebenszyklusanalyse oder aber der Erfindung des Human Development Index (HDI) und zahlreichen Nachhaltigkeitslabeln aus allen erdenklichen Bereichen, welche allesamt unterschiedliche Kriterien und Merkmale erfassen (Caradonna 2014: 180ff.). Aus diesem Grund wurden bereits Ende des 20. Jahrhunderts Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung formuliert, deren Umsetzung anhand von einheitlichen Indikatoren messbar gemacht werden sollte und die in der Formulierung von Nachhaltigkeitsstrategien mündeten.
2.8.1 Agenda 21 und die MDGs Ausgangspunkt der ersten global gültigen Nachhaltigkeitsstrategie war der Weltgipfel in Rio de Janeiro im Jahre 1992 auch UNECD genannt (UN Conference on environnment and development). Die Teilnahme von 172 Nationen sowie 2400 Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen führte dazu, dass dies die bis dato größte internationale
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Konferenz der Weltgeschichte war (Martens 2012: 13). Ergebnis des Weltgipfels war die Verabschiedung von sechs verbindlichen Dokumenten, die auf den verschiedenen Ebenen der Nachhaltigkeit greifen sollten. Dazu gehörten die Deklaration von Rio über Umwelt und Entwicklung, in der mit 27 Grundsätzen erstmals das Recht auf nachhaltige Entwicklung verankert wurde, die Klimaschutz-Konvention, mit dem Ziel einer Stabilisierung der Treibhausgasemissionen, die Biodiversitätskonvention mit dem Ziel der Bewahrung der biologischen Vielfalt, die Walddeklaration mit dem Ziel einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung sowie die allgemein bekannte Agenda 21 (Grunwald & Kopfmüller 2012: 26). Letztere ist ein Aktionsprogramm mit festgelegten Zielen, Maßnahmen und Instrumenten zur Umsetzung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung im Hinblick auf die gesamte Bandbreite nachhaltigkeitsrelevanter Themen für Industrie- und Entwicklungsländer (ebd.). Sie richtet sich an Akteure auf allen Ebenen von der Politik über die Wirtschaft bis hin zur Zivilbevölkerung und fordert gleichzeitig alle beteiligten Regierungen auf, einen national gültigen Plan zu erstellen, der die Umsetzung der Agenda auf der Staatenebene gewährleistet. Sie macht jedoch darüber hinaus deutlich, dass dies nur durch eine breit angelegte Beteiligung der Öffentlichkeit und regierungsunabhängiger Organisationen gelingen kann. Insbesondere Kommunalverwaltungen sollen sich dabei an einer Umsetzung einer lokal angelegten Agenda 21 beteiligen. Zu diesem Zweck wurden beispielsweise zahlreiche kommunale Aktionspläne entwickelt, die unter dem Motto »Think global, act local« fungierten (Quitzow 2011: 123). Insgesamt wurde die Agenda 21 durchaus ambivalent bewertet. Einerseits gilt sie als Meilenstein der Nachhaltigkeitsentwicklung und markiert zudem die bis dato größte jemals vollzogene Bemühung, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung global zu integrieren. Andererseits wird die Agenda 21 bezüglich ihrer Zielformulierungen äußerst kritisch betrachtet. So bezieht sich der größte Kritikpunkt auf die fehlende Verbindlichkeit der Ziele und Maßnahmen. In den Augen der Kritiker*innen stellt die Agenda nur eine Rahmenvereinbarung dar, die weder konkrete Verpflichtungen noch eine völkerrechtliche Verbindlichkeit beinhaltet (Grunwald & Kopfmüller 2012: 26f.). Darüber hinaus enthält sie teils unklare und teils widersprüchliche Zielsetzungen, welche sich insbesondere in dem Paradoxon der Stärkung eines flächendeckenden Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Bewahrung der natürlichen Ressourcen widerspiegelt. Die Erfolge der Umsetzung der Agenda waren jedoch eher als gering einzustufen, sodass beim Weltgipfel 2002 in Johannisburg vom Groß der Vertreter der Stand der Umsetzung als mittelmäßig eingestuft wurde (Pufé 2017: 53). Aus der Masse an unterschiedlichen Dokumenten, welche aus der Rio-Konferenz von 1992 resultierten, aggregierte die OECD in Zusammenarbeit mit dem UN-Sekretariat und der Weltbank im Jahr 2000 sieben übergeordnete Entwicklungsziele. Diese wurden in einem Dokument mit dem Titel »A better world for all« der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Martens & Schultheis 2010: 5) Auf dem nachfolgenden Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen wurden diese Ziele schließlich in die Millenniumserklärung überführt und auf Drängen der Entwicklungsländer um ein explizit auf die Industrienationen bezogenes achtes Ziel erweitert. Daraus ergaben sich die acht Millennium Development Goals (MDGs). Insgesamt 189 Mitgliedsstaaten unterzeichneten diesen Katalog verpflichtender Zielsetzungen (Pufé 2017: 54). Im Gegensatz zu den vorangegangenen Strategien, welche sich immer nur auf spezifische Einzelthemen fokussierten, wurden
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hiermit erstmals global greifende Entwicklungsziele formuliert. Die acht Leitziele enthielten insgesamt 18 Unterziele und 48 Indikatoren zur Überprüfung der Zielsetzungen (Martens & Schultheis 2010: 6). Das übergeordnete Ziel der globalen Zukunftssicherung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gliedert sich dabei in die vier Handlungsfelder Frieden, Sicherheit und Abrüstung; Entwicklung und Armutsbekämpfung; Schutz der gemeinsamen Umwelt sowie Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung. Alle acht MDGs und ihre Unterziele sollten laut der Erklärung bis zum Jahr 2015 erreicht sein (Pufé 2017: 53). Grundlegend lässt sich anführen, dass allein die Aufstellung der MDGs zahlreiche Prozesse in Gang gesetzt hat, die eine Umsetzung der Ziele und damit einhergehend einen Wandel der Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung als oberstes Ziel haben. Darunter fallen neben der Schaffung nationaler Aktionspläne sowie der Gründung zahlreicher Initiativen und Organisationen vor allem auch die Veröffentlichung jährlich erscheinender Umsetzungsberichte seitens der beteiligten Nationen. Die größte Stärke der MDGs wird insbesondere in ihrem simplen, zeitgebundenen und klar strukturierten Charakter gesehen, der sowohl einfach zu kommunizieren als auch erstmals messbar ist (WHO 2015: 6). In ihrem Abschlussbericht über den Status quo der Umsetzung im Jahr 2015 attestiert die UN den MDGs jedoch einen äußerst ambivalenten Stand der Umsetzung. Zum einen werden erhebliche Fortschritte für einzelne Ziele attestiert. So ist beispielsweise der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen der Entwicklungsländer von 50 % auf 14 % gesunken. Insgesamt ist die in Armut lebende Bevölkerung der Erde um über die Hälfte von 1,9 Milliarden auf 836 Millionen gesunken. (UN 2015: 8). Die Kinder, die keine Primärbildung erhalten, ist weltweit um fast die Hälfte reduziert worden, der Frauenanteil in politischen Parlamenten hat sich verdoppelt, die Kindersterblichkeitsrate ist um mehr als 50 % gesunken und auch die Fälle an Malaria und HIV-Infektionen konnten drastisch reduziert werden (ebd.). Andererseits konnte keines der MDGs vollständig umgesetzt werden. Vor allem in Bezug auf die Ungleichheit innerhalb bestimmter Nationen verlief die Entwicklung teilweise sogar rückläufig. Globale Disparitäten sind nach wie vor steigend und der ungebremste Klimawandel hemmt die Erreichung der Ziele immens (ebd.). Größter Kritikpunkt ist nach wie vor die fehlende Verbindlichkeit der Ziele. Ausbleibende Konsequenzen für eine mangelhafte Umsetzung sind hierbei das größte Hindernis. So wurde beispielsweise durch die Weltwirtschaftskrise die Bemühung der Industrienationen bezüglich der MDGs drastisch reduziert (Grunwald & Kopfmüller 2012: 30). Entwicklungshilfeleistungen sind zurück gegangen und das nach wie vor steigende Bevölkerungswachstum macht die Umsetzbarkeit der Halbierung der hungerleidenden Menschen gegenwärtig zu einer Utopie (ebd.). Darüber hinaus ist es insbesondere im Hinblick auf die zahlreichen ökologischen Krisen des 21. Jahrhunderts äußerst fragwürdig, dass insbesondere für die ökologische Ebene kaum Fortschritte erzielt werden konnten. Beispielsweise sind die einzigen von der UN konstatierten Fortschritte auf einer ökologischen Ebene die Steigerung der geschützten Landgebiete in Lateinamerika und der Karibik von 8,8 % auf 23,4 % (UN 2015: 8). Insbesondere bezüglich der Berücksichtigung gesellschaftlicher Wertevorstellungen und der Bedeutung der Stärkung des Umweltbewusstseins der Bevölkerung vor allem in den Industrienationen, müssen die MDGs insgesamt betrachtet daher als unzureichend gesehen werden. Eine Ursache darin wird insbesonde-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
re in einer fehlenden Einbeziehung von zwischenstaatlicher Zusammenarbeit zur Umsetzung der Ziele gesehen (Chasek et al. 2016: 13). Dennoch legten sie die Basis für die seit 2015 gültige Agenda 2030 und die 17 SDGs, die als bis dato größte und weitgreifendste Nachhaltigkeitsstrategie angesehen wird und deren Zielsetzungen somit auch als Grundstein und Spiegelbild der gegenwärtigen Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation betrachtet werden sollten.
2.8.2 Die Agenda 2030 Die Kritik an der starken Limitation der MDGs sowie deren unzureichende und langsame Umsetzung (Herlyn & Levy-Tödter 2020: 2) wurde bei der UN-Konferenz Rio+20 im Jahr 2012 auch durch die Mitglieder der UN selbst deutlich. Aus diesem Grund sollten weitreichendere Entwicklungsziele aufgestellt werden, die alle Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen und für alle Staaten der Erde gleichermaßen Gültigkeit besitzen sollten (Martens & Obenland 2017: 10). Zum ersten Mal in der Historie aller auf Nachhaltigkeit bezogenen Strategien und Zielsetzungen richten sich die neuen Ziele nicht nur an die Entwicklungsländer, sondern insbesondere an die Industrienationen als Auslöser globaler Konfliktlagen (Herlyn 2020: 44). Diese Neuerung kommt einem Paradigmenwechsel in der Nachhaltigkeitsdebatte gleich, da hier erstmals die Industrienationen auch als entwicklungsbedürftige Länder dargestellt werden (Martens & Obenland 2017: 12f.). Am 1. September 2015 verabschiedeten die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in einer Generalversammlung einstimmig die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Das Ergebnis des dreijährigen Diskussions- und Erarbeitungsprozesses ist ein 30-seitiges Dokument mit dem Titel: »Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung« (UN 2015: 1). Das Dokument umfasst neben der Präambel der Staats- und Regierungschefs einen Zielkatalog mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) und deren insgesamt 169 Zielvorgaben, eine Deklaration über die Mittel der Umsetzung der Agenda und der globalen Partnerschaft sowie eine Weiterverfolgung und Überprüfung der Agenda (ebd.). Inhaltlich bezeichnen die Teilnehmerstaaten die Agenda in der Präambel als »[…] einen Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand« (UN, 2015: 2). Im Zentrum der Agenda 2030 stehen die Wahrung des globalen Friedens sowie die Beseitigung der Armut in all ihren Formen als Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Zu diesem Zweck gilt es, eine Transformation in der Gesellschaft herbeizuführen, die dem Konzept der Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen von Ökonomie, Ökologie und Sozialem Rechenschaft ablegt (ebd.). Grundaussage der Agenda ist die Bestrebung, eine grundlegende Veränderung in Politik und Gesellschaft im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen. Dadurch soll sowohl das Leben der Menschen auf der Erde verbessert als auch die natürlichen Ressourcen der Erde als Lebensgrundlage für den Menschen geschützt werden (ebd.). Um dies zu erreichen, muss eine Transformation der Gesellschaft und insbesondere der Wirtschaft hin zu einem nachhaltigen Handeln vollzogen werden (von Hauff et al. 2018: 5). Abb. 11 zeigt die fünf übergeordneten Ziele der Agenda 2030 auf denen alle weiteren Zielsetzungen und insbesondere die 17 SDGs aufbauen.
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re in einer fehlenden Einbeziehung von zwischenstaatlicher Zusammenarbeit zur Umsetzung der Ziele gesehen (Chasek et al. 2016: 13). Dennoch legten sie die Basis für die seit 2015 gültige Agenda 2030 und die 17 SDGs, die als bis dato größte und weitgreifendste Nachhaltigkeitsstrategie angesehen wird und deren Zielsetzungen somit auch als Grundstein und Spiegelbild der gegenwärtigen Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation betrachtet werden sollten.
2.8.2 Die Agenda 2030 Die Kritik an der starken Limitation der MDGs sowie deren unzureichende und langsame Umsetzung (Herlyn & Levy-Tödter 2020: 2) wurde bei der UN-Konferenz Rio+20 im Jahr 2012 auch durch die Mitglieder der UN selbst deutlich. Aus diesem Grund sollten weitreichendere Entwicklungsziele aufgestellt werden, die alle Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen und für alle Staaten der Erde gleichermaßen Gültigkeit besitzen sollten (Martens & Obenland 2017: 10). Zum ersten Mal in der Historie aller auf Nachhaltigkeit bezogenen Strategien und Zielsetzungen richten sich die neuen Ziele nicht nur an die Entwicklungsländer, sondern insbesondere an die Industrienationen als Auslöser globaler Konfliktlagen (Herlyn 2020: 44). Diese Neuerung kommt einem Paradigmenwechsel in der Nachhaltigkeitsdebatte gleich, da hier erstmals die Industrienationen auch als entwicklungsbedürftige Länder dargestellt werden (Martens & Obenland 2017: 12f.). Am 1. September 2015 verabschiedeten die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in einer Generalversammlung einstimmig die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Das Ergebnis des dreijährigen Diskussions- und Erarbeitungsprozesses ist ein 30-seitiges Dokument mit dem Titel: »Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung« (UN 2015: 1). Das Dokument umfasst neben der Präambel der Staats- und Regierungschefs einen Zielkatalog mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) und deren insgesamt 169 Zielvorgaben, eine Deklaration über die Mittel der Umsetzung der Agenda und der globalen Partnerschaft sowie eine Weiterverfolgung und Überprüfung der Agenda (ebd.). Inhaltlich bezeichnen die Teilnehmerstaaten die Agenda in der Präambel als »[…] einen Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand« (UN, 2015: 2). Im Zentrum der Agenda 2030 stehen die Wahrung des globalen Friedens sowie die Beseitigung der Armut in all ihren Formen als Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Zu diesem Zweck gilt es, eine Transformation in der Gesellschaft herbeizuführen, die dem Konzept der Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen von Ökonomie, Ökologie und Sozialem Rechenschaft ablegt (ebd.). Grundaussage der Agenda ist die Bestrebung, eine grundlegende Veränderung in Politik und Gesellschaft im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen. Dadurch soll sowohl das Leben der Menschen auf der Erde verbessert als auch die natürlichen Ressourcen der Erde als Lebensgrundlage für den Menschen geschützt werden (ebd.). Um dies zu erreichen, muss eine Transformation der Gesellschaft und insbesondere der Wirtschaft hin zu einem nachhaltigen Handeln vollzogen werden (von Hauff et al. 2018: 5). Abb. 11 zeigt die fünf übergeordneten Ziele der Agenda 2030 auf denen alle weiteren Zielsetzungen und insbesondere die 17 SDGs aufbauen.
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Abbildung 10: Die fünf »Ps« der Agenda 2030
Eigene Darstellung nach UN 2015: 2f. & von Hauf, Schulz & Wagner 2018: 34ff.
Diese fünf Leitziele können als handlungsleitende Kriterien der gesamten Agenda und den SDGs betrachtet werden und bilden somit den übergeordneten Rahmen dieser Nachhaltigkeitsstrategie. Dieser Rahmen untermauert zudem, dass die SDGs durch den Einbezug aller Nachhaltigkeitsdimensionen sowie den Bereichen Frieden und globale Zusammenarbeit weit über die Tragweite der MDGs hinausgehen und die Agenda 2030 somit als bis dato weitreichendste Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet werden muss (Martens & Obenland 2017: 12). Hinzu kommt, dass sich die Agenda 2030 nicht nur auf die Zielsetzungen an sich beschränkt, sondern darüber hinaus auch Mittel beschreibt, die für eine Umsetzung der Strategie notwendig sind und Maßnahmen aufzeigt, wie das Monitoring der Agenda und deren Implementierung ablaufen soll. Dies äußert sich zum einen in einem eigenständigen Ziel zur Umsetzung und Stärkung der globalen Partnerschaft (SDG17), zum anderen beinhaltet jedes SDG für sich Unterziele, die sich mit den Umsetzungsmitteln befassen. Auch das kann als Fortschritt zur Agenda 21 und den MDGs gesehen werden (ebd.: 15). Die Umsetzung der Agenda orientiert sich laut der Präambel an fünf Leitprinzipien, die in Tabelle 2 aufgezeigt sind.
Tabelle 2: Leitprinzipien für die Umsetzung der Agenda 2030 Leitprinzip
Bedeutung
Universalität
Gültigkeit der Strategie für alle Länder
Unteilbarkeit
Umsetzung der Agenda in ihrer Gesamtheit und nicht nur einzelner Ziele
Niemand zurück lassen
Realisierung der Agenda erst dann erreicht, wenn auch die Menschen unter ärmsten Bedingungen eine Verbesserung der Lebensbedingung erhalten
Rechenschaftspflicht
regelmäßige, transparente Berichterstattung zur Umsetzung
Partnerschaftlichkeit
Die Verantwortung für die Umsetzung liegt auf allen Ebenen (National – Regional – Lokal; Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft
Eigene Darstellung nach UN 2015: 2ff. & von Hauff, Schulz & Wagner 2018: 36
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Die 17 SDGs der Agenda 2030 sind als übergeordnete Grobziele formuliert, die jeweils noch in weitere Feinziele untergliedert werden. Auch wenn das übergeordnete Ziel der Agenda 2030 die Armut weltweit zu bekämpfen auch im Zielkatalog an erster Stelle steht, so hat die Anordnung der Zielsetzung dennoch keine Bedeutung. Alle 17 Ziele sind gleichwertig und die Agenda 2030 kann nur dann erfüllt werden, wenn alle Ziele gleichermaßen umgesetzt wurden (UN 2015: 3ff.). Jedes der einzelnen Ziele lässt sich verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit zuordnen und muss somit immer auch auf einer ganzheitlichen und systemischen Ebene gedacht werden (Barbier & Burgess 2017: 21). Mit ihren Unterzielen umfassen die SDGs insgesamt einen Katalog von 169 Zielsetzungen, die es bis zum Jahr 2030 umzusetzen gilt. Die Zielformulierungen unterscheiden sich dabei hinsichtlich diverser Merkmale. So werden teilweise konkrete Zahlen und Grenzwerte genannt, die es zu erreichen gilt und andererseits erfolgen lediglich unspezifische Angaben ohne Quantifizierung. Alle Ziele sind universell gültig und untrennbar miteinander verknüpft und berücksichtigen darüber hinaus die disperse Verteilung von Ressourcen, Know-How sowie generelle Kapazitäten der verschiedenen Staaten der Erde (von Hauff, Schulz & Wagner 2018: 37). Inhaltlich lassen sich die 17 SDGs in die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit unterteilen. Die soziale Dimension umfasst dabei SDG 1–6, die ökonomische Dimension SDG 7–12 und die ökologische Dimension SDG 13–15. Die beiden letzten SDGs 16 und 17 lassen sich keiner Dimension spezifisch zuordnen und sind daher als übergeordnete Ziele separiert zu betrachten. Eine Übersicht über die SDGs findet sich in Abbildung 12.
Abbildung 11: Die 17 SDGs der Agenda 2030
Quelle: https://www.globalgoals.org/resources, letzter Zugriff: 15.08.2018
Den letzten Teil der Agenda bilden die Überlegungen zur Umsetzung der Ziele für die nächsten Jahre bis zum Jahr 2030. Diese enthalten einen dreistufigen Überprüfungsrahmen der SDGs. Stufe eins sieht die freiwillige Überprüfung der Umsetzungsfortschritte
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
auf nationaler Ebene unter Berücksichtigung aller betroffenen Akteursgruppen vor. Stufe zwei beschreibt den wechselseitigen Austausch von Praxiserfahrungen auf regionaler Ebene. Stufe drei beschreibt die globale Umsetzungskontrolle. Hier kommt dem Politischen Forum für nachhaltige Entwicklung (HLPF) die Aufgabe zu, einen jährlichen SDGFortschrittsbericht zu veröffentlichen sowie einen periodisch erscheinenden globalen Nachhaltigkeitsbericht zu erarbeiten (Martens & Obenland 2017: 19). Um eine repräsentative Umsetzung der Überprüfung gewährleisten zu können, wurde im März 2017 ein Katalog mit 232 Indikatoren verabschiedet. Dabei wurde zwischen Indikatoren auf drei Ebenen unterschieden. Ebene 1 beinhaltet Indikatoren, die konzeptionell klar und methodisch erfassbar sind und für die eine regelmäßige Datenerhebung vorliegt. Dies trifft auf 82 Indikatoren zu. Die Indikatoren der Ebene 2 sind konzeptionell klar und methodisch erfassbar, werden jedoch nicht regelmäßig von allen Ländern erhoben (61 Indikatoren). Weitere 84 Indikatoren sind Ebene drei zuzuordnen und werden weder erhoben noch existiert bisher eine anerkannte Methodik (ebd.: 20). In Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung wird dieser Indikatorenkatalog, der unter anderem auch Berichte über den Status quo der Umsetzung enthält, jährlich vom SDSN (Sustainable Development Solutions Network) veröffentlicht. An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Aufstellen von Indikatoren im Kontext der Umsetzung und deren Überprüfung von Nachhaltigkeitszielen die gängigste Vorgehensweise darstellt. Zwar besteht wissenschaftlich gesehen kein Konsens darüber, was genau als Nachhaltigkeitsindikator betrachtet werden kann und wie genau ein solcher zu definieren ist, dennoch wird das Aufstellen von Indikatoren mehrheitlich als zentrales Verbindungsstück zwischen der theoretisch-konzeptionellen Ebene des Nachhaltigkeitsleitbildes und der praktisch-handlungsorientierten Ebene von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft betrachtet (Grunwald & Kopfmüller 2012: 78). Wie auch für die Agenda 21 und die MDGs zuvor, lassen sich auch für die Ziele der Agenda 2030 einige kritische Gesichtspunkte anführen. Übergeordnet steht hier zunächst der scheinbar unlösbare Zielkonflikt von Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung, für den auch die Agenda 2030 keinen Lösungsansatz aufweist (Herlyn 2020: 44). Zudem weist auch die Agenda 2030 eine nach wie vor vage und oftmals undifferenzierte Formulierung der Zielsetzungen auf, die eher einen erklärenden Charakter besitzen als ein klares Ziel, was ebenso auch für die Formulierungen bezüglich der Implementierung der Ziele gilt (Browne 2017: 90ff.). Zudem fehlt es den Zielsetzungen an Kohärenz. So enthalten beispielsweise einige Ziele klare und quantifizierte Zielsetzungen, viele der Ziele sind jedoch nur auf qualitativer Ebene formuliert, was einen hohen Interpretationsspielraum zulässt (Biermann et al. 2017: 27). Eine weitere kritische Sichtweise bezieht sich auf den utopischen Charakter der SDGs. Den Zielen wird vorgeworfen, aufgrund ihrer Formulierung der Erreichung einer perfekten und makellosen Gesellschaft nicht umsetzbar zu sein (Bückmann 2015: 39). Kritiker*innen nennen hier die Finanzierbarkeit als schwerwiegendes Hemmnis. So setzt ein Großteil der Ziele immense Investitionen voraus, die in der notwendigen Höhe unter aktuellen Bedingungen nicht zu leisten sind (ebd.: 40). Ein weiteres Argument für die utopische Sichtweise sind die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in vielen Entwicklungsländern, welche in den letzten Jahren konstant schlecht sind und für deren Verbesserung nach wie vor keine Lösung vorliegt. Zu nennen sind hier Terrorismus, Korruption und diktatori-
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
sche Verhältnisse, deren Beendigung für eine gelungene Umsetzung der Agenda eine Voraussetzung ist und die in der Agenda 2030 und den SDGs namentlich zudem keine Erwähnung finden (ebd.: 44). Wie auch bei den vorangegangenen Strategien, besteht auch für die Agenda 2030 keine Handlungspflicht der beteiligten Nationen, deren NichtEinhaltung Konsequenzen nach sich ziehen würde ebenso wenig wie ein feststehender Finanzierungsplan (Herlyn 2020: 44). Darüber hinaus haben auch zivilgesellschaftliche Forderungen nach einer Berichtspflicht zur Umsetzung für alle beteiligten Nationen keine Berücksichtigung gefunden (Martens & Obenland 2017: 19.).
2.8.3 Status quo der Umsetzung Eine Annäherung an den Status quo der Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation und den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung lässt sich demnach am ehesten mit einem Blick auf die Umsetzung der SDGs der Agenda 2030 bewerkstelligen, da sie die aktuell und global gültigste Nachhaltigkeitsstrategie darstellt, auf welcher die meisten der gegenwärtigen nationalen, regionalen und lokalen Strategien der beteiligten Staaten aufbauen. Abbildung 13 zeigt den Stand der Umsetzung der einzelnen SDGs nach Region und Einkommensgruppe, welche aus dem aktuellen SDG-Index & Dashboards des SDSN hervorgeht. Rot markiert sind dabei die SDGs, für deren Umsetzung erhebliche Herausforderungen bestehen, orange markiert signifikante Herausforderungen, gelb Herausforderungen und grün die gelungene Umsetzung. Es lässt sich erkennen, dass nach 8 Jahren laufender Strategie (53 % der Gesamtlaufzeit) die Umsetzung im Gesamtbild nach wie vor als mangelhaft beurteilt werden muss. Keine der Regionen hat es bisher geschafft, mehr als drei SDGs vollständig umzusetzen und für einen Großteil der SDGs bestehen nach wie vor enorme oder signifikante Herausforderungen. Dabei sind sowohl zwischen den Regionen als auch für die einzelnen SDGs selbst große Unterschiede zu erkennen. Auffällig ist, dass Regionen mit höherem bis mittlerem Einkommen, wie beispielsweise die OECD-Staaten, einen deutlich besseren Stand der Umsetzung aufweisen als Regionen niedrigen Einkommens (z.B. Subsahara Afrika). Hier spiegelt sich die nach wie vor starke Disparität zwischen Industrie- und Entwicklungsnationen wider, deren Grundvoraussetzungen für die Umsetzung der SDGs nicht unterschiedlicher sein könnten. Die OECD-Länder weisen insgesamt die beste Performance bezüglich des Umsetzungsstandes der SDG nach Region auf (7 Ziele mit signifikanten oder großen Herausforderungen). Die Region Subsahara-Afrika besitzt mit 14 orange und rot markierten Zielen den schlechtesten Status quo. Neben dem Status quo der Umsetzung wird auch der Trend im Vergleich zum Vorjahr erfasst. In diesem Kontext lässt sich anführen, dass lediglich bei 40 % der Fälle ein leichter oder starker positiver Trend zu beobachten ist, wobei ein starker Trend nur in 10 % der Fälle zu verzeichnen ist. Für 60 % der Fälle lässt sich ein stagnierender oder sogar rückläufiger Trend feststellen.
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2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
sche Verhältnisse, deren Beendigung für eine gelungene Umsetzung der Agenda eine Voraussetzung ist und die in der Agenda 2030 und den SDGs namentlich zudem keine Erwähnung finden (ebd.: 44). Wie auch bei den vorangegangenen Strategien, besteht auch für die Agenda 2030 keine Handlungspflicht der beteiligten Nationen, deren NichtEinhaltung Konsequenzen nach sich ziehen würde ebenso wenig wie ein feststehender Finanzierungsplan (Herlyn 2020: 44). Darüber hinaus haben auch zivilgesellschaftliche Forderungen nach einer Berichtspflicht zur Umsetzung für alle beteiligten Nationen keine Berücksichtigung gefunden (Martens & Obenland 2017: 19.).
2.8.3 Status quo der Umsetzung Eine Annäherung an den Status quo der Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation und den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung lässt sich demnach am ehesten mit einem Blick auf die Umsetzung der SDGs der Agenda 2030 bewerkstelligen, da sie die aktuell und global gültigste Nachhaltigkeitsstrategie darstellt, auf welcher die meisten der gegenwärtigen nationalen, regionalen und lokalen Strategien der beteiligten Staaten aufbauen. Abbildung 13 zeigt den Stand der Umsetzung der einzelnen SDGs nach Region und Einkommensgruppe, welche aus dem aktuellen SDG-Index & Dashboards des SDSN hervorgeht. Rot markiert sind dabei die SDGs, für deren Umsetzung erhebliche Herausforderungen bestehen, orange markiert signifikante Herausforderungen, gelb Herausforderungen und grün die gelungene Umsetzung. Es lässt sich erkennen, dass nach 8 Jahren laufender Strategie (53 % der Gesamtlaufzeit) die Umsetzung im Gesamtbild nach wie vor als mangelhaft beurteilt werden muss. Keine der Regionen hat es bisher geschafft, mehr als drei SDGs vollständig umzusetzen und für einen Großteil der SDGs bestehen nach wie vor enorme oder signifikante Herausforderungen. Dabei sind sowohl zwischen den Regionen als auch für die einzelnen SDGs selbst große Unterschiede zu erkennen. Auffällig ist, dass Regionen mit höherem bis mittlerem Einkommen, wie beispielsweise die OECD-Staaten, einen deutlich besseren Stand der Umsetzung aufweisen als Regionen niedrigen Einkommens (z.B. Subsahara Afrika). Hier spiegelt sich die nach wie vor starke Disparität zwischen Industrie- und Entwicklungsnationen wider, deren Grundvoraussetzungen für die Umsetzung der SDGs nicht unterschiedlicher sein könnten. Die OECD-Länder weisen insgesamt die beste Performance bezüglich des Umsetzungsstandes der SDG nach Region auf (7 Ziele mit signifikanten oder großen Herausforderungen). Die Region Subsahara-Afrika besitzt mit 14 orange und rot markierten Zielen den schlechtesten Status quo. Neben dem Status quo der Umsetzung wird auch der Trend im Vergleich zum Vorjahr erfasst. In diesem Kontext lässt sich anführen, dass lediglich bei 40 % der Fälle ein leichter oder starker positiver Trend zu beobachten ist, wobei ein starker Trend nur in 10 % der Fälle zu verzeichnen ist. Für 60 % der Fälle lässt sich ein stagnierender oder sogar rückläufiger Trend feststellen.
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 12: Status Quo der Umsetzung der SDGs nach Region und Einkommen
Quelle: SDSN & Bertelsmannstiftung 2022: 20
Doch auch im Hinblick auf die Umsetzung der einzelnen SDGs lassen sich im Gesamtbild signifikante Unterschiede finden (siehe Tabelle 3). Allgemein betrachtet weisen 14 von 17 Zielen (82 %) mindestens signifikante oder sogar gravierende Herausforderungen bezüglich der Umsetzung auf. Für 9 von 17 SDGs (52 %) bestehen in mindestens 87,5 % aller Regionen der Erde signifikante oder gravierende Herausforderungen. Die SDGs 2,10 & 15 weisen hier eine Quote von 100 % und somit den schlechtesten Stand der Umsetzung auf (für SDG14 fehlen in der Region Osteuropa/Zentralasien die Daten, ansonsten würde dieses Ziel ebenfalls bei 100 % liegen). Auffällig ist, dass insbesondere die Ziele 14 und 15 (Ökosysteme unter Wasser und auf dem Land schützen) der ökologischen Dimension in ausnahmslos allen Staaten rot markiert sind und die Entwicklung der Umsetzung ebenfalls in allen Regionen als stagnierend oder sogar rückläufig bewertet wird. Einen ähnlich schlechten Stand der Umsetzung weisen die SDGs 2 (Hunger weltweit beenden) SDG3 (Gesundes Leben für alle) und SDG10 (Ungleichheiten verringern) auf, die abgesehen von der Region der OECD-Staaten ebenfalls durchgehend als orange oder rot markiert sind. Das SDG mit der besten Umsetzung ist SDG4 (Hochwertige Bildung für alle) für das in 62,5 % aller Regionen nur geringe Herausforderungen oder das Erreichen des Ziels zu beobachten sind. SDG13 (Klimawandel bekämpfen) weist in diesem Zusammenhang einen Wert von 50 % auf und steht somit bezüglich der Umsetzung an zweiter Stelle. Hier ist lediglich für die OECD-Staaten eine mit rot markierte unzureichende Umsetzung zu sehen. Die Regionen mit geringem Einkommen weisen hier sogar eine grüne Markierung auf, was sicherlich auf den deutlich geringeren Einfluss auf das Klimageschehen aufgrund der unterschiedlichen Lebensweisen dieser Regionen im Vergleich zu den Staaten mit höherem Einkommen zurückzuführen ist. Lediglich 5 SDGs weisen in maximal einer Region einen grün markierten Status quo der Umsetzung auf.
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Tabelle 3: Umsetzungsstand der einzelnen SDGs auf globaler Ebene SDG
Major challenges
significant challenges
%
challenges
achievment
%
SDG1
3
2
62.5 %
2
1
37,5 %
SDG2
5
3
100 %
0
0
–
SDG3
6
1
87,5 %
1
0
12,5 %
SDG4
2
1
37,5 %
4
1
62,5 %
SDG5
3
3
75 %
2
0
25 %
SDG6
4
3
87,5 %
1
0
12,5 %
SDG7
2
3
62,5 %
3
0
37,5 %
SDG8
3
3
75 %
1
0
12,5 %
SDG9
2
5
87,5 %
0
1
12,5 %
SDG10
7
1
100 %
0
0
–
SDG11
2
5
87,5 %
1
0
12,5 %
SDG12
0
4
50 %
2
1
37,5 %
SDG13
1
3
50 %
3
1
50 %
SDG14
7
0
87,5 %
0
0
–
SDG15
7
1
100 %
0
0
–
SDG16
6
1
87,5 %
0
0
–
SDG17
1
4
62,5 %
3
0
37,5 %
Eigene Darstellung & Berechnung angelehnt an Sachs et al. 2021
Im Hinblick auf einen quantitativ messbaren Fortschritt der Umsetzung der SDGs auf globaler Ebene von 2015 bis heute lässt sich erkennen, dass das SDG9 mit 8,6 Prozentpunkten den höchsten Wert bezüglich des Umsetzungsfortschritts aufweist. Alle anderen SDGs weisen einen Maximalwert von 3 % auf, wobei 10 SDGs einen maximalen Wert von lediglich 1,5 % vorweisen können. Für die SDGs 12 und 15 lässt sich sogar ein negativer und somit rückläufiger Wert beobachten (Sachs et al. 2021: 19). Insgesamt entsteht dadurch ein äußerst negativ konnotiertes Bild im Hinblick auf den Status der Umsetzung der global gültigen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Die bisherigen Ausführungen bezogen sich dabei immer nur auf den Stand der Umsetzung auf der globalen und internationalen Ebene. Doch ein Blick auf den Stand der Umsetzung in den einzelnen Staaten zeigt, dass auch hier signifikante Unterschiede vorliegen. So ist der Status quo der Umsetzung für die Region der OECD-Staaten zwar insgesamt betrachtet am
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
besten im Vergleich zu den anderen Regionen, doch ein Blick auf die einzelnen Staaten zeigt, dass hier deutliche Differenzen vorliegen. So weisen beispielsweise Norwegen mit 5 und Island mit 4 als grün und umgesetzt markierten SDGs den Bestwert auf. Alle anderen OECD-Staaten weisen hier eine Anzahl von 0–3 auf (Sachs et al. 2022: 21). Aufgrund des räumlichen Fokus der vorliegenden Arbeit wird im folgenden Deutschland exemplarisch bezüglich des Status quo der Umsetzung betrachtet. Abbildung 14 zeigt den Umsetzungsstand und Entwicklungstrend der SDGs in Deutschland.
Abbildung 13: Status quo der Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland im Jahr 2021
Quelle: Sachs et al. 2022, 212
Es fällt direkt ins Auge, dass für Deutschland lediglich eines der SDGs (SDG1) als Grün und somit umgesetzt markiert ist. Für fast die Hälfte aller SDGs werden signifikante bis gravierende Herausforderungen bezüglich der Umsetzung attestiert. SDG12 und 13 werden in der Umsetzung am schlechtesten bewertet. Bezüglich des Trends der Umsetzung im Vergleich zum Vorjahr fällt das Ergebnis etwas positiver aus. Hier ist mit Ausnahme des stagnierenden SDG14 bei allen SDGs mindestens ein moderater Fortschritt zu beobachten. Für die SDGs 6,7,8,9,16 & 17 wird der Fortschritt als auf dem richtigen Weg zur Umsetzung beurteilt. Auch wenn das Gesamtbild des Status quo für Deutschland auf den ersten Blick negativ erscheinen mag, wird dies jedoch dadurch etwas relativiert, dass Deutschland im Gesamtranking aller an der Agenda beteiligter Nationen auf dem sechsten Platz eingestuft wird (Island landet in diesem Ranking beispielsweise auf Platz 22) (Sachs et al. 2022: 14). Dennoch und insbesondere aufgrund der Tatsache, dass Deutschland global betrachtet als eine der wohlhabendsten Industrienationen gesehen werden muss, ist der Umsetzungsstand durchaus kritisch zu bewerten und zu hinterfragen. Im Zusammenhang der gesamten Umsetzung der SDGs muss abschließend konstatiert werden, dass die Covid-19 Pandemie, welche seit Beginn des Jahres 2020 aufgetreten ist, einen massiven Einfluss auf die Umsetzung der SDGs nach sich zieht. Insbesondere im Kontext von Disparitäten zwischen arm und reich wird der Pandemie ein hohes
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Risiko einer negativen Verstärkung dieser Prozesse attestiert. Dies ist insbesondere auf die ungleichen Voraussetzungen in Bezug auf den Zugang zu medizinischer Versorgung und Finanzen zurückzuführen. Aber auch für alle anderen SDGs lässt sich aufgrund der Daten aus dem Jahr 2020 ein negativer Einfluss der Pandemie feststellen (Sachs et al. 2021: 20). Auch wenn im Kontext des Klimawandels und der damit einhergehenden CO2Emissionen die Pandemie zur Zeit der Lockdowns scheinbar einen positiven Einfluss in Form einer Reduktion der Emissionen zur Folge hatte, sind bereits nach Beendigung der Restriktionen wider gegenläufige Tendenzen zu beobachten (ebd.). Insbesondere im Hinblick auf die Prozesse der Entwaldung sowie vor allem des Plastikverbrauchs ist sogar während der gesamten Pandemie eine negative Verstärkung festgestellt worden (Adyel 2020: 1314f.). Randers et al. kommen zusammenfassend in ihrem Report an den Club of Rome zu dem Schluss, dass Stand jetzt die Agenda 2030 und ihre 17SDGs bis zum Jahr 2030 nicht umgesetzt werden können und dass es einen langfristigen Plan benötigt, der eine Umsetzung bis zum Jahr 2050 forciert, welche nach wissenschaftlichen Berechnungen eher im Bereich des Möglichen liegt (Randers et al. 2018: 7). Die Gründe für die bisher unzureichende Umsetzung der SDGs sind ebenso vielfältig und komplex wie die Zielsetzungen selbst. Je nach betrachtetem SDG können hierfür andere Ursachen und Begründungen angeführt werden. Aber auch die Voraussetzungen der jeweiligen Regionen und beteiligten Staaten sind verschieden, sodass allgemeingültige Begründungszusammenhänge dadurch beinahe unmöglich werden. Aufgrund der Tatsache, dass die konkrete Umsetzung der SDGs auf staatlicher Ebene durch nationale Strategien geregelt wird und eine globale Steuerung nicht vorliegt (Martens 2016: 1f.), müssten für eine Ursachenforschung bezüglich der Gründe der unzureichenden Umsetzung Einzelanalysen aller beteiligten Nationen vorgenommen werden, was angesichts der Teilnehmerzahl von 193 eine Mammutaufgabe darstellt und für das Anliegen der vorliegenden Arbeit auch nicht zielführend erscheint. Eine unzureichende und bezogen auf die Inhalte zu disperse sowie teilweise fehlende Berichterstattung der beteiligten Staaten über den jeweiligen Status quo der Umsetzung erschwert ein solches Vorhaben zudem immens, insbesondere wenn, wie bereits erwähnt, kein einheitlicher Konsens über die Anwendbarkeit der aufgestellten Indikatoren besteht. Vorliegende Berichte zeigen auf, dass vor allem strukturelle Hindernisse und politische Inkohärenzen in vielen Staaten Hemmnisse für eine Verwirklichung der Agenda 2030 darstellen (ebd.: 4). Insbesondere für Staaten mit einem niedrigeren Entwicklungsstand fehlt oftmals der Konsens über die Gleichwertigkeit ökologischer, ökonomischer und sozio-kultureller Nachhaltigkeit und die ökonomische Perspektive dominiert, sodass die vollständige Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien extrem erschwert wird (von Hauff 2014: 16).). Eine weitere Ursache wird insbesondere in dem Versuch gesehen, die Umsetzung der Zielsetzungen der Agenda 2030 auf die lokale und regionale Ebene herunterzubrechen. Dies mag zwar angesichts der Komplexität der Thematik zunächst als sinnvoll erscheinen, doch geht durch das Aufstellen nationaler Umsetzungspläne, wie sie inzwischen in vielen Ländern zu finden sind, der übergeordnete Zielgedanke verloren. Das zentrale Anliegen einer globalen nachhaltigen Gesellschaft geht durch die hier fehlende holistische Sichtweise verloren und erschwert die gesamte Umsetzung (Herlyn 2020: 53f.) Tosun & Leininger betonen in diesem Zusammenhang die hohe Bedeutung der Verlinkung der verschiedenen SDGs auf einer systemischen Ebene als eine notwendige zu-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
künftige Aufgabe für die politische Umsetzung im Sinne eines sektorübergreifenden Ansatzes (Tosun & Leininger 2017: 9). Die Verlinkung zwischen den SDGs kann dabei sowohl positiver Natur sein, sodass sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit anbietet, sie kann aber auch negativer Natur sein, was eine Notwendigkeit von Regulationen oder Verboten insbesondere seitens der politischen Ebene der Umsetzung zur Folge hat (Nilsson et al. 2016: 321). In diesem Kontext betonen Costanza et al., dass es der Agenda 2030 an einem übergeordneten Ziel zur Umsetzung aller Ziele fehlt. Ein solches ist notwendig, wenn die Ziele zusammen gedacht werden sollen (Costanza et al. 2016: 355). In diesem Zusammenhang fehlt es jedoch nach wie vor an fundierten wissenschaftlichen Analyseinstrumenten zur Bewertung der konkreten Zusammenhänge zwischen den einzelnen SDGs sowie den Konsequenzen, die sich daraus ergeben (Allen et al. 2018: 421f.; Le Blanc 2015: 15) Die Herausforderung im Hinblick auf eine gelungene Umsetzung der Agenda 2030 liegt somit vor allem auf einer systemischen Ebene, die sich in den zahlreichen hier aufgeführten Konfliktpunkten wiederfinden lässt und ein systemisches Denken wird hierbei als Grundvoraussetzung für eine gelungene Umsetzung gesehen (Allen et al., 2018: S,. 437), ebenso wie eine holistische Denkweise, welche die SDGs und ihre Zusammenhänge als Ganzes in den Fokus rückt (Fu et al. 2019: 388). Messerli et al. schlagen als Lösungsansatz für diese Problematik eine Nachhaltigkeitswissenschaft vor, die verstärkt auf einer inter- und transdisziplinären Ebene agiert und gleichzeitig Akteure und deren Know-How aus allen Regionen der Erde zu einer Zusammenarbeit bringt (Messerli et al. 2019: 893). Hieran zeigt sich, dass eine sozial-ökologische Transformation und damit einhergehende Zielsetzungen für verschiedene Akteursebenen eine Rolle spielen, die es im Kontext einer Bewertung der bisherigen Umsetzung einerseits und zukünftiger potenzieller Maßnahmen andererseits zunächst getrennt zu betrachten gilt. Das folgende Kapitel gibt aus diesem Grund einen Überblick über die verschiedenen Akteursebenen einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit, welche somit auch für die Umsetzung der Sustainable Development Goals als relevant zu erachten sind.
2.9
Akteursebenen der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen
Der Begriff des Akteurs kann auf verschiedenste Art und Weise verstanden und angewendet werden. Akteure können auf der individuellen Ebene als Einzelpersonen auftreten, oder aber im Kollektiv als Akteursgruppe (Burandt et al. 2015: 6). Im vorliegenden Kontext erscheint eine Akteursanalyse auf individueller Ebene nicht zielführend, da dies je nach spezifischem Thema, oder Betrachtungsebene (lokal, global etc.) unterschiedlich ist und im Zusammenhang mit der enormen Komplexität und Themenvielfalt der Nachhaltigkeit auch nicht vollständig gewährleistet werden könnte. Eine Darstellung auf Akteursebene hingegen bietet sich auch im Hinblick auf die oftmals gewählte Dimensionierung des Nachhaltigkeitsleitbildes eher an. Ein häufig angewandtes Modell der Akteursanalyse stellt das sogenannte STEEP-Formula dar. Dies unterteilt die Akteure in die Sphären Sozial, Technologie, Umwelt, Ökonomie, und Politik (Burandt et al. 2015: 6; Lynch 2015: 65ff.). Diese Sphären lassen sich jeweils beliebig einteilen in bestimmte Ebe-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
künftige Aufgabe für die politische Umsetzung im Sinne eines sektorübergreifenden Ansatzes (Tosun & Leininger 2017: 9). Die Verlinkung zwischen den SDGs kann dabei sowohl positiver Natur sein, sodass sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit anbietet, sie kann aber auch negativer Natur sein, was eine Notwendigkeit von Regulationen oder Verboten insbesondere seitens der politischen Ebene der Umsetzung zur Folge hat (Nilsson et al. 2016: 321). In diesem Kontext betonen Costanza et al., dass es der Agenda 2030 an einem übergeordneten Ziel zur Umsetzung aller Ziele fehlt. Ein solches ist notwendig, wenn die Ziele zusammen gedacht werden sollen (Costanza et al. 2016: 355). In diesem Zusammenhang fehlt es jedoch nach wie vor an fundierten wissenschaftlichen Analyseinstrumenten zur Bewertung der konkreten Zusammenhänge zwischen den einzelnen SDGs sowie den Konsequenzen, die sich daraus ergeben (Allen et al. 2018: 421f.; Le Blanc 2015: 15) Die Herausforderung im Hinblick auf eine gelungene Umsetzung der Agenda 2030 liegt somit vor allem auf einer systemischen Ebene, die sich in den zahlreichen hier aufgeführten Konfliktpunkten wiederfinden lässt und ein systemisches Denken wird hierbei als Grundvoraussetzung für eine gelungene Umsetzung gesehen (Allen et al., 2018: S,. 437), ebenso wie eine holistische Denkweise, welche die SDGs und ihre Zusammenhänge als Ganzes in den Fokus rückt (Fu et al. 2019: 388). Messerli et al. schlagen als Lösungsansatz für diese Problematik eine Nachhaltigkeitswissenschaft vor, die verstärkt auf einer inter- und transdisziplinären Ebene agiert und gleichzeitig Akteure und deren Know-How aus allen Regionen der Erde zu einer Zusammenarbeit bringt (Messerli et al. 2019: 893). Hieran zeigt sich, dass eine sozial-ökologische Transformation und damit einhergehende Zielsetzungen für verschiedene Akteursebenen eine Rolle spielen, die es im Kontext einer Bewertung der bisherigen Umsetzung einerseits und zukünftiger potenzieller Maßnahmen andererseits zunächst getrennt zu betrachten gilt. Das folgende Kapitel gibt aus diesem Grund einen Überblick über die verschiedenen Akteursebenen einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit, welche somit auch für die Umsetzung der Sustainable Development Goals als relevant zu erachten sind.
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Akteursebenen der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen
Der Begriff des Akteurs kann auf verschiedenste Art und Weise verstanden und angewendet werden. Akteure können auf der individuellen Ebene als Einzelpersonen auftreten, oder aber im Kollektiv als Akteursgruppe (Burandt et al. 2015: 6). Im vorliegenden Kontext erscheint eine Akteursanalyse auf individueller Ebene nicht zielführend, da dies je nach spezifischem Thema, oder Betrachtungsebene (lokal, global etc.) unterschiedlich ist und im Zusammenhang mit der enormen Komplexität und Themenvielfalt der Nachhaltigkeit auch nicht vollständig gewährleistet werden könnte. Eine Darstellung auf Akteursebene hingegen bietet sich auch im Hinblick auf die oftmals gewählte Dimensionierung des Nachhaltigkeitsleitbildes eher an. Ein häufig angewandtes Modell der Akteursanalyse stellt das sogenannte STEEP-Formula dar. Dies unterteilt die Akteure in die Sphären Sozial, Technologie, Umwelt, Ökonomie, und Politik (Burandt et al. 2015: 6; Lynch 2015: 65ff.). Diese Sphären lassen sich jeweils beliebig einteilen in bestimmte Ebe-
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nen wie beispielsweise Administration, Wissenschaft oder Zivilgesellschaft (Burandt et al. 2015: 6). Eine weitere Unterteilung im Kontext von Nachhaltigkeit erfolgt in vielen Fällen nach der Unterteilung der Akteursebenen Verursacher, Helfer und Opfer (analytisches Dreieck) (Burandt et al. 2015: 6; von Prittwitz 2007: 25ff.) oder komprimiert auf die zwei Ebenen Agenten und Patienten (Sen 2013: 18). Diese Varianten charakterisieren jedoch eher die Rolle der jeweiligen Akteure, nicht aber die Akteure selbst, sodass dies im Fall einer allgemeinen Akteursidentifizierung nicht sinnstiftend erscheint. Holzbauer identifiziert verschiedene Aktionsbereiche im Kontext von nachhaltiger Entwicklung aus denen sich übergeordnete Akteursebenen ableiten lassen. Darunter fallen persönliches Handeln (Zivilgesellschaft), politisches Handeln (Politik), Publizität (Wissenschaft) sowie Öffentlichkeitsarbeit (Medien) (Holzbaur 2020: 209ff.). Auffällig hierbei ist, dass der Aspekt der Ökonomie oder des wirtschaftlichen Handelns nicht auftaucht. Hier schafft die Einteilung von Grunwald & Kopfmüller Abhilfe, die neben den staatlichen Akteuren Politik, Wissenschaft und Bildung auch die drei nichtstaatlichen Akteursebenen Unternehmen, Konsumenten & Zivilgesellschaft benennen (Grunwald & Kopfmüller 2012: 182ff.). Unternehmen als Akteur der Ökonomie kommt als Produzent von Gütern und Dienstleistungen eine tragende Rolle für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung zu. Durch ihre Entscheidungen im Hinblick auf die Entnahme von Ressourcen, Produktionsabläufen, Investitionen & Verkaufsprozessen haben sie direkten Anteil am Gelingen oder Scheitern dieses Leitbildes (ebd.: 182). Die Konsument*innen sind insofern als zentraler Akteur zu betrachten als das sie durch ihre Kaufentscheidungen, den Kaufakt, die Nutzung konsumierter Güter und Dienstleistungen sowie deren Entsorgung in besonderem Maße Einfluss auf die Gestaltung einer nachhaltigen Lebens- und Handlungsweise haben (ebd.: 190). Die Zivilgesellschaft als Akteur bildet ein Bindeglied zwischen Politik und Ökonomie und beeinflusst durch ihr Handeln, ihr Engagement sowie ihre Entscheidungen das gesamtgesellschaftliche Wirken in enormem Ausmaß. Insbesondere im Hinblick auf die Implementierung, Wahrung und Kommunikation von Wertvorstellungen kommt ihr eine Schlüsselrolle zu (ebd.: 198). Da Konsument*innen gleichzeitig auch der Zivilgesellschaft angehören ist es nach Ansicht des Autors sinnvoll, diese beiden Akteursgruppen unter dem Begriff der Zivilgesellschaft zu fusionieren, insbesondere da der Begriff Konsument*in eine Handlungsweise impliziert und die Zivilgesellschaft eine neutrale Beschreibung einer Akteursgruppe darstellt. Die Politik als staatlicher Akteur ist äußerst komplex und muss daher auf verschiedenen räumlichen Ebenen betrachtet werden, von Lokalpolitik und Stadtverwaltung über nationale Gremien und Länderstrategien, internationale Vereinigungen wie beispielsweise der EU bis hin zu global agierenden Zusammenschlüssen wie den Vereinten Nationen. Der Politik kommt im Zusammenhang nachhaltiger Entwicklung hierbei sowohl eine administrative als auch regulierende und gesetzgebende Funktion zu, die sich im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung durch das Aufstellen von Gesetzen einerseits und das Implementieren von Nachhaltigkeitsstrategien von der lokalen bis zur globalen Ebene andererseits äußert (ebd.: 162ff.). Der Forschung respektive Wissenschaft kommt im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ebenfalls eine Schlüsselrolle zu. So müssen Trends, Entwicklungen, Konflikte & Probleme erst einmal identifiziert und im Hinblick auf ihre Ursachen erforscht werden. Darüber hinaus
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kann eine sozial-ökologische Transformation nur dann gelingen, wenn es für diese identifizierten Probleme Lösungsansätze gibt, deren Umsetzung und Erfolg messbar gemacht werden muss. Diese Rolle kommt der wissenschaftlichen Forschung zu, die darüber hinaus auch die Aufgabe der Kommunikation dieser Wissensbestände innehat (ebd.: 206f.). In diesem Zusammenhang sind dementsprechend auch Bildungsinstitutionen als Wissensvermittler als zentraler Akteur zu betrachten. Sie haben einerseits die Aufgabe, relevante Wissensbestände im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung an nachfolgende Generationen weiterzugeben und andererseits ist es auch ihre Aufgabe, Menschen für Nachhaltigkeitsprobleme zu sensibilisieren und Handlungskompetenzen in diesem Zusammenhang aufzubauen. Bildung und implizit somit auch die Wissenschaft stellen demnach eine Voraussetzung für eine gelungene Transformation zur Nachhaltigkeit dar (ebd.: 211f.). Im Hinblick auf die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs besteht die Rolle von Wissenschaft und Bildung somit darin, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen zu bestärken, sich an Umsetzungsprozessen zu beteiligen auch im Hinblick auf politisches Engagement, Wissen über die Ziele und deren Umsetzung breitenwirksam zu kommunizieren und dies alles unter der Wahrung wissenschaftlicher Standards wie Transparenz, Unabhängigkeit und Multiperspektivität, die für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen unabdingbar sind (Hahn & Lepenies 2017: 191f.). Rogall erweitert die Gruppe der staatlichen Akteure durch die Gerichte. Diese haben eine Sonderstellung. Sie sind zwar nicht gesetzgebend, ihnen kommt jedoch die Rolle der Gesetzesauslegung zu und sie geben somit auch neue Impulse für Rechtsvorschriften (Rogall 2003: 81). Die Politik und die Gerichte können auch als direkte Akteure bezeichnet werden, da sie durch die Möglichkeit der Gesetzgebung einen direkten Einfluss auf Restriktionen und Handlungsweisen haben. Indirekte Akteure sind nicht gesetzgebend, können aber durch ihr Verhalten Einfluss auf direkte Akteure nehmen und weisen somit ein großes Machtpotenzial im Kontext einer Transformation unserer Gesellschaft auf. Zu ihnen zählen neben der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auch die Massenmedien sowie Kirchen (ebd.). Die Medien als eigenständigen Akteur einzubeziehen ist insofern sinnvoll, als dass sie aufgrund ihrer Breitenwirksamkeit eine besondere Rolle in der Wissenskommunikation einnehmen. Zudem werden politische Entscheidungsträger oftmals auch von Medien manipuliert. Anderseits werden Medien auch von politischer Seite als Instrument verwendet und somit auch ihrerseits manipuliert. Zudem sind sie auf ein Publikum angewiesen ohne welches sie nicht existieren könnten (ebd.: 206f.). Es ist demnach nicht zweifelsfrei geklärt, inwiefern Medien als eigenständiger Akteur einer nachhaltigen Entwicklung betrachtet werden können. Doch ihre bedeutsame Rolle als Instrument für eine breitenwirksame Kommunikation nachhaltigkeitsrelevanter Themen lässt sich nicht bestreiten. Ein Blick in die Präambel der Agenda 2030 zeigt, dass auch hier Akteure für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele explizit benannt werden. Darunter fallen Regierungen, der Privatsektor, die Zivilgesellschaft sowie das System der Vereinten Nationen (UN 2015: 11). Allerdings werden diese Akteursgruppen hier nicht näher spezifiziert, sodass unklar bleibt, was beispielsweise genau unter dem Privatsektor als Akteur verstanden wird. Die deutsche Bundesregierung adressiert mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ebenfalls spezifische Akteure der Umsetzung. Zu nennen sind hier politische Gremien, Länder &
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Kommunen, Verbände & Stiftungen, Wirtschaft, Wissenschaft sowie Verbraucher*innen (Bundesregierung 2021: 30ff.). Die hier aufgezählten Akteure sind deckungsgleich mit den in der Literatur benannten und werden lediglich um die explizite Benennung von Stiftungen & Verbänden als eigenständiger Akteur erweitert. Dies untermauert die bisher aufgeführten Akteursebenen nachhaltiger Entwicklung. Wie sich gezeigt hat, ist eine Akteursanalyse in einem solch komplexen Themengerüst äußerst anspruchsvoll und vielfältig, sodass hier im Zuge dieser Arbeit nur ein grober Überblick gegeben werden konnte. Abbildung 15 stellt den Versuch dar, die hier benannten Akteure auf übergeordneten Akteursebenen zu fusionieren und somit für eine übersichtliche Darstellung der relevanten Akteure einer Umsetzung des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung und somit einer sozial-ökologischen Transformation zu sorgen. Diese begründet allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf einer zivilgesellschaftlichen Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele liegt, wird nun im Folgenden die Zivilgesellschaft als einer der zentralen Akteure im Umsetzungsprozess charakterisiert und bezüglich ihrer relevanten Handlungsfelder analysiert.
Abbildung 14: Akteursebenen der Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation
Eigene Darstellung
2.10. Zivilgesellschaft als Akteur & ihre Handlungsfelder Der Begriff der Zivilgesellschaft wurde im historischen Verlauf auf verschiedenste Art und Weise in zahlreichen unterschiedlichen Kontexten verwendet, angefangen in der Antike, wo die »societas civilis« als Gemeinschaft und die ideale Lebensweise von freien Bürgern betrachtet wurde, über das frühe 19. Jahrhundert, wo sie als spezielle Form des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens charakterisiert wurde, bis hinein ins 20. Jahrhundert, seitdem sie als eigenständige Sphäre betrachtet wird, in der es zu Meinungsbildungsprozessen kommt, die eine gesellschafts-politische Relevanz aufwei-
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Kommunen, Verbände & Stiftungen, Wirtschaft, Wissenschaft sowie Verbraucher*innen (Bundesregierung 2021: 30ff.). Die hier aufgezählten Akteure sind deckungsgleich mit den in der Literatur benannten und werden lediglich um die explizite Benennung von Stiftungen & Verbänden als eigenständiger Akteur erweitert. Dies untermauert die bisher aufgeführten Akteursebenen nachhaltiger Entwicklung. Wie sich gezeigt hat, ist eine Akteursanalyse in einem solch komplexen Themengerüst äußerst anspruchsvoll und vielfältig, sodass hier im Zuge dieser Arbeit nur ein grober Überblick gegeben werden konnte. Abbildung 15 stellt den Versuch dar, die hier benannten Akteure auf übergeordneten Akteursebenen zu fusionieren und somit für eine übersichtliche Darstellung der relevanten Akteure einer Umsetzung des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung und somit einer sozial-ökologischen Transformation zu sorgen. Diese begründet allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf einer zivilgesellschaftlichen Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele liegt, wird nun im Folgenden die Zivilgesellschaft als einer der zentralen Akteure im Umsetzungsprozess charakterisiert und bezüglich ihrer relevanten Handlungsfelder analysiert.
Abbildung 14: Akteursebenen der Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation
Eigene Darstellung
2.10. Zivilgesellschaft als Akteur & ihre Handlungsfelder Der Begriff der Zivilgesellschaft wurde im historischen Verlauf auf verschiedenste Art und Weise in zahlreichen unterschiedlichen Kontexten verwendet, angefangen in der Antike, wo die »societas civilis« als Gemeinschaft und die ideale Lebensweise von freien Bürgern betrachtet wurde, über das frühe 19. Jahrhundert, wo sie als spezielle Form des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens charakterisiert wurde, bis hinein ins 20. Jahrhundert, seitdem sie als eigenständige Sphäre betrachtet wird, in der es zu Meinungsbildungsprozessen kommt, die eine gesellschafts-politische Relevanz aufwei-
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sen (Freise & Zimmer 2019: 6f.). Heute gilt die Zivilgesellschaft neben Politik und Ökonomie als dritte »(…) Arena des kollektiven Handelns im öffentlichen Raum« (Strachwitz et al. 2020: 1). Aus gegenwärtiger Sicht kann die Zivilgesellschaft dabei in drei verschiedenen Dimensionen betrachtet werden. Die normative Dimension der Zivilgesellschaft beschreibt die politische und gesellschaftliche Teilhabe unter der Prämisse der Schaffung einer gerechten Gesellschaft. Die habituelle Dimension beschreibt das soziale Handeln und den sozialen Umgang miteinander auf einer gewaltfreien und kompromissorientierten Ebene einer von Zivilität geprägten Gesellschaft. Die akteurszentrierte Dimension von Zivilgesellschaft beschreibt konkret handelnde Individuen, Gruppen oder Organisationen außerhalb von Politik und Ökonomie in einem Kontext von Vereinen, Netzwerken und sozialen Beziehungen (Kocka 2002: 15f.). Im vorliegenden Zusammenhang geht es bei der Betrachtung von Zivilgesellschaft vor allem um das soziale Handeln im Zusammenhang einer sozial-ökologischen Transformation (habituelle Dimension) sowie um die akteurszentrierte Dimension und hier speziell um die Ebene des einzelnen Individuums. Der Fokus liegt demnach auf den potenziellen Handlungsfeldern eines bürgerschaftlichen Engagements der Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele einer sozial-ökologischen Transformation.
2.9.1 Die Bedeutung der Zivilgesellschaft im Kontext Nachhaltigkeit Die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages publizierte im Jahr 2002 eine Bestandsaufnahme zu Forschungen zum Begriff der Zivilgesellschaft. In dieser wurde der Begriff als Synonym zu Bürgergesellschaft betrachtet, der sich nach der Kommission wie folgt definieren lässt: »In der Bürgergesellschaft geht es um die Qualität des sozialen, politischen und kulturellen Zusammenlebens, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit. So verstanden bildet das bürgerschaftliche Engagement in der Bundesrepublik einen zentralen Eckpfeiler in einer Vision, in der die demokratischen und sozialen Strukturen durch die aktiv handelnden, an den gemeinschaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten werden (…).« (EnqueteKommission 2002: 59) In dieser Definition finden sich direkte Bezüge auf die Rolle der Zivilgesellschaft im Kontext der sozial-ökologischen Transformation wieder, auch wenn diese nicht explizit Gegenstand des Schlussberichts war. Demnach wird eine Bürger- oder Zivilgesellschaft dadurch definiert, dass ein soziales und kulturelles Handeln miteinander nur dann gegeben ist, wenn dabei auch die ökologische Nachhaltigkeit gewahrt wird. Darüber hinaus muss ein zivilgesellschaftliches Engagement immer im Sinne der Bedürfnisabsicherung zukünftiger Generationen geschehen, was den Grundsatz der sozialen Nachhaltigkeit bildet. So wird bereits in dieser sehr kurzen und allgemein gehaltenen Definition deutlich, dass die Zivilgesellschaft als ein zentraler Akteur für die Umsetzung einer Transformation zur Nachhaltigkeit betrachtet werden muss. Sie bildet dabei laut der Kommission sogar einen Eckpfeiler in diesem Kontext. Bei einer vertieften Auseinandersetzung
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sen (Freise & Zimmer 2019: 6f.). Heute gilt die Zivilgesellschaft neben Politik und Ökonomie als dritte »(…) Arena des kollektiven Handelns im öffentlichen Raum« (Strachwitz et al. 2020: 1). Aus gegenwärtiger Sicht kann die Zivilgesellschaft dabei in drei verschiedenen Dimensionen betrachtet werden. Die normative Dimension der Zivilgesellschaft beschreibt die politische und gesellschaftliche Teilhabe unter der Prämisse der Schaffung einer gerechten Gesellschaft. Die habituelle Dimension beschreibt das soziale Handeln und den sozialen Umgang miteinander auf einer gewaltfreien und kompromissorientierten Ebene einer von Zivilität geprägten Gesellschaft. Die akteurszentrierte Dimension von Zivilgesellschaft beschreibt konkret handelnde Individuen, Gruppen oder Organisationen außerhalb von Politik und Ökonomie in einem Kontext von Vereinen, Netzwerken und sozialen Beziehungen (Kocka 2002: 15f.). Im vorliegenden Zusammenhang geht es bei der Betrachtung von Zivilgesellschaft vor allem um das soziale Handeln im Zusammenhang einer sozial-ökologischen Transformation (habituelle Dimension) sowie um die akteurszentrierte Dimension und hier speziell um die Ebene des einzelnen Individuums. Der Fokus liegt demnach auf den potenziellen Handlungsfeldern eines bürgerschaftlichen Engagements der Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele einer sozial-ökologischen Transformation.
2.9.1 Die Bedeutung der Zivilgesellschaft im Kontext Nachhaltigkeit Die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages publizierte im Jahr 2002 eine Bestandsaufnahme zu Forschungen zum Begriff der Zivilgesellschaft. In dieser wurde der Begriff als Synonym zu Bürgergesellschaft betrachtet, der sich nach der Kommission wie folgt definieren lässt: »In der Bürgergesellschaft geht es um die Qualität des sozialen, politischen und kulturellen Zusammenlebens, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit. So verstanden bildet das bürgerschaftliche Engagement in der Bundesrepublik einen zentralen Eckpfeiler in einer Vision, in der die demokratischen und sozialen Strukturen durch die aktiv handelnden, an den gemeinschaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten werden (…).« (EnqueteKommission 2002: 59) In dieser Definition finden sich direkte Bezüge auf die Rolle der Zivilgesellschaft im Kontext der sozial-ökologischen Transformation wieder, auch wenn diese nicht explizit Gegenstand des Schlussberichts war. Demnach wird eine Bürger- oder Zivilgesellschaft dadurch definiert, dass ein soziales und kulturelles Handeln miteinander nur dann gegeben ist, wenn dabei auch die ökologische Nachhaltigkeit gewahrt wird. Darüber hinaus muss ein zivilgesellschaftliches Engagement immer im Sinne der Bedürfnisabsicherung zukünftiger Generationen geschehen, was den Grundsatz der sozialen Nachhaltigkeit bildet. So wird bereits in dieser sehr kurzen und allgemein gehaltenen Definition deutlich, dass die Zivilgesellschaft als ein zentraler Akteur für die Umsetzung einer Transformation zur Nachhaltigkeit betrachtet werden muss. Sie bildet dabei laut der Kommission sogar einen Eckpfeiler in diesem Kontext. Bei einer vertieften Auseinandersetzung
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mit der Verbindung von Zivilgesellschaft und Nachhaltigkeit fällt auf, dass diese durch die Sache an sich schon bedingt wird. Nachhaltigkeit hat die Vision des gleichen Rechts auf ein gutes Leben innerhalb der ökologischen Belastbarkeitsgrenzen der Erde. Es handelt sich bei diesem Leitbild somit um einen globalen, politischen Kompass, für dessen Ausrichtung der Zivilgesellschaft eine tragende Rolle zukommt (Schneidewind 2019: 112). Grundlegend lassen sich im Kontext eines zivilgesellschaftlichen Engagements drei Handlungsdimensionen für eine sozial-ökologische Transformation aufstellen (Macy & Brown 2017: 40): 1. Maßnahmen zur Verlangsamung der Auswirkungen anthropogenen Handelns auf der Erde (z.B. durch Protestaktionen) 2. Analyse und Transformation der Systeme und Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens auf der Erde 3. Eine Bewusstseinsveränderung im Hinblick auf das gegenwärtige gesellschaftliche Weltbild & Wertvorstellungen
Die Dimensionen implizieren dabei sowohl kurzfristiges als auch langfristiges Handeln seitens der Zivilgesellschaft. Kurzfristiges und direktes Handeln kann vor allem durch Protestaktionen und somit einer Kommunikation über bestehende Probleme und nachhaltigkeitsrelevante Themen geschehen. Hier spielt aber auch das grundsätzliche Handeln im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung durch das Individuum eine Rolle. Im Kontext einer Analyse der Transformation geht es darum, ein Verständnis über die globalen Zustände der Erde, die Ursachen sowie potenzielle Lösungsansätze zu erlangen und dadurch befähigt zu werden, sein eigenes Verhalten zu ändern. Die dritte und komplexeste Ebene ist die grundlegende Veränderung des Bewusstseins und der Wertvorstellungen hin zu einem nachhaltigen Denken und Handeln. Diese Ebene muss erreicht werden, um gesamtgesellschaftlich eine sozial-ökologische Transformation herbeizuführen, denn nur aus einem solchen Antrieb heraus kann nachhaltiges Handeln gelingen (Macy & Brown 2017: 40ff.). Wie sich bereits gezeigt hat, führt eine klassische Steuerungspolitik der Wirtschaft und Konsument*innen nur in wenigen Fällen zu mehr Nachhaltigkeit. Die Forderungen nach einer höheren zivilgesellschaftlichen Beteiligung an solchen Steuerungsprozessen werden dementsprechend immer lauter. Ohne eine involvierte Zivilgesellschaft erscheint eine gelungene sozial-ökologische Transformation allein angesichts der treibenden Kraft durch die Masse der Zivilgesellschaft unmöglich. Zivilgesellschaftliches Handeln in Kombination mit Engagement müssen demnach als einer der Schlüssel zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda dieses Jahrhunderts betrachtet werden (Leipprand et al. 2010: 1). Insbesondere die allgemein hohe Anpassungsfähigkeit der Zivilgesellschaft (wie sie sich insbesondere auch in der Covid-19-Pandemie wieder gezeigt hat) hat im Kontext eines stetigen notwendigen Handlungswandels im Zuge des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung einen enormen Stellenwert, der nicht außer Acht gelassen werden sollte (ebd.: 2). Neben dem reinen Handlungspotenzial der Zivilgesellschaft, kommt ihr auch die Rolle als Innovator und Gestalter zu. So ist die Erprobung neuer Lebensstile und Verhaltensmuster insbesondere durch zivilgesellschaftliches Engagement und Handeln möglich. Welche Strahlkraft von einer solchen innovativen und gestaltenden
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Rolle ausgehen kann, zeigen alleine schon Aktivitäten wie beispielsweise Urban Gardening-Projekte oder die Transition-Town-Bewegung, welche insbesondere auf zivilgesellschaftliches Engagement zurückzuführen sind (Klein et al. 2020: 73). Wie sich zeigt, sind die Aufgaben, welche die Zivilgesellschaft im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation übernehmen kann, äußerst vielfältig und reichen dabei von Informierungund Weiterbildung über nachhaltigkeitsrelevante Themen, Beteiligung an Diskursen, politisches Engagement bis hin zu konkreten Handlungen, welche einen hohen Gestaltungs-, Veränderungs- und Innovationscharakter haben können. Letzteres ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn es gelingt, Handlungsweisen breitenwirksam in der Gesellschaft zu verankern und letzten Endes zu etablieren (Klein et al. 2020: 75). Bei der Betrachtung von Zivilgesellschaft geht es oftmals um Akteursgruppen, Vereine, Netzwerke oder NGOs und ihre Relevanz im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung (auch übergeordnet als Civil Society Organizations (CSO) bezeichnet). Diese spielen in der Forschungsliteratur in zahlreichen Publikationen im Hinblick auf deren Bedeutung für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wie der Agenda 2030 eine Rolle (ACSC 2016; AFSD 2016; Ganhri 2016; Hege & Demailly 2018; KS et al. 2016). Doch Zivilgesellschaft impliziert darüber hinaus auch das Handeln auf der individuellen Ebene einzelner Personen, welches im Fokus dieser Arbeit steht. Dabei können insbesondere Konsument*innen auch als direkte Akteur*innen für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen betrachtet werden. Doch dies ist sehr umstritten. Gegenstimmen sehen das Hauptpotenzial viel eher in einer Veränderung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, da diesen vor allem Hinblick auf die Regulierung wirtschaftlicher Märkte eine größere Wirkkraft als die von individuellen Kaufentscheidungen zugeschrieben wird (Rogall 2003: 80f.). Zusätzlich sehen Kritiker*innen die Gefahr, dass eine Privatisierung der Nachhaltigkeit, also das Verschieben der Verantwortung ausschließlich auf den privaten Bereich, in Kombination mit einem Vertrauensverlust in die Politik, destruktiv ist. Das Leitbild der Nachhaltigkeit muss als öffentliche Angelegenheit betrachtet werden, deren Spielfeld insbesondere auch die politische Ebene ist (Grunwald 2010: 178). Doch dies bedeutet keinesfalls, dass privates Handeln im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation keine Wirkung mit sich bringt, im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, neben dem alltäglichen privaten Handeln auch andere Ebenen einzubeziehen. So besitzt das Individuum der Zivilgesellschaft ein Stückweit auch eine gewisse politische Macht, die es zu nutzen gilt. Individuelles Handeln muss dementsprechend auf privater, wirtschaftlicher und politischer Ebene betrachtet werden (ebd.: 181). Im Kontext der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs der Agenda 2030 kommt der Zivilgesellschaft neben der Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den gesamten Prozess der Strategie auch auf der individuellen Ebene eine Schlüsselrolle zu. So stellt die Agenda 2030 einen Prozess globaler Politikformulierung dar, bei dem zivilgesellschaftliche Akteure so stark beteiligt waren wie bei keinem anderen Prozess dieser Art jemals zuvor. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass die Art, die Masse sowie das Ausmaß der Beteiligung nicht klar definiert werden können, was häufig kritisch gesehen wird (Eberlei 2015: 627f.). Als Interessensträger wird die Zivilgesellschaft an 15 verschiedenen Stellen in der Agenda erwähnt und adressiert. Die Regierungen weisen ihr dabei verschiedene Aufgaben zu. Zentral zu nennen sind hier einerseits die aktive Beteiligung an der Umsetzung der SDGs unter Nutzung aller
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dafür erforderlichen Ressourcen und andererseits die Einbindung in die Überprüfung des Umsetzungsprozesses (Martens 2018: 12). An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Verknüpfung von SDGs und Zivilgesellschaft in den meisten Fällen auf zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Potenziale und Herausforderungen bezogen wird (siehe dazu: Martens 2018), nicht aber auf einer individuellen Ebene, sodass hier keine weiteren konkreten Bezüge hergestellt werden können. Die übergeordnete Aufgabe der aktiven Beteiligung am Umsetzungsprozess, wie sie eingefordert wird, ist nach Ansicht des Autors jedoch ausreichend, um auch der individuellen zivilgesellschaftlichen Ebene eine hohe Bedeutung beizumessen. Individuelles Handeln betrifft jeden Menschen auf der Erde und die enormen Auswirkungen eines kollektiven Handelns im Kontext globaler Problemstellungen ebenso wie deren Bedeutung im Hinblick auf eine sozialökologische Transformation sind daher unbestreitbar. Aus diesem Grund lässt sich die Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen auch als »global Player« (Eberlei 2018: 89) charakterisieren. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft sowohl auf gruppenbasierter als auch individueller Ebene liegt neben dem eigenen privaten Handeln auch im Einfluss auf die Veränderung und Steuerung von gesellschaftlich existierenden Systemen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Individuen nehmen somit durch Ihr Verhalten Einfluss auf ihre gesamtgesellschaftliche Umwelt, die sich wiederum auf die natürlichen Systeme auswirkt (Grunwald 2010: 252). Die Zivilgesellschaft als Akteur kann in diesem Kontext auch als »(…) kritisches Gewissen der Politik (…)« (Eberlei 2018: 92) bezeichnet werden. Ihr kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, politische Entscheidungen durch stetige Neuverhandlungen zu beeinflussen, ebenso wie eigene Ideen in den Umsetzungsprozess einfließen zu lassen und gleichzeitig auch durch Kommunikation dafür zu sorgen, dass die Masse an beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zukünftig stetig wächst (McCandless 2016: 38). Somit kann einem individuellen Handeln der Zivilgesellschaft eine enorme Wirkkraft zugeschrieben werden, die es im Rahmen von Überlegungen zu einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen verstärkt zu berücksichtigen gilt. Um diese mehrdimensionale Bedeutung zivilgesellschaftlichen Handelns besser zu nutzen, gilt es, ein Organisationsmodell zu entwickeln, welches spezifische Rollen und Handlungsfelder zuweist und gleichzeitig dafür sorgt, dass ein Dialog zwischen allen Beteiligten entsteht. Dieser ermöglicht es, Handlungsänderungen oder -vorschläge einzubringen und so ein breitenwirksames Verständnis zu schaffen, wie eine nachhaltige Entwicklung zukünftig besser gelingen kann (Renn 2012: 33). Doch in welchen Lebensbereichen zivilgesellschaftlichen Handelns lassen sich die relevanten Rollen und Aufgaben am besten anwenden? Oder anders gefragt: Was sind die zentralen Handlungsfelder der Zivilgesellschaft im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation?
2.9.2 Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder im Nachhaltigkeitskontext Nicht aus allen der in Kapitel 2.1 dargestellten globalen Trends und Konflikte lassen sich potenzielle gesellschaftliche Handlungsfelder ableiten. Aufgrund der immensen Komplexität der Thematik und der einzelnen Teilbereiche in den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit, ist das Aufstellen zentraler Handlungsfelder kein leichtes Unterfangen. Eine klare lückenlose Aufstellung aller relevanten Handlungsfelder für den Akteur
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dafür erforderlichen Ressourcen und andererseits die Einbindung in die Überprüfung des Umsetzungsprozesses (Martens 2018: 12). An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Verknüpfung von SDGs und Zivilgesellschaft in den meisten Fällen auf zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Potenziale und Herausforderungen bezogen wird (siehe dazu: Martens 2018), nicht aber auf einer individuellen Ebene, sodass hier keine weiteren konkreten Bezüge hergestellt werden können. Die übergeordnete Aufgabe der aktiven Beteiligung am Umsetzungsprozess, wie sie eingefordert wird, ist nach Ansicht des Autors jedoch ausreichend, um auch der individuellen zivilgesellschaftlichen Ebene eine hohe Bedeutung beizumessen. Individuelles Handeln betrifft jeden Menschen auf der Erde und die enormen Auswirkungen eines kollektiven Handelns im Kontext globaler Problemstellungen ebenso wie deren Bedeutung im Hinblick auf eine sozialökologische Transformation sind daher unbestreitbar. Aus diesem Grund lässt sich die Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen auch als »global Player« (Eberlei 2018: 89) charakterisieren. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft sowohl auf gruppenbasierter als auch individueller Ebene liegt neben dem eigenen privaten Handeln auch im Einfluss auf die Veränderung und Steuerung von gesellschaftlich existierenden Systemen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Individuen nehmen somit durch Ihr Verhalten Einfluss auf ihre gesamtgesellschaftliche Umwelt, die sich wiederum auf die natürlichen Systeme auswirkt (Grunwald 2010: 252). Die Zivilgesellschaft als Akteur kann in diesem Kontext auch als »(…) kritisches Gewissen der Politik (…)« (Eberlei 2018: 92) bezeichnet werden. Ihr kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, politische Entscheidungen durch stetige Neuverhandlungen zu beeinflussen, ebenso wie eigene Ideen in den Umsetzungsprozess einfließen zu lassen und gleichzeitig auch durch Kommunikation dafür zu sorgen, dass die Masse an beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zukünftig stetig wächst (McCandless 2016: 38). Somit kann einem individuellen Handeln der Zivilgesellschaft eine enorme Wirkkraft zugeschrieben werden, die es im Rahmen von Überlegungen zu einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen verstärkt zu berücksichtigen gilt. Um diese mehrdimensionale Bedeutung zivilgesellschaftlichen Handelns besser zu nutzen, gilt es, ein Organisationsmodell zu entwickeln, welches spezifische Rollen und Handlungsfelder zuweist und gleichzeitig dafür sorgt, dass ein Dialog zwischen allen Beteiligten entsteht. Dieser ermöglicht es, Handlungsänderungen oder -vorschläge einzubringen und so ein breitenwirksames Verständnis zu schaffen, wie eine nachhaltige Entwicklung zukünftig besser gelingen kann (Renn 2012: 33). Doch in welchen Lebensbereichen zivilgesellschaftlichen Handelns lassen sich die relevanten Rollen und Aufgaben am besten anwenden? Oder anders gefragt: Was sind die zentralen Handlungsfelder der Zivilgesellschaft im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation?
2.9.2 Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder im Nachhaltigkeitskontext Nicht aus allen der in Kapitel 2.1 dargestellten globalen Trends und Konflikte lassen sich potenzielle gesellschaftliche Handlungsfelder ableiten. Aufgrund der immensen Komplexität der Thematik und der einzelnen Teilbereiche in den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit, ist das Aufstellen zentraler Handlungsfelder kein leichtes Unterfangen. Eine klare lückenlose Aufstellung aller relevanten Handlungsfelder für den Akteur
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der Zivilgesellschaft lässt sich dementsprechend auch in der Forschungsliteratur nicht finden. Es gilt daher, aus der bestehenden Vielzahl an unterschiedlichen Ansätzen und Vorschlägen die Kernfelder zivilgesellschaftlicher Handlung zu synthetisieren und in einem groben, aber prägnanten Überblick aufzuzeigen. Bereits 1999 benannten Klann & Nitsch als Aktivitätsfelder im Nachhaltigkeitskontext die Bereiche Mobilität & Transport; Wohnen & Bauen; Landwirtschaft; Freizeit & Tourismus; Information & Kommunikation; Kleidung sowie Gesundheit (Klann & Nitsch 1999: 25) Diese Felder finden sich auch übergeordnet im Konzept der Daseinsgrundfunktionen des Menschen aus der Münchner Schule der Sozialgeographie wieder. Diese bestehen aus in Gemeinschaft Leben, wohnen, arbeiten, sich versorgen und konsumieren, sich bilden, sich erholen und am Verkehr teilnehmen (Heineberg 2017: 27). Diese Funktionen müssen gegeben sein, um ein Leben in Würde und Freiheit gewährleisten zu können. Sie müssen demnach auch den Kern einer sozialen Nachhaltigkeit bilden, denn sie fußt auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Gegenwart und Zukunft (Zimmermann & Angel 2016: 61). Diese Grunddaseinsfunktionen lassen sich auch als Bedarfe des Menschen abbilden, denen eine Wirkung auf die Umwelt attestiert werden kann. Darunter fallen die Bedarfe nach Energie, Gütern, Rohstoffen, Wasser, Flächen und Nahrung (Haase 2020: 137). Hier zeigt sich, dass der Mensch als Individuum sowie auch im Kollektiv eine Wirkmacht in alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit hat (Natur, Gesellschaft und Wirtschaft), die es im Kontext von Handlungsfeldern zu beachten gilt (ebd.: 139). Aus diesen Funktionen & Bedarfen lassen sich die übergeordneten Handlungsbereiche Wohnen, Arbeitsplatz, Ernährung, Bildung, Freizeit und Mobilität ableiten, die als zentrale Bereiche der Lebenserhaltung betrachtet werden können. Leal Filho et al., definieren ähnliche Bereiche, wenn sie konstatieren, dass Verhaltensänderungen in der Zivilgesellschaft grundlegend ein essenzielles Werkzeug für das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung sind. Hier sind Insbesondere Haushaltsverhalten wie Nahrungsmittelkonsum, Mobilität und Energienutzung von besonderer Bedeutung (Leal Filho et al. 2019: 180). Ein anderer Ansatz unterteilt mögliche Handlungsbereiche der Zivilgesellschaft im Kontext Nachhaltigkeit nach den Wirkungsbereichen menschlichen Handelns. In diesen Bereichen lassen sich die Konsequenzen menschlichen Handelns wiederfinden. Somit sind sie auch durch den Menschen beeinflussbar. Genannt werden hier CO2 -Bilanz, Ressourcenverbrauch, Emissionen, Wirtschaftswirkung/Arbeitsplätze, kulturelle Wirkung und soziale Wirkung. Diese Wirkungen treten dabei sowohl auf lokaler als auch auf regionaler, nationaler und globaler Ebene auf (Holzbaur 2020: 230). Allerdings sind all diese Bereiche sehr allgemein gehalten und es fehlt eine nähere Spezifikation, insbesondere von den Bereichen der kulturellen und sozialen Wirkung. Grundlegend lassen sich aus diesen Wirkungsbereichen Strategien für einen nachhaltigen Lebensstil ableiten. Es ergibt sich eine Tripel-Strategie für den persönlichen Handlungsbereich (Holzbaur 2020: 231): 1. Optimierung des eigenen Verhaltens und des Lebensstils (insbesondere durch Konsum) 2. Strategische Planung und Beeinflussung von Prozessen im Sinne der Nachhaltigkeit 3. Persönliches Risikomanagement & Entwicklung und/oder Unterstützung von Resilienzverhalten
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Die Bereiche, in denen diese Strategie Anwendung finden kann, sind der allgemeine Lebensstil, Konsum, Wohnen, Mobilität, Finanzen, Arbeit & politische Aktivität. Der Bereich des Konsums als zentraler Wirkungsbereich individuellen Handelns kann dabei die Teilbereiche Ernährung & Bekleidung umfassen und bildet zusammen mit Mobilität & Wohnen die zentralen gesellschaftlichen Handlungsbereiche, in denen konkrete Handlungen möglich sind (ebd.: 233f.). Grundsätzlich stellt das Thema Konsum den größten möglichen Wirkungsbereich menschlichen Handelns dar. Denn sowohl Aspekte der Ernährung, der Bekleidung, der Mobilität, des Wohnens, der Kommunikation und Unterhaltung sowie der Abfallproduktion enthalten Aspekte des Konsumierens. Ein nachhaltiger Konsum muss demnach als ein zentrales zivilgesellschaftliches Handlungsfeld nachhaltiger Entwicklung betrachtet werden, aber nur unter der Prämisse, dass insbesondere auch das Thema Verzicht als Strategie eine Rolle spielt, denn eine Veränderung des Konsumverhaltens beispielsweise in Richtung nachhaltig produzierter Lebensmittel reicht alleine nicht aus (Kropp 2019: 31f.). In vielen Unterteilungen werden insbesondere der Aspekt des Wohnens und der Mobilität gesondert vom Konsum betrachtet, da sie auch viele andere Aspekte außerhalb des Konsumverhaltens beinhalten. Grunwald & Kopfmüller benennen als zentrale gesellschaftliche Handlungsfelder die Bereiche Ernährung, Wohnen & Bauen, Mobilität, Energie, Klimawandel, Wasser, Arbeit und Landwirtschaft. Sie weisen allerdings daraufhin, dass viele der Themen (insbesondere Energie & Mobilität) Überschneidungspunkte und Wechselbeziehungen besitzen und somit auch immer im Gesamtbild betrachtet werden müssen (Grunwald & Kopfmüller 2012: 107ff.). Insgesamt betrachtet können diese Handlungsfelder als zentrale Komponenten gesellschaftlichen Handelns gesehen werden. Die Ernährung stellt ein Grundbedürfnis des Menschen dar, hat aber auch einen großen Bedarf an Ressourcen zur Folge. Darüber hinaus enthält Ernährung auch eine kulturelle Komponente in Bezug auf verschiedene Ernährungsstile. Insbesondere die Globalisierung und die Disparitäten zwischen dem globalen Norden und Süden beeinflussen in diesem Kontext Ernährungsgewohnheiten, globale Warenströme sowie Produktions- und Verarbeitungsprozesse, sodass Ernährung ein zentrales Handlungsfeld gesellschaftlichen Lebens darstellt (ebd.: 108). Der Landwirtschaft als eine Grundvoraussetzung für Ernährung kommt in diesem Kontext sowie auch grundlegend im Hinblick auf Nachhaltigkeit eine tragende Rolle zu. Ob es um Flächenverbrauch, Landwirtschaftsformen, Bewässerung oder Schadstoffbelastung von Böden geht, der Einfluss der Landwirtschaft auf den Klimawandel und zahlreiche weitere globale Trends ist unumstritten (ebd.: 154ff.). Das Handlungsfeld Ernährung kann und sollte demnach nicht getrennt von der Landwirtschaft, sondern gemeinsam betrachtet werden. Wohnen stellt ebenfalls ein menschliches Grundbedürfnis dar. Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sind hier beispielhaft die Aspekte Wohnraum, Ressourcennutzung, Eingriffe in die Landschaft sowie Infrastrukturen von Bedeutung (ebd.: 113). Die Handlungsbereiche Energie & Wasser stellen nach Ansicht des Autors keine eigenständigen gesellschaftlichen Handlungsfelder dar, da sie in vielen anderen Bereichen als Teilaspekte auftreten. Energieverbrauch spielt beispielsweise sowohl in Punkto Ernährung & Landwirtschaft, Wohnen, Mobilität als auch im Arbeitssektor eine Rolle. Auch die Thematik der Wasserverfügbarkeit und des Wasserverbrauchs lassen sich in der Ernährung & Landwirtschaft sowie des gesamten Konsumbereichs wiederfinden. Aus
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diesem Grund werden sie hier nicht als eigenständige Handlungsbereiche betrachtet. Das Handlungsfeld der Mobilität stellt wiederum ebenfalls eine zentrale Daseinsgrundfunktion dar (am Verkehr teilnehmen). Da Mobilität nicht nur als Konsumaspekt in Punkto Freizeitverhalten und Tourismus betrachtet werden kann, sondern auch im Hinblick auf Ökonomie (Produktion & Transport), Verkehrsinfrastrukturen (z.B. Stadt vs. Land, Berufspendlerströme etc.) (ebd.: 117) sowie soziale Mobilität (sozialer Auf- und Abstieg), stellt sie ein eigenes gesellschaftliches Handlungsfeld dar. Ebenso verhält es sich mit der Daseinsgrundfunktion des Arbeitens. Arbeit kommt sowohl im Hinblick auf die Wertschöpfung und das Kapital einer Gesellschaft als auch im Kontext eines erfüllten sozialen Lebens eine wichtige Rolle zu, denn aufgrund der Entlohnung von Arbeitsleistung ist sie die Voraussetzung für die Erfüllung verschiedener Grundbedürfnisse (Grunwald & Kopfmüller 2012: 149). Die Herausforderungen des Arbeitssektors im Hinblick auf ungleiche oder sogar unfaire Arbeitsbedingungen bis hin zum Faktor Arbeitslosigkeit sind jedoch nur bedingt durch individuelle Handlungen beeinflussbar, sodass Arbeit in diesem Zusammenhang eher ein randständiges Handlungsfeld darstellt. Im Hinblick auf die Arbeitsplatzwahl sowie die Mitgestaltung nachhaltiger Prozesse in Unternehmen lassen sich sicherlich individuelle Handlungsmöglichkeiten ausfindig machen, doch auch diese sind einer Vielzahl an Einflussfaktoren wie dem Vorhandensein von Arbeitsplätzen, der Stellung und somit den Einflussmöglichkeiten innerhalb des Arbeitsplatzes sowie Lohnaspekten unterworfen. Da die bereits ausgiebig thematisierte Agenda 2030 und die SDGs das gegenwärtig zentrale Instrument und einen Kompass für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit darstellt, ist im Hinblick auf gesellschaftliche Handlungsfelder auch ein Blick in die einzelnen Zielsetzungen der SDGs notwendig. Hier zeigt sich, dass eine konkrete Thematisierung zivilgesellschaftlicher Handlungsfelder in den SDGs kaum vorkommt. Dies liegt unter anderem daran, dass es sich bei den SDGs um allgemeine und möglichst quantifizierte Zielsetzungen handelt. Konkrete Handlungsmaßnahmen im Hinblick auf spezifische Akteur*innen der Umsetzung werden mit Ausnahme der Politik kaum benannt. Dies verwundert nicht, da es sich bei der Agenda 2030 um eine politische Nachhaltigkeitsstrategie handelt, welche einen Rahmen für konkretere nationale Nachhaltigkeitsstrategien darstellen soll. Dennoch richtet sich die Agenda wie bereits erwähnt an alle Menschen der Erde gleichermaßen, sodass eben auch die Zivilgesellschaft und das einzelne Individuum angesprochen werden sollen. Die Benennung konkreter Handlungsfelder für die Zivilgesellschaft lassen sich bestenfalls im SDG12 »Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen« explizit wiederfinden. Hier geht es beispielsweise darum, die weltweite Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf der Verbraucherebene zu halbieren, das Abfallaufkommen durch Vermeidungs- und Widerverwertungsstrategien zu verringern sowie sicherzustellen, dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensweise verfügen (UN 2015: 24). Es zeigt sich, dass der Konsum auch innerhalb der Agenda 2030 ein zentrales Handlungsfeld für individuelles, gesellschaftliches Handeln darstellt. Doch auch die anderen in diesem Kapitel eruierten Handlungsfelder lassen sich mit den Zielsetzungen der SDGs verknüpfen. Das Handlungsfeld Ernährung & Landwirtschaft findet sich in SDG2 wieder, die Themen Mobilität, Wohnen &
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
Bauen in SDG11, Energie in SDG7 und das Handlungsfeld Arbeit in SDG8. Die Daseinsgrundfunktion des sich Bildens findet sich unter anderem in SDG4 wieder. Es zeigt sich, dass die Handlungsfelder für die Zivilgesellschaft im Kontext der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit äußerst vielfältig und komplex sind und auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden können. Abbildung 16 versucht aller hier vorgestellten Ansätze zu synthetisieren und in vier große zentrale Handlungsfelder der Zivilgesellschaft darzustellen. Diese Darstellung begründet dabei nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern soll lediglich aufzeigen, wie Vielfältigkeit die Rolle der Zivilgesellschaft in diesem Kontext sein kann und sollte.
Abbildung 15: Zivilgesellschaftliche Handlungsfelder für eine sozial-ökologische Transformation
Eigene Darstellung
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Das Handlungsfeld Mobilität umfasst dabei alle Formen der Mobilität von arbeitsbezogener Mobilität (Pendeln etc.), über freizeitbezogene Mobilität (z.B. zur Versorgungs- und Vergnügungszwecken) und touristischen Mobilität (Reiseverhalten) bis hin zur sozialen Mobilität (z.B. auf beruflicher oder geistiger Ebene). Das Handlungsfeld Arbeit beinhaltet alle Facetten des Arbeitslebens: Die Wahl des Arbeitsplatzes, Handlungen innerhalb des Arbeitsplatzes, die Gestaltung des Arbeitsumfelds sowie die Strukturgestaltung des Arbeitsplatzes (z.B. strategische oder Infrastrukturelle Maßnahmen).
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Das Handlungsfeld gesellschaftliche Teilhabe impliziert alle handlungsbezogenen Aktivitäten innerhalb der Gesellschaftsstruktur. Darunter fallen politische Teilhabe (Wahlen & politisches Engagement), die Wahrung gesellschaftlicher Werte (Demokratie, Frieden, Toleranz etc.) sowie die generelle Entwicklung eines allumfassenden Nachhaltigkeitsbewusstseins im Sinne der Bedürfnisbefriedigung gegenwärtiger und zukünftiger Generationen. Das Handlungsfeld Konsum stellt das größte und vielfältigste Feld zivilgesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten dar. Per Definition umfasst der Konsumbegriff »sämtliche Verhaltensweisen, die auf die Erlangung und private Nutzung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen gerichtet sind« (Wiswede 2000: 24). Dies beinhaltet somit die Bereiche Ernährung, Kleidung, Energie, Wohnen & Bauen sowie den Konsum aller anderen Güter & Dienstleistungen jedweder Art. Der Konsum reicht dabei von der Kaufentscheidung, dem Kauf, der Nutzung, dem Verbrauch sowie der Entsorgung der betroffenen Güter & Dienstleistungen. Dies zeigt die enorme Spannbreite dieses Handlungsfelds sowie auch die damit einhergehende Wirkkraft.
Alle diese Handlungsfelder stehen einerseits miteinander in Verbindung und können andererseits übergeordnet auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden. Diese Ebenen reichen von der reinen Aneignung von Wissen (dies impliziert den gesamten Bildungsbereich), über die Kommunikation des erlangten Wissens in die Gesellschaft bis hin zur Entwicklung eines holistischen Nachhaltigkeitsbewusstseins, welches letzten Endes und im Optimalfall in ein aktives Handeln zur Umsetzung der Ziele einer sozial-ökologischen Transformation mündet. Bei der Verknüpfung dieser übergeordneten Handlungsfelder mit den Sustainable Development Goals der Agenda 2030 fällt auf, dass allen Zielen eine gesellschaftliche Relevanz zugeschrieben werden kann, auch wenn sich nicht immer direkte Bezüge herstellen lassen. Tabelle 4 zeigt die Verknüpfung der SDGs mit beispielhaften potenziellen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten.
Tabelle 4: Gesellschaftliche Handlungsfelder und Möglichkeiten im Kontext der 17SDGs SDG
Gesellschaftliche Handlungsfelder & Handlungsmöglichkeiten
SDG 1–2
Arbeit: Wahl des Arbeitgebers & Handlungen innerhalb des Berufs im Hinblick auf die Bekämpfung von Armut und Hunger Konsum: nachhaltiger Konsum auf allen Ebenen im Hinblick auf verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen in den EWL (insb. Ernährung, Kleidung & andere Luxuskonsumgüter)
SDG 3–5
gesellschaftliche Teilhabe: soziales und politisches Engagement für eine Verbesserung der Situation in den Entwicklungsländern (EWL)/Wissensaneignung zur Bildung eines grundsätzlichen Nachhaltigkeitsbewusstseins/Wahrung gesellschaftlicher Werte (Toleranz, Akzeptanz und Respektierung von kultureller Diversität) bei individuellen Handlungsentscheidungen
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit SDG 6
gesellschaftliche Teilhabe: soziales und politisches Engagement für eine Verbesserung der Situation insbesondere in den EWL/umweltbewusstes Verhalten (z.B. Vermeidung von Umweltverschmutzung) Konsum: Vermeidung von Müll & dem Kauf nicht-nachhaltiger Produkte; bewusster Wasserkonsum und -verbrauch (im Haushalt & bei touristischen Aktivitäten)
SDG 7
Konsum: nachhaltige Energienutzung im privaten Haushalt Arbeit: Handlungen am Arbeitsplatz im Sinne nachhaltiger Energienutzung Mobilität: Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel
SDG 8–9
Arbeit: Wahl des Arbeitgebers & Handlungen am Arbeitsplatz im Hinblick auf die Förderung menschenwürdiger Arbeit und einem Wachstum im Einklang mit einem nachhaltigen Ressourcenverbrauch Gesellschaftliche Teilhabe: Politisches Engagement im Sinne der SDGs Konsum: Unterstützung klein- und mittelständischer Unternehmen
SDG 10
Gesellschaftliche Teilhabe: Wahrung, Akzeptanz und Respektierung kultureller Werte & Diversität/soziales & politisches Engagement im Hinblick auf Chancengleichheit auf allen Ebenen Arbeit: Wahl des Arbeitgebers & Handlungen am Arbeitsplatz im Sinne der Verringerung von Ungleichheiten auf allen Ebenen
SDG 11
Konsum: nachhaltige und bewusste Wohnraumnutzung im Hinblick auf den Flächenverbrauch Mobilität: Nutzung nachhaltiger und lokaler Verkehrsmittel Gesellschaftliche Teilhabe: Nachhaltigkeitsbewusstes Verhalten im Umgang mit Kulturund Naturerbe/soziales und politisches Engagement im persönlichen Umfeld (Stadtteil, Quartier etc.)
SDG 12
Konsum: nachhaltiges und bewusstes Konsumieren in allen Lebensbereichen (insb. Nahrungsmittel, Kleidung & allgemein Luxuskonsumgüter) Arbeit: Wahl des Arbeitgebers & Handlungen am Arbeitsplatz (z.B. im Kontext der Philosophie des Unternehmens im Hinblick auf nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster) Gesellschaftliche Teilhabe: Nachhaltigkeitsbewusstes Verhalten im Zusammenhang mit Müllvermeidung/Aneignung und Weitergabe von relevantem Wissen für die Schaffung einer bewussten und nachhaltigen Lebensweise
SDG 13–15
Konsum: nachhaltiges und bewusstes Konsumieren in allen Lebensbereichen (hier insb. Vermeidung des Nahrungsmittelkonsums nicht-zertifizierter tierischer Produkte oder Produkte, deren Produktion ökosystemschädigende Maßnahmen mit sich bringen sowie die Vermeidung der Unterstützung von Produkten, die mit Wilderei und illegalem Tierund Pflanzenhandel in Verbindung stehen) Mobilität: Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel zur Vermeidung von CO2-Ausstoß (privat, beruflich & bei touristischen Aktivitäten) Gesellschaftliche Teilhabe: Aneignung von Wissen für die Bewusstseinsschaffung im Kontext mit dem hohen Stellenwert von Natur und den folgen individueller Verhaltensweisen für die natürliche Umwelt: Nachhaltiges Verhalten im Zusammenhang mit der Vermeidung von Verschmutzung oder Zerstörung natürlicher Ökosysteme an Land und auf dem Wasser/ Soziales und politisches Engagement im Zusammenhang mit Natur- und Tierschutz (impliziert alle existierenden Ökosysteme sowie deren Flora und Fauna)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! SDG 16–17
Gesellschaftliche Teilhabe: Wahrung gesellschaftlicher Werte insbesondere im Hinblick auf Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung (in Bezug auf das persönliche Verhalten)/soziales und politisches Engagement im Hinblick auf die Wahrung von Frieden, globalen Partnerschaften sowie globaler institutioneller Gerechtigkeit Arbeit: Wahl des Arbeitgebers/Berufsfeldes & Handlungen am Arbeitsplatz im Hinblick auf inklusive und gleichberechtigte Arbeitsstrukturen
Eigene Darstellung
Die Tabelle gibt logischerweise nur übergeordnete und beispielhafte Handlungsoptionen für das individuelle gesellschaftliche Verhalten wieder und lässt sich beliebig erweitern und vertiefen. So lassen sich beinahe alle übergeordneten Handlungsfelder in jedem SDG wiederfinden und oftmals überschneiden sich Inhalte und Handlungsoptionen. Dies zeigt nur einmal mehr, dass die SDGs eben nicht nur einzeln, sondern vor allem auch ganzheitlich und interdependent zueinander betrachtet werden müssen. Auch individuelle Handlungsentscheidungen im Kontext der SDGs sollten dies berücksichtigen. Insbesondere Handlungsoptionen im Zuge von sozialem und politischem Engagement lassen sich für jedes SDG definieren, wurden hier in der Tabelle jedoch nur an den Stellen angeführt, wo diese als besonders relevant erachtet wurden. Insgesamt betrachtet, gibt die Tabelle jedoch einen guten Überblick, der deutlich macht, welche zentrale Bedeutung der Akteur der Zivilgesellschaft auch im Kontext einer verbesserten Umsetzung der SDGs einnimmt.
2.11 Zusammenfassung Wie sich in diesem Kapitel gezeigt hat, bedingt die Masse der globalen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts, mit denen sich die gegenwärtige Gesellschaft konfrontiert sieht, ein massives Umdenken in Richtung einer nachhaltigen Lebensweise. Dabei stellt das Themenfeld der Nachhaltigkeit ein äußerst komplexes und multiperspektivisches Konstrukt dar. So hat es im Hinblick auf seine Verankerung als gesellschaftliches Leitbild des 21. Jahrhunderts sowohl konzeptionell als auch thematisch mit einem fehlenden Konsens zu kämpfen. Die inflationäre Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in Kombination mit der Vielzahl an existierenden Modellversuchen hat zur Folge, dass der Begriff gegenwärtig oftmals in der Kritik steht. Auch wenn er auf der zivilgesellschaftlichen Ebene in den letzten Jahren verstärkt in den Vordergrund gerückt ist, sorgt insbesondere die fälschliche Verwendung des Begriffs auf Seiten der Ökonomie dafür, dass in der Wissenschaft zunehmend alternative Begriffskonzepte eingefordert werden. Hier scheint sich die sozial-ökologische Transformation als neuer Leitbegriff vermehrt durchzusetzen. Der aussagekräftigere Begriff der Transformation stellt im Gegensatz zu dem der Entwicklung eine augenscheinlich bessere Option dar, um das Ziel des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung aussagekräftig widerzuspiegeln. Da es sich dabei jedoch nach wie vor hauptsächlich um eine wissenschaftlich dominierte Fachdebatte handelt, wird es als nicht zielführend erachtet, diese Begrifflichkeit als Substitut für den Nachhaltigkeitsbegriffs zu verwenden. Es erscheint viel eher sinnstiftend, ihn als Oberkonstrukt
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! SDG 16–17
Gesellschaftliche Teilhabe: Wahrung gesellschaftlicher Werte insbesondere im Hinblick auf Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung (in Bezug auf das persönliche Verhalten)/soziales und politisches Engagement im Hinblick auf die Wahrung von Frieden, globalen Partnerschaften sowie globaler institutioneller Gerechtigkeit Arbeit: Wahl des Arbeitgebers/Berufsfeldes & Handlungen am Arbeitsplatz im Hinblick auf inklusive und gleichberechtigte Arbeitsstrukturen
Eigene Darstellung
Die Tabelle gibt logischerweise nur übergeordnete und beispielhafte Handlungsoptionen für das individuelle gesellschaftliche Verhalten wieder und lässt sich beliebig erweitern und vertiefen. So lassen sich beinahe alle übergeordneten Handlungsfelder in jedem SDG wiederfinden und oftmals überschneiden sich Inhalte und Handlungsoptionen. Dies zeigt nur einmal mehr, dass die SDGs eben nicht nur einzeln, sondern vor allem auch ganzheitlich und interdependent zueinander betrachtet werden müssen. Auch individuelle Handlungsentscheidungen im Kontext der SDGs sollten dies berücksichtigen. Insbesondere Handlungsoptionen im Zuge von sozialem und politischem Engagement lassen sich für jedes SDG definieren, wurden hier in der Tabelle jedoch nur an den Stellen angeführt, wo diese als besonders relevant erachtet wurden. Insgesamt betrachtet, gibt die Tabelle jedoch einen guten Überblick, der deutlich macht, welche zentrale Bedeutung der Akteur der Zivilgesellschaft auch im Kontext einer verbesserten Umsetzung der SDGs einnimmt.
2.11 Zusammenfassung Wie sich in diesem Kapitel gezeigt hat, bedingt die Masse der globalen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts, mit denen sich die gegenwärtige Gesellschaft konfrontiert sieht, ein massives Umdenken in Richtung einer nachhaltigen Lebensweise. Dabei stellt das Themenfeld der Nachhaltigkeit ein äußerst komplexes und multiperspektivisches Konstrukt dar. So hat es im Hinblick auf seine Verankerung als gesellschaftliches Leitbild des 21. Jahrhunderts sowohl konzeptionell als auch thematisch mit einem fehlenden Konsens zu kämpfen. Die inflationäre Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in Kombination mit der Vielzahl an existierenden Modellversuchen hat zur Folge, dass der Begriff gegenwärtig oftmals in der Kritik steht. Auch wenn er auf der zivilgesellschaftlichen Ebene in den letzten Jahren verstärkt in den Vordergrund gerückt ist, sorgt insbesondere die fälschliche Verwendung des Begriffs auf Seiten der Ökonomie dafür, dass in der Wissenschaft zunehmend alternative Begriffskonzepte eingefordert werden. Hier scheint sich die sozial-ökologische Transformation als neuer Leitbegriff vermehrt durchzusetzen. Der aussagekräftigere Begriff der Transformation stellt im Gegensatz zu dem der Entwicklung eine augenscheinlich bessere Option dar, um das Ziel des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung aussagekräftig widerzuspiegeln. Da es sich dabei jedoch nach wie vor hauptsächlich um eine wissenschaftlich dominierte Fachdebatte handelt, wird es als nicht zielführend erachtet, diese Begrifflichkeit als Substitut für den Nachhaltigkeitsbegriffs zu verwenden. Es erscheint viel eher sinnstiftend, ihn als Oberkonstrukt
2 Das Themenfeld Nachhaltigkeit
zu verstehen. Das Ziel des 21. Jahrhunderts sollte daher eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft sein. Insbesondere im Hinblick auf seine starke gesellschaftliche Akzeptanz sollte der Nachhaltigkeitsbegriff daher keineswegs ad acta gelegt werden, vor allem auch deswegen, weil die Kerninhalte und Aussagen beider Konzepte identisch sind. Ein Blick auf den gegenwärtigen Umsetzungsstand einer solchen Transformation gelingt nur über bestehende Umsetzungsinstrumente. Die globalen Nachhaltigkeitsstrategien und insbesondere die aktuell gültige Agenda 2030 zeigen, dass der Status quo der Umsetzung sowohl auf globaler Ebene als auch auf nationaler Ebene beispielsweise in Deutschland als unzureichend zu bewerten ist. Im Hinblick auf die in Kapitel 2.1 dargestellte Vielfalt an globalen Megatrends und Konflikten des 21. Jahrhunderts, welche es im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation zu beheben gilt, kommt hier vor allem den OECD-Staaten und somit auch Deutschland eine tragende Rolle für eine Optimierung der Umsetzungssituation zu. Die Akteursebenen einer solchen Umsetzung reichen dabei von der Wirtschaft und Politik über die Wissenschaft bis hin zur Zivilgesellschaft. Insbesondere der letzten Akteursebene kommt dabei aufgrund ihrer Masse eine Schlüsselrolle zu, wobei anzumerken ist, dass die hier genannten Ebenen alle gleichermaßen für die Umsetzung verantwortlich sind. Die zentralen Felder zivilgesellschaftlicher Handlungen sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene finden sich dabei übergeordnet in den Bereichen Konsum, Mobilität, Arbeit sowie gesellschaftlicher Teilhabe wieder. Für diese Bereiche gilt es, Wissen und Handlungsoptionen bereitzustellen, welche sowohl breitenwirksam kommuniziert werden müssen als auch in die Bildung eines Nachhaltigkeitsbewusstseins und somit letzten Endes in ein aktives Handeln zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele münden sollen. Welche Bedeutung konkret dabei dem Wissen im Kontext der Umsetzung einer sozialökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit zukommt, welche Barrieren des zivilgesellschaftlichen Handelns trotz vorhandener Wissensbestände bestehen und wie diese gelöst werden könnten, ist Gegenstand der nachfolgenden Kapitel. Resümierend lässt sich aus diesem Kapitel folgende Fragestellung ableiten: Wie kann eine Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele wie der SDGs im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit gewinnbringend verbessert werden und welche Rolle spielen Zivilgesellschaft und Wissen in diesem Zusammenhang?
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3 Wissen
Wenn wir uns damit beschäftigen wollen, welche Rolle Geographie und insbesondere geographisches Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation und deren Umsetzung spielen, ist es zunächst unabdingbar, sich mit dem Begriff des Wissens Allgemein auseinanderzusetzen. Dabei gilt es zu klären, was unter dem Begriff Wissen überhaupt zu verstehen ist: Was bedeutet Wissen? Wie lässt es sich definieren? Gibt es unterschiedliche Arten von Wissen? Wo liegen die Quellen des Wissens und welche Bedeutung hat Wissen in der gegenwärtigen Gesellschaft? Diesen übergeordneten Fragen widmet sich das folgende Kapitel zur Thematik des Wissens. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Wissen ist zunächst der Einwand denkbar, dass doch vollkommen klar ist, was unter dem Begriff des Wissens zu verstehen ist, schließlich scheint Wissen allgegenwärtig zu sein und taucht insbesondere in der Wissenschaft in den unterschiedlichsten Kontexten auf (z.B. Faktenwissen, methodisches Wissen oder traditionelles Wissen). Doch diese Begriffe werden nicht synonym verwendet und implizieren alle unterschiedliche Konzeptionen von Wissen. Gibt es also überhaupt eine grundlegende Bedeutung des Wissensbegriffs? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst eine vertiefte Analyse der Begriffskonzeption notwendig. Diese gestaltet sich jedoch in Bezug auf den Begriff Wissen äußerst schwierig, da es sich hierbei um eine immens komplexe und oftmals sehr facettenreiche Konzeption handelt. Im Folgenden werden daher nun detailliert die existierenden Begriffsdefinitionen aufgeführt, erläutert und in Zusammenhang mit dem thematischen Fokus dieser Arbeit gebracht.
3.1
Wissen – (un)möglicher Versuch einer Definition?
Die Suche nach dem Wesen des Wissensbegriffs beginnt bereits im antiken Griechenland zur Zeit von Aristoteles und Platon im 4. Jahrhundert vor Christus. Denn nach Ansicht von Platon werden erst durch die Definition des Wissensbegriffs das eigentliche Wesen und die dem Begriff inhärenten Merkmale sichtbar (Brendel 2013: 7). Doch bereits zur damaligen Zeit gelingt es nicht, eine einheitliche und vollumfassende Begriffsdefinition aufzustellen. Der Begriff Wissen als solcher wurde insbesondere in der philosophischen Fachliteratur seitdem auf zahlreiche unterschiedliche Arten definiert, die alle
3 Wissen
Wenn wir uns damit beschäftigen wollen, welche Rolle Geographie und insbesondere geographisches Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation und deren Umsetzung spielen, ist es zunächst unabdingbar, sich mit dem Begriff des Wissens Allgemein auseinanderzusetzen. Dabei gilt es zu klären, was unter dem Begriff Wissen überhaupt zu verstehen ist: Was bedeutet Wissen? Wie lässt es sich definieren? Gibt es unterschiedliche Arten von Wissen? Wo liegen die Quellen des Wissens und welche Bedeutung hat Wissen in der gegenwärtigen Gesellschaft? Diesen übergeordneten Fragen widmet sich das folgende Kapitel zur Thematik des Wissens. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Wissen ist zunächst der Einwand denkbar, dass doch vollkommen klar ist, was unter dem Begriff des Wissens zu verstehen ist, schließlich scheint Wissen allgegenwärtig zu sein und taucht insbesondere in der Wissenschaft in den unterschiedlichsten Kontexten auf (z.B. Faktenwissen, methodisches Wissen oder traditionelles Wissen). Doch diese Begriffe werden nicht synonym verwendet und implizieren alle unterschiedliche Konzeptionen von Wissen. Gibt es also überhaupt eine grundlegende Bedeutung des Wissensbegriffs? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst eine vertiefte Analyse der Begriffskonzeption notwendig. Diese gestaltet sich jedoch in Bezug auf den Begriff Wissen äußerst schwierig, da es sich hierbei um eine immens komplexe und oftmals sehr facettenreiche Konzeption handelt. Im Folgenden werden daher nun detailliert die existierenden Begriffsdefinitionen aufgeführt, erläutert und in Zusammenhang mit dem thematischen Fokus dieser Arbeit gebracht.
3.1
Wissen – (un)möglicher Versuch einer Definition?
Die Suche nach dem Wesen des Wissensbegriffs beginnt bereits im antiken Griechenland zur Zeit von Aristoteles und Platon im 4. Jahrhundert vor Christus. Denn nach Ansicht von Platon werden erst durch die Definition des Wissensbegriffs das eigentliche Wesen und die dem Begriff inhärenten Merkmale sichtbar (Brendel 2013: 7). Doch bereits zur damaligen Zeit gelingt es nicht, eine einheitliche und vollumfassende Begriffsdefinition aufzustellen. Der Begriff Wissen als solcher wurde insbesondere in der philosophischen Fachliteratur seitdem auf zahlreiche unterschiedliche Arten definiert, die alle
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
verschiedene Aspekte auf differenzierte Weise betrachten und sich oftmals sogar widersprechen (Meusburger 1998: 59). Es fällt daher schwer und scheint sogar beinahe unmöglich, den Begriff Wissen exakt zu definieren. So versteht Platon unter Wissen das Zusammenspiel aus der wahren Meinung über etwas und einer dazugehörigen Erklärung oder Begründung. Letztere führen zur Festigung der Überzeugung und der Verankerung des Wissens im System (Brendel 2013: 27; Platon 2020: 795ff.). In dieser Definition stecken somit zwei Bestandteile von Wissen: Eine wahre Meinung oder in anderen Worten eine Ansicht über einen bestimmten Sachverhalt oder eine Person sowie eine Erklärung, die diese Meinung/Ansicht ihrerseits erläutert. Diese Definition ist allerdings sehr allgemein gehalten, da sowohl die Bestandteile der wahren Meinung als auch der Erklärung für sich ebenfalls weiterer Definitionen bedürfen. Daraufhin stellte Platon die Regel auf, dass eine Wissensdefinition nicht zirkulär sein darf, das heißt die einzelnen Bestandteile der Definition dürfen nicht selbst einer weiteren Definition bedürfen (Brendel 2013: 7; Platon 2020b: 795ff.). In der Gegenwartsphilosophie besteht inzwischen jedoch der Konsens, dass eine zirkelfreie Wissensdefinition nicht zweifelsfrei möglich und auch nicht zwingend notwendig ist (Brendel 2013: 8), was sich auch im Verlauf dieses Kapitels bestätigt finden wird. Wissen beinhaltet für Platon darüber hinaus die feststehenden Merkmale Beständigkeit, Klarheit & Exaktheit. Beständigkeit meint dabei, dass Wissen nur dann wahr sein kann, wenn es an eine Begründung gekoppelt ist. So lässt es sich von einer bloßen Meinung differenzieren, auf die dieses Merkmal nicht zwangsweise zutrifft (Grajner & Melchior 2019: 14; Platon 2020: 1026ff.). Unter Exaktheit versteht Platon, dass Wissen nur dann vorhanden ist, wenn sich ausschließen lässt, dass der Gegenstand des Wissens nicht der tatsächliche Gegenstand ist. Wissen muss demnach immer eindeutig sein. Das dritte Merkmal der Klarheit bedeutet in diesem Kontext, dass es sich nur dann um Wissen handeln kann, wenn man das Objekt des Wissens ohne Zweifel identifizieren kann und keine Gefahr der Verwechslung besteht (Grajner & Melchior 2019; Platon 2019: 83ff.)). Ein Stuhl lässt sich beispielsweise nur als Stuhl klassifizieren, wenn man weiß, was ein Stuhl ist. Für Platon ist in seiner Wissensdefinition darüber hinaus jedoch auch der praktische Nutzen von Wissen relevant. So ist Wissen in dieser Hinsicht eine Voraussetzung für ein tugendhaftes und gutes Leben (Grajner & Melchior 2019: 13; Platon 2019: 3ff.). Diese platonsche Betrachtungsweise von Wissen sowie auch das aristotelische Weltbild aus dieser Zeit im Allgemeinen hatten lange Zeit bestand und wurden erst in der Neuzeit durch das Aufkommen eines mechanischen Weltbildes kritisch betrachtet und hinterfragt. Zu nennen sind hier insbesondere René Descartes, John Locke sowie Immanuel Kant, welche die Erkenntnistheorie und somit die Suche nach dem Wesen des Wissensbegriffs neu betrachteten (Schnädelbach 2002: 9). Erstere prägten unter anderem die Strömung des Skeptizismus, der grob formuliert davon ausgeht, dass die einzige Gewissheit, die der Mensch haben kann, diejenige ist, dass er existiert (cogito ergo sum – ich denke, also bin ich) und dass es zahlreiche Bereiche des Lebens gibt, über die wir de facto kein Wissen haben können, dass Wissen also demnach Grenzen besitzt (Grajner & Melchior 2019: 26). Doch auch in dieser Zeit gab es eine Vielzahl verschiedener Haltungen und Sichtweisen dieser Auffassung von Wissen gegenüber. Kant beispielsweise stand dem Skeptizismus schnell kritisch gegenüber. Seiner Ansicht nach ist Erkenntnisgewinn nur durch den reinen Verstand nicht möglich.
3 Wissen
Nur eine Verbindung von Verstand und sinnlicher Wahrnehmung ermöglicht erst das Entstehen von Erkenntnis beziehungsweise Wissen (ebd.: 29ff.). Doch auch in der frühen Neuzeit konnte sich keine einheitliche Wissensdefinition durchsetzen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden erkenntnistheoretische Ansätze durch den sogenannten linguistic turn geprägt. Die Suche nach dem Wesen des Wissens wurde nun aufgrund der Analyse sprachlicher Ausdrücke vollzogen. Prägende Theorien stammen hier insbesondere von Gottlob Frege, Bertrand Russell sowie Ludwig Wittgenstein (ebd.: 43ff.). Da sich jedoch die einzelnen Theorien und Erklärungsansätze sowohl ähneln, ergänzen und erweitern als aber eben auch widersprechen, lässt sich auch für diese Zeit keine bis heute gültige Wissensdefinition synthetisieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte der sogenannte Empirismus. Hierunter fällt die Ansicht, dass Wissen immer aus Wahrnehmung entsteht. Wahrnehmungswissen bildet demnach die Grundlage für unser restliches bestehendes Wissen. Doch auch diese Ansicht ist im Laufe der letzten Jahrzehnte stark kritisiert und letztendlich als unhaltbar widerlegt worden (ebd.: 50f.). In diesem kurzen und sehr groben Überblick erkenntnistheoretischer Strömungen zeigt sich, dass der Versuch, das Wesen des Wissensbegriffs klar zu definieren, nicht ohne Einschränkungen möglich zu sein scheint.1 Um sich einer tatsächlichen Definition von Wissen anzunähern, ist es daher hilfreich, sich mit aktuellen Definitionsversuchen der Fachliteratur auseinanderzusetzen. Behrs et al. definieren Wissen wie folgt: »Wissen gilt als Gesamtheit von Kenntnissen, die innerhalb kultureller Systeme durch Lernprozesse und Beobachtungen sowie mit Hilfe von Ordnungsschemata und Schlussverfahren erhoben werden und einen reproduzierbaren Bestand an Denk-, Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten bereitstellen. Diese Kenntnisse werden gespeichert […], in verschiedenen Formaten fixiert und kommuniziert, sie können aber auch vergessen und wieder entdeckt werden.« (Behrs et al. 2013: 24) In diesem Definitionsversuch liegt der Fokus eher auf dem kulturellen Aspekt des Wissens. Wissen besteht demnach aus dem Bestandteil der Gesamtheit der Kenntnisse eines kulturellen Systems. Zudem richtet sich diese Definition darüber hinaus auch an den Erwerbsprozess des Wissens sowie die Möglichkeiten, die sich aus einem Wissen ergeben. An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass eine Ursache für die Definitionsschwierigkeiten des Wissensbegriffs darin begründet liegt, dass Wissen nicht einfach vorhanden ist, sondern erworben werden muss. Es liegt somit ein ganzer Prozess vor, der sowohl Bedingungen als auch Konsequenzen mit sich bringt, die es ebenfalls in der Definition zu berücksichtigen gilt. Zu diesem Prozess zählen nach dieser Definition verschiedene Handlungen, die mit Wissen vollzogen werden können wie die Speicherung, Fixierung,
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An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich hierbei nur um einen groben und lückenhaften historischen Überblick handelt, der lediglich aufzeigen soll, wie diffus und komplex der Definitionsversuch des Wissensbegriffs ist. Diese Zusammenfassung begründet demnach nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesen Inhalten würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen und weist zudem auch nicht die notwendige Relevanz für das Forschungsvorhaben dieser Arbeit auf. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Historie der Erkenntnistheorie und ihren Vertreter*innen siehe beispielsweise Grajner (2019) & Neuser (2013).
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Kommunikation, aber auch der zeitliche Aspekt des Vergessens beziehungsweise des Wiederentdeckens. An dieser Stelle wird die immense Komplexität des gesamten Prozesses sichtbar. Eine weitere Definition wiederum versteht Wissen als »Fähigkeit zum Handeln oder als Modell für die Realität« (Stehr 2002: 20). Hierbei rückt der Aspekt des Nutzens von Wissen in den Vordergrund. Wissen wird in diesem Fall als eine Bedingung angesehen, um handeln zu können. In diesem Definitionsversuch steckt bereits der Beginn der Kontroverse zwischen Wissen und Handeln, die in Kapitel 4.5 dieser Arbeit näher thematisiert wird. Schmid hingegen wählt den semiotischen Ansatz der Wissensdefinition. Für sie gilt es zunächst, Wissen von Information abzugrenzen. Dabei baut Wissen auf Daten und Informationen auf und wird dadurch durch diese bedingt (Schmid 2013: 10). Somit definiert sich Wissen nach dieser Denkweise als Information, welche »[…] zielorientiert hinterfragt, durchdacht, verknüpft und mit Erfahrung[en] vernetzt wird« (Schmid 2013: 10). Diese Definition richtet sich im Gegensatz zu den anderen vielmehr nach dem Wesen von Wissen beziehungsweise der Entstehung von Wissen. Erweiternd kommt hier die Komponente der Erfahrung hinzu. Für Brökel hingegen ist Wissen »immer mit dem Verständnis für eine Sache verbunden. Es besteht aus Informationen, die von Individuen vor dem Hinblick bereits absorbierten Wissens evaluiert und verarbeitet worden sind (…). Gleichzeitig beschreibt Wissen die kognitive Fähigkeit eines Individuums, neue Informationen zu erfassen, zu interpretieren und zu verstehen sowie in (…) Handlung umzusetzen« (Brökel 2016: 10) Hierbei wird deutlich, dass Wissen eine höhere Ebene als reine Informationen oder Daten einzunehmen scheint. Auch wird an dieser Stelle das prozesshafte des Wissensbegriffs deutlich. Erweiternd zu den vorherigen Definitionsversuchen kommt hier das Verständnis von Wissen als Fähigkeit hinzu. Wissen bedeutet, Informationen nicht nur aufnehmen zu können, sondern darüber hinaus auch zu interpretieren und sogar in konkrete Handlungen zu überführen. Zudem wird eine klare Abgrenzung von Wissen im Vergleich zu Daten und Informationen vollzogen. Daten sind unstrukturiert, kontextunabhängig und werden meist isoliert in Form von Zeichen betrachtet (z.B. Zahlen). Informationen können als strukturierte Datensätze beschrieben werden, die bereits kontextgebunden betrachtet werden können (z.B. ein Temperaturwert). Wissen hingegen ist strukturiert, kontext-abhängig, wird eingebunden und als kognitives Handlungsmuster betrachtet (z.B. durch die Aussage »Das Wetter ist sommerlich«) (ebd.: 9f.). Die Begriffe Information und Wissen werden im allgemeinen Sprachgebrauch oftmals synonym verwendet, was neben der allgemeinen Komplexität und vielfachen Verwendung des Wissensbegriffs für weitere Verwirrung sorgen kann. Zu nennen wäre hier beispielsweise die Verwendung des Begriffs »Wissenstransfer« als »Austausch von Informationen« (ebd.: 10). Eine weitere Definition bringt den Aspekt der Kultur noch stärker mit in den Wissensbegriff hinein. Demnach ist Wissen »geprägt von individuellen Erfahrungen, ist kontextspezifisch und an Personen gebunden« (North 2011: 37). So werden beispielsweise Gesten wie Kopfnicken in verschiedenen Kulturen unterschiedlich interpretiert. Wissen ist demnach auch an kulturelle Kontexte gebunden, sodass auch hier eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen kulturell geprägten Wissensverständ-
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nissen vorgenommen werden kann. Eine letzte Definition des Wissensbegriffs fungiert als eine Art Konglomerat aus den bisher angeführten Definitionsversuchen und soll deshalb hier ebenfalls ihre Beachtung finden: So definieren Probst et al. Wissen wie folgt: »Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Erkenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge« (Probst et al. 2012: 23) In diesem Definitionsversuch spiegeln sich viele der vorher genannten relevanten Aspekte des Wissensbegriffs wider. Einerseits die Tatsache, dass Wissen auf Informationen und Daten beruht, aber dennoch an individuelle Interpretationen von Personen gebunden ist und andererseits der Prozess des Wissens, welcher sich letztendlich in der Umsetzung von Wissen in Handlung manifestiert. Zudem wird der kulturelle Aspekt hier über den Aspekt von Alltagsregeln sowie dem spezifischen Kontext mit eingebunden. Aufgrund der immensen Komplexität und Vielschichtigkeit des Wissensbegriffs kann in diesem Fall nach wie vor nicht von einer allumfassenden Definition gesprochen werden, dennoch umfasst dieser Definitionsversuch alle relevanten Kerninhalte des Wissensbegriffs und spiegelt auf der übergeordneten Ebene dadurch das Wissensverständnis wider, welches für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit verwendet werden soll.
3.1.1 Merkmale von Wissen Wie die aufgeführten Definitionsversuche zeigen, ist eine eindeutige und vor allem allumfassende Definition von Wissen nicht möglich. Der Begriff ist zu vielfältig und unterschiedlich konnotiert, um seinen Wirkungsbereich klar abgrenzen zu können. So finden sich beispielsweise im Wörterbuch der Kognitionswissenschaft über vierzig verschiedene anerkannte Spezifizierungen von Wissen (Caspers & Kreis-Hoyer 2004: 18). Aus diesem Grund kann und soll hier keine eindeutige Definition gegeben werden, sondern vielmehr ein Konglomerat aus den verschiedenen Ansätzen. So werden dem Wissensbegriff über die reine Definition hinaus zunächst verschiedene Merkmale zugeschrieben, die die allgemein gehaltenen Definitionsversuche weiter spezifizieren (Behrs et al. 2013: 24f.): I. Wissen ist an Träger und Speichermedien gebunden II. Wissen unterliegt einer raumzeitlichen Dynamik III. Wissen besitzt eine systematische Form und Struktur IV. Wissen ist an Gewissheit gebunden
Die erste Merkmalszuschreibung verdeutlicht, dass die Existenz von Wissen immer an einen Träger beziehungsweise an ein Medium gebunden sein muss. Als solche ist hier insbesondere die sprachliche Fixierung auf Papier, DVDs, Festplatten, Internetseiten oder ähnlichen Speichermedien zu nennen. In diesem Fall lassen sich die gespeicherten
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nissen vorgenommen werden kann. Eine letzte Definition des Wissensbegriffs fungiert als eine Art Konglomerat aus den bisher angeführten Definitionsversuchen und soll deshalb hier ebenfalls ihre Beachtung finden: So definieren Probst et al. Wissen wie folgt: »Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Erkenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge« (Probst et al. 2012: 23) In diesem Definitionsversuch spiegeln sich viele der vorher genannten relevanten Aspekte des Wissensbegriffs wider. Einerseits die Tatsache, dass Wissen auf Informationen und Daten beruht, aber dennoch an individuelle Interpretationen von Personen gebunden ist und andererseits der Prozess des Wissens, welcher sich letztendlich in der Umsetzung von Wissen in Handlung manifestiert. Zudem wird der kulturelle Aspekt hier über den Aspekt von Alltagsregeln sowie dem spezifischen Kontext mit eingebunden. Aufgrund der immensen Komplexität und Vielschichtigkeit des Wissensbegriffs kann in diesem Fall nach wie vor nicht von einer allumfassenden Definition gesprochen werden, dennoch umfasst dieser Definitionsversuch alle relevanten Kerninhalte des Wissensbegriffs und spiegelt auf der übergeordneten Ebene dadurch das Wissensverständnis wider, welches für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit verwendet werden soll.
3.1.1 Merkmale von Wissen Wie die aufgeführten Definitionsversuche zeigen, ist eine eindeutige und vor allem allumfassende Definition von Wissen nicht möglich. Der Begriff ist zu vielfältig und unterschiedlich konnotiert, um seinen Wirkungsbereich klar abgrenzen zu können. So finden sich beispielsweise im Wörterbuch der Kognitionswissenschaft über vierzig verschiedene anerkannte Spezifizierungen von Wissen (Caspers & Kreis-Hoyer 2004: 18). Aus diesem Grund kann und soll hier keine eindeutige Definition gegeben werden, sondern vielmehr ein Konglomerat aus den verschiedenen Ansätzen. So werden dem Wissensbegriff über die reine Definition hinaus zunächst verschiedene Merkmale zugeschrieben, die die allgemein gehaltenen Definitionsversuche weiter spezifizieren (Behrs et al. 2013: 24f.): I. Wissen ist an Träger und Speichermedien gebunden II. Wissen unterliegt einer raumzeitlichen Dynamik III. Wissen besitzt eine systematische Form und Struktur IV. Wissen ist an Gewissheit gebunden
Die erste Merkmalszuschreibung verdeutlicht, dass die Existenz von Wissen immer an einen Träger beziehungsweise an ein Medium gebunden sein muss. Als solche ist hier insbesondere die sprachliche Fixierung auf Papier, DVDs, Festplatten, Internetseiten oder ähnlichen Speichermedien zu nennen. In diesem Fall lassen sich die gespeicherten
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Grundstöcke an Wissen immer einem Träger sowie den Prozessen der Erzeugung und Weitergabe durch Medien, Institutionen oder Kulturen zuordnen (Behrs et al. 2013: 24). Das zweite Merkmal der raumzeitlichen Dynamik impliziert, dass die Aneignung, Speicherung und Weitergabe von Wissen immer dem Faktor der Zeit und den damit verbundenen gesellschaftlichen Bedingungen unterworfen sind. So können Wissensbestände sich über die Zeit hinweg sowohl aufbauen als auch veralten oder sogar ganz verschwinden. Insbesondere gegenwärtig spielt der Faktor Zeit im Hinblick auf die steigende Beständigkeit von Speichermedien und der enormen Quantität an verschiedenen Wissensbeständen eine wachsende Bedeutung für den Umgang mit Wissen (Behrs et al. 2013: 25). Wie das dritte Merkmal verdeutlichen soll, ist Wissen keinesfalls eine chaotische Ansammlung von Daten, sondern enthält durchaus systemische Strukturen. Dies ist in der regelhaften Informationsverarbeitung begründet. So werden Daten bei ihrer Verarbeitung stets markiert, in Kontexte eingebettet und anschließend analysiert sowie bewertet. Erst durch diesen strukturierenden Prozess wird Wissen als relevant betrachtet (ebd.). Wenn beispielsweise Informationen aus einem Text gezogen werden sollen, so gibt es verschiedene Arten der Textbearbeitung, die je nach Vorlieben der Lesenden angewendet werden. Daraufhin werden die als relevant angesehenen Informationen in einer beliebigen Form gespeichert und gehen somit in den subjektiven Wissensstand der Lesenden ein. Das vierte und letzte Merkmal der Gewissheit bezieht sich auf das Gewinnen von Wissen durch Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die bei der Analyse von Informationen oder Daten getätigt werden. So werden Informationen oder Daten auf wissenschaftlicher Ebene immer analysiert und in den meisten Fällen anschließend kommuniziert. Dadurch wird gewonnenes Wissen stets bezüglich seiner Gültigkeit beurteilt. Dies kann subjektiv durch eine einzelne Person geschehen wie beispielsweise durch die Erkenntnisse eines Augenzeugens bei einer bestimmten Situation, oder aber auch kollektiv in sozialen Kommunikationsprozessen. Dabei kann sich Wissen letzten Endes sowohl bewähren als auch verworfen werden (Behrs et al. 2013: 26). Gottschalk-Mazouz schreibt Wissen insgesamt sieben Merkmale zu, die teilweise ähnlich sind und teilweise Erweiterungen enthalten. Übergeordnet können sie auch als Eigenschaften von Wissen betrachtet werden. Dabei muss gesagt werden, dass nicht alle Merkmale oder Eigenschaften erfüllt sein müssen, um von einem tatsächlichen Wissen sprechen zu können. Vielmehr hängt es davon ab, in welchem Kontext oder aus welcher wissenschaftlichen Sichtweise heraus von Wissen gesprochen wird (Gottschalk-Mazouz 2007: 27). In diesem Sinne kann ein Merkmal von Wissen der praktische Bezug sein. Gemeint ist hiermit, dass Wissen praktisch anwendbar, problemlösungsorientiert und aktualitätsbezogen sein kann. Somit existiert Wissen nicht nur als reines Tatsachenwissen, sondern eben auch als Ziel- oder Hypothesenwissen mit einem Praxisbezug (ebd.). Des Weiteren kann Wissen personalisiert oder nicht-personalisiert auftreten. Personalisiertes sprich personengebundenes Wissen tritt beispielsweise immer dann auf, wenn es sich um praxisbezogenes Wissen handelt, da eine praktische Handlung nur durch eine Person ausgeführt werden kann. So kann Wissen eben nicht nur als Ressource, sondern auch als Kapitalform, Produktionsfaktor oder als infrastruktureller Bestandteil einer Region angesehen werden. In diesem Fall handelt es sich um nicht-personengebundenes Wissen (ebd.: 28). Das dritte Merkmal weist Wissen eine normative Struktur beziehungsweise einen Wert als Eigenschaft zu. In diesem Fall
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gibt es Wissen, welches bestimmte Ansprüche erfüllt und dadurch erst als Wissen angesehen wird. Auch hier lässt sich eine Verbindung zur Eigenschaft des Praxisbezuges herstellen. Wenn Wissen die Eigenschaft aufweist, praxisbezogen zu sein, dann muss dieses Wissen einerseits potenziell praktisch anwendbar sein und andererseits auch tatsächlich praktisch anwendbar. Es würde somit zwei normative Ansprüche erfüllen (ebd.: 29). Zwei weitere Merkmale lassen sich zu einer Eigenschaft der Vernetzung kombinieren. So kann Wissen sowohl intern als auch extern vernetzt sein. Interne Vernetzung bedeutet in diesem Kontext, dass ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Wissensbeständen besteht, die voneinander abhängig sind, beziehungsweise in einem kausalen Zusammenhang stehen (ebd.: 30). (Bsp.: »Wenn man einen Gegenstand wirft, fällt er auf den Boden, weil er von der Erdanziehungskraft angezogen wird.«) Externe Vernetzung meint, dass ein bestimmtes Wissen den Kontext für ein anderes Wissen bildet. So bildet beispielsweise die Beschreibung eines Problems die Grundlage für das Wissen zur Lösung des Problems (ebd.). Es sei kritisch angemerkt, dass externe und interne Vernetzungen nicht immer trennscharf zu unterscheiden sind, insbesondere bei komplexen Zusammenhängen und Prozessen. Das sechste Merkmal schreibt Wissen die Eigenschaft zu, dynamisch zu sein. Dieses Merkmal gleicht in seinen Grundzügen des bereits beschriebenen Merkmals der raumzeitlichen Dynamik und wird daher an dieser Stelle nicht noch einmal näher erläutert. Die letzte dem Wissen zugeschriebene Eigenschaft ist die institutionelle Formierung des Wissens. So sind Institutionen wie Universitäten, Unternehmen, Bibliotheken oder Archive die zentralen Organe der Produktion, der Speicherung, der Erweiterung sowie der Weitergabe von Wissen. Wissen kann somit einerseits die Eigenschaft besitzen, institutionell verankert zu sein, andererseits kann Wissen durch Institutionen selbst produziert werden (ebd.: 32f.). Die hier erläuterten Merkmals- und Eigenschaftszuschreibungen von Wissen stehen in engem Zusammenhang mit den unterschiedlichen Wissensarten und werden daher im späteren Verlauf in Kapitel 3.2 noch einmal thematisiert. Doch obwohl wir uns nun mit allgemeinen Definitionsversuchen und Merkmalszuschreibungen von Wissen auseinandergesetzt haben, ist immer noch nicht klar, was genau das Wesen des Wissensbegriffs ausmacht. Es scheint somit notwendig zu sein, auf die Mikroebene des Begriffs zu gehen und sich mit der kleinschrittigen Analyse von Wissen zu beschäftigen.
3.1.2 Die Analyse des Wissensbegriffs Die Wissensanalyse lässt sich wie auch die Suche nach dem Wesen des Wissens selbst auf Platon zurückführen. Dessen Betrachtungen zum Wesen des Wissens dienen seit jeher als Ausgangspunkt für die Begriffsanalyse von Wissen, welche in der Erkenntnistheorie des 21. Jahrhunderts in diversen Ansätzen zu finden ist (Brendel 2013: 27). Bei einer solchen klassischen und kausal ausgerichteten Analyse von Wissen greift am besten das Aufstellen von Bedingungen für das Vorhandensein von Wissen. Wenn also beispielsweise eine Person (S) sagt: »Ich weiß, dass die Erde rund ist«, so enthält diese Aussage mehrere Implikationen. Die Grundform der Wissenszuschreibung ist dabei »S weiß, dass P«. S steht hierbei für das Subjekt des Wissens und P für einen propositionalen Gehalt
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gibt es Wissen, welches bestimmte Ansprüche erfüllt und dadurch erst als Wissen angesehen wird. Auch hier lässt sich eine Verbindung zur Eigenschaft des Praxisbezuges herstellen. Wenn Wissen die Eigenschaft aufweist, praxisbezogen zu sein, dann muss dieses Wissen einerseits potenziell praktisch anwendbar sein und andererseits auch tatsächlich praktisch anwendbar. Es würde somit zwei normative Ansprüche erfüllen (ebd.: 29). Zwei weitere Merkmale lassen sich zu einer Eigenschaft der Vernetzung kombinieren. So kann Wissen sowohl intern als auch extern vernetzt sein. Interne Vernetzung bedeutet in diesem Kontext, dass ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Wissensbeständen besteht, die voneinander abhängig sind, beziehungsweise in einem kausalen Zusammenhang stehen (ebd.: 30). (Bsp.: »Wenn man einen Gegenstand wirft, fällt er auf den Boden, weil er von der Erdanziehungskraft angezogen wird.«) Externe Vernetzung meint, dass ein bestimmtes Wissen den Kontext für ein anderes Wissen bildet. So bildet beispielsweise die Beschreibung eines Problems die Grundlage für das Wissen zur Lösung des Problems (ebd.). Es sei kritisch angemerkt, dass externe und interne Vernetzungen nicht immer trennscharf zu unterscheiden sind, insbesondere bei komplexen Zusammenhängen und Prozessen. Das sechste Merkmal schreibt Wissen die Eigenschaft zu, dynamisch zu sein. Dieses Merkmal gleicht in seinen Grundzügen des bereits beschriebenen Merkmals der raumzeitlichen Dynamik und wird daher an dieser Stelle nicht noch einmal näher erläutert. Die letzte dem Wissen zugeschriebene Eigenschaft ist die institutionelle Formierung des Wissens. So sind Institutionen wie Universitäten, Unternehmen, Bibliotheken oder Archive die zentralen Organe der Produktion, der Speicherung, der Erweiterung sowie der Weitergabe von Wissen. Wissen kann somit einerseits die Eigenschaft besitzen, institutionell verankert zu sein, andererseits kann Wissen durch Institutionen selbst produziert werden (ebd.: 32f.). Die hier erläuterten Merkmals- und Eigenschaftszuschreibungen von Wissen stehen in engem Zusammenhang mit den unterschiedlichen Wissensarten und werden daher im späteren Verlauf in Kapitel 3.2 noch einmal thematisiert. Doch obwohl wir uns nun mit allgemeinen Definitionsversuchen und Merkmalszuschreibungen von Wissen auseinandergesetzt haben, ist immer noch nicht klar, was genau das Wesen des Wissensbegriffs ausmacht. Es scheint somit notwendig zu sein, auf die Mikroebene des Begriffs zu gehen und sich mit der kleinschrittigen Analyse von Wissen zu beschäftigen.
3.1.2 Die Analyse des Wissensbegriffs Die Wissensanalyse lässt sich wie auch die Suche nach dem Wesen des Wissens selbst auf Platon zurückführen. Dessen Betrachtungen zum Wesen des Wissens dienen seit jeher als Ausgangspunkt für die Begriffsanalyse von Wissen, welche in der Erkenntnistheorie des 21. Jahrhunderts in diversen Ansätzen zu finden ist (Brendel 2013: 27). Bei einer solchen klassischen und kausal ausgerichteten Analyse von Wissen greift am besten das Aufstellen von Bedingungen für das Vorhandensein von Wissen. Wenn also beispielsweise eine Person (S) sagt: »Ich weiß, dass die Erde rund ist«, so enthält diese Aussage mehrere Implikationen. Die Grundform der Wissenszuschreibung ist dabei »S weiß, dass P«. S steht hierbei für das Subjekt des Wissens und P für einen propositionalen Gehalt
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(den Inhalt einer Aussage) (Baumann 2015: 39). Somit ergeben sich daraus folgende Implikationen, die auch als hinreichende Bedingungen für Wissen gesehen werden können (Baumann 2015: 39): I. S glaubt, dass P II. P ist wahr III. S.s Überzeugung ist gerechtfertigt
Zunächst muss die Person, welche vorgibt, Wissen zu besitzen, glauben, dass es sich dabei um die Wahrheit handelt. Denn ohne die Überzeugung, dass P wahr ist, kann es sich nicht um Wissen handeln. Die Überzeugung, dass etwas wahr ist, ist demnach eine notwendige Bedingung für Wissen (ebd.: 33). Des Weiteren kann es sich nur dann um tatsächliches Wissen handeln, wenn p tatsächlich wahr ist. Die Aussage, dass die Erde rund ist, stimmt also nur, weil sie wahr ist. Eine Person kann auch davon überzeugt sein, dass etwas wahr ist, ohne dass es tatsächlich wahr ist. Dann handelt es sich jedoch nicht um Wissen. Die Wahrheit einer Aussage ist somit die zweite notwendige Bedingung dafür, dass es sich dabei um Wissen handelt (ebd.: 36). Doch um von Wissen sprechen zu können, ist weit mehr notwendig. So kann es beispielsweise passieren, dass eine Person zufällig eine wahre Überzeugung besitzt. Wenn S zu Beginn eines Fußballspiels glaubt, dass seine Lieblingsmannschaft gewinnt und diese am Ende tatsächlich gewinnt, dann ist die Aussage »Ich weiß, dass diese Mannschaft gewinnt« zwar wahr und es liegt eine Überzeugung vor, jedoch ist dies nur zufällig, da die Person nicht wissen kann, ob die Mannschaft tatsächlich gewinnt. Demnach liegt bei einem Zufall dennoch kein Wissen vor. Damit Wissen vorliegt, muss seine Überzeugung gerechtfertigt sein, sprich auf begründeten Tatsachen beruhen. Wenn die Überzeugung durch Begründungen gestützt werden kann und deshalb gerechtfertigt ist, handelt es sich um Wissen. Hierin liegt die dritte notwendige Bedingung für Wissen (Baumann 2015: 39). An dieser Stelle sei jedoch gesagt, dass diese dritte Bedingung der sogenannten traditionellen Konzeption des Wissens entspricht. Im historischen Verlauf der Diskussionen über die Analyse des Wissensbegriffs wurde insbesondere durch Edmund Gettiers Modifikationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch eine weitere Bedingung hinzugefügt, dass die Überzeugungen von S wahr sein müssen, um von Wissen sprechen zu können. Wenn beispielsweise eine Person der Überzeugung ist, dass sie eine bestimmte Krankheit hat, da sie Symptome aufweist, die laut ihrem Verständnis mit dieser Krankheit in Verbindung zu bringen sind, dann ist ihre Aussage, dass sie diese Krankheit hat, mit einer wahren und gerechtfertigten Überzeugung getätigt worden. Wenn beim Arztbesuch jedoch zu Tage tritt, dass es sich um eine andere Krankheit mit ähnlichen Symptomen handelt, so lässt sich letzten Endes nicht mehr von Wissen sprechen. Es ist folglich ebenso eine notwendige Bedingung für Wissen, dass die Rechtfertigungen von Person S ebenfalls wahr sind (Baumann 2015: 40f.) Doch auch diese vierte Bedingung wurde im Verlauf der Auseinandersetzungen mit Gettiers Modifikationen auf verschiedenste Art und Weise widerlegt. Auch die weiteren Wissenskonzeptionen wie beispielsweise der Reliabilismus oder Kontextualis-
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mus2 konnten nie ohne Einwände und Gegenbeispiele ihre Anwendung finden, sodass sich bis heute auch hier keine einheitliche Wissensanalyse durchsetzen konnte. Das wirft die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, einheitliche Bedingungen für die Existenz von Wissen aufzustellen, oder ob es nicht eher so ist, dass je nach betrachteter Wissensart unterschiedliche Wissenskonzeptionen greifen und daher jede der vorhandenen Theorien ihre Berechtigung findet (ebd.: 86). Es scheint so, dass je nach Konzeption unterschiedliche Wissensarten vorliegen können, sodass es nicht die eine Konzeption der Wissensbedingungen geben kann (ebd.), ebenso wie es auch nicht die eine Definition des Wissensbegriffs zu geben scheint. Aus diesem Grund wird hier auch auf den Versuch einer eigenständigen Wissensdefinition verzichtet. Es scheint eher sinnvoll zu sein, sich näher mit den Kontexten auseinanderzusetzen, in denen der Wissensbegriff seine Anwendung findet. Das folgende Kapitel geht daher auf die unterschiedlichen Formen und Arten von Wissen ein, welche es in diesem Zusammenhang zu differenzieren gilt.
3.2 Wissensarten und ihre Anwendungsbereiche Die Unterscheidung verschiedener Arten und Formen von Wissen ist ebenfalls auf das antike Griechenland zurückzuführen. Hier war es Aristoteles, der sich nicht mit der Frage nach dem eigentlichen Sinn oder der Möglichkeit einer Existenz von Wissen beschäftigte, sondern Wissen als gegeben ansah. Für ihn war die Unterscheidung von Wissen sowie die Bedingungen des Wissenserwerbs von zentraler Bedeutung (Aristoteles; & Nickel 2014: 9ff.; Grajner & Melchior 2019: 15). Er differenzierte dabei zwischen einem theoretischen sowie einem praktischen Wissen.3 Praktisches Wissen bezieht sich nach Aristoteles auf Dinge oder Sachverhalte, die einerseits kontingent also möglich und andererseits durch Handlung veränderbar sind. Relevant dabei sind demnach, ob das, was verändert werden kann, gut ist und wie etwas verändert werden kann. Notwendig dafür sind, seiner Ansicht nach, ein Expertenwissen sowie eine praktische Einsicht (ebd.). Das theoretische Wissen hingegen gilt für notwendige Sachverhalte und impliziert dabei ein Wissen, welches auf Beweisen beruht sowie ein Wissen über Beweisprinzipien. Ein solches Wissen liegt dann vor, wenn der Sachverhalt, um den es geht, sowohl in seiner Funktion erklärt als auch seine Notwendigkeit begründet werden kann (ebd.). Die Unterscheidung von theoretischem und praktischem Wissen lässt sich auch in vielen anderen Wissensarten wiederfinden und könnte demnach eine gute Grundlage sein, um bestimmte feststehende Wissensarten oder Formen des Wissens zu kategorisieren. Übergeordnet kann jedoch zunächst der Begriff Wissen rein grammatikalisch sowohl als Subjekt als auch als Verb betrachtet werden. In letzterem Fall wird er häufig mit einem Fragesatz verknüpft und man spricht hierbei von sogenanntem interrogativem Wissen (Bsp.: »Peter weiß, wann sein Sohn Gitarrenunterricht hat.«) (Brendel 2013:
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Zur näheren Erläuterung dieser und weiterer analytischer Wissenskonzeptionen siehe zum Beispiel Baumann 2015 oder Ernst 2017. Aufgrund der Vielfalt der Wissensformen, die in diesem Kapitel thematisiert werden, wird für eine bessere Übersicht jede neu eingeführte Wissensform bei der ersten Nennung durch einen Fettdruck hervorgehoben
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mus2 konnten nie ohne Einwände und Gegenbeispiele ihre Anwendung finden, sodass sich bis heute auch hier keine einheitliche Wissensanalyse durchsetzen konnte. Das wirft die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, einheitliche Bedingungen für die Existenz von Wissen aufzustellen, oder ob es nicht eher so ist, dass je nach betrachteter Wissensart unterschiedliche Wissenskonzeptionen greifen und daher jede der vorhandenen Theorien ihre Berechtigung findet (ebd.: 86). Es scheint so, dass je nach Konzeption unterschiedliche Wissensarten vorliegen können, sodass es nicht die eine Konzeption der Wissensbedingungen geben kann (ebd.), ebenso wie es auch nicht die eine Definition des Wissensbegriffs zu geben scheint. Aus diesem Grund wird hier auch auf den Versuch einer eigenständigen Wissensdefinition verzichtet. Es scheint eher sinnvoll zu sein, sich näher mit den Kontexten auseinanderzusetzen, in denen der Wissensbegriff seine Anwendung findet. Das folgende Kapitel geht daher auf die unterschiedlichen Formen und Arten von Wissen ein, welche es in diesem Zusammenhang zu differenzieren gilt.
3.2 Wissensarten und ihre Anwendungsbereiche Die Unterscheidung verschiedener Arten und Formen von Wissen ist ebenfalls auf das antike Griechenland zurückzuführen. Hier war es Aristoteles, der sich nicht mit der Frage nach dem eigentlichen Sinn oder der Möglichkeit einer Existenz von Wissen beschäftigte, sondern Wissen als gegeben ansah. Für ihn war die Unterscheidung von Wissen sowie die Bedingungen des Wissenserwerbs von zentraler Bedeutung (Aristoteles; & Nickel 2014: 9ff.; Grajner & Melchior 2019: 15). Er differenzierte dabei zwischen einem theoretischen sowie einem praktischen Wissen.3 Praktisches Wissen bezieht sich nach Aristoteles auf Dinge oder Sachverhalte, die einerseits kontingent also möglich und andererseits durch Handlung veränderbar sind. Relevant dabei sind demnach, ob das, was verändert werden kann, gut ist und wie etwas verändert werden kann. Notwendig dafür sind, seiner Ansicht nach, ein Expertenwissen sowie eine praktische Einsicht (ebd.). Das theoretische Wissen hingegen gilt für notwendige Sachverhalte und impliziert dabei ein Wissen, welches auf Beweisen beruht sowie ein Wissen über Beweisprinzipien. Ein solches Wissen liegt dann vor, wenn der Sachverhalt, um den es geht, sowohl in seiner Funktion erklärt als auch seine Notwendigkeit begründet werden kann (ebd.). Die Unterscheidung von theoretischem und praktischem Wissen lässt sich auch in vielen anderen Wissensarten wiederfinden und könnte demnach eine gute Grundlage sein, um bestimmte feststehende Wissensarten oder Formen des Wissens zu kategorisieren. Übergeordnet kann jedoch zunächst der Begriff Wissen rein grammatikalisch sowohl als Subjekt als auch als Verb betrachtet werden. In letzterem Fall wird er häufig mit einem Fragesatz verknüpft und man spricht hierbei von sogenanntem interrogativem Wissen (Bsp.: »Peter weiß, wann sein Sohn Gitarrenunterricht hat.«) (Brendel 2013:
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Zur näheren Erläuterung dieser und weiterer analytischer Wissenskonzeptionen siehe zum Beispiel Baumann 2015 oder Ernst 2017. Aufgrund der Vielfalt der Wissensformen, die in diesem Kapitel thematisiert werden, wird für eine bessere Übersicht jede neu eingeführte Wissensform bei der ersten Nennung durch einen Fettdruck hervorgehoben
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14). Wissen unterscheidet sich jedoch auf zahlreiche Weise je nach Kontext der Betrachtung. In der Theorie am häufigsten Verwendung findet der Begriff des sogenannten propositionalen Wissens oder des Wissens, dass. In diesem Fall ist Wissen immer auf einen propositionalen Gehalt bezogen und wird meist durch einen Aussagesatz formuliert (Grundmann 2008: 72). Propositionen haben in diesem Kontext drei zugeschriebene Merkmale. Sie sind immer Träger eines Wahrheitsgehaltes (die Aussage ist wahr oder falsch), sie werden durch den Gegenstand ihrer Betrachtung wahr gemacht und durch die Spezifität des betrachteten Gegenstandes werden sie zu individuellen Propositionen (ebd.). Betrachtet man beispielsweise erneut den Satz »Peter weiß, dass die Erde rund ist«, so sind dort alle drei genannten Merkmale enthalten. Der Satz trägt einen Wahrheitsgehalt, da die Aussage der Wahrheit entspricht, der Gegenstand der Betrachtung (in diesem Fall die Rundheit der Erde) macht ihn wahr und es liegt eine individuelle Proposition vor, da sich der Satz nur auf den Gegenstand der Erde bezieht. Somit handelt es sich bei diesem Beispiel eindeutig um propositionales Wissen. Allgemein hin wird das propositionale Wissen als die grundlegende Wissensform der Erkenntnistheorie angesehen (ebd.: 85).
3.2.1 Semantische Wissensarten Doch darüber hinaus lassen sich weitere Wissensformen charakterisieren, die im Zusammenhang mit propositionalem Wissen stehen. Hier ist zunächst das Wissen durch Bekanntschaft zu nennen. Dabei steht ein Wissensverhältnis zwischen einem Subjekt und einem Gegenstand oder einer Person im Vordergrund. (Bsp.: »Peter kennt Schiller«). In diesem Fall wird nicht das Wissen selbst thematisiert, sondern der Gegenstand des Wissens steht im Fokus (Grundmann 2008: 72). Wenn beispielsweise Peter alle Werke und sämtliche Informationen von und über Friedrich Schiller gelesen hat, so mag er als Kenner Schillers bezeichnet werden, persönlich kennen tut er ihn jedoch nicht. Hieran zeigt sich, dass die Art des propositionalen Wissens entscheidend ist. Erlangt man propositionales Wissen durch das Lesen von Informationen, führt dies nicht notwendigerweise zu einem Wissen durch Bekanntschaft. Es kann jedoch durchaus als eine hinreichende Bedingung dafür gesehen werden (Grundmann 2008: 73). Ähnliches gilt für die Form des Wissens, wie es ist. Dieses bezieht sich auf phänomenales Wissen, welches auf persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen beruht (Bsp. »Peter weiß, wie es ist, Auto zu fahren.«) Ein solches Wissen kann nur dadurch erlangt werden, eine bestimmte Erfahrung schon persönlich gemacht zu haben. Ohne jemals Auto gefahren zu sein, kann Peter nicht wissen, wies es ist, Auto zu fahren. Wenn er jedoch Auto gefahren ist, hat er somit ein neues propositionales Wissen erworben, das es ihm ermöglicht, diese Aussage zu treffen. In diesem Beispiel wird Wissen somit aus einem phänomenalen Ereignis heraus erfahren (ebd.: 76). Die letzte Wissensform in diesem Kontext wird als Wissen-wie oder auch praktisches Wissen bezeichnet (Bsp.: »Peter weiß, wie man Fahrrad fährt.«) (Brendel 2013: 14). Wissen in dieser Form kann nur dann gegeben sein, wenn intentionale Handlungen (praktisches Können) vorliegen. Peter weiß demnach, wie man Fahrrad fährt, wenn er erfolgreich Fahrrad fahren kann und dies willentlich tut und gleichzeitig körperlich dazu in der Lage ist. Auch hier liegt somit zwar propositionales Wissen über das Fahrradfahren vor, es ist jedoch nicht notwendig. Beispielsweise kann ein Mutter-
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14). Wissen unterscheidet sich jedoch auf zahlreiche Weise je nach Kontext der Betrachtung. In der Theorie am häufigsten Verwendung findet der Begriff des sogenannten propositionalen Wissens oder des Wissens, dass. In diesem Fall ist Wissen immer auf einen propositionalen Gehalt bezogen und wird meist durch einen Aussagesatz formuliert (Grundmann 2008: 72). Propositionen haben in diesem Kontext drei zugeschriebene Merkmale. Sie sind immer Träger eines Wahrheitsgehaltes (die Aussage ist wahr oder falsch), sie werden durch den Gegenstand ihrer Betrachtung wahr gemacht und durch die Spezifität des betrachteten Gegenstandes werden sie zu individuellen Propositionen (ebd.). Betrachtet man beispielsweise erneut den Satz »Peter weiß, dass die Erde rund ist«, so sind dort alle drei genannten Merkmale enthalten. Der Satz trägt einen Wahrheitsgehalt, da die Aussage der Wahrheit entspricht, der Gegenstand der Betrachtung (in diesem Fall die Rundheit der Erde) macht ihn wahr und es liegt eine individuelle Proposition vor, da sich der Satz nur auf den Gegenstand der Erde bezieht. Somit handelt es sich bei diesem Beispiel eindeutig um propositionales Wissen. Allgemein hin wird das propositionale Wissen als die grundlegende Wissensform der Erkenntnistheorie angesehen (ebd.: 85).
3.2.1 Semantische Wissensarten Doch darüber hinaus lassen sich weitere Wissensformen charakterisieren, die im Zusammenhang mit propositionalem Wissen stehen. Hier ist zunächst das Wissen durch Bekanntschaft zu nennen. Dabei steht ein Wissensverhältnis zwischen einem Subjekt und einem Gegenstand oder einer Person im Vordergrund. (Bsp.: »Peter kennt Schiller«). In diesem Fall wird nicht das Wissen selbst thematisiert, sondern der Gegenstand des Wissens steht im Fokus (Grundmann 2008: 72). Wenn beispielsweise Peter alle Werke und sämtliche Informationen von und über Friedrich Schiller gelesen hat, so mag er als Kenner Schillers bezeichnet werden, persönlich kennen tut er ihn jedoch nicht. Hieran zeigt sich, dass die Art des propositionalen Wissens entscheidend ist. Erlangt man propositionales Wissen durch das Lesen von Informationen, führt dies nicht notwendigerweise zu einem Wissen durch Bekanntschaft. Es kann jedoch durchaus als eine hinreichende Bedingung dafür gesehen werden (Grundmann 2008: 73). Ähnliches gilt für die Form des Wissens, wie es ist. Dieses bezieht sich auf phänomenales Wissen, welches auf persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen beruht (Bsp. »Peter weiß, wie es ist, Auto zu fahren.«) Ein solches Wissen kann nur dadurch erlangt werden, eine bestimmte Erfahrung schon persönlich gemacht zu haben. Ohne jemals Auto gefahren zu sein, kann Peter nicht wissen, wies es ist, Auto zu fahren. Wenn er jedoch Auto gefahren ist, hat er somit ein neues propositionales Wissen erworben, das es ihm ermöglicht, diese Aussage zu treffen. In diesem Beispiel wird Wissen somit aus einem phänomenalen Ereignis heraus erfahren (ebd.: 76). Die letzte Wissensform in diesem Kontext wird als Wissen-wie oder auch praktisches Wissen bezeichnet (Bsp.: »Peter weiß, wie man Fahrrad fährt.«) (Brendel 2013: 14). Wissen in dieser Form kann nur dann gegeben sein, wenn intentionale Handlungen (praktisches Können) vorliegen. Peter weiß demnach, wie man Fahrrad fährt, wenn er erfolgreich Fahrrad fahren kann und dies willentlich tut und gleichzeitig körperlich dazu in der Lage ist. Auch hier liegt somit zwar propositionales Wissen über das Fahrradfahren vor, es ist jedoch nicht notwendig. Beispielsweise kann ein Mutter-
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sprachler die deutsche Sprache sprechen, ohne Kenntnisse über deren Grammatik zu besitzen. Propositionales Wissen ist demnach für alle hier aufgeführten Wissensarten zwar eine hinreichende Bedingung, jedoch nicht immer auch notwendig. Dabei wird die Existenz von nicht-propositionalem Wissen seit jeher in der Forschung stark diskutiert, ohne dabei zu einem einheitlichen Ergebnis gekommen zu sein. Es ist allerdings, wie hier aufgezeigt, möglich, alle diese Wissensformen auf ein propositionales Wissen zu reduzieren, was die gesonderte Stellung dieser Wissensform bei den Erkenntnistheoretiker*innen erklärt. An dieser Stelle zeigt sich jedoch auch, dass eine Handlung ohne das Vorhandensein eines propositionalen Wissens, ungeachtet der Art des Erwerbs, in den meisten Fällen nicht möglich zu sein scheint. Diese Erkenntnis ist insbesondere auch für die Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen Wissen und Handeln im späteren Verlauf der Arbeit von besonderer Bedeutung. Die hier beschriebenen Wissensarten beziehen sich alle auf die semantische, also die reine Bedeutungsebene des Wissensbegriffs. Übergeordnet könnte hier folglich von semantischen Wissensarten gesprochen werden. Darunter fällt auch die Wissensartenkategorisierung von Hasler-Roumois, welche die Wissensarten know-that, know-about, know-how, know-why sowie know-what-to-do differenziert (Hasler-Roumois 2007: 53). Die erste Wissensart (Wissen, dass etwas ist) ist abzugrenzen von der zu Beginn des Kapitels bereits eingeführten Wissensart des Wissen, dass, da letztere sich nur auf propositionales Wissen bezieht. Das propositionale Wissen ist jedoch im vorliegenden Fall nur ein Teilwissen des know-that. Weitere Teilwissensarten, die unter diese Oberart fallen, sind deklaratives Wissen, Weltwissen, Faktenwissen, Sachwissen, Allgemeinwissen, Regelwissen sowie Theoriewissen. Diese Teilbereiche werden im Wissensmanagement auch als Inhaltswissen zusammengefasst. Dieses Wissen wird durch kognitive Lernprozesse erworben und ist leicht zu explizieren (ebd.: 52f.). Die Wissensart know-about (Wissen über/von etwas) beinhaltet narratives Wissen, Ereigniswissen, Erlebniswissen sowie raumzeitliches Lokalisierungswissen und wird über Erzählungen und Erlebnisse erworben, was ebenfalls zu einer guten Explizierbarkeit führt. Diese Form des Wissens lässt sich teilweise ebenfalls zum Inhaltswissen zählen, da auch hier kognitive Prozesse eine Rolle spielen. Allerdings könnte sie ebenso gut unter die zweite Oberart des Handlungswissens fallen, da Erlebnisse auch immer eine Handlung darstellen. Unter Handlungswissen fallen die drei weiteren genannten Wissensarten (know-how, knowwhy, know-what-to-do). Know-How (Wissen, wie etwas zu tun ist) umfasst dabei prozedurales Wissen, Handlungswissen, Erfahrungswissen, Anwendungswissen sowie alle Formen von praktischem Wissen. Es wird vornehmlich durch Handlungen oder Kommunikation erworben und ist daher schwer zu explizieren (ebd.). Know-Why (Wissen, warum etwas so ist) beinhaltet Reflexionswissen, Metawissen sowie explizites und generatives Wissen und wird hauptsächlich über kognitive Prozesse wie Reflexion von Handlung oder durch kommunikative Prozesse erworben und ist daher wieder explizierbar (ebd.) Die letzte genannte Wissensart know-what-to-do (Wissen, was zu tun ist) umfasst strategischesund Entscheidungswissen auf der einen und Methoden- und Expertenwissen auf der anderen Seite. Beim Erwerb spielen hier insbesondere komplexe Entscheidungs- und Problemlösungsprozesse eine tragende Rolle, sodass diese Wissensart nur schwer ex-
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plizierbar ist (ebd.). An dieser Stelle sei erwähnt, dass die vielen hier aufgezählten Unterarten des Wissens nicht näher erläutert werden, da ihre Definition bereits im Begriff selbst enthalten ist und daher eine spezifizierte Erläuterung als nicht notwendig angesehen wird. Zudem werden sie teilweise im späteren Verlauf im Kontext einer anderen Wissensform erneut aufgegriffen. Hetherington kategorisiert Arten von Wissen ebenfalls im Hinblick auf die Semantik. Für ihn lassen sich zwei übergeordnete Wissensarten klassifizieren: KnowingThat (gleichzusetzen mit dem bereits genannten Inhaltswissen) und Knowing-How (gleichzusetzen mit der Form des Handlungswissens). In diesem Fall fallen unter die erste Kategorie das Knowing-That das Wissen, wer oder was etwas ist, das Kennen einer Person, eines Ortes oder eines Themas, das Wissen, wann etwas ist sowie das Wissen, warum etwas ist und das Wissen, zu Wissen wie etwas ist (Hetherington 2019: 30f.). Knowing-How bezieht sich in diesem Fall wie auch schon bei Hasler-Roumois auf Wissen, welches durch Handlung und Erfahrung erworben wird. Allerdings taucht hierbei erneut wie schon bei Brendel die Überlegung auf, dass beide Wissensarten sowohl getrennt voneinander als auch in Abhängigkeit zueinander in Erscheinung treten können. Doch auch hier wird keine eindeutige Antwort gegeben (ebd.: 32f.). Resümierend scheint es so, dass die beiden übergeordneten Wissensformen Inhaltswissen (oder KnowingThat) und Handlungswissen (oder Knowing-How) mit all ihren verschiedenen Unterarten des Wissens als feststehende und allgemein anerkannte Wissensarten betrachtet werden können und sollten. Sie bilden somit die Basisformen der hier aufgeführten semantischen Wissensarten. Eine weitere übergeordnete Kategorisierung der hier als semantische Wissensarten bezeichneten Formen kann zwischen den Begrifflichkeiten deklaratives und prozedurales Wissen getroffen werden. Deklaratives Wissen beschreibt das reine Wissen über Sachverhalte und ist somit explizit (Ossner 2008: 32). Es ähnelt demnach in seinen Grundzügen dem Inhaltswissen. Dabei kann es sowohl schriftlich repräsentiert als auch mental gespeichert sein. Prozedurales Wissen hingegen definiert sich als praktisches Wissen sowie die Fähigkeit des erfolgreichen Handelns und ist anders als das deklarative Wissen nicht zwingend an sprachliche Repräsentationen gebunden, sondern kann eben auch rein prozessbasiert erworben werden. Hierbei handelt es sich entsprechend um implizites Wissen. So wird beispielsweise Rad fahren nicht aufgrund von rein deklarativem Wissen erlernt, sondern durch Einüben von praktischen Abläufen. Das dahinter steckende Wissen kann kommunikativ als Hilfestellung dienen, ist jedoch nicht zwangsläufig notwendig (Konerding 2015: 61f.). Somit handelt es sich in diesem Fall nicht um ein »Wissen über Fertigkeiten, sondern das Beherrschen von Fähigkeiten« (Ossner 2008: 32). Doch wie lässt sich ein solches Wissen dann ohne Explikation zuschreiben? Ernst (2007) führt diesbezüglich das Geben von Beispielen als Lösungsvorschlag an. So kann derjenige, der Fahrrad fährt, praktisch zeigen, wie man am besten Fahrrad fahren kann bzw. welche Bewegungen notwendig sind. Genauso gut kann er dies jedoch auch durch reine Kommunikation und mündlich erzählte Beispiele tun. Ein explizites Wissen ist in dem Fall nicht notwendig, es kann jedoch durch das Geben der Beispiele ein implizites Wissen zugeschrieben werden (Ernst 2007: 47). Ossner unterscheidet abseits dessen noch die Begrifflichkeiten Problemlösungswissen und metakognitives Wissen. Ersteres beschreibt das Wissen über Lösungen zur Bewältigung von Strategien oder Pro-
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blemen und siedelt sich zwischen dem theoretischen deklarativen und dem praktischen prozeduralen Wissen an. Das metakognitive Wissen hingegen wird als oberste Wissensstufe betrachtet und definiert sich als Wissen über die Reflexion eigener Handlungen bzw. das Bewusstsein über eine Handlung und ihre Folgen (Ossner 2008: 32). Es umfasst alle anderen Wissensarten, denn diese werden vorausgesetzt, um eigene Handlungen reflektieren zu können und ein Bewusstsein zu schaffen und es kann dadurch als explizit charakterisiert werden (ebd.). Die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen scheint für die grundsätzliche Klassifizierung von Wissensarten eine übergeordnete Rolle zu spielen und soll daher noch einmal näher betrachtet werden. Implizites Wissen ist all jenes Wissen, welches ein Individuum aufgrund von persönlichen Erfahrungen, Geschichten und Tätigkeiten in seinem Kopf gespeichert hat. Je nach Entstehungsart des Wissens herrschen verschiedene Formen von implizitem Wissen mit unterschiedlichen Merkmalen vor (Hasler-Roumois 2007: 47). Das bewusste Wissen umfasst implizites Wissen, welches bewusst und mit Aufmerksamkeit erlernt wurde. Es ist kognitiv abrufbar und kann daher in bestimmten Fällen wie beispielsweise in Prüfungen oder für Erklärungen abgerufen und dadurch explizit werden (ebd.: 48). Das latente Wissen umfasst alles nicht bewusst vorhandene implizite Wissen, was begleitend mitgelernt wurde und daher bei Reaktivierung bestimmter Situationen potenziell abrufbar ist wie beispielsweise Verhaltensregeln im Verlauf der Erziehung (ebd.). Die letzte Form impliziten Wissens ist das stille Wissen. Dieses Wissen ist nur unbewusst vorhanden und wird nur über Erfahrungen, Fertigkeiten und Erlebnisse gesammelt. Darunter fallen insbesondere auch Wert- und Glaubensvorstellungen sowie bestimmte Denkmuster. Dieses Wissen wird immer als gegeben betrachtet und kann in den meisten Fällen nicht erklärt werden (ebd.: 49). An dieser Stelle sei erwähnt, dass alle diese Formen impliziten Wissens fließende Übergänge aufweisen und daher nicht trennscharf unterschieden werden können. Implizites Wissen ist immer kontextabhängig und nur schwer zu vermitteln. Grundlegend lässt sich daher anführen, dass alles das als implizites Wissen bezeichnet werden kann, was der Mensch zum Leben benötigt. Zu nennen sind hier Beobachtungswissen, Fertigkeiten, soziale Regeln, Einstellungen sowie Phantasie (ebd.). Explizites Wissen hingegen charakterisiert sich dadurch, dass es immer abrufbar, also bewusst und explizierbar ist. Es wird durch eine bestimmte Form wie beispielsweise der Sprache repräsentiert und kann daher im Gegensatz zum impliziten Wissen nicht nur kognitiv, sondern auch materiell abgespeichert werden (z.B. auf Papier oder Computer) (ebd.: 50).
3.2.2 Dimensionale Wissensarten Neben der semantischen Komponente lässt sich Wissen auch nach seinen Dimensionen klassifizieren. In der Wissenschaftstheorie werden hier vier Dimensionen unterschieden. Die Wissensdimension I ist das Formspektrum des Wissens. Hierunter fällt nicht etwa die grammatische Form von Aussagen, sondern vielmehr die logische Form von Wissen, sprich die Logik einer Aussage. Dazu zählen Merkmale wie die Genauigkeit einer Aussage oder die Stimmigkeit oder Stringenz einer Wissensäußerung. Grundlegend wird hier daher zwischen allgemeingültigen Aussagen bzw. Wissen (z.B. Theorien) und besonderen Aussagen bzw. Einzelfallwissen (z.B. Protokolle) unterschieden (Weber et al.
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blemen und siedelt sich zwischen dem theoretischen deklarativen und dem praktischen prozeduralen Wissen an. Das metakognitive Wissen hingegen wird als oberste Wissensstufe betrachtet und definiert sich als Wissen über die Reflexion eigener Handlungen bzw. das Bewusstsein über eine Handlung und ihre Folgen (Ossner 2008: 32). Es umfasst alle anderen Wissensarten, denn diese werden vorausgesetzt, um eigene Handlungen reflektieren zu können und ein Bewusstsein zu schaffen und es kann dadurch als explizit charakterisiert werden (ebd.). Die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen scheint für die grundsätzliche Klassifizierung von Wissensarten eine übergeordnete Rolle zu spielen und soll daher noch einmal näher betrachtet werden. Implizites Wissen ist all jenes Wissen, welches ein Individuum aufgrund von persönlichen Erfahrungen, Geschichten und Tätigkeiten in seinem Kopf gespeichert hat. Je nach Entstehungsart des Wissens herrschen verschiedene Formen von implizitem Wissen mit unterschiedlichen Merkmalen vor (Hasler-Roumois 2007: 47). Das bewusste Wissen umfasst implizites Wissen, welches bewusst und mit Aufmerksamkeit erlernt wurde. Es ist kognitiv abrufbar und kann daher in bestimmten Fällen wie beispielsweise in Prüfungen oder für Erklärungen abgerufen und dadurch explizit werden (ebd.: 48). Das latente Wissen umfasst alles nicht bewusst vorhandene implizite Wissen, was begleitend mitgelernt wurde und daher bei Reaktivierung bestimmter Situationen potenziell abrufbar ist wie beispielsweise Verhaltensregeln im Verlauf der Erziehung (ebd.). Die letzte Form impliziten Wissens ist das stille Wissen. Dieses Wissen ist nur unbewusst vorhanden und wird nur über Erfahrungen, Fertigkeiten und Erlebnisse gesammelt. Darunter fallen insbesondere auch Wert- und Glaubensvorstellungen sowie bestimmte Denkmuster. Dieses Wissen wird immer als gegeben betrachtet und kann in den meisten Fällen nicht erklärt werden (ebd.: 49). An dieser Stelle sei erwähnt, dass alle diese Formen impliziten Wissens fließende Übergänge aufweisen und daher nicht trennscharf unterschieden werden können. Implizites Wissen ist immer kontextabhängig und nur schwer zu vermitteln. Grundlegend lässt sich daher anführen, dass alles das als implizites Wissen bezeichnet werden kann, was der Mensch zum Leben benötigt. Zu nennen sind hier Beobachtungswissen, Fertigkeiten, soziale Regeln, Einstellungen sowie Phantasie (ebd.). Explizites Wissen hingegen charakterisiert sich dadurch, dass es immer abrufbar, also bewusst und explizierbar ist. Es wird durch eine bestimmte Form wie beispielsweise der Sprache repräsentiert und kann daher im Gegensatz zum impliziten Wissen nicht nur kognitiv, sondern auch materiell abgespeichert werden (z.B. auf Papier oder Computer) (ebd.: 50).
3.2.2 Dimensionale Wissensarten Neben der semantischen Komponente lässt sich Wissen auch nach seinen Dimensionen klassifizieren. In der Wissenschaftstheorie werden hier vier Dimensionen unterschieden. Die Wissensdimension I ist das Formspektrum des Wissens. Hierunter fällt nicht etwa die grammatische Form von Aussagen, sondern vielmehr die logische Form von Wissen, sprich die Logik einer Aussage. Dazu zählen Merkmale wie die Genauigkeit einer Aussage oder die Stimmigkeit oder Stringenz einer Wissensäußerung. Grundlegend wird hier daher zwischen allgemeingültigen Aussagen bzw. Wissen (z.B. Theorien) und besonderen Aussagen bzw. Einzelfallwissen (z.B. Protokolle) unterschieden (Weber et al.
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2002: 18f.). Die zweite Wissensdimension umfasst das Inhaltsspektrum des Wissens. Hierunter fallen alle inhaltsbezogenen Merkmale wie Realitätsbezug, Informationsgehalt, Exaktheit oder Vollständigkeit. Durch diese Merkmale kann zwischen inhaltslosem, leerem Wissen wie beispielsweise in Werbungen und inhaltsvollem, bestimmtem Wissen bei beispielsweise Nachrichten oder wissenschaftlichen Aussagen differenziert werden (ebd.: 19f.). Die dritte Wissensdimension des Ausdrucksspektrums des Wissens befasst sich mit der Repräsentation des Wissens. Hierzu zählen die Merkmale Ausgesprochenheit, Ausformuliertheit sowie Explizitheit und Visualisierung. In diese Dimension des Wissens fallen entweder unbewusstes Wissen wie der Gebrauch der Muttersprache oder aber artikulierbares Wissen wie die Grammatik einer Fremdsprache (ebd.). Die letzte Wissensdimension des Geltungsspektrums des Wissens befasst sich mit der Güte von Wissen. Zu nennende Merkmale sind hier Wahrheitsgehalt, Wahrscheinlichkeit sowie Sicherheit. Anders als die vorangegangenen Merkmale der anderen Dimensionen, sind diese oftmals subjektiv und daher nicht immer eindeutig zuzuordnen. Zu dieser Dimension zählen Wissensaussagen ohne Geltungsanspruch wie zum Beispiel Dogmen und Wissensaussagen mit Geltungsanspruch wie beispielsweise wissenschaftliche Hypothesen (ebd.: 22). Eine andere Einteilung dimensionaler Wissensarten unterscheidet lediglich drei Dimensionen: Natur, Verfügbarkeit und Wert (North 2011: 44ff.). Die Definitionen und Merkmale dieser Dimensionen decken sich jedoch größtenteils mit den hier beschriebenen und werden daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft. Eine etwas allgemeinere Variante unterteilt Wissen in zwei übergeordnete Dimensionen, unter denen dann kleinschrittigere Wissensdifferenzierungen eingeordnet werden können. Die beiden Dimensionen, die hier gewählt werden, sind das Informationswissen sowie das bereits erwähnte Handlungswissen (Brandl 2013: 8). Informationswissen wird hierbei verstanden als einzeln vorhandenes Wissen, welches in seiner bestehenden Form ohne Veränderung weitergegeben werden kann. Es ist dabei kontextunabhängig und wird als Grundlage für den Aufbau von Handlungswissen betrachtet. Ein weiteres Merkmal dieser Wissensart ist das der Beweisbarkeit. Demnach liegt Informationswissen dann vor, wenn es besitzbar und gleichzeitig nachweisbar ist (ebd.). Die Dimension des Handlungswissens hingegen lässt sich eher in Bedeutungszusammenhängen wiederfinden. Ein solches Wissen ist durch den Zusammenschluss verschiedener Bedeutungen als konstruiert zu charakterisieren und kann dementsprechend immer nur in einen spezifischen Kontext eingebettet betrachtet werden. Ein weiteres zentrales Merkmal von Wissen dieser Dimension ist, dass es, wie der Name schon sagt, zum Handeln führt. Es ist also ein Wissen, welches Informationswissen in Handlungsweisen überführt und da es konstruiert ist, lässt es sich auch nur dadurch zeigen, dass es in einem bestimmten Kontext seine Anwendung findet (ebd.). Diese Unterteilung ist sehr grob gehalten und umfasst dadurch beinahe alle möglichen Wissensarten. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt des Wissensbegriffs, ist eine solch zweidimensionale Unterteilung jedoch eher zu weit gefasst und wird ihm daher nicht vollständig gerecht, wie sich auch in den nachfolgenden Teilkapiteln zeigen wird.
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3.2.3 Dichotomische Wissensarten Eine andere weit verbreitete Klassifizierung von Wissensarten erfolgt über das Aufstellen von dichotomen Paaren von Wissensarten. So werden hier Wissensarten bezüglich ihrer Merkmale einander gegenübergestellt. Diese Merkmale sind oftmals gegensätzlich, sodass die hier im Folgenden beschriebenen Wissensarten als dichotomische Wissensarten benannt werden können. Tabelle 5 zeigt exemplarisch verschiedene dichotomische Wissenspaare.
Tabelle 5: Dichotome Wissenspaare praktisches Wissen
theoretisches Wissen
privates Wissen
öffentliches Wissen
verbotenes Wissen
legitimes Wissen
niederes Wissen
höheres Wissen
freies Wissen
zweckdienliches Wissen
spezialisiertes Wissen
Universalwissen
mechanisches Wissen
organisches Wissen
abstraktes Wissen
konkretes Wissen
aktuelles Wissen
zukünftiges Wissen
Eigene Darstellung nach (Burke 2000: 103ff.) & (Wagner 2000: 91)
Es fällt auf, dass in dieser Gegenüberstellung der Begriff des Wissens immer mit einer Eigenschaft kombiniert wird, welche die Art des Wissens näher spezifiziert. Diese Eigenschaften sind jedoch äußerst allgemein gehalten, sodass das Spektrum des Wissens wie beispielsweise des Universalwissens extrem groß sein kann. Darüber hinaus erscheint es subjektiv, bestimmtes Wissen in diese Wissenspaare einzuordnen. Ein*e Forscher*in würde vielleicht ein bestimmtes Wissen aus seiner/ihrer Disziplin durchaus als universell beschreiben, wohingegen eine fachfremde Person von einem spezialisierten Wissen sprechen würde. Auch hier liegt demnach keine klare Wissensdefinition der verschiedenen Wissensbegriffe vor.
3.2.3 Kontextbasierte Wissensarten Ein letzter Ansatz differenziert verschiedene Wissensarten nach ihrem jeweiligen Kontext. Denn je nach Situation, Thema sowie auch dem Untersuchungsraum selbst, ergeben sich unterschiedliche Kontexte, die darüber entscheiden, welche Art von Wissen als solche definiert beziehungsweise als relevant erachtet wird (Meusburger 1998: 60). Hierunter fällt beispielsweise die Unterscheidung in Fachwissen, Bildungswissen und Erlösungswissen. Ersteres bezieht sich auf das Faktenwissen aus einer bestimmten Disziplin oder einem bestimmten Thema. Zweiteres meint all jene Wissensbestände, die die
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3.2.3 Dichotomische Wissensarten Eine andere weit verbreitete Klassifizierung von Wissensarten erfolgt über das Aufstellen von dichotomen Paaren von Wissensarten. So werden hier Wissensarten bezüglich ihrer Merkmale einander gegenübergestellt. Diese Merkmale sind oftmals gegensätzlich, sodass die hier im Folgenden beschriebenen Wissensarten als dichotomische Wissensarten benannt werden können. Tabelle 5 zeigt exemplarisch verschiedene dichotomische Wissenspaare.
Tabelle 5: Dichotome Wissenspaare praktisches Wissen
theoretisches Wissen
privates Wissen
öffentliches Wissen
verbotenes Wissen
legitimes Wissen
niederes Wissen
höheres Wissen
freies Wissen
zweckdienliches Wissen
spezialisiertes Wissen
Universalwissen
mechanisches Wissen
organisches Wissen
abstraktes Wissen
konkretes Wissen
aktuelles Wissen
zukünftiges Wissen
Eigene Darstellung nach (Burke 2000: 103ff.) & (Wagner 2000: 91)
Es fällt auf, dass in dieser Gegenüberstellung der Begriff des Wissens immer mit einer Eigenschaft kombiniert wird, welche die Art des Wissens näher spezifiziert. Diese Eigenschaften sind jedoch äußerst allgemein gehalten, sodass das Spektrum des Wissens wie beispielsweise des Universalwissens extrem groß sein kann. Darüber hinaus erscheint es subjektiv, bestimmtes Wissen in diese Wissenspaare einzuordnen. Ein*e Forscher*in würde vielleicht ein bestimmtes Wissen aus seiner/ihrer Disziplin durchaus als universell beschreiben, wohingegen eine fachfremde Person von einem spezialisierten Wissen sprechen würde. Auch hier liegt demnach keine klare Wissensdefinition der verschiedenen Wissensbegriffe vor.
3.2.3 Kontextbasierte Wissensarten Ein letzter Ansatz differenziert verschiedene Wissensarten nach ihrem jeweiligen Kontext. Denn je nach Situation, Thema sowie auch dem Untersuchungsraum selbst, ergeben sich unterschiedliche Kontexte, die darüber entscheiden, welche Art von Wissen als solche definiert beziehungsweise als relevant erachtet wird (Meusburger 1998: 60). Hierunter fällt beispielsweise die Unterscheidung in Fachwissen, Bildungswissen und Erlösungswissen. Ersteres bezieht sich auf das Faktenwissen aus einer bestimmten Disziplin oder einem bestimmten Thema. Zweiteres meint all jene Wissensbestände, die die
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Persönlichkeit formen und somit einen bildenden Charakter besitzen. Unter Erlösungswissen versteht sich ein theologisch ausgerichtetes Wissen, welches die Ideologie oder Spiritualität eines Individuums widerspiegelt (Meusburger 1998: 60). Diese kontextabhängige Unterscheidung von Wissen ist noch sehr allgemein gehalten und bedarf einer inhaltlichen Vertiefung. So lassen sich kontextbezogen folgende weitere Wissensarten differenzieren (ebd.: 21f.): • • • • •
praktisches Wissen (notwendig für Entscheidungen und Alltagshandlungen) intellektuelles Wissen (im Kontext von Bildung und kulturellem Lernen) Alltagswissen (relevant im alltäglichen Austausch und für emotionale Bedürfnisse) spirituelles Wissen (religiöse Wissensbestände) unerwünschtes Wissen (wird zufällig erworben ohne konkretes Ziel)
Bei dieser Wissensunterteilung wird jeder Wissensart ein bestimmter Kontext zugewiesen, in welchem das beschriebene Wissen eine Gültigkeit besitzt. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass für eine kontextbezogene Differenzierung von Wissensarten gelten sollte, dass bestimmte Wissensarten andere Arten nicht abwerten oder ausschließen. Die Unterscheidung von Wissensarten je nach Kontext und demnach auch der Betrachtungsebene sollte nur dann getroffen werden, wenn keine Wertigkeit zwischen den verschiedenen Arten vorliegt (Meusburger 1998: 60). Diese Sichtweise muss für alle in diesem Kapitel aufgeführten Wissensarten gelten, denn eine objektive Einteilung von Wissensarten nach ihrer Wertigkeit kann und sollte es nach Ansicht des Autors niemals geben. Insgesamt betrachtet erscheint die Einteilung unterschiedlicher Wissensarten nach ihrem Kontext am sinnvollsten, da sie sowohl alle möglichen Wissensarten berücksichtigt als auch keine Wertigkeit oder Abstufung von unterschiedlichen Wissensbeständen vornimmt. Wissen wird hier je nach dem Kontext, in welchem es auftaucht oder angewendet wird, unterschieden. Somit lassen sich durch eine solche Unterteilung beinahe alle möglichen Wissensarten erfassen und benennen. Darüber hinaus ließen sich in diesem Zusammenhang weitere übergeordnete Wissensarten formulieren, die in einen bestimmten Kontext eingebettet werden, sodass eine solche, zugegeben modellhafte, Unterteilung von Wissensarten theoretisch unendlich erweiterbar wäre. An dieser Stelle muss jedoch konstatiert werden, dass auch eine solche Unterteilung niemals den Anspruch der Vollständigkeit begründen kann. Da dies jedoch keinem der zahlreichen Autor*innen aus den verschiedensten Forschungsdisziplinen in den letzten Jahrzehnten respektive Jahrhunderten gelungen ist, kann und wird auch die vorliegende Arbeit nicht eine solch allumfassende Unterteilung von Wissensarten als Ziel haben. Gabriel hebt diesbezüglich hervor, dass das Erfassen aller Wissensformen und damit einhergehend das Aufstellen eines unendlichen Wissenssystems unmöglich ist (Gabriel 2013: 6). Vielmehr erscheint es hilfreich, sich in einem multiperspektivischen und holistischen Sinne mit dem Begriff des Wissens sowie seinen Formen und Arten zu beschäftigen, um so alle Sichtweisen einbeziehen zu können, die sich im Laufe der Zeit und durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wissensbegriff herauskristallisiert haben.
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3.3 Quellen des Wissens Neben der Frage nach dem Wesen des Wissens ist insbesondere die Frage nach der Herkunft des Wissens von zentraler Bedeutung. Wo kommt Wissen her? Welche Quellen hat Wissen und wie wird Wissen letztendlich produziert? Diese Fragen sollen in diesem Kapitel näher beleuchtet werden, denn sie können Aufschluss darüber geben, wie die Produktion von Wissen beeinflusst werden kann und welche Akteur*innen dabei eine Rolle spielen. Im Kontext eines relevanten geographischen Wissens für eine sozialökologische Transformation ist dies unabdingbar, denn die Quellen von Wissen bilden gleichzeitig die Grundlage für einen gelungenen Transfer von der Wissensproduktion hin zur Umsetzung und somit zum Handeln. Wenn es darum geht, wie Wissen erlangt wird oder auf welchen Ursachen das Vorhandensein von Wissen beruht, muss zunächst konstatiert werden, dass Quellen von Wissen sowohl unbewusster als auch bewusster Natur sein können. Es kann sich also bei Wissensquellen sowohl zum Beispiel um explizite Sinneswahrnehmungen als auch um unbewusste Prozesse oder Methoden handeln, die ein Wissen hervorbringen. Ganz allgemein formuliert lässt sich eine Wissensquelle definieren als »den allgemeinen Typ von Grund, auf den ein spezifisches Wissen (…) gestützt ist« (Grundmann 2017: 337). Ein solcher Ausgangsgrund wiederum lässt sich auf verschiedene Art und Weise klassifizieren. Dabei ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass es nie nur die eine Quelle von Wissen gibt. Gleiche Gegenstandsbereiche von Wissen können aus unterschiedlichen Quellen stammen. Wissensquellen sind somit in den meisten Fällen nicht als exklusiv zu verstehen (ebd.: 338). Die in der Wissenschaft gängige Einteilung gliedert Wissensquellen in Wahrnehmung, apriorisches Wissen, Introspektion sowie das Zeugnis anderer (Grundmann 2017: 337ff.; Baumann 2015: 225ff.; Grajner & Melchior 2019: 122ff.). Die Wissensquelle der Wahrnehmung ist dabei wörtlich zu verstehen. Eine Möglichkeit, Wissen zu erwerben, läuft über die sinnliche Wahrnehmung. Die wichtigste Rolle spielt dabei die visuelle Wahrnehmung, also das, was der Mensch um sich herum sieht und wahrnimmt. Aus dieser visuellen Wahrnehmung der Umwelt heraus kann Wissen entstehen (Grajner & Melchior 2019: 122). Wenn man also beispielsweise ein bestimmtes Ereignis sieht (z.B. Regen), dann entsteht dadurch die Überzeugung, dass das Wahrgenommene wahr ist. Somit hat man das Wissen über ein Ereignis erlangt und kann dieses Wissen formulieren (»Es regnet.«). Die sinnliche Wahrnehmung scheint demnach eine potenzielle Wissensquelle zu sein. Es lässt sich jedoch zurecht kritisieren, dass bei der Wahrnehmung auch eine Täuschung vorliegen kann und demnach kein echtes Wissen vorliegt. So wäre es möglich, dass es gar nicht regnet, sondern dass es sich dabei lediglich um eine Halluzination handelt, die im Gehirn abläuft. Oder aber es handelt sich dabei um eine Illusion und der Nachbar in der Wohnung darüber gießt seine Pflanzen und die Tropfen, die dabei am Fenster vorbei fallen, lassen den Eindruck entstehen, dass es regnet. Dieses vereinfachte Beispiel zeigt, dass die menschliche Wahrnehmung fehlbar und sogar manipulierbar ist (ebd.). Es lässt sich jedoch nicht abstreiten, dass durch sinnliche Wahrnehmung (sei es visuell oder aber auch auditiv etc.) Wissen entstehen kann und hierbei somit eine mögliche Quelle des Wissens vorliegt. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass ohne Wahrnehmung kein Wissen vorhanden sein kann. Denn selbst ein Wissen, was mit Sicherheit nicht auf Wahrneh-
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mung beruht, wie beispielsweise mathematisches Wissen, lässt sich ohne Wahrnehmung welcher Art auch immer, nicht erwerben (Baumann 2015: 262). Somit ist die Wahrnehmung neben ihrem Potenzial als Wissensquelle auch gleichzeitig eine Bedingung für den Wissenserwerb. Wie genau Wahrnehmung funktioniert und welche kognitiven Prozesse und äußeren Einflüsse dahinterstecken, soll hier nicht genauer thematisiert werden, da es für den weiteren Verlauf keine Rolle spielt. Es geht lediglich darum, aufzuzeigen, dass die Wahrnehmung als eine wesentliche Quelle von Wissen betrachtet werden muss. In welchem Umfang die Sinneswahrnehmung als Wissensquelle im Vergleich zu anderen Quellen fungiert, lässt sich nicht sagen. Radikale Empiristen halten sie für die alleinige Quelle des Wissens, schwache Empiristen sind der Ansicht, dass Wissen zwar von Wahrnehmung abhängig ist, jedoch nicht als alleinigem Einflussfaktor (Grundmann 2017: 344f.). Letztere Sichtweise erscheint auch im vorliegenden Kontext die sinnvollste Betrachtung zu sein. Durch sinnliche Wahrnehmungen werden gleichzeitig auch Erfahrungen gesammelt, welche dann als Wissen abgespeichert werden können. Ein solches Wissen wird auch empirisches Wissen genannt. Diese Art von Wissen ergibt sich nicht nur rein aus der Quelle der direkten Wahrnehmung, sondern es kann auch indirekt durch Erinnerung abgerufen werden. In jedem Fall ist Wahrnehmung eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein von empirischem Wissen (ebd.: 229). Es gibt jedoch auch Wissen, welches nicht auf Erfahrungen beruht. Für bestimmte Wissensbestände benötigen wir demnach keine Erfahrung. Dies wird als apriorisches Wissen bezeichnet (Baumann, 2015: 222). Exemplarisch kann hier mathematisches Wissen betrachtet werden. Um zu wissen, dass »2x2=4« benötigen wir keine Erfahrungen oder Wahrnehmungen. Dieses Wissen lässt sich durch einfaches Nachdenken beziehungsweise Rechnen im Kopf herstellen. In diesem Fall ist Wahrnehmung keine direkte Voraussetzung für apriorisches Wissen. Dies lässt den Schluss zu, dass Wissen immer entweder empirisch oder a priori ist und das Wissen demnach nicht beides zugleich sein kann (ebd.: 229). Allein aus diesem Grund muss zwischen diesen beiden Wissensquellen unterschieden werden. Wie genau das Zustandekommen apriorischen Wissens funktioniert, lässt sich ohne weiteres nicht erklären. Wie auch für den gesamten Gegenstand des Wissensbegriffs, gibt es auch hier verschiedene Ansätze, welche ihre Pro- und Kontraargumente vorbringen. Da die Quelle des apriorischen Wissens im Kontext dieser Arbeit jedoch kaum eine Rolle spielt, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen. Eine weitere Quelle von Wissen wird als Introspektion oder auch Selbstwissen bezeichnet. Darunter versteht man die Fähigkeit, Wissen über den eigenen geistigen Zustand zu erlangen, ohne dabei auf andere Quellen des Wissens zurückgreifen zu müssen (Grajner & Melchior 2019: 129). Dabei geht es nicht um Wissensbestände, die durch Erinnerung oder eine innere Wahrnehmung von sich selbst erlangt werden, sondern eher um ein Wissen über persönliche und gegenwärtige mentale Zustände. Wenn ich wissen möchte, was ich jetzt in diesem Moment denke, benötige ich dafür keine äußeren Einflussquellen. Außenstehende Personen hingegen, können ein solches Wissen nur über Aussagen meinerseits in Erfahrung bringen (Grundmann 2017: 386). Ich kann beispielsweise die Aussagen treffen: »Ich bin glücklich« oder »Ich habe Kopfschmerzen«. Dafür wird keine externe Wissensquelle benötigt und ebenso wenig ist ein Nachdenken und somit ein apriorisches Wissen vorhanden. Das Wissen über uns selbst, muss demnach
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als eigenständige Quelle des Wissens betrachtet werden. Es besitzt eine eigenständige Autorität gegenüber anderen Wissensquellen, denn es kann nicht ohne Einfluss meinerseits von anderen Personen erworben werden (ebd.). Ebenso wie die Quelle der Wahrnehmung kann jedoch auch diese Wissensquelle weder als unfehlbar noch als transparent charakterisiert werden. Denn auch eigene Wahrnehmungen über persönliche mentale Zustände können fehlbar sein und darüber hinaus wurde bereits durch Freud bewiesen, dass es unbewusste oder verdrängte Wünsche und Gedanken gibt, die sich nicht steuern lassen (ebd.: 388). Es lässt sich jedoch nicht abstreiten, dass wir einen persönlichen Zugriff auf ein Wissen über uns selbst haben, welches unmittelbar und ohne Beobachtungen abrufbar zu sein scheint. Die innere Wahrnehmung (Introspektion) scheint also eine weitere Quelle für Wissen zu sein. Wie genau dieser Prozess funktioniert, ist jedoch bis heute nicht erforscht und kann daher nicht abschließend erklärt werden (ebd.: 393). Darüber hinaus muss bedacht werden, dass ein solches introspektives Wissen überaus vielfältig sein kann, was seine Erfassbarkeit keinesfalls erleichtert. Das Spektrum geht dabei von körperlichen Empfindungen wie beispielsweise Schmerz über propositionale Einstellungen (z.B. ein Wunsch oder Hoffnungen) bis hin zu emotionalem Empfinden (z.B. Wut oder Freude) (Grajner & Melchior 2019: 129). Die vierte große Quelle des Wissens wird auch als das Zeugnis anderer bezeichnet. Insbesondere in der heutigen Zeit, wo Informationen und Wissen oftmals negativ mit Begriffen wie »Fake News« assoziiert werden, rückt die Quelle des Wissens als das Wissen von anderen vermehrt in den Mittelpunkt. Diese Wissensquelle scheint unerschöpflich zu sein, tritt sie doch in allen Lebensbereichen zutage. Seien es mündliche Äußerungen im allgemeinen, Augenzeugenberichte, überliefertes Wissen aus der Vergangenheit bis hin zu schriftlich fixiertem Wissen in jeglicher Form und durch jegliches Medium hindurch. Ein Großteil der gesamten Bildung eines Menschen beruht auf der Quelle des Wissens anderer (Grundmann 2017: 393f.). Dies gilt insbesondere für das in der Wissenschaft generierte Wissen. Eine einzelne Person kann keine wissenschaftlichen Überzeugungen rechtfertigen, ohne das Wissen anderer. Erst durch die Gemeinschaft kommt es zum Konsens über die Gültigkeit einer wissenschaftlichen Erkenntnis. Dieser Gemeinschaftsprozess wird auch als epistemische Arbeitsteilung bezeichnet (Ernst 2007: 171). Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass Wissensbestände aus der Quelle des wissenschaftlichen Wissens themenabhängig unterschiedlich zu bewerten sind. So ist eine Wettervorhersage beispielsweise bezüglich ihres Wahrheitsgehalts deutlich unsicherer als beispielsweise Aussagen über die quantitative Verbreitung eines Virus (Clar 1997: 15). Der Bereich der Wissenschaft wird innerhalb der Quelle des Wissens anderer wiederum oftmals als zentrale Wissensquelle betrachtet. So bilden Beobachtungen und das Überprüfen von aufgestellten Theorien und Hypothesen die Grundlage für die meisten der heutigen vorhandenen Wissensbestände. Allerdings scheint das aus dieser Quelle resultierende Wissen keinesfalls unantastbar zu sein. Es bildet lediglich den aktuellen Entwicklungsstand der Gesellschaft wieder. Wissenschaftliches Wissen wird stetig überarbeitet, erweitert, verworfen und neu produziert. Nur so lässt es sich erklären, dass Innovationen, die vor Jahrhunderten undenkbar waren, heute Realität geworden sind. Der ständige Wechsel von Beobachtung und Theoretisierung ermöglicht erst das Entstehen neuer Wissensbestände (Härtler 2014: 33f.)
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Insgesamt resultiert aus der Vielfalt der Quelle des Wissens anderer eine enorme Masse an unterschiedlichen Wissensbeständen sowohl auf wissenschaftlicher aber ebenso auf kultureller und gesellschaftlicher Ebene. Neu produziertes Wissen stützt sich in den meisten Fällen auf Wissensbestände Dritter und erweitert diese oder leitet daraus Erkenntnisse für die Produktion neuen Wissens ab. Würde man diese Wissensquelle außer Acht lassen, würde der Wissensstand eines jeden Menschen auf ein Minimum reduziert werden (Grundmann 2017: 394). Diese Wissensquelle kann demnach als die zentrale Quelle sowohl gesellschaftlicher als auch individueller Wissensbestände betrachtet werden. So ist es doch erst die Kombination verschiedener kognitiver Leistungen und Wissensbestände, die die Lösung von Problemen überhaupt möglich werden lässt (Grajner & Melchior 2019: 136). Erweiternd dazu ergeben sich aus dieser Wissensquelle eine Vielzahl an Möglichkeiten der Wissensaufnahme, -generierung sowie -weitergabe. Eine zentrale Quelle menschlichen Wissens scheint demnach sozialer Natur zu sein, denn sie stammt von anderen. Wenn man also den Wissensstand einer Person erfassen möchte, würde eine Betrachtung der einzelnen Person nicht ausreichen, da eben auch die Wissensbestände der anderen Personen, von denen das Wissen erworben wurde, dabei eine Rolle spielen (Baumann 2015: 281). Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass es sich nur dann um erworbenes Wissen handelt, wenn die Informationen anderer Personen für sich ebenfalls wahr und gerechtfertigt sind (ebd.: 282f.). Hier zeigt sich das große Problem dieser Wissensquelle. Denn der Wahrheitsgehalt des Wissens anderer lässt sich nicht ad hoc bei der Wissensaufnahme feststellen. Aus diesem Grund spielen Vertrauen und die Annahme, dass das erhaltene Wissen der Wahrheit entspricht, eine zentrale Bedeutung für diese Wissensquelle. Interessanterweise scheint insbesondere bei mündlichen Wissensweitergaben die Überprüfung des Wahrheitsgehalts nachrangig zu sein, sodass hier von einer »generellen Präsumtion zugunsten des Sprechers« gesprochen werden kann (ebd.: 283). Mündlich aufgenommenes Wissen wird in den meisten Fällen nicht hinterfragt, da oftmals Ressourcenprobleme wie Zeit- oder Geldmangel einer direkten kritischen Überprüfung des soeben erworbenen Wissens im Weg stehen (Grajner & Melchior 2019: 136). Dies führt gegenwärtig dazu, dass insbesondere Fragen nach den Grenzen dieser Wissensquelle und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, immer mehr in den Fokus der Forschung rücken. Beispielhaft für derartige Grenzfälle können hier Medienberichterstattung, Klatsch sowie Verschwörungstheorien genannt werden. Im Gegensatz zu den anderen Wissensquellen der Wahrnehmung sowie des apriorischen Wissens und Selbstwissens, ist die Quelle des Wissens anderer eher manipulierbar und läuft daher insbesondere in der heutigen Zeit Gefahr, missbraucht zu werden (ebd.). Dessen ungeachtet, bildet das Wissen anderer unbestritten eine zentrale Wissensquelle, der auch im Hinblick auf Wissensbestände im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation eine enorme Bedeutung zukommt. Clar et al. bringen noch einen weiteren Aspekt für die Quelle von Wissen ins Spiel. Neben dem wissenschaftlichen Wissen, also dem Wissen anderer, welches die Grundlage für das uns zur Verfügung stehende Wissen bildet, differenzieren sie darüber hinaus Wissensquellen für ein sogenanntes Orientierungswissen, also ein Wissen über Handlungsmaßstäbe und Moral (Clar 1997: 16). Hierbei werden drei Quellen unterschieden: Erstens genetisch verankerte und vererbte Verhaltensweisen als Ergeb-
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nis kultureller Wertvorstellungen (z.B. Inzesttabu), Zweitens Traditionsanpassungen, welche sich historisch langfristig entwickelt und durchgesetzt haben sowie Drittens gesellschaftliche Regeln, die bewusst für einen bestimmten Zweck definiert worden sind (z.B. Verfassungen) (ebd.). Wie genau diese Wissensquellen zustande kommen und ob sie nicht doch auch unter die Kategorien von Wahrnehmung, Selbstwissen oder dem Wissen anderer fallen, wird nicht näher spezifiziert.
Abbildung 16: Zentrale Wissensarten sowie deren Dimensionen, Eigenschaften & Quellen
Eigene Darstellung
Doch gesellschaftliche Verhaltensweisen, ob sie sich nun historisch oder sogar genetisch entwickelt haben, sind durchaus als eigenständige Wissensquelle denkbar, da oftmals unbewusst auf diese zurückgegriffen wird. Insbesondere im Zusammenhang mit kulturellen oder traditionellen Wissensbeständen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation sollten solche Wissensquellen nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings lassen Sie sich nicht trennscharf von den bereits genannten Quellen abgrenzen oder überhaupt vollständig definieren, sodass sie eher als Teilquellen dieser betrachtet werden müssen. Für den spezifischen Kontext einer sozial-ökologischen Transformation und somit auch für den thematischen Fokus dieser Arbeit sind es insbesondere die Wissensquellen der Wahrnehmung, des Zeugnisses anderer und des Orientierungswissens, die als relevant erachtet werden können. Apriori-Wissen sowie die Quelle der Introspektion spielen sicherlich ebenfalls eine Rolle, die jedoch aufgrund einer fehlenden Erfassbarkeit nicht genau spezifiziert und benannt werden kann und somit im Kontext
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dieser Arbeit nicht weiterverfolgt wird. Abbildung 17 zeigt zusammenfassend die in den bisherigen Kapiteln aufgeführten Wissensarten sowie ihre Dimensionen, Eigenschaften und Quellen. Sie bildet ein Konglomerat aller hier thematisierten Inhalte bezüglich des Wissens und dient als Übersicht, um die komplexen und diffusen Zusammenhänge besser zu veranschaulichen. Sie begründet dementsprechend nicht den Anspruch der Vollständigkeit und lässt sich zudem beliebig erweitern.
3.4 Kommunikation & Transfer von Wissen Für die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext ist neben der Beschaffenheit von Wissen und den Quellen des Wissens insbesondere auch der Transfer und die Kommunikation von Wissensbeständen relevant. Ohne die Bereitstellung und Vermittlung von Wissen sind beispielsweise notwendige Handlungsänderungen gar nicht erst möglich. Kommunikation lässt sich ganz allgemein verstehen als »(…) Bezeichnung natürlicher menschlicher Verständigung« (Antos 2020: 19) oder als »(…) Austausch von Informationen zwischen Individuen« (Moll & Schütz 2021: 12). Der Kommunikationsbegriff wurde in seiner Historie jedoch ebenso wie der Nachhaltigkeitsbegriff so inflationär verwendet, dass gegenwärtig im wissenschaftlichen Diskurs keine einheitliche Definition existiert und aufgrund der Vielfalt verschiedener Verständnisse von Kommunikation auch gar nicht möglich ist. So werden dem Prozess der Kommunikation mehrere Bedeutungen zugeschrieben von der reinen sprachlichen Handlung über den Austausch von Informationen bis hin zur Aushandlung von Sachverhalten (Antos 2020: 20f.). Für den vorliegenden Fall ist jedoch ein solches allgemeines Begriffsverständnis ausreichend. In Abgrenzung dazu definiert sich der Begriff Transfer als »(…) die Übertragung von Elementen, Methoden oder Regeln des Wissens von einer Domäne oder einer Anwendungskonstellation auf eine andere« (Küchler 2017: 561). Hierbei spielen sowohl die Produktion von Wissen als auch dessen Transport und Anwendung eine Rolle (Behrs et al. 2013: 38). Im Gegensatz zur reinen Kommunikation in Form von Informations- und Wissensvermittlung ist unter Transfer damit eher ein Prozess zu verstehen, der eine höhere Ebene impliziert. Ein Wissenstransfer ist dann gelungen, wenn erlernte Wissensbestände nicht nur reproduziert, sondern auch angewandt und auf andere Bereiche transferiert werden (Küchler 2017: 562). Fender hebt erweiternd dazu hervor, dass Wissenstransfer auch immer die Zuschreibung eines gesellschaftlichen Wertes für eine Information oder ein Ergebnis sein sollte (Fender 2010: 16). Doch bevor es zu diesem Prozess kommt, muss das Wissen zunächst vermittelt respektive kommuniziert werden. Kommunikation kann dabei gleichzeitig als Bedingung für Transfer und als Gestalter des Transfers von Wissen betrachtet werden (Oestreicher 2014: 37). Die in den vorherigen Kapiteln vollzogene Unterscheidung von verschiedenen Formen und Quellen des Wissens gibt keinerlei Hinweise auf deren Transferierbarkeit. Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass explizierbares Wissen, wie beispielsweise alle Formen deklarativen Wissens, deutlich leichter zu kommunizieren und transferieren sind als implizites oder prozedurales Wissen (Oestreicher 2014: 53; Rauter 2013: 28). Zudem ist zu beachten, dass in den meisten Fällen vom Sender des Wissens lediglich Informationen kommuniziert werden, nicht aber tatsächliches Wissen. Die Information
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dieser Arbeit nicht weiterverfolgt wird. Abbildung 17 zeigt zusammenfassend die in den bisherigen Kapiteln aufgeführten Wissensarten sowie ihre Dimensionen, Eigenschaften und Quellen. Sie bildet ein Konglomerat aller hier thematisierten Inhalte bezüglich des Wissens und dient als Übersicht, um die komplexen und diffusen Zusammenhänge besser zu veranschaulichen. Sie begründet dementsprechend nicht den Anspruch der Vollständigkeit und lässt sich zudem beliebig erweitern.
3.4 Kommunikation & Transfer von Wissen Für die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext ist neben der Beschaffenheit von Wissen und den Quellen des Wissens insbesondere auch der Transfer und die Kommunikation von Wissensbeständen relevant. Ohne die Bereitstellung und Vermittlung von Wissen sind beispielsweise notwendige Handlungsänderungen gar nicht erst möglich. Kommunikation lässt sich ganz allgemein verstehen als »(…) Bezeichnung natürlicher menschlicher Verständigung« (Antos 2020: 19) oder als »(…) Austausch von Informationen zwischen Individuen« (Moll & Schütz 2021: 12). Der Kommunikationsbegriff wurde in seiner Historie jedoch ebenso wie der Nachhaltigkeitsbegriff so inflationär verwendet, dass gegenwärtig im wissenschaftlichen Diskurs keine einheitliche Definition existiert und aufgrund der Vielfalt verschiedener Verständnisse von Kommunikation auch gar nicht möglich ist. So werden dem Prozess der Kommunikation mehrere Bedeutungen zugeschrieben von der reinen sprachlichen Handlung über den Austausch von Informationen bis hin zur Aushandlung von Sachverhalten (Antos 2020: 20f.). Für den vorliegenden Fall ist jedoch ein solches allgemeines Begriffsverständnis ausreichend. In Abgrenzung dazu definiert sich der Begriff Transfer als »(…) die Übertragung von Elementen, Methoden oder Regeln des Wissens von einer Domäne oder einer Anwendungskonstellation auf eine andere« (Küchler 2017: 561). Hierbei spielen sowohl die Produktion von Wissen als auch dessen Transport und Anwendung eine Rolle (Behrs et al. 2013: 38). Im Gegensatz zur reinen Kommunikation in Form von Informations- und Wissensvermittlung ist unter Transfer damit eher ein Prozess zu verstehen, der eine höhere Ebene impliziert. Ein Wissenstransfer ist dann gelungen, wenn erlernte Wissensbestände nicht nur reproduziert, sondern auch angewandt und auf andere Bereiche transferiert werden (Küchler 2017: 562). Fender hebt erweiternd dazu hervor, dass Wissenstransfer auch immer die Zuschreibung eines gesellschaftlichen Wertes für eine Information oder ein Ergebnis sein sollte (Fender 2010: 16). Doch bevor es zu diesem Prozess kommt, muss das Wissen zunächst vermittelt respektive kommuniziert werden. Kommunikation kann dabei gleichzeitig als Bedingung für Transfer und als Gestalter des Transfers von Wissen betrachtet werden (Oestreicher 2014: 37). Die in den vorherigen Kapiteln vollzogene Unterscheidung von verschiedenen Formen und Quellen des Wissens gibt keinerlei Hinweise auf deren Transferierbarkeit. Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass explizierbares Wissen, wie beispielsweise alle Formen deklarativen Wissens, deutlich leichter zu kommunizieren und transferieren sind als implizites oder prozedurales Wissen (Oestreicher 2014: 53; Rauter 2013: 28). Zudem ist zu beachten, dass in den meisten Fällen vom Sender des Wissens lediglich Informationen kommuniziert werden, nicht aber tatsächliches Wissen. Die Information
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wird erst dann zu Wissen, wenn die empfangende Person sie dazu macht (Rauter 2013: 38). Insgesamt betrachtet spielen bei der Vermittlung und dem Transfer von Wissen drei entscheidende Faktoren eine Rolle: Die Art der Information und des Wissens, welches vermittelt wird; der individuelle Hintergrund des*der Akteurs*in der Vermittlung sowie des*der Akteurs*in des Empfangs beispielsweise im Hinblick auf die Anerkennung individuell unterschiedlicher Wissensstände sowie dem Einbezug der subjektiven Perspektive aller beteiligten Akteur*innen beim Wissensaustausch (Oestreicher 2014: 56) und drittens die Art des Transfers und der Vermittlung (Gresse 2010: 37). Die Art des Wissens, die es im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation zu vermitteln und transferieren gilt, wird in Kapitel 4 ausführlich behandelt und wird daher an dieser Stelle zunächst nicht weiter thematisiert. Wenn es um die Bedeutung von Wissensbeständen für die gesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele geht, muss im Hinblick auf die beteiligten Akteur*innen bei der Wissenskommunikation der Fokus hier auf der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft liegen. Der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und ökonomischen oder politischen Akteur*innen ist zwar ebenso relevant, jedoch für diese Arbeit nicht zielführend und würde an dieser Stelle zu weit führen. Grundsätzlich sind wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, sei es universitär oder außeruniversitär, in den meisten Fällen die Hauptakteure für Wissensproduktion und -kommunikation und übernehmen somit die Rolle des Wissenssenders (Rauter 2013: 13). Wissenschaftskommunikation kann daher als eine zentrale Leistung von Wissenschaft verstanden werden (Falkenberg 2021: 9). Bonfadelli et al. bemerken hierzu: »Information und wissenschaftliches Wissen bilden die Basis moderner Wissens-und Mediengesellschaften. Wissenschaftliches Wissen durchdringt immer umfassender gesellschaftliche Teilbereiche sowie die Gesellschaft als Ganzes und prägt das Handeln von Einzelpersonen ebenso wie die Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und anderer Institutionen« (Bonfadelli et al. 2017: 3) Die Gesellschaft übernimmt dabei die Rolle des Wissensempfängers und konsumiert dieses Wissen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus als Bürger*in, Konsument*in oder Privatperson. Die Suche nach Wissen erfolgt dabei meist im Zusammenhang mit praxis- und verhaltensrelevanten Problemen des alltäglichen Handelns von Themen wie Gesundheit bis hin zu Umwelt und Klimawandel (Bonfadelli 2017: 83f.). Galt die Kommunikation seitens der Wissenschaft für lange Zeit als abgetrennt gegenüber der Öffentlichkeit (die allseits bekannte Elfenbeinturm-Metapher), so ist die Notwendigkeit einer Wissenschaftskommunikation in die Gesellschaft in der Gegenwart unbestritten, was sich in der seit Ende des 20. Jahrhunderts geltenden Maxime »Public Understanding of Science and Humanities« manifestiert (Dernbach et al. 2012: 1f.; Lugger 2020: 139). Wissenschaftskommunikation selbst kann dabei verstanden werden als eine organisierte Form der Wissensweitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden sowie Handlungsempfehlungen an eine breite nicht-wissenschaftliche Bevölkerung (Davies & Horst 2016: 4). Wissenstransfer wird auch innerhalb der Landeshochschulgesetze als eine der zentralen Aufgaben von Wissenschaft betrachtet und ist somit auch institutionell innerhalb
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der existierenden Wissenschaftsinstitutionen verankert, wobei die tatsächliche Umsetzung bei den einzelnen Akteur*innen liegt (Moll & Schütz 2021: 9). Die Wissenschaft sollte in der Wissenskommunikation für die Gesellschaft, auch als externe Wissenschaftskommunikation bezeichnet (Leßmöllmann & Gloning 2020: XII; Voigt 2012: 14), unter anderem folgende Aufgaben übernehmen (Dernbach et al. 2012: 8): • • • • • •
Forschungsthemen generieren und ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken Information und Aufklärung der Gesellschaft über wissenschaftliche Prozesse und Erkenntnisse Legitimation und Vertrauen für Forschung gewinnen Beiträge zum lebenslangen Lernen leisten Der Gesellschaft die Relevanz von Wissenschaft verdeutlichen und einen Zugang zu wissenschaftlichen Quellen vermitteln Lösungen entwickeln und kommunizieren
Wissenschaftskommunikation geht demnach über das reine Informieren hinaus und findet auch im Zusammenhang mit der Steigerung von Engagement seine Anwendung, ebenso wie es einen Einfluss auf Überzeugungen und Verhaltensänderungen nehmen kann (Gascoigne & Schiele 2020: 12). Im Kontext von gelungener Wissenskommunikation ist dabei insbesondere die Art des Transfers und der Vermittlung von entscheidender Bedeutung. Dies impliziert auch die Wahl des Informationskanals selbst, denn je nach Kanal resultieren daraus unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Restriktionen für die Wissenskommunikation (Oschatz 2018: 39f.). Im historischen Verlauf haben die Kanäle der Wissenskommunikation zahlreiche Wandlungsprozesse durchlaufen. Kommunikation verlief und verläuft auch heute immer gekoppelt an ein Medium, was sich auch in der häufig synonymen Verwendung von Medien als Sammelbegriff für alle Kommunikationsmedien äußert (Beck 2013: 201). Angefangen von der Idee der mündlichen Wissenskommunikation durch Platon, über die erste schriftliche Fixierung von Wissen durch Aristoteles, die sich bis heute als zentrales Medium durchgesetzt hat, bis hin zur Erfindung des Internets und der damit einhergehenden gegenwärtigen Verschiebung der Wissenskommunikation in den digitalen Raum, sind Wissenskommunikation und Medium untrennbar verbunden (Ball 2020: 77ff.). Es existiert bis heute keine einheitliche Definition von Medien. Je nachdem, welche Merkmale zur Unterscheidung herangezogen werden, ergeben sich gänzlich andere Klassifikationssysteme. Dies führt dazu, dass sich in der Forschungsliteratur keine trennscharfe Unterscheidung finden lässt. So wird beispielsweise das Fernsehen ebenso als Medium bezeichnet wie der Fernsehsender (Donges & Jarren 2017: 61). Allen Definitionsversuchen gemein ist das Verständnis von Medium als Übertragungsinstrument, welches sich je nach Kommunikationssituation unterscheidet (Sucharowski 2018: 91). Eine der gängigsten Unterteilungen differenziert dabei den Begriff der Medien nach primären Medien (alle Medien des menschlichen Kontaktes wie Gespräche oder Gestik & Mimik), sekundäre Medien (alle Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät benötigen wie z.B. Schrift oder Flaggensignale) sowie tertiäre Medien (alle Medien, bei denen auf beiden Seiten ein Gerät benötigt wird wie Radio, Fernsehen oder Film). Erweiternd dazu lassen sich auch quartäre Medien ausdifferenzieren (alle Medien, die auf bei-
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den Seiten eine Online-Verbindung benötigen wie das Internet) (Faulstich 2004: 13f.; Hickethier 2003: 22; Pürer 2014: 68f.). In diese eher übergeordneten und groben Einteilung lassen sich alle bekannten Medien einordnen. Andere Klassifikationssysteme unterteilen beispielsweise in Individualmedien (Gestik, Mimik, Sprache, Schrift), Massenmedien (Druck, Film, Radio, Fernsehen etc.) sowie kybernetische Medien (Computer, Netzwerke, virtuelle Realitäten) (Thiedeke 2012: 143), sind jedoch nicht so stark ausdifferenziert wie erstere. Neben dem Medium muss auch nach der Form der Kommunikation unterschieden werden. Für den vorliegenden Kontext der Wissensvermittlung spielen hier insbesondere auditive Formen (gesprochene Sprache) und visuelle Formen (Mimik, Gestik) eine Rolle (Pürer 2014: 69f.). Diese Formen lassen sich auch auf den Medienbegriff übertragen. So finden sich in der Literatur beispielsweise auch Unterscheidungen hinsichtlich des Kommunikationskanals nach auditiven, visuellen sowie audiovisuellen Medien. Visuelle Medien beinhalten dabei beispielsweise Printmedien, welche Texte, Fotos, Abbildungen, Grafiken oder Animationen enthalten. Zu auditiven Medien zählen beispielsweise das Radio oder Podcasts, wohingegen audiovisuelle Medien eine Mischform darstellen, deren bekannteste Beispiele Videos und Filme sind (Donges & Jarren 2017: 62; Moser 2019: 11ff.). Digitale Medien als neueste Form stellen dabei eine Art Konvergenz verschiedener Medienformate dar, da alle Medienformate über das Internet auch in digitaler Form vorliegen können und lassen sich nicht trennscharf in eine Oberkategorie einteilen. Sie zählen jedoch seit Beginn des 21. Jahrhunderts zu den meistgenutzten Medienformaten weltweit (Schweiger 2007: 41f.) und haben auch einen enormen Einfluss auf die gegenwärtige Wissenschaftskommunikation im Zuge von Medialisierungs- und Mediatisierungstendenzen (Franzen 2014: 35ff.). Durch den Prozess der Globalisierung sowie der gegenwärtigen Digitalisierung lässt sich auch in der breiten Masse der Gesellschaft allgemein von einer zunehmenden Mediatisierung sprechen, welche ein immer ausdifferenzierteres Mediensystem einerseits sowie eine immer stärker vernetzende Kommunikation innerhalb der globalen Gesellschaft andererseits zur Folge hat (Moser 2019: 29). Insbesondere die Digitalisierung hat potenzielle Kommunikationsformen und -kanäle stark expandieren lassen im Hinblick auf neue Akteur*innen der Kommunikation (z.B. auf der individuellen Ebene von Einzelpersonen oder im Bereich des Wissenschaftsjournalismus) (Könneker 2020: 25), auf neue multimediale Formen der Kommunikation (z.B. soziale Netzwerke) und Interaktion (z.B. Kombination von Bild, Ton & Text) sowie neue Wissenszugänge durch das Internet (Bucher 2020: 64f.). Online-Kommunikation hat daher in den letzten Jahren einen zunehmenden Bedeutungszuwachs erfahren (Schäfer 2017: 276). Hier müssen vor allem die Social Media als gegenwärtiger Trend hervorgehoben werden. Die in vielfältiger Weise als soziale Netzwerke fungierenden Kanäle wie Twitter, Facebook, Instagram und Co. konstituieren sich zunehmend als neuer Informationskanal und treten damit in Konkurrenz zu den anderen etablierten Kanälen (Leßmöllmann 2012: 253). Ein Blick auf die exponentiell gestiegene Nutzung von Social Media zeigt, dass gegenwärtig 92 % aller Deutschen über einem Alter von 10 Jahren das Internet täglich und 60 % der Bevölkerung Social Media mindestens selten nutzen (Beisch & Koch 2021: 498). Social Media sollten demnach in jedem Fall als Kommunikationskanal gezählt werden, denn sie bieten ein enormes Potenzial für die Wissenschaftskommu-
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nikation im Hinblick auf multimediale Darstellungsmöglichkeiten, eine enorme Reichweite sowie die vereinfachte direkte Kommunikation zwischen Wissensproduzent und -rezipient (Scheu & Schedifka 2018: 178ff.). Der Begriff Social Media (auf Deutsch soziale Medien) wird meist als Sammelbegriff verwendet und bezeichnet »digitale Medien und Technologien, die es den Nutzern ermöglichen, sich untereinander in einem Netz (…) auszutauschen und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu erstellen und weiterzuleiten« (Gabriel & Röhrs 2017: 12). Dabei sind unter Social Media nicht nur klassische soziale Netzwerke wie Facebook zu verstehen, sondern auch Kollektivprojekte (gemeinsame Projekterarbeitung von mehreren Personen Online wie z.B. Wikipedia), Content Communities (Gemeinschaften, die Inhalte frei verfügbar ins Internet stellen wie z.B. YouTube), Blogs (Berichte und Kurznachrichten, die über soziale Netzwerke zur Verfügung gestellt werden wie z.B. Twitter) sowie virtuelle Welten (Aufbau einer virtuellen Welt im Internet wie z.B. das Computerspiel Pokémon Go) (Gabriel & Röhrs 2017: 15f.; Kaplan & Haenlein 2010: 62ff.). Eine spezielle Form von Blogs stellen ergänzend dazu Podcasting-Formate dar (reine Audio- oder Videodateien) (Pürer 2014: 97). Für den Bereich der Wissenschaft sind hier noch weitere spezifische Kommunikationskanäle und Formate hervorzuheben. So haben Wissenschaftler*innen neben ihren alltäglichen Publikationen in wissenschaftlichen Fachjournals auch die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit großen Verlagen populärwissenschaftliche Texte zu produzieren, die für ein breiteres Publikum geeignet sind. Hinzu kommen Möglichkeiten wie das Schreiben von Kolumnen in Tageszeitungen. Als spezifische Kanäle eignen sich beispielsweise wissenschaftliche Ausstellungen in Museen, öffentliche Vorträge sowie die Beteiligung an Dokumentationsfilmen oder Fernsehsendungen im Wissenschaftsformat (Liebert 2020: 412f.). Weitere innovative Formate wie die Weitergabe von spezifisch zugeschnittenen Materialsammlungen sowie das Durchführen von Festivals, Workshops oder öffentlichen Debatten sind ebenfalls möglich (Davies & Horst 2016: 4). Für einen gelungenen Wissenstransfer ist es daher unabdingbar, sich einen Überblick über alle gegenwärtig existierenden Medienformate und Kommunikationskanäle zu verschaffen. Tabelle 6 versucht ein solches Unterfangen.
Tabelle 6: Gegenwärtige Kommunikationskanäle und -formate Printmedien
auditive Medien
visuelle Medien
audiovisuelle Medien
Kommunikationskanäle
Zeitungen Bücher Zeitschriften Plakate
Radio Vortrag/ Veranstaltung Internet
Internet Social Media
Fernsehen Internet Social Media
Kommunikationsformen
Textform Fotos/Bilder Grafiken/ Diagramme
Podcasts Vortrag Gespräch/ Interview
Fotos/Bilder Grafiken/ Diagramme Animationen
Filme Videos Dokumentationen
Eigene Abbildung
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Die Einteilungen sind dabei nicht immer trennscharf und verschwimmen teilweise zwischen dem Merkmal des Kommunikationskanals und dem der Kommunikationsform (z.B. ist ein mündliches Gespräch oder ein Vortrag gleichzeitig Kanal und Form). Es zeigt dennoch, wie vielfältig gegenwärtig die Möglichkeiten sind, Wissen zu kommunizieren und zu transferieren. Welcher Kommunikationskanal oder welche Form der Vermittlung dabei am gewinnbringendsten sind, lässt sich nicht sagen. Dies hängt mit verschiedensten Einflussfaktoren zusammen. So unterschieden sich die verschiedenen Kommunikationskanäle beispielsweise allein schon durch die unterschiedliche Menge an Informationen, die sie transportieren können. Diese wiederum resultieren aus unterschiedlichen Kapazitäten auch im Hinblick auf Raum und Zeit (z.B. Print- vs. Onlinemedien) (Oschatz 2018: 40). Das Internet wird daher oftmals auch als Universalmedium bezeichnet (Glathe 2010: 70), da es verschiedene Formen der Kommunikation (Bild, Ton, Text etc.) kombiniert. Ebenso bedeutsam sind auf der anderen Seite rezipientenseitige Einflussfaktoren. Hier sind insbesondere soziodemographische Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstand zu nennen, aber auch Unterschiede im sozioökonomischen Status sowie dem kulturellen Hintergrund, die unterschiedliche Nutzungspräferenzen zur Folge haben, ebenso wie unterschiedliche Zugänge zu Informationen und Wissen sowohl infrastrukturell als auch psychologisch (Bowater & Yeoman 2013: 123f.; Oschatz 2018: 45f.). Abbildung 18 zeigt in diesem Zusammenhang die meistgenutzten Informationsquellen der deutschen Bevölkerung im Jahr 2021.
Abbildung 17: Meistgenutzte Informationsquellen der deutschen Bevölkerung im Jahr 2021
Eigene Darstellung nach IFD, 2022
Es zeigt sich, dass neben privaten Kontakten insbesondere das Internet und das Fernsehen am häufigsten genutzt werden zur allgemeinen Informationssuche. Das Fernsehen wurde auch in internationalen Studien als eine der zentralen Informations-
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kanäle der breiten Masse der Bevölkerung bestätigt (Bowater & Yeoman 2013: 227). Mit insgesamt 92 % nutzen fast alle Menschen in Deutschland das Internet. Doch insbesondere bei Menschen über einem Alter von 65 Jahren sinkt diese Zahl auf 75 % (Destatis 2021). Zahlreiche Studien haben zudem bestätigt, dass die Menge des Wissenserwerbs, die aus den Medien gewonnen wird sowie die Häufigkeit der Informationssuche, mit der Höhe des Bildungsgrades steigt (Oschatz 2018: 47). Weitere Einflussfaktoren auf den Wissenserwerb sind individuelle Bedürfnisse, persönliche Interessen, Aufmerksamkeitsaspekte sowie persönliche Involviertheit und motivationale Faktoren (Lauter 2018: 89ff.; Oschatz 2018: 49ff.). Aber auch die Situation, in der die Informationsaufnahme erfolgt, kann einen hohen Einfluss auf den Wissenserwerb haben (z.B. Informationsaufnahme zu Arbeitszwecken vs. Informationsaufnahme in der Freizeit) (Lauter 2018: 101ff.). Insbesondere im Kontext von digitalen Medien spielen auch das (Nicht)Vorhandensein von notwendigen Kompetenzen wie Informationsbeschaffung, informationstechnische Kompetenzen sowie Beurteilungskompetenzen (z.B. im Hinblick auf Qualität der Information) ebenso eine zentrale Rolle (Pürer 2014: 101), wie Kompetenzen im Zusammenhang mit Reflexionsvermögen und sprachliche Ausdrucksund Explikationsvermögen. Ein Fehlen solcher Kompetenzen stellt eine erhebliche Barriere für eine gelungene Kommunikation und den Transfer von Wissen dar (Schmid 2013: 23). Weitere Einflussfaktoren und Herausforderungen für den Wissenserwerb finden sich auf der Produktionsseite der Wissenschaft. Zunächst ist anzuführen, dass das in der Wissenschaft produzierte Wissen einige Besonderheiten aufweist, die eine direkte Wissensvermittlung für ein Laienpublikum unmöglich macht. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass ein solches Wissen nicht nur reine Fakten und Daten beinhaltet, sondern damit einhergehend auch ein Wissen über Methoden, Verfahren, Forschungsstrategien und technische Sprach- und Bildaspekte (Liebert 2020: 408). Wissenschaftliches Wissen wird im Normalfall in fachspezifischen Journalen als sogenannte Paper publiziert und folgt dabei bestimmten Regeln bezüglich Form, Inhalt und Sprache. Diese Veröffentlichungen richten sich im Normalfall an einen ausgewählten Teil der wissenschaftlichen Fachcommunity und sind oftmals für die allgemeine Öffentlichkeit nur schwer verständlich sowie auch schwer zugänglich (oftmals nur auf monetärer Basis) (ebd.). Wissenschaftliches Wissen weist aus diesem Grund einen hohen Komplexitätsgrad auf, ist oftmals auch kontrovers angelegt und unterscheidet sich somit erheblich von alltäglichen Wissens- und Denkweisen (ebd.: 409). Insbesondere im Hinblick auf die Zugänglichkeit rücken aktuell Forderungen nach einer verstärkten freien Zugänglichkeit zu wissenschaftlichem Wissen immer mehr in den Fokus (Stichwort: Open Access und Kommunikation via Social Media) (Moll & Schütz 2021: 14). Aber auch der gesamte Sprachgebrauch der Wissenschaft wird oftmals äußerst kritisch betrachtet aufgrund zu hoher Komplexität und Unverständlichkeit bis hin zu Unterstellungen bezüglich einer absichtlichen Verwendung komplexer Formulierungen (Lugger 2020: 144; Niederhauser 2020: 300). Hier bieten jedoch insbesondere Social Media als Kommunikationskanäle potenziell Abhilfe, da durch die multimedialen Kombinationsmöglichkeiten (z.B. Text, Foto, Video & Audio) eine flexible und anschauliche Gestaltung der zu kommunizierenden Inhalte möglich ist, ganz zu schweigen von der hohen Rezipient*innenanzahl, die über diese Kanäle erreicht werden kann (Weitze & Heckl
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2016: 191). Im Hinblick auf das Thema Komplexitätsreduktion spielt dabei vor allem das Design der zu vermittelnden Inhalte eine Rolle. Dabei lassen sich in der Forschungsliteratur vor allem Merkmale wie Praktikabilität, Anwendbarkeit und Zugänglichkeit als notwendige Bedingungen finden (Moll & Schütz 2021: 18). Da der Fokus dieser Arbeit jedoch auf den relevanten Inhalten der Wissensvermittlung im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation liegt und nicht auf den Gestaltungsmöglichkeiten dieser, wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen. Abschließend sei kritisch angemerkt, dass auch hemmende Aspekte bezüglich der Wissenschaftskommunikation bisher zu wenig beachtet werden. Allen voran ist hier der Faktor der Zeit zu nennen. Eine gelungene Wissenskommunikation, insbesondere wenn es sich um komplexe Zusammenhänge handelt, geht mit einem erhöhten Zeitaufwand einher. Diese steht den meisten Wissenschaftler*innen jedoch aufgrund ihrer vielfältigen Aufgabenbereiche (Lehre, Forschung, Weiterbildung etc.) nur in einem geringen Maße zur Verfügung (Moll & Schütz 2021: 14). Das stellt ein erhebliches Hemmnis für den Wissenstransfer und das Durchführen von Wissenskommunikation per se dar (Bowater & Yeoman 2013: 48f.). Die hier nur ausschnitthaft beschriebenen Strukturen und Einflussfaktoren der Wissenskommunikation und des Transfers von Wissen, verdeutlichen die hohe Komplexität dieser Thematik, die es insbesondere im Zusammenhang mit der Wissenskommunikation im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation zu beachten gilt.
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Wissen und Gesellschaft – Leben in einer Wissensgesellschaft?
Vor der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext, ist es jedoch zunächst notwendig, sich mit der grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen auseinanderzusetzen. Welche Rolle spielt Wissen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, warum ist dies so und (wie) wird sich dies in der Zukunft ändern? In welchen Bereichen der Gesellschaft spielt Wissen eine Rolle?
3.5.1 Leben in einer Wissensgesellschaft?! Der Begriff der Wissensgesellschaft scheint insbesondere seit den 1990er Jahren in aller Munde zu sein. Grundlegend geht es dabei um den Wandel einer Industrie- zur Wissensgesellschaft, wie wir sie heute erleben. Dass Informationen und das daraus resultierende Wissen zunehmend als zentrale Ressourcen der Gesellschaft betrachtet werden können, wurde bereits in den 60er Jahren durch Persönlichkeiten wie Peter Drucker, Daniel Bell oder auch Manuel Castells beobachtet (Pawlowsky 2019: 3). Sie stellten erstmals die Beobachtung auf, dass insbesondere in der Wirtschaft Wissen zunehmend eine tragende Rolle spielt, wenn es beispielsweise um Produktivität oder Wertschöpfung geht. Drucker ging so weit, Wissen als die zentrale Ressource des modernen Gesellschaftssystems zu betrachten. Merkmale dafür sind unter anderem die Entwicklung neuer Technologien zur Wissensinkorporierung sowie die Herausbildung einer global vernetzten Weltwirtschaft und gesellschaftlichen Organisationsstruktur (ebd.: 4). Wissen ist demnach die »eigentliche Grundlage der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und (ist) zum eigentlichen Prinzip des gesellschaftlichen Wirkens geworden (…)« (Drucker 1969: 326). Konkret
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2016: 191). Im Hinblick auf das Thema Komplexitätsreduktion spielt dabei vor allem das Design der zu vermittelnden Inhalte eine Rolle. Dabei lassen sich in der Forschungsliteratur vor allem Merkmale wie Praktikabilität, Anwendbarkeit und Zugänglichkeit als notwendige Bedingungen finden (Moll & Schütz 2021: 18). Da der Fokus dieser Arbeit jedoch auf den relevanten Inhalten der Wissensvermittlung im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation liegt und nicht auf den Gestaltungsmöglichkeiten dieser, wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen. Abschließend sei kritisch angemerkt, dass auch hemmende Aspekte bezüglich der Wissenschaftskommunikation bisher zu wenig beachtet werden. Allen voran ist hier der Faktor der Zeit zu nennen. Eine gelungene Wissenskommunikation, insbesondere wenn es sich um komplexe Zusammenhänge handelt, geht mit einem erhöhten Zeitaufwand einher. Diese steht den meisten Wissenschaftler*innen jedoch aufgrund ihrer vielfältigen Aufgabenbereiche (Lehre, Forschung, Weiterbildung etc.) nur in einem geringen Maße zur Verfügung (Moll & Schütz 2021: 14). Das stellt ein erhebliches Hemmnis für den Wissenstransfer und das Durchführen von Wissenskommunikation per se dar (Bowater & Yeoman 2013: 48f.). Die hier nur ausschnitthaft beschriebenen Strukturen und Einflussfaktoren der Wissenskommunikation und des Transfers von Wissen, verdeutlichen die hohe Komplexität dieser Thematik, die es insbesondere im Zusammenhang mit der Wissenskommunikation im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation zu beachten gilt.
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Wissen und Gesellschaft – Leben in einer Wissensgesellschaft?
Vor der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext, ist es jedoch zunächst notwendig, sich mit der grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen auseinanderzusetzen. Welche Rolle spielt Wissen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, warum ist dies so und (wie) wird sich dies in der Zukunft ändern? In welchen Bereichen der Gesellschaft spielt Wissen eine Rolle?
3.5.1 Leben in einer Wissensgesellschaft?! Der Begriff der Wissensgesellschaft scheint insbesondere seit den 1990er Jahren in aller Munde zu sein. Grundlegend geht es dabei um den Wandel einer Industrie- zur Wissensgesellschaft, wie wir sie heute erleben. Dass Informationen und das daraus resultierende Wissen zunehmend als zentrale Ressourcen der Gesellschaft betrachtet werden können, wurde bereits in den 60er Jahren durch Persönlichkeiten wie Peter Drucker, Daniel Bell oder auch Manuel Castells beobachtet (Pawlowsky 2019: 3). Sie stellten erstmals die Beobachtung auf, dass insbesondere in der Wirtschaft Wissen zunehmend eine tragende Rolle spielt, wenn es beispielsweise um Produktivität oder Wertschöpfung geht. Drucker ging so weit, Wissen als die zentrale Ressource des modernen Gesellschaftssystems zu betrachten. Merkmale dafür sind unter anderem die Entwicklung neuer Technologien zur Wissensinkorporierung sowie die Herausbildung einer global vernetzten Weltwirtschaft und gesellschaftlichen Organisationsstruktur (ebd.: 4). Wissen ist demnach die »eigentliche Grundlage der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und (ist) zum eigentlichen Prinzip des gesellschaftlichen Wirkens geworden (…)« (Drucker 1969: 326). Konkret
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2016: 191). Im Hinblick auf das Thema Komplexitätsreduktion spielt dabei vor allem das Design der zu vermittelnden Inhalte eine Rolle. Dabei lassen sich in der Forschungsliteratur vor allem Merkmale wie Praktikabilität, Anwendbarkeit und Zugänglichkeit als notwendige Bedingungen finden (Moll & Schütz 2021: 18). Da der Fokus dieser Arbeit jedoch auf den relevanten Inhalten der Wissensvermittlung im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation liegt und nicht auf den Gestaltungsmöglichkeiten dieser, wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen. Abschließend sei kritisch angemerkt, dass auch hemmende Aspekte bezüglich der Wissenschaftskommunikation bisher zu wenig beachtet werden. Allen voran ist hier der Faktor der Zeit zu nennen. Eine gelungene Wissenskommunikation, insbesondere wenn es sich um komplexe Zusammenhänge handelt, geht mit einem erhöhten Zeitaufwand einher. Diese steht den meisten Wissenschaftler*innen jedoch aufgrund ihrer vielfältigen Aufgabenbereiche (Lehre, Forschung, Weiterbildung etc.) nur in einem geringen Maße zur Verfügung (Moll & Schütz 2021: 14). Das stellt ein erhebliches Hemmnis für den Wissenstransfer und das Durchführen von Wissenskommunikation per se dar (Bowater & Yeoman 2013: 48f.). Die hier nur ausschnitthaft beschriebenen Strukturen und Einflussfaktoren der Wissenskommunikation und des Transfers von Wissen, verdeutlichen die hohe Komplexität dieser Thematik, die es insbesondere im Zusammenhang mit der Wissenskommunikation im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation zu beachten gilt.
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Wissen und Gesellschaft – Leben in einer Wissensgesellschaft?
Vor der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext, ist es jedoch zunächst notwendig, sich mit der grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen auseinanderzusetzen. Welche Rolle spielt Wissen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, warum ist dies so und (wie) wird sich dies in der Zukunft ändern? In welchen Bereichen der Gesellschaft spielt Wissen eine Rolle?
3.5.1 Leben in einer Wissensgesellschaft?! Der Begriff der Wissensgesellschaft scheint insbesondere seit den 1990er Jahren in aller Munde zu sein. Grundlegend geht es dabei um den Wandel einer Industrie- zur Wissensgesellschaft, wie wir sie heute erleben. Dass Informationen und das daraus resultierende Wissen zunehmend als zentrale Ressourcen der Gesellschaft betrachtet werden können, wurde bereits in den 60er Jahren durch Persönlichkeiten wie Peter Drucker, Daniel Bell oder auch Manuel Castells beobachtet (Pawlowsky 2019: 3). Sie stellten erstmals die Beobachtung auf, dass insbesondere in der Wirtschaft Wissen zunehmend eine tragende Rolle spielt, wenn es beispielsweise um Produktivität oder Wertschöpfung geht. Drucker ging so weit, Wissen als die zentrale Ressource des modernen Gesellschaftssystems zu betrachten. Merkmale dafür sind unter anderem die Entwicklung neuer Technologien zur Wissensinkorporierung sowie die Herausbildung einer global vernetzten Weltwirtschaft und gesellschaftlichen Organisationsstruktur (ebd.: 4). Wissen ist demnach die »eigentliche Grundlage der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und (ist) zum eigentlichen Prinzip des gesellschaftlichen Wirkens geworden (…)« (Drucker 1969: 326). Konkret
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
bedeutet dies für ihn, dass Wissen im Zuge der Moderne einerseits im Arbeitskontext auf konkretes Handeln angewendet wird (z.B. in Ingenieursschulen), aber andererseits Wissen dazu verwendet wird, um wiederum relevantes Wissen zu finden und gewinnbringend einzusetzen (z.B. im Unternehmensmanagement) (Steinbicker 2010: 23). Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass dieser Übergang in eine Wissensgesellschaft eher als kontinuierlicher Prozess, denn als scharfer Schnitt betrachtet werden muss. Wissen stellt inzwischen neben der eigentlichen Arbeit und dem monetären Kapital die wichtigste Ressource der Moderne dar (ebd.: 24). Prägend war dabei auch der Begriff der »Wissensarbeiter«, also Menschen, die ihre Arbeit lediglich mit kognitiven Fähigkeiten ausüben. Durch den Wandel der Wirtschaftsstruktur hin zum Dienstleistungssektor wuchs die Zahl dieser Wissensarbeiter, womit auch neue Herausforderungen in der Unternehmensführung aber auch in Punkto Machtverhältnisse einhergingen (ebd.: 22). Unterstützt wurden Druckers Thesen unter anderem auch durch den Soziologen Daniel Bell. Dieser stellte mehrere Merkmale für die nachindustrielle Gesellschaft der Moderne auf. So kennzeichnet sich nach Bell die neu entstandene Wissensgesellschaft vor allem durch den sektoralen Wandel vom sekundären Industriesektor hin zum tertiären Dienstleistungssektor. Damit einher geht die Bedeutungsverschiebung von Berufsgruppen und eine veränderte Struktur hin zu einem Übergewicht an Büro- und Verwaltungsberufen mit akademischer Qualifizierung. In Punkto Wissen wird hier das Merkmal der Bedeutungssteigerung theoretischen Wissens aufgeführt. Dies beschreibt die Tatsache, dass heutzutage Wissen vor allem auf theoretischer Basis dazu verwendet wird, Zukunftsprognosen zu erstellen und Entwicklungen vorherzusehen und zu planen und nicht mehr für eine direkte praktische Anwendung (Bell 1976: 33ff.; Pawlowsky 2019: 5f.) Die Ursachen für diese Transformation sowohl auf ökonomischer als auch auf gesellschaftlicher Seite werden unter anderem auch durch die Arbeiten von Manuel Castells dem Prozess der Globalisierung zugeschrieben. Diese sorgte für eine globale Vernetzung der Welt und somit einer Verbreitung der dienstleistungs- und wissensorientierten Gesellschaft über alle Kontinente hinweg. Mit der gleichzeitigen Technisierung und Modernisierung von Arbeitsschritten, Produktionsmustern sowie dem Aufkommen neuer Innovationen in der IT-Branche wuchsen damit auch die Kommunikationsmöglichkeiten (Kössler 2010: 47f.). Neue Arten der Kommunikation gehen logischerweise auch immer mit neuen Möglichkeiten der Wissensverbreitung einher, was die Entstehung einer Wissensgesellschaft sicherlich förderte. Allein historisch betrachtet, gehen große gesellschaftliche Veränderungen und Transformationsprozesse immer auch mit einer optimierten Informationsspeicherung und -verbreitung einher (z.B. Buchdruck, Telegraph, Telekommunikation etc.) und somit auch gleichzeitig mit einer Bedeutungssteigerung des Wissens (Meusburger 1998: 3). Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Entstehen einer Wissensgesellschaft mit einer Wissenszunahme der Gesellschaft gleichzusetzen ist. Lediglich der Wert des Wissens als Ressource sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich ist dadurch enorm gestiegen. Darüber hinaus hat sich in der heutigen Gesellschaft insbesondere auch die »(…) Dynamik des Wissenserwerbs sowie die Komplexität und Vernetzung der Wissensbestände erhöht« (ebd.: 4). Allerdings hat dies auch zu einer räumlichen Konzentration von Wissen und damit einhergehend auch zu verstärkten Ungleichheiten geführt, da einer-
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seits der Zugang zu den neuen Informationstechnologien und deren Wissensbeständen nicht überall auf der Erde gleich vorhanden ist und andererseits auch die Möglichkeiten neuer Wissensproduktion dadurch unterschiedlich stark ausgeprägt sind (Kössler 2010: 47; Meusburger 1998: 58). Weitere Folgen dieser Bedeutungssteigerung des Wissens als Ressource lassen sich auf der gesellschaftlichen Ebene erkennen. Der erweiterte Zugang zu Informationen und Wissen geht einher mit einer verstärkten Nachfrage nach Dienstleistungen, verändertem Konsumverhalten aber auch nach neuen Freizeitgestaltungen und Bildungszugängen. Auf ökonomischer Seite entstehen dadurch auch Dependenzen zwischen Unternehmen und Forschung. Sogar auf der politischen Ebene führt dies zu einer neuen Gestaltung von Entscheidungen basierend auf theoretischem Wissen (Bell 1976: 33ff.; Kössler 2010: 30f.; Pawlowsky 2019: 6f.). Es zeigt sich also, dass die gegenwärtige Struktur der Gesellschaft durchaus als Wissensgesellschaft bezeichnen werden kann. Ob es um Trends wie die Diversifizierung von Kommunikationskanälen und -möglichkeiten, die Bedeutungssteigerung von Wissen als Ressource in der Ökonomie oder die andauernde Bildungsexpansion geht (Rohrbach 2008: 40), Wissen scheint in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig zu sein. Eine solche Wissensgesellschaft agiert mit Wissen auf vier verschiedenen Ebenen: Wissensproduktion, Wissensinfrastruktur, Wissensmanagement sowie Wissensverbreitung, die sich auch als Wissenssektor zusammenfassen lassen (ebd.: 57). Wissen spielt gegenwärtig somit in allen zentralen Lebensbereichen (Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft & Politik) eine herausragende Rolle. Dies führt auch zu einem Wandel gesellschaftlicher Ordnungsmuster. Zu erkennen ist das beispielsweise dadurch, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend aufgelöst werden. Da Wissen in allen Lebensbereichen Bedeutung erlangt hat, muss es inzwischen auch als handlungsprägend betrachtet werden. In einer Wissensgesellschaft ist die Fähigkeit zu handeln sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich an Wissen geknüpft. Somit stellt Wissen die »Fähigkeit zum sozialen Handeln« dar (Stehr 1994: 208). Wissen ist in der heutigen Zeit unumstritten eine Steuerungsressource, ob es sich dabei um allgemeines Wissen oder aber spezialisiertes Expertenwissen handelt, es verändert gleichermaßen die soziale Ordnung (Willke 2001: 290). Doch neben diesen eher theoretischen Zugängen zeigt sich der Übergang in eine Wissensgesellschaft auch durch infrastrukturelle gesellschaftliche Veränderungen. Im Bereich öffentlicher Infrastrukturen ist hier insbesondere der Ausbau von Kommunikationstechnologien und -netzen zu nennen. Dies ermöglichte erst den globalen und allgegenwärtigen Zugang zu Wissensbeständen und revolutionierte gleichzeitig auch Rechts-, Versicherungs-, Finanz-, Bildungs- und Verkehrssysteme, die durch die neuen Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten erst gesellschaftlich elementar wurden (ebd.: 306). Gegenwärtige Gesellschaften streben dabei stets nach Verbesserung, was sich vor allem auch in immer wieder erneuerten und dadurch beschleunigten sowie optimierten Systemen der Informations- und somit auch Wissensweitergabe (z.B. Glasfaserkabel, 5G-Netz etc.) widerspiegelt. Darüber hinaus ist Wissen in der modernen Gesellschaft auch zu einem Handelsgut geworden. Verlage verleihen wissenschaftlichen Publikationen einen monetären Wert und transformieren Informationen und Wissensbestände dadurch zu einer Ware. Informations- und somit auch Wissenserwerb sind in einer Wissensgesellschaft dadurch oftmals auch an Angebot- und Nachfrage gebunden (Schütte 2002: 176f.) Dieser Aspekt ist im Kontext der
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Wissensbereitstellung für eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft als äußerst kritisch zu betrachten, wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen wird. Der Begriff der Wissensgesellschaft allgemein erntet bis heute von vielen Seiten Kritik, insbesondere da er nicht trennscharf vom Begriff der Informationsgesellschaft zu differenzieren ist und diese beiden Begriffe oftmals Synonym verwendet werden (Kübler 2005: 90). Dabei ist eine Differenzierung hier unumgänglich, denn wie bereits in Kapitel 3.1 herausgestellt wurde, bilden Informationen lediglich die Grundlage für den Aufbau eines Wissens. Dementsprechend sollte auch der Begriff Wissensgesellschaft eine höhere Ebene einnehmen als der einer Informationsgesellschaft. In der Literatur wird Informationsgesellschaft oftmals verbunden mit der gestiegenen Anzahl an Informations- und Kommunikationstechnologien sowie deren Verfügbarkeit, was einen eher technologisch orientierten Terminus impliziert. Wissensgesellschaft hingegen wird oftmals ganzheitlicher betrachtet (ebd.), da hiermit gleich mehrere Ebenen angesprochen werden wie bereits aufgezeigt. Er scheint somit geeigneter zu sein, um die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen seit den 60er Jahren bis heute zu beschreiben. Dies zeigt sich auch darin, dass er konkret im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des deutschen Bundestags zum Thema »Globalisierung der Weltwirtschaft« auftaucht und somit auch Einzug in politische Debatten genommen hat. Wissensgesellschaft wird in diesem Kontext mit dem Prozess der Globalisierung verknüpft, wie es auch schon bei Castells der Fall war, sodass der Wandel der Gesellschaft zu einer Wissensgesellschaft den Übergang zu einer globalen Weltgesellschaft beschleunigt und vorantreibt (Bundestag 2002: 259). Darüber hinaus »(…) markiert er einen qualitativen Bedeutungszuwachs des Wissens in allen Gesellschaftsbereichen (ebd.). Ob der Wandel der Gesellschaft seit den 1960er Jahren als Übergang in eine Wissensgesellschaft beschrieben werden kann oder nicht, ist unter Wissenschaftler*innen nach wie vor ungeklärt. Dessen ungeachtet ist es unbestreitbar, dass Wissen in der heutigen Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt, wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde. Demnach scheint diese Begrifflichkeit angemessen zu sein, denn die Wissensproduktion, die Anwendung von Wissen sowie das gesamte Wissensmanagement bestimmen sowohl die Arbeits- als auch die Lebensformen der heutigen Gesellschaft. »In diesem Sinne ist die Wissensgesellschaft auch die Zukunft der modernen Gesellschaft« (Mittelstraß 1998: 447). Wissen ist immer das, was die Gesellschaft für Wissen hält. Eine Gesellschaft kann demnach nicht keine Wissensgesellschaft sein. Lediglich die Ausprägung der Bedeutung von Wissen und seinen Dimensionen, die in einer Gesellschaft hervorgehoben werden, sind entscheidend dafür, in welchem Umfang eine Wissensgesellschaft vorliegt (Kübler 2005: 104).
3.5.2 Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen Auch wenn der Begriff der Wissensgesellschaft den gesellschaftlichen Bereich impliziert, so hat sich dennoch gezeigt, dass für dieses Begriffskonzept die ökonomische Komponente von Wissen als Ressource im Vordergrund zu stehen scheint. Doch wie sieht es mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen in der Gegenwart aus? In diesem Zusammenhang ist eine Bedeutungsverschiebung zu beobachten. So steht nicht mehr das Begründen von Wissen durch Individuen im Vordergrund, sondern viel-
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Wissensbereitstellung für eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft als äußerst kritisch zu betrachten, wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen wird. Der Begriff der Wissensgesellschaft allgemein erntet bis heute von vielen Seiten Kritik, insbesondere da er nicht trennscharf vom Begriff der Informationsgesellschaft zu differenzieren ist und diese beiden Begriffe oftmals Synonym verwendet werden (Kübler 2005: 90). Dabei ist eine Differenzierung hier unumgänglich, denn wie bereits in Kapitel 3.1 herausgestellt wurde, bilden Informationen lediglich die Grundlage für den Aufbau eines Wissens. Dementsprechend sollte auch der Begriff Wissensgesellschaft eine höhere Ebene einnehmen als der einer Informationsgesellschaft. In der Literatur wird Informationsgesellschaft oftmals verbunden mit der gestiegenen Anzahl an Informations- und Kommunikationstechnologien sowie deren Verfügbarkeit, was einen eher technologisch orientierten Terminus impliziert. Wissensgesellschaft hingegen wird oftmals ganzheitlicher betrachtet (ebd.), da hiermit gleich mehrere Ebenen angesprochen werden wie bereits aufgezeigt. Er scheint somit geeigneter zu sein, um die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen seit den 60er Jahren bis heute zu beschreiben. Dies zeigt sich auch darin, dass er konkret im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des deutschen Bundestags zum Thema »Globalisierung der Weltwirtschaft« auftaucht und somit auch Einzug in politische Debatten genommen hat. Wissensgesellschaft wird in diesem Kontext mit dem Prozess der Globalisierung verknüpft, wie es auch schon bei Castells der Fall war, sodass der Wandel der Gesellschaft zu einer Wissensgesellschaft den Übergang zu einer globalen Weltgesellschaft beschleunigt und vorantreibt (Bundestag 2002: 259). Darüber hinaus »(…) markiert er einen qualitativen Bedeutungszuwachs des Wissens in allen Gesellschaftsbereichen (ebd.). Ob der Wandel der Gesellschaft seit den 1960er Jahren als Übergang in eine Wissensgesellschaft beschrieben werden kann oder nicht, ist unter Wissenschaftler*innen nach wie vor ungeklärt. Dessen ungeachtet ist es unbestreitbar, dass Wissen in der heutigen Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt, wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde. Demnach scheint diese Begrifflichkeit angemessen zu sein, denn die Wissensproduktion, die Anwendung von Wissen sowie das gesamte Wissensmanagement bestimmen sowohl die Arbeits- als auch die Lebensformen der heutigen Gesellschaft. »In diesem Sinne ist die Wissensgesellschaft auch die Zukunft der modernen Gesellschaft« (Mittelstraß 1998: 447). Wissen ist immer das, was die Gesellschaft für Wissen hält. Eine Gesellschaft kann demnach nicht keine Wissensgesellschaft sein. Lediglich die Ausprägung der Bedeutung von Wissen und seinen Dimensionen, die in einer Gesellschaft hervorgehoben werden, sind entscheidend dafür, in welchem Umfang eine Wissensgesellschaft vorliegt (Kübler 2005: 104).
3.5.2 Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen Auch wenn der Begriff der Wissensgesellschaft den gesellschaftlichen Bereich impliziert, so hat sich dennoch gezeigt, dass für dieses Begriffskonzept die ökonomische Komponente von Wissen als Ressource im Vordergrund zu stehen scheint. Doch wie sieht es mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen in der Gegenwart aus? In diesem Zusammenhang ist eine Bedeutungsverschiebung zu beobachten. So steht nicht mehr das Begründen von Wissen durch Individuen im Vordergrund, sondern viel-
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mehr die strukturelle Organisation von Wissensbeständen. Wissen wird demnach nicht mehr durch ein gesellschaftliches Individuum also eine einzelne denkende Person und dem Diskurs zwischen verschiedenen Individuen als relevant beziehungsweise als wahr erachtet, sondern lediglich aus einem allgemeinen Wissenspool entnommen, an dem die Individuen partizipieren können (Neuser 2013: 222). Dieser Wissenspool wird durch die bereits erwähnte Vielzahl an unterschiedlichen Informations- und Kommunikationstechnologien gespeist. Der Wissenserwerb des Individuums wird dadurch extrem vereinfacht und beschleunigt, da beispielsweise durch das Internet der Zugriff zu Allgemeinwissen beinahe in Echtzeit möglich ist (ebd.: 223). Demnach spielt nicht mehr die einzelne Information oder der individuelle Wissensbestand die Hauptrolle, sondern eher die Fähigkeit, aus einem Wissensüberfluss die Schlüsselinformationen herauszufiltern und sinnvoll einzusetzen (Caspers 2004: 63). Ob es dadurch zu einem Bedeutungsverlust des individuellen Wissensspeichers einer Person kommt, lässt sich nicht empirisch nachweisen. Der Prozess des Wissenserwerb scheint jedoch aufgrund seiner Einfachheit inzwischen nicht mehr eine so große Bedeutung zu besitzen. Offensichtlich ist jedoch, dass diese neue Strukturierung einer Wissensordnung dazu geführt hat, dass Wissen von Individuen heute mehr als dynamisches System betrachtet wird. Funktionale Zusammenhänge des Zusammenlebens und der Wahrnehmung der Welt als System gewinnen zunehmend an Bedeutung, sodass Selbstwissen sich immer am Allgemeinwissen orientiert und nicht andersherum. Eigene Erfahrungen oder Handlungen orientierten sich demnach heutzutage immer am gegenwärtig vorherrschenden Konstrukt der Welt und seinem inhärenten Allgemeinwissen (ebd.: 226f.). Darüber hinaus entsteht durch den ununterbrochenen Zugang zum Allgemeinwissen der Gesellschaft auf der einen Seite und der stetig wachsenden und unüberschaubaren Fülle des Allgemeinwissens auf der anderen Seite, ein Prozess des lebenslangen Lernens (ebd.: 228). Wissensbestände sind einem ständigen Wandel und Wachstum unterworfen und das Individuum hat somit die Möglichkeit, jederzeit neues Wissen zu erwerben oder bestehendes Wissen anzupassen. Hieraus lässt sich demnach eher eine Bedeutungssteigerung von Wissen in der Gesellschaft ableiten. Allgemeinwissen kann als konstitutiv für die Gestaltung der Gesellschaft angesehen werden und bildet seinerseits dadurch die Grundlage für individuelle Haltungen. Ein gesellschaftlich organisiertes Allgemeinwissen kann demnach auch eine Orientierung für individuelles Handeln sein (ebd.: 229f.). Der Zugang sowie das Abrufen eines solchen gesellschaftlichen Allgemeinwissens werden dadurch zum »kulturellen Kern der Gesellschaft« (Neuser 2013: 230). Wissen nimmt somit in der heutigen Gesellschaft, ob sie jetzt als Wissensgesellschaft bezeichnet wird oder nicht, eine zentrale Stellung und dadurch eine enorme gesellschaftliche Bedeutung ein. Doch sind die bisherigen Gedanken dazu rein theoretischer Natur. Eine eindeutige empirische Erfassung einer gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen auf individueller Ebene lässt sich nicht finden. Häufig werden hierfür Kennziffern der technischen Infrastruktur wie die Dichte an Internetzugängen, die Anzahl von Computern pro Haushalt oder die Ausgaben für Informationstechnologien herangezogen. Gerade für diese leicht messbaren und quantifizierten Daten ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein starker Anstieg in allen Bereichen zu beobachten (Rohrbach 2008: 41f.). Diese Kenngrößen spiegeln jedoch eher den technologisch-infrastruktu-
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rellen Fortschritt der Gesellschaft wider und weniger die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen auf der individuellen Ebene. Eine andere in diesem Kontext verwendete Kennziffer ist die der Bildungsbeteiligung eines Staates. Hier spielen sowohl Ausgaben im Bildungsbereich als auch die Verteilung der Bevölkerung auf die unterschiedlichen Bildungsniveaus eine Rolle. Auch hier sind die Beteiligung sowie die Bildungsdauer in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen (allein der Anteil der Personen mit tertiärem Bildungsabschluss ist zwischen 1970 und 2000 von 8 auf 24 % gestiegen), was auch als Bildungsexpansion bezeichnet wird (ebd.: 43f.). Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle, dass wie auch schon die Zahlen im Bereich der Informationstechnologien solche Zahlen sich lediglich auf die OECD-Staaten der Erde beziehen, was erneut die globalen Disparitäten auch im Kontext der Entstehung von Wissensgesellschaften deutlich macht und demnach auch nicht das globale Gesamtbild adäquat widerspiegelt. Die dritte Kenngröße ist der wachsende Anteil der Beschäftigten im Wissenssektor, welcher bereits im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurde. Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen lässt sich also im Bereich der Infrastruktur, im Bildungssektor sowie in der Ökonomie durchaus datenbasiert nachweisen. Schätzungen zufolge wurde in den letzten 30 Jahren mehr neues Wissen geschaffen als in der gesamten Historie der Menschheit zuvor. Auch in Zukunft sollen sich die gesamtglobalen Wissensbestände beinahe alle fünf Jahre nahezu verdoppeln (Caspers 2004: 63). Doch welche Bedeutung Wissen gegenwärtig auf einer individuellen gesellschaftlichen Ebene beigemessen wird, wird eben dadurch nicht erfasst, was im Kontext der Bedeutung von Wissen im Zuge einer erwünschten gesellschaftlichen Transformation hin zur Nachhaltigkeit durchaus als Defizit betrachtet werden muss.
3.6
Zusammenfassung
Wie dieses Kapitel gezeigt hat, ist das Thema Wissen ein äußerst facettenreiches und komplexes Feld. Obwohl sowohl der Begriff des Wissens an sich als auch die gesamte Erkenntnistheorie bereits im antiken Griechenland ihren Ursprung genommen hat, sind viele Fragen bis heute nicht eindeutig geklärt. Insbesondere die Definitionsversuche des hochkomplexen Wissensbegriffes wurden im Laufe der Zeit durch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Strömungen geprägt und verändert. Dies hat dazu geführt, dass bis heute keine einheitliche Definition von Wissen zu existieren scheint, zumindest keine, die in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte unangefochten angenommen wurde. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Wissensarten und -formen zu geben scheint, die alle in spezifischen Kontexten ihre berechtigte Anwendung finden. Eine einheitliche Definition des Wissensbegriffs aufzustellen, welche alle Facetten der existierenden Definitionsversuche umfasst, scheint demnach nicht nur unmöglich, sondern auch nicht zielführend zu sein. Vielmehr ist es sinnvoll, sich mit den unterschiedlichen Arten von Wissen und den Kontexten, in denen sie eine Anwendung finden, auseinanderzusetzen. Denn Wissen taucht in den meisten Fällen kontextgebunden auf und sollte daher nicht losgelöst von diesen betrachtet werden. Die Zahl der Wissensarten, die sich in der Forschungsliteratur
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rellen Fortschritt der Gesellschaft wider und weniger die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen auf der individuellen Ebene. Eine andere in diesem Kontext verwendete Kennziffer ist die der Bildungsbeteiligung eines Staates. Hier spielen sowohl Ausgaben im Bildungsbereich als auch die Verteilung der Bevölkerung auf die unterschiedlichen Bildungsniveaus eine Rolle. Auch hier sind die Beteiligung sowie die Bildungsdauer in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen (allein der Anteil der Personen mit tertiärem Bildungsabschluss ist zwischen 1970 und 2000 von 8 auf 24 % gestiegen), was auch als Bildungsexpansion bezeichnet wird (ebd.: 43f.). Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle, dass wie auch schon die Zahlen im Bereich der Informationstechnologien solche Zahlen sich lediglich auf die OECD-Staaten der Erde beziehen, was erneut die globalen Disparitäten auch im Kontext der Entstehung von Wissensgesellschaften deutlich macht und demnach auch nicht das globale Gesamtbild adäquat widerspiegelt. Die dritte Kenngröße ist der wachsende Anteil der Beschäftigten im Wissenssektor, welcher bereits im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurde. Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen lässt sich also im Bereich der Infrastruktur, im Bildungssektor sowie in der Ökonomie durchaus datenbasiert nachweisen. Schätzungen zufolge wurde in den letzten 30 Jahren mehr neues Wissen geschaffen als in der gesamten Historie der Menschheit zuvor. Auch in Zukunft sollen sich die gesamtglobalen Wissensbestände beinahe alle fünf Jahre nahezu verdoppeln (Caspers 2004: 63). Doch welche Bedeutung Wissen gegenwärtig auf einer individuellen gesellschaftlichen Ebene beigemessen wird, wird eben dadurch nicht erfasst, was im Kontext der Bedeutung von Wissen im Zuge einer erwünschten gesellschaftlichen Transformation hin zur Nachhaltigkeit durchaus als Defizit betrachtet werden muss.
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Zusammenfassung
Wie dieses Kapitel gezeigt hat, ist das Thema Wissen ein äußerst facettenreiches und komplexes Feld. Obwohl sowohl der Begriff des Wissens an sich als auch die gesamte Erkenntnistheorie bereits im antiken Griechenland ihren Ursprung genommen hat, sind viele Fragen bis heute nicht eindeutig geklärt. Insbesondere die Definitionsversuche des hochkomplexen Wissensbegriffes wurden im Laufe der Zeit durch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Strömungen geprägt und verändert. Dies hat dazu geführt, dass bis heute keine einheitliche Definition von Wissen zu existieren scheint, zumindest keine, die in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte unangefochten angenommen wurde. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Wissensarten und -formen zu geben scheint, die alle in spezifischen Kontexten ihre berechtigte Anwendung finden. Eine einheitliche Definition des Wissensbegriffs aufzustellen, welche alle Facetten der existierenden Definitionsversuche umfasst, scheint demnach nicht nur unmöglich, sondern auch nicht zielführend zu sein. Vielmehr ist es sinnvoll, sich mit den unterschiedlichen Arten von Wissen und den Kontexten, in denen sie eine Anwendung finden, auseinanderzusetzen. Denn Wissen taucht in den meisten Fällen kontextgebunden auf und sollte daher nicht losgelöst von diesen betrachtet werden. Die Zahl der Wissensarten, die sich in der Forschungsliteratur
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finden lassen, scheint beinahe unbegrenzt zu sein. Eine eindeutige Typisierung dieser gestaltet sich daher ebenso schwierig wie die Definition des Wissensbegriffs selbst. Darüber hinaus ist es aber durchaus wichtig, Information und Wissen voneinander zu unterscheiden und zu begreifen, dass Wissensaneignung einen komplexen kognitiven Prozess darstellt, für den Informationen lediglich die Datengrundlage bilden. So sind die Quellen des Wissens ebenso vielfältig und schwer abgrenzbar wie der Wissensbegriff selbst. Ob es sich um das Wissen anderer, Selbstwissen, apriorisches Wissen oder Wahrnehmungswissen handelt, lässt sich je nach Kontext nicht immer trennscharf differenzieren. Die Quelle des Wissens anderer kann jedoch als meistgenutzte Quelle angesehen werden, insbesondere aus dem Grund, dass sich die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer Wissensgesellschaft kaum abstreiten lässt. Denn trotz der Vielseitigkeit und fehlenden Eindeutigkeit des Wissenskonstrukts hat Wissen als Ressource vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert erreicht. Wissen hat in alle Bereiche der Gesellschaft Einzug gehalten. Ob es um Wissen als ökonomische Ressource geht, den infrastrukturellen Ausbau von Kommunikationstechnologien zur Wissensweitergabe oder um den Stellenwert von Wissen im Bildungskontext, Wissen nimmt in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft eine zentrale Rolle ein. Dabei muss im Kontext einer gelungenen Wissenskommunikation sowohl auf potenzielle Kommunikationskanäle und Formate, die sich im Zuge der gegenwärtigen Digitalisierungsprozesse ständig erweitern und verändern, geachtet werden, als auch auf die sozidemographischen Hintergründe und individuellen Lebenswelten der Gesellschaft, die einen enormen Einfluss auf den Erwerb und Transfer von Wissen haben können. Doch die tatsächliche Bedeutung von Wissen aus zivilgesellschaftlicher und insbesondere individueller Sicht ist bis heute nicht konkret erfasst worden. So ergibt sich aus dem hier vorliegenden Wissenskapitel für den Kontext dieser Arbeit zunächst folgende Fragestellung: Welche Rolle spielt Wissen gegenwärtig aus der gesellschaftlichen und individuellen Sichtweise heraus und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für den Kontext einer sozial-ökologischen Transformation ableiten? Wie das folgende Kapitel zeigen wird, ist die Verknüpfung von Wissen und Nachhaltigkeit durchaus kontrovers zu betrachten. Bei Fragen der Nachhaltigkeit und der sozial-ökologischen Transformation, wo inzwischen in vielen Gesichtspunkten ausreichend Wissen vorhanden zu sein scheint, bleiben konkrete Handlungen jedoch oftmals aus. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur und werden in den folgenden Teilkapiteln detailliert betrachtet.
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4 Wissen und Nachhaltigkeit Widerspruch oder Notwendigkeit? »Nachhaltigkeit und Wissen sind aufs Engste verknüpft, (…) gleichzeitig bedeutet mehr Wissen über nachhaltigkeitsrelevante Fragen nicht automatisch mehr Nachhaltigkeit« (Lüdtke & Henkel 2018: 7)
Dieses Zitat zeigt das Paradoxon der Diskussion über das Thema Wissen im Nachhaltigkeitskontext sehr anschaulich. Dabei ist die Debatte um die Relevanz von Wissen im Kontext der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen inzwischen keineswegs mehr als neu zu bezeichnen. Insbesondere durch die zahlreichen Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie, welche sich mit den Ursachen der bekannten Knowledge-Action-Gap im Nachhaltigkeitskontext beschäftigt hat, ist dieses Thema nach wie vor hochaktuell. Doch hat Wissen, wie es oftmals postuliert wird, tatsächlich einen so geringen Stellenwert im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation? Welche Bedeutung kommt Wissen tatsächlich zu, oder besser gefragt, worin liegt der Wert des Wissens im Hinblick auf eine Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele? Diese Fragen werden in den folgenden Ausführungen genauer beleuchtet.
4.1
Die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Grundlegend lässt sich nicht bestreiten, dass Wissen im Zusammenhang mit der sozialökologischen Transformation und Themen der Nachhaltigkeit eine hohe Bedeutung zukommt. So sind die vielfältigen Probleme und Diagnosen bezüglich der globalen Trends und Konflikte des 21. Jahrhunderts zuallererst in hohem Ausmaß forschungs- und dementsprechend wissensbasiert. Ohne wissenschaftliche Berechnungen und Modellierungen wäre das Erfassen der Probleme, das Aufstellen von Strategien zur Problemlösung sowie auch das Führen öffentlicher Diskurse in diesem Zusammenhang überhaupt nicht möglich (Lüdtke & Henkel 2018: 7). Dieser Fakt macht insbesondere wissenschaftsbasierte Forschung und die damit einhergehende Wissensproduktion unverzichtbar in die-
4 Wissen und Nachhaltigkeit Widerspruch oder Notwendigkeit? »Nachhaltigkeit und Wissen sind aufs Engste verknüpft, (…) gleichzeitig bedeutet mehr Wissen über nachhaltigkeitsrelevante Fragen nicht automatisch mehr Nachhaltigkeit« (Lüdtke & Henkel 2018: 7)
Dieses Zitat zeigt das Paradoxon der Diskussion über das Thema Wissen im Nachhaltigkeitskontext sehr anschaulich. Dabei ist die Debatte um die Relevanz von Wissen im Kontext der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen inzwischen keineswegs mehr als neu zu bezeichnen. Insbesondere durch die zahlreichen Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie, welche sich mit den Ursachen der bekannten Knowledge-Action-Gap im Nachhaltigkeitskontext beschäftigt hat, ist dieses Thema nach wie vor hochaktuell. Doch hat Wissen, wie es oftmals postuliert wird, tatsächlich einen so geringen Stellenwert im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation? Welche Bedeutung kommt Wissen tatsächlich zu, oder besser gefragt, worin liegt der Wert des Wissens im Hinblick auf eine Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele? Diese Fragen werden in den folgenden Ausführungen genauer beleuchtet.
4.1
Die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Grundlegend lässt sich nicht bestreiten, dass Wissen im Zusammenhang mit der sozialökologischen Transformation und Themen der Nachhaltigkeit eine hohe Bedeutung zukommt. So sind die vielfältigen Probleme und Diagnosen bezüglich der globalen Trends und Konflikte des 21. Jahrhunderts zuallererst in hohem Ausmaß forschungs- und dementsprechend wissensbasiert. Ohne wissenschaftliche Berechnungen und Modellierungen wäre das Erfassen der Probleme, das Aufstellen von Strategien zur Problemlösung sowie auch das Führen öffentlicher Diskurse in diesem Zusammenhang überhaupt nicht möglich (Lüdtke & Henkel 2018: 7). Dieser Fakt macht insbesondere wissenschaftsbasierte Forschung und die damit einhergehende Wissensproduktion unverzichtbar in die-
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sem Zusammenhang (Grunwald 2007: 247) Die reine Wissensproduktion ist somit in diesem Kontext nicht das zentrale Problem, welches es zu beachten gilt, denn diese wird in hohem Ausmaß in der Wissenschaft vollzogen. Vielmehr geht es darum, herauszufinden, welche Wissensformen in welchem Umsetzungskontext als relevant erachtet werden müssen, wie sich diese Formen zusammenführen lassen und welche Wissensakteur*innen dabei eine Rolle spielen. Im Kontext der Wissensformen geht es dabei vor allem um Merkmale wie Gültigkeit, Akzeptanz aber auch Legitimität (Lüdtke & Henkel 2018: 7). Auf der Ebene einer Wissensintegration geht es dabei insbesondere darum, festzulegen, welche Wissensarten von Bedeutung sind und somit verstärkt berücksichtigt werden sollten, wie sich unterschiedliche Wissensformen (z.B. wissenschaftlich vs. Nicht-wissenschaftlich) vereinbaren lassen und welche Interessens- und Zielkonflikte es dabei zu beachten und letzten Endes zu vereinen gilt (ebd.: 8). Darüber hinaus bedingt das Wesen des Leitbilds der Nachhaltigkeit durch seine Zusammenführung von Natur und Gesellschaft sowie deren Relationen die Integration von diversen Wissensbeständen aus unterschiedlichen Disziplinen und Quellen, die es sinnstiftend zu vereinen gilt. Die Bedeutung einer solchen Wissenszusammenführung und -integration impliziert dabei den hohen Stellenwert von Wissen in diesem Kontext, aber darüber hinaus auch den hohen Anspruch, der damit einhergeht (Grunwald 2016: 167). Wissen kann somit als »(…) eine zentrale Ressource für gesellschaftliche Wertschöpfung und zur Lösung nachhaltigkeitsrelevanter Probleme (…) (betrachtet werden)« (Grunwald & Kopfmüller 2012: 204). Wissen übernimmt dabei verschiedene Funktionen. Zum einen kann Wissen als essenzieller Bestandteil des Erbes der gegenwärtigen und vergangenen an nachfolgende Generationen betrachtet werden. Zum anderen stellt es ein zentrales Element für unser gegenwärtiges Wirtschaften, die gesellschaftliche Entwicklung sowie auch beispielsweise für den Erhalt von Arbeitsplätzen dar. Dabei gilt es im Sinne einer Zukunftsverantwortung, die vorhandenen Wissensbestände im Zusammenhang mit nachhaltigkeitsrelevanten Themen und Fragestellungen so zu dokumentieren, dass sich daraus Kompetenzen für die jeweiligen Anwendungsfelder ableiten lassen. Zudem ist es von Bedeutung, zu gewährleisten, dass bestehendes relevantes Wissen jederzeit aufrufbar ist, auch unter möglicherweise veränderten gesellschaftlichen Bedingungen (ebd.: 205). Darüber hinaus ist es essenziell, den Zugang zu einem solchen Wissen global und für jeden Menschen bereitzustellen, was eine Grundvoraussetzung für eine gelungene nachhaltige Entwicklung darstellt. Die Ungleichheit des Wissenszugangs in den unterschiedlichen Teilen der Erde wird als zentrale Herausforderung der heutigen Wissensgesellschaft betrachtet und ist dabei vor allem im Nachhaltigkeitskontext von enormer Bedeutung. Eine Ungleichheit in der Wissensbasis führt zu unterschiedlichen Machtverteilungen sowie ungleichen Chancen im Zuge einer Etablierung von beispielsweise ökologischen Interessen. Wissen bildet somit die entscheidende Weiche für eine gesellschaftliche Entwicklung (Lehner 2010: 273). Daraus resultiert, dass Wissen eben besonders für eine nachhaltige Entwicklung relevant ist, denn eine konkrete Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele ist nur durch ein für alle jederzeit abrufbares, umfangreiches, kontinuierliches und stets aktualisierbares Wissen möglich (Grunwald & Kopfmüller 2012: 205). Bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der gegenwärtigen Wissensgesellschaft, wie sie bereits in Kapitel 3.5 charakterisiert worden ist, fällt auf, dass Wissensbestände
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aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Perspektive relevant sind, um überhaupt den Fortbestand der Gesellschaft gewährleisten zu können. Wissensgesellschaften basieren somit auf der Agglomeration dieser unterschiedlichen Wissensbestände, welche sich auch als komplexes Wissen über Systeme zur Unterstützung der Lebensqualität beschreiben lässt (Afgan & Carvalho 2010: 34). Diese drei Dimensionen sind identisch zu denen des Leitbilds der Nachhaltigkeit, woraus resultiert: »The link between knowledge and sustainability makes it possible to visualize that the sustainability paradigm is the essential frame of the knowledge society« (Afgan & Carvalho 2010: 35). Somit lassen sich aus den Wissensbeständen der drei Dimensionen Kriterien zum Fortbestand der lebensrelevanten Systeme ableiten, die sich genau so beispielsweise in den Indikatoren der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wiederfinden lassen (ebd.), was die hohe Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext untermauert. Wissen eröffnet in diesem Kontext beispielsweise Handlungsoptionen im Hinblick auf die Umstellung wirtschaftlicher Systeme durch wissensbasierte Innovationen oder flexible Arbeitssysteme, die Etablierung von Kreislaufwirtschaft sowie der Nutzung erneuerbarer Energien, aber vor allem auch im Hinblick auf Konsument*innensouveränität durch zunehmendes Wissen (Lehner 2010: 276). Die hohe Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext lässt sich auch mit Blick auf die kognitive Sichtweise von Wissen wiederfinden. So ist es beispielsweise belegt, dass das menschliche Gehirn gespeicherte Erinnerungen dazu verwendet, um Vorhersagen zu treffen, die sich auf sämtliche Sinneseindrücke beziehen. Diese münden dann in einer konkreten Handlung. Die Wahrnehmung der Umwelt und das Verhalten innerhalb dieser entspringen demnach nicht nur alleine durch die Sinne, sondern auch durch die Kombination aus Sinneswahrnehmung und abgespeicherten Vorhersagen (Hawkins & Blakeslee 2005: 86f.), welche auf Erfahrung und somit auch auf Wissen basieren. Aus diesem Grund erscheint es durchaus plausibel, Wissen mit Handlung zu verknüpfen, wie es auch in einigen Studien zu finden ist (Huseman & Goodman 1999; Sveiby 1997; Wiig 2004). Oestreicher spricht dabei auch von einer Koexistenz von Wissen und Handeln (Oestreicher 2014: 38). Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass Wissen dabei niemals als absolut zu betrachten ist, insbesondere im Hinblick auf die Unsicherheit der Zukunft. Wissen stellt somit lediglich eine potenzielle Einflussgröße auf effektives Handeln dar (Bennet & Bennet 2007: 6f.). Bennet & Bennet kommen dennoch zu dem Schluss: »Knowledge without action is wasted; action without knowledge is dangerous« (Bennet & Bennet 2007: 7). Übertragen auf den Nachhaltigkeitskontext ist also ein konkretes Handeln im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation nicht ohne das Vorhandensein eines minimalen Wissensbestandes möglich, was Wissen in diesem Fall zu einer notwendigen Bedingung für nachhaltiges Handeln macht. Eine soziologische Sichtweise betrachtet das Thema Wissen im Kontext nachhaltiger Entwicklung sowohl als Lösung sowie auch als Problem des Ganzen. So ist die Nachhaltigkeitsdebatte einerseits aus der modernen Wissensgesellschaft heraus überhaupt erst entstanden. Andererseits hat Wissen dazu geführt, dass Innovationen zum Zwecke wirtschaftlichen Wachstums erfunden und eingesetzt worden sind, was erst die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung der Zukunft hervorgebracht hat. Wissen muss demnach als Ursache des Problems wie auch als Lösung betrachtet werden. Es gilt somit, Wissen als Ressource im Kontext von Nachhaltigkeit zu begreifen und gleichzeitig
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einen Diskurs über die Anwendung und Gestaltung eines solchen Wissens zu führen, je nach Wissensart, dem Kontext in dem es angewendet wird und je nach den Akteur*innen, welche es anwenden (Henkel 2016: 16ff.). Daran anknüpfend ergeben sich einige Implikationen für den Link zwischen Wissen und Handeln im Nachhaltigkeitskontext und der daraus resultierenden Bedeutung von Wissen in diesem Zusammenhang. Dabei kommen Van Kerkhoff & Lebel zu dem Schluss, dass die Verantwortung für diese Verbindung sowohl auf Seiten der Forschung als auch der Zivilgesellschaft liegt. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sollten forschungsbasiertes Wissen nutzen, um Handlungsund Entscheidungsfindungen zu unterstützen. Forscher*innen hingegen sollten das relevante Wissen in die Zivilgesellschaft hinein vermitteln, um somit auf relevante Themen in diesem Kontext aufmerksam zu machen (van Kerkhoff & Lebel 2006: 466). Wissen fungiert hierbei als wichtiges Bindeglied zwischen zivilgesellschaftlichem und wissenschaftlichem Handeln im Kontext nachhaltiger Entwicklung oder um es mit Jasanoff allgemeiner auszudrücken: »Wissen (…) ist konstitutiv für Formen des sozialen Lebens« (Jasanoff 2006: 274). Wissen kommt im Nachhaltigkeitskontext neben der Funktion als Bindeglied auch eine große Bedeutung als Einflussfaktor für die Analyse ökonomischer Modernisierung sowie des sozialen Wandels gegenwärtiger Gesellschaften zu. Es übernimmt dabei gleichzeitig die Funktion einer Handlungs- und Steuerungsressource. Die Generierung sowie eine erfolgreiche Einbettung von solchen Wissensbeständen kann dabei in hohem Maße das Gelingen oder Scheitern von nachhaltigkeitsrelevanten Handlungsweisen und Praktiken beeinflussen (Kraemer 2001: 759). Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass Wissen im Nachhaltigkeitskontext oftmals stark mit Unsicherheit und zu Teilen auch Unvollständigkeit verbunden ist (Stichwort Nicht-Wissen). Dies ist auf die immense Komplexität der Thematik zurückzuführen, welche nur eine begrenzte Generierung von Wissensbeständen möglich macht. Das kann Handlungsweisen negativ beeinflussen, insbesondere weil Wissen in diesem Zusammenhang oftmals kulturell geprägt und somit nicht immer objektiv und neutral sein kann, da es unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben unterliegt (Kraemer 2001: 760f.). Ungeachtet dieser Hindernisse ermöglicht Wissen durch seine Vielfalt aber eben auch »die Extension von Handlungsfähigkeiten in Bezug auf Umweltressourcen und impliziert damit nicht zuletzt (…) Macht über die Gestaltung von Umweltbedingungen« (Kraemer 2001: 762). Der Erwerb von Wissen ermöglicht somit zumindest in gewissen Teilen Macht über das Ausführen nachhaltiger Handlungsweisen, was erneut seinen hohen Stellenwert in diesem Kontext deutlich macht. Kraemer stellt in diesem Zusammenhang die These auf, dass durch die Aneignung von Wissen demnach Handlungskapazitäten in Bezug auf eine nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen eher größer als kleiner werden (ebd.: 765). Es zeigt sich, dass Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation und der damit einhergehenden Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele eine hohe Bedeutung zukommt oder um es mit den Worten von Moll & Schütz auszudrücken: »Wissen (gilt) als eine der wichtigsten Ressourcen zur Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen (…)« (Moll & Schütz 2021: 12). Ohne ein vorhandenes Wissen über die Existenz globaler Umweltprobleme, kann auch keine Verhaltensänderung hin zur Nachhaltigkeit stattfinden (Heeren et al. 2016: 615). Dabei kann Wissen verschiedene Rollen oder besser Funktionen übernehmen, die in diesem Zusammenhang eine große Relevanz aufweisen. Die
4 Wissen und Nachhaltigkeit
Integration von Wissen ist somit die Basis des Verständnisses der Schlüsselkonzepte nachhaltiger Entwicklung. Doch es zeigt sich auch, dass Wissen in demjenigen Kontext von Nachhaltigkeit, indem es seine Anwendung findet, näher spezifiziert werden muss, um seinen tatsächlichen Wert ausmachen zu können. Aus diesem Grund werden im anschließenden Kapitel relevante Strukturen und Formen eines Wissens im Nachhaltigkeitskontext näher erläutert.
4.2
Strukturen & Formen eines Wissens für Nachhaltigkeit
Das grundlegende Problem für die Gestaltung eines Wissens im Nachhaltigkeitskontext ist, dass es sich bei den Konflikten des 21. Jahrhunderts um Themen handelt, die wie bereits mehrfach erwähnt eine enorme Komplexität aufweisen. Eine Lösung dieser Probleme erfordert systemdynamisches Denken, die Akzeptanz der fehlenden eindeutigen Lösungsansätze sowie ein Verständnis darüber, dass diese Probleme je nach Kontext, Raum, Kultur und Zeit in ihrem Wirkungsgrad variabel auftauchen können. Ein Wissen über Nachhaltigkeit sollte demnach allgemein betrachtet vier zentrale Merkmale erfüllen: die Anerkennung der Komplexität des Systems, eine gesellschaftliche Robustheit, eine Akzeptanz über verschiedene Kulturen hinweg sowie die Erfüllung festgelegter, normativer Kriterien (Miller et al. 2011: 188). Diese Merkmale können in den meisten Fällen nur dann erfüllt werden, wenn es sich bei den Wissensbeständen um sozial-robustes Wissen handelt. Darunter ist ein Wissen zu verstehen, welches kontextbezogen produziert wird und schon im Produktionsprozess sowohl wissenschaftliche als auch nichtwissenschaftliche Erfahrungen gleichermaßen einbezieht. Es stellt somit eine Kombination aus empirisch gesichertem Wissen und erfahrungsbasiertem Problemwissen dar (Nowotny 2000: 2). In diesem Sinne fungiert die gesamte gegenwärtige Wissensgesellschaft als der zentrale Ort, an dem nachhaltigkeitsrelevantes Wissen produziert und verhandelt wird, losgelöst von einzelnen, statischen Forschungsinstitutionen und somit der Wissenschaft als einzigem Akteur der Wissensproduktion (ebd.). Cash et al. untersuchten in ihrer Studie die Bedeutung von Wissenssystemen im Nachhaltigkeitskontext. Sie kommen zu dem Schluss, dass Wissenschaft und insbesondere Wissen einen wesentlichen, teilweise sogar essenziellen Beitrag zu vielfältigen Nachhaltigkeitsthemen leisten können. Allerdings muss dieser Impact erheblich erhöht werden, damit der Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft rechtzeitig vollzogen wird (Cash et al. 2003: 8089). Wie bereits in Kapitel 3 ausführlich thematisiert wurde, existieren je nach Betrachtungskontext diverse unterschiedliche Wissensformen. Dies führt dazu, dass auch im Nachhaltigkeitskontext unterschiedliche Wissensarten eine Rolle spielen und diese je nach Anwendungsraum ein unterschiedliches Maß an Relevanz aufweisen. Tabelle 7 zeigt vier zentrale Wissensarten, die sich in der Fachliteratur im Nachhaltigkeitskontext mehrheitlich finden lassen:
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4 Wissen und Nachhaltigkeit
Integration von Wissen ist somit die Basis des Verständnisses der Schlüsselkonzepte nachhaltiger Entwicklung. Doch es zeigt sich auch, dass Wissen in demjenigen Kontext von Nachhaltigkeit, indem es seine Anwendung findet, näher spezifiziert werden muss, um seinen tatsächlichen Wert ausmachen zu können. Aus diesem Grund werden im anschließenden Kapitel relevante Strukturen und Formen eines Wissens im Nachhaltigkeitskontext näher erläutert.
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Strukturen & Formen eines Wissens für Nachhaltigkeit
Das grundlegende Problem für die Gestaltung eines Wissens im Nachhaltigkeitskontext ist, dass es sich bei den Konflikten des 21. Jahrhunderts um Themen handelt, die wie bereits mehrfach erwähnt eine enorme Komplexität aufweisen. Eine Lösung dieser Probleme erfordert systemdynamisches Denken, die Akzeptanz der fehlenden eindeutigen Lösungsansätze sowie ein Verständnis darüber, dass diese Probleme je nach Kontext, Raum, Kultur und Zeit in ihrem Wirkungsgrad variabel auftauchen können. Ein Wissen über Nachhaltigkeit sollte demnach allgemein betrachtet vier zentrale Merkmale erfüllen: die Anerkennung der Komplexität des Systems, eine gesellschaftliche Robustheit, eine Akzeptanz über verschiedene Kulturen hinweg sowie die Erfüllung festgelegter, normativer Kriterien (Miller et al. 2011: 188). Diese Merkmale können in den meisten Fällen nur dann erfüllt werden, wenn es sich bei den Wissensbeständen um sozial-robustes Wissen handelt. Darunter ist ein Wissen zu verstehen, welches kontextbezogen produziert wird und schon im Produktionsprozess sowohl wissenschaftliche als auch nichtwissenschaftliche Erfahrungen gleichermaßen einbezieht. Es stellt somit eine Kombination aus empirisch gesichertem Wissen und erfahrungsbasiertem Problemwissen dar (Nowotny 2000: 2). In diesem Sinne fungiert die gesamte gegenwärtige Wissensgesellschaft als der zentrale Ort, an dem nachhaltigkeitsrelevantes Wissen produziert und verhandelt wird, losgelöst von einzelnen, statischen Forschungsinstitutionen und somit der Wissenschaft als einzigem Akteur der Wissensproduktion (ebd.). Cash et al. untersuchten in ihrer Studie die Bedeutung von Wissenssystemen im Nachhaltigkeitskontext. Sie kommen zu dem Schluss, dass Wissenschaft und insbesondere Wissen einen wesentlichen, teilweise sogar essenziellen Beitrag zu vielfältigen Nachhaltigkeitsthemen leisten können. Allerdings muss dieser Impact erheblich erhöht werden, damit der Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft rechtzeitig vollzogen wird (Cash et al. 2003: 8089). Wie bereits in Kapitel 3 ausführlich thematisiert wurde, existieren je nach Betrachtungskontext diverse unterschiedliche Wissensformen. Dies führt dazu, dass auch im Nachhaltigkeitskontext unterschiedliche Wissensarten eine Rolle spielen und diese je nach Anwendungsraum ein unterschiedliches Maß an Relevanz aufweisen. Tabelle 7 zeigt vier zentrale Wissensarten, die sich in der Fachliteratur im Nachhaltigkeitskontext mehrheitlich finden lassen:
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 7: Relevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext Wissensart
Beschreibung
Bedeutung
Erklärungswissen & Systemwissen
– Verständnis über Funktionsweisen natürlicher & sozialer Systeme – Wissen über Ursache/Wirkungsverhältnisse – Wissen über Systemzusammenhänge & Wechselwirkungen von anthropogenem Handeln und der natürlichen Umwelt
Epistemologische Basis
Orientierungswissen/ normatives Wissen
– Wissen über einen erstrebenswerten Systemzustand sowie die dafür notwendigen Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung – Wissen über Kriterien zur Bewertung & Einordnung nachhaltigen oder nicht-nachhaltigen Handelns – Wissen über gesellschaftliche Normen, Werte & Glaubensansichten im Nachhaltigkeitskontext
Orientierung & Argumentation
Zukunftswissen
– Wissen über die Fernwirkung gesellschaftlichen Handelns auf der zeitlichen Ebene – Wissen über Zukunftsszenarien für komplexe Handlungsfelder
Beratung- und Entscheidungsfindung
Handlungswissen/ Transformatives Wissen
– Wissen über potenzielle Maßnahmen/ Strategien und deren Wirksamkeit zur Umsetzung nachhaltigkeitsbezogener Zielsetzungen unter Einbezug aller anderen Wissensarten – Wissen über die Bewertbarkeit nachhaltigkeitsbezogener Maßnahmen/Meta-Wissen über die Unsicherheiten & Unvollständigkeiten des Wissens – Wissen, welches die Fähigkeit zu konkreten Handlungen fördert
konkrete Handlung
Eigene Darstellung nach Grunwald 2016; Grunwald & Kopfmüller 2012; Urmetzer et al. 2020
Die hier dargestellten Wissensarten sind für den Nachhaltigkeitskontext allesamt relevant und stellen in ihrer Gesamtheit sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingungen für eine gelungene sozial-ökologische Transformation dar. Dabei können die jeweiligen Wissensarten aufbauend aufeinander betrachtet werden. Somit bildet das Systemwissen die Grundlage für das normative Wissen und Zukunftswissen und diese Wissensarten wiederum bilden die epistemologische Basis für das schwer fassbare und hochkomplexe transformative Wissen, welches letzten Endes zu konkreten Handlungen führt (Urmetzer et al. 2020: 88f.). Letzteres Wissen wird in der Literatur auch häufig als Wirksamkeitswissen bezeichnet (Roczen et al. 2014: 978). Zusammenführend lassen sich diese Wissensarten übergeordnet auch als strategisches Wissen bezeichnen. Unter diesem Begriff werden die genannten Wissensdimensionen kombiniert verwendet, um dadurch einen tatsächlichen Beitrag im Nachhaltigkeitskontext leisten zu können (Grunwald 2004: 151).
4 Wissen und Nachhaltigkeit
Im Hinblick auf die Nutzung diverser Wissensformen kommen zahlreiche Studien zu dem Schluss, dass insbesondere ein umfangreiches und vielfältiges Wissen Handlungsprozesse und Kapazitäten für nachhaltiges Handeln aufbauen und unterstützen kann (Caniglia et al. 2021; Cash et al. 2003; Jerneck et al. 2011). Das Resultat einer Verbindung verschiedener Arten von Wissen ist ein handlungsorientiertes Wissen. Dem liegt die pragmatische-philosophische Prämisse zugrunde, dass Handlung und Wissen niemals getrennt voneinander betrachtet werden können, weder in der Theorie noch in der Praxis: »Action generates knowledge and knowledge supports and reinforces action as well as peoples capacity to navigate ever-changing situations« (Caniglia et al. 2021: 94). Neben dem bereits aufgeführten strategischen Wissen und seinen inkorporierten Wissensformen, können in diesem Zusammenhang noch weitere spezifischere relevante Wissensformen genannt werden: Ein kritisches und co-produziertes Wissen, welches Gemeinsamkeiten stärkt und unterschiedliche Werte und Normen berücksichtigt sowie ein emergent-situiertes Wissen, welches kontext-abhängige Handlungen ermöglicht (ebd.: 96). Ein solcher pluralistischer Wissensansatz kann dabei helfen, den Dialog zwischen verschiedensten Akteur*innen zu stärken und somit Wissenslücken zu füllen und neue Notwendigkeiten der Wissensproduktion zu eruieren (ebd.: 98), um somit ein tatsächliches Handeln im Nachhaltigkeitskontext auf allen Akteursebenen zu ermöglichen. Neben den übergeordneten Wissensformen ist es weiterhin relevant, sich mit Wissensformen aus den verschiedenen Akteursebenen zu beschäftigen. Im Nachhaltigkeitskontext werden hier vor allem die Formen des lokalen und indigenen Wissens genannt. Insbesondere dann, wenn es um aus der Erfahrung heraus erworbenes, implizites Wissen geht, spielt eine solche Wissensform eine zentrale Rolle. Es handelt sich dabei um ein Wissen, welches rein auf Erfahrungswerten, individuellen Kompetenzen und kulturellen Normen sowie Werten basiert. Im Hinblick auf die Anwendung von nachhaltigkeitsrelevanten Wissensbeständen ist es demnach von Bedeutung, in welchem Lebenskontext es notwendig ist. Verschiedene Kulturen sowie auch einzelne Individuen (z.B. Ureinwohner*innen, lokale Aktivist*innen, Unternehmer*innen oder Wissenschaftler*innen) bringen unterschiedliche Werte, Ansichten und Annahmen im Hinblick auf ihr eigenes Umfeld mit sich. Diese können beispielsweise spiritueller oder auch materialistischer Natur sein. Je nachdem bestehen unterschiedliche Arten des Denkens und der Wissensproduktion und -anwendung, die es im Nachhaltigkeitskontext sowie der Wissensvermittlung und -bereitstellung zu beachten gilt (Caniglia et al. 2021: 97). Indigenes oder lokales Wissen wird im Nachhaltigkeitskontext dabei in den häufigsten Fällen definiert als ein Sammelbegriff von Wissen über die Beziehung von Mensch und Umwelt, der sich aus Praxis, Glauben und Anpassungsprozessen heraus entwickelt hat und generationenübergreifend weitergegeben wird (Berkes 2018: 8). Ein solches Wissen ist dabei oftmals ortsbezogen und kulturell verankert in Gemeinschaften, welche eine starke Bindung an ihre natürliche Umgebung aufweisen (Orlove et al. 2010: 244). Aufgrund der Individualität und Lokalität, die von einem solchen Wissen ausgeht, ist es sehr schwer, eine gängige und spezifischere Definition dieses Wissensbegriffs aufzustellen. Dies führt dazu, dass trotz zahlreicher Studien zur Erforschung der Bedeutung indigenen Wissens nach wie vor kein einheitlicher Konsens darüber besteht, worin genau der übergeordnete Wert eines solchen Wissens liegt. Es hängt vielmehr im-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
mer vom Anwendungskontext ab (Lam et al. 2020: 8). Grundlegend lässt sich sagen, dass ein solches Wissen mehrheitlich praktischer Natur ist (z.B. Wissen über nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden und Lebensweisen etc.) (Zimmermann & Risopoulos-Pichler 2016: 231). Der Einbezug solcher Wissensbestände sollte als essenziell betrachtet werden, denn er entspricht der multiperspektivischen Denkweise, die im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation notwendig ist. Darüber hinaus bietet ein Einbezug eines indigenen und lokalen Wissens einen Mehrwert für eine breitere zivilgesellschaftliche Beteiligung am Transformationsprozess, kann unterstützend für wissenschaftliche Forschung wirken und ist grundsätzlich auch in ethischer Hinsicht notwendig (ebd.: 9). Zudem muss die Berücksichtigung unterschiedlicher Weltvorstellungen und den damit einhergehenden Denk- und Wissensweisen als Basis für eine gelungene globale sozialökologische Transformation betrachtet werden. Van Opstal & Huge stellen in einer Studie diesbezüglich einen großen Bedarf für eine Neuintegration solcher Wissensbestände in die gesamte Nachhaltigkeitsdebatte als eine Gelingensbedingung heraus (Van Opstal & Huge 2013: 705). Mit Blick auf die zuvor aufgestellten übergeordneten Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext stellt indigenes Wissen allerdings keine eigene Wissenskategorie dar, sondern sollte als eine mögliche übergeordnete Wissensform respektive Wissensquelle betrachtet werden, die Inhalte aus allen in Tabelle 7 beschriebenen Wissensformen enthalten kann. Sie ist dabei abzugrenzen von in der Wissenschaft produziertem Wissen, welches die andere mögliche Quelle für relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext darstellt. Übergeordnet betrachtet, liegen allen hier genannten Wissensformen drei zentrale Prämissen zugrunde, die im Anwendungskontext beachtet werden müssen, um diese Wissensbestände wirkungsvoll nutzbar zu machen: Systemisches Denken, holistische Betrachtung & Transdisziplinarität. Wie in Kapitel 2 bereits angeklungen ist, spielen die Systemtheorie und systemisches Denken im Nachhaltigkeitskontext eine wichtige Rolle. Systemisches Denken meint dabei »die Fähigkeit, komplexe Systeme in verschiedenen Bereichen (Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft) sowie in verschiedenen Maßstäben (lokal bis global) ganzheitlich zu analysieren« (Zimmermann & RisopoulosPichler 2016: 237). Wissen im Nachhaltigkeitskontext muss demnach immer auch auf der systemischen Ebene gedacht werden, um die Gesamtheit der Thematik erfassen zu können. Die zweite Prämisse, welche hier bereits anklingt, ist die holistische Sichtweise des systemischen Denkens. Wissen im Kontext von Nachhaltigkeit kann nur dann sinnstiftend eingesetzt werden, wenn es auf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise fußt, die es ermöglicht, die Komplexität dieser Thematik vollumfänglich zu erfassen und somit auch auf allen räumlichen Dimensionen anzuwenden. Erst dadurch wird es möglich, beispielsweise potenzielle und realistische Zukunftsszenarien zu entwerfen oder Lösungsstrategien im Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit zu bewerten (ebd.: 238). Die dritte Prämisse ergibt sich aus der thematischen Vielfalt der Nachhaltigkeitsthematik. Die zahlreichen Trends und Konflikte des 21. Jahrhunderts beinhalten Wissensbestände aus den verschiedensten Forschungsdisziplinen von den Natur- über die Sozial bis hin zu den Geistes- und Bildungswissenschaften. Ein Wissen für Nachhaltigkeit ist demnach immer auch inter- und bestenfalls auch transdisziplinär zu denken. Interdisziplinär meint dabei die Zusammenarbeit verschiedener Forschungsdisziplinen innerhalb der Wissenschaft zur Bearbeitung von Lösungsansätzen unter Rückbezug auf
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ein gemeinsames Problemverständnis (Zimmermann & Risopoulos-Pichler 2016: 240). Transdisziplinarität bedeutet erweiternd dazu, den Einbezug von Wissensbeständen außerwissenschaftlicher Akteur*innen beispielsweise aus der Zivilgesellschaft sowie die Zusammenarbeit mit diesen im Hinblick auf Lösungsansätze (ebd.: 241). Ungeachtet der Wissensform, welche im Nachhaltigkeitskontext ihre Anwendung findet, gilt es demnach, sich Wissensbestände immer unter Berücksichtigung von systemischem Denken, einer holistischen Betrachtungsweise sowie von verschiedenen Disziplinen heraus anzueignen. Erst in diesem Zusammenspiel kann Wissen im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation sein gesamtes Potenzial entfalten. Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sollte somit sowohl in Form eines spezifischen, vertieften Wissens zu einer bestimmten Thematik als auch in Form eines holistischen Wissens, welches die systemischen Zusammenhänge berücksichtigt, vorhanden sein (Heeren et al. 2016: 614). Daraus ergibt sich ein Wissenssystem, welches auf einer multidimensionalen Ebene verschiedenste Wissensformen kombiniert, um so das Zusammenspiel und die Komplexität der sozial-ökologischen Systeme besser erfassen zu können (Tabara & Chabay 2013: 74f.). Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass Wissen einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit einnimmt. Die Formen des Wissens, die dabei eine Rolle spielen, sind ebenso vielfältig wie die dazugehörigen Inhalte. Wichtig ist, dass Wissensbestände im Nachhaltigkeitskontext sozial robust sein sollten und gleichzeitig immer übergeordnet auf einer interdisziplinären, systemischen und holistischen Ebene betrachtet werden müssen. Dabei sollten neben den wissenschaftlichen auch lokale und indigene Wissensbestände gleichermaßen einbezogen werden. Wie ein relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext gewinnbringend kommuniziert werden kann, thematisiert das folgende Kapitel.
4.3 Nachhaltigkeitskommunikation – Nachhaltigkeitswissen kommunizieren Die grundlegenden Aspekte von Wissenskommunikation, die auch für den spezifischen Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation gelten, wurden bereits in Kapitel 3.4 hinlänglich behandelt und werden daher hier nicht noch einmal aufgegriffen. Im Folgenden geht es darum, spezifische Aspekte und Herausforderungen einer Nachhaltigkeitskommunikation näher zu beleuchten. Der Begriff der Nachhaltigkeitskommunikation (und seine synonymen Verwendungen wie Umwelt-, Öko- oder Umweltschutzkommunikation) bezieht sich auf einen »(…) Prozess zur Verständigung und zur Information über umweltrelevante Themen (…)« (Thassler 2014: 106). Nachhaltigkeitskommunikation spielt dabei sowohl auf der politischen als auch der ökonomischen und sozialen Ebene eine Rolle. Nachhaltigkeitskommunikation muss verstanden werden als diskursiver Austausch über Nachhaltigkeitsthemen mit der Voraussetzung der Akteurspartizipation sowie als Verständigungsprozess mit dem Ziel der Veränderung und Umgestaltung (Prexl 2010: 137). Dabei erfüllt eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation die Funktion der Sensibilisierung der Gesellschaft für die Relevanz von Umweltthemen einerseits und stellt andererseits eine Grundbedingung dar für die Erarbeitung von wirksa-
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ein gemeinsames Problemverständnis (Zimmermann & Risopoulos-Pichler 2016: 240). Transdisziplinarität bedeutet erweiternd dazu, den Einbezug von Wissensbeständen außerwissenschaftlicher Akteur*innen beispielsweise aus der Zivilgesellschaft sowie die Zusammenarbeit mit diesen im Hinblick auf Lösungsansätze (ebd.: 241). Ungeachtet der Wissensform, welche im Nachhaltigkeitskontext ihre Anwendung findet, gilt es demnach, sich Wissensbestände immer unter Berücksichtigung von systemischem Denken, einer holistischen Betrachtungsweise sowie von verschiedenen Disziplinen heraus anzueignen. Erst in diesem Zusammenspiel kann Wissen im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation sein gesamtes Potenzial entfalten. Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sollte somit sowohl in Form eines spezifischen, vertieften Wissens zu einer bestimmten Thematik als auch in Form eines holistischen Wissens, welches die systemischen Zusammenhänge berücksichtigt, vorhanden sein (Heeren et al. 2016: 614). Daraus ergibt sich ein Wissenssystem, welches auf einer multidimensionalen Ebene verschiedenste Wissensformen kombiniert, um so das Zusammenspiel und die Komplexität der sozial-ökologischen Systeme besser erfassen zu können (Tabara & Chabay 2013: 74f.). Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass Wissen einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit einnimmt. Die Formen des Wissens, die dabei eine Rolle spielen, sind ebenso vielfältig wie die dazugehörigen Inhalte. Wichtig ist, dass Wissensbestände im Nachhaltigkeitskontext sozial robust sein sollten und gleichzeitig immer übergeordnet auf einer interdisziplinären, systemischen und holistischen Ebene betrachtet werden müssen. Dabei sollten neben den wissenschaftlichen auch lokale und indigene Wissensbestände gleichermaßen einbezogen werden. Wie ein relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext gewinnbringend kommuniziert werden kann, thematisiert das folgende Kapitel.
4.3 Nachhaltigkeitskommunikation – Nachhaltigkeitswissen kommunizieren Die grundlegenden Aspekte von Wissenskommunikation, die auch für den spezifischen Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation gelten, wurden bereits in Kapitel 3.4 hinlänglich behandelt und werden daher hier nicht noch einmal aufgegriffen. Im Folgenden geht es darum, spezifische Aspekte und Herausforderungen einer Nachhaltigkeitskommunikation näher zu beleuchten. Der Begriff der Nachhaltigkeitskommunikation (und seine synonymen Verwendungen wie Umwelt-, Öko- oder Umweltschutzkommunikation) bezieht sich auf einen »(…) Prozess zur Verständigung und zur Information über umweltrelevante Themen (…)« (Thassler 2014: 106). Nachhaltigkeitskommunikation spielt dabei sowohl auf der politischen als auch der ökonomischen und sozialen Ebene eine Rolle. Nachhaltigkeitskommunikation muss verstanden werden als diskursiver Austausch über Nachhaltigkeitsthemen mit der Voraussetzung der Akteurspartizipation sowie als Verständigungsprozess mit dem Ziel der Veränderung und Umgestaltung (Prexl 2010: 137). Dabei erfüllt eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation die Funktion der Sensibilisierung der Gesellschaft für die Relevanz von Umweltthemen einerseits und stellt andererseits eine Grundbedingung dar für die Erarbeitung von wirksa-
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men Nachhaltigkeitsstrategien (Helbling 2018: 9). Sie bildet somit den Rahmen für die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses von Nachhaltigkeitsthemen, den zu erreichenden Zielen sowie den beteiligten Akteur*innen (Genc 2017: 514f.). Die zentralen Methoden von Nachhaltigkeitskommunikation reichen von Social Marketing (zielgruppenund bedürfnisorientierte Kommunikation), Empowerment-Strategien (Unterstützung der aktiven Lebensgestaltung) bis hin zu Partizipationsinstrumenten (Schaffung von aktiven Partizipationsmöglichkeiten wie beispielsweise in Zukunftswerkstätten) und Bildung (Vermittlung von notwendigem Wissen und Handlungskompetenzen) (Godemann & Michelsen 2011: 9f.). Die Akteur*innen der Nachhaltigkeitskommunikation sind dabei identisch zu denen in Kapitel 2.8.4 benannten Akteursebenen der Nachhaltigkeit und beinhalten somit Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bildung und Forschung sowie erweiternd dazu den Medien (Marzahl 2019: 21ff.). Im Hinblick auf den für diese Arbeit relevanten Bereich der Zivilgesellschaft spielt für die Nachhaltigkeitskommunikation somit insbesondere die Kommunikation über alltagsökologische Themen wie beispielsweise Handlungen im Hinblick auf den Verbrauch von Ressourcen eine Rolle (ebd.: 38). Aus diesem Grund kann Nachhaltigkeitskommunikation auch als ein Verständigungsprozess verstanden werden, der sich mit der gesellschaftlichen Zukunftssicherung auseinandersetzt, in deren Zentrum das Leitbild der Nachhaltigkeit steht. Im Fokus einer solchen Kommunikation sollten daher insbesondere inter- und intragenerationelle Gerechtigkeitswerte und -normen, Ursachenforschung und Problemwahrnehmung sowie gesellschaftsbezogene Handlungs- und Gestaltungsoptionen stehen (Michelsen 2007: 27). Für die Zielgruppe der Zivilgesellschaft besteht die Hauptaufgabe der Nachhaltigkeitskommunikation darin, nachhaltige Wertorientierungen und Einstellungen zu stärken, Sach-, Orientierungs- und Handlungswissen zu vermitteln, um Wissensdefizite zu beheben sowie gleichzeitig zu einer Verhaltensänderung im Sinne der Nachhaltigkeit zu motivieren (Kleinhückelkotten & Neitzke 2018: 101; Kleinhückelkotten & Wegner 2008: 8). Nachhaltigkeitskommunikation fördert somit im besten Fall den Aufbau kognitiven und affektiven Wissens gleichermaßen (Helbling 2018: 9). Eine derartige Kommunikation ermöglicht der Gesellschaft somit einen Wissenszugang sowie auch einen Austausch und eine Beteiligung an Wissensproduktionsprozessen. Gleichzeitig sollte es das Ziel einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation sein, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, zu provozieren sowie auch neue Möglichkeitsräume für nachhaltiges Handeln zu schaffen (Bollow et al. 2014: 372). Dabei muss eine solche Kommunikation immer an den Bedürfnissen der Zielpersonen orientiert sein, um als gesellschaftlich relevant angesehen zu werden (Schrader 2005: 64). An dieser Stelle sei konstatiert, dass eine nachhaltigkeitsbezogene Kommunikation immer auch ganzheitlich betrachtet werden muss und daher auch immer Verbindungen zu den anderen Akteursebenen aufweist, insbesondere da die unterschiedlichen Perspektiven nachhaltigkeitsbezogener Themen von den Individuen der Gesellschaft auch unterschiedlich wahrgenommen und verstanden werden (Michelsen 2007: 25). Nachhaltigkeitskommunikation erfolgt dennoch im besten Fall immer zielgruppenspezifisch. Je nachdem, ob es sich um Personen handelt, die im Hinblick auf ihr Wissen und Handeln in Punkto Nachhaltigkeit starke Defizite aufweisen oder Personen, die bereits versuchen ihr Handeln nachhaltig auszurichten, jedoch weiteres Handlungswissen
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benötigen, muss die Kommunikation unterschiedlich gestaltet und fokussiert werden (Kleinhückelkotten & Neitzke 2018: 101f.). Hier bietet sich beispielsweise der aus der Soziologie stammende Lebensstilansatz an. Eine auf Lebensstile ausgerichtete Kommunikation wie Beispielsweise den Sinus-Milieus des Sinus-Instituts (Sinus-Institut 2022), ermöglicht eine deutlich individuellere und passgenauere Kommunikation, als der Versuch einer generalisierten Nachhaltigkeitskommunikation, welcher angesichts der individualisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht vielversprechend erscheint (Bollow et al. 2014: 374f.). Der Kommunikationsprozess kann dabei sowohl zwischen zivilgesellschaftlichen Individuen selbst als auch zwischen Individuum und Institutionen (z.B. Wissenschaft, Politik oder Medien) ablaufen (Michelsen 2007: 27). Nachhaltigkeitskommunikation spielt sowohl auf lokaler als auch auf nationaler und globaler Ebene eine Rolle und sollte demnach als eines der Schlüsselinstrumente für die Umsetzung von nachhaltigkeitsbezogenen Zielsetzungen betrachtet werden (Adomßent & Godemann 2007: 44). Hinzu kommt der Aspekt der fehlenden Erfahrbarkeit (zeitlich, räumlich und emotional) sozial-ökologischer Problemstellungen, die eine gezielte Kommunikation zu nachhaltigkeitsrelevanten Inhalten unabdingbar macht, um ihnen eine gesellschaftliche Relevanz zu geben (Ziemann 2007: 127). Kommunikation ist somit ein entscheidendes Element für eine gelungene sozial-ökologische Transformation (Sjölander-Lindqvist 2022: 2). Bereits Luhmann hob in seinem Werk zur ökologischen Kommunikation hervor, dass gesellschaftliche Reaktionen zu beispielsweise Naturkatastrophen nur dann zu sehen sind, wenn über diese kommuniziert wird (Luhmann 1986: 63). Die fehlende Erfahrbarkeit macht nachhaltigkeitsbezogene Themen somit zu »unobstrusive issues«, die sich nur via Kommunikation vermitteln lassen (Schäfer & Bonfadelli 2017: 316). Was dabei gesellschaftlich als relevant erachtet wird, hängt maßgeblich davon ab, wie Wissen zugänglich gemacht und daraufhin bewertet wird (Bollow et al. 2014: 370). Doch die fehlende Erfahrbarkeit in Kombination mit der hohen Komplexität der Thematik stellt auf der anderen Seite auch eine immense Herausforderung für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation dar. Kommunikator*innen von Nachhaltigkeit stehen aus diesem Grund vor der Aufgabe, die komplexen Verflechtungen »(…) auf ein auch für den Laien verständliches Maß zu reduzieren, ohne dabei an Fachlichkeit und Evidenz zu verlieren. Gleichzeitig müssen Nachhaltigkeitsthemen so aufbereitet werden, dass sie Interesse wecken, Alltagsbezüge aufweisen und konkrete Handlungsoptionen bieten« (Pyhel 2018: 8f.). Die bereits angeklungene Knowledge-Action-Gap hat für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation zur Folge, dass diese auf mehreren Ebenen ansetzen muss. Diese sind in Abbildung 19 dargestellt. Je nach Ebene müssen dabei unterschiedliche Wissensarten und die dazugehörigen Informationen kommuniziert werden, immer unter Berücksichtigung der Voraussetzungen der jeweiligen Adressat*innen und unter Anwendung passender Kommunikationsmethoden und -formate, um somit eine gelungene Kommunikation gewährleisten zu können (Kleinhückelkotten & Neitzke 2018: 105f.). Ob die kommunizierten Inhalte dabei akzeptiert und als relevant betrachtet werden hängt davon ab, ob sie für die Empfänger*innen glaubwürdig (Vertrauenswürdigkeit des Senders), konsistent (Passung zum Weltbild der Empfänger*innen) sowie den sozialen Normen entsprechend (Akzeptanz im sozialen Umfeld der Empfänger*innen) erscheinen (ebd.: 107ff.). Insbesondere
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der Aspekt der Glaubwürdigkeit stellt für die Kommunikation nachhaltigkeitsbezogener Themen eine große Herausforderung dar. Die Masse an Informationen, die bereits existiert, kann bei den Nutzer*innen schnell zur Überforderung führen und der Wahrheitsgehalt lässt sich insbesondere im Zuge von Online-Medien nicht immer belegen. Für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation ist es daher von großer Bedeutung, dass das Wissen, welches vermittelt werden soll, transparent bezüglich seiner Quellen dargestellt wird (Renn 2018: 99).
Abbildung 18: Stufen der Nachhaltigkeitskommunikation
Eigene Darstellung erweitert und verändert nach Kleinhückelkotten & Neitzke 2018: 106
Eine weitere Herausforderung liegt in der Unsicherheit des Wissens. Die hohe Komplexität der Themen führt dazu, dass durch neue Erkenntnisse in der Wissenschaft auch Wissen revidiert und verändert werden muss im Lauf der Zeit. Eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation muss zum Beispiel bei der Vermittlung von Handlungswissen darauf achten, zu verdeutlichen, dass eine ständige Revidierung von Verhaltensweisen und eine Diskussion dieser eine Notwendigkeit im Nachhaltigkeitskontext darstellt, gleichzeitig aber ein Warten auf das Ausführen einer Handlung bis zur absoluten wissenschaftlichen Sicherheit nicht sinnvoll ist, da dies eventuell zu keinem Zeitpunkt gegeben sein wird. Nachhaltigkeit muss demnach immer als Work in Progress kommuniziert werden (Arnold & Erlemann 2012: 40). Die Komplexität äußert sich auch dadurch, dass Nachhaltigkeitsthemen mehrdimensional angelegt sind und gedacht werden müssen, da sie sowohl ökologische als auch soziale und ökonomische Aspekte gleichermaßen beinhalten. Die reine Kommunikation von ökologischen Gesichtspunkten ist demnach nicht zielführend. So konnten Severo et al. zeigen, dass Menschen mit Zugang zu holistisch angelegten integrierten Informationsbeständen ein stärkeres Umweltbewusstsein aufweisen und eher nachhaltig handeln (Severo et al. 2018: 514). Dies gilt es, für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation zu beachten.
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Im Hinblick auf potenzielle Kommunikationskanäle im Nachhaltigkeitskontext decken sich diese mit den in Kapitel 3.4 aufgeführten allgemeinen Kanälen der Wissenskommunikation. Auch hier scheint eine Kombination verschiedener Kanäle am gewinnbringendsten zu sein (Wonneberger 2014: 175). Im Nachhaltigkeitskontext und außerhalb von Bildungsinstitutionen werden hier häufig massenmediale Kommunikationskanäle wie Zeitung, Radio, Fernsehen und das Internet (inklusive Social Media) als sinnvoll für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation hervorgehoben (Kushwaha 2015: 3; Newig et al. 2013: 2982; Schäfer 2012: 70). Birke & Bush zeigen auf, dass insbesondere Social Media gerade für jüngere Generationen und aufgrund ihrer enormen Reichweite sowie ihrer multimedialen Funktionsweisen sinnvolle Kommunikationskanäle für nachhaltigkeitsbezogene Themen darstellen (Birke & Bush 2022: 66). Auch Godemann & Michelsen heben hervor, dass medientheoretischen Forschungen folgend Social Media als Kommunikationskanäle zukünftig eine größere Rolle spielen werden, da sie aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten einen großen Einfluss auf gesellschaftliches Bewusstsein und Diskurse haben (Godemann & Michelsen 2011: 7). Nachhaltigkeitskommunikation via Social Media findet dabei inzwischen sowohl auf der individuellen Ebene von Influencer*innen beispielsweise auf Instagram statt, aber auch innerhalb der Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen und NGOs (Lork & Roth 2021: 155). Quellen des Wissens und somit potenzielle Informationskanäle im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Themen lassen sich in die drei übergeordneten Bereiche Bildungsstätten (schulisch & außerschulisch), persönliche Kontakte sowie Medien einteilen (De Silva-Schmidt 2021: 60). Im Hinblick auf die Kommunikation außerhalb von Bildungsinstitutionen spielen somit für diese Arbeit insbesondere die Medien eine tragende Rolle. Oder um es mit den Worten von Taddicken & Neverla zu sagen: »Was wir über den Klimawandel Wissen, wissen wir über die Massenmedien« (Taddicken & Neverla 2019: 33) Sie sind aber keineswegs als zentrale Quelle zu betrachten, insbesondere da Studien zeigen, dass Wissensaneignung vor allem bei komplexen Themen wie beispielsweise dem Klimawandel oftmals aus einer Kombination diverser Quellen erfolgt (Lörcher 2019: 113f.). Ein Blick auf die gegenwärtige Nutzung von Informationsquellen zum aktuellen Tagesgeschehen der deutschen Bevölkerung zeigt, dass mit 42 % das Fernsehen in diesem Zusammenhang nach wie vor den meistgenutzten Informationskanal darstellt (IFD 2021 zit.n. Statista, 2022). Das Internet wird von 49 % der Bevölkerung (ab 14 Jahren) mindestens einmal pro Woche zur aktuellen Nachrichten- und Informationssuche verwendet (ca. 25 % davon nutzen es täglich) (VuMA 2021 zit.n. Statista, 2022). Die steigende Bedeutung von Internet und Social Media als Kommunikationskanäle zeigt sich ebenfalls in der Nutzungsentwicklung. So ist die Nutzung von Printmedien für Nachrichtenzwecke von 63 % im Jahr 2013 auf 26 % im Jahr 2021 gesunken. Die Nutzung von Social Media hingegen von 18 % auf 31 % angestiegen (Newman et al. 2021: 80). Allerdings beziehen sich diese Werte auf die Suche nach allgemeinen Nachrichten und Informationen. Zahlen zu verwendeten Informationsquellen im allgemeinen Nachhaltigkeitskontext lassen sich kaum finden. Im Hinblick auf spezifische Nachhaltigkeitsthemen lassen sich jedoch einige Studien finden. Stamm et al. stellten im Jahr 2000 heraus, dass in den USA die meistgenutzten Informationsquellen zum Klimawandel Zeitungen und das Fernsehen sind (Stamm et al. 2000: 230), Cabecinhas et al. kamen für Portugal zu einem ähnlichen Ergebnis, wo-
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bei hier das Fernsehen als Informationsquelle dominierte (Cabecinhas et al. 2008: 173). Dies trifft im Kontext des Klimawandels auch auf Deutschland zu (Lörcher 2019: 67). Metag et al. differenzieren die deutsche Bevölkerung im Kontext des Klimawandels in fünf Einstellungstypen (the Alarmed, the Concerned Activists, the Cautious, the Disengaged & the Doubtful). Jeder dieser Typen weist ein unterschiedliches Nutzungsverhalten bezüglich der Informationskanäle auf, insbesondere im Hinblick auf die Intensität der Informationssuche. Im Hinblick auf die Informationskanäle sind bei allen Typen die Massenmedien und dort insbesondere das Fernsehen die häufigste Informationsquelle (Metag et al. 2017: 446f.). Oschatz unterscheidet bei der Mediennutzung zwischen passiver und alltagsbezogener Mediennutzung einerseits, bei der vor allem Offline-Medien wie Tageszeitungen und das Fernsehen dominieren und die für tagesaktuelle Themen wie auch den Klimawandel eine bedeutsamere Rolle für die Gesellschaft spielt und aktiver Informationssuche im Klimawandelkontext andererseits, bei der vor allem Online-Medien im Internet eine wichtige Rolle spielen, da sie über die Suchfunktion die Recherche eine unabhängige Informationsbeschaffung ermöglichen. In den letzten Jahren lässt sich jedoch eine zunehmende Vermischung von Off- und Onlinemedien für die Informationssuche im Zuge des Klimawandels beobachten (Oschatz 2018: 80f.). Birke & Keil stellten heraus, dass die Hauptquellen der Informationssuche bezüglich der Agenda 2030 und deren SDGs in der deutschen Bevölkerung sich ebenfalls im Internet sowie dem Fernsehen manifestieren (Birke & Keil 2020: 54f.). Im Bereich der Internetnutzung in Deutschland konnte eine Studie von Bitkom Research zeigen, dass insbesondere Online-Seiten von klassischen Print-, TV- sowie RadioMedien zur Informationsbeschaffung im Kontext nachhaltigkeitsrelevanter Themen genutzt werden. Zudem gaben in dieser Studie lediglich 7 % der Befragten an, sich außerhalb des Internets über Nachhaltigkeitsthemen zu informieren (Bitkom 2021). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der repräsentativen Bevölkerungsumfrage aus dem aktuellen Wissenschaftsbarometer 2021. Auch hier zeigt sich, dass in Deutschland der meistgenutzte Informationskanal für wissenschafts- und forschungsbezogene Themen das Internet ist und auch hier insbesondere Internetseiten von klassischen Nachrichtensendern. Die Nutzung von Videoplattformen in diesem Kontext ist im Vergleich zum Jahr 2018 von 23 auf 33 % gestiegen (bei den 14–29-jährigen sind es 59 %). Podcasts werden als neuerer Informationskanal ebenfalls häufiger genutzt (Anstieg von 6 auf 16 %) (WID; & Kantar 2021: 8ff.). Es zeigt sich jedoch, dass allgemeine Studien im Hinblick auf genutzte Informationskanäle zu Themen der Nachhaltigkeit (vor allem außerhalb des Themas Klimawandel) kaum zu finden sind. Die potenziellen Formen, in denen nachhaltigkeitsrelevante Themen kommuniziert respektive vermittelt werden können oder sollten sind ebenso vielfältig wie die Kanäle der Kommunikation, spielen aber für den Kontext der vorliegenden Arbeit keine zentrale Rolle und werden daher hier nicht weiter behandelt. Hierzu sind unter dem Stichwort der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und insbesondere für den schulischen und universitären Kontext bereits hinlängliche Forschungen betrieben worden1 . Aber auch für den außerschulischen Bereich existieren bereits viele Konzepte über potenzielle Formen für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation wie beispielsweise das alternative Format des Storytellings (Sundermann et 1
für einen Überblick siehe zum Beispiel: Overwien & Rode (2013) sowie Bormann & de Haan (2008)
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al. 2021: 11ff.). Abschließend sei angemerkt, dass der Prozess der Nachhaltigkeitskommunikation ebenso komplex und diffus ist, wie die zu vermittelnden Themen selbst. Für eine gelungene Kommunikation gilt es zu beachten, a) … welche Zielgruppe erreicht werden soll und wie deren Merkmale und Besonderheiten im Hinblick auf Wissenserwerb sind b) … über welche Kanäle kommuniziert wird und welche Eigenschaften, Besonderheiten und Herausforderungen diese mit sich bringen c) … welche Inhalte und somit auch welche Wissensarten kommuniziert werden sollen d) … wie und in welcher Form das Wissen gewinnbringend kommuniziert werden kann, um dadurch für Handlungsmotivation zu sorgen
Dabei muss beachtet werden, dass nicht alles, was kommuniziert wird, einen tatsächlichen Handlungseffekt zur Folge hat. Nachhaltigkeitskommunikation bietet die Voraussetzung für eine Informierung der Gesellschaft über Themen der Nachhaltigkeit, hat einen nachweisbaren Einfluss auf eine diesbezügliche positive Einstellung, führt jedoch nicht zwangsweise zum Handeln (Taddicken & Neverla 2019: 49f.). Bevor es zur Auseinandersetzung mit den Ursachen für diese Knowledge-Action-Gap kommt, ist es zunächst notwendig, sich mit dem konkreten Wissensstand der deutschen Bevölkerung zu Themen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.
4.4 Wissensstand der Gesellschaft im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit Die Erfassung des gesellschaftlichen Bewusstseins im Nachhaltigkeitskontext erfolgt bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend zahlreich sind die Studien, die zu diesem Thema bereits durchgeführt worden sind. Die Studien beschäftigen sich dabei mit der Bedeutung von Umweltbewusstsein allgemein, mit Einflussfaktoren auf das Umweltbewusstsein sowie dem Zusammenhang von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten (Ham et al. 2015: 160). Das Wissen ist dabei allerdings lediglich eine der erfassten Komponenten, welche unter dem Oberbegriff des Umweltbewusstseins zusammengefasst werden. Unter Umweltbewusstsein fällt »die Einsicht in die Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst und die Bereitschaft zur Abhilfe« (Umweltfragen 1978: 445). Einsicht beschreibt in diesem Zusammenhang die umweltbezogenen Aspekte des Wissens einer Person und somit die kognitive Komponente eines Umweltbewusstseins (de Haan & Kuckartz 1996: 36). Umweltbewusstsein ist somit eine spezifische Haltung gegenüber den ökologischen Folgen anthropogenen Handelns (Ham et al. 2015: 160). Übergeordnet lässt sich das Umweltbewusstsein in die Komponenten des Umweltwissens (kognitive Komponente), der Umwelteinstellung (affektive Komponente) sowie des Umweltverhaltens (konative Komponente) unterteilen (ebd.: 163ff.). Umweltwissen definiert sich in diesem Zusammenhang als »der Kenntnis- und Informationsstand einer Person über Natur, über Trends und Entwicklungen in ökologischen Aufmerksamkeitsfeldern, über Methoden, Denkmuster und Traditionen im Hinblick auf Umweltfragen« (de Haan & Kuckartz 1996: 37). Erst bei der Erfassung aller Kom-
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al. 2021: 11ff.). Abschließend sei angemerkt, dass der Prozess der Nachhaltigkeitskommunikation ebenso komplex und diffus ist, wie die zu vermittelnden Themen selbst. Für eine gelungene Kommunikation gilt es zu beachten, a) … welche Zielgruppe erreicht werden soll und wie deren Merkmale und Besonderheiten im Hinblick auf Wissenserwerb sind b) … über welche Kanäle kommuniziert wird und welche Eigenschaften, Besonderheiten und Herausforderungen diese mit sich bringen c) … welche Inhalte und somit auch welche Wissensarten kommuniziert werden sollen d) … wie und in welcher Form das Wissen gewinnbringend kommuniziert werden kann, um dadurch für Handlungsmotivation zu sorgen
Dabei muss beachtet werden, dass nicht alles, was kommuniziert wird, einen tatsächlichen Handlungseffekt zur Folge hat. Nachhaltigkeitskommunikation bietet die Voraussetzung für eine Informierung der Gesellschaft über Themen der Nachhaltigkeit, hat einen nachweisbaren Einfluss auf eine diesbezügliche positive Einstellung, führt jedoch nicht zwangsweise zum Handeln (Taddicken & Neverla 2019: 49f.). Bevor es zur Auseinandersetzung mit den Ursachen für diese Knowledge-Action-Gap kommt, ist es zunächst notwendig, sich mit dem konkreten Wissensstand der deutschen Bevölkerung zu Themen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.
4.4 Wissensstand der Gesellschaft im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit Die Erfassung des gesellschaftlichen Bewusstseins im Nachhaltigkeitskontext erfolgt bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend zahlreich sind die Studien, die zu diesem Thema bereits durchgeführt worden sind. Die Studien beschäftigen sich dabei mit der Bedeutung von Umweltbewusstsein allgemein, mit Einflussfaktoren auf das Umweltbewusstsein sowie dem Zusammenhang von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten (Ham et al. 2015: 160). Das Wissen ist dabei allerdings lediglich eine der erfassten Komponenten, welche unter dem Oberbegriff des Umweltbewusstseins zusammengefasst werden. Unter Umweltbewusstsein fällt »die Einsicht in die Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst und die Bereitschaft zur Abhilfe« (Umweltfragen 1978: 445). Einsicht beschreibt in diesem Zusammenhang die umweltbezogenen Aspekte des Wissens einer Person und somit die kognitive Komponente eines Umweltbewusstseins (de Haan & Kuckartz 1996: 36). Umweltbewusstsein ist somit eine spezifische Haltung gegenüber den ökologischen Folgen anthropogenen Handelns (Ham et al. 2015: 160). Übergeordnet lässt sich das Umweltbewusstsein in die Komponenten des Umweltwissens (kognitive Komponente), der Umwelteinstellung (affektive Komponente) sowie des Umweltverhaltens (konative Komponente) unterteilen (ebd.: 163ff.). Umweltwissen definiert sich in diesem Zusammenhang als »der Kenntnis- und Informationsstand einer Person über Natur, über Trends und Entwicklungen in ökologischen Aufmerksamkeitsfeldern, über Methoden, Denkmuster und Traditionen im Hinblick auf Umweltfragen« (de Haan & Kuckartz 1996: 37). Erst bei der Erfassung aller Kom-
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ponenten kann von Umweltbewusstsein gesprochen werden. Im Zuge dieser Arbeit liegt der Fokus der im Folgenden synthetisierten Ergebnisse derartiger Erhebungen aus diesem Grund auf der Komponente des Umweltwissens sowie auf Deutschland als Untersuchungsraum dieser Arbeit. Je nach Studie werden dabei unterschiedliche Bereiche des Wissens untersucht. Pfligersdorffer unterteilt in seiner Studie das Umweltwissen in acht Bereiche. Darunter fallen unter anderem Wissen über ökologische Gesetzmäßigkeiten, Ökosysteme, Arten der Flora und Fauna, Beziehungen von Mensch, Natur & Umwelt sowie über anthropogene Einflüsse auf die Natur (Pfligersdorffer 1991: 61ff.). Auffällig hierbei ist, dass insbesondere die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit zu dominieren scheint. Ende des 20. Jahrhunderts lässt sich konstatieren, dass das Umweltwissen der deutschen Bevölkerung als nicht umfangreich beschrieben werden kann und dass Männer ein größeres Umweltwissen aufweisen als Frauen. Das gesamte Umweltbewusstsein hingegen hat bis dahin kontinuierlich zugenommen und kann auch im internationalen Vergleich als sehr hoch eingestuft werden (de Haan & Kuckartz 1996: 70). Dieses Ergebnis konnte auch in späteren Studien bestätigt werden. Gegenwärtig ist weiterhin ein Anstieg des Umweltbewusstseins und auch des Risikobewusstseins in Kombination mit einem gesteigerten Nachhaltigkeitsbewusstsein in der gesamten Bevölkerung festzustellen (BMUV 2020: 9ff.). Es finden sich inzwischen auch Studien, die zeigen, dass Frauen inzwischen sowohl ein höheres Level an Wissen als auch im gesamten Bewusstsein aufweisen, dieses jedoch oftmals unterschätzen. Die untersuchten Studien beziehen sich dabei allerdings ausschließlich auf das Thema des Klimawandels sowie den amerikanischen Raum (McCright 2010: 83f.). Im Hinblick auf das Alter als Einflussfaktor auf das gesamte Umweltbewusstsein zeigt sich ein starker gesellschaftlicher Wandel. So ist das Umweltbewusstsein innerhalb der jüngeren Generationen inzwischen deutlich ausgeprägter als das der älteren, auch wenn dies nicht mit einem stärkeren umweltbewussten Verhalten einhergeht (Schipperges et al. 2016: 15). Bei der Frage nach dem Informationsgrad, sprich dem Wissensstand in der allgemeinen Bevölkerung, lässt sich jedoch konstatieren, dass dieser als unzureichend eingestuft werden muss. So gaben beispielsweise bei einer Studie bei der Frage nach dem Informationsstand bezüglich der Umweltverträglichkeit von Lebensmitteln und Produkten 62 % der Befragten an, sich schlecht informiert darüber zu fühlen. Dies geht sogar so weit, dass sich Personen, die als eher umweltbewusst klassifiziert werden können im Gegensatz zu den anderen noch schlechter über relevante Themen in diesem Kontext informiert fühlen (Kuckartz & Rheingans-Heintze 2006: 30). Auch in der aktuellen Umweltbewusstseinsstudie für Deutschland des Umweltbundesamtes gaben 40 % der Befragten an, dass sie sich nur etwas bis gar nicht informiert fühlen über Themen der Nachhaltigkeit (BMUV 2020: 9) Dies lässt auf ein mangelndes Wissen schließen und verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung von Information und Wissen im Zusammenhang von Umweltbewusstsein. Das Umweltbundesamt führt diese Studie im 2-Jahres-Rhythmus zum Umweltverhalten und -bewusstsein in der deutschen Bevölkerung durch. Allerdings werden dort nicht konkrete Fragen zum allgemeinen Wissensstand gestellt, sondern viel mehr Einstellungen gegenüber Themen sowie persönlichen Verhaltensweisen. So werden in diesen Studien der Umweltaffekt (emotionale Reaktionen), Umweltkognition (Beur-
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teilung) sowie Umweltverhalten (Verhaltensweisen) erfasst (Umweltbundesamt 2018: 68). Erkenntnisse bezüglich eines Umweltwissens und somit des Wissensstandes in der Bevölkerung lassen sich demnach daraus nicht direkt ableiten. Dies gilt für die meisten Studien, die sich mit dem Thema Umweltbewusstsein und -verhalten befassen. In der aktuellen Bewusstseinsstudie wurden erstmals Kategorien von Bewusstseinstypen für die deutsche Bevölkerung gebildet. Hier zeigt sich, dass etwa die Hälfte der Befragten (Konsequente, Orientierte und Aufgeschlossene) ein hohes Umweltbewusstsein aufweisen und im Falle der Aufgeschlossenen und Orientierten auch ein ausgeprägtes Umweltverhalten. Die andere Hälfte hingegen weisen sowohl ein geringes Umweltverhalten auf als auch ein geringes Bewusstsein auf bis hin zur vollständigen Ablehnung (BMUV 2020: 42f.). Allerdings werden in der Studie keine Aussagen bezüglich des Umweltwissens der einzelnen Typen getroffen, sodass diesbezüglich keine Schlussfolgerungen gezogen werden können. Schwegler et al. befassen sich in ihrer Studie konkret mit dem Thema Klimaschutz und Umweltbewusstsein in der Schweiz. Sie stellen heraus, dass sich im Kontext von Klimaschutz und klimafreundlichem Verhalten 89 % der Befragten als »sehr gut« (22 %) beziehungsweise »eher gut« (67 %) informiert fühlen und sich selber somit einen ausreichenden Wissensstand in diesem Kontext attestieren (Schwegler et al. 2015: 13). Auf der Ebene konkreter Wissenszusammenhänge, beispielsweise bei der Frage nach konkreten Einflüssen des Konsumverhaltens auf den Klimawandel, zeigt sich jedoch, dass hier starke Wissensdefizite vorhanden sind, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Einfluss des Wohnens auf den Klimawandel. Dies gilt auch für die Unterschätzung der Wirksamkeiten von konkreten Maßnahmen im Ernährungs- und Mobilitätsbereich (ebd.: 20f.). Daraus lässt sich insbesondere ein Wissensdefizit für konkrete Handlungsmaßnahmen auf der individuellen gesellschaftlichen Ebene ableiten. Birke & Keil konnten in ihrer Studie zur gesellschaftlichen Wahrnehmung der Agenda 2030 feststellen, dass diese globale Nachhaltigkeitsstrategie sowie die dazugehörigen 17 SDGs in der breiten Masse der Bevölkerung weitestgehend unbekannt sind. So gaben 78 % aller Befragten an, die Agenda und ihre Ziele nicht zu kennen. Die Informationen der 22 %, denen die Strategie und ihre Ziele bekannt ist, beschränken sich dabei auf die Existenz der Strategie sowie grobe Kenntnisse über einzelne Zielsetzungen und Inhalte. Darüber hinaus gaben 75 % aller Befragten an, dass ihr Wissensstand über die Agenda 2030 als nicht ausreichend zu beschreiben ist und sie denken, dass ein erhöhter Wissensstand ein vermehrtes umweltbewusstes Verhalten fördern würde (Birke & Keil 2020: 55). Mastrangelo et al. kommen in ihrer Analyse von Wissenslücken im Zusammenhang mit der Umsetzung der Agenda 2030 ebenfalls zu dem Schluss, dass diese nur durch ein verbessertes Wissen umgesetzt werden können. Insbesondere im Hinblick auf den Zusammenhang von sozialen und ökologischen Systemen, der Effektivität von Steuerungssystemen sowie dem Einfluss von Institutionen auf eine gerechte Verteilung von Ökosystemdienstleistungen scheinen erhebliche Wissenslücken vorzuliegen (Mastrángelo et al. 2019: 1115). Auch hier kann demnach ein Wissensdefizit im Hinblick auf nachhaltigkeitsspezifische Themen attestiert werden. Andere Studien, die sich mit dem gesellschaftlichen Wissensstand im Hinblick auf Nachhaltigkeit befassen, beziehen sich nicht auf Deutschland und sollen daher hier nicht vertieft behandelt werden. Exemplarisch seien hier nur der Vollständigkeit halber einige
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Studien aufgeführt. In ihrer Metastudie zu Umweltwissensstudien in den USA und Kanada kommen Robelia & Murphy zu dem Schluss, dass ein Großteil der Bevölkerung in Nordamerika kein grundlegendes Verständnis von umweltbezogenen Problemstellungen haben und dementsprechend kein Umweltwissen, worauf potenzielle Handlungen aufbauen könnten (Robelia & Murphy 2012: 316). Ahmad et al. konnten hingegen zeigen, dass Studierende in Malaysia ein grundlegend gutes Niveau an Umweltwissen aufweisen (Ahmad et al. 2015: 284). Ähnliche Ergebnisse lassen sich für Studierende in Pakistan finden, wobei hier Einkommen und Status der Eltern große Einflussfaktoren auf das vorhandene Umweltwissen sowie das Umweltbewusstsein haben (Arshad et al. 2020; Awan & Abbasi 2013). Im Hinblick auf die Erfassung des Wissensstandes zu konkreten Nachhaltigkeitsthemen taucht insbesondere der Klimawandel häufig in Studien auf. De Silva-Schmidt gibt in einer Metanalyse einen Überblick über Studien zur Erfassung des Wissensstandes der deutschen Bevölkerung zum Thema Klimawandel und Klimapolitik. Sie stellt heraus, dass der Wissensstand als sehr diffus zu beschreiben ist. Subjektiv betrachtet fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung gut über den Klimawandel und seine Folgen informiert und attestiert sich demnach einen hohen Wissensstand. Objektive Überprüfungen des Wissensstandes sind selten, zeigen jedoch in den meisten Fällen Wissenslücken auf, insbesondere wenn es um die Ursachen für den Klimawandel geht, aber auch um Anpassungsmaßnahmen. Die Ergebnisse unterscheiden sich jedoch auch stark je nach Bildungsniveau der befragten Personen und der durchgeführten Methode und sind daher oft schwer vergleichbar (De Silva-Schmidt 2021: 53ff.). Andere Studien zeigen speziell für die deutsche Bevölkerung auch stellenweise die Existenz von falschem Wissen in diesem Zusammenhang (Weber 2008: 153ff.). Auch in einer Metaanalyse internationaler Studien zu Erfassung des Wissensstandes zum Klimawandel zeigt sich, dass objektiv betrachtet häufig Wissenslücken bestehen, was auf unterschiedlichste Ursachen wie fehlende Aufklärung, kulturell diverse Wahrnehmungen sowie die Komplexität der Thematik an sich zurückgeführt werden kann (Wolf & Moser 2011: 561). Der Mangel an Studien, die konkret den allgemeinen gesellschaftlichen Wissensstand zu Themen der Nachhaltigkeit erfassen, mag auch an der Komplexität des Themas selbst liegen. Die bereits mehrfach angesprochene Vielfalt nachhaltigkeitsbezogener Themen in Kombination mit den unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen der zu untersuchenden Personen erschwert eine aussagekräftige Erfassung des allgemeinen Wissensstandes zur Nachhaltigkeit (Ham et al. 2015: 164). Dennoch wäre eine empirische Erfassung eines solchen wünschenswert, um allgemeine Wissensdefizite aufzudecken und somit auch die Möglichkeit zu erhalten, diese zu schließen, vor allem auch außerhalb der bereits mehrfach beforschten Klimawandelthematik. Ungeachtet der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext, ist es weithin wissenschaftlicher Konsens, dass eine Erhöhung des Wissensstandes nicht unbedingt mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein und -verhalten korreliert. Dieses Phänomen wird als KnowledgeAction-Gap (Berg 2020: 96) bezeichnet. So werden Informationen und Wissen zwar als notwendige, nicht jedoch als hinreichende Bedingung für ein nachhaltiges Handeln gesehen. Das Bewusstsein über die negativen Folgen bestimmter Handlungen scheint bei vielen Menschen vorhanden zu sein, dennoch bleibt eine Verhaltensänderung aus (ebd.). Doch dies hat verschiedene Gründe, welche es differenziert zu betrachten gilt.
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Das folgende Teilkapitel widmet sich daher den Barrieren nachhaltigen Handelns und den psychologischen Ursachen und Zusammenhängen eines nachhaltigkeitsbezogenen Handelns auch unter Berücksichtigung des Einflusses von Wissensbeständen.
4.5
Wissen vs. Handeln – Barrieren des Nachhaltigkeitsverhaltens
Im Hinblick auf die Debatte über den Einfluss von Wissen auf das Handeln wurde lange Zeit zunächst das sogenannte Wissens-Defizit-Modell angenommen. Dieses geht davon aus, dass das handelnde Individuum mit den richtigen Informationen und somit der richtigen Menge an Wissen in jedem Fall bessere Entscheidungen treffen wird. Der Wissenschaft kommt hier die Aufgabe zu, bestehende Wissenslücken mit den richtigen Informationen zu füllen und somit eine Handlung in Gang zu setzen. Die Grundannahmen dieses Modells sind, dass (1) die Öffentlichkeit ein Wissensdefizit aufweist, dass (2) dieses Defizit die Ursache für fehlende Handlungen ist, dass (3) Wissenschaftler*innen über das notwendige Wissen verfügen und dass (4) die Weitergabe dieses Wissens an die Öffentlichkeit letztendlich zur tatsächlichen Handlung führt (Heeren et al. 2016: 616; Miller 2001: 115ff.). Doch zahlreiche Studien aus dem Bereich der Umweltpsychologie haben dieses Modell ad acta gelegt und weisen auf die bereits erwähnte Knowledge-Action-Gap hin, auf deren Gründe im Folgenden näher eingegangen wird. Das fehlende Handeln im Nachhaltigkeitskontext trotz mehr als ausreichend zur Verfügung stehender Informationen und Wissen ist auf eine Vielzahl an Gründen zurückzuführen, die es zunächst übergeordnet zu differenzieren gilt. Hier muss zuallererst getrennt werden in allgemeingesellschaftliche (strukturelle) und interpersonale (individuelle) Gründe. Diesen Komponenten vorangestellt ist die Grundtatsache, dass das System Erde, wie bereits mehrfach angeschnitten, von äußerster Komplexität geprägt ist. Je höher der Grad der Komplexität eines Systems ist, desto aufwendiger ist es, es zu verstehen und seine Zukunft vorherzusagen. Konsument*innen können die Folgen ihres Handelns nur schwer einschätzen, ebenso wie Politiker*innen die gesellschaftlichen Reaktionen und Expert*innen die Wirkung von Innovationen und Lösungsansätzen. Das vorherrschende anthropogene Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen funktioniert in einem solch komplexen System nicht (Berg 2020: 73f.). Diese Tatsache erschwert die Erfassung von Daten sowie das Aufstellen von Zukunftsprognosen, führt zu Fehleinschätzungen von Verhaltensweisen und kann im Kontext von fehlendem Wissen auch zur Unübersichtlichkeit und Verunsicherung und letzten Endes zu einem Nicht-Handeln führen (Berg 2020: 77f.; Entzian 2015: 36f.). Aus dieser Grundannahme ergeben sich weiterführende Handlungsbarrieren auf verschiedenen Ebenen.
4.5.1 Gesamtgesellschaftliche Handlungsbarrieren Das erste gesamtgesellschaftliche Grundproblem ist die Tatsache, dass es sich bei den Krisen im Nachhaltigkeitskontext um neue Phänomene handelt, die bisher in der Menschheitsgeschichte in diesen Dimensionen noch nicht aufgetreten sind. Das Gleiche gilt auch für die notwendigen Veränderungen zur Krisenbewältigung. Dementsprechend ist es nahezu unmöglich, beispielsweise aus historischen Erfahrungen zu
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Das folgende Teilkapitel widmet sich daher den Barrieren nachhaltigen Handelns und den psychologischen Ursachen und Zusammenhängen eines nachhaltigkeitsbezogenen Handelns auch unter Berücksichtigung des Einflusses von Wissensbeständen.
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Wissen vs. Handeln – Barrieren des Nachhaltigkeitsverhaltens
Im Hinblick auf die Debatte über den Einfluss von Wissen auf das Handeln wurde lange Zeit zunächst das sogenannte Wissens-Defizit-Modell angenommen. Dieses geht davon aus, dass das handelnde Individuum mit den richtigen Informationen und somit der richtigen Menge an Wissen in jedem Fall bessere Entscheidungen treffen wird. Der Wissenschaft kommt hier die Aufgabe zu, bestehende Wissenslücken mit den richtigen Informationen zu füllen und somit eine Handlung in Gang zu setzen. Die Grundannahmen dieses Modells sind, dass (1) die Öffentlichkeit ein Wissensdefizit aufweist, dass (2) dieses Defizit die Ursache für fehlende Handlungen ist, dass (3) Wissenschaftler*innen über das notwendige Wissen verfügen und dass (4) die Weitergabe dieses Wissens an die Öffentlichkeit letztendlich zur tatsächlichen Handlung führt (Heeren et al. 2016: 616; Miller 2001: 115ff.). Doch zahlreiche Studien aus dem Bereich der Umweltpsychologie haben dieses Modell ad acta gelegt und weisen auf die bereits erwähnte Knowledge-Action-Gap hin, auf deren Gründe im Folgenden näher eingegangen wird. Das fehlende Handeln im Nachhaltigkeitskontext trotz mehr als ausreichend zur Verfügung stehender Informationen und Wissen ist auf eine Vielzahl an Gründen zurückzuführen, die es zunächst übergeordnet zu differenzieren gilt. Hier muss zuallererst getrennt werden in allgemeingesellschaftliche (strukturelle) und interpersonale (individuelle) Gründe. Diesen Komponenten vorangestellt ist die Grundtatsache, dass das System Erde, wie bereits mehrfach angeschnitten, von äußerster Komplexität geprägt ist. Je höher der Grad der Komplexität eines Systems ist, desto aufwendiger ist es, es zu verstehen und seine Zukunft vorherzusagen. Konsument*innen können die Folgen ihres Handelns nur schwer einschätzen, ebenso wie Politiker*innen die gesellschaftlichen Reaktionen und Expert*innen die Wirkung von Innovationen und Lösungsansätzen. Das vorherrschende anthropogene Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen funktioniert in einem solch komplexen System nicht (Berg 2020: 73f.). Diese Tatsache erschwert die Erfassung von Daten sowie das Aufstellen von Zukunftsprognosen, führt zu Fehleinschätzungen von Verhaltensweisen und kann im Kontext von fehlendem Wissen auch zur Unübersichtlichkeit und Verunsicherung und letzten Endes zu einem Nicht-Handeln führen (Berg 2020: 77f.; Entzian 2015: 36f.). Aus dieser Grundannahme ergeben sich weiterführende Handlungsbarrieren auf verschiedenen Ebenen.
4.5.1 Gesamtgesellschaftliche Handlungsbarrieren Das erste gesamtgesellschaftliche Grundproblem ist die Tatsache, dass es sich bei den Krisen im Nachhaltigkeitskontext um neue Phänomene handelt, die bisher in der Menschheitsgeschichte in diesen Dimensionen noch nicht aufgetreten sind. Das Gleiche gilt auch für die notwendigen Veränderungen zur Krisenbewältigung. Dementsprechend ist es nahezu unmöglich, beispielsweise aus historischen Erfahrungen zu
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Das folgende Teilkapitel widmet sich daher den Barrieren nachhaltigen Handelns und den psychologischen Ursachen und Zusammenhängen eines nachhaltigkeitsbezogenen Handelns auch unter Berücksichtigung des Einflusses von Wissensbeständen.
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Wissen vs. Handeln – Barrieren des Nachhaltigkeitsverhaltens
Im Hinblick auf die Debatte über den Einfluss von Wissen auf das Handeln wurde lange Zeit zunächst das sogenannte Wissens-Defizit-Modell angenommen. Dieses geht davon aus, dass das handelnde Individuum mit den richtigen Informationen und somit der richtigen Menge an Wissen in jedem Fall bessere Entscheidungen treffen wird. Der Wissenschaft kommt hier die Aufgabe zu, bestehende Wissenslücken mit den richtigen Informationen zu füllen und somit eine Handlung in Gang zu setzen. Die Grundannahmen dieses Modells sind, dass (1) die Öffentlichkeit ein Wissensdefizit aufweist, dass (2) dieses Defizit die Ursache für fehlende Handlungen ist, dass (3) Wissenschaftler*innen über das notwendige Wissen verfügen und dass (4) die Weitergabe dieses Wissens an die Öffentlichkeit letztendlich zur tatsächlichen Handlung führt (Heeren et al. 2016: 616; Miller 2001: 115ff.). Doch zahlreiche Studien aus dem Bereich der Umweltpsychologie haben dieses Modell ad acta gelegt und weisen auf die bereits erwähnte Knowledge-Action-Gap hin, auf deren Gründe im Folgenden näher eingegangen wird. Das fehlende Handeln im Nachhaltigkeitskontext trotz mehr als ausreichend zur Verfügung stehender Informationen und Wissen ist auf eine Vielzahl an Gründen zurückzuführen, die es zunächst übergeordnet zu differenzieren gilt. Hier muss zuallererst getrennt werden in allgemeingesellschaftliche (strukturelle) und interpersonale (individuelle) Gründe. Diesen Komponenten vorangestellt ist die Grundtatsache, dass das System Erde, wie bereits mehrfach angeschnitten, von äußerster Komplexität geprägt ist. Je höher der Grad der Komplexität eines Systems ist, desto aufwendiger ist es, es zu verstehen und seine Zukunft vorherzusagen. Konsument*innen können die Folgen ihres Handelns nur schwer einschätzen, ebenso wie Politiker*innen die gesellschaftlichen Reaktionen und Expert*innen die Wirkung von Innovationen und Lösungsansätzen. Das vorherrschende anthropogene Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen funktioniert in einem solch komplexen System nicht (Berg 2020: 73f.). Diese Tatsache erschwert die Erfassung von Daten sowie das Aufstellen von Zukunftsprognosen, führt zu Fehleinschätzungen von Verhaltensweisen und kann im Kontext von fehlendem Wissen auch zur Unübersichtlichkeit und Verunsicherung und letzten Endes zu einem Nicht-Handeln führen (Berg 2020: 77f.; Entzian 2015: 36f.). Aus dieser Grundannahme ergeben sich weiterführende Handlungsbarrieren auf verschiedenen Ebenen.
4.5.1 Gesamtgesellschaftliche Handlungsbarrieren Das erste gesamtgesellschaftliche Grundproblem ist die Tatsache, dass es sich bei den Krisen im Nachhaltigkeitskontext um neue Phänomene handelt, die bisher in der Menschheitsgeschichte in diesen Dimensionen noch nicht aufgetreten sind. Das Gleiche gilt auch für die notwendigen Veränderungen zur Krisenbewältigung. Dementsprechend ist es nahezu unmöglich, beispielsweise aus historischen Erfahrungen zu
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Lernen oder Handlungsweisen zu adaptieren und die meisten Erfahrungen wurden und werden erst in jüngster Zeit gemacht (Haase 2020: 112). Dies wird dadurch verstärkt, dass die gegenwärtige Gesellschaft ein Werte- und Vorstellungssystem aufweist (gilt größtenteils für die Industriestaaten), dessen Annahmen konträr zu den notwendigen Veränderungen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation stehen. Bestehende Gewohnheiten und Vorstellungen von Normalität in Kombination mit emotionalen Verdrängungsprozessen stellen ein grundsätzliches Hemmnis für nachhaltiges Handeln dar, welches es zu überwinden gilt (Ekardt 2017: 11). Es geht demnach darum, einen Wertewandel zu vollziehen, sowohl auf gesamtgesellschaftlicher Ebene einerseits als auch auf individueller Ebene anderseits. Ein weiteres diesen Umstand verschärfendes Problem ist der Zeitaspekt. Die Dringlichkeit der Krisen sorgt dafür, dass LangzeitErprobungen von neuen Gesellschaftsordnungen, Denkweisen oder Wirtschaftssystemen, die auf nachhaltiges und langfristiges Handeln und nicht auf das gegenwärtige, auf kurzfristiges Wirtschaftswachstum ausgelegte, Handeln ausgerichtet sind, nicht möglich sind, da schlichtweg die Zeit dafür fehlt. Lösungsansätze müssen demnach bestenfalls auf direktem Wege getestet und parallel durchgeführt werden. Dies wiederum bedingt die Akzeptanz des Scheiterns, insbesondere da es bisher nicht gelungen ist, einen global funktionierenden Lösungsansatz zu finden (Haase 2020: 134). Auf einer organisationalen Ebene gedacht kommt erschwerend hinzu, dass die Umwelt (wenn sie als Akteur betrachtet wird) keine echte Lobby aufweist, wie beispielsweise die Ökonomie oder die Politik. Die NGOs, die im Namen der Umwelt für Schutzrechte und Rettungsmaßnahmen eintreten (z.B. Greenpeace, WWF etc.), weisen dabei nur einen geringen gesamtgesellschaftlichen Einfluss auf, was die Umsetzung notwendiger Nachhaltigkeitsziele immens erschwert (Kropp 2019: 19). Ein weiteres Paradoxon ist in der fehlenden Verantwortungsübernahme zu finden. Politik und Ökonomie setzen auf Handlungen aus der breiten Masse der Gesellschaft heraus, wohingegen die Gesellschaft ihr Vertrauen in die Politik und das Umdenken ökonomischer Großkonzerne setzt. Dies führt regelrecht zu einem Handlungsstillstand bis hin zu Misstrauenserscheinungen. Zudem denken Politiker*innen nur in den knappen Zeiträumen Ihrer Wahlperioden. In diesen sind tiefgreifende infrastrukturelle Veränderungen kaum möglich und selbst wenn, besteht die Gefahr, dass diese von nachfolgenden politischen Führungen wieder ad acta gelegt werden, was ein immenses Hemmnis für politisches Handeln im Nachhaltigkeitskontext darstellt (ebd.: 20). Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene lassen sich zusammenfassend demnach folgende Handlungsbarrieren aufstellen (erweitert nach Kropp 2019: 22) • • • • • • •
Komplexität des Systems Erde individuelle Gründe (z.B. fehlendes Wissen, Kosten etc.) fehlende Verantwortungsübernahme Notwendigkeit einer neuen Wirtschaftsweise Komplexität bestehender gesellschaftlicher Werte und Handlungsmuster fehlende Lobby der Umwelt als Akteur strukturell-politische Barrieren
4 Wissen und Nachhaltigkeit
Eine weitere Barriere liegt in der Mehrfachrolle, die dem Menschen als handelndem Subjekt im Nachhaltigkeitskontext zukommt. So ist er zum einen Verursacher globaler Problemstellungen durch sein nicht-nachhaltiges Handeln (Ressourcenverbrauch, Konsum etc.). Zum anderen ist er aber auch gleichzeitig Opfer der natürlichen Veränderungen, die mit dem menschlichen Handeln einhergehen (Naturkatastrophen, Hunger, Armut etc.). Drittens fungiert der Mensch als potenzieller Problemlöser globaler Konflikte und Krisen (auch Change Agent genannt) durch eine Veränderung seines Verhaltens (Kruse-Graumann 2014: 189f.). Diese Dreifachrolle gilt es zu akzeptieren und anzunehmen, wenn nachhaltigkeitsbezogenes Handeln vollzogen werden soll. In Bezug auf das menschliche Verhalten finden sich zahlreiche weitere Gründe, die auf personaler respektive individueller Ebene zu betrachten sind. Diese werden nachfolgend thematisiert.
4.5.2 Individuelle Handlungsbarrieren – Eine umweltpsychologische Sichtweise Geht man vom Gesamtgesellschaftlichen eine Ebene tiefer, ergeben sich eine Reihe weiterer Barrieren im Kontext eines nachhaltigen Handelns. Zunächst ist hier übergeordnet erneut der Aspekt der Zeit zu nennen. Die Dauer eines menschlichen Lebens ist auf einen bestimmten Zeitraum hin begrenzt und im Vergleich zu der Zeitspanne, in der natürliche Prozesse und Veränderungen ablaufen, beinahe vernachlässigbar kurz. Ein direktes Erfahren oder Erleben von Umweltveränderungen wie beispielsweise der Zunahme von CO2 -Konzentrationen oder der Verlust von Biodiversität ist demnach kaum möglich. Dadurch bleiben solche Phänomene für den Großteil der Menschen rein theoretisch und bestehen nur auf einer kognitiven Ebene, sodass eine emotionale Komponente in Form persönlicher Erfahrungen fehlt, was nachgewiesenermaßen eine Handlungsbarriere darstellt (Berg 2020: 86; Dreese 2021: 237). Ein weiterer Zeitaspekt bezieht sich auf die kognitiven Kapazitäten, die für eine Handlungsentscheidung notwendig sind. Bewusst nachhaltig zu handeln erfordert aufgrund der Komplexität der Thematik Zeit, um die richtige Entscheidung zu treffen. Diese Zeit fehlt den meisten Menschen, insbesondere wenn es sich um Alltagshandlungen (wie beispielsweise Einkaufen) dreht (Dreese 2021: 236). Hinzu kommt der raumbezogene Aspekt. Die Folgen der globalen Umweltkrisen tauchen auf der Erde ungleich verteilt und nur in spezifischen Regionen auf. Dementsprechend können beispielsweise die Menschen der Industriestaaten, die als Hauptverursacher der Probleme angesehen werden müssen, die tatsächlichen und auch teilweise kurzweilig auftretenden Folgen (z.B. Extremwetterereignisse, Waldbrände etc.) nicht direkt erleben (Entzian 2015: 35; Hellbrück & Kals 2012: 90f.). Daraus resultiert ebenfalls eine fehlende beziehungsweise stark erschwerte sinnesbezogene Wahrnehmung, wodurch ein konkretes Handeln ebenfalls gehemmt werden kann (Entzian 2015: 35). Diese raum-zeitlichen Charakteristika erschweren eine konkrete Situationseinschätzung inklusive der Eruierung von Handlungsbedarf. Das Definieren eines Soll-Zustandes ist jedoch aus psychologischer Sicht eine Grundvoraussetzung für die Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten (Krömker 2008: 725). Ein Fehlen dieser Voraussetzung stellt somit eine enorme Handlungsbarriere dar. Ergänzend zu der zeitlichen und räumlichen Distanz kann auch von einer sozialen Distanz gesprochen werden. Dadurch, dass die Folgen der Umweltveränderungen für
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Eine weitere Barriere liegt in der Mehrfachrolle, die dem Menschen als handelndem Subjekt im Nachhaltigkeitskontext zukommt. So ist er zum einen Verursacher globaler Problemstellungen durch sein nicht-nachhaltiges Handeln (Ressourcenverbrauch, Konsum etc.). Zum anderen ist er aber auch gleichzeitig Opfer der natürlichen Veränderungen, die mit dem menschlichen Handeln einhergehen (Naturkatastrophen, Hunger, Armut etc.). Drittens fungiert der Mensch als potenzieller Problemlöser globaler Konflikte und Krisen (auch Change Agent genannt) durch eine Veränderung seines Verhaltens (Kruse-Graumann 2014: 189f.). Diese Dreifachrolle gilt es zu akzeptieren und anzunehmen, wenn nachhaltigkeitsbezogenes Handeln vollzogen werden soll. In Bezug auf das menschliche Verhalten finden sich zahlreiche weitere Gründe, die auf personaler respektive individueller Ebene zu betrachten sind. Diese werden nachfolgend thematisiert.
4.5.2 Individuelle Handlungsbarrieren – Eine umweltpsychologische Sichtweise Geht man vom Gesamtgesellschaftlichen eine Ebene tiefer, ergeben sich eine Reihe weiterer Barrieren im Kontext eines nachhaltigen Handelns. Zunächst ist hier übergeordnet erneut der Aspekt der Zeit zu nennen. Die Dauer eines menschlichen Lebens ist auf einen bestimmten Zeitraum hin begrenzt und im Vergleich zu der Zeitspanne, in der natürliche Prozesse und Veränderungen ablaufen, beinahe vernachlässigbar kurz. Ein direktes Erfahren oder Erleben von Umweltveränderungen wie beispielsweise der Zunahme von CO2 -Konzentrationen oder der Verlust von Biodiversität ist demnach kaum möglich. Dadurch bleiben solche Phänomene für den Großteil der Menschen rein theoretisch und bestehen nur auf einer kognitiven Ebene, sodass eine emotionale Komponente in Form persönlicher Erfahrungen fehlt, was nachgewiesenermaßen eine Handlungsbarriere darstellt (Berg 2020: 86; Dreese 2021: 237). Ein weiterer Zeitaspekt bezieht sich auf die kognitiven Kapazitäten, die für eine Handlungsentscheidung notwendig sind. Bewusst nachhaltig zu handeln erfordert aufgrund der Komplexität der Thematik Zeit, um die richtige Entscheidung zu treffen. Diese Zeit fehlt den meisten Menschen, insbesondere wenn es sich um Alltagshandlungen (wie beispielsweise Einkaufen) dreht (Dreese 2021: 236). Hinzu kommt der raumbezogene Aspekt. Die Folgen der globalen Umweltkrisen tauchen auf der Erde ungleich verteilt und nur in spezifischen Regionen auf. Dementsprechend können beispielsweise die Menschen der Industriestaaten, die als Hauptverursacher der Probleme angesehen werden müssen, die tatsächlichen und auch teilweise kurzweilig auftretenden Folgen (z.B. Extremwetterereignisse, Waldbrände etc.) nicht direkt erleben (Entzian 2015: 35; Hellbrück & Kals 2012: 90f.). Daraus resultiert ebenfalls eine fehlende beziehungsweise stark erschwerte sinnesbezogene Wahrnehmung, wodurch ein konkretes Handeln ebenfalls gehemmt werden kann (Entzian 2015: 35). Diese raum-zeitlichen Charakteristika erschweren eine konkrete Situationseinschätzung inklusive der Eruierung von Handlungsbedarf. Das Definieren eines Soll-Zustandes ist jedoch aus psychologischer Sicht eine Grundvoraussetzung für die Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten (Krömker 2008: 725). Ein Fehlen dieser Voraussetzung stellt somit eine enorme Handlungsbarriere dar. Ergänzend zu der zeitlichen und räumlichen Distanz kann auch von einer sozialen Distanz gesprochen werden. Dadurch, dass die Folgen der Umweltveränderungen für
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manche Menschen nicht spürbar sind, fehlt eine dementsprechende Involviertheit und emotionale Verbundenheit mit den weit entfernten betroffenen Menschen. Diese fehlende persönliche Betroffenheit in Verbindung mit der Tatsache, dass der Mensch dazu neigt, nur dann zu reagieren, wenn er selbst betroffen ist, stellt ebenfalls eine große Handlungsbarriere dar (Kruse-Graumann 2014: 203). Diese äußeren Faktoren können dazu führen, dass Menschen zwar die negative Umweltentwicklung wahrnehmen und kritisch betrachten, die Notwendigkeit ihres eigenen Beitrages dazu jedoch nicht bewusst wahrnehmen oder anerkennen, was zu einem mangelnden Verantwortungsgefühl und letzten Endes zu einem Fehlen von Anlässen zur Verhaltensänderung führen kann (Lantermann 1999: 15). Im Kontext von Umweltverhalten ist zudem die Art und Weise, in der über nachhaltigkeitsrelevante Themen gesprochen wird, essenziell. Studien zeigen, dass beispielsweise eine rein sachliche und rationale Auseinandersetzung mit globalen Problemstellungen nicht funktionieren kann, da Mensch und Natur in einem MenschUmwelt-Verhältnis zueinanderstehen, bei dem sich der Mensch als Teil der Umwelt betrachtet und dementsprechend direkt emotional involviert ist, wenn Umweltfragen thematisiert werden (Miller 1998: 11f.). In der Umweltpsychologie existiert ein nach wie vor anerkannter 5-Stufen-Plan bezüglich des menschlichen Verhaltens im Kontext von Problemlösungen (Tab. 8).
Tabelle 8: Der 5-Stufen-Plan der Problemlösung Stufe der Problemlösung
Maßnahme zur Lösung des Problems
Stufe 1
Das Problem wird geleugnet oder ignoriert.
Stufe 2
Das Problem wird zerredet.
Stufe 3
Die Hoffnung wird auf andere Problemlöser gesetzt (z.B. Politik, Wissenschaft)
Stufe 4
Das Problem wird exportiert oder es folgt die räumliche Flucht vor dem Problem.
Stufe 5
Das Problem muss selbstständig gelöst werden.
Eigene Darstellung nach Miller, 1998: 12f.
Die aufgrund ihrer einfachen Ausführbarkeit am häufigsten ausgeführte Strategie ist die Ignoranz oder Verleumdung des Problems. Die Existenz des Problems wird schlichtweg abgestritten. Hilft dies nicht, wird versucht das Problem zu zerreden oder klein zu reden. Bleibt das Problem weiterhin bestehen, wird es an Politiker*innen und Wissenschaftler*innen outgesourct, in der Hoffnung, dass diese zur Lösung beitragen. Zeigt dies ebenfalls keine Wirkung, wird das Problem räumlich verlagert wie beispielsweise die Lagerstätten für Atommüll oder aber das Individuum selbst flieht in einen anderen Raum, in dem das Problem nicht existiert. Erst die letzte Stufe beinhaltet die Einsicht zur selbstständigen Lösung des Problems (Miller 1998: 13f.). Hier zeigt sich, dass umweltspezifische Themen, welche oftmals mit Risiken und Problemen gekoppelt sind, je nach Art des Problems unterschiedlich gelöst werden. Das Vorhandensein eines spe-
4 Wissen und Nachhaltigkeit
zifischen Umweltwissens ist demnach nicht direkt verbunden mit einem nachhaltigen Handeln.
4.5.2.1 Externe Faktoren In der Umweltpsychologie werden die Einflüsse auf individuelles Umweltverhalten und damit einhergehende Problemlösungsprozesse in externe und interne Faktoren sowie in verschiedene Komponenten unterteilt. Die erste Kategorie der externen Faktoren sind die objektbezogenen Komponenten. Zu diesen zählen neben den bereits beschriebenen Phänomenen der zeitlichen und räumlichen Distanz (Komponente der Problemwahrnehmung) insbesondere auch kulturelle und individuelle Norm- und Wertevorstellungen. Normen und Werte fungieren oftmals als persönliche Lebensleitlinien und zeigen an, was einer Person wichtig ist. Dabei führen Differenzen in der Werteorientierung in den meisten Fällen zu unterschiedlichen Handlungen vor allem im Kontext umweltrelevanter Aktivitäten (Koger & Du Nann Winter 2010: 97ff.). Zudem entstehen Werte durch Sozialisations- und Lernerfahrungen und bleiben nach dem Erwerb meistens über die gesamte Lebensspanne hinweg stabil, sodass eine Veränderung des Verhaltens oftmals erschwert wird (Krömker 2008: 726f.). Gesellschaftliche Werte meint in diesem Zusammenhang die Akzeptanz respektive Nicht-Akzeptanz gesellschaftlicher Leitbilder und Normvorstellungen wie beispielsweise das Leitbild der Nachhaltigkeit oder die Verweigerung gentechnisch veränderter Lebensmittel (Kruse-Graumann 2014: 205). Im Nachhaltigkeitskontext ergibt sich hier das Problem, dass durch das Leitbild der Nachhaltigkeit das bestehende Wohlstandsmodell westlicher Gesellschaften in Frage gestellt wird. Stattdessen geht es um Verzicht und Abkehr von kulturellen Errungenschaften bis hin zur Transformation moderner Lebensweisen, was oftmals eine negative Konnotation mit sich bringt und daher als Handlungsbarriere fungieren kann (Entzian 2015: 39). Studien haben allerdings gezeigt, dass insbesondere normative Überzeugungen eine eher geringe Einflussgröße auf nachhaltigkeitsorientiertes Handeln zu haben scheinen (Krömker 2008: 732). Komplementär dazu haben Studien ergeben, dass Gesellschaften oder Kulturen verstärkt auf umweltbewusstes Handeln zurückgreifen, wenn Sie die natürliche Umwelt, mit der sie sich kulturell identifizieren, in ihrem direkten Lebensraum als bedroht ansehen. (Kollmuss & Agyeman 2002: 249). Je naturverbundener eine Kultur ist, desto eher scheint sie zu einem erhöhten umweltbewussten Verhalten zu neigen. Neben allgemeingesellschaftlichen Werten und kulturellen Komponenten spielt auf der individuellen Ebene auch die soziale Identität eine beeinflussende Rolle auf nachhaltigkeitsbewusstes Handeln. Menschen neigen dazu, sich spezifischen Gruppen zugehörig zu fühlen. Gruppenzugehörigkeit trägt nachweislich zur Identitätsbildung bei. Dies impliziert auch, dass der Gruppe zugehörige Normen und Werte übernommen oder akzeptiert werden und das auf der anderen Seite persönliche Einstellungen, Überzeugungen oder Verhaltensweisen an die Gruppe angepasst und teilweise auch dadurch verändert werden (Fielding 2019: 30). Demnach stellt diese Zugehörigkeit je nach Art der zugehörigen Gruppe entweder eine Barriere oder eine Verstärkung für Umweltverhalten dar (Keizer & Schultz 2019: 182f.). Der Einfluss von sozialen Normen auf das tatsächliche Verhalten konnte dabei klar empirisch nachgewiesen werden (Klöckner 2013: 1028ff.). Gleichzeitig sind Gruppen aber auch notwendig, um einen Verhaltens- und Wertewandel überhaupt
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erst vollziehen zu können, denn das daraus resultierende kollektive Handeln stellt eine Erweiterung zu den individuellen Handlungsmöglichkeiten dar (Reese et al. 2018: 48ff.). Hier spielt auch der Faktor des sozialen Drucks eine Rolle. So kann die Meinung und das Handeln anderer Personen einen starken Einfluss auf das eigene, individuelle Verhalten haben. Dies kann im Falle von nachhaltigkeitsaffinem Verhalten positive Wirkungen haben, aber eben auch umgekehrt. Der soziale Einfluss von außen wird von den meisten Menschen massiv unterschätzt, insbesondere in westlichen Gesellschaften, in denen sich die Menschen als durchweg autonom betrachten (Scott et al. 2016: 128). Das Studieren, Imitieren und letztendlich Adaptieren der Verhaltensweisen von anderen Personen stellt jedoch eine primäre Einflussgröße auf das eigene Verhalten dar und kann somit insbesondere wenn es um Handlungen geht, die in den Augen des Individuums nicht der sozialen Norm entsprechen oder aber der eigenen Außenwirkung für andere im Weg stehen, eine große Handlungsbarriere darstellen (Koger & Du Nann Winter 2010: 95ff.; Scott et al. 2016: 129ff.). Denn letzten Endes resultieren aus der Übernahme von Normen und Werten in Kombination mit der eigenen individuellen Persönlichkeit grundlegende Annahmen (auch Beliefs genannt), die wiederum Einfluss nehmen auf die Einstellung gegenüber Verhaltensalternativen, aber auch die Wahrnehmung der Kontrolle über eigene Handlungen (Theorie des Reasoned Action Approach) (Bamberg et al. 2018: 20f.). Aus diesen Verbindungen von sozialen Normen und individueller Handlung können auch soziale Dilemmata entstehen, indem der positive Effekt einer individuellen Handlung aus Eigeninteresse höher ist als eine Handlung nach kollektivem Interesse, im Endeffekt durch die individuelle Handlung im Kollektiv jedoch der Effektiv negativer ist (Borgstede et al. 2019: 208). Weitere externe Faktoren äußern sich auf institutioneller Ebene. So können viele umweltbezogene Handlungen nur dann vollzogen werden, wenn die notwendige Infrastruktur vorhanden ist (z.B. Recycling oder ein ausgebauter ÖPNV). Je schlechter die vorhandene Infrastruktur ist, desto eher wird sie nicht oder nur wenig genutzt. Hier spielt auch der Zugang zur Bildung eine zentrale Rolle. Studien haben ergeben, dass die Länge der Bildungszeit mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein zusammenhängt. Je länger die Bildung, desto umfänglicher ist das aufgebaute Umweltwissen, was allerdings nicht zwangsweise mit einem direkten Verhalten zusammenhängt (Kollmuss & Agyeman 2002: 248f.). Yang et al. stellen in ihrer Studie zum Umweltbewusstsein in 39 Ländern zudem heraus, dass je individualisierter eine Gesellschaft ist und je mehr politische Zielsetzungen eines Landes Umweltschutz vor ökonomischem Wachstum legen, desto eher korrelieren Umweltbewusstsein sowie vorhandenes Umweltwissen und Umweltverhalten. Weitere positive Effekte diesbezüglich zeigen sich bei einem vorhandenen hohen Einkommen sowie einem hohen sozialen Status (Yang et al. 2020: 572). Ein weiter institutionell bedingter Faktor sind Gesetzgebungen, die Handlungen bestimmte Grenzen aufzeigen, sodass sie nicht in vollem Umfang ausgeführt werden können (z.B. Raumnutzungskonflikte zwischen Privatpersonen und Stadt) (Dreese 2021: 236f.). Ein letzter externer Faktor lässt sich in den sogenannten Handlungsanreizen finden. Diese können beispielsweise monetärer Art (z.B. Billigfleisch vs. hochpreisige BioQualität) oder nicht monetärer Art (z.B. öffentliche Anerkennung für ein bestimmtes Verhalten) sein. Darüber hinaus spielt hierbei auch die grundsätzliche Verfügbarkeit von Ressourcen eine Rolle, aus denen verschiedene Handlungsangebote resultieren
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können (z.B. die Verfügbarkeit von Energiesparhäusern oder Verkehrsmitteln) (KruseGraumann 2014: 206). Oftmals fehlt trotz (im)materieller Zusatzkosten der direkte Wirkungseffekt für die Einzelperson, da dieser bei umweltbezogenen Problemstellungen wie bereits erwähnt stark zeitlich versetzt auftritt. Erweiternd dazu fehlen in den meisten Fällen auch Sanktionen für umweltschädigendes Verhalten, sodass bei fehlendem Verhalten für das Individuum keine negativen Konsequenzen zu erwarten sind (Gessner & Bruppacher 1999: 23). Neben dem Vorhandensein von Handlungsanreizen oder -hindernissen muss auch das Fehlen von Handlungsoptionen als Barriere gesehen werden. Wenn beispielsweise in einem Supermarkt keine Bio-Produkte vertrieben werden, können diese dementsprechend auch nicht erworben werden. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Handlungsanreize nicht als solche wahrgenommen werden, da sie beispielsweise nicht ausreichend als solche gekennzeichnet sind. Darüber hinaus sollten Handlungsanreize auch einen gewissen Attraktivitätsgrad mit sich bringen. Die Option im Flachland mit dem Fahrrad alternativ zum Auto zu fahren ist deutlich attraktiver und praktikabler als in einer Hochgebirgsregion (Wendt & Görgen 2017: 85f.). Handlungsanreize als externe Faktoren sind somit selbst wiederum bestimmten Einflüssen ausgesetzt, die sie überhaupt erst als Handlungsoption erscheinen lassen oder eben nicht. Dass das Vorhandensein von Handlungsanreizen und -angeboten sich auch positiv auswirken kann, wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen (Homburg & Matthies 1998: 131).
4.5.2.2 Interne Faktoren Demgegenüber stehen die internen oder interpersonalen Faktoren. Hierunter fallen handlungsbezogene Komponenten, welche ebenfalls Einfluss auf die Handlungen und das Verhalten eines Individuums nehmen können. In der Psychologie gibt es hierzu zahlreiche Handlungstheorien zur Erklärung von Einflussfaktoren auf Verhaltensänderungen. Zu nennen sind hier die Theory of Planned Behaviour (TPB), das NormActivation-Model (NAM), die Theory of Interpersonal Behaviour (TIB) sowie das ValueBelief-Norm-Model (VBN). All diese Theorien beschreiben menschliches Verhalten und geben Aufschluss darüber, an welchen Stellen Einfluss genommen werden kann. Sie weisen dabei alle inhaltliche Überscheidungen auf und ergänzen sich in ihrer Gesamtheit gegenseitig (Gifford 2014: 550f.; Hunecke 2022: 29ff.). Eine detaillierte Erläuterung aller Theorien würde an dieser Stelle zu weit führen2 . Aus diesem Grund werden im Folgenden ausgewählte Einflussfaktoren auf Umweltverhalten beschrieben, die sich in allen Theorien finden lassen. Zu diesen zählen beispielsweise Wirksamkeitsüberzeugungen, Kosten/Nutzen-Überzeugungen, Handlungskontrolle sowie persönliche Einstellungen und Gewohnheiten (Krömker 2008: 728ff.; Schahn & Matthies 2008: 667). Abbildung 21 zeigt die Zusammenhänge zwischen diesen handlungsbezogenen Komponenten und einem umweltbewussten Handeln.
2
für weiterführende Informationen siehe z.B. Hunecke (2022) sowie Schmidt & Bamberg (2018)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 19: Interpersonale Einflussfaktoren für umweltbewusstes Handeln
Eigene Darstellung nach Krömker, 2008: 278ff; Schahn & Matthies 2008: 667ff.
Es lässt sich konstatieren, dass umweltbewusstes Handeln von einer Vielzahl an Einflussfaktoren abhängig ist. So wird oftmals erst dann nachhaltig gehandelt, wenn eine Wirksamkeitsüberzeugung vorhanden ist. Dies ist der Fall, wenn für das handelnde Individuum feststeht, dass die Handlung tatsächlich die Problemlösung zur Folge hat. Um dies zu gewährleisten, muss der Mensch gleichzeitig davon überzeugt sein, dass das Nicht-Ausführen der Handlung zu der Entstehung des Problems führt. In den meisten Fällen ist dies jedoch nicht gegeben, sodass das Vermeiden von Handlungen oder eine Änderung des Verhaltens nicht direkt mit einer Problemlösung im Kontext von Nachhaltigkeit assoziiert wird (Krömker 2008: 729f.). Personen, bei denen eine solche Wirksamkeitsüberzeugung vorliegt, verhalten sich dementsprechend eher nachhaltigkeitsaffin (Scheuthle et al. 2010: 648). Bei der Kosten/Nutzen-Überzeugung werden die Vorund Nachteile einer Handlung abgewogen und gleichzeitig eine Kosten/Nutzen-Überlegung angestellt. Daraus folgt je nach Gewichtung von Kosten und Nutzen eine veränderte Handlungsweise, die aufgrund des erhöhten Kosten- oder Arbeitsaufwandes von nachhaltig geprägten Handlungen größtenteils zugunsten nicht-nachhaltiger Handlungen ausfällt (Krömker 2008: 730). Je höher die Kosten eines umweltschonenden Verhaltens im Vergleich zur Alternative ausfallen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Verhalten ausgewählt wird. Dieses Verhaltensmuster wird in der Ökonomie auch als Low-Cost-Hypothese bezeichnet (Schahn & Matthies 2008: 672). Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass bei der Kosten-Nutzen-Überzeugung auch situative Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Bei sogenannten Hochkostensituationen (z.B. Fußmarsch über den Berg statt Autofahrt durch den Tunnel) haben auch umweltbewusste Menschen kaum die Möglichkeit, sich für die umweltschonende Variante zu entscheiden. In Niedrigkostensituationen hingegen, bei denen die Differenz der Kosten zwischen umweltschonendem und nicht-schonendem Verhalten gering ist, existiert kein Entscheidungsdilemma. Es sind demnach hauptsächlich die Mittelkostensituationen, bei denen die Kosten-Nutzen-Überzeugung ihre Anwendung findet (Schahn & Mat-
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thies 2008: 673f.). Unter Kosten können in diesem Kontext einerseits Kosten monetärer Art verstanden werden, aber andererseits auch Verhaltenskosten (z.B. Stress oder negative Emotionen), die bei der Handlungsabwägung eine Rolle spielen (Hamann et al. 2016: 56). Ebenfalls Einfluss auf die Kosten-Nutzen-Überzeugung nimmt die allgemeine Logik kollektiver Handlungen. Aus ihr resultiert die sogenannte »Free-Rider-Problematik« (Müller 2013: 91). Demnach ist es für das Individuum nicht rational, einen erhöhten Kostenaufwand für eine Handlung zu betreiben, wenn die Gesamtkosten der Handlung von der kollektiven Gesellschaft getragen werden. Die Kosten des umweltschädigenden Verhaltens eines Einzelnen werden dementsprechend in ihrer Gesamtheit von der Gesellschaft getragen, sodass die Entscheidung für eine kostenintensivere umweltschonende Handlung, bei der die Kosten im Moment der Handlung nur vom Individuum getragen werden, als nicht rational angesehen werden und aus diesem Grund in vielen Fällen die Handlung ausbleibt (Müller 2013: 92). Die Komponente der persönlichen Einstellungen und Gewohnheiten (auch als Habits bezeichnet) hingegen befasst sich mit individuellen Gewohnheitsmustern. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass Verhaltensweisen nicht zwangsläufig immer einen Entscheidungsprozess als Ausgangspunkt haben, sondern in vielen Fällen lediglich als eine Wiederholung eines bereits unbewusst adaptierten Verhaltens ausgeführt werden und dabei parallel zu bewussten Handlungen verlaufen (Hunecke 2022: 32; Scheuthle et al. 2010: 647). Je eher eine Handlung regelmäßig und routiniert ausgeführt wird, desto eher erfolgt sie unbewusst und ungesteuert und ohne Verbindung zu Emotionen. Ein kognitives Abwägen potenzieller Handlungsfolgen oder Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen bleibt in diesem Fall aus. Im Nachhaltigkeitskontext sind es jedoch eben diese kognitiven und emotionalen Prozesse, die für eine Veränderung des Verhaltens unabdingbar sind. (Krömker 2008: 733). Laut einer Studie trifft der Faktor der Gewohnheit auf bis zu 53 % der Handlungen eines Individuums zu. Demnach tendiert der Mensch dazu, Handlungsalternativen eher auszublenden, wenn diese von gewohnten Verhaltensmustern abweichen. Hier kommt verstärkend hinzu, dass Gewohnheiten in den meisten Fällen stabil sind, automatisiert ablaufen und zur Erreichung des gewünschten Ziels führen (Hamann et al. 2016: 76). Gewohnheitsmuster stellen demnach im Kontext einer erwünschten Veränderung der Lebensweise eine immense Handlungsbarriere dar. Die vierte Komponente der Handlungskontrolle definiert sich über die Durchführbarkeit der auszuführenden Handlung. Wenn beispielsweise in der näheren Umgebung des Handelnden keine Möglichkeit besteht, ökologisch angebaute Lebensmittel zu erwerben, so ist die Handlung nicht durchführbar und scheitert an einem Mangel an verfügbaren Ressourcen. Dies führt zur Nicht-Ausführung der Handlung (Krömker 2008: 731). In diesem Zusammenhang lässt sich auch vom Vorhandensein oder Fehlen von Handlungsanreizen sprechen, wie sie bereits 1981 im Modell von Fietkau und Kessel aufgeführt werden. Diese Anreize müssen als situationsabhängige Variablen betrachtet werden wie beispielsweise das Vorhandensein der Möglichkeit umweltschonend zu handeln (Nutzung des ÖPNV aufgrund ausreichend ausgebauter Infrastruktur) (Fietkau & Kessel 1981: 10f.). Den besten Anreiz bietet somit eine Handlung, die positiver für die handelnde Person ausfällt als die umweltschädigende Variante. Hinzu kommt, dass besagte Handlung effektiv sein muss und nicht zu Rückkopplungseffekten führen kann, sodass die Handlung auch langfristig positive Auswirkungen zur Folge hat. Durch
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die Schaffung von Anreizen könnte eine Verbesserung des Umweltbewusstseins generiert werden, was wiederum ein verstärkt nachhaltiges Handeln zur Folge haben kann (Schahn & Matthies 2008: 667). Das Fehlen eines Anreizes stellt jedoch nur dann eine tatsächliche Handlungsbarriere dar, wenn die subjektive Wahrnehmung der fehlenden Ressource oder des fehlenden Anreizes deckungsgleich mit der Realität ist. Ein weiteres Beispiel für eine Kontrollüberzeugung wäre die Ansicht, dass eine Handlung nur im Kollektiv zur Lösung führen kann. So könnte das Individuum der Überzeugung sein, dass der Verzicht auf die Nutzung eines PKW nur dann positive Wirkung zeigt, wenn dies keine rein individuell ausgeführte Handlung darstellt. Dass globale Problemlagen nur durch im Kollektiv durchgeführte Aktionen gelöst werden können, führt dazu, dass der Einzelne somit davon überzeugt sein muss, dass seine Handlung keinen Einzelfall darstellt und auch andere ähnlich Handeln und Denken (Krömker 2008: 731). Neben diesen übergeordneten interpersonalen Komponenten lassen sich noch einige andere personenbezogene Handlungsbarrieren finden. Zu nennen ist hier beispielsweise die Komponente der rivalisierenden Ziele und Handlungsmotive. Die Entscheidung für eine Handlungsalternative wird in den meisten Fällen nicht nur aufgrund eines Kriteriums vollzogen. Oftmals sind es verschiedene Motive, die ein Individuum zu einer Handlung bewegen. Bei der Suche nach einer Handlungsalternative kann es dabei zu Konflikten kommen. Bei der Lebensmittelwahl kann so beispielsweise das Ziel, ein nachhaltiges Produkt zu erwerben, konträr zum Ziel, wenig Geld ausgeben zu wollen, stehen. Es liegen somit rivalisierende Handlungsziele vor (Scheuthle et al. 2010: 647). Ein solcher kognitiver Zielkonflikt kann zu einem Unwohlsein und somit zu einer Handlungsblockade führen (Ham et al. 2015: 170). Welche Wahl getroffen wird, hängt dann einerseits von der persönlichen Haltung und andererseits von den kontextabhängigen Lebensumständen der Person ab (z.B.: es stehen nicht genug monetäre Mittel für den Kauf von nachhaltigen Produkten zur Verfügung). Weitere Einflussfaktoren lassen sich beispielsweise in Kindheitserfahrungen, in emotionalen Aspekten wie Verantwortungsgefühlen oder moralischen Vorstellungen und übergeordnet auch in unterschiedlichen menschlichen Persönlichkeiten finden (Gifford 2014: 544). Gifford entwickelte ein Schema für die Gesamtheit aller Handlungsbarrieren im Nachhaltigkeitskontext. Dieses beinhaltet 7 Oberkategorien und insgesamt 33 Unterkategorien für potenzielle Barrieren (Gifford 2011: 292). Alle dort enthaltenen Barrieren wurden inzwischen empirisch getestet und verifiziert (Matheis 2021: 452). Um eine Übersichtlichkeit zu gewährleisten und zielorientierte Interventionsstrategien aufstellen zu können, wurden diese Barrieren auf fünf übergeordnete Kategorien zusammengefasst und reduziert (Lacroix et al. 2019: 15ff.; Matheis 2021: 447ff.): I. No Need to Change (z.B. Barrieren wie Ignoranz der Notwendigkeit des Handelns, Abgestumpftheit gegenüber Umwelteindrücken & Unterschätzung der Risiken, aber auch der Wirkweise des eigenen Handelns) II. Conflicting Goals & Aspirations (Zielkonflikte) III. Interpersonal Relations (z.B. soziale Normen, Orientierung an anderen) IV. Tokenism (z.B. Inszenierung symbolischer Handlungen & Reboundeffekte) V. Lacking Knowledge (z.B. fehlendes Wissen über Handlungsmöglichkeiten)
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Abbildung 20 zeigt die in diesem Kapitel aufgeführten Handlungsbarrieren für nachhaltiges Verhalten noch einmal zusammengefasst und im Überblick.
Abbildung 20: Handlungsbarrieren für ein nachhaltiges Verhalten
Eigene Darstellung
Die hier aufgezeigte Vielfalt an potenziellen Handlungsbarrieren verdeutlicht die Komplexität menschlichen Verhaltens und insbesondere eines erwünschten Wandels der Verhaltensweisen. Das menschliche Verhalten ist in seiner Gesamtheit so komplex, dass eine kurzfristig ausgeführte und gleichzeitig langfristig andauernde Veränderung einer Verhaltensweise nur schwer bis gar nicht möglich ist. Aus diesem Grund sind neue Verhaltensweisen zu Beginn oftmals sehr schwach und benötigen Übung und Ausdauervermögen, um langfristig Bestand zu haben (Scott et al. 2016: 127). Zudem unterliegen Entscheidungen über Verhaltensweisen zahlreichen Einflüssen sowohl externer als auch interner Natur. Diese Einflüsse können die verschiedenen Stufen des Entscheidungsprozesses hemmen, angefangen von der Wahrnehmung und Bewertung eines Problems, der Urteils- und Entscheidungsfindung in Bezug auf potenzielle Handlungsoptionen, des Entwickelns von Handlungszielen bis hin zum tatsächlichen Verhalten (Schmitt & Bamberg 2018: 21). So kann es sein, dass aufgrund der hier dargestellten Handlungsbarrieren nicht-nachhaltige Verhaltensweisen vollzogen worden, obwohl ein Umweltbewusstsein und dementsprechend auch ein Umweltwissen über die Konsequenzen der Verhaltensweisen vorliegt und dadurch die angesprochene Knowledge-Action-Gap entsteht. Doch ist der Wert eines starken Umweltbewusstseins inklusive eines vorhandenen Umweltwissens so gering, wie es die hier aufgezeigten Handlungsbarrieren vermuten lassen?
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Handeln ohne Wissen? – Eine Diskussion
Die aufgezeigten und hinlänglich beforschten Zusammenhänge der Kluft zwischen Wissen und Handeln führen in vielen Fällen dazu, dass Wissen im Nachhaltigkeitskontext nur als sekundär bedeutsam betrachtet und teilweise auch unterschätzt wird. Dies kann so weit gehen, dass dem Aspekt von Wissensvermittlung im Nachhaltigkeitskontext kaum noch Beachtung geschenkt wird aufgrund dieser Fehlannahmen (Brandl 2013: 14). Denn auch wenn zahlreiche Handlungsbarrieren existieren, die ein nachhaltiges Verhalten, trotz vorhandenen Umweltbewusstseins, zu hemmen scheinen, lässt sich der Wert eines Umweltbewusstseins und auch eines damit verbundenen Umweltwissens keineswegs als nichtig charakterisieren. Robelia & Morphy ebenso wie Bamberg & Möser stellen in Ihren Metastudien heraus, dass Wissen definitiv einen Einfluss auf umweltbezogenes Handeln hat und dementsprechend als eine relevante Komponente in diesem Zusammenhang betrachtet werden sollte (Bamberg & Möser 2007: 22; Robelia & Murphy 2012: 316f.). Levy et al. zeigen in ihrer Studie zu Einflüssen auf das Umweltverhalten von israelischen Arbeiter*innen ebenfalls, dass Umweltwissen einen signifikanten Prädiktor für das tatsächliche Handeln in der Praxis darstellt (Levy et al. 2018: 319). Gleiches gilt für die Studie von Suki zu Effekten auf das Umweltverhalten von jungen Erwachsenen in Malaysia (Suki 2013: 733). Auf der Ebene der psychologischen Barrieren ist beispielsweise das Fehlen einer geringen moralischen Motivation für ein umweltschonendes Handeln auch darauf zurückzuführen, dass der Wert eines solchen Verhaltens für das Individuum gar nicht bekannt ist, oder dass das Problem der Bedeutung des eigenen Handelns nicht wahrgenommen und erkannt wird. Auch potenzielle Handlungsalternativen können somit unbekannt sein, sodass diese gar nicht erst in Betracht gezogen werden können (Schahn & Matthies 2008: 680f.). Dies untermauern auch Lacroix et al., indem sie »Lacking Knowledge« als eine der zentralen Handlungsbarrieren herausstellen (Lacroix et al. 2019: 15ff.). Das Aufzeigen der Probleme anthropogener Handlungen im 21. Jahrhundert und potenzieller Handlungsoptionen kann jedoch durch das Vermitteln der verschiedenen Wissensarten, wie sie in Kapitel 4.2 behandelt worden sind, vollzogen werden, sodass hier Wissen durchaus als wichtige Einflussgröße fungieren kann. So konnten Studien herausfinden, dass ein höheres Ausmaß des Umweltbewusstseins durchaus dazu führen kann, dass beispielsweise bei der Kosten-Nutzen-Abwägung der höhere Kostenaufwand der umweltschonenden Handlung vermehrt in Kauf genommen wird (Schahn & Matthies 2008: 673). Es konnte ebenfalls gezeigt werden, dass bei den erwähnten Mittelkostensituationen die Höhe der Kosten, die akzeptiert werden, steigt, wenn ein stärkeres Umweltbewusstsein vorhanden ist (ebd.: 674). Auch Kühnel und Bamberg sind der Ansicht, dass ein stärkeres Umweltbewusstsein insbesondere zu Beginn des Entscheidungsprozesses einer Handlung wirkt, wenn es um die Auswahl von Handlungsalternativen geht sowie den Kriterien, die für die Entscheidung herangezogen werden und auch für die gesamte Wahrnehmung der Handlungssituation im Allgemeinen (Bamberg & Kühnel 1998: 9f.). Bei jeder Handlung wird Wissen gedeutet und jede Handlung wird auf der Grundlage von Wissen vollzogen. Wissen und Handeln sind somit hybrid und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden (Oestreicher 2014: 38). Im Kontext der Wirksamkeitsüberzeugung spielt das Umwelt-
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bewusstsein und insbesondere das Umweltwissen ebenfalls eine Rolle. Denn die Überzeugung, ob eine bestimmte Handlung tatsächlich als Lösung geeignet ist, kann durch Wissensbestände beeinflusst werden. Je nach Wissensstand wird dementsprechend eine umweltschonende Handlungsalternative als relevant oder eben nicht relevant klassifiziert. Chang et al. stellen heraus, dass Individuen dann zum Handeln gebracht werden, wenn sie zunächst Informationen konsumieren, diese dann in Wissen umwandeln und anschließend dazu in der Lage sind, Handlungen auszuführen (Chang & Wi 2018: 37). Informationen und Wissen sind demnach durchaus an Handlungen gekoppelt. Im Hinblick auf komplexe Zusammenhänge, wie sie bei den meisten umweltrelevanten Handlungen vorliegen, werden Handlungen in den meisten Fällen nur mit unvollständigen Informationsständen vollzogen (Krömker 2008: 730). Neben der Unvollständigkeit kann es auch sein, dass fehlerhafte Vorstellungen und ein zu undifferenziertes Wissen vorliegen oder der Fokus auf falsche Themen gelegt wird. Aus diesem Grund ist es von zentraler Bedeutung, die Wissensbestände von Laien mit denen der Expert*innen abzugleichen, sodass Fehler verhindert und Wissensbestände erweitert werden können. Denn am Ende bilden diese die Basis der Handlungsentscheidungen sowohl auf individueller als auch politischer Ebene (Nerb 2008: 480f.). Ein verbesserter Informationsund Wissensstand kann demnach auch hier positiv wirken. Gleiches gilt für die Komponente der Handlungskontrolle. Auch hier zeigt sich immer wieder, dass ein höheres Umweltbewusstsein eher dazu führt, dass potenzielle Hindernisse wie beispielsweise höhere Kosten geringer eingeschätzt werden und die Handlung dadurch eher vollzogen wird (Bamberg & Braun 2001: 94ff.). Auch in Punkto Gewohnheiten spielt der Wissensstand eine wichtige Rolle. So können Verhaltensgewohnheiten nur dann durchbrochen werden, wenn neue Informationen hinzugezogen werden, die vorher nicht existierten (Scheuthle et al. 2010: 647). Ohne das Wissen, welche Folgen beispielsweise der Kauf einer Avocado mit sich bringt, kann die Entscheidung über den Nicht-Kauf des Produktes gar nicht erst getroffen werden. Dies unterstreicht die bereits erwähnte Rolle des Wissens als notwendige Bedingung im Nachhaltigkeitskontext. Da es sich beim Wissensbegriff um ein äußerst komplexes und diverses Konstrukt handelt, sollte bei der Betrachtung der Bedeutung von Wissen auch nach den verschiedenen Wissensarten differenziert werden. So konnten Studien zeigen, dass das bereits thematisierte Systemwissen einen eher geringen Einfluss auf das Verhalten ausübt, wohingegen Handlungswissen empirisch nachweisbar als relevanter Einflussfaktor bestätigt werden konnte (Gamba & Oskamp 1994: 606f.). Es beeinflusst dabei insbesondere die Verhaltensabsicht (Frick et al. 2004: 1606ff.) und kann im Falle des Nichtvorhandenseins sogar zu Hilflosigkeitserscheinungen führen (Schahn 1996: 232ff.). Ein konkretes Handlungswissen ist notwendig, um eine umweltbewusste Einstellung überhaupt zu entwickeln und diese letztendlich in ein Verhalten zu überführen (Homburg & Matthies 1998: 130). Weitere Studien bestätigen, dass es oftmals das fehlende Wirksamkeitswissen über bestimmte Handlungen ist, welches zu einer Nicht-Handlung führt. So wird die Wirksamkeit bestimmter Handlungen insbesondere im Nachhaltigkeitskontext oftmals unterschätzt. Dies kann letzten Endes zu einer falschen Prioritätensetzung führen (Scheuthle et al. 2010: 656). Hinreichendes Wissen stellt demnach neben anderen Komponenten wie Vertrauen oder persönlichen Motiven durchaus eine wichtige Variable für Handlungen dar (Ernst 2008: 388).
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Vor allem der positive Einfluss von verhaltensbezogenen Wissensbeständen (z.B. Handlungswissen) auf umweltrelevantes Handeln lässt sich in zahlreichen Studien wiederfinden (Frick et al. 2004; Olli et al. 2001; Oskamp et al. 1991). Ein weiterer nachgewiesener Einfluss von Umweltwissen bezieht sich auf die Vorstufe des Verhaltens. Demnach hat Umweltwissen auf die des Verhaltens zugrundliegende Intentionen durchaus einen nachweisbaren positiven Einfluss (Kaiser et al. 1999: 12). Für ein grundlegendes Faktenwissen wie beispielsweise Systemwissen besteht zwar scheinbar kein signifikanter Zusammenhang zum Umweltverhalten, es kann jedoch durchaus andere Wissensformen wie das verhaltensbezogene Handlungswissen beeinflussen und somit auch indirekt das Verhalten (Frick et al. 2004: 1606ff.). Dadurch, dass ein grundlegendes Umweltwissen die Unbestimmtheit des betrachteten Gegenstandes reduziert, befähigt es überhaupt erst zum Handeln (Lantermann et al. 1992: 133). Eine weitere bisher noch nicht thematisierte Wissensform in diesem Zusammenhang stellt das sogenannte soziale Wissen dar. Darunter lässt sich jenes Wissen verstehen, welches über die Motive und Intentionen anderer Personen besteht (Ernst 1994: 3) Dieses Wissen wird über die Beobachtung anderer erworben, sodass das Wissen über deren Motive und Handlungen selbst zu einer Informationsquelle wird. In diesem Fall spielt die Qualität eines solchen Wissens eine wichtige Rolle. Der Einbezug eines solchen Wissens kann nachweislich zum tatsächlichen Handeln führen (ebd.: 170f.). Duerden & Witt stellen heraus, dass es insbesondere direkte und indirekte Erfahrungen und somit Erfahrungswissen sind, welche die Anwendung von Umweltwissen in konkrete Handlungen fördern (Duerden & Witt 2010: 391). Andererseits kann eine nur einseitige Betrachtung einer einzelnen Wissensform auch zur Verzerrung der Ergebnisse führen. Wie in Kapitel 4.2 bereits argumentiert, ist es insbesondere das Zusammenspiel der verschiedenen Wissensarten, welche letzten Endes bedeutsam für nachhaltiges Handeln ist. Viele der umweltpsychologischen Studien beschränken sich jedoch auf einzelne Wissensformen, sodass das Zusammenspiel der verschiedenen Formen und deren Wirksamkeit im Kontext eines umweltschonenden Verhaltens somit nicht erfasst werden (Kaiser & Fuhrer 2000: 52). Zudem wird der Einfluss von Wissen, welches als notwendige Bedingung des Handelns angesehen wird und somit auch als distale Entität betrachtet werden kann, oftmals unterschätzt, wenn Einflussfaktoren wie Werte oder Einstellungen ebenfalls einbezogen werden. Je nach gewähltem statistischem Verfahren kann es sein, dass der Wissenseinfluss dadurch oftmals unerkannt bleibt. Kaiser und Fuhrer konnten in einer Studie nachweisen, dass die messfehlerkorrigierte Korrelation zwischen Wissen und manifestem Handeln mit r=.54 deutlich höher ausfällt als in der messfehlerbehafteten Korrelation (r=.33). Da jedoch die Handlungsabsicht enger mit dem manifesten Handeln zusammenhängt (r=.87) wird sie in vielen Studien oftmals als bedeutsamerer Einflussfaktor betrachtet, sodass der doch beachtliche Wissenseinfluss dabei unberücksichtigt bleibt (Kaiser & Fuhrer 2000: 60). Darüber hinaus konnte herausgefunden werden, dass Wissen immer dann einen stärkeren Einfluss auf das Handeln ausübt, wenn die potenziellen Handlungsbarrieren interpersonaler und nicht situativer Natur sind (Gardner & Stern 1996: 80ff.) Daraus ergibt sich, dass insbesondere diese Barrieren im Kontext des Wissenseinflusses eine größere Beachtung finden sollten. Ökologisches Handeln sollte aus diesem Grund eher allgemein als rein bereichsfokussiert gemessen werden (Kaiser & Fuhrer 2000: 52). Letz-
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ten Endes ist es die Konvergenz aller verschiedener Wissensarten, die das Individuum zum Handeln befähigt. Sobald eine der Wissensformen fehlt oder divergent ist, kann das tatsächliche Handeln dadurch gehemmt werden. Das Maß der Konvergenz dieser Wissensformen bestimmt somit die Handlung, wird aber in den wenigsten Studien im Bereich der Kluft zwischen Wissen und Handeln einbezogen (ebd.: 57). So kommen Roczen et al. und Fremerey & Bogner zu dem Schluss, dass Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext (z.B. systemisches Wissen, Handlungswissen und Wirksamkeitswissen) immer in Abhängigkeit zueinander stehen (Fremerey & Bogner 2014: 224f.; Roczen et al. 2014: 976). Die Studie von Roczen et al. zeigt zudem, dass Umweltwissen als Kombination von mehreren Wissensarten durchaus einen Einfluss auf Umweltverhalten ausüben kann. Das Handlungswissen weist dabei auch hier den größten Einfluss auf (Roczen et al. 2014: 986). Auch im Hinblick auf die konkrete Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den Sustainable Development Goals sollte die Bedeutung von Wissen einbezogen werden. Gusmao Caiado et al. stellen diesbezüglich heraus, dass insbesondere Investitionen in Bildung und Informationsvermittlung als zentral bedeutsam erachtet werden müssen, wenn die SDGs erreicht werden sollen (Gusmao Caiado et al. 2018: 1282). Dies zeigt sich auch darin, dass in vielen Rahmenbedingungen, die sich mit einer verbesserten Umsetzung der SDGs befassen, Bildung und Wissen immer die erste Stufe darstellen, die es zu erfüllen gilt (ebd.: 1281). Darüber hinaus müssen relevante Informationen und Wissen breitenwirksam geteilt und zur Verfügung gestellt werden, wenn es um eine gewinnbringende Umsetzung der SDGs geht (ebd.: 185). Leal Filho et al. sind der Ansicht, dass insbesondere ein besseres Verständnis der SDGs und globaler Problemstellungen im Allgemeinen notwendig ist, wenn eine nachhaltige Entwicklung umgesetzt werden soll. In diesem Zusammenhang existieren jedoch aktuell große Wissenslücken und Fragen, welche es zu beheben gilt (Leal Filho et al. 2019: 188). Auch Lalaguna et al. konstatieren, dass eine verstärkte Forschung zu den SDGs erfolgen muss, um ein besseres Verständnis dieser Ziele durch die Bereitstellung von relevantem Wissen erreichen zu können. Der Wissenstransfer eines solchen Wissens aus den Universitäten heraus bildet den Grundstein für eine gelungene Implementation der SDGs (Lalaguna et al. 2018: 974). Cummings et al. zeigen auf, dass sich schon in der Formulierung der Agenda 2030 und den Zielsetzungen der SDGS selbst konkrete Bezüge zum Thema Wissen finden lassen. Dabei geht es beispielsweise um die flächendeckende Verbreitung von Informationen, den hohen Wert lokaler Wissensbestände als Produktivitätsfaktor oder aber die Steigerung wissenschaftlicher Wissensbestände für die Erreichung der Ziele (Cummings et al. 2017: 733f.). Am deutlichsten wird dies jedoch in SDG4, Unterziel 4.7 wo es heißt: »Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Erkenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben« (UN 2015: 17). Es zeigt sich, dass Wissen auch im Zusammenhang mit der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele eine hohe Bedeutung zukommt und letzten Endes die notwendige Grundlage für das Ausführen von Handlungen im Sinne nachhaltiger Lösungsansätze darstellt. Konkludierend kann festgehalten werden, dass die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und -wissen und dem tatsächlichen Umweltverhalten nicht von der Hand zu weisen ist. Dennoch spielt das Bewusstsein im gesamten aber auch das Umweltwissen selbst, wie in diesem Kapitel deutlich wurde, eine nicht zu vernachlässigende Rol-
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le im Kontext des gesellschaftlichen Wandels hin zu einem stärkeren umweltbewussten Verhalten. Auch Görgen und Wendt kommen zu dem Schluss, dass der Einfluss eines starken Umweltbewusstseins auf das tatsächliche Verhalten als überraschend groß beschrieben werden kann (Wendt & Görgen 2017: 92). Ein verstärktes Umweltwissen, insbesondere dann, wenn es sich um Handlungs- und Wirksamkeitswissen handelt, kann durchaus einen positiven Einfluss auf die Wahl einer umweltbewussten Handlungsweise haben, wie die hier aufgeführten Studien zeigen. Und auch wenn ein Fakten- und systemisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext nicht direkt mit einem veränderten Umweltverhalten korreliert, so kann es dennoch einen Einfluss auf die dem Verhalten zugrundeliegenden Intentionen und somit auf die Handlungswahl ausüben. Umweltwissen stellt somit zwar keine hinreichende Bedingung für ein umweltbewusstes Verhalten dar, aber eben doch eine notwendige, denn ohne das Vorhandensein von Handlungswissen ist eine tatsächliche Handlung nur schwer möglich. Auch Ham et al. kommen zu dem Schluss, dass eine positive Korrelation zwischen Wissen und Umweltverhalten besteht, auch wenn diese schwer zu messen ist und daher viele Studien unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Ergebnisse erzielen (Ham et al. 2015: 164f.). Wie das Alter der hier aufgeführten Studien zeigt, scheint das Thema Umweltwissen in den letzten Jahren kaum bis gar keine Beachtung gefunden zu haben. Insbesondere die konkrete Erfassung von umweltbezogenen Wissensbeständen in der Gesellschaft ist bisher kaum erhoben worden (Scheuthle et al. 2010: 654). Dies mag einerseits an der Komplexität des Wissensbegriffs an sich liegen, andererseits aber vielleicht auch an der geringen Erwartungshaltung gegenüber den tatsächlichen Effekten von Wissen auf das Handeln (ebd.). Es ist vollkommen klar, dass Wissen allein nicht zum Handeln führen wird und ein vermehrtes Wissen auch nicht das Dilemma der Knowledge-Action-Gap zu lösen vermag. Dennoch kann und sollte Wissen als eine von vielen relevanten Komponenten in der gesamten Handlungsthematik betrachtet und nicht komplett außer Acht gelassen werden. Bereits Nico Stehr war der Auffassung, dass »Wissen die Fähigkeit zum sozialen Handeln« ist (Stehr 1994: 208). Wissen ist für ihn demnach die Bedingung des Handelns. Auch wenn diese Aussage kritisch betrachtet werden sollte, lässt sich der Wert des Wissens im Allgemeinen auch unter der Berücksichtigung, dass die gegenwärtige Gesellschaft als Wissensgesellschaft charakterisiert werden kann, nicht abstreiten und sollte demnach insbesondere auch im Kontext einer angestrebten sozial-ökologischen Transformation weiterhin in der Forschung berücksichtigt werden. Vor allem die Konvergenz verschiedener Wissensformen muss verstärkt in den Forschungsfokus rücken, da hier potenziell ein erhöhter Einfluss auf das tatsächliche Handeln erreicht werden kann. Im weiteren Verlauf wird sich zeigen, dass insbesondere die Forschungsdisziplin der Geographie geeignet ist, um ein Konglomerat aus verschiedenen Wissensformen bereitzustellen und somit möglicherweise zu einem verstärkten umweltbewussten Handeln beizutragen.
4.7
Zusammenfassung
Das vorliegende Kapitel verdeutlicht erneut, wie komplex die gesamte Nachhaltigkeitsthematik ist. Das Thema Wissen stellt in diesem Zusammenhang insbesondere im
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le im Kontext des gesellschaftlichen Wandels hin zu einem stärkeren umweltbewussten Verhalten. Auch Görgen und Wendt kommen zu dem Schluss, dass der Einfluss eines starken Umweltbewusstseins auf das tatsächliche Verhalten als überraschend groß beschrieben werden kann (Wendt & Görgen 2017: 92). Ein verstärktes Umweltwissen, insbesondere dann, wenn es sich um Handlungs- und Wirksamkeitswissen handelt, kann durchaus einen positiven Einfluss auf die Wahl einer umweltbewussten Handlungsweise haben, wie die hier aufgeführten Studien zeigen. Und auch wenn ein Fakten- und systemisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext nicht direkt mit einem veränderten Umweltverhalten korreliert, so kann es dennoch einen Einfluss auf die dem Verhalten zugrundeliegenden Intentionen und somit auf die Handlungswahl ausüben. Umweltwissen stellt somit zwar keine hinreichende Bedingung für ein umweltbewusstes Verhalten dar, aber eben doch eine notwendige, denn ohne das Vorhandensein von Handlungswissen ist eine tatsächliche Handlung nur schwer möglich. Auch Ham et al. kommen zu dem Schluss, dass eine positive Korrelation zwischen Wissen und Umweltverhalten besteht, auch wenn diese schwer zu messen ist und daher viele Studien unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Ergebnisse erzielen (Ham et al. 2015: 164f.). Wie das Alter der hier aufgeführten Studien zeigt, scheint das Thema Umweltwissen in den letzten Jahren kaum bis gar keine Beachtung gefunden zu haben. Insbesondere die konkrete Erfassung von umweltbezogenen Wissensbeständen in der Gesellschaft ist bisher kaum erhoben worden (Scheuthle et al. 2010: 654). Dies mag einerseits an der Komplexität des Wissensbegriffs an sich liegen, andererseits aber vielleicht auch an der geringen Erwartungshaltung gegenüber den tatsächlichen Effekten von Wissen auf das Handeln (ebd.). Es ist vollkommen klar, dass Wissen allein nicht zum Handeln führen wird und ein vermehrtes Wissen auch nicht das Dilemma der Knowledge-Action-Gap zu lösen vermag. Dennoch kann und sollte Wissen als eine von vielen relevanten Komponenten in der gesamten Handlungsthematik betrachtet und nicht komplett außer Acht gelassen werden. Bereits Nico Stehr war der Auffassung, dass »Wissen die Fähigkeit zum sozialen Handeln« ist (Stehr 1994: 208). Wissen ist für ihn demnach die Bedingung des Handelns. Auch wenn diese Aussage kritisch betrachtet werden sollte, lässt sich der Wert des Wissens im Allgemeinen auch unter der Berücksichtigung, dass die gegenwärtige Gesellschaft als Wissensgesellschaft charakterisiert werden kann, nicht abstreiten und sollte demnach insbesondere auch im Kontext einer angestrebten sozial-ökologischen Transformation weiterhin in der Forschung berücksichtigt werden. Vor allem die Konvergenz verschiedener Wissensformen muss verstärkt in den Forschungsfokus rücken, da hier potenziell ein erhöhter Einfluss auf das tatsächliche Handeln erreicht werden kann. Im weiteren Verlauf wird sich zeigen, dass insbesondere die Forschungsdisziplin der Geographie geeignet ist, um ein Konglomerat aus verschiedenen Wissensformen bereitzustellen und somit möglicherweise zu einem verstärkten umweltbewussten Handeln beizutragen.
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Zusammenfassung
Das vorliegende Kapitel verdeutlicht erneut, wie komplex die gesamte Nachhaltigkeitsthematik ist. Das Thema Wissen stellt in diesem Zusammenhang insbesondere im
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wissenschaftlichen Diskurs ein äußerst zwiespältiges Thema dar. Auf der einen Seite steht die unbestreitbare Knowledge-Action-Gap, welche in den letzten Jahrzehnten hinlänglich erforscht worden ist, insbesondere durch Arbeiten aus der Umweltpsychologie. Demnach scheint ein vorhandenes Umweltbewusstsein inklusive eines Umweltwissens nicht automatisch zu einem nachhaltigen Handeln zu führen. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie der gesamte Nachhaltigkeitskomplex selbst. Ob es sich um externe Handlungsbarrieren wie eine zeitliche, räumliche oder soziale Distanz zu den Konflikten des 21. Jahrhunderts handelt, oder aber um interpersonale und situative Faktoren wie Wirksamkeits- oder Kosten/Nutzen-Überzeugungen, aber auch Einstellungen, Normen, Werte oder einfach Gewohnheiten, die Barrieren im Hinblick auf ein umweltschonendes Verhalten sind zahlreich. Die Steigerung eines solchen Verhaltens rein durch Wissenserweiterung scheint dementsprechend beinahe unmöglich zu sein. Auf der anderen Seite lässt sich nicht bestreiten, dass Wissen eine notwendige Bedingung zu sein scheint. Ohne Wissen, ist Handeln nicht möglich. Dabei geht es nicht um ein reines Faktenwissen oder ein systemisches Wissen, denn dieses bildet lediglich die epistemologische Basis und nimmt eher Einfluss auf Intentionen und erste Verhaltensentscheidungen, sodass seine Korrelation zu einer manifesten Handlung als äußerst gering einzustufen ist. Handlungs- und Wirksamkeitswissen hingegen können, wenn es sich um sozial robuste Wissensbestände handelt, durchaus einen nachgewiesenen positiven Einfluss auf nachhaltiges Handeln ausüben. Letzten Endes ist es vor allem die Konvergenz verschiedener Wissensarten, die in der gesamten Nachhaltigkeitsthematik eine wichtige Rolle einnehmen kann. Hier kommt im Kontext außerhalb von Bildungsinstitutionen der Nachhaltigkeitskommunikation eine wichtige Aufgabe zu. Dabei gilt es, für eine gelungene Kommunikation insbesondere auf Zielgruppe, Inhalt, Informationskanal und Form der Wissensvermittlung zu achten. Der schwindende Forschungsfokus auf das Thema Wissen im Nachhaltigkeitskontext in den letzten Jahren ist daher als bedenklich einzustufen, denn auch wenn Wissen nur einer von vielen Einflussfaktoren auf ein tatsächliches Handeln ist, so sollte er dennoch keineswegs außer Acht gelassen werden, stellt er doch im Grunde genommen die Basis für alle anderen Einflussfaktoren dar. Zudem scheint es oftmals auch das Fehlen konkreter Handlungs- und Wirksamkeitswissensbestände zu sein, welche Handlungsentscheidungen maßgeblich hemmen. Dabei spielt neben der Erforschung, welche Wissensbestände als relevant angesehen werden können, wo sich in der Gesellschaft konkret Wissenslücken befinden und wie Wissensbestände gewinnbringend kommuniziert werden können, auch die Frage eine Rolle, welche Wissensbestände aus welchen Wissensdisziplinen eine Relevanz aufweisen und welche Rolle somit diesen Disziplinen und deren Wissensbeständen im Kontext der Förderung einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit zukommt. Das nachfolgende Kapitel zeigt auf, welche Bedeutung dabei der Forschungsdisziplin der Geographie zukommt, welche Wissensbestände in diesem Zusammenhang als relevant erachtet werden können und ob beziehungsweise welchen Einfluss geographisches Wissen und geographische Denkweisen auf die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele nehmen können. Abschließend kann aus diesem Kapitel folgende Fragestellung abgeleitet werden:
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Welche Bedeutung hat Wissen für die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele aus zivilgesellschaftlicher Sicht, (wie) lässt sich der Wissensstand der Gesellschaft in diesem Zusammenhang beschreiben und wo bestehen konkrete Wissenslücken und -bedarfe?
5 Wissen und Geographie Wissenskonzeption einer Forschungsdisziplin
Wenn über den Begriff eines geographischen Wissens und seiner Bedeutung im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation diskutiert wird, so lässt sich dies nicht ohne eine vorherige Auseinandersetzung mit den Kerninhalten der Geographie als Forschungsdisziplin bewerkstelligen. Um geographisches Wissen charakterisieren zu können, ist es folglich notwendig, zunächst den Begriff der Geographie selbst zu definieren. Das nachfolgende Kapitel widmet sich dementsprechend dem Versuch, die bestehenden Definitionen für Geographie aufzuzeigen und daraus eine übergeordnete Definition dieser Disziplin zu synthetisieren. Anschließend wird die historische Entwicklung des Faches aufgegriffen. Daran anknüpfend erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Schlüsselkonzepten der gegenwärtigen Geographie, sodass im Anschluss das geographische Wissen und seine Bedeutung für den Nachhaltigkeitskontext detailliert in den Blick genommen werden können.
5.1
Die Geographie – Ein Definitionsversuch
Wie bei allen anderen gängigen Forschungsdisziplinen ist die Formulierung einer übergeordneten Definition, welche eine vollständige Zustimmung findet, kaum leistbar. Daher gilt es, sich einem solchen vollkommenen Definitionsversuch schrittweise und bestmöglich anzunähern. Zu Beginn ist hier zu erwähnen, dass die Geographie als Forschungsdisziplin im historischen Verlauf eine Vielzahl an Wandlungsprozessen durchlebt hat. Dies hat dazu geführt, dass die Ausrichtung des Faches sich mehrfach geändert hat und somit auch die allgemein anerkannten Definitionen ständig erneuert und erweitert worden sind. Geht man zu Beginn von der rein sprachlichen Definition des Wortes »Geographie« aus, so lässt sich dies als Erdbeschreibung oder Erdschilderung übersetzen, sprich der Erfassung und Darstellung der Dinge auf der Erde im Raum (Weigt 1957: 6). Der deutsche Begriff der »Erdkunde« als Synonym zur Geographie offenbart dabei zusätzlich noch die Implikation der Übermittlung einer Kunde über die Erde, welche seit jeher als eine der zentralen Aufgaben der Geographie angesehen wird
5 Wissen und Geographie Wissenskonzeption einer Forschungsdisziplin
Wenn über den Begriff eines geographischen Wissens und seiner Bedeutung im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation diskutiert wird, so lässt sich dies nicht ohne eine vorherige Auseinandersetzung mit den Kerninhalten der Geographie als Forschungsdisziplin bewerkstelligen. Um geographisches Wissen charakterisieren zu können, ist es folglich notwendig, zunächst den Begriff der Geographie selbst zu definieren. Das nachfolgende Kapitel widmet sich dementsprechend dem Versuch, die bestehenden Definitionen für Geographie aufzuzeigen und daraus eine übergeordnete Definition dieser Disziplin zu synthetisieren. Anschließend wird die historische Entwicklung des Faches aufgegriffen. Daran anknüpfend erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Schlüsselkonzepten der gegenwärtigen Geographie, sodass im Anschluss das geographische Wissen und seine Bedeutung für den Nachhaltigkeitskontext detailliert in den Blick genommen werden können.
5.1
Die Geographie – Ein Definitionsversuch
Wie bei allen anderen gängigen Forschungsdisziplinen ist die Formulierung einer übergeordneten Definition, welche eine vollständige Zustimmung findet, kaum leistbar. Daher gilt es, sich einem solchen vollkommenen Definitionsversuch schrittweise und bestmöglich anzunähern. Zu Beginn ist hier zu erwähnen, dass die Geographie als Forschungsdisziplin im historischen Verlauf eine Vielzahl an Wandlungsprozessen durchlebt hat. Dies hat dazu geführt, dass die Ausrichtung des Faches sich mehrfach geändert hat und somit auch die allgemein anerkannten Definitionen ständig erneuert und erweitert worden sind. Geht man zu Beginn von der rein sprachlichen Definition des Wortes »Geographie« aus, so lässt sich dies als Erdbeschreibung oder Erdschilderung übersetzen, sprich der Erfassung und Darstellung der Dinge auf der Erde im Raum (Weigt 1957: 6). Der deutsche Begriff der »Erdkunde« als Synonym zur Geographie offenbart dabei zusätzlich noch die Implikation der Übermittlung einer Kunde über die Erde, welche seit jeher als eine der zentralen Aufgaben der Geographie angesehen wird
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
und auch heute noch ist. Da jedoch die Beschreibung der Erde zeitlichen Entwicklungen und Veränderungen unterworfen ist und das Bild der Erdoberfläche sich stetig wandelt, wird schnell deutlich, dass allein schon die Begriffe Geographie und Erdkunde mehr beinhalten als eine reine Beschreibung der Dinge. Vielmehr sind hier bereits auch die Kunde über Prozesse auf der Erde und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen natürlichen Systemen implizit enthalten (ebd.: 6f.) oder um es mit Murphys Worten auszudrücken: »Geography offers a critically important window into the diverse nature and character oft the planet that serves as humanity’s home« (Murphy 2018: 8). In dieser Definition ist auch der Mensch und seine Handlungen auf der Erde enthalten, denn der Mensch ist Teil der Dinge auf der Erde und somit zwangsläufig auch in den Blick einer Erdbeschreibung integriert (Weigt 1957: 7). Die in der geographischen Wissenschaftscommunity gängigste Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Geographie stammt von Johnston: »Geography is what geographers do« (Johnston 1980: 277). Diese zugegebenermaßen recht plakative und nichtssagende Antwort wurde dennoch im Lauf der Zeit zu einer gängigen Redewendung in der Geographie und wird auch weithin als wahr anerkannt (Dickel 2021: 10). Sie kann in dem Sinne verstanden werden, als dass das Wesen der Geographie sich in den praktischen Handlungen der Geographie selbst manifestiert. Geographie ist demnach die »(…) Summe der gewählten Forschungsgegenstände, formulierten Forschungsfragen und habitualisierten Forschungsstile (Dickel 2021: 12). Das Wesen der Geographie kann somit jederzeit durch neue Handlungen neu bestimmt werden. Die Redewendung kann jedoch auch als Ausweichen auf das Geben einer konkreten Definition betrachtet werden (ebd.: 13) und eignet sich daher für die vorliegende Arbeit nicht als tatsächlicher Definitionsversuch, sondern eher als Startpunkt für weitere Überlegungen. Wirft man einen Blick in die gängigen Lehrbücher der Geographie, so finden sich dort allgemeinhin Definitionen zur Geographie wie die Folgende: »Geographie befasst sich mit der Erdoberfläche, mit Landschaften, mit den Menschen, mit Standorten sowie mit den materiellen und geistigen Umwelten der Menschen. In der Geographie geht es um die Welt, in der wir leben.« (Gebhardt et al. 2011: 55) Hier wird versucht, das gesamte Wesen der Geographie zu bündeln. So werden einerseits durch die Erdoberfläche und die Landschaften die physisch-geographischen, sprich die natürlichen Grundlagen der Disziplin aufgeführt. Andererseits werden mit den Menschen und Standorten die humangeographischen, also die anthropogenen, Grundlagen aufgegriffen. Die materiellen und geistigen Umwelten der Menschen sowie die allgemein gehaltene Aussage der Welt, in der wir leben, nimmt Bezug auf den dritten Schwerpunkt der Geographie, das Mensch-Umwelt-System, also das Zusammenspiel von physischen und anthropogenen Voraussetzungen. Ein ähnlicher Definitionsversuch findet sich bei Murphy: »Geography is an academic discipline (…) that explores – and promotes critical thinking about – how the world is organized, the environments and patterns that exist on the ground or that humans create in their minds, the interconnections that exist between
5 Wissen und Geographie
the physical and human environment, and the nature of places and regions« (Murphy 2018: 8) Hier wird erweiternd bereits die Komponente des kritischen Denkens als Teil des Wesens der Geographie angeführt, ebenso wie die Wechselbeiziehungen zwischen natürlichen und anthropogenen Umwelten. Eine gänzlich anders ausgerichtete Definition wird von Borsdorf verfolgt: »Die Geographie erfasst, beschreibt und erklärt die Geosphäre im Ganzen und in ihren Teilen nach Lage, Stoff, Form und Struktur, nach dem Wirkungsgefüge von Kräften (Funktion), das in ihr wirksam ist, und nach der Entwicklung (Genese), die zu den gegenwärtigen Erscheinungsformen und -strukturen geführt hat. Als Angewandte Geographie schreibt sie die Entwicklungen in die Zukunft fort (Prognose), bewertet diese (Evaluation) und versucht, Hilfen für die Gestaltung des Raumes in der Zukunft zu geben (Planung).« (Borsdorf 2007: 93) Dieser deutlich detaillierte Definitionsversuch fokussiert sich mehr auf das Zusammenspiel der einzelnen Teilbereiche der Geographie. Der Begriff der Geosphäre umfasst dabei alle auf der Erde existierenden Teilbereiche (Gestein, Luft, Wasser, Boden, Pflanzenund Tierwelt sowie Menschen) und versteht sich dabei als ein Konglomerat aus verschiedenen Teilsphären dieser jeweiligen Bereiche (Borsdorf 2007: 32). Diese Definition rückt anders als die Vorangegangenen die Aufgaben und Werkzeuge der Geographie näher in den Vordergrund. Hier wird Geographie als eine Disziplin verstanden, welche die Erde und all ihre Teilbereiche sowohl beschreibt als auch ihre Entstehung und die Wirkungsgefüge der einzelnen Sphären zu erklären versucht. Darüber hinaus gibt sie Prognosen ab und stellt planerische Hilfsmaßnahmen zur Verfügung. Die Geographie kann nach dieser Definition somit als eine Wissenschaft beschrieben werden, die die systemischen Zusammenhänge und Wirkungsgefüge auf der Welt erklärt und gleichzeitig versucht, zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren und im positiven Sinne zu beeinflussen. Im Vordergrund steht dabei der Anspruch der Geographie, wie er auch schon deutlich früher erkannt wurde, im Gegensatz zur geläufigen Vorstellung einer Wissenschaft der reinen Erdbeschreibung, die Erde ganzheitlich zu erfassen und die Wechselwirkungen ihrer einzelnen Teile zu erklären (Weigt 1957: 6). Doch auch in dieser Definition werden alle Begrifflichkeiten eher allgemein gehalten und das gesamte Wesen der Geographie als Disziplin ist auch hier nur zwischen den Zeilen erkennbar. Ein weiterer Versuch einer Definition gliedert die Inhalte der Geographie in zehn sogenannte »Leitprinzipien zur Geographie« (Dürr & Zepp 2012: 70f.). Diese sind in Abbildung 23 dargestellt. Mit diesen Prinzipien sollen sowohl zentrale Inhalte der Geographie als auch gängige Verfahren und Methoden der Arbeit von Geographen*innen aufgezeigt werden. Sie sollen übergeordnet die Geographie als Ganzes in den Fokus stellen und gleichzeitig die fachliche sowie methodische Kontinuität dieser Forschungsdisziplin visualisieren (ebd.: 69f.). Im Gegensatz zu den vorherigen Definitionsversuchen steht hier insbesondere der Raum, bzw. das räumliche Denken im Vordergrund. Es zeigt sich hierbei, dass Raum eine zentrale Rolle in der Geographie spielt und daher auch als ein Element in der Definition auftauchen sollte. Durch den räumlichen Fokus werden die Inhalte der Geographie
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von den Überschneidungen mit benachbarten Disziplinen abgegrenzt und bilden somit ein Alleinstellungsmerkmal des Faches. Allerdings muss hier kritisch angemerkt werden, dass durch den starken Fokus auf die Bedeutung von Räumen und der Analyse von räumlichen Zusammenhängen andere zentrale Elemente auf der Strecke bleiben, die in den anderen Definitionen ihren berechtigten Platz gefunden haben. Insbesondere die Inhalte der physischen, natürlichen Grundlagen werden hier nur implizit aufgegriffen. Dennoch bilden diese Leitprinzipien aufgrund ihrer Ausführlichkeit einen guten Überblick über geographische Denk- und Handlungsweisen und bilden den inhaltlichen und methodischen Kern der Geographie als Forschungsdisziplin prägnant und gleichzeitig detailliert ab.
Tabelle 9: Die 10 Leitprinzipien der Geographie I. Topophilie
Eigenartigkeit von Orten und deren Bedeutung
II. Chorologie
Räumliche (An-)Ordnungsmuster von Standorten, Gebäuden und Linien aller Art
III. Sachverhalte aller Art
I und II werden auf Objekte und Eigenschaften aller Art bezogen: alltäglich, außergewöhnlich, vergangen oder gegenwärtig etc.
IV. Natur und Gesellschaft
wechselseitige Zusammenhänge zwischen Menschen und ihrer Umwelt sowie ökologischen und gesellschaftlichen Systemen
V. absolute Lage
absolute Lage von Orten als wichtiges Merkmal für deren spezifische Ausprägung
VI. relative Lage und Konnektivität
Wichtigkeit der relativen Lage von Orten & Räumen in Bezug auf Lagebeziehungen, Konnektivität und räumliche Verknüpfungen
VII. Multiskalare Mehrebenen-Analysen
Orts- und Raummuster auf verschiedenen Maßstabsebenen oder Dimensionsstufen und die Verknüpfung von Raumprozessen
VIII. Prozesse
dynamische & zeitliche Betrachtung von Prozessen in Bezug auf Entstehung und Entwicklung räumlicher Verteilungsmuster
IX. Systemansätze
Konstruierung komplexer Ursachengefüge in Form von Systemen
X. Interdisziplinarität
Verknüpfung von Fachwissen und Methoden verschiedenster Disziplinen
Eigene Darstellung nach Dürr & Zepp 2012: 70f.
An dieser Stelle sei gesagt, dass explizite Definitionen von Geographie, welche sich auf einige wenige Sätze beschränken, wie sie in den ersten beiden Beispielen zu finden sind, eher unüblich in der Masse der geographischen Lehrbücher sind. Aufgrund der inhaltlichen Vielseitigkeit und des multiperspektivischen und interdisziplinären Charakters der Geographie wird die Frage »Was ist Geographie?« meist eher in längeren und zusammenhängenden Überlegungen beantwortet. Aus diesem Grund werden im weiteren Verlauf des Kapitels zunächst nachfolgende Definitionen ebenfalls ausführlich und nicht als prägnantes Zitat erläutert. Am Ende des Kapitels erfolgt dann abschließend der Versuch einer Synthese aller hier aufgegriffenen Definitionsversuche.
5 Wissen und Geographie
Einer dieser ausformulierten Definitionsversuche sieht das Wesen der Geographie in den Begriffen »place« (Ort), »space« (Raum), »territoriality« (Territorialität) und »globalization« (Globalisierung) (Holt-Jensen 2018: 4). Betrachtet man menschliches Handeln, so sind Ort und Raum immer involviert. Beim Reisen, am Arbeitsplatz und in der Freizeit befindet sich der Mensch allgegenwärtig an feststehenden Orten und in der Mobilität als Handlung des Reisens zwischen diesem Ort bewegt er sich stets durch den Raum, der ihn umgibt (ebd.: 5). Territorialität bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als die Bedeutungszuschreibung für einen bestimmten Ort. So ist beispielsweise ein Acker nichts anderes als ein Ort, er bekommt jedoch durch seine landwirtschaftliche Bearbeitung und den Ertrag von Nahrung eine bestimmte Bedeutung und wird somit zu einem Territorium (ebd.: 7). Die Globalisierung als Prozess verbindet alle diese Begrifflichkeiten. Die Welt wird kleiner dadurch, dass durch technische Fortschritte Zeit und Raum eine andere Bedeutung gewinnen und ein Austausch von Gütern und Wissen über den ganzen Planeten hinweg möglich ist. Die Geographie befasst sich mit der Erde als Raum, den natürlichen Gegebenheiten des Planeten als Orte, den menschlichen Handlungen, die Orte zu Territorien umfunktionieren sowie der Globalisierung als Bindeglied zwischen den physischen Voraussetzungen der Natur und den anthropogenen Einflüssen auf diese. Somit werden diese vier Begriffe als Schlüsselbegriffe für das Wesen der Geographie deklariert (ebd.: 6f.). Allgemeinhin besteht bei der Mehrheit der Definitionsversuche von Geographie ein Konsens über verschiedene zentrale Merkmalsausprägungen, die gleichzeitig als Alleinstellungsmerkmale dieser Disziplin betrachtet werden können. Diese sind auch größtenteils in den bereits genannten Leitprinzipien zu finden. An erster Stelle ist hier die Verbindung von Natur- und Gesellschaftswissenschaft zu nennen. In der Geographie werden dabei naturwissenschaftliche Fragestellungen mit gesellschaftswissenschaftlichen Themen und Problemfeldern in Beziehung zueinander gesetzt (Gebhardt 2008: 4). Durch die Verbindung dieser Themenfelder wird die Gesamtheit der Geschehnisse auf der Erde vereint, sodass hier durchaus von einer ganzheitlichen Sichtweise gesprochen werden kann, welche in diesem Ausmaß wohl nur in der Geographie zu finden ist. Kern dieses Merkmals ist die Analyse von Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Geographie ist somit eine Wissenschaft der »ganzen Welt« (Freytag et al. 2016: 2). Die deutsche Gesellschaft für Geographie fasst dieses Merkmal folgendermaßen zusammen: »Die Geographie stellt die Erkenntnisse über physische und soziale Prozesse in den konkreten Kontext von Orten und Regionen und vermittelt so ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Kulturen, Wirtschaftsformen, politischen Systeme, Umwelten und Landschaften, die unsere Erde prägen.« (DGFG 2022) Hierbei wird nicht nur das angesprochene Merkmal der Verbindung von Mensch und Natur deutlich, sondern darüber hinaus auch das zweite zentrale Alleinstellungsmerkmal der Geographie herausgestellt: Die Interdisziplinarität. In der Disziplin der Geographie werden sowohl auf der physischen als auch auf der gesellschaftlichen Seite Wissensbestände aus verschiedenen benachbarten Disziplinen aufgegriffen, synthetisiert und an vielen Stellen auch erweitert. Dies führt dazu, dass in der Geographie zahlrei-
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che Teildisziplinen, auch Bindestrich-Geographien genannt, bestehen, welche von Klima über Boden, Hydrologie, Städte, Wirtschaft bis hin zur Bevölkerung usw. sämtliche Bereiche der Erde abdecken (Dürr & Zepp 2012: 80f.). Die Entstehung der einzelnen Teildisziplinen der Geographie sowie ihre zentralen Inhalte werden in den Kapiteln 5.2 & 5.3 noch einmal aufgegriffen. Die starke Interdisziplinarität der Geographie führt dazu, dass Geographie auch als Kosmographie bezeichnet wird (Holt-Jensen 2018: 13). In diesem Begriff spiegelt sich wider, dass die Geographie neben der Erdbeschreibung und Kartographie eben auch Inhalte aus anderen natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie beispielsweise Biologie, Geologie, Geophysik oder aber Anthropologie sowie Wirtschaftswissenschaften thematisiert und unter eigenen Fragestellungen und Denkweisen betrachtet (ebd.). Dabei liegt der besondere Eigenanteil der Geographie darin, die verschiedenen Inhalte der verschiedenen Disziplinen für die Lösung einer bestimmten Problemstellung heranzuziehen, zu synthetisieren und somit auf eine einzigartige Art und Weise Umwelt und Gesellschaft miteinander in Beziehung zu setzen, was sich im vorherigen bereits thematisierten Merkmal gezeigt hat. Häufig wird der Geographie vorgeworfen, aufgrund der Interdisziplinarität keine eigenen Themenschwerpunkte oder Inhalte zu besitzen und diese nur von anderen Disziplinen zu adaptieren. Dieser Vorwurf lässt sich jedoch entkräften, da die Geographie sich zwar anderer Inhalte bedient, diese aber durch spezifische eigene Fragestellungen und unter gänzlich anderen Perspektiven betrachtet. So beschäftigt sich ein*e Klimageograph*in mit dem charakteristischen Klima und Wetter einer Region und nicht mit der Vorhersage von Witterung und Wetter wie beispielsweise die Meteorologen. Ein*e Sozialgeograph*in erforscht das Zusammenleben sozialer Gruppen in Bezug zu ihren Lebensräumen und weniger die zwischenmenschlichen Beziehungen dieser Gruppen wie es ein*e Sozialwissenschaftler*in tut (ebd.: 14f.). Die hier angesprochenen anderen Perspektiven oder Sichtweisen der Dinge ergeben weitere Alleinstellungsmerkmale der Geographie. Eines dieser weiteren Merkmale, welches auch in den anfangs zitierten Definitionen bereits zum Tragen kam, ist die räumliche und auf verschiedenen Maßstäben vollzogene Betrachtungsweise der Dinge in der Geographie. Sie verbindet dabei Maßstabsebenen von lokal bis global, sodass globale Konflikte in Bezug auf die Zukunft der Erde ebenso im Fokus geographischen Denkens liegen wie beispielsweise die soziale Ungleichheit der Bevölkerung eines lokalen Dorfes in Nordafrika (Gebhardt 2008: 4). Die Geographie nimmt dadurch verschiedene Betrachtungsweisen auf unterschiedlichen Ebenen ein und besitzt damit die Möglichkeit, bestehende Weltbilder der Gesellschaft zu analysieren, zu dekonstruieren und kritisch zu hinterfragen (Freytag et al. 2016: 2f.). Die Kombination aus geographischen Denk- und Handlungsweisen sowie die damit einhergehenden Folgerungen für gesellschaftliches Handeln im Raum können wiederum selbst als Weltbild verstanden werden (Schlottman & Wintzer 2019: 9). Hier wird gleichzeitig ein weiteres Merkmal der Geographie deutlich, welches aus den vorangegangen resultiert: Der Perspektivwechsel. Geographisches Wissen befähigt zur Einnahme unterschiedlicher Rollen und Sichtweisen und ermöglicht eine Reflexion verschiedener Denkweisen und Imaginationen (Gebhardt 2008: 4). Durch diesen Perspektivwechsel ermöglicht die Geographie eine multiperspektivische Sichtweise auf alle Inhalte und Problemstellungen.
5 Wissen und Geographie
Ein weiteres zentrales Merkmal ist die zeitliche Betrachtungsweise der Geographie. So werden Geschehnisse auf der Erde, ob aktuell, vergangen oder als zukünftige Prognose, oftmals mit langfristigen Prozessen erklärt und in Verbindung gesetzt. Darüber hinaus werden in der Geographie sowohl langwierige Prozesse wie bei tektonischen Plattenverschiebungen oder dem Klimawandel als auch kurzweilige Prozesse wie die Veränderung von Konsumverhalten oder das Auftreten von Wirbelstürmen gleichermaßen betrachtet. Zudem spielt auch die Betrachtung von Geschehnissen über einen gesamten Zeitstrahl hinweg eine Rolle (ebd.: 4). Die Geographie ist somit eine Wissenschaft, welche gesellschaftliche und natürliche Gegebenheiten der Erde sowohl einzeln als auch in Beziehung zueinander betrachtet und dies auf räumlicher, maßstäblicher, zeitlicher, multiperspektivischer und interdisziplinärer Ebene. Aus diesem Grund ist die Geographie ein Grundbestandteil im Leben eines jeden Individuums auf der Erde. Sie steckt in unserem Alltag und kann dazu beitragen, das Interesse für die Welt und ihre Zusammenhänge zu wecken, denn in jedem alltäglichen Handeln sind unbewusst Prozesse und Geschehnisse involviert, die Untersuchungsgegenstand der Geographie sind (DGFG 2022). Dies führt dazu, dass die Geographie bereits Ende des 20. Jahrhunderts als Schlüsselfach der Gesellschaft angesehen wurde. Geographie ist in der Lage, ein Verständnis für Mensch-Natur-Beziehungen und deren räumliche und zeitliche Entwicklung zu vermitteln und kann somit gleichzeitig andere Fächer durch Adaption geographischer Denkweisen dazu befähigen, ihr disziplinspezifisches Wissen in eine Umweltbetrachtung und somit einen globalen Zusammenhang einordnen zu können (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 7). Die hier angerissene gesellschaftliche Bedeutung der Geographie wird in Kapitel 5.5 weitergehend thematisiert. Alle der hier aufgezeigten Definitionsversuche der Geographie erfassen den Kern der Disziplin und können und werden daher auch als gängige Definitionen des Faches anerkannt. Dennoch weisen sie teilweise Schwerpunktsetzungen auf, was dazu führt, dass keine Gesamtabbildung aller Kernmerkmale direkt sichtbar wird. Die Leitprinzipien erfüllen diesen Anspruch, sind jedoch aufgrund ihrer Ausführlichkeit nicht als prägnanter Definitionsversuch geeignet. Insgesamt ergibt sich nach Ansicht des Autors aus der Synthese aller hier aufgeführten Definitionsversuche die folgende Definition für die Forschungsdisziplin der Geographie: »Die Geographie beschäftigt sich mit der Gesamtheit des Planeten Erde. Sie beschreibt, erklärt, analysiert und prognostiziert systemische Zusammenhänge zwischen den natürlichen (physischen) Gegebenheiten sowie den gesellschaftlichen (anthropogenen) Einflüssen und deren Wechselwirkungen. Sie tut dies mit einer multiperspektivischen und interdisziplinären Sichtweise, wobei sie sowohl eine räumliche, eine maßstäbliche als auch eine zeitliche Ebene einnimmt. Die Geographie fungiert somit als ein Weltbild, welches ein ganzheitliches Denken auf alle Dinge der Erde ermöglicht.« Diese Definition umfasst alle Elemente der vorangegangen Definitionsversuche und versucht diese zu einem Gesamtbild zu synthetisieren. Sie wird daher als grundlegende Definition für alle weiteren Überlegungen dieser Arbeit verwendet. Selbstverständlich begründet sie jedoch nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Sie stellt lediglich einen wei-
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teren Versuch dar, den Kern der Geographie zu definieren und knüpft damit an alle vorangegangenen Definitionsversuche an. Im Folgenden geht es nun darum, die historische Entwicklung und die einzelnen Bestandteile der Geographie zu skizzieren, um ein vertieftes Verständnis geographischer Denk- und Handlungsweisen und ihrer Entstehung zu erhalten, denn »die Geschichtlichkeit des geographischen Blicks ist (…) der Pfad, der uns hinsichtlich der Frage nach der Spezifität der Geographie weiterführt« (Dickel 2021: 14).
5.2
Die Historie der Geographie – Ein Abriss
Zu Beginn sei angemerkt, dass es sich in diesem Kapitel lediglich um eine grobe Skizzierung der historischen Entwicklung der Geographie als Forschungsdisziplin handelt. Zahlreiche weitere hier nicht erwähnte Persönlichkeiten und deren Ansichten sowie politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben die Struktur und Philosophie des Faches geprägt.1 Es ist jedoch nicht das Ziel dieses Kapitels, die Historie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Das Hauptaugenmerk liegt im Kontext der vorliegenden übergeordneten Fragestellung insbesondere auf der Herausstellung der Entwicklung und Wandlung geographischen Denkens und geographischer Weltbilder, die zum Wesen des Faches geführt haben, wie es gegenwärtig vorzufinden ist. Betrachtet man den gesamten historischen Verlauf der Geographie, so lässt sich unmöglich sagen, wo genau der Anfang zu finden ist. Denn ein Denken über Räume und die Umwelt, die den Menschen umgibt, existiert seit Anbeginn der Menschheit. Verlief dieses Denken anfangs noch unbewusst, so wurde schnell klar, dass ein systematisches Festhalten einer Beschreibung der Umwelt überlebensnotwendig ist (Ritter & Strzygowski 1970: 9). Diese Art eines ersten geographischen Denkens und Wissens über Räume wie beispielsweise Wasser-, Lager- und Nahrungsquellen wurde dann von Generation zu Generation weitergereicht. Dies ermöglichte eine weltliche Orientierung und Ordnung und gab den Menschen Sicherheit. Hierin liegt die Wurzel der heutigen Geographie (ebd.: 9). Bei der Auseinandersetzung mit der Historie der Geographie muss zunächst zwischen der reinen Entdeckung der Erde und ihrer Bestandteile sowie der Entstehung einer wissenschaftlichen Geographie unterschieden werden. Um die Disziplin der Geographie und somit auch geographisches Denken und Wissen näher spezifizieren zu können wird hier nachfolgend fokussiert auf die Disziplingeschichte eingegangen. Aufgrund der zahlreichen verschiedenen Strömungen weltweit wird zusätzlich das Hauptaugenmerk insbesondere auf die deutschsprachige Geographieentwicklung gelegt. Die gesamte Historie der Geographie ist graphisch in Abbildung 24 dargestellt. Um einen roten Faden in der komplexen Beschreibung der historischen Entwicklung zu haben, beschreibt dieses Kapitel die verschiedenen Entwicklungsstufen der Geographie in Bezug auf Zeitraum, wichtige Personen, zentrale Ereignisse sowie das jeweils vorherrschende geographische Weltbild.
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für eine ausführlichere Beschreibung der Historie der Geographie siehe beispielsweise Martin, 2005.
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teren Versuch dar, den Kern der Geographie zu definieren und knüpft damit an alle vorangegangenen Definitionsversuche an. Im Folgenden geht es nun darum, die historische Entwicklung und die einzelnen Bestandteile der Geographie zu skizzieren, um ein vertieftes Verständnis geographischer Denk- und Handlungsweisen und ihrer Entstehung zu erhalten, denn »die Geschichtlichkeit des geographischen Blicks ist (…) der Pfad, der uns hinsichtlich der Frage nach der Spezifität der Geographie weiterführt« (Dickel 2021: 14).
5.2
Die Historie der Geographie – Ein Abriss
Zu Beginn sei angemerkt, dass es sich in diesem Kapitel lediglich um eine grobe Skizzierung der historischen Entwicklung der Geographie als Forschungsdisziplin handelt. Zahlreiche weitere hier nicht erwähnte Persönlichkeiten und deren Ansichten sowie politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben die Struktur und Philosophie des Faches geprägt.1 Es ist jedoch nicht das Ziel dieses Kapitels, die Historie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Das Hauptaugenmerk liegt im Kontext der vorliegenden übergeordneten Fragestellung insbesondere auf der Herausstellung der Entwicklung und Wandlung geographischen Denkens und geographischer Weltbilder, die zum Wesen des Faches geführt haben, wie es gegenwärtig vorzufinden ist. Betrachtet man den gesamten historischen Verlauf der Geographie, so lässt sich unmöglich sagen, wo genau der Anfang zu finden ist. Denn ein Denken über Räume und die Umwelt, die den Menschen umgibt, existiert seit Anbeginn der Menschheit. Verlief dieses Denken anfangs noch unbewusst, so wurde schnell klar, dass ein systematisches Festhalten einer Beschreibung der Umwelt überlebensnotwendig ist (Ritter & Strzygowski 1970: 9). Diese Art eines ersten geographischen Denkens und Wissens über Räume wie beispielsweise Wasser-, Lager- und Nahrungsquellen wurde dann von Generation zu Generation weitergereicht. Dies ermöglichte eine weltliche Orientierung und Ordnung und gab den Menschen Sicherheit. Hierin liegt die Wurzel der heutigen Geographie (ebd.: 9). Bei der Auseinandersetzung mit der Historie der Geographie muss zunächst zwischen der reinen Entdeckung der Erde und ihrer Bestandteile sowie der Entstehung einer wissenschaftlichen Geographie unterschieden werden. Um die Disziplin der Geographie und somit auch geographisches Denken und Wissen näher spezifizieren zu können wird hier nachfolgend fokussiert auf die Disziplingeschichte eingegangen. Aufgrund der zahlreichen verschiedenen Strömungen weltweit wird zusätzlich das Hauptaugenmerk insbesondere auf die deutschsprachige Geographieentwicklung gelegt. Die gesamte Historie der Geographie ist graphisch in Abbildung 24 dargestellt. Um einen roten Faden in der komplexen Beschreibung der historischen Entwicklung zu haben, beschreibt dieses Kapitel die verschiedenen Entwicklungsstufen der Geographie in Bezug auf Zeitraum, wichtige Personen, zentrale Ereignisse sowie das jeweils vorherrschende geographische Weltbild.
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für eine ausführlichere Beschreibung der Historie der Geographie siehe beispielsweise Martin, 2005.
5 Wissen und Geographie
Abbildung 21: Historie der Geographie
Eigene Darstellung
Die ersten tatsächlichen Aufzeichnungen, die sich mit Geographie in Verbindung bringen lassen, gehen auf das Jahr 2200 v. Chr. zurück. Hier hatte der chinesische gelehrte Yükung erstmals eine Erdbeschreibung Chinas vorgenommen. Diese beinhaltete dabei Informationen über Grenzen, Flüsse, Seen, Berge sowie weitere auf das Relief bezogene Beschreibungen (Weigt 1957: 9). Doch handelt es sich dabei und auch bei vielen nachfolgenden Landesbeschreibungen um reine Einzelerkenntnisse. Ein erster Versuch Ordnung in dieses länderkundliche Einzelwissen zu bringen, geht auf die griechischen Gelehrten Anaximander (600 v. Chr.) und Erathostenes (300 v. Chr.) zurück. Sie entwarfen eine erste Abbildung der Erde (Martin 2005: 18) und gaben der Geographie somit das Paradigma einer Wissenschaft der Erdbeschreibung (Borsdorf 2007: 95; Leser & Schneider-Sliwa 1999: 19). Dabei fokussierten sich letztere genannte Gelehrte insbesondere auf die Abbildung und Beschreibung der Erdoberfläche, sprich einer reinen Beschreibung der physischen Gegebenheiten der Erde. Der Fokus lag dabei auf der Beschreibung von Gestalt und Größe der Erde sowie der Verteilung von Wasser und Land und deren Entfernungen. Sie entwickelten in diesem Zusammenhang erste Koordinatensysteme mit Breiten und Längengraden, welche die Vorläufer für die heutigen Daten sind, welche beispielsweise in GPS-Systemen ihre Verwendung finden (Cresswell 2013: 17). In diesen Zeitraum fällt auch die erste schriftliche Nennung des Wortes Geographie durch einen alexandrinischen Mathematiker ca. 400 v. Chr. Neben den physischen Erdbeschreibungen durch Erasthotenes prägten die griechischen Gelehrten Herodot (500 v. Chr.) und Strabo (100 v. Chr.) als erstes eine Beschreibung der Kulturen der Menschen, die in den verschiedenen Teilen der Erde lebten. Dabei wurde bereits zu Beginn der Versuch unternommen, den Zustand der menschlichen Kultur mit den natürlichen Gegebenheiten in Verbindung zu bringen. Eine Betrachtungsweise, welche im späteren Ver-
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lauf richtungsweisend für die Entstehung der Geographie als Wissenschaft wurde (Weigt 1957: 9). Strabo bezeichnete dies auch als neue Geographie (Martin 2005: 34). Hier sind zudem die Wurzeln des später in der Geographie zeitweise dominierenden Geodeterminismus zu finden, denn bereits die Griechen waren der Auffassung, dass die Natur oder Umwelt die Kultur des Menschen dominiert. Zudem tauchen bei Strabo auch Denkweisen auf, die globale Gegebenheiten mit lokalen zu verknüpfen versuchen. Eine Denkweise, die in der Geographie der Gegenwart zur gängigen Praxis geworden ist (Cresswell 2013: 20f.). Die hier beschriebenen Entwicklungen können als Phase der Frühgeschichte der Geographie betitelt werden. Die nächste Entwicklungsstufe der Geographie als Wissenschaft folgte erst mehrere Jahrhunderte später durch Varenius im Jahre 1650. Die Zeit dazwischen war geprägt durch Jahrhunderte langes Abschreiben bereits gewonnener Erkenntnisse. Zudem verhinderte die Einführung des Christentums in Europa zunächst die Ausbreitung geographischen Wissens, da dieses oftmals als konträr zu den religiösen Weltanschauungen angesehen wurde (Borsdorf 2007: 96). So gelang es erst im 17. Jahrhundert die Geographie wieder in wissenschaftstheoretische Bahnen zu lenken. Bernhard Varenius verfasste kurz vor seinem Tod die erste geographische Gesamtschrift Geographia Generalis. In dieser teilt er die Geographie erstmals in verschiedene Teildisziplinen auf und legt somit den Grundstein für die systematische Geographie der Neuzeit (ebd.: 96). Er unterteilt die Geographie in eine allgemeine Geographie und eine spezielle Geographie. Erstere beschäftigt sich mit dem Vorkommen von Formen und Phänomenen auf der ganzen Erde und letztere mit dem Konglomerat aller Phänomene an einem spezifischen Ort. Dabei unterteilte er die allgemeine Geographie noch einmal in eine absolute (mathematischnaturwissenschaftliche Fakten über die Erde), eine relative (Beziehungen zwischen verschiedenen Phänomenen und Formen der Erde) sowie eine vergleichende Geographie (Wechselwirkungen zwischen Phänomen der Erde im Hinblick auf ihre Lage und ihrer Erreichbarkeit für den Menschen) (Cresswell 2013: 31). Obwohl auch hier noch die reine Erdbeschreibung vorherrschend war, sind bereits erste Züge einer Unterscheidung von physischer und Humangeographie zu erkennen. Die Geographie wird hier und auch im gesamten fortlaufenden Jahrhundert oftmals als Kosmographie bezeichnet und Varenius’ Werk prägte diese Denkweise bis ins 18. Jahrhundert hinein. Dort galt die Geographie als politisch und ihr Fokus lag auf der Erdbeschreibung nach staatlichen Einheiten und der Sammlung von Geodaten über spezifische Staaten und Räume. Hauptvertreter dieser Zeit war Anton Büsching der mit seinem Werk »Neue Erdbeschreibung« den Höhepunkt dieser Sichtweise auf Geographie setzte. Allerdings sind in seinen Werken bereits auch erste Versuche einer wissenschaftlichen Systematisierung der Geographie zu erkennen, sodass hier bereits der Übergang in die nächste Phase geschaffen wurde (Brogiato 2005: 47) Gleichzeitig endet damit endgültig die Phase der Frühgeschichte und die zweite Phase der Disziplinbildung beginnt, hervorgerufen insbesondere durch die Gründerväter der modernen Geographie Alexander von Humboldt und Carl Ritter (Martin 2005: 107; Murphy 2018: 20). Angeregt durch die steigende Wissenschaftlichkeit von Forschungsreisen und der schwindenden Bedeutung von reinen Entdeckungsreisen sowie weitreichenden pädagogischen Reformbewegungen unter dem Schlagwort »Zurück zur Natur« zu Beginn des 19. Jahrhunderts, kommt der Geographie eine wachsende Bedeutung zu und das Wesen
5 Wissen und Geographie
der Disziplin wird nicht mehr nur als rein chorographische Betrachtung der Erdoberfläche gesehen, sondern als die Einsicht in die unterschiedlichen Kräfte, die auf der Erde untereinander und miteinander wirken (Weigt 1957: 10). Die Geographie entwickelte sich somit weg von der reinen Erdbeschreibung hin zur Beschreibung von Systemen und Zusammenhängen auf der Erde. Humboldt zog aus vielen seiner neuen Erkenntnisse auch Schlussfolgerungen für politische und gesellschaftliche Systeme und begründete dadurch zeitgleich bereits die angewandte Geographie (Borsdorf 2007: 96). Er prägte wie kein anderer die Naturwissenschaften der Moderne und schuf durch seine zahlreichen Reisen die Idee einer physischen Geographie. In seinen Hauptwerken des »Kosmos« (1845–1862) wandelte er das geographische Weltbild von der Erdbeschreibung zur Wechselwirkungsbeschreibung der natürlichen Prozesse und ihrer Einflüsse auf den Menschen. Erstmals wurde hier der Mensch als Teil des gesamten natürlichen Systems betrachtet und nicht wie vorher getrennt von der Natur (Brogiato 2005: 49). Darüber hinaus stellte Humboldt durch seine Praktiken drei zentrale Arbeitsweisen heraus, die sich bis heute in der Geographie etabliert haben. Gemeint sind hier quantitative Messungen von geographischen Phänomenen, die Bedeutsamkeit regionalen Denkens (eine in Regionen mit unterschiedlicher Flora und Fauna aufgeteilten Welt) sowie die Verwendung von systematischer Kartierung als Mittel zur Aufzeichnung räumlich verteilter Daten (Cresswell 2013: 39). Carl Ritter, der stärker humangeographisch ausgerichtet war als Humboldt, prägte die Entwicklung der Geographie als anerkannte wissenschaftliche Disziplin ebenfalls maßgeblich. Doch zeigte sich dies bei ihm weniger in seinen Werken, sondern vielmehr in seinen Handlungen. So wurde er 1825 zum ersten hauptamtlichen Hochschulprofessor für Geographie und legte somit den Grundstein für die wissenschaftliche und institutionelle Etablierung des Fachs. Durch ihn wurde die Geographie als eigenständige Disziplin legitimiert. Gleichzeitig beginnt durch Ritters Wirken die dritte Phase der Konsolidierung der Geographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Brogiato 2005: 52f.). Doch trotz seiner oftmals kontrovers diskutierten Verknüpfung von Geographie und Theologie (die Welt als göttliches Erziehungshaus des Menschen) vertrat Ritter auch Ansichten, die nach wie vor Kerngedanken der heutigen Geographie sind. So war er der Ansicht, dass die menschliche Welt und die natürliche Umwelt untrennbar voneinander sind und in der engst möglichen Beziehung zueinanderstehen. Geographie war für ihn nicht mehr nur eine Liste von Fakten über Kontinente oder die gesamte Erdoberfläche, sondern viel mehr die Auseinandersetzung mit dem Verständnis über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt (Cresswell 2013: 40). Diese Ansicht wird in der heutigen Geographie in besonderem Maße durch die geographische Säule des MenschUmwelt-Systems widergespiegelt. Zudem prägte Ritter den Gedanken des Regionalen. Er glaubte, dass die Erde in spezifische Regionen eingeteilt sei und dass es möglich wäre, innerhalb einzelner Regionen wiederum kleinere Einheiten nach verschiedenen Aspekten zu unterscheiden (physisch, biologisch, gesellschaftlich). Diese kleineren Einheiten wären ebenfalls untereinander zusammenhängend (ebd.: 41). Dieser Gedanke einer regionalen Geographie hat sich ebenfalls bis heute gehalten. Beide, Humboldt und Ritter, sahen die Geschehnisse auf der Welt als eine Einheit und beide vertraten die Ansicht, dass es notwendig sei, sowohl physische Geographie als auch Humangeographie nur in Verbindung zueinander zu betrachten (ebd.: 42). Ein Gedanke, der in der darauffolgen-
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den Entwicklungszeit der Geographie bis heute Bestand hat, innerhalb der Historie jedoch mehrfach mal mehr und mal weniger verfolgt wurde. Angefangen mit Humboldt und Ritter kam es in der Folgezeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem regelrechten »Boom« in der disziplingeschichtlichen Entwicklung der Geographie. So stieg ab dem Jahr 1870 die Anzahl der Lehrstühle für Geographie an den deutschen Universitäten rapide. Die Gründe hierfür werden größtenteils den politischen Gegebenheiten dieser Zeit zugeschrieben. So waren Fächer wie Geschichte, Deutsch oder Erdkunde prädestiniert für die Ausbildung staatsfreundlicher Bürger und bekamen daher eine hohe Bedeutung auch an den Universitäten zugeschrieben (Brogiato 2005: 53). Allerdings beleuchtet dies nur eine der vielen möglichen Ursachen für die Expansion der wissenschaftlichen Geographie. Eine weitere Ursache wird in der Entstehung eines Bildungsbürgertums zu dieser Zeit gesehen. So wurden insbesondere Reiseberichte und Berichte über andere Länder und deren Kulturen zunehmend gesellschaftlich populär. Dies führte dazu, dass sich diverse Verlage insbesondere auf geographische Schriften konzentrierten, was eine schnelle Verbreitung geographischen Wissens in der breiten Bevölkerung zur Folge hatte. Die verbesserten Reisemöglichkeiten durch technische Fortschritte ermöglichten zudem auch der weniger wohlhabenden Bevölkerung das Bereisen ferner Länder und steigerten somit das Interesse an geographischen Inhalten enorm (ebd.: 54). Zwar wurde versucht, Entdeckungsreisen und Bildungstourismus von wissenschaftlichen Forschungsreisen zu trennen, um der Geographie ein rein professionelles Image zu geben, doch lässt sich nicht bestreiten, dass diese Gesamtheit der gesellschaftlichen Veränderungen und der daraus resultierenden Popularität der Geographie ihre Anfänge in eben diesem gesellschaftlichen Umfeld der Entdeckungs-, – Bildungs- und Forschungsreisen genommen hat (auch als Land-undLeute-Paradigma zu bezeichnen) (ebd.: 56). Am deutlichsten äußerte sich der Beliebtheitstrend der Geographie in der massenhaften Entstehung geographischer Gesellschaften. Sie setzten sich aus interessierten Bürger*innen zusammen, die durch öffentliche Vorträge und Publikationen ein breites Publikum erreichten und dadurch institutionelle Plattformen für die Geographie erschufen. Zudem unterstützen sie Forschungsreisen und versuchten aktiv, die Einrichtung geographischer Lehrstühle sowie die Stärkung des Faches in der schulischen Bildung zu forcieren (ebd.). Neben diesen gesellschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklungen fand gleichzeitig jedoch auch ein weiterer Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Geographie statt. Aufgrund der starken Kritik an Ritters theologisch und menschenorientiertem Weltbild prägten Oscar Peschel und Ferdinand Von Richthofen die Grundlagen einer neuen Geographiekonzeption (Martin 2005: 164ff.). Ihnen ging es darum, die Erdoberfläche erneut als Hauptforschungsgegenstand der Geographie in den Vordergrund zu rücken. Allerdings nicht auf eine rein beschreibende Art und Weise wie noch in den Jahrhunderten zuvor, sondern mit Hilfe von kausalgenetischen Erklärungsansätzen. Zentrum der geographischen Forschung sollte die Erdoberfläche, ihre Erscheinungen und deren kausale Wechselbeziehungen sein (Brogiato 2005: 60f.). Die Geomorphologie war hierbei oftmals der Ausgangspunkt, sodass auch oft von einer geologischen Epoche der Geographie gesprochen wird. Der Mensch wurde in diesem naturwissenschaftlichen Zusammenhang als Geofaktor bezeichnet. Dies führte dazu, dass sich für lange Zeit ein chorologisches Verständnis der geographischen Wissenschaft etablierte und die Geogra-
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phie als Wissenschaft der Erdräume bezeichnet wurde (ebd.: 61). Durch den Fokus auf die Erdoberfläche sowie die Analyse der Wechselwirkungen von Mensch und Natur als Hauptuntersuchungsgegenstand hatte die Geographie ihr Alleinstellungsmerkmal gefunden und konnte sich somit endgültig als Wissenschaft konsolidieren. Schon damals galt die Geographie aufgrund dieser Entwicklung als Brückenfach zwischen Natur- und Geisteswissenschaft (ebd.). Eine Sichtweise, die sich bis heute gehalten hat. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückte dann auch der Mensch wieder stärker in den Vordergrund, allerdings immer unter naturwissenschaftlichen Aspekten. Als einflussreichster Vertreter ist hier Friedrich Ratzel zu nennen, der durch sein Werk »Anthropogeographie« von vielen als der Begründer der Geographie des Menschen (Humangeographie) bezeichnet wird. Er untersuchte die Stellung des Menschen innerhalb der Geographie und sein Umweltverhältnis, wobei er trotzdem die Natur bzw. die Umweltbedingungen als größeren Einflussfaktor in einer Mensch-Umwelt-Beziehung betrachtet (Weigt 1957: 11.). Diese Sichtweise auf die Mensch-Umwelt-Beziehung als Abhängigkeit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung von den natürlichen Voraussetzungen wird als Geodeterminismus bezeichnet (Holt-Jensen 2018: 51). Der gesamte Handlungsspielraum des Menschen ist von der Natur determiniert, sodass ein Volk immer nur den ihm vorgegebenen Raum einnehmen kann und somit Land und Bevölkerung eine natürliche Einheit bilden. Ratzel prägte dadurch die Entstehung einer politischen Geographie. So entwickelte er das Konzept des »Lebensraumes«, sprich die Idee, dass Staaten so lange natürlich expandieren, bis sie von stärkeren Nachbarstaaten eingeschränkt werden (Brogiato 2005: 61; Crosswell 2013: 45). Diese Ansichten wurden daher insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Zeiten von Nationalismus und Imperialismus verstärkt auch von der Politik in Entscheidungen einbezogen. So wurde beispielsweise der gesamte 1.Weltkrieg (1914–1918) dadurch legitimiert, dass Expansionskriege von Staaten als Naturnotwendigkeit betrachtet wurden, da Räume nicht einfach existieren, sondern gemacht werden. Allerdings wurden Ratzels Überlegungen oftmals nur sehr einseitig und unzureichend interpretiert und zu politischen Zwecken missbraucht (Brogiato 2005: 62). Von Richthofen und Ratzel gelten insgesamt als Gründerväter für Physio- und Humangeographie (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 25; Martin 2005: 165ff.). Es gab jedoch auch Gegenbewegungen zu der deterministischen Denkweise innerhalb der Geographie in Europa. Zu nennen ist hier vor allem der Franzose Vidal de la Blache, der den Begriff einer »Geographie humaine« (Humangeographie) erstmals formulierte und somit auch als der eigentliche Begründer der Humangeographie gesehen werden kann. Seiner Theorie nach muss die Umwelt nicht als determinierend für den Menschen betrachtet werden, sondern als Gestaltungsmöglichkeit. Somit bilden sich durch das Zusammenspiel von Natur und Mensch regional unterschiedliche Kulturlandschaften und Lebensformen heraus. Dieses neue Paradigma eines Possibilismus führte zur Entstehung weiterer Forschungsstränge der Geographie wie der Kultur- und Sozialgeographie. In Deutschland fand dies aufgrund der politischen Entwicklungen und der beiden daraus resultierenden Weltkriege erst nach 1945 Anklang in der geographischen Forschungslandschaft. Dennoch hat die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts maßgeblich zur Etablierung einer wissenschaftlichen Geographie beigetragen. Die Erdoberfläche konnte als Forschungsgegenstand und die
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Mensch-Natur-Beziehung als Kernparadigma des Faches gefestigt werden (Brogiato 2005: 62). Zudem lässt sich für diesen Zeitraum ebenfalls die mehrheitlich akzeptierte Aufspaltung des Faches in eine physische Geographie und eine Humangeographie konstatieren (Ritter & Strzygowski 1970: 17). Die Phase der Konsolidierung war damit abgeschlossen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann eine zu Beginn nur schleichende, aber dennoch vorhandene, Umbruchphase in der geographischen Forschung. Zwar waren die geopolitischen Ansichten sowie auch die Verwendung des Geodeterminismus als Kriegslegitimation nach wie vor vorherrschend, doch einige geographische Forscher*innen brachten abseits davon einige Neuerungen und Entwicklungen zu Tage, die einer Besinnung entgegen dem imperialistischen Denken gleichkommt. Zu nennen sind hier insbesondere Otto Schlüter und Hans Bobek. Ersterer brachte erstmals physiognomische Betrachtungen mit kulturgeographischen Zusammenhängen in Verbindung. Eine Sichtweise, die sich in Deutschland jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtig etablieren konnte (ebd.: 17). Hans Bobek wiederum war der erste Geograph, der die Teildisziplin der Stadtgeographie durch funktionale und sozialräumliche Überlegungen in den Fokus rückte, weg von der reinen Betrachtung der Lage und Genese von Städten im deterministischen Denken. Er gilt auch als Begründer der Sozialgeographie (Weichart 2008: 18f.). Walter Christaller verstärkte die Bedeutsamkeit dieser Denkweise durch seine Theorie der zentralen Orte, welche international schnell Anklang fand, in Deutschland aber auch erst nach Abschluss des Zweiten Weltkrieges genauere Beachtung fand (Brogiato 2005: 66). Insgesamt entstanden zu dieser Zeit zahlreiche Neuerungen sowohl in der Human- als auch der physischen Geographie und viele Teilgeographien wie Wirtschafts-, Agrar- oder Sozialgeographie wurden als Teildisziplinen der Geographie konstituiert. Allerdings blieb politisch bedingt trotz aller Neuerungen die Länderkunde als Gesamtklammer der Geographie in Deutschland zu dieser Zeit bestehen. Insbesondere das länderkundliche Schema von Alfred Hettner trug dazu maßgeblich bei. Er unterteilt die Geographie in eine allgemeine Geographie und eine darauf aufbauende Länderkunde. Allgemeine Geographie meint in diesem Zusammenhang die geofaktorenbasierte Betrachtungsweise geographischer Inhalte und die Länderkunde die ganzheitliche Konglomeration der Geofaktoren in Bezug auf ihre kausalen Wechselbeziehungen (ebd.: 67). Geographie insgesamt war für ihn eine chorologische Disziplin von Räumen und Orten in Bezug auf ihre räumlichen Beziehungen mit dem Ziel, den Charakter von Regionen anhand der dort stattfindenden Wechselbeziehungen zu bestimmen (Peet 1998: 16). Trotz verstärkter Kritik an Hettners Denkweise und seinem länderkundlichen Schema hielt sich diese Sichtweise bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Zeit des Krieges lag, wie schon beim ersten Mal, ganz im Zeichen geopolitischer und deutschlandzentrierter Denkweisen, war geprägt von missbräuchlichen Verwendungen der Geographie zu geopolitischen Zwecken, die auch zu Spaltungen innerhalb des Faches führten (Martin 2005: 182ff.), brachte aber auf der theoretischen Ebene keine nennenswerten Einschnitte oder Neuerungen mit sich. Erst das Ende des zweiten Weltkrieges markierte den Beginn der vierten als »Umbruchphase« bezeichneten Entwicklungslinie der Geographie, wobei angemerkt werden muss, dass die Geschehnisse des zweiten Weltkrieges wie auch nach dem ersten Krieg in der geographischen Forschung zunächst
5 Wissen und Geographie
in keiner Weise reflektiert betrachtet wurden. Auch der gesamte Umbruchprozess vollzog sich in Deutschland zunächst sehr langsam (Brogiato 2005: 69). Die Re-Etablierung der deutschen Geographie auf der internationalen Bühne nach Abschluss des Zweiten Weltkrieges ist insbesondere dem physischen Geographen Carl Troll zuzuschreiben. Durch seinen naturwissenschaftlichen Zugang brachte er erstmals ein ökologisches Denken mit geographischen Überlegungen zusammen und schuf somit die Disziplin der Landschaftsökologie (Dürr & Zepp 2012: 171). Sie verbindet die Analyse der Beziehungen von Lebewesen und ihrer Umwelt mit dem geographischen Anliegen, räumliche Muster zu beschreiben. Für Troll war es von zentraler Bedeutung, verschiedene Raumeinheiten auf differenzierten Maßstabsebenen voneinander zu trennen und dadurch für jede Raumeinheit ein einheitliches ökologisches Wirkungsgefüge zu benennen. Hier lässt sich erstmals die heute in der Geographie etablierte Denkweise einer ganzheitlichen Weltanschauung erkennen (Dürr & Zepp 2012: 175ff.). Die bis heute insbesondere in der Schulgeographie verwendete Einteilung der Erde in Klimazonen ist ebenfalls auf Troll und seine Landschaftsökologie zurückzuführen, ebenso wie eine luftbildgestützte ganzheitliche Analyse von Naturräumen, mit dem Ziel, der Potenzialanalyse für wirtschaftliche oder agrarische Nutzbarkeit, welche sich seit den 60er Jahren auch weltweit durchgesetzt hat (ebd.: 178). Troll greift durch seine Denkweise auf Erkenntnisse aus Nachbardisziplinen zurück und verbindet diese mit spezifisch geographischen Betrachtungsweisen. Diese interdisziplinäre Vorgehensweise sowie die ganzheitliche Weltanschauung sind Merkmale, welche heute von zentraler Bedeutung für geographisches Arbeiten sind, wie es bereits im vorangegangenen Kapitel bei den Definitionsversuchen deutlich wurde. Troll leitete mit seinem Landschaftsparadigma eine Phase ein, in der das Wesen der Geographie in einem bisher unbekannten Ausmaß diskutiert und hinterfragt wurde. Es entstanden zahlreiche Gegenpole und Gruppierungen, eine Entwicklung, die auch durch die Trennung von Ost und West in Deutschland weiter bestärkt wurde. Die entstehende Krise der Geographie fand ihren Höhepunkt am 37. Geographentag in Kiel 1969, wo die gesamte Disziplin einer Bestandsaufnahme unterzogen wurde (Brogiato 2005: 72). Insgesamt ist es sehr schwierig, die verschiedenen geographischen Denkweisen bis zu diesem Höhepunkt hin chronologisch zu skizzieren, da sie meist nebeneinander und oftmals auch nicht scharf trennbar voneinander existierten. Diese Phase wird daher auch oft mit dem Begriff diachrone Pluralität beschrieben (Dürr & Zepp 2012: 189f.). Zuallererst wurde die Geographie wie auch alle anderen Wissenschaften zu dieser Zeit geprägt durch die gesellschaftlich anerkannte Bedeutung von wissenschaftlichen Untersuchungen jeglicher Art. Dies führte zur Bildung international gültiger wissenschaftlicher Standards, die sich größtenteils auf Quantifizierung und Mathematisierung wissenschaftlicher Analysen stützen. Das Forschungsparadigma des kritischen Rationalismus war geboren (ebd.: 190). Bezogen auf die Entwicklung der geographischen Wissenschaft sind hier der bereits genannte Hans Bobek sowie Wolfgang Hartke zu nennen. Ihre Ansätze brachten zum ersten Mal Denkweisen auf allen maßstäblichen Ebenen von lokal bis global zusammen, ohne dabei naturräumliche Faktoren zu vernachlässigen und entwickelten insbesondere die Humangeographie hin zu einer handlungszentrierten Wissenschaft (ebd.: 194). Hier zeigt sich die steigende Bedeutung der maßstäblichen Betrachtungsweise von Zusammenhängen auf der Erde,
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die heute wie bereits aufgezeigt ein Kernmerkmal geographischen Arbeitens ist. Bobek prägte zudem die Entstehung der heute so bedeutsamen humangeographischen Teildisziplin der Sozialgeographie. Er entwickelte dabei für die geographische Betrachtung relevante Sozialfunktionen der Gesellschaft (Erhaltung der Art, Reichtumsbildung, Behauptung der eigenen Geltung, Siedlungsordnung bewohnter Gebiete, Standortsänderung sowie Kulturfunktionen). Sein Anliegen bestand in einer systematischen und festen Begründung anthropogen geprägter Zusammenhänge (ebd.: 195). Darüber hinaus prägte Bobek durch seine Überlegungen von Kulturen und Gesellschaften eine weitere Wende im geographischen Denken. Für ihn sind Kulturen als Grundlagen gesellschaftlichen Verhaltens zu betrachten. Er entwickelte ein sechsstufiges Modell zur Entwicklung von Kulturen, welches später in seiner grundlegenden Form auch auf andere Bereiche der geographischen Forschung übertragen wurde und prägte damit gleichzeitig die heute gängige Sichtweise der Geographie auf weltliche Kulturen. Bei seiner Kulturanalyse lässt er zudem die landschaftliche Betrachtung als eines der zentralen Merkmale nicht außer Acht und hebt somit die Umwelt-Gesellschaftsbeziehung in besonderem Maße hervor (ebd.: 198ff.). Die Betrachtung der Mensch-Umwelt-Beziehung (ebenfalls als zentrales Merkmal der heutigen Geographie bereits herausgestellt) bekommt damit eine verstärkte Beachtung. Wolfgang Hartke trat ebenso wie Bobek für eine interdisziplinäre Arbeitsweise der Geographie ein. Anders als er, dachte Hartke jedoch mehr in einem lokalräumlichen Maßstab. Durch seine Arbeiten prägte er den Werdegang einer praktisch ausgerichteten Geographie, die geographische Denkweisen auf konkrete Problemstellungen der Raumentwicklung und -Planung bezieht. Er betrachtet den Menschen dabei als zielgerichteten und rational denkenden Raumgestalter, wodurch die vorangegangene Denkweise eines Naturdeterminismus endgültig ad acta gelegt wird (ebd.: 201f.). Den Höhepunkt und Abschluss der Umbruchphase, welche oftmals auch als Krise oder Malaise der Geographie bezeichnet wird, bildete wie bereits erwähnt der Kieler Geographentag im Jahr 1969. Besonders hierbei war die erstmalige und bis dato einmalige starke Beteiligung der Studierenden an diesem Ereignis auch in Form von Vorträgen. Für sie begründete sich das negative Image der Geographie in der Öffentlichkeit durch eine fehlende gesellschaftliche Relevanz sowie einen Mangel an praxisbezogenen Elementen im Studium. Sie forderten von den Wissenschaftlern*innen daher die Abschaffung der Fokussierung auf Länder- und Landschaftskunde, den stärkeren Einbezug problemorientierter Forschungsfragen statt reiner Objektdefinitionen sowie die endgültige Trennung von physischer und Humangeographie (Brogiato 2005: 72; Dürr & Zepp 2012: 217). Dabei wurden die Studierenden auch von angesehenen Geographen wie Gerhard Hard und Dietrich Bartels wissenschaftstheoretisch unterstützt. Beide setzten sich in ihren Arbeiten kritisch mit dem Landschaftsbegriff auseinander. Bartels legte mit seiner Habilitationsschrift »Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen« den Grundstein für den Beginn einer neuen Geographie. In diesem Werk werden die neuen Wesenszüge geographischen Denkens und Arbeitens deutlich, die ab dem Revolutionsjahr gängige Praxis wurden. Darunter fallen Merkmale wie die Fokussierung auf kulturräumliche Prozesse, eine starke Praxisorientierung geographischer Fragestellungen, die Verwendung interdisziplinärer Wissensbestände, eine globale Forschungsorientierung sowie die Bewahrung bewährter geographischer Traditionen
5 Wissen und Geographie
wie die Verwendung von Karten und Schaubildern (Dürr & Zepp 2012: 207). Hierin finden sich die bereits herausgestellten gegenwärtigen geographischen Merkmale der Interdisziplinarität, des Raumbezuges sowie der Fokus auf praxisbezogene gesellschaftliche Problemstellungen wieder. Mit diesen Entwicklungen einher ging in den folgenden Jahren nach Kiel auch die von den Studierenden geforderte Trennung von physischer und Humangeographie einher, was einer »Erschütterung der fachlichen Identität« gleichkam (ebd.: 217). Insgesamt waren die langfristigen Folgen durch die Revolution des Kieler Geographentages enorm. Das Weltbild der Geographie änderte sich von der Länderkunde zur Raumwissenschaft, das Kernkonzept Landschaft wurde durch das Konzept des Raumes abgelöst und die Geographie somit endgültig zu einer chorologischen Wissenschaft (Egner 2010: 95). Dies äußert sich insbesondere darin, dass Landschaften und Räume nun als wissenschaftlich berechenbar und nicht mehr als natürlich gegeben betrachtet wurden. Eine weitere Folge war das Verschwinden eines allgemeinen Kernschwerpunktes des Faches und die Verlagerung der Arbeiten in die einzelnen Teildisziplinen der Geographie sowie eine nun auch auf theoretischer Ebene vollzogene endgültige Trennung von Humangeographie und physischer Geographie (ebd.). Ebenso war ein methodischer Umbruch zu erkennen, da jetzt vermehrt mathematische Modelle und statistische Methoden verwendet wurden sowie eine damit einhergehende Abkehr rein deskriptiver Beschreibungen (Egner 2010: 94). Die Phase der modernen Entwicklung der Geographie, welche bis heute anhält, hatte damit begonnen. Wie dieses Kapitel gezeigt hat, ist die Geographie von Beginn an stetigen Wandelprozessen unterworfen. Diese resultieren sowohl aus politischen, gesellschaftlichen als auch personengebundenen Ansichten und Entwicklungen, die die Historie des Faches von Jahrhundert zu Jahrhundert geprägt haben. Beginnend mit der reinen Beschreibung der Erde und der Charakterisierung der Erdoberfläche als Kerngegenstand der Geographie wandelte sich das Weltbild geographischen Denkens stetig. Dabei verschwanden die alten Ansichten nie vollständig, sondern es lässt sich vielmehr von einer Weiterentwicklung oder gar Transformation geographischen Denkens sprechen. Nachdem der reinen Erdbeschreibung auch eine Beschreibung menschlicher Kulturen hinzugefügt wurde, galt die Geographie bereits als Kosmographie, sprich einer allumfassenden weltbeschreibenden Wissenschaft. Schnell erfolgte jedoch aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Denk- und Handlungsweisen die Aufspaltung in eine allgemeine sowie eine spezielle Geographie, die dann im weiteren Verlauf durch eine moderne und angewandte Geographie abgelöst wurden. Neben der reinen ganzheitlichen Erdbeschreibung kam die Analyse von systemischen Zusammenhängen zwischen Mensch und natürlicher Umwelt zum Tragen. Diese Ansicht spitze sich im weiteren Verlauf zu einer geodeterministischen Sicht zu, bei der der Mensch nur vollkommen abhängig von den natürlichen Bedingungen seines Lebensraumes handeln kann. Der Mensch wurde als Geofaktor betrachtet. Dies wandelte sich in das komplette Gegenteil des Possibilismus, die die Umwelt als anthropogene Gestaltungsmöglichkeit betrachtet und den Menschen als Raumgestalter. Die Institutionalisierung des Faches und die steigende gesellschaftliche Anerkennung der Geographie führten dann zu einer wachsenden Vielzahl an parallellaufenden teilweise konträren Ansichten und Denkweisen über das Wesen des Faches, welche letztendlich in einem revolutionären Umbruch ihren Höhepunkt fanden. Das geographi-
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sche Weltbild wandelte sich zu einem ganzheitlichen, systemischen, interdisziplinären und auf globaler Maßstabsebene fungierenden Denken und Handeln. Doch auch modernste Entwicklungen zeigen, dass nach wie vor nicht von einem einheitlichen Konsens über die zentralen Merkmale des Faches sowie über seine gesellschaftliche Bedeutsamkeit gesprochen werden kann. Das folgende Kapitel beschäftigt sich aus diesem Grund intensiv mit der Geographie der Gegenwart – systemisch, konzeptuell, aber auch bezogen auf aktuelle globale und gesellschaftliche Entwicklungen sowie Problemlagen.
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Die Geographie der Gegenwart
5.3.1 Entwicklungen und Weltbild in der Geographie der Postmoderne War die Historie der Geographie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt von einigen wenigen theoretischen Hauptsträngen respektive Ansichten, die von einigen wenigen führenden Persönlichkeiten geprägt wurden, so änderte sich dies in den neuesten Entwicklungen bis in die Gegenwart hinein. Die Zeit der geographischen »Fachpäpste« ist vorbei (Dürr & Zepp 2012: 242). Stattdessen muss in der gegenwärtigen Geographie von einer Pluralität nebeneinanderliegender Denkweisen, Forschungsthemen und Methoden gesprochen werden. Dies macht eine genaue und insbesondere nach zeitlichem Verlauf orientierte Darstellung aktueller Entwicklungen in der Geographie beinahe unmöglich. Aus diesem Grund sollen hier lediglich die wesentlichsten und weitreichendsten Veränderungen und Denkweisen skizziert werden, in dem Wissen, dass dies zu gewissen Teilen nur subjektiv erfolgen kann. Andere Autoren*innen, die die gegenwärtige Lage der Geographie untersuchen, treffen hier womöglich andere Differenzierungen. Zuallererst seien die gesellschaftlichen Entwicklungen aufgezeigt, die zu einer Vielzahl neuer Aufgaben und Herausforderungen für die geographische Forschung führen. An erster Stelle muss hier der Prozess der Globalisierung genannt werden. Ein Begriff, dessen Definition als ebenso diffus zu betrachten ist, wie es bei der Geographie selbst der Fall ist. Allgemeinhin wird der Begriff definiert als »(…) Prozess, durch den Ereignisse, Entscheidungen und Aktivitäten in einem Teil der Welt bedeutende Folgen für Individuen und Gemeinschaften in weit entfernt liegenden Teilen der Welt haben (…)« (Backhaus 2009: 15). Die globale Vernetzung aller Teile der Erde äußert sich dabei in vielerlei Hinsicht sowohl auf ökonomischer als auch auf sozialer und kultureller Ebene und führt zur Verschiebung von Räumen und maßstäblichen Betrachtungsweisen, was insbesondere im Hinblick auf geographisches Denken relevant ist (ebd.: 17). Lokale Geschehnisse haben globale Auswirkungen, technischer Fortschritt führte dazu, dass Kommunikation günstig, schnell und einfach über den gesamten Planeten hinweg möglich wurde, ebenso wie globale Handelsströme zwischen allen Staaten der Erde inzwischen alltäglich geworden sind. Die Erde befindet sich in der »Ära der Weltgesellschaft« (Dürr & Zepp 2012: 243). Der Geographie kommt im Zusammenhang der Erforschung und Analyse dieser Großprozesse eine Schlüsselrolle zu, da sie sich an der Schnittstelle der in diesem Kontext relevanten Disziplinen wie Politik, Ökonomie, Soziologie und Naturwissenschaften befindet und gleichzeitig Mensch-Umwelt-Beziehungen als Kernsäule der Disziplin angesehen werden (Backhaus 2009: 53). Doch es gibt auch Gegenbewegun-
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sche Weltbild wandelte sich zu einem ganzheitlichen, systemischen, interdisziplinären und auf globaler Maßstabsebene fungierenden Denken und Handeln. Doch auch modernste Entwicklungen zeigen, dass nach wie vor nicht von einem einheitlichen Konsens über die zentralen Merkmale des Faches sowie über seine gesellschaftliche Bedeutsamkeit gesprochen werden kann. Das folgende Kapitel beschäftigt sich aus diesem Grund intensiv mit der Geographie der Gegenwart – systemisch, konzeptuell, aber auch bezogen auf aktuelle globale und gesellschaftliche Entwicklungen sowie Problemlagen.
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Die Geographie der Gegenwart
5.3.1 Entwicklungen und Weltbild in der Geographie der Postmoderne War die Historie der Geographie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt von einigen wenigen theoretischen Hauptsträngen respektive Ansichten, die von einigen wenigen führenden Persönlichkeiten geprägt wurden, so änderte sich dies in den neuesten Entwicklungen bis in die Gegenwart hinein. Die Zeit der geographischen »Fachpäpste« ist vorbei (Dürr & Zepp 2012: 242). Stattdessen muss in der gegenwärtigen Geographie von einer Pluralität nebeneinanderliegender Denkweisen, Forschungsthemen und Methoden gesprochen werden. Dies macht eine genaue und insbesondere nach zeitlichem Verlauf orientierte Darstellung aktueller Entwicklungen in der Geographie beinahe unmöglich. Aus diesem Grund sollen hier lediglich die wesentlichsten und weitreichendsten Veränderungen und Denkweisen skizziert werden, in dem Wissen, dass dies zu gewissen Teilen nur subjektiv erfolgen kann. Andere Autoren*innen, die die gegenwärtige Lage der Geographie untersuchen, treffen hier womöglich andere Differenzierungen. Zuallererst seien die gesellschaftlichen Entwicklungen aufgezeigt, die zu einer Vielzahl neuer Aufgaben und Herausforderungen für die geographische Forschung führen. An erster Stelle muss hier der Prozess der Globalisierung genannt werden. Ein Begriff, dessen Definition als ebenso diffus zu betrachten ist, wie es bei der Geographie selbst der Fall ist. Allgemeinhin wird der Begriff definiert als »(…) Prozess, durch den Ereignisse, Entscheidungen und Aktivitäten in einem Teil der Welt bedeutende Folgen für Individuen und Gemeinschaften in weit entfernt liegenden Teilen der Welt haben (…)« (Backhaus 2009: 15). Die globale Vernetzung aller Teile der Erde äußert sich dabei in vielerlei Hinsicht sowohl auf ökonomischer als auch auf sozialer und kultureller Ebene und führt zur Verschiebung von Räumen und maßstäblichen Betrachtungsweisen, was insbesondere im Hinblick auf geographisches Denken relevant ist (ebd.: 17). Lokale Geschehnisse haben globale Auswirkungen, technischer Fortschritt führte dazu, dass Kommunikation günstig, schnell und einfach über den gesamten Planeten hinweg möglich wurde, ebenso wie globale Handelsströme zwischen allen Staaten der Erde inzwischen alltäglich geworden sind. Die Erde befindet sich in der »Ära der Weltgesellschaft« (Dürr & Zepp 2012: 243). Der Geographie kommt im Zusammenhang der Erforschung und Analyse dieser Großprozesse eine Schlüsselrolle zu, da sie sich an der Schnittstelle der in diesem Kontext relevanten Disziplinen wie Politik, Ökonomie, Soziologie und Naturwissenschaften befindet und gleichzeitig Mensch-Umwelt-Beziehungen als Kernsäule der Disziplin angesehen werden (Backhaus 2009: 53). Doch es gibt auch Gegenbewegun-
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gen zu den Globalisierungstendenzen. Aufgrund der Tatsache, dass das alltägliche Leben und Handeln nun oftmals durch globale Geschehnisse beeinflusst wird, wird oftmals versucht, spontan und auf lokaler Ebene in die Umwelt einzugreifen. Diese Maßnahmen werden unter dem Schirmbegriff der Glokalisierung zusammengefasst und prägen ebenso räumliche Strukturen auf der Erde (Dürr & Zepp 2012: 247). Die enorme Komplexität, welche hinter diesen Prozessen steckt, erfordert bei ihrer Analyse Denkweisen, wie sie insbesondere in der Geographie in Form von Lagebeziehungen, räumlichen Zusammenhängen oder der Nutzung natürlicher Ressourcen bereits vorliegen. All diese gesellschaftlichen Entwicklungen führten jedoch auch zu einer erstmals auftauchenden Diskussion über eine raumzentrierte geographische Wissenschaft. Das theoretische Verschwinden des Raumes durch die globale Raumüberwindung im Zuge der Globalisierung führte zu starken Diskussionen über die Bedeutung des Raumes an sich und seine Stellung innerhalb der Geographie. Insbesondere in der Humangeographie kommt die Sichtweise auf, dass Räume und räumliche Strukturen nicht einfach nur existieren, sondern erst gemacht werden müssen durch ein zielgerichtetes Handeln des Menschen. Der Mensch fungiert dabei als Raum-Gestalter (ebd.: 259). Diese Ansicht wurde in besonderem Maße durch Benno Werlens Modell einer handlungszentrierten Sozialgeographie geprägt. Demnach wirkt der Mensch durch seine Entscheidungen und Handeln tagtäglich auf räumliche Strukturen ein und verändert diese dabei. Dies geschieht sowohl durch räumliche Lebenspraktiken, sprich der physischen Bewegung des Menschen im Raum sowie durch eine kulturelle Lebenspraxis, also der Aufladung räumlicher Elemente mit einer symbolischen Bedeutung. Die Analyse der dadurch entstehenden alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelt der Menschen wird als eine der Aufgaben der gegenwärtigen Geographie betrachtet (Werlen 2007: 62f.). Hiermit wird erstmals eine nicht raumzentrierte, sondern handlungszentrierte geographische Sichtweise gewählt, die inzwischen, trotz zahlreicher Kritik insbesondere von physischen Geograph*innen, zu einer neuen Facette geographischen Denkens geworden ist. Daraus resultiert auch eine methodische Veränderung in der geographischen Forschung. So geht es demnach weniger um die Beschäftigung mit Hypothesen, die als Kausalzusammenhänge von festgelegten Variablen formuliert sind, sondern vielmehr um das Verständnis von räumlichen Strukturen als Ergebnis anthropogener Alltagshandlungen (Dürr & Zepp 2012: 262). Kultur als Oberbegriff menschlicher Lebenspraktiken und Handlungen findet nun eine verstärkte Bedeutung in der geographischen Forschung. So wird die Aufschlüsselung kultureller Besonderheiten oder Ausprägungen zur Hauptaufgabe der »neuen Kulturgeographie« (ebd.: 262). Aus dieser neuen Denkweise, die aus dem angloamerkanischen und britischen Raum stammt (New cultural geography) und bereits seit den 1980er Jahren besteht, haben sich im Zuge des cultural turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum neue Forschungen und Denkweisen insbesondere auch in der Humangeographie entwickelt. Dabei werden soziale Beziehungen in funktionaler und kultureller Hinsicht untersucht und Themen wie Identität und Nationalismus stehen im Fokus. Gegenwärtig bestehen zahlreiche verschiedene Strömungen und Denkansätze in unterschiedlichen Ländern in diesem Bereich (Sahr 2001). Die Annahme der neuen Kulturgeographie, dass Kultur und Raum durch alltägliche Praktiken und
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Handlungen konstruiert werden und die Vorgehensweise homogenisierte Raumkonzepte durch differenzierte und spezifische Kulturbegriffe zu ersetzen (Wintzer & WastlWalter 2016: 284), ähnelt stark der Annahme alltäglicher Raumproduktion durch anthropogenes Handeln aus der handlungszentrierten Sozialgeographie Werlens. Werlens Abwendung vom Raum-Konzept als geographisches Leitbild ruft insbesondere mit Blick auf den sich in den Nachbarwissenschaften vollziehenden spatial turn, also der Aufnahme räumlicher Überlegungen in die eigenen Forschungen in Natur- und Sozialwissenschaften, einige Kritiker*innen auf den Plan. Ungeachtet dieser Gegenstimmen hat sich die Grundannahme Werlens inzwischen vor allem in der deutschen Humangeographie etabliert. Dabei muss erwähnt werden, dass dies nicht eine vollständige Abkehr des Raum-Konzeptes impliziert, sondern vielmehr eine neue Ausrichtung in der Betrachtungsweise von Räumen. So sind Räumlichkeit oder besser räumliche Strukturen nach wie vor Gegenstand geographischer Analysen, nur wird der Raum nicht mehr als handelndes Agens betrachtet, sondern das zweckgerichtete Konstruieren von Räumen steht verstärkt im Vordergrund. Insgesamt betrachtet bleibt die geographische Perspektive somit in gewisser Weise raumzentriert, denn das Verständnis räumlicher Zusammenhänge und Prozesse in Bezug auf alle möglichen Dinge oder Zustände ist nach wie vor Hauptziel geographischer Forschung (Dürr & Zepp 2012: 272ff.). Diese räumlichen Zusammenhänge werden jedoch jetzt aus sozialen, politischen und ökonomischen Prozessen menschlicher Handlung heraus betrachtet, sodass es zu einer Regionalisierung der Alltagswelt kommt, sprich das intentionale Handeln von Menschen und dessen Auswirkungen auf den Raum (Egner 2010: 96f.). Im Rahmen des kontrovers diskutierten spatial turn lässt sich demnach nicht von einer konkreten »Enträumlichung« sprechen, sondern viel eher von einer »Reterritorialisierung« der Raumdiskurse insbesondere auch aufgrund des Diskurses über den medialen Einfluss auf Raumkonzepte (Stichwort: Cyber Space) (Döring & Thielmann 2009: 14). Insbesondere im Kontext der gegenwärtigen Wissens- und Informationsgesellschaft kann hier dem räumlichen Denken und somit den geographischen Sichtweisen eine wieder zunehmend gestiegene Bedeutung attestiert werden. Der Geographie als Raumwissenschaft kommt hier somit gegenwärtig eine zentrale Rolle zu, vor allem auch dadurch, dass die Analyse von Raumsemantiken für andere Kultur- und Sozialwissenschaften immens hilfreich sein kann, da diese besonders durch ihre Einfachheit, eine gute alltagsweltliche Anschlussfähigkeit sowie die Reduktion komplexer Zusammenhänge hervorstechen (Döring & Thielmann 2009: 14). Aus der stärkeren Einbindung von Kultur, Identität und Geschlechterrolle in humangeographische Überlegungen ist auch der Ansatz der feministischen Geographie entstanden. Feministische Geographien befassen sich vornehmlich mit Geschlechterforschung, der Räumlichkeit von Geschlechterverhältnissen und damit einhergehenden sozialen Prozessen wie der Konstruktion von Identitäten sowie der Analyse geschlechtsbezogener Ungleichheiten und deren Ursachen. Zu letzterem zählen auch Aspekte wie ungleiche Verhältnisse am Arbeitsplatz oder die Diskussion um Rollenverteilungen innerhalb der Familie. Kurzum, es geht um den Zusammenhang von »intersektionalen Machtverhältnisse(n) und Raumproduktionen« (Gomes de Matos et al. 2021: 7). Auch Teilbereiche aus anderen Subdisziplinen der Geographie wie die Angstraumforschung der Stadtgeographie, die Analyse geschlechtsbezogener Arbeitsverhältnisse aus der Wirtschaftsgeographie (Marquardt 2015: 1f.), aber auch Emotionen in der
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Geopolitik oder Geschlechterverhältnisse in der Klimaforschung zählen zu Strömungen der feministischen Geographie (Gomes de Matos et al. 2021: 7). Als letzte neuere Denkweise ist die kritische Geographie zu nennen. Die kritische Geographie entstand aus der radical geography des angelsächsischen Raums heraus und kam im deutschsprachigen Raum erst seit den 2000er Jahren auf die Bühne (Hesse 2020: 278). Auch hierbei handelt es sich um eine Perspektive, die in allen Teildisziplinen angewendet werden kann. Im Vordergrund steht hierbei die Analyse und Kritik bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse und den darin inkorporierten sozialen Konflikten (Kuge et al. 2020). Die kritische Geographie ist sowohl im angloamerikanischen und angelsächsischen als auch im deutschen Raum einem stetigen Diskurs ausgesetzt, was insbesondere auch auf definitorische Annahmen zum Kritikbegriff selbst und dessen unterschiedliche Auslegungen zurückzuführen ist (Belina 2008: 343f.). Aus diesem Grund lassen sich auch keine einheitlichen Definitionen bezüglich allgemeiner Theorien oder Denkansätze der kritischen Geographie finden. Der deutsche Arbeitskreis der kritischen Geographie versteht sich als herrschaftskritische Geographie und befasst sich unter anderem mit Themen wie Soziale Produktion von Raum, Imperialismusforschung, kritische Geopolitik oder poststrukturalistischen Geographien (KritischeGeographie o.J.). Die zahlreichen durch die Globalisierungsprozesse ausgelösten gesellschaftlichen und damit einhergehenden räumlichen Veränderungen sorgten insbesondere in der geographischen Forschung für eine Vielzahl an parallel aufkommenden Paradigmenwechseln. Stellenweise wird die Geographie der Gegenwart daher auch als MultiParadigmen-Spiel bezeichnet (Weichart 2000: 15ff.). Insbesondere aufgrund der zahlreichen Teildisziplinen der Geographie entwickeln sich diverse theoretische Zugänge für spezifische Problemstellungen. Dabei lösen sich die unterschiedlichen Paradigmen nicht gegenseitig ab, wie in den historischen Anfängen, sondern sie bestehen in einer Koexistenz zueinander (Egner 2010: 99). Das Auftauchen der Paradigmen ist dabei geprägt von dem sich verändernden Verhältnis von Raum, Zeit und Gesellschaft, welches wir heute stärker denn je beobachten können. So hat der Prozess der bereits erwähnten Globalisierung zu einer Neustrukturierung der Gesellschaften geführt, indem Handeln in lokalen Kontexten beispielsweise durch die Möglichkeit eines global agierenden Konsums herausgelöst wurde. Zudem wurden Raum und Zeit voneinander getrennt und Handlungen sowohl gesellschaftlicher als auch politischer oder ökonomischer Natur sind nun unabhängig von Raum und Zeit möglich. Daraus resultiert die Koexistenz gesellschaftlicher Wirklichkeiten, sodass Problemstellungen durch die Forschung oftmals nicht mehr nur eine mögliche Lösung erfordern (ebd.: 101). Eine multi-paradigmatische Wissenschaftsstruktur, wie sie die gegenwärtige Geographie aufweist, ist daher in diesem Kontext als äußerst förderlich anzusehen. Auf die verschiedenen einzelnen Paradigmen jeder der geographischen Teildisziplinen soll hier nicht näher eingegangen werden, da dies an dieser Stelle zu weit führen würde. Es geht lediglich darum, aufzuzeigen, wie sich die gegenwärtige Geographie allgemein entwickelt und welche gesellschaftlichen Prozesse dabei eine Rolle spielen. Aus der multi-paradigmatischen Struktur heraus ergibt sich für die Geographie somit die Möglichkeit einer multiperspektivischen Sicht auf die Erde sowie die Gesellschaft. Dies stellt eines der aktuellen Merkmale gegenwärtiger geographischer Forschung dar, wie es bereits in Kapitel 5.1 angeklungen ist. An dieser Stelle muss allerdings erwähnt werden,
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dass sich diese paradigmatischen Entwicklungen größtenteils in der Humangeographie abspielen. So benennt Weichart allein für die Humangeographie 15 parallel vertretene Paradigmen, die unterschiedliche Phasen durchlaufen und speziell in Deutschland auch andere Verläufe aufweisen als beispielsweise im englischsprachigen Raum. Diese Paradigmen lassen sich zu Bündeln zusammenfassen, wobei die größten Differenzen vornehmlich zwischen dem raumwissenschaftlichen, dem handlungstheoretischen sowie dem feministischen Paradigma zu finden sind (Weichart 2004: 15f.). Die physische Geographie ist davon in einem deutlich geringeren Ausmaß betroffen. Hier scheint gemäß der paradigmatischen Annahmen nach Kuhn eher ein Nacheinander von verschiedenen Paradigmen zu existieren, die sich in einer deutlich längeren Zeitspanne entwickeln, als dies in der Humangeographie der Fall ist (Egner 2010: 105f.). Zudem befindet sich die physische Geographie aktuell in einer Umbruchphase und sucht stellenweise ihre Identität. Dies resultiert aus der starken Aufspaltung der einzelnen Teildisziplinen, die vielmehr den Nachbarwissenschaften zugehörig zu sein scheinen als der Geographie selbst. Um dem entgegenzuwirken, kann hier als neueste Entwicklung sicherlich die stärkere Einbeziehung des Faktors Mensch genannt werden. So wird der globale Wandel mit all seinen natürlichen Phänomenen als neuer Kern gefordert, wobei der Mensch als Einflussgröße auf natürliche Prozesse mit einbezogen werden soll. Eine Art sozialwissenschaftliche Ausrichtung der physischen Geographie entsteht dadurch. Dies geht einher mit komplexitätstheoretischen Ansätzen, die davon ausgehen, dass in einem bestehenden System bereits kleinste Veränderungen große Folgewirkungen nach sich ziehen können. Somit resultiert aus etwas einfachem eine hohe systemische Komplexität. Diese Erkenntnis und der verstärkte Einbezug des Anthropogenen insbesondere im Kontext des globalen Wandels scheinen das neue Paradigma der gegenwärtigen physischen Geographie zu sein (ebd.: 108f.). Der bereits kurz angesprochene globale Wandel ist neben der Globalisierung ein weiterer stark voranschreitender Prozess, welcher neben massiven ökologischen Folgeerscheinungen auch enorme gesellschaftliche Veränderungen nach sich zieht und dadurch auch für die Geographie der Gegenwart eine zentrale Bedeutung einnimmt. Dabei ist dieser Begriff noch zu vage und weitläufig formuliert. Andere aktuell präsente Begriffe, die damit einhergehen, sind der Klimawandel, ökologische Krise, aber auch positive Konnotationen wie sozial-ökologische Transformation oder nachhaltige Entwicklung. Das gesteigerte Wissen über die hinter diesen Begriffen steckenden Prozesse und Auswirkungen hat in den letzten Jahrzehnten zu einem Umdenken in der Wissenschaft geführt. So ist es inzwischen Konsens, dass für die Erforschung von Lösungsansätzen im Kontext des globalen Wandels nicht mehr nur naturwissenschaftliche oder ausschließlich gesellschaftswissenschaftliche Forschungen verfolgt werden können, sondern vielmehr ein Konglomerat aus verschiedenen Forschungsansätzen, also eine Mensch-Umwelt-Forschung, die Lösung ist (Egner 2010: 110). Hierbei nimmt die Geographie als häufig betiteltes Brückenfach eine zentrale Schlüsselrolle ein, da sie sowohl naturwissenschaftliche als auch gesellschaftswissenschaftliche Forschungsansätze gleichermaßen betrachtet. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass dies meistens nur in der Theorie der Fall ist. Tatsächliche Zusammenarbeiten human- und physisch-geographischer Forschung sind bislang oftmals nur Einzelfälle seit der drastischen Trennung der beiden Teildisziplinen im Zuge des Geographentags in Kiel. Daher
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wird das Mensch-Umwelt-Paradigma gegenwärtig mehrheitlich als Dritte, eigenständige Säule der Geographie betrachtet. (ebd.: 111). Weiterführende Betrachtungen zur Geographie als integrative Mensch-Umwelt-Forschung erfolgen in Kapitel 5.3.3. Insgesamt führte das stärker werdende ökologische Denken in den letzten Jahrzehnten bis heute dazu, dass die Geographie gegenwärtig wieder in ein anderes, wenn nicht sogar besseres, Licht rückt. Durch die Beschäftigung mit Mensch und Umwelt unter Berücksichtigung von Raum und Zeit und Maßstab ist sie die zentrale Wissenschaft von der Umwelt des Menschen im Geosystem Erde (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 11). Diese Denkweise von Geographie beinhaltet verschiedene Sachverhalte, die in der aktuellen Geographie eine zentrale Rolle spielen. Zu nennen sind hier das Umweltsystem mit seinen Wechselwirkungen und räumlichen Ausprägungen; die Beziehung und Wechselseitigkeit von Mensch und Umwelt innerhalb eines naturgesetzlichen Rahmens sowie systemisches Denken und die damit verbundene Analyse von Teilsystemen und ihren gegenseitigen Abhängigkeiten. Zusammengeführt mündet dies in einem Bedeutungswachstum der Geographie als eine leistungsfähige Forschungsdisziplin für die Untersuchung relevanter und aktueller Mensch-Umwelt-Problematiken (ebd.). Dies betrifft die Humangeographie gleichermaßen wie die physische Geographie. Ebenfalls wird hierbei erneut die ganzheitliche Betrachtung deutlich, die als eine Stärker der Geographie gesehen werden sollte und welche auch gesellschaftlich und politisch durch die gesamte Nachhaltigkeitsbewegung seit dem Bericht des Club of Rome 1972 wichtiger denn je geworden ist. Denn eine nachhaltige Entwicklung erfordert ein weitreichendes Verständnis komplexer Wirkungsgefüge im Kontext des Zusammenspiels von Mensch und Umwelt. Die gegenwärtige Geographie bietet hier durch ihre integrative und systemanalytische Denkweise human- und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge die besten Voraussetzungen für die Erforschung von Lösungsansätzen (ebd.: 12). Dabei ist insbesondere die räumliche und maßstabsorientierte Sichtweise ein klarer Unterschied und auch Vorteil gegenüber anderen Wissenschaften, denn um globale Problemlagen lösen zu können, müssen Strategien auf allen Maßstabsebenen von Lokal bis global gefunden werden, was sich insbesondere in dem allseits bekannten und in der Öffentlichkeit häufig verwendeten Spruch »Global denken, lokal handeln« widerspiegelt (ebd.: 13). Insgesamt betrachtet lässt sich somit erkennen, dass die Geographie der Gegenwart neben der immer weiter fortschreitenden Spezialisierung ihrer Teildisziplinen sowie stetig wandelnden Diskussionen über den Kern des Faches bis hin zu einer Abkehr vom raumzentrierten hin zu einem handlungszentrierten Denken, in erheblichem Maße auch durch die globalen Prozesse von Globalisierung und globalem Wandel geprägt wurde und wird. Gesellschaftliche und ökologische Veränderungen, wie sie aktuell zu beobachten sind, spiegeln sich auch in den geographischen Forschungen wider und die Geographie nimmt mit ihrer interdisziplinären und holistisch denkenden Arbeitsweise eine zentrale Stellung ein, wenn es um die Lösung globaler Konflikte geht. Dabei steht sie jedoch auch gleichzeitig vor enormen Herausforderungen, denn interdisziplinäre Forschungen zwischen Humangeographie und Physischer Geographie sind aktuell noch selten. Der Mensch-Umwelt-Forschung als dritter Säule der Geographie kommt daher in diesem Kontext ein besonderer Stellenwert zu. Ausgehend von der bis hierhin beschriebenen historischen sowie gegenwärtigen Entwicklung werden nachfolgend die aktuelle Struktur des Faches sowie ihre zentralen gegenwärtigen Schlüsselkonzepte und
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Systemansätze näher beleuchtet, um sich einem besseren Verständnis geographischer Wissens- und Denkweisen weiter anzunähern.
5.3.2 Strukturelle Aufteilung der Geographie der Gegenwart Wie die gesamte historische Entwicklung der Geographie gezeigt hat, unterlag diese Disziplin insbesondere durch die Aufspaltung in sowohl größere Teildisziplinen (Human- und Physische Geographie oder Allgemeine und Regionale Geographie) als auch zahlreiche kleinere Teildisziplinen einem stetigen Wandel. Wenn also vom modernen System der Geographie die Sprache ist, so könnte dies bereits in einigen Jahrzehnten oder auch nur Jahren wiederum ganz anders aussehen. Dennoch ist es für das Verständnis der Geographie als Disziplin wichtig, sich die gegenwärtige Struktur des Faches vor Augen zu führen. Denn erst durch ein tieferes Verständnis der strukturellen Zusammenhänge können auch geographische Denk- und Handlungsweisen besser verstanden werden.
Abbildung 22: Das System der modernen Geographie
Quelle: Blotevogel 2001
Abbildung 25 zeigt das System der modernen Geographie und ihrer Teildisziplinen, wie es heute seine Gültigkeit besitzt. Es sei an dieser Stelle jedoch gleich postuliert, dass in gängigen Modellen dieser Art nicht alle Teildisziplinen der Geographie auftauchen, sondern lediglich die allgemeinhin anerkannten und länger etablierten Teilfächer der Geographie aufgeführt sind. So herrscht selbst in den Grundlagenwerken teilweise Unstimmigkeit über die Bezeichnungen oder überhaupt die Thematisierung beziehungsweise Relevanz bestimmter Teilgeographien. Die Geographie wird hier zwar in ihren Teildisziplinen vorgestellt, es ist dennoch wichtig, sich vor Augen zu führen, dass sie letzten Endes als Gesamtwissenschaft betrachtet wird und werden sollte. Die Auftei-
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Systemansätze näher beleuchtet, um sich einem besseren Verständnis geographischer Wissens- und Denkweisen weiter anzunähern.
5.3.2 Strukturelle Aufteilung der Geographie der Gegenwart Wie die gesamte historische Entwicklung der Geographie gezeigt hat, unterlag diese Disziplin insbesondere durch die Aufspaltung in sowohl größere Teildisziplinen (Human- und Physische Geographie oder Allgemeine und Regionale Geographie) als auch zahlreiche kleinere Teildisziplinen einem stetigen Wandel. Wenn also vom modernen System der Geographie die Sprache ist, so könnte dies bereits in einigen Jahrzehnten oder auch nur Jahren wiederum ganz anders aussehen. Dennoch ist es für das Verständnis der Geographie als Disziplin wichtig, sich die gegenwärtige Struktur des Faches vor Augen zu führen. Denn erst durch ein tieferes Verständnis der strukturellen Zusammenhänge können auch geographische Denk- und Handlungsweisen besser verstanden werden.
Abbildung 22: Das System der modernen Geographie
Quelle: Blotevogel 2001
Abbildung 25 zeigt das System der modernen Geographie und ihrer Teildisziplinen, wie es heute seine Gültigkeit besitzt. Es sei an dieser Stelle jedoch gleich postuliert, dass in gängigen Modellen dieser Art nicht alle Teildisziplinen der Geographie auftauchen, sondern lediglich die allgemeinhin anerkannten und länger etablierten Teilfächer der Geographie aufgeführt sind. So herrscht selbst in den Grundlagenwerken teilweise Unstimmigkeit über die Bezeichnungen oder überhaupt die Thematisierung beziehungsweise Relevanz bestimmter Teilgeographien. Die Geographie wird hier zwar in ihren Teildisziplinen vorgestellt, es ist dennoch wichtig, sich vor Augen zu führen, dass sie letzten Endes als Gesamtwissenschaft betrachtet wird und werden sollte. Die Auftei-
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lung und Beschreibung der einzelnen Teildisziplinen dienen lediglich der Anschaulichkeit und sind zudem so auch in den gängigen Lehrbüchern aufgeführt. Darüber hinaus trägt eine Auseinandersetzung mit den Einzelinhalten dazu bei, das Gesamtgefüge Mensch-Umwelt im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise besser verstehen zu können (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 55). Im Modell der traditionellen Geographie nach Werlen, teilt sich die Geographie zunächst in eine Allgemeine und eine regionale Geographie. Unter der allgemeinen Geographie werden dann weiterhin die Anthropogeographie sowie die Physische Geographie aufgeführt und auf einer nächsten Ebene ihre jeweiligen Teildisziplinen. Für die Physische Geographie erfolgt hier die Aufteilung in die verschiedenen Sphären (Atmo, Hydro-, Litho-, sowie Pedosphäre) einerseits und Klimatologie, Biogeographie und Geomorphologie andererseits. Bei der Anthropogeographie werden hier Religion, Ressourcen, Rasse sowie Kultur- Wirtschafts- und Bevölkerungsgeographie aufgeführt. Interessant dabei ist, dass nicht alle Begrifflichkeiten auch gleichzeitig als Geographien betitelt werden. Die regionale Geographie wiederum wird übergeordnet in Landschaftsgeographie und Länderkunde untergliedert, wobei darauffolgend jeweils nach Physischer Geographie und anthropogener Geographie unterschieden wird. Unter diesen sind lediglich Begriffe, die spezifische Inhalte repräsentieren, vermerkt (Relief, Klima, Bevölkerung, Verkehr etc.) (Werlen 2008: 86). Eine Erweiterung dazu stellt das Modell des Systems der modernen Geographie dar (Abbildung 25). Hier erfolgt zunächst die Unterteilung in eine Thematische sowie eine Regionale Geographie. Thematische Geographie meint in diesem Zusammenhang synonym zur allgemeinen Geographie eine Geographie, welche sich hauptsächlich mit nomologischen allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten auseinandersetzt. Die regionale Geographie meint ebenso wie im traditionellen Modell die idiographische Auseinandersetzung mit spezifischen Sachverhalten (Blotevogel 2001). Auch in diesem Modell wird die thematische Geographie weiterhin in physische und Humangeographie unterteilt. Auch die weiterführende Unterteilung in die einzelnen Teilgeographien ist vergleichbar. Allerdings werden hier mit Ausnahme der Geomorphologie nur Geographien als Begrifflichkeiten verwendet und die aufgezählten Teilgeographien sind mit drei Geographien je (Human- und physischer) deutlich weniger. Begriffe wie die Sphären oder Bevölkerung und Religion tauchen nicht mehr auf. Stattdessen wird vermutlich der Einfachheit halber ein Feld mit »andere« aufgeführt. Ebenfalls neu ist die anschließende Verbindung der einzelnen Teilgeographien mit ihren jeweiligen Nachbarwissenschaften (z.B. Klimageographie – Meteorologie oder Wirtschaftsgeographie – Ökonomie). Hierdurch wird der interdisziplinäre Charakter der Geographie hervorgehoben. Die Regionale Geographie wird anders als im traditionellen Modell in Regionalforschung sowie landeskundliche Darstellungen unterteilt. Dies mag den stetigen Diskussionen über die Begrifflichkeiten Landschaft und Länderkunde in der historischen Geographie geschuldet sein. Eine weitere Neuerung ist, dass es in diesem Modell eine weitere Verbindungslinie zwischen Regionalforschung, Humangeographie und physischer Geographie gibt, was dazu führt, dass alle Teilgebiete der Geographie somit miteinander in Verbindung stehen. Hierdurch entsteht auch bildlich der Eindruck einer interdisziplinären und somit ganzheitlichen Betrachtung der Geographie als Wissenschaft. Anders als im traditionellen Modell erfolgt auf der nächsten Ebene die Trennung in
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sozioökonomische Entwicklungsforschung sowie ökologische Belastungsanalyse sowie ein Feld anderes und ebenfalls eine Verbindung zu benachbarten Wissenschaften wie der Regionalplanung und der Umweltplanung. Die im traditionellen System noch einzeln benannten Inhalte physischer und anthropogener Natur werden dadurch in diese beiden Oberbegriffe zusammengefasst. Bei der Betrachtung der inhaltlichen Aufteilung geographischer Grundlagenwerke fällt auf, dass diese beiden hier beschriebenen Schemata nicht alle dort benannten Teilgeographien aufführen. So unterteilen beispielsweise Gebhardt et al. die physische Geographie in Klimageographie, Geomorphologie, Landschafts- und Stadtökologie sowie in Boden-, Bio- und Hydrogeographie. Die Humangeographie wird unterteilt in Sozial-, politische-, Finanz-, Wirtschafts-, Konsum-, Stadt- und Bevölkerungsgeographie sowie Geographie des ländlichen Raums, Geographische Entwicklungsforschung, Geographie der Migration, der Mobilität, der Gesundheit, des Tourismus sowie einer historischen Geographie und einer geographischen Mensch-Umwelt-Forschung (Gebhardt et al. 2020: VIII-XII). Im Falle des Systems der Modernen Geographie ist dies sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Anschaulichkeit eines Modells durch die zahlreichen Geographien verlorengehen würde und diese somit unter die Rubrik andere gezählt werden sollten. Im Sinne einer ganzheitlichen Darstellung der Geographie ist es jedoch relevant und angemessen, alle gegenwärtig vorhandenen Teilgeographien einzubeziehen, da jede ihren essenziellen Beitrag zur geographischen Gesamtsicht- und Denkweise leistet. Um die Vielfalt geographischer Forschungen und daraus resultierend geographisches Denken und Wissen besser verstehen oder gar definieren zu können, soll nachfolgend zumindest ein grober Überblick über die zentralen Inhalte der einzelnen Teilgeographien gegeben werden.
Geomorphologie Beginnend mit den Teilgebieten der physischen Geographie als Ausgangspunkt für die natürlichen Voraussetzungen der Erde ist hier als erste zentrale Teildisziplin die Geomorphologie zu nennen. Sie entstand aus der Nachbarwissenschaft der Geologie heraus und bezieht sich thematisch auf die Genese der Erdoberflächenformen (auch Georelief genannt) durch Zeit und Raum sowie den konstituierenden Materialien und den formgebenden Prozessen der Reliefbildung (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 63). Das Hauptziel der Geomorphologie ist die Beschreibung und Erklärung der Genese der Erdoberflächenformen, deren topologische und stoffliche Eigenschaften und der dahinterliegenden Prozesse aus Vergangenheit und Gegenwart (Dikau & Zeese 2020: 340). Somit ist die Geomorphologie in der Lage, sowohl die Entstehung der Erdoberfläche sowie die damit verbundenen Prozesse aus der Vergangenheit zu rekonstruieren als auch gleichzeitig aktuell ablaufende Landschaftsdynamiken zu erfassen. Dadurch können gegenwärtige Landschaftsveränderungen, sei es durch anthropogene Eingriffe oder aber natürliche Prozesse, erforscht und gleichzeitig Prognosen über die zukünftige Entwicklung gegeben werden. Diese physisch-geographische Teildisziplin bildet somit auch eine Brücke zu Mensch-Umwelt bezogenen Fragestellungen und bekommt eine zunehmende Bedeutung in Zeiten des Anthropozäns (Dikau & Zeese 2020: 342).
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Klimageographie Eine weitere zentrale physisch-geographische Teildisziplin ist die mit der Nachbarwissenschaft der Meteorologie verwandte Klimageographie oder auch Klimatologie. Auch diese Disziplin arbeitet mit einem Bezug zur Oberfläche, allerdings im Kontext der in der Luft befindlichen Atmosphärenschicht. Zentrale Inhalte sind dabei die klimatischen Bedingungen in allen Teilen der Erde und auf allen Maßstabsebenen, von globalen Prozessen bis hin zu lokalen mikroklimatischen Bedingungen. Dabei werden Klimaräume und deren Wirkungen sowohl auf die Umwelt als auch den Menschen erforscht und dabei ebenfalls Wechselbeziehungen des Mensch-Umwelt-Systems betrachtet (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 64). Die Klimageographie spielt dabei besonders auch gesellschaftlich und im politischen Kontext eine tragende Rolle, da sie Phänomene wie den anthropogenen Treibhauseffekt und die damit einhergehenden Prozesse und Veränderungen des Klimawandels und deren Auswirkungen auf den Menschen analysiert und sich somit von Nachbarwissenschaften wie der Meteorologie abgrenzt (Glaser 2020: 225). Dabei spielt insbesondere das Aufstellen von zukünftigen Prognosen der Entwicklung des Weltklimas und den damit einhergehenden Folgewirkungen für Mensch und Umwelt eine entscheidende Rolle (Glaser 2013: 231). Ein weiteres Spezifikum äußert sich auch in der Auseinandersetzung mit der lokalen und regionalen Klimaphänomenen bis hin zu stadtklimatologischen Forschungen. In diesem Kontext kommt gegenwärtig insbesondere auch Themen wie Vulnerabilität, Resilienz und Klimaanpassungsmaßnahmen eine hohe Bedeutung zu (ebd.: 324ff.).
Bodengeographie Die dritte große physisch-geographische Säule stellt die Teildisziplin der Bodengeographie (auch Bodenkunde genannt) dar. Sie beschäftigt sich mit der Schicht der Pedosphäre, sprich den Böden der Erde und den Geofaktoren, die auf diese einwirken. Da sowohl klimatische als auch geomorphologische sowie anthropogene Faktoren dabei eine Rolle spielen, kann sie auch als Bindeglied zwischen diesen Teildisziplinen betrachtet werden. Im Fokus stehen dabei die verschiedenen Bodentypen der Erde, ihre Genese samt der Prozesse, die dabei eine Rolle spielen sowie die globale Verbreitung der verschiedenen Bodenarten (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 65f.). Aufgrund der Tatsache, dass Böden die Grundlage für die Ernährung der Menschheit bilden, da alle lebenswichtigen Nahrungsmittel einen möglichst fruchtbaren Boden zum Wachsen benötigen, spielt die Bodengeographie auch unter Berücksichtigung der aktuell nach wie vor steigenden Weltbevölkerung in Sachen globale Ernährungssicherheit eine Schlüsselrolle. Dabei stehen insbesondere anthropogen verschuldete Degradationsprozesse sowie Kontamination von Böden und deren Folgewirkungen im Fokus bodengeographischer Forschung (Faust 2013: 469f.). Auch das Thema Landschaftsverbrauch, Überbauungs- und Überdüngungsprozesse sowie die Schaffung eines Bewusstseins für Böden als endliche Ressource und einer damit einhergehenden Notwendigkeit von Bodenschutzmaßnahmen sind Themengebiete der gegenwärtigen Bodengeographie (Faust 2020: 480).
Hydrogeographie Die Hydrogeographie (auch Hydrologie genannt) bildet die vierte Teildisziplin der physischen Geographie. Sie befasst sich wie der Name bereits suggeriert, mit der Schicht der
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Hydrosphäre, also dem Element Wasser auf der Erde. Thematisch beschäftigt sie sich mit den Gewässern sowohl auf dem Land (Binnengewässer) als auch den Ozeanen der Erde. Dabei werden insbesondere der Wasserhaushalt, aquatische Erscheinungsformen auf der Erde sowie die globale Wasserverteilung in den Fokus genommen (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 65). Ebenso spielen Inhalte wie der Wasserhaushalt und seine räumlichen und zeitlichen Entwicklungen eine Rolle (Schulte et al. 2020: 582). Insbesondere die Thematik der Wasserverteilung gibt der Hydrogeographie ebenfalls eine zentrale Rolle in Bezug auf die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn die ungleiche globale Wasserverteilung auf dem Planeten sorgt insbesondere auch im Zuge des Klimawandels für Konflikte bis hin zu Kriegen um Wasserreserven, denn Wasser ist für den Menschen überlebenswichtig. So spielen Konflikte um Wasserressourcen, Wasserknappheit, anthropogene Eingriffe in den globalen Wasserkreislauf in der hydrogeographischen Forschung ebenfalls eine wichtige Rolle. Aber auch die Suche nach nachhaltigen Wasserbewirtschaftungsstrategien sowie veränderten Wassertransportsystemen sind gegenwärtig zentrale Themen in der Hydrogeographie (Schulte et al. 2020: 582). Auch hier wird das Wasser und seine Verteilung sowohl in historischer Sicht als auch im Kontext von Prognosen analysiert und in Bezug auf Niederschläge und Meeresströmungen und deren Entwicklungen im Zuge des Klimawandels sind auch hier Verbindungen zur Klimageographie, aber auch zur Bodengeographie (z.B. Wasserhaushalt in den Böden) zu finden (ebd.).
Biogeographie Ein weiteres Bindeglied zwischen den einzelnen Teildisziplinen der physischen Geographie ist die Biogeographie. Dabei sind die zentralen Fragestellungen biogeographischer Forschung äußerst divers. Sie reichen von der Evolution verschiedener Arten (sowohl von Flora als auch von Fauna) über die globale Verbreitung von Tier- und Pflanzengesellschaften sowie den Beziehungen zwischen Flora und Fauna (inklusive der Analyse von Raummustern von Lebensgemeinschaften) bis hin zur Analyse von Ökosystemen und Landschaften der verschiedenen Erdräume. Gegenwärtig spielen insbesondere Themen wie Ökosystemdienstleistungen und Einflussfaktoren auf Flora und Fauna (wie z.B. der Klimawandel) eine große Bedeutung. Dabei werden auch Wechselwirkungen aller Umweltfaktoren, die auf die Tier- und Pflanzenwelt einwirken, untersucht, um somit Ökosystemmodelle generieren zu können. Das größte Thema stellt gegenwärtig unbestritten der globale Biodiversitätsverlust und seine Auswirkungen dar (Glawion 2020: 530f.). Da in der Biogeographie auch Mensch-Umwelt-Beziehungen in Bezug auf anthropogene Eingriffe in die Natur, Naturschutz sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere und Pflanzen eine Rolle spielen, liegt auch für diese geographische Teildisziplin eine hohe gesellschaftliche Relevanz vor. Andere Teilgeographien wie die Vegetationsgeographie, die Landschafts- und Stadtökologie oder die Bioökologie können sowohl als Teilbereiche der Biogeographie als auch als eigenständige Disziplinen betrachtet werden. Sie weisen jedoch ähnliche inhaltliche Kernelemente mit unterschiedlichen thematischen Ausprägungen auf (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 69f.). Insbesondere die Landschaftsökologie gilt aufgrund ihrer vielfältigen Bezüge zu anderen Disziplinen als stark interdisziplinäre Umweltwissenschaft mit einem Raumbezug (Glatzel 2020: 620). Die hier in aller Prägnanz vorgestellten physisch-geographischen Teilbereiche können als zentrale Eckpfeiler oder Teildisziplinen der physischen Geographie betrachtet
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werden. In vielen Fällen werden Teilbereiche wie beispielsweise die bereits angesprochene Stadtökologie als weitere Unterdisziplinen der physischen Geographie behandelt. Bei letzterer liegen Ökosysteme und ihre Verbindung zu urbanen Räumen im Fokus. Zudem stehen hier meist ein starker Raumbezug und somit größtenteils anwendungsbezogene Forschungen im Zentrum der Überlegungen. Aufgrund ihrer starken interdisziplinären Arbeitsweise bildet sie ein starkes Bindeglied innerhalb der Mensch-Umwelt-Forschung (Breuste et al. 2013: 628). Andere Grundlagenwerke fassen dies als physische Anthropogeographie zusammen, da hier sowohl anthropogene als auch natürliche Faktoren und deren Wechselwirkungen im Zentrum der Betrachtung stehen (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 71). Da jedoch viele der Inhalte in den bereits genannten Teildisziplinen zu finden sind, soll hier keine weitere Unterteilung vorgenommen werden. Nachfolgend werden nun die deutlich zahlreicheren humangeographischen Teildisziplinen kurz angerissen.
Stadtgeographie Die Stadtgeographie, in manchen Werken auch noch unterteilt in eine Siedlungs- und eine Stadtgeographie (siehe Leser & Schneider-Sliwa 1999), kann sicherlich unbestreitbar als eine der wichtigsten humangeographischen Teildisziplinen betrachtet werden. Sie beschäftigt sich mit allen humangeographischen Fragestellungen, die sich für den urbanen Raum ergeben und schlägt somit Brücken zu vielen weiteren Disziplinen wie Wirtschafts-, Sozial- oder Bevölkerungsgeographie. Die Betrachtungsweise erfolgt dabei sowohl auf Mikroebene (einzelne Stadtteile und ihre Entwicklung) als auch über die Mesoebene (ganze Städte und ihre Infrastrukturen) bis hin zur Makroebene (Global Citys und ihre internationale Bedeutung) (Leser & Schneidert-Sliwa 1999: 87). Die Stadtgeographie beschäftigt sich dabei zum einen mit der Struktur, der Lage, den Siedlungsformen sowie der Funktion und Genese von Städten auf der ganzen Welt und zum anderen betrachtet sie die Entwicklung einer Stadt insbesondere unter dem Einfluss aktueller problematischer Tendenzen wie den verstärkten Urbanisierungsprozessen im globalen Süden aber auch der Vulnerabilität urbaner Räume im Kontext des globalen Wandels (Borsdorf & Zehner 2005: 266). Insbesondere der Prozess der Verstädterung und deren Ursachen sowie auch Konsequenzen ist im 21. Jahrhundert eines der bedeutsamsten Kernthemen der Stadtgeographie (Knox & Marston 2008: 639). Somit nimmt auch die Stadtgeographie insbesondere im Kontext nachhaltiger Entwicklung eine entscheidende Rolle ein, denn die zunehmende Verstädterung in Kombination mit einem nach wie vor raschen Anstieg der Weltbevölkerung werden zukünftig verstärkt Konflikte wie Wohnraummangel, Gesundheitsfragen, Sicherheitsfragen sowie zunehmende Segregationsprozesse bestimmter Bevölkerungsschichten hervorrufen. Städte fungieren hierbei als Motor der globalen Gesellschaft und ihrer Analyse kommt daher eine besondere Bedeutsamkeit zu (Heineberg 2013: 857f.), da sich hier unter anderem Entscheidungs-, Entwicklungs-, Mobilitäts- sowie Konsumprozesse gleichermaßen manifestieren (Knox & Marston 2008: 640f.), ebenso wie ein Nebeneinander verschiedener Kulturen und Lebensweisen (Basten & Gerhard 2016: 116).
Wirtschaftsgeographie & Geographie des Handels und des Konsums Eine weitere bereits lange Zeit etablierte humangeographische Teildisziplin ist mit der Wirtschaftsgeographie zu benennen. Spätestens seit den technologischen Fortschritten
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ausgelöst durch die industrielle Revolution ist die Wirtschaft zu einer essenziellen gesellschaftlichen Antriebskraft geworden. In der heutigen von kapitalistischem, kurzfristigem und profitorientiertem Denken geprägten Gesellschaft des Westens, sind wirtschaftliche Handlungen wichtiger denn je. Dabei spielte insbesondere die Globalisierung eine tragende Rolle, da sie global vernetztes Wirtschaften in Bezug auf Handel und Warenaustausch sowie eine schnellere Kommunikation erst möglich machte und somit wirtschaftliche Beziehungen und Verflechtungen über den gesamten Erdball hinweg möglich wurden. Ebendiese räumlichen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns sind es, die im Forschungsinteresse der Wirtschaftsgeographie liegen. Dabei kommt beispielsweise Märkten, Produktions- und Entwicklungsprozessen, Standortentscheidungen sowie Produktlebenszyklen auf allen Maßstabsebenen eine wichtige Bedeutung zu (Glückler 2013: 911). Doch die Betrachtung wirtschaftlicher Entwicklungen auf der Ebene des Raumes zeigt eben auch auf, dass global betrachtet enorme wirtschaftliche Disparitäten zwischen verschiedenen Staaten bestehen. Sozusagen eine räumliche Unausgewogenheit in Bezug auf Ressourcen- und Kapitalverteilung weltweit. Hinzu kommt, dass eine globale Wirtschaft eine enorme Vulnerabilität gegenüber gesellschaftlichen und ökologischen Krisen (z.B. Terrorismus, Naturkatastrophen, Finanzkrisen oder Pandemien usw.) aufweist (Knox & Marston 2008: 420f.). So ist es ebenfalls Aufgabe der Wirtschaftsgeographie, Wirtschaftsanalysen bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen durchzuführen und dabei zu erforschen, wie ein langfristiges und nachhaltiges wirtschaftliches Handeln im Sinne nachfolgender Generationen gewährleistet werden kann. Dabei spielen unter anderem auch klassische Themen wie Wirtschaftsbeziehungen und deren räumliche Dimension, Güterproduktion sowie gesellschaftliche Regeln und deren Veränderung im Kontext eines Wirtschaftslebens eine Rolle in der Wirtschaftsgeographie (Glückler 2020: 780). Hierin liegt die enorme Wichtigkeit der Teildisziplin der Wirtschaftsgeographie im Kontext einer Transformation unserer Gesellschaft. Eine erst im 21. Jahrhundert verstärkt aufkommende geographische Teildisziplin, die eng verbunden mit der Wirtschaftsgeographie ist, findet sich in der Geographie des Handelns und des Konsums. Hier stehen besonders auf den Handel und Konsum bezogene Entwicklungen im Vordergrund. Entwicklungen im Einzelhandel, Auswirkungen eines wachsenden E-Commerce sowie räumliche Dimensionen des konsumbezogenen Freizeitverhaltens stehen im Fokus geographischer Forschungen. Im Rahmen eines nachhaltigen Konsums geht es dabei vor allem auch um Konsumorte- und -praktiken und deren gegenwärtige Veränderungen (Ermann et al. 2020: 820) auch im Hinblick auf Regionalisierungs- und Wertschöpfungsprozesse. Zudem werden auch historische Aspekte im Hinblick auf die Entstehung der gegenwärtigen Konsumgesellschaft und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Zukunft innerhalb der Geographie des Konsums thematisiert (Ermann & Pütz 2020: 64ff.).
Bevölkerungsgeographie & Geographien der Migration Die dritte große Teildisziplin der Humangeographie findet sich in der Bevölkerungsgeographie wieder. Die allseits bekannten Prognosen in Bezug auf eine weiterhin rasant ansteigende Weltbevölkerung und die Probleme, welche daraus insbesondere in Bezug auf die Tragfähigkeit des Planeten resultieren (Lebensmittelknappheit, fehlender Trinkwas-
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serzugang etc.), zeigen deutlich, dass auch eine Auseinandersetzung mit Bevölkerungsstrukturen und deren Entwicklung im Kontext von Nachhaltigkeit wichtig ist. Hier greift das Forschungsinteresse der Bevölkerungsgeographie, die die Zusammenhänge von Bevölkerungsentwicklungen auf allen Maßstabsebenen analysiert (lokal bis global) (Knox & Marston 2008: 123). Sie thematisiert zum einen die Analyse von Bevölkerungsstrukturen, Zusammensetzungen und deren Entwicklung (Alter, Geschlecht, Geburten- und Sterberate usw.), zum anderen aber auch Bevölkerungsbewegungen im Raum und den daraus resultierenden Folgewirkungen (Stichwort Migration und Flüchtlingskrise) sowie gesellschaftliche Wertvorstellungen, welche bestimmte Handlungsweisen bestimmter Kulturen beeinflussen (Gans & Pott 2020: 974). Damit einher geht auch der Fokus auf Bevölkerungsverteilungen im Raum (Stichwort Bevölkerungsdichte) und deren Ursachen und Auswirkungen (de Lange et al. 2014: 17f.). Prozesse wie der demographische Wandel (Überalterung und Schrumpfung der wohlhabenden Gesellschaft aufgrund niedriger Geburtenraten und medizinischer Fortschritte vs. Rasantes Wachstum bei geringer Lebenserwartung in den unterentwickelten Ländern) oder soziale Segregation bestimmter Bevölkerungsschichten spielen dabei ebenfalls eine zentrale Rolle (Gans & Pott 2020: 974). Denn aus diesen Prozessen resultieren Folgewirkungen, die sich auf andere für die Geographie relevante Bereiche (wie beispielsweise Umwelt, Konsumverhalten, Arbeitsmarkt etc.) auswirken. Die Bevölkerungsgeographie bildet somit ebenfalls eine Brücke zu weiteren geographischen Teildisziplinen und ist infolgedessen auch im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft nicht zu vernachlässigen. Als ein ursprünglich spezifisches Teilgebiet der Bevölkerungsgeographie haben sich Bevölkerungsbewegungen und insbesondere Migrationsprozesse inzwischen zu einer eigenständigen Teildisziplin der Humangeographie weiterentwickelt, die jedoch starke inhaltliche Überschneidungspunkte aufweist. Migration ist eines der großen Themen des 21. Jahrhunderts. Hier stehen Fragen des räumlichen Bezugs von Migrationsbewegungen, Ursachen (z.B. Krieg & Klimawandel) und Konsequenzen von Migration (auch im Hinblick auf Kultur und Identität) sowie auch die Analyse von Maßnahmen zur Kontrolle von Migration im Fokus (Pott & Gans 2020: 994; Wehrhahn 2016: 40).
Sozialgeographie Die vierte große und im Vergleich zu den anderen noch jüngere jedoch um so mehr bedeutsame Teildisziplin, ist die Sozialgeographie. Oftmals wird die Sozialgeographie auch als synonym zur gesamten Humangeographie betrachtet, da sie sämtliche humangeographischen Teilgebiete unter dem Untersuchungsgegenstand der Gesellschaft vereint. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die Sozialgeographie jedoch mit gesellschaftlichen Strukturen aus verschiedenen Sichtweisen vom Menschen als handelndem Individuum der Gesellschaft bis hin zu ganzen Kulturen und Kollektiven bzw. Gruppierungen von Menschen und deren Handlungen im Raum (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 79). Übergeordnet lässt sich das Kernanliegen der Sozialgeographie mit der »Untersuchung des Verhältnisses von Gesellschaft und Erdraum« beschreiben (Werlen 2008: 11). Somit spielen vor allem die Analyse der Organisation von Gesellschaften in der räumlichen Dimension einerseits sowie die Bedeutung des Raumes für gesellschaftliches Handeln andererseits eine zentrale Rolle (ebd.). Die gesellschaftlichen Folgewirkungen
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globaler Prozesse wie beispielsweise der Globalisierung oder des Klimawandels sind ebenfalls Forschungsgegenstand sozialgeographischer Überlegungen, denn sie wirken sich in einem enormen Maß auf das Zusammenleben von Menschen sowie menschlichen Handlungen im Raum an sich aus. Dabei verschwimmen die Maßstabsebenen von lokal bis global, sodass Handlungen an einem bestimmten Ort sich auf den gesamten Planeten auswirken können (Werlen & Lippuner 2013: 687). Auch die Digitalisierung und ihr Einfluss auf Alltagswelten steht gegenwärtig vermehrt im Fokus sozialgeographischer Forschungen (Werlen & Lippuner 2020: 700) ebenso wie soziale Ungleichheit und ihre Ursachen sowie gesellschaftliche Konflikte und Disparitäten in der Lebensqualität von Menschen (darunter fallen Themen wie z.B. Kriminalität, Macht oder Diskriminierung) (Knox & Marston 2008: 241). Es lässt sich erkennen, dass die Sozialgeographie durch die Verbindung von Mensch und Raum auch gleichzeitig eine Mensch-Umwelt-Forschung betreibt. Die Analyse menschlicher Handlungen im Zusammenhang mit der Umwelt, in der sie leben, ist im Kontext der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft von essenzieller Bedeutung, weshalb der Sozialgeographie hier sicherlich ebenfalls eine Schlüsselrolle zugesprochen werden kann.
Politische Geographie Eine im Vergleich zu den anderen zeitweise vielleicht etwas weniger beachtete (Ursache der Rolle der Geographie in den beiden Weltkriegen), aber insbesondere gegenwärtig äußerst relevante und aufstrebende humangeographische Teildisziplin ist die politische Geographie. Bereits vor Beginn der beiden Weltkriege durch Ratzel ins Leben gerufen, kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Beobachtung von Flächennutzungen, Flächenansprüchen sowie den damit verbundenen Konflikten insbesondere auf der staatlich-politischen Ebene. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf staatliche Tätigkeiten und deren Wirksamkeit in der räumlichen Dimension gelegt (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 81). Die Analyse staatlicher bzw. politischer Maßnahmen, die eine Raumwirksamkeit bis hin zu einer Umgestaltung des Raumes mit sich bringen, sind gegenwärtig wieder von hoher Bedeutung, wie sich beispielsweise in den zeitweiligen Bestrebungen der US-amerikanischen Regierung eine Mauer zu Mexiko zu errichten oder aber generell in den Grenzziehungen der gesamten Flüchtlingskrise zeigt. Beispiele für politische Macht und ihre Auswirkung auf den Raum auch für das gesellschaftliche Leben gibt es weltweit, von gesellschaftlichen Verdrängungsprozessen über stadtpolitisch gesteuerte Umbaumaßnahmen bis hin zu Fragmentierungserscheinungen beispielsweise in Osteuropa. Die Liste von Macht-RaumKonflikten erscheint endlos und genau aus diesem Grund kommt der Analyse solcher Prozesse im Zuge der Forschungen aus der politischen Geographie gegenwärtig eine besondere Stellung zu (Reuber 2013: 785f.). Ein weiterer in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Thematisierung von internationaler Zusammenarbeit, Freihandelsabkommen und Welthandelsorganisationen sowie deren Wirkung in Bezug auf globale politisch ausgelöste Konflikte auf allen Maßstabsebenen von global bis hin zu alltäglichen Lebenswelten der Menschen. Auch hierauf legt die politische Geographie in zunehmendem Maße ihre Forschungsbemühungen (Knox & Marston 2008: 575f.). Insgesamt kommt dem Thema Konflikt und Macht in der politischen Geographie eine zentrale Stellung zu, denn die Ursachen und Gründe für menschliche Konflikte waren und sind
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zahlreich (z.B. Ressourcenkonflikte oder territoriale Konflikte) und müssen auf unterschiedlichen Dimensionen analysiert werden immer auch unter der Berücksichtigung anthropogener Konstruktionen von Raum und den daraus resultierenden Konsequenzen (Reuber 2012: 21).
Verkehrsgeographie und Tourismusgeographie Zwei weitere insbesondere gegenwärtig wie auch zukünftig wichtige humangeographische Teildisziplinen, die in vielen Themen eng in Verbindung miteinander stehen, stellen die Verkehrsgeographie sowie die Tourismusgeographie dar. In Zeiten von Pauschalreisen und Low-Cost-Carriern ist das Reisen über den gesamten Erdball hinweg einfacher, schneller und kostengünstiger als jemals zuvor. Dies gilt für die gesamte Mobilität der Gesellschaft weltweit. Die Dimensionen von Grenzen, Raum und Zeit können angetrieben durch die Globalisierungsprozesse ohne Probleme überwunden werden. Diese Tatsache bringt sowohl in Bezug auf den Tourismus als auch allgemein auf das Verkehrswesen bezogen zahlreiche Begleiterscheinungen mit sich. Die Tourismusgeographie beschäftigt sich dabei mit den sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgen durch den globalen Tourismus und das auf allen Maßstabsebenen von lokalen Verdrängungsprozessen einheimischer Bevölkerung durch touristische Infrastrukturen bis hin zu ökologischen Folgen durch den erhöhten CO2 -Austoß, welcher mit der Nutzung von Verkehrsmitteln wie Flugzeug, Auto und Schiff einhergeht (Hopfinger 2013: 1020). Ebenso zentral ist die Analyse von Reisemotiven sowie touristischem Verhalten, die sich in den unterschiedlichsten Formen des Tourismus manifestieren (vom Individualtourismus bis zum Massentourismus) und den daraus resultierenden Inszenierungen touristischer Räume, die gegenwärtig insbesondere durch steigende digitale Möglichkeiten stark geprägt werden (Bauder & Freytag 2020: 1046). Die Vielfalt der Tourismusthematik, die sich in der starken Auswirkung auf verschiedenste Bereiche (Ökonomie, Ökologie und Soziales) äußert, legitimiert die Bezeichnung der Tourismuswirtschaft als »Leitökonomie des 21. Jahrhunderts« (Kagermeier 2016: 19) und verdeutlicht gleichzeitig die hohe Bedeutsamkeit der Teildisziplin der Tourismusgeographie. Auch hier liegt demnach eine MenschUmwelt-Forschung vor, deren gesellschaftliche Relevanz und Bedeutung im Nachhaltigkeitskontext klar auf der Hand liegt. Die Verkehrsgeographie (auch: Geographie der Mobilität) fokussiert sich dabei insbesondere auf die Nutzung von Transportmitteln sowohl auf der Ebene der Freizeit, aber eben auch in Bezug auf alltägliches Verkehrsgeschehen. Verkehr bzw. Transport hat dabei ebenso wie der Tourismus eine soziale, ökologische, aber auch insbesondere ökonomische Bedeutung. Dabei spielen thematisch Verkehrsnachfrage, Verkehrsinfrastruktur und Raumveränderungen durch verkehrsbauliche Maßnahmen eine zentrale Rolle. Die Verkehrsgeographie ist durch ihre verschiedenen Anwendungsbereiche mit vielen weiteren Teildisziplinen verbunden und nimmt daher einen stark transdisziplinären Charakter ein (Kagermeier 2013: 1045). Neben dem Personentransport spielen hier auch die Mobilität von Gütern und Informationen eine Rolle insbesondere auch in Bezug auf den Einfluss der Digitalisierung auf Transport-, Produktions- und Lieferketten. Aber auch Themen wie Erreichbarkeit und räumliche Auswirkungen von Veränderungen der Verkehrsinfrastruktur und des individuellen Verkehrsverhaltens auch im Hinblick auf das New-mobility-Paradigma stehen hierbei im Fokus der Verkehrsgeographie (Busch-Ge-
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ertsema; et al. 2020: 1016). Im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung spielt der Verkehr und somit auch verkehrsgeographische Forschungen vor allem zukünftig eine wichtige Rolle. Umweltschonende Verkehrsplanung sowie die Förderung eines nachhaltigen Verkehrsverhaltens waren und sind hierbei die Schlüsselbegriffe auch in der Verkehrsgeographie (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 84.).
Agrargeographie & Geographie des ländlichen Raums Neuere Teildisziplinen, die ebenfalls starke Überschneidungspunkte aufweisen, finden sich in der Agrargeographie sowie der Geographie des ländlichen Raums. Erstere legt ihren Schwerpunkt auf die Erforschung von Prozessen und Konflikten, die mit dem primären Landwirtschaftssektor in Verbindung stehen. Dabei werden sowohl Anbau, Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln in Augenschein genommen, als auch durch den Klimawandel oder die Globalisierung ausgelöste Wandelprozesse in der Landwirtschaft insbesondere im Kontext von Umweltbelastungen, aber auch bezogen auf Phänomene wie Massentierhaltung sowie Fragen der globalen Ernährungssicherheit (Knox & Marston 2008: 518). Die Agrargeographie verbindet somit Inhalte der human- und der physischen Geographie gleichermaßen und tut dies auf verschiedenen Ebenen vom einzelnen Agrarbetrieb über Agrargebiete bis hin zur Betrachtung von Agrarregionen immer im Hinblick auf agrarräumliche Strukturen und Prozesse, Raumwirksamkeiten agrarwirtschaftlicher Aktivitäten sowie naturräumliche und anthropogene Einflussfaktoren (Klohn & Voth 2010: 7). Die Geographie des ländlichen Raums, welche ursprünglich häufig als Teil der Stadtgeographie zu finden war, wenn es um die Gegenüberstellung von Stadt und Land ging, bildet heute eine eigenständige Teildisziplin. Der Fokus liegt hier auf der Entwicklung ländlicher und peripherer Regionen der Erde und der Analyse der Rahmenbedingungen ländlicher Räume und deren Konsequenzen für die Entwicklung. Dabei spielen Pendlerbeziehungen und Mobilitätsfragen ebenso wie Fragen der Agrarwirtschaft und des Strukturwandels eine wichtige Rolle. Damit einhergehend geht es um die Analyse von Disparitäten in peripheren Regionen der Erde sowie von Raumnutzungskonflikten und Fragen der Landschaftsplanung, die beispielsweise auch durch die Energiewende vermehrt auftreten (Gebhardt & Reuber 2020: 904ff.).
Geographische Entwicklungsforschung Entwicklungsgeographie oder auch geographische Entwicklungsforschung beschäftigt sich wie der Name schon sagt, vornehmlich mit der Entwicklung von Regionen und Ländern, wobei der Fokus oftmals auf den weniger entwickelten Ländern der Erde liegt. Dabei spielen soziale und ökonomische, aber auch ökologische Prozesse eine Rolle. Trinkwasserverfügbarkeit, Nahrungsmangel sowie ökonomische und politische Disparitäten sind hier als wichtige Themenschwerpunkte zu nennen. Sie ist somit wie auch so viele andere geographische Teildisziplinen sowohl eine trans- als auch interdisziplinär arbeitende humangeographische Teildisziplin (Bohle 2011: 745). Sie analysiert dabei die komplexen Beziehungen zwischen dem globalen Norden und Süden im Hinblick auf deren Verhältnis, fragmentierte räumliche Disparitäten, aber auch globale Verflechtungen sowie Umweltveränderungen und deren Folgewirkungen (Verne & Müller-Mahn 2020: 944).
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Historische Geographie Die historische Geographie taucht zum Großteil in der Literatur durchweg als Teildisziplin auf und kann auch auf eine lange Historie zurückblicken, wird aber häufig vernachlässigt oder nicht thematisiert. Ihre Bedeutung ist jedoch insbesondere auch im Nachhaltigkeitskontext enorm. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Erforschung von Prozessen vergangener Jahrhunderte in Bezug auf ihre Dauer, ihre Dynamiken sowie ihre Persistenz (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 76). Die Bedeutsamkeit dieser Forschung liegt darin, Sachverhalte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu übertragen, um somit heutige Denkweisen und Analysen räumlicher Prozesse erweitern und vertiefen zu können. Im Kontext von Nachhaltigkeit kommt der historischen Geographie die Aufgabe zu, der Gesellschaft den Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung und deren Wichtigkeit für zukünftige Generationen aufzuzeigen, um aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen zu können (ebd.). Sie analysiert dabei beispielsweise die Entwicklung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses, die Funktion des Zeithorizonts räumlicher Phänomene für die Gesellschaft sowie den Umgang mit kulturellem Erbe (Dix et al. 2020: 1064).
Weitere humangeographische Teildisziplinen der Gegenwart Neben diesen großen humangeographischen Teildisziplinen existieren noch viele weitere, die je nach Autor*in und Anliegen der Grundlagenwerke in der Geographie unterschiedlich bezeichnet oder überhaupt aufgegriffen werden. Teilweise weisen sie nur sehr spezifische Inhalte auf und sind daher sehr kleine Randdisziplinen oder sie sind so neu, dass sie in den gängigen Grundlagenwerken noch nicht auftauchen. Viele der Teildisziplinen weisen große Überschneidungspunkte zu anderen Teildisziplinen auf und werden daher häufig zusammengefasst betrachtet. Wiederum andere Strömungen haben sich erst in den letzten Jahren zu eigenständigen Disziplinen entwickelt und sind daher noch wenig tiefgreifend beforscht. Eine eher randständig angesiedelte Teildisziplin ist die Religionsgeographie. Sie beschäftigt sich mit den geistigen Wertvorstellungen der Menschen und deren raumgestalterischer Wirkung, sprich dem Einfluss von Religion auf Landschaft und Gesellschaft. Dabei spielen oftmals ethnologische, aber auch kulturelle Fragestellungen eine tragende Rolle (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 78). Sie wird jedoch nur sporadisch als gängige Teildisziplin aufgeführt und ist daher in größeren Grundlagewerken (Gebhardt et al. 2011; Knox & Marston 2008; Schenk & Schliephake 2005) nicht zu finden. Ebenfalls randständig und mit vielen Überschneidungspunkten zur Wirtschaftsgeographie ist die Geographie der Finanzen, welche im aktuellen Grundlagenwerk von Gebhardt et al. erstmals aufgeführt wird. In ihrem Fokus stehen die Analyse und Bewertung von Finanzmärkten, Kapitalflüssen und des gesamten Finanzsektors insbesondere auch mit den räumlichen Bezügen. Aber auch Praktiken beteiligter Finanzakteure und deren Wirkung auf Raumentwicklungsprozesse und Finanzbeziehungen sind ein Thema (Handke & Zademach 2020: 764). Auch die Gesundheitsgeographie ist ein relativ neuer Zweig der Humangeographie, der insbesondere im Zuge aktueller Pandemien vermehrt an Aufmerksamkeit gewinnt. Hierbei stehen Gesundheit und Krankheit im Fokus verschiedener Analysebereiche wie beispielsweise Gesundheitstourismus, Gesundheitsökonomien oder Gesundheitspolitik. Auch hier ist es das Zusammenwirken von Raum und Gesundheit vor allem im Zuge der gegenwärtigen global vernetzten
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Gesellschaft (z.B. Verbreitung von Pandemien durch globale Mobilitätswege), welches im Zentrum der Überlegungen steht (Dzudzek et al. 2020: 1034). Im Zuge von Nachhaltigkeit ist hier insbesondere das Thema der medizinischen Grundversorgung für alle Menschen auf der Welt von großer Relevanz. Weitere Bindestrichgeographien, die in der Gegenwart verstärkt in den Fokus rücken, finden sich beispielsweise in der Energiegeographie oder der digitalen Geographie. Beide weisen viele Überschneidungspunkte zu anderen Teildisziplinen der Geographie auf und fokussieren einen deutlich kleinen Bereich als die bereits aufgeführten Bindestrichgeographien. So beschäftigt sich die Energiegeographie vornehmlich mit Energiesystemen und Energieversorgung auf allen Maßstabsebenen sowie Transformationsmöglichkeiten dieser insbesondere im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation (Stichwort Energiewende). Analysiert werden dabei Konflikte auf sozialer, ökonomischer und ökologischer Ebene (Becker et al. 2021: 18). Insgesamt hat sich in diesem Teilkapitel gezeigt, dass sich das interdisziplinäre und nachhaltigkeitsbezogene Wesen der Geographie, wie es bereits bei den Definitionen charakterisiert wurde, eben auch in jeder einzelnen geographischen Teildisziplin sei es physisch oder humangeographisch widerspiegelt. So weist jede dieser Disziplinen ihre eigene gesellschaftliche und auch aktuelle Relevanz auf und bildet dabei immer auch gleichzeitig Brücken sowohl zu anderen geographischen Teildisziplinen als auch zu benachbarten Wissenschaften. Die Geographie scheint somit in ihrer interdisziplinären Zusammensetzung ein breites Inhaltsspektrum an gesellschaftlich relevantem, und gleichzeitig zukünftig bedeutsamen, Wissen bereitzustellen. Dies spiegelt sich in besonderem Maße auch in den gegenwärtigen gängigen Systemen und Schlüsselkonzepten der Geographie von heute wider. Eine vertiefte Betrachtung dieser ist notwendig, um einen tieferen, aber auch übergeordneten, Einblick in geographisches Denken und Wissen jenseits der einzelnen Teildisziplinen zu erhalten.
5.3.3 Schlüsselkonzepte der Geographie von heute Wie die Definitionsversuche, die historische Entwicklung sowie die Beschreibung der einzelnen Teildisziplinen gezeigt haben, handelt es sich bei der Geographie als Wissenschaft um ein äußerst komplexes System, welches selbst innerhalb der Disziplin an vielen Stellen inhaltlich wie auch methodisch kontrovers diskutiert wird. Angesichts der Vielfalt geographischer Teildisziplinen und Denkweisen würde eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Inhalten der Geographie im Kontext dieser Arbeit zu weit führen, zumal dies in den Grundlagenwerken der Geographie bereits mehrfach geschehen ist. Im Zusammenhang mit der Fragestellung nach einem relevanten geographischen Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation ist es jedoch wichtig, sich zumindest mit Schlüsselthemen und Konzepten geographischen Denkens beziehungsweise der Geographie im Allgemeinen auseinanderzusetzen. Auch hierbei gibt es in der Literatur zahlreiche Versuche, die Schlüsselthemen der Geographie herauszukristallisieren und zu ordnen. Leser & Schneider-Sliwa beispielsweise attestieren der Geographie Schlüssel für folgende Themen zu sein (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 7):
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Gesellschaft (z.B. Verbreitung von Pandemien durch globale Mobilitätswege), welches im Zentrum der Überlegungen steht (Dzudzek et al. 2020: 1034). Im Zuge von Nachhaltigkeit ist hier insbesondere das Thema der medizinischen Grundversorgung für alle Menschen auf der Welt von großer Relevanz. Weitere Bindestrichgeographien, die in der Gegenwart verstärkt in den Fokus rücken, finden sich beispielsweise in der Energiegeographie oder der digitalen Geographie. Beide weisen viele Überschneidungspunkte zu anderen Teildisziplinen der Geographie auf und fokussieren einen deutlich kleinen Bereich als die bereits aufgeführten Bindestrichgeographien. So beschäftigt sich die Energiegeographie vornehmlich mit Energiesystemen und Energieversorgung auf allen Maßstabsebenen sowie Transformationsmöglichkeiten dieser insbesondere im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation (Stichwort Energiewende). Analysiert werden dabei Konflikte auf sozialer, ökonomischer und ökologischer Ebene (Becker et al. 2021: 18). Insgesamt hat sich in diesem Teilkapitel gezeigt, dass sich das interdisziplinäre und nachhaltigkeitsbezogene Wesen der Geographie, wie es bereits bei den Definitionen charakterisiert wurde, eben auch in jeder einzelnen geographischen Teildisziplin sei es physisch oder humangeographisch widerspiegelt. So weist jede dieser Disziplinen ihre eigene gesellschaftliche und auch aktuelle Relevanz auf und bildet dabei immer auch gleichzeitig Brücken sowohl zu anderen geographischen Teildisziplinen als auch zu benachbarten Wissenschaften. Die Geographie scheint somit in ihrer interdisziplinären Zusammensetzung ein breites Inhaltsspektrum an gesellschaftlich relevantem, und gleichzeitig zukünftig bedeutsamen, Wissen bereitzustellen. Dies spiegelt sich in besonderem Maße auch in den gegenwärtigen gängigen Systemen und Schlüsselkonzepten der Geographie von heute wider. Eine vertiefte Betrachtung dieser ist notwendig, um einen tieferen, aber auch übergeordneten, Einblick in geographisches Denken und Wissen jenseits der einzelnen Teildisziplinen zu erhalten.
5.3.3 Schlüsselkonzepte der Geographie von heute Wie die Definitionsversuche, die historische Entwicklung sowie die Beschreibung der einzelnen Teildisziplinen gezeigt haben, handelt es sich bei der Geographie als Wissenschaft um ein äußerst komplexes System, welches selbst innerhalb der Disziplin an vielen Stellen inhaltlich wie auch methodisch kontrovers diskutiert wird. Angesichts der Vielfalt geographischer Teildisziplinen und Denkweisen würde eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Inhalten der Geographie im Kontext dieser Arbeit zu weit führen, zumal dies in den Grundlagenwerken der Geographie bereits mehrfach geschehen ist. Im Zusammenhang mit der Fragestellung nach einem relevanten geographischen Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation ist es jedoch wichtig, sich zumindest mit Schlüsselthemen und Konzepten geographischen Denkens beziehungsweise der Geographie im Allgemeinen auseinanderzusetzen. Auch hierbei gibt es in der Literatur zahlreiche Versuche, die Schlüsselthemen der Geographie herauszukristallisieren und zu ordnen. Leser & Schneider-Sliwa beispielsweise attestieren der Geographie Schlüssel für folgende Themen zu sein (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 7):
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»Verständnis der Zusammenhänge von Mensch/Gesellschaft und Natur/Umwelt und deren Entwicklung in Zeit und Raum Erkennen von Mustern und Funktionszusammenhängen im Raum Für andere Fächer zur Bereitstellung geographischer Raum- und Raumfunktionstheorien, die Spezialwissen über Einzelfakten und Einzelfunktionsweisen sich dadurch erst in eine Umweltbetrachtung einordnen lassen«
Geographie kann in diesem Zusammenhang beschrieben werden als eine »(…) umfassende Gesamt-(holistische) Schau der Um- bzw. Mitwelt« (Leser & Schneider-Sliwa 1999: 9). Fögele benennt verschiedene sogenannte Basiskonzepte der Geographie. Er unterteilt diese in das System der Geographie, welches als Mensch-Umwelt-System betrachtet wird (Hauptbasiskonzept) und die human- und physisch-geographischen Inhalte als Subsysteme, welche mit der Lupe der Nachhaltigkeit vertieft betrachtet werden. Ferner unterscheidet er die Basiskonzepte des Raumes, der Maßstabsebenen, der Systemkomponenten Struktur, Funktion und Prozess sowie der Zeitkomponente als weitere Basiskonzepte (Fögele 2016: 74). Clifford et al. (2009) unterteilen die Inhalte der Geographie in verschiedene Schlüsselkonzepte, die jeweils wiederum einzelne inhaltliche Schwerpunkte aufweisen. Zu nennen sind hier die Schlüsselkonzepte Raum, Zeit, Ort, Maßstab, soziale Systeme, Umweltsysteme, Landschaft, Natur, Globalisierung, Entwicklung sowie Risiko (Clifford et al. 2009: Vf.). Taylor hingegen clustert die Geographie in die Basiskonzepte Raum, Zeit, Interaktion (Wechselwirkung), Diversität, Veränderung (Wandel) sowie Wahrnehmung & Darstellung. Die hier gewählten Basiskonzepte sind wiederum eine Synthese bereits bestehender Konzepte wie sie beispielsweise von (Holloway et al. 2003; Jackson 2006; Leat 1998) vorgenommen worden sind (Taylor 2008: 51f.). Es fällt auf, dass den meisten dieser Unterteilungen dabei die Konzepte Raum, Zeit, Maßstab, System sowie Umwelt inhärent sind, sodass diese daher als gängige Schlüsselkonzepte der Geographie angesehen werden können. Zudem decken sich diese auch inhaltlich in Bezug auf die eingangs thematisierten gängigen Definitionen der Geographie. Doch um das Wesen der Geographie in seiner Gesamtheit im Kontext dieser Arbeit abzudecken, müssen hier noch weitere Schlüsselthemen hinzugefügt werden. In Bezug zur für diese Arbeit gewählten Definition des Faches sowie der Ausgangsfragestellung nach der Rolle der Geographie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation werden daher hier Raum, Zeit, Maßstab, Multiperspektivität sowie Mensch-Umwelt-Beziehungen und Nachhaltigkeit als Schlüsselkonzepte der Geographie gewählt, was gleichzeitig auch eine Verbindung zu den Leitprinzipien der Geographie aus Kapitel 5.1 herstellt. Im Folgenden wird ein Zusammenschluss bzw. eine Synthese der Inhalte dieser verschiedenen gängigen Schlüsselthemen respektive -konzepte vorgenommen und hierbei immer der Fokus auf ihre gesellschaftliche und zukünftige Relevanz gelegt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es hierbei nicht um eine detaillierte und vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Schlüsselkonzepten geht, sondern vielmehr darum, aufzuzeigen, auf welche inhaltlichen Eckpfeiler und Konzepte sich die Geographie stützt um somit neben den Kernelementen des Faches (Definition) und seiner Entwicklung (Historie) sowie der Struktur (Teildisziplinen) auch ein Verständnis über die zentralen Basisinhalte zu erlangen.
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Raum Wie bereits in der historischen Entwicklung der Geographie aufgezeigt, war und ist der Raum immer ein zentrales Schlüsselelement der Geographie. Dabei spielt sowohl die Betrachtung des realen Raumes beispielsweise einer bestimmten Region und der für sie charakteristischen natürlichen Gegebenheiten als auch des Raumes als Konstrukt auf den verschiedensten Ebenen eine wichtige Rolle. Für den Begriff des Raumes bestehen zahlreiche Raumkonzepte, deren ausführliche Erläuterung an dieser Stelle zu weit führen würde. Der Fokus soll hier auf die Raumkonzepte nach Ute Wardenga gelegt werden, da diese mehrheitlich in der Forschung als gängige Konzepte anerkannt sind und als Grundlage verwendet werden. Auch in der internationalen Geographie sind die dort enthaltenen Begrifflichkeiten und das damit einhergehende Raumverständnis, wenn auch in modifizierter Form, wiederzufinden (Kitchin & Thrift 2009: 867ff.). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Raumkonzepte dafür sorgen, dass auf einen spezifischen Raum unterschiedliche Sichtweisen geworfen werden können und jede der räumlichen Betrachtungsweise dabei eine eigenständige Fragestellung und andere inhaltliche Schwerpunkte enthalten kann. Diese können sich dabei auch überschneiden, was aufgrund des daraus resultierenden multiperspektiven Sichtwechsels dazu führt, dass Räume gezielt analysiert und erforscht werden können (Fögele 2016: 77). Wardenga unterteilt den Begriff des Raumes in vier verschiedene Raumkonzepte: Den Containerraum, den Raum als System von Lagebeziehungen, den Raum als Sinneswahrnehmung sowie den Raum als gesellschaftliche Konstruktion (Wardenga 2002: 47). Raum als Container meint dabei die Betrachtung des Raumes als eine Art Behälter, welcher bestimmte physisch-materielle Dinge wie z.B. Gewässer, Böden, Landschaftsformen oder Lebewesen enthält. Er wird dabei als Wirkungsgefüge aus physischen und anthropogenen Faktoren betrachtet, also als Ergebnis landschaftsgestalterischer Prozesse oder anthropogener Handlungen (ebd.). Die Betrachtung des Raumes als System von Lagebeziehungen fragt nach den Relationen, die zwischen Räumen oder aber zwischen spezifischen Elementen innerhalb eines Raumes bestehen und welche Konsequenzen sich daraus für die gesellschaftliche Wirklichkeit des Raumes ergeben. In beiden Fällen wird etwas real Existierendes betrachtet. Im Falle der Betrachtungsweise des Raumes als Sinneswahrnehmung liegt der Fokus mehr auf der subjektiven, sprich individuellen Wahrnehmung und Bewertung von Räumen. Somit kommt bei der räumlichen Betrachtungsweise eine weitere Ebene hinzu. Raum, Gesellschaft und Wirklichkeit können somit nicht unabhängig von Wahrnehmungen gesehen werden (ebd.). Die vierte Perspektive geht davon aus, dass Räume gestaltet, also konstruiert werden und dadurch das Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses darstellen. Dadurch kann untersucht werden wer, was, wann, wo, wie und mit welchem Ziel über Räume kommuniziert und welche Folgen dies für den Raum mit sich bringt. Diese Perspektive vereint somit die Ebenen Person, Inhalt, Zeit, Maßstab, Stil und Ziel (ebd.). Geographie zeichnet sich somit dadurch aus, dass »(…) sie den Zugriff des Menschen auf die Welt über die räumliche Grundlage des Denkens systematisch strukturieren kann« (Laub 2021: 200). Durch die Kombination aus natur- gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Denkweisen entsteht dadurch ein breiteres Raumverständnis (Ahamer 2019: 153). Im Kontext von Nachhaltigkeit und sozial-ökologischem Wandel ist eine solch differenzierte Betrachtungsweise von Räumen von großer Bedeutung. Ob im Zuge nachhal-
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tiger Stadtentwicklung, Standortwahl von wirtschaftlichen Unternehmen, Migrationsprozessen oder auch Naturschutzvorhaben, die ganzheitliche Betrachtung des jeweiligen betroffenen Raumes ist dabei immer notwendig und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung auch unabdinglich.
Maßstab Eng verknüpft mit dem Konstrukt des Raumes ist das zweite geographische Schlüsselkonzept der Maßstabsebene. Bei der Betrachtung von Räumen und Regionen ist es notwendig, Ordnung und Struktur zu generieren, um Muster, Ähnlichkeiten aber auch Disparitäten finden zu können. Zu diesem Zweck betrachten Geograph*innen ihren Untersuchungsgegenstand auf allen unterschiedlichen Maßstabsebenen (Gebhardt et al. 2013: 14). Der Maßstab ist somit ein Instrument für eine konkrete Aufteilung des Raumes, in dem verschiedenste Prozesse und Relationen zwischen den einzelnen Ebenen zu beobachten sind (z.B. ökonomischer oder politischer Natur) (Knox & Marston 2008: 7). Die unterschiedlichen Dimensionen können dabei unterteilt werden in lokal, regional und global. Am Beispiel von räumlicher Betrachtung bedeutet dies beispielsweise eine Einteilung in Städte (lokale Ebene), Nationalstaaten (regionale Ebene) bis hin zu ganzen Erdteilen (globale Ebene). Dies ermöglicht multiperspektivische Analysen auf verschiedenen Skalen und Ebenen und somit letztendlich wiederum eine ganzheitliche Betrachtung eines spezifischen Untersuchungsgegenstandes (Dürr & Zepp 2012: 89f.). Das stellt jedoch logischerweise nur eine von vielen Möglichkeiten der maßstäblichen Unterteilung dar. Andere Einteilungen nehmen auch die nationale und internationale Maßstabsebene hinzu, was zu einer feineren Untergliederung führt. Zudem lassen sich auch innerhalb der übergeordneten Maßstabsebenen wiederum auf der Mikroebene Maßstäbe unterscheiden, wie beispielsweise die Unterteilung von lokalen Erfahrungsräumen in eine Maßstabsebene der Gemeinschaft und die Ebene des Zuhauses (Knox & Marston 2008: 9). Hieran wird deutlich, dass es sich dabei auch oftmals um subjektive Konstruktionen bzw. Einteilungen handelt, die den Analyseprozess der jeweiligen Problemfragestellung vereinfachen und strukturieren sollen. Im Kontext von Nachhaltigkeit und einer sozialökologischen Transformation der Gesellschaft kommt insbesondere unter dem Einfluss der Globalisierung nun noch die maßstäbliche Betrachtungsweise der Glokalisierung zum Tragen. Der Begriff Glokalisierung beschreibt dabei die Vernetzung der verschiedenen Maßstabsebenen untereinander. Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung verschwimmen lokale, regionale und globale Zusammenhänge zunehmend ineinander. Durch die globale Vernetzung aller Staaten der Erde entstehen Wechselwirkungen zwischen lokal- und globalräumlichen Handlungen, deren Ursachen aber auch Folgewirkungen es zu untersuchen gilt (Gebhardt et al. 2013: 25). Dabei steuert sowohl das Globale wie zum Beispiel der Weltmarkt lokale ökonomische Zusammenhänge, aber genauso ergeben sich aus der übermächtigen Wirkweise globaler Handlungen regionale und lokale gegensätzliche Handlungen bis hin zu Widerständen und der Forderung nach regionaler Unabhängigkeit. Letztendlich kann somit Globalisierung zu einem Bedeutungszuwachs regionaler und lokaler Prozesse führen (ebd.: 26f.). Somit hat das Schlüsselkonzept der Maßstabsebene genauso wie die Raumkonzepte eine hohe Relevanz auf allen gesellschaftlichen Handlungsebenen und die Suche nach Lösungsansät-
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zen für die Transformation der Gesellschaft hin zu einem nachhaltigen Handeln, kann nur über eine integrative Betrachtungsweise aller Maßstabsebenen und den dahinter liegenden Handlungsprozessen und deren Wechselwirkungen vollzogen werden.
Zeit Die Zeit ist neben dem Raum und dem Maßstab das dritte große Schlüsselkonzept der Geographie. Wie bereits im Zuge der Thematisierung gegenwärtiger globaler Entwicklungen in Kapitel 5.3.1 erwähnt, sorgen die anhaltenden Globalisierungstendenzen für eine Verschiebung von Raum und Zeit. In Bezug auf die Komponente Zeit lassen sich hierfür als Beispiel die immer schneller voranschreitenden technologischen Entwicklungen nennen. Die explosionsartigen Entwicklungen neuer Produkte und Maschinen führen dazu, dass die Lebenszyklen von Produkten wie beispielsweise dem Smartphone immer kürzer werden. Zeit wird komprimiert und spielt insbesondere im Wirtschaftssektor beispielsweise im Kontext von Kostenersparnissen durch geringeren Zeitaufwand eine große Rolle (Holt-Jensen 2018: 205). Die gesellschaftliche Relevanz einer Betrachtung globaler Zusammenhänge und Konflikte unter dem Aspekt der Zeit liegt demnach auf der Hand. Die Geographie untersucht gesellschaftliche Zusammenhänge in spezifischen Räumen immer auch unter dem Aspekt der Zeit, sowohl objektiv aber vor allem auch als subjektive und demnach spezifisch unterschiedlich wahrgenommene Dimension menschlichen Handelns (Gebhardt et al. 2013: 37). Geographische Forschungsansätze untersuchen die Zeit dabei auf verschiedene Art und Weise. Auf der objektiven Ebene können dabei Entwicklungsprozesse wie beispielsweise Bevölkerungsentwicklungen oder wirtschaftliche Entwicklungen eines Landes untersucht und in Modellen dargestellt werden (z.B. Modell des demographischen Übergangs oder Lebenszyklusmodell etc.). Dabei werden die soziale, räumliche und zeitliche Dimension gesellschaftlicher Entwicklungen immer als gleichwertig betrachtet und in Relation zueinander als zusammenhängendes System untersucht (ebd.: 38). Bei der Untersuchung räumlicher Prozesse im Hinblick auf Zeit spielen dabei verschiedene Ebenen eine Rolle. So werden Prozesse mit einer langen zeitlichen Reichweite (insb. geomorphologische und pedologische Entstehungsprozesse) ebenso untersucht wie Prozesse mittlerer zeitlicher Reichweite (z.B. kulturspezifische Entwicklungsprozesse oder anthropogen bedingte Umweltveränderungen) und Prozesse mit kurzfristiger zeitlicher Reichweite (z.B. Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen oder Raumkonflikte) (ebd.: 39ff.). Die Abbildung 26 verdeutlicht das Zusammenspiel von Raum und Zeit unter Berücksichtigung der verschiedenen zeitlich-dimensionalen Betrachtungsweisen. Es lässt sich erkennen, dass physisch-geographisch wie auch humangeographisch relevante Prozesse sowohl zeitgleich auch zeitversetzt ablaufen können und dabei immer im Zusammenhang mit ihrer räumlichen Dimension betrachtet werden müssen. Es verdeutlicht ebenso, dass verschiedene Räume unterschiedlich persistent gegenüber Veränderungen sind und dass die Veränderung oder Umgestaltung eines Raumes immer auch mit der zeitlichen Dimension verknüpft sind (Dürr & Zepp 2012: 93f.). So sind, wie in der Abbildung zu erkennen ist, beispielsweise die Prozesse der Talbildung und des Wachstums einer Megacity auf der zeitlichen Ebene gleich lang, in Bezug auf ihre räumliche Erstreckung jedoch unterschiedlich zu betrachten. Zeit und Raum können aus diesem Grund als komplementäre geographische Schlüsselkonzepte bezeichnet werden, welche eine
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gleichzeitige Analyse räumlicher Strukturen entlang ihrer zeitlichen Dimension sowohl in Bezug auf eine materielle als auch eine mental konstruierte Perspektive ermöglichen (Fögele 2016: 79). Auch bei diesem Schlüsselkonzept der zeitlichen Dimension lässt sich ohne weiteres eine zentrale Bedeutsamkeit in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit herstellen, denn nachhaltiges Handeln wie in Kapitel 2 dargestellt, bedeutet immer auch ein auf langfristiges auf Persistenz ausgelegtes Handeln, welches im totalen Gegensatz zu dem gesellschaftlich bestehenden kurzfristigen profitorientierten Handeln der Gegenwart steht. Eine Betrachtung gesellschaftlicher Wandelprozesse sollte demnach auch immer die zeitliche Dimension beinhalten, wie es eben in der geographischen Forschung bereits gängige Praxis ist.
Abbildung 23: Raum-Zeit-Prozesse in der Geographie
Eigene Darstellung verändert nach Dürr & Zepp, 2012: 93
Multiperspektivität Auf den ersten Blick wirkt der Begriff der Multiperspektivität im Gegensatz zu Raum, Maßstab und Zeit eher als Arbeits- oder besser Sichtweise denn als Schlüsselkonzept. Doch ein tieferer Blick verdeutlicht, dass auch hier ein zentrales Konzept vorliegt, welches sowohl für die Geographie als auch im Kontext der Findung von Lösungsansätzen für globale Konfliktlagen unbedingt in Betracht gezogen werden muss. Wie der Begriff bereits impliziert, meint Multiperspektivität ein Konglomerat an verschiedenen Betrachtungsweisen auf einen bestimmten Gegenstand. Tatsächlich lassen sich für diese Begrifflichkeit in der allgemeinen Literatur keine expliziten Definitionen finden (kein Eintrag im Duden), sodass er an dieser Stelle nur über seine sprachliche Zusammensetzung und Semantik erschlossen werden kann. Im Kontext der Geographie fällt der Begriff der Multiperspektivität jedoch enorm häufig. Wie bereits im Definitionskapitel aufgezeigt, bildet die multiperspektivische Sicht der Geographie eines ihrer Kernelemente. Die Verbindung natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Zusammenhänge wie sie in
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der Geographie vollzogen werden, ermöglichen es, komplexe Problemlagen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven zu betrachten und dadurch den Betrachtungsgegenstand als Ganzes besser begreifen zu können. Geographische Forschung lebt somit von der Einnahme verschiedener Perspektiven und den daraus resultierenden Erkenntnissen (Gebhardt et al. 2011: 11). In diesem Zusammenhang fällt ebenfalls häufig die Beschreibung der Geographie als ein interdisziplinäres und brückenbildendes Fach (Bätzing 1991: 105; Fögele 2016: 26) mit einer integrativen Denkweise (Mehren 2022: 7). Diese Bezeichnung wird jedoch auch oftmals kritisch betrachtet aufgrund einer daraus resultierenden Übersimplifizierung (Weichart 2008: 66). Multiperspektivität äußert sich jedoch nicht nur in der Verbindung aus physisch- und humangeographischen Betrachtungsweisen, sondern eben auch in der Einnahme einer räumlichen, maßstäblichen und zeitlichen Sicht. Somit könnte die Multiperspektivität auch als ein Schlüsselkonzept als Resultat aus der Kombination aller anderen Schlüsselkonzepte betrachtet werden. Gesellschaftliche Relevanz im Zusammenhang mit Multiperspektivität ist insbesondere auch wieder in Punkto Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Transformation zu sehen. Denn nachhaltiges Handeln auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene kann nur durch die Fähigkeit eines multiperspektivischen Denkens und Handels vollzogen werden. Somit bildet dieses Konzept eine Schlüsselvoraussetzung für eine Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit. An dieser Stelle muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass hier der Anspruch der Geographie und die Realität weit auseinander gehen. Physische- und Humangeographische Zusammenarbeit findet sich eher selten. Lange Zeit waren sogar eher gegensätzliche Tendenzen von immer weiter sich spezialisierenden geographischen Teildisziplinen einerseits und konkurrierenden methodischen Verfahren andererseits zu sehen (Bätzing 1991: 105f.; Weichart 2005: 122). Die Frage, ob der in der Geographie bestehende Dualismus der Ansätze von Human- und physischer Geographie wichtig ist, um die Eigenständigkeit der beiden Stränge herauszustellen, oder ob eine einheitliche Sichtweise gewinnbringender ist, wird bis heute mit den unterschiedlichsten Argumenten stark diskutiert (Fögele 2016: 25ff.; Viles 2005: 26). Glückler & Goeke konnten anhand einer Netzwerkanalyse zeigen, dass die Selbstzuschreibungen von Geograph*innen in Deutschland sich auch hauptsächlich auf die beiden Stränge der Human- und der physischen Geographie verteilen und dass diese auch jeweils gut vernetzt sind in den Teildisziplinen, nicht aber in der Verbindung der beiden Bereiche (Glückler & Goeke 2009: 268ff.). Im Nachhaltigkeitskontext gilt es, die multiperspektivische Sichtweise der Geographie als Stärke zu verstehen und alle Inhalte der Geographie gleichermaßen zu berücksichtigen (weiterführend dazu Kapitel 5.3.4 & 5.6). Auch Goudie argumentiert für eine Kombination beider Säulen und stellt hierbei sieben Themengebiete heraus, die als einheitlich geographisch behandelt werden und den Wert einer solchen Geographie verdeutlichen: Hazards & Katastrophen; der globale Wandel; die Erdsystemwissenschaft, anthropogene Einflüsse; das Anthropozän; Umweltgeschichte sowie das Landschaftsstudium (Goudie 2017: 19). Diese Gebiete weisen insbesondere zum Nachhaltigkeitskontext starke Bezüge auf. Ein Blick auf die Netzwerkstruktur der Geographie untermauert dies und zeigt, dass es insbesondere die Arbeitsbereiche der Geographie sind, die sich mit Umweltforschung auseinandersetzen (z.B. Umweltwahrnehmung oder Landschaftsfor-
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schung), die die größten interdisziplinären und somit multiperspektivischen Verknüpfungen von physischer und Humangeographie aufweisen (Glückler & Goeke 2009: 276).
Mensch-Umwelt-Beziehungen Dass die Geographie sowohl natur- als auch gesellschaftswissenschaftliche Inhalte thematisiert, ist bereits erörtert worden. Es wurde ebenfalls bereits aufgegriffen, dass human- und physische Geographie als Vertreter dieser beiden Wissenschaftsstränge sich zu eigenständig arbeitenden Teildisziplinen entwickelt haben und es nur wenig interdisziplinäre Projekte zwischen diesen beiden Säulen zu geben scheint (Dickel 2021: 23). Dennoch ist und bleibt die Betrachtung von Mensch und Umwelt und den dazwischenliegenden Relationen eine Grundfrage und somit Kernaufgabe der Geographie und könnte aus diesem Grund auch als das »Wesen des Fachs« bezeichnet werden (Egner 2008: 27f.). Dies spiegelt sich insbesondere im allseits bekannten 3-Säulen Modell der Geographie wider (Abbildung 27).
Abbildung 24: Das 3-Säulen-Modell der Geographie
Eigene Darstellung nach Weichart 2003: 25
Hier wird das Mensch-Umwelt-System als dritte tragende Säule der Geographie als Wissenschaft betrachtet, welche Schnittmengen sowohl aus der Human- als auch der physischen Geographie enthält. So wird die Mensch-Umwelt-Forschung in diesem Modell als eigenständiger Bereich abgegrenzt (Gebhardt et al. 2013: 75f.). Dieser bearbeitet somit ein eigenständiges Erkenntnisobjekt mit spezifischen Fragestellungen, die in den beiden anderen Säulen nicht auftauchen (Weichart 2003: 25). Jedoch ist an dieser Stelle zu postulieren, dass innerhalb der beiden Säulen Human- und physische Geographie immer auch eine Mensch-Umwelt-bezogene Sichtweise in den einzelnen Teildisziplinen zu finden ist (Dickel 2021: 23) und dies in den neuesten Entwicklungen auch durchaus weiter zu steigen scheint (siehe Kapitel 5.3.2). Wie bereits aufgezeigt, gilt dies auch insbesondere für die neuesten Entwicklungen der physischen Geographie, welche den Menschen vermehrt als Faktor im Umweltsystem einbezieht und dadurch automatisch Mensch-Umwelt-Zusammenhänge in den Blick nimmt. Das System Erde als Hauptuntersuchungsgegenstand der Geographie lässt sich in Zeiten von Anthropozän und Klimawandel auch nicht mehr nur rein naturwissenschaftlich oder gesellschaftswissenschaftlich betrachten, denn dafür sind Natur und Umwelt
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zu stark in einem System miteinander verbunden. Die Erde wird in der Geographie somit immer auch als ein Mensch-Umwelt-System analysiert (Fögele 2016: 75; Leser & Schneider-Sliwa 1999: 106ff.). Die Geographie kann aus diesem Grund als zentrale Mensch-Umwelt-Wissenschaft fungieren, da sie den Menschen immer im Zusammenhang mit seiner natürlichen Umgebung betrachtet und ihn sowohl als Auslöser sowie auch als Löser globaler Konfliktlagen betrachtet. Der Mensch wird dadurch zum Instrument zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts innerhalb des gesamten Mensch-Umwelt-Systems (Ehlers 1998: 341). Dabei stehen insbesondere die Wechselwirkungen zwischen sozialräumlichen und naturräumlichen Teilsystemen im Vordergrund (Rempfler & Uphues 2011: 22). Hinzu kommt, dass die Geographie als einzige der Umweltwissenschaften die Wechselverhältnisse sowie Interrelationen von Geosphäre und Anthroposphäre auf den Ebenen Raum, Maßstab und Zeit untersucht und dadurch eine ganzheitliche MenschUmwelt-Forschung betreibt (Ehlers 1998: 347). Insbesondere im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und der damit verbundenen enormen Themenvielfalt in Bezug auf globale Konfliktlagen, erscheint eine solche Betrachtungsweise wie sie hier dargestellt ist, als essenziell. Das Verständnis eines reflektierten Mensch-Umwelt-Verhältnisses auf einer hermeneutischen Ebene als ein Schlüsselkonzept der Geographie ist somit von maßgeblicher Bedeutung auch für die zukünftige Identität der Geographie (Dickel 2021: 25). Es sei jedoch angemerkt, dass die Diskussion über die Mensch-Umwelt-Forschung innerhalb der Fach-Community sehr kontrovers verläuft. Die auch als Metapher betitelte dritte Säule der Geographie (Weichart 2005: 111) wird oftmals als inhaltsleere Floskel kritisiert, insbesondere wenn dadurch die Geographie als Integrationsfach mit dem Alleinstellungsmerkmal der Kombination natur- und sozialwissenschaftlicher Inhalte beworben wird (Gebhardt 2005: 28). Es gilt demnach im Kontext von Fragen der sozialökologischen Transformation, mensch-umwelt-bezogene Forschungen innerhalb wie auch außerhalb der Geographie zu stärken und sie mit standfesten Inhalten zu füllen, die den Wert solcher Arbeits- und Denkweisen verdeutlichen.
5.3.4 Nachhaltigkeit als geographisches Kernkonzept der Gegenwart?! Die hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit stehenden Konzeptvorstellungen und Inhalte wurden bereits in Kapitel 3 ausführlich aufgezeigt, sodass es nun darum gehen soll, die Geographie und ihre Zusammenhänge damit in Verbindung zu bringen. Obwohl die Verbindung von Geographie und Nachhaltigkeit im gesamten Kontext dieser Arbeit als zentral bedeutsam erachtet wird, wird es an dieser Stelle als letztes geographisches Schlüsselkonzept thematisiert. Dies beutet jedoch keinesfalls, dass es in seiner Wertigkeit den anderen Schlüsselkonzepten nachsteht, sondern vielmehr durch seine Inhalte ein Konglomerat aus allen vorangegangenen Schlüsselkonzepten bildet und aus diesem Grund als Kernkonzept oder Kernthema einer Geographie der Gegenwart angesehen werden kann (Dorling & Lee 2016: 100). So weist auch die UN geographischen Schlüsselkonzepten im Hinblick auf den Nachhaltigkeitskontext eine zentrale Bedeutung zu: »Articulating geographical facts along core concepts of geography – such as place, space, scale or environment – helps us to look at Sustainable Development issues with
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zu stark in einem System miteinander verbunden. Die Erde wird in der Geographie somit immer auch als ein Mensch-Umwelt-System analysiert (Fögele 2016: 75; Leser & Schneider-Sliwa 1999: 106ff.). Die Geographie kann aus diesem Grund als zentrale Mensch-Umwelt-Wissenschaft fungieren, da sie den Menschen immer im Zusammenhang mit seiner natürlichen Umgebung betrachtet und ihn sowohl als Auslöser sowie auch als Löser globaler Konfliktlagen betrachtet. Der Mensch wird dadurch zum Instrument zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts innerhalb des gesamten Mensch-Umwelt-Systems (Ehlers 1998: 341). Dabei stehen insbesondere die Wechselwirkungen zwischen sozialräumlichen und naturräumlichen Teilsystemen im Vordergrund (Rempfler & Uphues 2011: 22). Hinzu kommt, dass die Geographie als einzige der Umweltwissenschaften die Wechselverhältnisse sowie Interrelationen von Geosphäre und Anthroposphäre auf den Ebenen Raum, Maßstab und Zeit untersucht und dadurch eine ganzheitliche MenschUmwelt-Forschung betreibt (Ehlers 1998: 347). Insbesondere im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und der damit verbundenen enormen Themenvielfalt in Bezug auf globale Konfliktlagen, erscheint eine solche Betrachtungsweise wie sie hier dargestellt ist, als essenziell. Das Verständnis eines reflektierten Mensch-Umwelt-Verhältnisses auf einer hermeneutischen Ebene als ein Schlüsselkonzept der Geographie ist somit von maßgeblicher Bedeutung auch für die zukünftige Identität der Geographie (Dickel 2021: 25). Es sei jedoch angemerkt, dass die Diskussion über die Mensch-Umwelt-Forschung innerhalb der Fach-Community sehr kontrovers verläuft. Die auch als Metapher betitelte dritte Säule der Geographie (Weichart 2005: 111) wird oftmals als inhaltsleere Floskel kritisiert, insbesondere wenn dadurch die Geographie als Integrationsfach mit dem Alleinstellungsmerkmal der Kombination natur- und sozialwissenschaftlicher Inhalte beworben wird (Gebhardt 2005: 28). Es gilt demnach im Kontext von Fragen der sozialökologischen Transformation, mensch-umwelt-bezogene Forschungen innerhalb wie auch außerhalb der Geographie zu stärken und sie mit standfesten Inhalten zu füllen, die den Wert solcher Arbeits- und Denkweisen verdeutlichen.
5.3.4 Nachhaltigkeit als geographisches Kernkonzept der Gegenwart?! Die hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit stehenden Konzeptvorstellungen und Inhalte wurden bereits in Kapitel 3 ausführlich aufgezeigt, sodass es nun darum gehen soll, die Geographie und ihre Zusammenhänge damit in Verbindung zu bringen. Obwohl die Verbindung von Geographie und Nachhaltigkeit im gesamten Kontext dieser Arbeit als zentral bedeutsam erachtet wird, wird es an dieser Stelle als letztes geographisches Schlüsselkonzept thematisiert. Dies beutet jedoch keinesfalls, dass es in seiner Wertigkeit den anderen Schlüsselkonzepten nachsteht, sondern vielmehr durch seine Inhalte ein Konglomerat aus allen vorangegangenen Schlüsselkonzepten bildet und aus diesem Grund als Kernkonzept oder Kernthema einer Geographie der Gegenwart angesehen werden kann (Dorling & Lee 2016: 100). So weist auch die UN geographischen Schlüsselkonzepten im Hinblick auf den Nachhaltigkeitskontext eine zentrale Bedeutung zu: »Articulating geographical facts along core concepts of geography – such as place, space, scale or environment – helps us to look at Sustainable Development issues with
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a ›geographer’s eye‹ and contributes to the holistic approach inherent in Sustainable Development and global citizenship« (UN 2017: 102) Hierin liegt auch die Begründung für die deutlich ausführlichere Behandlung dieses Schlüsselkonzeptes und seiner Zusammenhänge. Dieses Zitat verdeutlicht, dass es insbesondere Wissenszusammenhänge auf räumlicher, örtlicher und maßstäblicher Ebene sind, die im Nachhaltigkeitskontext von großer Bedeutung sind. Ein geographischer Blick mit diesen Konzepten ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung wie sie der Nachhaltigkeitskontext erfordert. Nachhaltigkeit ist nicht erst seit Ende des 20. Jahrhunderts ein Thema der Geographie, denn die Auswirkungen menschlichen Handels auf natürliche Ressourcen wurden bereits vor über 100 Jahren in der Geographie thematisiert (Fünfgeld & Mössner 2019: 146). Übergeordnet wird der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Geographie alleine schon an den Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie und Soziales), die auch in der Geographie schon immer eine Rolle spielen (Fünfgeld & Mössner 2019: 147) als auch an den globalen Problemstellungen, die es im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft zu lösen gilt, deutlich. Der Geographie kommt dabei durch ihre problemorientierte Arbeitsweise im Zusammenhang mit den globalen Konflikten der Gegenwart ein hoher Stellenwert zu (Bätzing 1991: 105). Dies manifestiert sich in Teilthemen wie beispielsweise Klimawandel und seine Prozesse, Klimagerechtigkeit sowie Vulnerabilität und Resilienz, welche nicht nur im Kontext von Nachhaltigkeit hochaktuell sind, sondern eben auch seitens der Geographie schon seit langem thematisiert und beforscht werden (Sultana 2018: 187). Weitere Aspekte des globalen Wandels wie Digitalisierung, globale Ungerechtigkeit und Migrationsströme werden ebenfalls von der Geographie thematisiert und zeigen ihr enormes Potenzial für die Beantwortung von existenziellen Fragen des »Lebens und Überlebens auf unserer Erde (…) und dass sie Orientierung für aktuelle und zukünftige Probleme bieten kann« (Dickel 2021: 24). Sie ist eine Wissenschaft, welche einen starken inhaltlichen Bezug zu den Konsequenzen des gegenwärtigen Wirtschaftssystems sowie gesellschaftlichen Konfliktlagen (z.B. Ressourcenverteilung & Klimawandel) und dem damit einhergehenden Thema der Nachhaltigkeit aufweist (Schlottmann 2021: 41). Bojie hat in seiner Metastudie herausgestellt, dass die maßgeblichen Themengebiete im Kontext von Publikationen mit dem Link von Geographie und Nachhaltigkeit sich in den Themen Energie, Ressourcen, Tourismus, Ernährung, Landnutzung, Industrie, Wasser, Kultur, Klima sowie Landwirtschaft und Gesundheit manifestieren (Bojie 2020: 2). Allein diese Bandbreite an sich überschneidenden Themen untermauert schon die Bedeutung der Geographie im Nachhaltigkeitskontext. Bereits 1992 wurden in der International Charter on Geographical Education folgende geographische Kompetenzen hervorgehoben, die im Kontext der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung von Relevanz sind und dementsprechend der breiten gesellschaftlichen Masse vermittelt werden sollten (IGU 1992: 7ff.): • •
Wissen und Verständnis über: die grundlegenden natürlichen Systeme der Erde sowie den Interaktionen zwischen diesen Systemen Wissen und Verständnis über: die grundlegenden sozioökonomischen Systeme der Erde sowie deren Zusammenhänge
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Wissen und Verständnis über: den Einfluss natürlicher Gegebenheiten für anthropogene Handlungen Wissen und Verständnis über: verschiedene Möglichkeiten der Raumgestaltung unter Berücksichtigung von Kultur, Religion sowie technischen, wirtschaftlichen und politischen Systemen Fähigkeiten in der Nutzung von Kommunikations-, Denk- und praktischen Handlungsweisen auf verschiedenen Maßstabsebenen zur Erschließung der genannten Themen Haltungen und Wertvorstellungen für ein Engagement zur Lösung globaler Problemstellungen auf allen Maßstabsebenen von lokal bis global
Die Geographie positioniert sich demnach allein durch ihr fachliches Selbstverständnis einer disziplinübergreifenden Mensch-Umwelt-Wissenschaft genau an der im Kontext Nachhaltigkeit zentralen Schnittstelle zwischen Mensch und Natur (Coy 2007: 7). Im Zuge von gesellschaftlichen Konfliktlagen und den damit einhergehenden Globalisierungsprozessen sowie sozioökonomischen und ökologischen Folgen, die es in Punkto nachhaltiger Entwicklung zu lösen gilt, nimmt die Geographie durch ihre zahlreichen Anknüpfungspunkte eine zentrale Stellung ein. Wenn es im Zusammenhang einer sozial-ökologischen Transformation also um die Entwicklung von Szenarien potenzieller Lösungsansätze sowohl auf der gesellschaftlichen als auch einer globalräumlichen Ebene geht, kann die Geographie aufgrund ihres interdisziplinär breit angelegten Themenspektrums somit einen direkten Beitrag zur Lösung solch gesellschaftlicher Herausforderungen erbringen (ebd.: 10). Denn eine der Hauptaufgaben der Geographie liegt bekanntlich in der Analyse eben solcher soziökonomischen und ökologischen Relationen im System Erde und das auf den unterschiedlichen Ebenen von Raum, Maßstab sowie Zeit und den daraus resultierenden Wechselwirkungen und Kausalzusammenhängen, was im Vergleich zu anderen Umweltwissenschaften durchaus als Alleinstellungsmerkmal angesehen werden kann und für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung von essenzieller Bedeutung ist (ebd.: 7). Die Orientierung der nachhaltigen Entwicklungsdebatte an Grundsatzthemen wie dem Schutz von Umwelt und ihren natürlichen Gegebenheiten, Ressourcen(über)nutzung sowie anthropogenen Belangen sozioökonomischer und kultureller Natur findet sich in besonderem Maße in den Teildisziplinen der Geographie wie beispielsweise Kultur-, Wirtschafts-, Sozial- und der gesamten physischen Geographie wieder (Coy 2007: 7). Nach Coy sind im Kontext der Nachhaltigkeit als geographischem Schlüsselkonzept insbesondere folgende Leitthemen von zentraler Bedeutung (Coy 2007: 7f.): • • • •
Vulnerabilität und Resilienz von Ökosystemen unter anthropogenem Einfluss Gesellschaftliche Kontextualisierung von Umweltproblemen insbesondere auf der Ebene verschiedener Akteure und Machtkonstellationen Unterschiede gesellschaftlicher Akteure in Bezug auf ihr Handeln im Kontext Nachhaltigkeit Chancen & Herausforderungen bestehender traditioneller und moderner Nachhaltigkeitsstrategien
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Synthetisierung bedeutsamer Raumkategorien im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung Lösungsansätze einer nachhaltigen Transformation für nicht-nachhaltige Milieus
In diesen konkreten Leitthemen findet sich beinahe die gesamte Bandbreite geographischer Forschung wieder und dabei stellen sie lediglich einige der relevanten Themen im Kontext von nachhaltiger Entwicklung und sozial-ökologischer Transformation dar. Auf eine Erweiterung dieser Leitthemen wird in Kapitel 5.6 eingegangen, wenn es um die konkrete Verbindung von geographischen Inhalten und den spezifischen Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 geht. Bei der Betrachtung der Forschungsliteratur zum Thema Nachhaltigkeit fällt auf, dass geographische Beiträge hier deutlich häufiger vertreten sind als die anderer Wissenschaften. Gleiches gilt auch für praxisbezogene Nachhaltigkeitsprojekte sowohl auf lokaler und regionaler als auch auf internationaler Ebene (Wiesmann & Messerli 2007: 123). Dies unterstreicht erneut die Bedeutsamkeit von Nachhaltigkeit als geographischem Schlüsselkonzept. So ist es nicht verwunderlich, dass das Thema Nachhaltigkeit nach der unruhigen Entwicklungsphase der Geographie bis zum Ende des 20. Jahrhunderts von vielen als eine Art »Rettungsanker« für die fachliche Relevanz der Geographie als Forschungsdisziplin betrachtet wurde (ebd.: 124). Insbesondere die integrative Arbeitsweise unterschiedlicher Forschungsstränge, die im Zuge des Nachhaltigkeitskonzepts gefordert wird, ist für die geographische Forschung wie geschaffen, denn Analysen entlang der natur-, kultur- und sozialräumlichen Dimension sind ja traditionell geographischer Natur und bilden gleichzeitig die Grundvoraussetzung für Lösungsansätze im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln. Auch der thematische Fokus auf Ressourcen und Raumnutzung im Kontext des Zusammenwirkens diverser verschiedenartiger Phänomene des Natur-, Kultur- und Sozialraumes erfordert eine integrative und interdisziplinäre Arbeitsweise, wie sie insbesondere die Geographie leistet (ebd.: 125). Darüber hinaus erfordert das Nachhaltigkeitskonzept einen Zusammenschluss von System-, Ziel-, und Transformationswissen auf einer eindeutig bezugsorientierten disziplinären Ebene, was in vielen anderen Umweltwissenschaften nicht gegeben ist, in der Geographie jedoch durchaus potenziell möglich zu sein scheint. Insbesondere die Beliebigkeit des Raumbezuges stellt in der Nachhaltigkeitsforschung ein häufig auftretendes Problem dar, welches im Kontext geographischer Forschungsansätze von vorneherein gar nicht erst auftritt (ebd.: 132f.). Die Geographie fungiert hier demnach als Problemlöser von Forschungsproblemen im Kontext Nachhaltigkeit, die in anderen benachbarten Disziplinen bisher nicht gelöst werden konnten. Ein weiteres Postulat, welches im Nachhaltigkeitskontext stetig an Bedeutung gewonnen hat, lässt sich im Begriff der Erdsystemanalyse wiederfinden. Eine solche allumfassende Analyse gesellschaftlicher und natürlicher Erdzusammenhänge im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit fordert per se eine integrativ-holistische Betrachtungsweise, wie sie der Geographie durch ihre Themenvielfalt bereits inhärent ist (Ehlers 2004: 85). Die Geographie als Wissenschaft systemischen Denkens stellt in all Ihren Teilgebieten den Link zwischen Umwelt und Gesellschaft sowie Wissenschaft und Politik her, woraus sich eine Schlüsselrolle im Kontext der erforderlichen neuen Denkweisen für eine nachhaltige Entwicklung ergibt (Peng et al. 2020: 27). Diese transdisziplinäre Denk- und
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Arbeitsweise, ist im Nachhaltigkeitskontext essenziell, sodass eine nachhaltigkeitsbezogene Forschung einen geographischen Wissensinput schon per se erforderlich macht (Bojie 2020: 2).
Abbildung 25: Die Schlüsselkonzepte der Geographie der Gegenwart
Eigene Darstellung
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Konzept der Nachhaltigkeit als das zentrale geographische Schlüsselkonzept fungieren kann und sollte, da es alle anderen Schlüsselkonzepte wie Raum, Maßstab, Zeit, Multiperspektivität, Inter- und Transdisziplinarität sowie Mensch-Umwelt-Beziehungen in sich vereint und geographische Forschungen hier ein enormes Potenzial für die Erforschung konkreter Lösungsansätze im Kontext der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft bieten. Der Geographie kann hier aufgrund ihres Wesens als Querschnittsdisziplin zwischen Natur- Sozial- und Geisteswissenschaften und im Zusammenspiel mit ihren Schlüsselkonzepten durchaus ein Vorteil gegenüber anderen Wissenschaften eingeräumt werden, wenn es darum geht, ein ganzheitliches Verständnis der Erde zu vermitteln, wie es im Nachhaltigkeitskontext notwendig ist. Die Geographie kann somit durchaus als Wissenschaft der Nachhaltigkeit bezeichnet werden (Meadows 2020: 89). Nachhaltigkeit fungiert dabei als Leitlinie für die vielen verschiedenen Forschungsansätze der Geographie und wird dabei sowohl fragmentiert in den einzelnen Teildisziplinen als auch interdisziplinär beforscht (Fünfgeld & Mössner 2019: 158). Gleichzeitig geht mit diesem Verständnis und der dem Fach inhärenten Analyse der Mensch-Umwelt-Beziehung auch eine Verantwortung der Geographie einher, denn Mensch (Gerechtigkeit) und Umwelt (Achtsamkeit) stellen die beiden Regulative der Nachhaltigkeit dar (Laub 2021: 205). Geographisch zu forschen und
5 Wissen und Geographie
zu handeln bedeutet in diesem Kontext auch eine klare Positionierung bei Fragen der zukünftigen Gestaltung des Überlebens und Lebens der Gesellschaft auf der Erde (Dickel 2021: 26). Geographie kann demnach als Schlüssel gesehen werden, für das Verständnis unserer zunehmend vernetzten, überfüllten und ökologisch anfälligen Welt (Murphy 2018: 132). Dabei geht es nicht darum, eine Einheitsgeographie anzustreben, sondern viel mehr Nachhaltigkeit für alle Teildisziplinen und Forschungsrichtungen der Geographie als übergeordnetes und vereinendes Element zu verstehen und zu thematisieren, als metaphorische Erdkruste, welche als die äußere Hülle die Erde umgibt (Abbildung 28).
5.4
Geographie in der Gesellschaft – Wahrnehmung einer Forschungsdisziplin
Bevor es zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens und den dahintersteckenden Denkweisen und Inhalten kommt, ist es zunächst von zentraler Bedeutung, sich mit der aktuellen gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geographie auseinanderzusetzen. Was wird mit dem Begriff assoziiert? Was versteht die Allgemeinheit unter Geographie und welche Inhalte werden dazugezählt? Kurzum welches Image hat die Geographie als Forschungsdisziplin gegenwärtig? Daran anknüpfend kann dann der Begriff »geographisches Wissen« aus der fachwissenschaftlichen Perspektive beleuchtet werden, um anschließend einen Abgleich beider Sichtweisen vollziehen zu können. Insgesamt betrachtet, wurde dieser Thematik in der Forschung bisher noch eher wenig Beachtung geschenkt. Johnston spricht bezüglich der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung von einer »Geographie-macht-alles«Vorstellung von Nicht-Geograph*innen (Johnston 2005: 9) In Deutschland existieren einige aktuelle Fallstudien, die sich mit dem gesellschaftlichen Image der Geographie beschäftigen, dennoch handelt es sich dabei nur um eine sehr geringe Anzahl. Zudem liegt der Fokus hier meistens auf der Bedeutung der Geographie als Schulfach und weniger im gesamtgesellschaftlichen Kontext als Forschungsdisziplin. Daher werden im Folgenden nur die diesbezüglich relevanten Erkenntnisse der Forschung synthetisiert und dargestellt. So wurden in einer breit angelegten Studie Personen befragt, die die Öffentlichkeit repräsentieren sowie Medienvertreter und Personalverantwortliche. Bei den freien Assoziationen zu der Fragestellung, was unter dem Begriff Geographie zu verstehen ist, waren die vier am häufigsten genannten Begriffe Länder, Erdkunde, Karten sowie Schule (Gans 2015: 37). Weitere Assoziationen beziehen sich dabei auf Räume, die Erde, das Reisen sowie allgemeine naturräumliche Begrifflichkeiten wie beispielsweise Flüsse, Gebirge, Ozeane etc. Es lässt sich erkennen, dass dabei die Hauptthemen, die mit Geographie in Verbindung gebracht werden, die Erde an sich als Raum mit ihren Landschaften, Erdkunde als Schulfach sowie Karten zu sein scheinen. Vertiefende und deutlich weniger genannte inhaltliche Assoziationen wie beispielsweise Klimawandel oder Landnutzung haben dabei einen eindeutig mehrheitlichen physisch-geographischen Schwerpunkt (ebd.: 38f.). Alle Antworten, von denen einige oftmals nur einmalig genannt wurden, lassen sich in mehrere Kategorien unterteilen. Darunter fallen zum Beispiel allgemeine Raumbe-
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5 Wissen und Geographie
zu handeln bedeutet in diesem Kontext auch eine klare Positionierung bei Fragen der zukünftigen Gestaltung des Überlebens und Lebens der Gesellschaft auf der Erde (Dickel 2021: 26). Geographie kann demnach als Schlüssel gesehen werden, für das Verständnis unserer zunehmend vernetzten, überfüllten und ökologisch anfälligen Welt (Murphy 2018: 132). Dabei geht es nicht darum, eine Einheitsgeographie anzustreben, sondern viel mehr Nachhaltigkeit für alle Teildisziplinen und Forschungsrichtungen der Geographie als übergeordnetes und vereinendes Element zu verstehen und zu thematisieren, als metaphorische Erdkruste, welche als die äußere Hülle die Erde umgibt (Abbildung 28).
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Geographie in der Gesellschaft – Wahrnehmung einer Forschungsdisziplin
Bevor es zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens und den dahintersteckenden Denkweisen und Inhalten kommt, ist es zunächst von zentraler Bedeutung, sich mit der aktuellen gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geographie auseinanderzusetzen. Was wird mit dem Begriff assoziiert? Was versteht die Allgemeinheit unter Geographie und welche Inhalte werden dazugezählt? Kurzum welches Image hat die Geographie als Forschungsdisziplin gegenwärtig? Daran anknüpfend kann dann der Begriff »geographisches Wissen« aus der fachwissenschaftlichen Perspektive beleuchtet werden, um anschließend einen Abgleich beider Sichtweisen vollziehen zu können. Insgesamt betrachtet, wurde dieser Thematik in der Forschung bisher noch eher wenig Beachtung geschenkt. Johnston spricht bezüglich der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung von einer »Geographie-macht-alles«Vorstellung von Nicht-Geograph*innen (Johnston 2005: 9) In Deutschland existieren einige aktuelle Fallstudien, die sich mit dem gesellschaftlichen Image der Geographie beschäftigen, dennoch handelt es sich dabei nur um eine sehr geringe Anzahl. Zudem liegt der Fokus hier meistens auf der Bedeutung der Geographie als Schulfach und weniger im gesamtgesellschaftlichen Kontext als Forschungsdisziplin. Daher werden im Folgenden nur die diesbezüglich relevanten Erkenntnisse der Forschung synthetisiert und dargestellt. So wurden in einer breit angelegten Studie Personen befragt, die die Öffentlichkeit repräsentieren sowie Medienvertreter und Personalverantwortliche. Bei den freien Assoziationen zu der Fragestellung, was unter dem Begriff Geographie zu verstehen ist, waren die vier am häufigsten genannten Begriffe Länder, Erdkunde, Karten sowie Schule (Gans 2015: 37). Weitere Assoziationen beziehen sich dabei auf Räume, die Erde, das Reisen sowie allgemeine naturräumliche Begrifflichkeiten wie beispielsweise Flüsse, Gebirge, Ozeane etc. Es lässt sich erkennen, dass dabei die Hauptthemen, die mit Geographie in Verbindung gebracht werden, die Erde an sich als Raum mit ihren Landschaften, Erdkunde als Schulfach sowie Karten zu sein scheinen. Vertiefende und deutlich weniger genannte inhaltliche Assoziationen wie beispielsweise Klimawandel oder Landnutzung haben dabei einen eindeutig mehrheitlichen physisch-geographischen Schwerpunkt (ebd.: 38f.). Alle Antworten, von denen einige oftmals nur einmalig genannt wurden, lassen sich in mehrere Kategorien unterteilen. Darunter fallen zum Beispiel allgemeine Raumbe-
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griffe, Phänomene der physischen und anthropogenen Welt, Prozesse & Ereignisse sowie bildungs- und materialbezogene Assoziationen. Auffällig dabei ist jedoch, dass bei der ausschließlichen Betrachtung der Erstnennungen die drei Kategorien Raumbegriffe Allgemein, Medien und Methoden der Orientierung (Karten etc.) sowie Unterricht und Bildung beinahe zwei Drittel aller Nennungen einnehmen (ebd.: 40). Es scheint demnach ganz so, als wären insbesondere die länderkundlichen Inhalte wie sie in der Vergangenheit der Geographie im Fokus standen sowie der Bildungsbezug zu Erdkunde als Schulfach die häufigsten Assoziationen, die das gegenwärtige gesellschaftliche Image der Geographie prägen. Gans stellt in diesem Zusammenhang auch heraus, dass beinahe alle Probanden Geographie als Schulfach hatten und somit die Prägung der allerersten Assoziationen zum Begriff Geographie größtenteils mit den schulischen Erfahrungen in diesem Fach zusammenhängen, wo der Raumbezug wie auch Karten als Methode häufig im Fokus stehen. Es zeigt jedoch auch, dass die Geographie als Wissenschaft gesellschaftlich eine untergeordnete Bedeutung zu haben scheint (ebd.: 41). In Bezug auf das Alter und dessen Auswirkung auf die Assoziationen lässt sich konstatieren, dass insbesondere jüngere Probanden (unter 43 Jahre) vermehrt auch Bezüge zu vertiefenden geographischen Inhalten und aktuellen Themen herstellen, wohingegen ältere Probanden (über 53 Jahre) eher Prozesse und Ereignisse sowie das Reisen mit der Geographie verbinden. Dies lässt sich mit dem Paradigmenwechsel der Geographie nach Kiel in Verbindung bringen (ebd.: 42f.). Bei einem Vergleich der Probanden aus der Bevölkerung mit denen aus Medien und Personalvertretung zeigen sich signifikante Unterschiede. So stellen die beiden letztgenannten Gruppen einen deutlich größeren Bezug zur Geographie als wissenschaftlicher Disziplin in ihren Assoziationen dar. In der Gruppe der Bevölkerung liegt dies nur dann vor, wenn nachgewiesene Kontakte zu Geograph*innen innerhalb des Bekanntenkreises der Probanden bestehen (ebd.: 45f.). Im Kontext der gesellschaftlichen Sicht auf die Geographie als Schulfach lässt sich im Zusammenhang dieser Arbeit resümieren, dass ein überwiegend positives Gesamtbild besteht. Dabei steht insbesondere die Bedeutung der Geographie im Zusammenhang mit Allgemeinbildung, dem Verständnis räumlicher Phänomene aber auch von MenschUmwelt-Beziehungen im Fokus. Inhaltlich wird insbesondere die Thematisierung von Umweltproblemen als essenziell bewertet, wobei physisch-geographischen Themen eine stärkere Gewichtung zukommt als humangeographischen Themen (Hemmer et al. 2015: 62). Die Geographie als Schulfach scheint demnach als gesellschaftlich bedeutsam betrachtet zu werden. Interessant ist die Herausstellung der Wichtigkeit von Umweltproblemen sowie der Wichtigkeit von Geographie im Kontext einer Allgemeinbildung. Es lässt sich erkennen, dass die Bedeutung der Geographie im Hinblick auf aktuelle Problemlagen einer sozial-ökologischen Transformation zumindest in Punkto Schulfach als relevant erachtet wird. Eine andere Studie hatte bereits vorher belegt, dass die Geographie als Wissenschaft oftmals mit der Geographie als Schulfach gleichgesetzt wird und darüber hinaus auch inhaltlich mit benachbarten Wissenschaften wie beispielsweise der Geologie gleichgesetzt oder sogar verwechselt wird (Monheim et al. 1999: 47). Doch wie wird die Geographie als Wissenschaft gegenwärtig gesellschaftlich wahrgenommen? Um dieser Frage nachzugehen, wurde den Probanden, die die Bevölkerung repräsentieren, die Frage nach spezifischen vorgegebenen Forschungsthemen und deren Zusammenhang zur Geographie gestellt. Die dabei am häufigsten mit der Geographie in
5 Wissen und Geographie
Verbindung gebrachten Themen waren Naturrisiken, Klimaforschung sowie Umweltprozesse & Naturgefahren. Themenfelder wie Nachhaltigkeit, Bevölkerung, Stadt, Wirtschaft oder Verkehr wurden nur in geringem Maße mit der wissenschaftlichen Geographie in Verbindung gebracht, wobei alle genannten Themen eine mindestens 50 %-ige Zustimmung als geographisches relevantes Teilthema zugesprochen wurde (Heckmann & Horn 2015: 65). Aus diesen Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass Themen aus dem Bereich Georisiken & Umwelt als gesellschaftlich bedeutsamer eingeschätzt werden als die Bereiche Länder & Regionen sowie Gesellschaft & Ökonomie (ebd.: 66). Im Kontext der gesellschaftlichen Bewertung der Relevanz der Geographie als Wissenschaft lässt sich anführen, dass der Geographie mehrheitlich zugeschrieben wird, zentrale Fragen unseres Planeten zu beantworten (75 %) sowie wichtige Erkenntnisse für das gesellschaftliche Leben zu liefern (50 %) (vorgegebene Aussagen). In Bezug auf das Verständnis komplexer Mensch-Umwelt-Beziehungen wird der Geographie hingegen keine große Bedeutung zugeschrieben (ebd.: 67). Die Wahrnehmung der Geographie in der Öffentlichkeit als nachhaltigkeitsrelevantes Kernfach liegt somit nicht vor, was sich besonders deutlich in der Schwächung des Schulfaches Erdkunde in vielen deutschen Bundesländern zeigt (Schlottmann 2021: 41f.). Aus Sicht der Medienvertreter*innen sind die zentralen Forschungsinhalte der Geographie Themen des Klimawandels, der Bevölkerung sowie der Erdstruktur. Auch hier assoziieren die meisten die Geographie eher mit naturwissenschaftlichen als gesellschaftswissenschaftlichen Inhalten (Heckmann & Horn 2015: 70). Im Hinblick auf die Frage, bei welchen Themenbereichen die Medienvertreter*innen Geographen*innen als Experten*innen hinzuziehen würden, wurden die Gebiete Naturkatastrophen, Hochwasser sowie Nutzung natürlicher Ressourcen an erster Stelle genannt. In Punkto Tourismus, Stadtentwicklung sowie Entwicklungsländer steht die Geographie an zweiter Stelle. Bei den Themenbereichen Globalisierung, Nachhaltigkeit oder Wirtschaftsförderung steht die Geographie an der letzten Stelle (ebd.: 71). Hier zeigt sich, dass das Image der Geographie in der Bevölkerung auch stark mit der medialen Welt zusammenhängt. Der gesellschaftswissenschaftliche Zweig, der interdisziplinäre Charakter allgemein sowie auch die Bedeutung des Faches im Kontext von Nachhaltigkeit und Mensch-Umwelt-Beziehungen scheinen sowohl in den Medien als auch in der Bevölkerung eher weniger wahrgenommen zu werden. Eine weitere erwähnenswerte Studie in diesem Kontext befragte Geographieexpert*innen sowie Medienvertreter*innen zum Image der Geographie und den zugrundeliegenden Ursachen (Adick, 2015). Hierbei wird deutlich, dass das Image der Geographie vor allem im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsarbeit und medialen Kommunikation der Disziplin betrachtet werden sollte, denn diese hat laut den Befragten Geographiehochschullehrer*innen und Medienvertreter*innen den größten Einfluss (Adick 2015: 92). Doch es zeigte sich auch, dass das Fremdimage der Geographie gerade auch aufgrund seiner medialen Prägung nicht deckungsgleich mit dem Eigenimage der Geograph*innen zu sein scheint. Zusätzlich zu der als sehr gering einzustufenden medialen Präsenz des Faches, seien beispielsweise physische Geographen*innen eher in den internationalen Medien präsent und humangeographische eher in der nationalen Medienlandschaft, was dazu führt, dass diffuse Imagevorstellungen zur Geographie sowohl innerhalb des Faches bestehen als auch an die Medien weitergegeben werden und
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
somit letztendlich in die Gesellschaft gelangen (ebd.: 93). Die Spaltung von physischer und Humangeographie wie sie in der Historie bereits mehrfach thematisiert wurde, scheint sich demnach auch in der medialen Präsenz widerzuspiegeln. So vertreten physische Geograph*innen in den Medien nicht das Image der Geographie als Brückenfach, sondern verstehen sich als reine Naturwissenschaftler*innen (ebd.: 94). Dies hat letztendlich auch einen Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung der Geographie und begründet zumindest zu Teilen die stärkere Bedeutungszuschreibung physisch-geographischer Inhalte als Kern des Faches, die aus der vorangegangenen Studie eruiert wurde. Die fachinterne Uneinigkeit über die gesellschaftliche Aufgabe der Geographie verhindert somit ein geschärftes Fremdimage des Faches, welches jedoch notwendig ist, wenn die enorme gesellschaftliche Bedeutung der Geographie und somit geographischen Wissens im Kontext der sozial-ökologischen Transformation allgemeinhin bewusst gemacht werden soll. Bonnett beschäftigt sich mit der Darstellung geographischer Inhalte außerhalb schulischer und universitärer Bildung. So zeigt sich, dass massenpopuläre Zeitschriften wie National Geographic sowie dem dazugehörigen Fernsehsender National Geographic Channel sich enormer Beliebtheit in der Gesellschaft erfreuen und somit rein bezogen auf die Publikumsgröße als eine der am weitesten verbreiteten disziplinbezogenen Beschäftigungen in der medialen Welt betrachtet werden können (Bonnett 2003: 56). Diese Medien verbreiten eine Sichtweise der Geographie, die die Nicht-Isoliertheit der Disziplin als eine Stärke herausstellt, die es den Menschen ermöglicht, über den eigenen Horizont hinauszuschauen und zu lernen, den Blick auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zu lenken und diese dadurch besser zu verstehen (ebd.). Dies zeigt, dass das Image des Faches nicht nur durch seine universitäre oder schulische Repräsentation geprägt wird, sondern in der gegenwärtigen und zunehmend digitalisierten Welt eben auch durch die mediale Repräsentation. Die Studien zeigen auch, dass es nicht das eine Image oder die eine Wahrnehmung des Faches geben kann. Insbesondere im Kontext der geographischen Wissensvermittlung sollte der Aufbau eines einheitlichen und »richtigen« Images auch gar nicht der Anspruch sein. Vielmehr ist es im Kontext der vorliegenden Arbeit wichtig, das geographische Wissen aus den einzelnen Teildisziplinen zu vermitteln, welches zur Lösung globaler Problemstellungen sowohl auf sozialer als auch ökonomischer, ökologischer und politischer Ebene beitragen kann und somit auch eine gesellschaftliche Bedeutung aufweist. Dabei sollten alle Repräsentationen des Faches ob bildungsbezogen oder medial geprägt, einbezogen werden. Dadurch würde die Bedeutung des Faches herausgestellt und gleichzeitig der Gesellschaft ein handlungsorientiertes Wissen vermittelt werden, welches zu einem nachhaltigen Handeln führen könnte. Schlottmann schlägt erweiternd dazu vor, dass die Geographie auf der inhaltlichen Ebene vermehrt Postwachstumsgedanken in öffentliche Debatten einbringen sollte, um nachhaltiges Handeln losgelöst vom Wachstumsdenken zu fördern und den Fokus vermehrt auf nachhaltige Lebensstile zu lenken und somit dem Nachhaltigkeitsbegriff als entleerter und zu allgemeiner Floskel auch kritisch gegenüberzutreten (Schlottmann 2021: 43f.). Das in diesem Kapitel angesprochene gesellschaftliche Image bzw. die Wahrnehmung der Geographie könnte durch solche Ansätze maßgeblich verbessert (oder vertieft) und insgesamt einheitlicher werden.
5 Wissen und Geographie
Die verschiedenen Definitionsversuche der Geographie (5.1), die historische Entwicklung des Faches (5.2), die »Infrastruktur« der einzelnen Teildisziplinen sowie ihre Inhalte und Konzepte auch im Zusammenhang mit gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen (5.3) sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung des Faches (5.4) haben allesamt die hohe gesellschaftliche Bedeutung der Geographie im Kontext einer sozialökologischen Transformation hin zur nachhaltigen Entwicklung gezeigt. Die Geographie ist durch ihre multiperspektivische, trans- und interdisziplinäre Arbeitsweise sowie ihren räumlichen, zeitlichen und maßstäblichen Sichtweisen auf die Erde als Mensch-Umwelt-System in der Lage, eine breite Masse an Wissen zur Verfügung zu stellen, welches einen großen Beitrag zur Lösung globaler Problemlagen beitragen könnte. Doch sowohl innerhalb der Disziplin als auch in der Gesellschaft außerhalb besteht Uneinigkeit in Bezug auf die Bedeutung und Aufgabe der Geographie in diesem Zusammenhang. Es stellt sich demnach die Frage, welches geographische Wissen in der Lage ist, die hier aufgestellte Hypothese zu erfüllen. Dazu muss zunächst geklärt werden, was überhaupt unter geographischem Wissen zu verstehen ist, ob überhaupt von einem geographischen Wissen gesprochen werden kann, welches geographische Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und nachhaltiger Entwicklung relevant ist, welche Rolle dabei die Nachhaltigkeitsstrategie Agenda 2030 einnimmt und welche Aufgaben sich letztendlich daraus zukünftig für die Geographie ableiten lassen.
5.5
Geographisches Wissen – Ein Konzeptionsversuch
Der Begriff des geographischen Wissens als solcher ist keineswegs ein festgelegtes oder klar definiertes Konstrukt. Viel eher scheint es so, als wären die Vorstellungen über die Definition, was genau unter einem geographischen Wissen zu verstehen ist, sehr divers und konfus. Insbesondere im deutschsprachigen Raum lassen sich in diesem Kontext nur sehr wenige Publikationen finden, die ein geographisches Wissen explizit thematisieren. In den Grundlagenwerken des Faches (z.B. Gebhardt et al. 2020; Dürr & Zepp 2012 etc.) ebenso wie in der Fachbeschreibung der Deutschen Gesellschaft der Geographie (DGfG) taucht der Begriff nicht explizit auf. Leser & Schneider-Sliwa benennen zwar nicht explizit den Begriff des geographischen Wissens, attestieren der Geographie aber eine Wissensbreite aus theoretischem Wissen (Fachtheorien), handwerklichem Wissen (Techniken & Verfahren), methodischem Wissen, regionalgeographischem Wissen, nachbardisziplinärem Wissen sowie einem Allgemeinwissen (Leser & SchneiderSliwa 1999: 220). Laub unterteilt explizit geographisches Wissen in wissenschaftliches Wissen (Grundlagenforschung), technologisches Faktenwissen (z.B. aus der Raumplanung), planerisches Wissen (z.B. aus der Stadtplanung) lebensweltliches Wissen (Geographien alltäglicher Regionalisierung) sowie Erkenntnisse und Fähigkeiten (aus der Fachdidaktik) (Laub 2021: 202). Welche spezifisch geographischen Inhalte unter diese Wissensarten fallen oder wie diese näher definiert werden können, wird bei beiden nicht näher erläutert. Auch bei der Betrachtung der internationalen Literatur fällt auf, dass das Verständnis über die Implikationen der hinter diesem Begriff stehenden Inhalte weit auseinandergeht und keine einheitliche Meinung zu existieren scheint.
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5 Wissen und Geographie
Die verschiedenen Definitionsversuche der Geographie (5.1), die historische Entwicklung des Faches (5.2), die »Infrastruktur« der einzelnen Teildisziplinen sowie ihre Inhalte und Konzepte auch im Zusammenhang mit gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen (5.3) sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung des Faches (5.4) haben allesamt die hohe gesellschaftliche Bedeutung der Geographie im Kontext einer sozialökologischen Transformation hin zur nachhaltigen Entwicklung gezeigt. Die Geographie ist durch ihre multiperspektivische, trans- und interdisziplinäre Arbeitsweise sowie ihren räumlichen, zeitlichen und maßstäblichen Sichtweisen auf die Erde als Mensch-Umwelt-System in der Lage, eine breite Masse an Wissen zur Verfügung zu stellen, welches einen großen Beitrag zur Lösung globaler Problemlagen beitragen könnte. Doch sowohl innerhalb der Disziplin als auch in der Gesellschaft außerhalb besteht Uneinigkeit in Bezug auf die Bedeutung und Aufgabe der Geographie in diesem Zusammenhang. Es stellt sich demnach die Frage, welches geographische Wissen in der Lage ist, die hier aufgestellte Hypothese zu erfüllen. Dazu muss zunächst geklärt werden, was überhaupt unter geographischem Wissen zu verstehen ist, ob überhaupt von einem geographischen Wissen gesprochen werden kann, welches geographische Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und nachhaltiger Entwicklung relevant ist, welche Rolle dabei die Nachhaltigkeitsstrategie Agenda 2030 einnimmt und welche Aufgaben sich letztendlich daraus zukünftig für die Geographie ableiten lassen.
5.5
Geographisches Wissen – Ein Konzeptionsversuch
Der Begriff des geographischen Wissens als solcher ist keineswegs ein festgelegtes oder klar definiertes Konstrukt. Viel eher scheint es so, als wären die Vorstellungen über die Definition, was genau unter einem geographischen Wissen zu verstehen ist, sehr divers und konfus. Insbesondere im deutschsprachigen Raum lassen sich in diesem Kontext nur sehr wenige Publikationen finden, die ein geographisches Wissen explizit thematisieren. In den Grundlagenwerken des Faches (z.B. Gebhardt et al. 2020; Dürr & Zepp 2012 etc.) ebenso wie in der Fachbeschreibung der Deutschen Gesellschaft der Geographie (DGfG) taucht der Begriff nicht explizit auf. Leser & Schneider-Sliwa benennen zwar nicht explizit den Begriff des geographischen Wissens, attestieren der Geographie aber eine Wissensbreite aus theoretischem Wissen (Fachtheorien), handwerklichem Wissen (Techniken & Verfahren), methodischem Wissen, regionalgeographischem Wissen, nachbardisziplinärem Wissen sowie einem Allgemeinwissen (Leser & SchneiderSliwa 1999: 220). Laub unterteilt explizit geographisches Wissen in wissenschaftliches Wissen (Grundlagenforschung), technologisches Faktenwissen (z.B. aus der Raumplanung), planerisches Wissen (z.B. aus der Stadtplanung) lebensweltliches Wissen (Geographien alltäglicher Regionalisierung) sowie Erkenntnisse und Fähigkeiten (aus der Fachdidaktik) (Laub 2021: 202). Welche spezifisch geographischen Inhalte unter diese Wissensarten fallen oder wie diese näher definiert werden können, wird bei beiden nicht näher erläutert. Auch bei der Betrachtung der internationalen Literatur fällt auf, dass das Verständnis über die Implikationen der hinter diesem Begriff stehenden Inhalte weit auseinandergeht und keine einheitliche Meinung zu existieren scheint.
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Wenn es jedoch darum geht, herauszustellen, welche Wissensbestände die Geographie als Disziplin im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft zur Verfügung stellen kann und vor allem welchen Wert ein geographisches Wissen besitzt, ist es unabdingbar zunächst zu klären, ob es so etwas wie die Wissensform eines geographischen Wissens gibt und wenn ja, wie sich diese definieren lässt. Die in der Literatur am häufigsten auftauchende Erwähnung eines geographischen Wissens bezieht sich auf die Verknüpfung von Raum und Wissen. Geographisches Wissen wird in diesem Zusammenhang als ein Wissen über Länder, Regionen oder Städte verstanden. Friedmann & Brown kennzeichnen in ihrer Studie drei Ebenen eines räumlichen geographischen Wissens: Wissen über die Region, die Subregion und die Stadt (Friedmann & Brown 2000: 901). Brökel hingegen thematisiert in seinem Werk die Wissensgeographie als eigenständige Teildisziplin, welche sich vornehmlich mit der räumlichen Ungleichverteilung von Wissensbeständen und Wissensproduktionen auf der Erde beschäftigt (Brökel 2016: 6). Hier steht demnach die Verbreitung und Produktion von allgemeinen Wissensbeständen im Raum im Vordergrund geographischer Betrachtungen. Ungeachtet des Namens der Wissensgeographie wird der Begriff eines geographischen Wissens nicht explizit benannt. Die Thematisierung von Raum und Wissen taucht insbesondere auch in Publikationen aus dem Bereich der Bildungsgeographie auf. Hier stehen die Räumlichkeit des Wissens und deren Bedeutung im Kontext von Wissensproduktion und -anwendung sowie die Mobilität von Wissen im Vordergrund (Meusburger 2006: 270).2 Döring und Schnellenbach beschäftigen sich in ihrem Aufsatz mit Spillover-Effekten geographischen Wissens im Kontext von regionalem Wachstum. Auch hier wird der Begriff des geographischen Wissens als die räumliche Verbreitung von Wissen verstanden unter dem Blickwinkel, ob die räumliche Wissensverteilung einen Einfluss auf Unterschiede von regionalen Wachstumsprozessen hat (Döring & Schnellenbach 2006: 375ff.). Auch wenn der Begriff »geographical knowledge« hier mehrfach auftaucht, erfolgt keine Form der Definition in diesem Zusammenhang. Auch Malecki versteht unter dem Begriff einer »Geography of Knowledge« die räumliche Verortung und Manifestation von Wissen und untersucht dessen Auswirkungen auf Innovationssysteme und technologischen Wandel (Malecki 2010: 493). Ähnliche Begriffsverständnisse finden sich auch bei (Balland & Rigby 2016; Hoekman et al. 2008; Howells 2012; Tödtling et al. 2006). Alle diese Studien und viele weitere untersuchen stets die räumliche Verbreitung von Wissen und die Folgen, die sich daraus für bestimmte Sachzusammenhänge ergeben und bezeichnen dies als Geographie des Wissens. Quartey stellt erweiternd dazu den Link zwischen einer Geographie des Wissens und seiner Relevanz für den Nachhaltigkeitskontext her. Er stellt dabei die These auf, dass nachhaltige Entwicklung nur funktionieren kann, wenn sie mit der Geographie des Wissens, also der räumlichen Dynamik von Wissensökonomien in Verbindung gedacht wird. Die Geographie des Wissens umfasst dabei vor allem die unterschiedlichen Wissensformen von der lokalen bis zur globalen Ebene (Quartey 2019: 878). Poria et al. hingegen untersuchen die Beziehung zwischen dem geographischen Wissen von Kindern und ihren Reiseerfahrungen. In diesem Kontext wird geographisches Wissen verstanden als Orientierungswissen (das Wissen über die Existenz geographischer Orte), Konfigurations2
siehe auch: (Jöns et al. 2017; Meusburger & Werlen 2017; Werlen 2017)
5 Wissen und Geographie
wissen (das Wissen über die Relation zwischen Orientierungspunkten im Hinblick auf Richtung und Entfernung) sowie Routenwissen (das Wissen darüber, wie Menschen von einem Ort zum anderen gelangen und wo Knotenpunkte existieren) (Poria et al. 2005: 390f.). Auch hier wird geographisches Wissen demnach wieder als ein Wissen über Räume und deren Zusammenhänge verstanden. Im Kontext der Verknüpfung von Raum und Wissen muss folglich zwischen zwei Begriffskonstrukten differenziert werden: (1) Geographisches Wissen als ein räumliches Wissen über Regionen, Orte, Städte und deren Beziehungen (2) Die Geographie des Wissens also die räumliche Verbreitung von Wissen, deren Ungleichverteilung und den daraus resultierenden Auswirkungen auf regionales Wachstum und regionale Entwicklungen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen
Dieses Begriffsverständnis lässt sich sicherlich zu Teilen auf die nach wie vor bestehende Ansicht, dass Geographie eine »Stadt-Land-Fluss-Disziplin« sei, zurückführen, wie sie in Kapitel 5.4 beschrieben wurde, insbesondere auch aus dem Grund, dass das soeben beschriebene Verständnis in Publikationen zu finden ist, deren Autor*innen nicht immer der Geographie zuzuordnen sind. Andererseits ist der Raum jedoch auch nach wie vor ein festes Schlüsselkonzept der Geographie (siehe Kapitel 5.3.3), sodass ein solches Begriffsverständnis eines geographischen Wissens durchaus logisch erscheint. In der Literatur finden sich jedoch auch gänzlich andere Verständnisse eines geographischen Wissens. Uhlenwinkel gliedert den Begriff des geographischen Wissens in die drei Teilbereiche Space, place und scale auf (Uhlenwinkel 2015: 48). Place beinhaltet dabei ein Wissen über die Lage, Materialität sowie die Bedeutung eines Ortes. Lage und Materialität treten dabei je nach Betrachtung real oder fiktiv auf, wohingegen sich die Bedeutung eines Ortes in Abhängigkeit von seiner anthropogenen Wahrnehmung definiert (ebd.: 49). Space beinhaltet das Wissen über die bereits erwähnten Raumkonzepte der Geographie (siehe Kapitel 5.3.3). Diese können jedoch immer nur in Abhängigkeit des Place-Wissens gedacht werden, was dazu führt, dass das Wissen über Space einem ständigen Wandlungsprozess ausgesetzt ist und oftmals revidiert werden muss (ebd.). Scale verbindet dabei das Wissen über Place und Space auf den verschiedenen Maßstabsebenen von lokal bis global, sodass diese Wissensbestände je nach der Betrachtungsebene unterschiedlich angewendet werden müssen und unterschiedliche Folgewirkungen für die anderen Maßstabsebenen haben können (Lambert & Morgan 2010: 96ff.). Dieses Begriffsverständnis deckt sich mit einigen der Schlüsselkonzepte, welche in Kapitel 5.3.3 für die Geographie der Gegenwart eingeführt worden sind, sodass hier nachvollziehbarerweise folgende Begriffsdefinition abgeleitet werden kann (3) Geographisches Wissen als Wissen über Place, Space und Scale sowie deren Wechsel- und Folgewirkungen
Wray et al. untersuchen in ihrem Aufsatz im Kontext der geographischen Teildisziplin der Wirtschaftsgeographie wie antipodische geographische Wissensbestände produziert, dargestellt und nach außen transportiert werden (Wray et al. 2013: 180). Doch auch hier wird der genannte Begriff »geographical knowledges« nicht näher spezifi-
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ziert, sodass trotz seiner Verwendung kein konkretes Begriffsverständnis abgeleitet werden kann. Gleiches gilt für Rüdin, die sich mit der Beziehung von geographischem Wissen und Politik im Hinblick auf die Wirkung von Diskursforschung auseinandersetzt (Rüdin 2005). Auch hier taucht der Begriff geographical knowledge auf, wird aber an keiner Stelle näher spezifiziert oder überhaupt definiert. Neben der Verknüpfung von Raum und Wissen lässt sich noch ein weiteres Verständnis geographischen Wissens finden. So wird in einigen Publikationen von einem »Powerful Geographical knowledge« (Huckle 2019: 70) oder einem »Powerful Knowledge with Geography« (Dangalle 2021: 115) gesprochen. Geographisches Wissen wird als leistungsstark bezeichnet, weil es als kritisch und befähigend charakterisiert werden kann. Geographisches Wissen offenbart die Prozesse und Strukturen, die zu globalen Ungleichheiten, einem Mangel an Demokratie sowie dem Scheitern bei der Umsetzung von konkreten Zielen einer nachhaltigen Entwicklung führen (Huckle 2019: 70). Geographisches Wissen könnte demnach auch als ein prozessorientiertes und strukturelles Wissen verstanden werden. Huckle differenziert dabei nach sechs verschiedenen Philosophien geographischer Wissensansätze. Empirismus und Positivismus verstehen geographisches Wissen als basierend auf Erfahrungen, welche durch überprüfbare Beweise unterstützt werden. Strukturalismus sieht die Wissensbasis in einer Welt aus Strukturen, Prozessen und Relationen, bei denen Erfahrungen nicht zwingend notwendig sind. Unter diesen Strömungen ist das geographische Wissen zu verstehen, welches sich mit Ordnungen von Raum, Ort und Natur beschäftigt, ohne eine kritische und alternative Sichtweise darauf zu eröffnen (ebd.: 71). Sozialer Konstruktivismus, kritische Theorien und kritischer Realismus verstehen die Welt als ein System aus Prozessen, Flüssen und Beziehungen. Diese Prozesse laufen zwischen der natürlichen Umwelt und der sozialen Welt ab und kreieren oder untergraben dabei anthropogene Umwelten und gestalten letztendlich gesellschaftliche Entwicklungen (ebd.). Maude definiert ein powerful geographical knowledge als ein Wissen, welches neue Wege des Denkens über die Welt ermöglicht, ein Wissen, welches es möglich macht, die Zusammenhänge der Welt zu analysieren, zu erklären und zu verstehen, ein Wissen, welches die Partizipation an gesellschaftlichen Debatten über relevante globale Problemstellungen auf allen Maßstabsebenen ermöglicht, kurzum ein Wissen über die Welt (Maude 2015: 18ff.). Dangalle unterstützt diese Unterteilung und misst einem solchen geographischen Wissen die Fähigkeit bei, strukturelles und leistungsstarkes Denken zu fördern. Ein machtvolles geographisches Wissen verbindet dabei die Schlüsselkonzepte Space, Place, Relationships und Environment. Es handelt sich dabei um ein vernetztes Wissen, welches dazu befähigt, komplexe Zusammenhänge aus einer holistischen Perspektive erklären zu können (Dangalle 2021: 116f.). Somit lässt sich ein weiteres Begriffsverständnis ableiten: (4) Geographisches Wissen ist ein machtvolles und vernetzendes Wissen über die Welt, das Verständnis, die Analyse sowie die Erklärung globaler Zusammenhänge von physischen und anthropogenen Umwelten und befähigt somit zur Teilnahme an Debatten über globale Konfliktsituationen auf allen Maßstabsebenen und aus einer holistischen Perspektive heraus.
5 Wissen und Geographie
Roberts hinterfragt die Bezeichnung eines geographischen Wissens als powerful knowledge. Für Sie zeichnet sich ein geographisches Wissen dadurch aus, dass es oftmals kontextabhängig variieren kann. Es ist beeinflusst durch den jeweiligen Fokus mit dem Geograph*innen einen bestimmten Ausschnitt der Welt betrachten (Roberts 2014: 198). Darüber hinaus zeichnet sich geographisches Wissen dadurch aus, dass es nicht rein disziplinär produziert wird, sondern interdisziplinär Wissensbestände aus anderen Disziplinen adaptiert, zusammenführt und erweitert (ebd.: 201). Roberts ist der Ansicht, dass ein machtvolles Wissen, welches sich dadurch auszeichnet, dass eine klare Trennung zwischen Alltagswissen und disziplinärem Wissen getroffen wird, so in der Geographie nicht immer gegeben ist. Denn Alltagswissen wird in vielen geographischen Forschungen als wertvoll betrachtet und oftmals werden akademische Wissensbestände mit Alltagswissen kombiniert (ebd.: 195). Diese Verbindung kann als ein weiteres Charakteristikum geographischen Wissens betrachtet werden. Es lässt sich somit ein fünftes Begriffsverständnis synthetisieren: (5) Geographisches Wissen ist ein kontextabhängiges, variables Wissen über die Welt, welches interdisziplinäre Wissensbestände vereint und erweitert und darüber hinaus akademisches Wissen mit Alltagswissen kombiniert.
Neben den expliziten Nennungen des geographischen Wissensbegriffs lassen sich auch Publikationen finden, in denen nicht von einer expliziten Wissensform die Rede ist, sondern viel mehr von geographischem Denken oder einer geographischen Vorstellungskraft respektive Imagination. Der Begriff der geographischen Imagination (in englischsprachigen Publikationen: geographical imagination) tauchte zum ersten Mal bereits im Jahr 1962 in einer Publikation von Hugh Prince auf und wurde seitdem mehrfach aufgegriffen, diskutiert und verändert. Im Zuge dieser Arbeit ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Begriffshistorie jedoch nicht zielführend, sodass hier lediglich das gegenwärtige Begriffsverständnis skizziert werden soll. Geographical Imagination lässt sich demnach wie folgt definieren: »The geographical imagination is a way of thinking about the world and considering the relative importance of places and the relationships between »our« places and »other« places. The term encompasses individual mental images and socially produced discourses about cultures, spaces, and differences« (Warf 2010) In dieser Definition finden sich einige Parallelen zum Wissensbegriff wieder wie beispielsweise die Bedeutung von Orten und deren Beziehungen wie sie auch im Begriffsverständnis (1) bereits zu finden ist. Eine geographische Imagination bietet somit die Möglichkeit, bestehende Annahmen und Erwartungen über Räume und Orte aufzubrechen und ein tieferes Verständnis über deren Relationen zu erhalten (Gieseking 2017: 2). Erweiternd zum Wissensbegriff scheinen hier neben einem Wissen über Kulturen, Räume und Differenzen auch mentale Vorstellungen auf der individuellen Ebene sowie gesellschaftliche Diskurse über diese Themengebiete eine Rolle zu spielen. Der Imaginationsbegriff scheint demnach noch eine Stufe weiterzugehen als der reine Wissensbegriff. Daniels hebt hervor, dass eine geographische Vorstellungskraft als ein zentraler
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Bestandteil von verschiedenen Wissensarten und Kommunikationsprozessen innerhalb aber auch außerhalb der Geographie zu betrachten ist, welcher ein vertieftes Verständnis der Welt sowie eine Befähigung zur Mit- und Umgestaltung dieser fördert (Daniels 2011: 182). Hier wird sowohl dem geographischen Wissen als auch einer geographischen Vorstellungskraft als Bestandteil dessen gleichzeitig eine tragende Rolle im Kontext von Weltverständnis und der Teilnahme an Transformationsprozessen beigemessen, welche sogar über die disziplinären Grenzen hinausgeht. Für Wright ist ein solches disziplinübergreifendes Denken einer geographischen Imagination gleichzusetzen mit dem Ansatz einer holistischen Geographie. Geographische Vorstellungskraft und Wissen sollten demnach zukünftig wieder mehr den Fokus auf eine ganzheitliche Betrachtung der Welt richten. Dadurch kann ein tieferes Verständnis der Verbindungen von Menschen und Natur einerseits und von Objekten im Raum andererseits geschaffen werden, was die Wahrnehmung der Welt wie wir sie sehen, maßgeblich verbessern könnte (Wright 2011: 158). Insbesondere im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation ist diese Bedeutung geographischen Wissens hervorzuheben. Geographical Imagination kann übergeordnet auch als Kommunikations- und Vermittlungsmedium geographischen Wissens sowohl disziplinär als auch in die Öffentlichkeit hinein fungieren (ebd.). Vorstellungskraft kann dabei sowohl als Wissensform verstanden werden, wie auch als Formen des Verständnisses und der Erfahrung. Geographische Vorstellungskraft ist somit in der Lage, die Konditionen der bekannten Welt mit potenziellen zukünftigen Weltvorstellungen zu verknüpfen (ebd.: 183). Eine solche geographische Vorstellungskraft spielt insbesondere dann eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Zukunftsvisionen einer gerechten Welt zu entwerfen und letzten Endes auch zu verwirklichen, denn sie befähigt dazu, bestehende gesellschaftliche Vorstellungen aufzubrechen und neu zu denken und somit räumliche und soziale Gerechtigkeit zu fördern (Gieseking 2017: 7). Es lässt sich synthetisiert somit ein weiteres Begriffsverständnis ableiten: (6) Geographische Vorstellungskraft als Bestandteil geographischen Wissens ist das Wissen über bestehende Vorstellungen, Diskurse und Inhalte über Räume und Orte der gegenwärtigen Welt sowie das Wissen wie diese aufzubrechen und mit neuen Weltvorstellungen zu kombinieren sind, sodass ganzheitliche Zukunftsvisionen und Transformationsprozesse für eine gerechtere Welt der Zukunft geschaffen werden können
Neben dem Begriff der Vorstellungskraft lassen sich auch theoretische Überlegungen zu einem geographischen Denken finden (in englischsprachigen Publikationen: Geographical Thinking oder Thinking Geographically). Murphy bemerkt hierzu: »It is almost impossible to talk about any development taking place on our planet without framing it geographically« (Murphy 2018: 26). Palacios et al. zufolge basiert geographisches Denken zunächst auf einem Grundwissen, welches sie als Geokompetenz bezeichnen. Diese besteht aus drei Komponenten: (1) Wissen über Wechselwirkungen, die die Funktion der Erde im Hinblick auf anthropogene und physische Systeme zeigen; (2) Wissen über Zusammenhänge, die zeigen wie die Welt durch diese Systeme verbunden ist und dadurch Handlungen an einem Ort der Erde auch Auswirkungen auf einen weit entfernten Ort
5 Wissen und Geographie
haben können und (3) Wissen über Implikationen, die ein Verständnis über maßstabsebenen-abhängige globale Entscheidungsprozesse und deren Wirkung für Raum und Zeit fördern (Palacios et al. 2017: 104). Erweiternd dazu befähigt ein geographisches Denken dazu, übergeordnetes Wissen in einen konkreten Ort zu integrieren, wodurch dieser zu einem Labor für ein Prozess- und Phänomenverständnis wird; Interdependenzen zwischen Orten zu verstehen und wie Ströme von menschlichen Ideen und Produkten diese Orte miteinander verbinden sowie ein Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeit maßstabsabhängiger Betrachtungen von der lokalen bis zur globalen Ebene zu entwickeln, was als einzigartige geographische Perspektive betrachtet werden kann (ebd.: 104f.). Für Sheppard bedeutet geographisch zu denken, Raum dafür zu schaffen, die gegenwärtige Welt anders zu denken, als wie sie bisher geschaffen worden ist (Sheppard 2015: 1121). Brooks et al. sehen den Wert geographischen Denkens darin, dass es eine Brücke zwischen Human- und Naturwissenschaften bildet, Ordnung in eine chaotische Welt bringt und Verbindungen zwischen Menschen und Orten offenlegt (Brooks et al. 2017: 4). Holt- Jensen beschreibt den Wert geographischen Denkens damit, dass ein solches Denken über räumliche Phänomene dann gewinnbringend ist, wenn es räumliche Beziehungen sowie regionale und globale Prozesse erklären kann, sodass ein Verständnis über die Merkmale einer Region oder eines Ortes auf der Erde entsteht (Holt-Jensen 2018: 19). Insgesamt betrachtet decken sich die meisten dieser Erklärungsansätze inhaltlich mit dem Wissensverständnis (6), welches aus dem Begriff der geographischen Vorstellungskraft synthetisiert worden ist. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass es auch für den Begriff des geographischen Denkens keine einheitliche Definition gibt. Es scheint sogar so zu sein, dass je nachdem, ob Publikationen aus Frankreich, Großbritannien, den USA oder Deutschland herangezogen werden, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf Geographie und geographisches Denken zu finden sind (Uhlenwinkel 2013: 19f.). Dies erschwert das Aufstellen eines einheitlichen Verständnisses erheblich. Auffällig ist zudem auch wie schon beim Begriff des geographischen Wissens, dass es in der deutschsprachigen Literatur auch zum Begriff des geographischen Denkens so gut wie keine Diskurse und Definitionsversuche zu geben scheint (ebd.: 18). Neben diesen unterschiedlichen Begriffskonzeptionen lassen sich noch weitere vereinzelte Begriffsverständnisse im Hinblick auf geographisches Wissen finden. Schlottmann & Winzer vertreten beispielsweise eine holistische Betrachtungsweise geographischen Wissens, Denkens und Handelns. Auch wenn der Begriff des geographischen Wissens zwar auftaucht, nicht aber explizit definiert wird, lässt sich ableiten, dass sie alle Inhalte der verschiedensten Teildisziplinen sowohl von Humangeographie als auch aus der physischen Geographie als Teil eines geographischen Wissens verstehen. Sie verstehen geographisches Denken und Handeln und somit implizit das geographische Wissen als ein spezifisches Weltbild, welches im Laufe der Zeit stetigen Wandlungsprozessen unterlegen ist (Schlottmann & Wintzer 2019: 9). Der Begriff des Weltbilds taucht in der Geographie jedoch in vielen Kontexten auf (geographical imaginations, Raumbilder, geopolitische Weltbilder etc.) und ist deshalb als eher vage und schwer greifbar zu charakterisieren (Harendt 2019: 54). Er bietet dennoch eine gute Begrifflichkeit, welche die ganzheitliche Betrachtungsweise geographischer Wissens- und Denkweisen aufgreift.
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Als letztes soll noch ein Blick auf das institutionell geprägte Begriffsverständnis eines geographischen Wissens innerhalb der Geographie geworfen werden. Die in Großbritannien ansässige Geographical Association identifiziert in ihrem Report über eine groß angelegte Befragung von Geographielehrer*innen drei Formen geographischen Wissens: ein faktisches Kernwissen, ein Wissen über konzeptionelle Inhalte sowie ein praktisches Anwendungswissen. Ersteres wird dabei verstanden als ein Wissen über Orte und die Welt sowie den dazugehörigen geographischen Kontext. Die zweite Wissensform umfasst dabei vor allem geographische Konzepte und Theorien und kann auch als Grammatik des Fachs bezeichnet werden (GA 2011: 2). Die dritte Wissensform wird nur indirekt definiert. Demnach soll ein geographisches Wissen dazu befähigen, Entscheidungen zu treffen, und das Wissen in der Alltagswelt konkret anzuwenden (ebd.: 8). Ein exemplarischer Blick in den Kernlehrplan für das Fach Geographie für die Sekundarstufe II in NRW zeigt, dass hier der Begriff eines geographischen Wissens gar nicht zu finden ist, gleiches gilt für den Lehrplan in Bayern. Auf der fachwissenschaftlichen institutionellen Ebene lässt sich feststellen, dass weder bei der IGU (International Geographical Union) als internationalem Dachverband für alle geographischen Gesellschaften, noch bei der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG) in den Fachbeschreibungen der Begriff eines geographischen Wissens oder Denkens auftaucht. Somit kann hier sowohl auf schulischer Seite als auch auf fachwissenschaftlicher Seite ein Defizit in der epistemologischen Konstitution der Disziplin attestiert werden, welches es zukünftig zu beheben gilt, wenn die Geographie sowohl ihren allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Stellenwert als auch ihren Wert im Hinblick auf eine sozialökologische Transformation beibehalten respektive stärken will. Aus den einzelnen bruchstückhaften hier dargestellten Begriffsverständnissen lassen sich für den Begriff eines geographischen Wissens folgende Annahmen synthetisieren: Geographisches Wissen… I. ist ein Wissen über Regionen, Orte und Städte auf der Welt II. ist ein Wissen über die Grundkonzepte von Place, Space & Scale und deren Zusammenhänge III. ist ein machtvolles und vernetzendes Wissen über die globalen Zusammenhänge von physischen und anthropogenen Umwelten, deren Zusammenspiel sowie über globale Konfliktsituationen auf allen Maßstabsebenen aus einer holistischen Perspektive heraus IV. ist eine Kombination aus (inter)disziplinären Wissensbeständen und gesellschaftlichem Alltagswissen V. ist das Wissen über gesellschaftliche Vorstellungen, Diskurse und Inhalte über Räume und Orte der gegenwärtigen Welt sowie das Wissen wie diese aufzubrechen und mit neuen zukunfts- und transformationsorientierten Weltvorstellungen zu kombinieren sind VI. ist im Grund genommen ein ganzheitliches Wissen über die Zusammenhänge der Welt
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Diese Zusammenführung ist offensichtlich noch recht allgemein gehalten, was auch durch die Komplexität und Vielfalt der hier angesprochenen Wissensbestände und deren Inhalte begründet ist, die in ihrer Gesamtheit unmöglich in einer kurzen Definition erfasst werden können. Darüber hinaus beanspruchen die hier getroffenen Annahmen nicht den Anspruch der Vollständigkeit, da dies aufgrund der Fülle an unterschiedlichen Fachverständnissen insbesondere auf der internationalen Ebene kaum adäquat zu leisten ist. Es erscheint dennoch essenziell, sich insbesondere für die deutschsprachige Geographie intensiver mit einer Wissenskonzeption des Faches auseinanderzusetzen, als dies bisher der Fall war. Dies soll keineswegs die immense Anzahl theoretischer Überlegungen zum Wesen der Geographie, zu den theoretischen Strömungen der Vergangenheit bis heute und den vielseitigen Schlüsselkonzepten des Faches, die bereits hinlänglich formuliert und in den vorangegangenen Kapiteln erörtert worden sind, in Abrede stellen. Vielmehr geht es darum, diese durch eine konkrete Wissenskonzeption des Faches zu erweitern, um somit den disziplinären Wert weiter zu steigern. Insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die gegenwärtige Gesellschaft als Wissensgesellschaft versteht und Wissen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eine hohe Relevanz einnimmt, erscheint eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit eines geographischen Wissens unabdingbar. Wie sich gezeigt hat, gibt es insbesondere im deutschsprachigen Raum kaum Publikationen hierzu. Zudem ist ein Großteil der Publikationen auch auf der internationalen Ebene eher dem geographiedidaktischen Bereich zuzuordnen. Doch im Hinblick auf die Wissenskonzeption einer Disziplin sollten hier auch Impulse insbesondere aus der Fachwissenschaft heraus gesetzt werden. Im Zuge des empirischen Teils dieser Arbeit gilt es demnach zu erfassen, ob der Begriff des geographischen Wissens als solcher Bestand haben kann und sollte, wie fachwissenschaftliche Geographie-Expert*innen einen solchen Begriff definieren würden und worin sein Wert insbesondere im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation besteht. Das nachfolgende Kapitel zeigt vorab exemplarisch am Beispiel der Sustainable Development Goals der Agenda 2030 auf, welche Rolle ein geographisches Wissen beziehungsweise geographische Inhalte im Kontext einer Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele einnehmen könnte.
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Geographisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext am Beispiel der Agenda 2030
Da das Thema Nachhaltigkeit bereits in Kapitel 5.3.3 als zentrales Schlüsselkonzept thematisiert wurde und somit auch der Wert der Geographie in diesem Zusammenhang, geht es im Folgenden darum, welche Bedeutung einem konkreten geographischen Wissen im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit zugeschrieben werden kann, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den Sustainable Development Goals der Agenda 2030. Ein Blick auf die Literaturlage zeigt, dass hier noch weniger Publikationen zu finden sind als im Hinblick auf den Begriff des geographischen Wissens. So lassen sich zwar einige Publikationen finden, in denen eine Verbindung von geographischem Wissen und Nachhaltigkeit hergestellt wird, doch es finden sich weniger als zehn Artikel, die
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Diese Zusammenführung ist offensichtlich noch recht allgemein gehalten, was auch durch die Komplexität und Vielfalt der hier angesprochenen Wissensbestände und deren Inhalte begründet ist, die in ihrer Gesamtheit unmöglich in einer kurzen Definition erfasst werden können. Darüber hinaus beanspruchen die hier getroffenen Annahmen nicht den Anspruch der Vollständigkeit, da dies aufgrund der Fülle an unterschiedlichen Fachverständnissen insbesondere auf der internationalen Ebene kaum adäquat zu leisten ist. Es erscheint dennoch essenziell, sich insbesondere für die deutschsprachige Geographie intensiver mit einer Wissenskonzeption des Faches auseinanderzusetzen, als dies bisher der Fall war. Dies soll keineswegs die immense Anzahl theoretischer Überlegungen zum Wesen der Geographie, zu den theoretischen Strömungen der Vergangenheit bis heute und den vielseitigen Schlüsselkonzepten des Faches, die bereits hinlänglich formuliert und in den vorangegangenen Kapiteln erörtert worden sind, in Abrede stellen. Vielmehr geht es darum, diese durch eine konkrete Wissenskonzeption des Faches zu erweitern, um somit den disziplinären Wert weiter zu steigern. Insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die gegenwärtige Gesellschaft als Wissensgesellschaft versteht und Wissen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eine hohe Relevanz einnimmt, erscheint eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit eines geographischen Wissens unabdingbar. Wie sich gezeigt hat, gibt es insbesondere im deutschsprachigen Raum kaum Publikationen hierzu. Zudem ist ein Großteil der Publikationen auch auf der internationalen Ebene eher dem geographiedidaktischen Bereich zuzuordnen. Doch im Hinblick auf die Wissenskonzeption einer Disziplin sollten hier auch Impulse insbesondere aus der Fachwissenschaft heraus gesetzt werden. Im Zuge des empirischen Teils dieser Arbeit gilt es demnach zu erfassen, ob der Begriff des geographischen Wissens als solcher Bestand haben kann und sollte, wie fachwissenschaftliche Geographie-Expert*innen einen solchen Begriff definieren würden und worin sein Wert insbesondere im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation besteht. Das nachfolgende Kapitel zeigt vorab exemplarisch am Beispiel der Sustainable Development Goals der Agenda 2030 auf, welche Rolle ein geographisches Wissen beziehungsweise geographische Inhalte im Kontext einer Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele einnehmen könnte.
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Geographisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext am Beispiel der Agenda 2030
Da das Thema Nachhaltigkeit bereits in Kapitel 5.3.3 als zentrales Schlüsselkonzept thematisiert wurde und somit auch der Wert der Geographie in diesem Zusammenhang, geht es im Folgenden darum, welche Bedeutung einem konkreten geographischen Wissen im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit zugeschrieben werden kann, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den Sustainable Development Goals der Agenda 2030. Ein Blick auf die Literaturlage zeigt, dass hier noch weniger Publikationen zu finden sind als im Hinblick auf den Begriff des geographischen Wissens. So lassen sich zwar einige Publikationen finden, in denen eine Verbindung von geographischem Wissen und Nachhaltigkeit hergestellt wird, doch es finden sich weniger als zehn Artikel, die
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
eine Verbindung von Geographie und den SDGs thematisieren. All diese Publikationen stammen aus den USA oder dem asiatischen Raum, deutsche Publikationen lassen sich überhaupt nicht finden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass einige der gefundenen Publikationen (Moseley 2018; Nightingale 2018; Sultana 2018) lediglich den Artikel von Liverman kritisch kommentieren, was die Anzahl der eigenständigen Publikationen weiter verringert. Die Publikationen, die explizit geographisches Wissen und die SDGs thematisieren, sind lediglich durch den Artikel von Chang et al. repräsentiert. So scheint auch hier eine Forschungslücke zu bestehen, was die Erforschung des Wertes der Geographie und eines geographischen Wissens im Kontext spezifischer Nachhaltigkeitsziele betrifft. Übergeordnet betrachtet ergibt sich die Bedeutung geographischer Wissensbestände im Nachhaltigkeitskontext allein schon aus der Bedeutung des gesamten Faches in diesem Zusammenhang. Geographisches Wissen ist zunächst eine fundamentale Grundvoraussetzung für die Orientierung auf der Erde und bildet somit auch eine notwendige Bedingung für die Etablierung moderner Lebensweisen (Werlen 2000: 5). Eine sozial-ökologische Transformation hin zur Nachhaltigkeit ist als moderne Lebensweise zu verstehen, sodass hier von einer zentralen Verbindung mit einem solchen geographischen Wissen gesprochen werden kann. Insbesondere im Hinblick auf die globalisierte Gesellschaft der Gegenwart ist die Bedeutung eines räumlichen Orientierungswissens wie es die Geographie bietet umso höher, je mehr Menschen auf eine weite Distanz miteinander interagieren (ebd.: 6). Auch Bätzing stellte schon Ende des 20. Jahrhunderts die hohe Bedeutung geographischen Wissens im allgemeinen Nachhaltigkeitskontext heraus. Er vertritt die Ansicht, dass ohne ein vertieftes Wissen über räumliche Zusammenhänge ein umweltgerechtes Verhalten des Menschen nicht möglich ist (Bätzing 1991: 107). Das räumliche Wissen stellt somit als Inhalt des Schlüsselkonzepts Raum der Geographie eine der Grundvoraussetzungen für den Nachhaltigkeitskontext dar, denn menschliche Handlungen sind nie flächendeckend und gleichmäßig, sondern immer dispers im Raum verteilt, was in der Interaktion von Mensch und Natur zu räumlichen Unterschieden führt, dies es zu verstehen gilt, wenn nachhaltig gehandelt werden soll (ebd.). Solem et al. bestätigen dies, indem sie herausstellen, dass es eine empirisch bestätigte Beziehung zwischen geographischem Wissen und menschlichen Fähigkeiten gibt. Ein geographisches Wissen kann demnach dazu beitragen, eine Vorstellung von einem »guten Leben« zu haben und sein eigenes Verhalten zu reflektieren (Nussbaum 2011: 33; Solem & Weiguo 2018: 62). Übertragen auf den Nachhaltigkeitskontext ist eine solche Reflexion in Bezug auf individuelles Verhalten von hoher Bedeutung. Chang & Wi vollziehen in ihrem Aufsatz zunächst ein übergeordnetes Verständnis eines geographischen Wissens und illustrieren dies am Fallbeispiel des Klimawandels. Das hier aufgeführte Verständnis vereint viele der in Kapitel 5.5 aufgeführten Definitionsversuche und bezieht diese auf den Nachhaltigkeitskontext. Ihrer Ansicht nach können die globalen Konflikte des 21. Jahrhunderts wie beispielsweise ungleicher Bildungszugang, soziale Ungleichheiten oder massive Umweltveränderungen vor allem durch geographisches Wissen besser verstanden werden (Chang & Wi 2018: 29). Ein geographisches Wissen liefert demnach ein vertieftes Verständnis über Erd- und soziokulturelle Systeme und Prozesse im Kontext anthropogener Handlungen. Es hilft darüber hinaus dabei, die Verbindungen von der lokalen bis zur globalen Ebene zu verstehen
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und anzuwenden (ebd.: 30). Im Hinblick auf den Klimawandel gibt es keine einheitliche Lösung auf globaler Ebene. Jeder Staat und jede Region haben unterschiedliche natürliche und demographische Grundvoraussetzungen. Es werden somit differenzierte Lösungsansätze auf einer kleineren Maßstabsebene benötigt. Geographisches Wissen beinhaltet eben genau diese Zusammenhänge und ermöglicht somit das Denken und Finden von Lösungsansätzen auf verschiedensten Ebenen, räumlich, zeitlich und maßstäblich, wie es beispielsweise im Zuge von Anpassungsstrategien an den Klimawandel notwendig ist (Adger et al. 2005: 78). Geographisches Wissen kann demnach als Schlüsselfaktor dienen, um Individuen zu ermutigen, aktiv gegen den Klimawandel zu handeln (Chang & Wi 2018: 32). Somit kann geographisches Wissen in diesem Zusammenhang auch einen konkreten Beitrag zu der Umsetzung von Lösungsansätzen leisten, denn es ermöglicht neue Denkweisen über die Welt und befähigt dadurch zur aktiven Teilnahme an politischen oder moralischen Debatten im Nachhaltigkeitskontext (ebd.: 34). Bei einem Vergleich der hier gezogenen Verbindungen mit den im vorigen Kapitel gezogenen Definitionsversuchen der Geographie, Ihren Schlüsselkonzepten sowie eines geographischen Wissens fällt auf, dass ein geographisches Wissen in dieser Form zu allen verschiedenen Wissensarten, welche im Nachhaltigkeitskontext als relevant erachtet werden, einen Beitrag leisten kann (siehe Kapitel 4.2, Tabelle 7). So kann die Geographie mit all ihren Teildisziplinen ein faktenbezogenes Wissen bereitstellen, welches ein Verständnis über natürliche und soziale Systeme der Erde sowie deren gegenwärtigen Zustand, Zusammenhänge und Wechselwirkungen ermöglicht (Erklärungswissen). Sie kann insbesondere in Person der regionalen Geographie und den Disziplinen der Humangeographie ein Wissen über gesellschaftliche und insbesondere auch kulturell geprägte Normen, Werte & Glaubensrichtungen vermitteln immer in Bezug zu den für eine nachhaltige Entwicklung notwendigen Zielsetzungen, ebenso wie Kenntnisse über Kriterien zur Bewertung gesellschaftlicher Verhaltensweisen im Nachhaltigkeitskontext (normatives Orientierungswissen). Sie ist durch die Schlüsselkonzepte von Raum, Zeit und Maßstab in der Lage, ein Wissen über die Raumwirkung anthropogener Handlungen im zeitlichen Verlauf bereitzustellen, wodurch Zukunftsszenarien entwickelt werden können (Zukunftswissen). Und letzten Endes ist sie durch ihren holistischen Ansatz in Kombination mit einer kritischen Haltung ebenfalls in der Lage, ein Wissen über die Wirksamkeit nachhaltigkeitsbezogener Strategien und Maßnahmen zu vermitteln, welches letzten Endes das Ausführen konkreter Handlungen im Nachhaltigkeitskontext ermöglicht (Handlungswissen). Die Lösung der Herausforderungen, welche mit einer sozial-ökologischen Transformation einhergehen, setzt ein solches sich daraus ergebendes vertieftes systematisches Verständnis der Mechanismen zwischen Mensch und Umwelt voraus. So sind insbesondere die 17 Sustainable Development Goals der Agenda 2030 als ganzheitliche und untrennbare Zielsetzungen zu betrachten, deren Umsetzung somit aufgrund der Komplexität der Wechselwirkungen anthropogener und physischer Prozesse einen ganzheitlichen und transdisziplinären Ansatz erfordert (Fu et al. 2019: 388). Die Geographie eignet sich aufgrund ihrer inter- und transdisziplinären Perspektive in besonderem Maße für eine solche Betrachtung der SDGs (Bojie 2020: 2). Im Falle der SDGs der Agenda 2030 konnte im Zuge dieser Arbeit bereits aufgezeigt werden, dass die Umsetzung nach wie vor als unzureichend bezeichnet werden muss. So scheint insbesondere der Blick auf
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die Perspektive der Verbindung der einzelnen SDGs und deren Interdependenzen bisher zu wenig Berücksichtigung zu finden. Dies kann zu Zielkonflikten führen, auf die ebenfalls aufmerksam gemacht werden muss. Ein solches zielübergreifendes Verständnis muss gefördert werden, wenn die Umsetzung der SDGs verbessert werden soll (Fu et al. 2019: 386). Hinzu kommt, dass eine vollständige Umsetzung aller SDGs auf allen nationalen Ebenen aufgrund ungleicher Ressourcen kaum möglich ist (Gao & Bryan 2017: 221). Auch dieses Problem muss erkannt und verstanden werden. Ebenfalls sollte berücksichtigt werden, dass viele Staaten bei der Umsetzung der SDGs oftmals nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen folgen, sodass Analysen durchgeführt werden, ohne die Synergien der SDGs einzubeziehen und ohne die Verwendung systematischer Modelle (Bojie 2020: 5). Eben eine solche synergetische und systematische ganzheitliche Betrachtung der SDGs kann die Geographie bereitstellen und dadurch einen wertvollen Beitrag zu einer verbesserten Umsetzung leisten, denn der transdisziplinäre und integrative Charakter der Geographie scheint den Einbezug geographischen Wissens, geographischer Bildung sowie geographischer Daten und Methoden unabdingbar zu machen im Kontext einer verbesserten Umsetzung (ebd.: 6). Liverman ist der Auffassung, dass die Geographie bisher zu wenig Beteiligung im Kontext der Umsetzung der SDGs gezeigt hat. Sie stellt heraus, dass die Geographie und geographische Forschung zu vielen SDGs einen Beitrag leisten kann und nennt hier exemplarisch SDG4 im Zusammenhang mit der Gesundheitsgeographie oder SDG11 für die Stadtgeographie (Liverman 2018: 180). Sie sieht folgende Möglichkeiten eines geographischen Beitrages zur Umsetzung der SDGs (ebd.: 181): • • • • •
Mitwirkung bei der Entwicklung von Indikatoren und Strategien zur Bewertung des Umsetzungsfortschritts der Ziele Vermittlung einer kritischen Sichtweise auf Unstimmigkeiten der Datenerfassung im Umsetzungsprozess der SDGs Einbringen einer raum- und maßstabsbasierten Sichtweise auf anthropogene und physische Bedingungen und deren Korrelationen Entwicklung von progressiven Zukunftsvisionen, welche auch lokale und indigene Perspektiven einbeziehen Herausstellen der Zielkonflikte von Wachstum und Umwelt
Moseley stimmt Liverman zu, dass ein verstärkter geographischer Beitrag bei der zukünftigen Umsetzung der SDGs notwendig und sinnvoll ist, da der Einbezug einer geographischen Perspektive den Umsetzungsprozess der Agenda 2030 verbessern würde (Moseley 2018: 204). Er plädiert jedoch auch dafür, die SDGs nicht zwanghaft als den ultimativen Maßstab für den Fortschritt hin zu einer nachhaltigen Transformation zu sehen, sondern eher als einen Lernprozess, der es ermöglicht, herauszufinden, welche Umsetzungsziele funktionieren und an welchen Stellen Verbesserungsbedarf besteht (ebd.). Sultana steht den SDGs ebenfalls äußert kritisch gegenüber. Sie ist der Ansicht, dass eine Aufgabe der Geographie auch darin besteht, die vielen potenziellen Kritikpunkte an den einzelnen SDGs und deren Zielkonflikten herauszustellen und über einen Beitrag zur Umsetzung der SDGs hinaus alternative Konzepte und Instrumente zu entwickeln, die eine Transformation noch besser fördern (Sultana 2018: 189). Hier zeigt sich auch
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wieder die wertvolle kritische Perspektive der Geographie, die es im Kontext einer verbesserten Umsetzung der SDGs auch zu beachten gilt, ebenso wie die Tatsache, dass die Geographie durch ihre Denkweisen prädestiniert dafür zu sein scheint, Entwicklungsund Transformationsprozesse hin zur Nachhaltigkeit zu begleiten, kritisch zu hinterfragen und letzten Endes zu verbessern. Doch auch wenn die Agenda 2030 mit ihren 17 SDGs an vielen Stellen kritisch zu hinterfragen sind (siehe auch Kapitel 2.8), bleibt sie dennoch die aktuell größte globale Nachhaltigkeitsstrategie, sodass ein Beitrag zur Umsetzung dieser Ziele seitens der Geographie aufgrund Ihrer thematischen Passung zu Fragen der Nachhaltigkeit unabdingbar ist, wenn eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft gefördert und erreicht werden soll. Die hier aufgeführten Publikationen haben zudem lediglich einen übergeordneten Blick auf die Verbindung von Geographie und den SDGs geworfen. Im Zuge eines geographischen Wissens gilt es jedoch, einen detaillierteren Blick auf die Inhalte der SDGs und deren Passung im Hinblick auf die Geographie zu werfen. Dadurch ergibt sich auch die Möglichkeit, nicht nur den übergeordneten Wert eines geographischen Wissens im Hinblick auf die angesprochen notwendigen Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext herauszustellen, sondern anhand konkreter Zielsetzungen auch auf konkrete potenzielle inhaltliche Beiträge seitens der Geographie einzugehen. Bei Betrachtung der 17 SDGs in ihrer Gesamtheit fällt auf, dass jedes SDG thematisch einer geographischen Teildisziplin zugeordnet werden kann. Peng et al. weisen im Kontext der physischen Geographie daraufhin, dass die ökologisch orientierten Teildisziplinen der Geographie insbesondere mit den SDGs der ökologischen Dimensionen in Einklang gebracht werden können und der physische Geographie hier eine hohe Bedeutung zukommt (Peng et al. 2020: 19). Im Detail kann die physische Geographie insbesondere zu den SDGs 2, 6,7,10,11,13,14 und 15 aufgrund deutlicher inhaltlicher Überschneidungen einen großen Beitrag leisten. Die stärksten Bezüge sehen Peng et al. allerdings insbesondere in SDG 7 und 13–15 (ebd.: 23). Für die anderen SDGs können die humangeographischen Teildisziplinen einen maßgeblichen Beitrag beisteuern (ebd.: 19). Darüber hinaus ist die physische Geographie aufgrund ihrer muster- prozess- und skalenorientierten Arbeitsweise in der Lage, die übergeordneten Zusammenhänge und Interdependenzen der einzelnen SDGs offen zu legen, die daraus folgenden Auswirkungen zu beschreiben und letzten Endes auch Lösungsmöglichkeiten anzubieten (ebd.). Für die Humangeographie lassen sich keine Publikationen finden, die einen konkreten Link zu den einzelnen SDGs herstellen. Abbildung 29 zeigt daher einen Versuch der Verbindung der SDGs der Agenda 2030 mit den Teildisziplinen aus allen Bereichen der Geographie. Somit lässt sich allein an einer übergeordneten inhaltlichen Sichtung der SDGs feststellen, dass jedes SDG konkrete Inhalte enthält, welche innerhalb der Forschungsdisziplin der Geographie ebenfalls zu finden sind. Dies ist bei keiner anderen Wissenschaftsdisziplin der Fall, sodass allein aufgrund der Vielfalt der thematischen Passung hierin eine immense Stärke der Geographie in Bezug auf das Verständnis der SDGs zu sehen ist. Die in Abbildung 29 getroffene Auswahl ist dementsprechend als eine erste Idee einer solchen Gesamtverlinkung von geographischen Teildisziplinen und den SDGs zu betrachten. Die Linien zwischen den SDGs sollen einerseits die Interaktionen und Interdependenzen zwischen den einzelnen SDGs aufzeigen und andererseits auch zwischen den verschiedenen Teildisziplinen der Geographie. Aufgrund der Tatsache, dass
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die 17 SDGs übergeordnet ebenfalls hochkomplexe Bereiche zusammenfassend betrachten, die je SDG in weitere Teilziele untergliedert sind, muss im Kontext der Verlinkung mit der Geographie auch ein vertiefter Blick auf diese Unterziele geworfen werden. Tabelle 9 zeigt daher die inhaltliche Verknüpfung der SDGs und ihrer Unterziele mit den Teildisziplinen der Geographie. Aus diesem Grund sollten die gewählten Teildisziplinen in der Abbildung auch nicht als alleinverantwortliche Disziplin für das jeweilige SDG betrachtet werden, sondern lediglich als ein relevantes Beispiel.
Abbildung 26: Die 17 SDGs der Agenda 2030 und ihre geographischen Äquivalente
Eigene Darstellung
Geographische Teildisziplin & SDG-Unterziele
– Bevölkerungsgeographie (1.1-1.3) – Entwicklungsgeographie (1.4) – Geographische Risikoforschung (1.5)
– Agrargeographie (2.1-2.5) – Bodengeographie (2.1; 2.4) – Biogeographie (2.5)
– Bevölkerungsgeographie. (3.1-3.2) – Gesundheitsgeographie (3.1-3,5; 3.7-3.8) – Verkehrsgeographie (3.6) – Klima-, Boden- und Hydrogeographie (3.9)
– Bildungsgeographie (4.1-4.7) – Sozialgeographie (4.1; 4.5; 4.7) – Gesamte Geographie (4.7)
– Sozialgeographie (5.5) – Politische Geographie (5.2;5.5-5.6) – Feministische Geographie (5.1-5.6)
– Hydrogeographie (6.1-6.6)
– Energiegeographie (7.1-7.3) – Wirtschaftsgeographie (7.1-7.3)
SDG
1 »Armut beenden«
2 »Ernährung sichern«
3 »Gesundes Leben für alle«
4 »Bildung für alle«
5 »Gleichstellung der Geschlechter«
6 »Wasser und Sanitärversorgung für alle«
7 »Nachhaltige und moderne Energie für alle«
Tabelle 10: Inhaltliche Beiträge geographischer Teildisziplinen zu den SDGs
– Energiesysteme & ihre Konflikte – Nachhaltige Energie & ihre räumlichen Implikationen – Möglichkeiten zur Energieeffizienzsteigerung
– globale Wasserverteilung & Wasserzugang – Ursachen & Folgen von Wasserknappheit – globale Konflikt um Wasser – Ursachen & Folgen von Wasserverschmutzung – -Schutzmaßnahmen für globale Wasserökosysteme
– Globale geschlechtsspezifische Disparitäten & ihre Ursachen – Raumkonflikte und -produktionen im Hinblick auf Genderfragen
– Globaler Bildungszugang und Wissenserwerb – Globale Disparitäten im Bildungssektor – Ursachen & Folgen – globale Bildungssysteme und ihre Folgen – Breitstellung von Wissen für nachhaltige Lebensweisen
– Entwicklung globaler Bevölkerungsstrukturen & ihrer demographischen – Merkmale Möglichkeiten einer global Health-Politik – Räumliche, soziale & politische Gesundheitsfaktoren – Auswirkungen von Schadstoffeinträgen in die Umwelt
– Globale Landwirtschaftssysteme & ihre Folgen – Bodentypen der Erde & ihre landwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten – globaler Nahrungsmittelkonsum & Folgen
– Bevölkerungsstrukturen und deren Ursachen – globale Ressourcenverteilung globale Disparitäten & ihre Ursachen sowie Lösungsansätze – systemische Risiko- und Katastrophenanalyse – Möglichkeiten zur Erhöhung von Resilienz
Inhaltlicher Beitrag z.B.:
5 Wissen und Geographie 225
– Wirtschaftsgeographie (8.1-8.6;8.8, 8.10) – Konsumgeographie (8.4) – Entwicklungsgeographie (8.7) – Tourismusgeographie (8.9)
– Wirtschaftsgeographie (9.1-9.5)
– Entwicklungsgeographie (10.1; 10.6) – Politische Geographie (10.2-10.4) – Bevölkerungsgeographie (10.7)
– Stadtgeographie (11.1; 11.3;11.4;11.6;11.7) – Verkehrsgeographie (11.2) – Biogeographie (11.4;11.7) – Geographische Risikoforschung (11.5)
– Konsumgeographie (12.1-12.8) – Wirtschaftsgeographie (12.2; 12.6) – Gesamte Geographie (12.8)
– Klimageographie (13.1-13.3) – Geographische Risikoforschung (13.1)
– Hydrogeographie (14.1 – 14.7) – Biogeographie (14.3) – Politische Geographie (14.5; 14.6) – Wirtschaftsgeographie (14.2; 14.7) – Tourismusgeographie (14.7)
8 »Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle«
9 »Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung«
10 »Ungleichheit verringern«
11 »Nachhaltige Städte und Siedlungen«
12 »Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen«
13 »Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen«
14 »Ozeane erhalten«
– Meeresverschmutzung – Ursachen & Folgen – Meeresressourcen & ihre Verfügbarkeit – Raumbezogene Konflikte in der Fischereiwirtschaft – Status Quo & Schutzmaßnahmen aquatischer Ökosysteme
– Klimawandel – Ursachen & Folgen – Klimavulnerabilität und Anpassungsmaßnahmen – Möglichkeiten des Klimaschutzes
– Möglichkeiten nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster – Recycling-Prozesse & ihre Wirksamkeit – Wissensvermittlung über Möglichkeiten nachhaltiger Lebensstile
– Möglichkeiten & Grenzen nachhaltiger Stadtentwicklung – Globale Urbanisierungsprozesse & ihre Folgen – Stadtnatur & ihre Bedeutung Chancen & Herausforderungen nachhaltiger Verkehrssysteme
– Entwicklungsstände der Länder der Erde & ihre Ursachen – Soziale Ungleichheit im Raum & potenzielle Lösungsansätze – Migrationsprozesse und -politiken & ihre Folgen
– regionale Wachstumsmöglichkeiten – Globale Märkte & ihre Folgen – Folgen von Industrialisierungsprozessen
– Globale Wirtschaftssysteme und ihre Folgen – Globale Arbeitsbedingungen & ihre Folgen – Möglichkeiten nachhaltiger Wirtschaftsstrategien – Chancen & Herausforderungen eines nachhaltigen Tourismus
226 Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
– Politische Geographie (16.1-16.10) Entwicklungsgeographie (16.8)
– Finanzgeographie (17.1 – 17.5) – Politische Geographie (17.1-17.5; 17.13-17.17 – Entwicklungsgeographie (17.4) – Bildungsgeographie (17.6-17.9) – Wirtschaftsgeographie (17.10-17.12)
16 »Friedliche und inklusive Gesellschaften«
17 »Umsetzungsmittel und globale Partnerschaft stärken«
Eigene Darstellung
– Biogeographie (15.1-15.9) – Geomorphologie (15.3, 15.4) – Politische Geographie (15.7-15.9)
15 »Landökosysteme schützen«
– Globale Finanzmärkte & ihre Funktionsweisen – nachhaltige Gestaltung von Finanzflüssen – Förderungsmöglichkeiten eines global gerechten Wissenszugangs – Nachhaltige Gestaltung globaler Handelsketten
– Politische Konflikte auf der Erde – Ursachen & Folgen – politische Systeme & ihre Wirkweisen
– Landnutzungswandel & seine Folgen – Desertifikation & ihre Folgen – Globaler Biodiversitätsverlust & seine Folgen – Naturschutzmaßnahmen
5 Wissen und Geographie 227
228
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Es zeigt sich deutlich, dass jedes SDG sowie deren Unterziele inhaltliche Überschneidungen zu allen Teildisziplinen der Geographie aufweist. Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Geographie und ihrer Teildisziplinen sowie auch den interdisziplinären Inhalten der SDGs lassen sich auch innerhalb der einzelnen SDGs verschiedene Teildisziplinen der Geographie zuordnen. In einigen Fällen ist hier ein humangeographischer Schwerpunkt zu beobachten (SDG 1;3;4;5;8-10;16-17), in anderen Fällen ein physisch-geographischer (SDG 2; 6; 13–15). Es handelt sich hierbei selbstverständlich lediglich um eine beispielhafte Einteilung der Inhalte, die nicht den Anspruch der Vollständigkeit erfüllt und zudem beliebig durch weitere relevante Inhalte erweitert werden kann. In vielen Fällen lässt sich sicherlich diskutieren, welche Teildisziplin mehr oder weniger Inhalte beisteuern kann. Aufgrund des Wesens des Faches ist eine genaue Unterteilung auch gar nicht möglich, da ja selbst in den einzelnen Teildisziplinen der Geographie inhaltliche Überschneidungen zu finden sind. Es ist auch nicht das Anliegen dieses Kapitels, herauszustellen, dass die Geographie als alleinige Disziplin in der Lage ist, zur Umsetzung aller SDGs beizutragen, denn diese Behauptung wäre mehr als vermessen. Es zeigt jedoch deutlich, dass die Vermittlung eines geographischen Wissens und Denkens aufgrund seiner Vielfalt insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs der Agenda 2030 einen immensen Beitrag leisten kann und sollte. Insbesondere auch der Blick der Geographie auf das Zusammenwirken der SDGs kann in diesem Kontext als Stärke angesehen werden. Die geringe Dichte an geographischen Publikationen zu diesem Thema gibt angesichts des hohen inhaltlichen Passungsgrades Rätsel auf. In diesem Kontext ist es notwendig, zu erforschen, worin die Ursachen dafür liegen und wie und vor allem ob potenzielle Hemmnisse diesbezüglich beseitigt werden können, sodass die Bedeutung der Geographie im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation und der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele gestärkt werden kann. Denn dass die Geographie hier einen immensen Beitrag leisten kann, ist angesichts der in diesem Kapitel angeführten Überlegungen unbestreitbar.
5.7
Zielgruppen geographischen Wissens – Potenziale & Herausforderungen in der Kommunikation
Angesichts der im vorherigen Kapitel herausgestellten hohen Bedeutung der Geographie und eines geographischen Wissens im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation sowie für die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs, stellt sich nun die Frage, wer die Zielgruppen eines solchen Wissens sind, beziehungsweise sein können. Übergeordnet ergeben sich hier zunächst die gleichen Akteursgruppen wie sie im gesamten Nachhaltigkeitskontext zu finden sind (siehe Kapitel 2.8.4). Da der Fokus dieser Arbeit wie bereits erwähnt auf dem Akteur der Zivilgesellschaft liegt, soll auch in dem hier vorliegenden Zusammenhang nur auf diesen eingegangen werden. Dies bedeutet keineswegs, dass geographisches Wissen nur für zivilgesellschaftliche Belange von Bedeutung ist, im Gegenteil. Insbesondere auch für Akteur*innen aus der Ökonomie und Politik können die genannten Vorteile eines geographischen Wissens und Denkens einen großen Mehrwert bringen im Zusammenhang mit konkreten Handlungsentschei-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Es zeigt sich deutlich, dass jedes SDG sowie deren Unterziele inhaltliche Überschneidungen zu allen Teildisziplinen der Geographie aufweist. Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Geographie und ihrer Teildisziplinen sowie auch den interdisziplinären Inhalten der SDGs lassen sich auch innerhalb der einzelnen SDGs verschiedene Teildisziplinen der Geographie zuordnen. In einigen Fällen ist hier ein humangeographischer Schwerpunkt zu beobachten (SDG 1;3;4;5;8-10;16-17), in anderen Fällen ein physisch-geographischer (SDG 2; 6; 13–15). Es handelt sich hierbei selbstverständlich lediglich um eine beispielhafte Einteilung der Inhalte, die nicht den Anspruch der Vollständigkeit erfüllt und zudem beliebig durch weitere relevante Inhalte erweitert werden kann. In vielen Fällen lässt sich sicherlich diskutieren, welche Teildisziplin mehr oder weniger Inhalte beisteuern kann. Aufgrund des Wesens des Faches ist eine genaue Unterteilung auch gar nicht möglich, da ja selbst in den einzelnen Teildisziplinen der Geographie inhaltliche Überschneidungen zu finden sind. Es ist auch nicht das Anliegen dieses Kapitels, herauszustellen, dass die Geographie als alleinige Disziplin in der Lage ist, zur Umsetzung aller SDGs beizutragen, denn diese Behauptung wäre mehr als vermessen. Es zeigt jedoch deutlich, dass die Vermittlung eines geographischen Wissens und Denkens aufgrund seiner Vielfalt insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs der Agenda 2030 einen immensen Beitrag leisten kann und sollte. Insbesondere auch der Blick der Geographie auf das Zusammenwirken der SDGs kann in diesem Kontext als Stärke angesehen werden. Die geringe Dichte an geographischen Publikationen zu diesem Thema gibt angesichts des hohen inhaltlichen Passungsgrades Rätsel auf. In diesem Kontext ist es notwendig, zu erforschen, worin die Ursachen dafür liegen und wie und vor allem ob potenzielle Hemmnisse diesbezüglich beseitigt werden können, sodass die Bedeutung der Geographie im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation und der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele gestärkt werden kann. Denn dass die Geographie hier einen immensen Beitrag leisten kann, ist angesichts der in diesem Kapitel angeführten Überlegungen unbestreitbar.
5.7
Zielgruppen geographischen Wissens – Potenziale & Herausforderungen in der Kommunikation
Angesichts der im vorherigen Kapitel herausgestellten hohen Bedeutung der Geographie und eines geographischen Wissens im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation sowie für die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs, stellt sich nun die Frage, wer die Zielgruppen eines solchen Wissens sind, beziehungsweise sein können. Übergeordnet ergeben sich hier zunächst die gleichen Akteursgruppen wie sie im gesamten Nachhaltigkeitskontext zu finden sind (siehe Kapitel 2.8.4). Da der Fokus dieser Arbeit wie bereits erwähnt auf dem Akteur der Zivilgesellschaft liegt, soll auch in dem hier vorliegenden Zusammenhang nur auf diesen eingegangen werden. Dies bedeutet keineswegs, dass geographisches Wissen nur für zivilgesellschaftliche Belange von Bedeutung ist, im Gegenteil. Insbesondere auch für Akteur*innen aus der Ökonomie und Politik können die genannten Vorteile eines geographischen Wissens und Denkens einen großen Mehrwert bringen im Zusammenhang mit konkreten Handlungsentschei-
5 Wissen und Geographie
dungen. Rogers postuliert in diesem Zusammenhang, dass die Geographie in ihrer Historie schon immer eine gesamtgesellschaftliche (insbesondere aber auch für politische Entscheidungsträger*innen) Bedeutung eingenommen hat, sowohl auf positive als auch negative Art und Weise (z.B. in Zeiten von Imperialismus und Ethnozentrismus) (Rogers 2005: 289). Die Wissenschaft sowie der gesamte Bildungssektor spielen als Zielgruppe hier eine untergeordnete Rolle, da sie im Kontext von Wissen eher als Produzent und Kommunikationsorgan betrachtet werden müssen, denn als Wissensempfänger. Natürlich ist auch der Wissensaustausch im Forschungskontext nicht außer Acht zu lassen und auch hier kann geographisches Wissen für benachbarte Disziplinen sicherlich einen hohen Mehrwert bringen. Da die Geographie jedoch wie bereits erwähnt einerseits äußerst interdisziplinär arbeitet und auch viele inhaltliche Schnittstellen zu zahlreichen benachbarten Disziplinen aufweist und andererseits ein Wissensaustausch im Forschungskontext auch fachübergreifend sowieso zu den alltäglichen Aufgaben in der Wissenschaft gehört, soll hier der Akteursbereich Wissenschaft/Bildung ausschließlich aus Sicht von Wissensproduktion und -kommunikation betrachtet werden. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Bedeutung geographischen Wissens im Kontext von Akteur*innen aus Ökonomie, Politik und forschender Wissenschaft durchaus auch einer weiteren Erforschung bedarf. So lassen sich sicherlich aus den im Zuge dieser Arbeit erworbenen Erkenntnissen anknüpfende Forschungsdesiderate ableiten, die in Zukunft bearbeitet werden könnten und sollten. Der Wert der Geographie für die Bereiche Ökonomie und Politik erschließt sich allein schon aus der Tatsache heraus, dass sowohl die Wirtschaftsgeographie als auch die politische Geographie sich als langjährige und feststehende Teildisziplinen der Geographie bereits erfolgreich etabliert haben und somit den Mehrwert einer Verknüpfung von geographischen und wirtschaftlichen oder politischen Denkweisen längst erkannt haben. Konkrete Publikationen, die sich mit der Verknüpfung von geographischem Wissen und dessen Wert für ökonomische oder politische Akteur*innen im Nachhaltigkeitskontext beschäftigen, lassen sich darüber hinaus jedoch nicht finden.
5.7.1
Geographisches Wissen für die Zielgruppe der Zivilgesellschaft
Der Fokus soll hier ausschließlich auf der Zielgruppe der Zivilgesellschaft liegen und hier auch nicht im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Organisationen, sondern auf einer rein individuellen Ebene gesellschaftlichen Handelns. Wie nicht anders zu erwarten, liegen auch hier keine Publikationen vor, die sich direkt mit der konkreten Bedeutung eines geographischen Wissens und dessen Einfluss auf zivilgesellschaftliches Handeln im Nachhaltigkeitskontext beschäftigt haben, zumindest nicht auf einer übergeordneten Ebene. Im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation muss die Zivilgesellschaft hier auch auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Im Kontext dieser Arbeit soll hier die Unterteilung nach dem Bildungsstand erfolgen. Gemeint ist hiermit nicht der Grad der Bildung, sondern die Unterteilung in den Teil der Gesellschaft, welcher sich
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5 Wissen und Geographie
dungen. Rogers postuliert in diesem Zusammenhang, dass die Geographie in ihrer Historie schon immer eine gesamtgesellschaftliche (insbesondere aber auch für politische Entscheidungsträger*innen) Bedeutung eingenommen hat, sowohl auf positive als auch negative Art und Weise (z.B. in Zeiten von Imperialismus und Ethnozentrismus) (Rogers 2005: 289). Die Wissenschaft sowie der gesamte Bildungssektor spielen als Zielgruppe hier eine untergeordnete Rolle, da sie im Kontext von Wissen eher als Produzent und Kommunikationsorgan betrachtet werden müssen, denn als Wissensempfänger. Natürlich ist auch der Wissensaustausch im Forschungskontext nicht außer Acht zu lassen und auch hier kann geographisches Wissen für benachbarte Disziplinen sicherlich einen hohen Mehrwert bringen. Da die Geographie jedoch wie bereits erwähnt einerseits äußerst interdisziplinär arbeitet und auch viele inhaltliche Schnittstellen zu zahlreichen benachbarten Disziplinen aufweist und andererseits ein Wissensaustausch im Forschungskontext auch fachübergreifend sowieso zu den alltäglichen Aufgaben in der Wissenschaft gehört, soll hier der Akteursbereich Wissenschaft/Bildung ausschließlich aus Sicht von Wissensproduktion und -kommunikation betrachtet werden. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Bedeutung geographischen Wissens im Kontext von Akteur*innen aus Ökonomie, Politik und forschender Wissenschaft durchaus auch einer weiteren Erforschung bedarf. So lassen sich sicherlich aus den im Zuge dieser Arbeit erworbenen Erkenntnissen anknüpfende Forschungsdesiderate ableiten, die in Zukunft bearbeitet werden könnten und sollten. Der Wert der Geographie für die Bereiche Ökonomie und Politik erschließt sich allein schon aus der Tatsache heraus, dass sowohl die Wirtschaftsgeographie als auch die politische Geographie sich als langjährige und feststehende Teildisziplinen der Geographie bereits erfolgreich etabliert haben und somit den Mehrwert einer Verknüpfung von geographischen und wirtschaftlichen oder politischen Denkweisen längst erkannt haben. Konkrete Publikationen, die sich mit der Verknüpfung von geographischem Wissen und dessen Wert für ökonomische oder politische Akteur*innen im Nachhaltigkeitskontext beschäftigen, lassen sich darüber hinaus jedoch nicht finden.
5.7.1
Geographisches Wissen für die Zielgruppe der Zivilgesellschaft
Der Fokus soll hier ausschließlich auf der Zielgruppe der Zivilgesellschaft liegen und hier auch nicht im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Organisationen, sondern auf einer rein individuellen Ebene gesellschaftlichen Handelns. Wie nicht anders zu erwarten, liegen auch hier keine Publikationen vor, die sich direkt mit der konkreten Bedeutung eines geographischen Wissens und dessen Einfluss auf zivilgesellschaftliches Handeln im Nachhaltigkeitskontext beschäftigt haben, zumindest nicht auf einer übergeordneten Ebene. Im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation muss die Zivilgesellschaft hier auch auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Im Kontext dieser Arbeit soll hier die Unterteilung nach dem Bildungsstand erfolgen. Gemeint ist hiermit nicht der Grad der Bildung, sondern die Unterteilung in den Teil der Gesellschaft, welcher sich
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
noch in der Bildung befindet (Schule, Ausbildung, Hochschule oder vergleichbares) und den Teil der Gesellschaft, welcher den Bildungsweg bereits abgeschlossen hat.3 Die Bedeutung der Geographie und geographischer Bildung im Nachhaltigkeitskontext für den schulischen Bildungsbereich ist insbesondere in der geographiedidaktischen Forschung der letzten Jahre in zahlreichen Publikationen herausgestellt worden. Dies zeigt sich schon dadurch, dass das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung weltweit Einzug in geographische Schulcurricula gehalten hat, angefangen von Deutschland (Sprenger & Nienhaber 2017) über Norwegen (Saetre 2016) bis hin zu China (Guo et al. 2018), Indien (Leder 2018) und Südafrika (Dube 2017). Die offensichtliche Verbindung von geographischen und nachhaltigkeitsbezogenen Inhalten ist somit zumindest auf schulischer Ebene längst erkannt und erfolgreich verankert worden. Dabei wurde auch hinlänglich das große Potenzial einer geographischen Bildung beforscht und verifiziert, ein nachhaltiges Denken überhaupt zu entwickeln und maßgeblich zu fördern. (Meadows 2020: 90). Die in diesen Forschungen gezogenen Schlussfolgerungen über den Wert der Geographie in diesem Zusammenhang decken sich vollständig mit den bereits aufgeführten allgemeinen Stärken der Geographie im Nachhaltigkeitskontext und werden aus diesem Grund hier nicht noch einmal näher thematisiert. Meadows fasst die Quintessenz perfekt zusammen, wenn er resümiert: »It is fair to say that Geography education is fundamental to sustainability in fostering the knowledge, skills, attitudes, and practices that enable people to make more reasoned decisions for the planet. Our local, regional, national and global leaders would do well to take heed« (Meadows 2020: 91) Auch im deutschsprachigen Raum lassen sich gegenwärtig zahlreiche Bestrebungen finden, den hohen Stellenwert der Geographie als Schulfach im Nachhaltigkeitskontext stärker in den Vordergrund zu rücken. Auch wenn die Ursachen hierfür wohl eher in der Tatsache begründet liegen, dass aktuell in der deutschen Schullandschaft an vielen Stellen eine Schwächung des Faches zu erkennen ist (z.B. Stundenverlust oder Zusammenschluss mit anderen Fächern), zeigt die 2019 ins Leben gerufene Roadmap 2030 der Geographie eindeutig, dass ein fachlicher Konsens darüber besteht, dass geographische Bildung im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation eine tragende Rolle spielen muss. In diesem Kontext bestehen zehn Forderungen, die das Fach im schulischen Kontext stärken sollen, indem es unter anderem als eigenständiges Fach und durchgehend unterrichtet wird und gleichzeitig auch als BNE-Leitfach sowie als MenschUmwelt-Disziplin anerkannt wird (Mehren 2022: 1ff.). Es lässt sich dementsprechend die These aufstellen, dass zumindest im schulischen Kontext ausreichend Bestrebungen existieren, diesen Teil der Gesellschaft mit ausreichendem geographischem Wissen und Kompetenzen zu versorgen, um somit eine Grundlage für nachhaltiges Denken und Handeln zu schaffen.
3
Der Begriff des lebenslangen Lernens ebenso wie die Möglichkeit von beruflichen Weiterbildungen werden hier bewusst ausgeklammert, da ansonsten eine Unterteilung dieser Art nicht möglich ist.
5 Wissen und Geographie
Anders sieht dies für den Bereich der Gesellschaft aus, der die schulische, universitäre und/oder berufliche Ausbildung bereits abgeschlossen hat und somit als außenstehend zu den Bildungsinstitutionen betrachtet werden muss. Hier lassen sich sowohl national als auch international keine Publikationen finden, die sich damit beschäftigen, wie der Beitrag der Geographie und somit das geographische Wissen für den Nachhaltigkeitskontext gewinnbringend in diese breite Masse der Gesellschaft getragen werden kann. Da die Bevölkerung in Deutschland jedoch dem Prozess des demographischen Wandels ausgesetzt ist, macht eben dieser Teil der Bevölkerung den größten Anteil aus. Im Jahr 2021 lag die Zahl der Personen, die zur Schule gehen und sich in einer Ausbildung oder im Studium befinden bei ca. 12,6 Millionen. Erwerbstätige Personen, arbeitslose Menschen und Rentner*innen kommen dabei auf eine Anzahl von gerundet 68 Millionen (Destatis 2021). Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 81 %. Diese Tendenz wird im Zuge der demographischen Alterung zukünftig steigen. Wenn also eine gesellschaftliche Transformation hin zur Nachhaltigkeit erreicht werden soll, ist es nicht ausreichend, dass nur die jungen und somit zukünftigen Generationen ein gewinnbringendes geographisches Wissen hierfür vermittelt bekommen. Es sollte auch verstärkt darum gehen, den übrigen Großteil der Bevölkerung hier einzubeziehen. Doch anders als im Bildungsbereich, wo Wissensvermittlung an der Tagesordnung steht, lassen sich hier im Zusammenhang mit der Kommunikation von Wissen deutlich mehr Herausforderungen finden, die es zu überwinden gilt. Die grundlegenden Aspekte des Wissenstransfers und der Wissenskommunikation sowohl allgemein betrachtet als auch im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit wurden bereits in den Kapitel 3.4 und 4.3 ausführlich erörtert und sollen daher an dieser Stelle nicht mehr aufgegriffen werden, da diese für die Vermittlung eines geographischen Wissens als identisch zu betrachten sind. Es stellt sich nun noch die Frage, welche geographischen Wissensbestände im Nachhaltigkeitskontext für die Zielgruppe der individuell handelnden Zivilgesellschaft relevant sind. Da es hierzu keine konkreten Publikationen gibt, können an dieser Stelle nur Erkenntnisse aus anderen Bereichen transferiert werden. In Kapitel 2.8.5 wurde deutlich, was die zentralen Handlungsfelder der Zivilgesellschaft im Nachhaltigkeitskontext sind. Kapitel 5.6 hat gezeigt, welche geographischen Wissensbestände im Zuge der Umsetzung der Sustainable Development Goals von Bedeutung sind. Im Endeffekt lassen sich genau diese auch auf die Zielgruppe der Zivilgesellschaft übertragen. Die Geographie kann demnach ein Wissen zu allen vier Handlungsfeldern beisteuern. Ob es um Mobilitätsverhalten und seine Auswirkungen geht (z.B. Thema der Verkehrsgeographie), die Vermittlung kultureller Normen & Werte und deren Folgen für gesellschaftliches Handeln (z.B. Thema der Sozial- und Kulturgeographie), die Gestaltung von Strukturen am Arbeitsplatz (z.B. Thema der Wirtschaftsgeographie) oder um Konsum, dessen Auswirkungen alle Teilbereiche der Geographie abdecken, geographisches Wissen kann für jeden Bereich individuellen Handelns genutzt werden. Martin identifiziert konkrete Beispiele aus der Alltagswelt des Menschen, bei denen geographisches Wissen seine Anwendung findet (Martin 2006: 133): • •
Die Entscheidung, welches Essen wo gekauft wird (grundsätzlich Kaufentscheidungen für Konsumgüter jeglicher Art) Die Entscheidung, wohin und wie Reisen betrieben werden
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
• • • • • • • • • • •
Die Nutzung von Karten zur Orientierung im Raum Das Verständnis vom Wetter und seinen Folgen für das persönliche Handeln Die Wahl von Transportmitteln sowohl zur Arbeit als auch in der Freizeit Die Berufswahl Die Entscheidung für einen Wohnort und die Art des Wohnens Das Verständnis von Landschaften und allgemein Orten an denen man sich aufhält Kulturelle Lebensweisen und deren Diversität verstehen, wertschätzen und respektieren Die Findung von Möglichkeiten für ein Engagement in der persönlichen Community Das Verständnis darüber, welche globalen Auswirkungen lokale Handlungen nach sich ziehen Eine kritische Sichtweise auf Informationen & Daten aus allen Medienbereichen Das Verständnis der globalen Probleme und die Entwicklung sowie Durchführung von Lösungsansätzen und Handlungsoptionen im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit
Diese Liste kann beliebig erweitert werden. Tabelle 11 zeigt in Anlehnung an Martin und die in Kapitel 5.3.3 formulierten Schlüsselkonzepte der Geographie wie geographische Konzepte und deren Wissensbestände im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Handlungsfelder angewendet werden können.
Tabelle 11: Geographische Konzepte und ihr Einfluss auf gesellschaftliche Handlungsfelder Geographische Konzepte
Wissen über…
Gesellschaftliche Handlungsfelder
Ortsverständnis & Orientierung (Place)
… die Charakteristika von Orten auf der Erde und deren Zusammenhänge
z.B.: Verständnis der Orte, an denen man sich aufhält; Reiseentscheidungen
Räumliche Muster & Klassifikationen (Space)
… Räume, räumliche Strukturen, & deren Zusammenhänge … anthropogene Handlungen & deren Auswirkungen im Raum
z.B. Wohnortentscheidungen; Berufswahl; Konsumentscheidungen
Maßstab (Scale)
… Relationen zwischen den einzelnen Maßstabsebenen von lokal bis global … die Auswirkungen von Handlungen innerhalb & zwischen den Maßstabsebenen
z.B. Verständnis der globalen Folgen persönlicher, lokaler Handlungen (z.B. Konsum & Mobilität); Engagement in der Community
Zeit
… Wandlungsprozesse von Orten und Räumen … Entwicklungen von Orten, Räumen & Prozessen in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft
z.B. Verständnis des Zeitfaktors individueller Handlungen (insb. im Nachhaltigkeitskontext)
5 Wissen und Geographie Multiperspektivität
… verschiedene Sichtweisen auf die globalen Zusammenhänge der Erde … kulturelle, religiöse und ethische Sichtweisen und deren Diversität im Hinblick
z.B. Verständnis des Wertes einer multiperspektivischen Sichtweise auf globale Zusammenhänge sowie für individuelle Handlungs-entscheidungen; Verständnis, Akzeptanz und Respektierung kultureller Lebensweisen und deren Diversität gesellschaftliche Teilhabe
Mensch-UmweltSystem
… natürliche und anthropogene Systeme, Prozesse & deren Wechselwirkungen … Veränderungen von Systemen und den Folgen für Mensch und Umwelt
z.B. Verständnis der Folge-wirkungen eigener Handlungen auf natürliche und gesellschaftliche Umfelder sowohl lokal als auch global; Konsumund Mobilitäts-entscheidungen
Nachhaltigkeit
… über die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts, den Ursachen sowie potenzielle Lösungsansätze … Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation zur Nachhaltigkeit
z.B. Verständnis der Notwendigkeit von nachhaltigem Handeln und individueller Partizipation; Die Anwendung nachhaltiger Handlungsoptionen in allen Lebensbereichen
Eigene erweiterte u. veränderte Darstellung in Anlehnung an Martin 2006: 137
Die beliebig erweiterbare Liste sowie auch die Verknüpfung von geographischen Schlüsselkonzepten mit gesellschaftlichen Handlungsfeldern zeigen deutlich, dass geographisches Wissen in allen Lebensbereichen des individuellen Handelns genutzt und angewendet werden kann, immer vorausgesetzt, dass geographische Wissensbestände anwendungsorientiert vermittelt werden (Kerski 2015: 22). An dieser Stelle sei angemerkt, dass dies auch nur einen schematischen und groben Ausschnitt darstellt. Aufgrund der Vielzahl geographischer Themen in Verbindung mit der Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik ist eine detaillierte tabellarische Darstellung kaum möglich. Zudem wurden die Inhalte der Geographie und deren Nachhaltigkeitsbezüge bereits in den vorangegangenen Kapiteln thematisiert, sodass es hier nur um potenzielle Verknüpfungen zu den Handlungsfeldern der Zielgruppe der Zivilgesellschaft geht. Es wird jedoch deutlich, dass es neben der Identifizierung eines geographisch relevanten Wissens im Nachhaltigkeitskontext und für konkrete gesellschaftliche Handlungen ebenfalls notwendig ist, den Wissensstand der Gesellschaft zu diesen Handlungsbereichen zu erfassen, was bereits in Kapitel 4 als Forschungslücke dargestellt worden ist. Denn dann könnten Wissenslücken und somit ein gesellschaftlicher Handlungsbedarf einerseits identifiziert und andererseits festgestellt werden, in welchen Bereichen geographisches Wissen bereitgestellt werden kann und muss, um diese Lücken zu füllen und somit letzten Endes durch einen erhöhten Wissensgrad zu einem verstärkten individuellen Handeln und letztendlich zu einer verbesserten Umsetzung von spezifischen Nachhaltigkeitszielen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation beizutragen. Darüber hinaus könnten auch weitere gesellschaftliche Handlungsfelder identifiziert werden, die bisher zu wenig Beachtung gefunden haben. Denn das Ziel einer modernen Nachhaltigkeitsforschung auch im Hinblick auf die Knowledge-Action-Gap muss es
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
sein, den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und den gesellschaftlichen Wissensbedarf viel stärker in Beziehung zu setzen als es bisher der Fall war (Jaeger & Scheringer 2006: 22).
5.7.2 Potenziale & Herausforderungen geographischer Wissenskommunikation Die Geographie als Forschungsdisziplin hat für die Bereitstellung von Wissen verschiedene potenzielle Kommunikationsorgane. Die übergeordnete Dachorganisation der Geographie bildet die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). Diese vereint alle geographischen Verbände und Gesellschaften in Deutschland. Hier lassen sich insgesamt sechs Verbände oder Gesellschaften differenzieren. Zuerst genannt sei der Verband für Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH). Dieser Vertritt die Interessen der geographischen Institute. Für den deutschsprachigen Raum existieren aktuell 77 wissenschaftliche Institute, welche an Universitäten verankert sind (Deutschland 63; Österreich 8; Schweiz 6). Darüber hinaus gibt es mit dem Leibnitz-Institut für Länderkunde ein außeruniversitäres Forschungsinstitut sowie Kooperationen mit 13 weiteren außeruniversitären Forschungsinstituten an denen Geograph*innen angestellt sind (DGFG 2022). Auch wenn die geographiedidaktischen Institute in diese Aufzählung mit hinein zählen, haben diese mit dem Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD) auch noch eine eigenständige und separate Interessensvertretung. Darüber hinaus existiert noch ein Verband für deutsche Schulgeographen (VDSG), welcher die Interessen der Geographielehrer*innen vertritt sowie die Vertretung deutschsprachiger Geographie-Studierender (GeoDACH) für die Interessensvertretung aller Studierenden der Geographie. Der deutsche Verband für angewandte Geographie (DVAG) vertritt die Interessen von Geograph*innen in außeruniversitären Berufsfeldern und bildet somit ein Bindeglied zwischen Forschung, Beruf und Politik. Die geographischen Gesellschaften (GeoGes) sind eigenständige Institutionen, die jedoch eng mit allen anderen Verbänden zusammenarbeiten und in vielen Fällen auch strukturell eng mit den geographischen Instituten verzahnt sind. Insgesamt lassen sich 38 verschiedene Standorte geographischer Gesellschaften im gesamten deutschsprachigen Raum finden. Die geographischen Gesellschaften sind für die Öffentlichkeitsarbeit der Geographie zuständig. Sie fußen auf einer über 150 Jahre alten Tradition (siehe Kapitel 5.2) und sind dementsprechend von hoher Bedeutung für die Wahrnehmung der Geographie in der Öffentlichkeit. Durch das Durchführen von Veranstaltungen, Vorträgen und Exkursionen versuchen sie geographisches Wissen einer breiten Masse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Darüber hinaus fungieren sie auch als Netzwerk und Austauschplattform für alle Interessierten der Geographie (DGFG 2022). Im Hinblick auf die Zielgruppe der Zivilgesellschaft außerhalb der Ausbildungsinstitutionen bilden die geographischen Gesellschaften zusammen mit den geographischen Forschungsinstituten und Universitäten dementsprechend die wichtigsten Produktions- und Vermittlungsorgane für geographisches Wissen in die breite Öffentlichkeit (Dittmann 2014: 230) allgemein, aber auch fokussiert auf den Nachhaltigkeitskontext. Doch obwohl mit den GeoGes ein lang etabliertes öffentlichkeitswirksames Kommunikationsorgan besteht, welches ein besonderes Spezifikum in Deutschland darstellt
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
sein, den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und den gesellschaftlichen Wissensbedarf viel stärker in Beziehung zu setzen als es bisher der Fall war (Jaeger & Scheringer 2006: 22).
5.7.2 Potenziale & Herausforderungen geographischer Wissenskommunikation Die Geographie als Forschungsdisziplin hat für die Bereitstellung von Wissen verschiedene potenzielle Kommunikationsorgane. Die übergeordnete Dachorganisation der Geographie bildet die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG). Diese vereint alle geographischen Verbände und Gesellschaften in Deutschland. Hier lassen sich insgesamt sechs Verbände oder Gesellschaften differenzieren. Zuerst genannt sei der Verband für Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH). Dieser Vertritt die Interessen der geographischen Institute. Für den deutschsprachigen Raum existieren aktuell 77 wissenschaftliche Institute, welche an Universitäten verankert sind (Deutschland 63; Österreich 8; Schweiz 6). Darüber hinaus gibt es mit dem Leibnitz-Institut für Länderkunde ein außeruniversitäres Forschungsinstitut sowie Kooperationen mit 13 weiteren außeruniversitären Forschungsinstituten an denen Geograph*innen angestellt sind (DGFG 2022). Auch wenn die geographiedidaktischen Institute in diese Aufzählung mit hinein zählen, haben diese mit dem Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD) auch noch eine eigenständige und separate Interessensvertretung. Darüber hinaus existiert noch ein Verband für deutsche Schulgeographen (VDSG), welcher die Interessen der Geographielehrer*innen vertritt sowie die Vertretung deutschsprachiger Geographie-Studierender (GeoDACH) für die Interessensvertretung aller Studierenden der Geographie. Der deutsche Verband für angewandte Geographie (DVAG) vertritt die Interessen von Geograph*innen in außeruniversitären Berufsfeldern und bildet somit ein Bindeglied zwischen Forschung, Beruf und Politik. Die geographischen Gesellschaften (GeoGes) sind eigenständige Institutionen, die jedoch eng mit allen anderen Verbänden zusammenarbeiten und in vielen Fällen auch strukturell eng mit den geographischen Instituten verzahnt sind. Insgesamt lassen sich 38 verschiedene Standorte geographischer Gesellschaften im gesamten deutschsprachigen Raum finden. Die geographischen Gesellschaften sind für die Öffentlichkeitsarbeit der Geographie zuständig. Sie fußen auf einer über 150 Jahre alten Tradition (siehe Kapitel 5.2) und sind dementsprechend von hoher Bedeutung für die Wahrnehmung der Geographie in der Öffentlichkeit. Durch das Durchführen von Veranstaltungen, Vorträgen und Exkursionen versuchen sie geographisches Wissen einer breiten Masse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Darüber hinaus fungieren sie auch als Netzwerk und Austauschplattform für alle Interessierten der Geographie (DGFG 2022). Im Hinblick auf die Zielgruppe der Zivilgesellschaft außerhalb der Ausbildungsinstitutionen bilden die geographischen Gesellschaften zusammen mit den geographischen Forschungsinstituten und Universitäten dementsprechend die wichtigsten Produktions- und Vermittlungsorgane für geographisches Wissen in die breite Öffentlichkeit (Dittmann 2014: 230) allgemein, aber auch fokussiert auf den Nachhaltigkeitskontext. Doch obwohl mit den GeoGes ein lang etabliertes öffentlichkeitswirksames Kommunikationsorgan besteht, welches ein besonderes Spezifikum in Deutschland darstellt
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(Nadler & Kosinski 2018: 291), scheint der öffentliche Wirksamkeitsgrad dieser Gesellschaften doch eher gering zu sein (ebd.: 298), bedenkt man insbesondere die gegenwärtige gesellschaftliche Wahrnehmung der Geographie wie sie in Kapitel 5.4 dargestellt wurde. Dies gilt insbesondere für den Nachhaltigkeitskontext, wo geographische Beteiligungen bei Themen mit alltagsweltlichen Bezügen wie beispielsweise Klimawandel, Ernährung oder Migration nach wie vor selten sind (Smith 2013: 189). Doch das die Geographie eine enorme Praxis- und Öffentlichkeitsrelevanz besitzt, die in vielen anderen Wissenschaften nicht in diesem Ausmaß vorliegt (Klüter 2009: 8), wurde im Zuge dieser Arbeit bereits mehr als deutlich. Aus diesem Grund sollten nützliche Organe wie die geographischen Gesellschaften einen viel höheren Stellenwert erhalten, als es gegenwärtig der Fall ist. Doch gegenwärtig scheint das Image dieser Gesellschaften eher negativ behaftet zu sein und es wird sogar eine zukünftige Schrumpfung dieser prognostiziert (Dittmann 2014: 230). Die Ursachen hierfür sind vielfältig und nicht eindeutig zu definieren. Das Potenzial der GeoGes für die Vermittlung eines geographischen Wissens insbesondere durch eine potenzielle Nutzung alternativer Formate und Kanäle (z.B. Social Media, Geospiele, Science Slams etc.) ist jedoch eindeutig vorhanden, wird allerdings nur in wenigen Fällen genutzt oder überhaupt gesehen (Nadler & Kosinski 2018: 299). Wenn die geographischen Gesellschaften auch zukünftig als wertvolles und nützliches Organ der Wissensvermittlung in die Öffentlichkeit fungieren wollen, müssen sie sich in ihrer Struktur, Vermittlungskultur und auch im Hinblick auf den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren neu ausrichten (ebd.: 303). Hier könnte insbesondere die verstärkte Einbindung problemorientierter Themen wie sie vor allem im Nachhaltigkeitskontext zu finden sind helfen, denn eine problemzentrierte Denkweise lässt sich in zahlreichen Forschungsgegenständen der Geographie widerfinden (Klüter 2009: 8; Smith 2013: 192). Die geographischen Institute fungieren neben ihrer Funktion als Wissensproduzenten auch als zentrale Wissensvermittler in der Öffentlichkeit. Eine Aufgabe, der viele Wissenschaftler*innen der Geographie bisher nur wenig nachgehen, trotz der vereinfachten Möglichkeiten des Wissenstransfers durch digitale Medien (Smith 2013: 189). Auch hier gibt es eine Vielzahl an Gründen, die vermehrt auch mit dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Reputationssystem zusammenhängen, welches insbesondere Nachwuchswissenschaftler*innen Grenzen im Hinblick auf eine außeruniversitäre Wissensvermittlung auferlegt (Nadler & Kosinski 2018: 302). Dennoch müssen die geographischen Institute aufgrund der von ihnen geleisteten immensen Wissensproduktion auch als Wissenskommunikatoren verstärkt in der Öffentlichkeit auftreten, zumal dies auch im Hochschulgesetz verankert und somit verpflichtend ist (Hochschulrahmengesetz, §2): (1) »Die Hochschulen fördern den Wissens- und Technologietransfer« (2) »Die Hochschulen unterrichten die Öffentlichkeit über die Erfüllung ihrer Aufgaben«
In den meisten Fällen wird dies über wissenschaftliche Publikationen in den verschiedensten Formaten getätigt. Für die deutschsprachige Geographie existieren 18 anerkannte Fachzeitschriften im fachwissenschaftlichen Bereich und 8 für den didaktischen Bereich. Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Geographie erscheinen abseits davon ein Großteil der Publikationen auch in übergeordneten Fachzeitschriften,
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welche in einer Vielzahl existieren. Die meisten Publikationen werden im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb jedoch in englischer Sprache und in internationalen Journals publiziert. Hier greifen im Hinblick auf die Wissensvermittlung in die Öffentlichkeit die allgemeinen Hemmnisse wie beispielsweise Kosten der Anschaffung der Publikationen oder ein hoher und teilweise für den Laien unverständlicher Komplexitätsgrad (siehe auch Kapitel 4.3). Resümierend zeigt sich, dass die Geographie neben den allgemeinen wissenschaftlichen Instituten auch mit den geographischen Gesellschaften ein wertvolles Organ der Wissensvermittlung besitzt. Doch in interdisziplinären Forschungsansätzen im Kontext einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation wird die Geographie wie beispielsweise bei Helbling überhaupt nicht als beitragende Disziplin in Betracht gezogen (Helbling 2018: 12). Im Kontext einer Vermittlung geographisch relevanten Wissens im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation für die Öffentlichkeit müssen daher sowohl die Institute und somit die Wissenschaftler*innen selbst als auch die Gesellschaften zukünftig mehr investieren, um einerseits die gesellschaftliche Relevanz des Faches auch im Nachhaltigkeitskontext zu steigern und andererseits eine Wissensvermittlung zu betreiben, die als gewinnbringend und breitenwirksam bezeichnet werden kann. Der verstärkte Einbezug problemorientierter geographischer Themen, die sich mit den Nachhaltigkeitsfragen decken, in Kombination mit der Verwendung neuer Vermittlungsformate und Kanäle könnte hier ein Lösungsansatz sein. Dabei ist ein großer Vorteil der Geographie im Hinblick auf die Wissenskommunikation, dass sie durch die Kombination multipler Perspektiven in der Lage ist, komplexe und massenhafte Wissensbestände, wie sie insbesondere zu Themen der Nachhaltigkeit inzwischen vorliegen, sinnvoll zu strukturieren und zu synthetisieren, anders als dies Beispielsweise bei einer Informationsrecherche auf den Suchmaschinen des Internets der Fall ist (Laub 2021: 200). Wie und über welche Kanäle genau geographisches Wissen gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft außerhalb von Bildungsinstitutionen gebracht werden, kann, ist bisher kaum erforscht und Bedarf einer vertieften Auseinandersetzung.
5.8
Diskussion: Alle Wege führen zur Geographie?! Die zukünftige Rolle für eine sozial-ökologische Transformation
Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die Geographie als Wissenschaft einen maßgeblichen Beitrag im Nachhaltigkeitskontext allgemein, aber auch auf einer spezifischeren Ebene in der Umsetzung der SDGs leisten kann. Dies liegt an erster Stelle im Wesen des Faches begründet. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen innerhalb der Definitionsversuche der Geographie, die verschiedenen Strömungen und Paradigmenwechsel in der historischen Entwicklung und die vielseitige Struktur des Faches sowie die zentralen Schlüsselkonzepte der Geographie haben verdeutlicht, dass der Einbezug räumlicher, zeitlicher und maßstäblicher Ebenen im Zuge multiperspektivischer und interdisziplinärer Betrachtungsweisen auf globale Entwicklungen und Problemstellungen des 21. Jahrhunderts sowohl in der Geographie als auch in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte von zentraler Bedeutung sind. Doch es sind nicht nur die übergeordneten geographischen Denk- und Arbeitsweisen, die im Hinblick auf eine nachhaltige Entwick-
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welche in einer Vielzahl existieren. Die meisten Publikationen werden im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb jedoch in englischer Sprache und in internationalen Journals publiziert. Hier greifen im Hinblick auf die Wissensvermittlung in die Öffentlichkeit die allgemeinen Hemmnisse wie beispielsweise Kosten der Anschaffung der Publikationen oder ein hoher und teilweise für den Laien unverständlicher Komplexitätsgrad (siehe auch Kapitel 4.3). Resümierend zeigt sich, dass die Geographie neben den allgemeinen wissenschaftlichen Instituten auch mit den geographischen Gesellschaften ein wertvolles Organ der Wissensvermittlung besitzt. Doch in interdisziplinären Forschungsansätzen im Kontext einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation wird die Geographie wie beispielsweise bei Helbling überhaupt nicht als beitragende Disziplin in Betracht gezogen (Helbling 2018: 12). Im Kontext einer Vermittlung geographisch relevanten Wissens im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation für die Öffentlichkeit müssen daher sowohl die Institute und somit die Wissenschaftler*innen selbst als auch die Gesellschaften zukünftig mehr investieren, um einerseits die gesellschaftliche Relevanz des Faches auch im Nachhaltigkeitskontext zu steigern und andererseits eine Wissensvermittlung zu betreiben, die als gewinnbringend und breitenwirksam bezeichnet werden kann. Der verstärkte Einbezug problemorientierter geographischer Themen, die sich mit den Nachhaltigkeitsfragen decken, in Kombination mit der Verwendung neuer Vermittlungsformate und Kanäle könnte hier ein Lösungsansatz sein. Dabei ist ein großer Vorteil der Geographie im Hinblick auf die Wissenskommunikation, dass sie durch die Kombination multipler Perspektiven in der Lage ist, komplexe und massenhafte Wissensbestände, wie sie insbesondere zu Themen der Nachhaltigkeit inzwischen vorliegen, sinnvoll zu strukturieren und zu synthetisieren, anders als dies Beispielsweise bei einer Informationsrecherche auf den Suchmaschinen des Internets der Fall ist (Laub 2021: 200). Wie und über welche Kanäle genau geographisches Wissen gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft außerhalb von Bildungsinstitutionen gebracht werden, kann, ist bisher kaum erforscht und Bedarf einer vertieften Auseinandersetzung.
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Diskussion: Alle Wege führen zur Geographie?! Die zukünftige Rolle für eine sozial-ökologische Transformation
Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die Geographie als Wissenschaft einen maßgeblichen Beitrag im Nachhaltigkeitskontext allgemein, aber auch auf einer spezifischeren Ebene in der Umsetzung der SDGs leisten kann. Dies liegt an erster Stelle im Wesen des Faches begründet. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen innerhalb der Definitionsversuche der Geographie, die verschiedenen Strömungen und Paradigmenwechsel in der historischen Entwicklung und die vielseitige Struktur des Faches sowie die zentralen Schlüsselkonzepte der Geographie haben verdeutlicht, dass der Einbezug räumlicher, zeitlicher und maßstäblicher Ebenen im Zuge multiperspektivischer und interdisziplinärer Betrachtungsweisen auf globale Entwicklungen und Problemstellungen des 21. Jahrhunderts sowohl in der Geographie als auch in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte von zentraler Bedeutung sind. Doch es sind nicht nur die übergeordneten geographischen Denk- und Arbeitsweisen, die im Hinblick auf eine nachhaltige Entwick-
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lung gewinnbringend sein können, sondern insbesondere auch die thematische Vielfalt des Faches. So hat das Modell der Geographien der SDGs (Abbildung 29) eindrücklich gezeigt, dass auch auf der Ebene spezifischer Nachhaltigkeitsziele geographische Wissensbestände in allen relevanten Teilbereichen eingebunden werden können. Vor allem auf der individuellen zivilgesellschaftlichen Ebene wird deutlich, dass geographisches Wissen in allen relevanten Handlungsfeldern angewendet werden kann und somit auch einen Einfluss auf konkrete Handlungen und Umsetzungsmaßnahmen nehmen kann. Der Geographie kann somit eine Schlüsselrolle im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit zugeschrieben werden. Doch die bisher getroffenen Annahmen sind nur dann zutreffend, wenn die der Geographie zugeteilten Attribute auch tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Es ist daher an dieser Stelle angebracht, einen kritischen Blick auf die Realität zu werfen. So wird beispielsweise die Auslegung der Geographie als ein Brückenfach in der Schnittstelle zwischen Natur und Mensch von Weichart als eine wirksame Metapher bezeichnet, die jedoch das Problem, auf welches sie abzielt, nicht zu lösen vermag (Weichart 2008: 59). Eine solche Metapher reduziert die hochkomplexen Zusammenhänge von Mensch und Natur auf zu einfache Art und Weise, denn die Bereiche Mensch und Natur sind nach gegenwärtigem Stand nicht getrennt zu denken. Folglich kann es auch keine Brücke zwischen diesen beiden Bereichen geben. Die Aufgabe der Geographie sollte demnach nicht das Konstruieren von Brücken zwischen den Daseinsbereichen von Natur und Mensch sein, sondern viel eher auf die bestehenden Zusammenhänge zwischen diesen beiden Bereichen aufmerksam und diese somit »analytisch fassbar« machen (ebd.: 66). Die Stärke der Geographie auch im Hinblick auf den Nachhaltigkeitskontext sollte folglich nicht in einer Brückenfunktion begründet liegen, sondern vielmehr in der Vermittlung einer Denkweise, die auf komplexe, systeminhärente Zusammenhänge und Interdependenzen aufmerksam macht, welche beim untrennbaren Zusammenspiel von anthropogenen Handlungen und natürlichen Gegebenheiten eine Rolle spielen. Die Betrachtung der Interdisziplinarität der Geographie, die hier ebenfalls mit hineinspielt, führt zu einem weiteren Problem. Denn die in der Historie vollzogene fachliche Trennung in eine physische und eine Humangeographie fußt an erster Stelle auf in der Historie entwickelten forschungsparadigmatischen Unterschieden und hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung, sodass Bestrebungen einer fachlichen Vereinigung auch als kontraproduktiv betrachtet werden können (Weichart 2003: 23f.). Die Lösung dieses Problems in einer dritten Säule der Geographie als Mensch-Umwelt-Forschung, wie sie seit einigen Jahren propagiert wird, ist jedoch ebenfalls als kritisch zu betrachten, denn wie Weichart anführt, sind hier im Vergleich zu bereits etablierten Mensch-Umwelt-Forschungen wie der Ökologie in geographischen Bestrebungen oftmals Defizite aufzufinden, die Bereits in fälschlich verwendeten Begriffsverständnissen von Umwelt und Gesellschaft zu sehen sind (ebd.: 27ff.). Auch wenn sich hier in den letzten Jahren sicherlich viel getan hat, was beispielsweise auch an der Einrichtung konkreter Mensch-UmweltProfessuren innerhalb der Geographie sowie zahlreichen Publikationen in diesem Bereich festzumachen ist, besteht eine zukünftige Aufgabe der Geographie im Nachhaltigkeitskontext sicherlich weiterhin darin, solche Mensch-Umwelt-Forschungen verstärkt voran zu treiben, um einerseits mit benachbarten Disziplinen mithalten zu können und andererseits die Stärke einer Mensch-Umwelt-Forschung als eines der Schlüsselkonzep-
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te des Faches im Nachhaltigkeitskontext aufrechtzuerhalten. Ehlers postuliert, dass die Kerninhalte von physischer und Humangeographie auch im Kontext der globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts weiterhin ein unverzichtbarer Bestandteil geographischen Lernens und Denkens sind. Denn die Auseinandersetzung mit beiden Bereichen fördert eben genau das angesprochene Denken in Zusammenhängen sowohl innerhalb der geographischen Teildisziplinen als auch darüber hinaus (Ehlers 2004: 83). Hieraus lässt sich ableiten, dass ein Zusammenschluss der beiden geographischen Kernbereiche gar nicht notwendig ist, da allein die Beschäftigung mit Wissensbeständen beider Bereiche, die der Geographie gegebenen Stärke eines systemischen Denkens überhaupt erst hervorbringt. Interdisziplinarität ist somit durchaus eine Stärke der Geographie, wenn es darum geht, einen Nachhaltigkeitsbeitrag zu leisten, jedoch nur unter der Prämisse, dass dabei die Anerkennung als eigenständige Disziplin nicht verloren geht (Meadows 2020: 91). Die bis heute anhaltenden Diskurse und Unstimmigkeiten über das tatsächliche Wesen der Geographie müssen ebenfalls kritisch betrachtet werden. Denn diese Uneinigkeit führt dazu, dass auch die Außenwahrnehmung der Geographie nach wie vor als sehr diffus zu klassifizieren ist, wie sich in Kapitel 5.4 gezeigt hat. So haben vielmehr »eine zukunftsorientierte und nicht durch Eigendefinition, sondern durch gesellschaftliche Ansprüche definierte Physische Geographie wie Anthropogeographie (…) indes große Potenziale, sich (den) Herausforderungen (des 21. Jahrhunderts) selbstbewusst und kompetent zu stellen« (Ehlers 2004: 84) Die diesbezügliche zukünftige Aufgabe der Geographie auch im Kontext einer sozialökologischen Transformation der Gesellschaft besteht somit nicht in einer zurückhaltenden Reaktion auf gesellschaftliche »So-What«-Haltungen zu geographischen Aktivitäten seitens der Öffentlichkeit, sondern vielmehr in der Besinnung der Stärke der Geographie, stets auf gegenwärtige gesellschaftliche Anforderungen eingehen zu können. Denn die Geographie ist unbestreitbar in der Lage, wichtige Beiträge zu Themen wie Urbanisierung, Megastadtentwicklung, Gesundheit, Ernährung, Umwelt, Migration oder aber Bevölkerungswachstum, globale Ungleichheiten sowie Ressourcenkonflikte und viele mehr zu leisten (Ehlers 2004: 84). Eine weitere zu beachtende Kritik richtet sich an die der Geographie zugeschriebenen Stärke eines holistischen und ganzheitlichen Denkens. Denn wie sich zeigt, sind geographische Forschungen und Publikationen im Hinblick auf holistisch-integrative Erdsystemforschungen oftmals nur in Ansätzen zu finden. Es ist jedoch Konsens, dass eine holistische Betrachtungsweise von Erdsystemen enorme Potenziale mit sich bringt (ebd.: 86). Eine zukünftige Aufgabe der Geographie im Nachhaltigkeitskontext muss demnach ebenso ein verstärkter Fokus auf holistische Betrachtungsweisen sowohl im Bereich der Forschung als auch im Bereich der Wissensvermittlung sein. Wenn die Geographie die extreme Spezialisierung, wie sie sich in der Vielzahl ihrer Teildisziplinen manifestiert, lösen kann und stattdessen auf eine integrative und ganzheitliche Weise denkt und arbeitet, kann sie durchaus eine zentrale Rolle bei der Lösung globaler Problemstellungen im Nachhaltigkeitskontext spielen (Bätzing 1991: 108). Dies ist auch der Grund, warum die vorliegende Arbeit einen solchen ganzheitlichen Ansatz
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verfolgt. Bojies Kritik an der Geographie richtet sich vornehmlich an die Tatsache, dass obwohl die Inhalte des Faches eindeutige Verlinkungen zur Nachhaltigkeitsdebatte aufweisen, es offensichtlich an konkreten und ergebnisorientierten Beiträgen der Geographie in diesem Bereich mangelt (Bojie 2020: 2). Innerfachlich hat die Geographie sicherlich ihren Beitrag zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen beigetragen. Doch der Diskurs über die globalen Schlüsselprobleme des 21. Jahrhunderts wird zumindest in der Öffentlichkeit nach wie vor von anderen Wissenschaften wie beispielsweise Ökonom*innen oder Ökolog*innen dominiert. Bojie fordert demnach eine stärkere Beteiligung der Geographie in diesem Kontext auch im Hinblick auf die Formulierung konkreter Lösungsansätze und Strategien. Der Vorteil des transdisziplinären Wissens der Geographie geht dementsprechend aktuell verloren (ebd.). Eine weitere zukünftige Aufgabe der Geographie besteht somit auch darin, sich deutlich stärker in der Öffentlichkeit zu positionieren, um die zahlreichen disziplinären Vorteile und Stärken auch tatsächlich ausspielen zu können. Bojie räumt jedoch im Zuge dessen auch ein, dass auch ohne einen starken Beitrag der Geographie die komplexen Mechanismen und Dynamiken von Mensch und Umwelt bis heute nicht vollständig erfasst und die globalen Herausforderungen nicht gelöst worden sind. »The transdisciplinary requirements of sustainability and the integrative characteristics of geography suggest that sustainability research needs knowledge from geographic research, education, data and methods« (Bojie 2020: 6). Es lässt sich demnach von einer Notwendigkeit einer stärkeren geographischen Beteiligung im Hinblick auf die Bereitstellung von Erkenntnissen aus der Forschung inklusive der in der Geographie angewandten Methoden einerseits und der allgemeinen Vermittlung von geographischem Wissen andererseits sprechen oder um es in Bojies Worten auszudrücken: »In summary, geography is one of the basic disciplines of sustainable development, and sustainable development should be the goal/achievement that highlights geography’s contribution to the world« (Bojie 2020: 6) Die UN formuliert in ihrem Dokument zu den fachlichen Beiträgen zur Nachhaltigkeitsdebatte für die Geographie drei zukünftige Aufgaben in diesem Zusammenhang (UN 2017: 109): Eine Geographie, welche einen Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte leisten will, ist eine Geographie, die… 1. … Physische und Humangeographie durch einen ganzheitlichen Ansatz betrachtet, der Interaktionen und Interdependenzen zwischen Gesellschaften und der natürlichen Umwelt auf verschiedenen räumlichen Maßstäben betrachtet. 2. … die eine Beschreibung von Orten, der Analyse räumlicher Muster sowie die Untersuchung von durch Akteure geprägte räumliche Prozesse miteinander kombiniert, um somit eine alternative räumliche Lesart der Erde anzubieten, welche für ein besseres Verständnis der Welt im Kontext von Nachhaltigkeitsfragen führt. 3. … die sich auf alle ihre Schlüsselkonzepte gleichermaßen bezieht, um dadurch den hohen Wert ihres Beitrages, den sie für eine nachhaltigen Entwicklung leisten kann, zu untermauern.
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Diese drei Aufgaben fassen sowohl den potenziellen Wissensbeitrag der Geographie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation prägnant zusammen als auch die Rolle, die die Geographie zukünftig in diesem Zusammenhang einnehmen kann. Die in diesem Kapitel angeführten Kritikpunkte müssen jedoch auch zukünftig weiterhin einbezogen und hinterfragt werden, damit die Geographie die ihr zugewiesene Rolle auch tatsächlich erfüllen kann. Die mangelnde Anzahl an Publikationen in den letzten Jahren, insbesondere im deutschsprachigen Raum, die sich mit dem Wert und der Rolle der Geographie im Nachhaltigkeitskontext befassen, zeigen eindeutig, dass diesem bedeutsamen Thema in der fachwissenschaftlichen Forschungslandschaft aktuell eine zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies mag darin begründet sein, dass die Gemeinsamkeiten von Geographie und Nachhaltigkeitsfragen als offensichtlich erscheinen und zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch in vielen Publikationen bereits thematisiert worden sind, sodass aktuell kein Mehrwert für eine erneute Thematisierung gesehen wird. Doch die Schließung von Geographieinstituten und geographischen Fachzeitschriften wie sie bereits von Ehlers als Gefahr erkannt wurde (Ehlers 2004: 86) in Kombination mit der gegenwärtigen Schwächung des Schulfaches Erdkunde in Deutschland (z.B. Stundenverlust in NRW oder Bestrebungen zur Auflösung des Faches in Mecklenburg-Vorpommern) zeigen, dass der große Wert der Geographie für die Lösung der globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nach wie vor nicht ausreichend erkannt wird. Unter diesem Aspekt ist es durchaus als defizitär zu bewerten, dass diesem Thema aktuell zumindest auf fachwissenschaftlicher Ebene kaum Beachtung geschenkt wird.4 Es gilt demnach im Kontext dieser Arbeit, insbesondere durch empirische Erhebungen, sowohl allgemein den Begriff des geographischen Wissens für ein verbessertes Fachverständnis näher zu spezifizieren, aber vor allem auch die konkrete Rolle der Geographie im Hinblick auf die Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs stärker herauszuarbeiten, um so den Wert der Geographie im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit konkret benennen zu können. Letzten Endes könnte dies auch als Nebenfolge sicherlich zu einer höheren Aufmerksamkeit gepaart mit einem besseren Verständnis von Geographie seitens der breiten Öffentlichkeit führen, was zusätzlich die zukünftige Stellung des Faches insbesondere in der deutschen Forschungslandschaft wieder stärken würde. So ergeben sich aus diesem letzten Theoriekapitel folgende Fragestellungen im Zuge dieser Arbeit: I. (Wie) lässt sich der Begriff eines geographischen Wissens definieren? II. Welche Rolle spielt und kann die Geographie (insbesondere geographisches Wissen) im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit zukünftig spielen?
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Dies gilt nicht für geographiedidaktische Forschungen. Im Hinblick auf den kurz erwähnten Bedeutungsverlust des Schulfaches Erdkunde liegen hier insbesondere durch die Roadmap 2030 konkrete Planungen vor, diese Situation zu ändern (siehe DGfG-Homepage). Da sich die vorliegende Arbeit jedoch an die Zielgruppe außerhalb von Bildungsinstitutionen richten soll, wird im Zuge dieser Arbeit daher nicht weiter darauf eingegangen.
5 Wissen und Geographie III. Welchen Einfluss haben geographische Wissensbestände im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs? IV. Wie können solche Wissensbestände außerhalb von Bildungsinstitutionen gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft getragen werden?
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6 Zwischenfazit und Ableitung der Fragestellungen
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Nachhaltigkeit, Wissen & Geographie – Ein theoretisches Zwischenfazit
Die globalen Herausforderungen und Konflikte, denen sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu stellen hat, sind äußerst vielfältig und komplex. Sie tauchen dabei in verschiedenen Dimensionen auf. Ob es um ökologische Trends wie den Klimawandel, einen steigenden Biodiversitätsverlust, Ozeanversauerung, Luft- und Wasserverschmutzung, Ressourcenverlust, oder aber sozio-kulturelle Konflikte wie soziale Ungleichheiten, Urbanisierung, Überbevölkerung oder demographischer Wandel geht, die Liste der globalen Megatrends und Herausforderungen der Gegenwart ist lang. Dabei müssen immer verschiedene Maßstabsebenen von lokal bis global betrachtet werden, um die systemischen Zusammenhänge und Interdependenzen der einzelnen Trends besser begreifen zu können (Kapitel 2.1). Dass eine Veränderung in unserem gesellschaftlichen Verhalten in Form einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit von essenzieller Bedeutung ist, wenn zukünftige Generationen den gleichen Lebensstandard wie die gegenwärtigen haben sollen, wurde in diesem Kontext deutlich. Der Begriff der Nachhaltigkeit sowie die dahinterstehenden Implikationen als ein möglicher Lösungsansatz dieser Probleme sind dabei keinesfalls neu. Wie in Kapitel 2.2 deutlich wurde, wird allein der Begriff der Nachhaltigkeit selbst schon seit Jahrzehnten diskutiert, modifiziert und erweitert. Eine klar abgrenzbare Definition ist insbesondere aufgrund der hohen Komplexität der Thematik bis heute nicht existent und vermutlich auch nicht möglich. Zahlreiche Modellversuche wie das 3-Säulen-Modell, das Nachhaltigkeitsdrei(vier)eck oder das integrierende Nachhaltigkeitsdreieck haben versucht, diese Komplexität zu erfassen und auf eine verständlichere Ebene zu heben (Kapitel 2.3). Doch auch hier herrscht keine Einigkeit bezüglich der Anerkennung eines bestimmten Modellversuchs. Am ehesten scheint das integrierende Nachhaltigkeitsdreieck zu passen, da es die zentralen Ebenen und Zusammenhänge der Nachhaltigkeitsthematik aufgreift und übersichtlich darstellt. Trotz zahlreicher unterschiedlicher und weiterführender Konzeptionen des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung, die alle unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aufweisen (Kapitel 2.4), bleiben am Ende die drei zentralen Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökonomie,
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Ökologie und sozio-kulturelles) der größte gemeinsame Nenner und besitzen bis heute ihre Gültigkeit. Dies zieht sich auch durch die gesamte Historie der nachhaltigen Entwicklung sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf politischer Ebene (Kapitel 2.5). Auch wenn der Begriff der Nachhaltigkeit aufgrund seiner Verwässerung und Übernutzung in gesamtgesellschaftlichen Debatten gegenwärtig oftmals kritisch betrachtet wird (Kapitel 2.6) und insbesondere im wissenschaftlichen und politischen Diskurs zunehmend Alternativen wie die sozial-ökologische Transformation zu finden sind, sollte er dennoch insbesondere im gesellschaftlichen Kontext nicht ad acta geführt werden. Es ist eher sinnvoll, die beiden Konzeptionen aufgrund ihrer hohen Übereinstimmung miteinander zu fusionieren, sodass gegenwärtig am ehesten vom Ziel einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit gesprochen werden kann (Kapitel 2.7). Im Kontext der Umsetzung dieses Ziels spielen Nachhaltigkeitsstrategien eine zentrale Rolle. Die Agenda 2030 und ihre 17 Sustainable Development Goals ist die bis dato größte und weitreichendste Nachhaltigkeitsstrategie, die aktuell bei allen Staaten der Erde, oftmals manifestiert in nationalen Nachhaltigkeitsstrategien, ihre Gültigkeit besitzt. Sie umfasst mit ihrem Katalog von 169 Zielsetzungen einen Großteil der relevanten Themen im Nachhaltigkeitskontext und muss daher als wichtiges Umsetzungsinstrument betrachtet werden (Kapitel 2.8.1 – 2.8.2). Doch wie sich in Kapitel 2.8.3 gezeigt hat, ist der Status quo der Umsetzung nach 8 Jahren Laufzeit in fast allen Bereichen und für fast alle beteiligten Staaten als unzureichend zu bewerten. Insbesondere auch für Deutschland als eine der führenden Industrienationen sind hier nach wie vor große Defizite zu beobachten. Die Gründe dafür sind vielfältig und hängen sicherlich auch mit berechtigten Kritikpunkten an dieser Strategie, wie beispielsweise einer fehlenden Verbindlichkeit, mangelnder Quantifizierung der Zielsetzungen sowie Zielkonflikten innerhalb der SDGs, zusammen. Hinzu kommt, dass die Umsetzung einer solch weitgreifenden Strategie nicht nur seitens der Politik getragen werden kann, sondern über alle relevanten Akteursgruppen verteilt werden muss. Hier ist neben der Wissenschaft und der Ökonomie insbesondere auch die Zivilgesellschaft zu nennen (Kapitel 2.8.4). Die Zivilgesellschaft muss allein aufgrund ihrer Größe und Wirkmächtigkeit als eine der zentralen Akteure im Umsetzungsprozess einer sozial-ökologischen Transformation betrachtet werden. Im Kontext von Nachhaltigkeitsstrategien und Umsetzungsprozessen stehen hier oftmals zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs im Fokus und individuelles Handeln wird meistens nur auf der Mikroebene betrachtet. Doch gerade unsere Verhaltensweisen im Alltag können auch einen großen Einfluss auf die konkrete Umsetzung von übergeordneten Nachhaltigkeitszielen haben (Kapitel 2.8.5). Dabei kristallisieren sich vier zentrale gesellschaftliche Handlungsfelder heraus: Arbeit, Mobilität, gesellschaftliche & politische Teilhabe sowie Konsum. Diese lassen sich auch in den einzelnen SDGs der Agenda 2030 wiederfinden und decken in ihrer Gesamtheit alle Lebensund Handlungsbereiche des Individuums ab (Kapitel 2.8.5.2). Im Zuge einer konkreten Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele insbesondere in diesen Handlungsbereichen ist die Verbindung von Wissen und Handeln nach wie vor Zentrum zahlreicher Debatten. Der Begriff des Wissens als solcher ist dabei ebenso hochkomplex und diffus wie das Konzept der Nachhaltigkeit selbst. So existieren allein aufgrund der historischen Aus-
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einandersetzung verschiedener Disziplinen mit dem Wesen des Wissens, die bis auf die Zeit der Griechen zurückverfolgt werden kann, zahlreiche Definitionsversuche und unterschiedliche Vorstellungen sowie Verständnisse des Wissensbegriffs (Kapitel 3.1). Letzten Endes gibt und wird es vermutlich auch keine einheitliche Definition von Wissen geben. Viel eher scheint es so, dass eine Betrachtung verschiedener Arten von Wissen und ihrer Anwendungsbereiche an dieser Stelle gewinnbringender ist. Aus der Masse an Wissensarten, die sich in der gegenwärtigen Literatur finden, lassen sich insbesondere drei Hauptkategorien von Wissen synthetisieren: ein theoretisches Wissen, welches sich aus Fakten-, Sach- und Theoriewissen zusammensetzt. Dieses Wissen bildet die Grundlage eines praktischen Wissens, basierend auf Erlebnis-, Handlungs- und Reflexionswissen. Die dritte Form des metakognitiven Wissens speist sich wiederum sowohl aus theoretischen als auch praktischen Wissensbeständen und führt zu einem Entscheidungs- und problemorientierten Wissens, welches bei der konkreten Anwendung von Handlungen seine Verwendung findet (Kapitel 3.2). Um zu wissen, wie diese Wissensarten zu Stande kommen oder auch produziert werden können, ist eine Betrachtung der Quellen des Wissens notwendig. Wie in Kapitel 3.3 deutlich wurde, sind es insbesondere die Wahrnehmung und das Zeugnis anderer, welche als relevanteste Wissensquellen betrachtet werden können. Diese spielen somit auch im Hinblick auf die individuelle Wissensaneignung eine zentrale Rolle. Der Transfer und die Kommunikation von Wissen sind aufgrund der Vielzahl an verschiedenen Wissensarten und Quellen sowie auch Wissensbeständen allgemein als äußerst komplexe Prozesse zu betrachten. Im Hinblick auf eine gelungene Wissenskommunikation spielen dabei sowohl die verschiedenen Akteure (Wissenschaft, Gesellschaft, Politik, Individuum usw.) eine große Rolle als auch die Vielfalt an potenziellen Kommunikationskanälen, welche insbesondere durch die steigende Digitalisierung der Gesellschaft eine vollständig neue Bedeutung und Struktur erlangt haben (Kapitel 3.4). Letzten Endes hat sich gezeigt, dass sich die gegenwärtige Gesellschaft aufgrund von Globalisierungs- und Tertiärisierungsprozessen durchaus als Wissensgesellschaft charakterisieren lässt, in der Wissen als eine zentrale gesellschaftliche Ressource betrachtet werden kann und muss (Kapitel 3.5). Ungleichheiten im Zugang zu Wissen stellen dabei ein immenses Hemmnis dar, welches es vor allem auch im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation zu beseitigen gilt. Die Zivilgesellschaft muss in diesem Zusammenhang als größter Akteur der Wissensgesellschaft betrachtet werden, denn sie produziert, konsumiert, speichert und transferiert Wissensbestände in allen Lebensbereichen. Aufgrund der hohen Bedeutung von Wissen als Ressource des 21. Jahrhunderts ist es unabdinglich, sich mit der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext auseinanderzusetzen. Wie in Kapitel 4.1 deutlich wurde, spielt Wissen dabei eine zentrale Rolle, die jedoch durchaus kontrovers betrachtet werden kann. So ist es einerseits unbestreitbar, dass ohne Wissen die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts weder erfasst noch verstanden, geschweige denn gelöst werden könnten. Wissen muss demnach als eine notwendige Bedingung für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation betrachtet werden. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn verschiedene Wissensarten ihre Anwendung finden. So lassen sich drei übergeordnete Formen des Wissens eruieren, die in diesem Zusammenhang notwendig sind: Die epistemologische Basis bildet hierbei ein Erklärungs- und Systemwissen, welches zu einem notwendigen grundlegenden
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Verständnis der natürlichen und sozialen Systeme der Erde sowie ihrer Zusammenhänge und Wechselwirkungen beiträgt. Darauf aufbauend ist ein Orientierungswissen hilfreich, welches ein Verständnis über notwendige Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung sowie über Kriterien der Bewertung und Einordnung gesellschaftlicher Handlungsweisen mit sich bringt. Auf der obersten Ebene ist es dann ein zukunftsbezogenes Handlungs- oder Transformationswissen über potenzielle Handlungsmöglichkeiten, Lösungsstrategien und Handlungsreflektionen, welches das Individuum letzten Endes zur konkreten Handlung befähigt (Kapitel 4.2). Im Hinblick auf die Kommunikation eines solchen Wissens gilt es, alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle und Vermittlungsformen zu nutzen, um ein solches Wissen möglichst breitenwirksam auch außerhalb von Bildungsinstitutionen in die Gesellschaft zu tragen (Kapitel 4.3). Im Hinblick auf die Gesellschaft lässt sich insbesondere in den letzten Jahren ein gesteigertes Umweltbewusstsein feststellen. Die globalen Probleme und ihre Folgen scheinen in der Mitte der Gesellschaft auch außerhalb von politischen Debatten angekommen zu sein und sind zunehmend auch im Bewusstsein der Gesellschaft verankert (Kapitel 4.4). Doch ein konkreter Wissensstand der Gesellschaft im Hinblick auf spezifische Nachhaltigkeitsthemen konnte bisher nicht erfasst werden, sodass es oftmals schwer ist, Wissenslücken ausfindig zu machen, um eine verbesserte Nachhaltigkeitskommunikation herbeiführen zu können. Dies scheint vor allem stark mit der Knowledge-Action-Gap zusammenzuhängen, die insbesondere in der Umweltpsychologie in den letzten Jahren intensiv erforscht worden ist. Demnach besteht eine große Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln. Das Vorhandensein eines Wissens scheint in vielen Fällen nicht mit einem direkten Handeln zu korrelieren. Wissen im Nachhaltigkeitskontext scheint somit keine hinreichende Bedingung zu sein (Kapitel 4.5). So lassen sich verschiedenste Handlungsbarrieren bestimmen sowohl auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene (z.B. Komplexität, Zeitaspekt, strukturell-politische Barrieren usw.) als auch auf der individuellen Handlungsebene (z.B. Wirksamkeits- und Kosten/Nutzen-Überzeugungen, Handlungskontrolle oder Gewohnheiten) (Kapitel 4.5.1 – 4.5.2). Dennoch sollte die Rolle des Wissens im Nachhaltigkeitskontext nicht außer Acht gelassen werden, denn wie sich gezeigt hat, kann das Vorhandensein verschiedener Wissensformen als Konglomerat durchaus mit konkreten Handlungen in Verbindung gebracht werden. Insbesondere für Formen des Handlungswissens sowie der angesprochenen Verbindung verschiedener Wissensarten im Sinne eines Metawissens lassen sich auch empirisch Bezüge zum Handeln herstellen (Kapitel 4.6). Zukünftig muss es demnach im Nachhaltigkeitskontext verstärkt darum gehen, Wissenslücken in der Gesellschaft ausfindig zu machen, die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen im Allgemeinen herauszustellen, um dadurch diese Lücken füllen zu können und somit letzten Endes zu einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs beizutragen. Hier kommt die Geographie als Wissenschaftsdisziplin ins Spiel. Sie ist allein schon aufgrund ihrer Definition als Weltbild eines ganzheitlichen Denkens auf die Zusammenhänge aller Dinge auf der Erde prädestiniert für eine Wissensbereitstellung im Nachhaltigkeitskontext (Kapitel 5.1). Dabei hat sich das Wesen der Geographie in der historischen Entwicklung aufgrund von ständig wandelnden Paradigmen und Denkweisen stetig verändert, sodass es oftmals schwerfällt, den konkreten Kern des Faches zu benennen (Ka-
6 Zwischenfazit und Ableitung der Fragestellungen
pitel 5.2). Ein Blick auf die Schlüsselkonzepte sowie die Struktur des Faches (Kapitel 5.3) zeigt jedoch, dass die Geographie zahlreiche Anknüpfungspunkte im Hinblick auf den Nachhaltigkeitskontext mit sich bringt. Die Betrachtung der Erde, ihrer Systeme und deren Zusammenhänge wird in der Geographie auf verschiedenen Ebenen und Sichtweisen vollzogen. Zu nennen sind hier Raum, Zeit und Maßstab als zentrale Komponenten geographischen Denkens. Die Geographie als eine handlungszentrierte Raumwissenschaft betrachtet somit Mensch und Natur in ihrem Zusammenspiel sowohl auf räumlicher als auch auf zeitlicher und maßstäblicher Ebene (lokal bis global). Darüber hinaus tut sie dies auf eine interdisziplinäre Weise, in dem sie Inhalte der Naturwissenschaften mit Inhalten der Sozial- und Geisteswissenschaften verbindet und somit eine multiperspektivische und holistische Sichtweise auf die Erde einnimmt. Die Bezüge zu den Themen der Nachhaltigkeit sowohl auf inhaltlicher Ebene als auch auf der Ebene systemischer Denkweisen (wie sie im Nachhaltigkeitskontext gefordert werden) sind hierbei vielfältig und offensichtlich, sodass Nachhaltigkeit durchaus als Kernkonzept der gegenwärtigen Geographie betrachtet werden kann und sollte (Kapitel 5.3.4). Doch trotz der starken inhaltlichen Übereinstimmung wird die Geographie als Disziplin für diese Thematik in der breiten Masse der Gesellschaft insbesondere außerhalb des Bildungskontextes kaum wahrgenommen (Kapitel 5.4). Dies mag auch damit zusammenhängen, dass innerhalb des Faches oftmals Uneinigkeit über den gemeinsamen Inhaltskern der Geographie herrscht und die wissenschaftlichen Beiträge zur Nachhaltigkeitsdebatte entweder zu wenig vorhanden sind oder zu wenig wahrgenommen werden. Im Hinblick auf den Wissensbegriff existiert interessanterweise in der Geographie bisher keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Begriff eines geographischen Wissens. Oftmals wird dieser im Kontext von Stadt-Land-Fluss-Zusammenhängen genannt. Klare Definitionsversuche lassen sich jedoch nicht finden (Kapitel 5.5). Es gilt daher, insbesondere auf der fachwissenschaftlichen Ebene sich verstärkt mit der Konzeption eines geographischen Wissens sowie seiner Bedeutung für den Nachhaltigkeitskontext auseinanderzusetzen. Denn beim Vergleich der Inhalte der geographischen Teildisziplinen mit den Inhalten der Nachhaltigkeitsdebatte wie sie sich in komprimierter Form in den SDGs finden lassen, zeigt sich, dass die Geographie zu jedem SDG und zu nahezu jeder Zielsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie passendes Wissen bereitstellen kann (Kapitel 5.6). So lassen sich zu den einzelnen Zielsetzungen einerseits übergeordnet einzelne Teildisziplinen der Geographie zuordnen, andererseits fällt bei Betrachtung der Unterziele der SDGs auf, dass jedes Ziel durch verschiedenste Disziplinen der Geographie abgedeckt werden kann. Dies verdeutlicht, dass die Geographie durchaus in der Lage ist, einen enormen inhaltlichen Beitrag im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation zu leisten, der sich insbesondere auch auf der Ebene konkreter Zielsetzungen wie den SDGs wiederfinden lässt. Im Hinblick auf die Akteursgruppe der Zivilgesellschaft fällt auf, dass die Geographie auch hier einen hohen Stellenwert einnehmen kann. Das Wissen, welches die Geographie im Nachhaltigkeitskontext anbieten kann, lässt sich ohne Weiteres auf alle Lebensbereiche gesellschaftlichen Handelns übertragen und findet dort seine Anwendung (Kapitel 5.7). Der Geographie kommt somit im Zusammenhang mit der verbesserten zivilgesellschaftlichen Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele eine hohe Bedeutung zu. Aus dem hier vorliegenden theoretischen Begründungszusammenhang, der in Abbildung 31
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
noch einmal zusammenfassend dargestellt ist, ergeben sich konkrete Fragestellungen für das Forschungsvorhaben dieser Arbeit.
Abbildung 27: Theoretischer Begründungszusammenhang
Eigene Darstellung
6.2
Ableitung und Konkretisierung der Fragestellungen
Die in den theoretischen Hintergründen dieser Arbeit synthetisierten Inhalte zeigen, wie bedeutsam es ist, sich verstärkt mit der Rolle der Geographie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund geht diese Arbeit den in der Einleitung sowie in den einzelnen theoretischen Hauptkapiteln eruierten Forschungslücken und Fragestellungen nach. Übergeordnet steht dabei folgende Forschungsfrage im Zentrum der Überlegungen: (F1): Welche Rolle spielt die Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation? Aus dieser sehr allgemein gehaltenen Forschungsfrage ergeben sich zwei verschiedene Teilaspekte mit konkretisierten Teilfragestellungen, die nachfolgend bearbeitet werden. Die erste Forschungsperspektive bezieht sich konkret auf das Wissen und die Denkweisen und somit Potenziale der Geographie für eine verbesserte Umsetzung einer sozialökologischen Transformation. Daraus ergeben sich in Verbindung mit den aufgezeigten Forschungslücken in der Theorie (Kapitel 3–5) folgende Teilfragestellungen:
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
noch einmal zusammenfassend dargestellt ist, ergeben sich konkrete Fragestellungen für das Forschungsvorhaben dieser Arbeit.
Abbildung 27: Theoretischer Begründungszusammenhang
Eigene Darstellung
6.2
Ableitung und Konkretisierung der Fragestellungen
Die in den theoretischen Hintergründen dieser Arbeit synthetisierten Inhalte zeigen, wie bedeutsam es ist, sich verstärkt mit der Rolle der Geographie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund geht diese Arbeit den in der Einleitung sowie in den einzelnen theoretischen Hauptkapiteln eruierten Forschungslücken und Fragestellungen nach. Übergeordnet steht dabei folgende Forschungsfrage im Zentrum der Überlegungen: (F1): Welche Rolle spielt die Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation? Aus dieser sehr allgemein gehaltenen Forschungsfrage ergeben sich zwei verschiedene Teilaspekte mit konkretisierten Teilfragestellungen, die nachfolgend bearbeitet werden. Die erste Forschungsperspektive bezieht sich konkret auf das Wissen und die Denkweisen und somit Potenziale der Geographie für eine verbesserte Umsetzung einer sozialökologischen Transformation. Daraus ergeben sich in Verbindung mit den aufgezeigten Forschungslücken in der Theorie (Kapitel 3–5) folgende Teilfragestellungen:
6 Zwischenfazit und Ableitung der Fragestellungen
(F2): Welche Bedeutung spielen geographisches Wissen und geographische Denkweisen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung von spezifischen Nachhaltigkeitszielen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation? In diesem Zusammenhang wird dabei folgenden Unterfragestellungen nachgegangen: (F2.1): (Wie) lässt sich der Begriff eines geographischen Wissens definieren? (F2.2): Welches geographische Wissen und welche Inhalte sind im Kontext einer sozialökologischen Transformation als relevant zu betrachten? (F2.3): Welche Bedeutung hat geographisches Wissen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den Sustainable Development Goals der Agenda 2030? Diese Unterfragestellungen sind dabei in ersten Ansätzen bereits in den theoretischen Begründungszusammenhängen bearbeitet worden. Wie sich gezeigt hat, lassen sich dazu jedoch bisher vor allem für den deutschsprachigen Raum keine empirischen Erkenntnisse finden. Insbesondere Definitionsversuche eines geographischen Wissens liegen bisher nicht vor, ebenso wenig wie eine Thematisierung der Bedeutung der Geographie im Kontext der Sustainable Development Goals der Agenda 2030. Um die übergeordnete Rolle der Geographie für eine sozial-ökologische Transformation herausstellen zu können, ist es demnach notwendig, sich zunächst mit diesen Fragestellungen aus fachwissenschaftlicher Perspektive auseinanderzusetzen. Dadurch wird die Perspektive der Produzent*innen geographischer Wissensbestände und somit das Potenzial und Angebotsrepertoire der Geographie im Hinblick auf eine verbesserte sozialökologische Transformation abgedeckt. Der unzureichende Umsetzungsstand im Zuge der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte, wie er sich sowohl allgemein in den steigenden Konflikten und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts äußert als auch spezifisch im Hinblick auf konkrete Zielsetzungen wie den SDGs, zeigt auf, wie bedeutsam es ist, sich vermehrt mit neuen und alternativen Lösungsansätzen zu beschäftigen. Hier kommt im Zuge der bestehenden Wissensgesellschaft insbesondere auch der Zivilgesellschaft als einem der größten Akteure eine übergeordnete Bedeutung zu. Die zweite Forschungsperspektive befasst sich aus diesem Grund mit der Bedarfsseite und somit der Konsument*innen-Perspektive von Wissen im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation. Wie sich gezeigt hat, existieren kaum Forschungsansätze, die sich losgelöst von der Erfassung eines gesellschaftlichen Umweltbewusstseins mit dem allgemeinen Wissensstand der Zivilgesellschaft im Zuge relevanter Handlungsfelder der Nachhaltigkeitsthematik auseinandersetzen. Insbesondere im Hinblick auf die nach wie vor ungelöste Knowledge-Action-Gap ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit der zivilgesellschaftlichen Perspektive auf diese Thematik zwingend notwendig, um diesbezüglich neue Erkenntnisse erlangen zu können. Im Hinblick auf die Geographie kommt hier erschwerend hinzu, dass diese in der breiten Masse der Gesellschaft nach wie vor nicht als zentral bedeutsam im Nachhaltigkeitskontext angesehen wird. Auf der Ebene der Bildungsinstitutionen bestehen hier zwar inzwischen zahlreiche konkre-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
te Vorhaben, diesen Umstand zu verbessern (z.B. Roadmap 2030), der Anteil der Bevölkerung, der sich jedoch bereits außerhalb des Bildungskontextes befindet, wird dabei oftmals außer Acht gelassen. Er spielt jedoch aufgrund seiner Größe eine enorme Rolle für die zukünftige Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation. Es gilt somit, insbesondere in diesem Zusammenhang, die Bedeutung geographischen Wissens und geographischer Denkweisen und somit den Einfluss dieser auf eine verbesserte zivilgesellschaftliche Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele herauszustellen. Hierbei steht folgende übergeordnete Forschungsfrage im Zentrum: (F3): Welchen Einfluss haben geographische Wissens- und Denkweisen auf zivilgesellschaftliches Handeln im Zusammenhang mit der Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele? Darunter fallen folgende Unterfragestellungen Theoriekapitel (2–4): (F3.1): Welche Bedeutung hat Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation hin zur Nachhaltigkeit allgemein? (F3.2): Wie ist der Wissensstand der Gesellschaft im Hinblick auf ihre konkreten Handlungsfelder in diesem Kontext zu beschreiben und (wo) lassen sich Wissenslücken finden? (F.3.3): Kann geographisches Wissen potenzielle Wissenslücken in der Gesellschaft schließen und somit zu einer verbesserten Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs beitragen? (F.3.4): Wie kann ein solches Wissen gewinnbringend außerhalb von Bildungsinstitutionen in die breite Masse der Gesellschaft transferiert werden? Durch die Verbindung der Sichtweisen von Wissensproduktion, Wissenskonsumption sowie Wissenstransfer wie sie in diesem Fall vorliegt, werfen die hier aufgeführten Fragestellungen einen holistischen Blick auf den übergeordneten Forschungsgegenstand der Arbeit, der insbesondere für den Nachhaltigkeitskontext essenziell notwendig ist.
7 Methodik
Das folgende Kapitel thematisiert den Forschungsansatz der vorliegenden Arbeit sowie die Forschungsdesigns, die zur Beantwortung der Forschungsfragen gewählt wurden. Daran anknüpfend erfolgt die Erläuterung der Erhebungsmethoden und Auswertungsverfahren sowie die Beschreibung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Datengrundlagen.
7.1
Begründung der Methodenwahl – Mixed Methods
Wie die Aufteilung der Forschungsfragen in zwei große Teilbereiche mit jeweils verschiedenen Subfragestellungen deutlich macht, handelt es sich in der vorliegenden Arbeit um einen multiperspektivischen Forschungsansatz. So liegt der Fokus einerseits auf der Angebots- und Produktionsperspektive im Hinblick auf die Erforschung der Relevanz von Geographie und geographischem Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und andererseits auf der Konsument*innenperspektive durch die Erforschung von gesellschaftlichen Wissenslücken und der Bewertung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus zivilgesellschaftlicher Perspektive. Aus diesem Grund bietet sich für die Beantwortung der Forschungsfragen die Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes an. Im Sinne einer Methodentriangulation soll hier ein Phänomen (die Rolle der Geographie im Hinblick auf den Einfluss auf zivilgesellschaftliches Handeln im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation) aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Somit kann durch die Verwendung verschiedener Methoden die Validität der Ergebnisse insgesamt erhöht werden (Kuckartz 2014: 46f.), auch wenn dies nicht immer direkt messbar ist und es ebenfalls vorkommen kann, dass beide Methoden Schwächen aufweisen, die sich nicht durch die Kombination aufheben (Schreier & Odag 2020: 167). Darüber hinaus ermöglicht der Mixed-Methods-Ansatz, sofern er definiert wird als eine »(…) Integration von qualitativen und quantitativen Methoden im Rahmen des gleichen Forschungsprojektes (…)« (Kuckartz 2014: 33), eine multiperspektivische Betrachtungsweise eines Forschungsgegenstandes (ebd.: 34), die insbesondere im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Fragestellungen als notwendig erachtet wird (siehe Kapitel 2). Da das gesamte Thema dieser Arbeit als äußerst komplex und umfangreich zu charak-
7 Methodik
Das folgende Kapitel thematisiert den Forschungsansatz der vorliegenden Arbeit sowie die Forschungsdesigns, die zur Beantwortung der Forschungsfragen gewählt wurden. Daran anknüpfend erfolgt die Erläuterung der Erhebungsmethoden und Auswertungsverfahren sowie die Beschreibung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Datengrundlagen.
7.1
Begründung der Methodenwahl – Mixed Methods
Wie die Aufteilung der Forschungsfragen in zwei große Teilbereiche mit jeweils verschiedenen Subfragestellungen deutlich macht, handelt es sich in der vorliegenden Arbeit um einen multiperspektivischen Forschungsansatz. So liegt der Fokus einerseits auf der Angebots- und Produktionsperspektive im Hinblick auf die Erforschung der Relevanz von Geographie und geographischem Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und andererseits auf der Konsument*innenperspektive durch die Erforschung von gesellschaftlichen Wissenslücken und der Bewertung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus zivilgesellschaftlicher Perspektive. Aus diesem Grund bietet sich für die Beantwortung der Forschungsfragen die Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes an. Im Sinne einer Methodentriangulation soll hier ein Phänomen (die Rolle der Geographie im Hinblick auf den Einfluss auf zivilgesellschaftliches Handeln im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation) aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Somit kann durch die Verwendung verschiedener Methoden die Validität der Ergebnisse insgesamt erhöht werden (Kuckartz 2014: 46f.), auch wenn dies nicht immer direkt messbar ist und es ebenfalls vorkommen kann, dass beide Methoden Schwächen aufweisen, die sich nicht durch die Kombination aufheben (Schreier & Odag 2020: 167). Darüber hinaus ermöglicht der Mixed-Methods-Ansatz, sofern er definiert wird als eine »(…) Integration von qualitativen und quantitativen Methoden im Rahmen des gleichen Forschungsprojektes (…)« (Kuckartz 2014: 33), eine multiperspektivische Betrachtungsweise eines Forschungsgegenstandes (ebd.: 34), die insbesondere im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Fragestellungen als notwendig erachtet wird (siehe Kapitel 2). Da das gesamte Thema dieser Arbeit als äußerst komplex und umfangreich zu charak-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
terisieren ist, ist der Mixed-Methods-Ansatz in besonderem Maße geeignet, da er ein besseres Verständnis komplexer sozialer Phänomene ermöglicht (Völcker 2019: 64), die hier insbesondere für den Aspekt der Erforschung des zivilgesellschaftlichen Handelns im Nachhaltigkeitskontext vorliegen (siehe Kapitel 4.5 & 4.6). Im Zuge dieser Arbeit wurde sich daher für eine methodenexterne Kombination entschieden, also die Kombination aus qualitativer und quantitativer Methodik (ebd.: 48). Dies hat zur Folge, dass gewonnene qualitative Erkenntnisse durch eine quantitative Ergänzung eher generalisierbar werden, dass durch die methodische Kombination die Untersuchung komplexer Fragestellungen, wie sie hier vorliegen, besser möglich ist und dass der Mixed-Methods-Ansatz im Sinne einer Expansion ein breiteres und detailliertes Fragespektrum ermöglicht (ebd.: 54), welches im vorigen Kapitel bereits dargelegt wurde. Für die vorliegenden Forschungsfragen wurde sich für die Kombination aus einer qualitativen Methode in Form von leitfadengestützten Interviews und darauf aufbauend einer quantitativen Methode in Form einer Online-Befragung entschieden. Es handelt sich hierbei somit um einen Ansatz, der sich nicht auf die Methodenkombination innerhalb einer Anwendung bezieht, sondern als eine aufeinander aufbauende Methodenkombination, wobei die Ergebnisse der beiden Erhebungen systematisch aufeinander bezogen werden (Kelle 2019: 166). Da beide Methoden im vorliegenden Zusammenhang als gleichwertig betrachtet werden, liegt in dieser Arbeit das Mixed-Methods-Design QUAL -> QUAN vor (ebd.: 168). Das hier gewählte Design erfüllt somit die Aufgabe der Prüfung der Geltungsreichweite qualitativer Forschungsergebnisse. Zusätzlich sollen die Ergebnisse der qualitativen Forschung auch um neue Erkenntnisse erweitert werden (Kelle 2019: 169). Die Ergebnisse können somit einerseits ko-konstituiert werden, indem Komplementaritäten aufgezeigt werden, andererseits ist es gleichzeitig möglich, Divergenzen festzustellen, welche wiederum neue Erkenntnisse mit sich bringen und somit durch die vorliegende Methodenkombination eine umfassendere Forschungsperspektive eingenommen werden kann (Schreier & Odag 2020: 167). Der Ansatz in dieser Arbeit enthält damit sowohl Elemente eines sequenziellen Designs mit dem Ziel der Verallgemeinerung, da hier zwei verschiedene Erkenntnisarten auf einen Gegenstand bezogen werden (die Bedeutung geographischen Wissens im Nachhaltigkeitskontext) (Burzan 2016: 36), als auch Elemente eines nicht-sequenziellen Designs in Form einer Verknüpfung der Interpretation von unterschiedlichen Teilbefunden (ebd.: 56), da es sowohl Forschungsfragen gibt, die mit beiden Methoden beantwortet werden, als auch jeweils spezifische Forschungsfragen, für die die Ergebnisse erst in der Interpretation miteinander verbunden werden. Abbildung 32 zeigt die schematische Darstellung des vorliegenden Mixed-MethodsDesgins anhand der Verknüpfung der Forschungsfragen mit den durchgeführten Methoden. Die Forschungsfrage F1 ist als übergeordnete Forschungsfrage der gesamten Arbeit zu betrachten und wird somit durch die Erkenntnisse beider Methoden gleichermaßen beantwortet. Die Forschungsfrage F2 ist ebenfalls übergeordnet und wird durch beide Methoden bearbeitet. Die Subfragen F2.1 und F2.2 werden durch die qualitative Methode der Experteninterviews bearbeitet. Die Frage nach der Definition eines spezifischen disziplinären Wissens und der Bedeutung inhaltlicher Wissensbestände und Denkweisen für den Bezugsrahmen der sozial-ökologischen Transformation bedingen die Verwendung einer Expertenbefragung von Geographieexpert*innen in
7 Methodik
Form von Lehrstuhlinhaber*innen, da nur diese eine diesbezügliche aussagekräftige Expertise aufweisen können durch ihre alltägliche Auseinandersetzung mit geographischen Inhalten jeglicher Art. Die Subfrage F.2.3 wird sowohl durch die qualitative als auch die quantitative Methode indirekt bearbeitet. Die Forschungsfrage F3 wird durch beide Methoden beantwortet, auf direktem Weg durch die qualitative Befragung der Expert*innen und auf indirektem Weg über die quantitative Bevölkerungsumfrage (detaillierte Erläuterungen folgen in den jeweiligen Methodenkapiteln). Die dritte übergeordnete Fragestellung F3 ist insgesamt der quantitativen Methodik zuzuordnen. Insbesondere die Erfassung der Bedeutung von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive (F3.1) sowie auch des Wissensstandes im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit (F3.2) lassen sich nur durch eine breit angelegte quantitative Umfrage beforschen, da eine qualitative Untersuchung keine verallgemeinerbaren Kenntnisse zulassen würde aufgrund der Beschränktheit der Stichprobe.
Abbildung 28: Übersicht des Mixed-Methods-Designs der Arbeit
Eigene Darstellung
Die Subfrage F3.3 ist wiederum beiden Methoden zugeordnet. Qualitativ können Expert*innen den Bezug von geographischen Wissensbeständen und Inhalten zu gesellschaftlichen Bedarfen im Nachhaltigkeitskontext aus ihrer Perspektive benennen. Quantitativ lassen sich zwischen dem Aufzeigen von potenziellen Wissenslücken und -bedarfen innerhalb der Befragung wiederum Rückschlüsse auf mögliche Anknüpfungspunkte für geographische Wissensbestände ableiten. Die letzte Subfrage F3.4 kann ebenfalls durch beide Methoden beantwortet werden. Auf der einen Seite können Expert*innen aus der Produktionsperspektive heraus potenzielle und realistische Kanäle und Formate für eine gelungene Bereitstellung von Wissensbeständen benennen und auf der anderen Seite zeigen sich durch eine quantitative Befragung der Bevölkerung als Konsumentenperspektive sowohl ein Nutzungsverhalten als auch Bedarfe im Kontext von Wissensaufnahme und -verwendung. Die hier aufgezeigte inhaltliche Verknüpfung
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
der einzelnen Fragestellungen bedingen in hohem Maße die Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes, um beide angestrebten Perspektiven (Wissensproduktion und Wissenskonsumption) adäquat bearbeiten zu können. Nachfolgend werden die beiden methodischen Vorhaben jeweils detailliert erläutert und beschrieben.
7.2 7.2.1
Methodik I – qualitative Experteninterviews Begründung der Methodenwahl
Wie sich in der Theorie gezeigt hat, liegen bisher nur wenige Erkenntnisse bezüglich einer klaren Definition des geographischen Wissensbegriffs vor. Da das übergeordnete Ziel dieser Arbeit darin besteht, die Rolle der Geographie im Kontext einer sozialökologischen Transformation näher zu beleuchten und in einem weiteren Schritt den Einfluss geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele zu erforschen, ist eine empirische Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens und relevanten geographischen Wissensbeständen im Nachhaltigkeitskontext unabdingbar. Wie im theoretischen Hintergrund der Arbeit deutlich wurde, handelt es sich beim Wissensbegriff allgemein, aber auch im Hinblick auf die Geographie, um ein theoretisches und äußerst facettenreiches Konstrukt, welches je nach Betrachtungsperspektive unterschiedlich verstanden und angewendet werden kann. Diese Vielschichtigkeit kann auch der Geographie als Wissenschaftsdisziplin allgemein aufgrund ihrer multiperspektivischen Sichtweisen zugeschrieben werden. Eine empirische Auseinandersetzung mit dieser Thematik muss demnach die verschiedenen Wahrheiten der zugrundeliegenden erkenntnistheoretischen Hintergründe akzeptieren und erfassen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Die qualitative Forschung beinhaltet ebendieses Wahrheitsverständnis, indem sie sich einem Forschungsgegenstand in einem Diskurs nähert und Realität nicht als konstante Wirklichkeit versteht, sondern als kommunikativ bedingten Prozess (Häder 2019: 66; Mayer 2013: 23; Reichertz 2016: 103). Der Wirklichkeit wird dabei Subjektivität zugeschrieben, sodass sich ihr nur durch die Beleuchtung verschiedener Perspektiven genähert werden kann. Für das vorliegende Forschungsvorhaben geht es somit vor allem darum, die verschiedenen Sichtweisen, die zu einem bestimmten Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen (in diesem Fall die Rolle der Geographie und geographischer Wissensbestände im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation), zu erfassen (Schirmer 2009: 76). Die Grundannahme qualitativer Forschung fußt unter anderem darauf, verschiedene Wirklichkeiten und Bedeutungszuschreibungen in Relation zu einander zu setzen und dann die daraus entstehenden Wirklichkeiten aus einer Forschungsperspektive heraus zu rekonstruieren (Wichmann 2019: 11). Wenn es also darum geht, der Geographie bestimmte Bedeutungen und Rollen für den Kontext einer sozial-ökologischen Transformation zuzuschreiben, so kann dies eben durch diese Denk- und Arbeitsweise qualitativer Forschungsansätze erreicht werden. Darüber hinaus ist es das Ziel qualitativer Forschung im Sinne einer Feldforschung (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 39), neue Dinge zu explorieren und daraus Theorien
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der einzelnen Fragestellungen bedingen in hohem Maße die Verwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes, um beide angestrebten Perspektiven (Wissensproduktion und Wissenskonsumption) adäquat bearbeiten zu können. Nachfolgend werden die beiden methodischen Vorhaben jeweils detailliert erläutert und beschrieben.
7.2 7.2.1
Methodik I – qualitative Experteninterviews Begründung der Methodenwahl
Wie sich in der Theorie gezeigt hat, liegen bisher nur wenige Erkenntnisse bezüglich einer klaren Definition des geographischen Wissensbegriffs vor. Da das übergeordnete Ziel dieser Arbeit darin besteht, die Rolle der Geographie im Kontext einer sozialökologischen Transformation näher zu beleuchten und in einem weiteren Schritt den Einfluss geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele zu erforschen, ist eine empirische Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens und relevanten geographischen Wissensbeständen im Nachhaltigkeitskontext unabdingbar. Wie im theoretischen Hintergrund der Arbeit deutlich wurde, handelt es sich beim Wissensbegriff allgemein, aber auch im Hinblick auf die Geographie, um ein theoretisches und äußerst facettenreiches Konstrukt, welches je nach Betrachtungsperspektive unterschiedlich verstanden und angewendet werden kann. Diese Vielschichtigkeit kann auch der Geographie als Wissenschaftsdisziplin allgemein aufgrund ihrer multiperspektivischen Sichtweisen zugeschrieben werden. Eine empirische Auseinandersetzung mit dieser Thematik muss demnach die verschiedenen Wahrheiten der zugrundeliegenden erkenntnistheoretischen Hintergründe akzeptieren und erfassen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Die qualitative Forschung beinhaltet ebendieses Wahrheitsverständnis, indem sie sich einem Forschungsgegenstand in einem Diskurs nähert und Realität nicht als konstante Wirklichkeit versteht, sondern als kommunikativ bedingten Prozess (Häder 2019: 66; Mayer 2013: 23; Reichertz 2016: 103). Der Wirklichkeit wird dabei Subjektivität zugeschrieben, sodass sich ihr nur durch die Beleuchtung verschiedener Perspektiven genähert werden kann. Für das vorliegende Forschungsvorhaben geht es somit vor allem darum, die verschiedenen Sichtweisen, die zu einem bestimmten Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen (in diesem Fall die Rolle der Geographie und geographischer Wissensbestände im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation), zu erfassen (Schirmer 2009: 76). Die Grundannahme qualitativer Forschung fußt unter anderem darauf, verschiedene Wirklichkeiten und Bedeutungszuschreibungen in Relation zu einander zu setzen und dann die daraus entstehenden Wirklichkeiten aus einer Forschungsperspektive heraus zu rekonstruieren (Wichmann 2019: 11). Wenn es also darum geht, der Geographie bestimmte Bedeutungen und Rollen für den Kontext einer sozial-ökologischen Transformation zuzuschreiben, so kann dies eben durch diese Denk- und Arbeitsweise qualitativer Forschungsansätze erreicht werden. Darüber hinaus ist es das Ziel qualitativer Forschung im Sinne einer Feldforschung (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 39), neue Dinge zu explorieren und daraus Theorien
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zu entwickeln (Flick 2016: 27) und diese induktiv gewonnenen Theorien zu verallgemeinern und letztendlich zu generalisieren (Mayer 2013.: 24). Dies bietet sich auch im Hinblick auf die dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellungen an. Durch die Erfassung individueller Wahrheiten im Hinblick auf einen geographischen Wissensbegriff einerseits und die Rolle der Geographie im gesamten im Hinblick auf die sozialökologische Transformation andererseits, können somit sowohl Rückschlüsse auf eine mögliche allgemeingültige Definition des geographischen Wissensbegriffs, die bisher ja nicht vorliegt, als auch über die übergeordnete Rolle der Geographie gezogen werden. Darüber hinaus ist es durch einen qualitativen Forschungsansatz möglich, ausführliche Auskünfte über Meinungen und Ansichten zu erhalten und diese differenziert zu untersuchen und zu interpretieren (Mattissek et al. 2013: 35). Insbesondere im Hinblick auf einen Definitionsversuch eines geographischen Wissens ist eine solche detaillierte Analyse verschiedener Einzelansichten zwingend notwendig, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu differenzieren und sich somit einer Definition nähern zu können. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Methode des leitfadengestützten Experteninterviews1 aus dem großen Potpourri qualitativer Forschungsmethoden ausgewählt und durchgeführt. Aufgrund der Erstellung eines Interviewleitfadens und somit der Vorgabe von konkreten Themen- und Fragestellungen, deren Reihenfolge jedoch nicht verbindlich ist, handelt es sich hierbei übergeordnet um ein nichtstandardisiertes Leitfadeninterview (Gläser & Laudel 2009: 42). Das Experteninterview als spezifische Form zeichnet sich dadurch aus, dass eine explizite Auswahl von Personen erfolgt, denen eine Expertise zugeschrieben wird, die für das eigene Forschungsvorhaben von Relevanz ist. Dabei ist es sowohl möglich, reine faktenbezogene Informationen zu einem bestimmten Sachverhalt zu generieren als auch ein erfasstes Expert*innenwissen zu rekonstruieren, wenn es darum geht, ein spezifisches Wissen in einen spezifischen Kontext im Hinblick auf eine spezifische Profession zu untersuchen (Helfferich 2019: 680; Przyborski & WohlrabSahr 2014: 123f.). In diesem Zuge kann auch von Kontextwissen und Betriebswissen gesprochen werden. Ersteres bezieht sich auf Wissensbestände der Expert*innen über das Handeln dritter Personen oder Gegenstände und letzteres fokussiert sich auf das Wissen über das eigene Handeln der Expert*innen selbst (Misoch 2019: 120f.). Im Zuge der vorliegenden Fragestellungen geht es sowohl um ein faktenbezogenes Wissen im Hinblick auf die Definition von geographischem Wissen und relevantem geographischem Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation als auch um Expert*innenwissen und persönliche Meinungen und Bewertungen aus disziplinspezifischer Perspektive, die es im Hinblick auf die Rolle der Geographie in diesem Zusammenhang zu bewerten gilt. Demnach bietet sich das Experteninterview aufgrund der Möglichkeit dieser Kombination, welche auch im vorliegenden Fall erwünscht ist, in besonderem Maße an. Wie bei allen methodischen Großformen lassen sich auch verschiedene Arten des Experteninterviews klassifizieren. Im vorliegenden Fall fiel die Wahl auf das leitfadengestützte Experteninterview. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass es durch eine stärkere Strukturierung mittels eines Interviewleitfadens bisher nicht oder nur eingeschränkt vorhandenes spezifisches Wissen und Informationen erhebt, welche für die konkrete Beant1
Da es sich bei dem Begriff des Experteninterviews um einen feststehenden Fachterminus handelt, wird dieser im Folgenden nicht gegendert.
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wortung der Forschungsfrage eine Voraussetzung sind (Kaiser 2014: 35). Zusätzlich zu den bisher genannten Gründen bietet die explizite Adressierung von potenziellen Personen als Expert*innen auch den Vorteil, dass ihnen ein positiver Status und somit eine Bedeutsamkeit im Hinblick auf ihr benötigtes Sonderwissen zugewiesen wird, was insbesondere die Interviewbereitschaft erhöhen kann (Helfferich 2019: 681). Da es sich bei Experteninterviews um eine Methode handelt, die weniger inhaltlich oder methodologisch bestimmt ist, sondern den Fokus auf die zu interviewenden Personen legt (Bogner et al. 2014: 9; Misoch 2019: 119), ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des/der Expert*in unabdingbar. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine Abgrenzung des Expertenbegriffs äußerst schwierig ist, da dieser sehr weit gefasst und unbestimmt ist. So sind im Grunde genommen alle Personen Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt. Die Auswahl der benötigten Expert*innen sollte daher anhand des Forschungsanliegens bestimmt werden (Mey & Mruck 2020: 322). Ausgehend von der Wortherkunft aus der lateinischen Wortwurzel »expertus«, die sich mit »erprobt/bewährt« übersetzen lässt (Bogner et al. 2014: 9), lassen sich Expert*innen zunächst generalisiert als Personen mit einem spezifischen Wissen für ein bestimmtes Gebiet oder Sachverhalt beschreiben (Gläser & Laudel 2009: 10). Dies allein trifft jedoch auf eine scheinbar unendliche Anzahl von Personen zu. Bogner et al. haben aus diesem Grund folgende erweiterte Definition des Expertenbegriffs aufgeführt, die auch Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit sein soll: »Experten lassen sich als Personen verstehen, die sich – ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren.« (Bogner et al. 2014: 13) Anhand dieser Definition wird deutlich, dass Expert*innen eben nicht nur ein spezifisches Wissen zu einem abgrenzbaren Bereich aufweisen, sondern darüber hinaus auch dazu in der Lage sind, dieses Wissen strukturiert und handlungsbezogen zur Verfügung zu stellen. Für den vorliegenden Forschungsgegenstand scheint diese Definition sehr passend zu sein, denn für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens und der Rolle der Geographie im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation ist einerseits ein spezifisches Fachwissen über den Gegenstand und die Inhalte der Geographie als Wissenschaftsdisziplin seitens der zu befragenden Personen notwendig und andererseits die Fähigkeit, ein solches Wissen auch handlungsbezogen zur Verfügung zu stellen, damit Rollen- und Bedeutungszuschreibungen für die Geographie in diesem Kontext möglich sind. Wichtig dabei zu erwähnen ist, dass ein*e Expert*in immer auch nur in dieser Funktion interviewt wird und nicht als Privatperson. Expert*innen fungieren immer als »Träger des für die wissenschaftliche Analyse relevanten Funktionswissens« (Kaiser 2014: 38). Ein solches Sonder- oder Funktionswissen seitens der Expert*innen wurde dabei sowohl durch deren Bildungsweg als auch durch ihre beruflichen Funktionen und Tätigkeiten erworben und übersteigt im Normalfall das Allgemeinwissen, wodurch es für den Forschungsgegenstand relevant wird (Misoch 2019: 119).
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Im vorliegenden Kontext kommen unter diesen Voraussetzungen somit nur Personen in Frage, die eine spezifische Expertise in der Wissenschaftsdisziplin der Geographie aufweisen und darüber hinaus in der Lage sind, dieses Wissen so weit aufzubereiten, dass sich daraus die Möglichkeit einer fachspezifischen Wissensdefinition ergibt. Darüber hinaus müssen sie in der Lage sein, ihr Wissen und dessen gesellschaftliche Bedeutung auf den Gegenstand der sozial-ökologischen Transformation einerseits einzugrenzen und andererseits handlungsorientiert anzuwenden, damit daraus Rückschlüsse auf die allgemeine Rolle der Geographie in diesem Zusammenhang gezogen werden können. Letzteres ist vor allem dadurch möglich, dass Expert*innen in der heutigen Gesellschaft das Bild eines bestimmten Sachverhaltes prägen, indem sie in der Lage sind, zu eben diesen Risikoeinschätzungen, Entwicklungs- und Trendbeschreibungen sowie Relevanzbewertungen vorzunehmen (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 120). Wie in Kapitel 2 aufgezeigt, spielen Risikobewertungen, Entwicklungen und Trends in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte eine zentrale Rolle, sodass eine Einordnung der Geographie in diesen Kontext insbesondere durch Expert*innen aus diesem Gebiet vorgenommen werden kann und sollte. Przyborski & Wohlrab-Sahr (2014) weisen dem Expertenwissen noch eine weitere Rolle zu, die sie als die Bereitstellung von Kontextwissen bezeichnen (ebd.). Kontextwissen meint in diesem Zusammenhang ein Wissen, welches auf andere Personengruppen, die das eigentliche Ziel der Untersuchung sind, übertragen werden kann. Expert*innen liefern in diesem Fall sowohl grundlegende Informationen zum Forschungsgegenstand als auch Zusatzinformationen, die auf andere Fälle angewendet werden können (ebd.). Dies greift auch, zumindest zu einem gewissen Teil, für das vorliegende Forschungsvorhaben, da ein übergeordnetes Ziel der Arbeit darin besteht, den Einfluss geographischer Wissensbestände auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen zu untersuchen. Die in den Experteninterviews generierten Wissensbestände und Bedeutungszuschreibungen werden im Zuge des vorliegenden Mixed-Methods-Designs insbesondere auch auf die Personengruppe der Zivilgesellschaft übertragen und diskutiert und sind auch in das Forschungsdesign der zweiten Methodik eingeflossen. Die Auswahl geeigneter Expert*innen für das beschriebene Forschungsvorhaben ergibt sich dabei aus dem Sachverhalt selbst. Da hier disziplinspezifisches Wissen gefordert ist, kommen nur Personen in Frage, die im Kontext des Fachs Geographie tätig sind. Darüber hinaus kann eine fachspezifische Wissensdefinition und Bedeutungszuschreibung nur von Personen vorgenommen werden, die an der Produktion geographischen Wissens selbst beteiligt sind. Dies grenzt die in Frage kommende Grundgesamtheit auf die Personen ein, welche an Universitäten (als Hauptproduktionsstätten geographischer Inhalte) im Fach Geographie tätig sind. Diese bilden somit die Zielgruppe der durchgeführten Experteninterviews. Bevor in Kapitel 7.2.2 eine detaillierte Beschreibung und Begründung der Stichprobenwahl sowie der Durchführung der Experteninterviews vollzogen wird, geht es zunächst darum, das konkrete Methodendesign der Untersuchung näher zu beleuchten.
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7.2.2 Forschungsdesgin Leitfadengestützte Interviews zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl eine strukturierte als auch eine offene Vorgehensweise vereinen. Um zu verhindern, dass diese in sich widersprüchlichen Anliegen miteinander vereinbar sind, gilt es, bereits bei der Gestaltung des Leitfadens darauf zu achten, dass die Fragen möglichst offen im Sinne eines Erfragens und nicht Abfragens gestaltet werden (Kruse 2014: 217). Dabei besteht eine mögliche Grundstruktur eines qualitativen Leitfadens, welche auch im vorliegenden Fall angewendet wurde, aus inhaltlichen Themenblöcken. Jeder Block teilt sich auf in Leitfragen, die einen offen gehaltenen Grundreiz (Stimulus) und somit eine Erzählaufforderung beinhalten, Aufrechterhaltungsfragen, die zur Themenvertiefung und Erweiterung dienen und konkreten Nachfragen, deren Sinn darin besteht, noch unbeantwortete Themengebiete aufzugreifen (Kruse 2014: 217f.). Da es sich hier um die Durchführung von Experteninterviews handelt, muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Fragestellungen nicht zu offen und unspezifisch sind und nicht nur auf reine Erzählaufforderungen abzielen, da sonst das gewünschte Expert*innenwissen nicht abgefragt werden kann (Helfferich 2011: 179). Das Verfahren der Leitfadenentwicklung, welches hier vorgenommen wurde, richtete sich nach dem SPSS-Verfahren (Sammeln möglicher Fragestellungen -> Prüfen der Fragen auf die thematische Passung -> Sortieren der Fragen in eine logische Reihenfolge -> Subsumieren der relevanten Fragen zu einem Leitfaden) (ebd., S, 182ff.). In dieser Vorgehensweise und Form des Leitfadens ist somit sowohl eine Vergleichbarkeit der Daten als auch eine Strukturierung dieser möglich (Mayer 2013: 37; Misoch 2019: 66). Für die vorliegende Untersuchung wurde der Leitfaden in vier übergeordnete Themenblöcke eingeteilt: (1) Wissen Allgemein; (2) Geographie & geographisches Wissen; (3) Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation und (4) Möglichkeiten des Wissenstransfers.2 Die Anzahl der Themenblöcke ist für die Methode des Experteninterviews nicht gesetzt, eine Range von 3–8 Themenblöcken wird jedoch in der Literatur als wünschenswert angesehen (Bogner et al. 2014: 28). Jedem Themenblock wurden jeweils zwischen 3 und 4 Hauptfragen zugeordnet, was ebenfalls den gängigen Erfahrungswerten der Methodenforschung in diesem Kontext entspricht (ebd.). Die Hauptfragen wurden teilweise durch einzelne Teilfragen zu weiteren Teilaspekten der Themenblöcke ergänzt, die dem Zweck der Schaffung von weiteren Gesprächsanreizen und zur inhaltlichen Vertiefung dienen (ebd.: 29). Die Struktur der Themenblöcke folgt dem von Misoch vorgeschlagenen Prinzip von Einstiegsphase (Block 1), Hauptphase (Block 2 & 3) sowie Abschlussphase (Block 4) (Misoch 2019: 68). Die Fragen wurden inhaltlich passend zu den jeweiligen Themenblöcken formuliert, sodass die Themen nacheinander behandelt werden können, was die in Interviews erwünschte Annäherung an einen natürlichen Gesprächsverlauf zur Folge hat (Gläser & Laudel 2009: 146). Der erste Themenblock Wissen Allgemein fungiert somit als thematischer Einstieg in das Interview. Hier wurde zu Beginn gefragt, was die Expert*innen allgemein unter dem Begriff Wissen verstehen. Dies dient einerseits als offener Einstieg und Gesprächsanreiz und ermöglicht den Befragten eine nicht-konfrontative Art des »warm Redens« (Bo2
Der vollständige Leitfaden im Originalwortlaut befindet sich im Anhang.
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gner et al. 2014: 61). Auf der inhaltlichen Ebene ist eine Verständigung über den Begriff des Wissens notwendig, bevor über ein spezifisch geographisches Wissen gesprochen werden kann. Daran anknüpfend wurde gefragt, ob es aus der Sicht der Expert*innen unterschiedliche Formen von Wissen gibt und wenn ja, worin der Unterschied besteht. Wie sich bereits in der Theorie gezeigt hat (siehe Kapitel 3) ist der Wissensbegriff äußerst komplex und kann auf verschiedene Art und Weise verstanden werden. Daraus resultiert eine Vielzahl an existierenden Wissensformen. Im Zuge der Interviews war es demnach notwendig, das Wissensverständnis der Expert*innen zu erfassen und daran anknüpfend über mögliche unterschiedliche Formen des Wissens und deren Konstitution zu sprechen. Die dritte Frage des ersten Themenblocks sollte die Meinungen der Expert*innen im Hinblick auf die Bedeutung von Wissen allgemein im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation erfassen. Da es im vorliegenden Forschungsvorhaben darum geht, den möglichen Einfluss spezifischer Wissensbestände im Nachhaltigkeitskontext zu beforschen, ist eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen in diesem Zusammenhang zwingend erforderlich. Der zweite Themenblock Geographie & geographisches Wissen dient anknüpfend an die vorherigen Fragen als inhaltliche Vertiefung, welche den spezifischen thematischen Kontext der Expert*innen aufgreift und einbezieht. Hier wurde einsteigend gefragt, wie sich die Geographie als Disziplin aus der Sicht der Expert*innen definieren lässt und welche Besonderheiten sich daraus in Abgrenzung zu anderen Disziplinen ergeben. Eine Definition der Geographie ist notwendig und dient als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Begriff des geographischen Wissens. Daran anknüpfend wurde die Frage gestellt, ob es ein spezifisch geographisches Wissen gibt und wenn ja, wie es sich definieren lässt. Diese Frage ist eine der zentralen Fragestellungen im Leitfaden, denn sie beinhaltet eine direkte Verknüpfung mit den Forschungsfragen. Falls diese Frage in den Interviews bejaht wurde, wurde anschließend erweiternd dazu nach möglichen Ausdifferenzierungen des geographischen Wissensbegriffs in verschiedene Formen gefragt. Dadurch konnte der Anreiz für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Thematik geschaffen werden. Die letzte Frage in diesem Themenblock richtete sich nach der Rolle der Geographie als Wissenschaftsdisziplin in der Gesellschaft. Da es in der Arbeit darum geht, den Einfluss geographischer Wissens- und Denkweisen auf zivilgesellschaftliches Handeln zu erforschen, ist eine Einschätzung seitens der Geographieexpert*innen über die allgemeine gesellschaftliche Bedeutung und Wahrnehmung der Geographie hilfreich, um zu eruieren, welchen Wert die Geographie in diesem Zusammenhang hat und inwiefern dieser gegenwärtig wahrgenommen wird. Der dritte Themenblock Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation verbindet die beiden Hauptschwerpunkte der vorliegenden Arbeit (Geographie und Nachhaltigkeit). Hier wurde einleitend gefragt, welche Rolle die Geographie im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation spielt und spielen sollte und welche Bedeutung ihr somit in diesem Kontext zukommt. Diese Fragestellung wurde in Anlehnung an die übergeordnete Forschungsfrage dieser Arbeit gewählt und bietet den Expert*innen die Gelegenheit, eine diesbezügliche Einschätzung vorzunehmen und begründet Stellung zu beziehen. Daran anschließend wurde die Frage gestellt, welches Wissen aus der Geographie im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation als relevant erachtet werden kann. Diese Fragestellung verbindet die
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Teilthemen Wissen, Geographie und sozial-ökologische Transformation. Wichtig hierbei ist zu erwähnen, dass die Expert*innen alle aus verschiedenen Teildisziplinen der Geographie kommen und diese Frage sowohl allgemein für die gesamte Geographie als auch vertiefend immer im Hinblick auf ihren spezifischen thematischen Hintergrund beantworten sollten. Diese Frage bildet somit den stärksten Anknüpfungspunkt an die Lebenswelt der Expert*innen. Den Abschluss des dritten Themenblocks bildete die Frage, welchen Beitrag die Geographie und auch hier wieder insbesondere die Teildisziplin des*der jeweiligen Expert*in zur Umsetzung der Sustainable Development Goals der Agenda 2030 beitragen kann. Auch hier wurde eine Teilung vorgenommen, indem zunächst nach dem allgemeinen Beitrag zur Agenda 2030 gefragt wurde und daran anknüpfend die Frage für die spezifischen SDGs gestellt wurde, die zum jeweiligen Hintergrund der Expert*innen als zugehörig angesehen wurden. Die Zuteilung der SDGs erfolgte nach der in Kapitel 5 vollzogenen theoretischen Verknüpfung von geographischen Teildisziplinen mit den einzelnen SDGs der Agenda 2030, sodass die jeweiligen zugehörigen SDGs je nach Hintergrund der Expert*innen vorher feststanden. Diese Frage wurde gewählt, da sich die vorliegende Arbeit wie bereits beschrieben mit dem Einfluss geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf eine zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele befasst. Als aktuell gültige und größte Nachhaltigkeitsstrategie wurden die SDGs der Agenda 2030 hier exemplarisch als spezifische Nachhaltigkeitsziele verwendet (siehe auch Kapitel 2.8 & 5.6). Als Vertiefungsfrage wurde zusätzlich explizit nach relevantem geographischem Wissen im Zusammenhang mit der Umsetzung der SDGs gefragt. Den Abschluss des Leitfadens bildet der vierte Themenblock Möglichkeiten des Wissenstransfers. Wie in Kapitel 5.7 und 6 erläutert, liegt der Fokus der Arbeit auf der Zielgruppe der Zivilgesellschaft und hier insbesondere dem Teil der Bevölkerung, welcher den Bildungsweg bereits abgeschlossen hat. Aus diesem Grund wurde zu Beginn des letzten Themenblockes die Frage gestellt, ob und wie geographisch relevantes Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft transferiert werden kann. Diese Frage ermöglichte den Expert*innen eine offene Ideensammlung aus eigenen Erfahrungen und spontanen Einschätzungen. Mit dieser Frage sollten insbesondere potenzielle Kanäle für die Wissenskommunikation erfasst werden. Zur Vertiefung und Spezifizierung wurde anschließend gefragt, in welcher Form ein solches Wissen vermittelt werden sollte. Insbesondere im Hinblick auf das nach wie vor ungelöste Knowledge-Action-Gap (siehe Kapitel 4.5), ist die Frage nach einer gewinnbringenden Wissensvermittlung bedeutsam. Dabei spielen sowohl die Kommunikationskanäle als auch die Form der Wissensvermittlung eine zentrale Rolle. Erweiternd dazu wurde die Frage gestellt, welche gesellschaftlich relevanten Themen im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation, zu denen die Geographie einen guten Beitrag leisten kann, bisher in den Medien und der Öffentlichkeit zu wenig thematisiert wurden. Auch diese Frage konnte sowohl allgemein als auch im Hinblick auf den fachspezifischen Hintergrund der Expert*innen beantwortet werden. Aus der Beantwortung dieser Frage können insbesondere zukünftige Aufgaben im Hinblick auf die geographische Wissensvermittlung abgeleitet werden. Den Abschluss des vierten Themenblocks und auch des Leitfadens insgesamt bildete eine Vertiefungsfrage zum Potenzial der geographischen Wissensvermittlung über Kanäle des informellen Lernens insbesondere im Hinblick auf
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Social Media. Wie sich in den Kapiteln 3.4 & 4.3 gezeigt hat, können Social-Media-Kanäle aufgrund ihrer enormen Reichweite und Beliebtheit als zukünftige Informationskanäle gesehen werden und sollten demnach auch im hier vorliegenden Kontext in Betracht gezogen werden. Da diese Kanäle jedoch sehr kontrovers diskutiert werden, wurde eine explizite Thematisierung dieser in einer eigenständigen Frage als sinnvoll erachtet. Insgesamt stellt der letzte Themenblock einen praxisorientierten Anwendungsbezug dar. So geht es im vorliegenden Forschungsvorhaben nicht nur darum, zu eruieren, welche Rolle geographische Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation spielen, sondern auch darum, wie relevante Wissensbestände gewinnbringend in den gesellschaftlichen Alltag kommuniziert werden können. Dadurch werden die theoretischen Erkenntnisse in die Praxis transferiert. An dieser Stelle sei erwähnt, dass in den Interviews selbst sowohl die Fragenreihenfolge und explizite sprachliche Formulierung variieren können als auch weitere situationsbedingte Fragen gestellt wurden, die nicht im Leitfaden auftauchen. Darüber hinaus wurden Teilfragen, wie bereits begründet, je nach thematischem Hintergrund der Expert*innen anders formuliert gestellt. Diese Veränderungen sind in der Methodik der leitfadengestützten Experteninterviews selbst begründet und als standardmäßige Abweichung zu betrachten (Bogner et al. 2014: 29). Insgesamt beinhaltet der Leitfaden somit einen Pool aus verschiedenen Fragetypen von Stellungnahmen und Bewertungsfragen (z.B. die Bewertung der Rolle der Geographie), über Sondierungsfragen (z.B. disziplinspezifisches Wissen für einzelne SDGs), die dem Zweck der thematischen Präzisierung und für ein vertieftes Verständnis dienen, bis hin zu faktenbezogenen Fragestellungen (z.B. Definition von Geographie). Diese werden auch in der Forschungsliteratur allgemein hin als gängige Fragetypen für die Methode des Experteninterviews aufgeführt (Bogner et al. 2014: 62ff.; Helfferich 2011: 102ff.). Die hier gewählte Anzahl von insgesamt 14 Fragen liegt in dem von Gläser und Laudel vorgeschlagenen Spektrum von 8–15 Fragen für leitfadengestützte Interviews, die eine antizipierte Länge von bis zu einer Stunde aufweisen3 (Gläser & Laudel 2009: 144). Auch die Vorgehensweise, für jeden Themenblock Einstiegsfragen, Hauptfragen sowie Nachfragen zu verwenden wird grundsätzlich für diese Methode als sinnvoll erachtet, insbesondere wenn es um die Steuerung der Interviewsituation geht (Gläser & Laudel 2009: 127ff.; Mey & Mruck 2020: 327). Im Hinblick auf die Erfüllung von Gütekriterien, die insbesondere für die qualitative Forschung nach wie vor kontrovers diskutiert werden, sorgt die hier vollzogene schrittweise Beschreibung der Leitfadenkonstruktion und begründeten Vorgehensweise dafür, dass ein Mindestmaß an Operationalisierung für den vorliegenden Leitfaden nachvollziehbar wird (Gläser & Laudel 2009: 115). Darüber hinaus wurden alle hier gewählten Themenblöcke und Fragestellungen entlang der in Kapitel 6 abgeleiteten Forschungsfragen sowie den theoretischen Hintergründen dieser Arbeit formuliert und strukturiert. Dies entspricht somit dem Prinzip des theoriegeleiteten Vorgehens (ebd.). Dem Prinzip der Offenheit wird durch die offene Fragenformulierung Rechnung getragen, da die Expert*innen die Möglichkeit haben, alle Fragen ihrem Wissen und Interessen entspre-
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Die Zeitvorgabe von einer Stunde wird in der Literatur als Richtwert für leitfadengestützte Experteninterviews gesehen und sollte wenn möglich nicht überschritten werden (Scholl 2018: 68).
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chend zu beantworten (ebd.). Nachstehend folgt die Begründung der Stichprobenwahl sowie eine Beschreibung der Methodendurchführung.
7.2.3 Sampling und Durchführung Im Hinblick auf das Forschungsvorhaben sowie den Rahmen dieser Arbeit sei vorab erwähnt, dass eine Vollerhebung aller in Frage kommender Expert*innen aufgrund von zeitlich, monetär und infrastrukturell beschränkten Ressourcen nicht möglich war. Dies trifft auf den Großteil aller empirischen Forschungen zu. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sampling zwingend notwendig (Bogner et al. 2014: 35). Grundlegend orientiert sich das Sampling bei qualitativen Experteninterviews zunächst immer am Forschungsgegenstand und den Forschungsfragen. Davon ausgehend erfolgt dann die Auswahl von Personen, die über den gewählten Gegenstand Informationen bereitstellen können (Bogner et al. 2014: 34f.). Das Samplingverfahren für die vorliegende Stichprobe lässt sich als nicht-probabilistische Stichprobenstrategie charakterisieren. Dabei wurde ausgehend von den Forschungsfragen eine kriteriengeleitete bewusste Auswahl der Stichprobe vollzogen (Akremi 2019: 320ff.). Im Sinne dieses Verfahrens wurden somit vorab Kriterien festgelegt, für die eine bestimmte Anzahl an potenziellen Expert*innen gefunden werden sollte. Das hier vollzogene qualitative Sampling kann als »bewusste Fallauswahl, welche die Heterogenität des Untersuchungsfeldes falltypologisch kontrastierend repräsentiert« (Kruse 2014: 246), beschrieben werden. Wie in Kapitel 7.2.1 bereits erläutert, fiel die Wahl der Expert*innen für die vorliegende Untersuchung auf an Universitäten im Fachbereich Geographie angestellte Personen. Um die Grundgesamtheit weiter einzugrenzen, wurde sich dafür entschieden, ausschließlich Lehrstuhlinhaber*innen im Fachbereich Geographie in die Untersuchung einzubeziehen. Diese weisen aufgrund ihrer Reputation und langjährigen Berufserfahrung den höchsten Grad an Expertise im Hinblick auf die zugrundeliegenden Fragestellungen auf. Da es darum geht, geographisches Wissen und relevante fachwissenschaftliche geographische Inhalte im Kontext der sozial-ökologischen Transformation zu untersuchen, wurde die Grundgesamtheit weiter eingegrenzt auf Lehrstuhlinhaber*innen an deutschsprachigen Universitäten mit einer fachwissenschaftlichen Ausrichtung im Fachbereich Geographie. Somit ergaben sich für die zu ziehende Stichprobe folgende relevante Auswahlkriterien: • • • •
Lehrstuhlinhaber*in fachwissenschaftliche Ausrichtung des Lehrstuhls dem Fachbereich Geographie zugeordnet angestellt an einer Hochschule im deutschsprachigen Raum
Die Begrenzung auf den deutschsprachigen Raum wurde einerseits vorgenommen, um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu überschreiten und andererseits, da bereits in den theoretischen Überlegungen das Hauptaugenmerk auf die deutschsprachige Geographie gelegt wurde. Zudem wurde auch die zweite Methodik ausschließlich in der deutschsprachigen Bevölkerung durchgeführt.
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chend zu beantworten (ebd.). Nachstehend folgt die Begründung der Stichprobenwahl sowie eine Beschreibung der Methodendurchführung.
7.2.3 Sampling und Durchführung Im Hinblick auf das Forschungsvorhaben sowie den Rahmen dieser Arbeit sei vorab erwähnt, dass eine Vollerhebung aller in Frage kommender Expert*innen aufgrund von zeitlich, monetär und infrastrukturell beschränkten Ressourcen nicht möglich war. Dies trifft auf den Großteil aller empirischen Forschungen zu. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sampling zwingend notwendig (Bogner et al. 2014: 35). Grundlegend orientiert sich das Sampling bei qualitativen Experteninterviews zunächst immer am Forschungsgegenstand und den Forschungsfragen. Davon ausgehend erfolgt dann die Auswahl von Personen, die über den gewählten Gegenstand Informationen bereitstellen können (Bogner et al. 2014: 34f.). Das Samplingverfahren für die vorliegende Stichprobe lässt sich als nicht-probabilistische Stichprobenstrategie charakterisieren. Dabei wurde ausgehend von den Forschungsfragen eine kriteriengeleitete bewusste Auswahl der Stichprobe vollzogen (Akremi 2019: 320ff.). Im Sinne dieses Verfahrens wurden somit vorab Kriterien festgelegt, für die eine bestimmte Anzahl an potenziellen Expert*innen gefunden werden sollte. Das hier vollzogene qualitative Sampling kann als »bewusste Fallauswahl, welche die Heterogenität des Untersuchungsfeldes falltypologisch kontrastierend repräsentiert« (Kruse 2014: 246), beschrieben werden. Wie in Kapitel 7.2.1 bereits erläutert, fiel die Wahl der Expert*innen für die vorliegende Untersuchung auf an Universitäten im Fachbereich Geographie angestellte Personen. Um die Grundgesamtheit weiter einzugrenzen, wurde sich dafür entschieden, ausschließlich Lehrstuhlinhaber*innen im Fachbereich Geographie in die Untersuchung einzubeziehen. Diese weisen aufgrund ihrer Reputation und langjährigen Berufserfahrung den höchsten Grad an Expertise im Hinblick auf die zugrundeliegenden Fragestellungen auf. Da es darum geht, geographisches Wissen und relevante fachwissenschaftliche geographische Inhalte im Kontext der sozial-ökologischen Transformation zu untersuchen, wurde die Grundgesamtheit weiter eingegrenzt auf Lehrstuhlinhaber*innen an deutschsprachigen Universitäten mit einer fachwissenschaftlichen Ausrichtung im Fachbereich Geographie. Somit ergaben sich für die zu ziehende Stichprobe folgende relevante Auswahlkriterien: • • • •
Lehrstuhlinhaber*in fachwissenschaftliche Ausrichtung des Lehrstuhls dem Fachbereich Geographie zugeordnet angestellt an einer Hochschule im deutschsprachigen Raum
Die Begrenzung auf den deutschsprachigen Raum wurde einerseits vorgenommen, um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu überschreiten und andererseits, da bereits in den theoretischen Überlegungen das Hauptaugenmerk auf die deutschsprachige Geographie gelegt wurde. Zudem wurde auch die zweite Methodik ausschließlich in der deutschsprachigen Bevölkerung durchgeführt.
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Aus den hier festgelegten Merkmalen wurde mittels internetbasierter Informationsbeschaffung eine Liste mit allen potenziellen Lehrstuhlinhaber*innen angefertigt. Dies entspricht der gängigen Vorgehensweise für die Auswahl geeigneter Expert*innen (Bogner et al. 2014: 35). Ausgehend von der Auflistung aller geographischen Institute und Forschungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum4 , wurden sämtliche Lehrstühle im Hinblick auf deren Inhaber*innen sowie den Forschungsschwerpunkten erfasst. Daraus ergab sich eine bekannte Grundgesamtheit von 358 Lehrstühlen5 für den deutschsprachigen Raum. Da es im Zuge des Forschungsvorhabens darum geht, die gesamte Bandbreite geographischer Inhalte abzudecken, wurde bei der Stichprobenwahl versucht, Expert*innen aus jeder Teildisziplin der Geographie abzudecken. Dabei erfolgte zunächst eine Grobeinteilung in die drei Säulen der Geographie (siehe Kapitel 5.3.2): Physische Geographie, Humangeographie sowie Mensch-UmweltForschung. Um eine möglichst große Bandbreite an Ergebnissen zu erhalten und eine Vergleichbarkeit zwischen den Säulen vornehmen zu können, sollten je Säule 10 Expert*innen interviewt werden, woraus sich ein gewünschter Stichprobenumfang von 30 Experteninterviews ergibt. In der qualitativen Forschung gibt es keine gängigen Richtwerte für die Stichprobengröße. Metastudien zeigen, dass die Stichprobengröße zwischen 5 und 60 Interviews (Akremi 2019: 327) oder auch 10 bis 100 Interviews (Kruse 2014: 245) schwanken kann. Bei der Auswahl der Expert*innen wurde versucht, für jede Teildisziplin der Geographie wie sie in der Theorie bereits vorgestellt wurden (siehe Kapitel 5.3) mindestens eine*n Expert*in zu befragen. Da jedoch für jede Teildisziplin der Geographie mehrere potenzielle Expert*innen in Frage kamen, mussten weitere Eingrenzungen vorgenommen werden. Als Expert*in für eine Teildisziplin wurden diejenigen Personen ausgewählt, die auf ihrem jeweiligen Gebiet die höchste Expertise aufweisen. Die Einstufung der Expertise wurde dabei anhand der Publikationserfahrungen insbesondere unter Berücksichtigung der Beteiligung an einschlägigen Monographien, die als Grundlagenwerke in den jeweiligen geographischen Teildisziplinen gesehen werden können, vorgenommen. Zusätzlich wurde versucht, darauf zu achten, eine ausgeglichene Alters- und Geschlechterverteilung zu erreichen, da davon ausgegangen werden kann, dass je nach Alter und Geschlecht unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf die zu erforschenden Fragestellungen vorliegen, die es mit dem Ziel der theoretischen Generalisierbarkeit möglichst zu erfassen gilt. Da nicht davon ausgegangen werden konnte, dass jede Interviewanfrage Erfolg mit sich bringt, wurden für jede geographische Teildisziplin jeweils drei potenzielle Expert*innen ausgewählt, sodass bei einer fehlgeschlagenen Anfrage weitere den Kriterien entsprechenden Expert*innen angefragt werden konnten. Das Ziel eines solchen Kriterienkatalogs wie er auch hier vorliegt, muss es sein, dass alle festgelegten Kriterien durch die erhobene Stichprobe abgedeckt werden, im besten Fall auch durch eine Mehrfachbesetzung der Kriterien, wie sie auch hier angestrebt wurde (Mayer 2013: 40).
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Diese Liste ist auf den Seiten des VDGH unter folgender URL verfügbar: https://geographie.onlin e/universitaten-und-institute Diese Zahl gilt nur für den erhobenen Zeitraum im Jahr 2020 und beinhaltet somit nicht den Anspruch der Aktualität.
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Das hier erläuterte Verfahren des Samplings ist ein anerkanntes Verfahren der qualitativen Forschung und wird auch als selektives Sampling (purposive Sampling) bezeichnet, da sowohl die Grundgesamtheit an sich als auch Informationen über die Verteilung der festgelegten Merkmale bekannt sind (Misoch 2019: 208). Die hier durchgeführte Vorgehensweise der systematischen und bewussten Stichprobenziehung mit einer konkreten Personenzahl nach festgelegten Merkmalen und einem vorab definierten Quotenplan (Festlegung der Merkmale der Stichprobe) kann innerhalb der selektiven Samplingverfahren auch als Quotensampling charakterisiert werden (Akremi 2019: 321; Misoch 2019: 209). Bei diesem Verfahren sind wie im vorliegenden Fall Zeitpunkt, Untersuchungsort sowie die zu befragenden Personen bereits bekannt. Der Quotenplan (auch Stichprobenplan genannt) stellt dabei sicher, dass diese bekannten Kontextbedingungen durch die Stichprobe abgedeckt werden (Lamnek & Krell 2016: 184f.). Durch dieses Vorgehen kann unter der Prämisse, dass die hier vorhandene Stichprobe den aufgestellten Merkmalen der Grundgesamtheit entspricht, in diesem Fall in einem begrenzten Umfang durchaus von einer inhaltlichen und statistischen Repräsentativität gesprochen werden (Misoch 2019: 209). Vor der eigentlichen Durchführung der Experteninterviews wurde ein Pretest mit insgesamt vier Proband*innen durchgeführt. Diese entsprachen ebenfalls den aufgestellten Kriterien, um eine möglichst aussagekräftige Rückmeldung erhalten zu können und eine Sinnhaftigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten (Kaiser 2014: 70). Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung war das Hauptziel des Pretests die Qualitätsoptimierung des Erhebungsinstruments in Form eines Leitfadens sowie die Testung des gesamten Befragungsablaufs der Experteninterviews (Weichbold 2019: 349). Ergänzend dazu wurde eine informelle Begutachtung des Leitfadens durch zehn Personen aus dem universitären Kolleg*innenkreis durchgeführt, was ebenfalls als ein Pretest-Verfahren klassifiziert werden kann (Schnell 2019: 130; Weichbold 2019: 350). Der durchgeführte Pretest mit den vier ausgewählten Proband*innen wurde in Form von fokussierten Interviews mit einem Fokus auf dem Interviewleitfaden durchgeführt (Weichbold 2019: 351). Für den Pretest wurden unterschiedliche Verfahren kombiniert eingesetzt. Im Sinne eins »Think-Alouds« wurden die Testpersonen dazu aufgefordert, ihre Gedanken im Hinblick auf die Beantwortung der Fragen zu äußern, um eventuelle Missverständnisse aufzudecken. Ergänzend dazu wurden nach der Beantwortung der eigentlichen Fragen Nachfragen gestellt (sogenanntes Probing), um Zusatzinformationen über Verständnisschwierigkeiten sowie Deutungsdifferenzen zu erhalten. Des Weiteren wurden die Befragten im Sinne eines Confidence-Ratings darum gebeten, zu beschreiben, wie sicher sie sich bei der Fragenbeantwortung gefühlt haben (Faulbaum et al. 2009: 98f.; Weichbold 2019: 351). Da diese Verfahren jedoch im Anschluss an die eigentliche Durchführung des Interviews erfolgten, liegt hier kein kognitives Pretestinterview vor, sondern ein Feldpretest im Sinne eines Interviewer-Debriefings (auch intensive Interview genannt), da die interviewten Personen im Anschluss an das sukzessive Durchgehen des Leitfadens (als Simulation der Hauptstudie unter möglichst realistischen Bedingungen) noch einmal retrospektiv zum gesamten Verlauf des Interviews befragt wurden (Faulbaum et al. 2009: 99f.). Eine solche Kombination verschiedener Verfahren ist aufgrund unterschiedlicher Forschungserkenntnisse zu der Wirksamkeit der einzelnen Vorgehensweisen ratsam (Scholl 2018: 206). Die hier durchgeführten Pretests
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führten im Ergebnis zu einer sprachlichen Umformulierung einiger Fragestellungen, um eine bessere Verständlichkeit zu erreichen. Es wurden allerdings keine Fragen gestrichen oder neue Fragen ergänzt, sodass der Leitfaden inhaltlich gleichgeblieben ist. Durch den Pretest konnten somit Verständnisprobleme und Fragenschwierigkeiten geklärt werden sowie die Anordnung der Fragen und die Kontinuität des Interviewablaufs validiert werden (Schnell 2019: 123). Insgesamt wurden im Erhebungszeitraum von Juni 2020 – Januar 2021 genau 66 Interviewanfragen getätigt, von denen 33 positiv bestätigt und letztendlich durchgeführt wurden6 . Dabei wurden zunächst alle ausgewählten Expert*innen für die einzelnen Teildisziplinen der Geographie per E-Mail mit einem vorgefertigten Anfragetext kontaktiert. Wichtig dabei ist zu erwähnen, dass Teilformulierungen innerhalb des Anfragetextes ja nach fachlichem Hintergrund variieren. Der Grundaufbau des Textes war jedoch immer gleich und enthielt folgende Elemente, die auch in der Forschungsliteratur als gängig betrachtet werden (Gläser & Laudel 2009: 162): • • • • • • •
Begrüßung Vorstellung der eigenen Person Vorstellung des Forschungsvorhabens inklusive Thema der Dissertation Vorstellung des methodischen Vorhabens & Begründung für die Expertenauswahl grobe Übersicht zu den Oberthemen des Interviewleitfadens Möglichkeiten der Kontaktaufnahme Verabschiedung
Im Zuge der Kontaktierung der Expert*innen wurde sich dagegen entschieden, den gesamten Leitfaden vorab weiterzuleiten, damit eine strategische Planung der Antworten seitens der Expert*innen ausgeschlossen werden kann (Kruse 2014: 259; Scholl 2018: 207). Dies gilt insbesondere für Experteninterviews mit einem theoriegenerierenden und deutungswissensorientierten Ziel, wie sie hier vorliegen (Bogner et al. 2014: 30). Damit jedoch das Forschungsanliegen ausreichend vermittelt werden konnte, wurden die Schlüsselfragen des Leitfadens als Hauptthemen umformuliert und als Grobübersicht in den Anfragetext eingebunden. Hierbei wurde vermieden, bereits theoretische Annahmen zum Untersuchungsziel zu formulieren, da diese sonst die Beantwortung der Fragen durch die Expert*innen beeinflussen könnten, indem Sie persönliche Meinungen zu den Annahmen in das Interview einfließen lassen (Gläser & Laudel 2009: 160). Bei einer Absage für die Interviewanfrage wurde der/die in der Liste als nächstes ausgewählte Experte*in angefragt. Bei einer gänzlich fehlenden Rückmeldung seitens der Expert*innen wurde nach einem Zeitraum von maximal einer Woche eine Erinnerungsmail geschickt. Bei weiterhin ausbleibender Rückmeldung wurde dieser Vorgang noch einmal wiederholt, sodass es insgesamt maximal drei Anfragemails pro Expert*in gab. Bei einer Zusage wurde im weiteren Mailverlauf der Zeitpunkt der Durchführung des Interviews, die potenzielle Dauer sowie die Art der Durchführung geklärt.
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Die Überschreitung der gewünschten Anzahl von 30 um drei Interviews ergab sich aus zeitverzögerten Rückmeldungen und Terminverschiebungen seitens der Expert*innen.
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Der ursprüngliche Plan sah die ausschließliche Durchführung von Face-to-Face-Interviews an einem zuvor festgelegten Ort vor. Dies hat den Vorteil, dass insbesondere für den erhöhten Zeitaufwand bei Experteninterviews die Abbruchwahrscheinlichkeit minimiert wird, da der Verbindlichkeitsgrad deutlich höher ist. Darüber hinaus können Verständnisschwierigkeiten direkt geklärt und vertiefende Nachfragen für die Generierung von komplexeren und tiefer gehenden Informationen gestellt werden und die zu interviewenden Personen werden gleichzeitig entlastet (Scholl 2018: 38). Da die Befragung jedoch in den Zeitraum des Ausbruchs der globalen Covid-19-Pandemie fiel, konnten aufgrund von Kontaktbeschränkungen nicht alle Interviews in Präsenz durchgeführt werden. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf die alternative Durchführung der Interviews mittels digitalem Videokonferenzformat über die Plattform Zoom. Eine Studie zeigt, dass sich insbesondere dieses Programm aufgrund seiner vielfältigen Möglichkeiten für die Durchführung qualitativer Forschung eignet (Archibald et al. 2019: 5). Da dieses oder ähnliche Programme im Untersuchungszeitraum aufgrund der Covid-19-Pandemie bereits Einzug in die Lehre der Universitäten gehalten haben, war es aufgrund des universitären Hintergrunds allen Expert*innen bekannt und Hindernisse bezüglich der Programmbedienung konnten somit vermieden werden. Auch die Notwendigkeit einer Vorabinstruktion zur Programmbedienung entfiel dadurch. Die Interviews konnten durch diese Wahl des Videokonferenztools somit nach wie vor in Echtzeit und in einem digitalen Face-to-Face-Format durchgeführt werden, lediglich ein reales Treffen vor Ort war nicht möglich. Diese Variante stellt somit eine legitime Alternative dar, welche sowohl aufgrund der Covid-19-Pandemie als auch darüber hinaus zunehmend in der Forschung ihre Verwendung findet (Khalil & Cowie 2020: 102; Lobe et al. 2020: 6). Von den 33 Interviews wurden 7 im realen und 26 mussten zwangsweise im digitalen Raum durchgeführt werden. Darüber hinaus führte die Pandemiesituation zu erheblichen Zeitverzögerungen insbesondere im Hinblick auf Terminfindungen mit den Expert*innen, was den langen Erhebungszeitraum erklärt. Da es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kaum Forschungserkenntnisse bezüglich der Effekte von Interviews, die mittels Videokonferenz durchgeführt werden, gibt (Archibald et al. 2019: 2), können hier nur erste Vermutungen bezüglich möglicher Auswirkungen angestellt werden. Ein Nachteil wird aus den Erkenntnissen mit den hier geführten Interviews abgeleitet und bezieht sich auf den Aspekt der Verbindlichkeit. Die unpersönliche Zusammenkunft im digitalen Raum bringt für die zu befragende Person ebenso wie für den Interviewer selbst zunächst den Vorteil der Zeit- und Kostenersparnis (Lobe et al. 2020: 1). So entfallen beispielsweise mögliche Anreisekosten zum Interviewtermin. Andererseits liegt in dieser Form des Interviews auch eine geringere Verbindlichkeit vor, da das Verlassen der Videokonferenz per Knopfdruck eine deutlich geringere Hemmschwelle darstellt als das Beenden eines persönlich geführten Face-to-FaceGesprächs im realen Raum. Dies könnte dazu führen, dass sich die Expert*innen weniger Zeit für das digitale Interview nehmen als es in Präsenz der Fall gewesen wäre, da der Interviewer nicht extra angereist ist und somit eine geringere Verbindlichkeit vorliegt. Inwieweit dies jedoch zu messbaren Ergebnisverzerrungen führt, kann im vorliegenden Fall nicht verifiziert werden, da es sich nur um Vermutungen handelt. Ein weiterer Nachteil liegt in der Abhängigkeit von einer stabilen Internetverbindung (Archibald et al. 2019: 5). Kommt es hier zu Ausfällen, wie teilweise in dieser Erhebung geschehen,
7 Methodik
wird die Interviewsituation unterbrochen und es kommt zu Konzentrationsstörungen (Irani 2019: 5) oder es gehen im schlimmsten Fall Daten verloren. Ein solcher Datenverlust konnte in der vorliegenden Erhebung allerdings vermieden werden. Auch das in Studien oft benannte Problem der minderwertigen Soundqualität (Archibald et al. 2019: 5) lag im vorliegenden Fall nicht vor, da vor Beginn der Interviews immer ein Sound- und Bildtest durchgeführt wurde, der auch als zwingend notwendig erachtet wird (Khalil & Cowie 2020: 103). Darüber hinaus wurde der Konflikt der Datensicherheit und Privatsphäre, welcher im Kontext von Online-Forschung oft angeführt wird (Lobe et al. 2020: 5) dadurch behoben, dass nach einem Einverständnis seitens der Expert*innen lediglich die Audiospur der Interviews aufgezeichnet wurde, nicht aber das Video selbst. Inwiefern die Nutzung eines Videokonferenztools für Interviews Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Interviewer und Interviewten hat, konnte bisher in der Forschung nicht geklärt (Archibald et al. 2019: 5) und kann daher auch für diesen Fall nicht beurteilt werden. Insgesamt müssen alle durchgeführten Experteninterviews hier trotz der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen als gleichwertig gültig betrachtet werden, da die grundlegende Interviewsituation als annähernd identisch zu sehen ist. Fünf der sieben in Präsenz durchgeführten Interviews wurden nach individueller Rücksprache alle im jeweiligen Büro an den Universitäten der Expert*innen, ein Interview an einem allgemein zugänglichen Ort der Universität des Experten und ein Interview am privaten Wohnsitz eines Experten durchgeführt. Damit wurde die Interviewsituation in einer für den/die Expert*in natürlichen und gewohnten Umgebung durchgeführt und stellte auch für den Interviewer selbst (mit Ausnahme des Interviews am privaten Wohnort des Experten) aufgrund des gleichen Arbeitshintergrundes eine vertraute Umgebung dar, sodass die nicht zu vernachlässigenden potenziellen negativen Effekte der Ortswahl hierdurch minimiert werden konnten (Misoch 2019: 222f.; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 63). Gleiches ist auch für die als Videokonferenz durchgeführten Interviews anzunehmen, da sowohl der Interviewer als auch die Expert*innen sich in allen Fällen entweder im Home-Office oder im Büro am Arbeitsplatz befanden. Die Interviews wurden alle mit der identischen und in der Forschungsliteratur etablierten Vorgehensweise durchgeführt. Nach einer anfänglichen Begrüßung und SmallTalk-Phase zur Auflockerung der Gesprächssituation (auch Joining genannt) (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 67) erfolgte eine detaillierte Vorstellung der eigenen Person sowie eine Erklärung des institutionellen Kontextes und des Forschungsvorhabens analog zu den Informationen des Erstkontakts (Kruse 2014: 276). Anschließend wurden der zeitliche Rahmen und Ablauf des Interviews besprochen sowie ein Einverständnis der Expert*innen im Hinblick auf die Aufzeichnung des Interviews mittels Tonbandgeräts eingeholt. An dieser Stelle wurden auch die Formalien der Datenschutzregelung geklärt. Danach erfolgte die Durchführung des Interviews entlang des Leitfadens. Den Schluss bildete die Frage nach weiteren Anmerkungen seitens der Expert*innen sowie eine Danksagung und Verabschiedung (Bogner et al. 2014: 59ff.; Przyborski & WohlrabSahr 2014: 74). Um den Aufwand der Expert*innen zu würdigen, wurde am Ende des Interviews die Möglichkeit gegeben, an den Forschungsergebnissen im Sinne einer immateriellen Aufwandsentschädigung teilzuhaben (Kruse 2014: 260). Für diese Untersuchung lässt sich die Interviewsituation nicht eindeutig klassifizieren. Der gleiche fachliche Hintergrund des Interviewers mit den Expert*innen hatte im vorliegenden
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Fall den Vorteil, dass eine Interviewführung als »Co-Experte« möglich war. Dies wird in der Literatur als ideale Gesprächssituation für Experteninterviews betrachtet, da dies inhaltliche und vertiefende Debatten ermöglicht (ebd.: 52). Da die Expert*innen in ihren spezifischen Teildisziplinen jedoch eine deutlich höhere Expertise als der Interviewer aufwiesen, war die Interviewführung stellenweise auch mit der Wahrnehmung des Interviews als Laie möglich. Dies hat ausführlichere Antworten auf spezifische Fragen zur Folge und eignet sich für die Erhebung von Deutungswissen, was auch hier als Teilziel bereits formuliert wurde (ebd.: 53). Zu guter Letzt sorgte der gleiche fachliche Hintergrund von Interviewer und Expert*innen dafür, dass der Interviewer auch als »Komplize« wahrgenommen wurde. Dadurch konnte auf einer stärkeren Vertrauensbasis agiert und teilweise vertrauliche fachbezogene Informationen erhalten werden, die andernfalls gefehlt hätten (Bogner et al. 2014: 53; Misoch 2019: 122). Zusätzlich ermöglicht eine solche Vertrautheit die Sammlung detaillierter Informationen durch gezielte Nachfragen ebenso wie eine vereinfachte Rekrutierung von Expert*innen (Misoch 2019: 216). Die hier beschriebene Mischform aus unterschiedlichen Rollenzuschreibungen innerhalb der Interviewsituation ermöglichte insgesamt eine breite Auseinandersetzung mit den Forschungsfragen und die Generierung von Wissen auf unterschiedlichen Ebenen im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung der Thematik. Innerhalb der gesamten Gesprächssituation wurde im Sinne eines unabdingbaren aktiven Zuhörens in qualitativen Interviews darauf geachtet, die Redebeiträge der Expert*innen unbeeinflusst laufen zu lassen, sofern die Thematik der Fragestellung nicht zu weit verlassen wurde, Zeichen der Zustimmung beziehungsweise des Verständnisses der gesagten Inhalte zu geben (z.B. Non-Verbal durch Kopfnicken) sowie explizite Nachfragen für eine Vertiefung der Inhalte zu stellen (Gläser & Laudel 2009: 173ff.; Misoch 2019: 232). Da der zeitliche Aspekt und der damit verbundene Aufwand für Expert*innen eine große Rolle spielt, wurde trotz der freien Gesprächsführung auch darauf geachtet, die Fragen möglichst präzise zu formulieren, um eine »optimale Beantwortbarkeit« in kurzer Zeit zu ermöglichen (Helfferich 2011: 165). Die hier dargestellte Gesprächsführung entspricht dem in der Literatur geforderten neutral-weichen Kommunikationsstil für qualitative Interviews (Lamnek & Krell 2016: 326). Anschließend erfolgt nun eine detaillierte Beschreibung der Auswertungsmethode.
7.2.4 Auswertung Die gesamte Auswertung der Interviews erfolgte computergestützt. Die Audiospuren aller Interviews wurden mittels eines Diktiergeräts sowie zur Absicherung mit einem Smartphone aufgezeichnet. Dies ist zwingend notwendig, um eine vollständige Datenerfassung sowie eine gute Aufnahmequalität zu erreichen (Fuß & Karbach 2019: 87; Kuckartz 2018: 165). Die Dateien wurden anschließend mit dem Audiotranskriptionsprogramm F4 transkribiert.7 Dieses ist eine gängige und anerkannte TranskriptionsSoftware (Döring & Bortz 2016: 367). Die Transkription erfolgte dabei selbstständig und ohne Spracherkennungsfunktion, da letztere nach wie vor nur eingeschränkt für 7
Die vollständigen Transkripte befinden sich im elektronischen Anhang dieser Arbeit.
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Fall den Vorteil, dass eine Interviewführung als »Co-Experte« möglich war. Dies wird in der Literatur als ideale Gesprächssituation für Experteninterviews betrachtet, da dies inhaltliche und vertiefende Debatten ermöglicht (ebd.: 52). Da die Expert*innen in ihren spezifischen Teildisziplinen jedoch eine deutlich höhere Expertise als der Interviewer aufwiesen, war die Interviewführung stellenweise auch mit der Wahrnehmung des Interviews als Laie möglich. Dies hat ausführlichere Antworten auf spezifische Fragen zur Folge und eignet sich für die Erhebung von Deutungswissen, was auch hier als Teilziel bereits formuliert wurde (ebd.: 53). Zu guter Letzt sorgte der gleiche fachliche Hintergrund von Interviewer und Expert*innen dafür, dass der Interviewer auch als »Komplize« wahrgenommen wurde. Dadurch konnte auf einer stärkeren Vertrauensbasis agiert und teilweise vertrauliche fachbezogene Informationen erhalten werden, die andernfalls gefehlt hätten (Bogner et al. 2014: 53; Misoch 2019: 122). Zusätzlich ermöglicht eine solche Vertrautheit die Sammlung detaillierter Informationen durch gezielte Nachfragen ebenso wie eine vereinfachte Rekrutierung von Expert*innen (Misoch 2019: 216). Die hier beschriebene Mischform aus unterschiedlichen Rollenzuschreibungen innerhalb der Interviewsituation ermöglichte insgesamt eine breite Auseinandersetzung mit den Forschungsfragen und die Generierung von Wissen auf unterschiedlichen Ebenen im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung der Thematik. Innerhalb der gesamten Gesprächssituation wurde im Sinne eines unabdingbaren aktiven Zuhörens in qualitativen Interviews darauf geachtet, die Redebeiträge der Expert*innen unbeeinflusst laufen zu lassen, sofern die Thematik der Fragestellung nicht zu weit verlassen wurde, Zeichen der Zustimmung beziehungsweise des Verständnisses der gesagten Inhalte zu geben (z.B. Non-Verbal durch Kopfnicken) sowie explizite Nachfragen für eine Vertiefung der Inhalte zu stellen (Gläser & Laudel 2009: 173ff.; Misoch 2019: 232). Da der zeitliche Aspekt und der damit verbundene Aufwand für Expert*innen eine große Rolle spielt, wurde trotz der freien Gesprächsführung auch darauf geachtet, die Fragen möglichst präzise zu formulieren, um eine »optimale Beantwortbarkeit« in kurzer Zeit zu ermöglichen (Helfferich 2011: 165). Die hier dargestellte Gesprächsführung entspricht dem in der Literatur geforderten neutral-weichen Kommunikationsstil für qualitative Interviews (Lamnek & Krell 2016: 326). Anschließend erfolgt nun eine detaillierte Beschreibung der Auswertungsmethode.
7.2.4 Auswertung Die gesamte Auswertung der Interviews erfolgte computergestützt. Die Audiospuren aller Interviews wurden mittels eines Diktiergeräts sowie zur Absicherung mit einem Smartphone aufgezeichnet. Dies ist zwingend notwendig, um eine vollständige Datenerfassung sowie eine gute Aufnahmequalität zu erreichen (Fuß & Karbach 2019: 87; Kuckartz 2018: 165). Die Dateien wurden anschließend mit dem Audiotranskriptionsprogramm F4 transkribiert.7 Dieses ist eine gängige und anerkannte TranskriptionsSoftware (Döring & Bortz 2016: 367). Die Transkription erfolgte dabei selbstständig und ohne Spracherkennungsfunktion, da letztere nach wie vor nur eingeschränkt für 7
Die vollständigen Transkripte befinden sich im elektronischen Anhang dieser Arbeit.
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Transkriptionen geeignet sind (Fuß & Karbach 2019: 93). Das Programm wurde lediglich zur besseren Handhabung des Transkriptionsprozesses verwendet und weil es eine Formatierung der Daten durchführt, welche ein direktes Importieren der Transkripte in die Analysesoftware MAXQDA ermöglicht. Der gesamte Prozess richtete sich nach der von Kuckartz vorgeschlagenen Vorgehensweise: (1) Festlegen der Transkriptionsregeln; (2) Transkribieren der Texte; (3) Korrekturlesen der Transkription; (4) Anonymisieren der Transkription; (5) Formatieren der Transkription sowie (6) Speichern und archivieren der Transkripte und (7) Importieren der Transkripte in eine QDA-Software (Kuckartz 2018: 164). Das hier ausgewählte Transkriptionsverfahren fällt unter die Kategorie der wissenschaftlichen Transkripte (Fuß & Karbach 2019: 19). Folgende von Kuckartz vorgeschlagenen Transkriptionsregeln, die sich in der qualitativen Forschung etabliert haben, wurden im vorliegenden Fall in angepasster Weise angewendet (Kuckartz 2018: 167): 1. Es wird wörtlich transkribiert (keine Erfassung von Lautsprache und vorhandene Dialekte werden ins Hochdeutsche übersetzt) 2. Sprache und Interpunktion werden leicht geglättet (Annäherung an das Schriftdeutsche), fehlerhafte Satzformen werden beibehalten 3. Deutliche und lange Pausen werden durch Klammern und Auslassungszeichen »(…)« markiert 4. Zustimmende bzw. bestätigende Lautäußerungen der Interviewer werden nicht transkribiert 5. Einwürfe der jeweils anderen Person werden in Klammern gesetzt 6. Absätze der interviewenden Person werden durch ein »I«, die der befragten Personen durch ein eindeutiges Kürzel (in diesem Fall »E« für Expert*in), gekennzeichnet 7. Jeder Sprecherbeitrag wird als eigener Absatz transkribiert 8. Störungen werden unter Angabe der Ursachen in Klammern notiert 9. Unverständliche Wörter werden durch »(unv.)« kenntlich gemacht 10. Alle Angaben, die einen Rückschluss auf eine befragte Person erlauben, werden anonymisiert
Die Unterstreichung von besonders betonten Begriffen sowie lautem Sprechen oder unterstützenden Lautäußerungen wie Lachen oder Seufzen wurde nicht vorgenommen, da eine Auswertung dieser für die Forschungsfragen keinen Mehrwert aufweist und somit als nicht zweckdienlich erachtet wurde. Der Fokus der Auswertung lag lediglich auf der reinen inhaltsanalytischen Erfassung von Aussagen und Sichtweisen. Für diesen Zweck werden die hier gewählten Regeln auch in der Forschungsliteratur als ausreichend erachtet (Dresing & Pehl 2020: 847). Eine Erfassung von nicht-relevanten Daten für die Interpretation der Ergebnisse im Sinne einer Überdokumentation sind redundant (Bogner et al. 2014: 39). Zudem ist die Wahrnehmung lautsprachlicher Daten äußerst subjektiv und kann in einem Transkript niemals exakt wiedergegeben und interpretiert werden (Kruse 2014: 354f.). Die hier vollzogene sprachliche Glättung lässt sich in die Kategorie der leichten Glättung einordnen. So wurden umgangssprachliche Ausdrucksweisen und fehlerhafte Ausdrücke auch im Hinblick auf den Satzbau beibehalten und es fand nur eine Annäherung an die Standardorthographie statt. Es folgte lediglich eine sprachliche Glättung für breite Dialekte (Fuß & Karbach 2019: 42).
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Die vorliegenden Transkripte wurden mit Seiten- und Zeilennummerierungen versehen, um eine nachvollziehbare direkte Zitation von Textpassagen zu ermöglichen (Misoch 2019: 271). Zur Nachvollziehbarkeit der Interviewsituation enthält jedes Transkript einen standardisierten Transkriptionskopf, der folgende Elemente enthält: Interviewbezeichnung, Datum der Durchführung und Dauer der Aufnahme. Da für die vorliegende Untersuchung die konkrete Benennung der interviewten Expert*innen keinen Mehrwert bietet und aufgrund der Tatsache, dass qualitative Daten oftmals sensible Informationen enthalten, ergibt sich die Notwendigkeit der Anonymisierung der Daten (Kuckartz 2018: 171). Die Interviews wurden neben einer inhaltlichen Anonymisierung aller sprachlichen Daten, die auf die Person zurückzuführen sind, auch von ihrer Beschriftung her anonymisiert und in die im vorangegangenen Kapitel begründete Einteilung nach den drei Säulen der Geographie einsortiert und durchnummeriert (IPM1–7 für Interviewpartner*in Mensch-Umwelt-System; IPH1–14 für Interviewpartner*in Humangeographie und IPP1–12 für Interviewpartner*in Physische Geographie). Die Anonymisierung der Daten sowohl inhaltsbezogen als auch durch die übergeordnete Bezeichnung trägt damit der Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung. Dies wurde zusätzlich auch durch die Einholung einer Einverständniserklärung aller beteiligten Personen abgesichert. Zum Zwecke der Datensicherheit wurden verschiedene Maßnahmen getroffen. Die erhobenen Daten befinden sich zu jedem Zeitpunkt unter Verschluss und sind nur durch die Person des Urhebers dieser Arbeit einsehbar. Gewährleistet wird dies sowohl durch eine personalisierte räumliche Zugangsbeschränkung als auch einer passwortgeschützten Zugangskontrolle zum Speichermedium der Daten. Dies entspricht Paragraf 59, Absatz 3 des deutschen Ausführungsgesetzes zur Datenschutzgrundverordnung (Fuß & Karbach 2019: 100ff.). Durch die hier vollzogene ausführliche Beschreibung des Transkriptionsprozesses wird eine Nachvollziehbarkeit und Transparenz der methodischen Vorgehensweise gewährleistet, insbesondere da die Transkription als ein zentrales Gütekriterium qualitativer Forschung betrachtet wird (Misoch 2019: 265f.). Die inhaltliche Analyse der Daten wurde mit Hilfe der QDA-Software MAXQDA durchgeführt. Diese hat sich aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten und simplen Handhabung als gängiges Auswertungsprogramm in der qualitativen Forschung etabliert (Bogner et al. 2014: 85f; Kuckartz 2018: 174). Die Software übernimmt dabei im gesamten Auswertungsprozess eine unterstützende Funktion sowohl bei der gesamten Textarbeit und Analyse des Materials als auch bei der späteren Visualisierung der Daten (Kuckartz 2018: 175ff.). Die hier angewendete durchgeführte inhaltliche Analyse der Daten unterscheidet sich daher in ihren Arbeitsschritten nicht von einer Analyse ohne Softwareunterstützung. Für die Auswertung der hier vorliegenden Daten wurde sich für die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz entschieden. Dieses Verfahren findet in der Forschung die häufigste Anwendung (ebd.: 48) und eignet sich auch für die vorliegende Untersuchung, da es sowohl eine induktive als auch eine deduktive Vorgehensweise sowie auch eine kombinierte Form ermöglicht und sich insbesondere für die Analyse von leitfadengestützten Interviews, wie in diesem Fall vorliegend, eignet (ebd.: 97f.). Auch im Hinblick auf die spezifische Methode des Experteninterviews wird dieses Verfahren als gängig betrachtet (Bogner et al. 2014: 72). Die qualitative Inhaltsanalyse
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übernimmt in diesem Fall verschiedene Aufgaben. Sie erfüllt einerseits den Zweck der Vertiefung. Zu kurz geratene oder unklar gebliebene Themenkreise und Informationen (im vorliegenden Fall beispielsweise die nicht vorhandene Definition des geographischen Wissensbegriffs) können dadurch vertieft und ergänzt werden (Mayring 2015: 23). Andererseits findet sie auch bei der Analyse von Prozessen ihre Anwendung (hier für die Untersuchung möglicher Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen auf den Prozess der sozial-ökologischen Transformation) (ebd.: 24). In Phase 1 der initiierenden Textarbeit wurde das gesamte vorliegende Material gelesen und wichtige Textstellen markiert. Darüber hinaus wurden weiterführende Kommentare und Gedanken, die bei der Textarbeit entstanden, in Form von schriftlichen Randnotizen im Material festgehalten. Diese Vorgehensweise stellt ein gängiges Verfahren für alle Formen qualitativer Inhaltsanalyse dar und dient einer ersten Auseinandersetzung mit dem Material (Kuckartz 2018: 101). In Phase 2 erfolgte die Entwicklung von thematischen Hauptkategorien. Für die vorliegende Untersuchung wurde das gesamte Kategoriensystem mit Hilfe eines deduktiv-induktiven Verfahrens gebildet. Die deduktive A-Priori-Kategorienbildung erfolgte entlang der theoretischen Hintergründe der Arbeit sowie aus dem Leitfaden für die Interviews heraus und stellt eine gängige Vorgehensweise für die erste Bildung von thematischen Hauptkategorien dar (ebd.: 101f.). Anhand dieser Hauptkategorien wurden Teile des Materials ein zweites Mal durchgearbeitet und jeweils passende Textpassagen den Hauptkategorien zugeordnet, um die gebildeten Kategorien zu verifizieren. Dies wurde mit fünf der 33 Interviews durchgeführt (15 % des Gesamtmaterials). Das entspricht der von Kuckartz vorgeschlagenen Range von 10–25 % (ebd.: 102). Nach einer ersten Überarbeitung der Formulierung der Hauptkategorien folgte dann Phase 3 des ersten Codierungsprozesses. Hier wurde das gesamte Material entlang der Hauptkategorien codiert. Wichtig hierbei zu erwähnen ist, dass einzelne Textstellen auch Informationen enthalten können, die sich mehreren Kategorien zuordnen lassen. Bei einer thematischen Kategorisierung, wie sie in diesem Fall vorliegt, ist dies keine Seltenheit und im Sinne der hermeneutischen Regel, dass das Verständnis eines Textes nur durch ein Verständnis all seiner Einzelteile funktioniert, auch gängige Praxis (ebd.). Im Verlauf dieses Prozesses wurden die Hauptkategorien induktiv am Material teilweise umformuliert und erweitert durch Kategorien, die vorher nicht antizipiert wurden. Tabelle 12 zeigt eine Übersicht über die endgültigen 18 in diesem Zusammenhang gebildeten Hauptkategorien und ihrer Definition:
Tabelle 12: Übersicht über die thematischen Hauptkategorien Thematische Hauptkategorie
Definition
Definition von Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche zum Wissensbegriff
Arten von Wissen
Umfasst alle Arten und Formen von Wissen
Bedeutung von Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aussagen bezüglich der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Definition Geographie
Umfasst alle Definitionsversuche für die Disziplin der Geographie
Besonderheiten Geographie
Umfasst alle Besonderheiten, welche die Geographie im Vergleich zu anderen Wissenschaftsdisziplinen aufweist
Existenz geographisches Wissen
Umfasst alle Meinungen zur Frage nach der Existenz eines spezifisch geographischen Wissensbegriffs
Definition geographisches Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche des Begriffs »geographisches Wissen«
Bedeutung Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Inhalte, die sich auf die Bedeutung der Geographie als Disziplin für den Nachhaltigkeitskontext beziehen
Probleme & Herausforderungen der Geographie
Umfasst alle gegenwärtigen Probleme & Herausforderungen der Disziplin Geographie sowohl allgemein als auch bezogen auf den Nachhaltigkeitskontext
Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Formen und Inhalte geographischen Wissens, die für den Nachhaltigkeitskontext eine Rolle spielen
Aufgaben der Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aufgaben, die der Geographie im Nachhaltigkeitskontext zugeschrieben werden
Geographie in der Gesellschaft
Umfasst alle Aussagen, die sich auf die Bedeutung & Wahrnehmung der Geographie innerhalb der Gesellschaft beziehen
Beitrag der Geographie zu den SDGs
Umfasst alle potenziellen Beiträge, welche die Geographie zur Umsetzung der SDGs leisten kann und/oder sollte
Geographie & Zukunftsthemen
Umfasst alle genannten Themen des 21. Jahrhunderts, die bisher noch eine zu geringe Rolle in der Gesellschaft spielen, aber zukünftig verstärkt behandelt werden sollten und zu denen die Geographie einen Beitrag leisten kann
Möglichkeiten des Wissenstransfers
Umfasst alle gegenwärtigen und vorstellbaren Möglichkeiten für den Transfer von Wissen in die breite Masse der Gesellschaft hinein
Notwendige Veränderungen im Wissenstransfer
Umfasst alle Veränderungen, die notwendig sind, um den Wissenstransfer im Nachhaltigkeitskontext zu verbessern
Formate der Wissensvermittlung
Umfasst alle nutzbaren und potenziellen Formate, mit denen Wissen gewinnbringend vermittelt werden kann und/oder sollte
Social Media als Wissenskanal
Umfasst alle Inhalte, die sich auf die Bedeutung von Social Media als Wissenskanal beziehen
Eigene Darstellung
Die Anzahl der hier gebildeten Hauptkategorien entspricht der von Kuckartz empfohlenen Range von 10–20 (Kuckartz 2018: 97). In Phase 4 und 5 erfolgte das Zusammenstellen aller Textstellen mit gleicher Codierung sowie eine induktive Kategorienbildung von Subkategorien am Material. Die Bildung von Subkategorien dient der inhaltlichen Ausdifferenzierung der grob gefassten Hauptkategorien. Die Bildung der Subkategorien erfolgte dabei nach dem Kriterium der Überschaubarkeit bei gleichzeitiger möglichst hoher Differenzierung (ebd.: 108). In Tabelle 13 ist ausschnittsweise ein Auszug aus dem
7 Methodik
Kategorienhandbuch aufgeführt8 , welches die Subkategorien zur Hauptkategorie »Arten des Wissens« zeigt. Das in dieser Phase gebildete Kategorienhandbuch enthält jeweils immer die Elemente: Titel der Subkategorie, kurze Definition sowie konkrete Fallbeispiele aus dem Material (ebd.: 106).
Tabelle 13: Subkategorien der Hauptkategorie »Arten des Wissens« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
kulturelles/indigenes Wissen
Umfasst Wissen, welches in bestimmten Kulturen produziert und bis heute tradiert worden ist
»dazu kommt dann eben noch diese andere Komponente von kulturellem Wissen« (IPP1, Pos. 26)
intuitives & alltägliches Wissen
Umfasst Wissen, welches auf persönlicher Ebene intuitiv, durch Erfahrungen und alltägliches Handeln erworben wird
»Oder was wir so gewissermaßen als im Alltag Handelnde auch immer wieder präsent haben an Wissen« (IPH10, Pos. 27–29)
Fach- und Faktenwissen
Umfasst Wissen, welches durch wissenschaftliche Methoden produziert wurde und auf Fakten und messbaren Daten basiert
»wissenschaftlich fundiertes, wissenschaftlich belegtes Wissen« (IPP12, Pos. 14–15)
Anwendungswissen
Umfasst Wissen, welches sich auf konkrete Handlungen und Anwendungen bezieht
»Ich mein es gibt ja so starkes Anwendungswissen« (IPH1, Pos. 15)
vermeintliches Wissen
Umfasst ein Wissen, welches nicht gesichert ist und dessen Wahrheitsgehalt unbestimmt bleibt
»mit Fake News und der Art und Weise wie man auch Nicht-Wissen oder Unwissen oder bewusst falsches Wissen und Lügen transportieren kann« (IPP2, Pos. 45–48)
Sonstige Wissensarten
Umfasst alle Wissensarten, die nur einmal im gesamten Material genannt werden
»es gibt wichtiges Wissen und es gibt unwichtiges Wissen« (IPH8, Pos. 16)
Eigene Darstellung
Phase 6 umfasste den zweiten detaillierten Codierungsprozess. Hier wurde das gesamte Material noch einmal intensiv analysiert und alle zugeordneten Textstellen im Hinblick auf ihre Passung zu den Subkategorien überprüft und gegebenenfalls angepasst. In dieser Phase wurden teilweise einzelne Subkategorien wiederum in weitere Sub-Subkategorien unterteilt. Für die Anzahl der Subkategorien gibt es in der Forschungsliteratur keine explizite Vorgabe. Es gilt allgemein die Regel, dass die Anzahl abhängig vom Umfang der Datenmenge gebildet werden sollte (Kuckartz 2018: 110f.). Vor der eigentlichen zentralen Phase 7 der Datenanalyse wurde noch der von Kuckartz 8
Das gesamte Kategorienhandbuch befindet sich aufgrund des hohen Umfangs im Anhang der Arbeit. Eine Überblicksabbildung des Codesystems befindet sich in der elektronischen Fassung der Arbeit.
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vorgeschlagene Zwischenschritt der fallbezogenen thematischen Zusammenfassungen durchgeführt. In diesem Zuge wurden sogenannte thematische Summarys erstellt. Dies bietet sich insbesondere bei einem umfangreichen Datenmaterial wie im vorliegenden Fall an (ebd.: 111). Entlang der Themenmatrix (also des Kategoriensystems) wurde eine eigenständige Tabelle gebildet, die für jedes Interview und jede Subkategorie die zugeordneten Codierungen in eigenen Worten zusammenfasst.9 Dies ermöglicht sowohl eine thematische Zusammenfassung der jeweiligen Kategorien als auch eine Fallzusammenfassung der einzelnen Interviewpersonen und bietet dadurch die Möglichkeit, verschiedene Interviews oder aber Kategorien miteinander zu vergleichen sowie auch Einzelfallbeschreibungen vorzunehmen (ebd.: 115f.). Anknüpfend daran erfolgte dann die zentrale Phase 7 der Analyse und Datenvisualisierung. Diese lässt sich ebenfalls in verschiedene Schritte einteilen. In Vorbereitung auf die Ergebnispräsentation wurde eine kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien durchgeführt. Zu diesem Zwecke wurde neben den codierten Textstellen zusätzlich eine Übersicht mit passenden Ankerzitaten als prototypische Beispiele (Kuckartz 2018: 119) zu den jeweiligen Subkategorien erstellt. Diese Auswertung erfolgte sowohl auf einer qualitativen als auch auf quantitativer Ebene, indem ausgezählt wurde wie viele Expert*innen welche Inhalte zu welcher Kategorie beigesteuert haben. Im Anschluss daran folgte eine Analyse der Zusammenhänge zwischen den Haupt- und Subkategorien. Dies wurde sowohl innerhalb von einzelnen Kategorien als auch zwischen mehreren Kategorien durchgeführt. In einem weiteren Schritt erfolgte die Erstellung von quantitativen und qualitativen Kreuztabellen, um die Verbindungen zwischen gruppenspezifischen Merkmalen zu analysieren. Hier wurden die Interviews in die drei Gruppen Humangeographie, Physische Geographie und Mensch-Umwelt-Forschung eingeteilt, um potenzielle Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl innerhalb einer Gruppe als auch zwischen den Gruppen herauszufiltern. In einem weiteren Schritt wurden die Konfigurationen der Kategorien untersucht. Hier ging es darum, zu eruieren, wie häufig bestimmte CodeKombinationen im Material zu finden sind. Dadurch ist eine Analyse von mehrdimensionalen Zusammenhängen zwischen Haupt- und Subkategorien möglich (Kuckartz 2018: 120). Für die quantitativen Analysen wurden je nach Bedarf Grafiken zur besseren Visualisierung erstellt. Im Anschluss an die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse wurde versucht, eine typenbildende qualitative Inhaltsanalyse durchzuführen. Die Bildung von Typen wird in der Forschungsliteratur häufig als zentrales Ziel einer qualitativen Datenanalyse betrachtet (ebd.: 143). Das vorliegende Material ermöglichte allerdings nicht die Bildung von klar definierbaren und nachvollziehbaren Typen, da die einzelnen Interviewergebnisse zu divers waren. Die Bildung von Typen war in diesem Zusammenhang somit nicht möglich. Zwar konnten Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei gebildeten Gruppen festgestellt werden, diese reichten jedoch nicht für eine sinnvolle Typenbildung aus, sodass in der Ergebnisbeschreibung lediglich ein deskriptiver Vergleich zwischen den Gruppen vorgenommen wird. Insgesamt wurden durch das hier beschrieben Vorgehen die nach Mayring beschriebenen gängigen Interpretationsverfahren qualitativer Datenanalyse Zusammenfassung (kategoriengeleitete Reduk9
Aufgrund des hohen Umfangs befindet sich diese Tabelle in der elektronischen Fassung der Arbeit.
7 Methodik
tion und Einordnung des Materials) sowie Strukturierung (Bildung eines Querschnitts durch das Material durch formale, inhaltliche und typisierende Analysen) durchgeführt (Mayring 2015: 67). Nachfolgend wird nun die Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung näher beleuchtet.
7.2.5 Datengrundlage Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die Datengrundlage von 33 Experteninterviews. Bei 66 getätigten Interviewanfragen entspricht dies einer Rücklaufquote von 50 %. Ausgehend von der Gesamtanzahl von 358 Lehrstühlen der Geographie im deutschsprachigen Raum zum Zeitpunkt der Befragung wurden somit 10 % der Grundgesamtheit befragt. Insgesamt liegt ein Audiomaterial mit einer Länge von 19 Stunden und 5 Minuten vor (kürzestes Interview: 20 Min.; längstes Interview: 66 Min.). Da die befragten Expert*innen anonymisiert wurden, kann hier keine personenbasierte Einzelbeschreibung vorgenommen werden. Es geht hier eher darum, eine allgemeine Beschreibung der Stichprobe zu vollziehen. Da alle befragten Expert*innen einen Lehrstuhl innehaben, der sich der Fachdisziplin Geographie zuordnen lässt, weisen sie somit den gleichen beruflichen Hintergrund auf und unterscheiden sich lediglich durch ihre spezifischen Forschungsschwerpunkte. Eine einzelne Vorstellung der Expert*innen ist somit auch aus inhaltlichen Gesichtspunkten nicht sinnstiftend. Im Hinblick auf die Geschlechterverteilung lässt sich sagen, dass 7 befragte Expertinnen weiblich und 26 befragte Experten männlich sind. Die im Vorfeld angestrebte gleiche Geschlechterverteilung ließ sich aufgrund der Abhängigkeit von Rückmeldungen seitens der Expert*innen nicht stärker beeinflussen. Allerdings deckt sich der Anteil der weiblichen Expertinnen von 21 % fast mit dem Gesamtanteil weiblicher Lehrstuhlinhaberinnen in Deutschland im Jahr 2021 von 26 % (Destatis 2022) und spiegelt somit die aktuelle Verteilung in der Gesellschaft wider. Da das Alter der befragten Personen aus Anonymitätsgründen nicht explizit erfasst wurde, konnte die Altersverteilung der Stichprobe nur aufgrund von Schätzungen anhand der Lebensläufe der befragten Personen vollzogen werden. Die nachfolgenden Zahlen sind aus diesem Grund mit Vorsicht zu behandeln und dienen lediglich einem groben Überblick. So sind 6 % der Befragten schätzungsweise im Alter von 30–40 Jahren, 30 % zwischen 41 und 50 Jahren, 42 % zwischen 51 und 60 Jahren und 21 % zwischen 61 und 70 Jahren alt. Diese Verteilung deckt sich vollständig mit der durchschnittlichen Altersverteilung von Lehrstuhlinhaber*innen an deutschen Hochschulen im Erhebungsjahr 2020 (Statistisches Bundesamt 2021).10 Abbildung 34 zeigt die räumliche Verteilung der befragten Expert*innen nach Bundesländern. 29 Expert*innen haben ihren Lehrstuhl in Deutschland. Hinzu kommen zwei befragte Experten mit Sitz in Österreich und zwei Expert*innen mit Sitz in der Schweiz. Die räumliche Verteilung lässt sich als ausgeglichen beschreiben. Mit 11 von 16 sind 70 % der deutschen Bundesländer vertreten.
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Da für das Fach Geographie hier keine spezifischen Berechnungen vorliegen, kann nur von den allgemeinen Zahlen ausgegangen werden. Es wird davon ausgegangen, dass hier keine signifikanten Unterschiede vorliegen.
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7 Methodik
tion und Einordnung des Materials) sowie Strukturierung (Bildung eines Querschnitts durch das Material durch formale, inhaltliche und typisierende Analysen) durchgeführt (Mayring 2015: 67). Nachfolgend wird nun die Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung näher beleuchtet.
7.2.5 Datengrundlage Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die Datengrundlage von 33 Experteninterviews. Bei 66 getätigten Interviewanfragen entspricht dies einer Rücklaufquote von 50 %. Ausgehend von der Gesamtanzahl von 358 Lehrstühlen der Geographie im deutschsprachigen Raum zum Zeitpunkt der Befragung wurden somit 10 % der Grundgesamtheit befragt. Insgesamt liegt ein Audiomaterial mit einer Länge von 19 Stunden und 5 Minuten vor (kürzestes Interview: 20 Min.; längstes Interview: 66 Min.). Da die befragten Expert*innen anonymisiert wurden, kann hier keine personenbasierte Einzelbeschreibung vorgenommen werden. Es geht hier eher darum, eine allgemeine Beschreibung der Stichprobe zu vollziehen. Da alle befragten Expert*innen einen Lehrstuhl innehaben, der sich der Fachdisziplin Geographie zuordnen lässt, weisen sie somit den gleichen beruflichen Hintergrund auf und unterscheiden sich lediglich durch ihre spezifischen Forschungsschwerpunkte. Eine einzelne Vorstellung der Expert*innen ist somit auch aus inhaltlichen Gesichtspunkten nicht sinnstiftend. Im Hinblick auf die Geschlechterverteilung lässt sich sagen, dass 7 befragte Expertinnen weiblich und 26 befragte Experten männlich sind. Die im Vorfeld angestrebte gleiche Geschlechterverteilung ließ sich aufgrund der Abhängigkeit von Rückmeldungen seitens der Expert*innen nicht stärker beeinflussen. Allerdings deckt sich der Anteil der weiblichen Expertinnen von 21 % fast mit dem Gesamtanteil weiblicher Lehrstuhlinhaberinnen in Deutschland im Jahr 2021 von 26 % (Destatis 2022) und spiegelt somit die aktuelle Verteilung in der Gesellschaft wider. Da das Alter der befragten Personen aus Anonymitätsgründen nicht explizit erfasst wurde, konnte die Altersverteilung der Stichprobe nur aufgrund von Schätzungen anhand der Lebensläufe der befragten Personen vollzogen werden. Die nachfolgenden Zahlen sind aus diesem Grund mit Vorsicht zu behandeln und dienen lediglich einem groben Überblick. So sind 6 % der Befragten schätzungsweise im Alter von 30–40 Jahren, 30 % zwischen 41 und 50 Jahren, 42 % zwischen 51 und 60 Jahren und 21 % zwischen 61 und 70 Jahren alt. Diese Verteilung deckt sich vollständig mit der durchschnittlichen Altersverteilung von Lehrstuhlinhaber*innen an deutschen Hochschulen im Erhebungsjahr 2020 (Statistisches Bundesamt 2021).10 Abbildung 34 zeigt die räumliche Verteilung der befragten Expert*innen nach Bundesländern. 29 Expert*innen haben ihren Lehrstuhl in Deutschland. Hinzu kommen zwei befragte Experten mit Sitz in Österreich und zwei Expert*innen mit Sitz in der Schweiz. Die räumliche Verteilung lässt sich als ausgeglichen beschreiben. Mit 11 von 16 sind 70 % der deutschen Bundesländer vertreten.
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Da für das Fach Geographie hier keine spezifischen Berechnungen vorliegen, kann nur von den allgemeinen Zahlen ausgegangen werden. Es wird davon ausgegangen, dass hier keine signifikanten Unterschiede vorliegen.
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Abbildung 29: Räumliche Verteilung der Stichprobe
Eigene Darstellung, Kartenmaterial vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie
7 Methodik
Im Hinblick auf die soziodemographischen Daten Geschlecht, Alter sowie räumliche Verteilung kann für die hier vorliegende Datengrundlage somit von einer statistischen Repräsentativität gesprochen werden. In Bezug auf die inhaltsbezogene Verteilung lassen sich 14 Expert*innen der Gruppe Humangeographie, 12 Expert*innen der Gruppe Physische Geographie und 7 Expert*innen der Gruppe Mensch-Umwelt-Verteilung zuordnen. Es konnte somit keine vollständig gleiche Verteilung erreicht werden. Da der Interviewer bei der Durchführung der Experteninterviews auf die positive Rückmeldung bezüglich der Anfragen angewiesen war, ließ sich hier trotz zahlreicher Versuche verschiedener Anfragen keine bessere Verteilung erreichen. Bezüglich der Forschungsschwerpunkte sind durch die hier befragten Expert*innen folgende geographische Teildisziplinen abgedeckt: • • • • • • • • • • • • •
Sozialgeographie Wirtschaftsgeographie Kulturgeographie Stadtgeographie Tourismusgeographie Agrargeographie Entwicklungsgeographie Bildungsgeographie Biogeographie Geomorphologie Bodengeographie Klimageographie Hydrogeographie
Es konnte somit eine große Bandbreite der verschiedenen in Kapitel 5.3.2 aufgeführten geographischen Teildisziplinen abgedeckt werden. Fehlende Teildisziplinen resultieren aus einer fehlenden positiven Rückmeldung seitens der angefragten Expert*innen. Insgesamt enthält die Stichprobe somit alle vorab festgelegten Merkmale und Merkmalskombinationen in einem ausreichenden Maß. Es liegt demnach eine inhaltliche Repräsentativität vor (Misoch 2019: 202). Die Charakterisierung der Datengüte ist im Bereich der qualitativen Forschung äußert schwierig, da es eine Vielzahl an verschiedenen Kriterienkatalogen gibt, die teilweise konkurrieren und insgesamt keine einheitliche Sichtweise vorliegt (Misoch 2019: 245f.). Im Folgenden wird daher versucht, die hier vorliegende Datengüte im Hinblick auf die gängigsten Kriterien zu beurteilen. Da das Kriterium der reinen Objektivität im Zuge qualitativer Forschung nicht erfüllbar ist, geht es darum, eine kontrollierte Subjektivität zu gewährleisten. Aus diesem Grund wurden alle hier durchgeführten Schritte von der Leitfadengestaltung, über die Durchführung der Interviews bis hin zur Auswertung (Erstellung des Kategorienhandbuchs) durch mehrere Personen kontrolliert und in einem stetigen Prozess rückgekoppelt und reflektiert. Die Interviewsituation wurde im Zuge des Pretests geprobt und evaluiert. Kein methodischer Schritt wurde somit allein durch den Autor durchgeführt. Dies minimiert den subjektiven Einfluss des Interviewers und erhöht die erhebungspraktische Neutralität (ebd.: 249). Es erfüllt zu-
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dem das in der Literatur häufig geforderte Kriterium der Vertrauenswürdigkeit der Daten (Flick 2020: 254). Das Kriterium der Reliabilität wird in der qualitativen Forschung als Zuverlässigkeit bezeichnet. Die Zuverlässigkeit der vorliegenden Daten wird dadurch gewährleistet, dass der gesamte Erhebungsprozess vom Studiendesign über die Durchführung bis hin zur Auswertung transparent dargestellt und erläutert wird (ebd.: 250). Dies wurde hier im Kapitel 7.2 vollständig durchgeführt. Diese Verfahrensdokumentation sorgt einerseits für eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Daten (Flick 2019: 483f.; Misoch 2019: 257), andererseits wird die Erhebung durch die Strukturierung der Fragen in einem Leitfaden, eine regelgeleitete Transkription sowie eine schrittweise dokumentierte Inhaltsanalyse mit festgelegtem Kategoriensystem zu einem gewissen Maß standardisiert und damit wiederholbar (reliabel). Eine weitere Möglichkeit der Reliabilitätsprüfung ist die Intercoder-Reliabilität. Hier werden die erhobenen Daten von mehreren Forschenden unabhängig voneinander codiert und der Grad der Übereinstimmung der Interpretation gibt Aufschluss aber die Stabilität der Daten. Dieses Verfahren eignet sich jedoch nur für Untersuchungen mit einem geringfügig ausdifferenzierten Kategoriensystem Bei detaillierten Kategoriensystemen, wie es hier auch vorliegt, können dadurch keine sinnvollen Ergebnisse erzielt werden (Mayring 2015: 124; Misoch 2019: 251). Zudem müssen bei einer Intercoder-Übereinstimmung beide Forschenden mit dem Forschungsgegenstand vertraut sein und den gleichen Wissensstand aufweisen, damit die Codierungen verglichen werden können (Kuckartz 2018: 211). Dies konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht gewährleistet werden. Aus diesem Grund wurde sich gegen eine Durchführung dieses Verfahrens entschieden. Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) sowie die Bestätigbarkeit (Objektivität) qualitativer Daten kann durch eine Methodentriangulation gewährleistet werden (Döring & Bortz 2016: 109f.). Diese liegt hier im Zuge des Mixed-Methods Ansatzes vor, da hier gleiche Forschungsfragen mit unterschiedlichen empirischen Methoden untersucht wurden (Kuckartz 2018: 218; Misoch 2019: 252). Im Hinblick auf die Validität also die Gültigkeit der Daten wurde die externe Validität (Übertragbarkeit) und somit die Generalisierbarkeit beziehungsweise Repräsentativität der Daten bereits im Zuge der Stichprobenbeschreibung zu Beginn dieses Kapitels begründet dargelegt. Durch die dichte Beschreibung der untersuchten Personen sowie den Kontextbedingungen wird eine Übertragbarkeit möglich gemacht (Döring & Bortz 2016: 109). Darüber hinaus wurde ein Peer-Debriefing durchgeführt, bei dem zwei andere Forscher, die nicht direkt am Forschungsprozess beteiligt waren, die gewonnenen Daten sowie deren Auswertung kritisch begutachtet haben. Dieses Verfahren der kommunikativen Validierung (Misoch 2019: 254) sorgt ebenfalls für eine Überprüfung der Gültigkeit (Flick 2019: 477f.) und untermauert gleichzeitig die Vertrauenswürdigkeit der Daten (interne Validität) (Döring & Bortz 2016: 109). Die Interviews wurden, wie in Kapitel 7.2.3 beschrieben, in einer für die Expert*innen gewohnten Umgebung und Situation durchgeführt. Die Expert*innen hatten dabei die Möglichkeit, in ihrem eigenen Sprachstil zu Wort zu kommen. Dies entspricht dem Gütekriterium der Authentizität (Misoch 2019: 254f.). Gleichzeitig ist die Anknüpfung an die alltäglichen Strukturen und Verständigungsformen auch ein Zeichen von Validität (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014: 24).Insgesamt betrachtet erfüllt die vorliegende Erhebung folgende von Kuckartz vorgeschlagenen Kriterien der internen Studiengüte (Kuckartz 2018: 204f.):
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Alle Daten wurden mittels Audioaufnahme fixiert Es wurde ein Postskriptum für alle Interviews erstellt, mit der Beschreibung der Interviewsituation und möglichen Besonderheiten Es wurde eine vollständige Transkription der Interviews nach festgelegten und transparent gemachten Regeln vorgenommen, wobei das synchrone Arbeiten mit Audio-Aufnahme und Transkriptionssoftware möglich war Die Wahl der Methode wurde begründet beschrieben ebenso wie die Wahl der Auswertungsmethode Die durchgeführte Inhaltsanalyse wurde computergestützt durchgeführt und ist somit im Detail nachvollziehbar Es wurde eine ausführliche Definition aller gebildeten Kategorien vorgenommen Abweichende Fälle sowie Extremfälle bei der Codierung wurden berücksichtigt und begründet kenntlich gemacht Bei der Ergebnisbeschreibung wurde mit zu den Kategorien inhaltlich passenden Originalzitaten gearbeitet Alle gezogenen Schlussfolgerungen wurden mit den Daten begründet Alle methodischen Schritte wurden im Detail schriftlich dokumentiert und archiviert
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es nach wie vor keine allgemeingültigen und anerkannten Gütekriterien für qualitative Forschung gibt und viele der Versuche, solche zu finden, nach wie vor auch oftmals kritisiert werden. In der vorliegenden Erhebung wurde bestmöglich versucht, den in der Literatur existierenden Vorschlägen für Gütekriterien zu entsprechen. Die in der qualitativen Forschung gängigen Prinzipien von Subjektbezogenheit, Offenheit, Kommunikation, Flexibilität sowie Prozessualität (Misoch 2019: 35) verhindern eine rein standardisierte Erhebung mit festgelegten Gütekriterien per se, sodass eine gewisse Subjektivität nie ausgeschlossen werden kann und soll. Dies gilt es bei der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und der Diskussion dieser immer zu berücksichtigen.
7.3 7.3.1
Methodik II – quantitative Panel-Befragung Begründung der Methodenwahl
Der zweite Teil des vorliegenden Mixed-Methods-Designs umfasst einen quantitativen Forschungsansatz. Dieser wurde inhaltlich aufbauend zu den Erkenntnissen von Methodik I konzipiert und durch weitere Überlegungen aus dem theoretischen Begründungszusammenhang dieser Arbeit erweitert (siehe Abb. 31–32). Ziel ist es, zu erfassen, welche gesellschaftliche Bedeutung Wissen zukommt sowohl allgemein als auch insbesondere im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Zu diesem Zweck wird eine gesellschaftliche Einschätzung des Wissensstandes zu Themen der Nachhaltigkeit erhoben, woraus dann potenzielle Wissenslücken geschlossen werden können. Zudem geht es darum, gesellschaftlich relevantes geographisches Wissen und dessen potenziellen Einfluss auf zivilgesellschaftliches nachhaltiges Handeln
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Alle Daten wurden mittels Audioaufnahme fixiert Es wurde ein Postskriptum für alle Interviews erstellt, mit der Beschreibung der Interviewsituation und möglichen Besonderheiten Es wurde eine vollständige Transkription der Interviews nach festgelegten und transparent gemachten Regeln vorgenommen, wobei das synchrone Arbeiten mit Audio-Aufnahme und Transkriptionssoftware möglich war Die Wahl der Methode wurde begründet beschrieben ebenso wie die Wahl der Auswertungsmethode Die durchgeführte Inhaltsanalyse wurde computergestützt durchgeführt und ist somit im Detail nachvollziehbar Es wurde eine ausführliche Definition aller gebildeten Kategorien vorgenommen Abweichende Fälle sowie Extremfälle bei der Codierung wurden berücksichtigt und begründet kenntlich gemacht Bei der Ergebnisbeschreibung wurde mit zu den Kategorien inhaltlich passenden Originalzitaten gearbeitet Alle gezogenen Schlussfolgerungen wurden mit den Daten begründet Alle methodischen Schritte wurden im Detail schriftlich dokumentiert und archiviert
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es nach wie vor keine allgemeingültigen und anerkannten Gütekriterien für qualitative Forschung gibt und viele der Versuche, solche zu finden, nach wie vor auch oftmals kritisiert werden. In der vorliegenden Erhebung wurde bestmöglich versucht, den in der Literatur existierenden Vorschlägen für Gütekriterien zu entsprechen. Die in der qualitativen Forschung gängigen Prinzipien von Subjektbezogenheit, Offenheit, Kommunikation, Flexibilität sowie Prozessualität (Misoch 2019: 35) verhindern eine rein standardisierte Erhebung mit festgelegten Gütekriterien per se, sodass eine gewisse Subjektivität nie ausgeschlossen werden kann und soll. Dies gilt es bei der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und der Diskussion dieser immer zu berücksichtigen.
7.3 7.3.1
Methodik II – quantitative Panel-Befragung Begründung der Methodenwahl
Der zweite Teil des vorliegenden Mixed-Methods-Designs umfasst einen quantitativen Forschungsansatz. Dieser wurde inhaltlich aufbauend zu den Erkenntnissen von Methodik I konzipiert und durch weitere Überlegungen aus dem theoretischen Begründungszusammenhang dieser Arbeit erweitert (siehe Abb. 31–32). Ziel ist es, zu erfassen, welche gesellschaftliche Bedeutung Wissen zukommt sowohl allgemein als auch insbesondere im Hinblick auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Zu diesem Zweck wird eine gesellschaftliche Einschätzung des Wissensstandes zu Themen der Nachhaltigkeit erhoben, woraus dann potenzielle Wissenslücken geschlossen werden können. Zudem geht es darum, gesellschaftlich relevantes geographisches Wissen und dessen potenziellen Einfluss auf zivilgesellschaftliches nachhaltiges Handeln
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zu eruieren. Dies beinhaltet auch eine Erforschung potenzieller Kommunikationskanäle und -formate, die für einen gelungenen Wissenstransfer in die Gesellschaft hinein geeignet sind und gesellschaftlich gewünscht werden. Um dies zu erreichen, bietet sich der Einsatz einer quantitativen Methode an, denn das Kernanliegen quantitativer Sozialforschung liegt in der Erklärung sozialer Zusammenhänge für ein bestimmtes Teilgebiet der sozialen Welt (im vorliegenden Fall die Erfassung der gesellschaftlichen Bewertung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext und der Einfluss geographischen Wissens auf die konkrete Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen) (Richter et al. 2021: 12). Da es hierzu bisher keine konkreten Studien gibt, liegt in diesem Fall ein exploratives Studiendesign vor. Auf der Basis der in Kapitel 6.2 abgeleiteten Forschungsfragen werden mit dieser Studie die Teilfragestellungen F3.1 – F3.4 beforscht, um daraus Hypothesen und neue Theorien generieren zu können (Döring & Bortz 2016: 192). Aufgrund des Mangels an gesichertem Vorwissen zu diesem Thema dienen diese fachlich-inhaltlichen Fragestellungen als Ausgangspunkt für die Beschaffung quantitativer Informationen in Form einer standardisierten Befragung (de Lange & Nipper 2018: 18; Döring & Bortz 2016: 145). Da hier Populationsbeschreibungen durchgeführt werden, wurde sich für eine standardisierte Befragung als Erhebungsinstrument entschieden. Im Sinne einer quantitativen »Feldstudie« (de Lange & Nipper 2018: 207) wurde hier die Online-Befragung als spezifisches Instrument ausgewählt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass hier eine Querschnittsstudie zu einem festgelegten Zeitpunkt durchgeführt wurde, sodass alle Ergebnisse nur für den untersuchten Zeitraum eine Gültigkeit besitzen (Schnell 2019: 58). Standardisierte Befragungen eignen sich besonders für die Beschreibung von Häufigkeitsverteilungen bestimmter Phänomene wie beispielsweise das Festhalten eines Meinungsbildes zu einem bestimmten Thema (Scholl 2018: 24). Darüber hinaus dienen sie zusätzlich der Erfassung von Wissen und Bewertungen zu einem spezifischen Sachverhalt (Kruker & Rauh 2005: 90) sowie auch der Preisgabe von persönlichen Sichtweisen und Einschätzungen der eigenen Umwelt (Richter et al. 2021: 116). Diese Form der Erhebung entspricht somit dem für diese Untersuchung formulierten Forschungsziel, der Erstellung eines gesellschaftlichen Meinungsbildes im Hinblick auf die Bedeutung von Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Durch eine standardisierte Befragung werden gleichwertige Bedingungen (Interviewsituation) (Kruker & Rauh 2005: 90) für alle Teilnehmer*innen geschaffen, was eine einheitliche und vergleichbare Interpretation der Daten ermöglicht (Schnell et al. 2011: 317). Dies ist für die Darstellung eines gesellschaftlichen Meinungsbildes unabdingbar. Die Wahl der schriftlichen Befragung und im vorliegenden Fall der internetgestützten-Befragung als eine Unterform sorgt dafür, dass aufgrund der fehlenden Anwesenheit eines Interviewers potenzielle Interviewfehler vermieden werden, dass die Befragten mehr Zeit für Antworten haben, was zu wahrheitsgemäßen und überlegteren Aussagen führen kann und dass durch die höhere Anonymität und dem Fehlen eines zeitlichen Drucks die Teilnahmebereitschaft und Konzentration gesteigert werden kann (Schnell et al. 2011: 351; Scholl 2018: 45). Auch der Effekt der sozialen Erwünschtheit wird bei schriftlichen Befragungen als niedriger angenommen (Jacob et al. 2019: 116), was insbesondere für Online-Befragungen zu gelten scheint (Scholl 2018: 58). Hinzu kommt, dass schriftliche Befragungen breiter räumlich gestreut werden können und somit potenziell eine größere Personenzahl erreichen, ohne dass dadurch ein ökonomischer
7 Methodik
Mehraufwand entsteht (Kruker & Rauh 2005: 101). Im Hinblick auf das vorliegende Ziel, eine möglichst breite und große Bevölkerungsgruppe zu erreichen, sind eine solche räumliche Streuung und hohe Reichweite zwingend notwendig. Aus diesem Grund wurde sich aus der Vielzahl an Befragungsarten für eine internetgestützte Onlinebefragung entschieden. Online-Befragungen eignen sich insbesondere für quantitative Studien (Taddicken & Batinic 2014: 159), da sie den Zugang zu einer großen Gruppe an potenziellen Teilnehmer*innen und somit eine potenziell große Stichprobe ermöglichen (Biffignandi & Bethlehem 2021: 212), was bei Face-to-Face- oder postalischen Befragungen nicht ohne erheblichen Aufwand möglich ist. Um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist im vorliegenden Fall eine große Stichprobe unabdingbar. Zudem bieten Online-Befragungen eine Reihe weiterer Vorteile. Der größte Vorteil liegt in der digitalen Datenerfassung. Alle gesammelten Daten werden beim Gebrauch einer gängigen Umfragesoftware gesammelt und geordnet und können direkt ausgewertet und analysiert werden. Dies spart Zeit, Kosten und potenzielle Fehler in der händischen Auswertung ausgedruckter Fragebögen (Scholl 2018: 51; Vehovar & Manfreda 2017: 144). Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz von Online-Befragungstools die Verwendung einer enormen Bandbreite an multimedialen Elementen wie Bildern, Videos oder Audiodateien sowie auch zahlreiche Layouts, ebenso wie Filterfunktionen (ebd.), die die Durchführung der Befragung für die Teilnehmer*innen erheblich erleichtern und attraktiver gestalten. Auch die Option der automatischen Filterführung, die den Einsatz von Filterfragen erleichtert sowie die Möglichkeit der ausschließlichen Angabe von zulässigen Werten (z.B. vorgegebene Zahlenwerte) vereinfachen den gesamten Durchführungs- und Auswertungsprozess (Mattissek et al. 2013: 90; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 789). Ein weiterer großer Vorteil liegt in der Selbstadministration im Hinblick auf das Ausfüllen des Fragebogens. So können die Teilnehmer*innen die Online-Umfrage ortsunabhängig (lediglich eine Internetverbindung wird vorausgesetzt) sowie zeitunabhängig und anonym bearbeiten, was zu einer höheren Teilnahmebereitschaft und Datenqualität führen kann (Vehovar & Manfreda 2017: 144). Aufgrund der hohen Anzahl von Internetnutzer*innen (alleine in Deutschland 66,6 Millionen) (ARD/ZDF 2021), dem flächendeckenden Ausbau mit leistungsfähigen Netzwerken sowie einem stark gestiegenen Angebot an bezahlbaren Smartphones, kann durch den Einsatz von Onlineumfragen eine enorme Masse an Personen räumlich verteilt, in Echtzeit und ohne hohen Kostenaufwand erreicht werden (Leitgöb & Wolbring 2021: 11f.). Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit einer kürzeren Feldphase, welche durch eine schnellere Verteilung und Rückgabe der Fragebogen im digitalen Raum resultiert (Scholl 2018: 51). Im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens sei hier auch das Argument der geringen Kosten dieser Erhebungsmethode (Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 789) als Vorteil genannt, da keine über die individuelle Ebene hinausgehenden finanziellen Mittel zur Verfügung standen.
7.3.2 Forschungsdesign Der Fragebogen ist »das Kontaktinstrument des Wissenschaftlers mit dem Forschungsfeld und somit die methodische, empirische Umsetzung theoretischer Fragestellungen« (Scholl 2018: 143). Der Konstruktion des Fragebogens kommt aufgrund dessen und vor
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Mehraufwand entsteht (Kruker & Rauh 2005: 101). Im Hinblick auf das vorliegende Ziel, eine möglichst breite und große Bevölkerungsgruppe zu erreichen, sind eine solche räumliche Streuung und hohe Reichweite zwingend notwendig. Aus diesem Grund wurde sich aus der Vielzahl an Befragungsarten für eine internetgestützte Onlinebefragung entschieden. Online-Befragungen eignen sich insbesondere für quantitative Studien (Taddicken & Batinic 2014: 159), da sie den Zugang zu einer großen Gruppe an potenziellen Teilnehmer*innen und somit eine potenziell große Stichprobe ermöglichen (Biffignandi & Bethlehem 2021: 212), was bei Face-to-Face- oder postalischen Befragungen nicht ohne erheblichen Aufwand möglich ist. Um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist im vorliegenden Fall eine große Stichprobe unabdingbar. Zudem bieten Online-Befragungen eine Reihe weiterer Vorteile. Der größte Vorteil liegt in der digitalen Datenerfassung. Alle gesammelten Daten werden beim Gebrauch einer gängigen Umfragesoftware gesammelt und geordnet und können direkt ausgewertet und analysiert werden. Dies spart Zeit, Kosten und potenzielle Fehler in der händischen Auswertung ausgedruckter Fragebögen (Scholl 2018: 51; Vehovar & Manfreda 2017: 144). Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz von Online-Befragungstools die Verwendung einer enormen Bandbreite an multimedialen Elementen wie Bildern, Videos oder Audiodateien sowie auch zahlreiche Layouts, ebenso wie Filterfunktionen (ebd.), die die Durchführung der Befragung für die Teilnehmer*innen erheblich erleichtern und attraktiver gestalten. Auch die Option der automatischen Filterführung, die den Einsatz von Filterfragen erleichtert sowie die Möglichkeit der ausschließlichen Angabe von zulässigen Werten (z.B. vorgegebene Zahlenwerte) vereinfachen den gesamten Durchführungs- und Auswertungsprozess (Mattissek et al. 2013: 90; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 789). Ein weiterer großer Vorteil liegt in der Selbstadministration im Hinblick auf das Ausfüllen des Fragebogens. So können die Teilnehmer*innen die Online-Umfrage ortsunabhängig (lediglich eine Internetverbindung wird vorausgesetzt) sowie zeitunabhängig und anonym bearbeiten, was zu einer höheren Teilnahmebereitschaft und Datenqualität führen kann (Vehovar & Manfreda 2017: 144). Aufgrund der hohen Anzahl von Internetnutzer*innen (alleine in Deutschland 66,6 Millionen) (ARD/ZDF 2021), dem flächendeckenden Ausbau mit leistungsfähigen Netzwerken sowie einem stark gestiegenen Angebot an bezahlbaren Smartphones, kann durch den Einsatz von Onlineumfragen eine enorme Masse an Personen räumlich verteilt, in Echtzeit und ohne hohen Kostenaufwand erreicht werden (Leitgöb & Wolbring 2021: 11f.). Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit einer kürzeren Feldphase, welche durch eine schnellere Verteilung und Rückgabe der Fragebogen im digitalen Raum resultiert (Scholl 2018: 51). Im Rahmen des vorliegenden Forschungsvorhabens sei hier auch das Argument der geringen Kosten dieser Erhebungsmethode (Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 789) als Vorteil genannt, da keine über die individuelle Ebene hinausgehenden finanziellen Mittel zur Verfügung standen.
7.3.2 Forschungsdesign Der Fragebogen ist »das Kontaktinstrument des Wissenschaftlers mit dem Forschungsfeld und somit die methodische, empirische Umsetzung theoretischer Fragestellungen« (Scholl 2018: 143). Der Konstruktion des Fragebogens kommt aufgrund dessen und vor
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allem im Hinblick auf die fehlende direkte Interviewsituation bei Online-Befragungen und einem damit einhergehenden notwendigen hohen Grad an Strukturiertheit eine zentrale Bedeutung zu (Manfreda & Vehovar 2008: 276; Steiner & Benesch 2018: 49). Bei standardisierten Befragungen wie der vorliegenden spielen hier insbesondere auch die Fragenformulierung sowie die Antwortvorgaben eine zentrale Rolle (Scholl 2018: 143). Der hier gewählte Fragebogen folgt den gängigen Regeln der Fragebogenkonstruktion, die von Scholl komprimiert zusammengefast wurden (Scholl 2018: 152ff.): 1. Gesprächslogik: Relevanz jeder Frage für das Forschungsziel 2. Fragenlogik: logischer Aufbau der Fragen, jede Frage thematisiert einen Aspekt (Gebot der Eindimensionalität) 3. Antwortlogik: Passung der Antwortkategorien zur Fragedimension und Vollständigkeit der Antwortmöglichkeiten 4. Sprachlogik: natürliche, verständliche und konsistente Sprachform sowie Vermeidung von Umgangssprache und dialektalen Ausdrucksweisen 5. Neutralität: Ausschließliche Verwendung von inhaltlich wertneutralen Fragestellungen
Der vorliegende Fragebogen beginnt mit einer Einleitung. Diese enthält eine kurze Darstellung der eigenen Person sowie eine prägnante Beschreibung des Forschungsziels. Zudem erfolgt eine Erklärung zur Weiterverarbeitung der erhobenen Daten, eine Versicherung des Datenschutzes inklusive einer Anonymitätsgewährleistung sowie eine grobe Zeitangabe für die Dauer der Erhebung. Den Abschluss der Einleitung bildet eine erste Danksagung für die Teilnahme an der Befragung. Diese Aspekte sind zwingend notwendig, da die Einleitung eines Fragebogens maßgeblichen Einfluss auf die Motivation der Bearbeitung nehmen kann und daher im Optimalfall das Interesse der Teilnehmer*innen steigern soll (Steiner & Benesch 2018: 54). Inhaltlich gliedert sich der Fragebogen in folgende thematische Blöcke11 : I. Wissen allgemein II. Wissen zu Themen der Nachhaltigkeit III. Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext IV. relevantes Wissen im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln V. gewünschte Kommunikationskanäle & -formen im Nachhaltigkeitskontext VI. demographische Angaben
Die Bildung von inhaltlichen Frageblöcken wird im Rahmen von standardisierten Befragungen als sinnvoll erachtet, um einen roten Faden des Fragebogens zu schaffen und somit eine nachvollziehbare Beantwortung der Fragen zu gewährleisten. Die Frageblöcke müssen daher inhaltlich passend gebildet werden (Schnell 2019: 108). Insgesamt beinhaltet der Fragebogen 27 Fragen. Dabei lassen sich 18 vollständig geschlossene, 2 offene sowie 7 geschlossene Fragen, die eine integrierte offene Antwortmöglichkeit (Sonstiges) enthalten (Hybridfragen), charakterisieren. Da das Ziel der vorliegenden Befragung in 11
Der vollständige Fragebogen befindet sich im Anhang.
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der Erstellung eines Meinungsbildes liegt, sind hier geschlossene Fragen das geeignetste Format, da diese eine Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der Antworten sowie eine Darstellung von Häufigkeiten und Zusammenhängen ermöglichen (Scholl 2018: 162). Das offene Frageformat wurde gewählt, da an den beiden betroffenen Stellen im Fragebogen die Bandbreite an möglichen Antworten nicht vorhersehbar war und die unbeeinflussten eigenen Worte der Befragten wichtig für die Untersuchung sind (ebd.). Zudem ermöglicht dieses Format die Äußerung von spontanen Assoziationen zur gewünschten Thematik (Steiner & Benesch 2018: 57) Auf der konkreten inhaltlichen Ebene knüpft der Fragebogen im Sinne des vorliegenden Mixed-Methods-Ansatzes an die Ergebnisse der qualitativen Experteninterviews an, die zum großen Teil in die inhaltliche Konzeptionierung der Fragen eingeflossen sind (insbesondere Block III und IV). Für einen erweiterten Erkenntnisgewinn wurde der andere Teil der Fragen aus den theoretischen Überlegungen (Kapitel 2–5) heraus entworfen (insbesondere Block I, II und V). Der erste Fragenblock beginnt mit der offenen Frage nach dem Verständnis der Befragten bezüglich des Begriffs »Wissen«. Diese Frage dient als einleitende Frage und das offene Format ermöglicht erste freie Assoziationsmöglichkeiten, die den Einstieg in die Umfrage erleichtern sollen (Scholl 2018: 175). Zudem wird für diese Frage eine Vielzahl an möglichen Antworten antizipiert, deren Darstellung in vorgegebenen Antwortkategorien aufgrund der Vielfalt und Komplexität des Begriffs (siehe Kapitel 2) nicht sinnstiftend gewesen wäre. Darüber hinaus dient diese Frage auch zur Erhebung des Wissensstandes und muss zu diesem Zweck offen gestellt werden (Richter et al. 2021: 131). In Anlehnung an die Experteninterviews wird hierdurch aufgrund der gleichen Frage eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse möglich. Die beiden anschließenden Fragen vertiefen das Thema Wissen und sind durch ihr geschlossenes Format ebenfalls als einstiegserleichternde Fragen zu betrachten. Dabei geht es einerseits um die Frage nach der Bedeutung von Wissen im Leben der Teilnehmer*innen allgemein sowie um die Bewertung von Wissen im Hinblick auf spezifische Lebensbereiche. Für erstere Frage wurde eine Ordinalskala mit 6 Items von »hoher Bedeutung« bis »keine Bedeutung« gewählt. Für die Frage nach der Relevanz von Wissen für verschiedene Lebensbereiche wurde eine Matrixfrage mit einer Ordinalskala mit 5 Items von »sehr wichtig« bis »nicht wichtig« gewählt. Die verschiedenen aufgeführten Lebensbereiche orientieren sich an den in Kapitel 2.8.5 formulierten zivilgesellschaftlichen Handlungsfeldern. Der gesamte Fragenblock dient der Beantwortung der Fragestellung F.3.1 dieser Arbeit, denn er ermöglicht die Erfassung der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen. Der zweite thematische Block beinhaltet Fragen zur Erfassung des Wissensstandes zu Themen der Nachhaltigkeit. Auch dieser Block beginnt mit einer offenen Frage nach dem Verständnis zum Begriff Nachhaltigkeit. Hier gelten die gleichen Begründungen wie für die offene Einstiegsfrage des Fragebogens. Daran anknüpfend folgt ein kurzer Text mit einer Definition von Nachhaltigkeit, die für die nachfolgenden Fragen gültig sein soll. Dies ermöglicht eine einheitliche und vergleichbare Beantwortung aller folgenden Fragen durch die Teilnehmer*innen auf einer gleichen Verständnisbasis des Nachhaltigkeitsbegriffs. Es folgen zwei Matrixfragen mit Ordinalskalenniveau. Die erste Frage thematisiert die Bewertung verschiedener Themenbereiche und deren Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit. Als Themenbereiche werden hier die umformulier-
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ten 17 SDGs verwendet sowie der Bereich Digitalisierung. Die anschließende Frage verwendet die identischen Themenbereiche und fragt nach einer Einstufung des persönlichen Wissensstandes zu den jeweiligen Themen. Daran anknüpfend folgt die Frage nach der Art des Wissens, die die Teilnehmer*innen zu den Themenbereichen der Nachhaltigkeit am ehesten haben. Hier wurde für die Antworten eine Nominalskala mit der Möglichkeit zur Mehrfachnennung gewählt. Die Antwortkategorien richten sich nach den in Kapitel 4.2 formulierten Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext. Die beiden anschließenden Fragen sollen den Wissensstand zu geographischen Wissensaspekten im Nachhaltigkeitskontext erheben. Die erste Frage thematisiert den Bekanntheitsgrad verschiedener geographischer Konzepte seitens der Teilnehmer*innen. Die hier verwendeten Antwortkategorien richten sich nach den in Kapitel 5.3.3 und 5.6 aufgestellten Schlüsselkonzepten der Geographie mit einem Nachhaltigkeitsbezug. Die Antwortmöglichkeiten beinhalten eine dreistufige Nominalskala von Bekanntheit und Verständnis des jeweiligen Begriffs über Bekanntheit ohne Verständnis bis zu weder Bekanntheit noch Verständnis. Im Anschluss daran erfolgt via Filterfunktion eine Kurzdefinition der einzelnen aufgeführten Begrifflichkeiten. Angezeigt werden dabei immer nur die Begriffsdefinitionen, bei denen die Teilnehmer*innen entweder »Begriff ist nur Bekannt ohne Verständnis« oder »nicht bekannt« angekreuzt haben. Auch hier sorgt die Hereingabe der Begriffsdefinitionen für eine einheitliche Verständnisbasis, die für die Anschlussfrage relevant ist. In dieser sollen die vorherigen geographischen Konzepte im Hinblick auf ihre Relevanz im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit bewertet werden. Die Antworten erfolgen hier in einer fünfstufigen Ordinalskala. Den Abschluss dieses Fragenblocks bilden zwei Fragen. Zunächst wird nach der Einschätzung gefragt, inwiefern Nachhaltigkeit in spezifischen Lebensbereichen eine Bedeutung hat. Die hier aufgeführten Lebensbereiche sind identisch zu den Lebensbereichen in der früheren Frage. Daran anknüpfend folgt die Frage, ob die Teilnehmer*innen Handlungsmöglichkeiten im Nachhaltigkeitskontext für die jeweiligen Lebensbereiche kennen. Beide Fragen enthalten Antworten mit einem Ordinalskalenniveau. Dieser Frageblock dient der Beantwortung der Forschungsfrage F.3.2. Der dritte Themenblock beinhaltet Fragen zur Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext und wurde zum großen Teil aus den Aussagen der Befragten Expert*innen generiert. Hier wird zunächst gefragt, woher das vorhandene Wissen zu den Themen der Nachhaltigkeit stammt. Die hier gewählten Antwortmöglichkeiten im Nominalskalenniveau entsprechen den in Kapitel 3.4 aufgeführten gängigen Kommunikationskanälen für Wissen. Daran anschließend folgt eine Frage nach der Bewertung der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext. Hier können die Teilnehmer*innen auf einem Regler zwischen gar nicht wichtig und sehr wichtig antworten. Erweiternd dazu folgt eine Frage nach persönlich relevanten Merkmalen, die ein Wissen im Nachhaltigkeitskontext erfüllen sollte. In diesem Fall sind Mehrfachnennungen möglich. Die beiden nächsten Fragen fordern eine Bewertung der allgemeinen Relevanz verschiedener Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext sowie eine Einschätzung, welche Wissensarten persönlich am ehesten zu einem vermehrten Handeln Richtung Nachhaltigkeit führen. Bei beiden Fragen sind die Antwortmöglichkeiten identisch und entsprechen den in Kapitel 4.2 aufgeführten Arten von Wissen. Letztere Frage enthält zusätzlich die Antwortoption »Wissen spielt keine Rolle«. Sollte diese ausgewählt werden, erfolgte eine offene Filterfrage nach
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alternativen Aspekten abseits von Wissen, die am ehesten zu einem nachhaltigen Handeln führen. Filterfragen erleichtern die Befragung, da sie die Bearbeitungszeit verkürzen und nicht relevante Themen übersprungen werden können (Richter et al. 2021: 129). Die abschließende Frage dieses Fragenblocks fordert eine Einschätzung, inwiefern die Teilnehmer*innen ausreichend Wissen besitzen, um nachhaltig handeln zu können mit Antwortmöglichkeiten im Ordinalskalenniveau. Dieser Fragenblock dient ebenfalls der Beantwortung der Fragestellung F.3.2. Der vierte Fragenblock thematisiert relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Teilnehmer*innen. Hier wird zunächst gefragt, zu welchen Themenbereichen die Teilnehmer*innen mehr Wissen wünschen. Die Themenbereiche sind erneut die 17 SDGs sowie der Bereich der Digitalisierung. Anschließend folgt die Frage, in welchen Lebensbereichen die Teilnehmer*innen mehr Wissen wünschen, um nachhaltig handeln zu können. Auch hier sind die identischen Antwortmöglichkeiten wie bei allen Fragen nach den Lebensbereichen gewählt worden. Dieser Fragenblock dient der Beantwortung der Fragestellung F.3.3. Der fünfte Fragenblock thematisiert Aspekte des Wissenstransfers. Hier werden die Teilnehmer*innen zunächst gefragt, über welche Kanäle das gewünschte Wissen bestenfalls bereitgestellt werden sollte. Die hier gewählten Antwortmöglichkeiten entsprechen den gängigen Informationskanälen, die in Kapitel 4.3 aufgeführt wurden. Darauf aufbauend erfolgt die Frage nach der Form, in der das gewünschte Wissen bereitgestellt werden soll. Beide Fragen ermöglichen Mehrfachnennungen und enthalten die Antwortkategorien im Nominalskalenniveau. Den Abschluss dieses Fragenblocks und somit auch aller inhaltlichen Fragen bildet die Frage, ob die Teilnehmer*innen der Ansicht sind, dass ein vermehrtes Wissen für sie persönlich zu einem verstärkten Handeln in Richtung Nachhaltigkeit führen würde. Diese Frage wurde als Filterfrage gestaltet. Den Personen, die die Antwortmöglichkeit »Nein« auswählen, wird nachfolgend eine offene Frage gestellt, was passieren müsste, damit sich ihr Verhalten in Richtung Nachhaltigkeit ändert. Dieser Fragenblock dient der Beantwortung der Fragestellung F.3.4 der vorliegenden Arbeit. Anschließend an die inhaltlichen Frageblöcke erfolgen die Fragen nach den demographischen Angaben. Diese beinhalten im vorliegenden Fall Fragen nach dem Geschlecht, dem Alter, dem höchsten Bildungsabschluss, der aktuellen beruflichen Tätigkeit sowie der Angabe der Postleitzahl des gegenwärtigen Wohnortes. Letztere ist insbesondere für die räumliche Verteilung von zentraler Bedeutung (Kruker & Rauh 2005: 97). Diese Angaben wurden absichtlich an das Ende des Fragebogens gestellt, da sie oftmals als uninteressant und persönlich empfunden werden und es zu Antwortverweigerungen oder sogar Abbrüchen kommen kann (Richter et al. 2021: 129). Den Abschluss der Umfrage bildet eine Seite mit einer erneuten Danksagung für die Teilnahme an der Befragung. Dies ist aus Respekt gegenüber den Teilnehmer*innen obligatorisch (Toepoel 2017: 190). Grundsätzlich gilt bei der Fragebogenkonstruktion, dass die Aufmerksamkeit mit fortschreitender Befragung sinkt. Aus diesem Grund sollten die Kernfragen im zweiten Drittel des Fragebogens auftauchen (Richter et al. 2021: 129), wie es hier in den Frageblöcken 3–5 vollzogen wurde. Alle Fragen wurden möglichst eindimensional formuliert (Abfrage genau eines Sachverhaltes), da sonst die Antworten verzerrt werden können und ei-
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ne sinnvolle Interpretation nicht mehr durchführbar ist (Schuhmann 2019: 61). Gleiches gilt für den Verzicht auf Suggestivfragen, mehrdeutige Formulierungen, doppelte Verneinungen sowie die Vermeidung von komplexen und langen Formulierungen oder der Verwendung von unbekannten Wörtern (ebd.: 62ff.). Der Großteil der hier verwendeten Skalen lässt sich als Likert-Skala charakterisieren. Diese Form kommt in der Forschung insbesondere bei der Messung von Einstellungen mehrheitlich zum Einsatz (Porst 2014: 95) und wurde aus diesem Grund auch im vorliegenden Fall verwendet. Die Anzahl der Items bei den Likert-Skalen mit Ordinalskalenniveau variiert im vorliegenden Fall zwischen gerade und ungerade. Hierbei wurde je nach Frage entschieden, ob es eine Mittelkategorie bei den Antworten geben soll oder nicht. Beide Optionen haben Vor- und Nachteile. Die ungerade Anzahl wurde gewählt, wenn es sich um Fragen handelt, bei denen antizipiert wurde, dass die Teilnehmer*innen zu wenig Wissen haben könnten, um sich eine eindeutige Meinung zu bilden. Die gerade Anzahl wurde gewählt, wenn es sich um eine Frage handelt, bei der klar ist, dass alle Personen eine Meinung zu der befragten Thematik haben (Scholl 2018: 168; Schuhmann 2019: 70). Alle Skalen wurden verbal benannt. Dies hat den Vorteil, dass die Befragten die Antwortmöglichkeiten nicht mehr für sich in Sprache übersetzen müssen. Zudem kann, insbesondere bei Meinungs- und Einschätzungsfragen, trotz fehlender numerischer Benennung durch eine spiegelbildliche Formulierung (z.B. Stimme voll zu bis stimme gar nicht zu) sowie eine Mindestanzahl von 5 Stufen, was bei allen hier aufgeführten Fragen der Fall ist, die Möglichkeit einer intervallskalierten Interpretation geschaffen werden (Scholl 2018: 169). Die Wahl von mehrstufigen Skalen (im vorliegenden Fall meistens 5 oder 6) ist insbesondere bei der Erhebung von Meinungen, Einstellungen oder Wertorientierungen gängige Praxis, da dies den Befragten die Möglichkeit einer differenzierten Antwort gibt und zudem auch eine breite Auswertung der Daten ermöglicht (Porst 2014: 77). Dabei gilt die Regel, dass Skalen, wie auch im vorliegenden Fall, zwischen 5 und 9 Skalenpunkten haben sollten, da alle weiteren Differenzierungen zu Überforderungen seitens der Befragten führen können (ebd.: 87). Eine Ausnahme bilden in der vorliegenden Umfrage die Fragen bei denen verschiedene Lebensbereiche oder die 17 SDGs angegeben wurden. Hier liegt eine größere Anzahl an Antwortkategorien vor, da ansonsten keine inhaltliche Vollständigkeit gegeben wäre, was im Rahmen der Forschungsziele jedoch zwingend notwendig ist. Zudem handelt es sich hier in den meisten Fällen um Matrix-Fragen, sodass je Unterpunkt eine Ratingskala angeführt wurde, die der Regel entsprechend nur zwischen 5 und 6 Items groß gewählt wurde. Ob die hier gewählten Ordinalskalen auch als Intervallskalen betrachtet werden können, lässt sich nicht eindeutig festlegen. In der Forschung herrscht nach wie vor Uneinigkeit darüber, ob mehrstufige, verbale Likert-Skalen auch Intervallskalenniveau haben können (Döring & Bortz 2016: 235). Wie die hier vorliegenden Skalen bei der statistischen Auswertung behandelt werden, wird in Kapitel 7.3.4 näher erläutert. Die spezifische Form der Online-Befragung bedingt noch einige weitere Aspekte, die im Rahmen der Fragebogenkonstruktion erfüllt sein müssen und im vorliegenden Fall ebenfalls angewendet wurden. Das Design des Fragebogens wurde durch die verwendete Plattform UmfrageOnline gestaltet und richtet sich nach den neuesten Anforderungen an webbasierte Designformen. Um einen besseren Durchführungsprozess für die Teilnehmer*innen zu gewährleisten, enthält der Fragebogen eine Fortschrittsanzeige. Dies
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sorgt für eine Transparenz bezüglich der Länge der Umfrage und steigert die Teilnahmebereitschaft, ebenso wie die automatische Filterführung für die bereits beschriebenen Filterfragen (Schnell et al. 2011: 375; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 794). Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass die Umfrage sowohl für eine computerbasierte als auch eine Smartphone basierte Nutzung geeignet ist. Dies erhöht ebenfalls die Teilnahmebereitschaft, da die Umfrage dadurch weniger ortsgebunden genutzt werden kann (Biffignandi & Bethlehem 2021: 241; Manfreda & Vehovar 2008: 276). Ein weiteres Feature, welches im Rahmen der Steigerung einer einfachen Navigation in die Umfrage implementiert wurde, ist die Möglichkeit, jederzeit vor- und zurückzuspringen innerhalb der Umfrage durch entsprechende Buttons. Dies kann zur Qualitätssteigerung der Ergebnisse führen, wenn vorschnell ausgewählte Antworten seitens der Befragten korrigiert werden können (Scholl 2018: 181). Gleiches gilt für das Hinzufügen neutraler Antwortoptionen (z.B. »Sonstiges«) oder Ausweichantworten bei Meinungs- und Wissensabfragen (z.B. »Weiß ich nicht«), welche hier ebenfalls in den meisten Fällen in die Fragen integriert wurden. Dies garantiert, dass immer eine Antwort ausgewählt werden kann und verhindert potenzielle Abbrüche seitens der Teilnehmer*innen (Biffignandi & Bethlehem 2021: 264ff.). Ebenfalls relevant ist die Anzahl der Fragen je angezeigter Seite innerhalb der Umfrage. Hier wurde darauf geachtet, dass jede Seite eine Maximalanzahl von drei Fragen enthält. Dies sorgt dafür, dass einerseits keine Fragen durch zu langes scrollen übersehen werden und andererseits der Fragebogen nicht zu lange erscheint (Scholl 2018: 179; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 794). Darüber hinaus wurde sich dafür entschieden, keine Pflichtfragen in der Umfrage zu platzieren. Dies mag dazu führen, dass Personen den Fragebogen nur unvollständig ausfüllen, doch eine Verpflichtung der Teilnehmer*innen zur Beantwortung der Frage ist nicht empfehlenswert, da dies eine höhere Abbruchquote zur Folge haben kann (Schnell 2019: 295). Um eine Mehrfachteilnahme einer Person an der Befragung zu verhindern, wurde eine Einstellung im Programm gewählt, welche die Browser-Session-ID der Nutzer*innen nach der ersten Nutzung sperrt, sodass eine weitere Teilnahme nicht möglich ist. Dies verhindert ebenfalls Mehrfachteilnahmen (Toepoel 2017: 186). Insgesamt wurde der Fragebogen für eine Länge von 10–15 Minuten Bearbeitungszeit angelegt. Dies gilt als die allgemeine Faustregel im Hinblick auf eine angemessene Länge für Online-Befragungen (Döring & Bortz 2016: 415).
7.3.3 Sampling und Durchführung Ziel der Befragung ist das Aufstellen eines gesellschaftlichen Meinungsbildes in Deutschland sowie die Erfassung von Wissensständen und Wissenslücken im Kontext der sozial-ökologischen Transformation sowie des geographischen Wissens. Wie in Kapitel 4.4 deutlich wurde, existieren bisher abseits von Umweltbewusstseinsstudien kaum Erhebungen dieser Art. Der Fokus der Erhebung soll, wie in Kapitel 5.7 begründet, auf dem Teil der Bevölkerung liegen, welcher einen abgeschlossenen Bildungsweg aufweist. Um zu gewährleisten, dass nur Personen mit diesem Kriterium an der Befragung teilnehmen, wurde zu Beginn der Umfrage nach dem Berufsstatus gefragt. Alle Personen, die angegeben haben, zur Schule zu gehen oder sich in der Ausbildung/im Studium befinden, wurden dabei aus der weiteren Befragung ausgeschlossen. Die Größe der
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sorgt für eine Transparenz bezüglich der Länge der Umfrage und steigert die Teilnahmebereitschaft, ebenso wie die automatische Filterführung für die bereits beschriebenen Filterfragen (Schnell et al. 2011: 375; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 794). Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass die Umfrage sowohl für eine computerbasierte als auch eine Smartphone basierte Nutzung geeignet ist. Dies erhöht ebenfalls die Teilnahmebereitschaft, da die Umfrage dadurch weniger ortsgebunden genutzt werden kann (Biffignandi & Bethlehem 2021: 241; Manfreda & Vehovar 2008: 276). Ein weiteres Feature, welches im Rahmen der Steigerung einer einfachen Navigation in die Umfrage implementiert wurde, ist die Möglichkeit, jederzeit vor- und zurückzuspringen innerhalb der Umfrage durch entsprechende Buttons. Dies kann zur Qualitätssteigerung der Ergebnisse führen, wenn vorschnell ausgewählte Antworten seitens der Befragten korrigiert werden können (Scholl 2018: 181). Gleiches gilt für das Hinzufügen neutraler Antwortoptionen (z.B. »Sonstiges«) oder Ausweichantworten bei Meinungs- und Wissensabfragen (z.B. »Weiß ich nicht«), welche hier ebenfalls in den meisten Fällen in die Fragen integriert wurden. Dies garantiert, dass immer eine Antwort ausgewählt werden kann und verhindert potenzielle Abbrüche seitens der Teilnehmer*innen (Biffignandi & Bethlehem 2021: 264ff.). Ebenfalls relevant ist die Anzahl der Fragen je angezeigter Seite innerhalb der Umfrage. Hier wurde darauf geachtet, dass jede Seite eine Maximalanzahl von drei Fragen enthält. Dies sorgt dafür, dass einerseits keine Fragen durch zu langes scrollen übersehen werden und andererseits der Fragebogen nicht zu lange erscheint (Scholl 2018: 179; Wagner-Schelewsky & Hering 2019: 794). Darüber hinaus wurde sich dafür entschieden, keine Pflichtfragen in der Umfrage zu platzieren. Dies mag dazu führen, dass Personen den Fragebogen nur unvollständig ausfüllen, doch eine Verpflichtung der Teilnehmer*innen zur Beantwortung der Frage ist nicht empfehlenswert, da dies eine höhere Abbruchquote zur Folge haben kann (Schnell 2019: 295). Um eine Mehrfachteilnahme einer Person an der Befragung zu verhindern, wurde eine Einstellung im Programm gewählt, welche die Browser-Session-ID der Nutzer*innen nach der ersten Nutzung sperrt, sodass eine weitere Teilnahme nicht möglich ist. Dies verhindert ebenfalls Mehrfachteilnahmen (Toepoel 2017: 186). Insgesamt wurde der Fragebogen für eine Länge von 10–15 Minuten Bearbeitungszeit angelegt. Dies gilt als die allgemeine Faustregel im Hinblick auf eine angemessene Länge für Online-Befragungen (Döring & Bortz 2016: 415).
7.3.3 Sampling und Durchführung Ziel der Befragung ist das Aufstellen eines gesellschaftlichen Meinungsbildes in Deutschland sowie die Erfassung von Wissensständen und Wissenslücken im Kontext der sozial-ökologischen Transformation sowie des geographischen Wissens. Wie in Kapitel 4.4 deutlich wurde, existieren bisher abseits von Umweltbewusstseinsstudien kaum Erhebungen dieser Art. Der Fokus der Erhebung soll, wie in Kapitel 5.7 begründet, auf dem Teil der Bevölkerung liegen, welcher einen abgeschlossenen Bildungsweg aufweist. Um zu gewährleisten, dass nur Personen mit diesem Kriterium an der Befragung teilnehmen, wurde zu Beginn der Umfrage nach dem Berufsstatus gefragt. Alle Personen, die angegeben haben, zur Schule zu gehen oder sich in der Ausbildung/im Studium befinden, wurden dabei aus der weiteren Befragung ausgeschlossen. Die Größe der
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dieser Umfrage zugrundeliegenden Grundgesamtheit lässt sich nach diesem Kriterium berechnen und läge demnach bei gerundet 68 Millionen. Eine Vollerhebung einer Populationsgröße dieser Art ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit aufgrund fehlender Infrastruktur sowie einem erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand nicht durchführbar, was jedoch für die meisten Erhebungen gilt, deren Grundgesamtheit sich in dieser Größenordnung bewegt, da einzig eine Volkszählung als mögliche Methode in Frage käme (Häder & Häder 2014: 283; Schuhmann 2019: 82). Aus diesem Grund musste eine Stichprobe gezogen werden. Die selbstständige Durchführung eines in der quantitativen Forschung erstrebenswerten probabilistischen Auswahlverfahrens ist aus den gleichen Gründen im Rahmen dieser Arbeit nicht durchführbar gewesen. Eine Alternative findet sich in der Durchführung von Panel-Studien durch einen externen Anbieter. Die Durchführung von Erhebungen mittels solcher Online-Panels ist auch im akademischen Bereich in vielen Studien immer häufiger anzutreffen wie zum Beispiel in der Raumforschung (Nadler et al. 2015) oder zur Erfassung von Umweltbewusstsein (Holzhauer et al. 2015). Auf nationaler Ebene existieren hier zwei öffentliche anerkannte Panels, welche bevölkerungsrepräsentative Stichprobenerhebungen durchführen, das sozio-ökonomische Panel (SOEP) sowie die allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), welche vom Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) durchgeführt wird (Jacob et al. 2019: 256f.). Die Nutzung des SOEPPanels ist jedoch für Außenstehende nicht ohne weiteres möglich. Die Nutzung des GESIS-Panels ist möglich, unterliegt jedoch einigen Einschränkungen. Jede eingereichte Befragung durchläuft ein Peer-Review-Verfahren und muss angenommen werden. Die Länge der Befragungszeit ist dabei auf 5 Minuten limitiert (GESIS 2022). Da die vorliegende Befragung auf 10–15 Minuten Laufzeit angelegt ist, fällt diese Option jedoch aus. Die Nutzung des Open-Probability-Based-Panels von GESIS ist mit einer längeren Befragungszeit möglich, umfasst in diesem Fall jedoch einen hohen Kostenaufwand, der im Rahmen der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ebenfalls nicht möglich war. Aus diesem Grund wurde ein Open-Access-Panel zur Datenerhebung genutzt. Hier gibt es inzwischen zahlreiche Panel-Anbieter aus dem Bereich der Markt- und Meinungsforschung (Holzhauer et al. 2015: 33f.). Da es sich hierbei um private Einrichtungen handelt, muss bei der Wahl des Panels auf die Einhaltung von Standards und Regularien der Online-Forschung geachtet werden (ESOMAR-Standards). Die Wahl des Anbieters wurde im Zuge dieser Arbeit nach der Erfüllung der Standards einerseits sowie den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln andererseits getroffen. Zudem hat eine Studie von Cornesse & Blom gezeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Antwortqualität und den Erhebungskosten bei der Nutzung von Online-Panels zu geben scheint. Eine Investition in ein aufwändigeres und dadurch kostenintensiveres Panel ist somit nicht gleichbedeutend mit einer höheren Datenqualität (Cornesse & Blom 2020: 24). Einarsson et al. fanden in ihrer Metastudie zudem heraus, dass es keinen Unterschied bezüglich der Produktion von Messfehlern durch Proband*innen in probabilistischen und nicht-probabilistischen Online-Panels zu geben scheint, ebenso wie auch das Auftreten von nicht-äquivalenten Messergebnissen in beiden Varianten gleichermaßen zu finden ist (Einarsson et al. 2022: 16f.). Die Nutzung eines OpenAccess-Panels ist somit zumindest hinsichtlich dieser Gesichtspunkte als gleichwertig zu den anerkannten probabilistischen Panels wie dem von GESIS zu sehen.
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Letztendlich wurde die Erhebung über das Marktforschungsinstitut Splendid-Research durchgeführt. Das Panel des Instituts entspricht den ESOMAR-Standards der European Society for Opinion and Market Research) (ebd.: 33)12 und ist darüber hinaus Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung (DGOF). Die erforderlichen Qualitätsstandards sind somit erfüllt. Bei der gezogenen Stichprobe handelt es sich um eine einfache Zufallsauswahl (simple random sample), da alle Personen des Panels die gleiche Chance hatten, an der Befragung teilzunehmen (Biffignandi & Bethlehem 2021: 106f.; Richter et al. 2021: 98f.). Die vorliegende Stichprobe kann somit für die Grundgesamtheit des Panels als repräsentativ angesehen werden.13 Im Hinblick auf die erwünschte Grundgesamtheit der deutschen Bevölkerung nach den vorab festgelegten Kriterien sei an dieser Stelle jedoch erwähnt, dass die Aussagekraft der Stichprobe als eingeschränkt betrachtet werden muss, da nicht jede Person in Deutschland im Panel vertreten ist und die Stichprobe somit nicht als repräsentativ für Deutschland gesehen werden kann. Um dies zu erreichen, müsste das Panel des Instituts ebenfalls über ein Zufallsverfahren ausgewählt worden sein, was jedoch auf die meisten Panel-Anbieter nicht zutrifft (Biffignandi & Bethlehem 2021: 554). Die Panel-Rekrutierung ist bei den meisten privaten Panel-Anbietern nicht ersichtlich. Hier greifen die ESOMAR-Standards, zu deren Einhaltung sich alle Mitglieder verpflichten. Letztendlich kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie genau der Rekrutierungsprozess abläuft, sodass die Aussagekraft der Stichprobe dadurch eingeschränkt zu betrachten ist, was aus den bereits genannten Gründen für die vorliegende Erhebung in Kauf genommen werden musste. Aus diesem Grund konnte im Zuge dessen auch keine Berechnung von Messfehlern (z.B. Coverage oder Non-Response) (Cornesse et al. 2020: 8; Döring & Bortz 2016: 416) durchgeführt werden. Klar ist, dass bei internetgestützten Befragungen zumindest Teile der älteren Bevölkerung ausgeschlossen werden, da der Anteil der Personen, die keinen Zugang zum Internet haben, in der Bevölkerungsgruppe ab 65 Jahren am höchsten ist (Schnell 2019: 281f.). Zwar wäre es möglich gewesen, ein quotenbasiertes Auswahlverfahren durchführen zu lassen, damit die Stichprobe bezüglich demographischer Merkmale die Zusammensetzung der Grundgesamtheit widerspiegelt, jedoch vermindert dies durch die bewusste Steuerung die tatsächliche Repräsentativität der Befragung (Jacob et al. 2019: 90; Schnell et al. 2011: 297). Aus diesem Grund wurde sich dagegen entschieden. Die vorliegende Stichprobe ist somit nur für das gewählte Panel als repräsentativ zu betrachten. Insgesamt liegt hier jedoch ein exploratives Forschungsdesign vor. Bei explorativen Designs ist die Arbeit mit nicht vollständig probabilistischen Stichproben üblich (Döring & Bortz 2016: 405). Die Größe der hier vorliegenden Stichprobe wurde in Absprache mit dem Institut auf n=500 festgelegt. Vor der eigentlichen Durchführung der Befragung wurde ein Pretest vollzogen. Dies ermöglicht eine empirische Überprüfung des Fragebogeninstruments im Hinblick auf Verständnis & Schwierigkeitsgrad der Fragen, Variabilität der Antworten, Effekte von Fragenanordnung, Filterführung sowie die Erfassung der Befragungsdauer (Schnell 2019: 123). Im Rahmen dieser Arbeit wurden zwei Arten von Pretest durchgeführt. Dies ist üblich, da Pretests keine einmaligen Verfahren darstellen, sondern un12 13
Für eine detaillierte Beschreibung der ESOMAR-Standards siehe ESOMAR 2016 & ESOMAR 2012 Die genaue Zusammensetzung des Panels findet sich bei Splendid Research (Research 2022)
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terschiedliche Dimensionen der Erhebung optimieren sollen (Weichbold 2019: 23). Ein erster Pretest erfolgte durch eine mündliche Befragung unter Anwesenheit von Interviewer und Probanden mit insgesamt 10 Personen (Laborbedingungen) (ebd.: 23). Dies ermöglicht eine direkte Rückmeldung seitens der Befragten und somit eine Einschätzung der Durchführbarkeit des Fragebogens (Schnell 2019: 124). Hierbei wurden unterschiedliche Methoden eingesetzt: Think-Aloud (Befragte äußern sich zu ihren Gedanken bei der Beantwortung der Frage), Probing (Stellen von Zusatzfragen zum Verständnis von Begriffen und Antwortkategorien) sowie die Analyse der Latenzzeit (Messung der Zeit zwischen Fragestellung und Antwort) (Weichbold 2019: 351). Im Zuge dessen wurden im vorliegenden Fragebogen Frageformulierungen geändert sowie teilweise Antwortmöglichkeiten ergänzt. Auch die Reihenfolge der Fragen konnte dadurch optimiert werden. In einem zweiten Schritt wurde der überarbeitete Fragebogen dann mittels einer Online-Umfrage via Schneeballverfahren über Social Media-Kanäle geteilt und an einer größeren Stichprobe getestet (Feldbedingungen) (Weichbold 2019: 349). Hierbei handelte es sich um ein willkürliches Auswahlverfahren (convenience sample). Diese Form ist mit einem geringen Aufwand verbunden und ist somit schnell durchführbar (Döring & Bortz 2016: 305). Dieser Pretest wurde im April 2022 durchgeführt und ergab eine Stichprobengröße von n=328. Anhand des Tests konnten potenzielle Effekte der Frageanordnung sowie die durchschnittliche Dauer der Befragung erfasst werden. Auch Rückschlüsse auf die Verteilung der Variablen konnten dabei gezogen werden (Weichbold 2019: 352f.). Inhaltliche Veränderungen wurden dadurch nicht mehr vorgenommen. Zudem wurde durch die ungleiche Verteilung der Stichprobe im Hinblick auf demographische Angaben wie Alter (65 % der Probanden waren weiblich), Geschlecht (52 % der Befragten waren im Alter von 18–29) sowie Bildungsabschluss (66 % aller Befragten mit abgeschlossenem Studium) auch auf praktischer Ebene deutlich, dass sich diese Art der Erhebungsmethode nicht für die eigentliche Erhebung eignet und die Nutzung eines Online-AccessPanels zwingend notwendig ist, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, mit denen sich Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit ziehen lassen. Die Durchführung der eigentlichen Erhebung wurde mittels des Online-Panels von Splendid Research im Mai 2022 durchgeführt. Die genaue Laufzeit betrug insgesamt 14 Tage und die Stichprobengröße lag am Ende bei n=502. Da alle Personen einen identischen, standardisierten Fragebogen erhalten haben, kann für die vorliegende Untersuchung von einer Durchführungsobjektivität gesprochen werden (Krebs & Menold 2014: 426).
7.3.4 Auswertung Die Auswertung der Befragung wurde mit Hilfe des Programms SPSS durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine gängige und weithin anerkannte Software, die zur Datenauswertung im Forschungsbereich eingesetzt wird (Braunecker 2021: 13). Insbesondere in den Sozialwissenschaften zählt SPSS zu den am häufigsten eingesetzten validen Statistikprogrammen (Steiner & Benesch 2018: 70). Die graphische Darstellung der ausgewerteten Daten als Diagramme erfolgte mit Hilfe von Microsoft Excel, da dieses Programm hier mehr Funktionen und Möglichkeiten einer anschaulichen Darstellung
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terschiedliche Dimensionen der Erhebung optimieren sollen (Weichbold 2019: 23). Ein erster Pretest erfolgte durch eine mündliche Befragung unter Anwesenheit von Interviewer und Probanden mit insgesamt 10 Personen (Laborbedingungen) (ebd.: 23). Dies ermöglicht eine direkte Rückmeldung seitens der Befragten und somit eine Einschätzung der Durchführbarkeit des Fragebogens (Schnell 2019: 124). Hierbei wurden unterschiedliche Methoden eingesetzt: Think-Aloud (Befragte äußern sich zu ihren Gedanken bei der Beantwortung der Frage), Probing (Stellen von Zusatzfragen zum Verständnis von Begriffen und Antwortkategorien) sowie die Analyse der Latenzzeit (Messung der Zeit zwischen Fragestellung und Antwort) (Weichbold 2019: 351). Im Zuge dessen wurden im vorliegenden Fragebogen Frageformulierungen geändert sowie teilweise Antwortmöglichkeiten ergänzt. Auch die Reihenfolge der Fragen konnte dadurch optimiert werden. In einem zweiten Schritt wurde der überarbeitete Fragebogen dann mittels einer Online-Umfrage via Schneeballverfahren über Social Media-Kanäle geteilt und an einer größeren Stichprobe getestet (Feldbedingungen) (Weichbold 2019: 349). Hierbei handelte es sich um ein willkürliches Auswahlverfahren (convenience sample). Diese Form ist mit einem geringen Aufwand verbunden und ist somit schnell durchführbar (Döring & Bortz 2016: 305). Dieser Pretest wurde im April 2022 durchgeführt und ergab eine Stichprobengröße von n=328. Anhand des Tests konnten potenzielle Effekte der Frageanordnung sowie die durchschnittliche Dauer der Befragung erfasst werden. Auch Rückschlüsse auf die Verteilung der Variablen konnten dabei gezogen werden (Weichbold 2019: 352f.). Inhaltliche Veränderungen wurden dadurch nicht mehr vorgenommen. Zudem wurde durch die ungleiche Verteilung der Stichprobe im Hinblick auf demographische Angaben wie Alter (65 % der Probanden waren weiblich), Geschlecht (52 % der Befragten waren im Alter von 18–29) sowie Bildungsabschluss (66 % aller Befragten mit abgeschlossenem Studium) auch auf praktischer Ebene deutlich, dass sich diese Art der Erhebungsmethode nicht für die eigentliche Erhebung eignet und die Nutzung eines Online-AccessPanels zwingend notwendig ist, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, mit denen sich Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit ziehen lassen. Die Durchführung der eigentlichen Erhebung wurde mittels des Online-Panels von Splendid Research im Mai 2022 durchgeführt. Die genaue Laufzeit betrug insgesamt 14 Tage und die Stichprobengröße lag am Ende bei n=502. Da alle Personen einen identischen, standardisierten Fragebogen erhalten haben, kann für die vorliegende Untersuchung von einer Durchführungsobjektivität gesprochen werden (Krebs & Menold 2014: 426).
7.3.4 Auswertung Die Auswertung der Befragung wurde mit Hilfe des Programms SPSS durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine gängige und weithin anerkannte Software, die zur Datenauswertung im Forschungsbereich eingesetzt wird (Braunecker 2021: 13). Insbesondere in den Sozialwissenschaften zählt SPSS zu den am häufigsten eingesetzten validen Statistikprogrammen (Steiner & Benesch 2018: 70). Die graphische Darstellung der ausgewerteten Daten als Diagramme erfolgte mit Hilfe von Microsoft Excel, da dieses Programm hier mehr Funktionen und Möglichkeiten einer anschaulichen Darstellung
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bietet als SPSS. Vor der eigentlichen Datenauswertung erfolgte die Sortierung der Daten in einer Datenmatrix. Dies wurde durch das Umfrageprogramm übernommen und konnte direkt in SPSS importiert werden. Um statistische Berechnungen durchführen zu können, wurden vorab alle schriftlichen Variablen eines Merkmals in eine numerische Form umcodiert (z.B. beim Geschlecht weiblich=1 und männlich=2). Dies erleichtert alle weiteren Berechnungen und ist eine Voraussetzung für statistische Analysen (Lück & Landrock 2019: 459). Zudem wurde eine Datenbereinigung mit SPSS durchgeführt, um mögliche fehlerhafte oder unvollständige Datensätze zu identifizieren und wenn nötig auszuschließen. Die Daten wurden anschließend zunächst deskriptiv ausgewertet. Die deskriptive Statistik dient einer ersten Bündelung und Darstellung der Ergebnisse, um sich einen Überblick über die Daten verschaffen zu können (Mattissek et al. 2013: 98). Dabei wurden die Häufigkeitsverteilungen sowie Merkmalsausprägungen aller Variablen berechnet. Zusätzlich zu den Häufigkeitszählungen wurden statistische Maßzahlen wie Mittelwerte und Streuungsmaße berechnet. Für die Berechnung der Mittelwerte sowie für alle weiteren statistischen Verfahren ist das Skalenniveau der Daten von zentraler Bedeutung. Für alle nominal skalierten Daten wurde der Modus berechnet, da dieser Parameter das geringste Skalenniveau voraussetzt. Für alle ordinal skalierten Daten wurde der Median berechnet, der ein ordinales Niveau voraussetzt. Für alle metrischen Daten wurde das arithmetische Mittel errechnet, welches nur für metrische Daten anwendbar ist (Bamberg et al. 2022: 16; de Lange & Nipper 2018: 74ff.). Im Normalfall wird zur Beschreibung der Dispersion der Werte die Standardabweichung angegeben. Dies erfordert jedoch mindestens Intervallskalenniveau und wurde daher hier nicht berechnet. Für ordinalskalierte Daten lässt sich der Quartilabstand berechnen (Bereich, in dem die mittleren fünfzig Prozent der nach der Höhe geordneten Werte liegen). Doch auch dieses Maß eignet sich besser für intervallskalierte Daten (Schuhmann 2019: 154f.). Es wurde der Vollständigkeit halber dennoch berechnet, da zumindest verbale Angaben zu diesem Wert möglich sind. Für die Dispersion nominal skalierter Daten werden im Normalfall keine Werte berechnet, da man hier höchstens zwischen minimaler und maximaler Streuung differenzieren kann, was in der Praxis jedoch kaum Anwendung findet (ebd.: 156). Neben der Häufigkeitsverteilung wurden auch Zusammenhänge in den Daten analysiert. Für die Berechnung von Zusammenhängen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zunächst wurde hier für alle Merkmale, bei denen ein Zusammenhang erwartet werden könnte, Kreuztabellen (auch Kontingenztabellen genannt) gebildet, die die gemeinsame Verteilung zweier Merkmale im Vergleich darstellen und erste Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zulassen, allerdings keine Aussage über eine Kausalität (de Lange & Nipper 2018: 113ff.; Sibbertsen & Lehne 2021: 92ff.). Daher wurden erweiternd dazu sowohl Kontingenz- als auch Korrelationsanalysen durchgeführt. Wenn eines von zwei verglichenen Merkmalen ein nominales Skalenniveau aufweist, wird der Kontingenzkoeffizient als Zusammenhangsmaß verwendet. Die einfachste Möglichkeit ist hier die Berechnung des Chi-Quadrat-Koeffizienten. Dieser ist jedoch vom Umfang der Stichprobe sowie der Dimension der Kontingenztabelle abhängig und weist daher einige Nachteile auf, die eine Interpretation erschweren (Sibbertsen & Lehne 2021: 103). Aus diesem Grund wurde zusätzlich der korrigierte C-Kontingenzkoeffizient berechnet. Dieser gibt die Stärke der Abhängigkeit zweier Merkmale an und ist aussagekräftiger als der Chi-
291
292
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Quadrat-Koeffizient, da er unabhängig von der Stichprobengröße ist (ebd.: 104f.). Er ermöglicht jedoch ebenso keine Aussagen über die Richtung des Zusammenhangs, sondern lediglich über die Größe des Zusammenhangs (Bamberg et al. 2022: 33). Sein Wertebereich liegt zwischen 0 und 1 (de Lange & Nipper 2018: 120; Sibbertsen & Lehne 2021: 104). Für alle ordinalskalierten Daten wurde der Spearman-Korrelationskoeffizient berechnet. Dieser gibt nicht nur an, ob ein Zusammenhang besteht und wie stark der Zusammenhang ist, sondern auch in welche Richtung er geht. Er wird mit einem Wert von -1 bis 1 angegeben (Bamberg et al. 2022: 35f.; Sibbertsen & Lehne 2021). Um zu testen, ob die gefundene Korrelation in der Stichprobe auch auf die Grundgesamtheit zutrifft (Inferenzstatistik), wurde für alle berechneten Kontingenz- und Korrelationsanalysen zusätzlich ein Signifikanztest durchgeführt. Hierdurch lässt sich prüfen, wie wahrscheinlich (beziehungsweise signifikant) ein gefundener Zusammenhang in der Stichprobe auch in der Grundgesamtheit auftritt, also ob die Korrelation als statistisch signifikant bezeichnet werden kann (Rasch et al. 2021: 95). Hierfür wurde für alle Berechnungen das in der quantitativen Datenanalyse übliche Signifikanzniveau von 5 % festgelegt (Döring & Bortz 2016: 665; Steiner & Benesch 2018: 116f.). Da hier nichtparametrische Daten vorliegen, kommen nur der Mann-Whitney-U-Test und der KruskalWallis-H-Test in Frage. Ersterer vergleicht zwei unabhängige Stichproben, deren Daten ordinal skaliert sind. Der Kruskal-Wallis-H-Test findet Anwendung, wenn mehr als zwei unabhängige Stichproben miteinander verglichen werden sollen (Rasch et al. 2021: 107ff.). Liegt der p-Wert unter 0,05, liegt eine Signifikanz vor. Die detaillierte Darstellung der Datenaufbereitung sowie den angewendeten statistischen Verfahren in diesem Kapitel erfüllt das Gütekriterium der Auswertungsobjektivität (Krebs & Menold 2014: 427). Um das Gütekriterium der Reliabilität zu überprüfen, wurde der Cronbachs-Alpha-Koeffizient für alle Antwortskalen berechnet. Dieser Koeffizient stellt ein »Maß für die interne Konsistenz der Antworten auf die zur Einstellungsmessung verwendeten Items« dar (ebd.: 430). Der Wert liegt zwischen 0 und 1, wobei erst ab einem Wert von 0,80 von Reliabilität gesprochen werden kann (ebd.). Die gängige Form der graphischen Darstellung von Häufigkeitsverteilungen für nominal- oder ordinalskalierte Daten sind Rechteckdiagramme (oder auch Balkendiagramm genannt) (Steiner & Benesch 2018: 93). Die Reihenfolge der Rechtecke oder Balken ist dabei für nominal skalierte Daten irrelevant. Bei ordinal skalierten Daten sollte die Reihenfolge an die Skala angepasst werden (z.B. von sehr viel bis gar nicht viel). Die gewählten Abstände zwischen den Säulen spielen bei beiden keine Rolle, ebenso wie die Säulenbreite (Schuhmann 2019: 159ff.). Für die vorliegende Auswertung wurden Balkendiagramme als eine Form von Rechteckdiagrammen verwendet.
7.3.5 Datengrundlage Wie bereits beschrieben besitzt die vorliegende Stichprobe eine Größe von n=502. Unter Voraussetzung einer tolerierten Fehlergröße von e=0,05 (Schätzung soll auf fünf Prozentpunkte genau sein) bei einer angenommenen Grundgesamtheit von >100.000 Personen sowie unter der Annahme des ungünstigen Falls für den Anteil der interessierenden Merkmale in der Stichprobe (p=0,5), lässt sich ein minimal erforderlicher Stichprobenumfang von n=383 berechnen (Häder & Häder 2014: 338f.). Aus diesem Grund wur-
292
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Quadrat-Koeffizient, da er unabhängig von der Stichprobengröße ist (ebd.: 104f.). Er ermöglicht jedoch ebenso keine Aussagen über die Richtung des Zusammenhangs, sondern lediglich über die Größe des Zusammenhangs (Bamberg et al. 2022: 33). Sein Wertebereich liegt zwischen 0 und 1 (de Lange & Nipper 2018: 120; Sibbertsen & Lehne 2021: 104). Für alle ordinalskalierten Daten wurde der Spearman-Korrelationskoeffizient berechnet. Dieser gibt nicht nur an, ob ein Zusammenhang besteht und wie stark der Zusammenhang ist, sondern auch in welche Richtung er geht. Er wird mit einem Wert von -1 bis 1 angegeben (Bamberg et al. 2022: 35f.; Sibbertsen & Lehne 2021). Um zu testen, ob die gefundene Korrelation in der Stichprobe auch auf die Grundgesamtheit zutrifft (Inferenzstatistik), wurde für alle berechneten Kontingenz- und Korrelationsanalysen zusätzlich ein Signifikanztest durchgeführt. Hierdurch lässt sich prüfen, wie wahrscheinlich (beziehungsweise signifikant) ein gefundener Zusammenhang in der Stichprobe auch in der Grundgesamtheit auftritt, also ob die Korrelation als statistisch signifikant bezeichnet werden kann (Rasch et al. 2021: 95). Hierfür wurde für alle Berechnungen das in der quantitativen Datenanalyse übliche Signifikanzniveau von 5 % festgelegt (Döring & Bortz 2016: 665; Steiner & Benesch 2018: 116f.). Da hier nichtparametrische Daten vorliegen, kommen nur der Mann-Whitney-U-Test und der KruskalWallis-H-Test in Frage. Ersterer vergleicht zwei unabhängige Stichproben, deren Daten ordinal skaliert sind. Der Kruskal-Wallis-H-Test findet Anwendung, wenn mehr als zwei unabhängige Stichproben miteinander verglichen werden sollen (Rasch et al. 2021: 107ff.). Liegt der p-Wert unter 0,05, liegt eine Signifikanz vor. Die detaillierte Darstellung der Datenaufbereitung sowie den angewendeten statistischen Verfahren in diesem Kapitel erfüllt das Gütekriterium der Auswertungsobjektivität (Krebs & Menold 2014: 427). Um das Gütekriterium der Reliabilität zu überprüfen, wurde der Cronbachs-Alpha-Koeffizient für alle Antwortskalen berechnet. Dieser Koeffizient stellt ein »Maß für die interne Konsistenz der Antworten auf die zur Einstellungsmessung verwendeten Items« dar (ebd.: 430). Der Wert liegt zwischen 0 und 1, wobei erst ab einem Wert von 0,80 von Reliabilität gesprochen werden kann (ebd.). Die gängige Form der graphischen Darstellung von Häufigkeitsverteilungen für nominal- oder ordinalskalierte Daten sind Rechteckdiagramme (oder auch Balkendiagramm genannt) (Steiner & Benesch 2018: 93). Die Reihenfolge der Rechtecke oder Balken ist dabei für nominal skalierte Daten irrelevant. Bei ordinal skalierten Daten sollte die Reihenfolge an die Skala angepasst werden (z.B. von sehr viel bis gar nicht viel). Die gewählten Abstände zwischen den Säulen spielen bei beiden keine Rolle, ebenso wie die Säulenbreite (Schuhmann 2019: 159ff.). Für die vorliegende Auswertung wurden Balkendiagramme als eine Form von Rechteckdiagrammen verwendet.
7.3.5 Datengrundlage Wie bereits beschrieben besitzt die vorliegende Stichprobe eine Größe von n=502. Unter Voraussetzung einer tolerierten Fehlergröße von e=0,05 (Schätzung soll auf fünf Prozentpunkte genau sein) bei einer angenommenen Grundgesamtheit von >100.000 Personen sowie unter der Annahme des ungünstigen Falls für den Anteil der interessierenden Merkmale in der Stichprobe (p=0,5), lässt sich ein minimal erforderlicher Stichprobenumfang von n=383 berechnen (Häder & Häder 2014: 338f.). Aus diesem Grund wur-
7 Methodik
de die erforderliche Stichprobengröße auf ein Minimum von n=500 gesetzt. Sie erfüllt somit die Voraussetzungen hinsichtlich des Stichprobenumfangs. Im Hinblick auf die Demographie der Stichprobe lässt sich sagen, dass 59 % aller Befragten weiblichen Geschlechts sind und 41 % männlich. Abbildung 35 zeigt die Altersstruktur der Stichprobe. Die hier vorliegende Altersverteilung weist im Vergleich zur Altersstruktur Deutschlands sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Die Altersgruppen zwischen 30 und 60 sind im Vergleich bezüglich ihrer Anteile fast deckungsgleich (30–39: 24 %; 40–49: 23 % und 50–59: 30 %). Lediglich die Altersgruppen 18–29 sowie 60–69 sind im Vergleich leicht unterrepräsentiert (20–29: 22 %; 60–69: 23 %) (BPB 2020). Insbesondere zwischen den drei Altersgruppen 30–39, 40–49 und 50–59 lassen sich aufgrund der gleichen Verteilung somit auch Vergleichsanalysen bezüglich der Ergebnisse herstellen. Abbildung 36 zeigt die Verteilung der Stichprobe hinsichtlich des Bildungsabschlusses.
Abbildung 30: Altersstruktur der Stichprobe
Eigene Darstellung & Daten
Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung als höchstem Bildungsabschluss bilden mit 37 % die Mehrheit. Personen, die einen Schulabschluss als höchsten Bildungsabschluss besitzen sind mit 35 % vertreten. Personen die ein abgeschlossenes Studium oder einen vergleichbaren Abschluss (Meister/Techniker) besitzen sind mit 27 % vertreten. Diese drei Gruppen sind von ihrem Anteil her fast gleichwertig vertreten und lassen sich daher auch bezüglich ihrer spezifischen Antworten vergleichen. Abbildung 37 zeigt das aktuelle Berufsfeld der Befragten.
293
294
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 31: Verteilung der Stichprobe nach Bildungsabschluss
Eigene Darstellung & Daten
Abbildung 32: Aktuelles Berufsfeld der Befragten
Eigene Darstellung & Daten
Die Verteilung auf die verschiedenen Berufsfelder ist hierbei als sehr heterogen zu beschreiben. Das Gesundheits- und Sozialwesen ist mit 12 % bei den Befragten am häufigsten als Berufsfeld vertreten. Wissenschaft, Energieversorgung und Hausfrau/mann sind mit 1 % am geringsten vertreten. Bezüglich der räumlichen Verteilung der Stichprobe zeigt sich ein einheitliches Bild.
7 Methodik
Abbildung 33: Räumliche Verteilung der Stichprobe nach PLZ-Gebieten
Eigene Darstellung, Kartenmaterial vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie
295
296
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Dabei wurden die angegebenen Postleitzahlen nach den offiziellen 10 PLZ-Gebieten in Deutschland sortiert und zusammengefasst. Es lässt sich erkennen, dass alle PLZ-Gebiete mit einem ähnlichen Prozentanteil vorhanden sind (Abbildung 38). Dies ermöglicht die Analyse raumbezogener Unterschiede in den Ergebnissen. Alle hier einzeln beschriebenen demographischen Daten wurden auch mittels Kreuztabellen in Kombination untereinander ausgewertet. Nachfolgend finden sich die Tabellen für die Auswertung nach Geschlecht, Alter, höchstem Bildungsabschluss und Wohnort im Hinblick auf deren Verteilung zu den jeweils anderen Variablen.14 Die Tabellen 13–15 zeigen die Geschlechterverteilung nach Bildungsabschluss, Alter und Wohnort. Die größten Unterschiede in der Häufigkeitsverteilung sind in Grau hervorgehoben.
Tabelle 14: Kreuztabelle für Geschlecht und höchstem Bildungsabschluss Schulabschluss
abgeschlossene Ausbildung
abgeschlossenes Studium
männlich
35 %
35 %
30 %
weiblich
37 %
38 %
25 %
Gesamtanteil Bildungsabschluss
35 %
37 %
28 %
Geschlecht
Eigene Darstellung
Tabelle 15: Kreuztabelle für Geschlecht und Altersgruppen Geschlecht
18–29
30–39
40–49
50–59
60–69
Männlich
7 %
22 %
25 %
30 %
15 %
Weiblich
13 %
24 %
24 %
26 %
14 %
Gesamtanteil Altersgruppe
11 %
23 %
24 %
28 %
14 %
Eigene Darstellung
Für die Variable Geschlecht lassen sich keine großen Auffälligkeiten feststellen. Im Hinblick auf den höchsten Bildungsabschluss fällt auf, dass der Anteil der Frauen, die eine abgeschlossene Ausbildung haben (38 %) oder einen Schulabschluss als höchstem Bildungsabschluss (37 %) deutlich höher ausfällt als der Anteil der Frauen mit einem abgeschlossenen Studium (25 %). Bein den Männern ist diese Verteilung ausgeglichen. Signifikante Unterschiede zum Gesamtanteil der Bildungsabschlüsse in der Stichprobe lassen 14
Aufgrund der hohen Datenmenge beschränken sich die Beschreibungen der Tabellen auf die Auffälligkeiten in den Häufigkeitsverteilungen. Die grundlegenden Verteilungen sind in den Tabellen ersichtlich.
7 Methodik
sich hier nicht finden. Gleiches gilt für die Geschlechtsverteilung nach Alter. Hier weisen lediglich bei den 18–29-jährigen die Personen männlichen Geschlechts einen geringeren Anteil auf als bei den Personen weiblichen Geschlechts sowie auch im Vergleich mit dem Gesamtanteil der 18–29-jährigen. Alle anderen Altersverteilungen weisen keine Unterschiede auf. Bezüglich der Geschlechterverteilung nach Wohnort lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen. Der C-Kontingenzkoeffizient weist für die Korrelation von Geschlecht und Bildungsabschluss, für Geschlecht und Alter und für Geschlecht und Wohnort keine signifikanten Zusammenhänge auf.
Tabelle 16: Kreuztabelle Geschlecht und Wohnort Geschlecht
PLZ0
PLZ1
PLZ2
PLZ3
PLZ4
PLZ5
PLZ6
PLZ7
PLZ8
PLZ9
Männlich
7 %
8 %
12 %
10 %
12 %
10 %
10 %
10 %
9 %
10 %
Weiblich
9 %
11 %
12 %
12 %
10 %
10 %
8 %
9 %
10 %
10 %
Gesamtanteil Wohnort
8 %
10 %
12 %
11 %
11 %
10 %
9 %
9 %
10 %
10 %
Eigene Darstellung
Für das Merkmal Alter (Abbildungen 16–18) lassen sich einige wenige Auffälligkeiten feststellen. So ist der Anteil der 18–29-Jährigen, die weiblich sind (72 %), deutlich höher als die männlichen Personen (28 %) und ebenfalls deutlich höher als der Gesamtanteil (59 %). Alle anderen Altersverteilungen nach Geschlecht sind gleich und entsprechen ebenfalls der Gesamtverteilung in der Stichprobe. Hinsichtlich des Schulabschlusses ist der Anteil der 18–29-Jährigen, die den Schulabschluss als höchsten Bildungsabschluss angegeben haben mit 47 % deutlich höher als in den anderen Altersstufen, die ausgeglichen sind. Auch zum Gesamtanteil (35 %) fällt der Wert hier signifikant höher aus.
Tabelle 17: Kreuztabelle Alter und Geschlecht Alter
Männlich
Weiblich
18–29
28 %
72 %
30–39
39 %
61 %
40–49
42 %
58 %
50–59
44 %
56 %
60–69
43 %
57 %
Gesamtanteil nach Geschlecht
41 %
59 %
Eigene Darstellung
297
298
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 18: Kreuztabelle Alter und Bildungsabschluss Alter
Schulabschluss
abgeschlossene Ausbildung
abgeschlossenes Studium
18–29
47 %
28 %
25 %
30–39
37 %
34 %
29 %
40–49
31 %
40 %
29 %
50–59
35 %
43 %
22 %
60–69
35 %
31 %
35 %
Gesamtanteil nach Bildungsabschluss
35 %
37 %
28 %
Eigene Darstellung
Tabelle 19: Kreuztabelle Alter und Wohnort Alter
PLZ0
PLZ1
PLZ2
PLZ3
PLZ4
PLZ5
PLZ6
PLZ7
PLZ8
PLZ9
18–29
4 %
9 %
17 %
8 %
7 %
17 %
11 %
2 %
15 %
9 %
30–39
11 %
7 %
10 %
13 %
13 %
8 %
9 %
13 %
10 %
8 %
40–49
10 %
10 %
12 %
9 %
12 %
8 %
9 %
10 %
11 %
9 %
50–59
6 %
12 %
12 %
12 %
13 %
10 %
7 %
10 %
7 %
12 %
60–69
6 %
11 %
14 %
13 %
8 %
11 %
11 %
7 %
10 %
10 %
Gesamtanteil Wohnort
8 %
10 %
12 %
11 %
10 %
10 %
9 %
9 %
10 %
10 %
Eigene Darstellung
Der Anteil der 18–29-Jährigen mit einer abgeschlossenen Ausbildung ist hingegen deutlich niedriger als in den anderen Altersgruppen ebenso wie im Hinblick auf den Gesamtanteil. Bei den 40–49-Jährigen sind die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung mit 40 % um mindestens 10 % häufiger vertreten als die Personen mit Schulabschluss oder abgeschlossenem Studium. Im Gesamtvergleich (37 %) sind hier keine signifikanten Unterschiede zu erkennen. Eine weitere Auffälligkeit findet sich bei den 50–59Jährigen. Hier sind die Personen mit abgeschlossenem Studium deutlich geringer vertreten (22 %) als mit einem Schulabschluss (35 %) oder einer abgeschlossenen Ausbildung (43 %). Sowohl im Vergleich zu den anderen Altersgruppen als auch im Hinblick auf den Gesamtanteil (28 %) fällt dieser Wert deutlich niedriger aus. Die Altersgruppe der 60–69Jährigen weist im Vergleich zu den anderen Altersgruppen mit 35 % den höchsten Anteil an Personen mit abgeschlossenem Studium auf. Auch im Vergleich zum Gesamtanteil (28 %) ist dieser Wert höher. Bezüglich der Verteilung der Altersgruppen nach Wohnort finden sich nur wenige Auffälligkeiten, die sich fast alle auf die Altersgruppe der 18–29Jährigen beziehen. Diese sind in PLZ 0, 4 sowie 7 sowohl im Vergleich zur Verteilung mit den anderen PLZ-Gebieten deutlich geringer vertreten als auch im Vergleich zu den
7 Methodik
anderen Gruppen ebenso wie im Hinblick auf den Gesamtanteil. In PLZ 2, 5 und 8 hingegen sind sie deutlich häufiger vertreten als die anderen Altersgruppen ebenso wie auch im Gesamtvergleich. Alle anderen Altersgruppen weisen keine großen Auffälligkeiten im Hinblick auf die Wohnortverteilung auf. Der C-Kontingenzkoeffizient weist jedoch für die Korrelation von Alter und Geschlecht, Alter und Bildungsabschluss und für Alter und Wohnort keine signifikanten Zusammenhänge auf.
Tabelle 20: Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Geschlecht Bildungsabschluss
männlich
weiblich
Schulabschluss
40 %
60 %
abgeschlossene Ausbildung
38 %
62 %
abgeschlossenes Studium
45 %
55 %
Gesamtanteil Geschlecht
41 %
59 %
Eigene Darstellung
Tabelle 21: Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Alter Bildungsabschluss
18–29
30–39
40–49
50–59
60–69
Schulabschluss
14 %
24 %
21 %
27 %
14 %
abgeschlossene Ausbildung
8 %
21 %
27 %
32 %
12 %
abgeschlossenes Studium
10 %
25 %
26 %
22 %
18 %
Gesamtanteil Alter
11 %
23 %
24 %
28 %
14 %
Eigene Darstellung
Tabelle 22: Kreuztabelle höchster Bildungsabschluss und Wohnort Bildungsabschluss
PLZ1
PLZ2
PLZ3
PLZ4
PLZ5
PLZ6
PLZ7
PLZ8
PLZ9
PLZ10
Schulabschluss
7 %
9 %
13 %
9 %
11 %
10 %
11 %
14 %
10 %
7 %
abgeschlossene Ausbildung
12 %
9 %
12 %
12 %
11 %
10 %
8 %
5 %
9 %
10 %
abgeschlossenes Studium
3 %
12 %
10 %
12 %
12 %
11 %
7 %
10 %
10 %
13 %
Gesamtanteil Wohnort
8 %
10 %
12 %
11 %
11 %
10 %
9 %
9 %
10 %
10 %
Eigene Darstellung
299
300
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Im Hinblick auf das Merkmal des höchsten Bildungsabschlusses (Tabelle 19–21) lassen sich ebenfalls kaum Auffälligkeiten in der Häufigkeitsverteilung finden. So decken sich fast alle Verteilungen mit dem Gesamtanteil der Altersverteilungen. Einzig bei den Personen mit einem abgeschlossenen Studium sind die 50–59-Jährigen geringer vertreten (22 %) als im Gesamtanteil (28 %). Alle anderen Verteilungen unterscheiden sich sowohl zum Gesamtanteil als auch im Gruppenvergleich nicht signifikant. Bei der Bildungsabschlussverteilung nach Wohnort fällt auf, dass die meisten Menschen mit einem Schulabschluss im PLZ7-Gebiet wohnen (14 %). Dieser Wert ist sowohl im Vergleich zu den anderen Bildungsabschlüssen als auch zum Gesamtanteil (9 %) höher. Von den Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung hingegen wohnen die wenigsten im PLZ7Gebiet auch im Vergleich zum Gesamtanteil und zu den anderen Gruppen. Bei den Personen mit einem abgeschlossenen Studium fällt auf, dass diese mit 3 % am wenigsten im PLZ0-Gebiet zu finden sind. Auch im Vergleich zu den anderen Gruppen sowie zum Gesamtanteil fällt dieser Wert deutlich geringer aus. Alle anderen Verteilungen zeigen keine signifikanten Abweichungen. Der C-Kontingenzkoeffizient weist für die Korrelation von Bildungsabschluss und Geschlecht, Bildungsabschluss und für Bildungsabschluss und Wohnort ebenfalls keine signifikanten Zusammenhänge auf. Ein Blick auf die Wohnortverteilung nach Geschlecht (Tabelle 22) zeigt, dass die Anzahl weiblicher Personen (67 %) in den Gebieten PLZ 0 und 1 deutlich höher ist als die der Männer (33 %), auch im Vergleich zum Gesamtanteil (59 % zu 41 %). Im PLZ6-Gebiet ist dafür der Anteil der Männer (48 %) höher als im Vergleich zum Gesamtanteil (41 %) und dementsprechend fast ausgeglichen zum Frauenanteil (52 % statt 59 %). Alle anderen Verteilungen weisen keine Auffälligkeiten auf. Bei der Wohnortverteilung nach Alter (Tabelle 23) liegt der kleinste Anteil der Personen im PLZ0-Gebiet bei den 18–29Jährigen (5 %). Dies weicht auch stark vom Gesamtanteil ab (11 %). Die 30–39-Jährigen sowie die 40–49-Jährigen sind dafür dort deutlich stärker vertreten als im Gesamtanteil. Die 50–59-jährigen wiederum deutlich geringer. Im PLZ1-Gebiet sind die Verteilungen nur bei den 30–39-Jährigen abweichend, die im Vergleich zum Gesamtanteil hier geringer vertreten sind. Im PLZ5-Gebiet sind die 18–29-Jährigen häufiger vertreten als im Gesamtanteil und im PLZ6-Gebiet sind die 50–59-Jährigen geringer anzufinden als im Gesamtanteil. Starke Abweichungen zeigen sich im PLZ7-Gebiet. Hier sind die 18–29Jährigen mit 2 % am geringsten vertreten auch im Vergleich zu den anderen PLZ-Gebieten sowie im Hinblick auf den Gesamtanteil. Die 30–39-Jährigen sind hier dafür signifikant häufiger vertreten. Im Gebiet PLZ8 sind die 18–29-Jährigen häufiger vertreten als im Gesamtanteil und die 50–59-Jährigen deutlich weniger. Die meisten Personen im PLZ9-Gebiet sind 50–59-Jährige. Dieser Wert ist sowohl im Gruppenvergleich als auch zum Gesamtanteil gesehen deutlich höher.
7 Methodik
Tabelle 23: Kreuztabelle Wohnort und Geschlecht Wohnort
männlich
weiblich
PLZ0
33 %
67 %
PLZ1
33 %
67 %
PLZ2
40 %
60 %
PLZ3
38 %
62 %
PLZ4
44 %
56 %
PLZ5
41 %
59 %
PLZ6
48 %
52 %
PLZ7
45 %
55 %
PLZ8
40 %
60 %
PLZ9
41 %
59 %
Gesamtanteil Geschlecht
41 %
59 %
Eigene Darstellung
Tabelle 24: Kreuztabelle Wohnort und Alter Wohnort
18–29
30–39
PLZ0
5 %
33 %
PLZ1
10 %
16 %
PLZ2
15 %
18 %
PLZ3
7 %
27 %
PLZ4
7 %
26 %
PLZ5
18 %
18 %
PLZ6
14 %
23 %
40–49
50–59
60–69
31 %
21 %
10 %
25 %
33 %
16 %
23 %
27 %
17 %
20 %
30 %
16 %
25 %
32 %
10 %
20 %
27 %
15 %
25 %
20 %
18 %
PLZ7
2 %
32 %
25 %
30 %
11 %
PLZ8
17 %
23 %
27 %
19 %
15 %
PLZ9
10 %
18 %
22 %
35 %
14 %
Gesamtanteil Alter
11 %
23 %
24 %
28 %
14 %
Eigene Darstellung
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302
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 25: Kreuztabelle Wohnort und höchster Bildungsabschluss Schulabschluss
abgeschlossene Ausbildung
abgeschlossenes Studium
PLZ0
31 %
59 %
10 %
PLZ1
33 %
35 %
33 %
PLZ2
40 %
37 %
23 %
PLZ3
29 %
41 %
30 %
PLZ4
33 %
37 %
30 %
PLZ5
33 %
37 %
30 %
PLZ6
45 %
34 %
21 %
Wohnort
PLZ7
53 %
19 %
28 %
PLZ8
35 %
35 %
30 %
PLZ9
24 %
39 %
37 %
Gesamtanteil Bildungsabschluss
35 %
37 %
28 %
Eigene Darstellung
Auch im Hinblick auf die Wohnortverteilung nach Bildungsabschluss sind einige Auffälligkeiten zu erkennen. So sind im PLZ0-Gebiet die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung mit 59 % überdurchschnittlich häufig vertreten auch im Vergleich zu den anderen Wohngebieten und zum Gesamtanteil (37 %). Die Personen mit einem abgeschlossenen Studium hingegen sind hier deutlich seltener zu finden (10 %) auch im Vergleich zu den anderen Gebieten und insbesondere im Hinblick auf den Gesamtanteil (28 %). Im PLZ-Gebiet 6 sind die Personen mit einem Schulabschluss am häufigsten vertreten. Dieser Wert ist im Vergleich zu den anderen Gruppen als auch zum Gesamtanteil höher. Die Personen mit einem abgeschlossenen Studium sind dafür in allen Vergleichen hier weniger vorzufinden. Im PLZ7-Gebiet findet sich mit 53 % der höchste Anteil 18–29-Jähriger sowohl im Vergleich zu den anderen Wohngebieten als auch zum Gesamtanteil (35 %). Gleichzeitig sind hier die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung in allen Vergleichen am wenigsten vertreten. Die letzte Auffälligkeit findet sich im PLZ-Gebiet 9. Hier sind die Personen mit Schulabschluss deutlich weniger zu finden als im Vergleich zum Gesamtanteil und die Personen mit abgeschlossenem Studium dafür signifikant häufiger. Der C-Kontingenzkoeffizient weist jedoch erneut für die Korrelation von Wohnort und Geschlecht, Wohnort und Alter sowie für Wohnort und Bildungsabschluss keine statistisch signifikanten Zusammenhänge auf. Ob die vorliegende Stichprobe als global-repräsentativ, also in allen Merkmalen mit der Grundgesamtheit übereinstimmend (Döring & Bortz 2016: 299), charakterisiert werden kann, lässt sich nicht gesichert sagen, da wie bereits erwähnt das Auswahlverfahren des zugrundeliegenden Panels nicht transparent ist. Vergleicht man die Zusammensetzung der Stichprobe hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Alter, höchster Bildungsabschluss sowie Wohnort mit den Daten der Grundgesamtheit (deutsche Bevölkerung
7 Methodik
mit einem abgeschlossenen Bildungsweg) so kann die vorliegende Stichprobe jedoch zumindest als merkmalsspezifisch-repräsentativ charakterisiert werden, da sie in einigen Merkmalen übereinstimmt (Döring & Bortz 2016: 298). So ist die Geschlechterverteilung fast ausgeglichen, die Altersstruktur entspricht bei den 30–60-Jährigen der Grundgesamtheit, ebenso wie die Anteile der Bildungsabschlüsse ähnlich verteilt sind.15 Dennoch sollten Rückschlüsse aus der Stichprobe auf die Grundgesamtheit mit Vorsicht getroffen werden und eher als tendenzielle Hypothesen und weniger als konkret abgesicherte Aussagen verstanden werden. Dies ist jedoch bei explorativen Studien wie der vorliegenden der Normalfall (Döring & Bortz 2016: 297). Für die Ergebnisauswertung lässt sich konstatieren, dass die vorliegende Datengrundlage aufgrund der Verteilung geschlechtsspezifische, altersspezifische, bildungsspezifische sowie raumbezogene Analysen der Ergebnisse zulässt, die aus diesem Grund bei der Auswertung auch vorgenommen worden sind. Die Berechnung des CronbachsAlpha-Koeffizienten hat für alle Skalen des Fragebogens einen Wert zwischen 0,80 und 0.90 ergeben, sodass dadurch zudem die Reliabilität des Erhebungsinstruments bestätigt werden kann. Dem Gütekriterium der Validität wurde Rechnung getragen durch die Durchführung von Signifikanztests sowie der Berechnung von Effektgrößen für gefundene Korrelationen. Dadurch ist eine statistische Validität sowie eine praktische Relevanz der Erhebung gewährleistet (Krebs & Menold 2014: 501f.). Die detaillierten Ergebnisse der Befragung sowie aller Zusammenhangsanalysen und inferenzstatistischen Berechnungen folgen in Kapitel 9.
15
Alle Berechnungen wurden mit den Daten aus der Datenbank Genesis-Online des statistischen Bundesamtes durchgeführt. Abrufbar unter: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online
303
8 Ergebnisse Methodik I
8.1
Allgemeine Ergebnisse
Nachfolgend werden die Ergebnisse der qualitativen Experteninterviews ausführlich dargelegt. Die Aufteilung erfolgt zunächst in einen allgemeinen Ergebnisteil, in dem übergeordnet die Ergebnisse aller Interviews entlang des Interviewleitfadens und des Kategoriensystems in Themenblöcke aufgeteilt beschrieben werden. Anschließend werden in einem vergleichenden Ergebnisteil Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Expert*innen und deren thematischen Hintergründen aufgezeigt.
8.1.1
Definition von Wissen & Wissensarten
Der erste Fragenblock der Interviews richtete sich allgemein an das Thema Wissen sowie die Bedeutung von Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation. Bei der Frage nach einer allgemeinen Definition des Wissensbegriffs durch die Expert*innen zeigt sich ein durchaus heterogenes Ergebnis. Dennoch lassen sich die genannten Definitionen thematisch kategorisieren. Abb. 39 zeigt für einen ersten Überblick die gebildeten Kategorien für die Wissensdefinitionen der Expert*innen in Verbindung mit der Häufigkeit der Nennungen. Hier zeigt sich die Vielfalt der genannten Definitionsversuche des Wissensbegriffs. Die am häufigsten auftauchenden Definitionsversuche lassen sich übergeordnet mit »Wissen als methodisch gesicherte Information« kategorisieren. Wissen wird hier von den Expert*innen definiert als »(…) die bestmögliche Information, die aktuell mit den besten und objektivsten Methoden verfügbar gemacht werden kann« (IPP3, Z.5-7). Zentrale Elemente dieses Wissensverständnisses, die in den Interviews genannt werden, sind somit die Überprüfbarkeit von Wissen sowie die Generierung von Wissen durch wissenschaftlich abgesicherte Methoden, aus denen sich ein faktenbasiertes Wissen ergibt: »Wissen basiert auf Fakten, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen (…).« (IPP10, Z.5). Ein weiteres mehrfach genanntes Wissensverständnis lässt sich mit »Wissen als Form von Erkenntnis« kategorisieren.
8 Ergebnisse Methodik I
8.1
Allgemeine Ergebnisse
Nachfolgend werden die Ergebnisse der qualitativen Experteninterviews ausführlich dargelegt. Die Aufteilung erfolgt zunächst in einen allgemeinen Ergebnisteil, in dem übergeordnet die Ergebnisse aller Interviews entlang des Interviewleitfadens und des Kategoriensystems in Themenblöcke aufgeteilt beschrieben werden. Anschließend werden in einem vergleichenden Ergebnisteil Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Expert*innen und deren thematischen Hintergründen aufgezeigt.
8.1.1
Definition von Wissen & Wissensarten
Der erste Fragenblock der Interviews richtete sich allgemein an das Thema Wissen sowie die Bedeutung von Wissen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation. Bei der Frage nach einer allgemeinen Definition des Wissensbegriffs durch die Expert*innen zeigt sich ein durchaus heterogenes Ergebnis. Dennoch lassen sich die genannten Definitionen thematisch kategorisieren. Abb. 39 zeigt für einen ersten Überblick die gebildeten Kategorien für die Wissensdefinitionen der Expert*innen in Verbindung mit der Häufigkeit der Nennungen. Hier zeigt sich die Vielfalt der genannten Definitionsversuche des Wissensbegriffs. Die am häufigsten auftauchenden Definitionsversuche lassen sich übergeordnet mit »Wissen als methodisch gesicherte Information« kategorisieren. Wissen wird hier von den Expert*innen definiert als »(…) die bestmögliche Information, die aktuell mit den besten und objektivsten Methoden verfügbar gemacht werden kann« (IPP3, Z.5-7). Zentrale Elemente dieses Wissensverständnisses, die in den Interviews genannt werden, sind somit die Überprüfbarkeit von Wissen sowie die Generierung von Wissen durch wissenschaftlich abgesicherte Methoden, aus denen sich ein faktenbasiertes Wissen ergibt: »Wissen basiert auf Fakten, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen (…).« (IPP10, Z.5). Ein weiteres mehrfach genanntes Wissensverständnis lässt sich mit »Wissen als Form von Erkenntnis« kategorisieren.
306
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Wissen würde ich sagen sind Kenntnisse. Kenntnisse des Alltags und der Umwelt. Dazu gehören dann gezielt erlernte oder einstudierte Routinen, aber auch welche, die wir implizit automatisch aufnehmen, die wir einfach im Rahmen unserer Sozialisation erlernen, also auch Fertigkeiten würde ich auch dazu zählen« (IPM7, Z. 4–7)
Abbildung 34: Kategorisierte Wissensdefinitionen der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Dieses Wissensverständnis bezieht neben wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen auch alltäglich erworbenes Wissen ein, welches unbewusst aufgenommen wird. Wissen wird hier verstanden als »Erkenntnisgewinn« (IPP5, Z.19) und als »(…) Kenntnis über wesentliche Dinge im Leben (…) (IPH8, Z. 6–7). Am dritthäufigsten taucht das Verständnis von »Wissen als Fähigkeit zu Handeln« auf. Wissen wird hier verstanden als »Capacity for Action« (IPH4, Z. 4). In diesem Verständnis ist Wissen an Handlung geknüpft und wird demnach als »Fähigkeit zu Handeln« (IPH13, Z.5) definiert. »Wissen ist dann erreicht, wenn die handlungswollenden Personen sich sicher sind, dass das Handeln ganz bestimmte Konsequenzen, nach Möglichkeit keine negativen Konsequenzen, für sie hat.« (IPH13, Z.5-8) Weitere von mehreren Expert*innen genannte Wissensdefinitionen lassen sich kategorisieren als Wissen durch gesellschaftliche Produktion & Akzeptanz, Wissen durch Bildung und Erfahrung sowie Wissen als Veränderbarer Prozess und Wissen als Information mit Kontext. Ersteres Verständnis hebt das Element der gesellschaftlichen Produktion und auch Akzeptanz als Element von Wissen hervor. Wissen wird hier definiert als »gesellschaftlich produzierte und gesellschaftlich akzeptierte Wahrheiten« (IPH6, Z. 8–9). Wissen bekommt somit erst seine Gültigkeit, wenn es gesellschaftlich produziert und als wahr akzeptiert wird. Für drei Expert*innen entsteht Wissen durch Bildung und Erfahrung: »Wissen setzt sich zusammen aus der Gleichung Bildung plus Erfahrung oder Erfahrung plus Bildung« (IPH2, Z.4-5). Hier sind Erfahrung und Bildung gleichwertige konstituierende Elemente von Wissen. Drei andere Expert*innen stellen wiederum die Prozesshaftigkeit von Wissen in den Vordergrund ihres Wissensverständnisses.
8 Ergebnisse Methodik I
»Was für mich Wissen auch ausmacht ist, dass es immer fluide ist, es ist immer ein Prozess. Es gibt eigentlich keine Stagnation. Egal was wir tun, das Wissen verändert sich immer, aber auch da eben bewusst oder unbewusst« (IPM6, Z.14-17) Wissen wird hier verstanden als ein Lernprozess, der dauerhaft besteht und Veränderungen unterliegt: »Wissen wird erworben und immer wieder neu gemacht und erworben« (IPH11, Z. 69–70). Eine weitere von drei Expert*innen genannte Definition versteht Wissen immer in Verbindung mit Kontext. »Wissen ist Information, die im Kontext anwendbar ist und sich auf einen bestimmten Kontext bezieht.« (IPH1, Z.10-11). Wissen wird hier in allen Fällen als kontextabhängig verstanden. Neben diesen mehrfach auftauchenden Wissensdefinitionen wurden von den Expert*innen auch zahlreiche Einzeldefinitionen genannt, die nur einmal auftauchen und sich keiner Kategorie zuordnen lassen. Exemplarisch seien hier einige davon aufgeführt: »Wissen ist (…) letztendlich das, was das Menschsein ausmacht gegenüber von anderen Lebewesen auf der Welt und dadurch ist es letztendlich auch auf eine gewisse Art und Weise der Filter oder der Kanal zwischen uns und unserer Umwelt« (IPH7, Z.4-7) »(…) was ich wahrnehme, wenn ich so in der Zeitreihe mir angucke die Entwicklung des Bildungsbegriffs und des Wissensbegriffs, dass in der Ökonomisierung unserer Lebenswelten der Wissensbegriff im Prinzip häufig auch Bildung als Ware meint« (IPH7, Z. 21–24) »Wissen heißt für mich eigentlich ein komplexeres Verständnis von Zusammenhängen oder auch die Möglichkeit, Informationen zu verarbeiten im Prinzip und diese einzuordnen« (IPH10, Z. 14–16) »Wissen ist erinnerungsgestützte Urteilskraft« (IPP6, Z. 6) »Die Zusammenfassung der bestmöglichen Annäherung an die beobachtete Wirklichkeit. Also der Kenntnisstand da drüber wie viel wir über die beobachtete Wirklichkeit aussagen können. Das wäre für mich der Wissenspool« (IPP8, Z. 5–7) »Eine Zusammenschau der Gegebenheiten mit einem Versuch der kausalen Darstellung« (IPP11, Z. 4–5) Jede dieser Definitionen beinhaltet eine andere Sichtweise auf Wissen und fokussiert andere konstituierende Elemente für den Wissensbegriff. An dieser Stelle sei gesagt, dass manche Expert*innen auch jeweils mehrere Definitionen beziehungsweise Verständnisse von Wissen geäußert haben. 21 von 33 Expert*innen (64 %) haben eine Definition von Wissen geäußert, 9 Expert*innen (27 %) haben zwei Definitionen geäußert, 1 Experte äußerte drei Definitionen und zwei Expert*innen konnten keine Definition von Wissen äußern oder waren der Meinung, dass sich Wissen nicht definieren lässt. Exemplarisch sind hier Definitionsversuche zweier Expert*innen aufgeführt, die verschiedene Verständnisse kombinieren:
307
308
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Ich würde Wissen in zwei Richtungen betrachten. Das eine ist ein eng gefasster Wissensbegriff, wo es sehr viel um Kognition geht, also was weiß man über bestimmte Gegenstände, seine Umgebung und so weiter. Das zweite ist ein sage ich mal weiter gefasster Wissensbegriff, wo halt Wissen auch gekoppelt wird mit affektiven Aspekten, Emotionen, vielleicht auch Wissen aus vergangenen Generationen, die man in der Familie hat und so weiter« (IPM5, Z. 5–10) »Wissen ist ein gewisser Schatz, den man sich aus Erfahrung und aus dem was man beigebracht kriegt aneignet und der dann zur Verfügung steht, um in bestimmten Situationen abgerufen werden zu können« (IPP1, Z. 4–6) Für Antworten auf die Frage nach differenzierbaren Wissensformen ließen sich sechs verschiedene Kategorien bilden, die mit ihren Häufigkeitsverteilungen in Abbildung 40 dargestellt sind.
Abbildung 35: Kategorisierte Arten von Wissen aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Die am häufigsten genannte Kategorie von Wissensarten war das Fach- und Faktenwissen. Dieses wurde in den meisten Fällen mit dem einzelnstehenden Begriff Faktenwissen erwähnt. Vertiefende Erklärungen dieser Wissensart wurden hier größtenteils nicht genannt. Ein Experte definierte Faktenwissen als »wissenschaftliches Wissen mit festgelegten Güte- und Qualitätskriterien« (IPH14, Z. 7–8). Eine weitere Beschreibung war »Wissen (…) als überprüfbare harte Daten und Fakten« (IPP2, Z. 23). In einem Fall wurde diese Wissensart auch als »Textbuchwissen« (IPP1, Z. 9) beschrieben. Die beiden anderen häufig genannten Wissensarten lassen sich in die Kategorien intuitives & alltägliches Wissen sowie kulturelles/indigenes Wissen einteilen. Unter erstere Kategorie fallen Begriffe wie »Alltagswissen« (IPM1, Z. 6), »persönliches und Erfahrungswissen« (IPM4, Z. 11) sowie »intuitives Wissen, was sich aus Erfahrung, aus Verhaltensweisen erschließen lässt« (IPH5, Z. 17–18). Bei dieser Wissensart stehen demnach Elemente wie Erfahrung und alltägliche Situationen im Fokus. Unter die Kategorie des kulturellen & indigenen Wissens fallen neben den wörtlichen Nennungen auch Beschreibungen wie folgende:
8 Ergebnisse Methodik I
»(…) Wo halt Wissen auch gekoppelt wird mit affektiven Aspekten, Emotionen, vielleicht auch Wissen aus vergangenen Generationen, die man in der Familie hat und so weiter« (IPM5, Z. 8–10) Kulturelles Wissen wird von einigen Expert*innen auch als »tradiertes Wissen« (z.B. IPM7, Z. 20) bezeichnet. Zwei Expert*Innen fassen darunter die Wissensart des »spirituelle(n) oder religiöse(n) Wissen(s)« (IPP8, Z. 14). Eine weitere Wissensart, die von sieben Expert*innen genannt wird lässt sich als »Anwendungswissen« kategorisieren. Hierunter zählen neben der wörtlichen Nennung auch Beschreibungen wie »Handlungswissen« (IPH10, Z.32), »problemorientiertes Wissen« (IPP4, Z. 22) oder auch »Umsetzungswissen« (IPH3, Z. 7). Vier Expert*innen benennen auch »vermeintliches Wissen« (IPH6, Z. 27) und »Nicht-Wissen« (IPM3, Z. 38) als eigenständige Wissensarten. Hier steht somit fehlendes beziehungsweise falsches Wissen im Vordergrund. Neben diesen kategorisierbaren Wissensarten wurden auch zahlreiche nur einzeln auftauchende Wissensarten genannt wie beispielsweise »implizites Wissen« (IPM2, Z. 9–10), »Systemwissen« (IPM4, Z. 43), »Transformationswissen« (IPM6, Z. 69), »Herrschaftswissen« (IPH12, Z. 12), aber auch die Unterscheidung zwischen »wichtige(m) und (…) unwichtige(m) Wissen« (IPH8, Z. 16). Ein Experte benennt Wissensformen als »(…) verschiedene Formen des Verständnisses. Prozessverständnis, Systemverständnis, Lenkungsverständnis« (IPP6, Z. 19–21). Auch erwähnenswert ist die Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung im Hinblick auf Wissensformen durch einen Experten: »Was ich interessant fand als gesellschaftliche Entwicklung, wie sich auf der Ebene der institutionalisierten Räume, Universitäten, Museum Kirche sag ich mal vereinfacht, dass sich da eine Hybridisierung der Wissensformen anbahnt, die für uns heute selbstverständlich ist« (IPH7, Z. 51–55) In diesem Verständnis lassen sich Wissensformen in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr einzeln benennen, sondern sind zunehmend in einer hybriden Form zu finden. Auch für die Frage nach den Wissensarten liegt eine unterschiedlich hohe Zahl von Nennungen seitens der Expert*innen vor. Fünf Expert*innen (15 %) benennen eine Wissensart, 15 Expert*innen (46 %) benennen zwei Wissensarten, neun Expert*innen (27 %) benennen drei Wissensarten, drei Expert*innen (9 %) benennen vier oder mehr Wissensarten und ein Experte (3 %) benennt keine Wissensart.
8.1.2 Wissen & sozial-ökologische Transformation Die letzte Frage des einführenden Blocks zum Thema Wissen bezog sich auf die Bedeutung von Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Auch hier lassen sich die Antworten der Expert*innen in verschiedene Kategorien einteilen (Abbildung 41).
309
8 Ergebnisse Methodik I
»(…) Wo halt Wissen auch gekoppelt wird mit affektiven Aspekten, Emotionen, vielleicht auch Wissen aus vergangenen Generationen, die man in der Familie hat und so weiter« (IPM5, Z. 8–10) Kulturelles Wissen wird von einigen Expert*innen auch als »tradiertes Wissen« (z.B. IPM7, Z. 20) bezeichnet. Zwei Expert*Innen fassen darunter die Wissensart des »spirituelle(n) oder religiöse(n) Wissen(s)« (IPP8, Z. 14). Eine weitere Wissensart, die von sieben Expert*innen genannt wird lässt sich als »Anwendungswissen« kategorisieren. Hierunter zählen neben der wörtlichen Nennung auch Beschreibungen wie »Handlungswissen« (IPH10, Z.32), »problemorientiertes Wissen« (IPP4, Z. 22) oder auch »Umsetzungswissen« (IPH3, Z. 7). Vier Expert*innen benennen auch »vermeintliches Wissen« (IPH6, Z. 27) und »Nicht-Wissen« (IPM3, Z. 38) als eigenständige Wissensarten. Hier steht somit fehlendes beziehungsweise falsches Wissen im Vordergrund. Neben diesen kategorisierbaren Wissensarten wurden auch zahlreiche nur einzeln auftauchende Wissensarten genannt wie beispielsweise »implizites Wissen« (IPM2, Z. 9–10), »Systemwissen« (IPM4, Z. 43), »Transformationswissen« (IPM6, Z. 69), »Herrschaftswissen« (IPH12, Z. 12), aber auch die Unterscheidung zwischen »wichtige(m) und (…) unwichtige(m) Wissen« (IPH8, Z. 16). Ein Experte benennt Wissensformen als »(…) verschiedene Formen des Verständnisses. Prozessverständnis, Systemverständnis, Lenkungsverständnis« (IPP6, Z. 19–21). Auch erwähnenswert ist die Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung im Hinblick auf Wissensformen durch einen Experten: »Was ich interessant fand als gesellschaftliche Entwicklung, wie sich auf der Ebene der institutionalisierten Räume, Universitäten, Museum Kirche sag ich mal vereinfacht, dass sich da eine Hybridisierung der Wissensformen anbahnt, die für uns heute selbstverständlich ist« (IPH7, Z. 51–55) In diesem Verständnis lassen sich Wissensformen in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr einzeln benennen, sondern sind zunehmend in einer hybriden Form zu finden. Auch für die Frage nach den Wissensarten liegt eine unterschiedlich hohe Zahl von Nennungen seitens der Expert*innen vor. Fünf Expert*innen (15 %) benennen eine Wissensart, 15 Expert*innen (46 %) benennen zwei Wissensarten, neun Expert*innen (27 %) benennen drei Wissensarten, drei Expert*innen (9 %) benennen vier oder mehr Wissensarten und ein Experte (3 %) benennt keine Wissensart.
8.1.2 Wissen & sozial-ökologische Transformation Die letzte Frage des einführenden Blocks zum Thema Wissen bezog sich auf die Bedeutung von Wissen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Auch hier lassen sich die Antworten der Expert*innen in verschiedene Kategorien einteilen (Abbildung 41).
309
310
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 36: Wissensbedeutung im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten genannt wurden die Kategorien Wissen als Notwendigkeit und Wissen als Handlungsgrundlage. Die meisten der Expert*innen betrachten Wissen im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation als »(et)was notwendiges« (IPM1, Z. 24). Wissen spielt demnach eine zentrale Rolle im gesamten Nachhaltigkeitskontext. »Also ich glaube es hat einen sehr hohen Stellenwert, weil ich grundsätzlich finde, man kann nicht genug wissen. Also ich finde halt Wissen ist ein unglaubliches Privileg aus einer humanen Sicht heraus. Also Wissen ist eigentlich das höchste Gut, was man haben kann für eine eigenständige persönliche Entwicklung« (IPM6, Z. 114–118) Wissen wird hier als ein menschliches Gut betrachtet, was für den Nachhaltigkeitskontext einen hohen Stellenwert einnimmt. So ist es laut einem Experten in diesem Zusammenhang »(…) unabdingbar, dass man Wissen benötigt, damit man auch Einsichten hat« (IPM7, Z. 53–54). Die Zuschreibung der Notwendigkeit zu Wissen, fußt laut einer Expertin darin, »(…) dass ohne naturwissenschaftliches und sozialwissenschaftliches Wissen und auch sicher geisteswissenschaftliches Wissen nachhaltige Entwicklung nicht erreichbar ist« (IPH1, Z. 31–32). So wird Wissen und Verständnis im Nachhaltigkeitskontext von einem Experten als »essenziell« (IPH4, Z. 33) erachtet. Die Bedeutung von Wissen und dessen Wirkung wird in diesem Zusammenhang von vielen Expert*innen auch gesamtgesellschaftlich als sehr hoch angesehen: »Ich bewerte das sehr hoch, weil ohne Wissen letztendlich nur individuelles, also ohne kollektives Wissen, nur individuelles Handeln möglich ist. Wenn ich eine Gesellschaft wirklich transformieren will, dann brauche ich eine sehr tief gehende Diskussion darüber, wo sich eine Gesellschaft hin entwickeln will und dazu muss jeder einzelne mit sich quasi ausmachen, wie er handelt und wie er in Zukunft anders handeln will« (IPH13, Z. 40–45). »Das würde ich natürlich sehr hoch ansetzen. Das ist überhaupt keine Frage. Wenn Sie irgendeine Maßnahme im Sinne einer Adaptierung gerade innerhalb der Gesellschaft erfolgreich umsetzen wollen, dann müssen sie, um überzeugen zu können, das auf Wissen und wiederum auf Fakten zurückführen. Ansonsten wird es Ihnen nicht ge-
8 Ergebnisse Methodik I
lingen, gesellschaftliche Strukturen zu überzeugen. Also da besteht eine ganz enge Kopplung« (IPP10, Z. 22–27). Eine weitere häufig genannte Bedeutungszuschreibung findet sich im Zusammenspiel von Wissen und Handeln: »In hochkomplexen Gesellschaften wie jetzt unsere im 21. Jahrhundert, ist es glaube ich dringend notwendig, dass wir beständig neues Wissen uns aneignen, beständig neue Erkenntnisse erlernen auch, um überhaupt bestehen zu können in dieser Gesellschaft, vielleicht auch damit dann als großes Ziel ein erfülltes Leben zu leben. Auch dazu gehört Wissen auch meiner Meinung nach, damit wir da entsprechend aktiv teilhaben können« (IPM7, Z. 11–16) Wissen ist in diesem Fall nicht nur eine Bedingung für Handeln, sondern grundsätzlich von Bedeutung für eine gelungene Teilhabe an der Gesellschaft. Ein Experte verdeutlicht den Zusammenhang von Wissen und Handeln am Beispiel von Naturschutz: »Das heißt je mehr man halt weiß über einen bestimmten Sachverhalt, desto bessere Entscheidungen kann man treffen und desto wahrscheinlicher ist es, dass die Naturschutzmaßnahme auch Erfolg haben wird. Im Prinzip kann man das dann eben verallgemeinern aus meiner Sicht zumindest für die allermeisten Nachhaltigkeitsprobleme« (IPP5, Z. 47–51) Wissen wird von vielen Expert*innen somit als eine Notwendigkeit für Handlung betrachtet. Im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation ist »(…) evidenzbasiertes Handeln ja essenziell (…) und evidenzbasiertes Handeln ist ja von dem Wissen (…) abhängig« (IPP4, Z. 48–49). Ein Experte spezifiziert das Wissen und gibt an, dass »erst wenn Menschen regionale und kulturelle Zusammenhänge verstehen, können sie in Richtung Nachhaltigkeit handeln« (IPH14, Z. 13–14). Wissen wird von den Expert*innen »als Grundlage für Handlungsoptionen« (IPH10, Z. 45) und als »Voraussetzung, um nachhaltig zu handeln« (IPH12, Z. 28) betrachtet. Durch Wissen wird »auch die Kompetenz erw(o)rben, (das) Leben nachhaltiger zu gestalten« (IPH4, Z. 36–37). Weitergehend wird Wissen von einigen Expert*innen als eine Grundvoraussetzung betrachtet auch für die Analyse von Zusammenhängen. Ein Experte äußert diesbezüglich: »Auch trotz dieser ganzen Umstellung mit den Medien und Google ist es glaube ich absolut wichtig, die Grundlagen zu wissen (…), weil erst das ermöglicht einem dann auch basierend auf dem Grundwissen zu vernetzen und zu kombinieren« (IPP7, Z. 105–108). Wissen wird als »der Kern und die Grundlage« (IPP11, Z. 21) im Zusammenhang mit sozial-ökologischer Transformation betrachtet. Ein Experte betont die Bedeutung von Wissen auch im Hinblick auf die Entwicklung von nachhaltigen Strategien: »Naja wenn wir versuchen Strategien zu entwickeln müssen wir uns natürlich auf irgendwelche Grundlagen stützen können, um zum Beispiel die Vergangenheit zu verstehen und dann auch Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Da braucht man natürlich Wissen auf verschiedenen Ebenen« (IPP12, Z. 25–28)
311
312
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Einige Expert*innen sind der Ansicht, dass »in Bezug auf Nachhaltigkeit (…) Wissen über Zusammenhänge wichtig (ist)« (IPH10, Z. 38–39), also ein Wissen über »Zustände und Zusammenhänge, vernetzendes Wissen, (ein) Metawissen über Kausalbeziehungen und Wechselwirkungen« (IPH14, Z. 22–23). »Zu Wissen gehört, also im sozial-ökologischen Umfeld, dass man Einsichten hat in die Funktionsweise von Umweltsystemen und von gesellschaftlichen Abläufen. Dass man dieses Zusammenspiel beurteilen kann auf der Grundlage des Verständnisses von zurückliegenden Transformationen« (IPP6, Z. 6–10). Teilweise sehen Expert*innen Wissen im Nachhaltigkeitskontext auch als eine Herausforderung an. Hier steht insbesondere die Kluft zwischen Wissen und Handeln im Vordergrund. Beispielsweise »weiß ich, ich sollte anders handeln, aber die Strukturen geben mir halt ganz andere Richtungen vor. Dann wird Wissen vielleicht zum Teil auch zu einer Last« (IPM5, Z. 41–43). Eine weitere Sichtweise bezieht sich auf das Problem, dass »wenn es um bestimmte Sachen geht, denken die Leute gar nicht, dass es um Nachhaltigkeit geht« (IPM6, Z. 366–367). Andere genannte Herausforderungen fokussieren sich auf die Vielfalt von unterschiedlichen Wissensarten und insbesondere auch die fehlende Wertigkeit von emotionalen Aspekten, die im Nachhaltigkeitskontext eine große Rolle spielen, die jedoch nicht direkt an Wissen gekoppelt sind. Hinzu kommt, dass Transformationsprozesse auf vielen Ebenen betrachtet werden müssen (sozial, ökonomisch, politisch) und dass diese Ebenen oftmals ein Kommunikationsproblem mit der Wissenschaft haben und somit Wissen auch häufig nicht in alle relevanten Bereiche gelangt. Ebenfalls hervorgehoben wird »das Problem, dass Nachhaltigkeit immer mehr ein empty signifier, ein leerer Signifikant wird. Das ist alles und nichts« (IPH6, Z. 64–66). Ein solcher Bedeutungsverlust kann laut den Expert*innen auch ein Hemmnis für die Wirksamkeit von Wissen darstellen. Darüber hinaus liegt ein weiteres Problem laut einem Experten darin, dass »gerade auch so erfahrungsbezogene Formen von Wissen, da sind wir immer noch weit davon entfernt, genau zu verstehen, wie sich solche intrinsisch motivierten Formen von Wissen tatsächlich im Handeln niederschlagen« (IPH5, Z. 44–47). Hier wird das fehlende Verständnis der Wirksamkeit von spezifischen Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext als Hemmnis hervorgehoben. Ein weiterer von einigen Expert*innen thematisierter Aspekt ist die Bedeutung von Wissenskonglomeraten im Nachhaltigkeitskontext: »Ich denke, dass eben unterschiedliche Wissensformen da gerade eine große Rolle spielen. Also dass es eben auch gerade darum geht, wenn man jetzt nachhaltige Entwicklung als theoretische wie auch praktische Herausforderung sich anschaut, dass es dann für mich unabdingbar ist, dass wir ganz unterschiedliche Formen von Wissen und auch Nicht-Wissen mitberücksichtigen müssen« (IPH5, Z. 29–34). Laut einigen Expert*innen ist es somit die Mischung verschiedener Wissensarten, die im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln als gewinnbringend angesehen wird. Ein Experte fasst dabei relevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext zusammen:
8 Ergebnisse Methodik I
»Es ist einerseits das faktische Wissen und da dreht es sich gerade im Nachhaltigkeitskontext drum, dass man das eben auch vermittelt. Aber auch andere Formen des Wissens, analytisches Wissen bis hin zum emotionalen und alles muss in den jeweiligen Kontexten vermittelt werden« (IPP4, Z. 4–8) Über diese mehrfach genannten Bedeutungszuschreibungen von Wissen im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation hinaus, wurden auch hier einzeln auftauchende Aspekte benannt. So wird beispielsweise die Irritation von Wissen von einem Experten als ein möglicher Auslöser für Transformationsprozesse genannt. Aber ebenso wird auch die Bedeutung eines kritischen Wissens auf Fragen der Nachhaltigkeit durch einen Experten betont. Ein anderer Experte sieht die Bedeutung von Wissen in der »(…) Gestaltung der Gegenwart (und von) erwartbaren, erhofften oder befürchteten Zukünften« (IPH11, Z. 39–41). Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung von Wissen für eine sozial-ökologische Transformation wurden auch notwendige Veränderungen von einigen Expert*innen benannt. Hierzu zählen unter anderem die notwendige Überwindung der Kluft von Wissen und Handeln durch eine stärkere Verknüpfung von wissenschaftlichem und gesellschaftlichem Konsens. Eine Expertin bemängelt die fehlende Akzeptanz von transdisziplinären Arbeitsweisen, die im Kontext einer Transformation hin zur Nachhaltigkeit unabdingbar sind. Ein anderer Experte benennt eine verbesserte Zugänglichkeit zu Wissen als notwendige Veränderung: »Das ist glaube ich eher die Frage von Zugänglichkeit von Wissen bei der Nachhaltigkeit. Das ist für die breite Masse sage ich jetzt in Anführungszeichen gar nicht so einfach den Zugang zu Wissen über Nachhaltigkeit zu erlangen« (IPH12, Z. 20–22)
8.1.3 Geographie – Definition, Besonderheiten & der geographische Wissensbegriff Der zweite Themenblock wurde eröffnet mit der Frage nach einer Definition der Geographie als Wissenschaftsdisziplin. Hier zeigen sich in den Ergebnissen vier thematische Schwerpunkte, die von vielen Expert*innen für eine Definition als relevant benannt wurden: • • • •
Geographie als Raumwissenschaft Geographie als interdisziplinäre Wissenschaft Geographie als offene Wissenschaft Geographie als Mensch-Umwelt-Wissenschaft
Die Definition der Geographie als eine Raumwissenschaft wurde am häufigsten durch die Expert*innen benannt: »Geographie ist in allererster Linie (ei)ne Wissenschaft von Raum, von Spacialities, also Räumlichkeiten auf verschiedenen Maßstabsebenen« (IPH6, Z. 76–77). Ein Experte hebt hervor, dass »räumliche Strukturen als Folge von gesellschaftlichen Zusammenhängen« (IPH10, Z. 55–56) im Kern der Geographie stehen. Eine Expertin definiert Geographie über den Begriff der spatial literacy:
313
8 Ergebnisse Methodik I
»Es ist einerseits das faktische Wissen und da dreht es sich gerade im Nachhaltigkeitskontext drum, dass man das eben auch vermittelt. Aber auch andere Formen des Wissens, analytisches Wissen bis hin zum emotionalen und alles muss in den jeweiligen Kontexten vermittelt werden« (IPP4, Z. 4–8) Über diese mehrfach genannten Bedeutungszuschreibungen von Wissen im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation hinaus, wurden auch hier einzeln auftauchende Aspekte benannt. So wird beispielsweise die Irritation von Wissen von einem Experten als ein möglicher Auslöser für Transformationsprozesse genannt. Aber ebenso wird auch die Bedeutung eines kritischen Wissens auf Fragen der Nachhaltigkeit durch einen Experten betont. Ein anderer Experte sieht die Bedeutung von Wissen in der »(…) Gestaltung der Gegenwart (und von) erwartbaren, erhofften oder befürchteten Zukünften« (IPH11, Z. 39–41). Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung von Wissen für eine sozial-ökologische Transformation wurden auch notwendige Veränderungen von einigen Expert*innen benannt. Hierzu zählen unter anderem die notwendige Überwindung der Kluft von Wissen und Handeln durch eine stärkere Verknüpfung von wissenschaftlichem und gesellschaftlichem Konsens. Eine Expertin bemängelt die fehlende Akzeptanz von transdisziplinären Arbeitsweisen, die im Kontext einer Transformation hin zur Nachhaltigkeit unabdingbar sind. Ein anderer Experte benennt eine verbesserte Zugänglichkeit zu Wissen als notwendige Veränderung: »Das ist glaube ich eher die Frage von Zugänglichkeit von Wissen bei der Nachhaltigkeit. Das ist für die breite Masse sage ich jetzt in Anführungszeichen gar nicht so einfach den Zugang zu Wissen über Nachhaltigkeit zu erlangen« (IPH12, Z. 20–22)
8.1.3 Geographie – Definition, Besonderheiten & der geographische Wissensbegriff Der zweite Themenblock wurde eröffnet mit der Frage nach einer Definition der Geographie als Wissenschaftsdisziplin. Hier zeigen sich in den Ergebnissen vier thematische Schwerpunkte, die von vielen Expert*innen für eine Definition als relevant benannt wurden: • • • •
Geographie als Raumwissenschaft Geographie als interdisziplinäre Wissenschaft Geographie als offene Wissenschaft Geographie als Mensch-Umwelt-Wissenschaft
Die Definition der Geographie als eine Raumwissenschaft wurde am häufigsten durch die Expert*innen benannt: »Geographie ist in allererster Linie (ei)ne Wissenschaft von Raum, von Spacialities, also Räumlichkeiten auf verschiedenen Maßstabsebenen« (IPH6, Z. 76–77). Ein Experte hebt hervor, dass »räumliche Strukturen als Folge von gesellschaftlichen Zusammenhängen« (IPH10, Z. 55–56) im Kern der Geographie stehen. Eine Expertin definiert Geographie über den Begriff der spatial literacy:
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Geographie ist die Fähigkeit oder die Kunst, das sage ich jetzt um diesen affektiven, kreativen Bereich mitzukriegen, Räume lesen, bewerten und nutzen zu können. Geographie ist ein Fach (…), was spatial literacy herstellt. Also die Fähigkeit, Räume lesen zu können wie sie sind in der Gegenwart, die Fähigkeit Räume zu lesen, wie sie sein sollen für die Zukunft zum Beispiel in der Raumplanung, zum Beispiel aber auch in zukunftsbezogenen Aktionen der Gestaltung von Räumen« (IPH11, Z. 95–101) Raum wird somit als ein konstituierendes Element der Geographie als Disziplin angesehen. Dabei betont ein Experte, dass »Geographie natürlich zuallererst die Wissenschaft der räumlichen Phänomene (ist). Also alles, was im Raum stattfindet und letzten Endes findet ja alles auf der Erde in einem Raum statt« (IPP1, Z. 33–35). Raum ist demnach nicht nur ein genuin geographisches Thema, sondern ein weltliches Phänomen, welches in der Geographie verstärkt eine Rolle spielt. Ein Experte verbindet den räumlichen Aspekt mit weiteren Aspekten, welche die Geographie als Wissenschaft näher definieren: »Geographie ist die Wissenschaft (…) von Raum-Zeit-Gefügen einerseits und von Mensch-Umwelt-Gefügen andererseits und Geographie bedeutet, solche Gesellschaft-Umwelt-Systeme in raum-zeitlichen Kontexten zu bemessen, zu analysieren, zu bewerten und durchaus auch zu projizieren also (…) in die Zukunft zu gucken« (IPP8, Z. 44–48) Hier wird der Aspekt des Raumes sowohl durch eine zeitliche Komponente als auch durch die Komponente des Mensch-Umwelt-Gefüges erweitert. Letztere Komponente wird auch von einigen Expert*innen als zentrales definitorisches Element der Geographie gesehen. Geographie beschäftigt sich demnach »mit den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Umwelt oder Mensch und Umwelt. Das ist eigentlich in fast allen Bereichen sehr zentral« (IPP5, Z. 72–74). Die dritte oft genannte Komponente einer Definition versteht Geographie als eine interdisziplinäre Wissenschaft. So ist Geographie »(…) eine Disziplin, die direkt an der Schnittstelle zwischen sozial- und naturwissenschaftlichen Belangen steht und sich ein Stückweit auch über diese Schnittstelle definiert« (IPH5, Z. 55–57). Laut einem Experten zeichnet sich Geographie vor allem »(…) dadurch aus, dass wir in der Lage sind oder zumindest sein sollten, sehr vernetzt zu denken und verschiedene Wirkungsbereiche je nach Thematik (…) zusammenzubringen (IPH12, Z. 46–48). Interdisziplinarität als Begriff wird von insgesamt acht Expert*innen als definitorisches Element der Geographie angesehen. Das vierte häufig genannte Definitionselement versteht Geographie als eine offene Wissenschaft: »Also als Geograph kann man im Prinzip alles machen, was man möchte« (IPM3, Z.89-90). »Eine Besonderheit der Humangeographie für mich ist eine relative Offenheit, was verschiedene theoretische Strömungen angeht« (IPM5, Z. 62–64) Diese vier Komponenten werden von vielen Expert*innen im Zusammenhang mit der Frage nach der Definition genannt. Auch hier werden von acht Expert*innen (24 %) Definitionen mit mehreren Komponenten benannt. 20 Expert*innen (61 %) definieren die
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Geographie lediglich über eine der vier Komponenten. Die restlichen fünf Expert*innen (15 %) benennen Einzeldefinitionen, die diesen vier Komponenten nicht direkt zugeordnet werden können. Exemplarisch sei hier eine Einzeldefinition aufgeführt: »Geographie bedeutet für mich alles, was ich sozusagen mehr oder weniger sichtbar auf der Erde beobachten kann. Eine schöne ganzheitliche, theoretisch zumindest, Wissenschaft, die vieles zusammenbringt, was notwendig ist. Also das Zusammendenken, die Synthese, das holistische, das bedeutet für mich die Geographie« (IPM1, Z. 46–51) In diesem Definitionsversuch steht eine Sichtweise im Fokus, welche Geographie als holistische Wissenschaft versteht, die verschiedene Komponenten zusammenbringt und vernetzt. Bei der Frage nach genuin geographischen Besonderheiten zeigen sich viele Überschneidungspunkte zu den Definitionsversuchen der Geographie. So werden von den meisten Expert*innen die Komponenten Raumverständnis, Mensch-Umwelt-Verständnis sowie Interdisziplinarität auch gleichzeitig als spezifisch geographische Besonderheiten betrachtet, die in diesem Ausmaß in anderen Wissenschaften nicht zu finden sind. Weitere mehrfach genannte Besonderheiten sind: • • • • • •
Maßstabsbetrachtung holistische Betrachtung Vernetzungs- und Komplexitätsverständnis Brückenfunktion Multiperspektivität methodische Vielfalt »Wo die Geographie ein bisschen Punkten kann gegenüber anderen oder weshalb ich die Perspektive der Geographie auch wichtig finde, ist, dass Geographen und Geographinnen auch fähig dazu sind, die Maßstabsebene zu verstehen. Also zu erkennen, dass es eben Entwicklungen auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene gibt und das man das in Beziehung setzen muss« (IPM7, Z. 73–78)
Die maßstäbliche Betrachtung wird von einigen Expert*innen als spezifisch geographisch betrachtet. Diese macht es der Geographie möglich, »(die) miteinander komplex verflochtenen Problemfelder, die es auf der Welt gibt, auf unterschiedlichen Maßstabsebenen (…) handlungsorientiert zu bearbeiten« (IPH3, Z. 95–98). Das holistische Element, welches in der Einzeldefinition bereits erwähnt wurde, wird im Zusammenhang mit der Frage nach Besonderheiten der Geographie auch von vielen anderen Expert*innen aufgezählt: »Dieses systematische Überblicken als Ganzes, als holistische Systeme, das ist der Geographie denke ich schon eigen und eine große Stärke« (IPP1, Z. 53–55). Geographie wird von einem Experten als »eine der Wissenschaften (gesehen), die zumindest einen holistischen Anspruch hat. Also sie hat einen gesamtheitlichen Anspruch« (IPP2, Z. 85–86). Weitere von mehreren Expert*innen genannte Besonderheiten der Geographie sind Multiperspektivität und eine Brückenfunktion. Für einen Experten ist »Geographie (…) verbunden mit einer multiskalaren Perspektive«
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(IPM2, Z. 71–72). Die Vielfalt der Geographie macht laut einem Experten »die Stärke und Einzigartigkeit der Geographie« (IPP7, Z. 129–130) aus. Geographie wird dabei als »brückenbauend« (IPM6, Z. 186) und als »Sachverwalter in der Brücke zwischen Naturund Gesellschaftswissenschaften« (IPH1, Z. 79–80) angesehen. Daraus ergibt sich laut den Expert*innen ein systemischer Anspruch, der auch ein vernetzendes Denken sowie ein Komplexitätsverständnis zur Folge hat. So ist ein Experte der Ansicht, dass die Geographie »in der Vernetzungsfähigkeit (…) vielen anderen Disziplinen einiges voraus (ist)« (IPH2, Z. 61–62). Ein anderer Experte sieht in diesem Aspekt »(…) ein anderes Charakteristikum, was vor allem halt aus meiner Sicht mit einer sehr stark integrativen, vernetzenden Perspektive zu tun hat. Also Komplexität wirklich versuchen zu analysieren und zu verstehen ist wirklich was, was der Geographie an sich eigen ist« (IPH5, Z. 62–65). Geographie wird von den Expert*innen als ein »typisch vernetzendes Fach« (IPP8, Z. 69) mit einem besonderen »Prozessverständnis« (IPP6, Z. 69) gesehen. Eine weitere Besonderheit, welche mehrfach geäußert wurde, bezieht sich auf die methodische Vielfalt der Geographie. So wird beispielsweise durch eine Expertin die methodische Kompetenz des Kartenlesens besonders hervorgehoben: »Die Kulturtechnik der Moderne, Karten lesen können, also spatial literacy über dieses Medium vermittelt zu bekommen, das ist das Alleinstellungsmerkmal der Geographie« (IPH11, Z. 123–125) Ein anderer Experte betont »ganz starke Methoden also was GIS, Karten, Interviews, Statistiken angeht. Da ist die Geographie als eine Systemwissenschaft vielen anderen Disziplinen überlegen« (IPP1, Z. 48–49). Ohne dass das Thema Nachhaltigkeit in der Fragestellung benannt wurde, betont ein Experte: »Ultimativ natürlich ist (die Geographie) besonders evident, wenn es um Ressourcenfragen geht oder wenn es um Naturgefahren (…) oder auch die Nachhaltigkeit im Großen geht (…). Das ist für mich Geographie« (IPP4, Z. 194–199). Weitere einzeln benannte Besonderheiten der Geographie sind beispielsweise das Vorhandensein einer regionalen Kompetenz, ein besonderes Vermögen kritisch zu Denken und zu reflektieren sowie auch eine gemeinsame Sprache, die eine Verknüpfung mit der Gesellschaft ermöglicht. Ein Experte betont die Vermittlerfunktion der Geographie als Besonderheit: »Vermittl(ung) (…) nicht nur zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Das muss man als Stärke der Geographie verstehen« (IPM3, Z. 124–126). Ein anderer Experte hebt das Thema Macht als Besonderheit der Geographie hervor: »Dann geht es um Macht, zumindest so wie ich Geographie sehe und Lehre, es geht ganz stark um Machtfragen, um Gerechtigkeitsfragen irgendwie so analytische Brillen darauf, wie wir das verstehen, dass es eben unterschiedliche Machtpositionen gibt, die sich eben auch räumlich zeigen« (IPM6, Z. 175–179) Anschließend wurden die Expert*innen gefragt, ob es ihrer Meinung nach ein spezifisch geographisches Wissen gibt. Diese Frage wurde ebenfalls sehr heterogen beantwortet. Mehrheitlich sind 17 Expert*innen (52 %) der Meinung, dass es ein solches Wissen gibt, 10 Expert*innen (30 %) verneinen dies und fünf Expert*innen (15 %) sind unentschlossen
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und stimmen teilweise zu und teilweise nicht. Ein Experte gibt keine konkrete Antwort auf diese Frage. Die Expert*innen, welche der Existenz eines spezifisch geographischen Wissens zustimmen, benennen verschiedene Wissensformen als Teilbereiche eines geographischen Wissensbegriffs. Diese sind mit der Häufigkeit ihrer Nennung in Abbildung 42 dargestellt.
Abbildung 37: Elemente des geographischen Wissensbegriffs aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Räumliches Wissen wird dabei von den meisten Expert*innen als spezifisch geographisches Wissen definiert. So hebt ein Experte beispielsweise hervor: »Also für mich bedeutet das geographische Element in Verbindung mit Wissen im Grunde genommen, dass räumliche Bezüge in ihrer Vielfalt stärker auch noch durchdacht und berücksichtigt werden« (IPH4, Z. 46–48). Ein anderer Experte versteht »(…) kartographisch verortete(s) Wissen (…) schon eher (als) spezifisch geographisches Wissen« (IPH5, Z. 73–76). Eine Expertin bezeichnet im Zusammenhang mit Raum »Geographisches Wissen (als) eine wichtige Ressource« (IPH11, Z. 242–243). Unter räumlichem Wissen werden dann von den Expert*innen Teilaspekte wie das Verständnis räumlicher Zusammenhänge und Repräsentationen von Raum, das Denken in raum-zeitlichen Dimensionen und Maßstäben sowie Imaginationen von Raum und deren gesellschaftliche Bedeutung aufgelistet. Am zweithäufigsten benannt wird ein vernetzendes und systemisches Wissen als Teil eines geographischen Wissens. In diesem Zusammenhang betont ein Experte, »(…), dass die Geographie sicherlich ein Fach ist, oder eine Disziplin, die eben großen Wert legt auf systemisches Wissen und nicht auf Inselwissen« (IPH3, Z. 27–29). Geographisches Wissen wird verstanden »(…) als Zusammenhangswissen und aufzeigen der Probleme und Lösungsansätze« (IPH5, Z. 4–5). Nach Meinung eines anderen Experten zeichnet sich geographisches Wissen als ein »(…) komplexe(s) Wissen (aus), (um) verschiedene Faktoren auch in den Blick zu nehmen und miteinander auch in Beziehung zu setzen« (IPH10, Z. 68–69). Geographisches Wissen wird somit hier als »Vernetzungswissen« (IPP9, Z. 148) betrachtet und als ein »integratives Denken« (IPP11, Z. 73), welche Verknüpfungen zwischen den einzelnen Teilbereichen der Geographie ermöglichen. Ein weiterer von mehreren Expert*innen erwähnter Teilbereich geographischen Wissens lässt sich als regionales Wissen beschreiben. Geographisches Wissen enthält demnach
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eine gewisse »regionale Kompetenz (…), (die zu) etwas genuin geographische(m) werden kann« (IPM2, Z. 97–98). Unter eine solche Kompetenz fallen laut den Expert*innen Teilbereiche wie Wissen über Länder, Regionen und Kulturen, die vor allem auch »(…) zur Orientierung auf der Erde wichtig (sind)« (IPH14, Z. 33). Einige Expert*innen verstehen geographisches Wissen auch als eine Art gesellschaftliches Wissen. »Was Geographie von Anfang an war und bis heute ist und hoffentlich in Zukunft auch sein wird, ist, die Produziert einfach ein Wissen (…), da sind wir immer noch sehr stark, sie produziert eben trotz ihrer physischen Inhalte, staatsbürgerliches Wissen« (IPH11, Z. 139–142) Geographisches Wissen ist somit ein Wissen, was als »(…) sachliche gut begründete, transparente Information bezeichne(t) (werden kann), sodass jeder daraus Wissen machen kann, wenn er es möchte« (IPH13, Z. 168–170). Geographisches Wissen zeichnet sich nach Ansicht der Expert*innen in diesem Verständnis durch seine gesellschaftstaugliche Sprache aus und ist somit nicht schwer verständlich oder verfügbar und bietet dadurch »(…) den Boden für (ein) Hintergrundwissen« (IPP8, Z. 118). Die letzte von mehreren Expert*innen genannte Art geographischen Wissens ist ein methodisches Wissen. So äußert ein Experte: »Das Methodenspektrum also das würde ich schon auch dazu zählen. Es fällt schon auf, dass in der Geographie Empirie eben eine große Rolle spielt und das prägt mit Sicherheit das Wissen« (IPM6, Z. 217–219). Die Geographie weist laut Expert*innen ein »bestimmtes methodisches Wissen, einen synthetischen Blick« (IPP8, Z. 57) auf. Darunter werden beispielsweise Methoden wie »(…) Raumanalyse, GIS-Analyse, Kartenerstellung (und) bestimmte quantitative Statistik« (IPP3, Z. 84–85) gefasst. Auch Fernerkundung und Augmented Reality werden als ein methodisches geographisches Wissen benannt. Neben diesen kategorisierbaren Wissensdefinitionen finden sich auch hier wieder einige einzeln genannte Spezifika eines geographischen Wissens. So wird geographisches Wissen beispielsweise von einigen Expert*innen verstanden als ein Wissen, welches den Zugang zu komplexen Themenstellungen ermöglicht: »Die Geographie ist aus meiner Sicht (…) zuständig für Komplexität oder die positiven Dinge, die mit einer komplexeren Sichtweise einhergehen. Da ist das geographische Wissen schon sehr gefragt« (IPM1, Z. 273–275) »Das ist was ganz typisch Geographisches dieser synthetische Blick auf komplexe Gefüge« (IPP8, Z. 63–64) Darüber hinaus wird geographisches Wissen auch als ein kritisches Wissen definiert, welches eine kritische Sichtweise auf die Welt ermöglicht. Ein anderer Experte stellt heraus, »dass (die Geographie) eigentlich sehr nah an dem dran ist, was wir heute als Wissensformen akzeptieren in unserer Gesellschaft in dieser Hybridisierung (von Wissensformen)« (IPH7, Z. 57–59). Geographisches Wissen zeichnet sich durch »(…) die Kombination von unterschiedlichem Wissen« (IPH12, Z. 55) aus. Ferner wird geographisches Wissen durch eine Expertin auch als »affektiv-emotional« (IPH11, Z. 25) bezeichnet. Zwei
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Expert*innen nennen geographische Theorien wie beispielsweise Verteilungstheorien auch als spezifisch geographisches Wissen. Die Expert*innen, welche die Existenz eines geographischen Wissens eher verneinen oder nur teilweise zustimmen, betonen, dass es eher eine geographische Perspektive oder Sichtweise als ein spezifisches Wissen gibt. So erläutert ein Experte: »Also das Wissen nicht so sehr, aber die Denkweise. Eine integrative Denkweise ist etwas genuin geographisches« (IPP11, Z. 62–63). Ein anderer Experte wiederum stellt heraus, »dass das Fachwissen (nicht) so spezifisch ist, sondern eher (…) die geringe Versuchung monokausal Dinge anzugehen. Also eher multikausal Phänomene zu betrachten und zu analysieren« (IPH10, Z. 77–79). Geographie zeichnet sich demnach weniger durch ein spezifisches Wissen als durch eine besondere Perspektive und Zugangsweise aus, welche »die Fähigkeit oder Bereitschaft über den (…) eigenen engen Tellerrand hinauszuschauen und (sich) mit anderen zu (…) vernetzen« (IPH2, Z. 56–57) einschließt. An dieser Stelle wichtig zu erwähnen ist, dass keiner der Expert*innen abstreitet, dass die Geographie eigene wertvolle und genuin geographische Elemente enthält, die eben entweder als geographisches Wissen oder aber als spezifische geographische Denk- und Sichtweise bezeichnet werden können.
8.1.4 Geographie im Zeichen der sozial-ökologischen Transformation Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung der Geographie als Disziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation wurden von den Expert*innen sechs schwerpunktmäßige Bedeutungszuschreibungen benannt. Abbildung 43 zeigt diese im Überblick:
Abbildung 38: Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten genannt wurden hier Bedeutungszuschreibungen, die sich als eine holistische & systemische Denkweise sowie als thematische Passung kategorisieren lassen. Viele Expert*innen betonen, dass durch die interdisziplinäre und systemische Denk- und Arbeitsweise Geographie »(…) auch prädestiniert (ist) in diesen Nachhaltigkeitsfragen eine
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Expert*innen nennen geographische Theorien wie beispielsweise Verteilungstheorien auch als spezifisch geographisches Wissen. Die Expert*innen, welche die Existenz eines geographischen Wissens eher verneinen oder nur teilweise zustimmen, betonen, dass es eher eine geographische Perspektive oder Sichtweise als ein spezifisches Wissen gibt. So erläutert ein Experte: »Also das Wissen nicht so sehr, aber die Denkweise. Eine integrative Denkweise ist etwas genuin geographisches« (IPP11, Z. 62–63). Ein anderer Experte wiederum stellt heraus, »dass das Fachwissen (nicht) so spezifisch ist, sondern eher (…) die geringe Versuchung monokausal Dinge anzugehen. Also eher multikausal Phänomene zu betrachten und zu analysieren« (IPH10, Z. 77–79). Geographie zeichnet sich demnach weniger durch ein spezifisches Wissen als durch eine besondere Perspektive und Zugangsweise aus, welche »die Fähigkeit oder Bereitschaft über den (…) eigenen engen Tellerrand hinauszuschauen und (sich) mit anderen zu (…) vernetzen« (IPH2, Z. 56–57) einschließt. An dieser Stelle wichtig zu erwähnen ist, dass keiner der Expert*innen abstreitet, dass die Geographie eigene wertvolle und genuin geographische Elemente enthält, die eben entweder als geographisches Wissen oder aber als spezifische geographische Denk- und Sichtweise bezeichnet werden können.
8.1.4 Geographie im Zeichen der sozial-ökologischen Transformation Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung der Geographie als Disziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation wurden von den Expert*innen sechs schwerpunktmäßige Bedeutungszuschreibungen benannt. Abbildung 43 zeigt diese im Überblick:
Abbildung 38: Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten genannt wurden hier Bedeutungszuschreibungen, die sich als eine holistische & systemische Denkweise sowie als thematische Passung kategorisieren lassen. Viele Expert*innen betonen, dass durch die interdisziplinäre und systemische Denk- und Arbeitsweise Geographie »(…) auch prädestiniert (ist) in diesen Nachhaltigkeitsfragen eine
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wichtige Rolle zu spielen« (IPP12, Z. 39–40). Ein Experte hält in diesem Zusammenhang »die Geographie für die Disziplin, die Wissenschaftsform, die dafür am besten geeignet ist. (…) Das ist eigentlich die einzige Wissenschaft, die ansatzweise integrativ genug ist dafür. (…) Keine andere Disziplin könnte das leisten, alles auf Seiten der Wissenschaft zu integrieren« (IPP11, Z. 82–91). Ein anderer Experte betont, dass es das Überblickswissen ist, welches die Geographie bedeutsam im Nachhaltigkeitskontext macht. Laut den Expert*innen zeichnet sich die Geographie dadurch aus, dass sie »eben nicht nur das Faktenwissen und die Bereitschaft zu kooperieren (mitbringt, sondern) eben auch die großen sozial-ökologischen Probleme unserer Welt (…) s(ieht)« (IPP7, Z. 146–148). »Es ist ja gerade die Geographie, die mit der Verknüpfung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften, die Kompetenz mitbringt, um quasi die weltweit größten Probleme überhaupt zu erfassen und eben interdisziplinär auch anzugehen« (IPP7, Z. 92–94) Ein anderer Experte hebt hervor, »dass wir (die Geographie) das Verständnis haben aus den verschiedenen Zugängen in den Zusammenhang zu denken und das ist glaube ich das Wesentliche« (IPP4, Z. 220–222). Ein weiterer Experte hebt die systemische Verbindung von Fragestellungen seitens der Geographie als bedeutsam für den Nachhaltigkeitskontext hervor: »Also wenn ich an das System Erde denke und die Anthroposphäre darin, also wie der Mensch auf der Erde agiert, die ganze Frage nach dem Anthropozän ist im Kern ja auch eine sehr geographische Fragestellung. Also wie verändern sich die Natursysteme global durch menschliche Einwirkung. Letztlich betrifft das sämtliche geographische Bereiche irgendwie. Also Geographie verbindet diese ganzen Dinge immer so unterschwellig« (IPP3, Z. 131–138) Viele Expert*innen sind der Ansicht, dass es eben »dieses holistische Bild« (IPP2, Z. 162) und »dieses systematische Überblicken als Ganzes, als holistische Systeme« (IPP1, Z. 53–54) ist, was im Nachhaltigkeitskontext eine wichtige Rolle spielt. Darin begründet sich laut Expert*innen die logische Passung von Geographie und Nachhaltigkeit. »Also ich denke, warum sich Geographen mit diesen Nachhaltigkeitsaspekten leicht tun, begründet sich denke ich in den unterschiedlichen Perspektiven von Nachhaltigkeit, die ja auch an sich sehr interdisziplinär auf eine Entwicklung gucken und das genau das eben auch etwas ist, was typisch geographisch ist. Die Interdisziplinarität. Ich meine, dass das wirklich ein Vorteil der Geographie ist, Beiträge zu nachhaltigkeitsbezogenen Fragestellungen zu liefern, weil wir uns nicht schwer tun mit anderen Perspektiven« (IPH10, Z. 125–131) »Wenn man vernünftig über nachhaltige Entwicklung reden will, dann muss man im Grunde so unterschiedliche Aspekte mit drin haben und das kann halt die Geographie und fast nur die Geographie, drum ist natürlich die Geographie das zentrale Fach für Nachhaltigkeitsdiskussionen« (IPH6, Z. 334.338)
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Eine Expertin betont, dass wenn Nachhaltigkeit in »(…) einem eher holistischen Kontext also Nachhaltigkeit als holistisches Konzept verstanden (wird), ist das sicherlich eines, wo Geographie viel mit anfangen kann« (IPM2, Z. 133–134). Neben einer passenden Denk- und Herangehensweise an Fragestellungen der Nachhaltigkeit wird auch die klare thematische Passung geographischer Inhalte im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsthemen von vielen Expert*innen hervorgehoben. So betont ein Experte: »Im Kern ist die Geographie für mich immer noch Mensch-Umwelt-Beziehung (und) eine derjenigen Disziplinen, die viele und sinnvolle Beiträge leisten kann, zu dem, was wir jetzt als Nachhaltigkeitsfelder sehen, die ja auch sehr breit angelegt sind« (IPM3, Z. 144–147). Ein anderer Experte ist der Ansicht, dass »die Themen, die wichtig sind für diese sozialökologische Transformation, die werden ja ganz zentral von der Geographie behandelt« (IPM7, Z. 99–100). Insbesondere die Thematisierung von Mensch-Umwelt-Fragestellungen in der Geographie wird von vielen Expert*innen als besonders passend für die sozialökologische Transformation angesehen. »(Die Geographie hat) eine herausragende Bedeutung deshalb, weil die Zukunftsherausforderungen im 21. Jahrhundert werden ja mehr und mehr bestimmt durch eine Erforschung, Analyse und Perspektive aufzeigen von Mensch-Umwelt-Beziehungen. Und Mensch-Umwelt machen die Geographen schon immer« (IPH2, Z. 91–94) Aber auch darüber hinaus heben die Expert*innen die besondere thematische Passung der Geographie im Nachhaltigkeitskontext hervor: »Welche Themen nicht? Das ist ja fast die Frage. Welche nicht. Ja im Grunde genommen ist die Nachhaltigkeit in der gesamten Palette Thema der Humangeographie, aber natürlich nie alleine, sondern immer auch mit der physischen Geographie und mit anderen Disziplinen« (IPH4, Z. 67–70) »Also die Themen der Geographie sind definitiv auch die Themen des 21. Jahrhunderts, das kann man glaube ich nicht anders sagen. Wenn man eine Zeitung aufschlägt, Nachrichten sich anschaut was auch immer, da gibt es eigentlich kaum eine Meldung, die nicht unmittelbar einen Bezug zur Geographie hat« (IPH4, Z. 168–171) Ein Experte nennt in diesem Zusammenhang zahlreiche konkrete thematische Beispiele: »Also wirklich Veränderungsprozesse globaler Art vor allem auch Social Change also sozialer Natur, dann glaube ich schon, dass man da bestimmte Themen wie auch jetzt aktuell Covid-19 in einer sozialräumlichen Perspektive diskutieren und aufbereiten kann (…). Digitalisierung ist auch so ein anderes Thema, aber auch alternde Gesellschaft, demographischer Wandel, (…) dann Strukturwandel in der Industrie, Energiewende also nicht nur als politisches Programm, sondern vor allem auch lokale Auswirkungen von Energiewende im lokalen Kontext, da sind Geographen super aufgestellt, um genau darüber zu arbeiten. Da gibt es wirklich eine Reihe an Themen, die alle so ein bisschen unter diesem Aspekt gesellschaftlicher Transformationsprozesse passen« (IPH5, Z. 259–270)
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Die Geographie wird aufgrund der zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen von den Expert*innen »in ihrer Gesamtheit einfach wirklich (als) prädestiniert (angesehen), einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeitsforschung zu leisten« (IPP1, Z. 151–152). Themen wie »Umweltwandel und menschlicher Einfluss auf das System Erde sind im Kern sehr sehr lange wahrscheinlich seit Anbeginn geographische Kernfragestellungen« (IPP3, Z. 197–199). Die gesamte Nachhaltigkeitsdebatte wird als »(…) genau unser Thema« (IPP4, Z. 271) betrachtet, sodass aktuell »die Stunde der Geographie« (IPH4, Z. 195) geschlagen hat. Die Geographie wird von einem Experten als »Schlüsseldisziplin des 21. Jahrhunderts (…)« (IPP5, Z. 117) bezeichnet. Ein weiterer Aspekt der Geographie, der von vielen Expert*innen als bedeutsam im Nachhaltigkeitskontext herausgestellt wird, ist die gesellschaftliche Relevanz des Faches. »Die geographische Wissenschaft zeigt die Probleme auf. Sie zeigt soziale Ungleichheit auf, Biodiversitätsverlust, CO2-Wandel, was Sie wollen, das sind die ganz großen Challenges, die Probleme. Die sind alle miteinander vernetzt und verbunden. (…) Dort kann die Geographie ganz viel Wissen liefern, in den nächsten Jahren. Dort ist für mich eine Forschungsagenda eigentlich und es ist gleichzeitig eigentlich auch das Versprechen der Geographie an die Gesellschaft« (IPM4, Z. 339–374) »Also ich glaube das ist ein Fach, wo man am schnellsten Kontakt zur Praxis bekommt. Und es sind oft Themen, die eben in der Mitte der Gesellschaft sind, also es geht ganz oft um Gerechtigkeitsfragen, Migration, Landnutzung, Ressourcennutzung in aller Breite. Es geht um Urbanisierung oder ländliche Entwicklung, also so große Themen oder dann eben Klimafragen, Mobilität, das sind alles Themen, die ja wirklich aus der Mitte der Gesellschaft kommen« (IPM6, Z. 232–238) In diesem Zusammenhang wird vor allem auch die Sprache der Geographie als Vorteil hervorgehoben: »Ich glaube da eine gewisse gemeinsame Sprache sprechen zu können, was eh schon innerhalb der Geographie so schwer ist, aber eben das befähigt glaube ich insbesondere Geographen, dann in der Gesellschaft einen Wandel voranzutreiben« (IPP7, Z. 55–58). Ein anderer Experte betont, dass »erst wenn Menschen regionale und kulturelle Zusammenhänge verstehen, können sie in Richtung Nachhaltigkeit handeln« (IPH14, Z. 13–14). Ebendiese Zusammenhänge werden laut einem Experten durch die Geographie vermittelt. Der Geographie wird hier eine »(…) führende Rolle (…) auch (in) der Zivilgesellschaft« (IPH12, Z. 71–72) zugeschrieben. »Was Geographen in dem Kontext machen können, ist eben aus der Perspektive der Nutzer heraus Fragen von Akzeptanz und Beteiligung und was auch immer zu erfassen und genau das ist auch immer sehr gefragt und wichtig dabei« (IPH10, Z. 178–181) Ein Experte hält die Geographie »(…) für dasjenige Fach, das am ehesten in der Lage ist, den Nachhaltigkeitsgedanken in der Schule und auch gesellschaftlich zu verbreiten (…)« (IPH8, Z. 69–71). »Die gesellschaftliche Dimension von Fragen des globalen Wandels, das ist etwas, was Geographen und Geographinnen gut machen können, weil sie ein Stück weit eben
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auch durch die physische Geographie ein Stück weit in den naturwissenschaftlichen Dimensionen drin sind und gleichzeitig auch das ganze eben dann auch gesellschaftsrelevant aufbereiten können« (IPH5, Z. 146–150) Die Geographie hat durch ihre Inhalte sowie ihre gesellschaftliche Relevanz laut einem Experten »(…) den Schlüssel zu einem Verständnis dessen, was uns im 21. Jahrhundert umgibt« (IPH4, Z. 285–286) in der Hand. Die Expert*innen sehen die gesellschaftliche Relevanz der Geographie im Nachhaltigkeitskontext in der inhaltlichen Passung, der Praxisnähe zu zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sowie in der Fähigkeit, komplexe Dinge massentauglich kommunizieren zu können. In diesem Zusammenhang wird der Geographie durch einige Expert*innen eine Vermittlerfunktion im Zusammenhang mit Fragen der Nachhaltigkeit attestiert. Geographie kann hier als Vermittler »(…) nicht nur zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch zwischen Wissenschaft und Praxis« (IPM3, Z. 125–126) fungieren. »Ich glaube die Geographie könnte da eine gewisse Brückenfunktion, vielleicht Mittlerfunktion auch spielen, weil sie eben durch ihre Fähigkeit, sowohl naturwissenschaftliche als auch gesellschaftswissenschaftliche Aspekte zusammenzubringen, zu denken, versuchen zu verstehen glaube ich ein wichtiges Verständnis mit sich bringt« (IPM7, Z. 104–108) Mehrere Expert*innen betonen, dass die Geographie Wissen im Nachhaltigkeitskontext bereitstellen und vermitteln kann, um dadurch auch eine »(…) Sensibilität zu schaffen (…), (sodass damit) irgendwie auch Bewusstseinswandel geschaffen werden kann« (IPH9, Z. 102–104). »Insofern ist Geographie teilweise ein guter Impulsgeber für interdisziplinäre Forschung auch vielleicht transdisziplinäre Forschung. (…) Ich halte sie auch insbesondere im Bereich der Vermittlung für besonders prädestiniert. Wissen so zu kondensieren und zu kombinieren, dass es einleuchtet, was man da tut« (IPH13, Z. 72–77) In Zuge dessen wird von mehreren Expert*innen auch die Methodenvielfalt im Hinblick auf Darstellungs- und Kommunikationsformen in der Geographie als bedeutsam erachtet. Geograph*innen »sind halt diejenigen, die Informationen bereitstellen, damit halt andere Entscheidungsträger und Politiker sie umsetzen können« (IPP5, Z. 235–236). Der Geographie wird von vielen Expert*innen eine gute Kommunikations- und Präsentationsfähigkeit zugeschrieben, die besonders im Nachhaltigkeitskontext eine wichtige Bedeutung einnimmt. Darüber hinaus werden von vielen Expert*innen auch der Umgang mit Komplexität sowie ein gutes Raumverständnis als bedeutsam im Zuge der sozialökologischen Transformation angesehen. Eine Expertin betont im Hinblick auf die Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik: »(Es wäre) (…) der Geographie des Wissenskanons sehr gut gegeben (…), sich damit zu beschäftigen, weil das halt so ganzheitlich ist. Auch die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, oder Nachhaltigkeit als ein sehr komplexes Themenfeld, theoretisch wäre die Geographie da sehr gut geeignet, sich damit zu beschäf-
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tigen« (IPM1, Z. 85–89). Der Umgang mit Komplexität wird von vielen Expert*innen als Stärke der Geographie im Nachhaltigkeitskontext betrachtet. »(Die Geographie) kann aufgrund ihres breiten Ansatzes dazu beitragen, dass im Bereich der Kommunikation in die Gesellschaft hinein die relevanten Themen in ihrer Komplexität besser verstanden werden, wenn man es eben auf wesentliche Sachen reduziert« (IPP9, Z. 183–186) »Ja also Nachhaltigkeitsforschung kann man ja eigentlich gar nicht betreiben ohne Dinge in einem komplexen Zusammenhang zu betrachten. Also in dem Moment wo ich sage »Nachhaltigkeit« ist schon mal klar, dass ich nicht nur bei ökologischen, sozialen oder ökonomischen Fragen bin, sondern sie alle drei zusammendenken muss und vielleicht noch ein Bündel anderer dazu. (…) Und wer das verstanden hat, der versteht dann auch, warum die Geographie wichtig ist an dieser Stelle« (IPP8, Z. 106–113) »Also alles, was ein bisschen ganzheitlicher ist, also das, was den ursprünglichen Kern der Geographie ausmacht. Dass man komplexe Wechselbeziehungen aufzeigt, weil das ist bei der Nachhaltigkeit so. Wir haben soziale Effekte, ökonomische, ökologische und so weiter und das eine hängt am anderen (…). Das ist das, was vermittelt werden muss, was für Nachhaltigkeit wichtig ist, dass man verschiedene Möglichkeiten hat einzugreifen. Das ist, was die Geographie eigentlich gut kann, Komplexität vermitteln und ähm das ist bei Nachhaltigkeit besonders wichtig, dass Komplexität eine große Rolle spielt und damit muss man umgehen können und damit muss man sich auch beschäftigen (…), um Nachhaltigkeit gerecht zu werden« (IPM1, Z. 121–136) Der gute Umgang mit Komplexität ermöglicht es der Geographie laut Expert*innen beispielsweise zu einem besseren gesellschaftlichen Verständnis von Natur beizutragen, aber auch systemische Grenzen von Natur und Gesellschaft besser zu verstehen und auch zu akzeptieren. Die Geographie »(…) als sehr problemorientierte Wissenschaft« (IPM4, Z. 255) wird im Zuge dessen als besonders hilfreich angesehen. Neben dem Umgang mit Komplexität wird auch von vielen Expert*innen das Raumverständnis der Geographie als wichtig erachtet für Fragen der Nachhaltigkeit. Eine Expertin beschreibt hierbei die Verbindung von Raumverständnis und Nachhaltigkeit wie folgt: »Das heißt, dass man lernen kann, dass also Menschen, Räume, Welten, Umwelten anders bewerten, sie anders nutzen, sie mit anderen affektiven Werten aufladen und mit dieser Differenz, die notwendigerweise in einer Globalgesellschaft entsteht, die immer einen riesen Migrationshintergrund hat, die immer kulturell verschieden ist, also nicht mehr über die Flächen gedachte Kultur. Dieses Aushalten und das Aushalten von Differenzen, das wird wichtig sein und da kann die Geographie glaube ich eine ganze Menge in die nahe Zukunft dazu beitragen« (IPH11, Z. 213–220) Geographie kann laut den Expert*innen durch ihr Raumverständnis dazu beitragen, dass Prozesse wie der Klimawandel oder der Umweltwandel im Allgemeinen vermehrt auf einer räumlichen und maßstäblichen Ebene betrachtet werden. Die Geographie hilft dadurch »(…) Räume schlicht und ergreifend auch einfach mal anders zu denken« (IPH11, Z. 357). Eine solche Raumsensibilität wie sie der Geographie zugeschrieben wird,
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kann laut einem Experten »(…) Zielkonflikte, Interessen, Machtspiele aber auch ökologische, natürliche Konsequenzen der Nicht-Nachhaltigkeit ebenso wie der Nachhaltigkeit aufzuzeigen« (IPH13, Z. 68–70). »Wir leben in einer Zeit gerade auch mit Nachhaltigkeit, es geht um globale Verantwortung, es geht um globale Sichtweisen, es gibt Gewinner und es gibt Verlierer und die lassen sich halt verorten. (…) Auch wenn wir natürlich immer wieder neue Begrifflichkeiten haben, erste Welt, zweite, dritte Welt, Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe, globaler Süden (…), es findet im Raum statt und das ist tatsächlich etwas, was man nicht aus dem Auge lassen sollte und das zu sehen und das zusammenzufügen, diese räumlichen Skalierungen (…) also lokale, regionale, nationale, supranationale und globale Dimensionen, das ist einfach sehr wichtig. Wenn man das auf eine nachhaltigere Struktur bringen möchte im Sinne globaler Gerechtigkeit, dann muss man das eben erkennen« (IPP2, Z. 108–146) Weitere einzeln genannte Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext sind die Fähigkeit, eine kritische Perspektive einzunehmen und dadurch auch ein kritisches Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen beispielsweise für Konfliktpotenziale in der Nachhaltigkeitsdebatte, ein besonders guter Umgang mit Differenzen und Andersartigkeit sowie die Schaffung eines übergeordneten Mindsets für nachhaltiges Handeln und interdisziplinäres Arbeiten und denken durch das Bereitstellen von geeignetem Wissen und methodischen Zugängen.
8.1.5 Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit Bei der Frage nach konkretem geographischem Wissen und Inhalten, die eine Relevanz im Nachhaltigkeitskontext aufweisen, wurden zahlreiche Antworten seitens der Expert*innen gegeben. Diese wurden gegliedert in ein übergeordnetes geographisches Wissen sowie ein disziplinspezifisches Wissen der einzelnen geographischen Teildisziplinen. Für ersteres wird zunächst grundlegend das kulturelle und länderspezifische Wissen der Geographie durch einen Experten hervorgehoben: »In einer zunehmend globalisierten Welt können wir geographischen Analphabetismus uns eigentlich nicht leisten, also über andere Länder und andere Kulturen und über deren Geographien Bescheid zu wissen, ist im Grunde unabdingbar« (IPH6, Z. 185–188) Die Bedeutung eines Aufzeigens von regionalen Bezügen im Kontext von globalen Entwicklungen und Krisen wird im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit von einigen Expert*innen als relevantes geographisches Wissen erachtet. Insbesondere wenn es darum geht »(…) Geschichten über die Erde als Planet zu erzählen, über Menschen und ihre Mitwelt auf dieser Erde und über Zukünfte von noch nicht geborenen Kindern zu reden (…)« (IPH11, Z. 447–449), hilft geographisches Wissen laut einer Expertin enorm. Übergeordnet wird hier erneut der interdisziplinäre und problemorientierte Charakter eines geographischen Wissens als bedeutsam hervorgehoben: »(…) Offenheit für anderes, Interdisziplinarität, ein Sensus für Räume und ihre Wahrnehmung sowie
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kann laut einem Experten »(…) Zielkonflikte, Interessen, Machtspiele aber auch ökologische, natürliche Konsequenzen der Nicht-Nachhaltigkeit ebenso wie der Nachhaltigkeit aufzuzeigen« (IPH13, Z. 68–70). »Wir leben in einer Zeit gerade auch mit Nachhaltigkeit, es geht um globale Verantwortung, es geht um globale Sichtweisen, es gibt Gewinner und es gibt Verlierer und die lassen sich halt verorten. (…) Auch wenn wir natürlich immer wieder neue Begrifflichkeiten haben, erste Welt, zweite, dritte Welt, Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe, globaler Süden (…), es findet im Raum statt und das ist tatsächlich etwas, was man nicht aus dem Auge lassen sollte und das zu sehen und das zusammenzufügen, diese räumlichen Skalierungen (…) also lokale, regionale, nationale, supranationale und globale Dimensionen, das ist einfach sehr wichtig. Wenn man das auf eine nachhaltigere Struktur bringen möchte im Sinne globaler Gerechtigkeit, dann muss man das eben erkennen« (IPP2, Z. 108–146) Weitere einzeln genannte Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext sind die Fähigkeit, eine kritische Perspektive einzunehmen und dadurch auch ein kritisches Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen beispielsweise für Konfliktpotenziale in der Nachhaltigkeitsdebatte, ein besonders guter Umgang mit Differenzen und Andersartigkeit sowie die Schaffung eines übergeordneten Mindsets für nachhaltiges Handeln und interdisziplinäres Arbeiten und denken durch das Bereitstellen von geeignetem Wissen und methodischen Zugängen.
8.1.5 Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit Bei der Frage nach konkretem geographischem Wissen und Inhalten, die eine Relevanz im Nachhaltigkeitskontext aufweisen, wurden zahlreiche Antworten seitens der Expert*innen gegeben. Diese wurden gegliedert in ein übergeordnetes geographisches Wissen sowie ein disziplinspezifisches Wissen der einzelnen geographischen Teildisziplinen. Für ersteres wird zunächst grundlegend das kulturelle und länderspezifische Wissen der Geographie durch einen Experten hervorgehoben: »In einer zunehmend globalisierten Welt können wir geographischen Analphabetismus uns eigentlich nicht leisten, also über andere Länder und andere Kulturen und über deren Geographien Bescheid zu wissen, ist im Grunde unabdingbar« (IPH6, Z. 185–188) Die Bedeutung eines Aufzeigens von regionalen Bezügen im Kontext von globalen Entwicklungen und Krisen wird im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit von einigen Expert*innen als relevantes geographisches Wissen erachtet. Insbesondere wenn es darum geht »(…) Geschichten über die Erde als Planet zu erzählen, über Menschen und ihre Mitwelt auf dieser Erde und über Zukünfte von noch nicht geborenen Kindern zu reden (…)« (IPH11, Z. 447–449), hilft geographisches Wissen laut einer Expertin enorm. Übergeordnet wird hier erneut der interdisziplinäre und problemorientierte Charakter eines geographischen Wissens als bedeutsam hervorgehoben: »(…) Offenheit für anderes, Interdisziplinarität, ein Sensus für Räume und ihre Wahrnehmung sowie
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Gestaltung zu haben, (…) könnte (…) wirklich zu (ei)nem Basiswissen werden« (IPH11, Z. 492–494). Das räumliche Wissen der Geographie wird von vielen Expert*innen als wichtig im Nachhaltigkeitskontext betrachtet. »Im Hinblick auf Nachhaltigkeit sehe ich es eben dann so, dass Nachhaltigkeit auch allgemein als ein eher schwammiges Thema erstmal wirkt, erst konkretisiert wird in den verschiedenen räumlichen Bezügen (…) und deshalb passt Geographie als eben eine Wissenschaft, die mit Raumkonzepten gut arbeitet, gut vertraut ist, passt einfach sehr gut zu dem Ziel, zu dem Gedanken, Nachhaltigkeit zu verwirklichen, weil auch Nachhaltigkeit so greifbar gemacht werden kann in räumlichen Bezügen« (IPH4, Z. 53–59) »(Die Geographie) sollte zeigen, dass Räumlichkeiten, ob das überflutete Küsten sind, oder überforderte Börsenparketts, das ist völlig egal, dass in solchen Räumlichkeiten Risiken erzeugt werden und zwar systematisch durch unser Handeln. Das ist unsere Aufgabe. Dann aus solchem Wissen um solche Räumlichkeiten beispielsweise Konsequenzen zu ziehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe« (IPH13, Z. 123–127) Weiteres der Geographie im Nachhaltigkeitskontext zugeschriebenes übergeordnetes Wissen bezieht sich laut Expert*innen auf Wissen über Zusammenhänge und Vernetzungen. »Die geographische Wissenschaft zeigt die Probleme auf. Sie zeigt soziale Ungleichheit auf, Biodiversitätsverlust, CO2-Wandel, was Sie wollen, das sind die ganz großen Challenges, die Probleme. Die sind alle miteinander vernetzt und verbunden« (IPM4, Z. 339–342) Hier wird von vielen Expert*innen auch betont, dass ein solches Zusammenhangswissen dabei hilft, die Systeme der Erde besser zu verstehen, was als entscheidender Vorteil im Hinblick auf nachhaltiges Handeln betrachtet wird. »Also Zusammenhänge von Mensch und Natur aber auf diese reflexive Art, immer in Verbindung setzen das Kognitive, was man über Raum wissen kann, das Instrumentelle, was ja medial verhandelt wird, das affektiv emotional besetzt ist und das in verschiedenen Systemen« (IPH11, Z. 339–342) »Naja und dann vernetztes Denken gehört dazu. Also wenn ich mich selber nicht als schlechthinnig, also das meine Weltwahrnehmung, die geworden ist und die spezifisch ist, die einzig mögliche ist, wenn ich mich als vernetzter Mensch unter Menschen sehe, dann halte ich auch eine andere Lebensmöglichkeit, ne andere Form, ne andere Kultur, ne andere Sprache, ne andere Wertvorstellung einfach für ein anderes Beispiel und kann damit leben« (IPH11, Z. 390–396) Ein anderer Experte hebt hier das prozesshafte Wissen als gewinnbringend hervor: »(…) Dass man also eben nicht nur guckt auf die einzelnen Pflanzen oder das einzelne Sandkorn, sondern wirklich wie interagieren die. Landschaften als Systeme begreifen,
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wie interagiert das Ganze und eben auch in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und da ist vor allem diese Mensch-Umwelt-Systemforschung wie wir sie hier auch betreiben ein ganz wichtiges Stichwort« (IPP1, Z. 96–101) Die Geographie bietet laut den Expert*innen somit ein Wissen an, welches zu einer systemischen Sichtweise auf die Erde befähigt. Dies ermöglicht es, die Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik mit allen darin enthaltenen Wechselwirkungen zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Systemen und deren Veränderungen besser zu begreifen. Geographisches Wissen zeigt auf, dass »Umweltprobleme, Konsummuster, Verhaltensweisen genereller Art natürlich in verschiedenen Gebieten unterschiedliche Ausprägungen haben, unterschiedliche Probleme aufwerfen, unterschiedliche Lösungen haben, die dann untereinander (…) zusammenhängen« (IPP3, Z. 57–61). Ebenfalls auf der übergeordneten Ebene betonen viele Expert*innen erneut die Existenz eines gesellschaftlichen Wissens, welches in der Geographie produziert wird. Dies äußert sich beispielsweise in der »(…) Thematisierung des Lebensweltbezuges« (IPM6, Z. 282), der in zahlreichen geographischen Themen im Nachhaltigkeitskontext zu finden ist. Neben einem »Überblickswissen« (IPP9, Z. 142) und einem »Grundlagenwissen« (IPP12, Z. 57) bietet die Geographie auch »Sachwissen, Erfahrungswissen und Umsetzungswissen« (IPH3, Z. 6). Dies ermöglicht einen verbesserten gesellschaftlichen Umgang mit der potenziellen Überforderung der Nachhaltigkeitsthematik und verknüpft abstrakte Prozesse mit dem Alltagsleben der Menschen. »Ich glaube zum einen das, also die gesellschaftliche Dimension von Fragen des globalen Wandels, das ist etwas, was Geographen und Geographinnen gut machen können, weil sie ein Stück weit eben auch durch die physische Geographie ein Stück weit in den naturwissenschaftlichen Dimensionen drin sind und gleichzeitig auch das ganze eben dann auch gesellschaftsrelevant aufbereiten können« (IPH5, Z. 146–150) Die nachfolgende Tabelle fasst das genannte spezifische und disziplinbezogene geographische Wissen im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation zusammen. Sie gliedert sich nach den Teildisziplinen der Expert*innen sowie nach weiteren von den Expert*innen benannten Teildisziplinen der Geographie, deren Wissen im Nachhaltigkeitskontext eine Rolle spielt.
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Tabelle 26: Disziplinspezifisches Geographisches Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen Geographische Teildisziplin
bietet wissen über…. (vgl. alle Interviews)
Wirtschaftsgeographie
– Strukturwandelprozesse – Industrielle Infrastrukturen – Globale Wirtschaftssysteme & Kreisläufe – Globale Wertschöpfungsketten – Globale Produktionsnetzwerke – Ökologische Folgen ökonomischen Handelns – Umweltgefahren & deren wirtschaftliche Folgen – Die Wirkweise von Innovationen & deren Raumbezug – Ökonomische Gleichheits- und Ungleichheitsfragen – Sichtweisen von Produzent & Verbraucher – Das Zusammenspiel von Politik & Ökonomie – Postwachstumsökonomien – Den Immobilienmarkt & seine Folgen – Möglichkeiten nachhaltigen Wirtschaftens – Suffizienz, Effizienz, Konsistenz & Rebound-Effekte – Fairen Handel
Verkehrsgeographie
– Mobilität auf allen Ebenen – Verkehrsmittel & deren Infrastruktur – Folgen von Mobilitätsverhalten (ökologisch, sozial, ökonomisch) – Mobilitätssozialisation & Mobilitätsentscheidungen – die Verkehrswende & ihre Folgen – nachhaltige Mobilität – soziale Disparitäten in der Mobilität
Sozialgeographie
– Soziales Handeln im Raum – Migration & Migrationsströme – Empowerment von Frauen & Geschlechtergleichheit – Fragen der Partizipation – Umgang mit Differenz & Andersartigkeit – Möglichkeiten nachhaltigen Lebens – Hintergründe von nachhaltigem Verhalten & Verhaltensbarrieren – Lebensstile und deren räumliche Verteilung – Möglichkeiten sozialer Anpassung im Kontext des globalen Wandels
Tourismusgeographie
– Grundkonzepte des Tourismus (Anbieter- und Nachfrageperspektive) – Tourismusformen weltweit – globale Tourismusdestinationen & deren Wandel – Möglichkeiten für nachhaltigen Tourismus – Folgen von Tourismus (ökologisch, sozial, ökonomisch) – Reiseverhalten und -entscheidungen & deren Konsequenzen – Mobilitätsmöglichkeiten im Tourismussektor – Tourismus im Zusammenhang mit Klimawandel
8 Ergebnisse Methodik I Stadtgeographie
– Bedeutung von Städten für den Klimawandel – Prozesse der Stadtentwicklung auf allen Maßstabsebenen – Möglichkeiten nachhaltiger Stadtentwicklung – Verstädterungsprozesse & die Folgen – Energieversorgung von Gebäuden – städtische Wasserversorgung
Agrargeographie
– Ernährungsweisen – Ernährungssysteme – Möglichkeiten der Ernährungssicherung – Grundprinzipen von Landwirtschaft – Landwirtschaftliche Methoden (z.B. Smart Farming) & deren Wirkweisen – Wandlungsprozesse im primären Sektor (z.B. nachhaltige Landwirtschaft) – Nahrungsmittelproduktion & deren Folgen – Soziale & ökologische Konflikte im Hinblick auf Ernährung
Entwicklungsgeographie
– Disparitäten auf allen Ebenen (z.B. räumlich & sozial) – Gerechtigkeitsfragen – Armut – Die Nord-Süd-Problematik – Entwicklungstheorien – Soziale Polarisierung – Fragmentierungsprozesse
Kulturgeographie
– Kulturen der Erde – Diversität – Anthropogene Lebensstile & Wertvorstellungen
Konsumgeographie
– Konsum jeglicher Art & seine Folgen – Konsumketten – Möglichkeiten nachhaltigen Konsums – Greenwashing-Prozesse im Konsumbereich – Produktlabel- und Zertifikate & deren Aussagekraft – Recycling-Prozesse & Möglichkeiten
Energiegeographie
– Energiesysteme – Transformationsprozesse im Energiesektor – Ressourcen zur Energieversorgung & deren Verteilung – Energiewende & ihre Folgen
Politische Geographie
– soziale Konflikte auf der Erde – politische Systeme der Erde & ihre Folgen – räumliche & soziale Folgen von politischem Handeln – Grenzen & Grenzkonflikte
Bildungsgeographie
– Bildungsungleichheiten weltweit & Möglichkeiten zur Überwindung – Bildungssysteme auf der Erde & deren Stärken und Schwächen – Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen & Disparitäten im Zugang zu Wissen – Die Aushandlung von Wissensbeständen (lokal bis global)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Bevölkerungsgeographie
– globale Bevölkerungsstrukturen & deren Entwicklung – demographische Wandlungsprozesse & deren Folgen – demographische Alterung – Stadt-Land-Beziehungen
Klimageographie
– Klima & seine Phänomene allgemein – Klimasysteme der Erde – historische Klimaentwicklungen – Klimamodellierung – den Klimawandel & seine Prozesse – Klimawandelfolgen – Klimaanpassungsmaßnahmen – Vulnerabilitätsfragen – Verursacher und Betroffene von Klimawandel – Stadtklimatologie – Luftverschmutzung & ihre Folgen
Biogeographie
– Evolution & Erdgeschichte – Vegetationszonen der Erde – Ökosysteme & Biome der Erde – Ökosystemdienstleistungen – Tragfähigkeit & Belastbarkeit von Ökosystemen – Biodiversität & Folgen von Biodiversitätsverlust – Vegetationsveränderungen – Landnutzungswandel & seine Folgen – Naturschutzmaßnahmen – Ernährungsweisen – Anthropogene Eingriffe in die Natur & Folgen (z.B. Brandrodung)
Geomorphologie
– die Erdgeschichte – die Erdoberfläche & ihre Zusammensetzung – Geomorphologische Prozesse & Formen auf der Erde – Degradierungsprozesse (z.B. Erosion, Hangrutschung) – Kaskadeneffekte von natürlichen Prozessen (z.B. Massenbewegungen) – Permafrost & Folgen des Verlustes – Naturgefahren & Folgen – natürliche Ressourcen der Erde (insbesondere fossile Rohstoffe) – Ressourcenentnahme & Folgen (z.B. Fracking) – geologische Prozesse – Plastik & Umweltfolgen – Landsysteme – Vulnerabilitätsgrenzen von Landschaften & Landformen – Kontamination & Zerstörung von Landschaften
8 Ergebnisse Methodik I Bodengeographie
– Böden der Welt – Prozesse im Boden – Funktionen von Böden – Zerstörung von Böden & Folgen (z.B. Desertifikation) – Folgen von Schadstoffeintrag im Boden – Nahrungsmittelsicherheit – anthropogene Landnutzung (insb. Bodenfunktion für Landwirtschaft) – Landnutzungswandel & Folgen – Flächenversiegelung & Folgen – Ressourcennutzung
Hydrogeographie
– Wasserverteilung & Vorkommen auf der Erde – Wasserströme & Kreisläufe auf der Erde – Verschmutzung von Wasser (z.B. durch Plastik) & Folgen (z.B. Ozeanversaue–rung) – Meeresspiegelanstieg & Folgen – Wassernutzung & Wasserverbrauch und die Folgen (z.B. Staudämme, Bewässerung, Gewässerumleitung, Grundwasserentnahmen) – Wasser als Ressource – Trinkwasserversorgung – Wasserknappheit & Konflikte um Wasser
Risikoforschung/ Natural Hazards
– Naturgefahren & ihre Entstehung – Vorhersage von Naturgefahren – Folgen von Naturkatastrophen – Schutzmaßnahmen – Vulnerabilität & Resilienz
Eigene Darstellung
Im Hinblick auf die Frage nach gegenwärtigen, aber auch zukünftigen Themen aus dem weiten Feld der sozial-ökologischen Transformation, die bisher gesellschaftlich und medial noch zu wenig thematisiert worden sind und zu denen die Geographie einen Wissensbeitrag leisten kann, wurden von den Expert*innen folgende Themen genannt: • • • • • • • • • • • • •
Soziale Resilienz und Verwundbarkeit Verkehrs- und Energiewende globale (Un)Gerechtigkeit friedliches Zusammenleben in Gesellschaften Migration als Folge des Klimawandels Tragfähigkeit der Erde Nord-Süd-Problematik Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft & Gesellschaft Digitalisierung demographischer Wandel Nahrungsmittelbereitstellung und -sicherheit Bedeutung von Landwirtschaft Ressourcennutzung in der Zukunft
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• • • • • •
Landnutzungswandel Ökosystemdienstleistungen & Folgen des Verlustes Biodiversitätsverlust Wassernutzung und -knappheit Prozesse des globalen Wandels Naturkatastrophen
8.1.6 Herausforderungen & Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext Auch wenn dies keine konkrete Frage im Leitfaden war, ergaben sich aus den Interviews einige Herausforderungen und daraus ableitbare Aufgaben für die Geographie im Nachhaltigkeitskontext. Die von vielen Expert*innen benannten Herausforderungen lassen sich in folgende vier Kategorien unterteilen: I. Diskrepanz zwischen Potenzial & Leistung II. Sichtbarkeit & Akzeptanz III. Vermarktung IV. Fachverständigung
Das am häufigsten geäußerte Problem der Geographie im Zusammenhang mit dem Thema der sozial-ökologischen Transformation ist eine von den Expert*innen beschriebene Diskrepanz zwischen Potenzial und tatsächlicher Leistung innerhalb der Geographie. »(…) Weil leider entgegen der Theorie dessen, was Geographie sein könnte, also dieses holistische, eher synthetische, die Menschen, die die Geographie repräsentieren, auseinanderstreben und mit dieser Komplexität überhaupt nicht umgehen können und wollen und sich dann doch gerne zu Fachidioten entwickeln und wirklich mehr sich in ihre Subsubsub-Unterdisziplinen, dann doch verorten wollen oder müssen« (IPM1, Z. 57–62) »Auch die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, oder Nachhaltigkeit als ein sehr komplexes Themenfeld, theoretisch wäre die Geographie da sehr gut geeignet, sich damit zu beschäftigen, aber die Akteure tun es nicht, oder sagen wir mal so die Mehrheit der Akteure tut es nicht, weil man sich da irgendwo nicht dazu berufen fühlt. (…) Da werden Chancen nicht ergriffen, da gibt es eine große Diskrepanz zwischen Theorie, was die Geographie leisten sollte und könnte« (IPM1, Z. 87–114) »Eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie sollte und was sie wirklich tut« (IPP2, Z. 160) »Ich preise hier die Geographie an, aber ich möchte auch anfügen, die Geographie macht sich da nicht sonderlich gut. Die füllt ihren Job nicht aus« (IPP11, Z. 102–103) Viele der Expert*innen sind sich darin einig, dass die Geographie prädestiniert für die Fragen der Nachhaltigkeit ist, es jedoch oftmals daran scheitert, dass das Thema in der Realität zu wenig thematisiert wird und eine Zurückhaltung zu beobachten ist, die laut
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Landnutzungswandel Ökosystemdienstleistungen & Folgen des Verlustes Biodiversitätsverlust Wassernutzung und -knappheit Prozesse des globalen Wandels Naturkatastrophen
8.1.6 Herausforderungen & Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext Auch wenn dies keine konkrete Frage im Leitfaden war, ergaben sich aus den Interviews einige Herausforderungen und daraus ableitbare Aufgaben für die Geographie im Nachhaltigkeitskontext. Die von vielen Expert*innen benannten Herausforderungen lassen sich in folgende vier Kategorien unterteilen: I. Diskrepanz zwischen Potenzial & Leistung II. Sichtbarkeit & Akzeptanz III. Vermarktung IV. Fachverständigung
Das am häufigsten geäußerte Problem der Geographie im Zusammenhang mit dem Thema der sozial-ökologischen Transformation ist eine von den Expert*innen beschriebene Diskrepanz zwischen Potenzial und tatsächlicher Leistung innerhalb der Geographie. »(…) Weil leider entgegen der Theorie dessen, was Geographie sein könnte, also dieses holistische, eher synthetische, die Menschen, die die Geographie repräsentieren, auseinanderstreben und mit dieser Komplexität überhaupt nicht umgehen können und wollen und sich dann doch gerne zu Fachidioten entwickeln und wirklich mehr sich in ihre Subsubsub-Unterdisziplinen, dann doch verorten wollen oder müssen« (IPM1, Z. 57–62) »Auch die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, oder Nachhaltigkeit als ein sehr komplexes Themenfeld, theoretisch wäre die Geographie da sehr gut geeignet, sich damit zu beschäftigen, aber die Akteure tun es nicht, oder sagen wir mal so die Mehrheit der Akteure tut es nicht, weil man sich da irgendwo nicht dazu berufen fühlt. (…) Da werden Chancen nicht ergriffen, da gibt es eine große Diskrepanz zwischen Theorie, was die Geographie leisten sollte und könnte« (IPM1, Z. 87–114) »Eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie sollte und was sie wirklich tut« (IPP2, Z. 160) »Ich preise hier die Geographie an, aber ich möchte auch anfügen, die Geographie macht sich da nicht sonderlich gut. Die füllt ihren Job nicht aus« (IPP11, Z. 102–103) Viele der Expert*innen sind sich darin einig, dass die Geographie prädestiniert für die Fragen der Nachhaltigkeit ist, es jedoch oftmals daran scheitert, dass das Thema in der Realität zu wenig thematisiert wird und eine Zurückhaltung zu beobachten ist, die laut
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mehreren Expert*innen dazu geführt hat, dass die Geographie »(…) teilweise auch das Feld anderen überlässt« (IPP4, Z. 273) und »sich das aus der Hand (hat) nehmen lassen« (IPP11, Z. 169–170). Dies zeigt sich laut einem Experten auch im Fehlen von großen Forschungsprojekten an den Universitäten: »Wo sind die denn, die wirklich großen Projekte und da spreche ich jetzt nicht von 1 oder 2 Millionen sondern von 100 Millionen oder mehr. Wo sind sie denn in der Geographie? Themen hätten wir mannigfaltig« (IPP4, Z. 511–513) Ein weiteres großes Problem der Geographie im Nachhaltigkeitskontext liegt laut einigen Expert*innen in einer fehlenden Sichtbarkeit und Akzeptanz des Faches. Eine Expertin ist der Ansicht, dass sich die Geographie »(…) noch nicht den Status erarbeitet (hat), dass es (ihr) möglich gemacht wird, da viel stärker einzuwirken« (IPM5, Z. 109–110). Ein anderer Experte hingegen äußert die Vermutung: »Viele Geographen merken oft nicht, dass das, was sie tun auch ganz viel mit Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Transformation zu tun hat« (IPH10, Z. 184–185). Insgesamt betonen mehrere Expert*innen, dass es der Geographie in der Öffentlichkeit an Sichtbarkeit fehlt in der gesamten Nachhaltigkeitsthematik. »So zieht sich jeder so ein bisschen auf seine Teildisziplin zurück und das führt unter Umständen dazu, dass die Rolle der Geographie als Ganzes in der Gesellschaft auch nicht so oft betont wird oder überhaupt erklärt wird« (IPP5, Z. 276–278) »Das liegt zum Teil aber auch an uns, dass wir uns zum Teil eben auch nicht so als Geographen und Geographinnen positionieren. Also es gibt viele Kollegen, die sich dann als Stadtentwickler oder als Katastrophenforscher oder was weiß ich Nahostexperte im Fernsehen dann bezeichnen und nicht als Geographen« (IPP12, Z. 94–97) »(…) Viele leugnen ja auch, dass sie Geograph sind und nennen sich dann hinterher alles mögliche, sodass die Geographie da schon ein erhebliches Identifikationsproblem hat, ein Selbstwertproblem mit sich hat, wenn ihre Kollegen sich schon nicht offensiv dazu bekennen (…)« (IPP9, Z. 11–14) Neben dem hier beschriebenen fachinternen Problem sind viele Expert*innen darüber hinaus der Meinung, dass auch die Außenwirkung der Geographie als unzureichend beschrieben werden muss. »Es ist aber auch ein PR-Problem, dass die Geographen halt glaub ich sich schwer tun damit, sich dann halt auch hinzustellen und zu sagen, dass sie eben wirklich für das Ganzheitliche stehen« (IPP5, Z. 271–273) Einige Expert*innen sind demnach der Ansicht, dass die Geographie als Wissenschaftsdisziplin auch ein Marketing-Problem hat. So postuliert eine Expertin, dass »(…) die Geographen ganz schlecht darin sind, sich selber zu vermarkten, enorm schlecht (…)« (IPH11, Z. 238–239). Erweiternd dazu wird auch eine fehlende Lobbyarbeit der Geographie im
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Nachhaltigkeitskontext kritisiert. Dazu zählt auch das Fehlen einer institutionellen Verankerung des Faches. »Wir haben leider auch kein sagen wir mal kein Sprachrohr auch keine institutionelle Verankerung, wie das zum Beispiel die Hydrologie hat. Die Hydrologie hat Wasserwirtschaftsämter, die Bodenkunde hat die bodenkindlichen Ämter (…) und so kann man alle Bereiche durchgehen und das ist eben ein großer Fehler, dass wir keine Institutionalisierung haben. Es gibt keine geographischen Ämter (…). Wir haben nicht die Loudspeaker, die wir bräuchten, die permanent zu den Themen der Zeit auch wirklich in der Öffentlichkeit als Geographen auftreten« (IPP2, Z. 173–182) Hinzu kommt laut einigen Expert*innen, dass die Geographie zu wenig populärwissenschaftlich publiziert. »Und es gibt eines wo ich nach wie vor der Meinung bin, da haben wir versagt als Geographen, geradezu kläglich (…), das ist das Schreiben von Büchern, die in Verlagen erscheinen, die jetzt vielleicht nicht nur Nischen darstellen. Wenn sie sich da mal anschauen, wie ist die Performance von Geographen, wie ist die Performance von Historikern, da muss man sagen, sind letztere uns um Lichtjahre voraus. Also irgendein bedeutender Universitätsprofessor braucht nur ein Werk über den Ersten Weltkrieg zu schreiben und sie werden das sicher auf den Wühltischen der Buchhandlung finden, weil es halt bei Verlagen erscheint (…) die einfach wahrgenommen werden. Da können sie diejenigen, die in der Geographie da gut performen, die können sie an einer Hand abzählen. Das ist für mich nach wie vor ein absolutes Mysterium, wieso das nicht gelingt« (IPM2, Z. 334–346) Viele Expert*innen bemängeln den zu starken Fokus auf Publikationen in Fach-Journals mit Peer-Review-Prozess und Impact-Faktor auf der einen Seite und die zu geringe Wertschätzung von populärwissenschaftlichen Publikationen auf der anderen Seite. »Sie werden nachher nach gepeer-reviewten Fachzeitschriftenartikeln gewertet und alles, was davon abweicht, das wird schon mal gar nicht wahrgenommen (…) und das finde ich absolut falsch. Wie viel Artikel wurden auch in die klassischen Medien entsprechend lanciert, hat der Interviews gegeben oder hat die Person sich im Fernsehen gezeigt. Das ist auch noch unsere falsche Denke, es geht nur noch um Impact-Faktoren und nur noch um Indizes (…). Das hilft uns überhaupt nicht weiter, weil es nicht nach außen wirkt« (IPP2, Z. 402–410) Eine weitere Herausforderung, die von mehreren Expert*innen benannt wird, ist eine fehlende Verständigung innerhalb des Faches. »Das Problem, das man sich nicht unbedingt mehr miteinander verständigen kann, ohne vorher zentrale Begriffe und Methoden zu klären« (IPP2, Z. 92–94) Viele Geograph*innen sehen sich laut einer Expertin nicht als richtige Geograph*innen, sondern eher als Vertreter*innen ihrer Teildisziplinen oder sogar nur ihres Forschungsschwerpunktes ohne einen konkreten Geographiebezug. Dies wird auch als Hemmnis
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gegenüber der Außenwirksamkeit der Geographie im Nachhaltigkeitskontext betrachtet, da so der ganzheitliche Anspruch der Geographie, welcher in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung ist, verloren geht. Aus den hier beschriebenen Herausforderungen und Problemen resultieren auch Aufgaben an die Geographie im Nachhaltigkeitskontext, die von den Expert*innen konkret benannt werden. Abbildung 44 zeigt die fünf am häufigsten der Geographie zugeteilten Aufgaben im Hinblick auf eine sozialökologische Transformation.
Abbildung 39: Zukünftige Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten von den Expert*innen als zukünftige Aufgaben der Geographie benannt werden eine verstärkte interdisziplinäre Forschung sowie die Bereitstellung von Wissen für ein verbessertes Verständnis der Nachhaltigkeitsthematik in der Gesellschaft. Die Expert*innen sehen insbesondere im Nachhaltigkeitskontext einen starken Bedarf nach inter- und transdisziplinärer Forschung. »Ich sage immer (…), dass wir mittlerweile vor so komplexen Herausforderungen stehen, die auch letzten Endes komplexe Lösungen erforderlich machen, dass wir im Grunde genommen mit unserem universitären System, mit den Strukturen des Systems, mit unseren Fachdisziplinen falsch aufgestellt sind, hinterherhinken. Es wird ja immer nach interdisziplinären oder gar multidisziplinären Ansätzen und Projekten gerufen. Es fehlt uns aber offensichtlich an diesem holistischen Gedanken, den auch tatsächlich in Strukturen umzusetzen« (IPP10, Z. 43–50) »Projekte, wo man zusammenarbeitet, gemeinsame Studiengänge, dass man mehr interdisziplinär kooperiert und zusammenarbeitet, das kommt, weil eben gerade die Fragen der Nachhaltigkeit das jetzt fordern« (IPP1, Z. 68–71) »(…) Das ist auch das, was die Geographie leisten kann, Wir können in Forschungskonsortien unseren Beitrag leisten, (…) wir können Beiträge leisten in interdisziplinären sowie transdisziplinären Forschungsverbünden und ich glaube das ist auch unsere Rolle« (IPH1, Z. 99–104)
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In solchen inter- und transdisziplinären Forschungsvorhaben wird der Geographie aufgrund ihrer Vernetzungsfähigkeit von einigen Expert*innen die Aufgabe des Vermittelns zwischen den verschiedenen Akteur*innen zugeschrieben, auch aufgrund des holistischen Ansatzes der Geographie, der es ihr ermöglicht, ein Grundverständnis für jeden Bereich vorzuweisen und dadurch unterschiedliche Fachdisziplinen beispielsweise aus den Sozial- und Naturwissenschaften zusammenzubringen. Auch innerfachlich fordern einige Expert*innen eine stärkere Zusammenarbeit im Nachhaltigkeitskontext, die für die Geographie leichter umsetzbar ist als für viele andere Fächer. »Es wird also auch ein neues Wertesystem brauchen und ich glaube die Geographie könnte da viel beitragen, indem sie in Verbindung von physischer und Humangeographie, die viel zu schwach ist, wieder mehr zusammenarbeiten und diese stärken, weil das können die anderen Fächer nicht« (IPH11, Z. 363–366) Um eine stärkere interdisziplinäre Forschung zu erreichen, »(…) müsste es dann mehr belohnt werden, solche innovativen und experimentellen Sachen zu machen. Wenn das karrieretechnisch wieder Punkte bringt, (…) dann könnte das klappen« (IPH11, Z. 381–383). Der zweite große Aufgabenbereich, den die Expert*innen der Geographie zuschreiben, ist die Bereitstellung von Wissen. Hiermit geht auch die Aufgabe einer verbesserten Kommunikation einher, die am dritthäufigsten genannt wird. »Dort kann die Geographie ganz viel Wissen liefern, in den nächsten Jahren. Dort ist für mich eine Forschungsagenda eigentlich und es ist gleichzeitig eigentlich auch das Versprechen der Geographie an die Gesellschaft« (IPM4, Z. 372–374) »Da würde ich schon auch die Verantwortung von Wissenschaft allgemein und Geographie im Besonderen sehen, dass es eben häufig auch darum geht, aufzuzeigen, was bestimmte Entscheidungen für Konsequenzen haben, was irgendwie nicht mitgedacht wird, was ausgeblendet ist und so weiter und das geht dann themenbezogen an unterschiedlichen Stellen würde ich sagen« (IPH9, Z. 240–245) Ein Experte hält die Geographie »(…) auch insbesondere im Bereich der Vermittlung als prädestiniert, wissen zu kondensieren und zu kombinieren, dass es einleuchtet, was man da tut« (IPH13, Z. 75–77). Die Geographie sollte »(…) unbedingt die Handlungsfolgen, die nicht-nachhaltigen Handlungsfolgen des derzeitigen Systems immer und immer wieder aufzeigen« (IPH13, Z. 119–120). Viele Expert*innen betrachten hierbei insbesondere die Vermittlung von gesellschaftlich relevantem Grundlagenwissen als »absolut notwendig« (IPP7, Z. 169). »Die Leute wollen mehr Wissen zu diesen Themen. Das muss man nur glaube ich aggressiver transportieren, was wir da Wissen, an Umweltpsychologie, an Nutzerverhalten an räumlichen Kontexten. (…) Da redet man wirklich in unterschiedlichen Universen, was ja durch diese Filterblasen in den sozialen Medien leider nicht besser wird. Da hat eine Geographie, die wirklich räum-zeitliche Kontexte in Bezug setzen kann, die kann da schon echt sehr viel liefern« (IPP8, Z. 243–250)
8 Ergebnisse Methodik I
»(Die Geographie) kann aufgrund ihres breiten Ansatzes dazu beitragen, dass im Bereich der Kommunikation in die Gesellschaft hinein die relevanten Themen in ihrer Komplexität besser verstanden werden, wenn man es eben auf wesentliche Sachen reduziert« (IPP9, Z. 183–186) Um ein solches Grundlagenwissen zu vermitteln, wird von vielen Expert*innen eine breitenwirksame Kommunikation in die Gesellschaft als zentrale Aufgabe der Geographie betrachtet. »Ich bin der Meinung, dass die Universität sich immer mehr gerade in Nachhaltigkeitsfragen verstehen muss als eine Plattform, die sich öffnet für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen. (…) Und da kann die Uni schon und kann dann vor allem Geographie schon auch eine Funktion übernehmen und zu sagen, also wir bieten eine Plattform des Austausches, des Dialogs und können auch darüber durchaus über die klassische sich auf Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene konzentrierenden formalisierten Bildungsgeschichten hinaus gehen« (IPM2, Z. 274–284) »Ich denke es ist halt oft noch nicht angekommen, auch in wichtigen Entscheidungskreisen, dass das eben tatsächlich eine Perspektive ist, die man braucht. Sichtbar machen ist natürlich eine Verantwortung, die die Wissenschaftler haben. Das ist oft ein schwerer Job. Wie kommuniziert man sein Wissen effektiv und auf eine Art und Weise, dass es eben auch von Nicht-Wissenschaftlerinnen verstanden wird« (IPM5, Z. 151–156) »Ich denke das ist wichtig, an dieser Schnittstelle zu arbeiten. Wir haben natürlich auch eine Bringschuld als Wissenschaftler, wir sind ja finanziert von der Gesellschaft größtenteils, dass wir unser Wissen auch zur Verfügung stellen. Gerade auch zum Lösen von aktuellen Fragen zur Verfügung stellen. Und da (…) kann die Geographie viel bereitstellen und das sollten wir auch tun« (IPP1, Z. 164–169) Die Wissenskommunikation in die breite Masse der Gesellschaft wird insbesondere im Nachhaltigkeitskontext von vielen Expert*innen als zentral wichtig angesehen. Darunter verstehen die Expert*innen nicht nur die Kommunikation in die Gesellschaft hinein, sondern auch die Extrahierung von relevanten Forschungsfragen für die Wissenschaft aus der Mitte der Gesellschaft heraus in Form eines Dialogs. Eine verbesserte Kommunikation in diesem Bereich hätte laut einem Experten auch eine verbesserte Wahrnehmung der Relevanz der Geographie im Nachhaltigkeitskontext zur Folge: »Ich denke, die Bezüge zu diesen Zielen und übergeordneten Fragestellungen im Kontext Nachhaltigkeit müssten da noch viel mehr herausgestellt werden. Dadurch würde dann auch sicherlich das Image der Geographie im Wert steigen und eben auch die gesellschaftliche Bedeutung« (IPH10, Z. 192–195) Damit einhergehend ist die ebenfalls von mehreren Expert*innen für die Geographie geforderte Aufgabe einer vermehrten Öffentlichkeitsarbeit: »Die Geographie muss einfach zu den Themen derzeit an prononcierter Stelle Stellung beziehen. Sie muss sich einfach zeigen in der Öffentlichkeit« (IPP2, Z. 204–205). Darüber hinaus fordern mehrere
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Expert*innen eine verstärkte Lobbyarbeit seitens des geographischen Verbandes sowie auch ein vermehrter Auftritt von Geograph*innen in den Medien. »Man muss da proaktiv auch in die Gesellschaft hinein gehen und sich zu gesellschaftlichen Fragen dann auch äußern und da gibt es noch viel Verbesserungsbedarf« (IPP10, Z. 308–310) Neben der Kommunikation in die Gesellschaft hinein, fordern einige Expert*innen auch eine stärkere Präsenz in politischen Debatten. Ein Experte benennt dies als Problem insbesondere für den Bereich der physischen Geographie: »Die physische Geographie, die glaube ich noch am stärksten Sorge hat, irgendwie so dieses feste Terrain des gesicherten Faktenwissens zu verlassen und sich auch in politisch Debatten auf eine elegante Art und Weise einzumischen« (IPH7, Z. 195–197) Unter der Aufgabe einer verstärkten politischen Teilhabe der Geographie fällt auch die Forderung einiger Expert*innen nach einer stärkeren Einbindung in politische Gremien sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Dies bezieht sich auch auf die Präsenz in internationalen Programmen und Kommissionen. »Ich denke es ist einfach wichtig, dass man in diesen großen Forschungsprogrammen Flagge zeigt und hier tatsächlich den Hut aufhat in bestimmten Gremien. Das ist der Weg. Denn hier kommt die Politik ins Spiel. Hier wird Wissenschaftspolitik betrieben« (IPP10, Z. 182–185) Darüber hinaus werden von einzelnen Expert*innen weitere Aufgaben für die Geographie im Nachhaltigkeitskontext gesehen. Hierunter fällt die Forderung an die Wissenschaftler*innen der Geographie eine »Identität als Gesamtgeograph« (IPM1, Z. 330) zu entwickeln, die als unabdingbar angesehen wird, ebenso wie die Umstrukturierung von Geographiestudiengängen mit einem stärkeren Fokus auf der Nachhaltigkeitsthematik. Auch jede*r einzelne Geograph*in wird durch einen Experten in die Pflicht genommen: »Also aus meiner Sicht kann jeder Geograph auch was beitragen zur Nachhaltigkeitsdebatte, sollte das auch aus meiner Sicht« (IPP5, Z. 224–225) Neben diesen Forderungen an die Wissenschaftler*innen, benennen auch mehrere Expert*innen die Stärkung der Geographie als Schulfach als Aufgabe der Geographie. Laut eines Experten »(…) müsste (Geographie) auch in der Schule einen höheren Stellenwert bekommen« (IPP12, Z. 103). Eine andere Expertin postuliert: »Grad die Geographie hat eine ganz besondere Verantwortung, weil sie ja auch im Lehramt ausbildet ja, und Lehrer sind Multiplikatoren und wenn die nie was von Nachhaltigkeit gehört haben (…), dann ist das natürlich verheerend« (IPM1, Z. 106–111).
8 Ergebnisse Methodik I
8.1.7
Geographie in der Gesellschaft
Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Geographie als Wissenschaftsdisziplin wird von den meisten Expert*innen als unzureichend beschrieben. Viele Expert*innen sind der Ansicht, dass Geographie in der Gesellschaft nach wie vor nur wenig wahrgenommen wird, was häufig auch auf ein falsches Bild im Hinblick auf die tatsächlichen Inhalte der Geographie zurückgeführt wird. »Eine nicht besonders große würde ich sagen. Also wenn man die Debatten vergleicht, ich meine es reicht ja, wenn man sich (…) die überregionalen Tageszeitungen regelmäßig anschaut also die Zeit oder den Spiegel oder wie auch immer (…), da sitzen selten Geographen ja oder melden sich zu Wort« (IPM7, Z. 165–169) »Das passiert mir und Ihnen wahrscheinlich auch, dass die Leute immer noch oft sagen, ach ja und hier der Geologe und ich dann sage nein, ich bin Geograph. Diese Debatte, die ist einfach immer noch da. Das liegt vielleicht auch an den Konturen des Faches so ein bisschen und eben auch der Wahrnehmung als Erdkunde in der Schule so ein bisschen« (IPH5, Z. 127–132) »Also wenn ein Historiker sagt, ich bin Historiker, dann weiß jeder, was der macht. Das ist da. Wenn Sie aber in der Öffentlichkeit fragen, was macht ein Geograph, dann Wissen viele das nicht« (IPH8, Z. 223–225) »Sie ist leider sehr klein. Sie hat ein schlechtes Image von der Schule her, Schulerdkunde, dann hat das natürlich immer was zu tun mit diesem Stadt-Land-Fluss-Image, das könnte man natürlich auch modern fassen als regionale Geographie, aber das ist nie so angekommen« (IPP2, Z. 330–333) Die Gründe für die schlechte Wahrnehmung der Geographie sehen die Expert*innen somit einerseits in der fehlenden Öffentlichkeitsarbeit und expliziten Darstellung der Geographie in den Medien sowie andererseits in einem falschen gesellschaftlichen Verständnis bezüglich der tatsächlichen Inhalte der Geographie, welches auf schulisches Wissen im Fach Erdkunde zurückzuführen ist. Einige Expert*innen wiederum sehen die Vielfalt geographischer Inhalte und ein damit einhergehender fehlender inhaltlicher Kern als Gründe für die falsche Wahrnehmung der Geographie. »Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass viele nicht richtig greifen können, was die Geographie ist und was dann der spezifische Beitrag ist« (IPP3, Z. 96–98) »Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die Geographie den Leuten halt in zu vielen unterschiedlichen Zusammenhängen begegnet« (IPH1, Z. 285–287) Ein anderer Experte sieht die Schuld der unzureichenden gesellschaftlichen Wahrnehmung des Faches bei den öffentlichen Medien:
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Aber es ist auch die Schuld des falschen Images der Mediallandschaft, die keine richtige Vorstellung davon hat, was Geographie ist und vor allen Dingen nicht von dem, was wir als Geographen können« (IPH2, Z. 170–172) Allgemein sind viele Expert*innen der Ansicht, dass die Geographie bezüglich einer gesellschaftlichen Bewertung als neutral angesehen wird. Ein Experte äußert diesbezüglich beispielsweise: »Ich glaube Geographie gilt immer als ganz sympathisch aber auch nicht so wirklich wichtig« (IPH9, Z. 192–193). Viele Expert*innen betonen jedoch auch, dass sich das Image und die Wahrnehmung der Geographie in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Berufswelt. »Wobei die Geographie echt wahnsinnig aufgeholt hat in den letzten Jahren. Also das sieht man dadurch, dass sie also das höre ich jetzt auch immer, dass Arbeitgeber, Institute, Städte, Kommunen wie auch immer gerne Geographinnen einstellen und zufrieden sind und oft auch sagen die Geographen sind viel zu bescheiden, die können eigentlich viel mehr, die bringen viel mehr mit und das ist das, was wir hier brauchen« (IPM7, Z. 172–177) »Wobei man sagen muss, das hat sich in den letzten Zehn Jahren auch etwas verändert, wenn man mal guckt, immer mehr Geographen landen jetzt in allen möglichen Verbänden, in Tourismusorganisationen, sie werden Klimaschutzmanager. Solche Leute verbreiten sich jetzt schon« (IPH8, Z. 242–245) Insgesamt überwiegt allerdings die negative Sichtweise auf eine eher unzureichende gesellschaftliche Wahrnehmung der Geographie als Wissenschaftsdisziplin. Von 27 Expert*innen, die eine diesbezügliche Einschätzung vorgenommen haben, haben 21 Expert*innen eine negative oder falsche Wahrnehmung der Geographie benannt und lediglich 6 Expert*innen beschreiben eine Image-Verbesserung in den letzten Jahren. Als Möglichkeit einer Image-Verbesserung der Geographie wird von den Expert*innen am häufigsten eine stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit allgemein, aber insbesondere auch in sozialen Netzwerken, vorgeschlagen. »Eine andere Maßnahme ist massiv in die Medien gehen. Also nicht sich abends im Sessel ärgern, dass in der Tagesschau etwas falsch dargestellt wird, sondern konkret auch als Experte Stellung beziehen zu bestimmten Dingen« (IPH2, Z. 192–195) »Es gibt kaum noch ein Institut was nicht auf Facebook oder Twitter auch gleichermaßen tätig ist. Es gibt natürlich die Geoparks, es gibt Applikationen auf dem Smartphone, die da helfen, es gibt Kolleginnen und Kollegen, die stark in den Medien auftreten, in den klassischen, Printmedien, Journale, TV oder Radio« (IPP10, Z. 126–130) Weitere Chancen sehen die Expert*innen in der Aufstellung moderner Marketing-Strategien in Verbindung mit einer professionellen Lobbyarbeit sowie die Nutzung der bestehenden Organe des Faches wie den geographischen Gesellschaften, aber auch Zeitschriften wie der geographischen Rundschau.
8 Ergebnisse Methodik I
»Sicher gibt es da noch Verbesserungsmöglichkeiten, viele Universitäten haben ja geographische Gesellschaften, die ja doch regelmäßig ihre Abendprogramme machen (…). Zum Zweiten gibt es immer noch die Geographische Rundschau, für die uns viele Nachbarfächer beneiden, weil die ja ein Publikationsorgan ist, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse in einer Art und Weise gut bebildert und illustriert, dargestellt werden, dass es auch der studierte Lehrer verstehen kann. (…) Da haben wir ein Publikationsorgan mit einer gewissen Breitenwirksamkeit« (IPH3, Z. 231–243) Als weitere Möglichkeit zur Aufbesserung des Images benennen einige Expert*innen die Stärkung des Schulfachs als Startpunkt, um insbesondere bei den jungen Generationen eine andere Wahrnehmung des Faches zu generieren. Insgesamt sind sich die Expert*innen alle einig, dass die Geographie insbesondere im Nachhaltigkeitskontext eine zentrale Rolle für die Gesellschaft spielt und einer Verbesserung des Images daher eine Notwendigkeit darstellt. Aspekte wie eine verständliche Sprache, der gute Umgang mit Komplexität sowie eine starke Auseinandersetzung mit Themen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen, machen die Geographie laut Expert*innen zu einer zentralen Wissenschaft in diesem Zusammenhang. »Grundlegend dieses in der Lage sein, komplexe Zusammenhänge zu durchdringen, da wäre die Geographie gut geeignet, der Gesellschaft was zurückzugeben und auch die Dinge besonders gut aufzudröseln für die Gesellschaft« (IPM1, Z. 189–192) »(…) Dass eben diese Fragen, die Geographie besetzen kann und die wir versuchen zu besetzen, dass die halt auch gesellschaftlich sehr relevant sind und auch politisch durchaus als relevante Fragen erkannt wurden« (IPM2, Z. 234–237) »(…) Viele der großen Themen, die mittlerweile auch gesellschaftlich verhandelt werden sind, sind von Geographen und Geographinnen mitgedacht worden, gerade aus der englischsprachigen Geographie. Sei es Globalisierung, sei es die Folgen des Klimawandels, sei es sozusagen Mensch-Umwelt-Probleme« (IPM3, Z. 131–135) »Aber gerade die Geographiethemen, die gehen damit ziemlich gut. Die sind ja auch hipp. Also Umwelt ist hipp, Klima ist dran, es gibt ja einen großen Teil in der Gesellschaft, der darauf brennt diese Transformation mitzugestalten. Unsere Themen lassen sich da sehr gut platzieren« (IPP8, Z. 197–200) Neben dieser allgemeinen »gesellschaftlich hohe(n) Relevanz« (IPH5, Z. 117–118) betonen viele Expert*innen aber auch die gesellschaftliche Bedeutung von spezifisch geographischem Wissen. »Aber grundsätzlich würde ich sagen machen Geographinnen total viele Sachen die relevant sind für die Breite der Bevölkerung. (…) Also wir können da auf jeden Fall einiges an Wissen bereitstellen« (IPH9, Z. 213–221) »Ich glaube (…) die Geographie (hat) sicher (…) ein weites Handlungsfeld im Rahmen des Umsetzungswissens in die breite Gesellschaft hinein« (IPH3, Z. 289–290)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Naja ich meine, wenn man mal sieht wo Geographen und Geographinnen überall tätig sind, dann ist natürlich geographisches Wissen auch überall verwendet« (IPP12, Z. 117–118) Die Expert*innen stellen somit mehrfach die gesellschaftliche Relevanz der Geographie sowohl auf einer übergeordneten Ebene als auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und nachhaltiges Handeln in der Gesellschaft heraus, betonen jedoch, dass diese zu wenig in der Bevölkerung angekommen ist und es dahingehend ein hohes Nachholpotenzial gibt.
8.1.8 Geographie und die Sustainable Development Goals (SDGs) Für den Beitrag der Geographie und geographischem Wissen zu einer verbesserten Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele am Beispiel der Sustainable Development Goals wurden von den Expert*innen zahlreiche Antworten genannt, die sich in sechs übergeordnete Kategorien einteilen lassen. Diese sind in Abbildung 45 aufgeführt.
Abbildung 40: Die Bedeutung der Geographie im Kontext der SDGs aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten wurde hier durch die Expert*innen das Bereitstellen von relevantem Wissen im Kontext der SDGs genannt. Die Expert*innen sind mehrheitlich der Ansicht, dass die Geographie eine der zentralen Disziplinen in diesem Zusammenhang ist, da sie inhaltlich zu jedem der SDGs einen Beitrag leisten kann. So betont ein Experte: »Mir fällt kein SDG ein, wo die Geographie nicht Wissen beitragen kann« (IPM6, Z. 262–263). Zwei andere Expert*innen stellen heraus: »Da ist die Geographie inhaltlich sicher bei jedem Einzelziel als erstes angesprochen, denn wenn man sich das durchguckt, findet man ja einen Haufen geographische Bezüge, wo Beiträge geleistet werden können« (IPH1, Z. 185–187) »Wenn man sich auch die SDGs der Agenda 2030 vor Augen führt. Die setzen ja auch sehr schön die verschiedenen Bereiche ins Zentrum. Da ist ja Wasser genauso dabei
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Naja ich meine, wenn man mal sieht wo Geographen und Geographinnen überall tätig sind, dann ist natürlich geographisches Wissen auch überall verwendet« (IPP12, Z. 117–118) Die Expert*innen stellen somit mehrfach die gesellschaftliche Relevanz der Geographie sowohl auf einer übergeordneten Ebene als auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und nachhaltiges Handeln in der Gesellschaft heraus, betonen jedoch, dass diese zu wenig in der Bevölkerung angekommen ist und es dahingehend ein hohes Nachholpotenzial gibt.
8.1.8 Geographie und die Sustainable Development Goals (SDGs) Für den Beitrag der Geographie und geographischem Wissen zu einer verbesserten Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele am Beispiel der Sustainable Development Goals wurden von den Expert*innen zahlreiche Antworten genannt, die sich in sechs übergeordnete Kategorien einteilen lassen. Diese sind in Abbildung 45 aufgeführt.
Abbildung 40: Die Bedeutung der Geographie im Kontext der SDGs aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten wurde hier durch die Expert*innen das Bereitstellen von relevantem Wissen im Kontext der SDGs genannt. Die Expert*innen sind mehrheitlich der Ansicht, dass die Geographie eine der zentralen Disziplinen in diesem Zusammenhang ist, da sie inhaltlich zu jedem der SDGs einen Beitrag leisten kann. So betont ein Experte: »Mir fällt kein SDG ein, wo die Geographie nicht Wissen beitragen kann« (IPM6, Z. 262–263). Zwei andere Expert*innen stellen heraus: »Da ist die Geographie inhaltlich sicher bei jedem Einzelziel als erstes angesprochen, denn wenn man sich das durchguckt, findet man ja einen Haufen geographische Bezüge, wo Beiträge geleistet werden können« (IPH1, Z. 185–187) »Wenn man sich auch die SDGs der Agenda 2030 vor Augen führt. Die setzen ja auch sehr schön die verschiedenen Bereiche ins Zentrum. Da ist ja Wasser genauso dabei
8 Ergebnisse Methodik I
wie Ausbildung oder ökonomische Aspekte. Das ist für mich die Geographie« (IPP4, Z. 196–199) Ein Experte fordert weitergehend eine stärkere Betonung der inhaltlichen Passung geographischen Wissens mit den SDGs: »(Die Geographie ist) nicht nur in der Lage, sie ist prädestiniert dafür, sie müsste das eigentlich viel mehr machen. Also eigentlich müsste man sich hinsetzen auch aus Verbandssicht und sich mal die SDGs mal anschauen und dann mal definieren zu den SDGs, was sind die Beiträge der Geographie dafür« (IPP4, Z. 364–367) Für einen anderen Experten ist »(…) die Geographie total essenziell (…) für all diese Nachhaltigkeitsfragen und (für) alle SDGs wäre es auch zentral eine geographische Sichtweise da reinzubringen« (IPP5, Z. 120–122). Laut einem Experten liefert die Geographie »zunächst ganz zentral das Grundlagenwissen zu diesem Thema« (IPP7, Z. 161). Ein weiterer Experte betont, dass es im Kontext der SDGs »(…) schon wichtig (ist), da eben auch entsprechendes Grundlagenwissen und ein Grundverständnis zu haben und das denke ich, da kann die Geographie schon gute Beiträge leisten« (IPP12, Z. 56–59). Tabelle 26 zeigt zusammenfassend das von den Expert*innen konkret benannte geographische Wissen im Zusammenhang mit einzelnen SDGs.1
Tabelle 27: Wissensbeiträge der Geographie zu den SDGs aus Sicht der Expert*innen
1
SDG
Geographie bietet Wissen über…
SDG 1
… Armut & ihre Folgen … Möglichkeiten der Armutsreduktion
SDG 2
… Ernährungssysteme … Nahrungsmittelproduktion … landwirtschaftliche Methoden & deren Wirkweise … Möglichkeiten zur Nahrungssicherheit … Landnutzungswandel und den Folgen
SDG 4
… Bildungsungleichheit … Zugang zu Wissen global … Bildung für nachhaltige Entwicklung
SDG 5
… Geschlechtergleichheit auf der Erde
SDG 6
… globale Trinkwasserversorgung … Konflikte um die Ressource Wasser & deren Lokalisierung
SDG 7
… Energiesysteme … Dekarbonisierung … Transformationsmöglichkeiten der Energienutzung
In der Tabelle werden nur die SDGs aufgeführt, zu denen konkrete Inhalte seitens der Expert*innen benannt wurden.
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! SDG 8
… globale Wirtschaftssysteme … Kreislaufwirtschaft … Arbeitsbedingungen in der Wirtschaft
SDG 10
… Migrationsprozesse und deren Ursachen & Folgen
SDG 11
… Stadtentwicklungsprozesse global … Verstädterungsprozesse & Folgen
SDG 12
… Ressourcennutzung & Folgen … Konsummuster … Möglichkeiten nachhaltigen Konsums
SDG 13
… Klimawandel und seine Folgen
SDG 14
… globale Wasserverteilung & Wasserkreisläufe … Ursachen von Wasserverschmutzung … anthropogene Aktivitäten im Zusammenhang mit Wasser & deren Folgen … Naturschutzmaßnahmen unter Wasser … Wasserressourcenschutz
SDG 15
… Naturschutzmaßnahmen an Land … Regenwaldabholzung & Folgen
SDG 16
… Environmental Peacebuilding … friedenshaltende und -stiftende Maßnahmen
Eigene Darstellung & Daten
Einhergehend mit der Bereitstellung von Wissen benennen einige Expert*innen auch die Förderung des Verständnisses der SDGs als einen wichtigen Beitrag der Geographie. Eine Expertin hebt hier die Bedeutung einer maßstäblichen Betrachtung der SDGs am Beispiel von SDG 10 als verständnisfördernd hervor: »Und was man eben in allen SDGs auch sieht, sind halt eben Scales. Und ich glaube eben oft, dass man, wenn man nicht geographisch da drauf schaut, dass man das dann nicht sieht. (…) Wenn man zum Beispiel SDG 10 Ungleichheiten verstehen möchte und auch praxisbezogen etwas ändern will, dass man verstehen muss, dass es unterschiedliche Scales gibt, also dass es einen Unterschied macht, ob ich auf individueller Ebene etwas mache (…), oder ob ich auf der Community-Eben schaue, oder ob ich bei Partnerships auf institutioneller Ebene national Rahmenbedingungen ändern will. Also in der Praxis ist das ja alles da, aber ich glaube das Geographie echt einen Beitrag dazu leistet, das transparent zu machen und aufzuzeigen« (IPM6, Z. 284–297) Ein anderer Experte betont, dass die Geographie durch ihr vernetztes und integratives Denken in der Kombination mit alltagsweltlichen Bezügen in der Lage ist, die Herausforderungen der Umsetzung der SDGs besser zu verstehen und zu erklären, »(…) wo die ganzen Hindernisse liegen bei der Verwirklichung der SDGs« (IPH4, Z. 93–94). Eine weitere Expertin hebt das ganzheitliche Denken in der Geographie als Chance für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zielsetzungen hervor und bezeichnet dies als »Win-Win-Situation« (IPP11, Z. 130) für die Geographie. Die Geographie ist laut den Expert*innen in der Lage, zu einem Grundverständnis der SDGs beizu-
8 Ergebnisse Methodik I
tragen. Einhergehend mit der reinen Bereitstellung von Wissen sowie der Förderung des Verständnisses der SDGs sehen viele Expert*innen auch den Transfer in die Gesellschaft inklusive einer Einbindung der Gesellschaft in den Umsetzungsprozess als Aufgabe der Geographie in diesem Zusammenhang an. »Was Geographen in dem Kontext machen können ist eben aus der Perspektive der Nutzer heraus Fragen von Akzeptanz und Beteiligung und was auch immer zu erfassen und genau das ist auch immer sehr gefragt und wichtig dabei« (IPH10, Z. 178–181) Die Umsetzung der SDGs ist laut einem Experten »(…) nicht durchführbar, ohne die Beteiligung des Individuums« (IPH14, Z. 51–52). Der Geographie wird hier von vielen Expert*innen ein sehr hohes Potenzial im Übersetzungsprozess der SDGs in die Gesellschaft hinein attestiert. Die Geographie kann hier laut einem Experten einen guten Beitrag leisten, indem sie »alltagsweltliche Bezüge« (IPH4, Z. 90) zu den SDGs herstellt, die für eine gesellschaftliche Umsetzung der Ziele unabdingbar sind. Der am zweithäufigsten genannte Beitrag der Geographie zu den SDGs liegt laut den Expert*innen in der konkreten Problemlösung und Umsetzung der Ziele. Hier wird mehrheitlich betont, dass die Geographie einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der SDGs leisten kann und sollte. »Also mir würde da zu jedem Ziel etwas einfallen. Also bei allen Zielen mal mindestens die Methoden, also was jetzt GIS und Fernerkundung angeht, aber ich denke auch einfach ganz viel Fachwissen der Geographie kann da zur Umsetzung Anwendung finden« (IPP1, Z. 137–140) Eine Expertin hebt hier insbesondere die Methodenvielfalt der Geographie hervor: »Gerade jetzt Fernerkundung, Satelliten, das boomt ja, Drohnen machen wir auch ganz viel hier. Das sind ja tolle Sachen, um Erdphänomene zur erfassen und dann auch zu bewerten und zu gucken, wo gibt es Probleme. Erosion ist ein Thema, was auch ein großes Problem ist für die Hungervermeidung, für die Landwirtschaft. Auch die Humangeographie jetzt mit empirischen Methoden Interviewtechniken, Wirtschaftsgeographie, wie kann man das Ganze im Raum Wirtschaftlich besser verteilen, Vernetzung etc. Ich denke die Geographie ist da auch in Ihrer Gesamtheit einfach wirklich prädestiniert einen großen Beitrag (…) zu leisten« (IPP1, Z. 144–152) Ein anderer Experte wiederum betont die Bedeutung der räumlichen Sichtweise der Geographie als wertvoll im Umsetzungskontext der SDGs: »Definitiv. Ich meine gerade weil die Geographie ja neben dem holistischen auch immer etwas großskaliges hat. Wir haben ja tatsächlich auch in dieser räumlichen Zugangsweise die Möglichkeit, verschiedene Skalen zu bedienen. Also lokal, regional, national und eben auch global. Das ist ja tatsächlich auch ein Vorteil, dass wir diese Dinge im Blick haben. (…) Das ist glaube ich auch ein ganz wichtiger Aspekt (…)« (IPP2, Z. 365–373)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Ein Experte ist der Ansicht, dass die Geographie im Umsetzungskontext der SDGs Entwicklungspfade aufzeigen kann, wie die Ziele umgesetzt werden können unter anderem auch durch die Einbindung verschiedener Akteur*innen in den Umsetzungsprozess, denen dann jeweils spezifische Pfade durch die Geographie aufgezeigt werden können. Eine Expertin betont, dass die Geographie hier die Frage beantworten kann »(…) wie wollen wir unsere Gesellschaften gestalten, dass die SDGs entsprechend eingehalten werden können. Die meisten SDGs liegen ja auch eigentlich im Verantwortungsbereich der Geographie (…)« (IPP11, Z. 108–111). Der Geographie wird somit auch eine Verantwortung hinsichtlich der Umsetzung der SDGs zugeschrieben. Einhergehend mit einem konkreten Beitrag zur Umsetzung der SDGs wird auch von vielen Expert*innen eine konkrete Forschung zu den SDGs als wichtiger Beitrag der Geographie gesehen. »Ja, sie könnte auf jeden Fall sehr viel leisten, weil man da ja auch mit innovativen Ansätzen experimentieren darf, ja. Also das man sagt jetzt sind irgendwie Reallabore als Methode In, und das ist eigentlich das, das darf die Geographie auch aufgreifen (…) und damit kann man natürlich was produzieren, was dann tatsächlich hilft, um solche Agenden dann zu implementieren« (IPM1, Z. 162–168) »Geographie kann auf regionaler und individueller Ebene ansetzen und Lösungsansätze erforschen und Wissen bereitstellen« (IPH14, Z. 45–47) Auch die Exploration neuer gesellschaftsrelevanter Themen im Kontext der SDGs wird von den Expert*innen als Forschungsbeitrag der Geographie benannt, ebenso wie die Herausstellung von Folgen eines politischen Handelns durch die Formulierung und Konstruktion der SDGs im Nachhaltigkeitskontext. Ein weiterer Forschungsbeitrag, der von mehreren Expert*innen benannt wird, ist die Quantifizierung von Treibhausgasemissionen aber auch allgemeinen Umweltbedingungen. Der letzte Beitrag der Geographie im Zusammenhang mit den SDGs, der von mehreren Expert*innen benannt wird, ist das Einnehmen einer kritischen Perspektive auf die Ziele. »Natürlich sind die SDGs sinnvoll, es würde auch ohne gehen, man muss halt sehen, dass man die SDGS nicht zur einzigen Macht, sondern als einen wichtigen Teil innerhalb einem nachhaltigkeitsorientierten Geographieverständnis einbaut« (IPM2, Z. 203–206) »Also ich würde tatsächlich sagen, was Geographie im besten Fall halt kann, ist zum Beispiel aufzeigen an welchen Stellen diese unterschiedlichen Nachhaltigkeitsziele in einem direkten Konflikt zueinanderstehen und es deswegen auch nicht so einfach zu sagen ist, ich verfolge jetzt irgendwie Ziel 13, weil jedes Ziel für sich genommen durchaus umsetzbar wäre, solange man nicht einbezieht, dass möglicherweise andere Ziele dabei verletzt werden. Ich finde tatsächlich, was die Geographie tun könnte und sollte, ist vor allem auf die Komplexität von Zusammenhängen hinweisen und da dann auch darauf hinweisen, wo Umsetzungen deswegen vielleicht auch problematisch sind und wo vielleicht auch auf einer übergeordneten Ebene Veränderungen notwendig wären, um einzelne Ziele zu erreichen« (IPH9, Z. 140–150)
8 Ergebnisse Methodik I
Das Aufzeigen von Zielkonflikten innerhalb eines SDGs und zwischen verschiedenen SDGs in Kombination mit einer kritischen Sichtweise auf die Komplexität des gesamten Umsetzungsprozesses wird von einigen Expert*innen als wichtiger Beitrag der Geographie in diesem Zusammenhang herausgestellt. Dies beinhaltet zudem das Aufzeigen der Folgen von Umsetzungsmaßnahmen im Kontext der SDGs. Hierunter fällt auch die Erforschung der Interaktion zwischen den Zielen, welche durch einen Experten als Beitrag der Geographie hervorgehoben wird.
8.1.9 Wissenstransfer – Kanäle, Formate & Herausforderungen Der letzte thematische Block der Interviews befasste sich mit dem Thema Transfer von nachhaltigkeitsrelevantem geographischem Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen für den Teil der Gesellschaft, welcher den Bildungsweg bereits abgeschlossen hat und/oder keinen Kontakt zur Disziplin der Geographie hat. Hier wurden im Hinblick auf die Frage nach möglichen und geeigneten Kanälen des Wissenstransfers zahlreiche Optionen seitens der Expert*innen benannt. Daraus ergeben sich sechs übergeordnete Kategorien, die mit ihrer Nennungshäufigkeit in Abbildung 46 dargestellt sind.
Abbildung 41: Potenzielle Kanäle des geographischen Wissenstransfers aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten von den Expert*innen wurden die Printmedien als potenzieller Wissenskanal genannt. Hierunter fällt das Publizieren von wissenschaftlichen Artikeln ebenso wie Policy Briefs oder Zeitungsartikel, aber auch das Verfassen von populärwissenschaftlichen Büchern. Insbesondere letzteres wird von den meisten Expert*innen als sinnvoller Kanal zur Wissensvermittlung in die breite Masse der Gesellschaft betrachtet. »Das zweite Thema, man darf sich nicht dafür scheuen, dass wir auch wirklich wissenschaftspopuläre oder populärwissenschaftliche Werke verfassen, dass wir raus gehen und uns in einer verständlichen Sprache artikulieren, die auch den Zeitgeist trifft« (IPP2, Z. 211–215)
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8 Ergebnisse Methodik I
Das Aufzeigen von Zielkonflikten innerhalb eines SDGs und zwischen verschiedenen SDGs in Kombination mit einer kritischen Sichtweise auf die Komplexität des gesamten Umsetzungsprozesses wird von einigen Expert*innen als wichtiger Beitrag der Geographie in diesem Zusammenhang herausgestellt. Dies beinhaltet zudem das Aufzeigen der Folgen von Umsetzungsmaßnahmen im Kontext der SDGs. Hierunter fällt auch die Erforschung der Interaktion zwischen den Zielen, welche durch einen Experten als Beitrag der Geographie hervorgehoben wird.
8.1.9 Wissenstransfer – Kanäle, Formate & Herausforderungen Der letzte thematische Block der Interviews befasste sich mit dem Thema Transfer von nachhaltigkeitsrelevantem geographischem Wissen außerhalb von Bildungsinstitutionen für den Teil der Gesellschaft, welcher den Bildungsweg bereits abgeschlossen hat und/oder keinen Kontakt zur Disziplin der Geographie hat. Hier wurden im Hinblick auf die Frage nach möglichen und geeigneten Kanälen des Wissenstransfers zahlreiche Optionen seitens der Expert*innen benannt. Daraus ergeben sich sechs übergeordnete Kategorien, die mit ihrer Nennungshäufigkeit in Abbildung 46 dargestellt sind.
Abbildung 41: Potenzielle Kanäle des geographischen Wissenstransfers aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten von den Expert*innen wurden die Printmedien als potenzieller Wissenskanal genannt. Hierunter fällt das Publizieren von wissenschaftlichen Artikeln ebenso wie Policy Briefs oder Zeitungsartikel, aber auch das Verfassen von populärwissenschaftlichen Büchern. Insbesondere letzteres wird von den meisten Expert*innen als sinnvoller Kanal zur Wissensvermittlung in die breite Masse der Gesellschaft betrachtet. »Das zweite Thema, man darf sich nicht dafür scheuen, dass wir auch wirklich wissenschaftspopuläre oder populärwissenschaftliche Werke verfassen, dass wir raus gehen und uns in einer verständlichen Sprache artikulieren, die auch den Zeitgeist trifft« (IPP2, Z. 211–215)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
»Das ist das Schreiben von Büchern, die in Verlagen erscheinen, die jetzt vielleicht nicht nur Nischen darstellen« (IPM2, Z. 337–338) »Vielleicht auch tatsächlich sich zu trauen, Dinge zu publizieren, die eben auch für ein breiteres Publikum gedacht sind, also ein bisschen populärwissenschaftlicher vielleicht auch, das wäre auch nicht verkehrt« (IPM7, Z. 236–238) Am zweithäufigsten werden Social Media als potenzielle Informationskanäle genannt. Darunter fallen alle bekannten sozialen Netzwerke und Formate, die von vielen Expert*innen auch als »neue Medien« (z.B. IPH7, Z. 318 oder IPH11, Z. 414) bezeichnet werden. Konkrete Plattformen, die hier benannt werden, sind Twitter, Facebook, Instagram und YouTube. »Alle möglichen Social- Media-Formate, die man nutzen kann« (IPH9, Z. 232) »Ich glaube wir haben jetzt die Möglichkeit durch Covid einen Riesensprung nach vorne zu machen und zwar die neuen Medien zu nutzen« (IPH11, Z. 413–414) »Wie wir mittlerweile viele Leute erreichen ist einfach über Twitter und eben soziale Medien« (IPP5, Z. 318–320) Die Expert*innen sehen in diesen Kanälen insbesondere für die jüngeren Generationen einen großen Nutzen. Dabei wird die Nutzung dieser Kanäle sowohl institutsübergreifend als auch für die private und individuelle Wissenskommunikation durch Wissenschaftler*innen vorgeschlagen. Am dritthäufigsten als Kommunikationskanal benannt werden allgemein die Presse und Medien. Hier werden sowohl Medien übergeordnet als Kanal aufgezählt, aber auch auf spezifischer Ebene durch das Aufsetzen von Pressemitteilungen an den Universitäten. »Wenn wir dann noch unsere sehr guten wissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Pressestellen der Universitäten (…) in die Breite bringen, das ist glaub ich das, was wir mit den Mitteln, die wir haben, tun können« (IPP8, Z. 177–180) »Das halte ich für den Schlüssel sogar. Viel wichtiger, als dass das an Unis gelehrt wird. Das muss natürlich auch passieren, aber am Ende müssen sie in die Breite gehen und das muss medial vermittelt werden, als Erfolgsgeschichten gezeigt werden« (IPM1, Z. 208–211) Einige Expert*innen heben explizit das Fernsehen als Kommunikationskanal hervor. Hier werden sowohl Dokumentarfilme und Naturserien als auch Talk-Runden und explizite Sendungen wie »Terra X« (IPP6, Z. 117) benannt. »Das sind natürlich schon die Medien, in denen man da präsent sein sollte, also Dokumentationen zum Beispiel, in denen man geographisches Wissen dann auch gut präsentieren kann« (IPP12, Z. 171–173)
8 Ergebnisse Methodik I
Viele Expert*innen benennen darüber hinaus auch Veranstaltungen und Vorträge als hilfreiche Kommunikationskanäle. Hierbei werden sowohl wissenschaftliche Konferenzen als auch öffentliche Vorträge und Veranstaltungen sowie auch die Präsenz auf Messeveranstaltungen aufgezählt. Die Expert*innen stellen hier den Vorteil heraus, neben der Zivilgesellschaft auch gleichzeitig Akteur*innen aus Wirtschaft und Politik zu erreichen. Auch die Forschung selbst wird von einigen Expert*innen als Kanal für Wissenskommunikation betrachtet. »Sondern tatsächlich halt die sogenannte breite Masse der Bevölkerung in Forschungsprozesse mit einzubeziehen über ko-produktive Prozesse« (IPH5, Z. 213–214) »Also das ist so eine Möglichkeit einfach über die Forschung die Menschen zu involvieren« (IPH4, Z. 249–250) Neben diesen von mehreren Expert*innen benannten Kanälen finden sich auch einige einzeln aufgeführte potenzielle Kanäle. So hebt ein Experte beispielsweise wissenschaftspolitische Gremien als Kommunikationskanal hervor. Ein anderer Experte benennt das Radio und insbesondere das Geben von Radio-Interviews als potenziellen Kanal. Weitere benannte Kanäle sind Geoparks sowie universitäre Kommunikationsmöglichkeiten wie zum Beispiel Homepages. Ein Experte empfiehlt insbesondere die Nutzung einer Multi-Channel-Strategie für die Wissenskommunikation: »Ich glaube, dass da so eine Multi-Channel-Strategie am besten ist. Gerade weil wir unterschiedliche Zielgruppen haben, die wir über unterschiedliche Kanäle adressieren können und wenn wir jetzt nur einen Kanal wählen, würden wir sicherlich Gefahr laufen, einen Teil der Adressaten zu verlieren« (IPH12, Z. 167–170) Neben diesen allgemein nutzbaren Kommunikationskanälen werden von den Expert*innen auch fachspezifische Kanäle für die Geographie benannt. Mehrfach betont werden hier insbesondere die geographischen Gesellschaften, welche in Deutschland oftmals mit den Universitäten gekoppelt sind. »Also geographische Gesellschaften ist genau das Medium, dass den Anspruch hat auf einem einfacheren Level, bestimmte Themen über die Geographie in eine breitere Öffentlichkeit zu schrauben« (IPH2, Z. 217–219) »Vielleicht können da die geographischen Institute und es gibt auch viele geographische Gesellschaften, die ja genau mit diesem Anliegen ja auch seit Jahrzehnten operieren, geographisches Wissen zu verbreiten und sichtbar zu machen« (IPP3, Z. 231–234) Zwei weitere Expert*innen benennen die Fachzeitschrift Geographische Rundschau ebenfalls explizit als fachspezifischen nützlichen Kanal für die Wissenskommunikation. »Zum Zweiten gibt es immer noch die Geographische Rundschau, für die uns viele Nachbarfächer beneiden, weil die ja ein Publikationsorgan ist, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse in einer Art und Weise gut bebildert und illustriert dargestellt wer-
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den, dass es auch der studierte Lehrer verstehen kann. Das ist doch eine Geschichte, da haben wir ein Publikationsorgan mit einer gewissen Breitenwirksamkeit« (IPH3, Z. 238–243) Gleichzeitig wird von den Expert*innen jedoch auch kritisiert, dass die Geographische Rundschau zu wenig genutzt wird und insbesondere der Wert von Publikationen in der Zeitschrift für den Lebenslauf von Wissenschaftler*innen in der Community als zu gering angesehen wird, was sich nach Ansicht der Expert*innen dringend ändern muss. Neben potenziellen Kanälen wurden die Expert*innen auch nach konkreten Formaten der Wissensvermittlung gefragt. Hier lassen sich ebenfalls übergeordnete Kategorien bilden. Diese sind in Abbildung 47 mit ihrer Nennungshäufigkeit abgebildet.
Abbildung 42: Potenzielle Formate eines geographischen Wissenstransfers aus Sicht der Expert*innen
Eigene Darstellung & Daten
Am häufigsten von den Expert*innen benannt, werden Texte und schriftliche Formen als geeignetes Format der Wissensvermittlung. So stellt ein Experte beispielsweise heraus: »Ich finde es aber eben auch gut, wenn Leute eben auch noch ganz altmodisch über einen Text informiert werden, den man zu Hause liegen hat, wo man dann nochmal gucken kann« (IPH8, Z. 361–363) Am zweithäufigsten erwähnt werden mündliche Formate wie Interviews oder Diskussionen auf Veranstaltungen. Darunter fallen einfache Gespräche mit Menschen ebenso wie geplante Dialoge, das Führen von Interviews mit Medienvertreter*innen oder aber öffentliche Podiumsdiskussionen, wo Akteur*innen aus verschiedenen Bereichen gleichermaßen beteiligt sind. Hier heben einige Expert*innen hervor, dass Wissenstransfer auch einen Dialog-Charakter zwischen Wissenschaft und Gesellschaft haben muss, wenn er gewinnbringend sein soll. Ein Experte benennt hier als konkretes Beispiel das Format des Wissenschaftsmarkts:
8 Ergebnisse Methodik I
»Dann so etwas wie ein Wissenschaftsmarkt, da stellt man sich halt auf einen großen öffentlichen Platz und versucht über verschiedene Themen mit den Leuten ins Gespräch zu kommen« (IPH9, Z. 232–235) Eine weitere von vielen Expert*innen aufgeführte Kategorie sind die visuellen Formate sowie die Video- und Filmformate. Unter visuelle Formate werden hier Bilder, Cartoons aber auch Diagramme, Schaubilder und Infografiken sowie Karten aufgezählt. Insbesondere letztere werden von einigen Expert*innen als sinnvolles Format hervorgehoben. »Dementsprechend ist die Karte ja dann auch ein Medium was wissen transportiert und transferiert und woraus man auch Wissen erwerben kann« (IPH11, Z. 127–128) Unter die Kategorie Video- und Filmformate fallen Nennungen, die sich auf die Darstellung von Wissen durch bewegte Bilder beziehen. Genannt werden hier beispielhaft Dokumentationen, Filme, aber auch Lernvideos sowie YouTube-Videos. Neben diesen Formaten werden auch von einigen Expert*innen Vorträge als explizites Format der Wissensvermittlung aufgeführt. Hier ist nicht die öffentliche Veranstaltung als Kanal gemeint, sondern der mündliche Vortrag über ein spezifisches Thema als explizites Format der Wissensvermittlung. Ebenfalls von einigen Expert*innen aufgezählt werden spielerische Formate der Wissensvermittlung. Darunter fallen sowohl haptische, reale Spiele (z.B. auch Experimente) als auch Computerspiele wie Serious Games und Applikationen für das Smartphone. Hier betonen viele Expert*innen den Vorteil, dass diese Formate für alle Altersgruppen angewendet werden können. Als Sonderformate werden vor allem Internet-Blogs, aber auch das Erzählen von Geschichten von mehreren Expert*innen als geeignete Formate aufgelistet. »Kommunikation geschieht eben sehr viel über Bilder, aber auch über Geschichten. Selbst globale Problemfelder lassen sich dann oft am besten beschreiben, wenn man bestimmte Gegenden oder Fälle heraussucht und an dem Beispiel dann Zusammenhänge illustriert« (IPP3, Z. 261–265) »Wenn jemand Ihnen eine gute Story liefert, denke ich, dann hören die auch zu. Auch so Human-Interest-Storys sind ja nach wie vor Sachen, die die Leute interessieren. Ich denke da kann man eigentlich noch viel mehr mit machen. Also einfach mal konkrete Beispiel im Nachhaltigkeitskontext geben ja wie könnte dein Nachbar das und das machen« (IPM5, Z. 410–415) Weitere einzeln benannte Formate der Wissensvermittlung sind Fortbildungen, virtuelle Exkursionen sowie Medien- und Reallabore. Einige Expert*innen heben übergeordnet hervor, dass eine Kombination verschiedener Formate am sinnvollsten ist. »Ich setze so ein bisschen auf Vielfalt. Ein bisschen hier, ein bisschen da, weil ja die Menschen auch unterschiedlich denken und die verschiedenen Publikumsgruppen unterschiedlich sind. Und um mich da nicht im Detail mit auseinandersetzen zu müssen jeweils, was wirklich das Optimale ist, versuchen wir so ein bisschen typisch geogra-
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phisch eben so einen Rundumschlag alles zu bedienen und auch einfach davon zu lernen, was kommt wie an« (IPP11, Z. 303–308) Ebenfalls übergeordnet benennen viele Expert*innen für alle Formate der Wissensvermittlung die Notwendigkeit der Simplifizierung der zu vermittelnden Inhalte. Dies ist laut der Mehrheit der Expert*innen ebenso zentral für eine gelungene Wissensvermittlung wie eine zielgruppenspezifische Bereitstellung von Wissen. »Ich muss dieses Wissen ohne Stufengebet muss das ganze funktionieren. Das heißt, es muss mir einfach in meinem Alltag begegnen und muss niedrigschwellig einfach sein, es muss attraktiv sein« (IPH13, Z. 249–251) »Ja, indem man komplexe Zusammenhänge versucht auf simplere Weise darzustellen und sich auf die Kernaspekte fokussiert erstmal. Das versuchen ja sogar die planetaren Grenzen irgendwie, das man ein ganz einfaches Diagramm entwirft, wohinter aber sehr komplexe Wissenschaft am Ende steht« (IPP3, Z. 255–258) Neben den Kanälen und Formaten einer gelungenen Kommunikation geographischer Inhalte im Nachhaltigkeitskontext äußern die Expert*innen auch einige Herausforderungen, die es zukünftig zu bewältigen gilt. Zu nennen ist hier beispielsweise eine stärkere Einbindung digitaler Medien inklusive der Entwicklung eines besseren Verständnisses der Wirkweise dieser seitens der Wissenschaft. Auch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf die Wissensvermittlung in die breite Masse der Gesellschaft seitens der Geographie wird von einigen Expert*innen sowohl als Herausforderung als auch gleichzeitig als Notwendigkeit betrachtet. So betont ein Experte beispielsweise: »Da würde ich jetzt sagen, hat die Geographie auch früher die Zeit verpennt und hat sich nicht um die breite Öffentlichkeit gekümmert, also Wissen in die Öffentlichkeit zu tragen« (IPH8, Z. 288–290) Die größte Herausforderung sehen die Expert*innen jedoch in einer notwendigen Veränderung der Publikationsstruktur in der Wissenschaftsgemeinde. »Es gibt ja Zahlen, wie die formalisierte Wissensproduktion im Sinne von Journals und Büchern explodiert. Ich meine wir müssen immer mehr produzieren und immer mehr schreiben und das ist ja eine exponentielle Kurve, das wird ja geradezu absurd. Wir schreiben Dinge, die niemand jemals noch lesen würde. Nirgends. Ich denke, da braucht es unbedingt eine Korrektur. Auf weniger, vielleicht mehr Qualität, aber auf andere Formen der Wissensvermittlung« (IPM4, Z. 454–460) »Aber eigentlich sollte man sich bei jedem Artikel, denn man in irgendeine internationale Zeitschrift rein bringt fragen, wie kann ich jetzt dieses Wissen vielleicht auch in einer anderen Form, an eine ganz andere Zielgruppe richten« (IPH5, Z. 237–240)
8 Ergebnisse Methodik I
Die Expert*innen fordern mehrheitlich einen stärkeren Fokus auf populärwissenschaftliche Publikationen und damit einhergehend eine Wertsteigerung dieser für den Lebenslauf für wissenschaftliche Nachwuchskräfte. »Aber das wird halt wenig finanziert. Das ist das Problem und Kredits für den Lebenslauf gibt das natürlich dann auch nicht letzten Endes. Für Nachwuchswissenschaftler ist das dann eben wirklich gravierend« (IPP11, Z. 261–263) Eine andere große Herausforderung sehen die Expert*innen in der Verankerung von Wissensvermittlung als Aufgabe im Beruf. So mangelt es den meisten Wissenschaftler*innen an Zeit für eine breitenwirksame Wissensvermittlung. »Natürlich kosten solche Sachen Zeit, ich kann da auch nicht so viel machen, wie ich gerne würde, aber im Endeffekt sollte es ein Stück weit zu unserem Job dazugehören, vielleicht auch mehr dazu gehören, als es bisher der Fall ist« (IPH5, Z. 250–252) »Da brauch man dann aber auch eine abgeordnete Person dafür, die sich damit auskennt. Aber als Einzelperson kann man das nicht alles leisten, ich hab eh schon eine 55 Stunden Woche« (IPP8, Z. 212–214) Als Lösungsansatz nennen einige Expert*innen hier eine Reduktion der Lehrverpflichtung zu Gunsten von mehr Zeit für die Wissensvermittlung und Öffentlichkeitsarbeit in die breite Masse der Gesellschaft hinein. Eine weitere mehrfach genannte Option ist die Schaffung von festen Stellen, deren Hauptaufgabe in der Wissenskommunikation liegt.
8.1.10 Social Media als Kommunikationskanal der Zukunft? Abschließend wurden die Expert*innen gefragt, inwiefern Social Media als Kommunikationskanal der Zukunft auch für die Vermittlung geographischen Wissens fungieren kann und welche Chancen und Herausforderungen damit einhergehen. Hier lässt sich zunächst sagen, dass die Mehrheit der Expert*innen mehr Chancen als Herausforderungen in diesem Zusammenhang benennt. Die am häufigsten genannte Herausforderung bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt von Social Media. Hier betonen die Expert*innen, dass Social Media die Gefahr von Fake News und unwissenschaftlicher Wissensweitergabe mit sich bringt. Explizit benannt wird hier die Gefahr von Verschwörungstheorien und verwirrendem Wissen, welche auf vielen Social-Media-Kanälen kursieren. Die Expert*innen heben hervor, dass für eine stärkere Nutzung dieser Kanäle auch eine stärkere wissenschaftliche Auseinandersetzung und Beforschung in diesem Bereich notwendig ist. »Es sind natürlich Bereiche, deren gesellschaftliche Wirksamkeit man wirklich umfassend eigentlich noch nicht erforscht hat, sondern man immer nur davor stutzt, insbesondere bei schrägen Verschwörungstheorien wie im Moment« (IPH6, Z. 472–476) »Man muss da halt sehen, wen man abonniert, welche Kanäle man nutzt und für Laien ist es ja auch nicht ganz unterscheidbar was jetzt Wissen ist oder was Behauptung
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8 Ergebnisse Methodik I
Die Expert*innen fordern mehrheitlich einen stärkeren Fokus auf populärwissenschaftliche Publikationen und damit einhergehend eine Wertsteigerung dieser für den Lebenslauf für wissenschaftliche Nachwuchskräfte. »Aber das wird halt wenig finanziert. Das ist das Problem und Kredits für den Lebenslauf gibt das natürlich dann auch nicht letzten Endes. Für Nachwuchswissenschaftler ist das dann eben wirklich gravierend« (IPP11, Z. 261–263) Eine andere große Herausforderung sehen die Expert*innen in der Verankerung von Wissensvermittlung als Aufgabe im Beruf. So mangelt es den meisten Wissenschaftler*innen an Zeit für eine breitenwirksame Wissensvermittlung. »Natürlich kosten solche Sachen Zeit, ich kann da auch nicht so viel machen, wie ich gerne würde, aber im Endeffekt sollte es ein Stück weit zu unserem Job dazugehören, vielleicht auch mehr dazu gehören, als es bisher der Fall ist« (IPH5, Z. 250–252) »Da brauch man dann aber auch eine abgeordnete Person dafür, die sich damit auskennt. Aber als Einzelperson kann man das nicht alles leisten, ich hab eh schon eine 55 Stunden Woche« (IPP8, Z. 212–214) Als Lösungsansatz nennen einige Expert*innen hier eine Reduktion der Lehrverpflichtung zu Gunsten von mehr Zeit für die Wissensvermittlung und Öffentlichkeitsarbeit in die breite Masse der Gesellschaft hinein. Eine weitere mehrfach genannte Option ist die Schaffung von festen Stellen, deren Hauptaufgabe in der Wissenskommunikation liegt.
8.1.10 Social Media als Kommunikationskanal der Zukunft? Abschließend wurden die Expert*innen gefragt, inwiefern Social Media als Kommunikationskanal der Zukunft auch für die Vermittlung geographischen Wissens fungieren kann und welche Chancen und Herausforderungen damit einhergehen. Hier lässt sich zunächst sagen, dass die Mehrheit der Expert*innen mehr Chancen als Herausforderungen in diesem Zusammenhang benennt. Die am häufigsten genannte Herausforderung bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt von Social Media. Hier betonen die Expert*innen, dass Social Media die Gefahr von Fake News und unwissenschaftlicher Wissensweitergabe mit sich bringt. Explizit benannt wird hier die Gefahr von Verschwörungstheorien und verwirrendem Wissen, welche auf vielen Social-Media-Kanälen kursieren. Die Expert*innen heben hervor, dass für eine stärkere Nutzung dieser Kanäle auch eine stärkere wissenschaftliche Auseinandersetzung und Beforschung in diesem Bereich notwendig ist. »Es sind natürlich Bereiche, deren gesellschaftliche Wirksamkeit man wirklich umfassend eigentlich noch nicht erforscht hat, sondern man immer nur davor stutzt, insbesondere bei schrägen Verschwörungstheorien wie im Moment« (IPH6, Z. 472–476) »Man muss da halt sehen, wen man abonniert, welche Kanäle man nutzt und für Laien ist es ja auch nicht ganz unterscheidbar was jetzt Wissen ist oder was Behauptung
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ist. Das ist so der Kampf, der in den letzten Jahren ja so richtig nochmal los ging auch mit Trump, wie kann man überzeugen was jetzt nach bestem Wissen und Gewissen erzeugtes Wissen ist und was einfach nur eine Meinung ist« (IPP3, Z. 294–299) Einhergehend mit der Gefahr von Fake News benennen einige Expert*innen auch eine unzureichende Qualität der Inhalte auf Social Media als Herausforderung. So betont ein Experte: »Wie man da sichert, dass die Qualitätsstandards eingehalten werden und das ganze durch Meinungen und Glaube nicht verwässert wird, das ist eine Wissenschaft für sich wahrscheinlich« (IPP7, Z. 249–252) Einige Expert*innen fordern hier für die Nutzung von Social Media festgelegte wissenschaftliche Standards und Regeln, die eingehalten werden müssen, da ansonsten Inhalte oftmals nur zu kurz und oberflächlich angesprochen und wichtige Aspekte außer Acht gelassen werden. Zusammenhängend mit der Qualität wird auch die Konzeption von wissenschaftlichen Inhalten auf Social Media als Herausforderung angesehen. Ein Experte fordert in diesem Kontext eine »digitale Alphabetisierung« (IPH13, Z. 323) von Wissenschaftler*innen, damit Inhalte kompetent via Social Media vermittelt werden können. Neben der Qualität, der Konzeptionierung sowie dem Wahrheitsgehalt heben die Expert*innen hier erneut Zeit- und Personalmangel als Herausforderung hervor. »Ich wüsste nicht, wer bei uns jetzt noch im Rahmen der angespannten Personalsituation wo wir in meiner (wenige) Dauerbeschäftigte haben und alle anderen Zeitverträge haben, die sich qualifizieren müssen oder sollten, wenn man dann jetzt noch die ganzen sozialen Kanäle bespielen sollte. Das ist extrem zeitaufwendig« (IPH3, Z. 359–363) Auf der anderen Seite betonen die Expert*innen mehrheitlich die vielen Chancen von Social Media als zukünftige Kanäle für die Wissenskommunikation. »Aber ich glaube schon, dass das auch ein Medium sein sollte und sein wird in Zukunft« (IPH10, Z. 221–222) »Aber ich glaube schon, dass in den neuen sozialen Medien eine Menge Potenzial steckt. Gerade auch weil es die Wissenschaftler dazu anhält oder sie dazu zwingt ihre komplizierten langen Artikel irgendwie in drei Sätzen mal zu formulieren. Das hilft glaube ich auch« (IPP5, Z. 325–328) Viele Expert*innen sehen die zukünftige Nutzung dieser Kanäle auch als eine Notwendigkeit an. »Naja auf jeden Fall. Wenn man was erreichen möchte, dann kommt man heute wahrscheinlich gar nicht mehr drum rum« (IPH7, Z. 328–329)
8 Ergebnisse Methodik I
»Naja essenziell. Also erstmal kann ich Bezüge herstellen, die ich vorher nie herstellen konnte, die aber auch da sind. Teilweise finden aber auch neue Muster statt« (IPP4, Z. 523–525) Die großen Vorteile sehen die Expert*innen insbesondere in der großen Reichweite der Kanäle, aber auch in der hohen gesellschaftlichen Bedeutung insbesondere bei den jüngeren Generationen. »Gerade über Social Media erreicht man halt auch einfach direkt eine viel größere Zielgruppe als man es über andere Medien schaffen würde« (IPH5, Z. 284–286) »Ich denke aber schon, dass es ein weiteres Werkzeug ist oder eine weitere Möglichkeit ist, eine breite Masse zu erreichen und eben auch Leute zu erreichen, die eben auch nicht in die klassischen wissenschaftlichen Medien schauen« (IPP5, Z. 331–334) Weitere benannte Vorteile liegen in einer verbesserten adressatengruppenorientierten Kommunikation, die durch Social Media möglich ist sowie in der hohen Vielfalt nutzbarer Elemente und unterschiedlicher Kanäle zur Kommunikation über Social Media.
8.2
Vergleichende Ergebnisse
Wie bereits in Kapitel 7.2.4 erläutert, lassen sich mit den Ergebnissen der Interviews keine klaren Typen bilden, sodass eine qualitative Typenbildung aufgrund der zu hohen Varietät der Ergebnisse nicht möglich war. Es lassen sich dennoch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Expert*innengruppen finden, die im Folgenden beschrieben werden. Verglichen werden hier die Gruppe der Expert*innen mit Schwerpunkt auf Mensch-Umwelt-Forschung (IPM), mit Schwerpunkt auf physischer Geographie (IPP) sowie mit Schwerpunkt auf Humangeographie (IPH). Im Hinblick auf die Wissensdefinitionen der Expert*innen fällt auf, dass bei den IPM keine Definition zu dominieren scheint. Hier ist eine gleiche Verteilung auf die kategorisierten Wissensdefinitionen zu finden. Bei den IPH dominieren einzeln auftauchende Definitionsversuche und bei den IPP finden sich die meisten Nennungen bei der Definitionsform des methodisch gesicherten Wissens. Das gleiche Bild lässt sich auch für die benannten Wissensarten finden. Bei der Frage nach der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext dominiert sowohl bei den IPM als auch bei den IPH die Bedeutung von Wissen als Handlungsgrundlage im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Die IPP hingegen benennen am häufigsten die Bedeutung von Wissen als Grundvoraussetzung und Notwendigkeit für Nachhaltigkeit. Bei den Fragen zur Geographie zeigt sich für die IPM ebenfalls eine ausgeglichene Verteilung zwischen den unterschiedlichen Definitionsformen der Geographie sowie bei der Zustimmung und Ablehnung der Existenz eines geographischen Wissens. Die IPH benennen die Aspekte der Interdisziplinarität und des Raumes am häufigsten als definitorisches und besonderes Merkmal der Geographie. Auch hier liegt eine Ausgeglichenheit zwischen Zu- und Ablehnung des geographischen Wissensbegriffs vor. Bei
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8 Ergebnisse Methodik I
»Naja essenziell. Also erstmal kann ich Bezüge herstellen, die ich vorher nie herstellen konnte, die aber auch da sind. Teilweise finden aber auch neue Muster statt« (IPP4, Z. 523–525) Die großen Vorteile sehen die Expert*innen insbesondere in der großen Reichweite der Kanäle, aber auch in der hohen gesellschaftlichen Bedeutung insbesondere bei den jüngeren Generationen. »Gerade über Social Media erreicht man halt auch einfach direkt eine viel größere Zielgruppe als man es über andere Medien schaffen würde« (IPH5, Z. 284–286) »Ich denke aber schon, dass es ein weiteres Werkzeug ist oder eine weitere Möglichkeit ist, eine breite Masse zu erreichen und eben auch Leute zu erreichen, die eben auch nicht in die klassischen wissenschaftlichen Medien schauen« (IPP5, Z. 331–334) Weitere benannte Vorteile liegen in einer verbesserten adressatengruppenorientierten Kommunikation, die durch Social Media möglich ist sowie in der hohen Vielfalt nutzbarer Elemente und unterschiedlicher Kanäle zur Kommunikation über Social Media.
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Vergleichende Ergebnisse
Wie bereits in Kapitel 7.2.4 erläutert, lassen sich mit den Ergebnissen der Interviews keine klaren Typen bilden, sodass eine qualitative Typenbildung aufgrund der zu hohen Varietät der Ergebnisse nicht möglich war. Es lassen sich dennoch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Expert*innengruppen finden, die im Folgenden beschrieben werden. Verglichen werden hier die Gruppe der Expert*innen mit Schwerpunkt auf Mensch-Umwelt-Forschung (IPM), mit Schwerpunkt auf physischer Geographie (IPP) sowie mit Schwerpunkt auf Humangeographie (IPH). Im Hinblick auf die Wissensdefinitionen der Expert*innen fällt auf, dass bei den IPM keine Definition zu dominieren scheint. Hier ist eine gleiche Verteilung auf die kategorisierten Wissensdefinitionen zu finden. Bei den IPH dominieren einzeln auftauchende Definitionsversuche und bei den IPP finden sich die meisten Nennungen bei der Definitionsform des methodisch gesicherten Wissens. Das gleiche Bild lässt sich auch für die benannten Wissensarten finden. Bei der Frage nach der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext dominiert sowohl bei den IPM als auch bei den IPH die Bedeutung von Wissen als Handlungsgrundlage im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Die IPP hingegen benennen am häufigsten die Bedeutung von Wissen als Grundvoraussetzung und Notwendigkeit für Nachhaltigkeit. Bei den Fragen zur Geographie zeigt sich für die IPM ebenfalls eine ausgeglichene Verteilung zwischen den unterschiedlichen Definitionsformen der Geographie sowie bei der Zustimmung und Ablehnung der Existenz eines geographischen Wissens. Die IPH benennen die Aspekte der Interdisziplinarität und des Raumes am häufigsten als definitorisches und besonderes Merkmal der Geographie. Auch hier liegt eine Ausgeglichenheit zwischen Zu- und Ablehnung des geographischen Wissensbegriffs vor. Bei
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
den IPP hingegen dominieren die Aspekte Raum und Mensch-Umwelt als definitorische Merkmale. Zudem stimmen hier die meisten Expert*innen der Existenz eines geographischen Wissens zu. Bei der Bedeutung der Geographie im Nachhaltigkeitskontext sind sich alle Gruppen einig. Es dominiert mehrheitlich die Bedeutungszuschreibung der gesellschaftlichen Relevanz sowie der thematischen Passung im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Erweiternd hierzu taucht bei den Gruppen IPH und IPP auch noch die holistische Perspektive besonders häufig auf. In Bezug auf die benannten Herausforderungen und Probleme der Geographie im Nachhaltigkeitskontext benennen die Gruppen IPM und IPP am häufigsten die Diskrepanz zwischen Potenzial und tatsächlicher Leistung. Die IPP heben zusätzlich auch die fehlende Sichtbarkeit mehrheitlich als Problem hervor. Im Gegensatz dazu dominiert bei den IPH keine Herausforderung. Grundsätzlich benennt diese Gruppe kaum Herausforderungen für die Geographie. Sowohl die Gruppe der IPM als auch der IPH sehen die Hauptaufgaben der Geographie im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in der Bereitstellung von Wissen sowie der Förderung des Verständnisses der Nachhaltigkeitsthemen. Für die IPP stehen hier Forschung und eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit sowie Wissenskommunikation im Fokus. Auch die IPH benennen die Aufgabe der Forschung mehrheitlich in diesem Zusammenhang. Im Hinblick auf den Beitrag der Geographie zu den SDGs sind sich alle Gruppen einig, dass die Bereitstellung von Wissen den wichtigsten Beitrag der Geographie darstellt. Die Gruppe der IPM benennen darüber hinaus noch mehrheitlich die Aufgabe der Einnahme einer kritischen Perspektive auf die SDGs und die Gruppe der IPH sieht mehrheitlich einen weiteren wichtigen Beitrag in der Problemlösung und konkreten Umsetzung der SDGs. Im Hinblick auf den Themenblock des Wissenstransfers benennen sowohl IPM als auch IPH verschiedene relevante Kommunikationskanäle gleichermaßen. Bei der Gruppe der IPP dominiert hier der Wissenskanal der Printmedien. Hinsichtlich der Formate nennen sowohl IPM als auch IPH Diskussionen und Interviews sowie die Textform am häufigsten. Bei den IPP sind es Textform und visuelle Formate. Bei den geforderten Veränderungen im Hinblick auf die Wissenschaftskommunikation ist bei den IPM eine gleiche Verteilung zu sehen. IPH und IPP heben insbesondere die Notwendigkeit einer veränderten Publikationskultur hervor. Zusätzlich dazu benennen die IPP auch die Verankerung im Job mehrheitlich als notwendige Veränderung. Bei der Frage nach der Bedeutung von Social Media als zukünftigem Informationskanal überwiegen sowohl bei den IPM als auch den IPP die Vorteile und Chancen bei den Nennungen. Die IPH benennen sowohl Vor- als auch Nachteile gleichermaßen. Tabelle 27 zeigt die Vergleiche der drei Gruppen mit den jeweils dominierenden Kategorien im Überblick. Farbig hervorgehoben sind inhaltlich dominierende Überschneidungen zwischen den gebildeten Gruppen.
gleiche Verteilung auf alle Definitionen
gleiche Verteilung auf alle Wissensarten
– Wissen als Handlungsgrundlage – Wissen als Notwendigkeit
gleiche Verteilung auf alle Definitionsmerkmale
Ja und Nein
– gesellschaftliche Relevanz – thematische Passung
Diskrepanz zwischen Potenzial & Leistung
Wissen & Verständnis fördern
– Wissen bereitstellen – kritische Sichtweise einnehmen
gleiche Verteilung auf alle Kanäle
gleiche Verteilung auf alle genannten Veränderungen
– Diskussion/Interviews – Textform
Vorteile überwiegen
Definition Wissen
Wissensarten
Bedeutung Wissen und NE
Definition Geographie
Existenz Geo-Wissen
Bedeutung der Geographie für Nachhaltigkeit
Herausforderungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
Beitrag der Geographie zu den SDGs
Potenzielle Kanäle für Wissenstransfer
Notwendige Veränderungen im Wissenstransfer
Formate des Wissenstransfers
Social Media als zukünftiger Kommunikationskanal
Eigene Darstellung
Expert*innen: Mensch-Umwelt-Forschung
Kategorie
Tabelle 28: Vergleichende Ergebnisse der Experteninterviews
sowohl Vor- als auch Nachteile
– Diskussion/Interviews Textform
veränderte Publikationskultur
gleiche Verteilung auf alle Kanäle
– Wissen bereitstellen – Problemlösung & Umsetzung
– Wissen & Verständnis fördern – Forschung
wenig benannte Herausforderungen
– holistische Perspektive – gesellschaftliche Relevanz – thematische Passung
Ja und Nein
– Geographie als Interdisziplinäre Wissenschaft – Geographie als Raumwissenschaft
Wissen als Handlungsgrundlage
Einzelnennungen dominieren
Einzelnennungen dominieren
Expert*innen: Humangeographie
Vorteile überwiegen
– Textform – visuelle Formate
– Verankerung im Job – veränderte Publikationskultur
Printmedien als Kanal dominierend
Wissen bereitstellen
– Forschung – Öffentlichkeitsarbeit – Kommunikation
– Diskrepanz zwischen Potenzial & Leistung – fehlende Sichtbarkeit
– holistische Perspektive – thematische Passung
Ja
– Geographie als Raumwissenschaft – Geographie als Mensch-Umwelt-Wissenschaft
– Wissen als Grundvoraussetzung – Wissen als Notwendigkeit
Faktenwissen
methodisch gesichertes Wissen
Expert*innen: Physische Geographie
8 Ergebnisse Methodik I 357
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Weitere durchgeführte Zusammenhangsanalysen wie beispielsweise Code-Relationen und Code-Konfigurationen ergaben keine signifikant auffälligen Ergebnisse. Auch eine Analyse im Hinblick auf Alter und Geschlecht ergab aufgrund der ungleichen Verteilung in der Stichprobe keine aussagekräftigen Ergebnisse, sodass hier nicht weiter darauf eingegangen wird.
9 Ergebnisse Methodik II
Im Folgenden werden die Ergebnisse der quantitativen Panel-Befragung beschrieben. Die Aufteilung erfolgt nach den thematischen Blöcken des Fragebogens, die sich wiederum nach den Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit richten. Für jedes Teilthema werden sowohl die allgemeinen Ergebnisse der Gesamtstichprobe als auch die Zusammenhangsanalysen und inferenzstatistischen Berechnungen für die Variablen Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Wohnort aufgeführt, ebenso bei den Themen, wo ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Fragen eruiert werden konnte.
9.1
Wissen Allgemein
Die erste Frage »Was verstehen Sie unter dem Begriff Wissen?« wurde als offene Einstiegsfrage gestellt. Die Antworten wurden bei der Auswertung sortiert und kategorisiert. Auf die Frage gab es insgesamt 638 Antworten, da einige Personen mehrere Bedeutungen von Wissen beschrieben haben. Abbildung 48 zeigt die am häufigsten genannten Wissensbedeutungen. Das am häufigsten genannte Verständnis von Wissen ist die Definition von Wissen als Kenntnis über etwas. Dieses Verständnis umfasst 19 % aller Nennungen. Weitere häufig genannte Verständnisse waren Wissen als etwas Erlerntes oder Angeeignetes, Wissen als spezifische Wissensarten (hier wurden mehrfach Allgemeinwissen, Faktenwissen sowie Fachwissen als spezifische Wissensarten genannt) sowie Wissen als Information und Wissen als Erfahrung. Die Kategorie sonstige Bedeutungen umfasst einzelne Nennungen eines Wissensverständnisses, die sich nicht kategorisieren ließen. Hierunter fallen beispielsweise Verständnisse wie Wissen als Belesenheit oder Aussagen wie »Wissen ist alles«. Insgesamt 10 Personen gaben an, nicht zu wissen, was unter dem Begriff Wissen zu verstehen ist. Weitere Verständnisse wie Wissen ist Bildung, Wissen ist Intelligenz oder Wissen als Verständnis umfassten etwa 6 % aller Nennungen. Wissen als Fähigkeit, Wissen als praktische Anwendung sowie Wissen ist Macht sind mit 3 % aller Nennungen die am wenigsten genannten Kategorien. Die Bewertung der allgemeinen Bedeutung von Wissen aus Sicht der Befragten ist in Abbildung 49 dargestellt.
9 Ergebnisse Methodik II
Im Folgenden werden die Ergebnisse der quantitativen Panel-Befragung beschrieben. Die Aufteilung erfolgt nach den thematischen Blöcken des Fragebogens, die sich wiederum nach den Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit richten. Für jedes Teilthema werden sowohl die allgemeinen Ergebnisse der Gesamtstichprobe als auch die Zusammenhangsanalysen und inferenzstatistischen Berechnungen für die Variablen Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Wohnort aufgeführt, ebenso bei den Themen, wo ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Fragen eruiert werden konnte.
9.1
Wissen Allgemein
Die erste Frage »Was verstehen Sie unter dem Begriff Wissen?« wurde als offene Einstiegsfrage gestellt. Die Antworten wurden bei der Auswertung sortiert und kategorisiert. Auf die Frage gab es insgesamt 638 Antworten, da einige Personen mehrere Bedeutungen von Wissen beschrieben haben. Abbildung 48 zeigt die am häufigsten genannten Wissensbedeutungen. Das am häufigsten genannte Verständnis von Wissen ist die Definition von Wissen als Kenntnis über etwas. Dieses Verständnis umfasst 19 % aller Nennungen. Weitere häufig genannte Verständnisse waren Wissen als etwas Erlerntes oder Angeeignetes, Wissen als spezifische Wissensarten (hier wurden mehrfach Allgemeinwissen, Faktenwissen sowie Fachwissen als spezifische Wissensarten genannt) sowie Wissen als Information und Wissen als Erfahrung. Die Kategorie sonstige Bedeutungen umfasst einzelne Nennungen eines Wissensverständnisses, die sich nicht kategorisieren ließen. Hierunter fallen beispielsweise Verständnisse wie Wissen als Belesenheit oder Aussagen wie »Wissen ist alles«. Insgesamt 10 Personen gaben an, nicht zu wissen, was unter dem Begriff Wissen zu verstehen ist. Weitere Verständnisse wie Wissen ist Bildung, Wissen ist Intelligenz oder Wissen als Verständnis umfassten etwa 6 % aller Nennungen. Wissen als Fähigkeit, Wissen als praktische Anwendung sowie Wissen ist Macht sind mit 3 % aller Nennungen die am wenigsten genannten Kategorien. Die Bewertung der allgemeinen Bedeutung von Wissen aus Sicht der Befragten ist in Abbildung 49 dargestellt.
360
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 43: Wissensverständnisse aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Abbildung 44: Allgemeine Relevanz von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
80 % aller Befragten sind der Ansicht, dass Wissen einer eher hohe bis hohe Bedeutung hat. Etwas mehr als ein Drittel aller Befragten messen Wissen eine hohe Bedeutung zu. Das Wissen keine Bedeutung hat, wird von 1 % aller Befragten angegeben. Im Hinblick auf die erfassten demographischen Werte ergeben sich hier einige Unterschiede.
9 Ergebnisse Methodik II
So sind mehr Männer (42 %) der Ansicht, dass Wissen eine hohe Bedeutung hat als Frauen (34 %). Sie liegen somit auch über dem Gesamtdurchschnitt. Frauen (22 %) hingegen weisen Wissen mehr eine durchschnittliche Bedeutung zu als Männer (14 %). Sowohl der korrigierte C-Kontingenzkoeffizient1 als auch der Spearman-Rangkorrelationskoeffizient2 ergeben hier einen statistisch signifikanten Wert von 0,2. Es besteht demnach ein leichter Zusammenhang zwischen Geschlecht und der Bedeutungsbewertung von Wissen. Auch der Mann-Whitney-U-Test ergab einen Wert unter 0,05 und somit Signifikanz3 , sodass dieser Zusammenhang auch für die Grundgesamtheit angenommen werden kann. Im Hinblick auf die Variable Alter können ebenfalls Unterschiede festgestellt werden. So sind die 18–29-Jährigen mit 47 % der Ansicht, dass Wissen eine hohe Bedeutung zukommt. Unter Addition der Werte für eine eher hohe Bedeutung ergibt sich insgesamt ein Wert von 92 % aller 18–29-Jährigen, für die Wissen eine eher hohe bis hohe Bedeutung hat. Dies ist sowohl im Vergleich zu den anderen Altersgruppen höher als auch im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt (80 %). Die 30–39-Jährigen weisen bei der Kategorie hohe Bedeutung mit 20 % den geringsten Wert aller Altersgruppen auf, ebenso wie bei der Addition von hoher und eher hoher Bedeutung mit 77 %. Die 40–49-Jährigen weisen die gleichen Werte wie im Gesamtdurchschnitt auf. Die 50–59-Jährigen haben ebenfalls keine signifikanten Abweichungen. Die 60–69-Jährigen geben mit 47 % an, dass Wissen für sie eine hohe Bedeutung hat. Damit liegen sie über dem Durchschnittswert. Eine eher hohe Bedeutung geben 32 % an, was signifikant unter dem Durchschnitt liegt. Der Ckorr sowie der Spearman Rho liegen hier bei 0,3 und weisen statistische Signifikanz auf. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test weist einen Wert von unter 0,05 auf und zeigt somit Signifikanz. Es liegt demnach ein leichter Zusammenhang zwischen Alter und Bedeutungszuschreibung von Wissen vor. Ein Blick auf den Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Bedeutungszuschreibung zu Wissen zeigt, dass auch hier eine Korrelation zu bestehen scheint. Personen mit Schulabschluss als höchstem Bildungsabschluss sind zu 76 % der Ansicht, dass Wissen eine eher hohe bis hohe Bedeutung hat. Dies ist der niedrigste Wert in allen Gruppen. Bei den Personen mit abgeschlossener Ausbildung liegt er bei 81 % und bei Personen mit abgeschlossenem Studium bei 88 %. Personen mit abgeschlossener Ausbildung weisen Wissen mehrheitlich eine eher hohe Bedeutung zu (50 %), was der höchste Wert aller drei Gruppen ist. Personen mit abgeschlossenem Studium sind mehrheitlich der Ansicht (49 %), dass Wissen eine hohe Bedeutung hat. Dies stellt den höchsten Wert aller Gruppen dar. Der Ckorr sowie der Spearman Rho liegen bei einem Wert von 0,2 auf einem signifikanten Niveau und auch der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt Signifikanz. Demnach scheint der Bildungsabschluss mit der Bedeutungszuschreibung von Wissen sowohl in der Stichprobe als auch in der Grundgesamtheit leicht zusammenzuhängen. Auch im Hinblick auf den Zusammenhang von Wohnort und Wissensbedeutung lassen sich in der Häufigkeitsverteilung Unterschiede erkennen. So weisen die PLZ-Gebiete 3,4 und 5 mit über 86 % Wissen eine eher hohe bis hohe Bedeutung zu.
1 2 3
Im Folgenden abgekürzt als Ckorr Im Folgenden abgekürzt als Spearman Rho Signifikanz liegt immer dann vor, wenn der Wert unter 0,05 liegt. Aus diesem Grund wird der Zahlenwert im Folgenden nicht jedes Mal wieder angegeben, wenn Signifikanz zu sehen ist.
361
362
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Die PLZ-Gebiete 1 und 8 liegen mit 74 % respektive 75 % am niedrigsten und unter dem Gesamtdurchschnitt. Die hier gefundenen Unterschiede sind jedoch nicht statistisch signifikant, denn der Ckorr zeigt keinen Zusammenhang an. Es besteht demnach kein statistischer Zusammenhang zwischen Wohnort und Wissensbedeutung.
Abbildung 45: Die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen für spezifische Lebensbereiche
Eigene Darstellung & Daten
Abbildung 50 zeigt die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen im Hinblick auf spezifische Lebensbereiche auf einer Skala von sehr wichtig bis nicht wichtig. Es zeigt sich, dass nach Ansicht der Proband*innen Wissen insbesondere in den Lebensbereichen am Arbeitsplatz (93 %), bei der Ernährung (81 %) sowie für das soziale Miteinander (79 %) sehr wichtig zu sein scheint. Doch auch für die Bereiche im Haushalt und beim Konsumieren wird Wissen mit 77 % eine wichtige bis sehr wichtige Bedeutung zugeschrieben. Der Lebensbereich am Arbeitsplatz weist mit 59 % den mit Abstand höchsten Wert für die hohe Wichtigkeit von Wissen auf. Alle anderen Bereiche liegen hier unter 40 %. Die Lebensbereiche Mobilität und in der Freizeit weisen mit 22 und 21 % die geringsten Werte für eine hohe Bedeutung von Wissen auf und auch bei der Kombination aus sehr wichtig und wichtig liegen sie mit unter 70 % an letzter Stelle. Im Durchschnitt scheint Wissen jedoch mehrheitlich für alle Lebensbereiche als mindestens wichtig erachtet zu werden. Der Median liegt für sehr wichtig/wichtig bei 77 %. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Wissensbedeutung in spezifischen Lebensbereichen zeigen sich nur leichte Unterschiede. So ist den weiblichen Personen Wissen insbesondere in den Lebensbereichen in der Freizeit (72 %), beim Reisen (78 %) sowie bei der Ernährung (85 %) wichtiger als den Männern (64 %; 69 % & 76 %). Den Männern hingegen ist Wissen im Bereich politische Teilhabe (76 %) wichtiger als den
9 Ergebnisse Methodik II
Frauen (71 %). Der Ckorr sowie auch der Spearman Rho zeigen jedoch keinen signifikanten Zusammenhang an, sodass hier zwar im Hinblick auf die Häufigkeitsverteilung Unterschiede vorliegen, diese jedoch weder statistisch signifikant noch auf die Grundgesamtheit übertragbar sind. Anders äußert sich dies hinsichtlich des Alters. Tabelle 28 zeigt die Kontingenztabelle von Alter und Wissensbedeutung in spezifischen Lebensbereichen. Aufgrund der Vielzahl an Items wird hier nur die zusammengefasste Kategorie sehr wichtig/wichtig aufgeführt. Dementsprechend liegt der Gesamtwert auch nicht bei 100 %.
Tabelle 29: Altersspezifische Bedeutung von Wissen in ausgewählten Lebensbereichen Lebensbereich
18–29
30–39
40–49
50–59
60–69
Gesamt
am Arbeitsplatz
93 %
91 %
94 %
92 %
93 %
93 %
bei der Ernährung
85 %
78 %
82 %
82 %
83 %
81 %
soziales Miteinander
79 %
70 %
84 %
78 %
87 %
79 %
im Haushalt
64 %
69 %
82 %
79 %
85 %
77 %
beim Konsumieren
79 %
70 %
77 %
77 %
84 %
77 %
beim Reisen/Urlaub
71 %
65 %
68 %
80 %
83 %
73 %
politische Teilhabe
73 %
62 %
76 %
72 %
87 %
73 %
in der Freizeit
62 %
63 %
65 %
71 %
85 %
69 %
Mobilität
59 %
59 %
66 %
71 %
85 %
68 %
Median
73 %
69 %
77 %
78 %
85 %
77 %
Eigene Darstellung & Daten
Es lässt sich klar erkennen, dass mit steigendem Alter die Bedeutung von Wissen für alle Lebensbereiche zu steigen scheint. Auch im Median lässt sich dieser Trend erkennen. Auffällig ist allerdings, dass die Gruppe der 30–39-Jährigen eine Ausnahme bildet. Diese Altersgruppe weist für fast alle Lebensbereiche den geringsten Wert auf im Hinblick auf die Wissenszuschreibung sehr wichtig/wichtig auf. Die Gruppe der 60–69Jährigen weist in jedem Lebensbereich den höchsten Wert auf und liegt damit auch immer über dem Gesamtdurchschnitt. Ein Blick auf die einzelnen Altersgruppen hinsichtlich der Wertigkeit von Wissen für die einzelnen Lebensbereiche zeigt auch auf der inhaltlichen Ebene Unterschiede. Für die 18–29-Jährigen sind es die Bereiche am Arbeitsplatz, bei der Ernährung, soziales Miteinander sowie beim Konsumieren, in denen Wissen die höchste Bedeutung hat. Für die 30–39-Jährigen weisen nur die Bereiche am Arbeitsplatz und bei der Ernährung die höchsten Werte auf. Die 40–49-Jährigen sind identisch zu den 18–29-Jährigen außer das der Bereich im Haushalt hier anstatt des Bereichs beim Konsumieren eine höhere Bedeutung hat. Für die 50–59-Jährigen wiederum sind es die Bereiche am Arbeitsplatz, bei der Ernährung und beim Reisen. Bei den 60–69-Jährigen sind es die Bereiche am Arbeitsplatz, soziales Miteinander und politische Teilhabe. Die hier beschriebenen Zusammenhänge lassen sich
363
364
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
auch statistisch belegen. So zeigen sowohl Ckorr als auch Spearman Rho für alle Bereiche außer beim Konsumieren einen Wert von 0,2 an, der statistisch signifikant ist. Für die Bereiche beim Reisen und Mobilität liegt der Wert bei 0,3. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt für alle diese Bereiche eine Signifikanz an. Somit liegt ein Zusammenhang zwischen Alter und Wissensbedeutung vor. Mit steigendem Alter wird Wissen eine höhere Wichtigkeit beigemessen. Im Hinblick auf das Merkmal des höchsten Bildungsabschlusses finden sich kaum Zusammenhänge. Zwar unterscheiden sich die Häufigkeiten an einigen Stellen, doch es liegt in den meisten Bereichen kein signifikanter Zusammenhang vor. So lässt sich für die Lebensbereiche im Haushalt, in der Freizeit, Mobilität, beim Reisen sowie beim sozialen Miteinander ein Bedeutungszuwachs von Wissen von der Gruppe abgeschlossenes Studium bis Schulabschluss feststellen. Für die Lebensbereiche am Arbeitsplatz, bei der Ernährung, beim Konsumieren und politische Teilhabe steigt die Wissensbedeutung von Schulabschluss bis abgeschlossenes Studium. Eine Ausnahme bilden die Lebensbereiche im Haushalt (Ckorr & Spearman Rho: 0,1) sowie politische Teilhabe (Ckorr & Spearman Rho: 0,2). Hier scheint ein sehr leichter Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Wissensbedeutung zu liegen, da mit steigendem Bildungsabschluss die Bedeutungszuschreibung für diese Lebensbereiche zunimmt. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test weist hier eine Signifikanz auf. Dies gilt jedoch nur für diese beiden Bereiche. Davon abgesehen kann nicht von einem Zusammenhang zwischen steigendem Bildungsabschluss und der Wichtigkeit von Wissen gesprochen werden. Auf der inhaltlichen Ebene ist für die Gruppe mit dem Schulabschluss als höchstem Bildungsabschluss Wissen in den Bereichen am Arbeitsplatz, soziales Miteinander und im Haushalt am wichtigsten. Für die Gruppe mit abgeschlossener Ausbildung sind es die Bereiche am Arbeitsplatz, Ernährung sowie soziales Miteinander. Für die Gruppe mit abgeschlossenem Studium sind es die Bereiche am Arbeitsplatz, bei der Ernährung sowie beim Konsumieren. Für das Merkmal des Wohnortes bestehen im Kontext der Wissensbedeutung ebenfalls nur geringfügige Zusammenhänge. Einzig für die Lebensbereiche in der Freizeit und soziales Miteinander lässt sich ein statistisch signifikanter Unterschied messen. Für den Bereich in der Freizeit weist PLZ-Gebiet 3 mit 84 % den höchsten Wert für sehr wichtig/wichtig auf und PLZ-Gebiet 0 mit 54 % den niedrigsten Wert. Die anderen Gebiete weisen Werte zwischen 62 % und 76 % auf. Für den Bereich des sozialen Miteinanders liegt der Wert für das PLZ-Gebiet 3 mit 87 % am höchsten und für das PLZ-Gebiet 6 mit 73 % am niedrigsten. Die anderen Gebiete liegen bei einem Wert zwischen 77 % und 82 %. Für diese beiden Bereiche zeigen Ckorr sowie Spearman Rho einen Wert von 0,3 an, der statistische Signifikanz aufweist und der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt hier ebenfalls Signifikanz. Hier besteht demnach ein leichter bis mittlerer Zusammenhang zwischen Wohnort und Wissensbedeutung. Eine weitere Auffälligkeit findet sich für den Lebensbereich politische Teilhabe. Hier liegt der niedrigste Wert bei 54 % für das PLZ-Gebiet 0 und der höchste Wert mit 87 % für das PLZ-Gebiet 2. Die anderen Gebiete weisen jedoch ähnliche Werte zwischen 70 % und 80 % auf. Hier konnte dennoch kein statistisch signifikanter Unterschied nachgewiesen werden. Bezüglich des Medians für die Gesamtbewertung von Wissen als sehr wichtig/wichtig für alle Lebensbereiche weist PLZ-Gebiet 0 mit 68 % den niedrigsten Wert und PLZ-Gebiet 3 mit 82 % den höchsten Wert auf (Ge-
9 Ergebnisse Methodik II
samtmedian der Stichprobe liegt bei 77 %). Alle anderen Gebiete weisen Werte zwischen 71 % und 79 % auf und zeigen somit keine signifikanten Abweichungen.
9.2
Wissensstand im Nachhaltigkeitskontext
Die Frage nach dem Verständnis zum Begriff »Nachhaltigkeit« erfolgt als offene Frage und die Antworten wurden, wie schon bei der Frage nach dem Wissensbegriff, sortiert und kategorisiert. Insgesamt gab es 615 Antworten, da auch hier teilweise von einzelnen Personen verschiedene Verständnisse benannt wurden. Abbildung 51 zeigt die kategorisierten Antworten.
Abbildung 46: Gesellschaftliche Begriffsverständnisse von Nachhaltigkeit
Eigene Darstellung & Daten
Mit Abstand am häufigsten genannt (28 % aller Nennungen) wurde das Verständnis von Nachhaltigkeit als Schonung der Natur und Umwelt sowie allgemeine Naturschutzaspekte. Der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde wurde am zweithäufigsten (19 % aller Nennungen) als Verständnis des Nachhaltigkeitsbegriffs genannt. Am dritthäufigsten folgte das Verständnis von Nachhaltigkeit als ein Prozess des Recyclings und der Wiederverwertung (11 % aller Nennungen). Weitere Verständnisse waren Nachhaltigkeit als Dauerhaftigkeit, die Rücksicht auf nachfolgende Generationen als nachhaltige Handlungsweise oder aber die Reduzierung von Müll und Lebensmittelverschwendung. Die Kategorie klassisches Verständnis bezieht sich auf Aussagen, die konkrete Definitionen von Nachhaltigkeit im Sinne des Brundtland-Reports oder aber des 3-Säulen-Modells als Definition von Nachhaltigkeit angeführt haben. Zudem wurden zahlreiche Einzelaspekte aufgeführt. Ein Großteil davon bezieht sich auf konkrete
365
9 Ergebnisse Methodik II
samtmedian der Stichprobe liegt bei 77 %). Alle anderen Gebiete weisen Werte zwischen 71 % und 79 % auf und zeigen somit keine signifikanten Abweichungen.
9.2
Wissensstand im Nachhaltigkeitskontext
Die Frage nach dem Verständnis zum Begriff »Nachhaltigkeit« erfolgt als offene Frage und die Antworten wurden, wie schon bei der Frage nach dem Wissensbegriff, sortiert und kategorisiert. Insgesamt gab es 615 Antworten, da auch hier teilweise von einzelnen Personen verschiedene Verständnisse benannt wurden. Abbildung 51 zeigt die kategorisierten Antworten.
Abbildung 46: Gesellschaftliche Begriffsverständnisse von Nachhaltigkeit
Eigene Darstellung & Daten
Mit Abstand am häufigsten genannt (28 % aller Nennungen) wurde das Verständnis von Nachhaltigkeit als Schonung der Natur und Umwelt sowie allgemeine Naturschutzaspekte. Der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde wurde am zweithäufigsten (19 % aller Nennungen) als Verständnis des Nachhaltigkeitsbegriffs genannt. Am dritthäufigsten folgte das Verständnis von Nachhaltigkeit als ein Prozess des Recyclings und der Wiederverwertung (11 % aller Nennungen). Weitere Verständnisse waren Nachhaltigkeit als Dauerhaftigkeit, die Rücksicht auf nachfolgende Generationen als nachhaltige Handlungsweise oder aber die Reduzierung von Müll und Lebensmittelverschwendung. Die Kategorie klassisches Verständnis bezieht sich auf Aussagen, die konkrete Definitionen von Nachhaltigkeit im Sinne des Brundtland-Reports oder aber des 3-Säulen-Modells als Definition von Nachhaltigkeit angeführt haben. Zudem wurden zahlreiche Einzelaspekte aufgeführt. Ein Großteil davon bezieht sich auf konkrete
365
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Handlungen, die mit dem Nachhaltigkeitsbegriff assoziiert werden wie beispielsweise der Kauf regionaler und Bio-Produkte, Verzicht auf Verpackungen, die Nutzung von Second-Hand-Kleidung, der Verzicht auf das Auto oder aber das Einhalten fairer Arbeitsbedingungen. Der Wissensstand über Themen der Nachhaltigkeit wurde über drei verschiedene Fragestellungen erhoben. Zunächst wurde erfragt, wie stark spezifische Themenbereiche dem Begriff der Nachhaltigkeit zugeordnet werden (Abbildung 52). Der stärkste Bezug zu Nachhaltigkeit wird bei den Themen Energieversorgung, Trinkwasserversorgung, Ressourcenverbrauch sowie Konsum gesehen. Hier wird der Bezug zu Nachhaltigkeit von über 84 % aller Personen als sehr stark bis stark bewertet. Auch für die Themen Klimawandel und Verlust von Ökosystemen wird hier von mehr als 80 % der Befragten ein sehr starker/starker Bezug gesehen. Die geringsten Bezüge zu Nachhaltigkeit werden für die Themen demographischer Wandel (52 %), soziale Ungleichheit (51 %), Armut (46 %) und Geschlechtergleichstellung (27 %) gesehen. Im Median sehen 68 % aller Befragten für die benannten einen sehr starken bis starken Nachhaltigkeitsbezug. Einen sehr starken Bezug sehen die Befragten mit einem Median von 37 % für alle Themen. Der Höchstwert liegt hier mit 63 % beim Thema Konsum. Der Höchstwert für die Bewertung eines eher weniger bis gar nicht vorhandenen Nachhaltigkeitsbezuges liegt bei 38 % für das Thema Geschlechtergleichstellung.
Abbildung 47: Die Relevanz von Nachhaltigkeit im Kontext ausgewählter Themen aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
9 Ergebnisse Methodik II
Unterschiede in den Antworten auf diese Frage hinsichtlich des Geschlechts sind nur geringfügig vorhanden. So sind Männer zu 30 % der Ansicht, dass das Thema Geschlechtergleichstellung einen starken/eher starken Nachhaltigkeitsbezug aufweist, Frauen hingegen zu 25 %. Auch für das Thema Gesundheit sehen Männer einen stärkeren Nachhaltigkeitsbezug (68 %) als Frauen (63 %). Beim Thema demographischer Wandel hingegen sehen Frauen einen stärkeren Nachhaltigkeitsbezug (54 %) als Männer (49 %). Für die Themen demographischer Wandel und Gesundheit zeigt der Ckorr einen signifikanten Wert von 0,2. Für diese Themen könnte demnach ein leichter Zusammenhang mit dem Geschlecht vorliegen. Allerdings zeigt der Mann-Whitney-U-Test hier keine Signifikanz an, sodass Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit nicht möglich sind. Für alle anderen Themen lässt sich kein statistischer Zusammenhang mit dem Geschlecht nachweisen. Anders ist dies mit Blick auf die Altersgruppen.
Tabelle 30: Altersspezifische Bedeutungszuschreibungen von Nachhaltigkeit zu spezifischen Themenbereichen Themenbereich
18–29
30–39
40–49
50–59
60–69
Gesamt
Frieden & Gerechtigkeit
42 %
51 %
60 %
54 %
65 %
55 %
Gesundheit
66 %
67 %
59 %
58 %
83 %
65 %
Globale Zusammenarbeit
62 %
60 %
71 %
70 %
76 %
68 %
Wirtschaftswachstum
59 %
66 %
76 %
70 %
84 %
71 %
Verlust der Artenvielfalt
66 %
72 %
75 %
78 %
86 %
76 %
Verlust von Ökosystemen
66 %
78 %
82 %
80 %
88 %
80 %
Konsum
79 %
78 %
83 %
82 %
85 %
82 %
Ressourcenverbrauch
83 %
77 %
84 %
85 %
93 %
84 %
Trinkwasserversorgung
83 %
78 %
88 %
81 %
94 %
84 %
Median (Gesamt)
62 %
66 %
71 %
70 %
83 %
68 %
Eigene Darstellung & Daten
Die Verteilung der Altersgruppen und deren Zustimmung eines starken/eher starken Nachhaltigkeitsbezugs für die verschiedenen Themenbereiche ist in Tabelle 29 zu sehen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden hier nur die Themen aufgeführt, für die auch ein statistischer Zusammenhang mit den Altersgruppen nachgewiesen werden konnte. Es lässt sich klar erkennen, dass mit steigendem Alter der Nachhaltigkeitsbezug der Themen stärker gesehen wird. So weist die Gruppe der 60–69-Jährigen bei allen Themen den Maximalwert auf und liegt damit auch immer über dem Gesamtdurchschnitt. Die Gruppe der 18–29-Jährigen weist bei den meisten Themen den geringsten Wert auf, liegt immer unter dem Gesamtdurchschnitt und weist auch den geringsten Medianwert auf. Eine Ausnahme bilden die Themen globale Zusammenarbeit, Konsum, Ressourcenverbrauch sowie Trinkwasserversorgung. Hier weisen die 30–39-Jährigen den geringsten Wert auf. Für die in der Tabelle aufgeführten Themen zeigen sowohl Ckorr als auch Spearman Rho ei-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
nen statistisch signifikanten Wert von 0,2 an. Der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt für diese Themenbereiche ebenfalls Signifikanz an. Es besteht demnach ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und stärkerer Zustimmung zum Nachhaltigkeitsbezug spezifischer Themenbereiche. Auch im Hinblick auf die Variable des Bildungsabschlusses konnte ein Zusammenhang nachgewiesen werden. So steigt der Wert der Zustimmung mit steigendem Bildungsgrad an. Personen mit Schulabschluss (Median 68 %) oder abgeschlossener Ausbildung (Median 67 %) weisen für alle Themenbereiche einen geringeren Zustimmungswert für einen Nachhaltigkeitsbezug auf als die Personen mit einem abgeschlossenen Studium (Median 76 %). Auch unterscheiden sich die Gruppen hinsichtlich der maximalen Zustimmungswerte zu den spezifischen Themen. Die Gruppe der Personen mit Schulabschluss sehen den größten Nachhaltigkeitsbezug (78–82 %) bei den Themen Energieversorgung, Trinkwasserversorgung, Klimawandel sowie Ernährung. Die Befragten mit einer abgeschlossenen Ausbildung sehen die größten Bezüge (85–87 %) für die Themen Energieversorgung, Ressourcenverbrauch und Konsum. Die Personen mit abgeschlossenem Studium sind der Ansicht, dass die Themen Energie- und Trinkwasserversorgung sowie Ressourcenverbrauch den stärksten Nachhaltigkeitsbezug besitzen (93–94 %). Insgesamt betrachtet weist die Gruppe der Personen mit abgeschlossenem Studium bei 18 von 19 Themen den Maximalwert der Zustimmung auf und lediglich bei 3 von 19 Themen den minimalen Zustimmungswert. Ein statistischer Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und einer eher starken bis starken Zustimmung eines Nachhaltigkeitsbezuges lässt sich für folgende Themen finden: Armut, Frieden & Gerechtigkeit, Stadtentwicklung, Verlust von Ökosystemen, Ressourcenverbrauch sowie Trinkwasser- und Energieversorgung (Ckorr & Spearman Rho: 0,2 und signifikanter Kruskal-Wallis-H-Test). Es liegt demnach ein leichter Zusammenhang zwischen der Höhe des Bildungsabschlusses und einer stärkeren Zustimmung zu Nachhaltigkeitsbezügen für die genannten Themenbereiche vor. Auch im Hinblick auf die Variable des Wohnortes lassen sich Zusammenhänge finden. Die Themenbereiche für die ein statistischer Zusammenhang zwischen Wohnort und Zuschreibung eines starken/eher starken Nachhaltigkeitsbezuges gefunden wurde, sind in Tabelle 30 abgebildet. Es lässt sich erkennen, dass die Werte zwischen den einzelnen Wohnorten teilweise stark abweichen. Im Gesamtmedian weist das PLZ-Gebiet 5 mit 77 % den höchsten Wert auf und das PLZ-Gebiet 7 mit 60 % den niedrigsten. Beide weichen stark vom Gesamtmedian der Stichprobe ab. Für die in der Tabelle aufgeführten Themenbereiche zeigt Ckorr einen Wert von 0,3 an. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt hier Signifikanz. Es scheint für diese Themenbereiche demnach ein leichter bis mittlerer Zusammenhang zwischen Wohnort und Zustimmung zu einem starken/eher starken Nachhaltigkeitsbezug zu geben.
41 %
36 %
54 %
44 %
62 %
72 %
62 %
Soziale Ungleichheit
Demographischer Wandel
Digitalisierung
Frieden & Gerechtigkeit
Stadtentwicklung
Ernährung
Median (Gesamt)
Eigene Darstellung & Daten
PLZ 0
Themenbereich
69 %
69 %
69 %
55 %
57 %
53 %
47 %
PLZ 1
67 %
77 %
70 %
55 %
37 %
55 %
60 %
PLZ 2
71 %
79 %
64 %
70 %
59 %
61 %
55 %
PLZ 3
75 %
84 %
75 %
42 %
53 %
54 %
54 %
PLZ4
77 %
82 %
71 %
55 %
77 %
73 %
55 %
PLZ5
70 %
86 %
57 %
57 %
50 %
39 %
50 %
PLZ6
60 %
74 %
60 %
55 %
55 %
57 %
55 %
PLZ7
Tabelle 31: Wohnortspezifische Unterschiede in der starken Zuschreibung von Nachhaltigkeit zu ausgewählten Themenbereichen
63 %
75 %
46 %
48 %
40 %
37 %
40 %
PLZ8
74 %
84 %
67 %
67 %
49 %
45 %
49 %
PLZ 9
68 %
78 %
65 %
55 %
53 %
52 %
51 %
Gesamt
9 Ergebnisse Methodik II 369
370
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Im Anschluss an diese Frage wurde eine Bewertung des persönlichen Wissensstandes zu den spezifischen Themenbereichen abgefragt (Abb. 53). Insgesamt weisen die Befragten für die Themenbereiche Bildung (79 %), Ernährung (77 %) sowie Gesundheit (77 %) einen hohen bis eher hohen Wissensstand auf. Bei den Themen Verlust von Ökosystemen (47 %), demographischer Wandel (47 %), globale Zusammenarbeit (45 %) sowie Stadtentwicklung (35 %) ist der Anteil des hohen Wissensstandes am geringsten. Im Median haben 55 % der Personen für alle Themenbereiche einen hohen bis eher hohen Wissensstand angegeben und 43 % einen eher niedrigen bis niedrigen Wissensstand. Ebenfalls auffällig ist, dass die meisten Personen zu den Themen einen eher hohen Wissensstand angeben (Median 44 %) und nur wenige einen sehr hohen Wissensstand (Median 11 %).
Abbildung 48: Individuelle Bewertung des eigenen Wissensstandes zu Themenbereichen aus dem Nachhaltigkeitskontext
Eigene Darstellung & Daten
Auch für diese Frage lassen sich Unterschiede bezüglich der Einflussvariable des Geschlechts feststellen. Es zeigt sich, dass Männer sich insgesamt einen höheren Wissensstand attestieren (Median 62 %) als Frauen (51 %). So weisen sich Männer in 15 von 19 Themenbereichen einen höheren Wissensstand zu als Frauen. Lediglich bei den Themen Bildung, Ernährung, Gesundheit sowie Geschlechtergleichstellung ist der Wert der Frauen höher. Am stärksten ist die Differenz bei den Themen Wirtschaftswachstum (Männer=61 %; Frauen=41 %), Energieversorgung (M=66 %; F=48 %), Digitalisierung (M=58 %; F=46 %) sowie
9 Ergebnisse Methodik II
Ressourcenverbrauch (M=63 %; F=51 %). Für diese Bereiche kann auch ein statistisch signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden (Ckorr .: 0,2 sowie signifikanter MannWhitney-U-Test). Es scheint demnach ein leichter Zusammenhang zu bestehen zwischen dem Geschlecht und der Bewertung des eigenen Wissensstandes, wobei Männer sich eher einen höheren Wissensstand attestieren als Frauen. Auch bezüglich des Alters lassen sich Unterschiede feststellen. Je älter die Personen sind, desto höher ist der Wert des hohen Wissensstandes, den sie sich zu den Themenbereichen attestieren. So liegen im Median zwischen den 18–29-Jährigen (51 %) und den 60–69-Jährigen (61 %) zehn Prozent. Der Unterschied zwischen den 18–29-Jährigen und den 30–39-Jährigen ist jedoch sehr gering. So weisen die 30–39-Jährigen bei 11 von 19 Themenbereichen sogar den Minimalwert eines sehr hohen/hohen Wissensstandes auf. Die Gruppe der 60–69-Jährigen hingegen hat hier bei 12 von 19 Themen den Maximalwert eines hohen Wissensstandes aller Altersgruppen. Statistisch signifikant lässt sich der Zusammenhang bei folgenden Themenbereichen nachweisen: Stadtentwicklung, demographischer Wandel, Verlust von Ökosystemen, Digitalisierung, Verlust der Artenvielfalt sowie soziale Ungleichheit. Hier liegen Ckorr und Spearman Rho bei 0,2 und der Kruskal-WallisH-Test liegt bei einem Wert unter 0,05. Für das Thema demographischer Wandel liegt der Spearman Rho bei 0,3. Für die anderen Themen kann zwar ein leichter Zusammenhang bei einem Wert von 0,1 nachgewiesen werden, jedoch zeigt der Kruskal-Wallis-H-Test hier keine Signifikanz an. Es lässt sich für die aufgeführten Themen demnach ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und steigendem Wissensstand feststellen. Die Variable des Bildungsabschlusses weist diesbezüglich kaum Unterschiede auf. Lediglich bei den Themen Wirtschaftswachstum und Bildung steigt der Wert eines hohen Wissensstandes von Schulabschluss zu abgeschlossenem Studium (49 % zu 61 % und 75 % zu 88 %). Ckorr und Spearman Rho zeigen hier einen Wert von 0,2 bei einem signifikanten Kruskal-Wallis-H-Test. Bei allen anderen Themenbereichen ist kein statistisch signifikanter Zusammenhang nachweisbar. Bei den Maximalwerten ist auffällig, dass die Befragten mit einem abgeschlossenen Studium bei 12 von 19 Zielen den Höchstwert für einen hohen Wissensstand zeigen im Vergleich zu den anderen Gruppen und die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung bei 15 von 19 Themen den Höchstwert für einen niedrigen Wissensstand. Für die Variable des Wohnortes kann kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Zwar weichen die reinen Häufigkeitsverteilungen teilweise voneinander ab, jedoch konnte für keinen Themenbereich hier ein statistischer Zusammenhang nachgewiesen werden. Im Median weist PLZ-Gebiet 1 mit 49 % den geringsten Wert für einen hohen Wissensstand und PLZ-Gebiet 5 mit 59 % den höchsten Wert auf. Alle anderen Gebiete unterscheiden sich nicht mehr als zwei Prozentpunkte im Median. Darüber hinaus wurde der Zusammenhang untersucht zwischen der Bewertung des Nachhaltigkeitsbezuges und der Einschätzung des Wissensstandes zu den jeweiligen Themenbereichen. Hier konnte für alle Themenbereiche ein Ckorr von 0,4 und für die Themen Ernährung, Klimawandel & Konsum 0,5 errechnet werden. Demnach liegt ein statistisch signifikanter mittelstarker Zusammenhang zwischen der Einschätzung eines hohen Nachhaltigkeitsbezugs und einem gleichzeitig hohen Wissensstand vor. Je höher der Nachhaltigkeitsbezug eines Themas eingeschätzt wird, desto höher ist die Einschätzung des Wissensstandes zu dem jeweiligen Themenbereich. Die letzte Frage zum Wissens-
371
372
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
stand hinsichtlich der Nachhaltigkeit bezog sich auf die vorhandenen Wissensarten zu den in den vorherigen Fragen aufgeführten Themenbereichen (Abb. 54).
Abbildung 49: Vorhandene Wissensarten zu den Themen der Nachhaltigkeit
Eigene Darstellung & Daten
Es lässt sich klar erkennen, dass der Großteil der Befragten am ehesten ein Wissen über Zusammenhänge, Ursachen & Folgen zu den Themenbereichen aufweist. Der Anteil ist hier fast doppelt so hoch wie für die anderen beiden Wissensarten, die in einem ähnlichen Ausmaß vorhanden sind. Unterschiede bei den Geschlechtern lassen sich nur für die Wissensart des Wissens über Zahlen, Daten und Fakten finden. Hier geben die Männer mit 46 % an, dass sie dieses Wissen am ehesten haben, die Frauen nur mit 26 %. Der Ckorr liegt hier bei einem statistisch signifikanten Wert von 0,2. Es besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von Wissen über Zahlen, Daten & Fakten und dem Geschlecht. Bezüglich des Alters lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen. Ein Blick auf die Variable des Bildungsabschlusses zeigt, dass hier bei den Personen mit einem abgeschlossenen Studium für alle Wissensarten ein höherer Wert vorliegt als bei den anderen Gruppen. Der statistische Zusammenhang ist mit einem Ckorr -Wert von 0,1 jedoch äußerst gering. Für die Variable des Wohnortes bestehen ebenfalls keine statistisch signifikanten Zusammenhänge.
9 Ergebnisse Methodik II
9.3
Geographisches Wissen
Im Kontext des geographischen Wissens wurden zwei Fragen gestellt. Zunächst wurde erhoben, inwieweit sechs ausgewählte geographische Schlüsselkonzepte bekannt sind und hinsichtlich ihrer Bedeutung verstanden werden (Abb. 55). So sind es insbesondere die Konzepte des Denkens in Maßstäben sowie des holistischen (ganzheitlichen) Denkens, die die Mehrheit der Befragten sowohl kennt als auch versteht (68 %). Die Konzepte der Inter- und Multidisziplinarität hingegen weisen hinsichtlich Kenntnis und Verständnis die geringsten Werte auf (33 % und 35 %). Im Median kennen und verstehen 47 % aller Befragten die Konzepte, 34 % kennen sie zwar, aber verstehen sie nicht und 19 % sind die Konzepte unbekannt. Somit lässt sich sagen, dass im Median 54 % aller Befragten die Konzepte nicht verstehen und/oder kennen. Für die Konzepte der Inter- und Multidisziplinarität liegt dieser Wert bei 65 % respektive 67 %. Hinsichtlich des Geschlechts lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen. Das Gleiche gilt für die Variable des Alters. Zwar weisen die 60–69-Jährigen mit einem Median von 40 % den geringsten Wert für Kenntnis & Verständnis der Konzepte auf und die 40–49-Jährigen mit 52 % den höchsten Wert, doch statistisch betrachtet lässt sich kein Zusammenhang zwischen Alter und der Kenntnis der Konzepte nachweisen.
Abbildung 50: Gesellschaftliches Wissen über Schlüsselkonzepte der Geographie
Eigene Darstellung & Daten
Beim Bildungsabschluss hingegen lassen sich signifikante Unterschiede feststellen (Abb. 56). Während die Personen mit einem Schulabschluss oder einer abgeschlossenen Ausbildung als höchstem Bildungsabschluss für fast alle Konzepte ähnliche Werte aufweisen, lässt sich für die Personen mit abgeschlossenem Studium für alle Konzepte der Maximalwert bezüglich Kenntnis und Verständnis der geographischen Konzepte erkennen. Am stärksten zeigt sich der Unterschied für das Konzept Interdisziplinarität. Hier ist der Wert bis zu 40 % höher als die Werte der anderen Gruppen. Auch bei den anderen Konzepten (mit Ausnahme des Denkens in Räumen) sind die Werte der Personen mit abgeschlossenem Studium immer bis zu 20 % höher. Auch im Vergleich zum Ge-
373
374
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
samtdurchschnitt weist diese Gruppe für alle Konzepte einen höheren Wert auf. Dieser Zusammenhang lässt sich auch statistisch signifikant nachweisen. So liegt der Ckorr sowie auch der Spearman Rho bei allen Konzepten (außer Denken in Räumen) bei 0,2 und im Falle des Konzepts Interdisziplinarität bei 0,4. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt für alle Konzepte außer Denken in Räumen Signifikanz an. Es liegt demnach ein leichter Zusammenhang zwischen einem abgeschlossenen Studium und der Kenntnis und des Verständnisses geographischer Schlüsselkonzepte vor, für das Konzept Interdisziplinarität kann der Zusammenhang als mittelstark bezeichnet werden. Für die Variable des Wohnortes lassen sich mit Hinblick auf die geographischen Konzepte keine signifikanten Unterschiede feststellen.
Abbildung 51: Unterschiede in der Kenntnis geographischer Schlüsselkonzepte nach höchstem Bildungsabschluss
Eigene Darstellung & Daten
Anschließend erfolgte die Frage nach der Bedeutung der geographischen Konzepte im Nachhaltigkeitskontext (Abb. 57). Hier zeigt sich, dass die Mehrheit der Befragten alle geographischen Konzepte im Nachhaltigkeitskontext als sehr wichtig bis wichtig betrachtet (Median 87 %). Die stärkste Bedeutung sehen die Befragten in den Konzepten des Denkens in Maßstäben (92 %), des ganzheitlichen Denkens (89 %) sowie des Denkens der Erde als Mensch-Umwelt-System (88 %). Die geringste Bedeutung wird den Konzepten Interdisziplinarität (81 %) und Denken in Räumen (70 %) beigemessen. Den höchsten Wert für eine sehr hohe Bedeutung weisen die Konzepte Erde als Mensch-Umwelt-System und ganzheitliches Denken (52 %) auf. Der geringste Wert findet sich hier für das Denken in Räumen (23 %). Im Hinblick auf die Variable des Geschlechts lassen sich für diese Frage leichte Unterschiede erkennen. So messen Frauen den Konzepten insgesamt eine leicht höhere Bedeutung im Nachhaltigkeitskontext zu (90 %) als Männer (83 %). Signifikant ist dies für die Konzepte Denken in Maßstäben, ganzheitliches Denken, die Erde als Mensch-Umwelt-System sowie Multiperspektivität. Hier weist der Ckorr einen Wert von 0,2 auf und der MannWhitney-U-Test zeigt einen Wert unter 0,05. Es scheint demnach einen leichten Zusam-
9 Ergebnisse Methodik II
menhang zwischen dem Geschlecht und der Bedeutungszuschreibung für geographische Konzepte im Nachhaltigkeitskontext zu geben. Auch für die verschiedenen Altersgruppen lassen sich Unterschiede erkennen. So steigt die Bedeutungszuschreibung der geographischen Konzepte für Nachhaltigkeit mit dem Alter signifikant an. Der geringste Median liegt bei der Gruppe der 30–39-Jährigen mit 78 %, während die Gruppe der 60–69-Jährigen mit 94 % den höchsten Medianwert aufweist. Zwar steigen die Werte mit dem Alter, es muss jedoch erwähnt werden, dass die Altersgruppe der 30–39-Jährigen hier eine Ausnahme bildet, da sie für die Konzepte Multiperspektivität, die Erde als MenschUmwelt-System, ganzheitliches Denken und in Maßstäben Denken hier den niedrigsten Wert aller Altersgruppen aufweist und eben nicht die Gruppe der 18–29-Jährigen. Statistisch signifikant lässt sich für die Konzepte in Räumen Denken, Interdisziplinarität und die Erde als Mensch-Umwelt-System ein Zusammenhang nachweisen (Ckorr & Spearman Rho: 0,3 & signifikanter Kruskal-Wallis-H-Test). Für diese Konzepte scheint das steigende Alter mit einer höheren Bedeutungszuschreibung im Nachhaltigkeitskontext leicht zusammenzuhängen.
Abbildung 52: Die Bedeutung geographischer Schlüsselkonzepte im Nachhaltigkeitskontext aus geographischer Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Auch hinsichtlich der Variable des Schulabschlusses lassen sich Unterschiede beobachten. Wie schon bei der vorherigen Frage steigt hier die Bedeutungszuschreibung mit Höhe des Bildungsabschlusses an. Liegt der Median bei den Personen mit Schulabschluss bei 80 %, so ist er für die Befragten mit abgeschlossenem Studium bei 90 % zu verzeichnen. Die steigenden Werte sind für alle Konzepte zu erkennen, wobei die Differenz zwischen Schulabschluss und abgeschlossenem Studium immer zwischen 8 % und 16 % liegt. Eine Ausnahme bildet das Konzept des Denkens in Maßstäben (Differenz von 5 %). Der größte Unterschied mit 16 % ist für das Konzept Interdisziplinarität zu erkennen. Der Zusammenhang von Bildungsabschluss und Bedeutungszuschreibung der geographischen Konzepte zur Nachhaltigkeit ist für die Konzepte Interdisziplinarität
375
376
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
und ganzheitliches Denken mit einem Spearman Rho-Wert von 0,2 und für alle anderen Konzepte mit 0,1 signifikant. Der Kruskal-Wallis-H-Test zeigt bei allen Konzepten eine Signifikanz für den Zusammenhang an. Es besteht demnach ein sehr leichter Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Bedeutungszuschreibung geographischer Konzepte im Kontext von Nachhaltigkeit. Für die Variable des Wohnortes lässt sich nur für das Konzept Denken in Maßstäben ein signifikanter Unterschied feststellen (Ckorr : 0,3 & signifikanter Kruskal-Wallis-H-Test). Hier liegt der Minimalwert der hohen Wichtigkeit dieses Konzepts für Nachhaltigkeit bei 85 % (PLZ-Gebiet 0) und der Maximalwert bei 98 % (PLZ-Gebiet 5). Andere Unterschiede in den Häufigkeitsverteilungen weisen keine statistische Signifikanz auf. Darüber hinaus wurde der Zusammenhang zwischen der Frage nach der Kenntnis und des Verständnisses der geographischen Konzepte und der Bedeutungszuschreibung dieser im Nachhaltigkeitskontext untersucht. Es zeigt sich, dass hier ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht. Personen, die die geographischen Konzepte kennen und verstehen, messen diesen auch gleichzeitig eine höhere Wichtigkeit im Nachhaltigkeitskontext bei. Sowohl Ckorr als auch Spearman Rho sind hier für alle Konzepte mit einem Wert von 0,3 signifikant. Die Konzepte Denken in Maßstäben und ganzheitliches Denken weisen einen Wert von 0,4 auf. Auch der Kruskal-Wallis-H-Test bestätigt die Signifikanz des Zusammenhangs. Somit lässt sich sagen, dass ein mittlerer Zusammenhang zwischen der Kenntnis und des Verständnisses geographischer Konzepte und der Bedeutungszuschreibung dieser für Nachhaltigkeit besteht. Darüber hinaus wurde der Zusammenhang von Kenntnis & Verständnis geographischer Konzepte und der Frage nach der Einschätzung des Zusammenhangs der spezifischen Themenbereiche mit Nachhaltigkeit untersucht. Hier zeigt sich ebenfalls ein statistisch signifikanter Zusammenhang. Personen, die geographische Konzepte kennen und verstehen, messen den Themenbereichen eher einen hohen Nachhaltigkeitsbezug bei als Personen, die die Konzepte nicht verstehen und/oder kennen. Dabei unterscheiden sich die Konzepte leicht hinsichtlich ihres Zusammenhangs (Tabelle 31). In der Tabelle 31 sind die Werte für Ckorr dargestellt.
Tabelle 32: Zusammenhangsunterschiede zwischen Kenntnis geographischer Schlüsselkonzepte und Bedeutungszuschreibung von Nachhaltigkeit zu spezifischen Themenbereichen Themenbereiche
1 DIM
2 MP
3 GH
4 DIR
5 ID
6 EMUS
0,2
0,3
–
0,2
–
0,3
–
0,2
–
–
0,2
0,2
Soziale Ungleichheit
0,2
0,2
0,2
0,2
0,2
0,3
Demographischer Wandel
0,2
0,3
0,3
0,2
–
0,3
Digitalisierung
0,2
0,2
0,2
–
–
0,2
Frieden & Gerechtigkeit
0,2
0,2
0,2
0,2
0,2
0,3
Bildung
0,3
0,2
0,2
0,2
–
0,3
Geschlechtergleichstellung Armut
9 Ergebnisse Methodik II Stadtentwicklung
0,3
0,3
0,3
0,2
0,2
0,3
Gesundheit
0,3
0,2
0,2
0,2
–
0,3
Globale Zusammenarbeit
0,3
0,2
0,2
0,2
–
0,3
Wirtschaftswachstum
0,3
0,2
0,3
0,2
0,2
0,3
Verlust der Artenvielfalt
0,3
0,2
0,2
–
–
0,2
Ernährung
0,3
0,2
0,3
–
0,2
0,2
Verlust von Ökosystemen
0,3
0,2
0,3
–
0,2
0,2
Klimawandel
0,3
0,2
0,3
0,2
0,2
0,2
Konsum
0,3
0,2
0,3
–
0,2
0,3
Ressourcenverbrauch
0,3
0,3
0,3
0,2
0,2
0,3
Trinkwasserversorgung
0,3
0,2
0,3
0,2
–
0,2
Energieversorgung
0,3
0,2
0,3
0,3
0,2
0,2
Eigene Darstellung & Daten
Der stärkste Zusammenhang besteht für die Konzepte Denken in Maßstäben sowie Erde als Mensch-Umwelt-System. Der schwächste Zusammenhang für die Konzepte Denken in Räumen und Interdisziplinarität. Der Kruskal-Wallis-H-Test zeigte für alle Konzepte insgesamt eine Signifikanz des Zusammenhangs an. Es besteht demnach ein leichter bis mittlerer Zusammenhang zwischen Kenntnis und Verständnis geographischer Konzepte und der Einschätzung eines starken Nachhaltigkeitsbezugs der aufgeführten Themenbereiche. Gleiches gilt für den Zusammenhang mit der Einschätzung des eigenen Wissensstandes zu den Themenbereichen. Hier zeigt sich ein noch stärkerer Zusammenhang. Für das Konzept des ganzheitlichen Denkens liegen Ckorr und Spearman Rho hier bei einem Wert von 0,4-0,5. Die Erde als Mensch-Umwelt-System sowie Denken in Räumen weisen Werte zwischen 0,3 und 0,4 auf und die Konzepte Multiperspektivität und Interdisziplinarität von 0,3. Auch hier zeigt der Kruskal-Wallis-H-Test einen Wert unter 0.05. Es besteht demnach ein mittelstarker Zusammenhang zwischen Kenntnis und Verständnis der geographischen Konzepte und der Einschätzung des Wissensstandes zu den Themenbereichen. Die Personen, welche angeben, die Konzepte zu kennen und zu verstehen, weisen sich selbst eher einen hohen Wissensstand zu den Themenbereichen zu als die Personen, die die Konzepte nicht kennen. Dies gilt insbesondere für das Konzept des ganzheitlichen Denkens.
9.4
Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Im Themenblock zur Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext wurde zunächst die Frage gestellt, welche Bedeutung Nachhaltigkeit aus Sicht der Befragten in spezifischen Lebensbereichen zukommt (Abb. 58). Die Lebensbereiche sind dabei identisch mit den Lebensbereichen aus den Fragen in Kapitel 9.1. Es lässt sich erkennen, dass Nachhaltigkeit grundsätzlich aus Sicht der Befragten für alle Lebensbereiche eine hohe Be-
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9 Ergebnisse Methodik II Stadtentwicklung
0,3
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Gesundheit
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0,2
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0,3
Globale Zusammenarbeit
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0,2
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0,2
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0,3
Wirtschaftswachstum
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0,2
0,3
Verlust der Artenvielfalt
0,3
0,2
0,2
–
–
0,2
Ernährung
0,3
0,2
0,3
–
0,2
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Verlust von Ökosystemen
0,3
0,2
0,3
–
0,2
0,2
Klimawandel
0,3
0,2
0,3
0,2
0,2
0,2
Konsum
0,3
0,2
0,3
–
0,2
0,3
Ressourcenverbrauch
0,3
0,3
0,3
0,2
0,2
0,3
Trinkwasserversorgung
0,3
0,2
0,3
0,2
–
0,2
Energieversorgung
0,3
0,2
0,3
0,3
0,2
0,2
Eigene Darstellung & Daten
Der stärkste Zusammenhang besteht für die Konzepte Denken in Maßstäben sowie Erde als Mensch-Umwelt-System. Der schwächste Zusammenhang für die Konzepte Denken in Räumen und Interdisziplinarität. Der Kruskal-Wallis-H-Test zeigte für alle Konzepte insgesamt eine Signifikanz des Zusammenhangs an. Es besteht demnach ein leichter bis mittlerer Zusammenhang zwischen Kenntnis und Verständnis geographischer Konzepte und der Einschätzung eines starken Nachhaltigkeitsbezugs der aufgeführten Themenbereiche. Gleiches gilt für den Zusammenhang mit der Einschätzung des eigenen Wissensstandes zu den Themenbereichen. Hier zeigt sich ein noch stärkerer Zusammenhang. Für das Konzept des ganzheitlichen Denkens liegen Ckorr und Spearman Rho hier bei einem Wert von 0,4-0,5. Die Erde als Mensch-Umwelt-System sowie Denken in Räumen weisen Werte zwischen 0,3 und 0,4 auf und die Konzepte Multiperspektivität und Interdisziplinarität von 0,3. Auch hier zeigt der Kruskal-Wallis-H-Test einen Wert unter 0.05. Es besteht demnach ein mittelstarker Zusammenhang zwischen Kenntnis und Verständnis der geographischen Konzepte und der Einschätzung des Wissensstandes zu den Themenbereichen. Die Personen, welche angeben, die Konzepte zu kennen und zu verstehen, weisen sich selbst eher einen hohen Wissensstand zu den Themenbereichen zu als die Personen, die die Konzepte nicht kennen. Dies gilt insbesondere für das Konzept des ganzheitlichen Denkens.
9.4
Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Im Themenblock zur Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext wurde zunächst die Frage gestellt, welche Bedeutung Nachhaltigkeit aus Sicht der Befragten in spezifischen Lebensbereichen zukommt (Abb. 58). Die Lebensbereiche sind dabei identisch mit den Lebensbereichen aus den Fragen in Kapitel 9.1. Es lässt sich erkennen, dass Nachhaltigkeit grundsätzlich aus Sicht der Befragten für alle Lebensbereiche eine hohe Be-
377
378
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
deutung zukommt. So liegt der Gesamtmedian für eine sehr hohe bis hohe Bedeutung bei 74 %, für eine mittlere Bedeutung bei 20 % und für eine niedrige bis keine Bedeutung bei 9 %. Für die Lebensbereiche beim Konsumieren, Ernährung sowie Verhalten in der Freizeit wird Nachhaltigkeit die größte Bedeutung zugeschrieben (81–82 %). Die Lebensbereiche soziales Miteinander (62 %), politische Teilhabe (57 %) sowie Wahl des Arbeitgebers (45 %) weisen hier die niedrigsten Werte auf. Den höchsten Wert für eine sehr hohe Bedeutung von Nachhaltigkeit weisen die Bereiche beim Konsumieren (43 %) sowie Ernährung (42 %) auf.
Abbildung 53: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit für spezifische Lebensbereiche aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Im Hinblick auf die Einflussvariable des Geschlechts zeigen sich hier Unterschiede. So messen Frauen im Durchschnitt Nachhaltigkeit eine höhere Bedeutung bei (78 %) als Männer (67 %). Dies gilt ausnahmslos für alle Lebensbereiche. Die geringste Differenz weist dabei der Bereich Wahl des Arbeitgebers auf (Differenz von 3 %). Die stärkste Differenz zeigt sich für den Bereich beim Reisen/im Urlaub. Hier sind 14 % mehr Frauen der Meinung, dass Nachhaltigkeit hier eine hohe bis sehr hohe Bedeutung hat als bei den Männern. Bis auf die Bereiche Wahl des Arbeitgebers und soziales Miteinander liegt für alle Bereiche hier signifikanter ein Ckorr -Wert ein Wert von 0,2 vor und der Mann-Whitney-U-Test zeigt Signifikanz. Es besteht demnach ein leichter Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Bedeutung von Nachhaltigkeit in spezifischen Lebensbereichen. Frauen weisen demnach Nachhaltigkeit in den meisten Lebensbereichen eine höhere Bedeutung zu als Männer. Auch beim Alter lassen sich Unterschiede feststellen, wenn auch nur geringfügig. Im Median messen die 18–29-Jährigen Wissen zu 71 % eine hohe Bedeutung bei, die 30–39-Jährigen zu 66 %, die 40–49-Jährigen zu 75 %, die 50–59-Jährigen zu 71 % und die 60–69-Jährigen zu 85 %. Der Maximalwert für eine sehr hohe bis hohe Bedeutung liegt bei der Gruppe der 30–39-Jährigen mit 78 % am niedrigsten (Lebensbereich Ernährung)
9 Ergebnisse Methodik II
und in der Gruppe der 60–69-Jährigen mit 93 % am höchsten (Lebensbereich Ernährung). Statistisch signifikante Unterschiede lassen sich jedoch nur für die Lebensbereiche im Haushalt (Ckorr & Spearman Rho: 0,3) sowie beim Konsumieren (0,2) finden. Hier ist auch der Kruskal-Wallis-H-Test signifikant. Für die Bereiche Ernährung, am Verkehr teilnehmen, beim Reisen/im Urlaub sowie für soziales Miteinander und politische Teilhabe liegt der Wert bei 0,1. Für die hier genannten Bereiche besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und steigender Bedeutung von Nachhaltigkeit. Für die Variable Bildungsabschluss liegen kaum signifikante Unterschiede vor. Lediglich für die Bereiche Ernährung, am Verkehr teilnehmen sowie beim Reisen/im Urlaub zeigen Ckorr und Spearman Rho einen signifikanten Wert von 0,2 und der Kruskal-Wallis-H-Test liegt bei unter 0,05. Für diese Bereiche besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Bildungsabschluss und steigender Bedeutung von Nachhaltigkeit. Für die Variable des Wohnortes liegen hier keine signifikanten Unterschiede vor. Die Anschlussfrage richtete sich nach der Kenntnis persönlicher Handlungsmöglichkeiten im Nachhaltigkeitskontext für die verschiedenen Lebensbereiche. Abbildung 59 zeigt die Häufigkeitsverteilung.
Abbildung 54: Kenntnis von nachhaltigen Handlungsmöglichkeiten für spezifische Lebensbereiche
Eigene Darstellung & Daten
Insgesamt betrachtet sind 34 % aller Befragten im Median der Meinung, für alle Lebensbereiche viele Handlungsmöglichkeiten, 52 % also die Hälfte aller Befragten wenige Handlungsmöglichkeiten und 14 % keine zu kennen oder es nicht zu wissen. Die höchsten Werte an Personen, die viele Handlungsmöglichkeiten kennen im Vergleich der Lebensbereiche erreichen hier Ernährung (40 %), beim Konsumieren (36 %) sowie Verhalten in der Freizeit (36 %). Die geringsten Werte liegen für die Bereiche soziales Miteinander (18 %), politische Teilhabe (12 %) sowie Wahl des Arbeitgebers (7 %) vor. Für letztere beide kennen
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380
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
nur die Hälfte aller Befragten (55 %) entweder wenige oder viele Handlungsmöglichkeiten und über 36 % der Befragten kennen für diese Bereiche keine Handlungsmöglichkeiten. Auch hier bestehen wiederum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So kennen 36 % aller Frauen im Median zu allen Lebensbereichen viele Handlungsmöglichkeiten, wohingegen es bei den Männern 29 % sind. In fast allen Bereichen geben Frauen häufiger an, einige oder viele Handlungsmöglichkeiten zu kennen. Eine Ausnahme bilden die Bereiche Wahl des Arbeitgebers, wo Ausgeglichenheit herrscht, und politische Teilhabe wo die Männer zu 64 % angeben, Handlungsmöglichkeiten zu kennen und die Frauen lediglich zu 49 %. Signifikante Unterschiede liegen für die Bereiche am Verkehr teilnehmen, Verhalten in der Freizeit, beim Reisen/im Urlaub, im Haushalt sowie bei politischer Teilhabe vor. Hier liegt der Ckorr bei 0,2 und der Man-Whitney-U-Test zeigt Signifikanz an. Es besteht demnach für diese Bereiche ein leichter Zusammenhang zwischen Geschlecht und Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten. Für die ersten vier genannten Bereiche besteht ein Zusammenhang zwischen dem weiblichen Geschlecht und der höheren Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten. Bei der politischen Teilhabe gilt dies umgekehrt für das männliche Geschlecht. Die Altersgruppen unterscheiden sich hier nicht signifikant. Der Median liegt für alle Altersgruppen ähnlich zwischen 78 % und 82 %. Eine Ausnahme bildet die Gruppe der 30–39-Jährigen, deren Median hier bei 72 % liegt und somit auch weit unter dem Gesamtdurchschnitt. Darüber hinaus weist diese Altersgruppe bis auf den Bereich soziales Miteinander in allen Bereichen den niedrigsten Wert für die Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten auf. Die Gruppe der 60–69-Jährigen weist hier bis auf die Bereiche Wahl des Arbeitgebers sowie Verhalten am Arbeitsplatz in allen Bereichen den höchsten Wert auf. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang von Alter und Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Anders ist dies für die Variable Bildungsabschluss (Tabelle 32). Hier sind starke Abweichungen (>6 %) vom Gesamtanteil farbig markiert. Es zeigt sich, dass Personen mit abgeschlossenem Studium in allen Bereichen den höchsten Wert für die Kenntnis vieler Handlungsmöglichkeiten aufweisen und auch immer über dem Gesamtdurchschnitt liegen. Die anderen beiden Gruppen sind hinsichtlich ihrer Werte ähnlich, wobei die Gruppe mit abgeschlossener Ausbildung leicht niedrigere Werte aufweist und in allen Lebensbereichen den geringsten Wert hat. Kombiniert man die Häufigkeiten der Kenntnis weniger und vieler Handlungsmöglichkeiten ergibt sich das gleiche Bild. Dies lässt sich auch statistisch signifikant nachweisen (Ckorr & Spearman Rho von 0,2 für alle Bereiche außer soziales Miteinander und signifikanter Kruskal-Wallis-H-Test). Es besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen einem abgeschlossenen Studium und einer vermehrten Kenntnis von nachhaltigen Handlungsmöglichkeiten für die hier benannten Lebensbereiche. Bezüglich der Variable des Wohnortes lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen.
9 Ergebnisse Methodik II
Tabelle 33: Der Einfluss des Bildungsabschlusses auf die Kenntnis nachhaltiger Handlungsmöglichkeiten in spezifischen Lebensbereichen Lebensbereich
Schulabschluss
Abgeschlossene Ausbildung
Abgeschlossenes Studium
Gesamt
am Arbeitsplatz
20 %
15 %
27 %
20 %
bei der Ernährung
35 %
35 %
55 %
40 %
soziales Miteinander
19 %
15 %
20 %
18 %
im Haushalt
33 %
28 %
40 %
33 %
beim Konsumieren
33 %
30 %
48 %
36 %
beim Reisen/Urlaub
28 %
27 %
50 %
34 %
politische Teilhabe
11 %
8 %
18 %
12 %
in der Freizeit
31 %
30 %
50 %
36 %
Mobilität
31 %
28 %
45 %
34 %
Median
30 %
28 %
42 %
34 %
Eigene Darstellung & Daten
Zusätzlich zu den hier beschriebenen Zusammenhängen wurden in diesem Kontext auch Zusammenhänge zwischen verschiedenen Fragen untersucht. Zunächst wurde analysiert, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der Bedeutung von Wissen in den spezifischen Lebensbereichen und der Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten in diesen Bereichen. Hier konnte für alle Bereiche ein statistisch signifikanter Zusammenhang beobachtet werden. So liegen der Ckorr sowie Spearman Rho für alle Bereiche bei einem Wert von 0,3-0,4. Die Bereiche Ernährung, politische Teilhabe sowie soziales Miteinander weisen hier mit 0,4 den stärksten Wert auf. Es besteht somit ein mittelstarker Zusammenhang. Je höher die Bedeutung von Wissen in den jeweiligen Lebensbereichen eingeschätzt wird, desto mehr nachhaltige Handlungsmöglichkeiten sind in diesen Bereichen bekannt. Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen der Einschätzung der Bedeutung von Nachhaltigkeit für die jeweiligen Lebensbereiche und der Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten in diesen Bereichen. Hier weisen Ckorr und Spearman Rho einen Wert von 0,5 und für die Bereiche Ernährung sowie soziales Miteinander 0,6 auf. Es besteht somit ein mittelstarker bis starker statistisch signifikanter Zusammenhang. Je höher die Bedeutung von Nachhaltigkeit in den Lebensbereichen eingeschätzt wird, desto mehr Handlungsmöglichkeiten sind in diesen Bereichen bekannt. Die abschließende Frage in diesem Themenblock richtete sich nach den Quellen des vorhandenen Wissens zu den Themen der Nachhaltigkeit und den Handlungsmöglichkeiten für die Lebensbereiche. Abbildung 60 zeigt die Verteilung für die am häufigsten gewählten Wissensquellen. Es lässt sich erkennen, dass das Internet sowie das Fernsehen mit Abstand am häufigsten als Wissensquelle angegeben wurden. Auch Familie & Freunde sowie die persönliche Erfahrung wurden von der Hälfte aller Befragten als Wissensquelle benannt. Die am wenigsten ausgewählten Wissensquellen sind Universität und Hörbuch/Podcasts.
381
382
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abbildung 55: Quellen des vorhandenen gesellschaftlichen Wissens zu Themen der Nachhaltigkeit
Eigene Darstellung & Daten
Im Hinblick auf das Geschlecht sind hier kaum Unterschiede festzustellen. So wählen Männer die Quellen Arbeitgeber*in und Ausbildung häufiger (24 % und 26 %) als Frauen (jeweils 18 %). Die Quellen Familie & Freunde sowie Internet werden von den Frauen häufiger gewählt (54 % und 72 %) als von den männlichen Personen (45 % und 63 %). Der Ckorr zeigt hier einen signifikanten Wert von 0,1. Der Zusammenhang ist somit kaum vorhanden. Für die Altersgruppen zeigen sich deutlichere Unterschiede. Die Quellen, für die ein statistisch signifikanter Unterschied besteht (Ckorr von 0,3 sowie signifikanter Kruskal-Wallis-H-Test) sind in Tabelle 33 dargestellt.
Tabelle 34: Altersbezogene Unterschiede hinsichtlich der Quellen des vorhandenen Nachhaltigkeitswissens Wissensquellen
18–29
30–39
Hörbuch/Podcasts
19 %
14 %
15 %
7 %
8 %
12 %
Schule
66 %
33 %
35 %
23 %
21 %
32 %
soziale Netzwerke
47 %
41 %
36 %
22 %
24 %
33 %
Printmedien
17 %
25 %
39 %
55 %
49 %
39 %
persönliche Erfahrung
43 %
32 %
48 %
58 %
64 %
50 %
Fernsehen
53 %
46 %
69 %
73 %
68 %
63 %
Eigene Darstellung & Daten
40–49
50–59
60–69
Gesamt
9 Ergebnisse Methodik II
383
Demnach werden die Wissensquellen Hörbuch/Podcasts, Schule & soziale Netzwerke häufiger angegeben, je jünger die Personen sind. Die Quellen Printmedien, persönliche Erfahrung sowie Fernsehen werden häufiger angegeben, je älter die Personen sind. Hier besteht somit ein mittlerer statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Wissensquelle und Alter. Bei der Variable des Bildungsabschlusses ist der Zusammenhang nicht so deutlich. Hier konnte lediglich für die Quellen Studium (Ckorr & Spearman Rho von 0,4) sowie Printmedien (0,2) und Fernsehen (0,2) ein Zusammenhang festgestellt werden. Für diese besteht ein leichter bis mittlerer Zusammenhang zwischen Wissensquelle und höchstem Bildungsabschluss. So werden die Quellen Studium und Printmedien mit Abstand am häufigsten von Personen mit einem abgeschlossenen Studium benannt. Die Quelle Fernsehen hingegen wurde am häufigsten von Personen mit abgeschlossener Ausbildung ausgewählt. Für die anderen Wissensquellen bestehen hier keine signifikanten Unterschiede, ebenso wie für die gesamte Variable des Wohnortes. Der anschließende Themenblock wurde eröffnet mit der Frage nach der allgemeinen Bedeutung von Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Hier konnte ein Regler zwischen gar nicht wichtig und sehr wichtig betätigt werden. Die Stufen des Reglers erfolgten dabei in 10er-Schritten von -100 bis +100 (Abb. 61).
Abbildung 56: Die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Es zeigt sich, dass ein Großteil aller Befragten Wissen für sehr wichtig erachtet (20 % aller Nennungen) im Nachhaltigkeitskontext und ihm den höchsten Wert beimisst. 47 % aller Befragten sehen Nachhaltigkeit mit einem Wert von 70–100 als sehr wichtig an. Für 89 % aller Befragten ist Wissen im Nachhaltigkeitskontext eher wichtig als unwichtig. Die Entwicklung zeigt hier weder einen linearen noch einen exponentiellen Verlauf. Zwar steigen die Häufigkeiten mit steigender Bedeutung des Wissens an, doch bilden sowohl der Anstieg in der Mitte zwischen gar nicht wichtig und sehr wichtig als auch der
384
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Abfall in der Wertespanne 60–90 hier eine Ausnahme. Im Geschlechtervergleich sind die Werte ähnlich. Zwar weisen die Frauen einen höheren Anteil für die volle Zustimmung mit 100 auf (24 %) als die Männer (18 %), insgesamt besteht jedoch kein signifikanter Unterschied. Anders ist dies beim Alter. Hier steigt die Anzahl der Personen mit dem Zustimmungswert 100 mit steigendem Alter an von 17 % bei den 18–29-Jährigen bis 33 % bei den 60–69-Jährigen. Der Spearman Rho weist hier einen signifikanten Wert von 0,5 auf. Es besteht somit ein mittelstarker Zusammenhang. Je älter die Personen sind, desto eher weisen sie Wissen im Nachhaltigkeitskontext eine sehr wichtige Bedeutung zu. Bezüglich des Bildungsabschlusses und des Wohnortes konnten hier keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Neben der Bedeutung von Wissen wurde ebenfalls erhoben, welche Merkmale eines Wissens im Nachhaltigkeitskontext für die Befragten am wichtigsten sind (Abb. 62).
Abbildung 57: Erforderliche Merkmale eines Nachhaltigkeitswissens aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Es lässt sich erkennen, dass die praktische Anwendung mehrheitlich als wichtigster Aspekt benannt wird, gefolgt von einer leichten Verständlichkeit des Wissens. Doch auch die Aspekte Wissenschaftliche Belegbarkeit und Überprüfbarkeit wurden von mehr als der Hälfte der Proband*innen als wichtig erachtet. Bei den Geschlechtern fällt hier auf, dass die Aspekte Überprüfbarkeit und wissenschaftliche Belegbarkeit für die Männer (57 % und 64 %) wichtiger sind als für die Frauen (47 % und 49 %), wohingegen die Aspekte Verständlichkeit und praktische Anwendbarkeit für die Frauen wichtiger sind (70 % und 77 %) als für die Männer (63 % und 64 %). Statistisch signifikant ist dieser Unterschied jedoch nur für den Aspekt der wissenschaftlichen Belegbarkeit (Ckorr von 0,2). Hier besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen Geschlecht und Relevanz der wissenschaftlichen Belegbarkeit für Nachhaltigkeitswissen. Hinsichtlich des Alters lassen sich für die Aspekte Überprüfbarkeit und praktische Anwendung Unterschiede finden. Bei
9 Ergebnisse Methodik II
ersterem weisen die 30–39-Jährigen mit 37 % den geringsten und die 60–69-Jährigen mit 64 % den höchsten Zustimmungswert auf. Auch bei der praktischen Anwendung zeigt sich dieser Unterschied (60 % zu 75 %). Für diese beiden Bereiche liegen Ckorr und Spearman Rho signifikant bei 0,2. Es besteht hier somit ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und Relevanz der Aspekte für Nachhaltigkeitswissen. Für die Variable des Bildungsabschlusses liegt nur beim Aspekt der praktischen Anwendbarkeit ein signifikanter Unterschied vor (Ckorr & Spearman Rho: 0,2). Hier weisen die Personen mit abgeschlossener Ausbildung den höchsten Zustimmungswert auf (79 %) und die Personen mit Schulabschluss den niedrigsten Wert (63 %). Es besteht demnach ein leichter Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Bedeutung von praktischer Anwendbarkeit von Wissen. Die Variable des Wohnortes zeigt für diese Frage keine statistisch signifikanten Unterschiede. In einem weiteren Schritt wurde die allgemeine Relevanz von verschiedenen Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext erfragt (Abb. 63). Hier lässt sich erkennen, dass alle aufgeführten Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext als relevant bis sehr relevant erachtet werden (90–94 %). Den höchsten Wert für eine hohe Relevanz erreicht die Wissensart des Wissens über Folgen für die Umwelt (54 %). Den niedrigsten Wert das Wissen über Fakten & Zusammenhänge (45 %). Unterschiede bezüglich des Geschlechts lassen sich hier nicht finden. Für die Variable des Alters weist nur das Wissen über die Ursachen & den IstZustand einen signifikanten Unterschied auf (Ckorr von 0,3). Hier liegt der höchste Zustimmungswert von 66 % bei den 18–29-Jährigen und der niedrigste Wert mit 40 % bei den 30–39-Jährigen. Alle anderen Altersgruppen liegen bei 52–56 %. Hier besteht somit ein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich des Alters und der Relevanz eines Wissens über Ursachen & den Ist-Zustand. Für die Variable des Bildungsabschlusses lassen sich ebenfalls Unterschiede feststellen.
Abbildung 58: Gesellschaftlich relevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext
Eigene Darstellung & Daten
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
So weisen die Personen mit abgeschlossenem Studium für alle Wissensarten einen höheren Zustimmungswert auf als die anderen Gruppen und die Personen mit Schulabschluss für alle Wissensarten den niedrigsten Zustimmungswert. Für die Wissensarten Folgen für die Umwelt, Folgen für das eigene Leben, Lösungs- und Handlungsansätze sowie Ursachen & Ist-Zustand liegt hier ein statistisch signifikanter Unterschied vor (Ckorr & Spearman Rho: 0,2). Demnach besteht ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Bildungsabschluss und steigender Relevanzzuschreibung für spezifische Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext. Im Zusammenhang mit dem Wohnort lassen sich keine signifikanten Unterschiede beobachten.
Abbildung 59: Handlungsrelevante Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive
Eigene Darstellung & Daten
Vertiefend dazu wurde gefragt, welche dieser Wissensarten nach persönlicher Ansicht der Befragten am ehesten zu einem nachhaltigen Handeln führen (Abb. 64). Wissen über die Folgen für die Umwelt und Wissen über Folgen für das eigene Leben führen aus Sicht der Befragten am ehesten zu einem nachhaltigen Handeln. Wissen über Folgen für die Gesellschaft und Wissen über Lösungs- und Handlungsansätze weisen hier den geringsten Zustimmungswert auf. Im Median werden alle Wissensarten von 55 % der Befragten als handlungsrelevant erachtet. Geschlechtsspezifisch lassen sich hier keine Unterschiede feststellen. Im Hinblick auf die Altersgruppen zeigt sich, dass mit steigendem Alter auch der Zustimmungswert für die Relevanz der Wissensarten für ein nachhaltiges Handeln steigt. So weisen die 60–69-Jährigen für die Wissensarten Wissen über Lösungs- und Handlungsansätze, Wissen über Fakten & Zusammenhänge, Wissen über Ursachen & den Ist-Zustand sowie Wissen über die Folgen für die Umwelt den höchsten Wert auf und die Gruppen der
9 Ergebnisse Methodik II
18–29 und 30–39-Jährigen den niedrigsten Wert. Auch im Median liegen diese beiden Gruppen (50 % und 47 %) signifikant niedriger als die 60–69-Jährigen (61 %). Für diese Wissensarten liegt der Ckorr signifikant bei 0,2. Es besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und höherer Relevanz der benannten Wissensarten für ein nachhaltiges Handeln. Auf der inhaltlichen Ebene ist das Wissen über Folgen für das eigene Leben für die 18–29-Jährigen sowie für die 30–39-Jährigen am handlungsrelevantesten und das Wissen über die Folgen für die Umwelt für alle anderen Altersgruppen. Ebenfalls auffällig ist, dass die Altersgruppe der 30–39-Jährigen mit Ausnahme des Wissens über Handlungs- und Lösungsansätze für alle Wissensarten den geringsten Zustimmungswert aufweist. Bildungsabschluss und Wohnort zeigen für diese Frage keine signifikanten Unterschiede. Darüber hinaus wurde analysiert, ob es einen Zusammenhang zwischen vorhandenen Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext und Wissensarten, die am ehesten zum Handeln führen gibt. Hier ergab der Ckorr einen signifikanten Wert von 0,2 für alle Wissensarten. Es besteht demnach ein leichter Zusammenhang zwischen den vorhandenen Wissensarten der Befragten und den Wissensarten, die nach Ansicht der Befragten am ehesten zum nachhaltigen Handeln führen. Das gleiche Bild zeigt sich auch für den Zusammenhang von vorhandenen Wissensarten und der allgemeinen Relevanzbewertung der Wissensarten im Nachhaltigkeitskontext. Die Wissensarten, die vorhanden sind, werden eher als relevant erachtet als die nicht vorhandenen Wissensarten. Diesen Themenblock abschließend wurden die Proband*innen gefragt, ob sie der Ansicht sind, dass sie ausreichend Wissen besitzen um nachhaltig handeln zu können. (Abb. 65).
Abbildung 60: Individuelle Einschätzung des gegenwärtigen allgemeinen Wissensstandes im Nachhaltigkeitskontext
Eigene Darstellung & Daten
Mit 57 % geben die meisten Befragten an, dass sie ausreichend Wissen haben, um nachhaltig handeln zu können, aber nur in bestimmten Bereichen. In jedem Fall aus-
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reichendes Wissen zu haben, sagen 23 % der Befragten. 20 % der Befragten haben nicht ausreichendes oder gar kein Wissen oder können dies nicht genau sagen. Für diese Frage gibt es weder für Geschlecht oder Alter noch für Bildungsabschluss und Wohnort signifikante Unterschiede.
9.5
Wissensbedarfe, Kommunikationskanäle und Wissensformate
Der letzte Themenblock bezog sich auf Wissensbedarfe sowie gewünschte Informationskanäle und Wissensformate aus Sicht der Befragten. Abbildung 66 zeigt den Wissensbedarf der Proband*innen für die jeweiligen Themenbereiche, die zu Beginn der Erhebung bereits thematisiert wurden. Die Themen sind dabei farbig markiert je nach Höhe der Zustimmung für einen vorhandenen Wissensbedarf (rot für einen hohen Bedarf, orange und gelb für einen eher hohen bzw. eher niedrigen Bedarf und grün für einen niedrigen Bedarf). Die Themen, für die laut Ansicht der Befragten der höchste Wissensbedarf besteht, sind Trinkwasserversorgung, Energieversorgung, Wandel von Landnutzung sowie Ressourcenverbrauch. Die Themen, wo der geringste Wissensbedarf besteht, sind Verlust von Artenvielfalt, demographischer Wandel sowie Geschlechtergleichstellung. Im Median besteht für jeden Themenbereich zu 21 % ein Bedarf nach Wissen. Hinsichtlich des Geschlechts lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen. Die Altersgruppen weisen ebenfalls kaum signifikante Unterschiede auf. Lediglich bei den Themenbereichen Klimawandel und Wirtschaftswachstum konnte hier ein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Ckorr von 0,2). So scheinen die 18–29-Jährigen einen deutlich höheren Wissensbedarf für Wirtschaftswachstum zu haben (34 %) als die anderen Altersgruppen (16–18 %). Beim Klimawandel hingegen weisen die 60–69-Jährigen mit 40 % einen deutlich höheren Wissensbedarf auf als die anderen Gruppen (21–29 %). Für diese Themen besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen Wissensbedarf und Altersgruppe. In Bezug auf den Bildungsabschluss liegt nur für den Themenbereich des Wirtschaftswachstums ein signifikanter Unterschied vor (Ckorr von 0,2). So weisen die Personen mit einem abgeschlossenen Studium hier einen deutlich höheren Wissensbedarf auf (31 %) als die anderen Gruppen (16–17 %). Hier liegt somit ein leichter Zusammenhang zwischen abgeschlossenem Studium und Wissensbedarf für den Themenbereich Wirtschaftswachstum vor. Alle anderen Bereiche zeigen keine signifikanten Unterschiede. Dies gilt auch für die Wohnorte. Zusätzlich wurde eruiert, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Wissensstand der Befragten und dem Wissensbedarf für die Themenbereiche gibt. Für die Bereiche Armut, soziale Ungleichheit, Frieden & Gerechtigkeit, Wirtschaftswachstum, Verlust der Artenvielfalt, Verlust von Ökosystemen sowie Klimawandel zeigt der Ckorr hier einen signifikanten Wert von 0,2 an. Es besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen einem geringen Wissensstand und einem Wissensbedarf für diese Themenbereiche. Für alle anderen Bereiche konnte dieser Zusammenhang nicht statistisch signifikant nachgewiesen werden.
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
reichendes Wissen zu haben, sagen 23 % der Befragten. 20 % der Befragten haben nicht ausreichendes oder gar kein Wissen oder können dies nicht genau sagen. Für diese Frage gibt es weder für Geschlecht oder Alter noch für Bildungsabschluss und Wohnort signifikante Unterschiede.
9.5
Wissensbedarfe, Kommunikationskanäle und Wissensformate
Der letzte Themenblock bezog sich auf Wissensbedarfe sowie gewünschte Informationskanäle und Wissensformate aus Sicht der Befragten. Abbildung 66 zeigt den Wissensbedarf der Proband*innen für die jeweiligen Themenbereiche, die zu Beginn der Erhebung bereits thematisiert wurden. Die Themen sind dabei farbig markiert je nach Höhe der Zustimmung für einen vorhandenen Wissensbedarf (rot für einen hohen Bedarf, orange und gelb für einen eher hohen bzw. eher niedrigen Bedarf und grün für einen niedrigen Bedarf). Die Themen, für die laut Ansicht der Befragten der höchste Wissensbedarf besteht, sind Trinkwasserversorgung, Energieversorgung, Wandel von Landnutzung sowie Ressourcenverbrauch. Die Themen, wo der geringste Wissensbedarf besteht, sind Verlust von Artenvielfalt, demographischer Wandel sowie Geschlechtergleichstellung. Im Median besteht für jeden Themenbereich zu 21 % ein Bedarf nach Wissen. Hinsichtlich des Geschlechts lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen. Die Altersgruppen weisen ebenfalls kaum signifikante Unterschiede auf. Lediglich bei den Themenbereichen Klimawandel und Wirtschaftswachstum konnte hier ein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Ckorr von 0,2). So scheinen die 18–29-Jährigen einen deutlich höheren Wissensbedarf für Wirtschaftswachstum zu haben (34 %) als die anderen Altersgruppen (16–18 %). Beim Klimawandel hingegen weisen die 60–69-Jährigen mit 40 % einen deutlich höheren Wissensbedarf auf als die anderen Gruppen (21–29 %). Für diese Themen besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen Wissensbedarf und Altersgruppe. In Bezug auf den Bildungsabschluss liegt nur für den Themenbereich des Wirtschaftswachstums ein signifikanter Unterschied vor (Ckorr von 0,2). So weisen die Personen mit einem abgeschlossenen Studium hier einen deutlich höheren Wissensbedarf auf (31 %) als die anderen Gruppen (16–17 %). Hier liegt somit ein leichter Zusammenhang zwischen abgeschlossenem Studium und Wissensbedarf für den Themenbereich Wirtschaftswachstum vor. Alle anderen Bereiche zeigen keine signifikanten Unterschiede. Dies gilt auch für die Wohnorte. Zusätzlich wurde eruiert, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Wissensstand der Befragten und dem Wissensbedarf für die Themenbereiche gibt. Für die Bereiche Armut, soziale Ungleichheit, Frieden & Gerechtigkeit, Wirtschaftswachstum, Verlust der Artenvielfalt, Verlust von Ökosystemen sowie Klimawandel zeigt der Ckorr hier einen signifikanten Wert von 0,2 an. Es besteht somit ein leichter Zusammenhang zwischen einem geringen Wissensstand und einem Wissensbedarf für diese Themenbereiche. Für alle anderen Bereiche konnte dieser Zusammenhang nicht statistisch signifikant nachgewiesen werden.
9 Ergebnisse Methodik II
Abbildung 61: Gesellschaftliche Bedarfe nach Wissen für spezifische Themenbereiche
Eigene Darstellung & Daten
Neben dem Wissensbedarf für die Themenbereiche wurde auch der Wissensbedarf für die spezifischen Lebensbereiche im Nachhaltigkeitskontext erhoben (Abb. 67). Die farbige Markierung entspricht der vorherigen Abbildung. So zeigt sich, dass insbesondere für die Lebensbereiche Ernährung, Verhalten in der Freizeit sowie beim Konsumieren ein Wissensbedarf besteht. Für die Bereiche am Verkehr teilnehmen, Verhalten am Arbeitsplatz sowie der Wahl des Arbeitgebers ist der Wissensbedarf am geringsten. Im Median besteht für jeden Lebensbereich zu 25 % ein Bedarf nach Wissen im Nachhaltigkeitskontext. Un-
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terschiede hinsichtlich des Geschlechts liegen hier nicht vor. Für die Altersgruppen lässt sich lediglich bei den Lebensbereichen Wahl des Arbeitgebers, Verhalten am Arbeitsplatz sowie Reiseverhalten ein signifikanter Unterschied feststellen (Ckorr von 0,2). So ist der Wissensbedarf bei der Wahl des Arbeitgebers bei den 18–29-Jährigen mit 32 % deutlich höher als bei den anderen Gruppen (8–17 %).
Abbildung 62: Gesellschaftliche Wissensbedarfe im Nachhaltigkeitskontext für spezifische Lebensbereiche
Eigene Darstellung & Daten
Beim Verhalten am Arbeitsplatz weist die Gruppe der 30–39-Jährigen einen höheren Wissensbedarf auf (30 %) als die älteren Gruppen (10–21 %). Für den Lebensbereich des Reiseverhaltens hingegen liegt der höchste Wissensbedarf bei der Gruppe der 60–69Jährigen (35 %) und den 18–29-Jährigen (32 %). Die Gruppen dazwischen liegen bei einem Wert von 18–26 %. Hier liegt demnach ein leichter Zusammenhang zwischen Alter und Wissensbedarf vor. Für den Bildungsabschluss sowie den Wohnort existieren keine signifikanten Unterschiede. Neben den Wissensbedarfen wurden auch gewünschte Informationskanäle für die Bereitstellung dieses Wissens erfragt (Abb. 68). Hier liegt das Internet mit 78 % aller Nennungen mit Abstand vorne als am häufigsten gewünschter Informationskanal. Auch das Fernsehen wird mit 63 % aller Nennungen mehrheitlich als Informationskanal gewünscht. Die geringste Zustimmung finden die Kanäle Vorträge & Veranstaltungen sowie Hörbuch/Podcasts (29 % und 21 %). Unterschiede bezüglich des Geschlechts lassen sich nur für den Kanal der sozialen Netzwerke finden, den die Frauen mit 40 % häufiger nennen als die Männer (30 %). Der Ckorr zeigt hier zwar einen signifikanten Zusammenhang an, der Wert liegt jedoch nur bei 0,1, sodass der Zusammenhang nur sehr leicht vorhanden ist. Anders äußert sich dies bei den Altersgruppen (Tab. 34).
9 Ergebnisse Methodik II
Abbildung 63: Gesellschaftlich gewünschte Informationskanäle für die zukünftige Vermittlung von Nachhaltigkeitswissen
Eigene Darstellung & Daten
Tabelle 35: Altersbedingte Unterschiede hinsichtlich gewünschter Informationskanäle für Nachhaltigkeitswissen Informationskanal
18–29
30–39
40–49
50–59
60–69
Gesamt
Hörbuch/Podcasts
38 %
24 %
22 %
17 %
11 %
21 %
Vorträge & Veranstaltungen
28 %
19 %
32 %
35 %
28 %
29 %
soziale Netzwerke
66 %
41 %
36 %
27 %
21 %
36 %
Printmedien
28 %
40 %
43 %
42 %
50 %
46 %
Fernsehen
57 %
53 %
60 %
72 %
75 %
63 %
Internet
77 %
73 %
82 %
78 %
79 %
78 %
Eigene Darstellung & Daten
Bis auf den Informationskanal des Internets bestehen bei allen anderen Kanälen signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen (Ckorr von 0,2). So werden Podcasts mit steigendem Alter weniger als Informationskanal gewünscht. Vorträge & Veranstaltungen sind in der Altersgruppe der 40–49-Jährigen am beliebtesten und in der Altersgruppe der 30–39-Jährigen am wenigsten gewünscht. Soziale Netzwerke werden von den 18–29-Jährigen mit Abstand am häufigsten gewünscht (fast doppelt so häufig wie im Gesamtdurchschnitt) und der Wert nimmt für diesen Kanal mit steigendem Alter konstant ab. Umgekehrt ist es für die Kanäle Printmedien und Fernsehen. Hier weisen die jüngeren Altersgruppen die geringsten Werte auf und mit steigendem Alter nimmt der Wert zu. Für diese Kanäle liegt demnach ein leichter Zusammenhang zwischen
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Alter und gewünschtem Informationskanal vor. Hinsichtlich des Bildungsabschlusses liegen kaum Unterschiede vor. Einzig die Kanäle Hörbuch/Podcasts und Printmedien werden von Personen mit abgeschlossenem Studium signifikant höher gewünscht als von den anderen Gruppen. Der Ckorr liegt hier allerdings nur bei 0,1, sodass dieser Zusammenhang nur sehr gering ist. Für die Wohnorte liegen keine signifikanten Unterschiede vor. Zusätzlich wurde berechnet, ob ein Zusammenhang zwischen den genutzten Informationskanälen für das bereits vorhandene Wissen und den gewünschten Informationskanälen für das benötigte Wissen besteht. Für die in den beiden Fragen übereinstimmenden Kanäle Internet, soziale Netzwerke, Fernsehen, Hörbuch/Podcasts sowie Printmedien konnte hier ein statistisch signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden. Der Wert des Ckorr liegt dabei zwischen 0,4 und 0,5. Demnach besteht ein mittelstarker Zusammenhang zwischen bereits genutztem Informationskanal und gewünschtem Informationskanal. Neben den gewünschten Informationskanälen wurde auch nach gewünschten Wissensformaten gefragt (Abb. 69).
Abbildung 64: Gesellschaftlich geforderte Formate für ein Nachhaltigkeitswissen
Eigene Darstellung & Daten
Es lässt sich erkennen, dass insbesondere Textform sowie Video- und Filmformate, die am häufigsten gewünschten Wissensformate sind. Auch Abbildungen & Grafiken werden von der Hälfte aller Befragten als Wissensformat gewünscht. Am wenigsten gefordert werden die Formate Hörbuch/Podcast sowie spielerische Wissensformate. Hinsichtlich des Geschlechts lassen sich hier keine signifikanten Unterschiede feststellen. Bei den Altersgruppen bestehen für die Formate spielerisch, Hörbuch/Podcast, Video- und Filmformate sowie Textform signifikante Unterschiede (Ckorr von 0,2). Spielerische Formate, Hörbuch/Podcast sowie Video- und Filmformate werden am häufigsten von der Gruppe der 18–29-Jährigen gewünscht (26 %, 45 % und 74 %) und der Wert nimmt mit steigendem Alter konstant ab (60–69-Jährige: 6 %, 15 % und 53 %). Textformate werden mit Abstand am häufigsten von der Gruppe der 60–69-Jährigen gewünscht (82 %) und der Wert nimmt mit sinkendem Alter ab (18–29-Jährige: 45 %). Hier besteht somit ein leichter Zusam-
9 Ergebnisse Methodik II
menhang zwischen Alter und gewünschtem Wissensformat. Signifikante Unterschiede bezüglich des Bildungsabschlusses lassen sich keine finden, ebenso wie beim Wohnort. Zum Abschluss wurden die Proband*innen gefragt, ob sie der Ansicht sind, dass sie durch ein vertieftes Wissen zu den angegebenen Themen- und Lebensbereichen bereit wären, ihr Verhalten verstärkt in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten. 42 % aller Befragten beantworteten dies mit Ja, 43 % mit teilweise, 10 % mit Nein und 5 % mit weiß ich nicht. Hinsichtlich der Geschlechter ist auffällig, dass Frauen eher der Meinung sind, dass mehr Wissen zu einem veränderten Verhalten führt (46 %) als Männer (38 %). Hier besteht ein leichter signifikanter Zusammenhang (Ckorr von 0,2). Altersgruppen, Bildungsabschlüsse und Wohnorte unterscheiden sich hier hinsichtlich ihrer Antworten nicht signifikant. Im anschließenden Kapitel erfolgt nun die kritische Diskussion der für diese Arbeit verwendeten Methoden sowie die inhaltliche Diskussion der hier beschriebenen Ergebnisse.
393
10 Zusammenführung und Diskussion
Die Diskussion der Ergebnisse gliedert sich in mehrere Teilabschnitte. Zunächst wird die den Ergebnissen zugrunde liegende Methodik des Mixed-Methods-Ansatzes reflektiert und diskutiert (10.1). Im Zuge dessen erfolgt auch eine spezifische Diskussion der Teilmethoden qualitative Experteninterviews (10.1.1) sowie quantitative Online-Befragung (10.1.2). Im Anschluss werden die Ergebnisse der Erhebungen entlang der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit interpretiert, diskutiert sowie in den theoretischen Zusammenhang eingebettet (10.2).
10.1 Methodendiskussion Der in dieser Arbeit durchgeführte Mixed-Methods-Ansatz stellte sich im Zuge der Forschung als sinnvoll und passend heraus. Die Komplexität und Vielfalt der zu erforschenden Fragestellungen, ließ sich nicht über eine einzige Methode erfassen. Insbesondere, da sowohl Expert*innen als auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft befragt werden sollten, lag die Nutzung verschiedener methodischer Ansätze nahe und hat sich als sinnstiftend erwiesen. Die Erkenntnisse der qualitativen Experteninterviews lieferten dabei, wie in Kapitel 7 dargestellt, die inhaltliche Grundlage für große Teile der quantitativen Befragung und wurden aus diesem Grund in die Fragebogenkonstruktion der quantitativen Studie eingebunden, was eine inhaltlich aufeinander bezogene Analyse im Diskussionsteil ermöglicht, ganz im Sinne eines klassischen Mixed-Methods-Designs (Döring & Bortz 2016: 184f.). Die durch diese methodische Vorgehensweise gewonnenen Erkenntnisse konnten dadurch sowohl hinsichtlich ihrer Validität gefestigt werden sowie auch sich komplementär ergänzen und erweitern bezüglich ihrer Inhalte (Kelle 2019: 168). Dies ermöglicht die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf ein Oberthema (in diesem Fall die Bedeutung geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive) und konnte dadurch eine tiefer gehende Analyse der Fragestellungen ermöglichen, als dies bei einer einseitigen Methodennutzung der Fall gewesen wäre. Allerdings ist dies mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit und Zeit verbunden, da beide Methoden qualitativ hochwertig durchgeführt werden müssen, um aussagekräfti-
10 Zusammenführung und Diskussion
Die Diskussion der Ergebnisse gliedert sich in mehrere Teilabschnitte. Zunächst wird die den Ergebnissen zugrunde liegende Methodik des Mixed-Methods-Ansatzes reflektiert und diskutiert (10.1). Im Zuge dessen erfolgt auch eine spezifische Diskussion der Teilmethoden qualitative Experteninterviews (10.1.1) sowie quantitative Online-Befragung (10.1.2). Im Anschluss werden die Ergebnisse der Erhebungen entlang der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit interpretiert, diskutiert sowie in den theoretischen Zusammenhang eingebettet (10.2).
10.1 Methodendiskussion Der in dieser Arbeit durchgeführte Mixed-Methods-Ansatz stellte sich im Zuge der Forschung als sinnvoll und passend heraus. Die Komplexität und Vielfalt der zu erforschenden Fragestellungen, ließ sich nicht über eine einzige Methode erfassen. Insbesondere, da sowohl Expert*innen als auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft befragt werden sollten, lag die Nutzung verschiedener methodischer Ansätze nahe und hat sich als sinnstiftend erwiesen. Die Erkenntnisse der qualitativen Experteninterviews lieferten dabei, wie in Kapitel 7 dargestellt, die inhaltliche Grundlage für große Teile der quantitativen Befragung und wurden aus diesem Grund in die Fragebogenkonstruktion der quantitativen Studie eingebunden, was eine inhaltlich aufeinander bezogene Analyse im Diskussionsteil ermöglicht, ganz im Sinne eines klassischen Mixed-Methods-Designs (Döring & Bortz 2016: 184f.). Die durch diese methodische Vorgehensweise gewonnenen Erkenntnisse konnten dadurch sowohl hinsichtlich ihrer Validität gefestigt werden sowie auch sich komplementär ergänzen und erweitern bezüglich ihrer Inhalte (Kelle 2019: 168). Dies ermöglicht die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf ein Oberthema (in diesem Fall die Bedeutung geographischer Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive) und konnte dadurch eine tiefer gehende Analyse der Fragestellungen ermöglichen, als dies bei einer einseitigen Methodennutzung der Fall gewesen wäre. Allerdings ist dies mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit und Zeit verbunden, da beide Methoden qualitativ hochwertig durchgeführt werden müssen, um aussagekräfti-
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
ge Ergebnisse zu erhalten (Völcker 2019: 69f.). Dies konnte im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der vorhandenen Ressourcen zwar gewährleistet werden, muss jedoch als Nachteil dieses Methodenansatzes herausgestellt werden, da diese Grundbedingungen nicht immer gegeben sind. Der hier durchgeführte Mixed-Methods-Ansatz ist somit nicht für jedes Forschungsvorhaben geeignet. Insgesamt betrachtet, stellt er jedoch im Hinblick auf das Ziel und die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit einen geeigneten Methodenansatz dar, da das Ziel der Verknüpfung wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Meinungen andernfalls nicht möglich gewesen wäre.
10.1.1 Methodik I: qualitative Experteninterviews Damit Erkenntnisse bezüglich der Bedeutung geographischer Wissens- und Denkweisen im Kontext der zivilgesellschaftlichen Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele gewonnen werden können, war als Grundlage dafür eine Auseinandersetzung mit der geographischen Fachcommunity und deren Expertise unabdingbar. Definitionen von geographischen Wissens- und Denkweisen sowie der Einschätzung ihrer Relevanz für spezifische Problemstellungen einer sozial-ökologischen Transformation können nur von Expert*innen des betroffenen Fachgebiets vorgenommen werden. Somit war die Zielgruppe der ersten Methode von vorneherein klar festgelegt und hat sich auch im Rückblick als sinnvoll und zielführend erwiesen. Insbesondere der Einbezug von Expert*innen möglichst vieler geographischer Teildisziplinen hat dazu beigetragen, dass der Forschungsgegenstand des geographischen Wissens multiperspektivisch erforscht werden konnte und somit die Ergebnisse für die gesamte Geographie eine Gültigkeit besitzen. So wurden nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich im gesamten deutschsprachigen Raum Expert*innen befragt. Dies ermöglichte auch die Erfassung unterschiedlicher inhaltlicher Strömungen und Philosophien des Fachverständnisses, wie sie an verschiedenen Universitäten und räumlichen Standorten durch historische Entwicklungen geprägt auftreten können. Die Altersverteilung sowie auch die Geschlechterverteilung der Expert*innen entsprechen der Gesamtverteilung in Deutschland (siehe Kapitel 7.2.5). Allerdings ermöglichte dies keinen Vergleich zwischen Altersgruppen und Geschlecht. Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen sowie Ansichten hätten bei einer prozentual gleichen Geschlechter- und Altersverteilung unter Umständen andere Ergebnisse und Erkenntnisse erzielt werden können. Dies lässt sich bei der Methode des Experteninterviews jedoch nicht steuern, da der Forschende auf die Zusage der Expert*innen via E-Mail angewiesen war und es keine weiteren Möglichkeiten der Steuerung gab. Zudem wäre eine Vollerhebung aufgrund mangelnder Ressourcen und Zeit ebenfalls nicht möglich gewesen, was jedoch bei den meisten Durchführungen dieser Methode der Fall ist (Bogner et al. 2014: 35). Für aussagekräftige Ergebnisse hinsichtlich des Geschlechts sowie des Alters müsste eine Auswahl der Expert*innen hinsichtlich dieser Variablen getroffen werden, was jedoch dazu führen könnte, dass dadurch keine inhaltliche Vielfalt der Expertisen mehr gegeben ist, was für die vorliegenden Fragestellungen jedoch wichtiger war. Anschließende Forschungen könnten allerdings auf die hier gewonnenen Ergebnisse aufbauend einen solchen Ansatz verfolgen.
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ge Ergebnisse zu erhalten (Völcker 2019: 69f.). Dies konnte im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der vorhandenen Ressourcen zwar gewährleistet werden, muss jedoch als Nachteil dieses Methodenansatzes herausgestellt werden, da diese Grundbedingungen nicht immer gegeben sind. Der hier durchgeführte Mixed-Methods-Ansatz ist somit nicht für jedes Forschungsvorhaben geeignet. Insgesamt betrachtet, stellt er jedoch im Hinblick auf das Ziel und die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit einen geeigneten Methodenansatz dar, da das Ziel der Verknüpfung wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Meinungen andernfalls nicht möglich gewesen wäre.
10.1.1 Methodik I: qualitative Experteninterviews Damit Erkenntnisse bezüglich der Bedeutung geographischer Wissens- und Denkweisen im Kontext der zivilgesellschaftlichen Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele gewonnen werden können, war als Grundlage dafür eine Auseinandersetzung mit der geographischen Fachcommunity und deren Expertise unabdingbar. Definitionen von geographischen Wissens- und Denkweisen sowie der Einschätzung ihrer Relevanz für spezifische Problemstellungen einer sozial-ökologischen Transformation können nur von Expert*innen des betroffenen Fachgebiets vorgenommen werden. Somit war die Zielgruppe der ersten Methode von vorneherein klar festgelegt und hat sich auch im Rückblick als sinnvoll und zielführend erwiesen. Insbesondere der Einbezug von Expert*innen möglichst vieler geographischer Teildisziplinen hat dazu beigetragen, dass der Forschungsgegenstand des geographischen Wissens multiperspektivisch erforscht werden konnte und somit die Ergebnisse für die gesamte Geographie eine Gültigkeit besitzen. So wurden nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich im gesamten deutschsprachigen Raum Expert*innen befragt. Dies ermöglichte auch die Erfassung unterschiedlicher inhaltlicher Strömungen und Philosophien des Fachverständnisses, wie sie an verschiedenen Universitäten und räumlichen Standorten durch historische Entwicklungen geprägt auftreten können. Die Altersverteilung sowie auch die Geschlechterverteilung der Expert*innen entsprechen der Gesamtverteilung in Deutschland (siehe Kapitel 7.2.5). Allerdings ermöglichte dies keinen Vergleich zwischen Altersgruppen und Geschlecht. Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen sowie Ansichten hätten bei einer prozentual gleichen Geschlechter- und Altersverteilung unter Umständen andere Ergebnisse und Erkenntnisse erzielt werden können. Dies lässt sich bei der Methode des Experteninterviews jedoch nicht steuern, da der Forschende auf die Zusage der Expert*innen via E-Mail angewiesen war und es keine weiteren Möglichkeiten der Steuerung gab. Zudem wäre eine Vollerhebung aufgrund mangelnder Ressourcen und Zeit ebenfalls nicht möglich gewesen, was jedoch bei den meisten Durchführungen dieser Methode der Fall ist (Bogner et al. 2014: 35). Für aussagekräftige Ergebnisse hinsichtlich des Geschlechts sowie des Alters müsste eine Auswahl der Expert*innen hinsichtlich dieser Variablen getroffen werden, was jedoch dazu führen könnte, dass dadurch keine inhaltliche Vielfalt der Expertisen mehr gegeben ist, was für die vorliegenden Fragestellungen jedoch wichtiger war. Anschließende Forschungen könnten allerdings auf die hier gewonnenen Ergebnisse aufbauend einen solchen Ansatz verfolgen.
10 Zusammenführung und Diskussion
Eine Alternative wäre die Durchführung der Erhebung als schriftliches Interview gewesen. Dies hätte für eine höhere Rücklaufquote und somit auch insgesamt größere Anzahl an Expert*innen gesorgt, da die Befragung so zeitungebunden gewesen wäre, was wiederum eine größere Flexibilität bezüglich des Antwortverhaltens ermöglicht hätte (Scholl 2018: 45). Da es jedoch darum ging, individuelle Meinungen und Wissen zu erfassen, ist diese Form der Befragung eher ungeeignet, da bei einer schriftlichen Befragung jederzeit auf fremdes Wissen zurückgegriffen werden kann, ebenso wie die gesamte Befragungssituation nicht kontrollier- oder steuerbar ist (ebd.: 46). Für die Beantwortung komplexer Fragestellungen wie im vorliegenden Fall, bei denen teilweise Teil- oder Nachfragen gestellt werden müssen, um vertiefte Erkenntnisse zu gewinnen, wäre eine schriftliche Durchführung daher ungeeignet gewesen. Ein Nachteil bei der Durchführung war die durch die Coronapandemie bedingte Durchführung eines Großteils der Interviews im Online-Videoformat. Die fehlende physische Anwesenheit bei Videointerviews muss in jedem Fall als Nachteil betrachtet werden, da so die Kontrolle über den Interviewverlauf geringer ist (Sedgwick 2009: 7). Zudem können Interviews schneller beendet werden, da lediglich ein Klick am Computer notwendig ist, um die Videokonferenz zu verlassen. Dies ist jedoch bei den vorliegenden Interviews nicht passiert. Ob sich die Expert*innen in Interviews mit physischer Anwesenheit mehr Zeit gelassen hätten, da der Interviewer eine weite Anreise hatte und somit auch moralische Aspekte hier eine Rolle spielen können, bleibt reine Spekulation und lässt sich anhand der gewonnenen Ergebnisse nicht feststellen. Hinsichtlich der Länge der in Person durchgeführten Interviews und den Videointerviews konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden, was auch andere Studien zeigen (ebd.: 6). Es kann somit davon ausgegangen werden, dass hier keine starken Verzerrungseffekte vorliegen. Unter den gegebenen Umständen war die Durchführung von Videointerviews die bestmögliche Option und stellt auch für zukünftige Forschungen im Hinblick auf Social Distancing oder bei weiten räumlichen Entfernungen eine nicht zu vernachlässigende Alternative dar (Lobe et al. 2020: 6). Auf der inhaltlichen Ebene hat sich die Gestaltung des Leitfadens sowie die Reihenfolge der Fragen größtenteils als sinnvoll erwiesen. Lediglich die Einstiegsfrage nach dem persönlichen Verständnis von Wissen erwies sich teilweise als zu komplex für den Interviewstart. Einige Expert*innen benötigten viel Zeit, um die Frage zu beantworten und wiederum andere konnten die Frage teilweise nur in knappen Worten beantworten. Hier wäre es sinnvoll gewesen, Beispiele für existierende Wissensdefinitionen zu geben, sofern Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage auftreten. Allerdings wären dadurch die Antworten potenziell auch beeinflusst worden und somit weniger aussagekräftig gewesen. Alternativ hätte das Interview mit einer leichteren und schnelleren Frage gestartet werden können. Bei der Frage nach relevanten geographischen Inhalten für eine bessere Umsetzung der SDGs viel auf, dass die Antworten hier oftmals sehr kurz und teilweise oberflächlich ausgefallen sind. Zwar wurde oftmals als Vertiefung durch den Interviewer auf spezifische Teilziele eines SDGs hingewiesen, dies hat jedoch nicht immer zu ausführlicheren Antworten geführt. Hier wäre es sinnvoller gewesen, den Expert*innen vorab die Zielsetzungen der SDGs in schriftlicher beziehungsweise digitaler Form zukommen zu lassen. Dies hätte intensivere Diskussionen und differenzierte Antworten innerhalb dieser Fragestellung ermöglicht. Dennoch konnten hier
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
von allen Expert*innen aussagekräftige Ergebnisse gewonnen werden, sodass die Frage in die Auswertung und Diskussion eingebunden werden konnte. Resümierend lässt sich festhalten, dass die gewählte Methode der qualitativen Experteninterviews für das zugrundeliegende Forschungsziel optimal geeignet war und alternative Vorgehensweisen keine bessere Option dargestellt hätten. Zudem konnten die Ergebnisse der Interviews in die inhaltliche Konzipierung der quantitativen Befragung einfließen. Dies ermöglichte inhaltliche Ausdifferenzierungen innerhalb der Fragen des Fragebogens insbesondere hinsichtlich den Themenbereichen Wissensbedeutung im Nachhaltigkeitskontext, relevanter Wissensarten und deren Merkmale in diesem Zusammenhang, geographische Schlüsselkonzepte und deren Nachhaltigkeitsbezug sowie potenzielle Kommunikationskanäle. Das gewählte Reihenfolge QUAL -> QUAN des Mixed-Methods-Designs hat sich dementsprechend als gewinnbringend erwiesen.
10.1.2 Methodik II: quantitative Panel-Befragung Ziel der zweiten Methode war die Erfassung von Wissensständen und Bedarfen innerhalb der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln. Da es hier um das Erforschen eines breiten Meinungsbildes ging und Populationsbeschreibungen vorgenommen werden sollen, erwies sich der quantitative Forschungsansatz hier als einzige sinnvolle Methode, da deskriptive Studien dieser Art im Normalfall quantitativ realisiert werden (Döring & Bortz 2016: 192). Der Nachteil des gewählten Methodenansatzes ist die Notwendigkeit einer repräsentativen Stichprobe, die mit den vorhandenen Ressourcen nur sehr schwer beziehungsweise kaum realisierbar war. Aufgrund der großen Grundgesamtheit war sowohl das Durchführen einer Vollerhebung als auch die Ziehung einer statistisch vollständig repräsentativen Stichprobe nicht möglich. Aus diesem Grund wurde sich für die Durchführung einer Panel-Studie entschieden, was sich im Nachgang als gewinnbringend herausgestellt hat. Zwar kann nicht mit abschließender Sicherheit gesagt werden, ob die vorliegende Stichprobe vollständig probabilistisch ist, da der Rekrutierungsprozess der Panelteilnehmer*innen nicht nachvollzogen werden kann, die Stichprobe an sich wurde jedoch innerhalb des Panels probabilistisch gezogen, sodass sie für die Panelzusammensetzung als repräsentativ betrachtet werden kann. Zudem weist sie in den demographischen Merkmalen eine ähnliche Zusammensetzung wie die Grundgesamtheit der deutschen Bevölkerung auf (siehe Kapitel 7.3.5), sodass durchaus Rückschlüsse auf diese gezogen werden können. Unter den gegebenen Umständen und vorhandenen Ressourcen stellte sich die hier gewählte Form der Erhebung als am besten geeignet heraus. Ein Fokus auf eine kleinere Grundgesamtheit zum Beispiel durch eine räumliche oder altersbezogene Eingrenzung hätte an der Schwierigkeit der Stichprobenziehung nichts geändert und wäre auch mit den zugrundeliegenden Fragestellungen nicht vereinbar gewesen. Die Fragebogenkonstruktion lässt sich rückblickend als gelungen ansehen. So konnten durch den vertiefenden Pretest sowie den großen Pretest via Online-Befragung schon vor der eigentlichen Durchführung potenzielle Probleme des Designs behoben werden. Hinsichtlich der Skalengestaltung wäre es sinnvoller gewesen, eine nummerische Benennung vorzunehmen mit einer verbalen Kennzeichnung der Pole (Polaritätenprofil). Dies hätte den Vorteil gehabt, dass die Befragten die Skala trotzdem nicht
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von allen Expert*innen aussagekräftige Ergebnisse gewonnen werden, sodass die Frage in die Auswertung und Diskussion eingebunden werden konnte. Resümierend lässt sich festhalten, dass die gewählte Methode der qualitativen Experteninterviews für das zugrundeliegende Forschungsziel optimal geeignet war und alternative Vorgehensweisen keine bessere Option dargestellt hätten. Zudem konnten die Ergebnisse der Interviews in die inhaltliche Konzipierung der quantitativen Befragung einfließen. Dies ermöglichte inhaltliche Ausdifferenzierungen innerhalb der Fragen des Fragebogens insbesondere hinsichtlich den Themenbereichen Wissensbedeutung im Nachhaltigkeitskontext, relevanter Wissensarten und deren Merkmale in diesem Zusammenhang, geographische Schlüsselkonzepte und deren Nachhaltigkeitsbezug sowie potenzielle Kommunikationskanäle. Das gewählte Reihenfolge QUAL -> QUAN des Mixed-Methods-Designs hat sich dementsprechend als gewinnbringend erwiesen.
10.1.2 Methodik II: quantitative Panel-Befragung Ziel der zweiten Methode war die Erfassung von Wissensständen und Bedarfen innerhalb der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln. Da es hier um das Erforschen eines breiten Meinungsbildes ging und Populationsbeschreibungen vorgenommen werden sollen, erwies sich der quantitative Forschungsansatz hier als einzige sinnvolle Methode, da deskriptive Studien dieser Art im Normalfall quantitativ realisiert werden (Döring & Bortz 2016: 192). Der Nachteil des gewählten Methodenansatzes ist die Notwendigkeit einer repräsentativen Stichprobe, die mit den vorhandenen Ressourcen nur sehr schwer beziehungsweise kaum realisierbar war. Aufgrund der großen Grundgesamtheit war sowohl das Durchführen einer Vollerhebung als auch die Ziehung einer statistisch vollständig repräsentativen Stichprobe nicht möglich. Aus diesem Grund wurde sich für die Durchführung einer Panel-Studie entschieden, was sich im Nachgang als gewinnbringend herausgestellt hat. Zwar kann nicht mit abschließender Sicherheit gesagt werden, ob die vorliegende Stichprobe vollständig probabilistisch ist, da der Rekrutierungsprozess der Panelteilnehmer*innen nicht nachvollzogen werden kann, die Stichprobe an sich wurde jedoch innerhalb des Panels probabilistisch gezogen, sodass sie für die Panelzusammensetzung als repräsentativ betrachtet werden kann. Zudem weist sie in den demographischen Merkmalen eine ähnliche Zusammensetzung wie die Grundgesamtheit der deutschen Bevölkerung auf (siehe Kapitel 7.3.5), sodass durchaus Rückschlüsse auf diese gezogen werden können. Unter den gegebenen Umständen und vorhandenen Ressourcen stellte sich die hier gewählte Form der Erhebung als am besten geeignet heraus. Ein Fokus auf eine kleinere Grundgesamtheit zum Beispiel durch eine räumliche oder altersbezogene Eingrenzung hätte an der Schwierigkeit der Stichprobenziehung nichts geändert und wäre auch mit den zugrundeliegenden Fragestellungen nicht vereinbar gewesen. Die Fragebogenkonstruktion lässt sich rückblickend als gelungen ansehen. So konnten durch den vertiefenden Pretest sowie den großen Pretest via Online-Befragung schon vor der eigentlichen Durchführung potenzielle Probleme des Designs behoben werden. Hinsichtlich der Skalengestaltung wäre es sinnvoller gewesen, eine nummerische Benennung vorzunehmen mit einer verbalen Kennzeichnung der Pole (Polaritätenprofil). Dies hätte den Vorteil gehabt, dass die Befragten die Skala trotzdem nicht
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für sich übersetzen müssen (Scholl 2018: 169) und gleichzeitig hätte es bei der Auswertung der Fragen Arbeit erspart, da so kein Umcodieren der Skalen notwendig gewesen wäre. Bezüglich des Skalenniveaus hätte dies jedoch nichts geändert, da auch Polaritätenprofile nicht diskussionsfrei als intervallskaliert betrachtet werden können, denn die Abstände von einer Skala von beispielsweise 1–6 können nicht als gleichwertig betrachtet werden (Richter et al. 2021: 57). Für eine saubere statistische Berechnung wurde das Skalenniveau aus diesem Grund auch durchgehend als ordinal behandelt. Die Erfassung des Wohnortes hat sich im Nachhinein als wenig gewinnbringend erwiesen, da hier kaum signifikante Unterschiede bezüglich der Antworten festgestellt werden konnten. Zwar lässt sich die Aussage treffen, dass die vorliegende Stichprobe räumlich gleichmäßig verteilt ist, was einen Vergleich der Wohnorte überhaupt erst zulässt, da jedoch wenige Unterschiede bezüglich der PLZ-Gebiete zu bestehen scheinen, hätte eine Nicht-Erfassung des Wohnortes keine negative Auswirkung gehabt. Zudem ist eine aussagekräftige Interpretation vorhandener Unterschiede aufgrund fehlender vergleichbarer Studien nur äußerst eingeschränkt möglich. Die in den Fragen mit nominalem Skalenniveau gewählten Antwortmöglichkeiten erwiesen sich durchweg als ausreichend. So wurde das offene Feld Sonstiges nur marginal verwendet und enthielt in den meisten Fällen keine inhaltlich aussagekräftigen oder neuen Antwortmöglichkeiten. Auch die Stufenanzahl der Skalen erwies sich als sinnvoll, da beispielsweise zwischen der verbalen Nennung sehr relevant und relevant andere Einzelergebnisse erzielt werden konnten als bei der Zusammenfassung der Ergebnisse beider Kategorien sehr relevant/relevant. Dies unterstreicht die Sinnhaftigkeit der gewählten Skalenstufen. Ob die Wahl von geraden oder ungeraden Stufenanzahlen zu mehr oder weniger Verzerrungen des Antwortverhaltens geführt haben, lässt sich nicht sagen und ist auch in der Methodenforschung nach wie vor nicht geklärt (Steiner & Benesch 2018: 60). Insgesamt betrachtet erwiesen sich sowohl die Methode der quantitativen Panel-Befragung als auch die Fragebogenkonstruktion als sinnvoll und am besten geeignet für die zugrunde liegenden Forschungsfragen. Im Anschluss folgt nun die inhaltliche Diskussion beider Erhebungen entlang der Forschungsfragen der Arbeit.
10.2 Diskussion der Ergebnisse 10.2.1 Der geographische Wissensbegriff Die erste übergeordnete Teilfragestellung (F1)1 der vorliegenden Arbeit bezog sich auf die Rolle der Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Hier ging es zunächst darum, den Begriff des geographischen Wissens zu definieren (F2.1) und dessen Relevanz in diesem Zusammenhang zu erforschen (F2.2). Vor der analytischen Auseinandersetzung mit den Sichtweisen der Geographieexpert*innen zum Begriff des geographischen Wissens ist zunächst ein 1
Da die Fragestellungen in Kapitel 6.2 der vorliegenden Arbeit (S. 262–264) ausführlich hergeleitet und ausformuliert wurden, erfolgt im Diskussionsteil die Benennung der Fragestellung lediglich als Zahl.
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für sich übersetzen müssen (Scholl 2018: 169) und gleichzeitig hätte es bei der Auswertung der Fragen Arbeit erspart, da so kein Umcodieren der Skalen notwendig gewesen wäre. Bezüglich des Skalenniveaus hätte dies jedoch nichts geändert, da auch Polaritätenprofile nicht diskussionsfrei als intervallskaliert betrachtet werden können, denn die Abstände von einer Skala von beispielsweise 1–6 können nicht als gleichwertig betrachtet werden (Richter et al. 2021: 57). Für eine saubere statistische Berechnung wurde das Skalenniveau aus diesem Grund auch durchgehend als ordinal behandelt. Die Erfassung des Wohnortes hat sich im Nachhinein als wenig gewinnbringend erwiesen, da hier kaum signifikante Unterschiede bezüglich der Antworten festgestellt werden konnten. Zwar lässt sich die Aussage treffen, dass die vorliegende Stichprobe räumlich gleichmäßig verteilt ist, was einen Vergleich der Wohnorte überhaupt erst zulässt, da jedoch wenige Unterschiede bezüglich der PLZ-Gebiete zu bestehen scheinen, hätte eine Nicht-Erfassung des Wohnortes keine negative Auswirkung gehabt. Zudem ist eine aussagekräftige Interpretation vorhandener Unterschiede aufgrund fehlender vergleichbarer Studien nur äußerst eingeschränkt möglich. Die in den Fragen mit nominalem Skalenniveau gewählten Antwortmöglichkeiten erwiesen sich durchweg als ausreichend. So wurde das offene Feld Sonstiges nur marginal verwendet und enthielt in den meisten Fällen keine inhaltlich aussagekräftigen oder neuen Antwortmöglichkeiten. Auch die Stufenanzahl der Skalen erwies sich als sinnvoll, da beispielsweise zwischen der verbalen Nennung sehr relevant und relevant andere Einzelergebnisse erzielt werden konnten als bei der Zusammenfassung der Ergebnisse beider Kategorien sehr relevant/relevant. Dies unterstreicht die Sinnhaftigkeit der gewählten Skalenstufen. Ob die Wahl von geraden oder ungeraden Stufenanzahlen zu mehr oder weniger Verzerrungen des Antwortverhaltens geführt haben, lässt sich nicht sagen und ist auch in der Methodenforschung nach wie vor nicht geklärt (Steiner & Benesch 2018: 60). Insgesamt betrachtet erwiesen sich sowohl die Methode der quantitativen Panel-Befragung als auch die Fragebogenkonstruktion als sinnvoll und am besten geeignet für die zugrunde liegenden Forschungsfragen. Im Anschluss folgt nun die inhaltliche Diskussion beider Erhebungen entlang der Forschungsfragen der Arbeit.
10.2 Diskussion der Ergebnisse 10.2.1 Der geographische Wissensbegriff Die erste übergeordnete Teilfragestellung (F1)1 der vorliegenden Arbeit bezog sich auf die Rolle der Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Hier ging es zunächst darum, den Begriff des geographischen Wissens zu definieren (F2.1) und dessen Relevanz in diesem Zusammenhang zu erforschen (F2.2). Vor der analytischen Auseinandersetzung mit den Sichtweisen der Geographieexpert*innen zum Begriff des geographischen Wissens ist zunächst ein 1
Da die Fragestellungen in Kapitel 6.2 der vorliegenden Arbeit (S. 262–264) ausführlich hergeleitet und ausformuliert wurden, erfolgt im Diskussionsteil die Benennung der Fragestellung lediglich als Zahl.
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Blick auf deren zugrundeliegendes Wissensverständnis zu werfen. Die von den Expert*innen am häufigsten genannten Wissensverständnisse sind Wissen als methodisch gesicherte Information, Wissen als Form von Erkenntnis sowie Wissen als Fähigkeit zu Handeln. Weitere Verständnisse definierten Wissen durch Bildung und Erfahrung, Wissen als veränderbarer Prozess sowie Wissen als Information mit Kontext. Das hier vorliegende Spektrum von Wissensverständnissen deckt sich mit den Überlegungen aus der Erkenntnistheorie. Das Verständnis von Wissen als methodisch gesicherte Information geht einher mit dem geforderten Merkmal von Wissen auf Grundlage von Daten und Informationen, ebenso wie die Notwendigkeit von Erkenntnissen als Bestandteil von Wissen angesehen wird (Probst et al. 2012: 23) und somit dem Verständnis von Wissen als Form von Erkenntnis entspricht. Wissen als die Fähigkeit zu Handeln findet sich im Verständnis von Stehr wieder, für den Wissen und Handeln untrennbar miteinander verbunden sind (Stehr 2002: 20) und taucht auch in vielen anderen Definitionsversuchen in der Forschungsliteratur auf (z.B. Brökel, 2016 sowie Probst, 2012). Auch das mehrfach geäußerte Verständnis der Expert*innen Wissen als Prozess zu betrachten findet sich in gängigen Wissensdefinitionen wieder (Brökel 2016: 10; Behrs et al. 2013: 24). Interessant ist, dass die in der Antike aufgestellten Merkmale von Wissen wie einer wahren Meinung sowie einer Beständigkeit und Exaktheit (siehe Kapitel 3.1) gar nicht von den Expert*innen genannt werden. Dies kann als erneutes Zeichen dafür gedeutet werden, dass das antike Wissensverständnis im historischen Verlauf abgelöst wurde und inzwischen sogar an wissenschaftlichen Institutionen wie der Universität keine zentrale Rolle mehr spielt. Viel eher ist hier die Pluralität verschiedenster Wissenskonzeptionen zu erkennen, die dazu führt, dass es nach wie vor sowohl in der Forschungsliteratur als auch im Falle der befragten Expert*innen kein einheitliches Wissensverständnis zu geben scheint (Baumann 2015: 86f.), was sich insbesondere darin niederschlägt, dass über 30 % der Befragten Expert*innen verschiedene Verständnisse von Wissen gleichzeitig aufzählen. Die anderen Verständnisse der Expert*innen Wissen durch Bildung und Erfahrung sowie Wissen als Prozess zu verstehen, finden sich ebenfalls in den erkenntnistheoretischen Überlegungen zum Wissensbegriff wieder (z.B. Behrs et al. 2013: 24). Insgesamt betrachtet entsprechen die von den Expert*innen geäußerten Verständnisse somit dem derzeitigen Forschungsstand zum Wissensbegriff und spiegeln die Komplexität dieser Thematik gut wider. Die Dominanz des Verständnisses von Wissen als methodisch gesicherter Information mag mit der allgemeinen Wissensproduktion im Wissenschaftsbereich zusammenhängen, wo Wissen durch verschiedenste Methoden gewonnen und statistisch abgesichert wird. Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn speist sich demnach aus der »Aufbereitung und Analyse von empirischen Daten (…)« (Döring & Bortz 2016: 5). Dies begründet dieses mehrheitlich genannte Verständnis von Wissen. Doch die Tatsache, dass Wissen als Fähigkeit zum Handeln am zweithäufigsten seitens der Expert*innen als Wissensverständnis benannt wird, untermauert ebenso die bereits mehrfach herausgestellte Untrennbarkeit von Wissen und Handeln (Jasanoff 2006: 274), welche zudem der Knowledge-Action-Gap zumindest stellenweise widerspricht. Wissen und Handeln müssen demnach auch aus Sicht der Expert*innen immer zusammen betrachtet werden und je nach Wissensverständnis und unter gleichwer-
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tiger Berücksichtigung verschiedener Wissensarten, ist Wissen immer mit Handlung verbunden. Auch hinsichtlich der von den Expert*innen benannten Formen des Wissens sind die am häufigsten genannten Wissensarten von ihrer Bedeutung her deckungsgleich mit den in Kapitel 3.2 beschriebenen Klassifikationen von Wissensarten. Das Fach- und Faktenwissen fällt unter die Kategorie des »know-that« und zählt somit zum Inhaltswissen. Es beruht auf kognitiven Lernprozessen (Hasler-Roumois 2007: 52f.). Universitäre Wissensproduktion stützt sich durchweg auf methodisch abgesicherte Fakten, was erneut die Dominanz dieser häufig genannten Wissensart belegt. Es zeigt aber auch, dass andere Wissensarten wie kulturelles, alltägliches oder Anwendungswissen einen geringeren Stellenwert in der Wissenschaft zu haben scheinen oder aber von den Wissenschaftler*innen nicht direkt als feststehende Wissensart verstanden werden. Dennoch werden sie zumindest mehrfach genannt und unterstreichen damit die Sinnhaftigkeit der Einteilung von Wissen in verschiedene Kontexte (Praxis, Alltag, Kultur), die sich auch in der Klassifikation von Meusburger widerfinden lässt (Meusburger 1998: 21f.). Auch die Tatsache, dass mehrere Expert*innen kulturelles/indigenes Wissen als eigenständige übergeordnete Wissensart benennen, zeigt die Sonderstellung dieser Wissensart, der insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung zivilgesellschaftlicher Belange im Nachhaltigkeitskontext zunehmend eine stärkere Bedeutung beigemessen wird (Lam et al. 2020: 8). Insgesamt wurden von den Expert*innen somit sowohl Arten theoretischen und praktischen Wissens als auch metakognitiven Wissens genannt, sodass die Einteilung von Wissen in diese Oberkategorien (siehe Abbildung 15) als passend angesehen werden kann. Es zeigt jedoch auch, dass sowohl das Verständnis von Wissen als auch die Sichtweise auf verschiedene Arten des Wissens äußerst subjektiv zu sein scheinen, da zahlreiche in Kapitel 3.2 aufgeführten Wissensarten von den Expert*innen nicht benannt wurden. Im Wissenschaftsbereich spielen hier sicherlich auch die unterschiedlichen fachlichen Zugänge zum Thema Wissen eine entscheidende Rolle für das jeweilige Wissensverständnis. Die vielfältigen seitens der Expert*innen benannten Wissensarten verdeutlichen die Unmöglichkeit der vollständigen Erfassung aller Wissensformen in einem vorherrschenden unendlichen Wissenssystem (Gabriel 2013: 6). Um darauf aufbauend den Begriff des geographischen Wissens näher definieren zu können, ist zunächst ein Blick auf die allgemeine Definition von Geographie aus Sicht der Expert*innen zu werfen. Das hier vorliegende Fachverständnis deckt sich mit den in den Lehrbüchern aufgeführten Definitionsversuchen der Geographie. Im Vordergrund steht hier bei den Expert*innen die Definition von Geographie als eine Raumwissenschaft. Raum wird seitens der Expert*innen als ein konstituierendes Element der Geographie betrachtet. Hier zeigt sich, dass trotz der zahlreichen innerfachlichen Diskussionen und veränderten Weltbilder innerhalb der historischen Entwicklungsphasen der Geographie (Abbildung 21), Raum nach wie vor eine zentrale Stellung für das Fachverständnis einnimmt. Raum als Element erlaubt es der Geographie, die Erde sowie den Einfluss des Menschen darauf auf einer räumlichen Ebene zu denken und somit besser strukturieren und verstehen zu können (Laub 2021: 200). Raum wird hier seitens der Expert*innen auch nicht im klassischen Stadt-Land-Fluss-Verständnis gesehen, sondern vielmehr als verbindendes Element der anderen Merkmale wie Mensch-Umwelt und Interdisziplinarität, was zu einer Denkweise führt, die andere Wissenschaften, welchen
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ein solches Raumverständnis nicht inhärent ist, nicht in diesem Maße vollziehen können. Das geographische Denken in Räumen kann somit als eine gewinnbringende und einzigartige Fähigkeit angesehen werden. Auch die anderen Definitionen der Geographie seitens der Expert*innen als eine Mensch-Umwelt-Wissenschaft sowie einer interdisziplinären Wissenschaft decken sich mit den in der Literatur zu findenden Definitionen, beispielsweise in den geographischen Leitprinzipien von Natur und Gesellschaft sowie Interdisziplinarität (Dürr & Zepp 2012: 70f.). Das ebenfalls von vielen Expert*innen benannte Verständnis der Geographie als eine offene Wissenschaft lässt sich jedoch in der Theorie nicht explizit finden. Es handelt sich hierbei auch eher um eine Eigenschaft der Geographie als um eine fachliche Definition. Die Offenheit gegenüber anderen theoretischen Strömungen ermöglicht der Geographie erst eine interdisziplinäre Denkweise sowie multiperspektivische Sichtweise und stellt somit die Grundlage für diese dar. Die anderen in Kapitel 5.3.3 benannten Schlüsselkonzepte der Geographie werden mit Ausnahme der zeitlichen Dimension ebenfalls von den Expert*innen mehrheitlich benannt, was die Aufstellung der Schlüsselkonzepte der gegenwärtigen Geographie, wie sie dort getroffen wurde, bestätigt. Grundsätzlich sind die durch die Expert*innen benannten definitorischen Besonderheiten der Geographie auch in den gängigen Lehrwerken des Faches zu finden (z.B. Leser & Schneider-Sliwa 1999: 16) und bestätigen somit deren nach wie vor aktuellen Status. Auffällig ist, dass die holistische Betrachtungsweise der Geographie neben Raum, Maßstab und Mensch-Umwelt am häufigsten genannt wurde von den Expert*innen. Dieser Begriff lässt sich in den gängigen Definitionsversuchen (z.B. DGFG; Holt-Jensen, 2018 oder Gebhardt et al., 2011) nicht finden. Es erscheint aufgrund der Vielfalt der geographischen Besonderheiten, die auch seitens der Expert*innen betont werden, durchaus ein konstituierendes Element der Geographie zu sein, denn der Einbezug von Raum, Zeit und Maßstab sowie interdisziplinären und multiperspektivischen Denkweisen ermöglicht eine ganzheitliche Sicht auf die Erde. Die Expert*innen betonen dabei sogar einen gewissen holistischen Anspruch an geographisches Handeln und Denken, was die Bedeutung dieser Sichtweise als konstituierendes Element bestätigt. Die in Kapitel 5.1 eigenständig aufgestellte synthetisierte Definition der Geographie kann somit bestehen bleiben, da alle darin enthaltenden Elemente auch seitens der Expert*innen benannt und somit bestätigt wurden. Es besteht daher zumindest ein einheitlicher Konsens über die konstituierenden Elemente des Wesens der Geographie, auch wenn nach wie vor keine einheitliche Kerndefinition des Faches besteht. Der im Kontext der vorliegenden Überlegungen und Forschungsergebnisse aufgestellte synthetisierte Definitionsversuch (Kapitel 5.1) mag hier als ein weiterer Vorschlag angesehen werden, der alle bestehenden Definitionsversuche zu kombinieren versucht. Er begründet jedoch niemals den Anspruch einer vollständigen und allumfassenden Definition das Wesen des Faches, da dies mehr als vermessen wäre. Nach Ansicht des Autors eignet er sich jedoch besonders gut, um den Kern der Geographie zu beschreiben und insbesondere auch die starke Parallelität zum Nachhaltigkeitskontext zu verdeutlichen, auf die im weiteren Verlauf der Diskussion noch eingegangen wird. Das hier aufgezeigte und aus der Theorie und Empirie kombinierte Verständnis der Geographie und ihrer Bestandteile bildet auch gleichzeitig die Grundlage für einen Definitionsversuch des geographischen Wissens. Dass ein geographischer Wissensbegriff in irgendeiner Art und Weise zu existieren scheint, wird durch die Mehrheit der Expert*in-
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nen bestätigt. Dennoch scheint es wie auch in der Theorie hier keine Einigkeit diesbezüglich zu geben. Es scheint jedoch Konsens zu sein, dass es zumindest eine Denkweise gibt, die als genuin geographisch bezeichnet werden kann. Die Expert*innen, die ein geographisches Wissen sehen, definieren es als ein räumliches, vernetzendes, gesellschaftliches, regionales sowie methodisches Wissen. Hier finden sich auch einige, der in Kapitel 5.4 aufgeführten definitorischen Merkmale wieder. Geographisches Wissen als räumliches Orientierungswissen (Poria et al. 2005: 390f.) sowie als regionales Wissen beispielsweise über die Regionen der Erde (Friedmann & Brown 2000: 901) scheinen demnach feststehende Merkmale eines geographischen Wissens zu sein. Geographisches Wissen als ein vernetzendes und somit systemisches Wissen findet sich beispielsweise auch bei Huckle (2019) sowie Maude (2015). Demnach vernetzt geographisches Wissen globale Zusammenhänge und Systeme und sorgt dadurch erst für ein Verständnis dieser. Auch der Aspekt, geographisches Wissen als ein gesellschaftliches Wissen zu definieren, wie es mehrheitlich von den Expert*innen getan wird, findet sich in der Theorie wieder. Hier wird geographisches Wissen als ein kontextabhängiges Wissen verstanden, welches Alltagswissen einbezieht und dadurch anderes als in anderen Disziplinen verschiedene Wissensbestände vereint (Roberts 2014: 198ff.). Auch die Sichtweise auf die Existenz einer geographischen Denkweise oder Perspektive, welche von einigen Expert*innen eher bevorzugt wird als der Wissensbegriff, taucht in der Forschungsliteratur auf. Hier wird die geographische Vorstellungskraft (geographical imagination) jedoch als Bestandteil eines geographischen Wissens betrachtet, wodurch Zukunftsvisionen und Transformationsprozesse gegenwärtiger globaler Problemstellungen möglich gemacht werden (Wright 2011: 158ff; Gieseking 2017: 7; Palacios 2017: 104). Ein neuer Aspekt, der sich nicht in der Theorie finden lässt, ist die Einnahme einer kritischen Perspektive und somit eines kritischen Wissens, welches nach Ansicht einiger Expert*innen insbesondere in der Geographie zu finden ist. Geographie ist in der Lage, auf jegliche Prozesse auch einen kritischen Blick zu werfen, was eine dauerhafte Reflexion und Verbesserung ermöglicht. Insgesamt betrachtet scheint es somit sowohl aus Sicht der Forschungsliteratur als auch seitens der Expert*innen durchaus ein spezifisch geographisches Wissen sowie eine geographische Denkweise zu geben. Die Frage nach der Existenz eines solchen Wissens und insbesondere einer genuin geographischen Denkweise kann somit hier empirisch bestätigt werden. Dadurch lässt sich aus den theoretischen Erkenntnissen sowie den Meinungen der Expert*innen folgende Definition des geographischen Wissensbegriffs zur Beantwortung der Fragestellung synthetisieren: »Geographisches Wissen ist eine Kombination aus (a) räumlichem und regionalem Wissen über die Regionen der Erde und die darin enthaltenen Zusammenhänge auf einer räumlichen, zeitlichen und maßstäblichen Ebene, aus (b) einem vernetzenden Zusammenhangswissen über globale Systeme sowie deren Zusammenspiel und Konfliktpotenzial sowie (c) einem alltäglichen Gesellschaftswissen über Weltvorstellungen und Diskurse und den Möglichkeiten diese in neue Zukunftsvisionen zu transformieren. Dieses hybride Wissen ermöglicht ein kritisches geographisches Denken über die Erde als untrennbares Mensch-Umwelt-System, indem alle Zusammenhänge multiperspektivisch und ganzheitlich betrachtet werden.«
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Dieser erste explizite Definitionsversuch des geographischen Wissensbegriffs erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern sollte vielmehr als ein erster Versuch betrachtet werden. Darauf aufbauend können nun Erweiterungen, Ergänzungen oder Veränderungen vorgenommen werden, um ein trennschärferes Verständnis eines geographischen Wissens und dessen Wert zu erhalten. Dies erfordert dementsprechend weitere Untersuchungen vorliegender oder ähnlicher Natur, die eine Vertiefung der Definition ermöglichen. So könnten und sollten beispielsweise auch geographiedidaktische Überlegungen sowie Vorstellungen geographischer Praxisakteur*innen hier zukünftig einbezogen werden, da ein derartiger Perspektivwechsel möglicherweise weitere Facetten des geographischen Wissensbegriffs zum Vorschein bringt. Letzten Endes kann eine gelungene Definition und Auseinandersetzung mit geographischem Wissen dazu beitragen, den Wert eines solchen Wissens, wie beispielsweise einer Förderung eines besseren Verständnisses komplexer Zusammenhänge, wie er seitens der Expert*innen betont wird sowie auch im Zusammenhang mit der sozialökologischen Transformation, wie er im Folgenden diskutiert wird, herauszustellen und gesamtgesellschaftlich nutzbar zu machen.
10.2.2 Die Relevanz geographischer Wissens- und Denkweisen für eine sozial-ökologische Transformation Im Hinblick auf die Forschungsfrage F2 nach der Bedeutung geographischer Wissensund Denkweisen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation muss auch hier zunächst ein Blick auf die allgemeine Bedeutung von Wissen aus Sicht der Expert*innen geworfen werden. Hier ist zu erkennen, dass Wissen in diesem Kontext mehrheitlich als Notwendigkeit sowie als Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Handeln betrachtet wird. Die Expert*innen betonen, dass Wissen ein essenzielles Gut ist, wenn es darum geht, Einsichten zu gewinnen und Transformationen umzusetzen. Die Expert*innen betrachten Wissen dabei als Kern einer gelungenen sozial-ökologischen Transformation. Diese Sichtweise von Wissen als notwendige Bedingung und Voraussetzung im Nachhaltigkeitskontext deckt sich ebenfalls mit den theoretischen Überlegungen zur Bedeutung von Wissen (z.B. Lehner, 2010; Grunwald & Kopfmüller, 2012 oder Moll & Schütz, 2021). Ebenso betonen die Expert*innen jedoch auch die starke Verbindung von Wissen und Handeln und sehen Wissen mehrheitlich als Handlungsgrundlage. Wie in Kapitel 4.6 herausgestellt wurde, gibt es auch empirische Nachweise für die Wirksamkeit von Wissen in diesem Zusammenhang. Auch wenn die Kluft zwischen Wissen und Handeln (Kapitel 4.5) ebenfalls seitens der Expert*innen bekannt ist und angesprochen wird, betonen sie jedoch gleichzeitig, dass Wissen und Handeln untrennbar verbunden sind. Auch Oestreicher zeigt auf, dass Wissen und Handeln hybrid und nicht voneinander trennbar sind (Oestreicher 2014: 38). Wichtig dabei ist aus Sicht der Expert*innen die Art des Wissens, welche hier einbezogen wird. Hier wird insbesondere Handlungswissen als bedeutsam genannt. Den hohen Einfluss eines solchen Wissens bestätigen auch zahlreiche Studien (z.B. Kaiser & Fuhrer, 2000; Frick et al., 2004 oder Roczen et al., 2014). Darüber hinaus erachten die Expert*innen auch ein systemisches Zusammenhangswissen als essenziell im Nachhaltigkeitskontext.
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Dieser erste explizite Definitionsversuch des geographischen Wissensbegriffs erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern sollte vielmehr als ein erster Versuch betrachtet werden. Darauf aufbauend können nun Erweiterungen, Ergänzungen oder Veränderungen vorgenommen werden, um ein trennschärferes Verständnis eines geographischen Wissens und dessen Wert zu erhalten. Dies erfordert dementsprechend weitere Untersuchungen vorliegender oder ähnlicher Natur, die eine Vertiefung der Definition ermöglichen. So könnten und sollten beispielsweise auch geographiedidaktische Überlegungen sowie Vorstellungen geographischer Praxisakteur*innen hier zukünftig einbezogen werden, da ein derartiger Perspektivwechsel möglicherweise weitere Facetten des geographischen Wissensbegriffs zum Vorschein bringt. Letzten Endes kann eine gelungene Definition und Auseinandersetzung mit geographischem Wissen dazu beitragen, den Wert eines solchen Wissens, wie beispielsweise einer Förderung eines besseren Verständnisses komplexer Zusammenhänge, wie er seitens der Expert*innen betont wird sowie auch im Zusammenhang mit der sozialökologischen Transformation, wie er im Folgenden diskutiert wird, herauszustellen und gesamtgesellschaftlich nutzbar zu machen.
10.2.2 Die Relevanz geographischer Wissens- und Denkweisen für eine sozial-ökologische Transformation Im Hinblick auf die Forschungsfrage F2 nach der Bedeutung geographischer Wissensund Denkweisen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation muss auch hier zunächst ein Blick auf die allgemeine Bedeutung von Wissen aus Sicht der Expert*innen geworfen werden. Hier ist zu erkennen, dass Wissen in diesem Kontext mehrheitlich als Notwendigkeit sowie als Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Handeln betrachtet wird. Die Expert*innen betonen, dass Wissen ein essenzielles Gut ist, wenn es darum geht, Einsichten zu gewinnen und Transformationen umzusetzen. Die Expert*innen betrachten Wissen dabei als Kern einer gelungenen sozial-ökologischen Transformation. Diese Sichtweise von Wissen als notwendige Bedingung und Voraussetzung im Nachhaltigkeitskontext deckt sich ebenfalls mit den theoretischen Überlegungen zur Bedeutung von Wissen (z.B. Lehner, 2010; Grunwald & Kopfmüller, 2012 oder Moll & Schütz, 2021). Ebenso betonen die Expert*innen jedoch auch die starke Verbindung von Wissen und Handeln und sehen Wissen mehrheitlich als Handlungsgrundlage. Wie in Kapitel 4.6 herausgestellt wurde, gibt es auch empirische Nachweise für die Wirksamkeit von Wissen in diesem Zusammenhang. Auch wenn die Kluft zwischen Wissen und Handeln (Kapitel 4.5) ebenfalls seitens der Expert*innen bekannt ist und angesprochen wird, betonen sie jedoch gleichzeitig, dass Wissen und Handeln untrennbar verbunden sind. Auch Oestreicher zeigt auf, dass Wissen und Handeln hybrid und nicht voneinander trennbar sind (Oestreicher 2014: 38). Wichtig dabei ist aus Sicht der Expert*innen die Art des Wissens, welche hier einbezogen wird. Hier wird insbesondere Handlungswissen als bedeutsam genannt. Den hohen Einfluss eines solchen Wissens bestätigen auch zahlreiche Studien (z.B. Kaiser & Fuhrer, 2000; Frick et al., 2004 oder Roczen et al., 2014). Darüber hinaus erachten die Expert*innen auch ein systemisches Zusammenhangswissen als essenziell im Nachhaltigkeitskontext.
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Hier wird die Bedeutung des Verständnisses von Systemen auf der Erde und deren Zusammenhänge deutlich, welches auch im Rahmen des Erklärungs- und Systemwissens im Nachhaltigkeitskontext für notwendig erachtet wird (Urmetzer et al. 2020: 88f.). Ebenfalls durch die Expert*innen hervorgehoben wird die Bedeutung von Wissenskonglomeraten im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation. Erst die Verbindung verschiedener Wissensarten wie beispielsweise faktisches Wissen oder analytisches Wissen ermöglichen Handlungen. Die Wirksamkeit solcher Konglomerate ist bisher nur wenig erforscht worden, da häufig einzelne Wissensarten im Fokus stehen. Doch letzten Endes stehen alle Wissensformen in Abhängigkeit zueinander und üben erst durch ihre Verbindung einen höheren Einfluss aus (Roczen et al. 2014: 986). Auch die Expert*innen fordern in diesem Zusammenhang eine stärkere Beforschung der Wirkweise von Wissenskonglomeraten im Nachhaltigkeitskontext, um hier ein besseres Verständnis der Wirkmechanismen zu erlangen. Als neuen Aspekt betonen die Expert*innen besonders auch den Wert des Wissens für die Gesellschaft. Ein gemeinsamer gesamtgesellschaftlicher Wissenskonsens ist dabei essenziell für die Entwicklung von Zukunftsvisionen und Transformationsvorstellungen. Erst dann können Überzeugungen entstehen, um Strukturen aufzubrechen und letzten Endes zu transformieren. Gleichzeitig liegt hier auch eine Herausforderung. So scheint es auch aus Sicht der Expert*innen nach wie vor ein Kommunikationsproblem zwischen den verschiedenen Akteursebenen zu geben. Wissen aus der Wissenschaft gelangt oftmals nicht in die relevanten Bereiche und es kommt erschwerend hinzu, dass auch nach wie vor das Zusammenspiel von Wissen und Handeln nicht allumfassend verstanden wird. Insbesondere emotionale und erfahrungsbezogene Aspekte sind aus Sicht der Expert*innen bisher zu wenig verstanden worden und werden oftmals nicht einbezogen. Auch wenn es bereits zahlreiche Forschungen im Hinblick auf die Knowledge-Action-Gap gibt (siehe Kapitel 4.5), zeigt sich hier nach wie vor ein hoher Bedarf an weiteren Forschungen. Es gilt, Kommunikationsprozesse zu verbessern und hier vor allem auch den Zugang zu Wissen zu schaffen sowie hybride Wissensformen und ihr Zusammenspiel besser zu verstehen und zu integrieren und einen Konsens zwischen Wissenschaft und Gesellschaft herzustellen, wie es auch seitens der Expert*innen gefordert wird. Erst dann wird eine sozial-ökologische Transformation möglich. An dieser Stelle sei kritisch angemerkt, dass die Befragten Expert*innen alle aus dem Bereich der Wissenschaft kommen, wo die Produktion von Wissen zum alltäglichen Geschäft gehört. Dass Wissen hier eine zentrale Bedeutung einnimmt, ist daher nicht verwunderlich. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, auch auf die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen zu schauen, die in Kapitel 10.2.4 näher diskutiert und mit dem hier vorliegenden Wissensverständnis verglichen wird. Auf Grundlage der hier diskutierten Bedeutung von Wissen aus Sicht der Wissenschaft, ergibt sich für die Geographie eine zentrale Stellung im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation. Die Expert*innen stellen hier wieder mehrheitlich die holistische und systemische Denkweise der Geographie als zentral bedeutsam in diesem Zusammenhang heraus. Nachhaltigkeitsfragen bedingen aufgrund der Komplexität und Vielfalt der Problemlagen eine systemische und ganzheitliche Denkweise, die verschiedene Wissensformen von einem Erklärungs- und Systemwissen über ein Orientierungswissen bis hin zum Handlungswissen benötigt (z.B. Grunwald, 2016; Urmetzer et
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al., 2020). Die Kombination dieser Wissensarten setzt eine systemische und holistische Denkweise voraus, da nur so globale Zusammenhänge analysiert und verstanden werden können (Zimmermann & Risopoulos-Pichler 2016: 237). Die Geographie bietet ebendiese Denkweise und eignet sich daher besonders zur Lösung von Nachhaltigkeitsfragen. Insbesondere da Nachhaltigkeit eine inter- und transdisziplinäre systemische Arbeitsund Denkweise als Grundvoraussetzung benötigt, wird ein geographischer Wissensinput hier unabdingbar (Bojie 2020: 2). Durch ein besseres und umfassenderes Verständnis der Komplexität von Mensch-Umwelt-Fragen in der Gesellschaft kann die Lücke zwischen Wissen und Handeln am ehesten geschlossen werden (Böhmer 2021: 185). Die Expert*innen heben in diesem Kontext die logische Passung von Geographie und den Themen der sozial-ökologischen Transformation hervor. Darüber hinaus betonen die Expert*innen die hohe thematische Überschneidung der Geographie im Hinblick auf Fragen der Nachhaltigkeit. So kann die Geographie zu nahezu jeder globalen Problemstellung einen inhaltlichen Beitrag leisten und tut dies in vielen Fällen bereits. Geographisches Wissen findet in den aktuellen Themen und Konflikten des 21. Jahrhunderts seine Anwendung und ist daher auch aus Sicht der Expert*innen prädestiniert dafür, hier einen großen Beitrag zu leisten. Die zentrale Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt, die als zentrales Fachverständnis der Geographie bereits herausgestellt wurde, zeigt allein schon die starke Verbindung zur Nachhaltigkeitsthematik (Coy 2007: 7). Ein in der Theorie bisher zu wenig beachteter Aspekt ist die hohe gesellschaftliche Relevanz geographischer Themen und Fragestellungen. So stellen die Expert*innen heraus, dass ein weiterer Wert der Geographie im Nachhaltigkeitskontext in ihrer gesellschaftlichen Relevanz liegt. Indem die Geographie die zentralen Konflikte und Entwicklungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beleuchtet, ist sie in der Lage, zu eruieren, welches Wissen für die Gesellschaft am wichtigsten ist. Die behandelten Themen knüpfen direkt an die Lebenswelt der Gesellschaft an und erleichtern somit die Kommunikation der Bedeutsamkeit geographischen Wissens in diesen Fragen. Hinzu kommt, dass die Expert*innen der Geographie die Fähigkeit attestieren, anders als andere Wissenschaften eine breitentaugliche und gesellschaftsnahe Sprache zu sprechen und somit eine Vermittlerfunktion einzunehmen im Nachhaltigkeitskontext. Mit dieser hohen und massentauglichen Kommunikationsfähigkeit einher, geht aus Sicht der Expert*innen die Kompetenz der Geographie, mit komplexen Zusammenhängen gut umgehen zu können. Nachhaltigkeit bedingt eine solche Kompetenz allein durch das Zusammenspiel aus Ökologie, Ökonomie und sozialem, was sich sowohl in der fehlenden Einigkeit über die Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs als solchem (Sze et al. 2018: 6) sowie auch der Vielfalt und Komplexität der gegenwärtigen Problemlagen des 21. Jahrhunderts (Abbildung 4) äußert. Eine zielgruppenorientierte und gesellschaftsnahe Kommunikation ist im Nachhaltigkeitskontext ebenso unabdingbar (Kleinhückelkotten & Neitzke 2018: 101f.), wie die Reduktion komplexer Verflechtungen auf ein breitentaugliches verständliches Maß (Phyel 2018: 8f.). Dies untermauert die hohe Bedeutung der Geographie als Wissensvermittler im Nachhaltigkeitskontext. Die Vermittlung von nachhaltigkeitsrelevantem Wissen sowie weiterer Forschungen in diesem Bereich werden seitens der Expert*innen hier auch als ein notwendiges Versprechen der Geographie an die Gesellschaft bezeichnet, welches es zukünftig besser zu erfüllen gilt.
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Hier hilft laut den Expert*innen auch die Raumbezogenheit der Geographie. Dies ermöglicht eine alternative Perspektive auf Prozesse des globalen Wandels und ermöglicht die Entstehung einer Raumsensibilität in der Gesellschaft, die im Hinblick auf die verschiedenen Maßstabsebenen, in denen Nachhaltigkeit in einer globalisierten Welt eine Rolle spielt (lokal bis global), von zentraler Bedeutung sind. Der dadurch entstehende Perspektivwechsel ist aus Sicht der Expert*innen essenziell wichtig im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation. Die Räumlichkeit von gegenwärtigen Problemlagen und damit einhergehenden nachhaltigkeitsbezogenen Fragestellungen zeigt sich beispielsweise in Modellen wie den planetaren Grenzen, aber auch den SDGs der Agenda 2030, wo in vielen Teilzielen explizit Regionen der Erde angesprochen werden (z.B. unterentwickelte Länder oder Inselstaaten) (UN, 2015). Aus den hier diskutierten Aspekten ergeben sich zusammenfassend folgende Bedeutungszuschreibungen der Geographie im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation: •
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Die Geographie ermöglicht die Einnahme einer holistischen & systemischen Denkweise auf die Themen der sozial-ökologischen Transformation, welche notwendig ist, um ein besseres Verständnis zu entwickeln Die Geographie weist eine starke thematische Überschneidung mit den Themen des 21. Jahrhunderts und den damit einhergehenden Nachhaltigkeitsfragen auf und kann somit Wissen in allen zentralen Bereichen zur Verfügung stellen Die Geographie kann durch den Einbezug von räumlichen Aspekten eine Raumsensibilität schaffen, welche in der heutigen globalisierten Welt notwendig ist, um eine sozial-ökologische Transformation gewinnbringend und auf allen Maßstabsebenen (von lokal bis global) umzusetzen Die Geographie weist eine starke Nähe zu gesellschaftlich relevanten Themen und Fragestellungen auf und ist in der Lage, komplexe Zusammenhänge in einer leicht verständlichen und breitentauglichen Sprache zu kommunizieren, wodurch sie eine zentrale Vermittlerfunktion im Kontext einer verbesserten gesellschaftlichen Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation einnehmen kann und sollte
An dieser Stelle sei erwähnt, dass es hier keineswegs darum geht, die Geographie als einzige relevante Wissenschaftsdisziplin im Kontext der sozial-ökologischen Transformation herauszustellen. Dies wäre mehr als vermessen und könnte durch die Geographie auch nicht erfüllt werden. Es geht vielmehr darum, den besonderen Stellenwert der Geographie für eine verbesserte zivilgesellschaftliche Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen zu verdeutlichen und den gewinnbringenden Einfluss geographischer Wissensund Denkweisen in den Prozess der sozial-ökologischen Transformation herauszustellen als einen weiteren Teilschritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft, der bisher in den wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Debatten zu kurz gekommen ist. Darüber hinaus wird hier ebenfalls deutlich, dass Nachhaltigkeit durchaus als Schlüsselkonzept der gegenwärtigen Geographie betrachtet werden kann und sollte. Die starken Bezüge wurden seitens der Expert*innen mehrfach hervorgehoben und eine stärkere Betonung dieser wird und sollte auch aus Expert*innenperspektive als Zukunftsaufgabe der Geographie verstanden werden.
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10.2.3 Relevante geographische Inhalte im Nachhaltigkeitskontext sowie der Agenda 2030 Auf der konkreten Wissensebene hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass die Geographie verschiedenste Wissensarten und Inhalte im Nachhaltigkeitskontext beisteuern kann. Im allgemeinen Nachhaltigkeitskontext wurden hier sowohl Aspekte eines übergeordneten allgemeingeographischen Wissens als auch spezifische Wissensbestände aus den Teildisziplinen der Geographie benannt. So bietet die Geographie auf der übergeordneten Ebene zunächst ein räumliches Wissen über Regionen der Erde, Raumkonzeptionen und den darin enthaltenen Verflechtungen zwischen Mensch und Umwelt. Dieses Wissen kann mit dem Erklärungs- und Systemwissen gleichgesetzt werden, welches im Nachhaltigkeitskontext als epistemologische Basis relevant ist (Tabelle 6). Die nächste übergeordnete Wissensart wird von den Expert*innen als Zusammenhangs- und Prozesswissen bezeichnet. Hierbei geht es um das Verständnis systemischer Zusammenhänge auf der Erde und den dahinterliegenden Prozessen und Interaktionen sowie das Wissen um Lösungsansätze der in diesen Wechselwirkungen enthaltenen Problemstellungen. Ein solches Wissen lässt sich sowohl mit dem bereits erwähnten Systemwissen als auch dem für die Nachhaltigkeit notwendigen Orientierungswissen gleichsetzen (z.B. Grunwald & Kopfmüller, 2012; Urmetzer et al., 2020). Das von den Expert*innen benannte gesellschaftliche Wissen, welches die Geographie bietet, fällt ebenfalls unter letztere Kategorie, bei der es auch um das Wissen um gesellschaftliche Normen, Werte und Glaubensansichten im Nachhaltigkeitskontext geht (Tabelle 6). Es lässt sich jedoch auch unter die dritte relevante Kategorie des Zukunftswissens sowie der vierten Kategorie des transformativen Wissens einordnen (ebd.). Hier stehen konkrete Handlungsaspekte und deren Wirksamkeit im Vordergrund. Es zeigt sich, dass die Geographie somit in der Lage ist, Wissensbestände für alle relevanten Wissensebenen im Nachhaltigkeitskontext bereitzustellen. Dies verdeutlicht erneut den hohen Wert des ganzheitlichen Charakters geographischer Denkweisen. Auch die Expert*innen heben hervor, dass Geographie ein Überblicks- und Grundlagenwissen, ein Erfahrungswissen sowie ein Umsetzungswissen gleichermaßen bereitstellen kann, welches die Gesellschaft benötigt, um die Lösung globaler Problemstellungen besser umsetzen zu können. Das spezifische Wissen der einzelnen Teildisziplinen (Tabelle 12) zeigt eindrücklich, dass jede Teildisziplin der Geographie hier relevante Wissensinhalte im Nachhaltigkeitskontext besteuern kann, die zudem auch deckungsgleich mit den erforderlichen Wissensbeständen der globalen Megatrends des 21. Jahrhunderts (Abbildung 4) sind. Die Expert*innen haben ebenso herausgestellt, dass die Geographie spezifisches Wissen zu Themen anbieten kann, die bisher im Nachhaltigkeitskontext zu wenig oder keine mediale Aufmerksamkeit bekommen haben (siehe Kapitel 8.1.5). Dies untermauert erneut den aktuellen und zukunftsrelevanten Charakter geographischer Wissensbestände im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation hin zur Nachhaltigkeit. Auch im Zusammenhang spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs der Agenda 2030 wird die hohe Relevanz der Geographie und geographischen Wissens deutlich. Die Geographie kann hier auf verschiedenen Ebenen eine Rolle spielen. Die wohl größte Aufgabe, die auch seitens der Expert*innen mehrheitlich benannt wurde, ist die Bereitstellung von Wissen. So
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weist die Geographie wie bereits in Kapitel 5.6 aufgeführt zu jedem der einzelnen SDGs inhaltliche Überschneidungen auf. Auch die Expert*innen benennen für jedes SDG spezifisches Wissen aus den einzelnen Teildisziplinen der Geographie (Tabelle 13), was die in Abbildung 30 aufgestellte Verlinkung von geographischen Teildisziplinen und den SDGs der Agenda 2030 bestätigt. Wissenslücken insbesondere in der Gesellschaft hinsichtlich der Agenda 2030 und den SDGs konnten bereits in Studien festgestellt werden (z.B. Birke & Keil, 2020). Ein besseres Verständnis sowie Wissen über die Zielsetzungen und ihre Umsetzung ist insbesondere für die breite Masse der Gesellschaft somit zwingend erforderlich, wenn die Agenda 2030 zukünftig besser umgesetzt werden soll (Caidao et al. 2018: 1281f.; Leal Filho et al. 2019: 188). Hierin liegt demnach die erste zentrale Aufgabe und Relevanz der Geographie: Die Bereitstellung von Wissensbeständen für ein besseres Verständnis der Strategie, ihrer Ziele sowie potenzieller Lösungsansätze. Zu diesem Zweck muss zukünftig ein verstärktes Augenmerk auf die starke inhaltliche Passung geographischer Wissensbestände mit den SDGs gelegt werden, die im Zuge dieser Arbeit deutlich wurde und auch seitens der Expert*innen mehrheitlich gefordert wird. Die Förderung eines besseren Verständnisses der Agenda 2030 und ihrer Zielsetzungen wird von den Expert*innen ebenfalls als eigenständige Aufgabe der Geographie betrachtet. Hier sorgt die räumliche und maßstäbliche Betrachtung einerseits sowie die ganzheitliche Betrachtung der SDGs und ihrer Zusammenhänge andererseits, welche durch geographisches Wissen und Denken vollzogen werden kann, für ein besseres Verständnis der Zielsetzungen, den in der Strategie enthaltenen Konfliktpotenzialen sowie Lösungsmöglichkeiten zur besseren Umsetzung. Insbesondere eine raumbezogene Perspektive auf die SDGs und deren Wechselwirkungen ist aufgrund der globalen Gültigkeit der Strategie einerseits sowie der unterschiedlichen Ausgangsbedingen der beteiligten Staaten andererseits (Gao & Bryan 2017: 221) unabdingbar. Dies gilt auch für die Synthetisierung allgemeiner relevanter Raumkategorien im Nachhaltigkeitskontext (Coy 2007: 7f.). Eine holistische Herangehensweise an die Umsetzung fehlt bisher ebenfalls. Die SDGs werden oftmals nur einzeln betrachtet, wobei Verlinkungen innerhalb der Ziele sowie zwischen den Zielen aber eben auch Konfliktpotenziale häufig zu wenig Beachtung finden im gesamten Umsetzungsprozess (Tosun & Leininger 2017: 9; Herlyn 2020: 53f.). Damit einher geht auch das systemische Denken des gesamten Umsetzungsprozesses, welches mehrheitlich gefordert wird und im Rahmen der bisherigen Umsetzung der Agenda 2030 kaum vollzogen wurde (Allen et al. 2018: 437). Die Geographie kann ebendieses beisteuern und somit zu einem besseren Verständnis der Zielsetzungen sowie des Umsetzungsprozesses beitragen. Die Expert*innen betonen hier die Notwendigkeit einer stärkeren Einbindung geographischer Perspektiven in den Umsetzungsprozess der SDGs sowie im Hinblick auf ein verbessertes Verständnis dieser seitens der Zivilgesellschaft. Eine weitere Aufgabe der Geographie muss in der konkreten Forschung zur Agenda 2030 und den SDGs gesehen werden. Als Wissenschaftsdisziplin arbeitet die Geographie bereits seit Jahrzehnten in vielen Bereichen der Nachhaltigkeitsforschung. Auch zukünftig sollte dies im Zusammenhang mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen ein Schwerpunkt der Geographie sein. Die Expert*innen fordern hier eine stärkere Berücksichtigung von Aspekten der sozial-ökologischen Transformation allgemein, aber auch den SDGs auf spezifischer Ebene innerhalb geographischer Forschungen. Darunter fällt
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der Einbezug geographischen Fachwissens (insbesondere die Berücksichtigung raumbezogener Aspekte) und methodischer Ansätze (wie z.B. Fernerkundungsmethoden) in die Erforschung von Umsetzungsmöglichkeiten. Aber auch die Exploration neuer gesellschaftsrelevanter Themen, die bisher in den SDGs zu kurz gekommen sind sowie auch kritische Forschungen bezüglich der Umsetzbarkeit der Agenda 2030, sollten auf der zukünftigen Forschungsagenda der Geographie eine Rolle spielen. Insbesondere der letzte Aspekt der kritischen Perspektiveinnahme auf Nachhaltigkeitsstrategien und deren Umsetzungsprozess kann und sollte durch die Geographie geleistet werden und wurde bisher im Rahmen theoretischer Überlegungen zum Beitrag der Geographie kaum beachtet. Lediglich Fu et al. stehen hier die hohe Bedeutung einer kritischen Perspektive heraus, die sowohl die Verbindungen der SDGs untereinander einbezieht als auch die Zielkonflikte innerhalb der gesamten Strategie (Fu et al. 2019: 386). Die Auseinandersetzung mit Herausforderungen aber auch Chancen von Nachhaltigkeitsstrategien ist im Kontext einer erwünschten sozial-ökologischen Transformation von zentraler Bedeutung und kann eben insbesondere durch die Geographie vollzogen werden (Coy 2007: 7f.). Insgesamt kann der bisherige Beitrag geographischer Forschung zu den SDGs und deren Umsetzung allerdings als unzureichend kritisiert werden (Liverman 2018: 180), was die Dringlichkeit dieser Aufgabe unterstreicht. Die Expert*innen sehen in der verbesserten Umsetzung der SDGs eine zukünftige Verantwortung der Geographie, die es besser zu erfüllen gilt, als dies bisher geschehen ist. Aus diesen Aufgaben resultiert die vierte Aufgabe der Geographie in diesem Zusammenhang: Der Transfer geographischen Wissens und von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft. Erst durch die Einbindung der Zivilgesellschaft als ein Akteur der Umsetzung, können langfristig breitenwirksame Erfolge erzielt werden. Dabei geht es sowohl um den reinen Transfer von Wissen im Kontext der SDGs, aber auch um die Berücksichtigung alltagsweltlicher Bezüge in der Agenda 2030 sowie dem Einbezug der Zivilgesellschaft in Forschungsprozesse hinsichtlich des Umsetzungsprozesses. Der hohe Wert einer stärkeren Einbindung der Zivilgesellschaft im gesamten Nachhaltigkeitskontext (siehe Kapitel 2.10) aber auch im Hinblick auf die Umsetzung der SDGs wurde bisher zu wenig berücksichtigt, obwohl dies als ein Schlüssel für eine gelungene sozial-ökologische Transformation gesehen werden muss (Leipprand et al. 2010: 1). Zusammenfassend können somit folgende zukünftige Aufgabenbereiche der Geographie als Wissenschaftsdisziplin im Kontext einer verbesserten Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs benannt werden: •
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Die Bereitstellung von geographischen Wissens- und Denkweisen für ein grundlegendes Verständnis der Problemlagen des 21. Jahrhunderts, der Agenda 2030 und der SDGs als daraus resultierende notwendige Zielsetzungen sowie über potenziellen Lösungsansätzen im Rahmen eines verbesserten Umsetzungsprozesses Die Förderung eines besseren Verständnisses der Dependenzen, Wechselwirkungen sowie Konfliktpotenziale innerhalb sowie zwischen den einzelnen Zielsetzungen durch die Einnahme einer holistischen Betrachtungsweise sowie einer systemischen und kritischen Denkweise Die vermehrte Durchführung konkreter Forschungen im Hinblick auf: eine Verbesserung der zukünftigen Umsetzung der SDGs durch Entwicklung von Lösungsan-
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sätzen auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen; die Auseinandersetzung mit der Beseitigung von Zielkonflikten innerhalb der Strategie sowie das Aufzeigen von relevanten Themen, die bisher zu wenig berücksichtigt worden sind Der Transfer von relevanten geographischen Wissens- und Denkweisen sowie Forschungsergebnissen in die breite Masse der Gesellschaft unter Berücksichtigung von alltagsweltlichen Bezügen sowie einer stärkeren Einbindung der Zivilgesellschaft in Forschungs- und Umsetzungsprozesse
10.2.4 Die Bedeutung von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive Die dritte übergeordnete Fragestellung richtete sich nach dem Einfluss geographischen Wissens auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele (F3). Hier sollte zunächst erhoben werden, welche Bedeutung Wissen aus Sicht der Gesellschaft im Allgemeinen aber auch insbesondere im Zusammenhang einer sozialökologischen Transformation aufweist (F3.1). Die Ergebnisse zeigen, dass das allgemeine Wissensverständnis als sehr heterogen zu beschreiben ist. So werden zahlreiche unterschiedliche Definitionen und Verständnisse von Wissen benannt. Das am häufigsten auftretende Verständnis ist Wissen als Kenntnis von etwas. Der Begriff der Kenntnis taucht auch in den gängigen Definitionsversuchen von Wissen in der Erkenntnistheorie auf (z.B. Behrs et al., 2013 & Probst et al., 2012). Allerdings wird die Kenntnis von etwas dort meist nur als Beginn der Definition angeführt, sozusagen als Grundlage für den Aufbau eines Wissens. Kenntnis allein reicht demnach nicht aus, um von Wissen sprechen zu können, sondern es bedarf weiterer Elemente wie beispielsweise Evaluierung, Verarbeitung und Anwendung dieser Kenntnisse (Schmid 2013: 10; Brökel 2016: 10). Hier zeigt sich, dass das allgemeine Wissensverständnis bei den Befragten simplifiziert zu sein scheint. So wird der Aspekt der Erfahrung beispielsweise nur von 9 % aller Befragten als Bestandteil von Wissen angesehen. Hingegen der Aspekt des Erlernten/Angeeigneten als Bestandteil von Wissen beträgt 14 % aller Nennungen. Die Tatsache, dass Wissen in Verbindung mit Bildung und Intelligenz häufig und explizit genannt wird, zeigt, dass bei den Befragten eine starke Verknüpfung zwischen diesen Komponenten gesehen wird. Ob dies auf den Einfluss von Bildungsinstitutionen wie Schule, Universität oder Berufsschule zurückzuführen ist, lässt sich nicht gesichert sagen, ist jedoch als Einflussfaktor durchaus denkbar. Interessant ist, dass Aspekte wie Verständnis von etwas, Wissen als Fähigkeit sowie der Anwendungsaspekt zwar benannt werden, jedoch nur von einem geringen Teil der Befragten. Aus der Perspektive der Mehrheit der Befragten scheint hier keine starke Verbindung vorzuliegen und Wissen wird eher mit Informationen und allgemeinen Kenntnissen gleichgesetzt. Dies sollte jedoch nicht mit einem lückenhaften Wissensverständnis gleichgesetzt werden. Es zeigt eher die Vielfalt und Komplexität des Begriffs sowie einen weiteren Beweis dafür, dass eine allgemeingültige Definition von Wissen nicht möglich zu sein scheint. Es untermauert ebenfalls die Ansicht, dass Wissen gegenwärtig mehr als einfach zu erwerbende Ressource betrachtet wird, denn als individuell produziertes Element (Neuser 2013: 222). Die Tatsache, das Wissen von einigen der Befragten auch als Macht bezeichnet wird, zeigt, dass die Bedeutung von Wissen sowie dessen ungleiche Verteilung in der heutigen Gesellschaft (Kössler 2010: 47) zumindest in Teilen bereits im Bewusstsein auftaucht.
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sätzen auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen; die Auseinandersetzung mit der Beseitigung von Zielkonflikten innerhalb der Strategie sowie das Aufzeigen von relevanten Themen, die bisher zu wenig berücksichtigt worden sind Der Transfer von relevanten geographischen Wissens- und Denkweisen sowie Forschungsergebnissen in die breite Masse der Gesellschaft unter Berücksichtigung von alltagsweltlichen Bezügen sowie einer stärkeren Einbindung der Zivilgesellschaft in Forschungs- und Umsetzungsprozesse
10.2.4 Die Bedeutung von Wissen aus gesellschaftlicher Perspektive Die dritte übergeordnete Fragestellung richtete sich nach dem Einfluss geographischen Wissens auf die zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele (F3). Hier sollte zunächst erhoben werden, welche Bedeutung Wissen aus Sicht der Gesellschaft im Allgemeinen aber auch insbesondere im Zusammenhang einer sozialökologischen Transformation aufweist (F3.1). Die Ergebnisse zeigen, dass das allgemeine Wissensverständnis als sehr heterogen zu beschreiben ist. So werden zahlreiche unterschiedliche Definitionen und Verständnisse von Wissen benannt. Das am häufigsten auftretende Verständnis ist Wissen als Kenntnis von etwas. Der Begriff der Kenntnis taucht auch in den gängigen Definitionsversuchen von Wissen in der Erkenntnistheorie auf (z.B. Behrs et al., 2013 & Probst et al., 2012). Allerdings wird die Kenntnis von etwas dort meist nur als Beginn der Definition angeführt, sozusagen als Grundlage für den Aufbau eines Wissens. Kenntnis allein reicht demnach nicht aus, um von Wissen sprechen zu können, sondern es bedarf weiterer Elemente wie beispielsweise Evaluierung, Verarbeitung und Anwendung dieser Kenntnisse (Schmid 2013: 10; Brökel 2016: 10). Hier zeigt sich, dass das allgemeine Wissensverständnis bei den Befragten simplifiziert zu sein scheint. So wird der Aspekt der Erfahrung beispielsweise nur von 9 % aller Befragten als Bestandteil von Wissen angesehen. Hingegen der Aspekt des Erlernten/Angeeigneten als Bestandteil von Wissen beträgt 14 % aller Nennungen. Die Tatsache, dass Wissen in Verbindung mit Bildung und Intelligenz häufig und explizit genannt wird, zeigt, dass bei den Befragten eine starke Verknüpfung zwischen diesen Komponenten gesehen wird. Ob dies auf den Einfluss von Bildungsinstitutionen wie Schule, Universität oder Berufsschule zurückzuführen ist, lässt sich nicht gesichert sagen, ist jedoch als Einflussfaktor durchaus denkbar. Interessant ist, dass Aspekte wie Verständnis von etwas, Wissen als Fähigkeit sowie der Anwendungsaspekt zwar benannt werden, jedoch nur von einem geringen Teil der Befragten. Aus der Perspektive der Mehrheit der Befragten scheint hier keine starke Verbindung vorzuliegen und Wissen wird eher mit Informationen und allgemeinen Kenntnissen gleichgesetzt. Dies sollte jedoch nicht mit einem lückenhaften Wissensverständnis gleichgesetzt werden. Es zeigt eher die Vielfalt und Komplexität des Begriffs sowie einen weiteren Beweis dafür, dass eine allgemeingültige Definition von Wissen nicht möglich zu sein scheint. Es untermauert ebenfalls die Ansicht, dass Wissen gegenwärtig mehr als einfach zu erwerbende Ressource betrachtet wird, denn als individuell produziertes Element (Neuser 2013: 222). Die Tatsache, das Wissen von einigen der Befragten auch als Macht bezeichnet wird, zeigt, dass die Bedeutung von Wissen sowie dessen ungleiche Verteilung in der heutigen Gesellschaft (Kössler 2010: 47) zumindest in Teilen bereits im Bewusstsein auftaucht.
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Der Vergleich mit den Wissensverständnissen der Expert*innen aus der Wissenschaft bestätigt einmal mehr die Heterogenität des Wissensbegriffs und seiner Implikationen. Wie bereits aufgeführt weisen die Expert*innen ein Wissensverständnis auf, welches deutliche Überschneidungen zu den Überlegungen der Erkenntnistheorie aufweist. Doch es lassen sich auch Gemeinsamkeiten mit den gesellschaftlichen Verständnissen finden. So äußern auch die Expert*innen mehrheitlich Verständnisse von Wissen als Form der Erkenntnis, Wissen als Information sowie Wissen durch Bildung. Diese Aspekte finden sich auch bei den Befragten der Panel-Erhebung wieder. Diese Elemente werden somit sowohl aus Sicht der Wissenschaft als auch der Gesellschaft als konstituierend für Wissen betrachtet. Insgesamt liegen jedoch in beiden Erhebungen auch zahlreiche Einzeldefinitionen von Wissen vor sowie Verständnisse, in denen sich Wissenschaft und Gesellschaft unterscheiden. Es kann daher im Zuge dieser Arbeit keine resümierende Definition von Wissen getroffen werden, die eine sinnstiftende Verbindung aller Wissensverständnisse vereint. Dies ist jedoch auch nicht der Anspruch und war von Beginn an nicht das Ziel der Arbeit. Vielmehr wird durch die vorliegenden Ergebnisse deutlich, dass der Wissensbegriff zu divers und vielfältig ist, um ein allgemeingültiges Verständnis zu kristallisieren. Bei der Auseinandersetzung mit Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sollte diese Vielfalt viel eher als Chance denn als Herausforderung gesehen werden, da unterschiedliche Formen des Wissens je nach subjektivem Verständnis eine unterschiedliche Wirkung haben können und somit der Pluralität gesellschaftlicher Denk- und Handlungsweisen besser entgegengekommen werden kann, als mit klar abgrenzten Wissensvorstellungen, die keine Mehrheit erreichen. Die allgemeine Bedeutung von Wissen wird von den Befragten mehrheitlich als eher hoch bis hoch angesehen, wobei fast 40 % der Ansicht sind, dass Wissen eine hohe Bedeutung aufweist. Auch im Hinblick auf spezifische Lebensbereiche wird die Bedeutung von Wissen in allen Lebensbereichen vom Arbeitsplatz bis zur Mobilität mehrheitlich als sehr hoch angesehen. Hier bestätigt sich die Theorie einer gegenwärtigen Wissensgesellschaft (Kapitel 3.5). Wissen hat demnach auch aus gesellschaftlicher Perspektive in allen zentralen Bereichen einen enormen Stellenwert erlangt. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Wissen in der heutigen Gesellschaft als handlungsprägend und als steuernde Ressource angesehen werden muss (Stehr 1994: 208; Willke 2001: 290). Das wird auch dadurch bestätigt, dass Wissen im Lebensbereich am Arbeitsplatz seitens der Befragten die höchste Bedeutung beigemessen wird. Hier bestätigt sich die gegenwärtig hohe Relevanz von Wissen im Arbeitskontext, welche bereits Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Begriff der Wissensarbeiter gesehen wurde (Steinbicker 2010: 22). Allgemein scheinen Männer Wissen eine leicht höhere Bedeutung beizumessen als Frauen. Da jedoch keine vergleichbaren Studien vorliegen, kann hier keine empirisch gesicherte Ursache dafür angeführt werden. Es bedarf weiterer Studien, die einen Fokus auf diesen Bereich legen. Ähnliches gilt für das Ergebnis, dass die Altersgruppe der 18–29-Jährigen Wissen eine signifikant höhere Bedeutung beimisst als alle anderen Altersgruppen. Wissen scheint allgemein demnach in der jungen Generation gegenwärtig am wichtigsten zu sein. Ob dies mit dem bestehenden Schulsystem und der hohen Relevanz von Leistung und Noten beispielsweise im Rahmen von Studienzugangsvoraussetzungen zusammenhängt, lässt sich durch die vorliegende Erhebung nicht nachweisen. Die Tatsache, dass die Befragten
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mit einem Studium als höchsten Bildungsabschluss Wissen die höchste Bedeutung beimessen untermauert jedoch die Vermutung, dass ein steigender Bildungsabschluss mit einer steigenden Bedeutungszuschreibung von Wissen einherzugehen scheint. Im Hinblick auf die Wissensbedeutung für spezifische Lebensbereiche zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Hier besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und steigender Bedeutung von Wissen in allen Lebensbereichen. Studien zeigen, dass mit steigendem Alter und steigender Erfahrung ein Wissenszuwachs einhergeht und somit das Alter eine erhebliche Einflussgröße auf die Wissensaneignung darstellt (Hossiep et al. 2010: 46). Dies könnte auch eine Erklärung für die höhere Bedeutungszuschreibung zu Wissen mit steigendem Alter sein. Interessant ist, dass sich die Lebensbereiche, in denen Wissen die höchste Bedeutung beigemessen wird, zwischen den Altersgruppen unterscheiden. Allen gleich ist die hohe Bedeutung von Wissen am Arbeitsplatz. Die jüngeren Generationen sehen für die Bereiche Ernährung und Konsum eine hohe Bedeutung, bei den Personen mittleren Alters liegt der Fokus auf Wissen im Haushalt und bei den älteren Generationen hat Wissen beim sozialen Miteinander und der politischen Teilhabe den höchsten Stellenwert. Dies verdeutlicht erneut die Vielfalt und Diversität von Wissen. So hat Wissen je nach Lebenssituation in unterschiedlichen Bereichen eine Bedeutung, was sich im Verlauf des Lebens ändern kann. Wissen scheint aufgrund dieser Ergebnisse somit sowohl allgemein relevant zu sein als auch in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie unterschiedlichen Lebenslagen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: •
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Eine einheitliche Definition von Wissen ist aufgrund der hohen Vielfalt und Komplexität des Wissensbegriffs nicht möglich. Vielmehr gilt es, die Pluralität verschiedenster Verständnisse (z.B. Wissenschaft & Gesellschaft) gleichermaßen zu akzeptieren und im Hinblick auf eine gelungene Wissenskommunikation im Nachhaltigkeitskontext zukünftig verstärkt zu beachten und als Chance zu nutzen Wissen wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive mehrheitlich in allen Lebensbereichen als relevant betrachtet und muss daher auch im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation als handlungsfördernd angesehen werden. Die Bedeutung von Wissen variiert je nach Lebenslage, Alter und Lebensbereich. Dies gilt es im Hinblick auf die Bereitstellung von geographischem Wissen im Nachhaltigkeitskontext zu berücksichtigen, damit langfristig nachhaltiges Handeln erreicht werden kann
10.2.5 Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für die Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext. Zunächst konnte festgestellt werden, dass das Thema Nachhaltigkeit aus Sicht der Befragten in allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle spielt. Dreiviertel aller Befragten sehen hier im Durchschnitt für Nachhaltigkeit eine hohe bis sehr hohe Bedeutung. Die höchste Bedeutung wird in den Lebensbereichen Konsum, Ernährung sowie Freizeitverhalten gesehen. Dies bestätigt auch das in den Studien des BMUV eruierte kontinuierlich steigende Umweltbewusstsein in der deutschen Bevölkerung (BMUV, 2020) innerhalb
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mit einem Studium als höchsten Bildungsabschluss Wissen die höchste Bedeutung beimessen untermauert jedoch die Vermutung, dass ein steigender Bildungsabschluss mit einer steigenden Bedeutungszuschreibung von Wissen einherzugehen scheint. Im Hinblick auf die Wissensbedeutung für spezifische Lebensbereiche zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Hier besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen steigendem Alter und steigender Bedeutung von Wissen in allen Lebensbereichen. Studien zeigen, dass mit steigendem Alter und steigender Erfahrung ein Wissenszuwachs einhergeht und somit das Alter eine erhebliche Einflussgröße auf die Wissensaneignung darstellt (Hossiep et al. 2010: 46). Dies könnte auch eine Erklärung für die höhere Bedeutungszuschreibung zu Wissen mit steigendem Alter sein. Interessant ist, dass sich die Lebensbereiche, in denen Wissen die höchste Bedeutung beigemessen wird, zwischen den Altersgruppen unterscheiden. Allen gleich ist die hohe Bedeutung von Wissen am Arbeitsplatz. Die jüngeren Generationen sehen für die Bereiche Ernährung und Konsum eine hohe Bedeutung, bei den Personen mittleren Alters liegt der Fokus auf Wissen im Haushalt und bei den älteren Generationen hat Wissen beim sozialen Miteinander und der politischen Teilhabe den höchsten Stellenwert. Dies verdeutlicht erneut die Vielfalt und Diversität von Wissen. So hat Wissen je nach Lebenssituation in unterschiedlichen Bereichen eine Bedeutung, was sich im Verlauf des Lebens ändern kann. Wissen scheint aufgrund dieser Ergebnisse somit sowohl allgemein relevant zu sein als auch in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie unterschiedlichen Lebenslagen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: •
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Eine einheitliche Definition von Wissen ist aufgrund der hohen Vielfalt und Komplexität des Wissensbegriffs nicht möglich. Vielmehr gilt es, die Pluralität verschiedenster Verständnisse (z.B. Wissenschaft & Gesellschaft) gleichermaßen zu akzeptieren und im Hinblick auf eine gelungene Wissenskommunikation im Nachhaltigkeitskontext zukünftig verstärkt zu beachten und als Chance zu nutzen Wissen wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive mehrheitlich in allen Lebensbereichen als relevant betrachtet und muss daher auch im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation als handlungsfördernd angesehen werden. Die Bedeutung von Wissen variiert je nach Lebenslage, Alter und Lebensbereich. Dies gilt es im Hinblick auf die Bereitstellung von geographischem Wissen im Nachhaltigkeitskontext zu berücksichtigen, damit langfristig nachhaltiges Handeln erreicht werden kann
10.2.5 Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus gesellschaftlicher Perspektive Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für die Relevanz von Wissen im Nachhaltigkeitskontext. Zunächst konnte festgestellt werden, dass das Thema Nachhaltigkeit aus Sicht der Befragten in allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle spielt. Dreiviertel aller Befragten sehen hier im Durchschnitt für Nachhaltigkeit eine hohe bis sehr hohe Bedeutung. Die höchste Bedeutung wird in den Lebensbereichen Konsum, Ernährung sowie Freizeitverhalten gesehen. Dies bestätigt auch das in den Studien des BMUV eruierte kontinuierlich steigende Umweltbewusstsein in der deutschen Bevölkerung (BMUV, 2020) innerhalb
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der letzten Jahre. Die Wichtigkeit von Nachhaltigkeitsaspekten wird inzwischen seitens der Bevölkerung in allen Lebensbereichen gesehen. Interessant an den vorliegenden Ergebnissen ist, dass insbesondere in den Bereichen Nachhaltigkeit die höchste Bedeutung zugeschrieben wird, die am ehesten mit individuellen Handlungen einhergehen. Konsum- Ernährungs- und Freizeitverhalten fallen zum großen Teil in den privaten Lebensbereich gesellschaftlichen Handelns. Nachhaltigkeitsaspekte sind im gesellschaftlichen Handlungsfeld Konsum (siehe Kapitel 2.10.2) somit aus Sicht der Befragten am relevantesten. Am wenigsten relevant werden sie für die Bereiche Wahl des Arbeitgebers, politische Teilhabe sowie soziales Miteinander angesehen. Die Gründe hierfür lassen sich nicht ohne weiteres finden. Es kann vermutet werden, dass diese Bereiche aus gesellschaftlicher Perspektive weniger stark mit Nachhaltigkeit in Zusammenhang gesehen werden und dementsprechend auch eine geringere Relevanz in diesem Kontext aufzeigen. Daraus resultiert, dass der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeitsaspekten und den gesellschaftlichen Handlungsfeldern Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe (Abbildung 14) zukünftig stärker herausgestellt werden muss. Insbesondere dem Aspekt der Arbeit kommt im Rahmen von Nachhaltigkeitsbestrebungen ein besonderer Stellenwert zu, da dieser eng zusammenhängt mit dem Kapital und der Wertschöpfung einer Gesellschaft auch im Hinblick auf die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse (Grunwald & Kopfmüller 2012: 249). Gleiches gilt auch für den Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe. Ein gelungenes soziales Miteinander ist unabdingbar, um im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens auch zukünftigen Generationen den gleichen Lebensstandard wie in der Gegenwart zu ermöglichen. Es muss somit als Aufgabe der Wissenschaft als einem der zentralen Wissensvermittlungsorgane (Reuter 2013: 13) gesehen werden, den Stellenwert von nachhaltigen Handlungsweisen in diesen Lebensbereichen zukünftig stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Dass Frauen Nachhaltigkeit durchschnittlich in allen Bereichen eine höhere Bedeutung beimessen als Männer, deckt sich ebenfalls mit der Umweltbewusstseinsstudie des BMUV (BMUV 2020: 25). Erklärungen dafür gibt es bisher jedoch keine. Anders als in der Studie des BMUV, wo die 18–29-Jährigen Nachhaltigkeitsaspekten die höchste Bedeutung beimessen (ebd.) steigt in den vorliegenden Ergebnissen mit steigendem Alter die Bedeutungszuschreibung an. Dies gilt in jedem Fall für die Lebensbereiche im Haushalt sowie beim Konsumieren. Für alle anderen Bereiche ist der Zusammenhang zwar signifikant aber nur äußerst gering. Eine Begründung hierfür mag darin liegen, dass Haushaltsaspekte sowie Konsumhandlungen mit zunehmendem Alter stetig an Bedeutung gewinnen. Eine Studie des IW (Institut der deutschen Wirtschaft) konnte beispielsweise zeigen, dass Konsumausgaben zwischen den Altersgruppen 18–24 sowie 55–64 kontinuierlich ansteigen, was zum großen Teil mit einem steigenden Einkommen zu erklären ist (IW 2021). Eine damit einhergehende steigende allgemeine Bedeutung dieser Lebensbereiche könnte somit auch mit einer verstärkten Bedeutungswahrnehmung von Nachhaltigkeitsaspekten zusammenhängen. Die hohe Bedeutung von Wissen aus Sicht der Befragten im Allgemeinen spiegelt sich auch im Nachhaltigkeitskontext wider. So sind mit 89 % der Befragten fast alle der Ansicht, dass Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit eher wichtig als unwichtig ist. Für die Hälfte aller Befragten hat Wissen eine starke Bedeutung in diesem Zusammenhang und 20 % aller Befragten attestieren Wissen den höchsten Wert an Bedeu-
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tung. Wissen wird somit wie schon bei den Expert*innen auch aus gesellschaftlicher Perspektive als mehrheitlich essenziell wichtig im Nachhaltigkeitskontext betrachtet. Auch wenn Wissen in der Theorie im Nachhaltigkeitskontext oftmals ein geringer Einflusswert bezüglich des tatsächlichen Verhaltens nachgesagt wird (siehe Kapitel 4.5), scheint es aus gesellschaftlicher sowie wissenschaftlicher Perspektive dennoch als hochrelevant angesehen zu werden. Dieses Ergebnis unterstreicht, dass Wissen nach wie vor als relevante Komponente im Hinblick auf eine angestrebte sozial-ökologische Transformation betrachtet werden sollte, insbesondere da es auch zahlreiche Studien gibt, die hier einen Effekt messen konnten (z.B. Bamberg & Möser, 2007; Robelia & Murphy, 2012 oder Lacroix et al., 2019). Insbesondere wenn Wissen nicht nur als reines Faktenwissen betrachtet wird, sondern wenn alle Komponenten von Wissen (wie beispielsweise Erfahrungs-. Handlungs- und Entscheidungswissen) in Betracht gezogen werden, lässt sich der Wert eine solchen Wissenskonglomerats im Nachhaltigkeitskontext nicht bestreiten. Dies zeigen auch die Ergebnisse der vorliegenden Erhebung. Die Befragten weisen hier den unterschiedlichen Wissensarten gleichermaßen eine mehrheitlich hohe bis sehr hohe Bedeutung zu, sowohl einem Wissen über Fakten und Zusammenhänge als auch Wissen über Lösungs- und Handlungsansätze. Gleichzeitig sind sie ebenfalls der Ansicht, dass alle Wissensarten gleichermaßen handlungsrelevant sind, wobei das Wissen über Folgen für die Umwelt sowie das Wissen über Folgen für das eigene Leben am handlungsrelevantesten betrachtet werden. Interessanterweise weist das Wissen über Lösungs- und Handlungsansätze neben einem Wissen über die Folgen für die Gesellschaft laut den Befragten den geringsten Wert im Hinblick auf Handlungsrelevanz auf (48 %). Dies widerspricht den Erkenntnissen aus der Umweltpsychologie, dass reines Faktenwissen einen äußerst geringen Einfluss auf tatsächliches Verhalten hat, wohingegen Handlungswissen einen deutlich höheren Einfluss aufweist (siehe z.B. Frick et al., 2004). Es bestätigt gleichzeitig, dass Wissen dann einen starken Einfluss auf tatsächliches nachhaltiges Handeln haben kann, wenn verschiedene Wissensarten kombiniert vermittelt werden (Kaiser & Fuhrer 2000: 52ff.). Wissensarten stehen vor allem im Nachhaltigkeitskontext immer im Abhängigkeitsverhältnis zueinander (Fremerey & Bogner 2014: 224f.; Roczen et al. 2014: 976) und sollten daher nie getrennt voneinander betrachtet werden. Darüber hinaus sind die Befragten mehrheitlich der Ansicht, dass mehr Wissen dazu führen würde, dass nachhaltige Handlungen vollzogen werden. Fast die Hälfte aller Befragten ist dieser Ansicht und die andere Hälfte stimmt dem zumindest teilweise zu. Lediglich 15 % sind der Ansicht, dass mehr Wissen nicht zu mehr handeln führt oder können dies nicht beurteilen. Im Rahmen der vorliegenden Ergebnisse sei jedoch kritisch angemerkt, dass es sich hierbei lediglich um eine subjektive Einschätzung der Befragten handelt. Ein tatsächlicher Einfluss auf konkrete Handlungen kann dadurch nicht nachgewiesen werden. Es zeigt dennoch, dass gesellschaftlich betrachtet die Mehrheit Wissen als hoch relevant im Nachhaltigkeitskontext ansieht, wobei verschiedene Wissensarten als gleichermaßen relevant gesehen werden. Dies gilt es, bei der zukünftigen Wissensvermittlung im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation verstärkt zu beachten, insbesondere da auch die Expert*innen aus der Wissenschaft Wissen mehrheitlich eine enorme Bedeutung im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation beimessen. Ungeachtet dessen sollten die zahlreichen im Rahmen der Knowledge-Action-GapForschung nachgewiesenen gesamtgesellschaftlichen sowie individuellen Handlungs-
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barrieren (Kapitel 4.5.1-4.5.2) nicht außer Acht gelassen werden. Vielmehr gilt es zukünftig verstärkt die Wirkweise von Wissenskonglomeraten in diesem Kontext zu erforschen sowie auch Lösungsansätze zur Überwindung dieser Barrieren zu finden. Insgesamt ergeben sich hier folgende übergeordnete Erkenntnisse: •
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Nachhaltigkeit wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive insbesondere in alltagsweltlichen Lebensbereichen wie Ernährung, Konsum und Freizeitverhalten als bedeutsam angesehen. Geographische Wissenskommunikation sollte zukünftig diesbezügliches Wissen vermehrt bereitstellen, um diesen Bedarf zu erfüllen Dem Thema Nachhaltigkeit in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern Arbeit sowie politische und soziale Teilhabe wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive kaum Bedeutung beigemessen, was auf ein Wissensdefizit diesbezüglich schließen lässt. Das gilt es seitens der Wissenschaft zukünftig verstärkt zu berücksichtigen und vermehrt Wissen in diesem Zusammenhang bereitzustellen Die hohe Bedeutungszuschreibung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus zivilgesellschaftlicher Perspektive verdeutlicht einmal mehr den hohen Stellenwert in diesem Zusammenhang. Dabei müssen im Hinblick auf eine Förderung nachhaltigen Handelns zukünftig verschiedenste Wissensarten gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden im Sinne eines Wissenskonglomerats (von reinem Faktenwissen bis hin zu Handlungswissen) ebenso wie die Wirkweise dieser vermehrt erforscht werden muss im Zuge der Überwindung von Handlungsbarrieren hinsichtlich der Knowledge-Action-Gap
10.2.6 Wissensstand der Gesellschaft im Nachhaltigkeitskontext Um den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wissensstand im Hinblick auf Themen der Nachhaltigkeit sowie daraus abzuleitende Wissenslücken (Fragestellung F.3.2) besser beurteilen zu können, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit dem in der Erhebung beobachteten Nachhaltigkeitsverständnis der Befragten sinnvoll. Hier hat sich gezeigt, dass die Mehrheit umweltbezogene Aspekte mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbindet. So wird das Schonen der Umwelt, Naturschutz sowie ein schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde am häufigsten mit Nachhaltigkeit assoziiert. Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit scheint demnach am ehesten im Bewusstsein der Befragten zu liegen. Der Aspekt der Ressource zeigt jedoch, dass auch die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit in das vorliegende Begriffsverständnis einfließt. Zwar wird die Rücksicht auf zukünftige Generationen als Aspekt benannt, jedoch nur von 6 % der Befragten. Insgesamt betrachtet tauchen Aspekte der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit kaum auf im Nachhaltigkeitsverständnis der Proband*innen. Studien, die das individuelle gesellschaftliche Begriffsverständnis von Nachhaltigkeit erfragt haben, lassen sich nicht finden, sodass hier keine Vergleiche gezogen werden können. Ein Grund könnte in der medialen Berichterstattung zu Themen der Nachhaltigkeit gesehen werden. Hier sind es größtenteils ökologisch konnotierte Themen wie Wasserund Luftverschmutzung, Artensterben sowie der Klimawandel, über die am häufigsten berichtet wird (Schäfer & Bonfadelli 2017: 316). Da der Großteil des Wissens der Bevölkerung durch die Massenmedien gespeist wird (ebd.: 317), erscheint ein Fokus auf diese
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barrieren (Kapitel 4.5.1-4.5.2) nicht außer Acht gelassen werden. Vielmehr gilt es zukünftig verstärkt die Wirkweise von Wissenskonglomeraten in diesem Kontext zu erforschen sowie auch Lösungsansätze zur Überwindung dieser Barrieren zu finden. Insgesamt ergeben sich hier folgende übergeordnete Erkenntnisse: •
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Nachhaltigkeit wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive insbesondere in alltagsweltlichen Lebensbereichen wie Ernährung, Konsum und Freizeitverhalten als bedeutsam angesehen. Geographische Wissenskommunikation sollte zukünftig diesbezügliches Wissen vermehrt bereitstellen, um diesen Bedarf zu erfüllen Dem Thema Nachhaltigkeit in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern Arbeit sowie politische und soziale Teilhabe wird aus zivilgesellschaftlicher Perspektive kaum Bedeutung beigemessen, was auf ein Wissensdefizit diesbezüglich schließen lässt. Das gilt es seitens der Wissenschaft zukünftig verstärkt zu berücksichtigen und vermehrt Wissen in diesem Zusammenhang bereitzustellen Die hohe Bedeutungszuschreibung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext aus zivilgesellschaftlicher Perspektive verdeutlicht einmal mehr den hohen Stellenwert in diesem Zusammenhang. Dabei müssen im Hinblick auf eine Förderung nachhaltigen Handelns zukünftig verschiedenste Wissensarten gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden im Sinne eines Wissenskonglomerats (von reinem Faktenwissen bis hin zu Handlungswissen) ebenso wie die Wirkweise dieser vermehrt erforscht werden muss im Zuge der Überwindung von Handlungsbarrieren hinsichtlich der Knowledge-Action-Gap
10.2.6 Wissensstand der Gesellschaft im Nachhaltigkeitskontext Um den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wissensstand im Hinblick auf Themen der Nachhaltigkeit sowie daraus abzuleitende Wissenslücken (Fragestellung F.3.2) besser beurteilen zu können, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit dem in der Erhebung beobachteten Nachhaltigkeitsverständnis der Befragten sinnvoll. Hier hat sich gezeigt, dass die Mehrheit umweltbezogene Aspekte mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbindet. So wird das Schonen der Umwelt, Naturschutz sowie ein schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde am häufigsten mit Nachhaltigkeit assoziiert. Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit scheint demnach am ehesten im Bewusstsein der Befragten zu liegen. Der Aspekt der Ressource zeigt jedoch, dass auch die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit in das vorliegende Begriffsverständnis einfließt. Zwar wird die Rücksicht auf zukünftige Generationen als Aspekt benannt, jedoch nur von 6 % der Befragten. Insgesamt betrachtet tauchen Aspekte der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit kaum auf im Nachhaltigkeitsverständnis der Proband*innen. Studien, die das individuelle gesellschaftliche Begriffsverständnis von Nachhaltigkeit erfragt haben, lassen sich nicht finden, sodass hier keine Vergleiche gezogen werden können. Ein Grund könnte in der medialen Berichterstattung zu Themen der Nachhaltigkeit gesehen werden. Hier sind es größtenteils ökologisch konnotierte Themen wie Wasserund Luftverschmutzung, Artensterben sowie der Klimawandel, über die am häufigsten berichtet wird (Schäfer & Bonfadelli 2017: 316). Da der Großteil des Wissens der Bevölkerung durch die Massenmedien gespeist wird (ebd.: 317), erscheint ein Fokus auf diese
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Themen und der daraus resultierende Einfluss auf das allgemeine Nachhaltigkeitsverständnis naheliegend zu sein. Hinzu kommt, das Themen die sich einmal in den Medien etabliert haben, eine größere Chance haben, häufiger aufgegriffen zu werden (mediale Kontinuität) (Ragaly 2019: 71). Insbesondere der Klimawandel wird hier seit Beginn der 2000er Jahre als Trendthema in der gegenwärtigen umweltbezogenen Medienberichterstattung gesehen mit einem sprunghaften Anstieg an medialen Erwähnungen (ebd.: 86). Die Studie von Ragaly zur Analyse der Umweltberichterstattung deutscher Qualitätsmedien bestätigt den starken Fokus auf Umweltthemen, die eine ökologische Komponente beinhalten (ebd.: 130). Auch ein Blick auf die weiteren Ergebnisse der vorliegenden Erhebung untermauert diese These. So sind es bei der Frage nach der Stärke des Nachhaltigkeitsbezugs spezifischer Themenfelder insbesondere Themen wie Ressourcenverbrauch, Klimawandel sowie Verlust von Ökosystemen, denen ein sehr starker Nachhaltigkeitsbezug attestiert wird. Themen, die sich eindeutig der sozialen Dimension zuordnen lassen wie soziale Ungleichheit, Armut oder Geschlechtergleichstellung weisen den geringsten Wert hinsichtlich eines Nachhaltigkeitsbezuges auf. Es scheint demnach eine Wissenslücke vorzuliegen im Hinblick auf die Verknüpfung von Themen, die sich der sozialen Dimension zuordnen lassen, mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Hier bedarf es weiterer Forschungen, um die hier gefundenen Ergebnisse zu bestätigen. Darüber hinaus fällt hier erneut der starke Fokus auf Themen auf, die am ehesten eine Handlungsrelevanz für den Akteur der Zivilgesellschaft aufweisen. So werden einerseits beim allgemeinen Nachhaltigkeitsverständnis bereits konkrete Handlungen wie Recycling, nachhaltiger Konsum oder Vermeidung von Lebensmittelverschwendung als Begriffsverständnisse benannt. Andererseits wird dem Themenfeld Konsum mitunter der stärkste Nachhaltigkeitsbezug beigemessen. So scheinen insbesondere Themen im Bewusstsein der Zivilgesellschaft mit Nachhaltigkeit assoziiert zu werden, die einen direkten Anknüpfungspunkt an individuelles Handeln ermöglichen. Hier zeigt sich das große Potenzial der Zivilgesellschaft als Handlungsakteur im Kontext einer angestrebten sozial-ökologischen Transformation, die schon von der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages als Eckpfeiler in diesem Kontext benannt wurde (Enquete-Kommission 2002: 59). Der Rolle der Zivilgesellschaft wird vielerorts eine geringe Bedeutung respektive eine geringe Wirkkraft beigemessen (z.B. Rogall, 2003 & Grunwald, 2010b). Doch im Sinne einer ganzheitlichen Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit sollte die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Handelns nicht unterschätzt, sondern viel mehr als ein wichtiger Teilschlüssel für eine gelungene sozial-ökologische Transformation behandelt werden (Leipprand et al. 2010: 1). Insgesamt betrachtet lassen sich somit für die Themen Geschlechtergleichstellung, Armut, soziale Ungleichheit sowie demographischer Wandel Wissenslücken bei den Befragten eruieren. Ein hoher Wissensstand scheint insbesondere für die Themen Energieversorgung, Trinkwasserversorgung, Ressourcenverbrauch sowie Konsum zu bestehen, zumindest im Hinblick auf deren Einordnung als relevantes Thema im Nachhaltigkeitskontext. Der Durchschnittswert von 68 % für eine hohe bis sehr hohe Zustimmung zum Nachhaltigkeitsbezug für alle Themen deckt sich zwar mit den Ergebnissen der Studie des BMUV (70 % der Befragten erachten Umweltund Klimaschutz als übergeordnetes Thema als wichtig (BMUV 2020: 25), es zeigt jedoch auch, dass der Gesamtwissensstand diesbezüglich ausbaufähig ist. Es sollte demnach
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eine zukünftige Aufgabe der Wissenschaft sein, die thematischen Facetten und Bezüge der Nachhaltigkeitsthematik auf einer ganzheitlicheren Ebene zu vermitteln und insbesondere auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit stärker in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken. Erst dann kann ein im Zuge der sozial-ökologischen Transformation geforderter gesellschaftlicher Wandel im Hinblick auf ein neues Mensch-Umwelt-Verhältnis und eine damit einhergehende normative Neuorientierung (WBGU 2011: 96f.) geschaffen werden. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen allerdings auch, dass es innerhalb der Bevölkerung Unterschiede gibt, die es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt. So besteht ein leichter, aber dennoch signifikanter, Zusammenhang zwischen steigendem Alter und einer stärkeren Zuordnung eines Nachhaltigkeitsbezugs für ein Großteil der aufgeführten Themen. Gleiches gilt für den Einfluss des Bildungsabschlusses. Auch hier steigt der Wert der Zuordnung eines starken Nachhaltigkeitsbezuges mit steigendem Bildungsabschluss an. Ein steigender Wissensstand mit steigendem Alter entspricht der allgemeinen Studienlage. So zeigt beispielsweise auch die Analyse von Heinrich & Brodbeck des PiSA-Wissenstest einen systematisch steigenden Wissensstand des Allgemeinwissens mit steigendem Alter bis zum 50. Lebensjahr. Danach stabilisiert es sich auf einem hohen Niveau (Heinrich & Brodbeck 2010: 221). Vergleichbare Belege für einen steigenden Wissensstand mit steigendem Bildungsabschluss lassen sich nicht finden, sodass hier weitere Studien notwendig wären, um den hier beobachteten Zusammenhang zu verifizieren. Die Einschätzung des eigenen Wissensstandes der Befragten zeigt, dass vor allem für die Themen Bildung, Ernährung, Gesundheit und Konsum ein hoher Wissensstand gesehen wird. Wissenslücken bestehen nach Ansicht der Befragten am ehesten für die Themen Stadtentwicklung, globale Zusammenarbeit, demographischer Wandel sowie Verlust von Ökosystemen und Trinkwasserversorgung. Hier bestätigt sich die bereits erwähnte Wissenslücke im Hinblick auf Themen, die der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit zugeordnet werden können, ebenso wie die Bedeutung handlungsrelevanter Themenfelder, bei denen ein höherer Wissensstand vorzuliegen scheint. Interessant ist, dass für den Bereich Gesundheit ebenfalls ein hoher Wissensstand attestiert wird. Dies mag damit zusammenhängen, dass Gesundheitsaspekte im Zuge der Covid-19-Pandemie in den letzten beiden Jahren eine erhöhte mediale und damit auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfahren haben (Krug et al. 2021: 135). Der hohe Wissensstand im Bereich Ernährung deckt sich mit der Tatsache, dass die Befragten Wissen auch allgemein gesehen einen hohen Stellenwert für diesen Lebensbereich beimessen. Eine stärkere Sensibilisierung der Gesellschaft für die Themen Gesundheit und Bildung im Zuge der Covid-19Pandemie konnte auch in der Umweltbewusstseinsstudie des BMUV festgestellt werden, wo 75 % der Befragten diese Themen als besonders wichtig erachten (BMUV 2020: 25). Im Median attestieren sich 55 % aller Befragten für alle Themen einen eher hohen Wissensstand und 43 % einen eher niedrigen Wissensstand. Es liegen somit auch aus Sicht der Befragten allgemeine Wissenslücken im Bereich nachhaltigkeitsrelevanter Themenstellungen vor. Der in der vorliegenden Erhebung nachgewiesene mittelstarke Zusammenhang von geringem Wissensstand und einer niedrigen Einschätzung des Nachhaltigkeitsbezuges der ausgewählten Themen unterstreicht die These der bestehenden Wissenslücken. Ein höherer Wissensstand sorgt somit eher dafür, dass für die Themen ein
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starker Nachhaltigkeitsbezug gesehen wird als bei einem niedrigen Wissensstand. Hier bedarf es zukünftig vertiefter Forschungen, um auf einer konkreten inhaltlichen Ebene zu eruieren, wo genau die Wissenslücken für die jeweiligen Themenbereiche liegen. Allgemein zeigen die Ergebnisse bereits, dass trotz eines bereits existierenden hohen Umweltbewusstseins nach wie vor Wissenslücken in den zentralen Themen der Nachhaltigkeitsdebatte bestehen, die es zukünftig zu füllen gilt. Wie schon bei der Einschätzung des Nachhaltigkeitsbezuges zeigt sich der Einfluss von Geschlecht, Alter und Bildungsabschluss auch bei der Einschätzung des persönlichen Wissensstandes. So attestieren sich Männer im Durchschnitt für alle Themen einen höheren Wissensstand als Frauen. Eine Ausnahme bilden die Themen Bildung, Ernährung sowie Gesundheit, wo der Wert der Frauen höher ist. Dies lässt jedoch keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob Männer einen allgemein höheren Wissensstand als Frauen aufweisen, insbesondere da die Umweltbewusstseinsstudie gezeigt hat, dass Frauen Umwelt- und Naturschutz einen deutlich höheren Stellenwert beimessen als Männer (BMUV 2020: 25). Männer scheinen sich somit lediglich subjektiv einen höheren Wissensstand zu attestieren, ohne dass dies mit dem tatsächlichen Wissen einhergehen muss. Dass ein steigendes Alter allgemein mit einem steigenden Wissensstand einhergeht, wurde bereits erwähnt und zeigt sich auch im Hinblick auf die persönliche Einschätzung des Wissensstandes in der vorliegenden Erhebung. Die Ergebnisse hinsichtlich Alter, Geschlecht sowie Bildungsabschluss zeigen, dass im Zuge einer zukünftigen Vermittlung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext auf spezifische Hintergründe der Zielgruppen Rücksicht genommen werden sollte. Wissenstransfer in die breite Masse der Zivilgesellschaft im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation sollte demnach immer zielgruppenspezifisch erfolgen und unter Berücksichtigung aller rezipientenseitiger Einflussfaktoren (Oschatz 2018: 45f.). Ein weiterer wichtiger Faktor, den es zu beachten gilt, ist die Art des Wissens, welche vermittelt werden soll. Hier lässt sich erkennen, dass ein Großteil der Befragten vor allem Wissen über Zusammenhänge, Ursachen und Folgen bezüglich der benannten Themenbereiche besitzt. Wissen über konkrete Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten sowie ein faktenbasiertes Wissen liegt nur bei weniger als der Hälfte der Befragten vor. Es scheint somit hauptsächlich Wissen aus dem Bereich des Erklärungs- und Systemwissens vorzuliegen, welches lediglich die notwendige epistemologische Basis darstellt (Urmetzer et al. 2020: 88f.). Im Zuge einer gelungenen sozial-ökologischen Transformation haben zahlreiche Studien gezeigt, dass jedoch gerade ein gleichgewichtetes Konglomerat aus allen Wissensarten notwendig ist, welches insbesondere auch ein Handlungswissen beinhaltet (z.B. Caniglia et al., 2021; Jerneck et al. 2011). Letzteres übt nachweislich als einzelne Wissensart betrachtet den größten Einfluss auf konkretes Umweltverhalten aus (Frick et al. 2004: 1606ff.). Letzten Endes ist es jedoch die Kombination als allen Wissensarten, die am gewinnbringendsten erachtet wird, denn alle Wissensarten stehen in Abhängigkeit zueinander und sollten daher nicht losgelöst betrachtet werden (Roczen et al. 2014: 976). Es gilt demnach zukünftig neben den zu vermittelnden Inhalten auch einen stärkeren Fokus auf eine ausgewogene Vermittlung verschiedener Wissensarten zu legen. Dies bestätigt auch die bereits erwähnte Sicht der Befragten, wonach alle Wissensarten gleichermaßen relevant sind im Nachhaltigkeitskontext.
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Lücken bezüglich eines Handlungswissens zeigen sich auch bei den Ergebnissen auf die Frage nach bekannten Handlungsmöglichkeiten im Nachhaltigkeitskontext für spezifische Lebensbereiche. Hier geben lediglich durchschnittlich ein Drittel der Befragten an, viele Handlungsmöglichkeiten zu kennen. Zwei Drittel der Befragten kennen lediglich ein paar Handlungsmöglichkeiten oder gar keine. Das stärkste Handlungswissen liegt für die Bereiche Ernährung und Konsum vor und bestätigt somit den hohen Wissensstand für diese Bereiche, die am ehesten auch mit alltäglichen Handlungen einhergehen. Ein geringes Handlungswissen liegt insbesondere für die Lebensbereiche der Wahl des Arbeitgebers, der politischen Teilhabe sowie des sozialen Miteinanders vor. Hier gilt es zukünftig verstärkt Handlungswissen zu vermitteln, da auch diese Bereiche eine hohe Bedeutung im Zusammenhang einer sozial-ökologischen Transformation aufweisen (siehe Kapitel 2.10.2). Auffällig ist, dass Frauen hier im Durchschnitt mehr Handlungsmöglichkeiten kennen als Männer. Dies deckt sich mit der bereits beschriebenen Erkenntnis der BMUV-Studie, dass Frauen dem Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich eine höhere Bedeutung beimessen als Männer und womöglich aus diesem Grund auch ein tieferes Wissen im Handlungskontext aufweisen. Der Wert eines Handlungswissens zeigt sich auch in den Ergebnissen. So besteht ein starker Zusammenhang zwischen einer hohen Bedeutungszuschreibung von Nachhaltigkeit für spezifische Lebensbereiche und der Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten. Personen, die Nachhaltigkeit in den Lebensbereichen eine hohe Bedeutung beimessen, kennen für diese Lebensbereiche mehr Handlungsmöglichkeiten als Personen, die dies nicht tun. Dies bestätigt den bereits thematisierten Wert eines Handlungswissens in diesem Kontext. Weiter untermauert wird dies von dem Umstand, dass auch ein mittelstarker Zusammenhang zwischen einer hohen Bedeutungszuschreibung von Wissen allgemein für die Lebensbereiche und der Kenntnis von Handlungsmöglichkeiten zu beobachten ist. Wenn Wissen eine hohe Bedeutung für einen Lebensbereich beigemessen wird, kennen diese Personen eher viele Handlungsmöglichkeiten, als wenn dies nicht der Fall ist. Hierin zeigt sich, dass Wissen aus Sicht der Befragten tatsächlich eine Bedeutung hinsichtlich nachhaltigen Handelns zukommt. Es verdeutlicht auch die Untrennbarkeit von Wissen und Handeln in diesem Zusammenhang sowie die Bedeutung von Wissen als wichtiger Ressource zur Lösung globaler Problemstellungen (Moll & Schütz 2021: 12). Insgesamt betrachtet lassen sich für die Forschungsfrage F.3.2 somit folgende Implikationen ableiten: •
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Das grundlegende Nachhaltigkeitsverständnis der Befragten aus der Zivilgesellschaft weist einen Schwerpunkt auf die ökologische und ökonomische Dimension auf. Aspekte der sozialen Dimension tauchen nur marginal auf und sollten zukünftig verstärkt aus der Wissenschaft heraus kommuniziert werden, um dem ganzheitlichen Anspruch einer sozial-ökologischen Transformation gerecht zu werden. In der Zivilgesellschaft liegt ein hoher Wissensstand hinsichtlich Themen mit einem starken alltäglichen Handlungsbezug auf, wohingegen für Themen der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit große Wissenslücken vorliegen. Der allgemeine Wissensstand ist insgesamt als unzureichend zu beschreiben Bezüglich der vorhandenen Wissensarten liegt ein Ungleichgewicht vor, da hauptsächlich ein Erklärungs- und Systemwissen vorhanden zu sein scheint. Zukünftig
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muss daher verstärkt auf eine ausgewogene Wissensvermittlung Wert gelegt werden, da nur durch ein Konglomerat aus allen Wissensarten die stärksten Effekte im Hinblick auf konkrete nachhaltige Handlungen erzielt werden können. Im Hinblick auf ein konkretes Handlungswissen liegen insbesondere für die Lebensbereiche Wahl des Arbeitgebers, soziales Miteinander und politische Teilhabe Wissenslücken vor, die es zukünftig zu füllen gilt. Nur so können alle relevanten Handlungsfelder der Zivilgesellschaft im Nachhaltigkeitskontext gleichermaßen bespielt werden, um eine bestmögliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele in allen Lebensbereichen gewährleisten zu können.
10.2.7 Potenzielle Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen auf gesellschaftliches Nachhaltigkeitsverhalten Um der Frage nachzugehen, welchen Einfluss geographische Wissens- und Denkweisen auf gesellschaftliches Handeln im Nachhaltigkeitskontext haben können (F3), ist neben der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen allgemein sowie dem Wissensstand hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Themen auch ein Blick auf den gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad geographischer Schlüsselkonzepte zu werfen. Die aus der Theorie abgeleiteten Schlüsselkonzepte wurden seitens der Expert*innen einheitlich bestätigt und konnten dadurch hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Bekanntheitsgrades untersucht werden. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass im Durchschnitt knapp weniger als die Hälfte der Befragten die aufgeführten Schlüsselkonzepte sowohl kennt als auch versteht. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten kennen und/oder verstehen die Konzepte nicht. Denken in Maßstäben sowie das ganzheitliche Denken scheinen am bekanntesten zu sein in der Gesellschaft. Interdisziplinarität und Multiperspektivität hingegen scheinen am wenigsten geläufig zu sein. Insgesamt betrachtet weisen geographische Denkweisen somit einen geringen gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad auf. Vergleichbare Studien gibt es bisher nicht, sodass diese Erkenntnis zukünftig noch tiefergehender zu erforschen ist, um zu eruieren, welche inhaltlichen Aspekte der Konzepte im Detail nicht bekannt sind und/oder nicht verstanden werden. Es deckt sich jedoch mit den Ergebnissen der Studie von Gans, die gezeigt hat, dass gegenwärtige gesellschaftliche Assoziationen mit dem Fach Geographie unvollständig und häufig nur auf länderkundliche Aspekte beschränkt sind (Gans 2015: 37ff.). Wahrnehmungen der Geographie als eng mit Nachhaltigkeit und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Konfliktlagen verbundene Wissenschaft liegen in der Öffentlichkeit eher nicht vor (Schlottmann 2021: 41) ebenso wie in Studien eine fehlende Bedeutungszuschreibung der Geographie im Kontext von Mensch-Umwelt-Beziehungen zu beobachten ist (Heckmann & Horn 2015: 65). Auch die Expert*innen betonen mehrheitlich eine nach wie vor unzureichende Öffentlichkeitswahrnehmung der Geographie sowohl in der Gesellschaft als auch in politischen Debatten und der medialen Berichterstattung. Somit bestätigen die vorliegenden Ergebnisse, dass es der Geographie insbesondere auch im Zuge von Nachhaltigkeitsfragen an Sichtbarkeit mangelt. Dies gilt es zu beheben, um geographisch relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext verstärkt in die breite Masse der Bevölkerung zu transferieren.
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muss daher verstärkt auf eine ausgewogene Wissensvermittlung Wert gelegt werden, da nur durch ein Konglomerat aus allen Wissensarten die stärksten Effekte im Hinblick auf konkrete nachhaltige Handlungen erzielt werden können. Im Hinblick auf ein konkretes Handlungswissen liegen insbesondere für die Lebensbereiche Wahl des Arbeitgebers, soziales Miteinander und politische Teilhabe Wissenslücken vor, die es zukünftig zu füllen gilt. Nur so können alle relevanten Handlungsfelder der Zivilgesellschaft im Nachhaltigkeitskontext gleichermaßen bespielt werden, um eine bestmögliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele in allen Lebensbereichen gewährleisten zu können.
10.2.7 Potenzielle Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen auf gesellschaftliches Nachhaltigkeitsverhalten Um der Frage nachzugehen, welchen Einfluss geographische Wissens- und Denkweisen auf gesellschaftliches Handeln im Nachhaltigkeitskontext haben können (F3), ist neben der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen allgemein sowie dem Wissensstand hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Themen auch ein Blick auf den gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad geographischer Schlüsselkonzepte zu werfen. Die aus der Theorie abgeleiteten Schlüsselkonzepte wurden seitens der Expert*innen einheitlich bestätigt und konnten dadurch hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Bekanntheitsgrades untersucht werden. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass im Durchschnitt knapp weniger als die Hälfte der Befragten die aufgeführten Schlüsselkonzepte sowohl kennt als auch versteht. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten kennen und/oder verstehen die Konzepte nicht. Denken in Maßstäben sowie das ganzheitliche Denken scheinen am bekanntesten zu sein in der Gesellschaft. Interdisziplinarität und Multiperspektivität hingegen scheinen am wenigsten geläufig zu sein. Insgesamt betrachtet weisen geographische Denkweisen somit einen geringen gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad auf. Vergleichbare Studien gibt es bisher nicht, sodass diese Erkenntnis zukünftig noch tiefergehender zu erforschen ist, um zu eruieren, welche inhaltlichen Aspekte der Konzepte im Detail nicht bekannt sind und/oder nicht verstanden werden. Es deckt sich jedoch mit den Ergebnissen der Studie von Gans, die gezeigt hat, dass gegenwärtige gesellschaftliche Assoziationen mit dem Fach Geographie unvollständig und häufig nur auf länderkundliche Aspekte beschränkt sind (Gans 2015: 37ff.). Wahrnehmungen der Geographie als eng mit Nachhaltigkeit und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Konfliktlagen verbundene Wissenschaft liegen in der Öffentlichkeit eher nicht vor (Schlottmann 2021: 41) ebenso wie in Studien eine fehlende Bedeutungszuschreibung der Geographie im Kontext von Mensch-Umwelt-Beziehungen zu beobachten ist (Heckmann & Horn 2015: 65). Auch die Expert*innen betonen mehrheitlich eine nach wie vor unzureichende Öffentlichkeitswahrnehmung der Geographie sowohl in der Gesellschaft als auch in politischen Debatten und der medialen Berichterstattung. Somit bestätigen die vorliegenden Ergebnisse, dass es der Geographie insbesondere auch im Zuge von Nachhaltigkeitsfragen an Sichtbarkeit mangelt. Dies gilt es zu beheben, um geographisch relevantes Wissen im Nachhaltigkeitskontext verstärkt in die breite Masse der Bevölkerung zu transferieren.
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Hinsichtlich demographischer Einflussfaktoren hat sich gezeigt, dass Geschlecht und Alter hier keinen Einfluss zu haben scheinen. Anders ist dies für die Variable des Bildungsabschlusses. Hier weisen die Personen mit einem abgeschlossenen Studium für alle Konzepte einen signifikant höheren Wert hinsichtlich Bekanntheit und Verständnis auf als die Personen mit Schulabschluss oder abgeschlossener Ausbildung. Es liegt somit ein leichter Zusammenhang zwischen dem Bildungsabschluss Studium und dem Verständnis geographischer Schlüsselkonzepte vor. Da nicht erfasst wurde, welche Studienfächer die Personen studiert haben, lassen sich hier keine Rückschlüsse auf thematisierte Inhalte bestimmter Studienfächer ziehen, die einen Einfluss auf das Verständnis haben könnten. Grundlegend kann jedoch davon ausgegangen werden, dass im Studium, wo theoretische Inhalte einen deutlich größeren Stellenwert einnehmen als bei Berufsausbildungen, die eher praktisch ausgelegt sind, daher die Begrifflichkeiten der Konzepte eher thematisiert werden, was den hier gefundenen Zusammenhang erklären würde. Dies scheint besonders auf das Konzept der Interdisziplinarität zuzutreffen, für das ein mittelstarker Zusammenhang gefunden werden konnte. Interdisziplinäre LehrLern-Projekte erfahren in den letzten Jahren eine zunehmende Konjunktur an Hochschulen und werden auch vermehrt aus hochschuldidaktischer Perspektive gefordert (Weißköppel 2014: 141). Es verwundert also nicht, dass hier der stärkste Zusammenhang vorliegt. Auch wenn die Konzepte größtenteils unbekannt zu sein scheinen, scheint den Befragten dennoch ihr Wert im Nachhaltigkeitskontext bewusst zu sein. So werden nach der Definition aller Konzepte, die den Befragten vorgelegt wurden, sämtliche Konzepte mehrheitlich als sehr wichtig bis wichtig erachtet im Nachhaltigkeitskontext. Dies unterstreicht den hohen Wert geographischer Denkweisen im Nachhaltigkeitskontext und zeigt auch, dass Nachhaltigkeit als übergeordnetes und verbindendes Element geographischer Wissens- und Denkweisen verstanden werden sollte (Meadows 2020: 89; Fünfgeld & Mösner 2019: 158). Es verdeutlicht darüber hinaus den gesellschaftlichen Wert geographischen Wissens im Hinblick auf zivilgesellschaftliches Handeln, welcher auch seitens der befragten Geographieexpert*innen mehrheitlich hervorgehoben wurde. Die stärkste Bedeutung aus gesellschaftlicher Perspektive wird hier für die Konzepte Denken in Maßstäben, ganzheitliches Denken sowie die Erde als Mensch-Umwelt-System gesehen. Dem Konzept des Denkens in Räumen wird seitens der Befragten die geringste Bedeutung im Nachhaltigkeitskontext beigemessen. Hierin liegt ein zentraler Beitrag der Geographie, wo raumbezogene Aspekte und Fragestellungen einen essenziellen Stellenwert besitzen (Laub 2021: 200; Fögele 2016: 74; Leser & Schneider-Sliwa 1999: 9). Es gilt demnach zukünftig, neben einer allgemein verstärkten Vermittlung geographischer Wissens- und Denkweisen in die breite Masse der Gesellschaft insbesondere räumliches Denken und raumbezogene Aspekte verstärkt im Kontext einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation zu integrieren, wie es auch die Expert*innen mehrheitlich betont haben. Bereits 1992 forderte die IGU eine verstärkte Vermittlung von Wissen zur Förderung des Verständnisses von Möglichkeiten der Raumgestaltung und deren Wert im Nachhaltigkeitskontext für die Gesellschaft (IGU 1992: 7ff.). Auch Coy sieht die Synthetisierung bedeutsamer Raumkategorien im Kontext nachhaltiger Entwicklung als ein Leitthema der Geographie in diesem Zusammenhang (Coy 2007: 7). Außerhalb der Geographie wer-
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den in den allgemeinen Definitionen von Nachhaltigkeit raumbezogene Aspekte ebenfalls als ein wichtiger Bestandteil betrachtet (z.B. Ekardt 2020: 26) sowie auch die UN geographischen Schlüsselkonzepten und insbesondere dem Raum eine zentrale Bedeutung für den Nachhaltigkeitskontext beimisst (UN 2017: 102). Räumliche Aspekte spielen in einer globalisierten Welt in nahezu allen gegenwärtigen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts eine zentrale Rolle, ob es um Phänomene wie Urbanisierung, ungleiche Ressourcenverteilung und soziale Ungleichheit geht, oder aber um die Auswirkungen des Klimawandels, Wasserknappheit und Biodiversitätsverlust. Gleiches gilt für die zivilgesellschaftlichen Handlungsfelder wie beispielsweise Mobilität, Reisen oder Konsum. Eine verstärkte Kommunikation raumbezogener Aspekte im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation ist daher für eine verbesserte zivilgesellschaftliche Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen unabdingbar. Hierin muss eine der zentralen zukünftigen Aufgaben der Geographie in diesem Zusammenhang gesehen werden, da insbesondere diese Disziplin eine hohe Expertise und Erfahrung in diesem Kontext aufweist, welche sich durch die gesamte Historie hindurch aufgebaut hat (siehe Kapitel 5.2), was auch seitens der Expert*innen verstärkt betont wird. Der allgemeine Wert einer stärkeren Kommunikation geographischer Konzepte im Kontext der sozial-ökologischen Transformation zeigt sich bereits in Anfängen in den Ergebnissen der Befragung, wo ein Zusammenhang zwischen dem Verständnis geographischer Konzepte und einer hohen Bedeutungszuschreibung dieser im Nachhaltigkeitskontext beobachtet werden konnte. Je eher Personen ein Verständnis geographischer Konzepte aufweisen, desto eher sehen sie den Wert dieser für den Nachhaltigkeitskontext und es steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass geographische Denkweisen in nachhaltiges Handeln eingebunden werden. Dies zeigt sich auch im Hinblick auf den Wissensstand der Befragten zu Themen der Nachhaltigkeit. So besteht ein mittelstarker Zusammenhang zwischen der Kenntnis geographischer Konzepte und der Einschätzung des Nachhaltigkeitsbezugs bei allen Themenfeldern sowie auch bei der Einschätzung eines hohen Wissensstandes zu diesen Themen. Personen, die die geographischen Konzepte kennen und verstehen, weisen den Themen im Durchschnitt einen höheren Nachhaltigkeitsbezug zu und attestieren sich für alle Themenbereiche einen signifikant höheren Wissensstand als die Personen, die die Konzepte nicht kennen und/oder verstehen. Am stärksten ist der Zusammenhang für das Konzept des ganzheitlichen Denkens. Hier zeigt sich bereits, dass geographische Wissens- und Denkweisen einen messbaren Einfluss auf den Wissensstand zu nachhaltigkeitsbezogenen Themen nehmen können. Insbesondere ganzheitliches Denken scheint hier den größten Einfluss zu haben, was den hohen Wert einer holistischen Betrachtungsweise, wie sie der Geographie auch aus Sicht der Expert*innen inhärent ist, in diesem Zusammenhang untermauert. Eine solche ganzheitliche Betrachtungsweise in Kombination mit einem interdisziplinären Denken ist im Zusammenhang mit nachhaltigkeitsbezogenen Fragestellungen essenziell und gefordert, was einen geographischen Wissensinput hier zentral bedeutsam macht (Peng et al. 2020: 27). Auch auf der konkreten inhaltlichen Ebene wird der Wert eines geographischen Wissens offensichtlich. Hier muss zwischen zwei Teilebenen getrennt werden, einer inhaltlich-thematischen sowie einer gesellschaftlich-handlungsorientierten Ebene. Auf der inhaltlich-thematischen Ebene wurde bereits an mehreren
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Stellen gezeigt, wie stark die Fachinhalte der Geographie mit nachhaltigkeitsbezogenen Fragestellungen übereinstimmen. Dies gilt insbesondere für die SDGs der Agenda 2030 (Abbildung 24). Auch die Expert*innen stellen die thematische Passung als einen zentralen Wert der Geographie im Nachhaltigkeitskontext heraus. Bezogen auf die Zivilgesellschaft und deren Wissensstand zu den Themen, die auch in den SDGs der Agenda 2030 vorzufinden sind, sind es somit insbesondere die Bereiche Geschlechtergleichstellung, Armut, soziale Ungleichheit, demographischer Wandel, Stadtentwicklung, der Verlust von Ökosystemen sowie Trinkwasserversorgung bei denen Wissenslücken vorzuliegen scheinen. All diese Themen werden auch inhaltlich von der Geographie bearbeitet. Konkret sind hier Inhalte aus folgenden Teilgeographien hilfreich (siehe auch Tabelle 8 und 12): • • • • • •
Stadtgeographie (für das Thema Stadtentwicklung) Entwicklungsgeographie (für das Thema Armut) Sozialgeographie (für das Thema soziale Ungleichheit) Bevölkerungsgeographie (für das Thema demographischer Wandel) Hydrogeographie (für das Thema Trinkwasserversorgung) Biogeographie (für das Thema Verlust von Ökosystemen)
Doch auch die anderen Teildisziplinen der Geographie weisen passende Inhalte zur Schließung der Wissenslücken auf. Es wird deutlich, dass geographisches Wissen sowohl zu jedem der SDGs der Agenda 2030 als auch zu den in der vorliegenden Studie gefundenen Wissenslücken passend zu sein scheint. Bestärkt wird dies mit einem Blick auf die von den Befragten angegebenen Bedarfe nach Wissen zu den nachhaltigkeitsbezogenen Themenstellungen. So sehen mehr als ein Drittel der Befragten insbesondere für die Themen Ressourcenverbrauch, Lebensmittelverschwendung, Wandel von Landnutzung sowie Energie- und Trinkwasserversorgung einen erhöhten Wissensbedarf. Im Durchschnitt sieht ein Fünftel aller befragten Personen einen Wissensbedarf für alle aufgeführten Themenbereiche. So kommen zu den oben bereits aufgeführten Themen noch folgende weitere relevante Teildisziplinen der Geographie hinzu, um diesen Wissensbedarf zu füllen: • • •
Energiegeographie (für die Themen Ressourcenverbrauch & Energieversorgung) Agrar- und Konsumgeographie (für das Thema Lebensmittelverschwendung) Bodengeographie (für das Thema Wandel von Landnutzung)
Es wird ersichtlich, dass die Geographie zu allen bestehenden Wissenslücken sowie konkreten Wissensbedarfen der Zivilgesellschaft relevantes Wissen und passende Inhalte beitragen kann. Diese gesellschaftliche Relevanz sowie die thematische Passung werden auch seitens der Expert*innen gesehen und mehrheitlich als Wert der Geographie im Nachhaltigkeitskontext hervorgehoben. Geographisches Wissen wird aus diesem Grund von einigen Expert*innen auch als gesellschaftliches Wissen bezeichnet. Nussbaum sowie Solem & Weiguo stellen ebenfalls heraus, dass geographisches Wissen einen guten Beitrag zur Vorstellung eines guten Lebens sowie zur individuellen Verhaltensreflexion beitragen kann (Nussbaum 2011: 33; Solem & Weiguo 2018: 62). Geographisches Wissen
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und der gesellschaftliche Wissensbedarf scheinen somit insbesondere im Nachhaltigkeitskontext starke Überschneidungen aufzuweisen und geographisches Wissen kann aufgrund dessen zu verstärkt nachhaltig orientierten individuellen Handlungen motivieren (Chang & Wi 2018: 32). Der positive Einfluss von bereits vorhandenen geographischen Wissens- und Denkweisen im Hinblick auf ein ausgeprägtes Nachhaltigkeitsverständnis und -wissen konnte somit durch die vorliegenden Ergebnisse bereits in ersten Zügen empirisch nachgewiesen werden. Ebenso deutlich wird der Wert eines geographischen Wissens auf einer gesellschaftlich-handlungsorientierten Ebene. So liegen bezüglich des Wissensbedarfs aus Sicht der Befragten insbesondere für die Lebensbereiche Ernährung, Verhalten in der Freizeit sowie Konsum vor. Für ein Viertel der Befragten besteht im Durchschnitt für jeden aufgeführten Lebensbereich ein Bedarf nach Wissen im Nachhaltigkeitskontext. Wichtig zu erwähnen ist, dass weder Geschlecht noch Alter oder Bildungsabschluss hier signifikante Unterschiede bezüglich der Bedarfe aufweisen. Es scheint sich demnach hier um ein gesamtgesellschaftliches Bedarfsbild zu handeln. Auch auffällig ist, dass der Lebensbereich Ernährung hinsichtlich einer allgemeinen Bedeutung von Wissen ebenfalls einen hohen Wert aufweist, ebenso wie die Zuschreibung des Nachhaltigkeitsbezugs für den Bereich der Ernährungsversorgung am stärksten gesehen wird. Gleichzeitig attestiert sich die Mehrheit der Befragten hinsichtlich dieses Themenbereichs bereits einen hohen Wissensstand. Ernährung scheint in der Gesellschaft gegenwärtig einen sehr hohen Stellenwert einzunehmen, auch im Hinblick auf einen erhöhten Wissensbedarf. Hier kommt erneut die von den Expert*innen benannte Stärke der Geographie zum Tragen, ein alltagsrelevantes Wissen zu vermitteln auch in Kombination mit einer gesellschaftstauglichen Sprache. So kann die Geographie zu allen hier benannten Lebensbereichen handlungsrelevantes Wissen anbieten. Martin benennt diesbezüglich zahlreiche Alltagsbeispiele, in denen geographisches Wissen relevant ist (Martin 2006: 133). Die folgende Tabelle kombiniert die von Martin vorgeschlagenen Beispiele mit den in der vorliegenden Erhebung gewählten Lebensbereichen und ergänzt diese durch die von den Expert*innen und in der Theorie benannten relevanten geographischen Wissensbestände. Sie stellt allerdings lediglich einen Ausschnitt vor, der zeigt, wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten geographischen Wissens im Kontext eines nachhaltigen gesellschaftlichen Handelns sind und lässt sich beliebig erweitern:
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relevantes geographisches Wissen
– Ernährungsweisen & Ernährungssystem sowie deren Folgen – Möglichkeiten der Ernährungssicherung – Nahrungsmittelproduktion & deren Folgen – Grundprinzipien von Landwirtschaft
– Möglichkeiten eines nachhaltigen Lebensstils – Hintergründe von nachhaltigem Verhalten & Verhaltensbarrieren – Möglichkeiten sozialer Anpassung im Kontext des globalen Wandels
– Konsum & seine Folgen; Konsumketten – Nachhaltiger Konsum – Greenwashing-Prozesse & Produktzertifikate – Recyclingprozesse – Fairer Handel
– Energiesysteme – Energiewende & ihre Folgen – Wasserverbrauch und seine Folgen
– Kulturen der Erde – Diversität – Anthropogene Lebensstile & Wertvorstellungen – Gerechtigkeitsfragen
– Folgen von Tourismus und seinen Formen – Nachhaltiger Tourismus – Reiseverhalten und -entscheidungen & deren Konsequenzen
– Politische Systeme und ihre Folgen – Soziale & räumliche Folgen politischen Handelns – Politische & soziale Konflikte der Erde
Lebensbereich
Ernährung
Verhalten in der Freizeit
beim Konsumieren
Im Haushalt
Soziales Miteinander
Reiseverhalten
Politische Teilhabe
Tabelle 36: Geographisches Wissen im Kontext gesellschaftlicher Lebensbereiche
Eine kritische Sichtweise auf Informationen & Daten sowie Möglichkeiten des lokalpolitischen Engagements im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsbelangen; Verständnis der Auswirkungen individueller politscher Handlungen
Die Entscheidung, wohin und wie Reisen betrieben werden
Verständnis und Wertschätzung kultureller Lebensweisen und deren Diversität; Möglichkeiten des Engagements in der persönlichen Community
Entscheidung für den Wohnort sowie die Art des Wohnens
Entscheidung, was, wo und wie viel konsumiert wird
Verständnis der Wirkweisen freizeitbezogener Handlungen im Nachhaltigkeitskontext
Entscheidung, wo und welches Essen gekauft wird
konkrete Alltagsbeispiele
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– Ökologische Folgen ökonomischen Handelns – Postwachstumsökonomien – Möglichkeiten nachhaltigen Wirtschaftens – Ökonomische (Un)Gleichheitsfragen – Globale Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerke
– Zusammenspiel von Politik & Ökonomie – Sichtweisen von Produzent & Verbraucher – Globale Wirtschaftssysteme & Kreisläufe
Verhalten am Arbeitsplatz
Wahl des Arbeitgebers
Eigene Darstellung
– Mobilität – Verkehrsmittel & deren Infrastruktur – Folgen von Mobilitätsverhalten – Verkehrswende und nachhaltige Mobilität
Am Verkehr teilnehmen
Die Entscheidung der Berufswahl
Verständnis über die globalen Auswirkungen persönlicher Handlungen
Die Wahl von Transportmitteln zur Arbeit und in der Freizeit
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Hier zeigt sich einmal mehr die von den Expert*innen hervorgehobene Stärke der Geographie, ein gesellschaftsrelevantes und alltagsnahes Wissen zu produzieren, welches direkte Bezüge zu nachhaltigen Handlungen aufweist. Voraussetzung für eine Verbesserung zivilgesellschaftlicher Handlungen im Nachhaltigkeitskontext ist dabei eine konkrete anwendungsorientierte Wissensvermittlung (Kerski 2015: 22). Insgesamt kommt der Geographie somit sowohl bei einer übergeordneten Wissensvermittlung zu Themen der Nachhaltigkeit als auch im Hinblick auf gesellschaftliche Bedarfe in spezifischen Lebensbereichen eine zentrale Rolle zu, die es zukünftig sowohl anzunehmen als auch umzusetzen gilt. Doch die damit einhergehende Verantwortung birgt auch zahlreiche Herausforderungen, die es zu beachten gilt. Grundlegend betonen die Expert*innen, dass gegenwärtig in der Geographie eine starke Diskrepanz zwischen Potenzial und tatsächlicher Leistung existiert. So scheint es innerhalb der Fachcommunity Konsens zu sein, welchen Wert die Geographie im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation besitzt. Dennoch füllt die Geographie aus Sicht der Expert*innen ihr Potenzial nicht aus. So wird das Thema nach wie vor nicht konkret genug behandelt, in öffentlichen Debatten ist eine starke Zurückhaltung bezüglich der geographischen Beteiligung zu beobachten und es mangelt zudem an der Einwerbung großer Forschungsprojekte im Nachhaltigkeitskontext. Dies führt zu einer fehlenden Einbindung geographischer Sichtweisen in den Umsetzungsprozess der sozial-ökologischen Transformation. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Faches wird aus Sicht der Expert*innen nach wie vor als zu gering eingeschätzt, was in einer fehlenden Sichtbarkeit der Geographie bei Nachhaltigkeitsbelangen resultiert. Ursachen hierfür werden insbesondere in einem schlechten Marketing sowie einer fehlenden Lobbyarbeit gesehen, aber auch in der mangelnden Bereitschaft, populärwissenschaftlich und somit breitenwirksam zu publizieren. Dies deckt sich mit dem in der Forschungsliteratur beschriebenen geringen öffentlichen Wirksamkeitsgrad geographischer Gesellschaften (Nadler & Kosinski 2018: 298) als zentrales Instrument geographischer Öffentlichkeitsarbeit sowie der nachgewiesenermaßen fehlenden geographischen Beteiligung an Debatten über Themen mit alltagsweltlichen Bezügen in Kombination mit der bisher kaum wahrgenommenen Aufgabe des Wissenstransfers in die breite Masse der Gesellschaft seitens geographischer Wissenschaftler*innen (Smith 2013: 189). Daraus resultiert auch die fehlende Beachtung geographischer Beiträge in interdisziplinären Forschungsansätzen im Hinblick auf eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation (siehe die Auflistung von Helbling 2018: 12). Erweiternd dazu bemängeln die Expert*innen eine zu geringe mediale Präsenz der Geographie, insbesondere auch in den sozialen Netzwerken, die es im Kontext jüngerer Generationen zukünftig stärker zu bespielen gilt. Die Geographie steht hier in der Verantwortung, sich vermehrt um eine bessere Außenwahrnehmung und Leistungsvermittlung zu kümmern (Schlottmann 2021: 42). Alle hier benannten Herausforderungen gilt es zukünftig verstärkt zu beachten, damit der Wert geographischer Wissens- und Denkweisen für eine verbesserte zivilgesellschaftliche Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs besser zum Tragen kommt. Erst nach einer Überwindung dieser Herausforderungen wird eine gelungene Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen funktionieren. Somit lassen sich folgende Aufgaben für die Geographie in diesem Zusammenhang ableiten,
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die durch die Geographieexpert*innen mehrheitlich benannt und durch die Ergebnisse der Befragung allesamt bestätigt wurden: •
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Die Geographie sollte zukünftig verstärkt inter- und transdisziplinäre Forschung im Nachhaltigkeitskontext betreiben und sich in diesem Kontext darum bemühen, einen Beitrag in nationalen sowie internationalen Forschungsprojekten zu leisten, um sowohl den Wert geographischer Wissens- und Denkweisen stärker in die Nachhaltigkeitsdebatte einzubringen als auch die Sichtbarkeit des Faches in diesem Kontext zu verbessern. Eine zentrale zukünftige Aufgabe der Geographie ist eine stärkere Bereitstellung und Vermittlung nachhaltigkeitsrelevanter geographischer Wissensbestände, um ein verbessertes gesellschaftliches Verständnis der Nachhaltigkeitsthematik sowie eine verbesserte Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs durch ein vermehrt nachhaltig ausgerichtetes zivilgesellschaftliches Handeln zu fördern. Wissenskommunikation mit alltagsweltlichen Bezügen im Zusammenhang von Nachhaltigkeitsfragen in die breite Masse der Gesellschaft hinein und außerhalb von Bildungsinstitutionen muss zukünftig stärker im Fokus geographischer Tätigkeiten liegen, was gleichzeitig auch eine verbesserte gesellschaftliche Wahrnehmung des Faches zur Folge hätte. Die Geographie benötigt dafür zukünftig eine verbesserte Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, was auch eine stärkere Beteiligung an politischen Debatten im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation impliziert, um auch über die Zivilgesellschaft hinaus den hohen Wert geographischer Wissens- und Denkweisen für die gesamte Nachhaltigkeitsdebatte sichtbar zu machen.
10.2.8 Möglichkeiten des geographischen Wissenstransfers in die Gesellschaft Abschließend muss die Frage geklärt werden, wie das geographische Wissen, welches einen so hohen Wert im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation aufweist, gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft außerhalb von Bildungsinstitutionen transferiert werden kann (F.3.4). Die Ergebnisse zeigen, dass das Fernsehen sowie das Internet die am häufigsten genutzten Informationsquellen für das vorhandene Wissen zu den Themen der Nachhaltigkeit zu sein scheinen. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen von allgemeinen Mediennutzungsstudien der deutschen Bevölkerung, die zeigen, dass diese beiden Quellen mit am häufigsten zur Informationsbeschaffung genutzt werden (IFD, 2021). Auch die Langzeitstudie des ARD/ZDF zu den Massenkommunikations-Trends der Mediennutzung innerhalb Deutschlands bestätigen die hohe Nutzung insbesondere des Fernsehens als Quelle für Informationen (Hess & Müller 2022: 414). Interessant ist, dass private Kontakte und Freunde, welche in der allgemeinen Studie des IFD als am häufigsten genannte Quelle auftauchen, in der vorliegenden Studie nur von etwa der Hälfte der Befragten als Quelle benannt werden. Somit scheint diese Quelle im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Informationsbeschaffung keinen so hohen Stellenwert einzunehmen. Dies bestätigt auch die Studie von Metag et al., die aufzeigt, dass im Kontext von Mediennutzung hinsichtlich Informationen des Klimawandels insbesondere das Fernsehen am häufigsten genutzt wird. Kommunikation mit Fa-
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die durch die Geographieexpert*innen mehrheitlich benannt und durch die Ergebnisse der Befragung allesamt bestätigt wurden: •
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Die Geographie sollte zukünftig verstärkt inter- und transdisziplinäre Forschung im Nachhaltigkeitskontext betreiben und sich in diesem Kontext darum bemühen, einen Beitrag in nationalen sowie internationalen Forschungsprojekten zu leisten, um sowohl den Wert geographischer Wissens- und Denkweisen stärker in die Nachhaltigkeitsdebatte einzubringen als auch die Sichtbarkeit des Faches in diesem Kontext zu verbessern. Eine zentrale zukünftige Aufgabe der Geographie ist eine stärkere Bereitstellung und Vermittlung nachhaltigkeitsrelevanter geographischer Wissensbestände, um ein verbessertes gesellschaftliches Verständnis der Nachhaltigkeitsthematik sowie eine verbesserte Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs durch ein vermehrt nachhaltig ausgerichtetes zivilgesellschaftliches Handeln zu fördern. Wissenskommunikation mit alltagsweltlichen Bezügen im Zusammenhang von Nachhaltigkeitsfragen in die breite Masse der Gesellschaft hinein und außerhalb von Bildungsinstitutionen muss zukünftig stärker im Fokus geographischer Tätigkeiten liegen, was gleichzeitig auch eine verbesserte gesellschaftliche Wahrnehmung des Faches zur Folge hätte. Die Geographie benötigt dafür zukünftig eine verbesserte Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, was auch eine stärkere Beteiligung an politischen Debatten im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation impliziert, um auch über die Zivilgesellschaft hinaus den hohen Wert geographischer Wissens- und Denkweisen für die gesamte Nachhaltigkeitsdebatte sichtbar zu machen.
10.2.8 Möglichkeiten des geographischen Wissenstransfers in die Gesellschaft Abschließend muss die Frage geklärt werden, wie das geographische Wissen, welches einen so hohen Wert im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation aufweist, gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft außerhalb von Bildungsinstitutionen transferiert werden kann (F.3.4). Die Ergebnisse zeigen, dass das Fernsehen sowie das Internet die am häufigsten genutzten Informationsquellen für das vorhandene Wissen zu den Themen der Nachhaltigkeit zu sein scheinen. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen von allgemeinen Mediennutzungsstudien der deutschen Bevölkerung, die zeigen, dass diese beiden Quellen mit am häufigsten zur Informationsbeschaffung genutzt werden (IFD, 2021). Auch die Langzeitstudie des ARD/ZDF zu den Massenkommunikations-Trends der Mediennutzung innerhalb Deutschlands bestätigen die hohe Nutzung insbesondere des Fernsehens als Quelle für Informationen (Hess & Müller 2022: 414). Interessant ist, dass private Kontakte und Freunde, welche in der allgemeinen Studie des IFD als am häufigsten genannte Quelle auftauchen, in der vorliegenden Studie nur von etwa der Hälfte der Befragten als Quelle benannt werden. Somit scheint diese Quelle im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Informationsbeschaffung keinen so hohen Stellenwert einzunehmen. Dies bestätigt auch die Studie von Metag et al., die aufzeigt, dass im Kontext von Mediennutzung hinsichtlich Informationen des Klimawandels insbesondere das Fernsehen am häufigsten genutzt wird. Kommunikation mit Fa-
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milie & Freunden wird hier wie auch in den vorliegenden Ergebnissen nicht als zentrale Quelle genutzt (Metag et al. 2017: 445). Auch in der Forschungsliteratur werden insbesondere massenmediale Kommunikationskanäle wie Fernsehen und Internet als wichtigste Kanäle hervorgehoben (Kushawa 2015: 3; Newig et al. 2013: 2982; Schäfer 2012: 70). Im Hinblick auf wissenschafts- und forschungsbezogene Informationssuche dominiert ebenfalls das Internet als Hauptinformationsquelle (WID & Kantar 2021: 8ff.). Wichtig zu erwähnen ist, dass die Wissensquellen sich hinsichtlich demographischer Merkmale unterscheiden können. So hat beispielsweise in der vorliegenden Erhebung das Geschlecht keinen signifikanten Einfluss auf die Mediennutzung, das Alter hingegen durchaus. Die Ergebnisse zeigen, dass die 18–29-Jährigen ihr vorhandenes Wissen größtenteils aus dem Internet und der Schule gezogen haben, die Altersgruppen zwischen 30 und 59 benennen allesamt Fernsehen und Internet als häufigste Wissensquelle und die 60–69-Jährigen ziehen ihr Wissen größtenteils aus dem Fernsehen sowie persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen. Auch hinsichtlich anderer Quellen zeigen sich signifikante Unterschiede. So werden beispielsweise soziale Netzwerke sowie Podcasts von den 18–29-Jährigen doppelt so häufig genutzt wie von den 60–69-Jährigen. Die steigende Nutzung von sozialen Netzwerken und Podcasts als Informationsquellen werden auch durch die Studie des ARD/ZDF bestätigt, ebenso wie die hier beobachteten Unterschiede hinsichtlich der Variable des Alters (Hess & Müller 2022: 414ff.). Hinsichtlich des Bildungsabschlusses liegen lediglich Unterschiede für die Informationsquellen Fernsehen sowie Printmedien vor. Während Personen mit einem abgeschlossenen Studium signifikant häufiger Printmedien als Quelle angeben, wählen die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung deutlich häufiger das Fernsehen als andere. Hier könnte erneut der Faktor der eher theorie- und somit textlastig-orientierten Arbeitsweise innerhalb eines Studiums als Ursache für diese Unterschiede fungieren. Insgesamt betrachtet decken sich die in der vorliegenden Studie gefundenen Ergebnisse bezüglich der Wissensquellen des vorhandenen Wissens zu Nachhaltigkeitsthemen mit den von De Silva-Schmidt klassifizierten übergeordneten Bereichen Bildungsstätten, persönliche Kontakte sowie Medien, die in diesem Kontext als relevant betrachtet werden müssen (De Silva-Schmidt 2021: 60). Darüber hinaus zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dass auch für eine zukünftige Informationsbeschaffung insbesondere das Internet sowie das Fernsehen die am häufigsten gewünschten Informationskanäle sind. Doch auch Printmedien und soziale Netzwerke werden von fast der Hälfte der Befragten als zukünftige Kanäle gefordert. Dies deckt sich mit den bisherigen Wissensquellen der Befragten, was sich in dem gefundenen mittelstarken Zusammenhang zwischen bisherigen und zukünftig gewünschten Informationskanälen bestätigt. Eine zukünftige gelungene Nachhaltigkeitskommunikation geographischen Wissens sollte daher vornehmlich auf diese beiden Kanäle ausgelegt werden, wobei eben auch neuere Formate wie soziale Netzwerke oder Podcasts sowie alteingesessene Kanäle wie die Printmedien nicht außer Acht gelassen werden sollten. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass Wissensaneignung bei komplexen Themen wie der sozial-ökologischen Transformation in den meisten Fällen durch eine Kombination verschiedener Quellen erfolgt (Lörcher 2019a, 113f.), ist es besonders ein Mix aus verschiedenen Kommunikationskanälen, der zukünftig stärker forciert werden sollte. Dies wird auch seitens der befragten Expert*innen bestätigt
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bei denen mit Ausnahme von Podcasts alle durch die Gesellschaft benannten Kanäle ebenfalls als relevant aufgezählt werden. Allerdings sollte nach Ansicht der Expert*innen der Fokus insbesondere auf den Printmedien liegen. Hier zeigt sich die im Forschungsbereich gängige Praxis des Wissenstransfers über textbasierte Artikel in meist kostenpflichtigen fachwissenschaftlichen Journalen (Liebert 2020: 408f.). Diese Vorgehensweise rückt gegenwärtig immer stärker in die Kritik. Eine gelungene (Nachhaltigkeits)kommunikation benötigt ein frei zugängliches Wissen für alle (Moll & Schütz 2021: 14). Dies bestätigen auch die Expert*innen, wenn sie allgemein eine stärkere Wissensvermittlung in die breite Masse der Gesellschaft fordern, die mit einer Veränderung der Publikationskultur in der Wissenschaftscommunity einhergehen muss. Dabei sollte laut den Expert*innen zukünftig sowohl ein Fokus auf populärwissenschaftliche Publikationen als auch eine stärkere Einbindung digitaler Medien und sozialer Netzwerke erfolgen ebenso wie die Honorierung solcher Publikationsformate und von Öffentlichkeitsarbeit für Nachwuchswissenschaftler*innen. Hier zeigt sich ein kritisches Bewusstsein gegenüber der gegenwärtigen Wissenschaftskommunikation, welche es im Zuge einer verbesserten Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele im Sinne der sozial-ökologischen Transformation aufzubrechen und zu verändern gilt. Dabei kommt aus Sicht der Expert*innen insbesondere auch den sozialen Netzwerken eine zentrale Rolle zu. Neben der Notwendigkeit der Nutzung dieser Kanäle im Hinblick auf eine zielgruppenspezifische Kommunikation von Wissen bieten soziale Netzwerke durch ihre hohe Reichweite, der einfachen Möglichkeit einer adressatenorientierten Kommunikation sowie ihre multifunktionalen Bedienmöglichkeiten zahlreiche Vorteile. Die hier benannten Vorteile sozialer Netzwerke decken sich auch mit den Erkenntnissen der Forschung (Birke & Bush 2022: 66; Scheu & Schedifka 2018: 178ff.). Insgesamt betrachtet ist eine multimediale Nutzung verschiedenster Kanäle im Sinne einer Multi-Chanel-Kommunikationsstrategie für eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation geographischen Wissens unabdingbar, um allen zivilgesellschaftlichen Zielgruppen gerecht zu werden. So zeigen Arlt et al. beispielsweise, dass bei einer kombinierten Mediennutzung verschiedenster Kanäle positive Effekte hinsichtlich der Steigerung des Umweltbewusstseins und insbesondere einer stärkeren Motivation für eine politische und soziale Teilhabe zu sehen sind (Arlt et al. 2011: 60). Neben den Kommunikationskanälen spielt auch die Qualität des Wissens eine wichtige Rolle, die es zu beachten gilt. So zeigen die Ergebnisse, dass den Befragten insbesondere das Merkmal der praktischen Anwendbarkeit wichtig ist im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogenes Wissen. Arlt et al. zeigen, dass Wissen im Kontext von nachhaltigem Handeln insbesondere dann einen nachweisbaren Einfluss zu haben scheint, wenn dabei schnell umsetzbare praktische Handlungen vermittelt werden (Arlt et al. 2011: 60). Dies untermauert den hohen Wert eines handlungsorientierten Wissens. Doch auch eine leichte Verständlichkeit des Wissens wird seitens der hier befragten Personen mehrheitlich gefordert. Merkmale wie wissenschaftliche Belegbarkeit und Überprüfbarkeit spielen nur für die Hälfte der Befragten eine wichtige Rolle. Hier zeigt sich eine Herausforderung für die Kommunikation aus der Wissenschaft heraus. Wissenschaftliches Wissen ist oftmals komplex und unterscheidet sich stark von Alltagswissen (Liebert 2020: 409). Zudem entspricht es in den meisten Fällen nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch und
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ist für den Großteil der Gesellschaft oftmals unverständlich formuliert (Lugger 2020: 144; Niederhauser 2020: 300). Hier kann die Geographie als Wissenschaft besonders punkten. So attestieren die Expert*innen der Geographie mehrheitlich die Fähigkeit, komplexe Inhalte zu kondensieren und massentauglich kommunizieren zu können in einer verständlichen und alltagsnahen Sprache. Damit einher geht laut den Expert*innen eine ausgeprägte Kommunikations- und Präsentationsfähigkeit. Dies ermöglicht es der Geographie, neben einer Förderung des allgemeinen Verständnisses komplexer Zusammenhänge wie beispielsweise innerhalb der SDGs der Agenda 2030 auch eine verstärkte Einbindung der Gesellschaft in den gesamten Umsetzungsprozess. Die Herstellung alltagsweltlicher Bezüge ist im Rahmen einer gelungenen Umsetzung der Agenda 2030 wie auch der gesamten sozial-ökologischen Transformation unabdingbar und ist aus Sicht der Expert*innen insbesondere durch geographische Wissens- und Denkweisen möglich. Dabei ist laut Expert*innen zu beachten, dass die zu vermittelnden Inhalte je nach Zielgruppe simplifiziert dargestellt werden müssen, was angesichts der hohen Komplexität nachhaltigkeitsbezogener Problemstellungen als Herausforderung betrachtet werden muss. Es gilt dabei, eine Ausgewogenheit zwischen Simplifizierung und der Einhaltung eines grundlegenden wissenschaftlichen Standards des zu vermittelnden Wissens zu schaffen. Hier bedarf es weiterer Forschungen, wie dies zukünftig besser gelingen kann. Neben den Kommunikationskanälen sowie der Beschaffenheit und Qualität des zu vermittelnden Wissens hat auch das Format, in dem das Wissen vermittelt werden muss, eine zentrale Bedeutung. Hier zeigen die Ergebnisse, dass insbesondere Text- und Videoformate seitens der Befragten am häufigsten gefordert werden. Auch visuelle Formate wie Abbildungen und Bilder werden von der Hälfte der Befragten als relevant erachtet. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen der ARD/ZDF-Mediennutzungsstudie. Es lässt sich beobachten, dass in den letzten Jahren die Nutzung textformbasierter Medien erheblich zugenommen hat. Videoformate sind nach wie vor auf einem konstant hohen Niveau, welches jedoch anders als in der vorliegenden Studie über dem Wert der textformbasierten Medien liegt (Hess & Müller 2022: 417). Auch die Tatsache, dass ein Fünftel der Befragten auditive Formate wie Podcasts als gewünschtes Format benannt hat deckt sich mit der Tatsache, dass dieses Format für immer mehr Menschen zum Alltag zu gehören scheint (ebd.: 414). Auch hier bestehen Unterschiede hinsichtlich der Altersgruppen. So werden insbesondere Video- und Filmformate sowie Podcasts am häufigsten von der Gruppe der 18–19-Jährigen als Formate gewünscht, was mit steigendem Alter abnimmt. Textformate hingegen werden mit zunehmendem Alter häufiger als Formate gewünscht. Dies verdeutlicht erneut die Notwendigkeit einer Kombination verschiedener Formate, die es im Zuge einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation zu nutzen gilt. Die Ergebnisse bestätigen zudem, dass demographische Faktoren wie Alter oder Bildungsabschluss unterschiedliche Nutzungspräferenzen zur Folge haben (Oschatz 2018: 45f.; Bowater & Yeoman 2013: 123f.), die es im Sinne einer zielgruppenspezifischen Nachhaltigkeitskommunikation geographischen Wissens verstärkt zu beachten gilt. Die von den Befragten gewünschten Formate bestätigen die durch die Expert*innen mehrheitlich aufgeführten und als relevant erachteten Formate in diesem Zusammenhang. Erweiternd dazu betonen die Expert*innen die Bedeutung von Dokumentationen und Naturfilmen als zentrales Videoformat sowie auch den Wert neuer Formate wie Storytelling
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oder mündlicher Formate im Sinne von Diskussionen und Werkstattgesprächen. Diese Vielfalt an Formatmöglichkeiten gilt es zukünftig sinnvoll und ausgewogen einzusetzen, wenn geographisches Wissen gewinnbringend kommuniziert werden soll. Die grundsätzliche Vielfalt an Kanälen und Formaten, die sowohl durch Gesellschaft als auch Wissenschaft benannt wird, verdeutlicht einmal mehr den gegenwärtigen Trend einer zunehmenden gesellschaftlichen Mediatisierung einhergehend mit einer steigenden Differenzierung des Mediensystems (Moser 2019: 29). Neben diesen allgemeingültigen Faktoren einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation, die dementsprechend auch für den Transfer von geographischen Wissensund Denkweisen eine Gültigkeit besitzen, benennen die Expert*innen noch einige spezifische Besonderheiten der Geographie im Rahmen einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation. Hierzu zählen insbesondere die geographischen Gesellschaften als Organ der geographischen Öffentlichkeitsarbeit, welche im Kontext der zukünftigen Wissenskommunikation eine stärkere Rolle einnehmen sollten, ebenso wie die Zeitschrift der Geographischen Rundschau, die eine geeignete populärwissenschaftlich ausgerichtete Publikationsform darstellt, welche gleichzeitig alle relevanten wissenschaftlichen Standards erfüllt. Doch die Expert*innen kritisieren auch, dass sowohl die Gesellschaften ihren Wert nicht ausreichend ausnutzen sowie auch der Zeitschrift ein zu geringer Stellenwert im akademischen Belohnungssystem zuteilwird. Dies gilt es zukünftig zu ändern, wenn geographisches Wissen gewinnbringender in die breite Masse der Gesellschaft transferiert werden soll. Weitere Herausforderungen, die auch für eine allgemeine Nachhaltigkeitskommunikation aus der Wissenschaft heraus gelten, ist der Mangel an Zeit und Personal im Hinblick auf eine gute Kommunikation. Die Expert*innen fordern, dass mehr Stellen geschaffen werden müssen, um eine bessere Aufgabenverteilung vornehmen zu können, sodass dadurch mehr Zeit für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenskommunikation übrigbleibt, was dann auch eine stärkere Honorierung dieser Aufgabenbereiche möglich machen würde. Dieses Problem wird auch in der gegenwärtigen Forschungsliteratur erkannt und als zukünftig zu lösende Aufgabe gesehen (Moll & Schütz 2021: 14; Bowater & Yeoman 2013: 48f.). Ohne eine Überwindung dieser Barrieren erscheint es fragwürdig, ob eine gelungene Wissenschaftskommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation zukünftig gelingen wird. Insgesamt betrachtet können somit für einen gelungenen Transfer geographischen Wissens in die breite Masse der Gesellschaft hinein folgende Prämissen aufgestellt werden: •
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Eine gelungene Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen in die Gesellschaft erfordert eine multimediale Nutzung verschiedenster Kommunikationskanäle von Internet über Fernsehen bis hin zu sozialen Netzwerken, Podcasts und Printmedien. Eine gelungene Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen erfordert eine zielgruppenorientierte Wissensvermittlung, die sowohl Erklärungs- als auch Handlungswissen vermittelt unter Berücksichtigung alltagsweltlicher Bezüge und in einer verständlichen Sprache.
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Eine gelungene Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen erfordert die Nutzung verschiedenster Formate der Wissensvermittlung von Text, über Video- bis hin zu Bild- und Tonformaten. Die Geographie muss ihre fachspezifischen Stärken im Rahmen einer Nachhaltigkeitskommunikation wie die geographischen Gesellschaften als Vermittlungsinstanz sowie die Geographische Rundschau als gesellschaftsnahes Publikationsformat besser nutzen und diese Nutzung insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs stärker honorieren. Für eine verbesserte Nachhaltigkeitskommunikation benötigt es Veränderungen im Wissenschaftssystem hinsichtlich Publikationskultur, dem Stellenwert von Öffentlichkeitsarbeit sowie einer Beseitigung von Zeit- und Personalmangel
11 Abschließendes Fazit & Zukunftsperspektiven
11.1
Allgemeine Schlussfolgerungen
Die multiplen globalen Herausforderungen, Krisen sowie damit einhergehende Wandlungsprozesse in natürlichen und gesellschaftlichen Systemen sowie im gesamten Mensch-Umwelt-System Erde, denen die gegenwärtige Gesellschaft ausgesetzt ist, sind hochkomplex und aufgrund ihrer räumlichen und zeitlich schwer erfassbaren Wirksamkeit für ein Großteil der Gesellschaft kaum greifbar. Dies kann angesichts der hohen Vielfalt an Herausforderungen sowie immer neuer auftretender Krisen wie beispielsweise gegenwärtig der Coronapandemie oder dem Russland-Ukraine-Konflikt schnell zur Überforderung führen. Doch wenn nachfolgende Generationen ein Leben in Wohlstand und Glück auf dem Planeten führen wollen und im Sinne einer intragenerationellen Gerechtigkeit auch führen sollen, dann benötigt es ein Umdenken in der breiten Masse der Gesellschaft in Richtung einer nachhaltig orientierten Lebens- und Denkweise. Es bedarf einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft. Das Konzept der Nachhaltigkeit als Lösungsansatz ist hat sich in den letzten Jahren immer stärker sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene in den Köpfen der Menschen verankert, was sich insbesondere auch in einem stetig wachsenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung äußert. Doch gleichzeitig wird der Nachhaltigkeitsbegriff zunehmend inflationär und missbräuchlich verwendet und findet in zahlreichen vor allem ökonomisch geprägten Kontexten Anwendung, in denen seine ursprüngliche Bedeutung zunehmend verlorengeht. Aus diesem Grund halten vermehrt neue Begriffskonzeptionen allen voran die sozial-ökologische Transformation Einzug in wissenschaftliche und politische Debatten im Nachhaltigkeitskontext. Der Grundgedanke bleibt jedoch gleich: Es bedarf einer Veränderung und bestenfalls einer Transformation gesellschaftlichen Handelns, um die Stabilität der natürlichen Ökosysteme der Erde als Lebensgrundlage des Menschen zu gewährleisten, die Wahrung eines gewünschten gesellschaftlichen Lebensstandards und Wohlstands für alle Menschen der Erde gleichermaßen zu ermöglichen und um eine zukunftsfähige und gerechte Gesellschaft im Sinne nachfolgender Generation zu schaffen. Der übergeordnete Lösungsansatz für dieses Unterfangen mag als sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit bezeich-
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net werden, mit welcher die multiplen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gelöst werden könnten. Um eine konkrete Umsetzung dieses Vorhabens bewältigen zu können, wurden zahlreiche Nachhaltigkeitsstrategien und Zielsetzungen formuliert, die es zu erfüllen gilt. Mit der Agenda 2030 und ihren 17 SDGs liegt diesbezüglich die bis heute größte Nachhaltigkeitsstrategie mit einer globalen Gültigkeit vor. Doch wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, ist der Umsetzungsstand der Strategie auch nach der Hälfte der Laufzeit nach wie vor als mangelhaft und unzureichend einzustufen. Ein Großteil der Ziele insbesondere im Hinblick auf die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit ist bisher nicht ansatzweise erfüllt worden. Auch global führende Industrienationen wie Deutschland erfüllen ihre Rolle in diesem Kontext bisher zu wenig. Der Zivilgesellschaft, die hier als ein zentraler Akteur der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen betrachtet wird, kommt aufgrund ihrer großen Masse eine besondere Bedeutung zu. Gesellschaftliches Handeln hat in allen Lebensbereichen von Arbeit und Mobilität über Konsum bis hin zu gesellschaftlicher und politischer Teilhabe Auswirkungen auf das Weltgeschehen und spielt dementsprechend auch für die Umsetzung von konkreten Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs eine wichtige Rolle. Um besser handeln zu können, benötigt es jedoch zuallererst Wissen. Doch umweltpsychologische Studien haben mit der bekannten Knowledge-Action-Gap gezeigt, dass es zahlreiche Einflussfaktoren zu beachten gilt, die trotz eines vorhandenen Wissens ein Handeln in Richtung Nachhaltigkeit hemmen oder ganz verhindern können. Diese Hindernisse liegen dabei sowohl auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene (z.B. zeitliche, räumliche & soziale Distanz) sowie auch auf individueller Ebene (z.B. Kosten/ Nutzen-Überzeugungen, Handlungskontrolle, Gewohnheiten) vor. Im Zuge einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs sollte es also zukünftig vermehrt darum gehen, wie diese Diskrepanz gelöst werden kann. Erste Erkenntnisse zeigen, dass es insbesondere die Vermittlung eines Konglomerats an unterschiedlichen Wissensarten von einem Erklärungs- und Systemwissen als epistemologische Basis über ein Orientierungswissen bis hin zu einem konkreten Handlungswissen ist, die hier als gewinnbringend betrachtet werden kann. Denn auch wenn Wissen scheinbar nicht zu direktem Handeln führt, ist es dennoch in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts eine zentrale Ressource und weist eine enorme Wirkkraft und Bedeutung auch im Hinblick auf Macht- und Entwicklungsfragen auf. Abseits von politischen und ökonomischen Handlungen hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass auch in der Zivilgesellschaft Wissen eine hohe Bedeutung in allen Lebensbereichen beigemessen wird, ebenso wie für den gesamten Nachhaltigkeitskontext. Wissen ist dabei als ein äußerst komplexes Konstrukt zu betrachten, für das es keine einheitliche Definition zu geben scheint. Vielmehr sind es subjektive Verständnisse von Wissen, die sich je nach Anwendungskontext stark unterscheiden können, die es jedoch im Sinne einer gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation zu beachten gilt. Aus gesellschaftlicher Perspektive sind im Zusammenhang mit nachhaltigem Handeln dabei alle Wissensarten gleichermaßen handlungsrelevant, ob es sich um Wissen über Fakten & Zusammenhänge handelt oder aber um Wissen über Folgen für das eigene Leben sowie Lösungs- und Handlungsansätze. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass der allgemeine Wissensstand zu den wichtigsten Themen der Nachhaltigkeitsdebatte insgesamt als zu gering eingestuft werden muss. So sind es vor allem Themen der sozialen Dimen-
11 Abschließendes Fazit & Zukunftsperspektiven
sion wie Stadtentwicklung, globale Zusammenarbeit, Trinkwasserversorgung oder aber auch Fragen nach Armut und sozialer Ungleichheit, bei denen seitens der Bevölkerung ein geringer Nachhaltigkeitsbezug sowie auch ein allgemein geringer Wissensstand zu sehen ist. Gleichzeitig besteht auch ein hoher Bedarf nach Wissen für die Themenbereiche der Nachhaltigkeit. Hervorzuheben sind hier Themen wie Trinkwasser- und Energieversorgung, Wandel von Landnutzung sowie Lebensmittelverschwendung, für die aus gesellschaftlicher Sicht ein hoher Wissensbedarf besteht. Auf einer konkreten Handlungsebene sind es vor allem die Bereiche Ernährung, Freizeitverhalten sowie Konsum in denen die Bevölkerung einen hohen Wissensbedarf sieht. Hier muss zukünftig stärker Wissen in die breite Masse der Gesellschaft vermittelt werden, wenn die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsziele im Sinne der angestrebten sozial-ökologischen Transformation verbessert werden soll. Es zeigte sich aber auch ein Defizit hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung von Nachhaltigkeit für Lebensbereiche wie der Wahl des Arbeitgebers, aber auch politischer und sozialer Teilhabe. In diesem Zusammenhang gilt es, zukünftig ebenso verstärkt Wissen und Handlungsoptionen bereitzustellen, um auch diese Bereiche stärker in den Nachhaltigkeitskontext einzubinden. Durch die vorliegende Erhebung konnte bereits in ersten Ansätzen gezeigt werden, dass es unter anderem das Fach der Geographie ist, welches diese Aufgabe gut erfüllen kann. Die Geographie als Wissenschaftsdisziplin zeichnet sich durch ihr Weltbild aus, welches eine ganzheitliche Sichtweise auf die Erde ermöglicht. Dabei werden die globalen Prozesse der Erde immer auf einer systemischen, multiperspektivischen Sichtweise unter Berücksichtigung von Raum, Maßstab und Zeit betrachtet und analysiert. Eine solche Denkweise ist im Zusammenhang mit den komplexen Nachhaltigkeitsthemen und deren Lösung unabdingbar. Dabei lässt sich geographisches Wissen wie durch die vorliegende Erhebung gezeigt werden konnte als ein hybrides Wissen charakterisieren, welches räumliche, vernetzende und gesellschaftsrelevante Wissensbestände in sich vereint. Geographische Wissens- und Denkweisen spielen im Zuge der erforderlichen sozial-ökologischen Transformation aus diesem Grund eine zentrale Rolle, die bisher sowohl in medialen und politischen Debatten als auch in der breiten Masse der Gesellschaft zu wenig wahrgenommen wurde. Aus diesem Grund gilt es, den besonderen Wert der Geographie in diesem Zusammenhang stärker herauszustellen. Die Geographie ist dabei aufgrund ihrer hohen thematischen Passung mit den allgemeinen Themen der Nachhaltigkeitsdebatte sowie auch spezifischen Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs der Agenda 2030 dafür prädestiniert, das erforderliche Wissen für ein verbessertes nachhaltiges Handeln in der Zivilgesellschaft bereitzustellen. Geographische Wissens- und Denkweisen können aufgrund ihres ganzheitlichen Charakters, ihrer thematischen Passung sowie ihrer gesellschaftlichen Relevanz verstärkt dazu beitragen, globale Problemstellungen sowie damit einhergehende Lösungsansätze wie die SDGs besser zu verstehen, kritisch zu reflektieren sowie Handlungsmöglichkeiten umzusetzen, um somit langfristig eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft schneller herbeizuführen. Eine weitere relevante Besonderheit ist hier der interdisziplinäre Charakter geographischer Wissens- und Denkweisen, welche durch die Offenheit des Faches den Einbezug verschiedenster Wissensbestände aus unterschiedlichen Bereichen ermöglicht und somit immer direkt ein Wissenskonglomerat beinhaltet, welches im Zusammenhang mit einem verbesserten nachhaltigen
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Handeln notwendig ist. Dass geographische Wissens- und Denkweisen, sofern sie in der Bevölkerung vorhanden sind, einen positiven Einfluss auf den Wissensstand und somit langfristig das Verständnis nachhaltigkeitsbezogener Themen haben können, konnte im Zuge der hier durchgeführten Erhebungen in ersten Ansätzen empirisch nachgewiesen werden. Die Geographie ist dabei in der Lage, die in der Bevölkerung vorhandenen Wissenslücken und -bedarfe zu füllen, in dem sie Wissen alltagsnah, praxisbezogen und in einer verständlichen Sprache kommunizieren kann und somit im besten Fall vermehrt nachhaltige Handlungen fördert, die zu einer besseren zivilgesellschaftlichen Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs beitragen können. Dabei hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass eine gelungene Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen nur funktioniert, wenn sie multimedial, formdifferenziert und zielgruppenspezifisch erfolgt. Insbesondere außerhalb von Bildungsinstitutionen ist eine solche gelungene Nachhaltigkeitskommunikation essenziell wichtig, um die breite Masse der Gesellschaft zu erreichen, was für eine schnellere sozial-ökologische Transformation, welche angesichts der sich zuspitzenden multiplen Krisen des 21, Jahrhunderts unabdingbar geworden ist, zukünftig zwingend notwendig sein wird. Die Rolle der Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation besteht somit insbesondere darin, Wissen für die breite Masse der Gesellschaft bereitzustellen, um das Verständnis der komplexen Zusammenhänge der sozial-ökologischen Transformation aber eben auch von spezifischen Nachhaltigkeitszielen wie den SDGS und deren Implikationen zu verbessern.
Abbildung 65: Allgemeine Schlussfolgerungen
Eigene Darstellung
11 Abschließendes Fazit & Zukunftsperspektiven
Die holistische und systemische Denkweise der Geographie, die hohe Passung und gesellschaftliche Relevanz ihrer Inhalte sowie ihre Fähigkeit, komplexe Inhalte breitenwirksam zu kommunizieren, sind die Hauptursachen für ihren hohen Wert in diesem Zusammenhang. Darüber hinaus kann die Geographie im Kontext der SDGs durch eigene Forschungen, die Fähigkeit der kritischen Perspektivübernahme sowie ihre gute Vermittlungsfähigkeit zur zukünftigen verbesserten Umsetzung der SDGs sowie auch zur Problemlösung der Strategieinhärenten Konflikte einen guten Beitrag leisten. Diesen Wert und die hier genannten Besonderheiten der Geographie gilt es, in zukünftige politische und gesellschaftliche Debatten hinsichtlich einer sozial-ökologischen Transformation stärker einzubinden als dies bisher der Fall war. Dies ermöglicht neue Perspektiven und Denkweisen und könnte somit langfristig zu einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs beitragen. Abbildung 70 zeigt zusammenfassend die Gedankengänge, Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen, die im Zuge dieser Arbeit vollzogen worden sind.
11.2 Handlungsempfehlungen Aus diesen allgemeinen Schlussfolgerungen resultieren einige Handlungsempfehlungen, die es zukünftig zu beachten gilt, damit der im Zuge der vorliegenden Forschung eruierte hohe Wert der Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation einerseits sowie für eine verbesserte Umsetzung der SDGs auf der spezifischen Ebene andererseits gewinnbringend angewendet werden kann. Dabei lassen sich für die Geographie fünf zentrale Aufgaben ableiten: I. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt Nachhaltigkeit als das übergeordnete Schlüsselkonzept geographischer Wissens- und Denkweisen herausstellen und sich dementsprechend positionieren (z.B. in Form von Publikationen, in Studienordnungen, im Internetauftritt etc.) II. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt gesellschaftsrelevantes Wissen bereitstellen für ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge und Konflikte, die eine sozial-ökologische Transformation bedingen sowie im Kontext einer verbesserten Umsetzung der SDGs der Agenda 2030 (z.B. durch eine stärkere Herausstellung von Alltagsbezügen in Forschungen sowie populärwissenschaftlichen Publikationen) III. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten dabei die hohe thematische Passung geographischer und nachhaltigkeitsbezogener Inhalte stärker herausstellen, indem sie relevantes Wissen zu allen Themenbereichen der SDGs bereitstellen. Dabei sollte insbesondere Wissen bezüglich Themen der sozialen Nachhaltigkeitsdimension eine stärkere Beachtung finden, ebenso wie raumbezogene Perspektiven, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden sind und auch in der breiten Masse der Bevölkerung kaum bekannt sind (z.B. Stadtentwicklung, globale Zusammenarbeit, Trinkwasserversorgung, Armut und soziale Ungleichheit) IV. Die Geographie und Ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt ein solches hybrides Wissen auch außerhalb von Bildungsinstitutionen in die breite Masse der
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Die holistische und systemische Denkweise der Geographie, die hohe Passung und gesellschaftliche Relevanz ihrer Inhalte sowie ihre Fähigkeit, komplexe Inhalte breitenwirksam zu kommunizieren, sind die Hauptursachen für ihren hohen Wert in diesem Zusammenhang. Darüber hinaus kann die Geographie im Kontext der SDGs durch eigene Forschungen, die Fähigkeit der kritischen Perspektivübernahme sowie ihre gute Vermittlungsfähigkeit zur zukünftigen verbesserten Umsetzung der SDGs sowie auch zur Problemlösung der Strategieinhärenten Konflikte einen guten Beitrag leisten. Diesen Wert und die hier genannten Besonderheiten der Geographie gilt es, in zukünftige politische und gesellschaftliche Debatten hinsichtlich einer sozial-ökologischen Transformation stärker einzubinden als dies bisher der Fall war. Dies ermöglicht neue Perspektiven und Denkweisen und könnte somit langfristig zu einer verbesserten Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen wie den SDGs beitragen. Abbildung 70 zeigt zusammenfassend die Gedankengänge, Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen, die im Zuge dieser Arbeit vollzogen worden sind.
11.2 Handlungsempfehlungen Aus diesen allgemeinen Schlussfolgerungen resultieren einige Handlungsempfehlungen, die es zukünftig zu beachten gilt, damit der im Zuge der vorliegenden Forschung eruierte hohe Wert der Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation einerseits sowie für eine verbesserte Umsetzung der SDGs auf der spezifischen Ebene andererseits gewinnbringend angewendet werden kann. Dabei lassen sich für die Geographie fünf zentrale Aufgaben ableiten: I. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt Nachhaltigkeit als das übergeordnete Schlüsselkonzept geographischer Wissens- und Denkweisen herausstellen und sich dementsprechend positionieren (z.B. in Form von Publikationen, in Studienordnungen, im Internetauftritt etc.) II. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt gesellschaftsrelevantes Wissen bereitstellen für ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge und Konflikte, die eine sozial-ökologische Transformation bedingen sowie im Kontext einer verbesserten Umsetzung der SDGs der Agenda 2030 (z.B. durch eine stärkere Herausstellung von Alltagsbezügen in Forschungen sowie populärwissenschaftlichen Publikationen) III. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten dabei die hohe thematische Passung geographischer und nachhaltigkeitsbezogener Inhalte stärker herausstellen, indem sie relevantes Wissen zu allen Themenbereichen der SDGs bereitstellen. Dabei sollte insbesondere Wissen bezüglich Themen der sozialen Nachhaltigkeitsdimension eine stärkere Beachtung finden, ebenso wie raumbezogene Perspektiven, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden sind und auch in der breiten Masse der Bevölkerung kaum bekannt sind (z.B. Stadtentwicklung, globale Zusammenarbeit, Trinkwasserversorgung, Armut und soziale Ungleichheit) IV. Die Geographie und Ihre Vertreter*innen sollten zukünftig verstärkt ein solches hybrides Wissen auch außerhalb von Bildungsinstitutionen in die breite Masse der
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Gesellschaft kommunizieren. Dies sollte bedarfsorientiert, zielgruppenspezifisch und in einer alltagsnahen Sprache unter Berücksichtigung aller Kommunikationskanäle und Formate erfolgen. (z.B. durch populärwissenschaftliche Publikationen, durch Fernsehbeiträge & via Social Media) V. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten sich zukünftig verstärkt um eine höhere Öffentlichkeitspräsenz des Faches bemühen, um die Wahrnehmung des hohen Wertes geographischer Wissens- und Denkweisen sowohl in wissenschaftlichen und politischen Debatten als auch insbesondere in der breiten Masse der Bevölkerung zu steigern. Hierzu bedarf es sowohl einer stärkeren Lobbyarbeit als auch einer stärkeren Honorierung populärwissenschaftlicher Publikationen und gesellschaftsbezogener Wissenskommunikation im akademischen System insbesondere für Nachwuchswissenschaftler*innen. (z.B. durch eine Stärkung der Zusammen- und Mitarbeit mit geographischen Gesellschaften sowie einer stärkeren Honorierung von Beiträgen in Publikationsorganen wie der Geographischen Rundschau) Die hier genannten Beispiele sind lediglich exemplarisch und können beliebig erweitert werden. Die Geographie sollte zukünftig dementsprechend eine stärkere Vermittlerfunktion zwischen Wissenschaft und Praxis einnehmen. Dabei sei hier noch einmal betont, dass es nicht darum gehen soll, Geographie als einzig wichtigen Akteur in diesem Kontext herauszustellen. Es geht darum, den Wert geographischer Wissens- und Denkweisen, wie er hier aufgezeigt wurde, zu betonen und einen stärkeren Beitrag für eine sozial-ökologische Transformation zu leisten, als es bisher der Fall war. Dass damit große Herausforderungen einhergehen, wie beispielsweise der vorherrschende Personal- und Zeitmangel im Hochschulsystem, ist offensichtlich. Dennoch zeigen die aktuellen Zahlen und Prognosen, dass es mehr Handlung benötigt, wenn die SDGs und somit letzten Endes die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit erreicht werden sollen. Hier kann und sollte die Geographie mit ihren Fähigkeiten ansetzen und einen großen Beitrag leisten. Dieser Beitrag umfasst neben einer breitenwirksamen Kommunikation auch weiterführende Forschungen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung der SDGs sowie eine allgemein stärkere Einbindung einer kritischen geographischen Perspektive in nachhaltigkeitsbezogene Debatten und Prozesse.
10.3 Zukunftsperspektiven Die hier gewonnenen Erkenntnisse bedürfen zukünftig weiterer vertiefender Forschungen. Zunächst gilt es, den Begriff des geographischen Wissens hinsichtlich seiner Definition weiter zu schärfen. Hier bietet es sich an, groß angelegte Befragungen weiterer Geographieexpert*innen durchzuführen. Dabei sollten sowohl Expert*innen aus dem didaktischen Bereich einbezogen werden als auch geographische Akteur*innen aus der Praxis. Auch die Berücksichtigung einer internationalen geographischen Perspektive aus anderen Ländern ist hier denkbar und sicherlich gewinnbringend. Eine Schärfung des Begriffs würde dafür sorgen, dass sowohl der Kern des Faches, der nach wie vor häufig als unklar kritisiert wird, als auch der Wert geographischer Wissens- und
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Gesellschaft kommunizieren. Dies sollte bedarfsorientiert, zielgruppenspezifisch und in einer alltagsnahen Sprache unter Berücksichtigung aller Kommunikationskanäle und Formate erfolgen. (z.B. durch populärwissenschaftliche Publikationen, durch Fernsehbeiträge & via Social Media) V. Die Geographie und ihre Vertreter*innen sollten sich zukünftig verstärkt um eine höhere Öffentlichkeitspräsenz des Faches bemühen, um die Wahrnehmung des hohen Wertes geographischer Wissens- und Denkweisen sowohl in wissenschaftlichen und politischen Debatten als auch insbesondere in der breiten Masse der Bevölkerung zu steigern. Hierzu bedarf es sowohl einer stärkeren Lobbyarbeit als auch einer stärkeren Honorierung populärwissenschaftlicher Publikationen und gesellschaftsbezogener Wissenskommunikation im akademischen System insbesondere für Nachwuchswissenschaftler*innen. (z.B. durch eine Stärkung der Zusammen- und Mitarbeit mit geographischen Gesellschaften sowie einer stärkeren Honorierung von Beiträgen in Publikationsorganen wie der Geographischen Rundschau) Die hier genannten Beispiele sind lediglich exemplarisch und können beliebig erweitert werden. Die Geographie sollte zukünftig dementsprechend eine stärkere Vermittlerfunktion zwischen Wissenschaft und Praxis einnehmen. Dabei sei hier noch einmal betont, dass es nicht darum gehen soll, Geographie als einzig wichtigen Akteur in diesem Kontext herauszustellen. Es geht darum, den Wert geographischer Wissens- und Denkweisen, wie er hier aufgezeigt wurde, zu betonen und einen stärkeren Beitrag für eine sozial-ökologische Transformation zu leisten, als es bisher der Fall war. Dass damit große Herausforderungen einhergehen, wie beispielsweise der vorherrschende Personal- und Zeitmangel im Hochschulsystem, ist offensichtlich. Dennoch zeigen die aktuellen Zahlen und Prognosen, dass es mehr Handlung benötigt, wenn die SDGs und somit letzten Endes die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit erreicht werden sollen. Hier kann und sollte die Geographie mit ihren Fähigkeiten ansetzen und einen großen Beitrag leisten. Dieser Beitrag umfasst neben einer breitenwirksamen Kommunikation auch weiterführende Forschungen im Hinblick auf eine verbesserte Umsetzung der SDGs sowie eine allgemein stärkere Einbindung einer kritischen geographischen Perspektive in nachhaltigkeitsbezogene Debatten und Prozesse.
10.3 Zukunftsperspektiven Die hier gewonnenen Erkenntnisse bedürfen zukünftig weiterer vertiefender Forschungen. Zunächst gilt es, den Begriff des geographischen Wissens hinsichtlich seiner Definition weiter zu schärfen. Hier bietet es sich an, groß angelegte Befragungen weiterer Geographieexpert*innen durchzuführen. Dabei sollten sowohl Expert*innen aus dem didaktischen Bereich einbezogen werden als auch geographische Akteur*innen aus der Praxis. Auch die Berücksichtigung einer internationalen geographischen Perspektive aus anderen Ländern ist hier denkbar und sicherlich gewinnbringend. Eine Schärfung des Begriffs würde dafür sorgen, dass sowohl der Kern des Faches, der nach wie vor häufig als unklar kritisiert wird, als auch der Wert geographischer Wissens- und
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Denkweisen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation deutlicher gemacht und somit letzten Endes auch die gesamte Wahrnehmung verbessert werden könnten. Darüber hinaus bedarf es weiterer Forschungen hinsichtlich des Wissensstandes sowie von Wissensbedarfen seitens der Zivilgesellschaft. Hier sollte es zukünftig darum gehen, auf einer detaillierteren inhaltlichen sowie individuellen Ebene zu erfassen, wo genau die Wissenslücken liegen und welche Inhalte konkret benötigt und gefordert werden, um ein vermehrtes Handeln im Nachhaltigkeitskontext und insbesondere im Hinblick auf die zukünftige Umsetzung der SDGs herbeizuführen. Dabei sollte ein Fokus auf die zentralen gesellschaftlichen Handlungsbereiche gelegt werden, wie sie in dieser Arbeit beschrieben wurden, denn eine detaillierte Untersuchung hinsichtlich der übergeordneten Themen ist aufgrund der Vielfalt und Komplexität nur schwer realisierbar. Neben konkreten Inhalten sollte auch ein Schwerpunkt auf die zu vermittelnden Arten des Wissens gelegt werden, ebenso wie auf zielgruppenspezifische Unterschiede hinsichtlich demographischer Merkmale, da die vorliegenden Ergebnisse gezeigt haben, dass hier durchaus Unterschiede festzustellen sind. Auch raumbezogene Differenzen hinsichtlich des Wissensstandes und Wissensbedarfes beispielsweise auf der internationalen Ebene zwischen verschiedenen Industrienationen aber auch im globalen Vergleich sollten zukünftig in diesem Zusammenhang erforscht werden, da diese wichtige Erkenntnisse liefern könnten und auch gleichzeitig Aspekte von Umweltgerechtigkeit und Disparitäten hinsichtlich des Wissenszugangs berücksichtigen würden. Ferner ist auch eine vertiefte Forschung bezüglich der allgemeinen Wirksamkeit von Wissenskonglomeraten im Hinblick auf nachhaltiges Handeln essenziell wichtig, da diesbezüglich bisher kaum Erkenntnisse vorliegen, die vorliegenden Ergebnisse jedoch gezeigt haben, dass sowohl aus wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Perspektive ebendiesen eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Darüber hinaus sollten auch weitere Untersuchungen hinsichtlich der Formate, in denen das Wissen vermittelt werden soll, durchgeführt werden, insbesondere im Hinblick auf die tatsächliche Wirksamkeit unterschiedlicher Vermittlungsformate (z.B. Text, Bild, Video, Podcast etc.). In diesem Zusammenhang gilt es, einen verstärkten Fokus auf die Aufstellung von Lösungsansätzen hinsichtlich der Knowledge-Action-Gap und der damit einhergehenden Barrieren für nachhaltiges Handeln zu legen. Ohne einen Einbezug der in dieser Arbeit skizzierten gesamtgesellschaftlichen sowie individuellen Handlungshemmnisse, wird ein Wissenstransfer, der zu tatsächlichen transformationsfördernden Handlungsweisen beitragen soll, nicht flächendeckend gelingen. Am wichtigsten ist es jedoch, sich verstärkt mit dem Einfluss geographischer Wissens- und Denkweisen im Kontext zivilgesellschaftlichen Handelns in Punkto Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Der hier gezeigte Einfluss bereits vorhandenen geographischen Wissens muss vertieft beforscht werden, um seine tatsächliche Wirkung herausstellen zu können. Ebenso sollte es darum gehen, zu erfassen, welche geographischen Denkweisen und Schlüsselkonzepte den höchsten Einfluss haben und wie beziehungsweise in welchem Ausmaß der Einfluss konkreten geographischen Wissens sich auf das gesellschaftliche Denken und Handeln auswirken kann. Hierzu sind Langzeitstudien notwendig, bei denen ein geographischer Wissensinput gegeben wird, dessen Einfluss dann zu späteren Zeitpunkten gemessen werden kann. Dabei sollten ebenfalls auch sozio-demographische Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht und Bil-
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dungsabschluss berücksichtigt werden, da die vorliegenden Ergebnisse gezeigt haben, dass hier auch zielgruppenspezifische Unterschiede zu erwarten sind. Das Aufzeigen konkreter positiver Einflüsse geographischer Wissens- und Denkweisen im Kontext der sozial-ökologischen Transformation, wie sie hier in ersten Ansätzen nachgewiesen wurden, würde den Wert des Faches stützen, eine stärkere Berücksichtigung der so wichtigen geographischen Perspektive in Nachhaltigkeitsdebatten forcieren und letzten Endes eine verbesserte Umsetzung spezifischer Nachhaltigkeitsziele wie den SDGs im Sinne einer Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit fördern, insbesondere auf der Ebene zivilgesellschaftlicher Handlungen. An dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass im Zusammenhang mit der Bereitstellung und Vermittlung von Wissen für eine sozial-ökologische Transformation dem gesamten Bildungssektor eine tragende Rolle zukommt. Insbesondere im Hinblick auf die jungen Generationen im schulischen Kontext stellt hier die bereits erwähnte BNE ein bereits ausgearbeitetes und passendes Konzept dar, welches in der Lage ist sowohl geographisches als auch allgemein nachhaltigkeitsrelevantes Wissen zu vermitteln und letzten Endes nachhaltiges Handeln zu fördern. Eine stärkere Verankerung und grundlegende Ausrichtung von Bildungsinhalten auf BNE im schulischen Bereich sollte somit zumindest für die nachfolgenden Generationen als eine aussichtsreiche Perspektive betrachtet werden. Wie zu Beginn herausgestellt, fokussieren sich die vorliegenden Überlegungen und Erkenntnisse jedoch auf den gesellschaftlichen Bereich außerhalb von Bildungsinstitutionen, sodass hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll und kann. In letzterem Kontext sind dafür jedoch die in der vorliegenden Untersuchung festgestellten Hemmnisse bezüglich einer gelungenen Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen zu berücksichtigen. Die seitens der Expert*innen mehrfach betonten Schwierigkeiten wie Personal- und Zeitmangel in Kombination mit einer bisher fehlenden Honorierung von populärwissenschaftlichen Publikationen sowie einer stärkeren Öffentlichkeitsarbeit insbesondere im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Nachwuchsförderung, stellen erhebliche Barrieren im Hinblick auf eine gewinnbringende Wissenskommunikation dar. Dies muss in zukünftigen Forschungen berücksichtigt werden, damit der hier aufgezeigte Wert geographischer Wissens- und Denkweisen nicht nur auf einer theoretischen Ebene verbleibt, sondern eben insbesondere auch auf der praktischen Ebene tatsächlich einen Einfluss auf zivilgesellschaftliches Handeln im Kontext der sozial-ökologischen Transformation ausüben kann. Resümierend lässt sich demnach sagen, dass die vorliegenden Ergebnisse gezeigt haben, dass Wissen im Nachhaltigkeitskontext nach wie vor eine hohe Bedeutung einnimmt, die trotz der vielen weiteren Einflussfaktoren, welche im Rahmen der Knowledge-Action-Gap zu berücksichtigen sind, nicht außer Acht gelassen werden sollte. Wissen nimmt insbesondere in der breiten Masse der Bevölkerung einen hohen Stellenwert in allen Lebensbereichen ein und wird vor allem für den Nachhaltigkeitskontext sowohl aus Sicht der Wissenschaft als auch der Gesellschaft nach wie vor als essenziell bedeutsam angesehen. Wie sich gezeigt hat, ist der allgemeine Wissensstand der Bevölkerung hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Themenstellungen nach wie vor unzureichend und es besteht gleichzeitig ein Bedarf nach mehr Wissen in diesem Zusammenhang. Dies gilt im Gesamtdurchschnitt für alle Dimensionen der Nachhaltigkeit, doch insbesondere im Hinblick auf die soziale Dimension scheinen hier
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die größten Wissenslücken und Bedarfe zu bestehen. Dabei geht es zukünftig nicht nur darum, ein handlungsorientiertes Wissen zu vermitteln, denn es hat sich gezeigt, dass es insbesondere die Kombination verschiedener Wissensarten ist, die sowohl aus der wissenschaftlichen Perspektive als auch nach Ansicht der Gesellschaft am gewinnbringendsten zu sein scheint. Hier kommt der Geographie im Allgemeinen sowie insbesondere geographischen Wissens- und Denkweisen eine große Rolle zu, denn es handelt sich dabei um ein hybrides Wissen, welches essenzielle Denkweisen wie Ganzheitlichkeit, systemische Vernetzung, Interdisziplinarität sowie Multiperspektivität beinhaltet und dabei gleichzeitig auch eine Raumsensibilität fördert. Geographisches Wissen und Inhalte zeichnen sich ferner durch ihre hohe inhaltliche Überschneidung im Nachhaltigkeitskontext aus gepaart mit einer hohen gesellschaftlichen Relevanz und Alltagsnähe. Aus diesem Grund muss ein solches Wissen zukünftig stärker in die breite Masse der Gesellschaft transferiert werden, insbesondere auch außerhalb von Bildungsinstitutionen. Eine zielgruppenspezifische, multimediale und formdifferenzierte Kommunikation geographischer Wissens- und Denkweisen könnte so langfristig zu einer verbesserten Umsetzung der SDGs als gegenwärtig wichtigste Nachhaltigkeitsziele beitragen und letzten Endes somit die gewünschte sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit fördern und beschleunigen. Der Geographie kommt in diesem Kontext neben der klassischen Rolle als relevante Forschungsdisziplin somit insbesondere eine Vermittlerrolle zu, die die Brücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und zivilgesellschaftlichem Handeln schlagen kann, was im Hinblick auf die zukünftige sozial-ökologische Transformation als essenziell betrachtet werden muss.
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13. Anhang
13.1 Interviewleitfaden Experteninterviews Block I: Wissen Allgemein • Was bedeutet Wissen im Allgemeinen für Sie? • Welche Formen von Wissen gibt es aus Ihrer Sicht und wie unterscheiden Sie sich? • Wie bewerten sie die Relevanz von Wissen im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft/nachhaltiges Handeln? Block II: Geographie & Geographisches Wissen • Was ist Geographie aus Ihrer Sicht? Was macht die Geographie besonders?/Was zeichnet sie aus? • Gibt es ein spezifisch geographisches Wissen? Wenn ja, wie lässt es sich charakterisieren? • Gibt es verschieden Formen des Wissens, die die Geographie bieten kann? • Welche Rolle spielt die Geographie als Wissenschaftsdisziplin für die Gesellschaft? Block III: Geographie im Kontext der sozial-ökologischen Transformation • Welche Rolle spielt die Geographie bzw. sollte die Geographie im Kontext des sozialökologischen Wandels einnehmen? Welche Bedeutung kommt ihr dabei zu? • Welches geographische Wissen konkret ist im Kontext von Nachhaltigkeit/des sozial-ökologischen Wandels aus ihrer Sicht relevant? • Kennen Sie die SDGs der Agenda 2030? Wenn ja, welches (geographische) Wissen glauben Sie ist im Kontext der Umsetzung der SDGs relevant/hilfreich? Kann die Geographie einen Beitrag zur Umsetzung dieser Ziele leisten? Block IV: Möglichkeiten des Wissenstransfers • (Wie) kann (geographisches) Wissen aus universitärer Forschung gewinnbringend in die breite Masse der Gesellschaft gebracht werden außerhalb von Bildungsinstitutionen? • In welcher Form kann/sollte ein solches (geographisches) Wissen festgehalten/vermittelt werden?
480
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
•
•
Was sind relevante zentrale Themen des 21. Jahrhunderts für die breite Masse der Gesellschaft im Kontext des sozial-ökologischen Wandels zu denen die Geographie Wissen bereitstellen kann, welche in der Öffentlichkeit bisher zu wenig thematisiert worden sind? Kann (geographisches) Wissen auch durch Kanäle des informellen Lernens und durch Social Media zugänglich gemacht werden?
13.2 Kategorienhandbuch Auswertung Experteninterviews
Tabelle 36: Hauptkategorien der Interviewauswertung Thematische Hauptkategorie
Definition
Definition von Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche zum Wissensbegriff
Arten von Wissen
Umfasst alle Arten und Formen von Wissen
Bedeutung von Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aussagen bezüglich der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Definition Geographie
Umfasst alle Definitionsversuche für die Disziplin der Geographie
Besonderheiten Geographie
Umfasst alle Besonderheiten, welche die Geographie im Vergleich zu anderen Wissenschaftsdisziplinen aufweist
Existenz geographisches Wissen
Umfasst alle Meinungen zur Frage nach der Existenz eines spezifisch geographischen Wissensbegriffs
Definition geographisches Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche des Begriffs »geographisches Wissen«
Bedeutung Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Inhalte, die sich auf die Bedeutung der Geographie als Disziplin für den Nachhaltigkeitskontext beziehen
Probleme & Herausforderungen der Geographie
Umfasst alle gegenwärtigen Probleme & Herausforderungen der Disziplin Geographie sowohl allgemein als auch bezogen auf den Nachhaltigkeitskontext
Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Formen und Inhalte geographischen Wissens, die für den Nachhaltigkeitskontext eine Rolle spielen
Aufgaben der Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aufgaben, die der Geographie im Nachhaltigkeitskontext zugeschrieben werden
Geographie in der Gesellschaft
Umfasst alle Aussagen, die sich auf die Bedeutung & Wahrnehmung der Geographie innerhalb der Gesellschaft beziehen
Beitrag der Geographie zu den SDGs
Umfasst alle potenziellen Beiträge, welche die Geographie zur Umsetzung der SDGs leisten kann und/oder sollte
Geographie & Zukunftsthemen
Umfasst alle genannten Themen des 21. Jahrhunderts, die bisher noch eine zu geringe Rolle in der Gesellschaft spielen, aber zukünftig verstärkt behandelt werden sollten und zu denen die Geographie einen Beitrag leisten kann
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
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Was sind relevante zentrale Themen des 21. Jahrhunderts für die breite Masse der Gesellschaft im Kontext des sozial-ökologischen Wandels zu denen die Geographie Wissen bereitstellen kann, welche in der Öffentlichkeit bisher zu wenig thematisiert worden sind? Kann (geographisches) Wissen auch durch Kanäle des informellen Lernens und durch Social Media zugänglich gemacht werden?
13.2 Kategorienhandbuch Auswertung Experteninterviews
Tabelle 36: Hauptkategorien der Interviewauswertung Thematische Hauptkategorie
Definition
Definition von Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche zum Wissensbegriff
Arten von Wissen
Umfasst alle Arten und Formen von Wissen
Bedeutung von Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aussagen bezüglich der Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
Definition Geographie
Umfasst alle Definitionsversuche für die Disziplin der Geographie
Besonderheiten Geographie
Umfasst alle Besonderheiten, welche die Geographie im Vergleich zu anderen Wissenschaftsdisziplinen aufweist
Existenz geographisches Wissen
Umfasst alle Meinungen zur Frage nach der Existenz eines spezifisch geographischen Wissensbegriffs
Definition geographisches Wissen
Umfasst alle Definitionsversuche des Begriffs »geographisches Wissen«
Bedeutung Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Inhalte, die sich auf die Bedeutung der Geographie als Disziplin für den Nachhaltigkeitskontext beziehen
Probleme & Herausforderungen der Geographie
Umfasst alle gegenwärtigen Probleme & Herausforderungen der Disziplin Geographie sowohl allgemein als auch bezogen auf den Nachhaltigkeitskontext
Geographisches Wissen für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Formen und Inhalte geographischen Wissens, die für den Nachhaltigkeitskontext eine Rolle spielen
Aufgaben der Geographie für Nachhaltigkeit
Umfasst alle Aufgaben, die der Geographie im Nachhaltigkeitskontext zugeschrieben werden
Geographie in der Gesellschaft
Umfasst alle Aussagen, die sich auf die Bedeutung & Wahrnehmung der Geographie innerhalb der Gesellschaft beziehen
Beitrag der Geographie zu den SDGs
Umfasst alle potenziellen Beiträge, welche die Geographie zur Umsetzung der SDGs leisten kann und/oder sollte
Geographie & Zukunftsthemen
Umfasst alle genannten Themen des 21. Jahrhunderts, die bisher noch eine zu geringe Rolle in der Gesellschaft spielen, aber zukünftig verstärkt behandelt werden sollten und zu denen die Geographie einen Beitrag leisten kann
13. Anhang Möglichkeiten des Wissenstransfers
Umfasst alle gegenwärtigen und vorstellbaren Möglichkeiten für den Transfer von Wissen in die breite Masse der Gesellschaft hinein
Notwendige Veränderungen im Wissenstransfer
Umfasst alle Veränderungen, die notwendig sind, um den Wissenstransfer im Nachhaltigkeitskontext zu verbessern
Formate der Wissensvermittlung
Umfasst alle nutzbaren und potenziellen Formate, mit denen Wissen gewinnbringend vermittelt werden kann und/oder sollte
Social Media als Wissenskanal
Umfasst alle Inhalte, die sich auf die Bedeutung von Social Media als Wissenskanal beziehen
Tabelle 37: Subkategorien der Hauptkategorie 1: »Definition von Wissen« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Wissen als veränderbarer Prozess
Umfasst Definitionen, die Wissen als einen veränderbaren und nicht festgelegten Prozess verstehen.
»Wissen ist nicht einfach da, sondern Wissen wird gemacht und wird erworben und immer wieder neu gemacht und erworben« (IPH11, Pos. 69–70)
Wissen durch Bildung und Erfahrung
Umfasst Definitionen, die besagen, dass Wissen hauptsächlich durch Bildung und Erfahrung erlangt wird.
»Wissen setzt sich zusammen aus der Gleichung Bildung plus Erfahrung« (IPH2, Pos. 4–5)
Wissen als methodisch gesicherte Information
Umfasst Definitionen, die wissen als eine methodisch bestmöglich abgesicherte Information verstehen.
»Wissen und Wissenschaft die bestmögliche Information, die aktuell mit den besten und objektivsten Methoden verfügbar gemacht werden kann« (IPP3, Pos. 5–7)
Wissen durch gesellschaftliche Produktion & Akzeptanz
Umfasst Definitionen, die Wissen nur dann als gegeben sehen, wenn es gesellschaftlich produziert und akzeptiert wird
»gesellschaftlich produzierte und gesellschaftlich akzeptierte Wahrheiten« (IPH6, Pos. 8–10)
Wissen als Form von Erkenntnis
Umfasst Definitionen, die Wissen als eine Form von Erkenntnis verstehen
»Also Wissen ist für mich zunächst einmal Erkenntnisse ganz allgemeiner Art« (IPP2, Pos. 4–6)
Wissen als Fähigkeit zu Handeln
Umfasst Definitionen, die Wissen als eine Fähigkeit zum Handeln verstehen
»Wissen ist die Fähigkeit zu Handeln« (IPH13, Pos. 5)
Wissen als Information mit Kontext
Umfasst Definitionen, die Wissen als eine mit Kontext versehene Information verstehen
»Wissen ist eben sozusagen Information mit Kontext versehen« (IPH1, Pos.18)
Einzeldefinitionen von Wissen
Umfasst alle Definitionen von Wissen, die einzeln dar stehen und keine Überschneidungen zu anderen Definitionen aufweisen
»Wissen ist erinnerungsgestützte Urteilskraft« (IPP6, Pos. 6)
481
482
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 38: Subkategorien der Hauptkategorie 2: »Arten von Wissen« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
kulturelles/indigenes Wissen
Umfasst Wissen, welches in bestimmten Kulturen produziert und bis heute tradiert worden ist
»dazu kommt dann eben noch diese andere Komponente von kulturellem Wissen« (IPP1, Pos. 26)
intuitives & alltägliches Wissen
Umfasst Wissen, welches auf persönlicher Ebene intuitiv, durch Erfahrungen und alltägliches Handeln erworben wird
»Oder was wir so gewissermaßen als im Alltag Handelnde auch immer wieder präsent haben an Wissen« (IPH10, Pos. 27–29)
Fach- und Faktenwissen
Umfasst Wissen, welches durch wissenschaftliche Methoden produziert wurde und auf Fakten und messbaren Daten basiert
»wissenschaftlich fundiertes, wissenschaftlich belegtes Wissen« (IPP12, Pos. 14–15)
Anwendungswissen
Umfasst Wissen, welches sich auf konkrete Handlungen und Anwendungen bezieht
»Ich mein es gibt ja so starkes Anwendungswissen« (IPH1, Pos. 15)
vermeintliches Wissen
Umfasst ein Wissen, welches nicht gesichert ist und dessen Wahrheitsgehalt unbestimmt bleibt
»mit Fake News und der Art und Weise wie man auch Nicht-Wissen oder Unwissen oder bewusst falsches Wissen und Lügen transportieren kann« (IPP2)
Sonstige Wissensarten
Umfasst alle Wissensarten, die nur einmal im gesamten Material genannt werden
»es gibt wichtiges Wissen und es gibt unwichtiges Wissen« (IPH8, Pos. 16)
13. Anhang
Tabelle 39: Subkategorien der Hauptkategorie 3: »Bedeutung von Wissen für Nachhaltigkeit« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Wissen als Notwendigkeit
Umfasst die Bedeutung von Wissen als etwas, dass notwendigerweise vorhanden sein muss, wenn ein Zustand der Nachhaltigkeit erreicht werden soll
»Deswegen ist die Ausbildung, also Grundlagenwissen zu vermitteln, ist absolut notwendig« (IPP7, Pos. 168–169)
Wissen als Grundvoraussetzung
Umfasst die Bedeutung von Wissen als Basis und Grundlage, auf die alle weiteren Überlegungen und Handlungen im Nachhaltigkeitskontext aufbauen.
»dass das das grundlegende Material ist aus dem heraus dann Blaupausen gemacht werden« (IPP8, Pos. 33–34)
Wissen als Handlungsgrundlage
Umfasst die Bedeutung von Wissen als konkrete Grundlage, um Handlungen im Nachhaltigkeitskontext ausführen zu können
»Also Wissen auch als Grundlage für Handlungsoptionen« (IPH10, Pos. 45)
Wissenskonglomerat
Umfasst die Bedeutung, das Wissen im Nachhaltigkeitskontext nur dann eine Rolle spielt, wenn verschiedene Wissensformen kombiniert zum Einsatz kommen
»Ich denke, dass eben unterschiedliche Wissensformen da gerade eine große Rolle spielen« (IPH5, Pos. 29–30)
Wissen für Analyse von Zusammenhängen
Umfasst die Bedeutung von Wissen als Fähigkeit, um Zusammenhänge und Vernetzungen zu analysieren und verstehen zu können im Nachhaltigkeitskontext
»Das Wissen über Wissen von Zuständen und Zusammenhängen« (IPH14)
Wissen als Herausforderung
Umfasst die Bedeutung von Wissen als eine Herausforderung im Nachhaltigkeitskontext, weil Wissen nicht automatisch zu Handlung führt
»Da weiß ich, ich sollte anders handeln, aber die Strukturen geben mir halt ganz andere Richtungen vor. Dann wird Wissen vielleicht zum Teil auch zu einer Last« (IPM5, Pos. 40–42)
Notwendige Veränderungen
Umfasst alle notwendigen Veränderungen, die passieren müssen, damit die Bedeutung von Wissen im Nachhaltigkeitskontext verbessert wird
»Wissen muss Bottom-Up produziert und individuell angepasst bereitgestellt werden« (IPH14, Pos. 11–12)
Sonstige Bedeutungen
Umfasst einzelne Bedeutungszuschreibungen von Wissen im Nachhaltigkeitskontext
»wozu brauch man dieses Wissen: Es geht um die Gestaltung der Gegenwart, aber es geht vor allen Dingen um die Gestaltung von erwartbaren, erhofften oder befürchteten Zukünften« (IPH11, Pos. 38–41)
483
484
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 40: Subkategorien der Hauptkategorie 4: »Definition von Geographie« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Geographie als offene Wissenschaft
Umfasst Definitionen, die die Geographie als eine Wissenschaft beschreiben, die offen für eine große Bandbreite an Themen und Forschungen ist und somit nur schwer zu definieren.
»dass sie unheimlich offen ist für alles. Also im Prinzip kann man alles tun in der Geographie« (IPH7, Pos. 139–140)
Geographie als interdisziplinäre Wissenschaft
Umfasst Definitionen, die Geographie als eine interdisziplinär angelegte Wissenschaft verstehen.
»Das sie interdisziplinär ist und eben wirklich auch Naturwissenschaften und Humanwissenschaften zusammenbringt« (IPP11, Pos. 51–52)
Geographie als Mensch-UmweltWissenschaft
Umfasst Definitionen, die Geographie als eine Wissenschaft beschreiben, die sich vornehmlich mit dem Zusammenspiel von Mensch und Umwelt beschäftigt
»dass die Geographie sich beschäftigt mit den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Umwelt oder Mensch und Umwelt« (IPP5, Pos. 71–73)
Geographie als Raumwissenschaft
Umfasst alle Definitionen, die Geographie als eine Raumwissenschaft beschreiben.
»Geographie ist in allererster Linie ne Wissenschaft von Raum, von Spacialities also Räumlichkeiten auf verschiedenen Maßstabsebenen« (IPH6, Pos. 76–77)
Einzeldefinitionen
Umfasst alle Definitionen von Geographie, die Aspekte aufweisen, welche einzeln stehen und keine Überschneidungspunkte mit anderen Definitionen aufweisen.
»Geographie bedeutet für mich alles, was ich sozusagen mehr oder weniger sichtbar auf der Erde beobachten kann« (IPM1, Pos. 46–47)
Tabelle 41: Subkategorien der Hauptkategorie 5: »Besonderheiten der Geographie« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Methodische Vielfalt
Umfasst die methodische Vielfalt als eine Besonderheit der Geographie
»ganz starke Methoden also was GIS, Karten, Interviews, Statistiken angeht« (IPP1, Pos. 47–48)
Brückenfunktion
Umfasst die Brückenfunktion zwischen Natur- und Sozialwissenschaften als Besonderheit der Geographie
»diese Brückenfunktion zwischen diesen beiden Grundfamilien der Wissenschaften, die hat sonst kein anderes Fach« (IPH2, Pos. 39–40)
Multiperspektivität
Umfasst den Aspekt der multiperspektivischen Sichtweise auf Sachverhalte als Besonderheit der Geographie
»Geographie ist verbunden mit einer multiskalaren Perspektive« (IPM2, Pos. 71–72)
13. Anhang Nachhaltigkeit
Umfasst den Fokus auf nachhaltigkeitsbezogene Fragestellungen als Besonderheit der Geographie
»damit denke ich, ist halt die Geographie auch prädestiniert in diesen Nachhaltigkeitsfragen eine wichtige Rolle zu spielen« (IPP12, 38–40)
Vernetzungs- und Komplexitätsverständnis
Umfasst die Fähigkeit, vernetzt zu Denken und somit komplexe Zusammenhänge besser verstehen zu können als Besonderheit der Geographie
»es ist ein typisches vernetzendes Fach« (IPP8, Pos. 68–69)
Maßstabsbetrachtung
Umfasst die Maßstabsbetrachtung von Problemstellungen von der lokalen bis zur globalen Dimension als Besonderheit der Geographie
»dass Geographen und Geographinnen auch fähig dazu sind, die Maßstabsebene zu verstehen« (IPM7, Pos. 75–76)
Raumverständnis
Umfasst das ausgeprägte Verständnis von Räumen und deren Wirkungszusammenhängen als Besonderheit der Geographie
»Tatsächlich ist das eine Raumwissenschaft« (IPP10, Pos. 122)
holistische Betrachtung
Umfasst die holistische Betrachtung aller Sachverhalte und Problemstellungen als Besonderheit der Geographie
»Also das Zusammendenken, die Synthese, das holistische, das bedeutet für mich die Geographie« (IPM1, Pos. 50–51)
Mensch-UmweltVerständnis
Umfasst das Verständnis von Mensch und Umwelt als verbundenes System als Besonderheit der Geographie
»ich sehe gerade den Wert der Geographie ganz stark in dieser Untersuchung des Mensch-UmweltVerhältnisses« (IPM7, Pos. 72–73)
Interdisziplinarität
Umfasst den interdisziplinären Charakter in Arbeits- und Denkweisen als Besonderheit der Geographie
»Also eine gewisse Offenheit für interdisziplinäres Arbeiten« (IPM5, Pos. 66–67)
Sonstige Besonderheiten
Umfasst alle Verständnisse geographischer Besonderheiten, die einzeln vorkommen und keiner spezifischen Kategorie zuzuordnen sind
»diese Doppelverankerung als Kunst und Wissenschaft gleichzeitig geboren zu sein« (IPH7, Pos. 128–129)
Tabelle 42: Subkategorien der Hauptkategorie 6: »Existenz geographisches Wissen« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Ja
Umfasst die Zustimmung zur Existenz eines geographischen Wissens
»Klassischerweise könnte man sagen, es gibt solche Formen von reinem geographischen Wissen« (IPH5, Pos. 70–71)
Nein
Umfasst die Ablehnung zur Existenz eines geographischen Wissens
»Ne, das kann man nicht so trennen« (IPH6, Pos. 143)
Teils, Teils
Umfasst eine teilweise Zustimmung und teilweise Ablehnung zum Begriff des geographischen Wissens
»Naja es gibt bestimmt halt so einen Schnittbereich von Sachen, die als gemeinsam geteiltes Wissen gelten« (IPH9, Pos. 72–73)
485
486
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 43: Subkategorien der Hauptkategorie 7: »Definition geographisches Wissen» Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Methodenwissen
Umfasst Definitionen, die geographisches Wissen als ein Wissen über verschiedene Methoden sowie deren Anwendung und Kombination verstehen
»Und dann auch das Methodenspektrum also das würde ich schon auch dazu zählen. Es fällt schon auf, dass in der Geographie Empirie eben eine große Rolle spielt und das prägt mit Sicherheit das Wissen« (IPM6, Pos. 217–219)
regionales Wissen
Umfasst Definitionen, die geographisches Wissen als ein Wissen über Regionen, Orte und deren Kulturen verstehen
»Wissen über Regionen und zur Orientierung auf der Erde« (IPH14, Pos. 32)
räumliches Wissen
Umfasse Definitionen, die geographisches Wissen als ein Wissen über Räume und deren Zusammenhänge verstehen
»also dieses spezifische Verständnis von räumlichen Zusammenhängen, da höre ich auch oft, dass Leute sagen, man merkt, dass das Wissen aus der Geographie kommt« (IPM6, Pos. 203–205)
gesellschaftliches Wissen
Umfasst Definitionen, die geographisches Wissen als ein gesellschaftliches Wissen verstehen, welches im Alltag seine Anwendung findet
»sie produziert eben trotz ihrer physischen Inhalte, staatsbürgerliches Wissen« (IPH11, Pos. 141–142)
Vernetzungsund systemisches Wissen
Umfasst Definitionen, die geographisches Wissen als ein vernetzendes Wissen über Systeme der Erde und deren Zusammenhänge verstehen
»vor allem übergeordnet in den Zusammenhängen. Geographisches Wissen als Zusammenhangswissen und aufzeigen der Probleme und Lösungsansätze« (IPH5, Pos. 4–5)
Geographische Perspektive
Umfasst Definitionen, die nicht von einem spezifisch geographischen Wissen sprechen, sondern alternativ von einer geographischen Perspektive und Denkweise, die fachspezifisch ist
»Also das Wissen nicht so sehr, aber die Denkweise. Eine integrative Denkweise ist etwas genuin geographisches« (IPP11, Pos. 62–63)
Sonstige Definitionen
Umfasst alle sonstigen Einzeldefinitionen eines geographischen Wissens
»dass man einfach sein Handeln von vornherein immer darauf einstellt, was heißt das für andere, für Natur und für Natur-Mensch-Verhältnisse und so weiter. Das alles würde ich nach wie vor subsumieren unter geographischem Wissen« (IPH11, Pos. 232–235)
13. Anhang
Tabelle 44: Subkategorien der Hauptkategorie 8: »Bedeutung Geographie für Nachhaltigkeit« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Umgang mit Komplexität
Umfasst die Fähigkeit, komplexe Themen und Fragestellungen zu behandeln und besser zu verstehen als Bedeutung für den Nachhaltigkeitskontext
»also das, was den ursprünglichen Kern der Geographie ausmacht, dass man komplexe Wechselbeziehungen aufzeigt, weil das ist bei der Nachhaltigkeit so« (IPM1, Pos. 122–124)
Vermittlerfunktion
Umfasst die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln und verschiedene Akteure im Nachhaltigkeitskontext zusammenzubringen als Bedeutung der Geographie in diesem Zusammenhang
»jemand, der vermitteln kann auch nicht nur zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch zwischen Wissenschaft und Praxis. Das muss man als Stärke der Geographie verstehen« (IPM3, Pos. 124–126)
holistische & systemische Denkweise
Umfasst die Fähigkeit holistisch und systemisch zu Denken als eine Bedeutung der Geographie, die für den Nachhaltigkeitskontext notwendig ist,
»dieses systematische Überblicken als Ganzes, als holistische Systeme, das ist der Geographie denke ich schon eigen und eine große große Stärke (…) und darauf basiert ja auch das Konzept der Nachhaltigkeit« (IPP1, Pos. 53–55)
gesellschaftliche Relevanz
Umfasst die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Themen und eine allgemeine Nähe zu gesellschaftlichen Akteuren als eine Stärke der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
»Also ich halte die Geographie für dasjenige Fach, das am ehesten in der Lage ist, den Nachhaltigkeitsgedanken in der Schule und auch gesellschaftlich zu verbreiten« (IPH8, Pos. 69–72)
Raumsensibilitätund Verständnis
Umfasst das Verständnis der Geographie von Räumen, räumlichen Zusammenhängen und Auswirkungen von Handlungen im Raum als notwendige und somit bedeutsame Fähigkeit im Nachhaltigkeitskontext
»weil die Kategorie Raum, in der wir denken, sei es als physischermaterieller oder gesellschaftliche Räumlichkeit, ideal dazu geeignet ist, Zielkonflikte, Interessen, Machtspiele aber auch ökologische, natürliche Konsequenzen der Nachhaltigkeit aufzuzeigen« (IPH13, Pos. 66–70)
Thematische Passung
Umfasst die hohe thematische Übereinstimmung geographischer Forschungs- und Handlungsfelder mit denen der Nachhaltigkeit als bedeutsam
»die Themen, die wichtig sind für diese sozial-ökologische Transformation, die werden ja ganz zentral von der Geographie behandelt« (IPM7, Pos. 99–100)
Sonstige Bedeutungen
Umfasst Bedeutungen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext, die nur einzeln genannt werden und keine anderen Übereinstimmungen zu anderen Bedeutungen aufweisen
»ich würde ganz stark machen für die Geographie die Reflexivität und der Umgang mit Differenz, der Umgang mit Andersartigkeit« (IPH11, Pos. 383–385)
487
488
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 45: Subkategorien der Hauptkategorie 9: »Probleme/Herausforderungen der Geographie« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Sichtbarkeit & Akzeptanz
Umfasst eine fehlende Sichtbarkeit & Akzeptanz der Geographie als nachhaltigkeitsrelevantes Fach auf gesellschaftlicher & politischer Ebene
»Also die Geographie als solche ist daher nicht so sehr stark sichtbar in dieser gesamten Nachhaltigkeitsforschung« (IPP3, Pos. 94–95)
Diskrepanz: Potenzial & Leistung
Umfasst eine vorherrschende Diskrepanz zwischen dem Potenzial der Geographie im Nachhaltigkeitskontext und der tatsächlichen Leistung
»da gibt es eine große Diskrepanz zwischen Theorie, was die Geographie leisten sollte und könnte und was sie tatsächlich leistet« (IPM1, Pos. 113–115)
Fachverständigung
Umfasst mangelnde Kommunikation und Zusammenarbeit auf der fachlichen Ebene im Kontext von Nachhaltigkeitsfragestellungen
»Das Problem, das man sich nicht unbedingt mehr miteinander verständigen kann, ohne vorher zentrale Begriffe und Methoden zu klären« (IPP2, Pos. 92–94)
Vermarktung
Umfasst eine unzureichende Vermarktung der Geographie in der Öffentlichkeit als Hemmnis für konkrete Beiträge zur Nachhaltigkeit
»weil die Geographen ganz schlecht darin sind, sich selber zu vermarkten, enorm schlecht« (IPH11, Pos. 238–239)
Sonstige Herausforderungen
Umfasst einzeln auftauchende Herausforderungen und Probleme der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
»Wir haben leider auch kein sagen wir mal kein Sprachrohr auch keine institutionelle Verankerung« (IPP2, Pos. 173–175)
Tabelle 46: Subkategorien der Hauptkategorie 10: »geographisches Wissen für Nachhaltigkeit« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Allgemeines Wissen
Umfasst allgemeine Wissensbestände, die die Geographie im Nachhaltigkeitskontext beitragen kann
»die soziale Unwucht sozusagen ökologischer Ideen, das ist sicher auch ein Feld, wo Geographen gut was zu beitragen können« (IPH1, Pos. 178–180)
disziplinspezifisches Wissen (ist im Kategoriensystem nach den einzelnen Teildisziplinen der Geographie sortiert)
Umfasst spezifische Wissensbestände, die die Geographie in ihren jeweiligen Teildisziplinen zur Nachhaltigkeit beitragen kann
»In der Wirtschaftsgeographie sind das zum Beispiel Sachen wie globale Warnketten und darin enthaltene sozial-ökologische Auswirkungen« (IPH9, Pos. 215–217)
13. Anhang
Tabelle 47: Subkategorien der Hauptkategorie 10.1: »Allgemeines Wissen« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Übergeordnetes Wissen
Umfasst sonstiges übergeordnetes geographisches Wissen für den Nachhaltigkeitskontext, welches keiner geographischen Teildisziplin und/oder Kategorie zuzuordnen ist
»Geographie kann auf regionaler und individueller Ebene ansetzen und Lösungsansätze erforschen und Wissen bereitstellen« (IPH14, Pos. 45–47
Gesellschaftliches Alltagswissen
Umfasst übergeordnetes geographisches Wissen, welches eine gesellschaftliche Relevanz aufweist und im Alltag seine Anwendung findet
»ich glaube zum einen das, also die gesellschaftliche Dimension von Fragen des globalen Wandels, das ist etwas, was Geographen und Geographinnen gut machen können, weil sie ein Stück weit eben auch durch die physische Geographie ein Stück weit in den naturwissenschaftlichen Dimensionen drin sind und gleichzeitig auch das ganze eben dann auch gesellschaftsrelevant aufbereiten können« (IPH5, Pos. 146–150)
Zusammenhangs- und Systemwissen
Umfasst übergeordnetes geographisches Wissen, welches Zusammenhänge von komplexen Inhalten erklärt sowie das Verständnis von Systemen fördert
»Die Geographie ist aus meiner Sicht ja wie gesagt zuständig für Komplexität oder die positiven Dinge, die mit einer komplexeren Sichtweise einher gehen. Da ist das geographische Wissen schon sehr gefragt« (IPM1, Pos. 273–275)
Raumwissen
Umfasst übergeordnetes Wissen, welches sich auf Räume und deren Bedeutung im NE-Kontext bezieht
»Sie sollte zeigen, dass Räumlichkeiten, ob das überflutete Küsten sind, oder überforderte Börsenparketts, das ist völlig egal, dass in solchen Räumlichkeiten Risiken erzeugt werden und zwar systematisch durch unser Handeln. Das ist unsere Aufgabe. Dann aus solchem Wissen um solche Räumlichkeiten beispielsweise Konsequenzen zu ziehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe« (IPH13, Pos. 123–127)
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Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
Tabelle 48: Subkategorien der Hauptkategorie 11: »Aufgaben der Geographie für Nachhaltigkeit« Subkategorien
Definition
Textbeispiel
Kommunikation
Umfasst eine verbesserte Kommunikation von relevanten Beiträgen der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
»für die Transformation denke ich, ist jetzt die Kommunikation wichtiger (…) eben überwiegend auch aus der Geographie« (IPP11, Pos. 283–285)
Wissen & Verständnis fördern
Umfasst die Aufgabe der Geographie, verstärkt Wissen im Nachhaltigkeitskontext bereitzustellen und das gesellschaftliche Verständnis von Fragen der Nachhaltigkeit zu verbessern
»Dort kann die Geographie ganz viel Wissen liefern, in den nächsten Jahren. Dort ist für mich eine Forschungsagenda eigentlich und es ist gleichzeitig eigentlich auch das Versprechen der Geographie an die Gesellschaft« (IPM4, Pos. 372–374)
Politische Beteiligung
Umfasst eine stärkere politische Beteiligung in Fragen der Nachhaltigkeit als Aufgabe der Geographie
»das ist irgendwo ein Auftrag an mich selber oder an die Hochschulgeographie, die da dauerhaft sind, dass sie sich stärker einmischen in Debatten« (IPM7, Pos. 189–191)
Öffentlichkeitsarbeit
Umfasst eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit bezüglich der Beiträge und Wissensbereitstellung der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
»Die Geographie muss einfach zu den Themen der Zeit an prononcierter Stelle Stellung beziehen. Sie muss sich einfach zeigen in der Öffentlichkeit« (IPP2, Pos. 204–205)
Interdisziplinäre Forschung
Umfasst eine verstärkte Forschung zu Zukunfts- und Nachhaltigkeitsfragen insbesondere auch auf einer interund transdisziplinären Ebene
»wir können Beiträge leisten in interdisziplinären sowie transdisziplinären Forschungsverbünden und ich glaube das ist auch unsere Rolle« (IPH1, Pos. 102–104)
Sonstige Aufgaben
Umfasst sonstige einzelne Aufgaben der Geographie im Nachhaltigkeitskontext
»Also eigentlich müsste man sich hinsetzen auch aus Verbandssicht und sich mal die SDGs mal anschauen und dann mal definieren zu den SDGs, was sind die Beiträge der Geographie dafür« (IPP4, Pos. 365–367)
13. Anhang
Tabelle 49: Subkategorien der Hauptkategorie 12: »Geographie in der Gesellschaft« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Bedeutung für die Gesellschaft
Umfasst die Bedeutung der Geographie allgemein, aber auch im Nachhaltigkeitskontext für die Gesellschaft
»dass eben diese Fragen, die Geographie besetzen kann und die wir versuchen zu besetzen, dass die halt auch gesellschaftlich sehr relevant sind« (IPM2, Pos. 234–236)
Wahrnehmung in der Gesellschaft
Umfasst vorhandene Wahrnehmungen der Geographie als Disziplin in der Gesellschaft
»ich glaube die Assoziationen der Geographie mit dem Schulfach und mit Stadt-Land-Fluss, die ist immer noch stark da« (IPM7, Pos. 170–172)
Möglichkeiten der Image-Verbesserung
Umfasst Möglichkeiten, wie die Geographie ihr Image in der Gesellschaft stärken und verbessern kann
»die Bezüge zu diesen Zielen und übergeordneten Fragestellungen im Kontext Nachhaltigkeit müssten da noch viel mehr herausgestellt werden. Dadurch würde dann auch sicherlich das Image der Geographie im Wert steigen« (IPH10, Pos. 192–195)
Tabelle 50: Subkategorien der Hauptkategorie 13: »Beitrag Geographie für SDGs« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Verständnis fördern
Umfasst die Förderung des Verständnisses der SDGs und deren Zusammenhänge auf verschiedenen Ebenen
»ich glaube das Geographie echt einen Beitrag dazu leistet, das transparent zu machen und aufzuzeigen« (IPM6, Pos. 296–297)
Konkrete Forschung
Umfasst konkrete Forschungsbeiträge zur Umsetzung der SDGs
»Die Wissenschaftsseite, da nehme ich schon war, dass es sehr viele Arbeiten von ganz renommierten Geographen und Geographinnen gibt, die ganz maßgeblich sich mit globalen Nachhaltigkeitsprozessen, SDGs, Urban Agenda und so weiter auseinandersetzen« (IPH5, Pos. 101–106)
Transfer in die Gesellschaft
Umfasst den Transfer von Wissensbeständen zu den SDGs in die Gesellschaft sowie auch die Einbindung gesellschaftlicher Akteure in den Umsetzungsprozess
»Ich sehe da vor allem sehr viel Potenzial genau in diesem Übersetzungsprozess von mehreren Zielen« (IPH5, Pos. 174–176)
491
492
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Kritische Sichtweise
Umfasst die Einnahme einer kritischen Haltung zu den Konflikten und Problemen, die mit den SDGs einhergehen
»was Geographie im besten Fall halt kann, ist zum Beispiel aufzeigen an welchen Stellen diese unterschiedlichen Nachhaltigkeitsziele in einem direkten Konflikt zueinanderstehen« (IPH9, Pos. 140–142)
Problemlösung & Umsetzung
Umfasst Beiträge zur Lösung von Problemen, welche in den SDGs adressiert werden sowie auch bezüglich konkreter Umsetzungsmaßnahmen der Ziele
»die angewandte Geographie also dann auch im Berufsfeld des Geographen ist sicher auch stark und vielversprechend, wo man das geographische Wissen dann auch im Anwendungskontext einfließen lassen kann« (IPP3, Pos. 159–161)
Wissen bereitstellen
Umfasst die Bereitstellung von Wissen zu den SDGs auf allen Ebenen
»Also man kann auf jedes SDG geographische Inhalte legen, die Wissen oder eben ein Verständnis über diese Zusammenhänge bereitstellen« (IPP6, Pos. 109–111)
Tabelle 51: Subkategorien der Hauptkategorie 15: »Möglichkeiten des Wissenstransfers« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Presse/Medien
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers, die sich auf die Presse und Medien allgemein beziehen
»vor allem halt auch in die großen Medien reinkommen. Das wäre wichtig« (IPP2, Pos. 219–220)
Forschung
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers, die über Forschungsund Projektarbeiten getätigt werden können
»sondern tatsächlich halt die sogenannte breite Masse der Bevölkerung in Forschungsprozesse mit einzubeziehen über koproduktive Prozesse« (IPH5, Pos. 213–214)
Fernsehen
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers über das Fernsehen als Medium
»Sendungen wie Terra X im Fernsehen« (IPP6, Pos. 117–118)
Veranstaltungen/ Vorträge
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers über Veranstaltungen und Vorträge
»über öffentliche Veranstaltungen« (IPP8, Pos. 190–191)
Printmedien
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers im Hinblick auf Printmedien
»das ist das Schreiben von Büchern, die in Verlagen erscheinen, die jetzt vielleicht nicht nur Nischen darstellen« (IPM2, Pos. 337–338)
13. Anhang Social Media
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers über Social-MediaKanäle
»natürlich hat man die ganzen sozialen Medien, die man bedienen könnte« (IPM5, Pos. 321–322)
fachspezifisch
Umfasst alle Möglichkeiten des Wissenstransfers, die fachspezifisch nur für die Geographie möglich sind
»Also geographische Gesellschaften ist genau das Medium, dass den Anspruch hat auf einem einfacheren Level, bestimmte Themen über die Geographie in eine breitere Öffentlichkeit zu schrauben« (IPH2, Pos. 217–219)
Sonstige Möglichkeiten
Umfasst alle sonstigen Möglichkeiten des Wissenstransfers
»Ich hab zum Beispiel letzte Woche mal wieder ein Radio-Interview gemacht mit einem regionalen Sender, SWR4« (IPH5, Pos. 240–242)
Tabelle 52: Subkategorien der Hauptkategorie 16: »Notwendige Veränderungen im Wissenstransfers« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Öffentlichkeitsarbeit
Umfasst Veränderungen, die sich auf eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf den Transfer von Wissen beziehen
»Da würde ich jetzt sagen, hat die Geographie auch früher die Zeit verpennt und hat sich nicht um die breite Öffentlichkeit gekümmert, also Wissen in die Öffentlichkeit zu tragen« (IPH8, Pos. 288–290)
Verankerung im Job
Umfasst die Veränderung der Aufgabenverteilung und Strukturierung wissenschaftlicher Berufsprofile im Hinblick auf Wissenstransfer
»Natürlich kosten solche Sachen Zeit, ich kann da auch nicht so viel machen, wie ich gerne würde, aber im Endeffekt sollte es ein Stück weit zu unserem Job dazugehören, vielleicht auch mehr dazu gehören, als es bisher der Fall ist« (IPH5, Pos. 250–252)
Publikationskultur
Umfasst eine Veränderung der bestehenden Publikationskultur im Wissenschaftsbereich zugunsten eines verbesserten Wissenstransfers
»und es läuft in der Gegenwart in die völlig falsche Richtung nur noch auf Englisch zu publizieren, nur noch theoretische Beiträge, die der Allgemeinheit nichts bringen und ich bin auch im Zweifel, ob das für die Gesellschaft insgesamt was bringt« (IPH8, Pos. 290–293)
493
494
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Digitale Medien
Umfasst die verstärkte Nutzung digitaler Medien zum Zweck des Wissenstransfers
»Also ich halte das für unausweichlich, ich glaube aber auch, dass es eine echte Zukunftsaufgabe sein wird, dass wir seitens der Wissenschaft selbst es als eine Art digitale Alphabetisierung mal verstehen müssen, was da tatsächlich passiert« (IPH13, Pos. 321–324)
sonstige Veränderungen
Umfasst sonstige notwendige Veränderungen im Hinblick auf den Wissenstransfer
»Also die Wertschätzung für generelles Wissen, für Generalistentum, für Universalismus, die müsste wieder höher werden« (IPM1, Pos. 352–353)
Tabelle 53: Subkategorien der Hauptkategorie 17: »Formate der Wissensvermittlung« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Spielerische Formate
Umfasst alle spielerisch/gestalterisch angelegten Formate der Wissensvermittlung
»wir entwickeln serious games also auch spielerische Formate, wo man auch als Erwachsener mit umgehen kann« (IPM3, Pos. 320–323)
Simplifizierung
Umfasst alle der Formen der Simplifizierung von komplexen Inhalten im Zuge einer verbesserten Wissensvermittlung
»Aber tatsächlich die Übersetzung, die Zuspitzung auf diesen Begriff, der dann auch die Verkürzung erlaubt, die die Medien brauchen« (IPH7, Pos. 337–338)
Geschichten
Umfasst die Vermittlung von Wissen über das Erzählen von Geschichten
»Kommunikation geschieht eben sehr viel über Bilder, aber auch über Geschichten. Selbst globale Problemfelder lassen sich dann oft am besten beschreiben, wenn man bestimmte Gegenden oder Fälle heraussucht und an dem Beispiel dann Zusammenhänge illustriert« (IPP3, Pos. 261–265)
visuell
Umfasst visuelle Formate der Wissensvermittlung wie zum Beispiel Bilder, Grafiken oder Karten.
»Dann machen wir da immer Infografiken dazu. Ein großes Set an Folien, die sich jeder herunterladen kann« (IPP11, Pos. 258–259)
Blogs
Umfasst das Format der InternetBlogs zur Wissensvermittlung
»Blogs kommen glaube ich auch ganz gut an« (IPH5, Pos. 276–277)
13. Anhang Video- & Filmformate
Umfasst Formate der Wissensvermittlung in Form von Videos oder Filmen
»Auch so etwas wie Filmmaking und Geography, zum Beispiel Videos alltäglich zu nutzen für die Wissensproduktion« (IPM6, Pos. 416–418)
Diskussionen/ Interviews
Umfasst mündliche Formate der Wissensvermittlung in Form von Diskussionsbeiträgen oder Interviews
»Ich finde prinzipiell müsste dieser Wissenstransfer eher einen DialogCharakter haben« (IPM5, Pos. 316–317)
Vorträge
Umfasst das Format der Vorträge zur Wissensvermittlung
»wenn jeder 1–2 Mal im Jahr einen Vortrag außerhalb hält zu seinem Spezialthema« (IPP8, Pos. 176–177)
Schriftlich/ Textform
Umfasst alle schriftlichen und in Textform verfassten Formate der Wissensvermittlung
»Ich finde es aber eben auch gut, wenn Leute eben auch noch ganz altmodisch über einen Text informiert werden, den man zu Hause liegen hat, wo man dann nochmal gucken kann« (IPH8, Pos. 361–363)
Sonstige Formate
Umfasst alle sonstigen möglichen Formate der Wissensvermittlung
»Eine weitere Möglichkeit, die ich so selber praktiziert habe in den letzten Jahren, sind Cross-MediaProduktionen, also über Video und Ton und Text kombiniert zu wirken, die Themen zu adressieren« (IPH4, Pos. 250–252)
Tabelle 54: Subkategorien der Hauptkategorie 18: »Social Media als Wissenskanal« Subkategorie
Definition
Textbeispiel
Chancen
Umfasst alle Chancen, die Social Media als Kanal zur Wissensvermittlung bietet oder bieten kann
»Gerade über Social Media erreicht man halt auch einfach direkt eine viel größere Zielgruppe als man es über andere Medien schaffen würde« (IPH5, Pos. 284–286)
Herausforderungen
Umfasst alle Herausforderungen, die bei einer Nutzung von Social Media als Informationskanal beachtet werden sollten oder die gegen eine Nutzung sprechen
»Man muss da halt sehen, wen man abonniert, welche Kanäle man nutzt und für Laien ist es ja auch nicht ganz unterscheidbar was jetzt Wissen ist oder was Behauptung ist« (IPP3, Pos. 294–296)
495
496
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?!
13.3 Fragebogen der Online-Panel-Befragung Liebe Teilnehmer*innen, vielen Dank, dass Sie sich für die Teilnahme an der Umfrage entschieden haben! In der Umfrage möchte ich erheben, welche Bedeutung Wissen aus gesellschaftlicher Sicht im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit hat. Es soll erhoben werden, wie der Wissensstand der Gesellschaft zu Themen der Nachhaltigkeit eingeschätzt wird, welches Wissen möglicherweise fehlt und insbesondere über welche Kanäle und in welcher Form Wissen gewinnbringend der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden sollte. Die Umfrage wird ca. 10–15 Minuten in Anspruch nehmen und ist entsprechend den aktuellen Datenschutzverordnungen des Bundes vollständig anonymisiert. Die Ergebnisse der Umfrage werden zu rein wissenschaftlichen Zwecken im Rahmen meiner Dissertation verwendet.
In welchem Berufsfeld sind Sie tätig? Was verstehen Sie unter dem Begriff »Wissen«? Welche Bedeutung hat Wissen in Ihrem Leben allgemein? □ hoch □ eher gering
□ eher hoch □ gering
□ durchschnittlich □ keine
Wie wichtig ist für Sie persönlich Wissen in folgenden Lebensbereichen? sehr wichtig
wichtig
teils, teils
weniger wichtig
nicht wichtig
am Arbeitsplatz
□
□
□
□
□
im Haushalt
□
□
□
□
□
in der Freizeit
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Mobilität
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beim Reisen/im Urlaub
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bei der Ernährung
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□
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beim Konsumieren
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□
□
□
□
politische Teilhabe
□
□
□
□
□
soziales Miteinander
□
□
□
□
□
Was verstehen Sie unter Nachhalltigkeit?
13. Anhang Wie stark stehen die folgenden Begriffe Ihrer Meinung nach in Verbindung mit Nachhaltigkeit? sehr stark
eher stark
mittel
eher weniger
gar nicht
Armut
□
□
□
□
□
Ernährung
□
□
□
□
□
Gesundheit
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□
□
□
□
Bildung
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□
□
□
Geschlechtergleichstellung
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□
□
□
□
Trinkwasserversorgung
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□
□
□
□
Energieversorgung
□
□
□
□
□
Wirtschaftswachstum
□
□
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□
□
soziale Ungleichheit
□
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□
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□
demographischer Wandel
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□
□
□
□
Stadtentwicklung
□
□
□
□
□
Ressourcenverbrauch
□
□
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□
□
Konsum
□
□
□
□
□
Klimawandel
□
□
□
□
□
Verlust der Artenvielfalt
□
□
□
□
□
Verlust von Ökosystemen
□
□
□
□
□
Frieden und Gerechtigkeit
□
□
□
□
□
globale Zusammenarbeit
□
□
□
□
□
Digitalisierung
□
□
□
□
□
Wie würden Sie Ihren Wissensstand zu den folgenden Themen bewerten? sehr hoch
hoch
eher niedrig
niedrig
kein Wissen
Armut
□
□
□
□
□
Ernährung
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□
□
□
□
Gesundheit
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□
Bildung
□
□
□
□
□
Geschlechtergleichstellung
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□
□
□
□
Trinkwasserversorgung
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498
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Energieversorgung
□
□
□
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□
Wirtschaftswachstum
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□
soziale Ungleichheit
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□
□
demographischer Wandel
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□
Stadtentwicklung
□
□
□
□
□
Ressourcenverbrauch
□
□
□
□
□
Konsum
□
□
□
□
□
Klimawandel
□
□
□
□
□
Verlust der Artenvielfalt
□
□
□
□
□
Verlust von Ökosystemen
□
□
□
□
□
Frieden und Gerechtigkeit
□
□
□
□
□
globale Zusammenarbeit
□
□
□
□
□
Digitalisierung
□
□
□
□
□
Welche Arten von Wissen haben Sie zu den eben genannten Themen am ehesten? (Sie können mehrere Optionen auswählen) □ Wissen über Zahlen, Daten und Fakten □ Wissen über Zusammenhänge, Ursachen und Folgen □ Wissen über Lösungsansätze und persönliche Handlungsmöglichkeiten □ Andere: Kennen und verstehen Sie die folgenden Begriffe? Ja, kenne und verstehe ich
Ich kenne nur den Begriff
Nein
Denken in verschiedenen Maßstäben (z.B. lokal und global)
□
□
□
Multiperspektivität
□
□
□
ganzheitliches Denken
□
□
□
Denken in Räumen
□
□
□
Interdisziplinarität
□
□
□
die Erde als mensch-Umwelt-System
□
□
□
Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit…? sehr wichtig
wichtig
teils, teils
weniger wichtig
nicht wichtig
… in verschiedenen Maßstäben zu denken (z.B. lokal und global)
□
□
□
□
□
… multiperspektivisch zu denken
□
□
□
□
□
… ganzheitlich zu denken
□
□
□
□
□
… in Räumen zu denken
□
□
□
□
□
13. Anhang … interdisziplinär zu denken
□
□
□
□
□
… die Erde als MenschUmwelt-System zu denken
□
□
□
□
□
Welche Bedeutung hat die Nachhaltigkeit Ihrer Meinung nach in folgenden Lebensbereichen? sehr hoch
hoch
mittel
eher niedrig
keine
Wahl des Arbeitgebers
□
□
□
□
□
Verhalten am Arbeitsplatz
□
□
□
□
□
Verhalten in der Freizeit
□
□
□
□
□
am Verkehr teilnehmen
□
□
□
□
□
Reise-/Urlaubsverhalten
□
□
□
□
□
Ernährung
□
□
□
□
□
im Haushalt
□
□
□
□
□
beim Konsumieren
□
□
□
□
□
politische Teilhabe
□
□
□
□
□
soziales Miteinander
□
□
□
□
□
Kennen Sie für die folgenden Lebensbereiche nachhaltige Handlungsmöglichkeiten für Ihr alltägliches Leben? Ja, viele
Ja, ein paar
nein
weiß ich nicht
Wahl des Arbeitgebers
□
□
□
□
Verhalten am Arbeitsplatz
□
□
□
□
Verhalten in der Freizeit
□
□
□
□
am Verkehr teilnehmen
□
□
□
□
Reise-/Urlaubsverhalten
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□
□
□
Ernährung
□
□
□
□
im Haushalt
□
□
□
□
beim Konsumieren
□
□
□
□
politische Teilhabe
□
□
□
□
soziales Miteinander
□
□
□
□
Woher kommt Ihr vorhandenes Wissen zu den Themen der Nachhaltigkeit? □ Schule □ Ausbildung □ Familie und Freunde □ Internet □ Hörbuch/Podcast □ Printmedien (z.B. Zeitung/Bücher)
□ Universität □ Arbeitgeber*in □ soziale Netzwerke □ Fernsehen □ persönliche Erfahrungen/Erlebenisse □ Andere:
499
500
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Wie wichtig finden Sie Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit? (Bitte setzen Sie ein X auf der Skala) gar nicht wichtig ———————————————————————————— sehr wichtig Was ist für Sie persönlich wichtig in Bezug auf das Wissen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit? (Sie können mehrere Optionen auswählen) □ es muss überprüfbar sein □ es muss wissenschaftlich belegt sein □ es muss leicht verständlich sein
□ es muss praktisch anwendbar sein □ Andere:
Wie relevant sind folgende Arten von Wissen Ihrer Meinung nach allgemein im Kontext von Nachhaltigkeit? sehr relevant
relevant
weniger relevant
nicht relevant
Wissen über Hintergründe, Fakten und Zusammenhänge
□
□
□
□
Wissen über Ursachen und Ist-Zustände
□
□
□
□
Wissen über die Folgen für das eigene Leben
□
□
□
□
Wissen über generelle Folgen für die Gesellschaft
□
□
□
□
Wissen über die Folgen für die Umwelt
□
□
□
□
Wissen über Lösungsansätze und Handlungsoptionen
□
□
□
□
Welches Wissen führt Ihrer Meinung nach für Sie persönlich am ehesten zu einem tatsächlichen Handeln in Richtung Nachhaltigkeit? (Sie können mehrere Optionen auswählen) □ Wissen über Hintergründe, Fakten und Zusammenhänge □ Wissen über Ursachen und Ist-Zustände □Wissen über die Folgen für das eigene Leben □ Wissen über generelle Folgen für die Gesellschaft □ Wissen über die Folgen für die Umwelt □ Wissen über Lösungsansätze und Handlungsoptionen □ Wissen spielt keine Rolle Würden Sie sagen, dass Sie ausreichend Wissen haben, um nachhaltig handeln zu können? □ Ja, in jedem Fall □ Ja, aber in bestimmten Bereichen □ Ich habe Wissen, aber nicht ausreichend, um handeln zu können □ Nein, mir fehlt das Wissen □ weiß ich nicht Wenn Wissen keine Rolle spielt, was führt dann Ihrer Meinung nach am ehesten zu einem nachhaltigen Handeln?
13. Anhang Zu welchen der folgenden Themenbereiche würden Sie gerne mehr Wissen haben? □ Armut □ Nahrungsmangel □ Lebensmittelverschwendung □ Wandel von Landnutzung □ Bildungsungleichheiten □ Geschlechtergleichstellung □ Trunkwasserversorgung/Süßwassermangel □ Energieversorgung □ Wirtschaftswachstum □ soziale Ungleichheiten □ demographischer Wandel □ Andere:
□ Städte und ihre Entwicklung □ Ressourcenverbrauch □ Konsum □ Klimawandel □ Biodiversitätsverlust □ Wasserverschmutzung □ Verlust von Ökosystemen □ Frieden und Gerechtigkeit □ globale Zusammenarbeit □ Digitalisierung □ zu keinem
Für welche Lebensbereiche hätten Sie gerne mehr Wissen, um nachhaltig handeln zu können? □ Wahl des Arbeitgebers □ Verhalten in der Freizeit □ Reiseverhalten □ im Haushalt □ politische Teilhabe □ zu keinem
□ Verhalten am Arbeitsplatz □ Am Verkehr teilnehmen □ Ernährung □ beim Konsumieren □ soziales Miteinander □ Andere:
Über welche Kanäle sollte für Sie persönlich ein solches Wissen bestenfalls bereitgestellt werden? □ Fernsehen □ Internet □ Hörbuch/Podcasts □ Andere:
□ Printmedien (z.B. Zeitungen/Bücher) □ soziale Netzwerke □ Vorträge/Veranstaltungen
In welcher Form würden Sie ein solches Wissen gerne erhalten? □ Textform □ Videoformate/Film □ Hörbuch/Podcast □ Andere:
□ Abbildungen/Grafiken/Bilder □ spielerisch (z.B. als PC-Spiel) □ mündlich (z.B. als Vortrag)
Glauben Sie, dass sich durch ein vertieftes Wissen in den von Ihnen angegebenen Bereich Ihr Verhalten in dem Bereich ändern würde? □ ja
□ teilweise
□ weiß ich nicht
□ nein
Was müsste passieren, damit sich Ihr Verhalten tatsächlich verstärkt in Richtung Nachhaltigkeit verändert? Zu welcher Altersgruppe gehören Sie? □ 18–29 □ 30–39
□ 40–49 □ 50–59
□ 60–69 □ 70 oder älter
Zu welchem Geschlecht fühlen Sie sich zugehörig? □ männlich
□ weiblich
□ divers
501
502
Jonas Birke: Geographisch denken – nachhaltig handeln?! Bitte wählen Sie Ihren höchsten Bildungsabschluss □ Hauptschulabschluss □ mittlerer Schulabschluss □ Fachhochschulreife □ Abitur □ abgeschlossene Berufsausbildung
□ Meister/Techniker □ abgeschlossenes Studium □ Promotion □ Habilitation
Bitte geben Sie die Postleitzahl Ihres Wohnortes an
WISSEN. GEMEINSAM. PUBLIZIEREN. transcript pflegt ein mehrsprachiges transdisziplinäres Programm mit Schwerpunkt in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Aktuelle Beträge zu Forschungsdebatten werden durch einen Fokus auf Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsthemen sowie durch innovative Bildungsmedien ergänzt. Wir ermöglichen eine Veröffentlichung in diesem Programm in modernen digitalen und offenen Publikationsformaten, die passgenau auf die individuellen Bedürfnisse unserer Publikationspartner*innen zugeschnitten werden können.
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